UNIVERSITY OF ILLINOIS
LIBRARY
Class
6 \0* 5
Book Volume
HU.
Ja 09-20M
* *
J
t •
MÜNCHENER
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
HERAUSGEGEBEN
0. ). Angerer, Ch. Baumler, 0. Bollinger, H. Curschmann, W. *. Leube. G. Merkel, J. i. Michel, F. Penzoldt, H. ». Ranke. F. ». Winckel,
München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München.
*
REDIG1RT
HOFRATH D* BERNHARD SPATZ
PRAKT. ARZT.
XLIX. JAHRGANG.
1 \ V\'g ^ <2 (Auly - Jtc)
MÜNCHEN
VERLAG VON J. F. LEHMANN
1902. o/>
fHe Münch. Med. Wochenschr. erscheint wöchentl.
in Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen.
Preis in Deutschi, u Oest. -Ungarn vierteljährl. 6 Jt,
ins Ausland 8.— Jl. Einzelne No. 80
MÜNCHENER
Eilsendungen sind zu adressiren: F'ür die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, lleustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Angerer, Ch. Bäumler, 0. Bollinger, H. Curschmann, C, Gerhardt, \7, v. Leube, G. Merkel, J. v. Michel, F. Penzoldt, H. v. Ranke, F. v. Winckel,
München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Berlin. Würzburg. Nürnberg Berlin Erlangen. München. München.
No. 26. 1. Juli 1902.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 2U.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus der medizinischen. Poliklinik in Heidelberg.
Direktor : Ilofrat Prof. Dr. V i e r o r d t.)
Die Heilstättenbehandlung der Tuberkulose.*)
Von Privatdozent Dr. Hammer.
Mit grosser und bewunderswerter Energie ist der Kampf
gegen die mörderische und verheerende Volkskrankheit, gegen
die Tuberkulose, aufgenommen worden. Vorbereitet und ein¬
geleitet von den Aerzten nach langjähriger und sorgfältiger
Arbeit und Forschung bezüglich der Aetiologie, Pathologie und
Therapie der Tuberkulose, speziell der Lungentuberkulose, be¬
teiligten sich an ihm alle Stände und Gesellschaftsklassen, der
Staat und die Städte, die Arbeitgeber wie auch die Vertreter der
Arbeiter, nicht in letzter Linie auch die private Wohltätigkeit.
Durch das von vornherein zielbewusste Zusammenwirken aller
dieser Faktoren, vor allen Dingen aber Dank der noch vom
ersten Kanzler inaugurierten sozialen Gesetzgebung, die die Ver¬
wendung der für die Invalidenversicherung gesammelten Gelder
für Heilzwecke der Tuberkulose zuliess, ist es möglich geworden,
in einer unverhältnismässig kurzen Zeit, in kaum 7 Jahren
seit Gründung des deutschen Zentralkomitees zur Errichtung von
Heilstätten für Lungenkranke, ein wirklich staunenswertes Re¬
sultat zu erzielen. Fs sind jetzt neben ca. 20 Privatanstalten,
die ebenfalls versicherte Lungenkranke aufnehmen, schätzungs¬
weise ca. 60 Volksheilstätten im Betriebe und die Errichtung
weiterer Heilstätten ist geplant; mit Beginn des neuen Jahr¬
hunderts sollte es möglich sein, all j ährlich mindestens 20 000
versicherte Kranke einer dreimonatlichen Kur zu unterziehen :
sicherlich Zahlen, die einen schlagenden Beweis liefern für die
Grossartigkeit und Energie, mit welcher der aufgenommene
Kampf in allen Teilen und Gauen Deutschlands geführt wird.
Wir sind aber noch weit entfernt vom Siege.
Nach einer ungefähren Berechnung Dettweilers leiden
im Deutschen Reiche zu jeder Stunde etwa 1 200 000 Menschen
an Tuberkulose, eine Zahl, die sicher eher zu niedrig als zu
hoch gegriffen erscheint; es sterben im Deutschen Reiche jähr¬
lich nach dem Durchschnitt der 4 Jahre 1894 — 1897 87 600
Menschen im Alter von 15 — 60 Jahren allein an Lungen tuber¬
kulöse, mit anderen Worten 2,95 auf 1000 Lebende dieser Alters¬
klasse bei einer Gesammtsterblichkeit von 9,1 (Köhler: Tuber¬
kulosekongress, Berlin 1899).
Bei Betrachtung dieser Zahlen wird ohne weiteres klar, dass
das bisher Geschaffene noch bei weitem nicht genügt, dass es
notwendig ist, auf dem neuen Weg mit aller Energie fort¬
zuschreiten.
Aber nicht in der kraftvollen Fortführung dieser modernen
therapeutischen Bestrebungen allein liegt das für die Zukunft
Notwendige. Mindestens ebenso wichtig erscheint die Forde¬
rung, dass auf alle Weise ein richtiges und unbefangenes Urteil
über den Wert dieser mit enormen Kosten verknüpften thera¬
peutischen Bewegung erstrebt werden muss. Dies ist
der Punkt, an dem vor allen Dingen und allein die
Tätigkeit der Aerzte einsetzen muss. Nur durch ein
*) Vortrag, gehalten im Medizinischen Verein Heidelberg.
No. 26.
fruchtbringendes Zusammenwirken aller Aerzte, sowohl der¬
jenigen, die zu Leitern der Heilstätten berufen sind,
als auch derer, die die Auswahl der für die Heilstätten geeigneten
Krankheitsfälle treffen sollen, ist zu hoffen, dass die noch offene
Frage, ob denn auch wirklich diese Heilstättenbehandlung der
Arbeitertuberkulose, deren Inszenierung durch die langjährige
Erfahrung in der Behandlung der Tuberkulose der besseren
Stände wohl begründet war, den kühnen Erwartungen und dem
gemachten Aufwand entsprechend sich dauernd bewähren und
somit einen bemerkenswerthen Fortschritt in dem Kampf gegen
die Tuberkulose bilden wird, auf schnellstem Wege einer ent¬
scheidenden Lösung zugeführt wird. Vielleicht wird das Urteil
dieser an der grossen Aufgabe gleichmässig beteiligten Aerzte
von einander abweichen, da die Verhältnisse, unter welchen die
Kranken dem Arzte gegenübertreten, ausserordentlich ver¬
schieden sind, so dass erst im Ausgleich dieses Urtheils sieh ein
endgültiger und bleibender Wert ergeben wird.
Gestatten Sie mir nun zunächst, über die Kranken, die von
hier aus im Laufe der letzten Jahre in eine Heilanstalt ein¬
gewiesen wurden, zu berichten; zu diesem Zwecke muss ich Ihre
Aufmerksamkeit für das Anhören einiger statistischer Daten
erbitten.
Von der hiesigen Ortskrankenkasse sind seit dem Jahre
1898 ’) für 127 tuberkulös Erkrankte 139 Heilverfahren be¬
antragt worden; die grössere Anzahl von Heilverfahren erklärt
sich dadurch, dass für 12 Kranke 2 mal Anträge zur Ausführung
eines Heilverfahrens gestellt wurden. Unter diesen 127 tuber¬
kulös Erkrankten sind 95 männlichen und 32 weiblichen Ge¬
schlechts. Die Berufsarten sind sehr mannigfache; die Ver¬
teilung der Kranken auf die verschiedenen Berufsarten ist aus
folgender Zusammenstellung ersichtlich.
Berufsarten
Ibilstätten-
Knr
Keine Heil¬
stättenkur
männliche Kranke
Maler, Tüncher, Flaschner, Spängler, Schrift-
setzer, Lackierer .
8
7
Schmied, Schlosser, Mechaniker, Monteur . .
3
11
Stuhlmacher, Schreiner, Kunstschreiner . . .
6
2
Bürstenmacher .
1
1
Gipser .
2
1
Steinhauer, Steinbrecher .
—
2
Maurer .
3
3
Zigarrenarbeiter .
1
1
Brauer, Bierkutscher, Küfer .
6
—
Tagner .
3
5
Diverse Berufsarten (= Kaufmann, Kellner,
Buchbinder, Zimmermann, Packer, Gepäck¬
träger, Dienstknecht, Hausbursch, Glaser,
11
Bureauarbeiter, Posamentier .
18
51
44
Für die weiblichen Kranken spielt danach mit Ausnahme
von 5, von denen 4 in der Zigarrenindustrie beschäftigt waren,
’) Vereinzelte Heilverfahren sind schon früher eingeleitet, aber
nicht genauer kontrolliert worden.
1
1 ÜÖ2
MÜENCJIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 26.
Berufsarten
I
11
weibliche Franko
Näherin, Kleidermacherin .
2
5
Verkäuferin, Buffetfräulein, Kellnerin, Buch¬
halterin, Wäschebeschliesserin .
9
3
Auslauferin, Blumenbinderin, Zeitungsträgerin
1
2
Zigarrenarbeiterin .
3
1
Dienstmädchen .
5
—
Formerin .
1
—
21
11
in Summa
72
55
und 1 als Formerin in einer Ofenfabrik mit Blei zu thun hatte,
die direkte berufliche Schädigung keine grosse Rolle. Die
Chlorose, die eine recht häufige Erkrankung der oben angegebenen
weiblichen Berufsarten, wie Dienstmädchen, Verkäuferinnen,
Näherinnen, Kellnerinnen etc. darstellt, darf wohl nicht mit Un¬
recht in vielen dieser Fälle als disponierendes Moment heran¬
gezogen werden.
Dagegen finden sich bei dem männlichen Material eine ganze
Reihe als schädlich bekannter Berufsarten verzeichnet, wie
Zigarrenindustrie, Schlosser, Eisendreher, Schmied, Steinhauer,
Schriftsetzer, Buchdrucker, Lackierer, Maler, Maurer, Gipser,
Schreiner, Bürstenmacher etc. Werden die verschiedenen Staub-
schädlichkeiten berücksichtigt, so ergibt sich, dass metallischem
Staub ausgesetzt waren : 30 Patienten = 23,6 Proz., minerali¬
schem Staub 11 = 8,6 Proz., vegetabilischem Staub 14 = 11 Proz.,
animalischem Staub 5 = 3,94 Proz., Staubgemischen 9 = 7,1 Proz.
Den Gefahren einer Bleiintoxikation waren 15 ausgesetzt
— 12,6 Proz.
Bei 6 Kranken lag infolge ihres Berufs Abusus alcoholicus
vor (= 4,7 Proz.), darunter 2 Bierfuhrleute, bei denen als einzige
Schädlichkeit der Alkohol selbst zutrifft, die gleichzeitige Schäd¬
lichkeit der Beschäftigung in unhygienischen Räumen etc. in
Wegfall kommt.
Als Anstalten, die zur Aufnahme dienten, sind zu nennen:
Nordrach, Schömberg, Hornberg, Forbach, Bonndorf, Säckingen,
Friedrichsheim, sämtlich im Schwarzwald gelegen, neuerdings
auch Sandbach im hessischen Odenwald.
Von der Landesversicherung Baden wurden genehmigt
90 Heilverfahren, welche bei 79 Kranken zur Ausführung kamen.
11 von diesen Kranken wurden eines wiederholten Heilverfahrens
teilhaftig. In 7 Fällen musste das Heilverfahren vor Ablauf von
4 Wochen beendigt werden; in 3 Fällen, weil die Patienten sich
als zu schwerkrank und ungeeignet für eine Kur erwiesen und
sofort zurückgeschickt werden mussten; in 4 Fällen, weil die
Kranken sich nicht in die Anstaltsordnung zu fügen wussten.
Diese Fälle sind deswegen für die Statistik der durch¬
geführten Heilverfahren nicht berücksichtigt, finden dagegen
Verwertung in den später zu besprechenden Fällen der abgelehn¬
ten Heilverfahren.
Die Beobachtung-szeit der Kranken erstreckt sich bis zum
1. I. 1902.
Die durchschnittliche Kurdauer beträgt 80 Tage und
schwankt zwischen 80 bis zu 180 Tagen.
Ueberhaupt ein Erfolg2) wurde erzielt in 61 Fällen = 74Proz.
Ein voller Erfolg wurde in 29 Fällen erzielt == 35 Proz., d. h.
29 Patienten haben ihre volle Erwerbsfähigkeit erlangt und bis¬
her behalten.
Die längste Arbeitszeit dieser Patienten beträgt bis jetzt
2 Jahre 6 Monate, die durchschnittliche 1 Jahr 1% Monat.
Ein mittlerer Erfolg wurde erzielt in 32 Fällen = 38,6 Proz.,
d. h. diese Patienten waren nur im stände, leichte Arbeit zu ver¬
richten oder sie erreichten zwar zunächst ihre volle Erwerbsfähig¬
keit, erkrankten aber bald wieder.
2) Wenn von Erfolgen gesprochen wird, so ist nur der wirt¬
schaftliche Erfolg bezüglich der Besserung resp. Wiederherstellung
der Arbeitsfähigkeit gemeint in derselben Weise, wie es fast in
sämtlichen Statistiken der Volkssanatorien geschieht; die Aen-
deruug des objektiven Lungenbefundes, die Besserung oder Ver¬
schlechterung desselben, konnte hier zunächst nicht berücksichtigt
werden, sondern muss einer gesonderten Bearbeitung Vorbehalten
bleiben.
Die längste Arbeitszeit dieser Patienten dauerte 2 Jahre
8 Monate, die durchschnittliche nur 1% Monat.
Nur 4 von diesen Kranken haben bis jetzt ohne weitere
Unterbrechung leichte Arbeit verrichten können. Die übrigen
sind sämtlich wiedererkrankt, haben sich entweder einem neuen
Heilverfahren
(und zwar 10, wovon:
1 Heilverfahren noch nicht erledigt ist,
3 noch einen vollen,
4 einen mittleren Erfolg erzielt haben, von denen einer be¬
reits wieder und zwar dauernd arbeitsunfähig ist,
2 ohne jeden Erfolg waren.
Bei 2 Wiedererkrankten sind noch neue Anträge gestellt, die
noch ihrer Erledigung harren.
Bei 2 waren nachträglich eingeleitete Tuberkulinkuren von
Erfolg,
o sind dauernd arbeitsunfähig,
7 sind gestorben.)
oder nachträglich einer Tuberkulinkur unterzogen oder sind
dauernd arbeitsunfähig geblieben oder gestorben.
Ohne jeden Erfolg waren 22 Heilverfahren = 22,5 Proz.
Von diesen sind bereits 13 gestorben, die übrigen sind dauernd
arbeitsunfähig oder befinden sich im Endstadium.
Insgesamt sind von sämtlichen Kranken, die sich einer Kur
unterzogen haben, 22 gestorben = 27,5 Proz.
Es wird von Interesse sein, dem eben besprochenen Kranken¬
material dasjenige gegenüber zu stellen, welches ebenfalls ein¬
gegeben war für eine Kur, bei dem aber aus irgend welchen
Gründen ein Heilverfahren nicht zu stände kam. Mit aufgeführt
unter diesem Material sind die schon oben erwähnten 7 Fälle,
bei denen ein Heilverfahren zwar eingeleitet, aber schon vor Ab¬
lauf von 4 Wochen beendigt werden musste.
Eine kurze Betrachtung der Gründe, die das beantragte Heil¬
verfahren nicht zu stände kommen Hessen, ergibt, dass 14 An¬
träge von der Versicherung abgelehnt wurden, meistens des¬
wegen, weil dem begutachtenden Arzte die Fälle als zu schwer
und aussichtslos erschienen oder (ausnahmsweise) weil dem Ge¬
setz nach die Einleitung einer Kur nicht berechtigt war. Einige¬
male sind die Gründe der Ablehnung überhaupt nicht bekannt
gegeben.
9 Patienten hielten sich, als der Abruf in die Heilanstalt
kam, für gesund und betrachteten die Kur als unnötig; 5 ver¬
weigerten die Kur ohne weitere Motivierung, 7 wegen häuslicher
Verhältnisse; 2 waren inzwischen abgereist und 2 fürchteten die
Winterkur.
Besonders im Anfang machte sich der Misstand geltend, dass
die Patienten häufig recht lange warten mussten, des öfteren
3 Monate, bis sie zur Kur abgerufen wurden, so dass dieser Um¬
stand wiederholt die Ursache für das Nichtzustandekommen
einer Kur wurde. Neuerdings ist dies besser geworden und
besonders seit der Eröffnung von Friedrichsheim brauchen die
männlichen Kranken selbst im Sommer zur Zeit des grösseren
Andrangs durchschnittlich nicht länger als 4 Wochen zu warten.
Wird nun bei der Beurteilung des Gesundheitszustandes
dieser Fälle, die eine Heilstättenkur nicht durchgemacht haben,
sondern nur mehr oder weniger lange Zeit behandelt und aut'
die Art ihres Leidens und die Wichtigkeit einer entsprechenden
Lebensweise aufmerksam gemacht worden waren, der gleiche
Masstab angelegt wie bei denjenigen, die eine Kur durchgemacht
haben, so ergibt sich, dass von den 55 Fällen 38 einen Erfolg
aufzuweisen hatten — 69 Proz.
Es bedarf an sich keiner besonderen Hervorhebung, sondern
nur hier in Zusammenhang mit den relativ günstigen Erfolgen
der nicht klimatisch behandelten Fälle mag darauf hingewiesen
werden, dass die Tuberkulösen während der ambulatorischen Be¬
handlung mit besonderer Sorgfalt immer und immer wieder auf
die enorme Bedeutung der allgemeinen hygienischen Lebensweise
aufmerksam gemacht werden und der schon längst gewonnene
Eindruck, dass diese Methode der Belehrung und Aufklärung des
einzelnen, abgesehen von nicht zu vermeidenden Misserfolgen im
ganzen bei der hiesigen Bevölkerung auf einen günstigen Boden
fällt, wird durch die folgenden Zahlen entschieden bestätigt.
Einen vollen wirtschaftlichen Erfolg hatten 29 aufzuweisen
= 52,7 Proz.
Die längste Arbeitsdauer beträgt 3 Jahre 10 Monate, die
durchschnittliche 1 Jahr 8% Monat.
1. Juli 1902.
1089
MUENCI IENER MEDICI N I SCHE W O CI IENSCHRI FT.
Ei lieh hilttlefeil Erfolg liattell 9 Zu verzeichnen = 16,6 Proz.
Die längste Arb'eitsdäiier beträgt 3 Juln'e, die durchschnitt¬
liche 9Vs Monate.
Von diesen 9 sind jetzt noch 3 für leichte Arbeit tauglich,
1 ist dauernd arbeitsunfähig, 3 haben später nach wiederholter
Eingabe noch eine Ivur durchgemacht, von welchen 2 noch voll
erwerbsfähig geworden sind, während der dritte gestorben ist;
2 sind schliesslich gestorben, nachdem sie eine Zeit lang leichte
Arbeit hatten verrichten können.
Gar nicht arbeitsfähig wurden 17 = 30,9 Proz.
ImGanzen sind von diesen SSFällen 18 gestoi’ben=32,7Proz.
(gegenüber 27,5 Proz.).
Das Material ist in ganz objektiver Weise gegenüber¬
gestellt worden, zunächst in der ausgesprochenen Ab¬
sicht und sicheren Annahme, so in klarer und überzeugender
Weise die günstige Wirkung der Anstaltsbehandlung zu de¬
monstrieren.
Das Resultat dieses Vergleichs ruft — das lässt sich nicht
leugnen — eine gewisse Enttäuschung hervor.
Bezüglich überhaupt eines Erfolges stehen 74 Proz. der in
Heilstätten Behandelten gegenüber 69 Proz. der nicht Behan-
deleten, eine wohl als irrelevant zu bezeichnende Differenz.
Bezüglich eines vollen Erfolges stehen 35 Proz. der Be¬
handelten gegenüber 52,7 Proz. der nicht Behandelten und be¬
züglich eines mittleren Erfolge« 38,6 Proz. gegenüber 16,6 Proz.,
soda ss infolge des hohen Prozentsatzes des vollen Erfolges der
nicht in der Heilstätte Behandelten der gesamte wirtschaftliche
Erfolg bei diesen sogar ein grösserer ist. Dies Verhältnis kommt
auch wieder ZUm Ausdruck in der Arbeitsdauer, denn bei den
nicht behandelten Fällen mit vollem wirtschaftlichen Erfolg be¬
tragt die längste Arbeitsdauer 3 Jahre 10 Monate gegenüber
2 Jahren 6 Monaten der behandelten Fälle und die durchschnitt¬
liche Arbeitsdauer 1 Jahr 8% Monat gegenüber 1 Jahr lVs Monat;
üild bei den Fällen mit mittlerem Erfolg beträgt bei den nicht
Behandelten die längste Arbeitszeit 3 Jahre gegenüber 2 Jahren
8 Monaten der Behandelten und die durchschnittliche Arbeits¬
dauer 9 Vs Monat gegenüber lVs Monat.
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich der merkwürdige
Schluss, dass die Heilstättenbehandlung keine
nennenswerten Resultate gezeitigt hat.
Es liegt der Einwand nahe, dass das Kranken¬
material bezüglich der Schwere der Erkrankung ein
sehr verschiedenes gewesen sei in dem Sinne eben, dass gerade
das leichter erkrankte Material sich häufiger der Durchführung
einer Kur entzogen habe. Das K ranken material ist daraufhin
in objektiver Weise geprüft worden, soweit dies eben möglich ist,
und hat sich als ein im wesentlichen gleichartiges ergeben. Es
soll aber trotzdem gern zugegeben werden, dass unter dem Ma¬
terial, an dem eine Kur nicht zur Durchführung kam, eine Reihe
leichterer Fälle gewesen ist. Dieses Zugeständnis findet eine
Stütze darin, dass sich einige der für eine Kur eingegebenen
Kranken für gesund hielten, als der Abruf kam.
Dieser immerhin mögliche Vorteil wird aber bis zu einem
gewissen Grade dadurch kompensiert, dass sich auch viele ganz
besonders schwere Fälle, die gerade wegen ihrer- Schwere von
vornherein abgelehnt wurden oder nach kürzester Frist wegen
Aussichtslosigkeit bezüglich eines Heilerfolges zurückgeschickt
wurden, darunter befanden.
Es scheint deswegen ein Vergleich dieses Materials wohl ge¬
stattet. Die Berechtigung aber, Schlussfolgerungen von irgend
welcher Tragweite daran zu knüpfen, soll zunächst nicht ab¬
geleitet werden. Die Tatsache der hier mitgeteilten Beob¬
achtungen lässt sich jedoch nicht einfach übersehen und ver¬
dient entschieden Beachtung. Selbst wenn angenommen wird,
dass das Material, welches sich keiner Heilstättenkur unterzog,
durchweg ein leichter erkranktes war, bleibt es auffallend, dass
die Differenzen in den wirtschaftlichen Er¬
folgen keine beredtere Sprache führen zu
Gunsten der Heilstätte nbehandlung.
Der eine Schluss ist in Anbetracht der relativ günstigen
Resultate der nicht in der Heilstätte behandelten Fälle vielleicht
erlaubt, dass die Arbeitertuberkulose ein ausserordentlich gün¬
stiges Objekt für die Behandlung bildet, eine im übrigen wohl
allgemein anerkannte Ansicht, die bestätigt wird durch den
hohen Prozentsatz geheilter Tuberkulosen, die sich auf dem
Sektionstisch finden.
Nach einer Statistik
logischen Institut fand sich
aus dem Leipziger patho-
unter 3067 in den Jahren 1895
bis 1897 ausgeführten Sektionen in 41,86 Proz. ein tuberkulöser
Lungenbefund.
Während in 27,7 Proz. vorgeschrittene Lungentuberkulose
bestand, war dieselbe in 11,97 Proz. vernarbt und in 2,8 Proz.
latent im initialen Stadium.
Bei 826 Sektionen Verunglückter oder plötzlich an akuten
Krankheiten Verstorbener wurde in 20,7 Proz. Lungentuber¬
kulose nachgewiesen; davon befanden sich 105 Fälle im ver¬
narbten, also geheilten Zustande, in 31 Fällen war vorgeschrit¬
tene, in 35 Fällen beginnende Lungentuberkulose vorhanden.
Diesen Tatsachen entspricht auch die jedem Praktiker be¬
kannte Erfahrung, dass gerade unter der Arbeiterbevölkerung
ein Spitzenkatarrh unter ganz indifferenter Behandlung, allein
dadurch, dass der Patient eine Zeitlang die Arbeit aussetzt, die
staubigen Fabrikräume meidet und somit vorübergehend unter
etwas günstigeren hygienischen Bedingungen lebt, recht häufig
in kurzer, oft in sehr kurzer Zeit ausheilt. Derartige schnelle
Heilungen scheinen, wenn deren Vorkommen bei der Tuberkulose
der besseren Stände auch nicht bestritten werden soll, viel häu¬
figer bei der Arbeitertuberkulose beobachtet zu werden und
diese Erscheinung ist wohl selbstverständlich bei der Ver¬
schiedenheit des Materials. Auf der einen Seite der von Jugend
auf an körperliche Tätigkeit gewöhnte, abgehärtete, den Witte¬
rungseinflüssen trotzende Arbeiter, auf der anderen Seite der
von Jugend auf mit Komfort umgebene, unter guten hygieni¬
schen Bedingungen aufgewachsene, an körperliche Arbeit wenig
gewöhnte, oft verweichlichte Patient der besseren Stände.
Es ist wahrscheinlich, dass die gleichen Mittel auf dies ver¬
schiedene Material verschieden wirken müssen, und es erscheint
plausibel, dass ein gleiches Resultat bei dem Arbeiter mit seinem
abgehärteten Körper mit einfacheren Mitteln zu erzielen sein
wird als bei dem Patienten der besseren Stände. Zweifellos wird
auch für den Arbeiter ein solcher — - man möchte sagen — TTeber-
fluss an Ernährung und allgemeiner Hygiene, wie er in den
nach den neuesten hygienischen Anforderungen erbauten Heil¬
stätten sich bietet, von grossem Nutzen sein, aber es darf nicht
vergessen werden, dass er unbedingt wieder zurück muss in seine
früheren, oft mangelhaften Verhältnisse, in seine enge Wohnung,
die oft nicht den geringsten Anforderungen an Hygiene, an Luft
und Licht genügt, er muss zurück in staubige Werkstätten und
nluss sich wieder begnügen mit einfacherer, oft schmaler Kost.
Die Befürchtung, dass die Heilstättenkuren, solange nicht
gleichzeitig auch die häuslichen, sozialen Verhätnisse der Ar¬
beiter, vor allen Dingen die Wohnungsbedingungen, wesentlich
gebessert sind, keine erheblichen Dauerresultate erzielen werden,
erscheint nur allzu begründet.
Gerade in Bezug auf die Körpergewichtszunahme sind auch,
dem Gesagten entsprechend, die Erfolge der Kuren von einer
ausserordentlichen Konstanz. Es kommt nach unseren Auf¬
zeichnungen kaum vor, dass ein Patient die Anstalt ohne zuzu¬
nehmen verlässt; Zunahme von 20 — 30 Pfund in relativ kurzer
Zeit sind keine Seltenheiten. Es ist dies nur natürlich bei der
guten und reichlichen Ernährung und der gleichzeitigen Liege¬
kur. So wünschenswert eine derartige Zunahme und die meist
damit verknüpfte Besserung des Allgemeinbefindens — die Bes¬
serung des objektiven Lungenbefundes hält damit übrigens durch¬
aus nicht immer gleichen Schritt — an sich ist, so pflegt dieses
gute Resultat doch nicht vorzuhalten; es ist eine recht häufige
Beobachtung, dass die Patienten, zurückgekehrt in ihre heimat¬
lichen, mangelhaften Verhältnisse sehr bald erheblich wieder
abnehmen, ein Vorgang, der in vielen Fällen aucli nicht ohne
Rückwirkung auf den lokalen Prozess bleiben wird. Es drängt
sich notwendigerweise die Frage auf, ob nicht gerade bei der
Behandlung der Arbeitertuberkulose die strenge Durchführung
der Liegekur in Verbindung mit der Ueberernährung weniger
angezeigt erscheint, ob nicht für den an körperliche Arbeit ge¬
wöhnten Patienten ein richtiges Mass zwischen Ruhe und Be¬
wegung oder auch Arbeit unter günstigen hygienischen Beding¬
ungen, vorausgesetzt, dass nicht besondere Kontraindikationen
bestehen, bei guter, hauptsächlich qualitativ veränderter, aber
1*
MITENCI IENEß M ED I CJ N I SCH E WOCI I ENSOI 1 RIFT.
No. 20.
0S4
nicht überreichlicher Ernährung die zweckmässigere Kur dar-
s teilt.
Es scheint daher der Vorschlag, in möglichst unmittelbarer
Nähe des Aufenthaltsortes der Erkrankten in einfacherer Weise
und mit geringeren Mitteln Heimstätten für Tuberkulöse oder,
wie man sie nun nennen will, Anstalten eventuell nach Art der
Ferienkolonien in klimatisch günstig gelegenen Orten zu schaffen,
wohl beachtenswert.
Die Kuren in diesen Anstalten, die ein wesentlich ein¬
facheres Aufnahmeverfahren als die eigentlichen Heilstätten
haben müssten, werden für die leichteren Fälle wohl geeignet
sein, die Heilstättenkur zu ersetzen, so dass die Heilstätten mehr
für die schwereren Fälle und solche, bei denen durch die ein¬
fachere Kur ein Resultat nicht erzielt wird, reserviert bleiben
können.
Verschiedene Leiter von Volksheilstätten haben sich in Wort
und Schrift darüber ausgelassen, dass das in die Heilstätten
eingewiesene Material sich vielfach in einem für eine aussichts¬
volle Behandlung zu späten und schweren Stadium befinde.
Eine Prüfung des von hier eingewiesenen Materials ergibt
im allgemeinen wohl die Richtigkeit der aufgestellten Behaup¬
tung. Besonders in der ersten Zeit, als die Volksheilstätten noch
weniger populär waren, sind denselben wohl nicht gerade selten
zu schwere und ungeeignete Fälle zugeführt worden. Es muss¬
ten auch über die richtige Auswahl der für die Anstaltsbehand¬
lung geeigneten Fälle erst Erfahrungen gesammelt werden.
Heber die Schwierigkeit, gerade die in den ersten Stadien
sich befindenden Kranken, zumal wenn sie für eine Familie zu
sorgen haben und sich noch voll erwerbsfähig fühlen, wenn sie
eventuell eine guten Verdienst gewährende Stellung aufgeben
sollen, oder dieselbe sogar zu verlieren fürchten müssen, von der
Notwendigkeit einer dreimonatlichen Anstaltskur fern von der
Heimat zu überzeugen, ist schon des öfteren verhandelt wor¬
den. Sie besteht tatsächlich und ist in der ersten Zeit der neuen
Bewegung wohl die Hauptursache gewesen, warum das Material
zum Teil ein für eine aussichtsvolle Kur ungünstiges war. Ver¬
einzelt ist es auch vorgekommen, dass der Zustand der Erkran¬
kung, der zur Zeit der Eingabe für eine Kur noch ein relativ
leichter war, sich während der Warteseit bis zu 3 Monaten so
verschlechterte, dass zur Zeit des Abrufs die Aussicht auf eine
erfolgreiche Kur nur noch eine geringe war.
In letzter Zeit wird offenbar aus diesem Grunde auch ver¬
langt, dass von dem einweisenden Arzt, vor der definitiven Ab¬
reise des Kranken noch einmal die Notwendigkeit der Kur, wie
die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines Heilerfolges be¬
stätigt werden muss.
Es scheint übrigens, dass neuerdings ein grösseres Verständ¬
nis für die Notwendigkeit und Wichtigkeit einer möglichst früh¬
zeitigen Kur auch in Arbeiterkreisen allmählich Platz greift.
Ganz ausgeschlossen erscheint es, soleheKranke, bei denen eine
exakte Diagnose noch nicht gestellt werden kann, sondern höch¬
stens eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose möglich ist, bei denen
also der denkbar beste Heilerfolg zu erwarten ist, zu einer Kur zu
bewegen.
Oft fehlen objektive physikalische Erscheinungen oder Aus¬
wurf mit positivem Bazillenbefund und nur auf Grund von All-
gemcinerseheinungen oder subjektiven Beschwerden lässt sich das
Vorhandensein einer latenten Tuberkulose vermuten.
Solchen zweifelhaften Fällen gegenüber ist die Lage oft
schwierig.
Den Kranken direkt als tuberkulös zu bezeichnen erscheint
nicht gerechtfertigt oder bei der grossen Furcht vor Tuberku¬
lose sogar als inhuman.
Die Notwendigkeit einer durchschnittlich 3 Monate dauern¬
den Anstaltskur nur aus Gründen der Möglichkeit oder der mehr
oder weniger grossen Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins
einer Krankheit, gewissermassen nur als prophylaktische Mass-
regel, leuchtet dem Arbeiter nicht ein; es ist notwendig ihm
etwas Bestimmtes, Positives zu sagen.
So erheben sich oft nicht geringe Schwierigkeiten gerade
für die frühzeitige und deswegen aussichtsvollste Durchführung
einer Kur und die Aufstellung des Satzes, dass diese Schwierig¬
keiten um so grösser werden, je geringer die Erkrankung ist,
hat Berechtigung.
Aus dem Gesagten geht die grosse Bedeutung der exakten
Frühdiagnose der Lungentuberkulose für die der sozialen Gesetz¬
gebung unterstehenden Kranken hervor.
Die frühzeitige sichere Diagnose der Lungentuberkulose zu
einer Zeit, in welcher physikalische Erscheinungen noch fehlen,
Bazillen noch nicht nachzuweisen sind, stösst nur allzuhäufig auf
die grössten Schwierigkeiten und auch alle die vielen, besonders
in neuerer Zeit als Frühsymptome beschriebenen Erscheinungen,
wie z. B., um nur einige anzuführen, das M u r a t sehe Symptom,
das Empfinden der Vibration der Stimme auf der kranken Seite
durch den Patienten selbst oder die Rötung des Zahnfleisch¬
saumes und die Erweiterung der Pupille auf der kranken Seite
oder Temperatursteigerungen, besonders nach Körperbewegung,
können keinen sicheren Schlusstein für die Diagnose bilden.
Auch die Röntgenuntersuchung, die von einigen Autoren
als sehr wertvoll für die Frühdiagnose bezeichnet wird, muss in
den frühesten Stadien versagen und gibt in der Regel erst Re¬
sultate, wenn bereits physikalisch nachweisbare Veränderungen
vorhanden sind; ausserdem ist eine derartige Untersuchung viel
zu umständlich und zeitraubend, als dass sie für die Frühdiagnose
bei den Heilstättenaspiranten eine allgemeinere Verwendung fin¬
den könnte.
Ebenso ist die Methode der Agglutination vorläufig für die
Diagnose, besonders für die Frühdiagnose, nicht brauchbar; sie
hat schon wegen ihrer Umständlichkeit und des dazu notwendi¬
gen Apparates wenig Aussicht, in umfangreicherer Weise zur
Anwendung zu kommen.
Der Wunsch, ein unfehlbares Mittel zur Frühdiagnose der
Tuberkulose zu haben, ist durch die Volksheilstättenbewegung
wieder ein sehr lebhafter geworden und steht im Vordergrund
des Interesses.
Das Koch sehe Tuberkulin hat sich als diagnostisches
Mittel in der tierärztlichen Praxis zur Ausmerzung des tuberku¬
lösen Rindviehs entschieden bewährt. In 97 Proz. haben die
Sektionen den positiven Ausfall der Reaktion bestätigt und es
liegt nahe anzunehmen, dass in den fehlenden 3 Proz. die Tuber¬
kulose einen so versteckten Sitz hatte, dass sie bei der Sektion
übersehen werden konnte. Wenn aber die Tuberkulose des
Rindes und der Menschen als identisch aufzufassen ist, so ist
nicht- einzusehen, warum nicht die diagnostische Tuberkulin¬
injektion in entsprechend modifizierter Form beim Menschen das
gleiche Resultat zeitigen sollte.
Tatsächlich wird der diagnostischen Tuberkulininjektion, die
sich von vorneherein, auch nach dem jähen Zusammenbruch der
therapeutischen Tuberkulinbestrebungen, einer gewissen Wert¬
schätzung erfreute, heute von vielen Aerzten eine grosse Bedeu¬
tung für die frühzeitige Diagnose der Tuberkulose zuerkannt.
So bezeichnet B ä u m 1 e r die diagnostische Tuberkulininjektion
als eine grosse Errungenschaft, v. D ö n i t z nennt das Tuberku¬
lin das feinste Reagens auf Tuberkulose, empfohlen wird sie von
Petruschky, Maragliano, Treupel, B. Fr ä nkel
u. a., von letzterem besonders auch für Heilstättenaspiranten.
Von verschiedenen Seiten werden Bedenken gegen die all¬
gemeinere Anwendung der diagnostischen Tuberkulininjektion
geltend gemacht, in erster Linie, weil sie mit Gefahren ver¬
knüpft sein soll. Die Möglichkeit, dass durch eine diagnostische
Injektion eine latente Tuberkulose wieder angefacht werden und
im unmittelbaren Anschluss zu einer Generalisation mit letalem
Ausgang führen kann, scheint mit dem Wesen der Reaktion wohl
vereinbar zu sein. Aber derartige Beobachtungen über Ver¬
allgemeinerung der Tuberkulose im Anschluss an Tuberkulin¬
injektionen stammen aus der ersten Zeit der Tuberkulinanwen¬
dung, als dasselbe zu therapeutischen Zwecken Verwendung fand.
Neuerdings sind wenigstens solche Ereignisse im Anschluss an
die vorsichtige Anwendung des Tuberkulins zu diagnostischen
Zwecken nicht bekannt geworden. Stets wird es in solchen
Fällen nicht leicht sein, mit Sicherheit das Tuberkulin als Ur¬
sache einer etwaigen Verallgemeinerung anzuschuldigen. Jeder
Mensch, der Träger einer latenten Tuberkulose ist, lebt, wenn
man so will, auf einem Vulkan, und plötzlich und schein¬
bar ohne äussere Ursache kann es zu einer Verallgemeinerung
mit letalem Ausgang kommen.
Sehr treffend ist von Strauss die Anwendung der Nar¬
kose, speziell der Chloroformnarkose der diagnostischen Tuberku-
1. Juli 1902.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
lininjektion gegenübergestellt. Die Gefahren der ersteren über¬
wiegen sicherlich, soweit sich aus der Literatur übersehen lässt,
diejenigen der vorsichtigen diagnostischen Tuberkulininjektion
und doch findet die erste selbst bei vielen geringfügigen Ein¬
griffen — oder auch nur zu diagnostischen Zwecken die aus¬
gedehnteste Verwendung. Die Ursache, die den Anlass für die
Anwendung einer Narkose gab, ist nicht selten eine gering¬
fügige; die frühzeitige Diagnose einer Tuberkulose dagegen darf
wohl stets die grösste Bedeutung beanspruchen.
Dass gelegentlich eine Reaktion auch bei anderen Krank¬
heiten aufgetreten ist, z. B. bei Lepra, Syphilis, Karzinom kann
den Wert dieser diagnostischen Methode zunächst nicht er¬
schüttern, da derartige Vorkommnisse im Verhältnis zu der Zahl
der Injektionen ausserordentlich seltene gewesen sind.
Wenn sich die ambulatorische Anwendung der diagnosti¬
schen Injektion, wie Fraenkel meint, verbieten würde, so
würde dieselbe dadurch eine grosse Einschränkung erfahren
müssen und vor allen Dingen würde sie nicht den Heilstätten¬
aspiranten zu Gute kommen können, solange nicht ausreichende
Gelegenheit zur Aufnahme solcher Patienten gegeben ist.
Nach unseren bisherigen Beobachtungen lässt sich die
Methode bei genügender Vorsicht und Vertrautheit sehr wohl
ambulatorisch verwenden und sie scheint dazu berufen, gerade
für die Auswahl geeigneten Heilstättenmaterials ein unentbehr¬
liches Hilfsmittel zu bilden.
Die Erfahrungen hinsichtlich der diagnostischen Injektion,
besonders in Bezug auf die Gefährlichkeit und auf ihre Unfehl¬
barkeit können jedoch noch nicht als abgeschlossen betrachtet
werden, und es erscheint wünschenswert und notwendig, sie
weiterhin kritisch zu prüfen.
In den vorher mitgeteilten statistischen Angaben konnte nur
der wirtschaftliche Heilerfolg, d. h. die Besserung resp. Wieder¬
herstellung der Arbeitsfähigkeit berücksichtigt werden und die
Berechnungen bezüglich des Dauererfolges sind in ähnlicher
Weise angestellt, wie es in den Mitteilungen der Volkssanatorien
üblich ist.
Aus derartigen Berechnungen lässt sich aber nur sehr schwer
ein deutliches und klares Bild gewinnen von dem wirklichen
Wert der Kur.
Es heisst in den Statistiken, so und so viel Prozent, event.
ausgerechnet auf die einzelnen Stadien, haben ihre volle oder
mittlere Erwerbsfähigkeit erlangt etc. und der Leser steht un¬
willkürlich immer unter dem Eindruck, dass diese volle Erwerbs¬
fähigkeit einzig die Wirkung der Kur.
Wenn die Heilstätten nur ein solches Material, wie es den
Wünschen ihrer Leiter entsprechen würde, geschickt bekämen, so
würden die Patienten der Heilstätten in vielen Fällen auch vor
der Kur voll erwerbsfähig sein; tatsächlich werden sie ja auch
nicht selten von der Arbeit zur Kur abgerufen. Die Erlangung
der vollen und teilweisen Erwerbsfähigkeit kann also keineswegs
immer als ein Ausdruck für die Wirkung der Kur betrachtet
werden.
Erst die Statistik über die erzielten Dauererfolge kann
wenigstens einen gewissen Werth beanspruchen.
Der grösste Wert ist aber nur bedingt zu legen auf die Ver¬
änderung und Besserung des objektiven Lungenbefundes und
zwar nicht nur im Anschluss an die Kur direkt — darüber geben
ja die Sanatorien in zuverlässigster Weise Auskunft — , sondern
vor allen Dingen auch nach der Kur.
Eine Statistik, die neben dem Allgemeinzustand in der
Hauptsache die Dauerresultate des objektiven Lungenbefundes
berücksichtigt, wird in einwandsfreister Weise einen Schluss
über die Bedeutung der Heilstättentherapie zulassen. Aber die
ärztliche Beobachtung und Untersuchung der Kranken nach der
Entlassung aus der Kur stösst aus den verschiedensten Gründen
auf grosse Schwierigkeiten. Desswegen konnte vorläufig wenig¬
stens auch das der heutigen Mitteilung zu Grunde gelegte
Material leider nur in der bisher üblichen Weise verarbeitet
werden. Die Schwierigkeiten sind jedoch keine unüberwind¬
lichen, sondern mit Hilfe der Behörden und Aerzte wird sich
auch eine dauernde Kontrolle des objektiven Lungenbefundes
des Heilstättenmaterials nach der Entlassung ermöglichen
lassen; die Anregung dazu und die Organisierung dieser in regel-
No. 26.
1085
mässigen Zwischenräumen vorzunehmenden Untersuchungen
müsste natürlich von den zuständigen Invaliditätsversicherungen
ausgehen, die das grösste Interesse daran haben, möglichst bald
ein sicheres Urteil über den Wert dieses mit enormen Kosten
verbundenen Kampfes gegen die Volksseuche zu gewinnen.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Basel.
(Direktor : Prof. Dr. v. Ilerf f .)
Zur klinischen Bedeutung der Retroflexio uteri
mobilis.*)
Von Dr. E. W ormser,
gew. Assistenzarzt der geburtsh.-gynäkol. Poliklinik.
M. II. ! Unsere Kenntniss von der richtigen Lage des Uterus
beruht bekanntlich auf den grundlegenden Untersuchungen von
B. S. Schultz e. Seine Lehre, laut welcher jede Abweichung
von der als normal erkannten Anteversio-Flexio — abgesehen von
den durch die verschiedenen Füllungszustände von Blase und
j Rektum bedingten — eine krankhafte Regelwidrigkeit darstelle
und desshalb unter allen Umständen beseitigt werden müsse,
hat lange Zeit unbeschränkte Geltung gehabt. Eben in diese
Zeit fällt auch die rapide Entwicklung der operativen Gynä¬
kologie. Was ist da natürlicher, als dass sich die messerlustigen
Frauenärzte der vielen retroflektirten Uteri angenommen haben,
um sie aus ihrer ja total verkehrten Lage um jeden Preis zu be¬
freien und sie dafür in der als besser erkannten Stellung dauernd
zu fixiren? Wie viel Unheil dadurch gestiftet worden ist, lehren
die Statistiken der bei Schwangerschaft im vaginofixirten Uterus
aufgetretenen Komplikationen, die Serien von Kaiserschnitten,
von Perforationen, von sonst mit grossem Schaden für Mutter
und Kind verlaufenen Geburten nach derartigen Operationen.
Man ist denn auch bald davon zurückgekommen, eine so starre
Fixation nach vorne anzustreben; man begnügte sich mit weniger
energischen Lageverbesserungen, und, trotzdem schon eine statt¬
liche Reihe von Operationsverfahren zur Beseitigung der Retro-
flexion angegeben worden sind, vergeht doch wohl kein Jahr, in
welchem nicht ein oder zwei neue Vorschläge zu demselben
Zwecke gemacht werden. Dass daneben die Pessartherapie in
ergiebigster Weise ausgebildet und gepflegt wurde, bedarf kaum
der Erwähnung.
Allmählich hat man aber doch angefangen, an der Richtig¬
keit der geltenden Anschauungen zu zweifehl, namentlich ge¬
stützt auf nicht seltene Misserfolge der Therapie in dem Sinne,
dass wohl die Retroflexion, sei es durch die Operation oder das
Pessar dauernd beseitigt war, nicht aber zugleich die Be¬
schwerden der Patientin. Unter dem Eindruck solcher Er¬
fahrungen bildeten sich dann zwei gegensätzliche Richtungen
unter den Gynäkologen aus. Die Einen erklärten nach wie vor
alle subjektiven Symptome durch die Retroflexion als solche oder
durch unmittelbare Folgezustände derselben; die Anderen hielten
die Lageveränderung nur für eine zufällige Komplikation anderer
krankhafter Veränderungen, die Schuld sein sollten an den Be¬
schwerden (chronische Endometritis, Metritis, Para- und Peri¬
metritis etc.). Dass dieser Streit auch heute noch andauert,
lehrt jede Verhandlung über Retroflexion in gelehrten Gesell¬
schaften und er ist besonders deutlich zum Ausdruck gelangt
in der Diskussion der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie im
Jahre 1897. Da haben Autoren, die über ein grosses Material
und reiche Erfahrung verfügen, wie Olshausen, Fritsch,
Löhlein, Küstner etc. diametral entgegengesetzte An¬
sichten geäussert über Symptome, von denen man annehmen
sollte, dass sie leicht und einwandsfrei festgestellt werden
könnten, wie profuse Menses, Fluor, Dysmennorrhoe. Diese auf¬
fällige Erscheinung erklärt sich wohl nur dadurch, dass wir in
der Medizin eben sehr viel auf die subjektive Beurtheilung der
Dinge angewiesen sind, wobei der persönliche Standpunkt, Tem¬
perament, Liebhaberei etc. eine gegenüber den exakten Wissen¬
schaften viel zu grosse Rolle spielen.
Versuchen wir es nun, in möglichst objektiver Weise die
Symptome zu studiren, welche der Retroflexion gewöhnlich zu
Lasten geschrieben werden, und sehen wir, in wie weit dieser
Kausalzusammenhang thatsächlich vorhanden, resp. bewiesen
*) Nach einem am 3. April in der Basler medizinischen Gesell¬
schaft gehaltenen Vortrag.
2
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 26.
oder nur angenommen, theoretisch koustruirt ist. Wir folgen
hier den trefflichen Ausführungen von Heinricius '), dessen
Arbeit uns auch zu den vorliegenden Untersuchungen an¬
geregt hat.
Unter den „Retroflexionsbeschwerden“ figuriren an erster
Stelle die Kreuz - und Rückenschmerzen, die vielfach
als pathognomonisch für Rückwärtslagerung gelten. Thatsäch-
lich hört man diese Klage aber von fast allen Pat. mit
Unterleibsleiden; auch kommen derartige Beschwerden vor bei
einer Reihe von anderen Erkrankungen (Nephritis, Pyelitis,
Obstipation, Enteroptose, Affektionen des Rektums '*), des
Rückenmarkes und der Wirbelsäule und — last but not least! —
bei Hysterie und Neurasthenie). Eine grosse Zahl von Patien¬
tinnen mit Retroflexion hat dagegen k e i n Kreuzweh. Der Be¬
weis für den Kausalnexus zwischen der Lageveränderung und
dem Symptom „Kreuzschmerzen“ ist also nicht erbracht.
Eine Reihe von Symptomen werden indirekt der Retro¬
flexion zugeschrieben durch die Annahme, dass diese letz¬
tere durch Verschlechterung der Zirkulationsverhältnisse
eine venöse Stase bedinge; es sind dies die chro¬
nische Metritis und Endometritis mit ihren
Erscheinungen : Menorrhagien, Fluor, Schmerzen, Schwere und
Völle im Leibe, Drang nach unten. Nun ist aber noch nie be¬
wiesen worden, dass die Zirkulation im retroflektirten Uterus
eine gehemmte sei; es ist dies im Gegentheil aus anatomischen
Gründen schon a priori sehr unwahrscheinlich. Bei einer akuten
Retroflexio liesse sich die Sache allenfalls noch denken; die Rück¬
wärtslagerung ist aber ein entweder — und zwar meist — an¬
geborener oder langsam erworbener Zustand. Dies wird u. a.
bewiesen durch eine von LIeinricius zitirte grosse Statistik
Sali n’s. Dieser letztere Autor konnte unter 10 — 11 000 Pat.
nur 12 mal konstatiren, dass ein im nicht graviden Zustand ante-
flektirter Uterus nach der Geburt retroflektirt lag; 9 mal war
das Umgekehrte der Fall. 13 mal trat die erstere Veränderung
ohne Partus oder dergl. ein, 9 mal die letztere. Unter 6522 Pat.
hatten einen retroflektirten Uterus 1192 = 18,2 Proz. Von den
6522 Pat. waren Nulliparae 3260, Parae 3262; unter den ersteren
fand sich Retroflexion in 18,2 Proz., unter den letzteren in
18,3 Proz. der Fälle. Diese auffallende Uebereinstimmung be¬
weist, dass die Geburt keinen wesentlichen Faktor in der Aetio-
logie der Retroflexio darstellen kann, so dass der oben ausgespro¬
chene Satz, die Rückwärtsknickung sei meist angeboren, erfolge aber
jedenfalls nur selten akut, durch diese Zahlen eine wesentliche
Stütze erfährt. Bei einer chronischen Entstehung der Lage¬
veränderung und noch viel mehr bei angeboren retroflektirtem
Organ hat die Zirkulation in dem reich verzweigten Venennetz
alle Zeit, sich in richtiger Weise zu etabliren, sich den ver¬
änderten Verhältnissen anzupassen, so dass die Möglichkeit einer
venösen Stase sehr ferne liegt. Aber nicht nur aprioristische
und anatomische Gründe sprechen gegen diese Annahme, sondern
auch die klinischen Thatsachen. Die meisten retroflektirten
Uteri zeigen absolut keine Zeichen der Kongestion. Endometritis
und Metritis kommen aber anderseits sehr häufig bei tadellos
anteflektirtem Uterus vor, wo Zirkulationsfehler nicht heran¬
gezogen werden können. Die Ursache der Endometrits und
Metritis ist im ante- wie im retroflektirten Uterus wohl sicher
dieselbe • — die Infektion. Es ist somit auch für die aus der
„Stase“ erklärten Symptome wahrscheinlich gemacht, dass sie
ganz unabhängig sind von der Lagerung der Gebärmutter. Was
speziell noch die Symptome „Schwere und Völle im Leib und
Drang nach unten“ betrifft, so beruhen dieselben meistens auf
einer Komplikation, und zwar hauptsächlich auf einem oft nur ge¬
ringen und desshalb vielfach vernachlässigten Descensus der
Vagina oder des Uterus. Das Einlegen eines Pessars hilft in
solchen Fällen nicht durch die Sicherung der Lagekorrektur —
denn oft bleiben die Beschwerden gehoben, trotzdem der Uterus
wieder nach hinten gesunken ist — , sondern durch die Stütze,
welche der Ring dem Scheidenrohr, der Gebärmutter und dem
ganzen Beckenboden verleiht.
‘) Heinricius: Ueber die pathologische Bedeutung der
Retroversio-flexio uteri. Arch. f. Gyn., Bd. LXIII, 1901, p. 516.
’*) E. H. Freeland: On baekaclie as a Symptom of rectal
disorder. The Lancet 1900^ I, p. 1128.
Eine weitere Reihe von Störungen, für welche die Retro¬
flexio verantwortlich gemacht wird, bezieht sich auf die Funktion
des Uterus als Organ für die Fortpflanzung. Die rückwärts ge¬
lagerte Gebärmutter soll einerseits die Konzeption erschweren,
sogar Sterilität bedingen, andererseits das Eintreten eines
Abortes begünstigen. Für beide Beschuldigungen fehlt ein
zahlenmässiger Beweis. Gegen die erstere spricht die alltägliche
Erfahrung, dass Frauen mit chronisch retroflektirtem Uterus
zahlreiche Schwangerschaften durchmachen können; jedenfalls
beruht die Sterilität nur selten auf der Retroflexio als solcher,
sondern wohl eher auf den in solchen Fällen meist vorhandenen
infantilen Verhältnissen des ganzen Genitaltraktes. Uebrigens
braucht es da keiner eingreifenden Therapie; ich habe in zwei
Fällen Gravidität eintreten sehen nach einfacher Belehrung
bezüglich der Lagerung während und nach der Cohabitation. Die
Richtung resp. Krümmung des Vaginalrohres, die geringe Aus¬
bildung und Weite der Scheidengewölbe, welche ihre Funktion
als Receptaculum seminis behindert resp. illusorisch macht,
scheinen an der Sterilität viel eher Schuld zu sein als die Retro¬
flexion. Wird durch Erhöhung des Kreuzes oder durch Seiten-
resp. Bauchlage ein sofortiges Wiederabfliessen der ergossenen
Spermaflüssigkeit verhindert, so bildet der rückwärts gelagerte
Uterus kein Hinderniss mehr für die Konzeption.
Was die grössere Häufigkeit des Abortusim retroflektirten
Uterus betrifft, so ist zuzugeben, dass in denjenigen Fällen, wo
Inkarzeration eintritt, der Abort eine nicht seltene Selbst¬
heilung der Natur darstellt. Die Inkarzeration ist aber bei der
Retroflexio uteri gravidi die Ausnahme, Spontanaufrichtung die
Regel. Dies wird ohne Weiteres klar, wenn man bedenkt, wie
viel Retroflexionen man zu sehen bekommt, wie viele von
diesen Frauen gravid werden und wie selten sie wegen Abort
oder Inkarzerationserscheinungen unsere Hilfe in Anspruch neh¬
men. Immerhin ist dieser Punkt gewiss im Auge zu behalten,
wenn auch statistisch noch nicht genügend sicher bewiesen ist,
dass Frauen mit retroflektirtem Uterus einen grösseren Prozent¬
satz von Aborten aufweisen, als solche mit Anteflexion.
Ebenso wenig sichergestellt ist der Zusammenhang zwischen
Dysmenorrhoe und Retroflexion. Wie die Sterilität, so finden
sich Molimina menstrualia nicht selten bei infantilem Habitus
der Genitalien und überhaupt wohl sicher ebenso häufig im ante-
fiektirten wie retroflektirten Zustande des Uterus; sehr oft ist
sie auch ein Zeichen nervöser resp. neuropathischer Konstitution.
Eine weitere Symptomenreihe der Retroflexio uteri betrifft
die sog. Druckerscheinungen. Nun ist es aber schon
a priori unwahrscheinlich, dass von der Gebärmutter überhaupt
ein nennenswerther Druck ausgeübt wird, wenn man bedenkt,
dass viel grössere Tumoren im kleinen Becken sitzen können,
ohne dergleichen zu verursachen. Druck auf den Mastdarm soll
Obstipation, Druck der Cervix auf den Blasenhals Urinbeschwer¬
den und Druck auf die Nerven (den Plexus haemorrhoidalis)
Neuralgien und Paresen erzeugen. Alle diese Symptome sind bei
Retroflexio selten und jedenfalls nicht häufiger als bei anteflek¬
tirtem Uterus; es gilt dafür also das schon bei der „Stase“ Gesagte;
wie diese, so lassen sich auch alle „Druckerscheinungen“ auf
andere Ursachen zurückführen und können dementsprechend bei
geeigneter Behandlung auch ausheilen, ohne dass die Lage des
Uterus korrigirt wird. Also auch hier wieder derselbe Mangel
eines Kausalzusammenhangs zwischen den betreffenden Be¬
schwerden and der Retroflexion.
Schliesslich hat man unter der Rubrik „konsensuell e“
oder „R eflexsymptome“ eine Reihe von Störungen aller
Art in den verschiedensten Organen zusammengefasst und eben¬
falls die Retroflexion dafür verantwortlich gemacht. Neuere
Untersuchungen, auf die wir unten noch näher eingehen werden,
sprechen aber immer mehr dafür, dass diese Gruppe von Er¬
scheinungen mit der Lage des Uterus nicht das Geringste zu
thun hat, sondern der Ausdruck ist einer Hysterie oder Neur¬
asthenie oder, in seltenen Fällen, beruht auf einer Erkrankung
der betreffenden Organe selbst.
Aus dieser kurzen, kritischen Uebersicht geht jedenfalls so¬
viel mit Sicherheit hervor, dass keine genügenden Beweise für
die alte Anschauung bestehen, derzufolge die Retroflexion als
solche Schuld sein soll an all’ den erwähnten objektiven und sub¬
jektiven Symptomen, dass wenigstens in einer Reihe von Fällen,
1. Juli 1902.
M.UEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1087
wenn nicht in der grossen Mehrzahl derselben, die Erscheinungen
auf eine andere Ursache zurückzuführen sind.
Es lag nun nahe, die Frage auch noch von einer anderen
Seite aus in Angriff zu nehmen, sie auf dem Wege der Sta¬
tist i k zu beleuchten.
Allen früheren statistischen Bearbeitungen unseres Gegen¬
standes haftet der Mangel an, dass sie nur über die Beschwerden
der mit Retroflexion behafteten Frauen Angaben enthalten, nicht
aber auch über die zur selben Zeit untersuchten übrigen Patien¬
tinnen des betreffenden Autors, welche dieselben oder ähnliche
Beschwerden klagten wie die ersteren, dabei aber einen in Ante-
versio-flexio befindlichen Uterus aufwiesen; d. h. die Statistik
gab z. B. an: Von 100 Frauen hatten 30 einen retroflektirten
Uterus; von diesen 30 waren nur 10 beschwerdefrei, ergo: macht
die Retroflexion in der Mehrzahl der Fälle Symptome. Nichts
steht aber darüber zu lesen, wie denn die übrigen 70 Patientinnen,
deren Uterus anteflektirt war, sich in Bezug auf Störungen ver¬
hielten. Der aus einer solchen Statistik gezogene Schluss war
also unrichtig. Diesem Mangel haben Kroenig und
Feuchtwanger') in einer vor 3 Jahren erschienenen Arbeit
abgeholfen. Sie haben 136 Frauen, welche poliklinisch entbunden
und zur Kontrole längere Zeit (meist über 10 Monate) nach der Ge¬
burt bestellt worden waren, untersucht und dabei 103 Ante-
flexionen und 33 Retroflexionen gefunden. Diese 136 Frauen
waren ausschliesslich „reine Fälle“, da alle Patientinnen mit
Para- oder Perimetritis, Adnexerkrankungen, Prolaps, sowie die
mit einem graviden oder einem in Mittelstellung befindlichen
Uterus ausgeschaltet wurden. Von den 103 Frauen mit ante-
flektirtem Uterus hatten Beschwerden 45; von den 33 anderen 13;
das Prozentverhältniss für beide Kategorien ist fast genau das¬
selbe: in der ersten 43,6 Proz., in der zweiten 39,3 Proz. ; die ge¬
ringe Differenz ist dabei noch zuungunsten der Anteflexion. Wenn
man aus diesen kleinen Zahlen überhaupt einen Schluss ziehen
darf, so ist es der, dass jedenfalls die Patientinnen mit retro-
llektirtem Uterus nicht öfters Beschwerden haben, als die¬
jenigen mit Anteflexion. Diese Beschwerden waren aber in beiden
Fällen identisch ; sie können also nicht wohl von der Retroflexion
herrühren, sondern müssen eine gemeinsame Ursache haben.
Da die Genitalien sonst absolut normal waren, so musste
diese Ursache ausserhalb derselben gesucht werden, und sie wurde
denn auch gefunden in einer Alteration des Nervensystems, die
in einer Anzahl genau daraufhin untersuchter Fälle die Dia¬
gnose Hysterie mit Sicherheit zu stellen erlaubte. Und zwar
wurden in der Reihe der Anteflexionen 25 Frauen mit
Beschwerden untersucht, von denen 15 deutliche Zeichen der
Hysterie darboten, während unter 46 Frauen mit Beschwerden
bei retroflektirtem Uterus 22 sichere Fälle von Hysterie
oder Neurasthenie sich fanden.
Auß dieser Statistik geht also wohl soviel hervor, dass unter
dem Material des Gynäkologen eine grosse Zahl von Patientinnen
sich befinden, welche „Retroflexionsbesch werden“ klagen, trotz¬
dem bei vielen derselben der Uterus vorne liegt; die Ursache der
Beschwerden ist in diesen Fällen nicht die ja ganz normale Lage
des Uterus, sondern die Hysterie, die also wohl auch Schuld sein
wird an den Beschwerden mit retroflektirtem Uterus.
Sehr werthvoll ist auch eine Statistik von Schröder "*),
der 411 Patientinnen verschiedener Königsberger Kliniken unter¬
sucht und dabei gefunden hat, dass von 303 Frauen ohne „Becken¬
symptome“ 26 Proz. und von 108 Frauen mit „Beckensymptomen“
36 Proz. einen nach rückwärts gelagerten Uterus aufwiesen, wo¬
bei noch zu bemerken ist, dass die Beschwerden immer durch
Erfragen festgestellt wurden.
Ein weiterer Beweis dafür, dass die Klagen bei Retroflexion
eigentlich gar nicht auf der Lageanomalie beruhen, liegt in der
Thatsache, dass nach Pessar- oder operativer Therapie das ortho¬
pädische Resultat sehr oft vorzüglich, das funktionelle aber
schlecht ist, d. h. dass die Patientinnen sich nicht besser fühlen,
trotzdem der Uterus tadellos anteflektirt liegt.
2) Kroenig und Feuchtwange r: Zur klinischen Be¬
deutung der Retroversio-flexio uteri mobilis. Monatssehr. f. Geb.
u. Gyn., Bd. X, p. 695.
2*) E. S e h röde r: üeber die Häufigkeit der Retroversio-flexio
uteri bei Frauen ohne Genitalsymptome. Zeitschr. f. Geburtsh. u.
Gynäkol. Bd. 43, II. 3.
Schon frühere Statistiken hatten auf diesen Punkt hinge¬
wiesen (1 reudenberg3) aus der Lauda u’ sehen, Knorre4)
aus der K ü s t n e r* sehen Klinik) ; K r ö n i g und F eucht-
w a n g e r haben dann ebenfalls ihr Augenmerk darauf gerichtet,
aber allerdings nur ein kleines Material zu ihrer Verfügung ge¬
habt. Auch sie fanden einerseits Fälle, wo trotz tadelloser Lago
des Uterus, also orthopädisch gutem Resultat, die Beschwerden
gar nicht verschwanden oder nach vorübergehender Besserung
wiederkehrten — wobei die Kontroluntersuchung eine andauernd
normale Lage des Uterus feststellen konnte — , andererseits Fälle,
bei denen alle Beschwerden dauernd wegblieben, trotzdem sofort
oder nach kurzer Zeit ein Rezidiv der Retroflexion eintrat. Na¬
türlich hatten sie auch Fälle, wo das orthopädische und das funk¬
tionelle Resultat mit einander übereinstimmten, d. h. wo beide
gut oder beide schlecht waren; das Wesentliche ist aber, dass
eben sehr oft die Beschwerden unabhängig sind von der Lage des
Organs. Dieselben Erfahrungen wurden auch bei der Pessar¬
behandlung gemacht.
Am meisten zu denken gaben wohl von jeher diejenigen
Frauen, die sich geheilt fühlten, trotzdem das orthopädische Re¬
sultat schlecht war, d. li. beim Austritt aus der Klinik oder später
ein Rezidiv der Retroflexio konstatirt wurde. Dazu kamen Be¬
obachtungen, wie die von L ö h 1 e i n 5) mitgetheilte, wo ein
21 jähriges, seit Jahren wegen Retroflexio behandeltes Mädchen
ganz glücklich war über die Beseitigung aller ihrer Beschwerden
durch die Alexander - Adam s’sche Operation, trotzdem der
operirende Assistenzarzt clie Ligg. rot. überhaupt nicht auf¬
gefunden hatte ! — oder die von Kroenig-F euclitwanger
berichtete, wo bei einer z. Th. fixirten Retroflexio die einfache
Narkosenuntersuchung, in welcher die versuchte Reposition nicht
gelungen war, genügte, um alle Beschwerden zu beseitigen.
Musste man da nicht unwillkürlich an Suggestion denken ?
Auf Suggestion beruhen doch wohl auch die Wunderkuren mit
Pessarien, die berichtet wurden und oft noch werden: Die
Kranken können nicht gehen, werden im Tragsessel zum Arzt
gebracht; nach Einlegen eines Pessars spaziren sie ohne jede
Hilfe gesund nach Hause. Heinricius zitirt folgende Stellen
aus dem Lehrbuche von Braun aus dem Jahre 1881: Eine
Dame konnte sich jahrelang wegen Retroflexion des Uterus nur
auf Krücken und Stock bewegen und musste die grösste Zeit
des Tages liegend zubringen. Sie wurde nach Aufrichtung des
Uterus von einem hochgradigen Hysterismus befreit, konnte
wieder ohne Schmerzempfindung frei gehen, Treppen steigen,
tanzen, wurde nach 14 jährigem Intervall wieder schwanger. —
Eine andere Dame wurde bei jeder Defäkation von den heftigsten
Magenkrämpfen befallen und konnte nicht gehen. Am nächsten
Tage, nach Aufrichtung des Uterus und Einlegen eines Pessars,
konnte sie nicht nur gehen, sondern Stunden lang Schlittschuh
laufen !
Die Suggestion spielt in all’ diesen Fällen, die wohl jedem
Praktiker aus eigener Erfahrung bekannt sind, eine ausserordent¬
lich grosse Rolle, und dass sie ein so wichtiges Moment darstellt,
beruht eben auf der nervösen, leicht suggestiblen Konstitution
der betreffenden Patientinnen.
(Schluss folgt.)
Aus der medizinischen Klinik in Leipzig.
Ueber einige seltenere Fälle von Migräne *)
Von Privatdozent Dr. Pässler, 1. Assistenten der Klinik.
Während wir im alltäglichen Leben Migränekranken ausser¬
ordentlich häufig begegnen, sind sie im Sprechzimmer des Arztes
schon seltener, noch seltener führt die Krankheit ihren Träger
in’s Krankenhaus. Die Gründe liegen auf der Hand. Nur
wesentliche Aenderungen im Befinden führen den Migräne¬
kranken zum Arzt, für gewöhnlich behandelt er sich selbst. Das
Krankenhaus wird wohl meist nur in besonders schweren Fällen
aufgesucht.
3) Freudenberg: Zur Symptomatologie und Therapie der
Retx-oflexio uteri. Deutsche med. Wochenschr. 1897.
4) Knorre: Ueber Vaginafixatio uteri.. Centralbl. f. Gyn.
1893. (In der Tabelle befinden sich eine ganze Anzahl von Fällen
mit der Bemerkung: Operatives Resultat gut, Allgemeinbefinden
nicht gebessert-)
*) Zum Tlieil nach einer Mittheilung in der medizinischen
Gesellschaft zu Leipzig. Sitzung vom 22. IV. 02.
2*
No. 26.
1085
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Im Folgenden möchte ich einige Beobachtungen aus
der medizinischen Klinik mittheilen, die mir von
grösserem Interesse zu sein scheinen.
1. Fall. Der intelligente 23 jährige Patient litt als 5 jähr.
Kind an Diphtherie, später war er bis zu seiner jetzigen Er¬
krankung stets gesund. Kopfschmerzen waren ihm völlig un¬
bekannt. Mit 21 Jahren war er Soldat geworden und hatte
2 Jahre ohne irgend welche Beschwerden gedient. Seit seiner
Entlassung geht er seinem Berufe als Bautechniker nach.
Von den Familienmitgliedern leidet die Mutter des Pat.
an seltenen, sehr leichten M i g r ä n e a n f ä 1 1 e n.
Sonst ist von Nervenkrankheiten der Verwandten nichts nach¬
zuweisen.
Am 12. XII. 01 stürzte Patient mit dem Fahr¬
rad. Er fiel auf’s Gesicht und schlug sich dabei 2 Zähne aus.
Ausserdem erlitt er nur noch kleine Quetschungen und Abschür¬
fungen am Rumpf; das Schädeldach wurde bei dem Falle nicht
direkt betroffen. Pat. war nach dem Unfall nicht bewusstlos, er
konnte seine Arbeit bald fortsetzen. In den nächsten Wochen
traten, angeblich zum ersten Male im Leben, leichte Kopf¬
schmerzen auf, die bald mehr links, bald mehr rechts lokali-
sirt waren, durch Lesen oder Zeichnen schlimmer wurden. Im
Ganzen war die Störung jedoch unbedeutend. Vor dem Beginn
des Kopfschmerzes bestand Druckgefühl in den Augen; irgend
welche andere Erscheinungen, wie Flimmern, Uebelkeit, waren
dabei nicht vorhanden.
Am 2. II. 02, ca.. 7 Wochen nac h dem Unfal 1, stellten
sich bei dem Kranken ganz neue Erscheinungen ein,
die in den nächsten Wochen jeden 3. bis höchstens
5. Tag wieder kehrte n und dadurch den Patienten für eine
geregelte Arbeit vollkommen untauglich machten. Es traten eigen¬
artige Anfälle auf, deren Ablauf sich fast jedesmal mit gi'osser
Treue genau wiederholte. Die vom Patienten darüber gemachten
sehr präzisen Angaben konnte ich später zum grössten Theile
durch eigene Beobachtung bestätigen.
Der Beginn dieser Anfälle bestand in der Regel aus einem
nicht eigentlich schmerzhaften Spannungsgefühl im rechten Fuss.
Ebendort entstand bald darauf Kribbeln und Kitzeln, das ganz
besonders stark bei Berührungen der betroffenen Hautstellen em¬
pfunden wurde. Dieses Gefühl ging langsam auf den Unter¬
schenkel über, kroch von hier über den Oberschenkel, den Rumpf,
in den Arm und in die Hand, von der Schulter auch weiter auf den
Hals. Dabei blieben die Parästhesien an jedem Korperabsclinitt
nur einige Minuten bestehen, so dass sie z. B. im Bein schon wieder
erloschen, wenn sie in der Brustgegend angelangt waren. Die
Gefühlsstörung blieb immer streng einseitig.
ln dem Glied, welches von den Parästhesien befallen war,
empfand der Kranke jeweilig eine lähmungsartige Schwäche.
War die Gefühlsstörung z. B. im Bein, so meinte er, überhaupt
nicht stehen oder gar gehen zu können. In Wirklichkeit war eine
objektive Störung nicht nachzuweisen. Der Patient ging nach
Aufforderung ganz sicher, konnte auch z. B. ohne Schwierigkeiten
auf einem Bein stehen. Während die Parästhesien in der Hand
waren, gab Patient an, schlecht schreiben zu können. In der j
That, ist die Schrift unbeholfen: wohl weniger in Folge einer
Störung der Motilität, als deshalb, weil die parästhe tischen Finger
den Griffel schlecht halten können.
Die objektive Prüfung der Sensibilität ergab eine deutlich
nachweisbare Hypalgesie in den befallenen Gebieten, die Be¬
rührungsempfindung war überall für feinste Reize erhalten.
Etwa 15 Minuten nach Auftreten der ersten Erscheinungen
schritten die Parästhesien vom Hals auf die rechte Gesichtshälfte
fort, auch hier genau bis in die Mittellinie reichend. Nach der
äusseren Wange folgt die Wangenschleimhaut, dann das rechts¬
seitige Zahnfleisch, dann die Zunge. Die letztere wird dabei nor¬
mal bewegt, gerade hervorgestreckt, Berührung wird auf beiden
Zungenhälften gleiclnnässig empfunden. Von der Zunge ging das
Kribbeln auf den Schlund über und stieg dann innerlich bis in
die Magengegend, hinab. Hier bestanden noch längere Zeit un¬
angenehme Empfindungen fort — als ob sich die Eingeweide im
Leibe bewegten. In den verschiedenen Anfällen nach verschieden
langer Zeit, durchschnittlich nach y> — ly2 Stunden, ging diese Em¬
pfindung in Uebelkeit über, die schliesslich zu heftigem Erbrechen
führte.
Nachdem die Zunge schon wieder kurze Zeit frei von Par¬
ästhesien war. entstand in den meisten Anfällen eine vorüber¬
gehende Sprachstörung. Der Kranke bringt nur 1 — 2 Worte richtig
hintereinander hervor, dann verspricht er sich, sagt ein falsches
Wort oder sucht nach dem Wort, ,,das ihm auf der Zunge liegt,
das er aber nicht findet“. Nach durchschnittlich y> Stunde ist die
Sprache wieder vollkommen normal.
Das Erbrochene (in dem von mir am genauesten beobachteten
Anfall 3y> Stunden nach Beginn der Parästhesien im rechten
Fuss) bestand zunächst aus Speisemassen, dann aus dünnem
Schleim: es enthielt keine Galle, auch keine freie HCl.
Mit dem Erbrechen traten Kopfschmerzen, und gleichzeitig
Flimmern in den Augen auf. Das Flimmern besteht aus hellen,
im Gesichtsfeld sich hin- und herbewegenden Streifen, die bei
geschlossenen Augen verschwinden sollen. Patient kann in dieser
Zeit nicht lesen, er erkennt einzelne Buchstaben, nachher be¬
wege sich jedoch die Schrift vor den Augen. Die Intensität des
Flimmerns vermindert sich bald nach seinem Auftreten wieder,
soll aber in geringem Grade oft während des ganzen Anfalls fort-
bestelien, manchmal bis zum folgenden Tag. Gleichzeitig mit dem
Flimmern ist ferner Thränenfluss aufgetreten, der ebenso wie
jenes im Beginn am stärksten ist, das Flimmern aber schliesslich
noch überdauert. In manchen Anfällen wurde der Kranke durch
eine bedeutende Ueberemfindliclikeit gegen Licht, sowie auch
gegen Geräusche gestört, die ebenfalls ziemlich lange anzuhalten
pflegte. Objektiv ist an den Augen in dieser Zeit ausser dem
Thränenfluss nichts Abnormes nachweisbar. Auch das ophthalmo¬
skopische Bild bot mir durchaus normalen Befund, doch muss ich
bemerken, dass ich keine Gelegenheit hatte, meinen Befund
während eines Anfalls vom Augenarzt kontroliren zu lassen.
Die mit dem Erbrechen einsetzenden Kopfschmerzen waren
ziemlich heftig, meist beiderseits vorhanden, aber links viel stär¬
ker als rechts. Der Hauptschmerz befand sich also auf der den
Parästhesien gegenüberliegenden Seite. Nach 24 oder mehr Stun¬
den verlieren sich die Kopfschmerzen allmählich. So lange sie
anhalten, besteht Appetitlosigkeit. Ein Versuch, etwas zu ge¬
messen, ruft meist sofort wieder Erbrechen hervor.
Abweichungen von dem geschilderten Typus der Anfälle sollen
vor der Aufnahme in’s Krankenhaus fast gar nicht vorgekommen
sein. Nur einmal begannen die Parästhesien statt im rechten im
linken Fuss, hörten dann in der Hüftgegend auf. und traten nun,
wie gewöhnlich, ihre Wanderung vom rechten Fuss aus durch die
ganze rechte Körperhälfte an.
Am 20. II. 02 wurde der Patient in die Klinik aufgenommen.
Am 24. II. stellte sich ein Anfall ein, welcher in allen Punkten
den vom Patienten gemachten Angaben entsprach. Seitdem wur¬
den die Anfälle zunehmend seltener, um für die Dauer der Be¬
obachtung bald ganz zu verschwinden.
Der zweite in der Klinik beobachtete Anfall (2. III.) bot einige
Abweichungen von dem gewöhnlichen Verlauf. Die Gefühls¬
störung begann im 1 i n k e n F u s s, und verlief diesmal, genau
wie sonst rechts, über den ganzen Körper bis zum Gesicht. Nach¬
dem sie hier erloschen, begann sie eine halbe Stunde später noch
einmal im linken Fuss und lief wieder bis zum Gesicht. Wieder
ca. y. Stunde später trat sie im rechten Fuss auf und nahm dann
den sonst gewohnten Verlauf.. Diesmal war das Flimmern, das
sonst erst mit den Kopfschmerzen aufzutreten und sehr lange an¬
zuhalten pflegte, schon mit dem Beginn der Parästhesien er¬
schienen und bald wieder verschwunden. Es betraf nach den An¬
gaben des Patienten beide Augen und beide Gesichtsfeldhälften
gleichmässig. Die aphatische Sprachstörung wurde in diesem An¬
fall vermisst. Die Kopfschmerze n waren diesmal rechts
s t ii rker als lin k s. Nachdem Anfangs das Gesicht des Kran¬
ken eine auffallende Blässe gezeigt hatte, trat bald nach dem
Einsetzen der Kopfschmerzen eine starke Röthung des Gesichts
auf. Die Haut desselben fühlte sich sehr heiss an, ohne zu
schwitzen. Die Pupillen, welche ausserhalb des Anfalls gleich
weit waren, zeigten jetzt eine geringe, aber deutliche Differenz,
und zwar war die rechte weiter als die linke. Beide reagirten
gleichzeitig auf Lichteinfall und Konvergenz. Einen Unterschied
in der Grösse der Lidspalte habe ich nicht bemerkt.
Seit Mitte März bestanden noch kurze Zeit hin und wieder
einmal leichte Kofschmerzen ohne die charakteristischen Eigen-
thrimlichkeiten des Migräneanfalls. Seitdem sind bis jetzt keiner¬
lei Beschwerden wieder aufgetreten.
Bemerkt sei noch, dass die Untersuchung des Kranken ausser¬
halb der Anfälle durchweg normale Befunde ergab. Weder am
Nervensystem noch an den inneren Organen Hessen sich Ver¬
änderungen nach weisen. Insbesondere fehlten auch alle hyste¬
rischen Stigmata.
Die Behandlung bestand aus allgemein diätetischen Maass¬
regeln. absoluter Fernhaltung aller unnöthigen Reize und ganz
leichten hydrotherapeutischen Maassnahmen.
Zusammenfassung: Ein sonst gesunder junger Mann,
dessen Mutter an Migräne leidet, bekam unmittelbar nach
einem Sturz zuerst einige Wochen hindurch häuftge, aber
ganz leichte, kaum charakteristische Migräneanfälle. So¬
dann stellten sich plötzlich ohne jeden Uebergang voll¬
ständige Anfälle schwerer Art ein. Dieselben be¬
standen aus einer sensorischen Aura, die von einer
mitunter noch in den eigentlichen Anfall hineinragenden
visuellen Aura gefolgt oder seltener begleitet war. Auf
die sensorische Aura folgte eine aphatische Sprach¬
störung. Sodann begann der eigentliche hemikranische An¬
fall mit Uebelkeit und Erbrechen reichlicher Mengen
salzsäurefreier Flüssigkeit. Gleichzeitig traten die allmählich zu¬
nehmenden Kopfschmerzen auf, die zwar stets beiderseits
vorhanden, aber auf der der vorausgegangenen
Aura gegenüberliegenden Seite heftiger waren.
Nicht bei allen Anfällen traten hierzu noch vasomotorische
Störungen, bestehend in einer auf den Kopf beschränkten
anfänglichen Gefässverengerung, späteren starken Erweiterung
ohne Schweisssekretion. Neben der Gefässerweiterung sah man
1. Juli 1902.
1089
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
in einem Anfalle die Pupille auf der stärker von
Kopfschmerz betroffenen rechten Seite deut¬
lich weiter als die linke. Die Reaktion auf Licht und
auf Konvergenz war beiderseits gut zu erhalten.
2. Fal 1. H. E., 31 jähriges Dienstmädchen, aufgenommen
21. IY. 98. Der Vater der Patientin hat viel an Kopfschmerzen ge¬
litten. Sonst ist aus der Familienanamnese nichts von Belang be¬
kannt. Seit dem 15. Lebensjahre leidet die Kranke an heftigen
anfallsweise auf tretenden Kopfschmerzen. Patientin steht meist
Morgens mit bohrendem Schmerz in einer Schläfengegend und
Brechreiz auf, in dem anfänglich blassen, später stark gerötheten
Gesicht besteht lebhaftes Hitzegefühl. In der Stirn Gefühl von
Schwere, Druck in der Augengegend, Photophobie, Thränen-
träufeln. Während des Anfalls häufiges Erbrechen galliger
Flüssigkeit; starker Durst bei vollkommenem Appetitmangel.
Grosse Abgeschlagenheit.
Die objektive Untersuchung der inneren Organe und des
Nervensystems ausserhalb der Anfälle ergibt absolut nichts Be¬
sonderes.
Die in der Klinik beobachteten Anfälle waren zum Theil von
vasomotorischen Symptomen begleitet, bestehend in
anfänglichem Erblassen, späterem Erröthen des ganzen Gesichts.
In diesen Anfällen waren die Pupillen beider¬
seits abnorm vpit und reagirten nicht auf
Lichteinfall. Mit Ablauf der Kopfschmerzen waren sie
Avieder enger, die Reaktion auf Licht wurde wieder normal. Die
Pupillenveränderung trat bei den zur Beobach¬
tung gekommenen Anfällen nicht auf, wenn die
vasomotorischen Störungen in dem Symptomenkom-
plex fehlten.
3. F a 1 1. F. F., 38 jähriger Maler, aufgenommen 18. 1. 97.
Anamnese: Ueber die Eltern des Patienten ist nichts be¬
kannt, als dass beide gestorben sind. Lieber Migräne und Nei’ven-
krankheiten in der Familie ist nichts zu erfahren. Patient selbst
hat früher Adel mit Bleifarben gearbeitet. Als junger Mann hat er
sich einer Operation am Auge (wohl Schieioperation) unterzogen.
1893 liess er sich ganz kurz wegen einer leichten Bleikolik be¬
handeln. Anfang 1895 erkrankte F. an einem Nervenleiden, ähn¬
lich seinem jetzigen, angeblich ebenfalls eine Folge der Bleiver¬
giftung. Nach 4 monatlicher Behandlung hat er vorübergehend
gearbeitet, musste aber im November 1896 wieder auf hören, weil
sich die Beschwerden verschlimmerten.
Patient klagte über sehr häufig auftretende Schmerzen, als
ob ihm eine eiserne Platte auf dem Kopf läge. Gleichzeitig könne
er nicht sicher stehen, es bestehe eine Art ScliAvindel mit Angst¬
gefühl, Schwarzwerden vor den Augen. Nach Arerschiedenen
Kuren sucht der Kranke auf den Rath des Arztes das Kranken¬
haus auf.
19. I. 97. Status praesens (Prof. R o m b erg): Kaum
mittelgrosser, mässig kräftig gebauter, spärlich genährter Mensch
von blasser Hautfarbe, nicht fiebernd. Intelligenz völlig normal.
Knöcherner Schädel, Wirbelsäule ohne Besonderheiten. Augen:
Leichter Strabismus convergens links, kein Nystagmus, Pupillen
gleichweit, reagiren prompt auf Licht und Akkommodation. —
Gehör normal. Zunge feucht, ganz unbedeutend belegt; kein
Blei sau m, Rachenorgane o. B. Submaxillardrüse nicht in-
filtrirt, auch sonst keine Drüsenschwellungen, keinerlei Zeichen
von Lues.
Die Untersuchung der Brustorgane ergibt durchaus normale
Verhältnisse, insbesondere keinen Anhalt für die Annahme einer
chronischen Bleiintoxikation. Herz und Nieren sind gesund, die
Arterien nur wenig sklerotisch. Die Milz ist vergrössert.
Nervensystem: Die auffallendste Erscheinung von
Seiten des Nervensystems ist eine grosse Unsicherheit
des Ganges; sie ist zu verschiedenen Zeiten verschieden stark
heiwortretend, besonders stark wird sie, wenn die
nachher zu erwähnenden Kopfschmerzen auf¬
trete n. Patient zeigt dann beim Gehen ausserordentlich hoch¬
gradige Schwankungen des ganzen Rumpfes; er kann sich nur un¬
sicher auf den Füssen halten und kommt oft in die Gefahr, zu
fallen. Der Gang in einer bestimmten Richtung ist dadurch
ausserordentlich erschwert. Die Abweichungen erfolgen nicht
nach einer Richtung. Beim Schliessen der Augen wird die Un¬
sicherheit stärker, und Patient vermag dann auch mit gespreizten
Beinen nicht sicher zu stehen. Die Bewegungen der Beine sind
dabei nicht im Geringsten ataktisch. Der Gang geschieht mit
steif gehaltenen Knien und wenig vom Fussboden erhobenen
Sohlen, er zeigt im ganzen Habitus Aehnlichkeit mit dem spasti¬
schen Gang. Die ganze Art der Schwankung er¬
innert am meisten an cerebellare Ataxie.
In den zAvischen den anfallsweise auftretenden Kopfschmerzen
liegenden schmerzfreien Intervallen ist Patient im Stande, lang¬
sam ohne jede Schwankung zu gehen. Bei schnellem Gehen und
bei geschlossenen Augen treten sie aber auch dann hervor.
Bei sehr starker willkürlicher Anspannung der Muskulatur
sieht man einen leichten Tremor, der sich nicht sicher vom
Zittern normaler Menschen bei stärkerer Muskelanstrengung
unterscheidet. Paresen, skandirende Sprache und dergl. ist nicht
vorhanden.
No. 26.
Sensibilität: Hier tritt der anfallsweise Kopfschmerz
in den Vordergrund. Er tritt fast täglich meist im Laufe des
Nachmittags auf und nimmt dann bis in die späten Abendstunden
zu, um allmählich wieder abzuklingen und in den Morgenstunden
zu verschwinden. Der Schmerz beginnt nach den Schilderungen
des Patienten im Hinterkopf, breitet sich allmählich oberhalb des
linken Ohres nach vorn aus und wird dann besonders heftig in der
Schläfengegend. Die linke Gesichtshälfte ist dabei stark geröthet
und fühlt sich lebhaft warm an. Der linke N. supra- und infra-
orbitalis, zygomatieus, temporalis und occipitalis major sind hoch¬
gradig druckempfindlich, während die übrigen Trigeminusdruck¬
punkte nicht schmerzhaft sind. Auch die ganze linke Schädel¬
hälfte erscheint hyperästhetisch: leichtes Beklopfen wird schon
als Schmerz empfunden.
Im Uebrigen ist die Sensibilität normal. Leichte Berührungen
mit dem Haarpinsel werden genau empfunden und lokalisirt,
Kopf und Spitze der Nadel, Wärme und Kälte gut unterschieden.
Schmerzempfindung und Empfindung bei Bewegung sind voll¬
ständig normal; auch im Bereich der schmerzhaften Zone findet
sich keinerlei Abweichung.
Reflexe: Patellarreflexe enorm gesteigert, vollständiger
Patellarklonus mit Uebergreifen auf die andere Seite; auch beim
Beklopfen des unteren Endes des M. quadriceps Zuckung. Dorsal-
klonus. Fusssohlen- und Kremasterreflex sehr lebhaft. Bauch¬
deckenreflex vorhanden. Sehnen- und Periostreflexe an den Armen
ziemlich lebhaft. Gaumensegel- und Rachenreflexe vorhanden,
ebenso Konjunktival- und Kornealreflexe.
Krankheitsverlauf: Eine mehr allgemein-diätetische
Behandlung war Anfangs erfolglos. Erst nachdem Patient täglich
3 — 4 Stunden vor dem voraussichtlichen Beginn der Kopfschmerzen
eine Dosis von 0,5 Chinin, mur. nahm, trat entschieden Besserung
ein. Nach konsequent durchgeführter, mehrwöchentlicher Chinin¬
behandlung hörten die heftigen Kopfschmerzen und gleichzeitig
die übrigen Erscheinungen, das Schwindelgefühl und der tau¬
melnde Gang auf. Die vorher stark erhöhten Reflexe wurden
normal. Patient blieb dann noch einige Zeit als Rekonvaleszent
in der Klinik, ohne auch nach Fortlassen des Chinins, von Neuem
Anfälle zu bekommen.
Zusammenfassung: Bei einem 38jährigen früheren
Bleiarbeiter, der nur ganz vorübergehend einmal an leichter Blei¬
kolik gelitten hatte, jetzt keine auf Bleiintoxikation mehr hin¬
weisenden Erscheinungen bot (Fehlen des Bleisaums), waren seit
2 Jahren schwere nervöse Symptome auf getreten. Sie bestan¬
den aus sehr häufigen Migräneanfällen, die regel¬
mässig die linke Seite einnahmen, vom Hinterkopf aus¬
gingen, und von eigenthümlichen Störungen der
Motilität begleitet waren, die ausgesprochen das Sym-
ptomenbild der cerebellaren Ataxie boten. Zu einer Zeit,
wo die Migräneanfälle fast täglich auftraten, fehlte die Be¬
wegungsstörung auch in den Zwischenpausen zwischen den ein¬
zelnen Schmerzattacken nicht ganz, dagegen verlor sie sich sofort,
als unter dem Einflüsse von Chinin und der Krankenhausbehand¬
lung die Migräneanfälle schwanden. Mit dem Anfalle verbanden
sich regelmässig vasomotorische Symptome in Ge¬
stalt von Gefässerweiterung auf der befallenen Seite. Während
der Periode der gehäuften Anfälle waren die Sehnenreflexe
hochgradig gesteigert.
Unter den 3 hier beschriebenen Fällen zeichnet sich der
erste durch seine Entstehungsgeschichte vor den bei¬
den übrigen aus. Ueber die Aetiologie der Migräne wissen wir
bekanntlich sehr wenig. Nach den Darlegungen von M o eb i u s
u. A. spielt die Vererbung, und zwar die gleichartige Vererbung
bei der Entstehung der Migräne die Hauptrolle; ja es erscheint
sogar zweifelhaft, ob die Krankheit überhaupt bei einem In¬
dividuum entsteht, welchem die Anlage zur Erkrankung, die
„spezifisch migränöse Abweichung des Zentralnervensystems“,
nicht angeboren ist. Haben die Kranken diesen Zu¬
stand ererbt, so können die mannigfaltigsten
Schädigungen des Gesammtorganismus oder
des Zentralnervensystems das Auftreten von
Anfällen auslöse n. Unter diesen Gelegen¬
heitsursachen findet man das Trauma auf¬
fallendselten. Moebius (1. c.) sah nur einen einzigen
Fall, in dem die Migräne auf einen Unfall zurückgeführt wurde.
Vererbung war gerade hier nicht nachweisbar.
Bei unserem erblich belasteten Patienten waren un¬
mittelbar nach dem Sturze vom Fahrrad, angeblich
zum ersten Male im Leben, Kopfschmerzen aufgetreten,
die wohl schon als leichte Migräneanfälle gedeutet werden dürfen.
Wenige Wochen später setzten ohne Uebergang die gehäuften
3
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 26.
1000
schweren und vollständigen Anfälle ein und sind dann bei ge¬
eigneter Behandlung rasch wieder — bis jetzt spurlos — ver¬
schwunden. Ich möchte dieses Verhalten wegen seiner prak¬
tischen Bedeutung besonders betonen. Wir dürften, wenn im
vorliegenden Falle eine Entscheidung getroffen werden müsste,
ob die Migräne als Unfallfolge anzusehen sei, dem Erkrankten
den Anspruch auf Entschädigung sicher nicht absprechen, trotz¬
dem wir annehmen müssen, dass bei ihm die spezifische migrä-
nöse Veränderung des Zentralnervensystems ererbt ist.
„V ollständige Migräneanfäll e“, wie sie hier
nach dem Trauma beobachtet wurden, sind im V erhält n iss
zu der grossen Zahl von Migränekranken ge¬
wiss sehr selten. Wenn L i v e i n g ‘) unter 60 Fällen 15
mit Sprachstörung und 12 mit sensorischer Aura zählt, so handelt
es sich um ausgewählte Fälle. M o e b i u s (1. c.) fand unter
130 Migränekranken seiner Beobachtung nur 4 mit sensorischer
Aura, 3 mit Aphasie. Auch diese Zahlen geben — was
M o e b i u s übrigens gar nicht voraussetzt — aus den Eingangs
erörterten Gründen gewiss nicht entfernt das richtige Verhält -
niss an zwischen dem Vorkommen der selteneren Begleiterschei¬
nungen und der Gesammtzahl von Migränepatienten überhaupt.
Unter den in der medizinischen Klinik seit 14 Jahren behandelten
Fällen von Migräne war der hier geschilderte der einzige, bei dem
vollständige Anfälle beobachtet worden sind.
Noch weniger genügend als über die Häufigkeit der voll¬
ständigen Anfälle sind wir über das Vorko m m e n von
Pupillenveränderungen bei Migräneanfällen
unterrichtet, wie sie unsere beiden ersten Fälle darboten.
Im ersten Falle dürfen wir wohl die Pupille der stärker er¬
krankten Seite als die veränderte ansehen. Wir würden es also
mit einer Pupillenverengerung zu thun haben. Die Er¬
klärung bietet beträchtliche Schwierigkeiten. Die Annahme
M o e b i u s, dass eine besonders häufig bei nervösen Menschen
sich findende dauernde geringe Pupillendifferenz bei allerlei
Krankheitszuständen grösser werde, und dass dadurch mitunter
einseitige Pupillenverengerung bei Migräne vorgetäuscht werden
könne, trifft für unseren Fall nicht zu. Der Kranke hatte ausser¬
halb der Anfälle völlig gleichweite Pupillen. S c li w a r z ") be¬
merkt ganz allgemein, dass bei der „paralytischen Form der
Migräne“ Verengerung der Pupillen mit nur leicht verringerter
Beweglichkeit gefunden wird. Nähere Angaben über spezielle Be¬
obachtungen fehlen. Schwarz nimmt also hier ohne Weiteres
einen Zusammenhang der Pupillenveränderung mit der Gefäss-
erweiterung im Gesicht, resp. mit der früher als Ursache des
Migräneanfalles angesehenen Sympathikusbetheiligung an. So
naheliegend diese Erklärung für unseren Fall ist, so steht ihr
doch das Bedenken gegenüber, dass die Rötliung der Haut wie
gewöhnlich beide Gesichtshälften gleichmässig betraf, während
die Pupillen Verengerung nur auf der Seite der stärkeren Kopf¬
schmerzen zu finden war. Will man nicht, trotz der beiderseits
gleichen Gefässerweiterung, eine stärkere Beeinträchtigung des
rechten N. sympathicus annehmen, so müsste man auf die auch
von Moebius für solche Fälle ausgesprochene Vermuthung
zurückgreifen, dass der Schmerz in der Augengegend als solcher
die Pupillenveränderung hervorruft, ebenso wie auch andere
schmerzhafte Erkrankungen am Auge oder in dessen Umgebung
das Sehloch verengern. In der kasuistischen Literatur der Oph¬
thalmologen habe ich gleiche Fälle nicht gefunden.
In dem zweiten oben beschriebenen Falle fand sich beider¬
seitige Pupillenerweiterung mit Aufhebung
der Lichtreaktion. Nach Schwarz (1. c.) sieht man
das Phänomen bei „spastischer Migräne“, also hei denjenigen
Migräneanfällen, welche mit Erblassen des Gesichts einhergehen;
doch fehlen auch hierfür kasuistische Beispiele in der mir be¬
kannten Literatur. Bei unserer Kranken wurde in der That im
Beginn des Anfalles Gefässverengerung beobachtet, die aber bald
von Gefässerweiterung gefolgt wurde, während die normale Grösse
und Beweglichkeit der Pupillen erst nach Ablauf des ganzen An¬
teils wieder konstatirt werden konnte. Dass trotzdem die Fünk-
tionsstörung im Sympathikus zu den Pupillenerscheinungen in
') Liveing: On megrim, sick-headache and some allied
disorders, London 1873. Cit. bei Moebius: Die Migräne. Noth-
nagel’s Handbuch. XII, TTI, Wien 1894.
■) Schwarz: Die Bedeutung der Augenstörungen für die
Diagnose der Hirn- und Rückenmarkskrankheiten. Berlin 1898.
Beziehung stand, wird dadurch wahrscheinlich, dass die letzteren
in solchen Anfällen fehlten, wo auch das anfängliche Erblassen
und das nachfolgende Rothwerden des Gesichts vermisst wurden.
Die Erklärung ist aber auch hier keine einfache.
Von besonderem Interesse ist das Verhältniss der
Lokalisation der Aura zum Auftreten der
aphatischen Störung. Liveing beobachtete die
Aphasie unter 12 Fällen von sensorischer Aura 7 mal nach rechts¬
seitigen, 4 mal nach doppelseitigen Parästhesien. Moebius sah
bei einer Kranken mit einem bald von rechts, bald von links
auftretenden Flimmerskotom die Sprachstörung nur dann, wenn
das Skotom von rechts her kam. Auch bei meinem Kranken
handelte es sieh in der Regel um eine rechtsseitige
sensorische Aura. Dann machte sich bald dem
Patienten selbst die Sprachstörung bemerk -
b a r. In dem einen der im Krankenhaus beobachteten Anfälle,
wo die Parästhesien zuerst 2 mal die ganze linke Körperhälfte
durchliefen, der Kopfschmerz nachher rechts stärker war, hatte
sich die Aphasie 214 Stunden nach Beginn der Störungen noch
nicht gezeigt, während sie sonst stets fast unmittelbar nach dem
Aufhören der Parästhesien in der Zunge auftrat. Nachher ist
der Kranke etwas eingeschlafen.
Jedenfalls bestätigen diese lokalen Beziehungen die An¬
nahme, dass es sich bei der im Migräneanfall auftretenden
Aphasie um eine Störung handelt, welche im Sprach-
zent r u m ahläuft.
Fast einzig in der Literatur steht die eigen thümliche
Gleichgewichtsstörung da, wie sie im 3. Falle vor¬
handen war. In der mir bekannten Literatur beschreibt nur
Oppenheim11) eine analoge Beobachtung. Der Kranke
Oppenheim’s taumelte im Migräneanfall wie ein Be¬
trunkener. Gehen und Stehen waren überaus unsicher. Dabei
bestand heftiger Schwindel und die Empfindung, als sei der
Körper oder einzelne Theile desselben verdoppelt. Die Gleich¬
gewichtsstörung setzte hier jedesmal mit dem Anfall ein, um
ebenso mit demselben zu schwinden. Oppen hei m deutet
die Störung als Kleinhirnerscheinungen und
möchte die Krankheit als Ilemicrania cerebellaris be¬
zeichnen. Wenn die Gleichgewichststörung in unserem Falle
vorübergehend auch in der kopfschmerzfreien Zeit angedeutet
vorhanden war, so ist das wohl auf die damals vorhandene grosse
Häufung' der Anfälle zu beziehen. Bemerkenwerth ist, dass die
Kopfschmerzen dieses Kranken stets vom Hinterkopf ihren Aus¬
gang nahmen.
Auf die Natur der migränösen Veränderung des Zentral¬
nervensystems und das Zustandekommen der Migräneanfälle
einzugehen ist hier nicht der Ort. M o e b i u s hat in seiner
Monographie die grossen Schwierigkeiten einer hefifiedigenden
theoretischen Erklärung der interessanten Krankheit eingehend
dargelegt. Wir sind darnach zunächst vor Allem darauf an¬
gewiesen, weiteres klinisches Material zu beschaffen. Einen Bei¬
trag hierzu soll die vorstehende Mittheilung liefern.
Aus der II. mediz. Klinik (Hofrath Neusser) in Wien.
Ueber die Isoagglutinine im Serum gesunder und
kranker Menschen.
Von Dr. Alfred v. Decastello und Dr. Adriano S t u r 1 i.
Landsteiner [1] und S h a 1 1 o k [2] haben zu gleicher
Zeit unabhängig von einander darauf hingewiesen, dass dem Blut¬
serum mancher Menschen die Fähigkeit innewohnt, die rothen
Blutkörperchen anderer Personen zu verklumpen, dass diese
Sera somit nach E h r 1 i c h’s Bezeichnung Isoagglutinine ent¬
halten. Natürlich wendete sich die Aufmerksamkeit der Unter¬
sucher sogleich der Frage zu, ob das Auftreten dieser Eigenschaft
mit bestimmten Krankheitszuständen Zusammenhänge; hatte
doch von den genannten Autoren selbst Landsteiner an¬
gegeben, die Erscheinung besonders ausgeprägt bei schweren
Krankheiten gefunden zu haben, während Shattok sie direkt
als Eigenthümlichkeit des Fieberblutes auffasste und mit der er¬
höhten Geldrollenbildung in Zusammenhang brachte.
In der That gewannen auch Donath [3], Ascoli [4],
Camus und P a g n i e z [5] , Eisenberg [6] aus ihren.
3) Oppenheim: Nervenkrankheiten 1898.
1. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1091
Untersuchungen den Eindruck, dass die Erscheinung bei An¬
ämien, Kachexien, Eieber (bei Tuberkulose) deutlicher aus¬
gesprochen sei, heben aber särmnitlich die Inkonstanz derselben
hervor. Nur Lo Monaco und P a n i c h i [7] und in Be¬
stätigung ihrer Befunde G rixoni [8] betrachten die Iso¬
agglutination als charakteristisches Symptom des Malariablutes,
während Grünbaum [9] angibt, dass das Blutserum bei ver¬
schiedenen Infektionskranken die Eigenschaft gewinnt, das Blut
Gesunder und an anderen Krankheiten Leidender zu agglutiniren,
nicht aber das von Personen, die von derselben Krankheit befallen
sind. Die Beziehung der agglutinirenden Fähigkeit des Blutes
zu Krankheitszuständen wurde jedoch sehr in Frage gestellt durch
die Arbeit Halban’s [10], welcher dieselbe Eigenschaft auch
bei einer Reihe von Neugeborenen (resp. Plazenten) antraf.
H a 1 b a n und vor ihm schon A s c o 1 i wiesen auf die Thatsache
hin, dass manche Sera nur in bestimmten Blutproben Aggluti¬
nation hervorrufen, bei anderen Fällen aber nicht. Diese mannig¬
fachen Widersprüche erhielten eine wesentliche Klärung, durch
Landsteiner [11], dem es gelang, in jedem Serum aggluti-
nirende Fähigkeit nachzuweisen, indem er dasselbe auf eine Reihe
von Blutproben einwirken liess. Gleichzeitig ergaben seine Ta¬
bellen, dass hier eine merkwürdige Gesetzmässigkeit herrsche, in¬
dem sich die untersuchten Blutsorten in 3 Gruppen theilen
Hessen, die Landsteiner mit folgenden Worten charak-
terisirt: „In einer Anzahl von Fällen (Gruppe A) reagirte das
Serum auf die Körperchen einer anderen Gruppe (B), nicht aber
auf die Gruppe A, während wieder die Körperchen der Gruppe A
vom Serum B in gleicher Weise beeinflusst werden. In der
3. Gruppe (C) agglutinirt das Serum die Körperchen von A und
B, während die Körperchen C durch die Sera A und B nicht be¬
einflusst werden.
Man kann der üblichen Ausdrucksweise zu Folge sagen, dass
in diesen Fällen zum Mindesten zwei verschiedene Arten von
Agglutininen vorhanden sind, die einen in A, die anderen in B,
beide zusammen in C. Die Körperchen sind für die Agglutinine,
die sich im selben Serum befinden, naturgemäss als unempfindlich
anzusehen.“
Es war nun Zweck der vorliegenden Arbeit, einerseits behufs
Untersuchung der allgemeinen Giltigkeit dieses typischen Ver¬
haltens weitere gesunde Individuen daraufhin zu prüfen, anderer¬
seits diese Verhältnisse an einer grösseren Reihe von Krankheits¬
fällen zu untersuchen. Die Proben wurden im hängenden
Tropfen angestellt, indem eine Oese des Serums mit der gleichen
Menge einer 5 proz. Aufschwemmung der Blutkörperchen in
0,85 proz. Kochsalzlösung gemischt wurde. Manchmal brachten
wir auch entsprechend kleine Mengen von gewaschenem, abzentri-
fugii'tem Blutkörperchenbrei in das Serum ein, um die Ver¬
dünnung des letzteren zu vermeiden.
In den positiven Fällen tritt die Agglutination meist mit
grosser Schnelligkeit und Deutlichkeit ein: Schon in wenigen
Sekunden sind die Blutkörperchen zu grösseren und kleineren
dichten Klumpen zusammengeballt. Auch bei schwach wir¬
kenden Seris wird das Phänomen im Verlauf weniger Minuten
sichtbar.
Durch Erschütterung, Schwenken etc. des Präparates wird
die Reaktion beschleunigt, resp. ausgelöst, da die Blutkörperchen
auf diese Weise miteinander erst in Kontakt kommen. Wir
haben ursprünglich gleich den anderen Untersuchern die Proben
stundenlang weiterbeobachtet, überzeugten uns aber bald, dass,
wenn bei unverdünnten Seris die Agglutination nicht schon in
den ersten Minuten auftrat, später niemals mehr ein positiver
Ausfall zu verzeichnen war. Wird dagegen das Serum, etwa
zur Auswerthung der Kraft, verdünnt, so dauert es bisweilen
allerdings 14 — Vz Stunde bis zum Eintritt der Agglutination.
Offenbar ist (beim Erwachsenen) die agglutinirende Substanz,
wenn überhaupt vorhanden, stets in genügend grosser Menge an¬
wesend, um eine prompte Reaktion auszulösen.
Wir müssen hier einen Umstand betonen, der anfänglich
uns selbst, wohl auch frühere Untersucher, zu Irrthümern geführt
hat. Es ist dies die Erscheinung mehr oder minder aus¬
gesprochener Geldrollenbildung, die bei schwächerer Vergrösse-
rung Agglutination Vortäuschen kann und thatsächlich von
Shattok, Ascoli, Eisenberg mit der Agglutination zu¬
sammengeworfen wurde. Wie schon Ascoli betont, sind zum
Zustandekommen der Geldrollenbildung 2 Dinge erforderlich:
einerseits die unveränderte Dellenform der Blutkörperchen,
andererseits ein entsprechendes Medium; denn in isotonischer
Kochsalzlösung zeigen auch die besterhaltenen Blutscheiben
niemals Rollenbildung. Dieses Medium, welches das Aneinander-
kleben ermöglicht, ist das Serum. Wir haben uns nun durch viele
Versuche überzeugt, dass gut erhaltenen Erythroeyten gegen¬
über jedem Serum diese Eigenschaft zukommt. Doch bestehen
zwischen den einzelnen Seris graduelle Differenzen.
So zeigte das Serum mehrerer Chlorosen, deren Blutpräparat
geringe Geldrollenbildung aufwies, auch mit verschiedenen Blut¬
aufschwemmungen die Erscheinung nur in ganz geringem Grade,
ebenso das Serum einer hydrämisclien Nephritis. Dagegen er¬
zeugte das Serum einer perniziösen Anämie in den Aufschwem¬
mungen lebhafte Rollenbildung, obwohl im nativen Präparat nichts
davon zu sehen war. Letzteres war jedenfalls bedingt durch die
starke Poikilocytose, während die hier in Betracht kommende
Eigenschaft des Serums erhalten geblieben war.
Bei partieller Deformirung der Erythroeyten in der Koch¬
salzlösung entstehen statt der regelmässigen Rollen hie und da
auch einzelne Häufchen, so dass die Aehnlichkeit mit der echten
Agglutination auch bei stärkerer Vergrösserung besteht. Prüft
man aber dieselbe Aufschwemmung mit dem gleichen Serum
etwa 1 — 2 Tage später nach, wenn die Quellung oder Stechapfel¬
form der Erythroeyten noch weiter fortgeschritten ist, so erhält
man keine Spur von Häufchenbildung mehr.
Im Gegensatz dazu ist die echte Agglutination von der Form
der Blutscheiben gänzlich unabhängig und tritt in älteren Auf¬
schwemmungen mit derselben Promptheit ein wie in ganz
frischen. Auch müsste man, wenn die Rollenbildung identisch
wäre mit schwacher Agglutination, bei Verdünnung eines ver¬
klumpenden Serums schliesslich zur Rollenbildung gelangen, was
nicht der Fäll ist. Beraubt man ein Serum auf später zu er¬
wähnende Weise vollständig seiner Agglutinationskraft, so bleibt
nichtsdestoweniger die Fähigkeit, in jeder frischen Blutauf¬
schwemmung Rollenbildung zu bewirken, erhalten. Diese beiden
Phänomene sind also entschieden von einander zu trennen.
Eine zweite Fehlerquelle bildet die bakterielle Infektion der
Blutaufschwemmungen. Wir wissen durch die Arbeiten von
Kraus und C 1 a i r m o n t [12], dass manche Bakteriengifte die
Fähigkeit haben, Erythroeyten zu agglutiniren und zu lösen. Es
sind daher ältere Blutaufschwemmungen vor der Verwendung
daraufhin zu untersuchen, ob sie nicht in Folge von Bakterien¬
wirkung schon spontan Häufchenbildung zeigen.
Bei unseren eigenen Untersuchungen gingen wir zunächst so
vor, dass wir die zu prüfenden Sera auf 12 verschiedene Blut¬
proben (von Gesunden und Kranken) einwirken Hessen. Wir ge¬
langten so zu folgender Tabelle, in welcher das Plus den posi¬
tiven Ausfall bezeichnet.
Tabelle I.
Blutaufschwemmung
von:
Serum von :
Gruppe C (= A+B)
Gruppe
A
Gr
B
Dr. Dec.
Wärterin
R.
Wärterin
. F.
Dr. St.
Dr. Fl.
Dr. Klf.
Typhus 1
Typhus 2
Haemo¬
philie
S
C=>
CO
&o
3
■q-
■>->
1 —
PQ
-F
Dr. D.
O
O
O
O
+
4“
4-
4-
4-
4-
4-
4-
ii
Dr. J.
O
O
O
O
+
4-
4-
4-
+
4-
4"
4-
II
O
Wärterin R.
O
o
O
O
+
4-
4-
+
+
4-
4-
4-
Jh
&
Wärterin F.
O
o
O
O
4-
4-
4-
4-
+
4-
4-
4-
Dr. St
O
o
O
O
o
o
o
O
o
o
4-
4-
«1
Dr. Fl.
O
o
O
O
o
o
o
O
0
o
4-
4-
D
d
Dr. Klf.
O
o
O
O
0
o
0
O
o
0
4-
4-
PH
3
Typhus No. 1
O
o
O
O
o
o
0
O
o
o
4"
4-
6
Typhus No. 2
O
0
O
O
o
o
0
O
o
o
4-
4-
Haemophilie
O
o
O
O
o
o
o
o
o
o
4-
4-
w
Dr. M.
O
o
O
O
4-
4-
4-
4-
4-
4-
o
o
*-<
o
Typhus No. 3
O
o
O
O
4-
4-
+
4-
+
4-
o
o
u s
w.
Wie ersichtlich, stimmt diese Tabelle mit der Land-
steine Eschen vollständig überein, indem eine Sonderung so¬
wohl der Sera als der Blutkörperchen in 3 Gruppen hervortritt.
Auf diese Weise prüften wir zunächst die Sera von 50 Fällen
3*
1092
Ho. 26.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
(Gesunden und Kranken) mit denselben Blutaufschwemniungen.
Später verwendeten wir, da das Resultat stets das gleiche blieb,
nur 6 Testblutsorten, je 2 aus jeder Gruppe, wobei wir die be¬
treffenden Repräsentanten häufig wechselten. Im Ganzen ge¬
langten 174 Fälle zur Untersuchung und zwar
8 Neugeborene (Plazentarblut),
11 Kinder bis zu 6 Monaten,
21 Kinder von Vz — 14 Jahren,
134 Erwachsene.
Sehen wir zunächst von den Plazenten und ganz jungen
Kindern ab, deren Verhalten später eingehend zu besprechen ist,
so ergab die Untersuchung bei sämmtlichen 155 Personen im
Alter von mehr als 6 Monaten, mit Ausnahme von 4 Fällen,
das Vorhandensein von agglutinirenden Substanzen im Serum,
sowie die strikte Sonderung in 3 Gruppen : Serum A agglutinirt
Blut B, umgekehrt Serum B das Blut A; Serum C agglutinirt
sowohl Blut A als Blut B, dagegen wird das Blut C weder von
Serum A noch B beeinflusst. Die 4 Ausnahmen von dieser Regel
verhielten sich so, dass das Serum auf kein einziges Probeblut
einwirkte, also gar kein Agglutinin enthielt, während die Erythro-
cyten von jedem anderen Serum agglutinirt wurden, also nicht
wie bei den übrigen Personen, zumindestens gegen einen Serum¬
typus widerstandsfähig waren.
Von diesen 155 Fällen entfielen 34 (mit einer Ausnahme)
auf derzeit Gesunde und 121 (mit 3 Ausnahmen) auf Kranke.
Es besteht somit keine Beziehung zwischen
dem Agglutinationstypus eines Blutes und
krankhaften Zuständen.
Wir hatten auch bei sämmtlichen untersuchten gesunden In¬
dividuen die genaue Anamnese in Bezug auf überstandene Krank¬
heiten, besonders infektiöse, erhoben und auch hier nicht die ge¬
ringste Uebereinstimmung in Bezug auf die Typen erhalten.
Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Krankheiten, beson¬
ders solche, welche den Eiweissgehalt des Serums alteriren, auf
die Intensität der agglutinirenden Kraft einwirken können. Ein¬
gehende Untersuchungen in dieser Richtung haben wir noch
nicht vorgenommen.
Die oben charakterisirten 3 Serum- (und Blutkörperchen-)
Typen sind nicht gleich häufig.
Tabellen
enthaltend 121 Krankheitsfälle, davon 21 Kinder im Alter von
1/2 — 14 Jahren und 100 Erwachsene.
Anzahl
Diagnose
Typus des
Serums
Anzahl ||
Diagnose
Typus des
Serums
A |
B
C
A
B
C
8
Croup. Pneumonie
2
2
4
2
Icterus catarrh. . .
2
3
Bronchit. febril. . .
2
—
1
1
Enterit. infekt. . .
—
—
1
5
Typhus abdom. . .
2
1
2
2
Perityphlitis ....
1
1
-
1
Rhemnat.artic.acut.
1
-
-
1
Cirrhos. hepat. al-
<D
K
pulmon .
4
4
3
coholica c. ictero
-
-
1
O
peritonei ....
-
-
4
1
- cholelithias. cum
20
intestini ....
-
-
2
ictero .
1
—
—
<D
&
meningitis . . .
-
1
-
1
Lues hepat. c. ne-
P
H
Skrophulose . .
-
-
2
phrit. chron. in-
7
Chlorose .
1
3
3
terstit .
1
_
4
Perniziöse Anaemie
1
3
1
Ecchinococc. hepat.
1
_
_
1
dto.
ohne Ty
pus
1
Nephr acut .
-
1
—
6
Leukämie(myelog.)
4
1
1
8
Nephr. chron. . . .
2
3
3
2
Pseudoleukämie .
1
-
1
2
Pyelitis .
1
—
1
1
Hämophilie ....
1
-
-
1
Erythromelalgie . .
-
-
1
2
Purpura simpl. . .
2
-
-
1
Ischias .
—
—
1
I ventric .
3
1
3
1
Tabes .
1
10
o
j intestin .
2
2
Chorea .
1
1
J3
uteri .
1
_
1
Basedow . . .
1
1
Lymphosarkom.
1
Syringomyelie . . .
1
—
abdom .
-
-
1
1
Hemiplegie ....
ohne Typus
5
Vitium cordis . . .
4
-
1
1
Contractur. manu«
1
—
—
1
Myokarditis ....
-
-
1
2
Hysterie .
2
—
—
1
Asthma bronch. . .
-
1
-
3
Rachitis .
1
1
1
1
Ulcus ventric. . . .
-
-
1
2
Prurigo .
2
—
_
1
dto.
ohne Typus
1
Eczema .
1
-
-
2
Atoma ventric. . .
i
—
i
Summe
48
23
47
2
Enteroptose . . . .
1
1
Von 34 gesunden Erwachsenen entfielen:
10 auf den Typus A
4 B
19 » » » C
und 1 Fall (eine 20 jährige stillende Frau) verhielt sich in der
oben geschilderten Weise atypisch. Der Antheil der pathologi¬
schen Fälle an diesen 3 Gruppen ist aus folgender Zusammen¬
stellung ersichtlich:
(Siehe Tabelle II.)
Von 121 Kranken entfielen somit:
48 auf den Typus A
23 „ „ „ B
47 „ „ „ C
3 Fälle enthielten im Serum kein Agglutinin und die Blut¬
körperchen wurden von jedem Serum agglutinirt. Es zeigt sich
also, dass der eine der beiden einfachen Typen (B) weitaus sel¬
tener anzutreffen ist, als die andern beiden (A und C), ferner,
dass Kranke ganz dasselbe Verhalten zeigen wie Gesunde und
dass dort, wo mehrere Fälle ein und derselben Krankheit zur
Beobachtung kamen, sich fast immer alle 3 Typen vorfanden.
Die Ausnahmen bestanden nur im Nichtvorhandensein von Ag¬
glutinin ‘).
Es wird sich aus diesen Thatsachen schwerlich ein anderer
Schluss ziehen lassen, als der, dass im menschlichen Serum 2 Iso-
agglutinine Vorkommen, in manchen Seris getrennt, in manchen
nebeneinander, eine Deutung, die auch Landsteiner am
wahrscheinlichsten schien, obwohl, wie er sagt, „die Behauptung
des Vorkommens von wenigen verschiedenen Agglutininen recht
merkwürdig klingt“. In der That wäre auch das Vorkommen
einer einzigen oder sehr zahlreicher agglutinirender Substanzen
viel weniger merkwürdig, als gerade von zweien. Und doch wird
man nicht umhin können, diese Annahme zu machen. Abge¬
sehen von dem geschilderten gesetzmässigen Verhalten sprechen
auch folgende Thatsachen dafür:
Versetzt man ein Serum der Gruppe A mit Blutkörperchen
der Gruppe B in hinreichender Menge und zentrifugirt nach
einiger Zeit ab, so hat das Serum A nicht nur die Fähigkeit
verloren, frische Blutkörperchen derselben Person aus der
Gruppe B, sondern überhaupt jedes Blut dieser Gruppe zu ag-
glutiniren. Dasselbe gilt umgekehrt für ein Serum der Gruppe B
und das Blut A. Bringt man aber ein Serum C mit einem
Blut A zusammen, so geht nur die Agglutinationsfähigkeit für
diese Gruppe verloren, nicht aber für die Gruppe B (dasselbe
gilt mutatis mutandis für B). Mischt man Serum A und
Serum B, so agglutinirt die Mischung die Blutkörperchen von
A und B, mischt man Serum C mit Serum A und B, so bleibt
die Wirkung, wie zu erwarten, die gleiche wie bei O allein.
Wenn nun somit auch kaum an der Thatsache zu zweifeln
ist, dass man es hier mit zwei verschiedenen Agglutininen zu
thun hat, so müssen dieselben doch andererseits offenbar zwei
chemisch sehr nahe verwandte, analog gebaute Körper sein, denn
sie verhalten sich in ihren Wirkungen wie Pendants. Dies legt
den Gedanken nahe, ob es sich hier nicht tun chemische Ver¬
wandtschaft im Sinne von Iso- oder Polymerie handelt, etwa wie
von zwei Substanzen gleicher Molekularformel die eine rechts-
die andere linksdrehend sein kann. Es liesse sich so mit Be¬
rücksichtigung der Häufigkeit des Vorkommens der einzelnen
Typen annehmen, dass das Agglutinin der Gruppe A die Grund¬
substanz darstellt, welche aber sehr oft gemeinsam mit der che¬
mischen Modifikation auftritt (Doppeltypus C), während in we¬
niger häufigen Fällen die Modifikation allein erscheint (GruppeB).
In Bezug auf die Intensität der Wirkung bestehen zwischen
den einzelnen Seris Unterschiede, ebenso in der Resistenzfähig¬
keit der Blutkörperchen gegenüber verschiedenen Seris.
So ergeben sich z. B. für ein Serum vom Doppeltypus bei
Verdünnung mittels physiologischer Kochsalzlösung folgende
Grenzwerthe für verschiedene Blutkörperchenaufschwemmungei).
Dr. Kl , Typhus No. 1, Haemophilie . 10
Dr. M., Morb. Basedowii . 15
9 Während der Indrucklegung dieser Arbeit hatten wir Ge¬
legenheit, 2 Fälle von frischer Malaria (tertiana) zu untersuchen,
und fanden im Gegensatz zu den Angaben von L o Monaco-
Panichi und von Grixoni auch hier vollständig typisches
Verhalten des Serums (Typus C und B).
1. Juli 1902.
MÜEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Typhus No. 2 . . . 20
Dr. St, Dr. Fl., Dr. Kfd . 25
Dr. S . 30
Einige dieser Personen wurden nach 3 Monaten mit dem¬
selben Serum nachgeprüft und ergaben dieselben Werthe.
In Bezug auf die Sera konstatirten wir niemals mehr Ag¬
glutination bei Verdünnungen von über 35.
Auch A s c o 1 i und Eisenberg fanden als gewöhnliche
Grenze der Wirksamkeit 20 — 30 fache Verdünnung, die Intensität
der Isoagglutinine bewegt sich also etwa in derselben Breite wie
jene der bei Gesunden auf tretenden Agglutinine für den Typhus¬
bazillus.
Ihrer chemischen Konstitution nach scheinen die Agglu¬
tinine zu den Globulinen zu gehören, wenigstens wurde
für die Bakterienagglutinine von W i d a 1 und S i c c a r d,
sowie von Pick [13], für die (Hetero-) Hämagglutinine
von Landsteiner gezeigt, dass sie durch globulin¬
fällende Substanzen aus dem Serum ausgeschieden wer¬
den. Für die Isoagglutinine konnten wir denselben
Nachweis erbringen: versetzt man ein Serum mit der gleichen
Menge gesättigter Ammonsulfatlösung und filtrirt, so zeigt das
Filtrat keinerlei hämagglutinirende Eigenschaft, während der in
physiologischer Kochsalzlösung aufgelöste Filterrückstand ent¬
sprechend dem Typus des Serums agglutinirt ').
Durch halbstündiges Erhitzen auf 56 0 werden die Isoagglu¬
tinine nicht wie die Hämolysine inaktivirt, doch müssen wir
hervorheben, dass sie dadurch in ihrer Wirksamkeit bedeutend
beeinträchtigt werden. Monatelanges Aufbewahren (in zuge¬
schmolzenen Glasröhren) beeinflusst sie nicht.
Betreffs der Beziehung der Isohämagglutinine zu den
spezifischen Bakterienagglutininen betont A s c o 1 i, keinen
Parallelismus zwischen beiden gefunden zu haben. Wir
verfuhren zur Prüfung dieser Frage so, dass wir die
Agglutinationskraft des Blutes mehrerer Typhusrekonvaleszenten
für den Typhusbazillus bestimmten und nun diesem Serum durch
Versetzen mit Blutkörperchen die hämagglutinirende Fähigkeit
nahmen. Die darauf neuerlich angestellte Grub er- Widal’sche
Probe ergab keinen Unterschied in der Agglutinationskraft für
die Bazillen.
Wir wenden uns nunmehr zur Besprechung der Verhältnisse,
welche wir bei der Untersuchung des Blutes ganz junger In¬
dividuen antrafen.
Die Möglichkeit, diese Untersuchungen vornehmen zu kön¬
nen, verdanken wir der liebenswürdigen Erlaubniss der Herren
Professoren Piskatschek und M o n t i, sowie von Herrn
Primarius Dr. R i e t h e r, wofür wir den genannten Herren auch
an dieser Stelle unseren Dank aussprechen möchten.
Verhalten des Blutes bei Neugeborenen und Kindern unter¬
halb eines halben Jahres.
Tabelle III.
(Gegenüberstellung des mütterlichen und kindlichen [Placentarjblutes.)
| Nummer [|
Name
von
Mutter
u.
Kind
Serum der Mutter
einwirkend auf die Blutauf¬
schwemmung von
Serum des Kindes (Piacenta)
einwirkend auf die Blutauf¬
schwemmung von
truppe A
Gruppe B
Gruppe C
Typ. des
mütterl.
Blutes
Grnppe A
Gruppe 1!
Gruppe C
Typus
d. kindl
Blutes
1
Wein.
+
O
O
B
+
O
O
B
2
Mar.
4"
schwacli
4~
deutlich
O
C
O
4-
o
A
3
Gresb.
4"
+
O
C
+
+
o
C
4
Bres.
+
4*
O
G
+
O
o
B
5
Burk.
O
4-
O
A
o
+
o
A
6
Solta
+
o
o
B
7
—
nicht untersucht
0
o
o
■ —
8
—
0
o
o
—
") Man könnte sich auf diese Weise bei Prüfung einer grös¬
seren Reihe von Blutsorteu zur Feststellung des Blutkörper¬
chentypus einfach dreier Stammlösungen der agglutinirenden Sub¬
stanz der einzelnen Sei’umtypen bedienen, indem die Aminon-
sulfatniedersehläge in physiologischer Kochsalzlösung wieder auf¬
gelöst werden.
No. 26.
1093
Es enthielt somit das Blut von Neugeborenen unter 8 Fällen
2 mal keine Agglutinine, 6 mal zeigte es solche mit demselben
typischen Verhalten wie bei Erwachsenen. Doch war die Inten¬
sität der Agglutination entschieden viel geringer als sie meist im
Blute der Erwachsenen ist und trat bei 1 und 2 erst nach etwa
10 Minuten auf. Die Blutkörperchen des Kindes zeigten das
dem Serum typus entsprechende Verhalten, indem sie bei Fall 1,
3, 5 von dem betreffenden Mutterserum nicht agglutinirt wurden,
während bei Fall 4, dem Typus entsprechend, Agglutination ein¬
trat. Dagegen verhielt sich Fall 2 scheinbar unregelmässig, in¬
dem das Kinderblut (Typus A) vom Mutterserum (Typus C) nicht
agglutinirt wurde.
Eine zweite Serie von 11 Kindern im Alter von 7 Tagen bis
zu 4 Monaten ergab in der Mehrzahl der Fälle atypisches Ver¬
halten.
Tabelle IV.
11 Kinder im Alter von 7 Tagen bis 4 Monaten. Einwirkung des
kindlichen Serums auf Blutaufschwemmungen der 3 Gruppen.
No.
Geschlecht
des
Kindes
Alter des
Kindes
Blutaufschwemmung
Typus
des kindl.
Serums
A
B
c
1
cf
4 Mon. 10 Tg.
O
o
0
—
2
u
1 Mon. 4 Tg.
+
o
o
B
3
9
3 Mon. 5 Tg.
0
0
0
—
4
cf
3 Mon. —
o
o
0
—
5
9
3 Mon. —
4
0
o
B
6
cf
2 Mon. 25 Tg.
o
0
0
—
7
9
2 Mon. 5 Tg.
+
+
o
C
8
9
1 Mon. 21 Tg
0
0
o
—
9
cf
1 Mon. —
o
o
o
—
10
9
- 16 Tg.
+
+
0
c
11
cf
7 Tg.
o
o
0
—
Unter diesen 11 Kindern wiesen also nur 4 Agglutinine in
ihrem Serum auf.
Um das Verhalten der Erythrocyten zu bestimmen, wurden
Blutkörperchenaufschwemmungen sämmtlicher Kinder mit ver¬
schiedenen Seris von Kindern und Erwachsenen zusammenge¬
bracht. Es ergab sich so die folgende Tabelle:
Tabelle V.
Blutaufschwemmung von Kind
Serum:
No.l
2
3
4
b
6
7
8
9
10
11
Gruppe
A
1. Dr. Stur.
2. Dr. Flechs.
O
o
o
4-
o
o
o
o
o
o
o
B
1. Dr. Kl.
2. Chorea
3. Kind No. 2
Tab. IV
4-
o
+
+
o
o
o
+
+
o
o
C
1 Dr. Dec.
2. Ca ventr.
3. Kind Tab .IVA« 6
4. „ „ IVA« 9
+
o
4-
4-
o
o
o
4-
+
o
o
Sera
ohne
Typus
Tab. IV
Kind No. 3, 4, 5, 7
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
Fassen wir die Ergebnisse der Tabellen III, I\ und V zu¬
sammen, so lassen sich unter den zur Untersuchung gelangten
Kindern folgende Gruppen unterscheiden:
1. Ein Blut (Tab. V, No. 4), dessen Serum gar keine agglu-
tinirende Fähigkeit besass, dessen Blutkörperchen jedoch von
den Seris jedes der 3 Typen agglutinirt wurden. Dieses Kind
verhielt sich somit ebenso wie die 4 Erwachsenen (s. oben), bei
denen sich im Serum kein Agglutinin vorfand.
*) Anmerkung: Bei Fall 7 und 8 aus Tabelle 111 wurde
nur das Verhalten des Serums, nicht aber das der Blutkörperchen
geprüft; es ist daher nicht zu sagen, ob diese Sera zu Gruppe 1
oder 2 gehörten.
4
1094
MÜENCHENER MEDICINISCHE W OCHER SCHRIFT.
2. 6 Fälle, bei welchen das Serum keine Blutsorte aggluti-
nirte, bei welchen jedoch die Blutkörperchen den verschiedenen
typisch wirkenden Seris gegenüber das gewöhnliche gesetzmässige
Verhalten zeigten: Die Blutkörperchen von No.l, 3, 8, 9 (Tab. IV)
werden von allen Seris vom Typus B und C agglutinirt, jene von
No. 6 und 11 (Tab. IV) von keinem Serum; erstere würden also
dem Typus A, letztere dem Typus C entsprechen.
3. 3 Fälle, bei welchen das Serum einen der einfachen Typen,
die Blutkörperchen aber den Doppeltypus darboten. Bei No. 2
aus Tabelle 111 gehörte das Serum in die Gruppe A, die Blut¬
körperchen wurden aber vom Mutterserum (C) nicht agglutinirt,
bei No. 2 aus Tabelle IV agglutinirte das Serum die Gruppe A,
hat also den Typus B, die Blutkörperchen aber verhalten sich
gegen jedes Serum widerstandsfähig, sind also zu Typus C zu
rechnen. Das Gleiche gilt für No. 5 (Tab. IV).
4. Endlich eine Reihe von Fällen, deren Blut sich sowohl
in Bezug auf Serum als auf die Blutkörperchen vollständig in die
bei älteren Individuen gütigen Gruppen einreihen liess, nur dass
die agglutinirende Kraft des Serums meist deutlich geringer war
als bei Erwachsenen.
Es ergibt sich somit, dass bei ganz jugendlichen Individuen
die Verhältnisse durchaus nicht so einfach und klar liegen wie
bei älteren. Man blickt hier offenbar in den Entwicklungs¬
prozess, der später zu stationären Verhältnissen führt. Wollte
man an der Hand der 4 auf gestellten Gruppen diesem Werde¬
gang folgen, so möchte es scheinen, dass der ursprüngliche Zu¬
stand jedes Blutes der von Gruppe 1 ist, wobei man im Serum
kein Agglutinin findet, und wo die Blutkörperchen von jedem
Agglutinin enthaltenden Serum beeinflusst werden, somit keine
spezifische Widerstandsfähigkeit besitzen. (Wie wir zeigten,
findet sich dieser Zustand in seltenen Fällen auch bei Erwach¬
senen.) Da nun die meisten Individuen zur Zeit der Geburt
resp. in den ersten Lebensjahren schon eine typische Resistenz
der rothen Blutkörperchen gegen bestimmte Sera erkennen lassen,
im Serum aber kein Agglutinin besitzen, so würde daraus folgen,
dass dem Auftreten der Agglutinine eine Differenzirung der
Erythrocyten vorausgeht, dies somit der primäre Vorgang sei
(Gruppe II), Erst zum Schluss käme es zur Entwicklung der
Agglutinine im Serum (Gruppe III und IV). Doch hat diese
Anschauung Vieles gegen sich, denn einmal besteht ja die an¬
genommene primäre Differenzirung gerade in einer spezifischen
Unempfindlichkeit gegen gewisse Agglutinine und es erscheint
uns widersinnig, das Auftreten dieser Eigenschaft der Entwick¬
lung der agglutinirenden Substanz vorausgehen zu lassen, und
dann gibt diese Annahme keine Erklärung, wieso die Erythro¬
cyten gerade gegen das Agglutinin des eigenen Blutes resistent,
gegen ein anderes aber empfindlich sind. Wir wollen versuchen,
in Folgendem eine mögliche Erklärung zu geben, welche diesen
Einwänden gerecht wird: Die Gruppe 1 dürfte, wie gesagt, dem
fötalen Urzustand jedes Blutes entsprechen. Später tritt, meist
schon vor der Geburt, manchmal in den ersten Lebensjahren, im
Serum eine Substanz mit hämagglutinirender Eigenschaft auf
(ebenso wie daselbst Bakterienagg'lutinine unbekannter Pro¬
venienz entstehen). Es ist nun anzunehmen, dass dieselbe ihre
Wirksamkeit zunächst auf die Erythrocyten derselben Person ent¬
falten wird. Da die Entwicklung einer solchen Substanz wohl nicht
plötzlich, sprungweise, sondern nur allmählich erfolgen dürfte,
so kann man sich vorstellen, dass in den agglutinirenden Blut¬
körperchen nach und nach ein Zustand von gesteigerter Resistenz,
von Immunität, gegenüber diesem Agglutinin auftritt. Solche
Erfahrungen liegen ja bei Hämolysinen vor. So fanden Glay
und Cannes [14], Kossel[15] und T s c h i s t o v i t c h [16],
dass man bei Kaninchen durch fortgesetzte Injektionen des An¬
fangs stark hämolytisch wirkenden Aalserums nicht nur im
Serum einen Antikörper erzeugen kann, sondern dass die Erythro¬
cyten selbst erhöhte Resistenz, ja sogar totale Unempfindlichkeit
(Glay und Cannes) gegen das Hämolysin gewinnen. Da
man nun bei einer solchen Immunisirung einen Verbrauch der
wirksamen Substanz, in unserem Falle des Agglutinins voraus¬
setzen muss (vielleicht eine Bindung an die Erythrocyten), so
liesse sich verstehen, dass man in diesem Stadium des Prozesses
bereits eine Resistenz der Erythrocyten gegen Agglutinin findet,
während im Serum letztere noch nicht nachweisbar ist. Es ist
eben sämmtliches produzirtes Agglutinin an die Erythrocyten ge-
No. 26.
j bunden resp. zu deren Immunisirung aufgebraucht worden. Ist
letztere einmal so weit fortgaschritten, dass die agglutinirende
Substanz an den rothen Blutkörperchen wenig oder gar keine
Angriffspunkte mehr findet, oder ist ihre Produktion eine reichere
geworden, so wird sie nunmehr frei im Serum auftreten und
damit ist nun auch der Typus des Serums ausgesprochen. Die
Entstehung des doppelten Typus müsste man sich so vorstellen,
dass im Serum beide agglutinirenden Körper auftreten. (Wir
haben schon früher die Meinung ausgesprochen, dass es sich
hier um einen Körper handelt, der von einer chemischen Modi¬
fikation begleitet ist, vielleicht ein Fall von Isomerie.) Die Blut¬
körperchen werden gegen diese beiden Substanzen immunisirt. Das
Auftreten dieser beiden Agglutinine braucht nicht gleichzeitig zu
erfolgen, oder es könnte das eine in grösserer Menge auftreten
als das andere, so dass in einem bestimmten Zeitpunkt die Blut¬
körperchen bereits gegen beide Substanzen unempfindlich sind,
während im Serum nur die eine nachweisbar ist. Es zeigt dann
das Blut den Doppeltypus, das Serum einen einfachen Typus
(Tab. III No. 2, Tab. IV No. 2 und No. 5).
Wir hatten Gelegenheit, 4 Kinder der Tabelle IV nach
17 Tagen nochmals zu untersuchen: bei No. 4, 5 und 8 war der
Befund der gleiche; bei No. 2 hatten jetzt die Blutkörperchen den
Typus A (früher C), das Serum zeigte kein Agglutinin (früher
Typus B). Es scheint somit, dass in den ersten Lebensmonaten
mitunter auch wieder Itiickbildung eines der Agglutinine (hier
Körper B) erfolgen kann.
Die Frage, auf welche Weise die Agglutinine in das Serum
gelangen, müssen wir freilich unbeantwortet lassen.
Dass man Krankheitsprozesse als solche nicht zur Erklärung
heranziehen kann, wurde gezeigt. Die Meinung A s c o 1 i’s und
Eise über g’s, das Phänomen würde durch den pathologischen
Blutzerfall hervorgerufen, müsste man wegen des Vorkommens
bei Neugeborenen auf den physiologischen Blutzerfall über¬
tragen.
Doch stehen dieser Annahme verschiedene Bedenken gegen¬
über, auf die zum Theil schon II a 1 b a n und Landsteiner
hingewiesen haben.
So müsste man entsprechend dem Doppelcharakter der ag¬
glutinirenden Substanz eine primäre Differenzirung der Erythro¬
cyten in 2 resp. 3 Typen annehmen.
Es wäre ferner schwer einzusehen, wieso Fälle möglich sind,
wo die Agglutinine bei älteren Personen vollständig fehlen und
wieso überhaupt nicht bei jeder Spezies Isoagglutinine auftreten.
Wir konnten wenigstens bei Hunden, Meerschweinchen und Ka¬
ninchen keine nachweisen.
Freilich müssen wir hier gemäss unserer oben auseinander-
gesetzten Anschauung über das Auftreten einer Selbstimmuni-
sirung der Erythrocyten durch die Isoagglutinine zugeben, dass der
Nachweis von isoagglutinirenden Substanzen im Blute einer Spe¬
zies abhängig sein muss vom Vorhandensein von mindestens zwei
verschiedenen solchen Körpern. Denn ist bei allen Individuen
der Spezies nur ein und dasselbe Agglutinin vorhanden, so könnte,
die Immunisirung der Erythrocyten zugegeben, kein Serum auf
das Blut eines anderen Vertreters derselben Art einwirken, da
dessen Blutkörperchen ja gegen dasselbe Agglutinin ebenfalls re¬
sistent sind. Der Nachweis wäre höchstens möglich bei Prüfung
von Blut ganz junger Individuen mittels Serum von älteren.
Endlich wäre doch zu erwarten, dass durch den Zerfall von
Zellen nicht nur Agglutinine, sondern auch Hämolysine, und
zwar mit demselben typischen Verhalten wie erstere, entstünden.
Dem ist aber nicht so. Ebenso wie Eisenberg konnten auch
wir (bei der Beobachtung im hängenden Tropfen) niemals eine
ausgesprochene hämolytische Wirkung eines Serums erkennen.
Wir möchten uns also der Meinung, die Isoagglutinine ent¬
stünden durch den normalen Blutzerfall, nicht anschliessen s).
Es erscheint uns vielmehr, gleich H a 1 b a n, naheliegender, diese
Körper mit anderen im normalen Serum enthaltenen Aggluti-
ninen (für verschiedene Bakterien, sowie für die Blutkörperchen
anderer Spezias etc.) in nächste Beziehung zu bringen. Wir
haben schon darauf hingewiesen, dass ihre Intensität etwa die
gleiche ist.
Es sei noch hervorgehoben, dass wir während einer etwa
4 monatlichen Beobachtungszeit bei zahlreichen Nachuntersuch¬
ungen bei Erwachsenen niemals eine Aenderung des Bluttypus
gesehen haben.
s) Audi K r a u s und Ludwig [17] gelangen in einer eben
erschienenen Arbeit (Wiener klin. Wochenschr., No. 15) auf experi¬
mentellem Weg zu dem gleichen Schluss.
1. Juli 1902.
MUEN CIIENER MED IC INI SC ILE WOCIIENSCIIRI FT.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen sieh in folgen¬
den Sätzen zusammenfassen :
1. Bei der weitaus überwiegenden Mehrzahl von gesunden
und kranken Personen im Alter von mehr als 6 Monaten ent¬
hält das Serum Isohämagglutinine. (Unter 155 untersuchten
Personen fanden sich 4 Ausnahmen = 2,5 Proz.)
2. Das von Landsteiner beschriebene typische Verhalten
von Serum und Blutkörperchen ist sowohl bei Gesunden als
Kranken regelmässig und in gleicher Weise nachweisbar.
3. Ausnahmen bestehen nur im gänzlichen Fehlen der Iso-
agglutinine und der spezifischen Unempfindlichkeit der Erythro-
cyten.
4. Der Isoagglutination kommt keinerlei diagnostische Be¬
deutung zu.
5. Bei Neugeborenen und Kindern unter 6 Monaten zeigen
sich sehr oft scheinbare Abweichungen vom typischen Verhalten,
die sich durch die Annahme erklären lassen, dass die Agglutinine
primär im Serum auftreten und sekundär eine Veränderung
(Immunisirung) der rothen Blutkörperchen bewirken.
6. Der physiologische und pathologische Blutzerfall dürfte
nicht als Ursache des Auftretens der Isoagglutinine anzusehen
sein.
7. Die Geldrollenbildung hat mit der Wirkung der Isoagglu-
l inine nichts zu tliun.
Wien, April 1902.
Litera t u r.
1. K. La ud steiner: Zur Kenntniss der antifermentativen,
lytischen und agglutinirenden Wirkungen des Blutserums und der
Lymphe. Centralbl. f. Bakt., Bd. XXVII, p. 361. — 2. ghattock:
Journ. of Fatli. and Baet. 1900. — 3. Donath: Wiener klin.
Wochenschr. 1900, p. 497. — 4. A s c o 1 i: Münch, med. Woclienschr.
1901. ]). 1239. — 5. Camus und Pagniez: Compt. rend. de la
soc. de Biologie 1901, ]). 242. — 0. Eisenberg: Wiener klin.
Wochenschr. 1901, p. 1020. — 7. Lo Monaco-Panichi: lien
die. delle B. Acead. dei Lincei, 1(5. Dez. 1900. Bef. in Centralbl. f.
allg. Path. u. patli. Anat. 1901, XII, p. 33S. — 8. Grixoni: Gaz.
degli osped. 1901. No. 57. Bef. in Centralbl. f. inn. Med. 1901,
p. 934. — 9. Grünbau m: British med. Journ. 1900, p. 1089. —
10. H a 1 b a n : Wiener klin. Wochenschr. 1900, No. 24. — 11. Land¬
steiner: Wiener klin. Wochenschr. 1901, No. 4(5, pag. 1132. — •
12. Kraus und Clairmont: Wiener klin. Wochenschr. 1900,
ibid. 1901, No. 13. — Pick: Hofmeisters Beitr. z. ehern. Phys. u.
Fatli. 1901 u. 1902. — 14. Glay et Cannes: Semaiue medicale 1898,
No. 7. — 15. Kos sei: Berl. klin. Wochenschr. 1898, No. 7. —
1(5. Tschistovitch: Annal. de l’institut Pasteur 1899, No. 5.
— 17. Kraus und Ludwig: Wiener klin. Wochenschr. 1902,
No. 15.
Ueber Wanderherz.
Von Dr. med. Leusser in Bad Kissingen.
Ich möchte in nachstehenden Zeilen das Interesse der Herren
Kollegen auf eine unter gewissen Verhältnissen eintretende Ver¬
lagerung des Herzens hinlenken, die bisher in der Literatur nur
vereinzelte Erwähnung und Beachtung gefunden hat, aber doch
nicht so selten ist und häufig Veranlassung zu recht unan¬
genehmen und quälenden Symptomen geben kann. Man hat
diesen Zustand mit verschiedenen Namen belegt und als
Wanderherz, bewegliches Herz, abnorme Be¬
weglichkeit des Herzens, allzu bewegliches
Herz, Kardioptose beschrieben.
Es wird nicht überflüssig erscheinen, gleich hier zu be¬
merken, dass es sich hiebei nicht um organische Veränderungen
des Herzens oder um Verlagerungen des letzteren in Folge von
perikardialem Exsudat, Pneumothorax, Schrumpfung und In¬
filtration der Lungen, pleuritischem Exsudat, Ascites und Tu¬
moren handelt, sondern dass das Herz zumeist an sich voll¬
kommen gesund ist, aber bei bestimmter Körperlage eine mehr
weniger hochgradige Beweglichkeit aufweist.
Dem diagnostischen Scharfblick Bamberge r’s war dies
schon nicht entgangen : Er sagt S. 51 seines Lehrbuches über
Krankheiten des Herzens : „Endlich ist noch zu erwähnen, dass
das Herz einen gewissen Grad von seitlicher Verschiebbarkeit be¬
sitzt ; bei vielen Menschen wenigstens kann man durch die linke
Seitenlage die Herzspitze um ein nicht unbeträchtliches nach
links verschieben; bei mir selbst beträgt diese Verschiebbarkeit
sogar volle 2“, in der Regel aber ist sie viel geringer“. Und !
1095
Gerhardt') fand bei diesbezüglichen Untersuchungen, dass
bei linker Seitenlage der Spitzenstoss um 114 — 7, im Mittel aus
16 Fällen um 314 cm weiter nach aussen trat, als er vorher zu
fühlen war.
In der Literatur fand ich erst aus dem Jahre 1887 wieder
eine Arbeit Cherchewsk y’s ") über diesen Gegenstand, der
sich im Jahre 1888 ein Vortrag Rumpfs1 2 *) gelegentlich des
7. Kongresses für innere Medizin, „Ueber Wanderherz“, anschloss.
Im Jahre 1889 veröffentlichte hierüber Pick4) seine Beobach¬
tungen, dann folgten 1899 Hoffman n’s 5 * * * 9), 1900 R u m m o’s °)
und 1901 S c h m i d t’s ‘) Arbeiten über dasselbe Thema.
Angeregt durch einen Kollegen, der an sich selbst eine be¬
deutende Verschiebung des Spitzenstosses bei linker Seitenlage
konstatirt hatte und wegen nervöser Herzsymptome in meine Be¬
handlung trat, richtete ich meine besondere Aufmerksamkeit auf
diese Anomalie und begegnete unter etwa 400 Fällen
6 hochgradigen Verschiebungen des Herzens bei linker Seitenlage
im Zusammenhänge mit nervösen Herzsymptomen.
Die Untersuchungen wurden in aufrechter Körperstellung,
auch mit Vorneüberbeugen des Körpers, dann in Rückenlage und
in linker Seitenlage vorgenommen. Selbstverständlich habe ich
hei meinen Beobachtungen darauf besonders Bedacht genommen,
jegliche organische Erkrankung des Herzens und seine Lagever¬
änderung durch Affektionen der Nachbarorgane, wie des
Knochenskelets auszuschliessen. Maassgebend für die Diagnose
erschien mir neben der Dämpfungsfigur des Herzens hauptsäch¬
lich das Verhalten des Spitzenstosses in den verschiedenen Kör¬
perlagen. Ich finde auch bei Hoff mann (1. c.) angegeben,
dass die Konstatirung des Spitzenstosses das Sicherste für die
Diagnose ist und stimme ihm bei, dass er wegen der eventuellen
Kompression der Lunge bei linker Seitenlage und der Schwierig¬
keit der Untersuchung die Perkussion für weniger sicher hält.
Trotzdem habe ich letztere nicht vernachlässigt und in den von
mir beobachteten Fällen konstatiren können, dass die Herz¬
dämpfung sich in Form eines Dreiecks nach aussen und oben
verschob, dessen iiussere Spitze mit dem Spitzenstosse zusammen¬
fiel. Verschiebungen des Herzens um 1 — 2 cm habe ich nicht in
den Kreis meiner Beobachtungen gezogen. Denn alle Autoren
stimmen darin überein, dass solche geringfügige Verschiebungen
noch dem Normalen zuzurechnen sind und nicht selten bei voll¬
kommen gesunden Menschen Vorkommen. Es wird in derartigen
Fällen wohl auch nie zu Erscheinungen kommen, die sich auf. die
geringe Lageveränderung zurückführen lassen. So konnte
Pick (1. c.) unter 1000 untersuchten Fällen in etwa 6 Proz.
eine Verschiebung des Spitzenstosses um IV» — 2 cm nacliweisen.
Oherchewsky berichtet (1. c.), dass er bei ganz Gesunden
eine Verschiebung bis zu 3 cm gesehen hat, die er noch für
normal hält. R ump f (1. c.) hat eine mit linker Seitenlage ein¬
hergehende Seitwärtsbewegung des Spitzenstosses um 3 cm nur
ganz vereinzelt, und eine solche von 2 cm bei Gesunden auch
nur in geringer Zahl beobachtet. Beträgt aber die Verschiebbar¬
keit des Spitzenstosses bei linker Seitenlage mehr als 3 cm und
bestehen zugleich die im Nachfolgenden geschilderten Erschei¬
nungen von Seiten des Herzens, so darf man wohl von einer
Anomalie in der Statik des Herzens sprechen und vielleicht mit
Recht die bestehenden Beschwerden auf erstere zurückführen.
B e o b a e h t ungen:
1. C., 31 Jahre alt, klagt über Anfälle von nervösem Herz¬
klopfen mit leichtem Bekleminungsgefülil. Erscheinungen, die be¬
sonders nach Tisch, wenn Patient schlafen will, auftreten. Er
kann nicht auf der linken Seite liegen, auch rechts nicht gut; die
Rückenlage ist ihm die bequemste. Im Uebrigen fühlt sich Patient
gesund. Appetit und Schlaf sind gut. Obstipation.
9 Gerhardt: Der Stand des Diaphragmas. Tübingen 18(50.
S. 31.
2) Oherchewsky: La mobilite du coeur et sa valeur dia-
gnostique. Gaz. med., Paris 1887.
9 It u m p f : Ueber Wanderherz. Verhandlungen des 7. Kon¬
gresses f. innere Medizin 1888, S. 221.
4) Pick: Ueber das bewegliche Herz. Wiener klin. Woclien-
schr. 1889, S. 747.
9 H offmann: Verhandlungen des 16. Kongresses f. innere
Medizin 1897, und Wiener med. Wochenschr. 1899, No. 12.
9 B u m m o: Deutsche med. Wochenschr. 1900, V. 228.
9 Schmi d t: Deutsche med. Wochenschr. 1901, No. 16, S. 242.
4*
1090
No. 2(5.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Befund: Kräftiger Mann mit gesunden Lungen. Herzgrenzen
nornnil, Herztöne rein; Spitzenstoss kräftig, im 5. Interkostal-
raum, ist bei der Untersuchung im Stehen und in Rückenlage 2 cm
innerhalb der Mammilla zu fühlen. Bei linker Seitenlage tritt er
aber deutlich fühlbar um ebensoviel nach aussen von der Mammilla
und verschwindet an der früheren Stelle, die er erst wieder bei
Rückenlage einnimmt. Leber nicht vergrössert, Magenthiitigkeit
normal. Periphere Arterien ohne Veränderung. Puls regelmässig,
kräftig, (18 Schläge p. M. Urin frei von Eiweiss und Zucker.
2. .T., 41 Jahre alt, massiger Trinker und Raucher, leidet seit
seiner Jugend an Herzklopfen, ist sehr leicht erregbar, ermüdet
rasch, schläft schlecht. Im Jahre 1899 während des Essens eine
Attaque von Herzklopfen, Angstgefühl mit Ohnmachtsanfällen
und Erblassen der Haut, Schwindel, Dyspnoe. Appetit miissig,
Stuhl gut. Patient — Arzt — fühlt deutlich die Verrückung des
Herzschocks nach aussen bei linker Seitenlage.
Befund: Mittelkräftiger Mann mit lebhaften, unruhigen Be¬
wegungen zeigt deutlich das Bild des Neurasthenikers. Die
Lunge und die übrigen Organe sind gesund. Herzgrenzen normal,
Herztöne rein. Spitzenstoss im Stehen und Liegen auf dem Rücken
etwas innerhalb der Mammilla zu fühlen, rückt bei linker Seiten¬
lage sofort um mehr als 3 cm nach aussen von der Mammilla.
Wird die Rückenlage wieder eingenommen, tritt auch der Spitzen¬
stoss wieder an seine frühere Stelle. Fühlbare Arterien nicht
atlieromatös. Puls liegend 72, stehend 92. Urin frei von Zucker
und Eiweiss.
3. Frau IL, 41 Jahre alt, bekam vor 17 Jahren zum ersten Mal
in Folge von psychischer Aufregung Krämpfe. Vor 8 Jahren
zweimal wegen Bleichsucht in Schwalbach. Gegenwärtig während
der Nacht und manchmal auch bei Tage Aussetzen des Pulses,
Schmerzen in der Herzgegend (die Anfälle dauern oft 3 Stunden
lang). Das Liegen auf der linken Seite ruft sofort diese Erschei¬
nungen hervor und ist desshalb nicht möglich. Appetit gut. Darm
träge.
Befund: Ziemlich kräftige Dame von etwas blasser Gesichts¬
farbe. aber guter Konstitution und lebhaften Temperaments.
Lungen gesund, Herzgrenzen normal, Herztöne rein. Spitzen¬
stoss bei Rückenlage und im Stehen innerhalb der Mammillarlinie,
tritt bei linker Seitenlage in die vordere Axillarlinie, von der er bei
Rückenlage wieder an die frühere Stelle zurückkehrt. Die übrigen
Organe zeigen keine Anomalien. Puls liegend 78, stehend 92.
Urin frei von Eiweiss und Zucker.
4. Z., 51 Jahre, leidet seit seinem 16. Lebensjahre an Herz¬
klopfen mit rascher Ermüdung. Später traten dazu Angstgefühl,
hypochondrische Verstimmung, leichte Erregbarkeit, die bis heute
andauern. Treppen- und Bergsteigen strengt an. Kein Schwindel,
keine Ohnmacht. Appetit und Verdauung sehr gut, Schlaf ebenso,
muss sich aber rechts oder auf den Rücken legen. Nach Tisch
leicht Herzklopfen. Massiger Trinker und Raucher.
Befund: Gesund aussehender, kräftiger Mann mit gesunden
Lungen. Herzgrenzen normal, Herztöne rein, Herzthätigkeit be¬
schleunigt, manchmal aussetzend. Spitzenstoss an normaler Stelle,
rückt bei linker Seitenlage sofort in die vordere Axillarlinie. Leber
normal. Puls stehend und liegend 100.
5. B.. 49 Jahre. Vor 14 Jahren Pneumonie mit Pleuritis serosa.
Vor 5 Jahren Influenza, ebenso 1901. klagt jetzt über Herzschwäche
mit intermittirendem Puls. Kein Husten. Patient — Arzt — fühlt
seit lange bei linker Seitenlage den Spitzenstoss in der vorderen
Axillarlinie, besonders auch bei Linksliegen mit angefülltem
Magen. Das Intermittiren tritt besonders Früh und nach dem
Essen auf. Appetit mässig, Verdauung sehr unregelmässig, Schlaf
sehr gut. Abnahme in den letzten Monaten 15 — 20 Pfd. Der Puls
soll manchmal bis auf 48 Schläge p. AI. verlangsamt gewesen sein.
Befund: Magerer Mann. Ueber der linken Lunge hinten oben
kleinblasiges Rasselgeräusch. Residuen der ehemaligen Pleu¬
ritis, Retraktionen, Schrumpfungen nicht nachweisbar. Herz¬
töne rein. Herzthätigkeit beschleunigt, manchmal aussetzend.
Spitzenstoss an normaler Stelle, rückt bei linker Seitenlage in die
vordere Axillarlinie. Leber und Magen leicht druckempfindlich.
Milz nicht vergrössert. Puls liegend 76, stehend 100 Schläge p. M.
Urin: Spez. Gewicht 1020, frei von Zucker und Eiweiss.
6. C.. 39 y2 Jahre, hatte im Jahre 1S87 Lungenentzündung,
mehrere Male Influenza, zuletzt Ende Dezember 1900 Magen- und
Darmstörungen. Seit der letzten Influenza angeblich Herzerschei¬
nungen: Herzklopfen, Schwindel, 2 mal kollapsartige Zustände (Be¬
klemmung. Schmerzen und Stiche in der Herzgegend. Kurzathmig-
keit. besonders bei physischer Anstrengung und psychischer Altera¬
tion. Schwächegefühl, Pulsverlangsamung bis zu 53 Schläge p. M.).
Für gewöhnlich keine Beklemmung, keine Arrhythmie. Leichte
Erregbarkeit des Herzens besteht schon seit langen Jahren.
Schlafen auf der linken Seite nicht möglich. Im Allgemeinen
Schlaf gut. Appetit ebenso, nur bei Aufregungen nervöses Auf-
stossen und Blähungen.
Befund: Kräftiger, blasser Mann mit gesunden Lungen. Herz¬
grenzen normal. Herztöne rein. Spitzenstoss im Stehen und in
Rückenlage an normaler Stelle, verschiebt sich bei linker Seiten¬
lage sofort bis zur vorderen Axillarlinie und verschwindet an der
früheren Stelle, an die er bei Rückenlage wieder zurückgeht. Milz
und Leber normal. Unterleib nicht druckempfindlich.
Gerhardt (1. c.) wie auch Rumpf (1. c.) berichten, dass
ebenso wie bei Linkslage auch bei Rechtslage eine Verschiebung
des Herzens zu Stande kommt, die jedoch nicht so ausgesprochen,
wie links ist und nach Gerhardt nur bei Kindern und gesunden
jungen Männern die Grösse der linksseitigen Verschiebung
tibertrifft. Die Perkussionsverhältnisse sind hier wegen des
Sternums etwas schwierige und verlangen ein sehr gewandtes
und geübtes Ohr, um Täuschungen auszusclili essen. Ich habe
darum weniger Gewicht auf den Nachweis einer Verschiebung
des Herzens nach rechts bei rechter Seitenlage in meinen Be¬
obachtungen gelegt und mich, wie bereits oben erwähnt, zur
Sicherstellung der Diagnose vor Allem auf das Verhalten des
Spitzenstosses in Rücken- und linker Seitenlage verlassen, sobald
die Perkussion des Herzens in aufrechter und horizontaler Lage
vollkommen normale Verhältnisse ergeben hatte. In den meisten
Fällen gibt der Spitzenstoss bei rechter Seitenlage keine Auf¬
klärung über die Verschiebung des Herzens nach rechts, weil er
in der Regel bei Einnahme dieser Stellung verschwindet, und die
genaue und vollkommen sichere Bestimmung der rechten Herz¬
grenze bei Rechtslage durch Perkussion ist, wie gesagt, sehr er¬
schwert wegen des Sternums. Die Verschiebung des Herzens
nach rechts scheint auch nur in ganz seltenen Fällen Be¬
schwerden hervorzurufen, während diese bei linksseitiger Ver¬
schiebung in beträchtlicher Ausdehnung sehr hervorstechende
sein können. So wurde in den meisten Fällen meiner Beobach¬
tungen linke Seitenlage absolut nicht vertragen (Gleiches be¬
richtet von seinen Kranken Pick8 *) und Rumpf0), während
rechte Seitenlage fast stets ohne Belästigung eingenommen
werden konnte.
Ueber die Ursache der Verschieblichkeit des Herzens hat
man verschiedene Hypothesen aufgestellt. Für Verlagerungen
geringeren Grades nimmt Bamberger10) an, dass die Lunge,
vorausgesetzt, dass keine Adhäsionen vorhanden sind, durch das
Gewicht des Herzens von der Brustwand weggedrückt wird. Für
ausgedehntere Verschiebungen aber ist diese Annahme nicht mehr
hinreichend. Und so glaubt Clierchewsky (1. c.) für das
Zustandekommen der stärkeren Verschieblichkeit des Herzens
eine abnorme Schlaffheit der Gefässe verantwortlich machen zu
müssen. Rumpf (1. c.) sieht in beträchtlicher Abmagerung, wie
sie besonders bei energischen Entfettungskuren beobachtet wird
und dem damit einhergehenden Verluste perikardialen und
abdominellen Fettes eine wesentliche Ursache der abnormen Be¬
weglichkeit des Herzens. Von 5 Fällen sah er 3 mal direkt
nach einer Entfettungskur und 1 mal im Anschluss an ander¬
weitig bedingte hochgradige Abmagerung die abnorme Verschieb¬
lichkeit des Herzens mit ihren Symptomen auf treten. Besonders
instinktiv hierfür erscheint die von genanntem Autor sehr aus¬
führlich geschilderte Krankengeschichte eines 30 jährigen Bier¬
brauers, der nach einer sehr energischen Entfettungskur von
239 Pfund auf 153 Pfund innerhalb 1 Jahres herabgekommen
war und nach Erlangung eines Körpergewichtes von über
200 Pfund nicht nur alle sehr ausgesprochenen Symptome, son¬
dern zugleich auch die ganz enorme Verschieblichkeit des
Herzens mit der Rückkehr des ehemals sehr reichlichen Ab¬
dominalhöhlenfettes wieder verloren hatte. Es würde zu weit
führen, diesen Fall in extenso hier wiederzugeben; wer sich für
denselben interessirt, möge ihn im Original nachlesen.
Auch bei mehreren Fällen von weitvorgeschrittener Lungen¬
tuberkulose mit bedeutenden Gewichtsverlusten und einem Falle
von progressiver Muskelatrophie, die zu hochgradigem Schwund
des Fettgewebes geführt hatte, konnte Rumpf eine ganz be¬
trächtliche Verschiebung des Spitzenstosses und der Dämpfungs¬
figur des Herzens konstatiren und findet hierin eine weitere
Stütze für seine Annahme der Entstehung des allzubeweglichen
Herzens.
II o f f m a n n (1. c.) glaubt, dass es sich bei der abnormen
Beweglichkeit des Herzens um erworbene Verhältnisse entweder
sekundärer Natur (die leichte Anspruchsfähigkeit des Organs
führt zu stärkerer Reaktion und dauernder Dehnung der Gefässe)
oder primärer Natur (die bei nervöser Erki*ankung alterirte
Ernährung der Gefässe ruft eine abnorme Dehnung der grossen
Gefässe hervor) handelt.
8) 1. c. S. 771.
D) 1. c. S. 228.
10) 1. c. S. 51.
1. J uli 1902.
MUENCHENEH MED1C1NISCI3 E WO( UIENS01IR1FT.
Tv u m m o nimmt an, dass in Folge einer primären Locke¬
rung der Aufhängebänder des Herzens letzteres aus seiner nor¬
malen Lage auf das Diaphragma herabsinkt. Diese „K a r d i o -
p t o s e“ könne eine partielle oder totale sein; bei letzterer liege das
Ilerz vollkommen auf dem Zwerchfell auf und neige sich zugleich
nach der linken Seite. Das Herabsinken des Herzens bedinge
aber eine Erweiterung der Aorta und besonders des Arcus aortae.
Doch habe diese Erscheinung nichts zu thun mit der Visceral-
ptose, ebensowenig mit der Arteriosklerose. Nach seinen Be¬
obachtungen trete sie schon in jugendlichem Alter auf und werde
begünstigt durch einen langen Thorax, schwache Muskeln, ge¬
ringes Fettpolster und gracilen Knochenbau.
In meinen Beobachtungen hatte ich fast durchweg mit schon
von Haus aus mehr weniger nervösen Patienten zu thun. Die
nervösen Herzbeschwerden — jegliche andere frühere organische
Erkrankung des Herzens wurde von allen Patienten in Abrede
gestellt und konnte auch objektiv nicht nachgewiesen werden —
machten sich bei den Meisten schon seit lange, ja in frühester
Jugend bereits, bemerkbar. Besonders Fall 3 legt mir die Ver-
muthung nahe, dass bei der Entstehung der Verschiebbarkeit
des Herzens zum Mindesten eine erbliche Disposition eine Rolle
spielt. Zufällig hatte ich nämlich auch den Vater der dorten
erwähnten Patientin in Behandlung. Derselbe litt an starken
neurasthenischen und neuralgischen Beschwerden und ausserdem
noch an einer ausgebreiteten Arteriosklerose. Beim Liegen auf
dem Rücken und im Stehen war der Spitzenstoss innerhalb der
Mammilla hebend und etwas verbreitert zu fühlen. Die Herz¬
grenzen waren normal. Puls liegend 72, stehend 84. Bei linker
Seitenlage rückte der Spitzenstoss 3 cm nach auswärts von der
Mammilla und verschwand an der früheren Stelle. Sollte man
hier nicht an eine Vererbung von Vater auf Tochter denken
dürfen? Ich habe diesen letzteren Fall nicht unter meine Be¬
obachtungen aufgenommen und erwähne ihn hier nur gelegent¬
lich des Aetiologienachweises des allzu beweglichen Herzens
nebenbei. Ferner wird mir von dem Kollegen, den der Fall 6
betrifft, angegeben, dass sowohl sein Vater, als auch ein Onkel
und 2 Brüder an ganz ähnlichen Erscheinungen litten, wie er.
Diese Angabe ist freilich etwas vage und ich weiss auch nicht,
ob der Kollege seine Familienangehörigen eingehend auf die in
Rede stehende Anomalie untersuchte, ich möchte es fast be¬
zweifeln. Immerhin aber glaubte ich, diese Angaben aus dem
Munde des Kollegen notiren zu müssen. Wenn sie auch nicht
direkt für eine familiäre Aflfektion bezüglich der leichten Ver¬
schiebbarkeit des Herzens sprechen, so sagen sie uns doch immer¬
hin, dass gleiche nervöse Herzsymptome bei verschiedenen
Familienmitgliedern bestehen, die die Vermuthung einer gleichen
Ursache nahe legen.
Nur in Fall 5 konnte ich mit dem Auftreten der Herzerschei¬
nungen zugleich auch eine Abmagerung von 15 — 20 Pfund kon-
statiren. Es ist immerhin denkbar, dass dadurch die Verschieb¬
barkeit des Herzens begünstigt und unterstützt wurde. Allein
durch das Schwinden des Fettpolsters wurde sie sicherlich
nicht hervorgerufen, denn Pat. gibt an, dassi er schon seit
lange den Herzschock bei Linkslage in der vorderen Axillarlinie
fühlte.
Recht auffallend in meiner kleinen Beobachtungsreihe ist
gewiss der Umstand, dass fast alle Kranke das Stigma der Neur¬
asthenie an der Stirne trugen. Auch H o f f m a n n gibt an,
dass gerade bei Neurasthenikern eine auffallende Beweglichkeit
des Herzens zur Beobachtung komme. Ich wage bei meinen
wenigen Fällen nicht zu entscheiden, ob die Neurasthenie oder
die abnorme Beweglichkeit des Herzens das Primäre ist; das
kann erst durch eine grössere Reihe von Beobachtungen und
Untersuchungen in sehr frühem Alter genau festgestellt werden.
Fast in allen von mir beobachteten Fällen kehrt als kon¬
stantes, auch von anderen Autoren angegebenes Symptom bei der
leichten Verschiebbarkeit des Herzens immer wieder das Un¬
vermögen, auf der linken Seite zu liegen, wieder.
Ja, es treten sogar in besonders schweren Fällen (Rumpf)
direkt mit linker Seitenlage Athemnoth und Beklemmung auf.
Weitere von mir registrirte und auch anderweitig beobachtete
Symptome sind diejenigen der Neurasthenia cordis in ver¬
schiedenen Abstufungen. Sie bestehen in Herzklopfen, Angst-
No. 26.
1097
gefühl, leichterer oder stärkerer Beklemmung, Schwerathmigkeit
und Athemnoth, Schwindel, Ohnmachtsanwandlung, Schmerzen
und Stiche in der Herzgegend, Unregelmässigkeit, Beschleuni¬
gung oder Verlangsamung des Pulses, leichte Erregbarkeit des
Herzens, rasche Ermüdung. Alle diese Symptome schwinden in
der Regel rasch, wenn ruhige Rückenlage eingenommen wird.
Appetit und Schlaf beim Liegen auf der rechten Seite oder dein
Rücken werden meist als gut bezeichnet. In Fall 5 und 6 meiner
Beobachtungen waren auch gleichzeitig Magen- und Dann-
störungen und in ersterem beginnende Phthise vorhanden. Ich
verkenne nicht, dass die Erscheinungen von Seiten des Herzens
auf reflektorischem Wege auch von diesen Affektionen, wenig¬
stens zum Theil, ausgelöst werden konnten. In Fall 6 bestanden
sie aber noch ebenso fort, obwohl bereits die Magen-Darm¬
störungen beseitigt waren; ebenso war dies in Beobachtung 1 der
Fall, wo Obstipation leichteren Grades da war.
Zur Sicherstellung der Diagnose ist es nothwendig, die
Untersuchung des Herzens zuerst in aufrechter Stellung, event.
noch mit Vornüberbeugen des Körpers, in Rückenlage und Seiten¬
lage nach links, vorzunehmen. Auch mit der Untersuchung in
rechter Seitenlage kann ein Versuch gemacht werden, doch wird
diese nicht immer unzweideutige genaue Aufschlüsse geben
können aus Gründen, die bereits oben erörtert wurden. Es ist
selbstverständlich, dass zur Erlangung der richtigen Diagnose
alle organischen Erkrankungen des Herzens, wie Hypertrophie,
und Dilatation, Herzinsuffizienz in Folge von Myokarditis,
Arteriosklerose u. a., perikardiales Exsudat, sowie Affektionen
der Nachbarorgane, Schrumpfungen und Infiltrationen an¬
grenzender Lungentheile, Pleuritis, Tumoren der Brust- und
Bauchhöhle, Ascites u. dergl. mit Sicherheit ausgeschlossen
werden müssen.
Wenn die Dämpfungsfigur des Herzens
bei aufrechter Körperstellung und Rücken¬
lage vollkommen normal ist, sich dann die
Linkslage zugleich mit einem deutlich nach¬
weisbaren lufthaltigen Schallbezirk zwi¬
schen Sternum und der früheren Herzdämpf-
u n g und mit dem gleichzeitigen Verschiebe n
des vorher an normaler Stelle innerhalb der
Mammilla befindlichen Herzschocks um
einige Centimeter nach aussen von der Mam¬
milla verrückt und nach Einnahme, der
Rückenlage und der aufrechten Körper-
•ste'llung die früheren normalen Verhältnisse
in Herzdämpfung und Spitzenstoss wieder
zurückkehren, so darf wohl eine Volums¬
zunahme des Herzens, die die Herzdämpfung
bei Linkslage Vortäuschen könnte, als nicht
bestehend betrachtet und die Diagnose
„W an der herz“ als sichergestellt angesehen
werden.
Ein perikardiales Exsudat wird sich ausschliessen lassen,
wenn 1. der Spitzenstoss gleich kräftig und deutlich, wie an der
früheren normalen Stelle, und am äussersten Punkt der bei
Linkslage veränderten Dämpfungsfigur nachweisbar ist und
2. die Herzdämpfung auch beim Stehen und Vornüberbeugen
keine Vergrösserung erfährt (Gerhardt).
Es wird ausserdem in den meisten Fällen nicht schwer sein,
differentialdiagnostisch eine Lageveränderung des Herzens in
Folge von anderen, oben bereits mehrfach berührten Affektionen
der Nachbarorgane auszuschliessen. Bezüglich der hierbei in
Frage kommenden Merkmale verweise ich auf die Lehrbücher.
Die Prognose des allzu beweglichen oder Wanderherzens ist
selbstverständlich keine ungünstige quoad vitam. Immerhin
kann dasselbe aber fiir’s ganze Leben zur Qual werden und das
Gefühl vollkommener Gesundheit nicht aufkommen lassen.
Hinsichlich der Therapie ist nun in dem eklatanten Falle
von Rumpf ein deutlicher Fingerzeig gegeben. Energische
Entfettungskuren sind zu vermeiden und wo es bereits in Folge
dieser zu einem Wanderherzen gekommen ist, wird es unsere
Aufgabe sein, durch Wiederersetzen des geschwundenen peri¬
kardialen und abdominellen Fettansatzes die früheren Gewichts¬
verhältnisse zurückzuführen. Handelt es sich aber um allgemeine
K
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHEN SCHRIET.
No. 26.
100S
neurasthenische Zustände, so ist durch ein diätetisch-physi¬
kalisches Regime gegen diese vorzugehen und darauf Bedacht
zu nehmen, dass die erhöhte Reizbarkeit des Herzens eine Herab¬
minderung erfährt. Es wird in solchen Fällen neben der
physischen auch die psychische Diätetik berücksichtigt werden
müssen. Es ist selbstverständlich, dass auch auf Affektionen
des Darmes und Magens die besondere Aufmerksamkeit bei der¬
artigen Patienten zu richten ist. Sie werden bei der leichten Ver¬
schiebbarkeit des Herzens um so eher unter reflektorischen Ein¬
flüssen von diesen Organen her zu leiden haben. Jede Ueber-
fiillung des Magens und Darmes, jede Verdauungsstörung wird
auch zu Störungen von Seiten des Herzens führen. Auch eine
sitzende Lebensweise wirkt sehr ungünstig auf . diese Patienten
ein.
Ebenso wie bei nervösen Herzstörungen aus anderen Ur¬
sachen, habe ich auch bei diesen Kranken neben einem zweck¬
mässigen diätetischen Regime und nach dem eventuellen Ge¬
brauch kleiner Dosen Rakoczy’s kohlensaure Soolbäder von
allmählich kühlerer Temperatur hier nehmen lassen und mög¬
lichste körperliche und geistige Ruhe, nur unterbrochen von
leichten gymnastischen Uebungen oder nicht anstrengenden
Spaziergängen verordnet. Ich habe auf diese Weise bei einigen
Patienten meiner Beobachtungsreihe ganz gute Erfolge erzielt
und mit dem Besserwerden der allgemeinen neurasthenischen
Symptome auch ein Wenigerwerden der quälenden Erscheinungen
von Seiten des sich verlagernden Herzens beobachtet. Sehr oft
werden Kranke dieser Art von dem steten Gedanken gepeinigt,
dass sie an einem schweren Herzfehler, Myokarditis u. dgl. litten
und werden damit immer reizbarer und kränker. Gelingt es
einem, den Patienten davon zu überzeugen, dass die Affektion
völlig gefahrlos und die quälenden Symptome nur von der Lage¬
anomalie des Herzens ausgelöst würden, so kann man damit allein
schon, wie ich es in ein paar Fällen gesehen habe, eine bedeutende
Umstimmung zum Bessern erzielen.
Prothesen irgend welcher Art zur Festhaltung des Herzens
in seiner normalen Lage zu konstruiren und anzulegen, halte
ich für vollkommen verfehlt und sogar unter Umständen für
gefährlich. Sie beengen den Brustraum ohne anders als höch¬
stens vorübergehend suggestiv auf den Patienten zu wirken.
Von den für die eben beschriebene Affektion oder Anomalie
angegebenen Benennungen möchten mir der Kürze wegen die¬
jenigen von „Wanderherz“ oder „Kardioptose“ am meisten Zu¬
sagen. Ich weiss wohl, dass sie auch nicht vollkommen deckend
sind, aber wir werden dabei an ähnliche in der medizinischen
Terminologie schon vorhandene Bezeichnungen, wie Wander¬
niere, Wandermilz u. s. w., erinnert und wissen dann sofort, dass
es sich ebenso wie bei diesen um eine die Norm überschreitende
Beweglichkeit und Verschiebbarkeit des Organs handelt.
Zur Pathogenese des akuten Gelenkrheumatismus
Von Dr. Kollmann in Weilheim.
Ueber die Ursachen und die Entstehung des akuten Gelenk¬
rheumatismus hat sich bereits eine umfangreiche Literatur an¬
gesammelt, ohne jedoch bis jetzt sichere Aufschlüsse über Aetio-
logie und Pathogenese gebracht zu haben.
So viel darf ja wohl schon jetzt angenommen werden, dass
es sich beim akuten Gelenkrheumatismus um eine Infektions¬
krankheit handelt, und es wird in der That diese Ansicht auch
von allen Autoren, mit ganz verschwindenden Ausnahmen, ge-
theilt. Anders aber steht es schon mit der Frage nach der Natur
des Infektionserregers. Mit Sicherheit konnte bis jetzt noch kein
M ikroorganismus für seine Entstehung verantwortlich gemacht
werden und namentlich die eine Zeit lang viel genannten Sta¬
phylokokken und Streptokokken haben sehr an ihrer Bedeutung
eingebüsst. Wenn auch nicht in Abrede gestellt werden kann,
dass sie öfters bei sogen, akuten Gelenkrheumatismen gefunden
werden, so muss man doch andererseits in Erwägung ziehen,
dass Gelenkrheumatismen, bei denen sie im menschlichen Körper
gefunden wurden und künstliche Infektionsversuche mit diesen
Keimen bei Thieren mehr das Bild einer septischen Infektion
mit multiplen Gelenkschwellungen, als das eines typischen Ge¬
lenkrheumatismus zeigen. Ja, es erscheint sogar fraglich, ob
die hypothetischen Erreger des akuten Gelenkrheumatismus in
der Weise, wie wir es sonst von Bakterien gewohnt sind, für die
Entstehung des akuten Gelenkrheumatismus verantwortlich ge¬
macht werden können, oder ob es sich nicht um durch ihn ver¬
ursachte besondere toxische Momente handelt, durch die die Er¬
krankung herbeigeführt würde. Wenigstens spräche in diesem
Sinne die Thatsache, dass durch Einführung von Pferdeblut¬
serum in den menschlichen Körper das Bild eines akuten Ge¬
lenkrheumatismus erzeugt werden kann.
Noch unklarer als über die Natur des Krankheitseri’egers
sind wir über die Wege, auf denen derselbe in den menschlichen
Organismus dringt und über die Hilfsursachen, die die Krank¬
heitserscheinungen auslösen.
Wie bei den meisten Infektionskrankheiten wurde auch beim
akuten Gelenkrheumatismus die Verschiedenheit der Grund¬
wasserstände zur Erklärung der Infektion herbeigezogen. Nach
Newsholme soll Sinken des Grundwasserstandes Wuche¬
rung des „tellurischen Kontagiums“ des Gelenkrheumatis¬
mus bedingen ; auch P r i b r a m fand, dass bei niedrigem Grund¬
wasserstand der akute Gelenkrheumatismus sich am weitesten
ausbreitete und Noessl in München kam zu ähnlicher Fest¬
stellung. D a 1 1 o n führt die Erkrankung auf Kloakenmiasmen
zurück, eine Ansicht, die meines Wissens durch weitere Unter¬
suchungen noch nicht gestützt ist. Auch Vererbung spielt beim
Entstehen der Polyarthritis rheumatica eine gewisse Rolle, doch
nicht oder wenigstens nur sehr selten in dem Sinne, dass es sich
um direkte hereditäre Uebertragmig handelt, sondern dadurch,
dass eine ererbte Disposition die Infektion erleichtert.
Kältewirkung kann natürlich, sobald wir uns auf den infek¬
tiösen Standpunkt stellen, ebenso wie die übrigen meteoro¬
logischen Faktoren oder wie Beschäftigung, Ueberanstrengung
u. s. w. nur als Gelegenheitsursache wirken.
Dagegen bleibt noch ein Punkt zu erörtern übrig, das ist die
direkte Ansteckungsfähigkeit des akuten Gelenkrheumatismus,
sei es durch direkte Uebertragung von Person zu Person oder
durch einen Zwischenträger.
Die Fälle, die dafür zu sprechen scheinen, sind nur wenige;
vor Allem kommen in Betracht die von Schäfer und P o c o k.
Schäfer beschreibt einen Fall, in dem ein Kind einer an
Polyarthritis rheumatica erkrankten Frau am 3. Tage nach der
Geburt ebenfalls an typischem akutem Gelenkrheumatismus er¬
krankte.
Im Falle von P o c o k erkrankte das Kind 12 Stunden nach
der Geburt an akutem Gelenkrheumatismus, an dem auch schon
seine Mutter im letzten Monate ihrer Schwangerschaft gelitten
hatte.
In beiden Fällen besteht wohl kein Zweifel, dass es sich um
eine intrauterine Infektion gehandelt hat. Weniger klar liegen
die Verhältnisse bei den Fällen, die als beweisend für die Ueber-
tragbarkeit des akuten Gelenkrheumatismus von Person zu Person
bei Erwachsenen gelten sollen. Fiessinger glaubt auf das
Bestehen einer solchen Möglichkeit daraus schliessen zu können,
dass er seit einer Reihe von Jahren die Hälfte aller Erkrankungen
in nur 10 von 500 Häusern eines Ortes konstatiren konnte.
Auch Edlefsen erwähnt ein mehrfaches Vorkommen von
Gelenkrheumatismus in einzelnen Häusern Kiels und zwar nicht,
•wie man vielleicht anzunehmen geneigt wäre, in Miethskasernen,
sondern in kleinen und noch dazu älteren Häusern und zwar fand
er von 728 Fällen: 100 mal 2 Fälle im gleichen Hause, 27 mal
3 Fälle im gleichen Hause, je 5 mal 4 und 5 Fälle im gleichen
Hause und je 1 mal 6 und 7 Fälle im gleichen Hause. Edlefsen
selbst macht übrigens nicht Kontagiosität, sondern Bodenverhält¬
nisse für diese Erscheinung verantwortlich.
F e t k a m p sah, dass in einem Saale, in dem ein an Gelenk¬
rheumatismus leidender Kranker lag, fast gleichzeitig 6 andere
Kranke von diesem Heiden befallen wurden, neigt sich jedoch auch
zur Ansicht, dass weniger Ansteckung als der Einfluss meteoro¬
logischer Verhältnisse zur Erklärung herbeigezogen werden
müsse.
Beweisender als diese soeben angeführten Fälle erscheinen
mir die folgenden. Ueber den einen berichtet Thoresen. Nach
ihm war ein 2y3 Jahre alter Knabe an Gelenkrheumatismus er¬
krankt. Bald darauf befiel diese Krankheit auch seinen Vater,
der übrigens schon seit einigen Jahren an Gelenkrheumatismus
gelitten hatte und der mit dem Sohne in einem Bette schlief.
Auch Mantle führt 2 ähnliche Fälle an: In dem einen hatte
ein junger Mann seine an Gelenkrheumatismus leidende Geliebte
besucht und wurde kurz darauf von der gleichen Krankheit be¬
fallen. In dem anderen Falle wurden ein Vater und seine 2 Söhne,
die auf einer vereinsamten Farm wohnten, kurz nacheinander von
Gelenkrheumatismus ergriffen.
Diesen wenigen in der Literatur verzeiohneten Fällen möchte
ich einen von mir selbst beobachteten anreihen:
MÜENGHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
i. Juli 19Ö2.
Ein 29 Jahre alter Stationsdiener, der schon vor mehreren
Jahren einen akuten Gelenkrheumatismus durchgemacht hatte,
erkrankte am 29. November 1901 unter fieberhaften Erscheinungen
mit Angina und gleichzeitiger, entzündlicher, sehr schmerzhafter
Schwellung des Kniegelenks und starker, auch späterhin an¬
haltender Schweissekretion. Nach einigen Tagen ging unter
Salizylbehandlung die Schwellung des Kniegelenkes zurück, aber
dafür wurde unter gleichen Symptomen das linke Handgelenk
befallen. So ging der Prozess, zu dem sich auch noch eine Ent¬
zündung der Mitralklappe gesellt hatte, der Reihe nach auf das
rechte Knie- und Handgelenk und auf die beiden Fussgelenke
über. Erst gegen Anfang Januar wurden sämmtliche Gelenke
dauernd frei und allmählich wieder funktionsfähig. Es war also
das typische Bild eines akuten Gelenkrheumatismus gegeben.
Noch während der junge Mann nicht vollständig genesen war,
erkrankte am 27. Dezember 1901 seine Mutter ebenfalls unter
Fiebererscheinungen mit heftigen Schmerzen im rechten Knie¬
gelenke, das rasch entzündlich anschwoll. Daneben bestand eben¬
falls heftiger Schweissausbruch. Auch die Frau wurde mit Salizyl
behandelt. Nach 3 Tagen war das Kniegelenk abgeschwollen,
dafür aber das rechte Hand- und Ellenbogengelenk in der gleichen
Weise befallen. Noch während diese Gelenke nicht völlig abge¬
schwollen waren, sprang am 5. Januar 1902 der Prozess auf das
rechte Fussgelenk über. Am 10. Januar waren sämmtliche Ge¬
lenke wieder abgeschwollen und schmerzfrei und nach wenigen
weiteren Tagen auch die normale Beweglichkeit wieder hergestellt.
Die Frau, die 54 Jahre alt ist, hatte früher nie einen Gelenkrheuma¬
tismus oder eine ihm ähnliche Erkrankung durchgemacht. Auch
weiss sie sich nicht zu erinnern, dass in ihrer Aszendenz bereits
Fälle von Gelenkrheumatismus, Veitstanz oder Endokarditis
vorgekommen sind.
Was nun den etwaigen ursächlichen Zusammenhang beider
Fälle betrifft, so kann zu dessen Klärung vielleicht der Umstand
beitragen, dass die Mutter während der Nacht als Bedeckung die
wollenen Decken zu benützen pflegte, in denen der Sohn unter
Tags geschwitzt hatte und zwar ohne dieselben erst zu reinigen
oder zu lüften.
Es bleibt nun die Frage zu erörtern: dürfen wir in dem oben
angeführten Falle wirklich eine Uebertragung der Infektion von
Person zu Person, vielleicht durch die mit dem Schweisse des
Kranken beschmutzten Decken als Zwischenträger annehmen
oder nicht.
Pribram macht gegen alle Fälle, in denen mehrere An¬
gehörige eines Hausstandes kurz nacheinander erkranken, zwei
Einwände: einmal die entschieden vorhandene erbliche Ver¬
anlagung und dann die Thatsache des vorwaltenden Ergriffen¬
seins einzelner Häuser und Wohnungen als Brutstätten der
Krankheit. Was nun den ersten Einwand — die erbliche Ver¬
anlagung — betrifft, so kan» ja ihr Einfluss auf das Zustande¬
kommen des Gelenkrheumatismus sicher nicht abgeleugnet wer¬
den, aber er besteht, wie auch Pribram selbst zugibt, nur
in der Schaffung einer Disposition. Dass nun aber neben dieser
ererbten Disposition auch noch eine eigene Infektionsquelle vor¬
handen sein muss, ist ja klar, und ich sehe nicht ein, warum diese
nicht auch in der Person von Angehörigen soll liegen können.
Man darf ja nur einen Vergleich mit Tuberkulose ziehen, bei der
auch die ererbte Disposition von so hoher Bedeutung für das Zu¬
standekommen einer phthisischen Erkrankung ist, bei der aber,
besonders nach den Untersuchungen von Flügge und
Neisser über die Tröpfcheninfektion, kein Zweifel sein kann,
dass tuberkulöse Eltern auch eine direkte Ansteckungsgefahr für
ihre Kinder bilden. In unserem speziellen Falle lässt sich übri¬
gens eine derartige erbliche Anlage nicht einmal nachweisen, weil
ja weder die Mutter noch sonstige Verwandte an Gelenkrheuma¬
tismus oder einer ihm entsprechenden Erkrankung gelitten
hatten, sondern im Gegentheil die Mutter erst nach dem Sohne
erkrankte. Eine vererbte Disposition aber daraus abzuleiten,
nur weil die Mutter ebenfalls, wenn auch erst mit 54 Jahren und
nach Erkrankung des Sohnes, von Gelenkrheumatismus befallen
wurde, erscheint doch viel gezwungener, als die Annahme einer
direkten Ansteckungsmöglichkeit. Allerdings bleibt auch, diese
letzte Annahme theoretisch. Allein sie wird doch wahrscheinlich,
wenn wir das rasche Aufeinanderfolgen der Fälle und die übrigen
Begleitumstände im Auge behalten. Auffallend mag es immer¬
hin sein, dass ähnliche Fälle, bei der Pläufigkeit des akuten Ge¬
lenkrheumatismus nicht öfter zur Beobachtung kommen. Doch
ist dabei für’s Erste zu bedenken, dass Uebertragung der Krank¬
heit von Person zu Person ja nicht die einzige Infektionsquelle
sein muss, Für’s Zweite aber kopimt in Betracht, dass die
iÖ9ö
Arbeiten, die die Pathogenese des akuten Gelenkrheumatismus be¬
handeln, zum grössten Theile sich auf klinisches Material stützen.
Und gerade dieses ist, wenn mein Fall als beweiskräftig angesehen
werden kann, zur Entscheidung der schwebenden Frage nur
theilweise geeignet, weil naturgemäss in der Klinik so grobe Ver¬
fehlungen gegen die Reinlichkeit, wie in dem von mir ange¬
führten Falle, nicht Vorkommen können. Und gerade länger
dauernder Kontakt mit von Schweiss beschmutzter Wäsche
scheint für das Zustandekommen einer Infektion durch direkte
Uebertragung nothwendig. Uebereinstimmen würde mit dieser
Anschauung auch die Thatsache, dass in dem von Thoresen
erwähnten Falle Vater und Sohn die gleiche Bettwäsche be¬
nützten und dass auch die beiden Fälle von M a n 1 1 e innigeren
Kontakt der Erkrankten wahrscheinlich machen. Ja, sogar eine
Aeusserung Pribram’s selbst möchte ich in meinem Sinne ver-
werthen : Pribram sagt, nachdem er angeführt hat, dass er
Erkrankungen, die auf Ansteckung schliessen Hessen, in seiner
Klinik nie gesehen hat: „Und wenn wir dergleichen (d. h. Fälle,
die auf Ansteckung schliessen Hessen) in der Privatpraxis einige
Male beobachtet haben, so können dafür ganz wohl theils blut-
verwandtschaftliche Verhältnisse, theils möglicher Weise lokale,
der Wohnung anhaftende Einflüsse auf kommen, da wir doch in
der Privatpraxis niemals andere Leute als die nächsten Ange¬
hörigen der Kranken gleichzeitig oder in rascher Folge erkranken
sehen, dagegen nicht deren Pflegerinnen und Dienstleute“. Diese
Erfahrung Hesse sich nun recht gut mit meiner Anschauung in
Einklang bringen, da sie ja auch den Unterschied zwischen
klinischem und privatem Material betont und da ausserdem für
gewöhnlich eben nur die nächsten Verwandten in so enge Be¬
ziehung zu dem Erkrankten treten, wie ich es für das Zustande¬
kommen einer Kontaktinfektion für nothwendig halte.
Der zweite Einwand P r i b r a m’s weist auf die Möglichkeit
einer durch lokale Verhältnisse bedingten Infektionsmöglichkeit
hin. Allein die bisherigen Untersuchungen haben solche lokale
Schädlichkeiten, bis jetzt noch nicht nachzuweisen vermocht, son¬
dern sich ebenfalls nur auf dem Gebiete der Hypothese bewegt.
Ja, selbst die Grundwasser- bezw. Bodendurchfeuchtungstheorie,
die anscheinend viele Wahrscheinlichkeit für sich hat, kann so¬
gar ihren Anhängern nicht vollständig genügen. Ueberdies steht
dieser Ansicht auch eine zweite gegenüber, die im Gegensatz zu
der von ersterer geforderten Bodentrockenheit Feuchtigkeit als
ursächlich für den Gelenkrheumatismus ansehuldigt.. Allein
selbst wenn wir uns auf dem Boden dieser Theorien stellen, so
können wir sie auf unseren speziellen Fall nicht einmal an¬
wenden. Denn die Bodendurchfeuchtungstheorie kann doch nur
zur Erklärung von Fällen, die in gehäufter Form auftreten,
berangezogen werden. Es sind mir aber ausser den zwei er¬
wähnten Fällen gerade in dieser Zeit keine weiteren Fälle und
namentlich nicht in der nächsten Umgebung des betroffenen
Hauses zur Ivenntniss gekommen. Auch in dem befallenen Hause
selbst wurde, soweit ich es zurückverfolgen konnte (das ist inner¬
halb 5 Jahren), ein weiterer Fall von Gelenkrheumatismus nicht
konstatirt. Auch von den übrigen Inwohnern des Hauses1, die
durch ihre Beschäftigung sogar für den Gelenkrheumatismus
disponirt wären, wurde Niemand von der Krankheit befallen.
Das Resume meiner Ausführungen möchte ich zum Schlüsse
kurz dahin zusammenfassen, dass ich den von mir erwähnten Fall
für sich allein zwar nicht für vollkommen beweiskräftig für die
Theorie von der Möglichkeit einer Uebertragung des akuten Ge¬
lenkrheumatismus von Person zu Person halte, dass aber im
Zusammenhalte mit den Fällen von Thoresen und M a n 1 1 e
diese Theorie an Wahrscheinlichkeit gewinnt und vielleicht durch
weitere Untersuchungen, namentlich an nicht klinischem Ma¬
teriale, zur Gewissheit erhoben werden kann. Der einzige In¬
fektionsmodus wird diese Art der Infektion wohl flicht sein;
ja es ist im Gegen theile sogar wahrscheinlich, dass für die Mehr¬
zahl der Fälle andere, zur Zeit noch nicht bekannte Faktoren
verantwortlich gemacht werden müssen.
Zitirte Literatur:
Schäfer: Berl. klm. Wochenschr. 1880. — Pocok: The
Lancet 1882. — Fetkamp: Weekblad van het nederl. tijds. v.
Geneeskunde 1887. — Fiessinger: Gazette medical de Paris
1892. — Mantle: British medical Journal 1887. — Thoresen:
Norsk Magazin för Lägevidensk. 1880. — Pribram: Der akute
5*
1100
Alf KOCHEN KR
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT .
3$o. 26.
Gelenkrheumatismus in Nothnagel's spezieller Pathologie und The¬
rapie (enthält ein ausführliches Literaturverzeichnisse — Flügge:
Zeitsehr. f. Hyg. u. Infektionskrankh., Bd. 27. — N e i s s e r: Zeit¬
schrift f. Hyg. u. Infektionskrankh., Bd. 25. — Edlefsen: Ver-
handl. d. Kongr. f. inn. Med. 1885. — Noessl: Annalen d. stiidt.
Krankenhauses München 1892. — Newsholme: The Lancet
1S95. — Dalton: British med. Journal 1S90.
Aus dem analytischen Laboratorium des städt. Krankenhauses zu
Leipzig.
Eiweiss- und Zuckerreaktion am Krankenbette.
Von Dr. Stich.
Die mit Aufkochen des Harns verbundenen Reaktionen sind
dem praktischen Arzte am Krankenbett unbequem, so dass er
sich die Proben meist nach der Wohnung schicken lässt.
Einfach gestalten sie sich an jedem Platze mit Benutzung des
hier abgebildeten kleinen Etui.
Es enthält 2 Reagensgläser:
Das eine mit den Reagentien, F e h 1 i n g’scher Lösung (oder
Nylande r’s Reagens) und Säuresublimat ( l Weinsäure,
2 Sublimat) in einer durch Glaswand getrennten Röhre;
das andere mit einem Behälter für Hartspiritus und einem
Glastrichterchen.
Zum Gebrauch wird ein Spirituswürfel auf dem Deckel des
Etui angebrannt. Für die Eiweissabscheidung ist nur eine Spur
von Säuresublimat zuzugeben. Die Zuckerprobe kann annähernd
quantitativ mit Benutzung der Kubikcentimetertheilung ausge¬
führt werden. 2 ccm Fehling reduziren 1 ccm Zuckerharn mit
1 Proz. Das kleine Vademecum wurde von Dr. Grübler & Co.,
Leipzig, in den Handel gebracht. D. Ii. G. M. 156 700.
Zur Frage der Selbstinfektion in der Geburtshilfe.
Von Prof. Dr. K r ö n i g.
In seinem Artikel „Zur Verhütung des Kindbettfiebers“ hat
Hof m e j*e r ') von Neuem aus seinem klinischen Materiale den
Beweis zu erbringen versucht, dass die in der Scheide der Hoch¬
schwangeren lebenden Bakterien eine relativ grosse Gefahr für
die Gebärenden und Wöchnerinnen in sich schliessen, und dass es
daher Pflicht des Geburtshelfers ist, mit den ihm zur Verfügung
stehenden Mitteln diese Bakterien möglichst unschädlich zu
machen.
Auf Grund mehrjähriger bakteriologischer Untersuchungen
glaubte ich mich zu folgenden Schlüssen berechtigt: Die in der
Scheide der Hochschwangeren lebenden Bakterien, welche sich in
Reinkulturen züchten lassen, sind zu einem grossen Theil Mikro¬
organismen, welche nur bei Sauerstoffabschluss wachsen, also obli¬
gat anaerobe Bakterien. Unter diesen obligat anaeroben Bak¬
terien befinden sich bakterioskopiscli die verschiedensten Formen.
Langstäbchen, Kurzstäbchen, Kommabakterien, Kokkenformen,
welch’ letztere sich zum Theil in Reihen anordnen nach Form des
Streptococcus pyogenes puerperalis. Eine eigens von Menge und
mir darauf gerichtete experimentelle Arbeit, den in der Scheide vor¬
kommenden obligat anaeroben Streptococcus durch allmähliche
Gewöhnung an den Sauerstoff der Luft umzuzüchten, blieb trotz
verschiedenster Methoden erfolglos, so dass wir bis heute daran
festlialten müssen, dass dieser obligat anaerobe Streptokokkus im
Scheidensekret nichts Gemeinsames hat mit dem Streptococcus
pyogenes des Puerperalfiebers, welcher bekanntlich fakultativ
anaerob ist und auch bei Sauerstoffzutritt üppiges Wachsthum
zeigt.
Ein Theil der Bakterien in der Scheide zeigt, nicht eine so
intensive Sauerstoffflucht, sondern wächst schon bei Zusatz re-
duzirender Substanzen zum Agarnährboden, z. B. Traubenzucker,
Indigo etc., bei Stichkulturen bis fast an die Oberfläche des Nähr¬
bodens heran. Zu dieser Gruppe gehört auch ein von D ö d e r 1 e i n
zuerst im Scheidensekret beschriebenes Stäbchenbakterium.
Schliesslich zeigte die bakteriologische Untersuchung, dass das
gewöhnliche Plattenverfahren mit schwach alkalisch reagirendem
Agar gewissermaassen als ein elektives Verfahren für die Bak¬
terien des Scheidensekrets betrachtet werden kann, indem das
Wachsthum von Kolonien mit Ausnahme einiger Hefearten etc.
fast stets auf der Agargussplatte ausbleibt. Hiermit war inso¬
fern ein wichtiges Moment gefunden, als dadurch das Vorhanden¬
sein der gewöhnlichen Eiterbakterien im Scheidensekret des
Stapliylococcus pyogenes aureus, albus, des Streptococcus pyo¬
genes puerperalis etc. ziemlich sicher ausgeschlossen werden
konnte, weil diese Bakterien ja auf dem gewöhnlichen Agarnähr¬
boden im Plattenverfahren üppige Kolonien aufschiessen lassen.
Es war nur eine logische Konsequenz dieser Untersuchungen,
anzunehmen, dass der Scheidenschleimhaut oder dem Sekret als
solchen eine Eigenschaft innewohnen müsste, diese Bakterien zu
vernichten oder in kurzer Zeit zu eliminiren; denn da bei der
Ivohabitation, bei sonstigen Manipulationen das gewöhnliche Haut¬
bakterium, der Stapliylococcus pyogenes albns, oft genug in den
Scheidenkanal eingeführt wird, so muss bei seinem konstanten
Verschwinden im Scheidensekret diesem eine bakterizide Eigen¬
schaft zukommen. Dies konnte ausserdem durch eine grössere
Versuchsreihe von Menge und mir bewiesen werden. Ueber die
Natur dieser Kräfte konnten nur Vermuthungen geäussert werden.
So viel über die Resultate der bakteriologischen Unter¬
suchungen. Die Resultate der Nachuntersucher sind zum Theil
mit unseren Resultaten übereinstimmend, zum Theil wider¬
sprechend. Es kann dies bei der Schwierigkeit der Materie nicht
Wunder nehmen, und bedauern wir es am meisten, dass nicht in
umfassender Weise noch einmal unsere Arbeit von einem
Nachuntersucher aufgegriffen ist. Die Wenigsten haben sich der
so mühevollen, aber hier unbedingt nothwendigen anaeroben
Kulturmethode bedient.
Aus unseren bakteriologischen Untersuchungen mussten wir
den Schluss ziehen, dass die Scheidenbakterien keine Gefahr für
die Wöchnerin bedeuten, soweit die Infektion der puerperalen
Wunden mit dem Streptococcus pyogenes puerperalis, dem Sta-
pliylococeus pyogenes aureus, albus und dem Bacterium coli com¬
mune in Frage kommt, weil diese Bakterien nicht im Scheiden¬
sekret normaler Weile vorhanden sind.
Für die saprogene Infektion im Wochenbett musste ich
diese Frage in suspenso lassen, weil es mir nicht gelungen war,
überall mit Sicherheit einen kulturellen Unterschied zu finden
zwischen den anaeroben Saprophyten des Scheidensekrets und den
anaeroben saprogenen Bakterien des Puerperalfiebers. Leider
haben bisher weitere bakteriologische Untersuchungen von anderer
Seite hier nicht fördernd gewirkt, weil, wie schon erwähnt, die
wenigsten Untersucher sich des so mühevollen anaeroben Kultur¬
verfahrens bedient haben.
Die klinischen Untersuchungen können selbstverständ¬
lich nur darauf hinauszielen, den Verlauf des Wochenbettes von
Gebärenden, bei denen durch antiseptische Scheideuspüluugen der
Versuch gemacht ist, die Bakterien des Scheidensekrets möglichst
unschädlich zu machen, zu vergleichen mit dem Wochenbetts¬
verlauf der Gebärenden, bei denen keine Maassnahmen gegen
die Bakterien des Scheidensekrets getroffen sind.
Bei diesen Versuchen muss man sich zunächst darüber klar
sein, dass auf den Wochenbettsverlauf verschiedenste Faktoren,
Häufigkeit der inneren Untersuchungen, Art der Geburtsleitung etc.,
von Einfluss sind, so dass zu den in Frage stehenden Unter¬
suchungen nur diejenigen Fälle herangezogen werden dürfen,
bei welchen möglichst alle Faktoren die gleichen sind, und
nur der eine differente Faktor: die Unterlassung oder Befolgung
antiseptischer Scheidenspülungen bei der Geburt, in die Versuchs¬
serien eingesetzt ist. Wenn Hofmeier seine zweifels¬
ohne günstige puerperale Morbiditätsstatistik ausschliesslich
oder vornehmlich dem einen Faktor, nämlich der von ihm ge¬
übten antiseptischen Scheidenspülung intra partum, zuschreiben
will, so liegt dazu meines Erachtens keine Berechtigung vor. Zwei
verschiedene Kliniken in verschiedenen Städten können bei der so
grossen Anzahl von Faktoren, welche für den Woehenbettsverlauf
') Diese Wochensclir. No. 18, Mai 3902, S. 737.
1. Juli 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCH
1101
bestimmend, sind, nicht zum Vergleich herangezogen werden,
sondern hier sind nur Versuchsserien beweisend, welche gleich¬
zeitig an einer Klinik ausgeführt sind, und zwar so, dass bei
jeder zweiten Gebärenden die Scheidenspülungen unterbleiben,
während sie bei den anderen ausgeführt werden; alle anderen Be¬
dingungen müssen die gleichen sein.
Die Zweite l'sclie Klinik hat, glaube ich, diese Forderung in
sehr grossen Versuchsserien erfüllt, indem bei jeder zweiten Ge¬
bärenden, wie sie auf den Kreisssaal kamen, die Scheidenspülung
genau nach den Vorschriften von Hofmeier ausgeführt wurde,
während sie bei den anderen unterlassen wurde. Die Zahlen haben
jetzt eine derartige Grösse erreicht, dass nach dem Gesetz der
grossen Zahlen, wie ich -) nacliweisen konnte, auch in Zukunft
eine wesentliche Verschiebung der Morbiditätsziffern unmöglich
mehr eintreten kann. Ich glaube, dass gegen die Beweiskraft
dieser Resultate kein Einwand mehr möglich ist, wir müssten denn
die Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung umstossen.
Diese Versuche haben mit Sicherheit ergeben, dass die
antiseptischen Scheidenspülungen bei den Gebärenden, nach
den Vorschriften Hof meier’s ausgeführt, zum Mindesten eine
unnöthige Belastung des aseptischen Apparates bedeuten.
Es würde der Streit meines Erachtens sofort aus der Welt
geschafft sein, wenn auch Hof meier sich entschliessen würde,
endlich in seiner Klinik die gleichen Versuchsserien auszuführen.
Natürlich müssen die beiden Versuchsserien gleichzeitig an¬
gestellt werden; etwaiges Zurückgreifen auf die Morbiditäts¬
statistiken vergangener Jahre ist, wie Jeder zugeben wird, nicht
angängig, weil früher vielleicht ganz andere Faktoren bei der
Geburtsleitung ausserdem noch in Frage gekommen sind. Ich
möchte also hier noch einmal den Wunsch wiederholen, dass II o f -
m e i e r sich zu diesen Versuchen entschliesst. Das Resultat
k a n n nicht anders ausfallen, als dass auch in seinen Morbiditäts¬
ziffern die Unnöthigkeit der Scheidenspülungen klar zum Aus¬
druck kommt.
Einen zweiten klinischen Beweis für die Unschädlichkeit der
Scheidenbakterien für die puerperale Infektion glaubte ich darin
zu erblicken, dass der EinÜuss des Touchirens auch bei nicht
desinfizirter Scheide sich in keiner Weise auf den Verlauf des
Wochenbettes geltend macht. Ich gestehe offen, dass ich der Be¬
weiskraft dieser Versuche ebenfalls keinen so besonderen Werth
beigelegt habe, ich habe sie nur desswegen erwähnt, weil alle
früheren Anhänger der Lehre von der Infektionsmöglichkeit der
puerperalen Wunden durch die Scheidenbakterien die Gefahr der
inneren Untersuchung so sehr betonen. Ich erwähnte schon in
einem früheren Aufsatz u. a. die Aeusserung Kaltenbach’s, dass
den „Kundigen schaudert, wenn er bedenkt, wie bei der inneren
Untersuchung die so gefährlichen Scheidenkeime in den Cervical-
kanal und höhere Tlieile des Geburtskanals verschleppt werden“.
II ofmei’er will die Gefahr des Touchirens hier nicht anerkennen,
da er mit einem gewissen Rechte behauptet, dass bei dem be¬
ständigen Kontakt der Cervix mit dem Scheidensekret auch ohne
mechanischen Transport die Bakterien in höhere Theile des Ge¬
burtskanals intra partum und in puerperio einwandern können.
Ich gebe ihm dies vollständig zu und habe auch hauptsächlich nur
desswegen die von Hofmeier erwähnten Versuche Stiche r’s
aus der Breslauer Klinik angeführt, um zu zeigen, dass es auch
bei nichtdesinüzirter Scheide ganz gleichgiltig ist, ob man toucliirt
oder nicht toucliirt, wenn man nur die Hände mit Gummihand¬
schuhen wirklich keimfrei macht.
H ofmeier hat in seinem letzten Aufsatz von Neuem die
tieberhaf teil Wochenbetten bei Frauen, bei welchen keine innere
Untersuchung intra partum vorgenommen worden ist, als Beweis
heranziehen wollen für die Gefährlichkeit der Scheidenbakterien.
Er wendet sich ziemlich scharf gegen meine Annahme, dass Bak¬
terien vom Scheiden eingang aus in höhere Theile des Geburts¬
kanals auf wandern können; er nennt dies „eine durch nichts be¬
wiesene Behauptung“. Ich glaube, dass Hofmeier diesen
Ausspruch kaum aufrecht erhalten kann; wir sehen bei jeder
infizirten Wöchnerin, wie die Bakterien von tieferen Theilen des
Geburtskanals in höhere spontan aufsteigen. Er selbst gibt ja zu,
dass die von ihm theoretisch angenommenen infektiösen Scheiden¬
bakterien ohne den toucliirenden Finger in den Cervicalkanal, in
die Uterushöhle einwandern können. Jede bakterioskopische Unter¬
suchung eines puerperal infizirten Uterus zeigt uns, wie die in¬
fektiösen Keime bis an die äussersten Tubenecken heraufwandern.
Also zunächst gehört ein Aufwärtswandern von Keimen aus
tieferen Theilen des Geburtskanals in höhere nicht zu den Selten¬
heiten, sondern ist das Gewöhnliche bei infizirten Wöchne¬
rinnen.
Gegen das Auf wandern vom Scheiden eingang durch das
Scheidenrohr bis in die Gebärmutterhöhle hat Hofmeier die
von mir behauptete bakterizide Kraft des Scheidensekrets in’s
Feld führen wollen. Hofmeier hat beim Studium meiner Ar¬
beiten nicht beachtet, dass ich die bakterizide Kraft des Scheiden¬
sekrets nur für die Hochschwangere annehme, dagegen
deutlich an mehreren Stellen erklärt habe, dass in den ersten
lagen des Früh Wochenbetts die bakterizide Kraft auf¬
hört, ja dass die Scheidenlochien in den ersten Tagen des Wochen¬
betts einen günstigen Nährboden für das Aszendiren der Keime
darstellen. Ich konnte dies direkt bakteriologisch beweisen und
verweise in Bezug auf die Einzelheiten auf meine Arbeit „Bak¬
teriologie des weiblichen Genitalkanals“4 5). Folgerichtig muss ich
daher auch eine Gefahr für die Wöchnerin schon darin erblicken,
dass beim Dammschutz etc. die äussere n Geschlechtstheile
und der Scheideneingang mit den Händen der geburtsleitenden
Personen in Berührung kommen; es kann dies schon zu einer In¬
fektion genügen. Desswegen habe ich in meinem von II ofmeier
herangezogenen Aufsatz an S t i c h e r zu meiner eigenen Orien-
tirnng die Frage gerichtet, ob in seinen Versuchen in der Breslauer
Klinik auch beim Dammschutzverfahren von Seiten der Heb¬
ammen und der sonstigen geburtsleitenden Personen ebenfalls
Gummihandschuhe, wie beim Touchiren, verwendet worden sind.
Diese Frage ist meines Erachtens keineswegs eine mtissige; denn
wie die Mehrzahl der Untersucher wohl heute zugeben wird, ist
auf keine andere Weise eine wirkliche Keimfreiheit der Hände
der geburtsleitenden Personen zu erzielen, weder durch Alkohol,
noch durch Sublimat.
Wenn wir uns über die Häufigkeit der autogenen Infektion
orientiren wollen, so dürfen wir meines Erachtens nur diejenigen
Gebärenden zur Beobachtung heranziehen, bei welchen jede Be¬
rührung nicht bloss der inneren, sondern auch der äusseren
Genitalien von Seiten der geburtsleitenden Personen ausgeschlossen
ist. Dies war der Grund, weswegen ich meinen früheren Chef,
Herrn Geheimrath Zweifel, bat. eine Versuchsserie ein¬
zuschalten, bei welcher Gebärende ohne jede Hilfeleistung, also
auch ohne jeden Kontakt der Hände der geburtsleitenden Personen
mit den äusseren Geschlechtstheilen niederkommen. Leider ist ja
die Zahl der so behandelten Wöchnerinnen eine ausserordentlich
kleine bisher geblieben; es ist dies auch wohl dadurch bedingt —
was auf den ersten Blick etwas wunderbar erscheinen möchte —
dass es einer ganz intensiven Arbeitsleistung des geburtsleitenden
Assistenten bedarf, um diese Versuche wirklich so exakt durch¬
zuführen, dass sie eine beweisende Kraft beanspruchen dürfen.
Von 97 Frauen, bei denen jede Bertihung von Seiten der geburts¬
leitenden Personen, selbstverständlich auch jede Desinfektion der
äusseren und der inneren Genitalien unterblieb, erkrankten, wie
ich der Arbeit v. Scanzoni’s 3), welcher das Material zusammen¬
stellte, entnehme, im Ganzen 13 fieberhaft. Von diesen 13 fieber¬
haften Erkrankungen wird auch Hof meier selbst bei strengster
Kritik in 2 Fällen das Fieber wohl auf extragenitale Erkrankung
zurückführen; in dem einen Fall trat die Patientin als Schwangere
schon mit einer linksseitigen Pleuritis in die Klinik ein, sie wurde
am 25. Tage des Wochenbetts auf die innere Abtheilung verlegt
und ist hier wegen Pleuritis weiter behandelt worden. Die zweite
wurde am 10. Tage des Wochenbetts entlassen, trat später wegen
Schmerzen mit dem Zeichen einer typischen gonorrhoischen Knie¬
gelenkentzündung wieder ein. Unter den übrigen 11 Fällen kamen
allerdings Temperatursteigeningen bis 39, ja 39,8 0 C. vor.
Die Leichtigkeit der Erkrankungen geht aber schon daraus hervor,
dass unter diesen 11 Fällen nur 5 über den 10. Tag hinaus in der
Anstalt blieben. Die längste Verpflegungszeit betrug 21 Tage;
liier bestand eine doppelseitige Mastitis mit starker Schwellung,
besonders der linken Achseldrüsen.
Hofmeier betont, dass die Leipziger Klinik die Antwort
schuldig bliebe, wodurch diese Temperatursteigerungen bedingt
wären, und ob sie nicht einer puerperalen Infektion ihren Ursprung
verdankten. Ich könnte den Spiess umdrehen und ebensogut
II o f m e i e r vorwerfen, dass er uns bei seinen Temperatursteige¬
rungen ebenfalls die Antwort schuldig bleibt, ob die Temperatur¬
steigerungen, welche er in seiner Klinik beobachtete, wirklich in¬
fizirten puerperalen Wunden ihren Ursprung verdanken, weil auch
er bei seinen Wöchnerinnen keine bakteriologischen Unter¬
suchungen des Lochiensekrets vorgenommen hat. Insofern ist die
Leipziger Klinik noch besser daran, als die Klinik unter H of¬
meier, weil von mir ans früheren Jahren wenigstens der Nach¬
weis bakteriologisch erbracht werden konnte, dass in einer Serie
von 274 fiebernden Wöchnerinnen nur bei einem gewissen Theil eine
puerperale Infektion des hier wesentlich in Betracht kommenden
puerperalen Endometriums vorlag. Ich konnte bei einer grossen
Zahl dieser Wöchnerinnen eine Keimfreiheit der Lochien bei be¬
stehendem Fieber feststellen, und damit wenigstens den Wahr¬
scheinlichkeitsbeweis erbringen, dass das Fieber im Wochenbett
zu einem bestimmten Theil extragenitalen Erkrankungen seinen
Ursprung verdankte.
Es ist auch verfehlt, jedes Fieber im Wochenbett auf
eine Infektion puerperaler Wunden zurückzuführen. Wie will
sonst Hofmeier die Fieberfälle seiner Klinik erklären i H o f -
meier glaubt durch seine Scheidenspülungen die gefährlichen
Scheidenkeime unschädlich zu machen; er glaubt, durch seine Des¬
infektion die Gefahr der toucliirenden Finger auszuschalten; nun,
dann müsste eigentlich die Morbidität im Wochenbett in seinei
Klinik nicht mehr 16 Proz., sondern 0 Froz. betragen; anders kann
-) Br etschneide r: Klinische Versuche über den Einfluss
der Scheidenspülungen während der Geburt auf den Wochenbetts¬
verlauf. Arch. f. Gyn., Bd. 63, H. 1 u. 2. — K rö nig: Beiwort zu
dem Aufsatz von Br etschneide r.
No. 26.
4) C. Menge und B. Krönig: Bakteriologie des weiblichen
Genitalkanals. Leipzig 1897. Verlag von A. Georgi.
5) v. Scanzoni: Ueber den Wochenbettsverlauf bei pra-
zipitirten Geburten. Arch. f. Gyn., Bd. 63, II. 1, S. 81 ft.
6
llUi
No. 2ö.
M U E.NCI 1 EN E R M EDK’IN ISC'llE WOCH E N SC II R L ET. ; ,
ich mir wenigstens, wenn Hofmeier nicht eine Anzahl Fielt er¬
fülle extragenitalen Erkrankungen zuschreibt, seinen Gedanken-
gang nicht erkliiren. Eine Deutung, dass ein Theil der Fieber-
Rille im Wochenbett extra genitalen Erkrankungen zuzuschreiben
ist, ist nicht, wie il of m eie r annimnit, eine gezwungene, sondern
ist zum grossen Tin il durch bakteriologische Untersuchungen, so
weit es überhaupt möglich ist, b e w i e s e n.
llofmeier selbst erkennt im Anfang seines Aufsatzes die
Eedeutung der e x t r ;t genitalen Erkrankungen für Fiebersieige-
rungen im Wochenbett an, denn er erklärt auf Seite 1, dass inner
seinen ld-t gestörten Wochenbetten 27 waren, bei denen sich eine
Affektion des Genitaltraktus mit Sicherheit ausschliessen liess,
darunter 19 Fälle von Mastitis. Diese Zahlen schwanken
in den verschiedenen Tausenden nicht unerheblich, und er
selbst gibt an, dass oft bei 4(1, ja 50 Fällen bei der Fiebernden
extra genitale Erkrankungen angenommen werden 'mussten, also
kein kleiner Prozentsatz. Hof meier gibt ferner an, dass unter
seinen restirenden 187 Wöchnerinnen 53 waren, bei denen eine Er¬
krankung als von den Genitalien ausgehend von ihm wohl an¬
genommen wurde, ohne dass im Peinigen auch nur der geringste
objektive Befund hierfür nachweisbar gewesen wäre. AN ir sehen
also, dass auch 11 o f m e i e r den accideutellen extragenitalen
Erkrankungen keineswegs eine so geringe Holle für das Fieber
zuschreibt,
Ich erkläre aber ausdrücklich, dass ich nicht etwa die
11 Fieberfälle unter den 97 AVochnerinnen nun alle durch extra¬
genitale Erkrankungen bedingt ansehe, sondern ich könnte mir
schon vorstellen, dass auch puerperale infektiöse Erkrankungen
hier vorliegen.
llofmeier führt bei dieser Gelegenheit aus, dass Jeder,
der meine früheren Arbeiten über dieselbe Frage gelesen hätte,
unschwer erkenne, (lass ich in mehreren Punkten hier einen un¬
verhüllten üückzug angetreten hätte. Er setzt einen Satz von
mir gesperrt: „Ich bin keineswegs der Ansicht, dass nicht auch
(dne puerperale Infektion ohne jedes Zutliun der geburtsleiten¬
den Personen entstehen kann", und hält diesen Satz mit meinen
früheren Anschauungen unvereinbar. Ich darf liier vielleicht aus
meiner ersten ausführlichen Monographie „lieber Selbstinfektion;
Bakteriologie des weiblichen Genitalkanals" pag. 871 zwei Sätze
anführen:
„Meine Ansicht über die Autoinfektion des Genitalschlauclirs
der Wöchnerinnen möchte ich zur Zeit dahin zusammenfassen:
1. Eine autogene Infektion mit endogenen Bakterien der
Scheide ist für den Streptococcus pyogenes, den Staphylococcus
pyogenes aureus, das Baeterium coli nicht anzunehmen, da diese
pathogenen Bakterien uachgewiesenermaassen nicht als Sapro-
pliyten in der Scheide leben können.
Bi i der Infektion mit pathogenen anaeroben Bakterien ist
diese Art der Infektion vorläufig nicht sicher zu verneinen, weil es
nicht gelungen ist, für die verschiedenen pathogenen anaeroben
Bakterien den sicheren kulturellen Unterschied von den in der
Scheide der Schwangeren normal vorkommenden sapropliytisch
lebenden anaercbin Bakterien zu erbringen.
2. Eine autogene Infektion mit den endogenen Bakterien der
intakten Haut ist für alle puerperalen Prozesse möglich; ein
sicherer Beweis kann nur erbracht werden durch die Untersuch¬
ung des. Keimgehaltes des Genitaltraktus von AVochnerinnen,
welche nach einer Sturzgeburt ganz entbunden in die Klinik ein¬
getreten und bei denen auch in den ersten AVoclienbettstagen jede
Berührung von Seiten des geburtshelfenden Personals sicher aus¬
geschlossen ist."
Ich glaube, dass diese Ansicht von meiner bisherigen nicht
abweicht. Nur insofern kann ich heute weitergehen als früher,
als die klinischen Versuche dafür sprechen, dass auch eine In¬
fektion mit den obligat anaeroben Saprophyten der Scheide wohl
ziemlich sicher zu verneinen ist, und ferner, dass eine autogene
Infektion mit endogenen Bakterien der intakten Haut wohl mög¬
lich ist, aber wenn sie eintritt, keine schwere Infektion hervor¬
ruft wegen der schon einmal aufgestellten Ansicht von der Ab¬
schwächung der Airulenz pathogener infektiöser Bakterien bei
längerer sapropliytisclier Eebensweise; eine Ansicht, die sich mit
den Lehren der Bakteriologie wenigstens bei einer grossen Anzahl
von Bakterien (ich nehme ausdrücklich den Anthrax aus) wohl
vereinen lässt.
Es ist, wenn man der kleinen Serie der 97 AVochenbetten eine
allgemein gütige Bedeutung zuschreiben kann, m. E. auch kaum
anders das merkwürdige Resultat zu erklären, dass bei Nicht -
desinfektion der inneren Genitalien, bei N i c li t desinfektion der
äusseren Genitalien nur bei ausschliesslicher Fernhaltung der
Ilände der geburtsleitenden Personen von den Gesclilechtstheilen
der Frau der Wochenbettverlauf so sehr viel günstiger ist als un'ter
den gewöhnlichen A'erhiiltnissen selbst bei der intensivsten äus¬
seren und inneren Desinfektion nach der II o f m e i e r’ sehen Me¬
thode. Ich kann diese Resultate nicht vereinbaren mit der An¬
nahme einer vorliegenden Infektionsgefahr des Scheidensekretes
der Gebärenden.
Ich erkläre ausdrücklich, dass ich leider ausser Stande bin,
diese letzten A' ersuche weiter fortzuführen, da mir kein Material
mehr zur Verfügung steht, sonst wäre ich der Erste, der die so
wichtigen AAhehenbett beobacht ungen bei nichtberülirten Gebären¬
den, gleichgiltig wie sie später ausfallen, fortsetzen würde. Die
Fälle, welche llofmeier zum Beweis der autogenen Infektion
in seinem Artikel angeführt hat, von AValtliard, Albert etc.,
kann ich für die Frage der autogenen Infektion nicht als beweis¬
kräftig anerkennen, weil hier meistens ein Kontakt der iiuss e r e n
Geschlichtstheile durch geburtsleitende Personen nachträglich
noch stattgefunden hat.
Entgegnung auf den Aufsatz des Herrn Professor
Hofmeier: „Zur Verhütung des Kindbettfiebers“.*)
Von Dr. Carl v. Scanzon i.
In oben bezeichnetem Aufsätze hat Herr Prof. Hof m ei er
einige kritische Bemerkungen über meine Mittheilung im Arcli. f.
Gynakol. ‘) gebracht, die mich veranlassen, ein paar Worte der
Entgegnung zu bringen.
Die Aufgabe, die wir uns seiner Zeit gestellt hatten, lautete da¬
hin: ist es möglich nachzuweisen, dass, wenn wir die Hände ge¬
bürt siebender Personen nicht nur während der Geburt, sondern
auch im Wochenbett möglichst ferne von den Genitalien der Frauen
halten, eine Besserung der Morbiditäts Verhältnisse eintritt V
AVir führten nun 112 Geburten in diesem Sinne durch, wobei
ich auf die Art und AA’eise, wie dies geschah, auf die oben erwähnte
Arbeit verweise, und fanden, dass wir eine Morbidität von
11,5 Froz. erhielten. Des AVeiteren zogen wir noch jene Fälle
von präzipitirten Geburten heran, bei denen keine Hilfeleistung
und Berührung der Genitalien von Seite der Aerzte oder Heb¬
ammen bei der Geburt nachgewiesen werden konnte (die AA'ochen-
pflege war natürlich in der sonst üblichen W eise geliandhabt wor¬
den), und bekamen 21, ti Proz. fieberhafte puerperale Erkrankungen.
Herr II o f meie r findet nun diese Zahlen immer noch sehr
hoch und nicht beweisend für eine günstige Beeinflussung der
Morbidität. AA'enn man nun allerdings die ausserordentlich gün¬
stigen Krankheitsprozente der Würzburger Klinik mit durch¬
schnittlich 10,7 Proz. hiermit vergleicht, so ist ja dieser Schluss
gewiss berechtigt, leider sind dieselben, wie ich in meiner Zu¬
sammenstellung auch anführte, an der Leipziger Klinik nicht so
glänzend, indem wir durchschnittlich 27 Proz. aufzuweisen haben,
worauf leider Herr Hofmeier nicht hinwies. AVenn also die
Morbidität von 27 Proz. auf 21, (i resp. 11,5 Proz. bei diesen Ge¬
burten gesunken ist, so glaube ich, sind wir doch berechtigt von
einer Besserung zu sprechen, besonders in Berücksichtigung der
letzten Zahl, die eine Differenz von 15,5 Proz. ergibt.
Ich habe des Weiteren gesagt, dass die beobachteten Er¬
krankungen nur leichteren Charakter trugen. Herr Hof meier
findet dies nicht, indem er meint, dass bei den präzipitirten Ge¬
burten Achselhöhlentemperaturen von 89 und 40° beobachtet wur-
den, bei längstem Anstaltsauf enthalt von 17 und 48 Tagen, und
dass selbst bei den sogen, „unberührt“ in der Klinik Entbundenen
Analtemperaturen von 89 bis 39,9° verzeichnet wurden. Ich kann
ja nun nicht jeden der fraglichen Fälle hier einzeln durchsprechen,
nur auf 2 von den priizipitirt Entbundenen möchte ich etwas näher
('ingehen. Jene Frau mit 43 Tagen Anstaltsaufenthalt habe ich
ausdrücklich als schwerer erkrankt bezeichnet, und noch hinzu¬
gefügt, dass es fraglich sei, ob diese, da sie bereits fiebernd (38,5 'j
m die Klinik kam, und die Entbindung ausserdem noch unter be¬
sonders erschwerenden Umständen erfolgte, überhaupt in die
Statistik aufzuuelimen sei. Der zweite Fall hatte allerdings eine
(»malige Temperatursteigerung, wobei 2 mal 40,0°, 2 mal 39,5, je
1 mal 39.1 resp. 89,0 beobachtet wurde (Subinvolutio uteri, riechen¬
der Ausfluss, Magenkatarrh?). Ich gebe nun gerne zu, dass dieser
Fall vielleicht nicht so einfach war, trotzdem aus dem Protokoll
weitere ernste Symptome nicht zu entnehmen waren, für alle
übrigen aber (vergl. die Originalmittheilung) möchte ich daran fest-
lialten, dass ihre Erkrankungen nur leichte waren, denn aus 1 bis
8 resp. 4 maligen Temperatursteigerungen wird wohl kein Mensch
scliliessen wollen, dass schwere Erkrankungen Vorlagen, selbst
wenn hiebei 39 u und höher erreicht wurde. Zu denken müssen
diese Temperaturen ja jedem Arzt geben, aber ich glaube, dass
solche Patientinnen selbst ungläubig lächeln würden, wenn man
ihnen nach überstandenem Wochenbett sagen wollte: „Frau, Sie
waren schwer krank“.
Herr Hof meie r hat mir nun ferner noch vorgeworfen, dass
wenn ich auf Grund unserer Beobachtungen doch einmal an der
Asepsis der Scheide resp. Ungefälii lichkeit der Scheidenkeime fest-
halte, ich mich vollständig ausgeschwiegen hätte, woher ich mir
dann das Zustandekommen der fieberhaften puerperalen Erkran¬
kungen erkläre. Dazu will ich nur bemerken, dass ich meine Auf¬
gabe damit erfüllt glaubte, dass ich darauf hinwies, dass bei den
beobachteten Geburten wirklich eine A'erminderung der Morbidi¬
tät zu konstatiren war, und ich glaubte desslialb auch weiter
nicht auf alle zur Zeit gangbaren diesbezüglichen A'ermuthungen
eingelien zu müssen, da ich ja doch kein weiteres Material zur
Klärung dieser Fragen zur Verfügung hatte. Herr Hof meier
ist uns übrigens auch in seiner neuesten Publikation die Antwort
*) Vergl. diese NA'ochenschrift No. 18, 1902.
‘) „Feber den AA'ochenbettsverlauf bei präzipitirten Geburten
und solchen Geburten, bei denen keine Hilfeleistung von Seiten
geburtsleitender Personen stattfand.“ Arcli. f. Gynäkol. Bd. <>8,
II. 1 u. 2.
1. Juli 1902.
1103
MEENCHENER M EDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
auf die Frage nach diesem „-woher“ schuldig’ geblieben. Vielleicht
wird es ihm aber möglich sein, nach dem nächsten Tausend seiner
Geburten einen Beitrag hiezu zu liefern, wenn er bei weiterer Zu¬
nahme der Feberfüllung seiner Klinik, was er ja selbst schon mit
Misstrauen betrachtet, und bei weiterer intensiverer Inanspruch¬
nahme seines Pflegepersonals auf 20 Proz. Morbidität angelangt
sein wird, was ja nicht unmöglich erscheint, da er von seiner
Durchschnittsmorbidität von 10,7 Proz. auf 10,4 Proz. bei seinem
letzten Tausend bereits emporgeschnellt ist.
Die Pocken in London und die engl. Impfgesetzgebung.*)
Von Dr. O p p e in Dresden.
M. II.! Wenn ich es wage, Ihre Aufmerksamkeit, für eine
halbe Stunde auf ein uns räumlich recht fern liegendes Gebiet zu
lenken, so ermuthigt mich dazu einerseits das allgemeine Interesse,
das v ir Aerzte den epidemischen Krankheiten entgegenbringen,
andererseits aber die besondere Antheilnahme an der Schutz¬
impfung und ihren Beziehungen zu den Pockenepidemien der Ver¬
gangenheit und Gegenwart. Wie die medizinische Wissenschaft
trotz ihrer phänomenalen Fortschritte, die sie im vergangenen Jahr¬
hundert gezeitigt, auf allen ihren Spezialgebieten von Laien, leider
allerdings auch von verständnislosen Aerzten angefeindet worden
ist, so ist es der Schutzimpfung ganz besonders ergangen. Ihre
fabelhaften Erfolge sind nicht im Stande gewesen, ihr die wohl¬
verdiente widerspruchslose Anerkennung zu verschaffen, und
allenthalben wird sie von ihren Gegnern geschmäht und ange¬
griffen. Die Waffen, deren sich ihre Widersacher bedienen, sind
freilich nicht die saubersten — das Gebahren dieser Leute ist
Ihnen zu bekannt, als dass ich an dieser Stelle darauf einzugehen
nötliig liiitle — umsomehr ist es aber nötliig, dass die Aerzte, als
die berufenen Vertlieidiger der Schutzimpfung wachsam ihr Auge
auf jede Pockenepidemie gerichtet halten, um auf Grund objektiver
Beobachtung und parteiloser Statistik jene Angriffe mit Erfolg zu-
riiekweisen zu können.
M. II. ! Bei uns in Deutschland sind nur noch die älteren
Generationen der Aerzte mit der Variola als einer Volkskrankheit
bekannt; die jüngeren kennen sie zum Tlieil vielleicht von den
einzelnen abortiven Fällen her, die hier und da vorgekommen sind,
aber die meisten von ihnen verdanken ihre Bekanntschaft mit der¬
selben lediglich ihrem Lehrbuch der inneren Medizin.
Ganz anders liegen die Verhältnisse im Ausland: Nicht nur in
aussereuronäisehen Ländern, wie in den als Handelsplätzen bedeut¬
samen Häfen Ostasiens und Indiens, auch im kultivirten Europa
erscheint diese furchtbare Krankheit immer wieder und drückt
ihnen Opfern, soweit sie überhaupt am Leben bleiben, ihr ent¬
stellendes Mal auf. So ist sie in diesem und in dem vergangenen
Jahre in Italien und den Niederlanden aufgetreten; in Paris er¬
krankt*!) im 1. Halbjahr 1901 1998 Personen an den Blattern, und
274 von ihnen starben. In den Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika. deren Kultur heute der europäischen kaum noch nacli-
steht. waren laut amtlicher Bekanntmachung in den Marine Hos¬
pital Service Reports am 10. Februar d. J. 12 120 Personen wegen
Pocken in Behandlung. Am schlimmsten heimgesucht ist aber zur
Zeit London, wo die Pocken seit '•’•/> Jahren in bedenklicher Weise
hausen. Von deutscher Seite ist ihrem Auftreten auffallend ge¬
ringes Interesse entgegengebracht worden; monatelang haben
unsere medizinischen Zeitschriften vollständiges Schweigen be¬
wahrt und auch jetzt noch finden Sie weiter nichts als kurze,
trocken gehaltene Berichte von wenigen Zeilen in den eiuschlagen¬
den Blättern.
M. H. ! Kurze Zeit ist erst verflossen, seitdem die medizinische
Welt die Hundertjahrfeier der Schutzimpfung begangen, und dass
England, das Vaterland Jenne r’s, gerade jetzt eine intensive
Pockenepidemie erleidet, ist eine eigenthümliche Fügung des
Schicksals. Es liegt nahe, diese jüngste Epidemie mit der im Jahn«
1898 erfolgten Aufhebung des allgemeinen Impfzwanges in Eng¬
land in Verbindung zu bringen, und zu diesem Zwecke hatte ich
mich mit ihren Einzelheiten etwas näher bekannt gemacht, aber
ich muss schon hier erwähnen, dass ein schlagender Beweis mit
dem bis heute vorliegenden ungenauen statistischen Material noch
nicht geführt werden kann. Immerhin lohnt es sieh, der An¬
gelegenheit etwas Interesse zu widmen.
London hat seit Einführung des Impfzwanges im Jahre 1887
5 Epidemien (1871/72, 1877/78, 1881, 1884/85, 1893) erlebt, ist aber
auch in den Zwischenzeiten nicht frei von Pocken geblieben. Die
besten Jahre waren 1889 und 1898 mit je 5 Aufnahmen in die
Pockenspitäler. Auch im Jahre 1901 kamen zunächst nur verein¬
zelte Fälle vor, monatlich 1 — 5, bis im August die Seuche in
mehreren Stadttlieilen Fuss fasste und bald bedenkliche Verbrei¬
tung erfuhr. Bei wöchentlichen Zugängen von 120 bis 170 Pocken¬
kranken belief sich der Bestand derselben am Ende des Jahres auf
nicht ganz 000; gestorben waren bis dahin 247. Ende März lagen
1526 Kranke in den Pockenspitälern und von den säinmtliclien seit
August an Pocken erkrankten 5841 Menschen waren bis 836
= 14,3 Proz., nach anderen Angaben sogar 24 Proz. gestorben.
Die täglichen Zugänge betragen auch jetzt noch immer 50 — 90,
die wöchentlichen Todesfälle 60 — 70.
*) Vortrag, gehalten in der Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde in Dresden.
M. H.! Diese Zahlen ve ranlass ten natürlich die Gesundheits¬
behörden,' den Kampf gegen das unheimliche Gespenst mit allen
Mitteln aufzunehmen; bis jetzt ist der Erfolg aber gleich null, weil
das englische Tmpfgesetz vom 12. August 1898. das einen verhnng-
nissvollen Rückschritt gegenüber dem vorher bestehenden be¬
deutet, zu Zeiten der Gefahr vollständig im Stich lässt. Dem Wort¬
laut nach besteht der Impfzwang zwar auch jetzt noch in England,
seine Durchführung ist aber derartig erschwert ja zum Theil selbst
unmöglich gemacht, dass man ruhig von einer Aufhebung des¬
selben reden kann. Sie gestatten mir, die charakteristischen Punkte
der heute geltenden Impfgesetzgebung kurz zu berühren, und Sie
werden sich der Feherzeugung nicht verschlissen können, dass
dieselbe ganz ungenügend ist und die segenspendende Einrichtung
der Schutzimpfung zu einer Farce herabdrückt. Man gewinnt den
Eindruck, dass nif-ht objektiv urtheilenden Politikern und Männern
der Wissenschaft, sondern .einem Chor fanatischer Impfgegner
dieses Gesetz seine Entstehung verdankt.
Wie eben erwähnt, ist der Impfzwang im Prinzip zwar bei¬
behalten, ja durch Erhöhung des impfpflieiitigen Alters von 3 auf
6 Monate wohl sogar verbessert worden; die Impflinge brauchen
aber nicht zu einem öffentlichen Impftermine gebracht zu werden,
sondern es muss auf Verlangen der Distriktsimpfarzt die Impfung
in der Wohnung derselben vornehmen. Ist ein Kind im Alter von
4 Monaten noch nicht geimpft, so soll dieser nach vorausgegangener
24 ständiger Anmeldung die Impfung in der Wohnung des Kindes
anbieten. Wenn man sich vorstellt, wie viel Zeit für eine ge¬
wissenhafte Ausführung gerade dieser Vorschrift erforderlich ist.
wenn man sich vergegenwärtigt, was dem Impfarzt dabei vor den
Thiiren eines Impfgegners passiven kann, so sieht man eben ein,
dass dieser Paragraph weiter keinen Zweck hat, als dem Impf¬
zwang ein Hinderniss entgegenzusetzen. Noch -wirksamer in
diesem Sinne ist freilich der folgende Absatz, der als sogen. Ge¬
wissensklausel auch bei uns in Deutschland bekannt geworden ist
und berechtigtes Kopfschütteln erregt hat. Er lautet:
„Straffrei bleibt trotz Impf Verweigerung, wer innerhalb 4 Mo¬
naten nach der Geburt eines Kindes an Gerichts- oder Magistrats¬
stelle versichert, dass er nach bestem Wissen und Gewissen die
Impfung für seinem Kind nachtheilig hält und ein Zeugniss hie¬
rüber rechtzeitig dem Impfamt einreicht.“
Es hat also jeder Mensch, der Vater oder Vormund eines
Säuglings ist, ohne Rücksicht auf seinen Bildungsgrad und seine
sonstige Befähigung das Recht, auf Grund seiner rein subjektiven
Auffassung sein Kind der Impfung zu entziehen; denn eine objek¬
tive Würdigung der Impffrage darf man wohl nur bei den wenig¬
sten Menschen voraussetzen.
Dass bei diesem Regime Strafen wegen Impfhinterziehung
noch Vorkommen, möchte wunderbar erscheinen, muss aber doch
der Fall sein, denn der folgende Absatz des Gesetzes spricht aus,
dass solche Strafen in Bezug auf ein und dasselbe Kind nur ein¬
mal verhängt werden können. Dieselbe Frage hat übrigens auch
bei uns in Deutschland gespielt, ist aber zum Glück im entgegen¬
gesetzten Sinne entschieden worden (Landgericht Magdeburg,
23. November 1880). Das Prinzip nur einmaliger Bestrafung bei
fortgesetzter Impfverweigerung bedeutet in der Praxis weiter
nichts als einen Loskauf vom Impfzwang und ist vom sittlichen
Standpunkt aus noch viel verwerflicher als die Gewissensklausel.
M. H.! Wie war es möglich, dass ein derartiges Gesetz Billi¬
gung finden konnte bei einem Volke, das sieh den übrigen For¬
derungen der Hygiene sehr zugänglich erwiesen hat? Man kann
sich diesen Rückschritt, der ganz allgemein mit Befriedigung auf¬
genommen worden sein muss — - dafür spricht der Umstand, dass
unmittelbar nach seinem Inkrafttreten innerhalb 5 Monaten
230 000 Kinder, d. i. mehr als ein Viertel aller in einem Jahre
Geborenen, auf Grund der Gewissensklausel von der Impfung
befreit wurden — nur dadurch erklären, dass das ursprüngliche
Impfgesetz und seine Ausführung mangelhaft gewesen sind. Tliat-
sächlicli finden sich auch Mängel — so das frühe Alter von 3 Mo¬
naten, in welchem die Kinder zu impfen waren, die Verwendung
menschlicher Lymphe, deren Gefahren nicht abzuleugnen sind,
und das vollständige Fehlen der Revaccination. deren Nothwendig-
keit uns längst bekannt ist. Man hat in England die Dauer des
Impfschutzes weit überschätzt, wenn man die einmalige Impfung
für genügend hielt. Nichts schadet aber erfahrungsgemäss einer
guten Sache mehr als die Uebertreibung ihrer Leistungsfähigkeit
— unausbleiblich ist dann der Rückschlag, der das allzugrosse
Vertrauen in Misstrauen verwandelt und in der grossen Masse
die Anhänger derselben zu Zweiflern und Gegnern macht. Schliess¬
lich kann auch den englischen Aerzten der Vorwurf nicht er¬
spart werden, dass sie bei der Impfung nicht immer die Sachlich¬
keit und Sorgsamkeit an den Tag gelegt, die erforderlich gewesen
wäre. Es hat die englische Kommission zur Prüfung der Impf¬
frage, die von 1889 bis 1896 Erhebungen über angebliche Impf¬
schäden angestellt hat, laut Veröffentlichung des Kaiserlichen Ge¬
sundheitsamtes gefunden, dass von 425 behaupteten Fällen in 41
die nothwendigen Vorsichtsmaassregeln bei der Impfung ausser
Acht gelassen worden waren. Diese fallen natürlich den Aerzten
und dem von ihnen begründeten und vertheidigten Impfzwang
zur Last und haben zweifellos viel zur Aufhebung desselben bei-
getra gen.
Auch heute noch herrscht in England eine gewisse Kritik¬
losigkeit in der Beurtheilung des Impfwesens und der Pocken¬
infektion. So tauchen immer wieder Berichte über Impftetanus
6*
ilu-l
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHEN SCHRIFT.
Nt
«•iuf, von (lenen keiner einer strengen Kritik Stand halten kann.
Nicht ein einziges Mal ist nachgewiesen, (lass die Lymphe der
Träger der Tetanusinfektion gewesen ist, sondern jedes Mal bewies
der ungestörte Verlauf der Schutzpocken bei den geimpften an¬
deren Personen, dass die Infektion eine andere Quelle gehabt
haben musste.
Ein anderes Beispiel ist das folgende: In der No. 2 vom
22. Februar der Lancet sucht ein Dr. Th res h, medical ofticer
von Essex, zu beweisen, dass von den in der Themse verankerten
I'ockenscliiffen ein gegenüber nahe dem Vf er gelegenes Dörfchen
Namens Purfleet auf dem Wege der Luft intizirt worden sei; die
Absperrung der Schiffe sei eine vollkommene und die herrschende
Windrichtung habe in der kritischen Zeit von diesen nach dem
Dorfe geführt — ergo habe der Wind die Krankheit übertragen.
Ganz abgesehen davon, dass die beschuldigte Windrichtung (SW)
keineswegs eine ausschliessliche gewesen ist, hat der Verfasser,
ein beamteter Arzt,, eine andere Infektionsmöglichkeit ganz un¬
beachtet gelassen: Sieht man sich nämlich eine Karte des unteren
Themselaufes an, so findet man. dass der genannte Ort Station
der von London nach Tilbury führenden Eisenbahn ist. und dass
andere Eisenbahnstationen erst in dreifacher Entfernung wieder
zu erreichen sind. Da nun der Besuch Angehöriger auf den
Pocken schiffen ebenso wie in den Spitälern an Land nicht ver¬
weigert wird, so muss sich ganz selbstverständlich ein mehr oder
minder reger Verkehr zwischen Bahnhof und Pockenschiffen ent¬
wickelt haben, der viel ungezwungener als Verbreiter der Krank¬
heit herangezogen werden kann als die Luft.
Ich komme damit auf’s Gebiet der Prophylaxe, deren
schwächsten Punkt der mangelhafte Impfschutz des Volkes dar¬
stellt. Nicht minder beachtlich ist aber die ungenügende Isolirung
der Pockenspitäler, zu denen die Angehörigen der Kranken Zutritt
erhalten, gleichviel ob sie geimpft sind oder nicht. Die hierfür
geltenden Bestimmungen atlimen eine eigenthiimliche Naivität,
so dass ich mir es nicht versagen kann, sie Ihnen kurz zu be¬
richten. Sie finden sich in einem Sitzungsbericht des englischen
Unterhauses, in welchem der Präsident of the Local Government
Board am 1. Februar d. .Ts. interpellirt wurde. Veranlassung war
die Erkrankung und der Tod einer Frau «aus Rugby, die sich beim
Besuch ihres sch werk ranken Sohnes auf einem der Pockenschiffe
intizirt hatte. Die Bestimmungen lauten: ,. Zugelassen werden An¬
gehörige nur zu Schwerkranken, deren Ableben zu erwarten ist.
Die Besucher erhalten bei ihrer Ankunft eine leichte Mahlzeit,
damit sie körperlich widerstandsfähiger werden. Alsdann fragt
man sie nach der früheren Impfung aus und fordert sie dringend
auf, sich wieder impfen zu lassen. Ablehnung hindert jedoch nicht
den Besuch. Nunmehr betreten sie, in Mantel und Mütze gehüllt,
für einige Minuten den Krankensaal, dürfen aber keinen Patienten
noch dessen Bett berühren und waschen sich nach dem Heraus¬
treten Gesicht und Hände.“ M. 1L! Dass ein gut genährter Körper
ceteris p.aribus einer Infektion schwerer unterliegt als einer von
mangelhaftem Ernährungszustand, ist ja richtig. Dass aber eine
einzige unmittelbar vor der Infektionsgelegenheit (überdies noch
im Pockenschiff selbst!) verabreichte Mahlzeit in diesem Sinne
wirken soll, wer mag das glauben?
Naturgemäss haben sich, besonders unter den Aerzten, Stim¬
men erhoben, die den Zutritt zu den Spitälern von einer vorher
erfolgten Impfung bezw. Wiederimpfung abhängig gemacht wissen
wollten, aber diese Stimmen der Vernunft drangen nicht durch.
So endet am 25. Januar 1902 ein Meeting des Londoner Metropoli¬
tan Asylurn Board, einer Art Krankenpflegeamtes, mit folgendem
Bericht der Krankenhauskommission: ,.Die Kommission hält es
nicht für möglich, dass der Besuch eines Pockenkranken im
Hospital nur unter der Bedingung gestattet werde, dass der Be¬
suchende sich vorher impfen lässt“.
Dieser Satz wird als Resolution angenommen, nachdem ein
Antrag, die Vaccination als Eintrittsbedingung zu fordern, abge¬
lehnt worden war, da, wie der Vorsitzende bezeichnend sagt, ein
derartiges Verfahren nimmermehr im Lande geduldet werden
würde.
M. H.! Die Tliatsaclie, dass London unter dem 30 jährigen
Regime des absoluten Impfzwanges 5 Pockenepidemien eriebt hat,
scheint im ersten Augenblick den Werth desselben bedenklich
herabzusetzen. Erwägt man aber die Schwierigkeit, welche seiner
Durchführung bei der Grösse der Stadt erwuchs, berücksichtigt
man, dass die gesammte Bevölkerung bis auf wenige Ausnahmen
nie wieder geimpft wurde und demgemäss schon vom 2. Dezennium
ihres Lebens ab nicht mehr immun war, so findet man schon in
diesen beiden Momenten eine Erklärung für die Entwicklung
dieser 5 Epidemien. Der Boden war aber für dieselben noch besser
vorbereitet durch den unglaublichen Schlendrian, mit dem der
Imf zwang durchgeführt wurde, und durch die unaufhörlichen
Zwistigkeiten zwischen den am Impfgeschäft betheiligten Amts¬
personen und Behörden. So hatten z. B. in Leicester die Guardians
ni tlu* poor, eine mit Armen- und Krankenpflege betraute Behörde,
die sich nicht selten in Gegensätzen zu Regierung und Magistrat
zu gefallen scheint, im Jahre 1890 einen Impfgegner zum Vacci¬
nation ofticer gewählt. Die Regierung verweigerte indessen seine
Bestätigung und setzte die Wahl einer anderen Persönlichkeit
durch, der aber von jenen Guardians die grössten Schwierigkeiten
in Ausübung ihres Amtes, besonders in der Vollstreckung von
Strafen wegen Impfhinterziehung, gemacht wurden.
In einer kleinen Stadt Cornwalls, Ulster, hatte der Magistrat
unter dem Eindruck der benachbarten Epidemie seinen Bürgern
unentgeltliche Impfung angeboten, oliue dass dieses Entgegen¬
kommen entsprechend benutzt worden wäre. Als Ursache wurde
schliesslich festgestellt, dass die Guardians, die hier nicht minder
als in Leicester impfgegnerisch gesinnt waren, in der Stadt das
Gerücht verbreiteten, jeder derart unentgeltlich Geimpfte käme
auf die Armenliste.
Unter solchen Verhältnissen konnte es nicht ausbleiben. dass
Impfhinterziehungen an der Tagesordnung waren; 1890 beliefen
sie sich nach einer Angabe in den Veröffentlichungen des Deut¬
schen Kaiserlichen Gesundheitsamtes (1900, S. 400) auf 25 Proz.
der in einem Jahre Geborenen. Berechnet man sich aus diesen
Thatsaclien den Grad der Immunität, den England in Wirklichkeit
besessen, so kommt man auf ein höchst minimales Ergebniss.
Jährlich wurden etwa 000 000 — 700 000 Kinder geimpft, die nach
unserer deutschen Auffassung 10 Jahre immun blieben, so dass
die Gesammtzahl der Immunisirten ohne Berücksichtigung der
grossen Abgänge durch Tod und Auswanderung nie mehr als 0 bis
7 Millionen betragen haben kann. Wenn nun auch diese Zahl
nach Einführung der Gewissensklausel sich bereits verringert hat
und sich in Zukunft noch mehr verringern wird, so ist sie auch
schon während des noch bestehenden Impfzwanges absolut und
relativ zu niedrig gewesen, so dass die Beseitigung des letzteren
eigentlich keine Neuerung war, sondern nur eine Sanktioninmg
längst bestehender Verhältnisse bedeutete. Aus demselben Grunde
wird leider auch eine genaue Statistik später keine scharfe Grenze
im Immunverhältniss Englands vor und nach dem 12. August
1S98 feststellen können, eine Thatsache, die wir im Hinblick auf
die Lehren, die man daraus ziehen könnte, recht bedauern müssen.
Aber die beste Belehrung gibt uns nicht die Statistik, sondern die
Praxis, aus welcher der Einsichtige willig seine Erfahrung sam¬
melt, während der Uebelwollende auch durch die beste Statistik
nicht zu belehren ist. Gewisse Resultate liegen aber auch schon
heute vor. Nach einer Angabe der Zeitschrift für Medizimnlbeamte
vom 1. April d. .T. vertheilen sich die Todesfälle der Londoner
Pockenepidemie derart, dass von den Geimpften 14,21 Proz., von
den Nichtgeimpften 50,52 Proz. gestorben sind. Nach einer eng¬
lischen Statistik, die allerdings nur bis Ende Dezember v. «T. reicht,
ist das Verhältniss noch wesentlich besser für die Geimpften, von
denen das Alter bis zu 10 Jahren 0 Proz. und zwischen 10 und
20 Jahren 2,01 Proz. aufweist, während ganz entsprechend dem
Abklingen des Impfschutzes in späteren Dezennien zwischen “0
und 70 Jahi-en die Mortalität wieder 30 Proz. beträgt.
Trotzdem haben Unterhaus und Regierung einen neuerdings
eingebracliten Antrag auf Aufhebung der Gewissensklausel ab¬
gelehnt.
Wir deutschen Aerzte müssen die Londoner Epidemie, so
schwer sie die Betheiligten selbst trifft, mit einer gewissen Genug-
thuung begriissen, weil sie schliesslich doch die Schutzimpfung
dort wieder zum wohlverdienten Ansehen bringen und hoffentlich
auch bei uns dazu beitragen wird, den unaufhörlich andringendeu
Impfgegnern die Waffen aus der Hand reissen.
Referate und Bücheranzeigen.
Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens des ärzt¬
lichen Vereines Nürnberg. 1852 — 1902. Nürnberg, k. b. Hof¬
buchdruckerei G. P. J. Bielin g-Dietz. 1902.
Es ist aus der Geschichte des ärztlichen Vereinswesens in
Deutschland bekannt, dass erst mit dem Beginne des 19. Jahr¬
hunderts die deutschen Aerzte in grösserem Maassstabe begannen,
sich in Vereinen zusammenzuscliliessen, und speziell Mittel¬
franken hatte schon 1808 in der physikalisch-medizinischen So¬
zietät in Erlangen ein solches wissenschaftliches Zentrum ge¬
wonnen. Während um das „tolle Jahr 48“ herum eine ganze
Reihe der inzwischen gegründeten ärztlichen Vereine eines mehr
oder minder gewaltsamen Todes starben, sehen wir in Mittel¬
franken im Jahre 1852 einen neuen ärztlichen Verein in’s Lieben
treten, jenen zu Nürnberg, eben den, dessen 50 jähriges Bestehen
die vorliegende Festschrift feiert.
Von den 13 Aerzten, welche an der konstituirenden Ver¬
sammlung vor 50 Jahren Theil nahmen, lebt noch Einer, der
Nestor der Nürnberger Aerzte: Herr Ilofrath Dr. Julius Cnopf,
und dieser nämliche Tauf zeuge unseres heutigen Geburtstags¬
kindes hat nun auch die an erster Stelle der Festschrift stehende
Geschichte des Vereines verfasst, in welcher er die damalige
Situation .der mittelfränkisehen und insbesondere Nürnberger
Aerzte, die Erwartungen, welche an die Gründung des Neulings
geknüpft wurden, seine Ziele und Aussichten in höchst anschau¬
licher und interessanter Weise schildert, lebendig und echt, wie
es eben nur ein Mitarbeiter und Mitkämpfer kann. Dass
wissenschaftlicher Geit und Schaffensfreudigkeit allezeit in den
1. Juli 1902.
1105
11 U E NCHENER M E D LCI N 1
Reihen des Nürnberger Vereines gelebt hat, wie das Vorwort mit
gerechtem Stolze sagt, geht aus dem in der Vereinsgeschichte
niedergelegten Material, das für die Geschichte des deutschen
Aerztestandes im 19. Jahrhundert eine Fülle unschätzbarer Mit¬
theilungen in sich schliesst, auf das Glänzendste hervor. Wer
aber die heutige Festschrift zur Hand nimmt, wird gestehen,
dass diese alte Devise des Nürnberger Vereines mit ungeschwäch¬
ter Kraft weiter wirkt. Von den 107 derzeitigen Mitgliedern
haben 36 Arbeiten beigesteuert. Dieselben sind — und das er¬
füllt uns Aerzte alle mit Stolz — neuerdings ein glänzendes
Zeugniss dafür, wie intensiv und mit welchem Erfolge die deut¬
schen Aerzte bei der Arbeit sind, sich und die Wissenschaft, der
sie dienen, weiter zu führen. Sie wollen das nicht den Uni¬
versitäten überlassen, sondern beanspruchen ihr Theil an dieser
Aufgabe ohne Rast. Der Nürnberger Verein steht da als ein
typisches Beispiel dafür, dass die deutschen Aerzte aller Zeiten¬
missgunst zum Trotz nicht ablassen, den Kern und das Wesen
ihres Berufes nicht in krämerhafter Gewinnsucht, sondern in
dessen wissenschaftlichem Geiste zu erblicken. Alle diese Ar¬
beiten sind der praktischen ärztlichen Thätigkeit entsprungen,
entstammen unmittelbar dem Leben und sind wieder dafür be¬
stimmt, die ferner liegende Theorie den Universitäten über¬
lassend. Ueberblickt. man sie als Ganzes, so erscheinen die Ar¬
beiten in typischer Weise als eine Zusammenfassung dessen, was
die praktischen Aerzte ihrerseits zum Ausbau der medizinischen
Wissenschaft beizutragen im Stande sind. Es ist dies Gebiet
eines von grösster Vielseitigkeit und dem ausserordentlichsten
praktischen Werthe. Das haben die Aerzte Nürnbergs, dessen
Regsamkeit im Allgemeinen ja sehr wohl mit jener Hamburgs
verglichen werden darf, also unsere bayerischen Hamburger Kol¬
legen, für Jeden bewiesen, der nur einen Blick in ihre Festschrift
thun will!
Aus dem so reichen Inhalte derselben kann natürlich hier
nur Kurzes angeführt werden. Abgesehen von der historischen
Einleitung, deren ich oben schon Erwähnung that, bietet die
Festschrift noch eine weitere Studie historischen Charakters
dar, nämlich „die Universität Altdorf und ihre medizinische
Fakultät“ von R. Landau in Nürnberg, ein sehr interessanter
Beitrag zur Geschichte der deutschen Universitäten. An der
Spitze der fachwissenschaftlichen Beiträge aber steht ein Auf¬
satz von v. Ziemssen: „Zur Phototherapie“, wohl die letzte
wissenschaftliche Publikation des uns jüngst durch den Tod ent¬
rissenen Gelehrten, der Ehrenmitglied des Nürnberger Vereines
gewesen war und jederzeit enge Fühlung mit demselben be¬
wahrt hatte, v. Ziemssen theilt die günstigen Erfolge der
Lichttheräpie bei 2 Kranken mit Mycosis fungoides und mit
Favus mit, modern wie immer fussend auf den allerjüngsten Ver¬
öffentlichungen betreff der Finsentherapie. Julius Cnopf, der
Historiograph des Vereines, hat, ein Zeichen seiner jugendlichen
Schaffensfreude, auch noch einen medizinischen Beitrag ge¬
liefert: „Die spontane Ruptur des Herzens“. Die durch die Ab¬
bildung des Präparates illustrirte Mittheilung ist besonders da¬
durch bemerkenswert!!, dass sie sich auf ein 10 jähriges Kind be¬
zieht. K. B auer, Leiter der Heilstätte Engel thal, schrieb über
die Temperaturbestimmungen bei Kranken in Lungenheilstätten
und befürwortet eine 2 stündige Messung von früh Morgens bis
8 Uhr Abends, und zwar wird dieselbe unter der Zunge vor¬
genommen. G. Burgl steuerte eine gerichtsärztliche Studie
bei : „Die hysterische Lügenhaftigkeit vor dem Strafrichter“,
worin er ausführt, dass die Hysterischen unaufhörlich lügen,
weil sie gar nicht anders können; das Charakteristische der
hysterischen Lügen liegt in ihrer Massenhaftigkeit, sowie schein¬
baren Motivlosigkeit. R. Cnopf behandelt in seinem Beitrag
die Therapie der kindlichen Nabelhernie und bezeichnet als
zweckmässig einen Verband mit einer Pelotte, welche mit Zink¬
oxyd-Guttaperchapilastermull befestigt wird, noch überdies fest¬
gehalten durch ein Zinkoxydheftpflaster. Besonders hat Verf.
mich dem Vorschläge von L u t o n Einspritzungen in die Um¬
gebung des Nabels gemacht, mit einer Lösung von Natr. phos-
phorie. 5,0, Natr. sulfuric. 10,0 auf 100 Wasser. Die über 13 Fälle
mitgetheilten Erfolge sind sehr günstige. Dann folgt eine grös¬
sere Statistik von E. Epstein über 133 Fälle tertiärer Haut¬
syphilis, kasuistische Beiträge von F. v. F o r s t e r und F. G i u -
1 i n i, beide aus der Ophthalmologie, im Anschluss dann eine
SCH E WOCHENSCHRIFT.
Mittheilung von W. Glauning über Pankreaskarzinome. An¬
der hygienischen Studie von F. Goldschmidt über die
Sterblichkeit in Nürnberg unter dem Einflüsse hygienischer
Maassnahmen ist zu ersehen, dass die Kindersterblichkeit auch
in Nürnberg eine ausserordentliche hohe ist, sogar in den letzten
5 Jahren noch zugenommen hat. Die Ursache hievon liegt nicht
klar zu Tage. Hinsichtlich der Diphtherie ist das Verhältnis
der Erkrankten zu den Verstorbenen das gleiche wie früher ge¬
blieben. Im Allgemeinen ist aber aus der generellen Abnahme
der Sterblichkeit der klare Beweis zu führen, wie segensreich sich
die Durchführung der hygienischen Maassregeln betreff der
Volksgesundheit gestaltet. E. Kiefer zeigt in seiner Studie
über die erbliche Belastung eines Falles von multipler Neuritis,
wie die ganze Frage der Erblichkeit nur durch das eingehendste
Studium jedes einzelnen Falles weitergeführt werden kann. Die
umfangreiche Arbeit von K. Koch über 76 in den letzten
4 Jahren von ihm operirte Fälle von Blinddarmentzündung (da¬
runter 2 Aktinomykosen) legt an der Hand dieses gut beobach¬
teten Materials ausführlich die Indikationen für chirurgisches
Eingreifen bei dem so verschiedenen Charakter dieser Fälle dar.
Im Allgemeinen erheischt die sogen. Appendicitis propria ex-
spektatives Verhalten, die eitrige Periappendicitis aber opera¬
tiven Eingriff, wobei man im Allgemeinen nicht von dem Ge¬
danken ausgehen darf, dem Kranken die Operation ersparen zu
wollen. Gerade bei den schweren Fällen der letzten Kategorie
ist das während der ersten Tage oft eingehaltene konservative
Verhalten gewöhnlich vom Uebel.
8 Arbeiten der Festschrift entstammen dem Nürnberger
neuen Krankenhause, auf dessen prachtvolle — im hygienischen
Sinne gesprochen — Einrichtung die Nürnberger allen Grund
haben, stolz zu sein. In seinen Ausführungen über die weibliche
Krankenpflege bekennt sich der so erfahrene Leiter des Kranken¬
hauses, Med.-Rath Merkel, unbedingt zu der Anschauung, dass
die Krankenpflege im weitesten Umfange weiblichen Händen
anvertraut werden muss. In seinem Beitrag: „Ueber die Schmerz¬
betäubung für Operationen“ erörtert Goeschel die verschie¬
denen Arten der Narkosen, sowie die Technik in einzelnen
Punkten, um zu dem Schlüsse zu kommen, dass über die Art
der zweckmässigsten Narkose die Akten noch nicht geschlossen
seien. Aus den Mittheilungen von F raenkel über 100 Fälle
von Radikaloperation des Leistenbruches nach der Methode von
B a s s i n i geht hervor, dass die letztere sehr gute Resultate gab,
indem von 85 Kranken, bei denen die Operation im Ganzen
100 mal ausgeführt wurde, keiner starb und auch der Dauer-
eflfekt befriedigte, v. Ebner berichtet über die an 431 Chlorosen
gemachten Beobachtungen und führt besonders aus, dass die
schon früher von Merkel ausgesprochene Anschauung, dass
die Rechtsverbreiterung des Herzens bei Bleichsüchtigen nur eine
scheinbare und im Wesentlichen durch Retraktion der Lungen¬
ränder zu erklären sei, durch die Untersuchungen mittels des
Orthodiagraphen Bestätigung erfahren habe. Merkel gibt
hiezu Bemerkungen über die Therapie der Chlorose. F. Merkel
berichtet über seine Erfahrungen bei Zangengeburten in der
Privatpraxis, von denen er sämmtliche 200 mit dem Prager
Zangenmodell ausgeführt hat. S. Merkel bringt Nürnberger
hygienische Aus- und Umblicke, J. Neuberger klinische Bei¬
träge zur paraurethralen und präputialen Gonorrhoe, W. Olil-
m ii 1 1 e r eine hygienische Studie über die Selbstreinigung der
Flüsse, Arbeiten, auf welche alle an dieser Stelle, wie auf ver¬
schiedene andere, mehr kasuistischen Charakters, nicht einge¬
gangen werden kann. P o r t, der Aeltere, äussert sich zur mecha¬
nischen Therapie beim Gelenkrheumatismus und empfiehlt die
Fixirung in Schwebeschienen aus Eisen, Port, der Jüngere,
gibt eine Uebersicht über die Behandlung der Gelenktuberkulose
und stellt die Indikationen für das konservative und nicht ab¬
wartende Vorgehen auf, v. Rad theilt 2 Fälle von Tabes bei
Kindern mit, das eine Kind war 10 Jahre alt, das andere erst 7;
letzteres bot noch nicht so ausgesprochen das Symptomenbild der
Krankheit dar wie ersteres. A. Reizen stein berichtet über
seine Erfahrungen betreff der Besichtigung der Speiseröhre vom
Munde und vom Magen aus, L, Rosenfeld gibt eine sehr
eingehende Statistik der von ihm behandelten Deformitäten, die
sich auf 2046 Fälle beziehen, Hofrath Schilling schildert
Fälle, wo ein sogen, septisches Exanthem zur Beobachtung kam,
1106
No. 26.
MUENGIIENER MEDICINISCII E WOCHENSCHRIFT.
dessen dermatologische Charaktere er des Näheren, erörtert,
P. S o li u b e r t veröffentlicht unter Beigabe zahlreicher Tabellen
die Resultate der Taubstummenuntersuchungen an den An¬
stalten in Nürnberg, Zell und Altdorf, an denen, fussend auf den
bekannten Untersuchungen von B e z o 1 d, nunmehr auch Hör¬
klassen eingerichtet worden sind, deren so segensreiche Wirkung
auch aus dieser Statistik hervorgeht. M. Simon hat einen
Beitrag über vaginale Myomoperationen geliefert. Stepp ver-
theidigt in seinem Auf satze über die Behandlung des chronischen
Magengeschwürs die Wirksamkeit der von ihm gehandhabten
Therapie (neben entsprechender Diät Darreichung von Wismuth
unter Beifügung von Chloroform durch mehrere Wochen hin¬
durch), Stich berichtet schliesslich über 3 Fälle von Fett-
gewebsnekrose und Ilämorrhagie des Pankreas.
Der so reiche Inhalt der Festschrift konnte nur in sehr
dürftigen Strichen skizzirt werden. Allein schon diese kurze
Uebersicht dürfte ausreichen, um zu zeigen, dass wissenschaft¬
licher Geist t hatsächlich im Nürnberger Verein nach wie vor
seine bleibende Stätte gefunden hat. Für den Nürnberger Ver¬
ein schöpfen wir hieraus die frohe Zuversicht, dass er sein erstes
Säkulum in unverwüstlicher Frische erreichen wird, für uns
Aerzte aber, im Hinblick auf das von unseren Nürnberger Kol¬
legen für die Wissenschaft und die Allgemeinheit Geleistete,
die uns erhebende Beruhigung:
’lctTQOS J’CtO ävrjQ TloWivV (tvTÜ'ZlOS uXXa v.
Grass m a n n - München.
David v. Hansemann: Die mikroskopische Diagnose
der bösartigen Geschwülste. 2. Aufl. Berlin 1902. Verlag von
August Hirschwald. Mit 106 Figuren im Text.
I eher die erste Auflage des hier vorliegenden Buches wurde
seiner Zeit in dieser Wochenschrift ausführlich Bericht erstattet
(No. 25, Jahrgang 1897), so dass hier, was die Anlage und den
allgemeinen Charakter desselben betrifft, darauf verwiesen werden
kann. Jedenfalls ist die Thatsache, dass in verhältnissmässig
kurzer Zeit eine neue Auflage nöthig wurde, nicht bloss wie Ver¬
fasser hervorhebt, dem zunehmenden Interesse für das Studium
der bösartigen Geschwülste, sondern nicht minder auch der Güte
und Originalität des Werkes selbst zuzuschreiben. Wie in der
äusseren Ausstattung, so hat das letztere auch nach seinem
inneren Gehalt in der neuen Auflage noch eine wesentliche
weitere Verbesserung erfahren. Wenn es auch, was gewiss nur
als 'S orzug betrachtet werden darf, überall die eigene, subjektive
Ansicht des Verfassers zur Grundlage hat, so ist gerade in der
Diskussion über einzelne strittige Punkte eine Darstellung ge¬
geben, welche den Leser nach allen Richtungen hin vollkommen
Orient irt. Entsprechend der ausführlichen Berücksichtigung der
neuesten Errungenschaften der Geschwulstpathologie hat das
Werk auch eine Zunahme von 11 auf 15 Kapitel erfahren. Neu
hinzugekommen ist ein Kapitel über die Mischgeschwülste und
die Che trionepitheliome. Ausserdem sei hier besonders auf die
neue Bearbeitung der Frage der Anaplasie, der Ein-
t h e i 1 u n g der Geschwülste, die Darstellung der Endo¬
thel i o m e, der Aetiologie der bösartigen Tumoren hin¬
gewiesen. Auch die Abbildunge n sind vielfach vermehrt,
zum Theil auch durch neue ersetzt worden.
Die neue Auflage wird noch mehr wie die erste allen Denen
ein werthvoller Führer sein, welche nicht bloss eine mechanische
Diagnosenstellung, d. h. Namengebung der einzelnen Geschwulst¬
formen, sondern eine Anleitung zum tieferen Studium und zum
Verständniss der Morphologie der Geschwülste erstreben.
Schmaus - München.
Leitfaden für den geburtshilflichen Operationskurs von
Dr. Albert Döderlein. 5. verbesserte Auflage. Mit 149 Ab¬
bildungen. Leipzig, Georg Thieme, 1902. VIII und 190 S.
Preis 4 Mark.
Der D.’sche Leitfaden dürfte der heutigen ärztlichen Genera¬
tion wohl fast durchweg bekannt sein und bedarf keiner be¬
sonderen Empfehlung. Für seine Verbreitung und Nützlichkeit
spricht allein die Thatsache, dass in 9 Jahren 5 Auflagen er¬
forderlich wurden. Das Buch hat seinen Zweck, ein Taschenbuch
für den geburtshilflichen Operationskurs und ein Vademecum
für den angehenden Geburtshelfer zu sein, vollauf erfüllt. Aber
auch der erfahrene Praktiker nimmt D.’s Leitfaden gern wieder
zur Hand, um sich unmittelbar vor Operationen rasch und
gründlich über Einzelheiten zu orientiren. Hierzu sind die klare,
präzise Darstellung und die zahlreichen trefflichen Illustrationen,
die von 98 in der 1. Auflage jetzt auf 149 gestiegen sind, in be¬
sonderem Maasse geeignet. Ist das Buch auch in erster Linie
für Schüler geschrieben, so wird doch auch jeder beschäftigte
Praktiker und besonders der Landarzt, der stets auf sich allein
angewiesen ist, den Leitfaden gern als Repetitorium für das Er¬
lernte zu Rathe ziehen. Die zahlreichen Abbildungen, besonders
in den Kapiteln über die Wendung und Zange, sind als vorzüg¬
lich zu bezeichnen und allein schon geeignet, die Lehre dieser
Operationen einzuüben und wieder im Gedäehtniss aufzufrischen.
Wir können das Buch jedem Studirenden und Praktiker
dringend zur Anschaffung empfehlen. Es bildet eine erwünschte
Ergänzung für jedes Lehrbuch der Geburtshilfe.
J affe- Hamburg.
. •V.v- I
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
Bd. VI, Heft 1. 1902.
Heft I. D H. S c li a p e r - Berlin: Die Krankenkost und die
Küche der Charite. (Mit 0 Abbildungen.)
Angabe der üblichen Diiitformen und Beschreibung der mit
den modernsten Einrichtungen ausgestatteten Zentralküche, in
welcher für ca. 1700 Personen die Speisen zubereitet werden.
2) P. K o u i n d j y - Paris: Die Extensionsmethode und ihre
Anwendung hei der Behandlung der Nervenkrankheiten. (Mit
4 Abbildungen.) I. Theil. (Hospice de la Salpetriere. Oblique
des maladies nerveuses du Professeur Raymond.)
3) W. C r o n h e i m und Erich Müller: Versuche über den
Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings, mit besonderer Berück¬
sichtigung des organisch gebundenen Phosphors. 1. Theil. (Aus
dem thierphysiologischen Laboratorium der landwirthschaftlichen
Hochschule zu Berlin. Direktor: Prof. Zuntz.)
41 P. F. R i c li t e r - Berlin: Klinik und physikalische
Chemie.
Die neueren Lehren der Chemie von der molekularen Kon¬
zentration. dem osmotischen Drucke und der elektrolytischen Dis¬
soziation von Lösungen gewinnen nach zwei Richtungen hin einen
Einfluss auf die Medizin, erstens dadurch, dass Lösungen auf den
Organismus wirken, zweitens im Organismus ein Austausch von
Lösungen statthat. Während gerade in der Diagnostik der Nieren¬
erkrankungen uns ein Studium dieser Verhältnisse bereits un¬
bestreitbare Resultate ergab, eröffnet sich hinsichtlich der Resorp¬
tion vom Magendarmkanal aus, des feineren Stoffwechsels, des
Einflusses der Trink- und Bäderkuren, der Licht- und Elektro¬
therapie noch ein weites Arbeitsfeld.
Heft 2. 1) Karl G r u b e - Neuenahr: Ueber den Einfluss des
Fettes auf die Aceton- und Säureausscheidung beim Diabetiker.
Im Gegensätze zu der früher bestehenden Ansicht, dass
Aceton ein Zerfallsprodukt des Eiweisses sei, sprechen neuere
Untersuchungen dafür, dass das Fett als die Quelle desselben an¬
zusprechen ist.
Ernährungsbeobachtungen bei Diabetikern ergaben nun, dass
die Aceton-, Acetessigsäure- und Oxybuttersäureausscheidung so¬
wohl bei der leichten wie bei der schweren Form der Zuckerharn¬
ruhr durch den Fettgehalt der Nahrung im positiven Sinne beein¬
flusst wird. Dies gilt vor Allem von der Butter, während dem
Schweinefette hinsichtlich der Ausscheidung dieser Körper keine
Bedeutung zukommt. Von diesen Erfahrungen ausgehend, wirft
Gr. die Frage auf, ob bei Diabetes nicht auch der Fettkonsum
eingeschränkt werden soll, glaubt dieselbe aber aus Gründen einer
den Körperbestand ermöglichenden Ernährung vorläufig in der
Regel verneinen zu müssen.
2) P. K o u i u d j y - Paris: Die Extensionsmethode und ihre
Anwendung bei der Behandlung der Nervenkrankheiten.
( 1 lospice de la Salpetriere. Clinique des maladies nerveuses du
Professeur Raymond.) (Schluss.)
Während die Suspension eine Zeit lang im Uebermaasse zur
Anwendung kam, ist ihr Ansehen gegenwärtig derartig gesunken,
dass Verf. es für berechtigt hält, auf die ihr gebührende Stelle
in der Therapie Nervenkranker im Allgemeinen und der Tabes
dorsalis im Besonderen hinzuweisen.
Er empfiehlt den Gebrauch eines Extensionsstuhls (vertikaler
Zug im Sitzen) und Extensionsbrettes (Zug im Liegen auf einer
schiefen Ebene).
Hinsichtlich theoretischer Erklärung der Wirkung gehen die
Ansichten auseinander. Nach Thierexperimenten Ossankof f’s
soll die Suspension zunächst eine Anämie und dann eine Hyper¬
ämie dos Zentralnervensystems zu Stande bringen. Eigene Mes¬
sungen der Wirbelsäule vor und nach der Suspension ergaben eine
durchschnittliche Verlängerung des Körpers um 1 — 2 cm durch
das Extensionsverfahren.
Die Mehrzahl moderner Neurologen erkennt die Suspension
als einen positiven Heilfaktor der tabischen Symptome, vor Allem
1. Juli 1902.
1107
M U EN( TI I ENEK M E I ) 1 CI N L
der lanzinirenden Schmerzen, des 11 o m b e r g’sclien Phänomens
und der Koordinationsstörungen an.
Bei Kranken mit Störungen des Zirkulations- und Uespira-
tionsaparates, Apoplektikern, Anämischen und Fettleibigen darf
das Verfahren nur mit Vorsicht angewendet werden.
3) W. C r o n li e i m und Erich M ii 1 1 e r: Versuche über den
Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings, mit besonderer Berück¬
sichtigung des organisch gebundenen Phosphors. (Aus dem
thierphysiologischen Laboratorium der landwirthschaf fliehen
Hochschule zu Berlin. Direktor: Prof. Zu ntz.) (Schluss.)
Neueren Arbeiten gemäss soll gerade denjenigen Eiweiss¬
körpern und dem Fette, welche Phosphor in organischer Form
gebunden enthalten, ein besonderer Nälirwertli zukommen.
Die Yerf. haben nun bei Säuglingen und einem älteren Kinde
den Einfluss phosphorhaltigen Fettes, das sie in Form lecithin¬
reichen trockenen Eidotters gaben, auf den Körperansatz studirt
und im Anschluss daran auch einzelne Lecithinfütterungsver¬
suche bei jungen filieren angestellt.
Die wichtigsten Ergebnisse ihrer Untersuchungen sind, dass
die Darreichung von Eidotter die Assimilation des Eiweiss deut¬
lichbegünstigte. 1 >as Wachsthum der stickstoffhaltigen Gewebe wird
ein wesentlich grösseres bei gleicher Zufuhr von Eiweiss und Ge-
sainmtnahrung, wenn ein Theil des Phosphors in Form von Ei¬
dotter zugeführt wird. Es empfiehlt sich also bei Ernährung des
Kindes frühzeitig die Verwendung von Eidotter.
Aus der Phosphorbilanz ist ersichtlich, dass beim Säuglinge
mehr Phosphor angesetzt wird, als zur Knochen-, Fleisch- und
Blutbildung notliwendig ist. Es müssen also die phosphorreichen
Gewebe, Nervenmark und kernhaltige Drüsen am Stoffansatze des
ersten Lebensjahres erheblich betheiligt sein.
Sterilisirte Milch zeigte sich als minderwertliig, insoferne sie
weder allein, noch in Verbindung mit massigen Mengen Eidotters
oder reichlicher Zufuhr von die Knochenbildung befördernden Mi-
neralbestandtheilen einen befriedigenden Kalkansatz zu Stande
brachte.
4) Paul Lazarus: Zur Frage der hemiplegischen Kon¬
traktur. Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn Privat¬
dozenten Dr. Ludwig Mann, betreffend meinen Aufsatz auf
S. .".">0, Bd. V dieser Zeitschrift. (Aus der I. medizinischen Klinik
Berlin. Direktor: Geh.-Kath v. Leyden.)
M. W asser m a n n - München.
Centralblatt für innere Metlicin. 1902. No. 25.
T ollens: Zur Verwertbarkeit des Gärtner sehen Hamo-
photographen im Vergleich zum F leischi-Miescher-
schen Hämoglobinometer. (Aus der medizinischen Klinik in
Breslau.)
Auf Grund von etwa 120 vergleichenden Bestimmungen ge¬
langte der Verfasser zu dem Ergebnis, dass der G ä r t n e r sehe
Hämopliotograph annähernd dasselbe leistet, wie das Fleisclil-
Miesche r sehe Hämoglobinometer, dass aber bei ersterem die
Fehlerquellen erheblich grösser sind wie beim Fleischl-Miescher.
Wo deshalb das kostspielige Hämoglobinometer nicht zur Ver¬
fügung steht, mag das G ii r t n e r sehe Instrument ohne Bedenken
Anwendung finden. Al'. Zinn- Berlin.
Centralblatt für Chirurgie. 1902. No. 23 u. 24.
No. 23. C. Nieoladoni: Horizontale Gastroduodeno-
stemie.
Bei einem Fall von Besectio pylori wegen Karzinom mit
grosser Ausdehnung über die kleine Kurvatur, bei dem nach der
Okklusionsnaht der Magen mit einem ca. <S cm langen schmalen
Zipfel nach rechts abschloss, sah sich N. genötigt das Duodenum
anstatt vertikal zur Okklusionsnaht horizontal einzunähen und
rühmt diese Modifikation als leicht und bequem. N. glaubt, dass
auch für jede Kocher sehe Gastroduodenostomie diese Lage der
Naht mit Vorteil anzuwenden ist.
No. 24. C. S p r i n g e r - Prag: Ein neuer Deckverband.
Um die Nachteile des Anklebens der Gaze zu vermeiden und
das nicht sterilisierbare Silk für diesen Zweck durch steriles
Material zu ersetzen, empfiehlt Spr. das Paraffin, indem er in
einem flachen, mit Deckel versehenen Gefäss eine Wassermenge von
;; _ 4 ccm Tiefe auf 100 0 C. erhitzt und ein kleines Stück Paraffin
hineinwirft, das Wasser 10 Minuten kochen lässt. A\ ird dann das
Gefäss in kaltes Wasser gestellt, so bildet sich bald ein Häutchen
von Paraffin, das man in jeder Form schneiden und biegen und
mit ausgeglühten Nadeln nach Wunsch durchlöchern kann (um
für freien Sekretabfluss zu sorgen). Dasselbe klebt nicht an, wird
beim Verbandwechsel leicht mit der darüber gelegten Gazeschicht
abgehoben, reizt nicht und imprägniert nicht die Gaze, sondern
lässt diese trocken und aufsaugungsfähig. Auch der Lichtdurch¬
lässigkeit möchte Spr. speziell gegenüber dem Silk einen Vorzug
vindizieren. Sehr.
Archiv für Kinderheilkunde. 34. Bd., 1. bis 2. Heft.
Mitteilungen aus dem Adele Brödy-Kinderspital der Fester
israelitischen Iteligionsgemeinde zu Ofen-Pest.
-i. Grosz: Das Adele Brödy-Kinderspital der Pester israe¬
litischen Beligionsgemeinde zu Ofen-Pest.
SCHE W O CHENS 0 1 1 R I ET.
Beschreibung dos Krankenhauses, seiner Einrichtung. Or¬
ganisation und Wirksamkeit.
.1. Grosz: lieber Alkoholismus im Kindesalter.
Yerf. wendet sich gegen den Alkoholgenuss der Kinder, sei
es als Genuss- oder „Stärkungs“-M ittel und bespricht die deletären
Folgen. Die akute Alkoholintoxikation iiussert sieh bei Kindern,
abweichend von Erwachsenen, oft in Form von Konvulsionen;
die Schädlichkeiten der chronischen Form betreffen besonders das
Nervensystem und die Leber; 1 eigene Fälle von Leberzirrhose
zwischen (i und 13 Jahren.
C. Beck und .1. G rösz: Ueber Lichen scrophulosorum und
dessen Beziehungen zu den „Tüberculides cataneas Darier“.
Beschreibung eines Falles mit mikroskopischem Befund; die
Affektion stellt in engem Konnex mit der Tuberkulose, wird aber
nicht lokal durch Bazillen verursacht; dagegen ist eine Toxin¬
wirkung ätiologisch wahrscheinlich.
J. Grösz: Ein Fall von funktioneller Bulbärparalyse.
(Bulbärparalyse ohne anatomischen Befund — Oppenheim;
asthenische Bulbärparalyse — Strümpell.)
Krankheitsgesehichte eines seltenen Falles, der ganz unter
dem Bilde der Bulbärparalyse verlief, mit Sprachstörung, Unfähig¬
keit zu schlucken, Parese der Extremitäten etc. Das auffallendste
war der rasche Verlauf; denn die Affektion trat akut auf und das
Kind, welches bei der Aufnahme ins Spital einen schwerkranken
Eindruck machte, war in ca. 3 Wochen geheilt; dir* Heilung wurde
auch späterhin kontrolliert. Eine organische Bulbärparalyse war
jedenfalls auszuschliessan, aber auch sonst war ätiologisch nichts
auffindbar, sodass das Wesen solcher Fälle dunkel bleibt.
.1. G rösz: Ueber die Behandlung unserer Scharfachfälle.
Bringt nichts Neues.
II. Köder: Der heutige Stand der Gafrierpunktsbestim-
mung von Blut und Harn und ihre allgemeine klinische Be¬
deutung für die Frage der Niereninsuffizienz. (Aus dem Kaiser
und Kaiserin Friedrichs-Kinderkrankenhause zu Berlin.)
Ausführliche Besprechung dieser modernen Methode, der Er¬
wägungen, aus denen sie hervorgegangen ist, ihrer bisherigen
Leistungen und was man mit der Zeit noch davon erwarten kann.
Die Arbeit ist zur Orientierung auf diesem neuen Gebiet sehr ge¬
eignet, kann aller in kurzem Auszug nicht wiedergegeben werden.
Prof. Kra b 1 e r - Greifswald: Uebersicht der Vertretung der
Pädiatrie an den deutschen Universitäten nach dem Univer¬
sitätskalender für das Wintersemester 1901/02.
Aus Anlass der neuen Prüfungsordnung für Mediziner," welche
auch ein halbjähriges Praktikum in Kinderkrankheiten verlangt,
gibt Verf. die im Titel genannte Uebersicht. Es geht daraus her¬
vor, dass die Kinderheilkunde in Deutschland noch recht massig
vertreten ist, so haben z. B. 4 deutsche Universitäten weder In¬
stitute noch Vorlesungen für Pädiatrie, G Universitäten zwar Vor¬
lesungen, aber keinerlei Institut.
Referate. Lichten stein - München.
Archiv für Verdauungskrankheiten mit Einschluss der
Stoffwechselpathologie und der Diätetik. Herausgegeben von
Dr. J. B o a s - Berlin. Band VIII. Heft 1 u. 2.
Vorliegendes Doppelheft, das vom Herausgeber E. v. Leyden
zu seinem 70. Geburtstage gewidmet ist, enthält an erster Stelle
aus Boas’ Feder eine Würdigung der Verdienste des Jubilars
um die Diättherapie und bringt uns als schlagendsten Beweis für
diese aus E. v. Leydens Handbuch der Ernähnmgstlierapie eine
Reihe der markantesten Sätze und Aphorismen, die uns ein deut¬
liches Bild seines Wirkens auf diesem Gebiete zu gehen vermögen.
1) Knud F a b e r - Kopenhagen: Ueber Darmdyspepsie.
Professor F a b e r, der unter Darmdyspepsie diejenigen dys¬
peptischen Symptome verstanden wissen will, deren Ursache man
in den kränklichen Verhältnissen des Darmkanals selbst und nicht
des Magens suchen muss, weist in vorliegender Arbeit das Vor¬
handensein eines derartigen Symptomenkomplexes an der Hand
einer Reihe von Krankengeschichten überzeugend nach und be¬
stätigt somit auf’s Neue Trousseau’s schon vor 40 Jahren
erfolgte Behauptung, dass ungefähr die Hälfte aller Fälle von
Gastralgie und Dyspepsie in Wirklichkeit auf Leiden des Darms
zurückzuführen sei. Die Patienten hatten in allen Fällen kürzer
oder länger an Obstipation gelitten, die sie entweder ganz vernach¬
lässigt oder mit den verschiedensten Laxantien behandelt hatten.
Nachdem die Obstipation eine gewisse Zeit beschwerdelos bestanden,
stellten sieh allmählich die dyspeptischen Symptome ein, diese
waren in allen Fällen deutlich ausgesprochen und bestanden in
Kardialgie, Aufstossen, Anorexie, l’ebelkeit und Erbrechen, gleich¬
zeitig litten die Paiient n auch an schweren nervösen Symptomen,
Kopfschmerzen, Depression, Schlaflosigkeit, Arbeitsunlust, und
Schwindel. Die häufigste Beobachtung ist wohl die normaler Se-
kretionsv erhältnisse des Magens, doch trifft man nicht selten auch
Patienten mit Darmdyspepsie und von der Norm abweichender
Magenfunktion, nämlich mit bestehender Hyperazidität. \ on
Bedeutung für F ä b e r’s Auffassung der Dyspepsie als direkte
Folge der Darmstörung ist. es, dass genau dieselben Symptome
auch unter Verhältnissen entstellen, wo wir bestimmt wissen, dass
die Ursache der Krankln-it im Darm zu suchen; dies ist der Fall
hei denjenigen Patienten, die an Tünien leiden. Bezüglich der
1108
MUENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 26.
Frage, wie die Störungen im Darm diese Symptome liervorrufeu
können, sind zwei Erklärungen naheliegend, entweder nehmen wir
eine im Darmkanal entstehende Vergiftung an oder die Symptome
entstehen direkt durch Heizung des Nervensystems als eine Art
Hollexwirkung. Detztere Annahme ist Fabel- die wahrschein¬
liche, besonders bezüglich des Hauptsymptoms der Kardialgie.
Auch die oben erwähnte Hyperazidität findet auf diese Weise eine
ungezwungene Erklärung, haben doch verschiedene Autoren eine
Aziditätssteigerung auf reflektorischem Wege beobachtet. Bei der
Behandlung der Darmdyspepsie ist nach Lage der Sache das
Hauptaugenmerk auf die Heilung des Darmleidens zu richten;
meist wird dies ja wohl gleichbedeutend sein mit der Beseitigung
der Ursache des ganzen Krankheitsbildes der Obstipation, häufig
jedoch erfordert eben die vorhandene Dyspepsie verschiedene
Rücksichten und macht dann eine Modifikation der Antiobstipa¬
tionsdiät noth wendig.
2) J. B o a s - Berlin und A. Kachmann- Hamburg: Weitere
Beiträge zur Lehre von den okkulten Magenblutungen.
Nach den Mageninhaltsuntersuchungen, die beide Autoren in
257 Fällen der verschiedensten Magen- und zum Theil auch Darm¬
krankheiten mit der Webe r’schen Modifikation der van Deen-
schen Blutprobe anstellten, kommen okkulte Blutungen unter drei
Bedingungen vor. Einmal bei Geschwüren, sodann bei Geschwulst¬
bildungen, wobei die Erfahrungen von Boas und Kachmann
sich ausschliesslich auf das Karzinom beziehen, ferner bei schweren
motorischen Störungen gutartigen Charakters, sowohl bei dauern¬
den wie bei periodischen. Die Verfasser sagen nun selbst, dass
dem Nachweis einer okkulten Blutung allein im Mageninhalt oder
in den Fäzes eine ausschlaggebende Holle nicht zukommt, immer¬
hin aber ist er neben anderen klinischen Symptomen als ein werth¬
volles unterstützendes Zeichen zu betrachten, zumal beim Ent¬
scheid der Frage nach dem Vorhandensein eines Karzinoms. Wäh¬
rend nämlich bei gutartigen motorischen Störungen mit dem An¬
steigen der motorischen Kraft vorhandene Blutungen nachliessen
und schliesslich ganz schwanden, war beim Magenkarzinom, auch
wenn die Hückstände geringer wurden, die Blutprobe stets mehr
oder weniger stark positiv. Ferner ist zu beachten, dass, wenn
bei fehlendem Salzsäurebefund und gut erhaltener Motilität ok¬
kulte Magenblutungen oder Blut in den Fäzes konstant fehlen,
dies in zweifelhaften Fällen mit grosser Wahrscheinlichkeit gegen
das Vorliegen eines Karzinoms spricht.
3) John H e m m e t e r - Baltimore: Beiträge zur Antiperi¬
staltik des Darmes (6 r ü t z n e r).
Für die bekannte Thatsaclie, dass Nährklysmen nach ihrer
Einführung in das normale Itektum und Kolon verdaut und re-
sorbirt werden, hat Grützner in der Deutschen med. Wochen¬
sehr. 1894, No. 48 eine stichhaltige Erklärung zu geben versucht,
durch die schon von Nothnagel 1884 beobachtete antiperistal¬
tische Bewegung des Darmes. Die Resultate der von Ilem-
m eter und seinen Schülern an sich und an Thieren angestellten
Versuche lauten nun dahin, dass wohl eine randständige Bewegung
kleiner Tlieilclien vom Rektum zum Magen hin statthat und dass
diese Bewegung unterstützt wird, wenn die Theilclien (Stärke¬
körner, Bismuth, Sägespähne etc.) in physiologischer Na Cl-Lösung
suspendirt eingespritzt werden, während sie behindert oder gänz¬
lich aufgehoben wird, wenn schwache KCl- oder HCl-Lösungen zur
Anwendung kommen. Dieses, wie Sektionen und Gefrierschnitte
ergaben, randständige Aufwärtswandern der Theilchen geht gleich¬
zeitig mit dem zentralen Abwärtssteigen der Fäkalmassen vor sich,
Avie mit Hilfe der X-Strahlen nach Bismutheinläufen an einer
Katze deutlich zu beobachten war. Diese randständige Antiperi-
stalti) kann jedoch Ingesta nicht in Massen vorwärts bewegen,
Avesshalb sie auch nicht als eine Erklärung für die Verdauung
der Nährklysmen angeführt werden kann.
4) Korn- Berlin: Ueber Heteroehylie. (Aus Dr. Boas’
Klinik.)
Unter Heteroehylie verstehen wir nach Hemm et er einen
plötzlich Avecliselnden Zustand .der Sekretion des Magens, wobei
unter gleichen Verhältnissen innerhalb kurzer Zeit Anazidität,
normale Azidität und selbst Hyperazidität beobachtet Averden.
Der Hauptsache nach finden sich diese SchAvankungen bei ner¬
vösen Erkrankungen des Magens, Avie auch in vorliegender Arbeit
7 der von Korn veröffentlichten 11 Fälle als reine Neurosen sich
erklären lassen. Doch auch in den 4 übrigen Fällen, in welchen
zwar organische Erkrankungen nachAveisbar waren, wird man
nervöse Einflüsse für diesen Wechsel der Sekretion geltend machen
müssen und mit Boas einfach eine Kombination nervöser und
organischer Magenerkrankung anzunehmen haben.
5) Franz J u n g - Washington: Die Häufigkeit und Erblich¬
keit von Magendarmbefunden in Familien.
ln seiner Arbeit über obiges Thema versucht Jung auf Grund
eines Avährend der letzten 3 Jahre gesammelten Untersuchungs-
materials der Frage, wie sich die Magenuntersuchungen blutsver-
Avandter Personen verhalten, näherzutreten. Abgesehen davon,
dass statistischen Berechnungen eines Einzelnen doch immer nur
ein sehr bedingter Werth zukommt, leidet Jun g’s Arbeit auch
darunter, dass, in Folge einer bei der Statistik der Hyperchlor-
hydric eingeschlichenen Fehlerquelle, die Schlussfolgerung, die
Superazidität trete am häufigsten bei mehreren Familienmitglie¬
dern zugleich auf, nicht zutrifft, sondern, dass auch hier die
Enteroptose an der Spitze steht, ebenso Avie bezüglich der Häufig¬
keit ihres Auftretens überhaupt bei blutsverwandten Personen.
0) H. 1 1 1 o av a y - New-Yorlc: Hyperazidität (Superazidität,
Hyperchlorhydria, Superaciditas chlorhydrica), eine klinische
Studie.
An einer Zusammenstellung von über 100 Fällen zeigt 1 1 1 o -
aa- a y, dass weder allein der Naclnveis der totalen Azidität, noch
der der freien Salzsäure, noch der ihres Verhältnisses zu einander
genügt, um darauf die Diagnose Hyperazidität aufzubauen, hierzu
ist noch das Vorhandensein anderer Symptome gemeinschaftlich
mit diesen notlnvendig. Diese Symptome hält Verfasser für hin¬
reichend charakteristisch, um bei der Zusammenstellung mit den
Ergebnissen der chemischen Untersuchung des Mageninhalts den
richtigen Schluss ziehen zu lassen. Er bezeichnet als solche:
ziemlich gute Ernährung trotz oft jahrelanger Krankheitsdauer,
das Vorhandensein meist guten Appetits, nur vereinzeltes Er¬
brechen, Fehlen heftigerer Empfindlichkeit im Epigastrium bei
der äusseren Magenuntersuchung. Was die Untersuchung des
Mageninhaltes selbst anlangt, so Avollen Strauss und auch
S c h ii 1 e r spezielle Eigenthümlielikeiten gefunden haben, näm¬
lich stets bedeutend grössere Menge des Ausgeheberten und dessen
auffallende Dünnliüssigkeit, ferner sein geringeres spezifisches Ge¬
wicht und seinen abnormen Reichthum an Amidulin. IlloAvay
konnte nur die letzten beiden Momente bestätigt finden; jedenfalls
aber müssen auch sie noch Aveiter geprüft und studirt Averden. Bei
den subjektiven Symptomen steht an erster Stelle der Magen¬
schmerz bezAV. die Gastralgie. Der Schmerz ist nicht ein beständi¬
ger, er hängt ab von der Zeit der Nahrungsaufnahme, und von der
Art und Menge der Nahrung. Blosses Brennen im Magen kann
auch bei Nacht sich einstellen, während eigentliche Schmerzen
Nachts fehlen. Stärkere Paroxysmen von Gastralgie stellen sich
nur äusserst selten nach jeder Mahlzeit ein, sonstige Sensationen
im Magen bieten nichts speziell für Hyperazidität Charakte¬
ristisches. Erwähnenswert!! ist noch, dass Endstationen fast ganz
fehlen. Bei der Aetiologie wendet sich 1 1 1 o av a y gegen die Auf¬
fassung, die Hyperazidität schlankweg als eine Neurose zu er¬
klären, für die Mehrzahl der Fälle hält er vielmehr greifbare Ur¬
sachen für gegeben. Diese sind Verstopfung, Alkohol und Nikotin,
schliesslich auch sclnver verdauliche Speisen. Bei der Therapie
folgt Verfasser dem Grundsatz, bei jeder Mahlzeit stickstoffhaltige
Nahrungsmittel und zwar als Hauptnahrung zu geben und die
anderen Speisen nur als Zugabe; denn die Kohlehydrate stimu-
liren zwar die Sekretion des Magensaftes, besitzen aber nicht die
Fähigkeit, eine genügende Menge Salzsäure zu binden, so dass
viel davon frei im Magen verbleibt. Zum Schluss gibt Illo-
av a y noch ausführliche Diätvorschriften, die aber, da auf rein
amerikanische Verhältnisse zugeschnitten, für uns nur bedingten
Werth besitzen, immerhin aber doch auch für uns Beherzigens-
werthes enthalten.
7) N. Gerry Morgan-NeAV-York: Zucker, als solcher, in der
Diät der Dyspeptiker.
Angeregt durch verschiedene Arbeiten über den Einfluss
grösserer oder geringerer Zuckermengen auf die Leistungsfähig¬
keit der betreffenden Personen, kam Verfasser der Gedanke, auch
den Einfluss des Zuckers auf die Verdauung zu prüfen, und zwar
soAvolil bei gesunden Individuen, als auch bei solchen mit gastri¬
schen Störungen. Die erhaltenen Resultate Avaren folgende: Die
Wirkung auf den Appetit ist keine bestimmte. Vermehrte Zucker¬
zufuhr scheint Gälirung im Magen zu verhindern, was sich aus
dem Nachlassen des Aufstossens ergibt; Aelmliches gilt vom Sod¬
brennen. Die Darmthätigkeit wird eine regere, die Urinmenge
nimmt zu, ebenso ist eine Vermehrung des Harnstoffes zu be¬
obachten. Was speziell die Einwirkung auf die Säureverhältnisse
des Magens betrifft, so erscheint es Avahrscheinlich, dass im ge¬
sunden Avie im hyperaziden Magen durch Hinzufügen oder Ent¬
ziehen des Zuckers in der Diät der Totalgehalt an Säure und die
freie HCl beliebig vermehrt oder vermindert werden kann. In all’
diesen Fällen besteht augenscheinlich auch eine verminderte
Thätigkeit der Enzyme des Magensaftes. A. Jorda n.
Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch¬
gerichtliche Medicin. 59. Bd. 2. u. 3. Heft.
1) Mönkemöller: Kasuistischer Beitrag zur Geschichte
der Irrenbehandlung im 18. Jahrhundert.
Schildert nach den Akten das behördliche Verfahren bei der
Erkrankung eines Beamten, der nach M. an persekutorisclier
Paranoia mit querulirendem Charakter litt. Unter anderem Aver¬
den mehrere alte ärztliche Gutachten und das Ergebniss einer
Konferenz von 5 Geistlichen mit dem Kranken mitgeteilt.
2) Nit sc he: Ueber Gedächtnissstörung in 2 Fällen von
organischer Gehirnkrankheit.
Ein Paralytiker und ein Himluetiker wurden nach einem der
neueren Verfahren — mit systematisirtem Fragebogen — unter¬
sucht. Jener zeigte früh eine ziemlich gleichmässige Herabsetzung
der Aufmerksamkeit, der Merkfähigkeit und des Reproduktions¬
vermögens. Bei der Hirnlues war die Merkfähigkeit am stärksten
gestört.
3) Rudolph: Ueber eine Form von Zwangshandlung.
Beobachtete, dass bei einigen degenerativen Patienten die
Neigung bestand, alle Gegenstände, mit denen sie zu thun haben,
1. Juli 1902.
MÜEN CHElSTER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1109
z w e i m a 1 zu berühren. Insbesondere bei einer belasteten
Familie zeigten 3 Glieder, von denen 2 noch schwer hysterisch
waren, derartige und verwandte Zwangssymptome.
4) Linke: Noch einmal der Affekt der Paranoia.
Kurzer, polemisch-kritischer Beitrag.
5) Siefert: lieber chronische Manie.
Kasuistischer Beitrag.
6) Hoppe: Ein Fall von Querulantenwahnsinn.
Darstellung eines begutachteten Falls, bei dem auch andere
Beate, die nicht mit dem Wahnsystem zusammenhingen, vor¬
kamen.
7) Risch: Zur Kasuistik der Aphasie mit Agraphie und
Alexie.
Optische und taktile Perzeptionen wurden schlecht, Sinues-
eindrücke, die aus eigenen Bewegungen stammen, überhaupt nicht
behalten. Die Reproduktion geometrischer Figuren war sehr un¬
zureichend. Spontansprechen war völlig aufgehoben, Nach¬
sprechen einzelner Worte beschränkt möglich. Wortverständnis
war erhalten. Manchmal wurden Silben durcheinander geworfen.
Spontan konnte Patient nur die Zahlen 1 — 5 sprechen, doch bloss
unter Zuhilfenahme der taktilen und optischen Partialvor¬
stellungen. Spontan- und Diktatschreiben, Lesen und Lesever-
ständnis waren aufgehoben. Der Kranke wurde nach dem
Riege r’sclien Schema untersucht. Es wurde ein Krankheitsherd
in der Insel angenommen, der auf die Leitungsbahnen übergreift,
die zum Lesezentrum führen. W e y g a n d t - Wiirzburg.
Archiv für Hygiene. 43. Bd. 1. Heft. 1902.
1) Stanislaus E p s t e i n - Prag: Untersuchungen über die
Reifung von Weichkäsen.
Unter den aus verschiedenen W e i c h k ä s e n isolierten Bak¬
terien und daraus hergestellten Reinkulturen fanden sieh besonders
2 wichtige Bakterienarten. Einmal eine peptonisierende Art
— Tyrotlirix — und dann Säurebil d n e r. Bei den praktischen
Versuchen über die Herstellung dieser Käse gelang es weder mit
der einen, noch mit der anderen Reinkultur allein den Geschmack
und den charakteristischen Geruch des Kiises hervorzubringen.
Dagegen konnte Epstein zeigen, dass zur Herstellung eines
W e i c h k iises das Zusammenwirken von 2 Ra k t e r i e n -
arten unerlässlich ist. Im Innern des Käses üben die
M i 1 c h s ii u r e b a k t e r i e n eine vorbereitende Wirkung aus,
während die für Weichkäse charakteristische Reifung von der
Oberfläche nach dem Innern schichtweise fortschreitet.
2) H. Wolpert - Berlin: Ueber den Einfluss des Windes auf
die Atmungsgrösse des Menschen.
Die Untersuchungen wurden an nackten und bekleide¬
ten Personen im Respirationsapparat ausgeführt, in
welchem sie je y2 Stunde verblieben. Die Resultate seiner Ver¬
suche fasst Wolpert folgendermassen zusammen:
1. Gibt sich die Wirkung des Windes durch, wenn auch gering-
gradigste Kältesymptome zu erkennen, so sind Atmungsgrösse so¬
wohl, wie Kohlensäurebildung nebst Sauerstoffverbrauch, auch die
Wasserdampfabgabe aus Respiration bedeutend höher als bej
Windstille.
2. Unter mittleren Verhältnissen, wo man bewegte und un¬
bewegte Luft unterschiedslos für die Wärmeempfindung hinnimmt,
werden Atmungsgrösse und Kohlensäurebildung durch den Wind
nicht beeinflusst, die Wasserdampf abgabe jedoch bedeutend durch
den Wind herabgesetzt.
3. Bei höheren Temperaturen, etwa 30 °, wo bewegte Luft als
Annehmlichkeit empfunden wird, ist die Atmungsgrösse durch den
Wind gesteigert, die Kohlensäurebildung etwas herabgesetzt, eben¬
so die Wasserdampfabgabe und zwar bedeutend durch den Wind.
4. Ist die Luft wärmer als der Körper, dann sind Atmungs¬
grösse, auch Kohlensäurebildung in bewegter Luft höher als in
ruhender Luft, die Wasserdampf abgabe in bewegter Luft be¬
deutend höher als in ruhender Luft.
3) A. P e 1 1 e r s o o n - Upsala: Ueber die bakterizide Wir¬
kung von Blutserum und Blutplasma.
Während das Blutserum auf seine bakteriziden Eigen-
s c h a f t, e n nach allen Richtungen hin untersucht ist, finden wir
verliältnissmässig wenige Angaben über die bakteriziden Eigen¬
schaften des Blutplasmas. Wenn man auch annehmen kann,
dass sich die Verhältnisse zwischen beiden ähnlich verhalten wür¬
den, so hatte doch Gengon behauptet, dass das Plasma
des kreisenden Blutes keine Alexine enthielte. Die Unter¬
suchungen des Verfassers am Hund und am Kaninchen zeigen
aber, dass sich die Sache anders verhält: Auch das Plasma
enthält A 1 e x i n e. Die Menge des Alexins kann dadurch
v e r grössert werden, dass Alexin aus den Leukocyten austritt,
sie kann verkleinert werden, wenn der Faserstoff Alexin ab¬
sorbiert. Im Blut mancher Tiere erscheint die Abgabe von Alexin
seitens der Leukocyten ausserhalb des Körpers gewöhnlich so
klein zu sein, dass das Serum an bakterizider Wir¬
kung dem Plasma nachsteht. Das in gewöhnlicher
Weise entstandene Serum soll, um dem normalen Plasma an bak¬
terizider Wirkung zu entsprechen, sobald als möglich dem Blut¬
gerinnsel entnommen werden. R. O. Neumann - Kiel,
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 31. Heft 14 u. 15, 1902.
No. 14. 1) K r a u s e - Breslau: Ueber durch Pressung ge¬
wonnenen Zellsaft des Bacillus pyocyaneus.
Analog den von B u ebne r und H a h n gewonnenen Zell¬
säften aus Hefen, benutzte Krause Pyocyaneus-
k u 1 1 u r e n, welche er bei 100 — 150 Atmosphärendruck auspresste.
Von ca. 50 Petrischalen-Oberflächenkulturen er¬
hielt er ungefähr y2 — 2 ccm Pressaft. Mikroskopisch Hessen sich
noch einige Stäbchen färberisch erkennen, auch in der Kultur ge¬
lang es, Kolonien zur Entwicklung zu bringen. Die Virulenz der
Bakterien hatte nicht gelitten.
Der Pressaft selbst war ausserordentlich reaktionsfähig.
1 Tropfen genügte, um Gelatine sofort aufzulösen. Wasser¬
stoffsuperoxyd wurde vom Pyocyaneuspressaft sofort zer¬
setzt. Durch Eintrocknen bei 37 0 konnte ein Pulver erzielt
werden, welches die Eigenschaften des Pressaftes bis zu 5 Monaten
erhielt.
Mit unfiltriertem Pressaft gingen M ä u s e, auch mit sehr ge¬
ringen Mengen bereits zu Grunde. Meerschweinchen und Kanin¬
chen vertrugen erheblich mehr. Kaninc li e n, welche mit liocli-
virulentem Milzbrand infiziert waren, konnten mit Injek¬
tionen von 3 ccm Pressaft am Leben erhalten werden. Die Ver¬
suche, Meerschweinchen, welche mit T y phus infiziert
waren, zu retten, missglückten.
Bei Versuchen, die Verfasser über den Druck auf Bakterien
ausführte, zeigte sich, dass selbst ein Atmosphärendruck von
400 — 500 Atmosphären bei den verschiedenen Bakterien weder
nennenswertke Aenderungen in den biologischen Eigenschaften,
noch in der Virulenz hervor brachte.
2) Thal m a n n - Leipzig: Zur Biologie der Gonokokken.
Gegenüber den Veröffentlichungen von W i 1 d b o 1 z, welcher
gefunden hatte, dass Gonokokken auf seru m freie m Agar
gut wachsen sollten, teilt Thalmann mit, dass er bereits die¬
selben Angaben früher schon gemacht habe. Es komme dabei nur
auf die Einhaltung einer bestimmten Reaktion an. Der Gono¬
kokkus wächst weder auf lackmusarmem, noch auf lackmus-
neutralem Substrat. Wird der Nährboden leicht a 1 k a 1 i s c h
(gegen Lackmus), so beginnt das Wachsthum, steigt bei weiterem
Zusatz von Lauge allmählich zum Optimum und fällt dann wieder
bis Null, ehe der Nährboden gegen Phenolphthalein neutral wird.
I )ie Brauchbarkeit dieses Nährbodens hat durch S t r ö h m b e r g s
Nachuntersuchungen seine Bestätigung gefunden.
3) P r e 1 1 n e r - Prag: Die Widerstandsfähigkeit der Büffel
gegen die experimentelle Tuberkulose.
Verfasser hatte bereits in einer früheren Arbeit mitgeteilt,
dass er bei den Büffeln eine ausgesprochene, Widerstandsfähigkeit
gegen Tuberkulose gefunden habe. Bei weiteren Untersuchungen,
die an Büffelkälbern angestellt worden, bestätigte sich dies. Die
Büffelkälber erhielten mehrfach Injektionen von tuberkulösem
Material, in einem Falle käsige Hefde einer tuberkulösen, ver¬
endeten Kuh und im anderen Falle Reinkulturen von Tuberkulose.
Während die Kontrolltiere (Ziegen und Meerschweinchen) der In¬
fektion erlagen, konnte bei den geschlachteten Büffeln nur eine
Lokalinfektion konstatiert werden. Diese Immunität benutzte
P riet tu er bereits, um aus Büffelblut ein Serum gegen Tuber¬
kulose herzustellen. Er hat 54 Versuche an Meerschweinchen und
3 Versuche an Affen ausgeführt, welche günstig ansgefallen sein
sollen.
4) Giuseppe Zirolia - Rom : Der Pestbazillus im Organis¬
mus der Flöhe.
Die Thatsaclie, dass Flöh e, welche sich mit Blut vollgesogen
haben, einen Teil desselben wieder von sich geben, liess die Mög¬
lichkeit bestehen, dass Pestbazillen auf diese Weise übertragen
werden könnten. Bei dem Experiment, welches er bei Mäusen
anstellte, welche im Blut Pestbazillen enthielten, zeigte sich, dass
Flöhe, die an den Mäusen sogen, alsbald auf die Oberfläche der
Haut Pestbazilleu abgaben. Die Flöhe behalten in ihrem Innern
die Pestbazillen lebendig und virulent. Auch bei Hunger bleiben
doch dieselben 7 — 8 Tage im Darmkanal am Leben und vermehren
sich sogar. Die Fäkalien der Flöhe und die toten Kadaver ent¬
halten ebenfalls Pestbazillen.
5) Iv ö r m ö c z i - Ofen-Pest: Durch Streptokokkeninfektion
verursachte Polymyositis (Polymyositis streptomycotica).
Ohne jede Ursache erkrankte ein 23 jähriger Mensch an
P y ä m i e. Im Blut zirkulierten Streptokokken. Nur an den
Muskeln waren mikroskopisch xvahrnehmbare Veränderungen zu
beobachten. Trotz des 14 tägigen Bestehens war aber keine Eite¬
rung zu konstatieren.
6) Neelow - Kiew : Zur Frage der Durchgängigkeit der
Plazenta für Mikroorganismen und ihrer phagocytären Fähig¬
keit.
Als Versuchstiere wurden schwangere Kaninchen gewählt,
denen Heubazillussporen in die Ohrvene gespritzt wurden.
Nach 2—0 Tagen wurden die Versuchstiere getötet und aus den
Organen und der Plazenta Kulturen auf Agar angelegt. Unter
30 Kulturen aus Plazenta blieben 19 steril. Von den übrigen
II Fällen wuchsen nur 1 mal 30 Kolonien. Verf. zieht aus seinen
Untersuchungen den Schluss, dass nicht pathogene Balt-
MÜENCIiENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
iiiö
terien nicht durch die Plazenta hindurchgehen
und dass sich die phagocytäre Fähigkeit der
Plazenta als sehr gering erwies.
7) Schumburg - Hannover: Die Beziehungen der Babes-
Ernst sehen Körperchen zu der Virulenz der Bakterien.
An 150 verschiedenen eitrigen Sekreten wurde
zunächst die Anwesenheit von Mikroorganismen konstatiert und
darauf die Darstellung der Babes-Ernst sehen Körperchen
versucht. Letztere sollten, wie M a r x und W o i t e mehrfach
angaben, mit der Virulenz der Organismen im Zusammenhang
stehen. Schumburg konnte jedoch zeigen, dass dies nicht
der Fall ist, jedenfalls das Auftreten und die Menge Babes-
E rnst scher Körperchen mit der Schwere des klinischen Verlaufs
nicht immer Hand in Hand geht.
8) Onorato - Genua: Der Widerstand des Influenzabazillus
gegen physische und chemische Mittel.
Der Influenzabazillus wird bei 58 — GO 0 in 15 bis
20 Minuten, bei — 15 0 in 2 — 2*4 Stunden abgetötet. Das direkte
Sonnenlicht vernichtet ihn i n 4 Stunden. Im Vakuum
getrocknet verliert er nach % Stunde die Fähigkeit, sich zu
vermehren, bei 37° in iya Stunden, bei 20° in 2 ya Stunden. Von
chemischen Mitteln hemmen seine Entwicklung: 3 proz. Borsäure
in 2 Minuten, 1 proz. Kaliumchlorat in 10 Sekunden, 1 proz. Karbol¬
säure in 5 Sekunden, 3 prom. Salizylsäure in 5 Sekunden, 1 prom.
Argent. nitr., 0,5 pröm. Sublimat und 50 proz. Alkohol ebenfalls
in 5 Sekunden. Er wird abgetötet von: 2 proz. Karbolsäure, 1 proz.
Lysol, 1 proz. Resorcin, 0,5 prom. Sublimat, 5 proz. Salzsäure,
5 proz. Salpetersäure, 3 proz. Schwefelsäure, 2 proz. Aetzkali,
75 proz. Alkohol.
9) P r e i s i c h und Heim- Ofen-Pest: Ueber das Wesen der
Tuberkulinreaktion.
Das Ergebnis dieser Studie ist die Ansicht der Verfasser, dass
das Tuberkulin für die Tuberkulose zwar ein sicheres diagnosti¬
sches Mittel ist, aber sein Wert für eine differenzielle Diagnostik
viel geringer ist. Handelt es sich darum, bei einem Tiere nach¬
zuweisen, ob Tuberkulose vorliegt oder nicht, so lässt das Tuber¬
kulin nie im Stich, aber ob beim Menschen in fraglichen Fällen
Tuberkulose oder ein ähnlicher Prozess vorhanden ist, ist nur mit
grosser Vorsicht zu beantworten. Jedenfalls muss die zu unter¬
suchende Person tagelang vor der Tuberkulininjektion ohne Tem¬
peratursteigerung gewesen sein und keine wirksamen Medikamente
eingenommen haben.
10) Fermi und Cano B r u s c o - Sassari: Prophylaktische
Versuche gegen die Malaria, angestellt auf den k. sardinischen
Eisenbahnen.
Sowohl in der Provinz Sassari wie in der Provinz
C a g 1 i a r i wurden Fenster und Schornsteine mit Drahtnetzen
versehen, um die Mücken nicht hereinzulassen. Die Einwohner
der Bahnwärterhäuschen und Stationen waren verpflichtet, nur aus
dem Hause herauszutreten, wenn sie mit Kapuze und Hand¬
schuhen angezogen waren. Von sämtlichen 38 Individuen, welche
geschützt worden waren, erkrankte kein einziges an Malaria, wäh¬
rend die Kontrollbewohner in einem ungeschützten Bahnwärter¬
haus alle erkrankten.
No. 15. 1) A. Meyer- Marburg: Kurze Mitteilung über die
Begeisselung der Bakterien.
Es gelang E 1 1 i s bei einer Reihe Mikrokokke n,
Streptokokken und Sarcinen Geisseln zu färben, welche
allerdings nur in gewissem Eutwicklungsstadium vorhanden sein
sollen. Ob pathogene Streptokokken ebenfalls begeisselt sein
können, steht noch aus.
2) Cohn-Halle: Untersuchungen über eine neue tierpatho¬
gene Hefeart (Hefeklein).
Die Hefe fand sich meist in Kugelgestalt mit färbbarer
Kapsel, besonders im Tierkörper. Sie wächst auf allen Nährböden,
besonders auf zuckerhaltigen und auf Bierwürze. Das Wachs-
t u m ist aber verhältnismässig langsam. Sporen konnten nicht
beobachtet werden. Zucker wird nicht vergohren. Die Hefe zeigte
sich pathogen für Mäuse, Meerschweinchen, Kanin¬
chen, Hunde und Schweine. Tauben und Ratten waren
unempfänglich. Wenn die Infektion auch langsam fortschritt, so
genügte doch bei Mäusen schon 1 Millionstel Oese Reinkultui’.
Ganz besonders wurden die Lungen in Mitleidenschaft gezogen.
Aus den einzelnen Organen liess sich die Hefe wieder rein züchten.
Bei Meerschweinchen und Kaninchen entstanden
hämatogene Schleimhautentzündungen und ausserdem konnte eine
Lokalisation der Hefe im Gehirn und Rückenmark nachgewiesen
werden. Bei Fütterungsversuchen gelang es nur Mäuse zu tödten.
3) P r e i s i c h - Ofen-Pest: Der Einfluss ausschliesslicher
Fleischnahrung auf die Impftuberkulose der Hühner.
Im allgemeinen scheint es, als ob die Fleischnahrung
die Entwicklung der Impftuberkulose günstig beeinflusste.
Allerdings ist dabei dem Fleische keine spezifische Wirkung zu¬
zuschreiben, denn das Fleisch wirkt nicht in jedem Falle, selbst
wenn die äusseren Verhältnisse und die Art der Infektion die
gleichen sind; zweitens werden lange Zeit mit Fleisch genährte
Hühner ebenso tuberkulös, wie dieKontrollhühner; drittens konnten
kurze Zeit hindurch mit Fleisch genährte Hühner der Infektion
besser widerstehen.
Ko. 23.
4) De II a a n - Weltevreden (Java): Bösartige Schimmel¬
krankheit des Pferdes (Hyphomycosis destruens equi).
Die Krankheit äussert sich dadurch, dass sie die Schleim¬
haut und Haut des M u n d e s, der Lippen und Nase befällt.
Wird sie sich selbst überlassen, so geht sie auch auf Knochen¬
gewebe über und zerstört dasselbe. In der Mundhöhle geht der
Prozess am schnellsten vor sich. Diagnostisch wichtig sind die
Stecknadel- bis eigrosseu Pfropfe, die im Gewebe entstehen.
Sie bestehen aus reinem Mycel eines unbekannten Schimmels,
der sich auf Agar züchten liess. Reinkulturen, auf Pferde ver-
impft, brachten jedoch bis jetzt die Krankheit nicht wieder hervor.
Die beste Therapie ist eine Radikaloperation der erkrankten Haut-
und Knocheupartien.
5) Tsuzuki - Tokio: Ueber die Ergebnisse meiner Malaria¬
forschung in Hokkoido (Japan).
Auf der Insel Hokkoido, wo mehrere Militärkolonien sich
befiuden, gelang es dem Verfasser, sowohl Anopheles wie
C ulexarten zu linden, welche die dort herrschenden Malaria¬
epidemien veranlassten. Besonders stark tritt sie in Fuk a w a y a
auf, ist aber ausschliesslich gutartiges Tertianafieber. Da die
grossen Reisfelder unmöglich trocken gelegt werden können, so
ist man auf die Anwendung von Petroleum oder Chrysan¬
themum angewiesen. Ausserdem werden prophylaktisch Mos¬
kitonetze und Chinin benützt.
6) v. L i n s t o w - Göttingen : Zwei neue Parasiten des
Menschen.
Von den neuen Parasiten ist die eine eine Taenienart,
die andere Physaloptera caucasica n. sp.
7) L ü h e - Königsberg: Ueber Geltung und Bedeutung der
Gattungsnamen Eimeria und Coccidium.
8) E i s e n b e r g - Krakau: Untersuchungen über spezifische
Präzipitationsvorgänge.
9) B o n o m e - Padua: Ueber die Erzeugung der Toxoide aus
den Kulturen des Tetanusbazillus.
10) Land steiner und Cal ov- Wien: Zur Kenntnis der
Reaktionen des normalen Pferdeserums.
Allgemein wird meist angenommen, dass in den Präzipitinen
ein einfaches Mittel gefunden sei, die verschiedenen Eiweisskörper
mit Sicherheit zu erkennen und selbst von sehr nahe verwandten
Stoffen zu unterscheiden. Nach den Untersuchungen von Ober-
m a y e r und Pick und neuerdings vom Verfasser ist die
sogen, biologische Reaktion zur Identifizierung von Eiweisskörpern
nicht ohne weiteres anwendbar. Die Versuche, die mit Pferde¬
serum angestellt wurden, ergeben, dass keine Ueberimpfung
zwischen den präzipitablen Substanzen und den bekannten Eiweiss¬
körpern des Blutserums besteht. Ausserdem zeigt sich, dass
mehrere präzipitable Stoffe im Serum existieren, die wenigstens,
so wie sie im Serum vorhanden sind, verschiedene Fällbarkeit
durch Ammonsulfat besitzen.
11) T a v e r n i - Rom : Die Pyocyanase Emmerichs und
L ö w s bei dem experimentelleu Milzbrand.
Es werden durch die Versuche des Verfassers, welcher an
Meerschweinchen und Kaninchen, die mit Milzbrand geimpft
waren, die Wirkung der Pyocyanase zu ermitteln versuchte,
die von Emmerich und L ö w gefundenen Tatsachen bestätigt
und gezeigt, dass in der Tat der Pyocyanase ein erheb¬
licher Heileffekt gegen Milzbrandinfektion
inuewohnt.
12) I s h i g a m i - Osaka: Ueber die Kultur des Vaccine- resp.
V ariolaerregers.
Gleichwie so vielen anderen Forschern gelang es auch dem
Verfasser nicht, aus den Lymphpusteln einen spezifischen B a -
z i 1 1 u s zu züchten. Dagegen fand er in Variola-Vaccine- und
humanisierter Lymphe eine bestimmte Art von Protozoen, die
den von Guarnieri und L. Pfeiffer beschriebenen ähnlich
waren. Auch in Vaccine- und Variolakrusten kamen diese Or¬
ganismen häufig vor. In der Eruptionszeit beobachtet man sie
ebenfalls im Blut und den verschiedenen Organen der geimpften
Tiere. Die Vermehrung der Protozoen geschieht anfänglich durch
Teilung, später bildet sich eine Cyste, ans deren Inhalt durch Tei¬
lung zahlreiche Sporozoiten hervorgehen. Der Organismus ist
züchtbar auf einem Nährboden, der zum grössten
Teil aus Epithelzellen noch nicht geimpfter
Tiere besteht. Bei Kälbern treten nach Impfung mit Rein¬
kulturen am 3. oder 4. Tage Impfblasen auf, welche mit Fieber
begleitet sind. Aus den Impfblasen können wiederum die Orga¬
nismen gezüchtet werden. Durch die Impfung der Reinkulturen
wird Schutzimpfung erzeugt.
Die Form und Eigenschaften dieses Parasiten sind denen des
Mikrosporädium bombycis ähnlich.
13) G a b r i t s c h e w s k y - Moskau: Beiträge zu bakterio¬
logischen Untersuchungsmethoden. I. Ueber den Einfluss hoher
Temperaturen auf die Färbbarkeit der Bakterien. II. Ein neues
Thermostatsystem. R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902 No. 25
1) R. Pfeiffer und E. Friedberger - Königsberg i. Pr. :
Ueber das Wesen der Bakterien Virulenz nach Untersuchungen
an Choleravibrionen.
1. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1111
Die in dem Artikel mitgeteilten Untersuchungen führten zu
folgenden Schlüssen: Bei den Cholera Vibrionen unterscheiden sich
virulente und avirulente Stämme durch die Anzahl oder den Grad
der Affinität ihrer haptophoren Gruppen. Die virulenten Stämme
besitzen eine mindestens 5 — 10 mal grössere Affinität als die
avirulenten. Der immunisierende Effekt durch die Impfung mit
Choleravibrionen ist aus dem gleichen Grunde abhängig von der
Höhe der Virulenz der verimpften Kultur. Analoge Verhältnisse
sind für Typhus- und Pestbazillen vorauszusetzen. Das Wesen der
Virulenz beruht für die angeführten Bakterienspezies auf ihrem
Bindungsvermögen gegenüber den zu ihnen passenden Ambocep-
toren.
2) P. Ehrlich und H. T. M a r s c h a 1 1 - Frankfurt a. M.:
Ueber die komplementophilen Gruppen der Amboceptoren.
Der Artikel eignet sich nicht für einen kurzen Auszug.
3) J. B r u i n i n g - Leiden: Zur Frage der alimentären Gly-
kosurie bei Leberkranken.
21 Fälle von Leberkranken kamen zur Untersuchung. Von
12 Fällen, welche mit Bezug auf Lävulose untersucht wurden,
ergab sich bei 10 ein positives Resultat. Von 11 Fällen von Leber-
cirrhose zeigten 10 nach Darreichung von Lävulose Lävulosurie.
Bei 15 Fällen wurde Dextrose gegeben, wobei für 13 das Ergebnis
negativ war. In 15 Fällen wurde Saccharose verabreicht und bei
13 derselben dann Dextrose im Harn ausgeschieden. Leberkranke
sind also gegen Lävulose intolerant, sodass, wie schon Strauss
ausgesprochen hat, die Lävulosurie ein diagnostisches Zeichen für
Lebererkrankung darstellt. Es ist möglich, dass das Verhalten der
verschiedenen Zuckerarten bei der Einführung sogar ein diffe¬
rentialdiagnostisches Mittel für die Erkennung der Art der Leber¬
krankheit darstellen wird.
4) P. Strassmann-Berlin: Die operative Entfernung
der Eileiterschwangerschaft von der Scheide her. (Schluss folgt.»
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 25.
1) E. R i e g 1 e r - Jassy: Eine neue gasometrische Bestim¬
mungsmethode der Chlorwasserstoffsäure im Magensafte.
Die Methode hat den Vorteil gegenüber der für den Kliniker
ziemlich umständlichen, von S j o q v i s t angegebenen, die Menge
des gebildeten Clilorbaryums sehr genau und rasch auf gasvolume-
trischem AVege zu bestimmen.
Das Prinzip ist folgendes:
1. Behandelt man Chlorbary umlösung mit Jodsäure, so bildet
sich Chlorwasserstoffsäure, und es scheidet sich unlösliches
Baryumjodat aus.
2. Baryumjodat, mit einer Lösung von Hydrazinsulfat zu¬
sammengebracht, entwickelt Stickstoff.
Man kann demnach aus dem Volumen des in einer Gasmess¬
röhre aufgesammelten Stickstoffs das Gewicht des demselben ent¬
sprechenden Clilorbaryums resp. der Chlorwasserstoffsäure be¬
rechnen. Der Apparat, welchen Ii. zu dieser Bestimmungsmethode
benützt, ist der bekannte Knop-Wagner sehe Azotometer
oder der von ihm zur Harnstoffbestimmung angegebene, welchen
man mittels Kautschuckschlauches mit dem Entwicklungsgefäss
des Knop-Wagner sehen Azotometers in Verbindung bringt.
Auf die näheren Details des Verfahrens, sowie auf die ziy
Erleichterung der Rechnung zusammengestellte Tabelle muss auf
den Originalartikel verwiesen werden.
2) L ä m m e r h i r t - Leipzig: Zur Kasuistik der Angina
Vincenti sive diphtheroides.
Das Abweichende dieses Falles von der Norm liegt darin,
dass nur eine Tonsille von der Erkrankung ergriffen wurde und
dass die rapide Gewebsnekrose es gar nicht zur Membranbildung
kommen liess. Als ätiologisches Moment für die Ansiedelung der
Bakterien und für die einseitige Erkrankung könnte man vielleicht
ein Trauma bei der Nahrungsaufnahme annehmen, das nur die
eine Tonsille betroffen hat. Aus der Anamnese liess sich nichts
Stichhaltiges hiefür erfahren.
3) B ü s i n g - Bremen: Ein Fall von langdauernder Aus¬
scheidung von Typhusbazillen mit dem Urin.
Kasuistische Mitteilung, welche vom allgemein hygienischen
Standpunkte aus nicht ohne Interesse ist.
4) A. Rosenbaum - Berlin: Ueber Atonie des Magens und
ihr Verhältnis zur motorischen Insuffizienz.
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
6) A. Schönwerth - München: Ueber subkutane Milz¬
rupturen.
Der mitgeteilte Fall betraf einen jungen kräftigen Mann, bei
welchem sich im Anschluss an einen gegen den Unterleib ge¬
richteten Hufschlag binnen kurzer Zeit das Bild einer schweren
Anämie einstellte, so dass über die Diagnose einer inneren Blutung
kein Zweifel mehr bestehen konnte. Sowohl wegen der Art der
Verletzung, als besonders in Anbetracht der begleitenden Um¬
stände hat der Fall Anspruch auf Interesse.
7) W. S t o.o d - Barmen: Künstliche Reifung des grauen
Stars in geschlossener Kapsel nach Förster.
Nach einem auf der 72. Naturforscherversammlung in Aachen
am 20. September 1900 gehaltenen Vortrag.
8) S i 1 b e r s t e i n - Berlin: Beitrag zur Heilserumbehand¬
lung der Diphtherie. M. L.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 32. Jahrg. No. 12.
Sahli: Zur chirurgischen Behandlung des Magen¬
geschwürs.
Nach einer vortrefflichen Einleitung über chirurgische und
intern-medizinische Publizistik AViederholung der auf dem dies¬
jährigen Kongress für innere Medizin vertretenen Thesen, welche
eine Einschränkung der chirurgischen Behaudluug des Magen¬
geschwürs fordern.
D u b o i s - Bern: Radikuläre Lähmung im Bereich der
Sakralwurzeln.
Unter Hinweis auf einen 1888 beschriebenen Fall von „apo-
plektischem Einsetzen neuritischer Lähmungen“ (durch Plexus¬
blutung) beschreibt Verfasser eine ebenfalls rasch aufgetretene
Lähmung im Bereich der Sakralwurzeln, die (ohne Sektion) auf
eine Blutung in der Rückgratshöhle zurückzuführen ist. Ischias
ist vielfach nicht Neuritis nervi ischiadici, sondern beruht auf Er¬
krankung am Conus terminalis. (3 Fig.)
Richard Zollikofer- St. Gallen: Ueber den Befund von
protagonhaltigen Körnern bei Probepunktionen des Thorax und
über das Vorkommen derselben in Tumoren und anderen Affek¬
tionen der Lunge. (Aus der medizinischen Klinik in Bern, Prof.
S a h 1 i.)
Bei Punktion und Sektion eines Lungensarkoms fanden sich
(nicht in den übrigen Geschwulstherden) zahlreiche, Myelinkörnern
entsprechende, doch viel grössere Körper, die sich als Protagon
(dieses gibt bei Aufkochen mit Wasser sofort wieder Myelinformen)
erwiesen, also identisch mit dem Myelin des Sputum sind. Ver¬
fasser fand solche Körperchen bei Sektion verschiedener, doch
nicht aller malignen Lungentumoren, auch in Fällen von Tuberku¬
lose und Pneumonie. Myelinkörper können zur Identifizierung
eines pathologischen Gewebes sowohl im Thorax als auch in der
Lunge (durch Punktion) dienen. Dr. Pischinger.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 25. 1) R. S c h m i d t - Wien: Zur Diagnostik des Nieren¬
infarktes.
A^erfasser gibt die Krankengeschichte eines 45 jährigen, an
Insuffizienz und Stenose der Mitralis leidenden Patienten, bei
welchem zunächst eine Embolisierung beider Nierenarterien,
schliesslich auch eine solche der liuken Art. foss. Sylvii, sowie
eine solche der Art. cubital. der linken Seite auftrat. Diese Dia¬
gnose wurde durch die Sektion bestätigt. In der Epikrise bespricht
S. eingehend die Symptomatologie des Niereninfarktes, besonders
die dabei gelegentlich auftretenden akuten Blasenstörungen, welche
unter dem Bilde der Retentio oder Incontinentia urinae verlaufen.
Postembolisch findet sich auch Polyurie. Bei Niereninfarkt tritt
selten Haematurie ein, dagegen ist häufig eine unter Schmerzen
einsetzende und rasch zurückgehende Serum- und Nuklealbumi-
nurie. Plötzlich einsetzendes Erbrechen ist bei Herzkranken nicht
selten das erste Anzeichen des Niereninfarktes. Temperatur¬
steigerung im Laufe der letzteren kann aseptisch bedingt sein,
eventuell durch Resorption nekrotischer Gewebspartien. Bei Ver¬
dacht auf Niereninfarkt ist auf das Verhalten der Sensibilität im
Bereiche des Plexus ileohypogastricus zu achten.
2) K. B ü d i n g e r: Eine Methode des Ersatzes von Lid¬
defekten.
B. beschreibt 2 Fälle, in welchen er den Ersatz in der Weise
vorgenommen hat, dass 2 Lappen gebildet werden, von denen der
eine, welcher die fehlende Lidhaut ersetzen soll, aus der Haut der
Schläfengegend oder der Wange gebildet wird, während der zweite,
welcher den verloren gegangenen Teil des Tarsus samt der Kon-
junktiva ersetzen kann, aus der Ohrmuschel exzidiert wird, am
Besten unterhalb des Helix. Er soll jedocli nur aus der vorderen
Hautbedeckung der Ohrmuschel und dem Knorpel bestehen.
3) J. S c h e i d 1 - Baden bei Wien: Zur Kasuistik der Schädel¬
verletzungen.
Durch Hufschlag hatte ein Offizier eine Zertrümmerung des
linken Scheitelbeines erlitten, wobei auch eine ausgedehnte Ge¬
hirnverletzung eingetreten war. Trotz bedeutenden Hirnprolapses
und wahrscheinlicher Eröffnung eines Seitenventrikels erfolgte
durch operativen Eingriff Heilung.
4) Wagner v. J a u r e g g: Zur Behandlung des endemi¬
schen Kretinismus.
Gegenüber Scholz- Graz, der bei Darreichung von Schild¬
drüsenpräparaten keine Besserung seiner Kranken gesehen hatte,
weist Verfasser auf seine eigenen günstigen Erfolge hin. Er
konnte während der Dauer der Behandlung eine Steigerung des
Längenwachstums bei seinen Kretins konstatieren, sowie auch
einen unverkennbar günstigen Einfluss auf das psychische Be¬
finden.
5) L. Harm er- Wien: Ueber Lymph- und Hämangiome
des Kehlkopfes und entzündliche Vorgänge in denselben.
Auf Grund seiner Untersuchungen kommt Verfasser zu dem
Schlüsse, dass die genannten Hämangiome sehr selten Vor¬
kommen, die Lymphangiome aber noch rarer sind. Beide Ge¬
schwulstformen sind angeboren und kongenital angelegt. AVie
die Lymphangiome des Mundes, haben auch jene des Kehlkopfes
eine grosse Neigung zur Entzündung und regressiven Veräncle-
t 112
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 26.
rangen. Dieselben kommen meist durch oberflächliche Läsionen
und Eindringen von Bakterien zustande. Die Diagnose ist sehr
schwierig und gelingt nur mit einiger Sicherheit, wenn an der
Oberfläche mit Lymphe gefüllte Bläschen wahrgenommen werden
können. Prognostisch kommt in Betracht, dass derartige Ge¬
schwülste lange Zeit kein oder nur ein ganz geringes Wachstum
zeigen. Die Therapie kann nur in der Entfernung der Geschwulst
oder vielleicht noch der Ignipunktur bestehen, nur bei kleinen
Gesell wülstchen in der Elektrolyse. G rass m a n n - München.
Wiener medicinische Presse.
No. 24. F. Alt- Wien: Ein geheilter Fall von otitischer
Sinus- und Jugularisthrombose mit metastatischem Lungen¬
abszess.
Ligatur der Vena jugularis 1 cm über der Vena subclavia,
Spaltung und Ausräumung des Sin. lateralis. Am Tage darauf
wurde ein metastatischer Herd in dem Unterlappen der rechten
Lunge nachgewiesen. Die erhoffte Spontanentleerung des Ab¬
szesses durch die Bronchien blieb aus. Nach Kippenresektion und
Vernähung von Lunge und Pleura Eröffnung und Entleerung des
kleinapfelgrossen Abszesses. Heilung.
J. F r i t s c h - Wien: Therapeutische Notitz über Hedonal.
F. rühmt das Hedonal als sehr brauchbares Schlafmittel ohne
schädliche Nebenwirkung (Durchschnittsgabe 1,5 g) zumal bei ein¬
facher Schlaflosigkeit von Neurasthenikern.
No. 25. L. Hof baue r: Zur Frage des Resorptionsmecha-
nismus.
H. berichtet über seine Versuche zur Lösung der Frage:
Müssen die per os eingebracliten Substanzen wasserlöslich sein,
um vom Darm aus resorbiert zu werden? Muss daher Fett vor
seiner Aufnahme in wasserlöslichem Zustand, d. h. verseift sein?
H. bediente sich hierzu des Alkannarotes als Indikator, welches
in Wasser unlöslich ist und bei Gegenwart geringster Mengen von
Alkalien in eine blaue Farbe übergeht, und konnte in den Cliylus-
gefässen massenhaft rotgefärbte, also nicht verseifte Fettröpfchen
nachweisen. Die Beweiskraft seiner Versuche hält er den Ein-
wänden Pflügers gegenüber aufrecht.
No. 24 — 25. E. F u c li s i g - Wien: Die typischen Riss¬
frakturen des Fersenbeines.
Mit Hilfe der Radiographie ist erwiesen worden, dass die
früher vielfach angenommene, dann eine Zeitlang bestrittene Riss¬
fraktur des Calcaneus tatsächlich nicht selten zustande kommt.
Eine ganz sichere Diagnose ist auch nur auf diesem Wege mög¬
lich und Verfasser bringt für 4 eigene Fälle charakteristische
Radiogramme bei. Bezüglich des Entstehungsmechanismus
haben Güssen bau er und Maydl Recht, es handelt sich um
eine übermässige Kontraktur der Wadenmuskel und die meist
durch einen Fall vermehrte Wirkung des Körpergewichtes. Bei
erheblicher Dislokation ist die Freilegung der Bruchstelle und
direkte Knochennaht das rationelle Verfahren.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 24. O. Burwinkel-Nauheim: Chronische Herz- und
Lungenleiden in ihren Wechselbeziehungen.
Die in dem grossentheils referirenden Aufsatz niedergelegten
eigenen Erfahrungen des Verfassers bestätigen die Seltenheit der
Kombination von Lungentuberkulose mit Herzklappenfehlern, mit
Gicht und mit Arteriosklerose höheren Grades. In Bezug auf das
Verhältniss zwischen Emphysem und Arteriosklerose hält Ver¬
fasser das Emphysem für eine häufige Ursache der Arteriosklerose
und zwar durch Verlangsamung des Blutstromes in den Gefässen
und Veränderung der Blutqualität.
No. 25. v. Dräsche- Wien: Die Tuberkulose. I. Heredität.
D. kritisiert die gebräuchlichen Statistiken über die Heredität
bei Tuberkulose nach verschiedenen Richtungen als unzulänglich.
Eigene Erhebungen an 1000 Kranken bestätigen die starke Be¬
lastung von väterlicher Seite. 52,5 Proz. väterliche, 31,4 mütter¬
liche, 10,0 beiderseitige Belastung. Ferner ergaben sie die grosse
Sterblichkeit von Abkömmlingen tuberkulöser Eltern im Kindes¬
alter, weiter das Vorkommen der Tuberkulose bei nur 3 Proz.
der Kinder nicht tuberkulöser Eltern. Die starke Heredität väter¬
licherseits legt dem Verfasser den Vergleich mit der hereditären
Lues nahe und den Gedanken, dass möglicherweise mit dem Sperma
neben den Bazillen noch ein anderes uns noch unbekanntes in¬
fektiöses Agens übertragen werde.
No. 23 — 25. E. H e r z - Itzeszow: Ein Fall von rudimentärer
Entwicklung der Vagina und des Uterus (Uterus unicornis
sinister).
Der Fall bietet das Bemerkenswertlie, dass es auf operativ-
mechanischem Wege gelang, an Stelle der ganz unwegsamen
Vagina ein bis zum Oriflcium uteri reichendes Vaginalrohr zu
bahnen, und dass sich alsbald die Menses, das erstemal mit
Hämatokolpos, einstellten und damit die subjektiven Beschwerden
des 20 jährigen Mädchens schwanden. Bezüglich der Kohabita-
tions- und Befruchtungsmöglichkeit stellt II. die Prognose sogar
ziemlich günstig.
No. 21 25. M. K u n z - Mühlhausen i. E.: Zur Blinden¬
physiologie (das Sinnenvikariat).
Im wesentlichen referiert Verfasser über die von Professor
Griesbach augestellten Versuche, bestätigt aber auch durch
eigene Erfahrung als Blindenlehrer, dass der althergebrachte und
weitverbreitete Glaube, wonach der Verlust eines Sinnes eine be¬
sondere Schärfe der anderen oder eines anderen im Gefolge habe,
durchaus nicht zutreffend ist. Speziell gilt das von dem viel¬
gerühmten Tastsinn der Blinden und sind z. B. für das Tasten der
Blindenschrift ziemlich grobe Typen und nach des Verfassers Er¬
fahrung sogar ein abgestumpftes Tastgefühl (Scliwielenbilduug)
erforderlich. Im allgemeinen kann eher behauptet werden, dass
bei Blinden auch die anderen Sinne hinter dem Durchschnitt der
Leistungsfähigkeit Gesunder zurückstehen.
Wiener klinische Rundschau.
No. 22 — 23. L. It. v. Iv o r c z y n s k i - Krakau: Einige Be¬
merkungen zur Pathogenese der Aortasklerose.
Zwei genau beschriebene Fälle, von denen der eine zur Ob¬
duktion gelangte, gaben dem Verfasser nicht nur die Anhalts¬
punkte zu einer Diagnose der Aortaerkrankung in vivo, sondern
zur Annahme eines infektiösen Ursprunges, in Uebereinstimmung
mit der Auffassung G 1 u z i n s k i’s.
No. 25. H. Frey -Wien: Zur Technik der Lokalanästhesie
bei Extraktionen von Ohrpolypen.
Die bis vor kurzem gebräuchliche äussere Anwendung von
5 — 10 proz. Kokainlösung gab ganz ungenügende Resultate; für
kleine Polypen ist das von Politzer geübte Bestreuen mit
Kokain in Substanz zweckmässig: die B onai n sehe Lösung
(Acid. carbol. cone. 2,0, Menthol und Cocain, mur. äa 0,5) genügt
nur für die Vornahme von Parazentesen. Sehr gut hat sich da¬
gegen in 10 Fällen die Injektion von yz — 1 ccm einer 5 proz.
Kokainlösung in die Polypen selbst bewährt.
No. 23 — 25. K. Ullmann - Wien: Zur klinisch-thera¬
peutischen Verwertbarkeit konstanter Wärme.
Verfasser hat einen „Hydro thermoregulator“ konstruiert,
welcher Apparat dazu dient, ein gewisses Quantum Wasser auf
beliebiger Temperatur zu erhalten und in fortgesetzten Kreislauf
zu versetzen. Die Applikation der Wärme geschieht durch
„Thermoden“, welche nach dem Prinzip der Leiter sehen
Röhren aus Metall oder Hartgummi hergestellt und den einzelnen
Körperstellen angepasst sind. Nach U.s Erfahrungen übt die
Wärme — bis zu 44 0 C. — auf die Reinigung speziell venerischer
Geschwüre, auf Prostatitis und Epididymitis, wo sie der Kälte
durchaus vorzuziehen sein soll, einen günstigen Einfluss aus.
Ebenso bei gonorrhoischen Gelenkentzündungen, chronischen Ex¬
sudaten. Auch für akute Eiterungsprozesse und Exsudate ver¬
spricht sich Verfasser gute Erfolge.
No. 24 — 25. L. IT a r m e r - Wien: Zur Aetiologie der Zungen-,
Gaumen-, Kehlkopf- und Nackenmuskellähmung.
Obiger Symptomenkomplex ergibt in nicht zu seltenen Fällen
ein Krankheitsbild, dessen Aetiologie oft ganz im Dunklen bleibt.
Im vorliegenden Fall der Chiari sehen Klinik handelt es sich
um Einbettung und Kompression der Nerven in einem karzinoma-
tösen Drüsentumor am Halse und so mag auch sonst öfter keine
medulläre Erkrankung, sondern ein die peripheren Nerven be¬
treffender Krankheitsprozess die Grundlage bilden.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 24. H. Chiari -Prag: Ueber Morbus Bantii.
Nach einem literarischen Ueberblick spricht sich Cli. dahin
aus, dass eine schärfere Begrenzung des Begriffes der Bant i’-
sclien Krankheit nothwendig sei, und es zur Zeit noch nicht aus¬
gemacht erscheine, dass sie sich von der Anaemia splenica adul¬
torum, welche sehr oft mit geringer Hepatitis interstitialis ver¬
knüpft ist, anders als durch die stärkere Entwicklung dieser Hepa¬
titis unterscheide. Nach seinen eigenen Beobachtungen haben sich
anfänglich als Morbus Bantii angesehene Fälle immer mit
grösserer Wahrscheinlichkeit anders deuten lassen. Die Schwierig¬
keit der Diagnose zeigen 4 genauer beschriebene Fälle, von denen
einer gewiss, die anderen sehr wahrscheinlich auf Lues hereditaria
tarda zurückzuführen waren. Bergeat - München.
Rumänische Literatur.
A. Urecliia: Untersuchungen über den Alkoholismus in
Rumänien. (Spitalul 1902, No. 8.)
Verfasser gelangt nach statistischen Studien zum Schlüsse,
dass die Durchschnittsziffer für Rumänien an konsumiertem, ab¬
solutem Alkohol 9,2 L. pro Kopf und Jahr betrage, wodurch das
Land diesbezüglich in der Stufenleiter zwischen England und der
Schweiz zu stehen käme. Hauptsächlich ist der Alkoholismus
unter der Stadtbevölkerung verbreitet; der Städter trinkt fast
4 mal so viel Wein, Bier und Schnaps als der Bauer.
Schund a: Beiträge zur Behandlung der apoplektiformen
und epileptiformen Anfälle infolge von Paralysis generalis.
(Ibidem.)
Diese Anfälle sind im allgemeinen Folge einer Hirnkongestion.
Namentlich sind es die apoplektiformen Anfälle, welche nach der
Ansicht Obregias auf einer vasomotorischen Parese und kon¬
sekutiven Hyperämie der Hirnzentren beruhen. Die Pseudo-
epilepsie der Paralytiker hält Verfasser für Folgen einer Auto¬
intoxikation, denn oft sind es gastro-intestinale. Störungen, Alkohol-
missbrauch u. ii., wodurch die Anfälle hervorgerufen werden. Dem¬
gemäss ist die empfohlene Behandlung hauptsächlich eine dekon-
gestive und laxative: blutige Schröpf köpfe auf Nacken und Rücken,
saiine Abführmittel, warme Fussbäder, Eisblase auf den Kopf etc.
Auf diese Weise kann man oft drohenden Anfällen in wirksamer
Weise Vorbeugen. Während des Anfalles wird am besten Chloral
und Brom in Klysma verabreicht.
M. Mirinescu: Die Serotherapie der Diphtherie. (Ibid.)
In der Krankenhausabteilung des Verfassers, mit einer jähr¬
lichen Frequenz von über GOÖ Diphtheriekranken, war die Mor-
talität in den Jahren vor der Einführung des Serums 42 — 45 Proz.
und ist jetzt auf 14 Proz. gesunken.
C o s m a: Einige Worte über die interne Anwendung des
Methylum salicylicum. (Ibid.)
Das Präparat gibt bei Rheumatismus und verschiedenen
Neuralgien viel bessere Resultate, als das Salizylsäure Natrium und
kann bis zu 8 g täglich, am besten in Mixtura gummosa, ver¬
abreicht werden.
N. Manolescu: Conjunctivitis granulosa. (Spitalul 1902,
No. 9—10.)
Die beste Behandlungsmethode des Trachoms ist nach M.s
Meinung die Bürstung der Konjunktiva. Dieselbe wird mit
schmalen, zahnbürstenähnlichen, steifhaarigen Bürstclien vor¬
genommen und hierbei der Bulbus mit einer Pinzette fixirt. Die
hierdurch erzielte Entfernung der kranken Teile, die starke Blu-
tung und nachfolgende Entzündung, welche bakterizid wirken,
bilden die Hauptmomente dieser" Methode und nur ganz veraltete,
mit starker Hypertrophie und Sklerosierung einhergehende Fälle
zeigen nach derselben mitunter Rezidive.
Gli. Pro ca: Das Wasser von Bragadiru. (Ibid.)
Trotz der 10 Millionen Bei, welche von der Bukarester Ge¬
meindeverwaltung bisnun für Wasserversorgung ausgegeben
wurden, besitzt die Hauptstadt noch immer kein tadelloses Trink¬
wasser. Die frühere Wasserleitung von Bacu lieferte etwa
20 Mill. KM. filtriertes Wasser täglich, während Bukarest min¬
destens die doppelte Menge benötigt; es wurde daher nichtfiltriertes
Flusswasser mit eingeleitet, wodurch im Jahre 1897 eine heftige
Typhusepidemie hervorgerufen wurde. Das jetzige, bei Bragadiru
durch Tiefbohrungen gewonnene Trinkwasser, ist zwar vom bak¬
teriologischen Standpunkte sehr gut, doch für gewisse wirtschaft¬
liche Zwecke zu hart (18,6 deutsche Härtegrade), so dass wieder,
während der Morgenstunden, von dem früher benützten Wasser
eingeleitet wird, was eine ernste Gefahr für die hygienischen Ver¬
hältnisse der Stadt bedeutet.
A. Theohari: Der feine Bau der Magenzellen bei ex¬
perimenteller Hypopepsie und Hyperchlorhydrie. (Ibid.)
Nach mehrfachen Experimenten an Hunden ist T. zu fol¬
genden Schlüssen gelangt. Bei experimenteller Hypochlorhydrie
und Hypopepsie bereiten die Hauptzellen der Magendrüsen kein
Pepsinogen mehr; chemisch wird dieser Zustand durch eine Ver¬
minderung des organischen Chlors gekennzeichnet. Bei experi¬
menteller Hyperchlorhydrie bestehen histologische Zeichen von
Zellreizung, doch ohne numerische oder bauliche Veränderungen-
derselben. Diese Veränderungen bedingen noch keine Gastritis:
das interstitielle Gewebe ist normal, das cytoplastische Netzwerk
ist erhalten und infolgedessen kann von einer Zellendegeneration
nicht die Rede sein. Diese Veränderungen bilden das histologische,
oder richtiger cytologische Substrat der Dyspepsie, also der funk¬
tionellen, sekretorischen, gastrischen Störungen.
Cosma: Vergleichende klinische Studie über einige diure-
tisclie Medikamente. (Ibid.)
C. empfiehlt folgende diuretisehe Pulver: Rp. Pulv. folior.
Digital, et Scillae ää 1,0, Kalii nitriei 4.0. M. f. p. Div. in dos aeq.
No. X. S. 5 Pulver täglich. Dieselben sollen energischer und
nachhaltiger wirken, als die sonst üblichen harntreibenden Mittel:
Diuretin, Laktose, Strontium lacticum, Koffein und Theobromin.
•T. Butza: Ein neues, praktisches Mittel zur Unterschei¬
dung des Menschenblutes vom Blute der anderen Tiere. (Ibid.)
Zentrifugirtes, menschliches Pleuraexsudat wird in Mengen
von je 10 — 20 ccm während 5 — 0 Tagen einem Kaninchen intra-
peritoneal eingespritzt. Das Blutserum dieses Tieres gewinnt
infolgedessen spezifische, antihämatisehe Eigenschaften für das
menschliche Blut und kann zum Nachweise desselben benützt
werden. Löst man z. B. einen menschlichen Blutfleck in 6 ccm
physiologischer Kochsalzlösung auf und f ii gt % ccm von obigem
Kaninchenserum hinzu, so bildet sich in der Flüssigkeit innerhalb
10 — 15 Minuten und schon bei gewöhnlicher Zimmertemperatur
eine Trübung und später ein Niederschlag, welcher noch deut¬
licher wird, wenn man die Eprouvette einer Temperatur von
37 0 C. aussetzt. Diese Reaktion wird nur von menschlichem
Blute gegeben. Dr. E. Toff-Braila.
Vereins- und Congressberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 18. J u n i 1902.
Tagesordnung :
Herr Oppenheim und Herr J o 1 1 y ; Vorstellung eines
Falles von operativ behandeltem Rückenmarkstumor (mit
Demonstration am Projektionsapparat).
Herr Oppenheim berichtet zunächst über die Kranken¬
geschichte.
Ein junge Dame, die früher gesund gewesen, klagte seit
August v. J. über Schmerzen in der rechten Hypo-
chondriumgegend. Es bestand damals, wie der die Kranke
behandelnde Arzt, ihr Onkel, feststellte, eine massige links¬
gerichtete Skoliose. Orthopädie empfohlen, aber Pat. ging zu¬
nächst in andere Behandlung über. Im September traten die
ersten Lähmungserscheinungen im rechten, bald dar¬
auf auch im linken Bein auf. Nun konstatierte der zuerst be¬
handelnde Arzt, zu dem Pat. zurückgekehrt war, eine Reihe von
Symptomen, auf Grund deren er ein Rückenmarksleide n
annahm und an O. überwies. Vortragender konstatierte damals:
Schmerzen im rechten Hypochondrium von Rippenbogen bis
Nabelhöhe, Steifigkeit und Schwäche in den Beinen, besonders
rechts; Blase und Mastdarm normal funktionierend, doch soll einige
Zeit vorher vorübergehend Incontinentia alvi bestanden haben.
Massige Skoliose. Keine Druckempfindlichkeit an den Wirbeln.
Gang schleppend; Steigerung aller Reflexe; Klonus; Babinsky-
sclies Phänomen; Bauchdeckenreflex rechts fehlend.
Anamnestisch noch in Erfahrung gebracht, dass Tat. ein Jahr
vor Beginn ihres Leidens einen Sturz vom Rade erlitten hatte, je¬
doch ohne erhebliche Verletzung.
Auf Grund dieser Erscheinungen wird von O. die Wahr¬
scheinlichkeitsdiagnose T u m o r i n n e r halb des Wirbel-
k a n a 1 s gestellt und zur klinischen Beobachtung geraten.
Pat. geht deshalb für einige Zeit nach Haus Schönow, wo sich die
Erscheinungen allmählich steigerten.
Am 25. II. d. J. stellte sich Pat. wieder vor und O. konstatierte
erhebliche Steigerung aller Symptome, in den Beinen und am
Abdomen starke Abstumpfung aller Gefühlsqualitäten. Herr
Joll y, der gleich anfangs Pat. ebenfalls gesehen und noch einige
diagnostische Bedenken gehegt hatte, schloss sich jetzt der Auf¬
fassung O.s an und es wurde nunmehr Pat. zwecks even¬
tueller Operation in ein Sanatorium gebracht. Röntgen¬
durchleuchtung ergab keinen weiteren Aufschluss; ebenso ver¬
lief eine Tuberkulininjektion negativ.
Eine am 19. IV. von Sonnenburg, Oppenhei m und
J o 1 1 y vorgenommene genaue Untersuchung ergab Schmerzen in
der 9., 10. und 11. Dorsalwurzelzone, die zeitweise sehr heftig
waren; in dieser Region Sensibilität für alle Reize erloschen; elek¬
trische Prüfung der Bauchmuskeln an dieser Stelle zeigte partielle
Entartungsreaktion. Gang schleppend, schlürfend; spastische
Paraparese der Beine. Sehr erhebliche Beeinträchtigung der
aktiven Beweglichkeit. Auch in den Beinen starke Gefühlsstörung,
insbesondere auch des Lagegefühls. Auch jetzt keine Druck¬
empfindlichkeit der Wirbelsäule.
Es sprach nunmehr alles für eine Neubildung und, wenn auch
das Fehlen der Druckempfindlichkeit auffallend war, so> sprach
doch der Beginn der Erscheinungen mit Wurzelsymptomen dafür,
dass der Tumor nicht vom Rückenmark, sondern von seiner Um¬
hüllung ausginge. Es.w u r d e d r ingend zur Operation
gerathen und dieselbe von Sonnenburg aus-
g e f ii li r t.
Als Sitz des Tumors war die 9. Dorsalwurzelzone angenommen
und daher der 8. und 9. Wirbelbogen entfernt. Sogleich wölbt sich
die Dura vor und nach ihrer Eröffnung präsentierte sich die Ge¬
schwulst, welche leicht auszulösen war. Sie sass zwischen
Dura und Pia und hatte das Rückenmark stark komprimiert.
Glatter Wundverlauf. Pat. ist jetzt, nach einigen
Wochen, genesen, geht wieder frei und sicher umher und
zeigt jetzt mit Ausnahme einer mässigen Erhöhung der Sehnen¬
phänomene und leichter Störung der Lageempfindung normales
Verhalten. Auch die Skoliose ist verschwunden. Da die Ge¬
schwulst völlig gutartiger Natur ist, so ist ein Rück¬
fall nicht zu befürchten und Pat. als geheilt zu betrachten.
Kurzer Ueberblick über die Literatur und Hinweis darauf,
dass die bei Pat. anfangs versuchte Extensionsbehandlung eine
schnelle Verschlechterung zur Folge gehabt hat.
Herr J o 1 1 y: Derselbe demonstriert zunächst den 3 cm langen,
zylindrischen Tumor, der mikroskopisch sich als reines Fibrom
erweist und von der Arachnoides ausgegangen zu sein scheint.
Nervenfasern sind bis jetzt nicht darin gefunden, doch wäre dies
und damit ein Ausgang von den Wurzelscheiden noch möglich.
Bezüglich der Diagnose erwähnt J. noch, dass er sich an¬
fangs deshalb zurückhaltend verhalten habe, weil das vorange¬
gangene Trauma, und die Lokalisation des Schmerzes an der da¬
durch getroffenen Stelle einerseits eine funktionelle Erkrankung,
andererseits die Möglichkeit einer Wirbelaffektion (Tuberkulose)
No. 26.
1114
M lTEN( ’ 1 1 EN E R II ED T CINLSCIIE WOOH ENSCII IM KT.
nahclegeu musste. Ob der Sitz des Tumors intra- oder extradural
sei. lasse sich niemals mit Sicherheit entscheiden; im vorliegenden
Falle war aber trotz dieser Unsicherheit die Indikation zum Ein¬
griff eine dringende.
Diskussion: Herr Hahn: Berichtet über einige Fälle
zum Beweise der Schwierigkeiten, welche die Diagnose hier bieten
kann. Er habe 6 mal diese Operation ausgeführt. In allen war
die S e g m e n t d i a g n o s e richtig gestellt, doch fand sich nicht
immer der Tumor, und es sei in keinem Falle mit Sicherheit zu
sagen, um welche Art von Erkrankung es sich handle.
In 2 Fällen nahm F ü r bringe r einen Tumor an, die Opera-
tion ergab E c h i n o k o k k e n. Der eine geheilt, der andere
wegen zu grosser Ausdehnung letal verlaufen.
Tn einem 3. Fall mit erheblicher Schmerzhaftigkeit des Wir¬
bels. Tumor angenommen, aber nur eine unerhebliche Exostose ge¬
funden. Geheilt.
In 2 Fällen fand sich gar kein Tumor, sondern einmal
S y ringomyeli e, einmal Erweic h u n g.
Im letzten Fall war 10 Jahre vorher ein Messerstich in
die Wirbelsäule erfolgt. In der Zwischenzeit war Pat. gesund,
dann zuletzt Tumorerscheinungen. Operation — es fand sich eine
Verdickung und Erhöhung, aber es gelang nicht einen Fremd¬
körper zu entfernen. Auch nicht in der 2. Sitzung. Tod. Sek¬
tion deckte eine 2 cm lange Messerspitze im
10. Brustwirbelkörper auf, die in den K a n a 1
h i n e i n r a g t e.
Tn einem letzten Falle hatte sich ein .Talir nach einer
Stru m aope r a. t i o n eine Metastase der Struma in einem
Wirbelkörper gebildet. Nicht operiert.
Herr Senator berichtet über einen Fall, wo ein Jahr zuvor
eine Brustoperation (Karzinom?) vorgenommen und dann bei der
00 jährigen Frau eine Paraplegie der Beine aufgetreten war. Tod
im Marasmus. Sektionsbefund: Extradurales Sarkom.
Herr liemak: Bericht über einen Fall, der beweist, dass
die V e r ä n d e r u n g e n über alles E r w a rten ausge¬
dehnt sein und jede Operationsmöglichkeit
vereiteln k ö n n e n. Es war ein Tumor der Cauda equina
bezw. der entsprechenden Wurzeln angenommen und bei der von
Krause ausgeführten Operation ein so ausgedehnter Tumor ge¬
funden worden, dass nach Wegnahme mehrerer Wirbel die Opera¬
tion unterbrochen werden musste. Pat. starb in der folgenden
Nacht. Hiezu gibt Herr Krause einige erläuternde Be¬
merkungen.
Herr Oppenheim: Es sei zweifellos, dass mit der häufi¬
geren Ausführung genannter Operation noch mannigfache Ent¬
täuschungen kommen werden. Herr Hahn habe ihn nicht ver¬
standen. er habe das Fehlen des Druckschmerzes nicht als charak¬
teristisch für den Tumor hingestellt, sondern im Gegenteil diesen
Schmerz als das Gewöhnliche. Hans K o h n.
Verein für innere Medizin in Berlin.
(Eigener Beiächt.)
Sitzung vom 16. Juni 1902.
Demonstration;
Herr Bendix: Botriocephalus latus von einem 5 jährigen
Kinde. Klinisch: Anämie, Vermehrung der eosinophilen Zellen des
Blutes.
Tagesordnung :
Herr Citron: Zur Technik der mechanischen Behand¬
lung des Hydrops.
16 jährige Patientin; März 11)00 Oedeme; 2 Monate darauf Ei-
weiss; Beginn seiner Behandlung Oktober: damals hochgradige
Oedeme. Hydrothorax, Aszites: Urin spärlich, sehr eiweissreich;
viel Zylinder; Somnolenz. Medikamente und Skarifikation erfolg¬
los; nunmehr Anwendung des kürzlich von Miura empfohlenen
kleinen Apparates, den er mit einem Aspirationsapparat in Ver¬
bindung setzte. Guter Erfolg. Im Laufe mehrerer Monate im
Ganzen 30 Inzisionen und 70 Aspirationen. Schwinden der Oedeme
und Besserung des Allgemeinbefindens. Jetzt relatives Wohl¬
befinden.
Disluissi o n: Herr F ii r b r i n g e r: Er habe Patientin in
ihrer schlechtesten Zeit gesehen und damals kaum an Besserung
geglaubt. Der vom Vortragenden konstruierte Apparat sei sehr
sinnreich, aber auch etwas kompliziert.
Herr Litten: Die Skarifikation sei die wirksamste Methode.
Die Gefahr dabei sehr gering, nur werde die Haut zuweilen durch
die lange nachsickernde Flüssigkeit mazeriert.
Herr Fuchs erwähnt einen schweren, durch Skarifikation
nach erfolgloser medikamentöser Behandlung noch günstig be¬
einflussten Fall (Aorteninsuffizienz).
Herr Citron: Er habe sein Verfahren durchaus nicht als
ein den altbewährten vorzuziehendes hinstellen wollen.
Herr Hugo Neumann: Bemerkungen über die Bar-
1 o w sehe Krankheit.
Die frühere Ansicht vom Zusammenhang zwischen Rachitis
und Ba r 1 o w scher Krankheit werde jetzt allgemein als statisti¬
scher Fehlschluss betrachtet. Er selbst habe unter 18 Fällen nur
4 rachitische Kinder. Dagegen sei der Einfluss der Er-
n ä h ru ng auf die B.sche Krankheit zweifellos und hier sei die
Zubereitung der M i 1 c h wiederum von grösserer Bedeutung, als
die früher angeschuldigten Kindermehle. Nach den vorliegenden
Erfahrungen sei die Ueberhitzung der Milch von be¬
sonderer Bedeutung.
Vortragender hat in den letzten 2 Jahren 15 Fälle obiger
Krankheit gesehen, die ihre Milch alle aus einer und derselben
Molkerei bezogen, welche die Milch einem längeren Pasteuri-
siru n g s v e r f a h r e n unterwerfen. Bei den meisten dieser
Kinder kam etwa 7 — 8 Monate nach Einsetzen dieser Ernährung
die Krankheit zum Ausbruch.
Die Frage, in welcher Weise die Ueberhitzung der Milch
schädlich wirke, kann zunächst dahin beantwortet werden, dass
entweder eine Zerstörung von Eiweiss oder die Bildung von
toxischen Stoffen stattfindet. Zur Klarlegung der ersteren
Eventualität hat Vortragender Gefrierpunkts bestim-
m u n g und die des osmotischen Druckes herangezogen,
jedoch keine Differenzen gegen die Norm gefunden. Auch fand
sich weiterhin keine Störung des Phosphorstoffwech¬
sels; ebenso ergab sich die Belanglosigkeit des Phosphors
d a r a. u s, dass seine medikamentöse Zufuhr die Entwicklung der
Krankheit nicht hemmen konnte; das gleiche gilt vom Eisen;
der Gehalt der Milch an solchem wurde durch Kochen nicht be¬
einflusst.. Vortragender nimmt darum die zweite Möglichkeit an,
die Bildung toxischer Substanzen durch das Kochen.
Dafür spricht auch, dass die Kinder oft, trotz offenbaren
Hungers, starken Widerwillen gegen gekochte Milch zeigen.
Die Ansicht amerikanischer Autoren, dass die Barlow-
sclie Krankheit Folge einer Autointoxikation sei, sei unhaltbar,
da die Krankheit auch bei einwandsfreier Milch zur Entwicklung
komme.
Mit Rücksicht auf seine Ansicht von der Entstehung der
genannten Krankheit schlägt Vortragender vor, die Milch nicht
zu koch e n, sondern im K r o b a k sehen M i 1 c h k o eher bei
65 11 zu sterilisieren. Die Darreichung roher Milch scheint ihm
doch zu gewagt.
Von den Symptomen der Krankheit erwähnt Vortragender
nur die D u r c h f ä 1 1 e, welche durch antiskorbutische
Diät am besten beeinflusst werde und die Nierenaffek-
t i o n e n, welche manchmal das einzige Symptom bilden.
Diskussion: Herr Kobrak erläutert seinen Milcli-
koeher.
Herr Cassel: Er habe IG Fälle beobachtet; alle Kinder
waren künstlich genährt und bei allen war die Milch über 20 Mi-
nuten gekocht. Von den Symptomen erwähnt er die Fieberanfälle
und Nierenblutungen, welche in der Tat manchmal allein auf die
Krankheit hinwiesen. Die Prognose sei günstig. Er
gibt Milch, welche nur bis zum Aufkochen erhitzt ist, manchmal
müsse man aber zu roher Milch greifen. Wenn sich dabei aus¬
nahmsweise Durchfälle einstellten, dann habe er auf die Mutter¬
milch zurückgegriffen.
Herr A. Baginsky: In Frankreich werde fast ausschliess¬
lich sterilisierte Milch verabreicht, ohne dass dort Barl ow sehe
Krankheit auftrete, oder doch nur ausnahmsweise. Das Sterili¬
sieren kann also nicht die einzige Ursache sein. Zur Annahme von
Toxinen seien Tierversuche nötig. Unter den Symptomen macht
er noch auf starke Orbitalblutungen aufmerksam.
Herr Jakob fordert Herrn Neu mann auf. den Namen
der betreffenden Molkerei bekannt zu geben, damit derselben vor¬
geschrieben werde, ihren Präparaten die Bemerkung anzuhängen,
dass dieselben bereits steril und weiteres längeres Kochen un-
nötliig ist.
Herr N e u m a n n gibt dieser Anregung nicht statt und über¬
lässt es der Molkerei, die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Herrn
Baginsky gegenüber bemerkt er. dass er die Sterilisierung
nicht als einzige Ursache, sondern nur als hauptsächliche be¬
zeichnet habe. Hans K o li n.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. April 1902.
Herr W. Oppe: Die jetzige Pockenepidemie in London
und die englische Impfgesetzgebung.
(Der Vortrag ist ausführlich unter den Originalien dieser
Nummer abgedruckt.)
Diskussion: Herr Me inert ist verwundert, dass der
Herr Vortragende eine Ausbreitung einer Pockenepidemie durch
die Luft leugnet. Er glaubt in früheren Epidemien in Dresden
1. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1115
Beispiele gesehen zu haben, die für diese Art der Verbreitung
sprechen.
Herr O p p e Hält eine definitive Entscheidung dieser Frage
so lange für recht schwierig, als der Pockenerreger nicht bekannt
ist. Gegen die Uebertragung durch die Luft scheine ihm schon
der Umstand zu sprechen, dass die Weiterverbreitung auch ent¬
gegengesetzt der herrschenden Windrichtung statt fand.
Herr Me inert hält seine Ansicht durch dieses Argument
nicht für entkräftet, denn bei einer Epidemie, die über G oder
mehr Monate währt, könne von einer herrschenden Windrichtung
nicht wohl mehr die Rede sein.
Herr Ohalybaeus hält — ganz allgemein gesprochen —
eine Infektion mit Pocken durch Inhalation ebenfalls für möglich,
nur frage sich, wie weit das Kontagium durch die Luft getragen
werden könne. Wissenschaftliche Feststellungen fehlen bisher
über diesen Punkt.
Herr Buschbeck macht auf die Strenge des französisch m
Impfgesetzes aufmerksam, in dem die 1. Impfung im 1. und die
llevaccination nicht nur im 11., sondern auch im 21. Jahr verfügt
wird; dasselbe geht also noch weiter wie unser deutsches Impf¬
gesetz.
Herr Fiedle r hält eine Ausbreitung der Pocken durch die
Luft ebenfalls für möglich und hat 1880 in der Dresdener Pocken¬
epidemie, wo die Pionierkaserne als Pockenlazareth eingerichtet
war, in deren Umgebung ein gehäuftes Auftreten von Pockenfälien
in sehr eklatanter Weise beobachten können. Nur in einem
kleinen Theil der Fälle waren damals andere Wege der Ueber-
tragung aufzufinden und ohne die Annahme einer Verbreitung
durch die Im ft die meisten Infektionen nicht zu erklären.
Herr G. Sehmorl hält nach den modernen Anschauungen
vier Mikroparasitologie eine Uebertragung des Pockenkontagiums
durch die Luft, zum Wenigsten über weite Strecken, nicht für
möglich. Handelt es sich dagegen um eine Verbreitung auf ganz
kleine Entfernungen, d. li. die nächste Umgebung des Kranken, so
wären Vorgänge analog der von F 1 ü g g e für Tuoerkulose nach¬
gewiesenen Tröpfchenübertragung denkbar. Er betont weiter,
dass mit der Grösse der Entfernung die Möglichkeit einer Ueoer-
tragung durch zwei Momente rasch verringert werden muss, ein¬
mal die Austrocknung, welche vermuthlich abschwächend auf die
Virulenz des allerdings noch hypothetischen Pockenerregers wirken
wird, und zweitens die rasch zunehmende Verdünnung des Kon-
tagiums im Umkreis des betreffenden Herdes. Es sei auch daran
zu erinnern, dass die Wege, auf denen das Kontagium weiter ge¬
tragen werden kann, so vielfache und oft so verschlungene sind,
dass man das Fehlen des Nachweises dieses Weges noch nicht als
Beweis gegen seine Möglichkeit ansehen kann.
Herr M a r t i n i spricht sich ebenfalls für die Möglichkeit
einer Weiterverbreitung der Pocken durch die Luft aus; er konnte
wiederholt bei einer Kette von einander folgenden Infektionen
eine allmähliche Abnahme der Schwere der einzelnen Fälle beob¬
achten.
Herr Clialy baeus hebt hervor, dass die Eintrocknung das Gift
der Pocken nicht abtödtet, ja nicht einmal abzuschwächen imstande
ist, es vielmehr zu konserviren scheint, denn bei der früher vor
Einführung der Vaccination üblichen Variolation wurden einge¬
trocknete Schorfe, die jahrelang aufbewahrt werden konnten, mit
positivem Erfolge vielfach verwendet. Er erhebt weiter Ein¬
wendungen gegen die von Herrn Schmorl geschilderte Ver¬
dünnung des Kontagiums in der Luft.
Herr E rdmann erinnert an einen früheren Vortrag des
Herrn Warnatz in dieser Gesellschaft, der sich mit der Ueber¬
tragung der Pocken durch eingetrocknete Schorfe (nach eigenen
Versuchen) beschäftigte.
Herr Fiedle r glaubt aus den Worten des Herrn Schmorl
zu entnehmen, dass er z. B. eine Infektion bei dem Betreten eines
Pockenkrankenzimmers für unmöglich hält.
Herr G. Schmorl berichtigt zunächst diese Ansicht und
liebt hervor, dass unsere prophylaktischen hygienischen Maass¬
nahmen gegen die Pocken, jede Absperrung ja dann überflüssig
wäre, wenn die Uebertragung durch die Luft eine so grosse Rolle
spiele, wie offenbar von mehreren Rednern angenommen würde.
Er definirt nochmals, was man unter Verdünnung des Kontagiums
im epidemiologischen Sinne zu verstehen habe.
Herr O p p e betont, dass 2 km weite Entfernung in dem Falle
der vermeintlichen Uebertragung durch die Luft in England Vor¬
gelegen hätte, gewiss eine so grosse Strecke, dass diese Möglich¬
keit von vornherein auszuschliessen sei. Er formulirt seine An¬
sicht dahin, dass ein strikter Beweis der Ausbreitung einer Epi¬
demie durch die Luft auch durch die in der Diskussion heran¬
gezogenen Fälle nicht erbracht sei und eine anderweite Ueber¬
tragung nach seiner Meinung jedenfalls als die näher liegende
festzuhalten sei.
Herr Osterloh: 1. Ueber Uterusruptur.
Am 1. Dezember 1900 hielt in unserer Gesellschaft Herr
Dr. Klien einen Vortrag über die Behandlung der unkompli-
zirten Uterusruptur sub partu, operativ oder konservativ? Auf
Grund seiner ausserordentlich fleissigen Zusammenstellung aller
seit dem Jahre 1S80 veröffentlichten Fälle (gegen 800), von denen
er 347 verwerthen konnte, kam Klien zu dem Schlüsse, dass
die Drainage der Rissstelle mit Gummirohr oder Jodoformdocht
die absolut geringste Mortalität (17 Proz.), die Tamponade da¬
gegen mit Gaze eine sehr viel höhere (52 Proz.) hatte. Die
operativ behandelten Fälle dagegen hatten in den letzten
10 Jahren eine Mortalität von 37,5 Proz. Die Aussichten aut
Erfolg bei der operativen Behandlung hängen besonders davon
ab, ob die Operation innerhalb der ersten 2 Stunden nach der
Ruptur und ob sie an Ort und Stelle vorgenommen werden kann.
In diesen Fällen verbessert sich die Aussicht ausserordentlich.
Erwähnt sei noch, dass 73 rein exspektativ behandelte Fälle, d. h.
die man nach der Entbindung örtlich unbehandelt liegen liess,
sämmtlieh starben. Klien empfiehlt sonach für Uterusruptur
ohne Verblutungsgefahr die Drainage mit Gummirohr, bei
schweren Blutungen aber die Köliotomie.
Die weiteren Ausführungen sind in den beiden Veröffent¬
lichungen K 1 i e n’s, Therapeutische Monatshefte 1901, S. 235
und Arch. f. Gynäkologie 1901, 62. Bd., S. 193, nachzulesen.
Während ich bisher eigene Erfahrungen über Uterusruptur
intra partum nicht gemacht hatte, gab mir das vergangene Jahr
Gelegenheit 3 Fälle zu beobachten. Alle 3 hatten das Gemein¬
same, dass ich bei der Entstehung der Zerreissung nicht zugegen
war, dass ich die ersten entscheidenden Hilfeleistungen nicht aus¬
zuführen, wohl aber die Nachbehandlung zu leiten hatte.
Der erste Fall passirte in der Privatklinik des Herrn
Dr. Me inert, der mir, weil er für mehrere Tage verreisen
musste, 14 Stunden nach der Entbindung die Nachbehandlung an¬
vertraute und mir heute die Verwerthung des Falles giitigst ge¬
stattet hat. Der zweite fand auf meiner Abtheilung im Stadt¬
krankenhause statt. Hier traf mein Assistenzarzt, Herr Dr. G e i t -
ner, nach der Uterusruptur die entscheidenden Maassnahmen,
da ich erst 2 Stunden nach der Verletzung in das Stadtkrankenhaus
kommen konnte, und der dritte Fall wurde aus W. mehr als
48 Stunden nach der Entbindung per Wagen auf meine Abtheilung
gebracht.
1. (Dr. Meiner t’s Fall.) Frau LI., Ende der 30 er Jahre.
7 Kinder, von denen das erste mit der Zange, die anderen G nornud
geboren waren. Letzte Menses Anfang Juli 1900. Kinds¬
bewegungen im November 1900. Seit 4 Wochen Anschwellung der
Beine. In die Klinik aufgenommen am G. April 1901. Starke Aus¬
dehnung des Leibes durch Hydramnios. Kleine Theile rechts oben,
Kopf links über dem Beckeneingang. Wehenbeginn seit einigen
Tagen. In Narkose leichte Dehnung des bequem für 2 Finger
durchgängigen Muttermundes. Sprengung der Blase, enormes
Fruchtwasser, leichte Wendung auf beide Füsse; Lösung der Arme
macht grössere Schwierigkeiten, so dass über 5 Minuten vergehen
bis das Kind bis zum Halse entwickelt ist. Nach vielen vergeb¬
lichen Versuchen (Veit-'Smellie) passirt der Kopf unerwartet
schnell den Beckenausgang. Die Nabelschnur war schon lange
pulslos. Sehr viel Fruchtwasser mit Blut. Nachgeburt manuell
entfernt. Die ausserordentlich starke Blutung steht auch nach
Heisswasserausspülung nicht. Die in die Gebärmutter eingeführte
Hand gelangt durch einen dieselbe bequem passiren lassenden
Riss der linken Uteruswand in die Bauchhöhle und vermag den
Uterus von der Bauchhöhle zu umfassen. Der Riss durchsetzt die
Wand schräg und seine Ränder legen sich nach dem Zurückziehen
der Hand gut aneinander. Es wird angenommen, dass der Riss
entstanden ist bei der durch starken Druck seitens der Hebamme
auf den mit Fruchtwasser erfüllten Uterus unterstützten Ent¬
wickelung des Kopfes. Während ein Riss in der rechten Cervix-
waud durch 2 Nähte geschlossen wird, wird der Riss links, der von
der Cervix beginnt und sich in den oben geschilderten fortsetzt,
mit Jodoformgaze ausgestopft, ebenso die Gebärmutterhöhle und
die Scheide, so dass über 6 m Gaze verwendet werden.
7. April. Die Blutung steht. Es entwickelt sich Meteorismus.
Puls 120 — 130. Temperaturen dauernd subfebril. Grosse Unruhe.
Da Eisblase nicht vertragen wird, Priessnitz. Kleine Dosen
Morphium.
8. April. Grosse Unruhe, häufiges Erbrechen. Abends Ent¬
fernung eines Stückes Gaze. Magenausspülung. Keine Bläh¬
ungen, keine Darmbewegungen; Einlauf mit Kamillenthee er¬
folglos.
9. April. Von jetzt täglich mehrere Magenausspülungen. Der
Leib weicher. Entfernung von 4 m Gaze. Erbrechen hält an.
10. April. Stuhlgang auf Einlauf mit Kamillenthee und
Terpentinöl. Abgang von Blähungen. Allgemeinbefinden bessert
sich. Rest der Gaze entfernt.
11. April. Das Erbrechen hat sich nicht wiederholt. Von da
ab zögernde Herstellung, durch die Entwickelung eines para-
metritischen Exsudates aufgehalten. Die Magenausspülungen
wurden noch mehrere Tage fortgesetzt, weil sie der Kranken
ausserordentlich wohlthätig waren. Am 11. Mai konnte die Frau
aus der Klinik entlassen werden.
2. Frau B., 35 Jahre alt. 4 Kinder geboren, 1 schwer, aber
spontan, 2. bis 4. durch Wendung und Extraktion. 3 Kinder leben.
Plattes Becken. Conjug. extr. 1G% cm. Wehenbeginn 3. Juni,
Nachts 11 Uhr. Aufgenommen in das Stadtkrankenhaus 4. Juni.
Früh 3 Uhr. 2. Schädellage. Von Mittag ab kräftige Wehen.
Nachmittags 5 Uhr Kopf beweglich über Beckeneingang. Mutter¬
mund handtellergross. %7 Uhr Kopf in’s Becken getreten. Kein
Kontraktionsring. Keine Spannung der Lig. rotunda. %8 Uhr
Blasensprung, wenig Fruchtwasser. y29 Uhr plötzliches Aufhören
der Wehen, starke Blutung. Bei der Untersuchung findet sich der
Uterus nach rechts gesunken; links von ihm sind die kleinen
Theile direkt unter den dünnen Bauchdecken zu fühlen. Grosse
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 26.
1116
Ermattung der Kreissenden. Leichte Narkose. Scheide voller
Blutgerinnsel. Kopf, aus dem Becken gewichen, liegt auf der
rechten Seite. Links kommt die Hand direkt durch einen Riss
in der Uteruswand in die Bauchhöhle, erfasst die daselbst liegenden
Küsse des Kindes, an denen das ausgetragene Iviud leicht extrahirt
wird. Hie Plazenta folgt leicht auf Druck des rechtsliegenden
Uterus. Straffe Tamponade des Risses, des Uterus und der Scheide
mit .Jodoformgaze. Druckverband auf den Leih. Ergotin. Koch¬
salzinfusion. Eisblase auf den Leib. 2 Stunden später konstatirt
Dr. Osterloh, dass die Blutung steht.
5. Juni fühlt man links neben dem Uterus eine Anschwellung
(Hämatom). Am 7., 8. und 9. Juni stückweise Entfernung der
Gaze. Die Rekonvaleszenz verläuft unter massigen Temperatur-
steigerungen so, dass die Frau am 15. Juli gesund entlassen werden
kann. Von der Verletzung ist nichts mehr zu spüren, nur eine
massige Verdickung am linken Lig. lat. ist von dem Hämatom
zurückgeblieben.
Ohne weitgehende Schlussfolgerungen aus diesen beiden
Fällen zu ziehen, zeigen dieselben, dass, wenn in einem Falle von
Uterusruptur unter Wahrung strengster Reinlichkeit gearbeitet
worden ist, eine Behandlungsweise, die jeder Geburtshelfer mit
Assistenz der Hebamme ausführen kann, guten Erfolg haben
kann. Es ist dies um so bedeutungsvoller, als im Falle einer
Zerreissung der Gebärmutter ausserhalb der Klinik die operative
Behandlung durch Köliotomie auf grosse Schwierigkeiten stossen
dürfte. E eberstürzte Vorbereitung zur Operation, mangelhafte
Assistenz u. s. w. werden den Erfolg des Eingriffs schwer ge¬
fährden. Andererseits aber werden wiederum, wie ja Klien
ganz richtig festgestellt, durch den Transport der Verletzten und
den damit zusammenhängenden Zeitverlust neue Gefahren ver¬
anlasst.
3. 35 jährige Arbeitersfrau, Mutter von 4 Kindern, in W. In
der Nacht vom 28. bis 29. Juni 1901 Armvorfall, plötzliches Auf¬
hören der Wehen und heftiger Schmerz im Leib. Wendung und
Extraktion.
Am 1. Juli Vormittags in’s Stadtkrankenhaus gebracht. Ganz
elender Allgemeinzustand. Fortwährendes Erbrechen und zahl¬
reiche Durchfälle. Meteorismus. Leib sehr schmerzhaft. Die
Scheide ist unverletzt; vorsichtige Untersuchung lässt einen Riss
in der Cervix fühlen. Jauchender, blutig-schleimiger Ausfluss.
Die Peritonitis führte unter schnell sich entwickelnden
Kollapserscheinungen am 4. Juli Früh 0 Uhr zum Tode.
Sektionsbericht: Allgemeine Peritonitis. Grosse septische Milz;
im rechten Parametrium ausgedehnter Bluterguss. An der Vorder¬
seite des Uterus breiter Riss zwischen Uterus und Blase.
Hier hatte, obgleich die Gebärmutterverletzung schon in der
Wohnung der Frau diagnostizirt worden war, irgend eine spe¬
zielle Behandlung überhaupt nicht stattgefunden und als sie
auf die Abtheilung des Krankenhauses kam, schloss der ausser¬
ordentlich schwere Krankheitszustand jede aktivere Hilfeleistung
aus. Muthmaasslich hatte schon während der Entbindung eine
Infektion stattgefunden.
Diskussion: Herr Leopold hält die Fälle desshalb für
lehrreich, weil sie den hohen Werth der Tamponade in frischen
Fällen beweisen und schliesst sich nach seinen Erfahrungen dieser
Ansicht an. Für Pi*aktiker, denen das Missgeschick selbst passirt,
und die sofort eingreifen können, ist diese Lehre wichtig. Die
gute Prognose hängt aber auch weiter von der Grösse des Risses
ab, bei grossen Rissen bleibt in Folge unvermeidlicher Zerreissung
grösserer Gefässe die Laparotomie das alleinige Mittel. Feste Kom¬
pression von aussen durch Bandagirung des Abdomen muss mit der
Tamponade Hand in Hand gehen.
Herr Haupt erwähnt einen Fall seiner Erfahrung (vor
20 Jahren beobachtet), in dem er, da ganz ohne Hilfsmittel, gar
nichts gemacht hat, und der, ohne dass auch nur eine Blutung ein¬
trat, ohne Fieber vollkommen reaktionslos verlief, so dass später
kaum noch etwas von dem Risse nachzuweisen war.
Herr Geitner fügt zu den Ausführungen des Herrn Vor¬
tragenden, dass er in dem berichteten Fall, als er die Tamponade
ausführte, Alles auch zu einer event. nothwendigen Laparotomie
vorbereitet hatte.
2. Tetanus im Wochenbett.
Anna D., Hausmädchen und Kellnerin in einem Garten¬
restaurant, 24 Jahre alt. Mutter eines Kindes, abortirte am
4. Juli 1901 nach 3 monatlicher Schwangerschaft. Von einem Kol¬
legen wurde die Gebärmutter ausgeräumt. Es traten Schüttel¬
fröste und Fieber auf.
Am 13. Juli (9. Tag) auf genommen, macht die D. einen schwer¬
kranken Eindruck. Im Unterleib findet sich nur das rechte Para¬
metrium infiltrirt; der Leib ist straff gespaunt, aber nicht nieteor
ristiseli. 40,0°. 132 Puls. Klagen über Nacken- und Rücken¬
sehmerzen.
Diagnose: Sepsis puerp. post abortum.
Intravenöse Injektion von Collargol.
14. Juli Temperatur abgefallen. Scliluekbesch werden. Schmer¬
zen beim Oeffnen des Mundes.
15. VII. Patientin bringt heute die Zähne nicht mehr aus¬
einander. Nackenmuskulatur steif; sie verzieht das Gesicht
krampfhaft (Risus sardonicus); spricht nur mit den Lippen. Bei
Prüfung der Patellarreflexe treten Krämpfe der Beinmuskeln ein.
wonach das Bein eine Zeit lang steif bleibt.
Diagnose: Tetanus puerp. Chloral per rectum.
10. Juli. Die Steifheit hat sich über die ganze Rücken¬
muskulatur verbreitet. Die Halsmuskeln, besonders die Sterno-
cleidomast., sind tonisch kontrahirt. Der rechte Arm wird zeit¬
weise von tonischen Krämpfen befallen. Die Kranke gibt an, An¬
fälle von schmerzhaften Kontraktionen der Rückenmuskeln zu
fühlen. Der Leib ist bretthart. Bei Ansprechen, Thüröffnen u. s. w.
treten die schmerzhaften Kontraktionen auf. Ernährung sehr
schwierig.
Behandlung: 10. Juli 10 ccm flüssiges B e li r i n g'sclies
Antitoxin subkutan. (Kontrolnummer 48, gepr. 28. Jan. 1901.)
4 ccm mit 40 ccm 0,4 proz. Karbolsäurelösung in die Vagina ge¬
spritzt, fliesst aber sofort ab.
17. Juli 2. Injektion mit 20 ccm.
18. Juli 3. Injektion mit 20 ccm. Kontrolnummer 50, gepr.
11. Juni 1901.
19. Juli 4. Injektion mit 20 ccm. Ausserdem Chloral per rectum.
Der nächste Erfolg war, dass keine Verschlimmerung mehr
eintrat und dass nach und nach die Zwischenräume zwischen den
einzelnen Muskelkrampfanfällen grösser wurden. Stuhlgang er¬
folgte und die Ernährung erleichterte sich. Immerhin traten bis
zum 1. August immer wieder Kontraktionen der verschiedenen
Muskelgruppen auf und die Steifigkeit der Rücken- und Beiu-
muskulatur verlor sich nur nach und nach. Ausserdem hatte sich
rechts ein parametrisches Exsudat entwickelt.
Die Behandlung bestand nach Aufhören der Antitoxinein¬
spritzungen in Dareichung von Chloral und Morphium abwech¬
selnd. Vom 1. August an traten dazu regelmässige warme Voll¬
bäder. Am 14. Sept. geht die D. völlig geheilt ab.
Die ausserordentlich grosse Gefahr des Tetanus puerperalis
ist so bekannt, dass sich die Mittheilung eine genesenden Falles
wohl rechtfertigt. Hervorzuheben ist, dass auch in diesem Falle
die ersten Erscheinungen des Trismus sich am 9. Tage zeigten,
wie dies auch z. B. bei Kentmann (Monatsschr. f. Geburtsli.
1900, Bd. 11, S. 527) war; zweitens hinsichtlich der Aetiologie,
dass die I). in einem Gartenrestaurant thätig war; drittens, dass
die Silberinjektion die Temperatur herabsetzte und dass an¬
scheinend eine doppelte Infektion vorlag, die septische, die zum
Ausbruch der Parametritis führte, und die tetanische.
Die beiden ersten Dosen Antitoxin lieferte die hiesige thier¬
ärztliche Hochschule, die 3. und 4. wurden telegraphisch direkt
von Höchst bezogen.
Die erwähnte Einspritzung in die Scheide ist Höchster Vor¬
schrift bei puerperalem Tetanus; ihre Wirkung erschien wegen
sofortigen Abflusses so illusorisch, dass sie nicht wiederholt
wurde.
Diskussion: Herr Meinert hat vor vielen Jahren in
seiner Klinik einmal eine Tetanusepidemie von 3 Fällen erlebt
(der erste war ein puerperaler, dessen Entstehung durch die An¬
gabe erklärt wurde, dass die Frau von dem Ehemann mit dem
Stiefelabsatz in die Vulva gestossen worden war. Die Fälle sind
im Archiv für Gynäkologie veröffentlicht worden. (Meinert:
Die gynäkologischen Fälle von Wundstarrkrampf. Arcli. f. Gyn.
Bd. 44, II. 3.)
(Schluss folgt.)
Verein der Äerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 12. F ebruar 1902.
Vorsitzender : Herr C. Fraenkel.
Herr Disselhorst: Die Frage nach der Identität der
Menschen- und Thiertuberkulose. (Der Vortrag erscheint aus¬
führlich in nächster Nummer.)
Besprechun g. Herr Deetz bemerkt, dass die meisten
der von Herrn Disselhorst erwähnten Uebertragungsver-
suche aus der Zeit vor Einführung des Tuberkulins stammen, also
sich immer der Einwand erheben lasse, dass die betreffenden Ver-
suchsthiere bereits vorher tuberkulös waren. Er weist speziell
auf die neueren Versuche von M. P. Ravenei hin. Schickt man
die vom Menschen gewonnenen Kulturen durch irgend ein Zwi¬
schenthier, wie Kaninchen, Meerschweinchen oder Ziegen, und ver
impft dann die aus diesen letzteren gewonnenen Kulturen auf
Rinder, so haben die neueren Versuche meist zu positiven Resul¬
taten geführt. Er hoffe, demnächst über derartige positive Ver¬
suche berichten zu können.
Hinsichtlich der Häufigkeit des Vorkommens der primären
Darmtuberkulose beim Menschen gehen die Angaben so weit aus¬
einander, dass die Unterschiede kaum anders als aus der von vorn¬
herein abweichenden Auffassung und Stellungnahme des Beob¬
achters selbst erklärt werden können. Präzision des Begriffes
„primäre Danntuberkulose“. Die Häufigkeit der Tuberkulose bc
treffend, ergänzt Deetz die N a eg e 1 i’schen Zahlen durch Ziffern
aus dem Dresdener Friedrichstädter Krankeuliause. Es fand sich
1. Juli 1902.
MÜENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
im verflossenen Jahre bei 1200 Sektionen in 92 Proz. aller Leichen
Tuberkulose (Kinder unter 1 Jahre nicht mitgerechnet).
Herr Pott bemerkt, dass nach seinen Erfahrungen der
Prozentsatz der Fälle von Darmtuberkulose bei
Kindern in der That ein recht geringfügige r sei und
auch gewesen sei schon zu einer Zeit, wo man vom Tuberkel¬
bazillus noch nichts gewusst und die Milch vor dem Gebrauch
nicht abgekocht habe.
Herr C. Fraenkel erwähnt zunächst, dass die Verschieden¬
heit der menschlichen und der Rinderbazillen nicht erst durch den
bekannten Vortrag von Koch behauptet und zur Diskussion ge¬
stellt worden sei. Schon vorher hätten vielmehr einige ameri¬
kanische Forscher, wie namentlich Smith, Dinwiddie und
R a v e n e 1, auf Grund eingehender Versuche diese Anschauung
vertreten und R a v e n e 1 z. B. betone in einer sehr bemerkens-
werthen Veröffentlichung, dass die Rinderbazillen durch
ihre morphologischen, kulturellen und patho¬
genen Eigenschaften von den Tuberkelbazillen
des Menschen ab wichen: sie seien meist dicker u n d
kürze r, liessen sich viel schwerer auf unseren künstlichen
Nährböden, meist nur auf erstarrtem Hundeserum züchten,
bildeten auch hier nur einen ganz dünnen und spärlichen Rasen
und besässen vor allen Dingen für sämmtliche Versuchsthiere
(Rinder, Pferde, Ziegen, Schafe, Hunde u. s. f.) eine viel grös¬
sere Virulenz und Bösartigkeit als die menschlichen, die sich auf
die meisten der genannten Spezies überhaupt nicht oder doch nur
bei Verwendung sehr grosser Mengen übertragen liessen. Auch
Baum garten habe diesen Unterschied schon bei einem Ex¬
periment an 2 Kälbern festgestellt, das freilich wenig beachtet
und eigentlich erst jetzt wieder der Vergessenheit entrissen
worden sei.
Immerhin habe . die ganze Frage aktuelle Bedeutung erst
durch die Mittheilung von Koch gewonnen, namentlich daKocli
an seine wissenschaftlichen Behauptungen auch praktisch
wichtige Folgerungen knüpfte. Bei der Beurtheilung der Koch-
schen Angaben werde man freilich gerade diese beiden Seiten der
Frage zunächst auseinander halten müssen, und die meisten wei¬
teren Stimmen zur Sache in der Fachpresse wie in den Tages¬
blättern hätten durch Nichtbeachtung dieser Forderung mehr zur
Verwirrung alsf'zur Klärung der ganzen Angelegenheit beigetragen.
Koch habe seine Annahme von der V erschiedenartig-
k e i t der beiden Bakterien wesentlich auf 2 That Sachen ge¬
stützt: erstens darauf, dass eine Verimpfung der Men¬
schenbazillen auf das Rind in der Regel nicht
gelinge, desshalb auch das umgekehrte Verhältniss
wahrscheinlich sei, und zweitens darauf, dass die Seltenheit
der Darmtuberkulose beim Menschen, namentlich
bei Kindern, ebenfalls im letzteren Sinne spreche.
Diese Thatsachen sowohl, wie auch die aus ihnen abgeleiteten
Schlüsse seien nun von verschiedenen Seiten bestritten worden.
Man habe behauptet, dass die menschlichen Bazillen doch auf
das Rind Überträgen werden könnten. Indessen liegt eine
sichere und einwandfreie Beobachtung dieser Alt bisher nicht vor;
auch den vom Herrn Vortragenden des Genaueren berichteten Ex¬
perimenten von Arloing u. A. könne eine entscheidende Be¬
deutung nicht beigemessen werden, da sie fast sämmtlich unter'
Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmaassregeln ausge¬
führt seien. Wenn Arloing z. B. den Thieren grosse Mengen
von Bazillen in die Blutbahn spritze und die darauf eintretende
Bildung von Knötchen und den nachfolgenden Tod als eine ge¬
lungene Infektion ansehe, so müsse doch hervorgehoben werden,
dass damit gar nichts bewiesen sei, da man genau den gleichen
Effekt selbst mit abgetödteten Kulturen jederzeit zu er¬
zielen vermöge, wie schon vor Jahren zuerst Prudden und
Hodenpyl gezeigt, jüngst auch wieder in Fr.’s Laboratorium
Engelhardt in demnächst zu veröffentlichenden Versuchen be¬
stätigt habe. Auch dürfe man nicht vergessen, dass Koch
keineswegs die Möglichkeit einer Uebertragung mensch¬
licher Bazillen auf das Thier völlig geleugnet, vielmehr nur her¬
vorgehoben habe, dass unter denselben Bedingungen die mensch¬
lichen Bazillen für das Rind unvergleichlich viel weniger gefährlich
als die Perlsuchtbazillen und eben desshalb von den letzteren ver¬
schieden seien. Das sei inzwischen z. B. auch durch Versuche dar-
gethan worden, die Karlinski in Bosnien ausgeführt und
jüngst mitgetheilt hat.
Namentlich sei aber nun die Koc h’sche Annahme an-
gefochten worden, dass, weil die Mensehenbazillen für
das Rind unschädlich seien, nun auch die Rinderbazillen
für den Menschen unschädlich sein sollten. An sich brauchen,
wie wir aus anderen bakteriologischen Erfahrungen wissen,
solche wechselseitige Beziehungen zwischen zwei Bakterien- oder
Thierarten durchaus nicht zu bestehen, und ferner komme z. B.
R a v e n e 1 auf Grund seiner Befunde gerade zu der Anschauung,
dass der Rinderbazillus, der für alle geprüften
Versuchsthiere viel pathogener als der mensch¬
liche, eben desshalb auch für den Menschen be¬
sonders gefährlich erscheine. Unter diesen Um¬
ständen sei gewiss von den Anhängern der Koc h’schen Theorie
grosses Gewicht auf die vom Vortragenden erwähnten Experi¬
mente zu legen, die Baumgarten mitgetheilt habe, und die die
Unwirksamkeit der Perlsuchtbazillen für den Menschen erwiesen
1117
hatten. 1 reilich könnte man ja auch einem solchen Ergebniss
gegeniibei noch daran erinnern, dass beim Menschen, wenig¬
stens beim erwachsenen, eine subkutane Ver¬
impfung der menschlichen Bazillen gleich¬
falls meist ohne weitere Folgen bleibe oder doch
nur örtliche Veränderungen liervorrufe, wie namentlich das Ver¬
halten der sogen. Leichentuberkel zeige.
Derartige subkutane Uebertragungen der Rin¬
dertuberkulose aut den Menschen, nicht absicht¬
liche und künstliche, sondern natürliche und unfreiwillige
seien dann, wie schon Herr Disselhorst erwähnt, in der
Literatur auch schon mehrfach beschrieben und neuerdings be¬
greiflicher Weise mit erhöhtem Interesse betrachtet worden. So
sei berichtet, dass Fleischer an Tuberkulose der Finger erkrankt,
die sie sich beim Schlachten perlsüchtiger Tliiere zugezogen, dass
durch Benutzung von Milch zu Stichelungen der Haut behufs Ent
fernung von Tätowirungen bei einem Menschen ein Lupus der
betreffenden Partie erzeugt sei u. s. f. ln allen diesen Fällen liegt
aber die Möglichkeit vor, dass die betreffenden Individuen die
Wunden auch mit den Bazillen der menschlichen Tuber¬
kulose infizirt und verunreinigt haben, und erst wenn es gelinge,
aus solchen Affektionen wieder Mikroorganismen mit den charakte¬
ristischen Merkmalen der Perlsuchtbazillen zu gewinnen, könne
man von einem sicheren Ergebniss sprechen.
Koch verwerthe nun für seine Ansicht von der Harmlosig¬
keit der Rinderbazillen für den Menschen namentlich die Selten¬
heit der Intestinaltuberkulose. In der That werde
das von den meisten Sachverständigen bestätigt; ebenso wie heute
Pott, habe jüngst Biedert hervorgehoben, dass in der Zeit
vor der Entdeckung des Tuberkelbazillus und der Sterilisirung der
Milch in Gegenden, wo der Milchgenuss sehr verbreitet, wie in
Oberbayern, die Tuberkulose der Menschen sogar recht selten ge¬
wesen sei. Vielleicht habe dort freilich auch das Rindvieh nicht
an Perlsucht gelitten. Immerhin hätten sich nun Stimmen er¬
hoben in England, in Amerika und bei uns — so z. B. Heller in
Kiel — , die der Darmtuberkulose bei Kindern eine keineswegs zu
unterschätzende Rolle zugesprochen; sie gelange nur sehr oft
zur Heilung und fände daher in den Sterblichkeitslisten und
den Protokollen der Pathologen keinen Platz. Dass sie nicht noch
häufiger vorkomme, sei ferner zum Theil darauf zurückzuführen,
dass nach neueren Erhebungen nur euter tuberkulöse
Kühe Bazillen mit der Milch absondern und endlich müsse noch
damit gerechnet werden, wie Herr Disselhorst schon als
Einwand von Seiten A r 1 o i n g’s hervorgehoben, dass die Bazillen
nicht auf der Schleimhaut des Darms oder in den
mesenterialen Drüsen die ersten Veränderungen hervor¬
riefen, sondern unter Ueberspringung dieser Gebiete in anderen
Bezirken ihren primären Sitz aufschlügen. Jedoch werde diese
Möglichkeit von den namhaftesten Autoritäten, so z. B. von
Baumgarten, auf das nachdrücklichste bestritten.
Ueberblicke man alle diese Thatsachen, so könne man nicht
darüber im Zweifel sein, dass eine sichere Entscheidung
der ganzen Frage zur Zeit noch unmöglich sei, vielmehr
zuvor weitere Versuche und Erhebungen angestellt
werden müssten. Diese Versuche hätten einmal, wie das ja auch
Arloing gefordert, genauer die verschiedene Em¬
pfänglichkeit der einzelnen Rinderrassen für
die Menschenbazillen und ferner die verschiedene Viru¬
lenz der einzelnen Stämme dieser letzteren zu prüfen.
Indessen sei doch zu bemerken, dass die Thierärzte, die bisher
zu Wort gekommen, Differenzen in der Empfänglichkeit der Rinder
durchaus geleugnet, und man werde ferner bei einem so aus¬
gezeichneten Forscher, wie Koch, von vornherein annehmen
können, dass er mögliche Abweichungen in der Infektiosität seiner
Kulturen ebenfalls bereits berücksichtigt habe. Zudem möchte
Vortragender (Fraenkel) die Gelegenheit benutzen, um mit-
zutheilen, dass er bei seinen eigenen, sehr aus¬
gedehnten vergleichenden Prüfungen der Viru¬
lenz frischer Stämme von menschlicher Tuber¬
kulose, entgegen anderweitigen Angaben und entgegen auch
der Annahme z. B. von Arloing, irgendwelche erheb-
lichenUnterschiedederWirksamkeitüberhaupt
nicht beobachtet habe; nur bei lange fortgesetzter Züch¬
tung auf unseren künstlichen Nährböden tritt eine allmähliche Ab¬
schwächung hervor.
Wünschenwerth seien dagegen weitere Versuche über den
Erfolg der Uebertragung auf den verschiedenen Infek¬
tionswegen. Vielleicht sei es zweckmässig, einmal kurz zu¬
sammenzufassen, was wir bisher hierüber wissen und was wir
noch von der weiteren Forschung erwarten können und müssen.
Bei der subkutanen Impfung sind die Menschen¬
bazillen für den Menschen (Leichentuberkel) und das
Rind (die Resultate von It a v e n e 1, Koch, Karlinski
u. s. f.) verhältnissmässig unschädlich, die Rinder¬
bazillen desgleichen für den Menschen (Tuberkulose der
Schlächter, Versuche von Baumgarten), dagegen höchst
v i rulent für das Rind.
Bei der Inhalation erweisen sich die Menschen-
baziilen für den Menschen als ungemein gefährlich
(häufigste Art der natürlichen Uebertragung). Für das Rind
nach Koch dagegen wenig wirksam; doch ist von anderer Seite
1118
MÜENCILENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 26.
<S c h w a b e) jüngst behauptet, dass die menschliche Lungen¬
tuberkulose durch Einatkmung auf das Rind übergehen könne,
und es seien daher weitere Inhalationsversuche
wohl am Platze, wenn auch natürlich die praktische Be¬
deutung dieses Infektionsmodus keine sehr erhebliche sei. L>ie
Uebertragbarkeit der Binder bazillen umgekehrt auf den
Menschen durch Einathmung sei bisher nicht beobachtet, auch
kaum genauer festzustellen; für das Kind scheine die Ansteckung
von Thier zu Thier durch Inhalation die wichtigste Art
d e r n a t tt r 1 i c h e n U e b e r t ragung zu sein, indessen wäre
es erwünscht, wenn gerade nach dieser Kichtung hin auch noch
w eitere Versuche unternommen würden.
Von besonderer Bedeutung für die Verhältnisse der Praxis
sei endlich die Fütterun g. Dass die Menschen bazillen für
den Menschen auf diesem Wege nicht so gefährlich,
wie auf dem der Einathmung, gehe wohl aus der Thatsache hervor,
dass Die Darmtuberkulose bei Schwindsüchtigen zwar oft, aber
doch durchaus nicht immer gefunden werde, während ohne
Zweifel jeder Phthisiker mit Auswurf auch stets Bazillen herunter¬
schlucke.. Auf das Kind seien die Menschen bazillen nach
II ii v e n e 1, Koch u. s. w. durch Fütterung nicht über -
t r a g b a r. Das Gleiche soll nach Karlinski aber auch
für die Kinder bazillen gelten, und wenn diese Behaup¬
tung richtig, so mahne sie uns natürlich auch zu grosser Vorsicht
in der Beurtheilung und Verwerthung der Seltenheit des Vor¬
kommens der Darmtuberkulose beim Menschen nach Genuss von
Milch perlsüchtiger Thiere. Gerade hier seien daher weitere Ver¬
suche und Ermittelungen durchaus erforderlich, am Thiere
Experimente mit Bazillen der verschiedenen
II e r k u n f t, beim Menschen ausgedehnte Erheb¬
ungen über die Häufigkeit der Darmerkran¬
kungen namentlich bei Kindern, sowie Prüfung der hier ge¬
fundenen Tuberkelbazillen auf ihre Zugehörigkeit zu der einen
oder anderen Gruppe.
Würde so die Ivoc h’sche Behauptung und Anschauung be¬
stätigt, so sei das in wissenschaftlicher und prak¬
tischer Hinsicht von Bedeutung. In wissenschaftlicher, weil
wir dann Menschenbazillen und Kinderbazillen in der That als
zwei verschiedene Arten auffassen müssten. Freilich
habe man gerade an dieser Bezeichnung vielfach Anstoss ge¬
nommen und betont, es handle sich nicht um Arten, sondern nur
um Kassen oder Standortsvarietäten u. s. f. Das sei
indessen eine Frage von ganz untergeordneter B e -
d e u tung oder doch nur von gewissermaassen botanischem
Interesse. Für den Arzt und besonders den Hygieniker
komme nur in Betracht, ob eben die einen zur Zeit mit den
anderen identisch, ob unter natürlichen Verhält¬
nissen eine Uebert ragung möglich sei von Rind
auf Mensch oder von Mensch auf Kind und ent¬
sprechende Schutzmaassregeln nöthig erscheinen. Dess-
halb seien auch die von verschiedenen Seiten geforderten und
bereits unternommenen Experimente zur Umzüchtung von Men¬
schen- in Kinderbazillen durch allmähliche Anpassung an den
Körper der letzteren in Kollodiumsäckchen nach Nocard — von
Kavenel schon ohne Erfolg versucht — oder durch successive
Uebertragung und Anpassung auf zuerst empfängliche, dann weni¬
ger empfängliche Thiere und endlich das Rind gewiss nicht ohne
Werth, aber doch für die praktische Seite der Frage fast ganz
ohne Bedeutung.
Gerade auf diese lege K o c h das Schwergewicht, indem er
behaupte, der Rinderbaziilus und also z. B. M i 1 c h und Fleisch
kranker Thiere seien für den Menschen unschädlich. Aber wenn
das nun auch wirklich der Fall, so könne er (F raenkel) doch
dem Vortragenden nicht in der Auffassung beipflichten, dass
dadurch ein wesentlicher Umschwung in der Ver-
werthung der genannten thierischen Produkte und also auf dem
Gebiete der Ernährungshygiene herbeigeführt werden würde. Das
Fleisch tuberkulöser Kinder erfahre jetzt schon eine so milde
und schonende Behandlung, dass hier zu thun fast nichts mehr
übrig bleibt, imd die Milch werde man nach wie vor
aufkochen und erhitzen müssen, mit Rücksicht auf die sonsti¬
gen Schädlinge, die in ihr Vorkommen und mit ihr übertragen wer¬
den können. Hier sei also vor einer Ueberschätzung der K o c h’-
schen Befunde zu warnen; nichtsdestoweniger werde man die
weitere Entwicklung der ganzen Frage gewiss mit gespannter
Aufmerksamkeit verfolgen müssen.
Herr Nebelt hau betont, dass gegenüber der Verbreitung
der Tuberkulose von Mensch zu Mensch die vom Thier auf den
Menschen weit zurücktritt.
Was die hier besprochenen verschiedenen Infektionswege in
ihrer Bedeutung anlangt, so muss man besonders im kindlichen
Alter an eine Aufnahme der Bazillen vom Darmkanal aus denken,
so auch in Fällen von miliarer Tuberkulose, bei denen sich eine
Tuberkulose der Mesenterialdrüsen flndet. Sind gleichzeitig Darm¬
geschwüre vorhanden, so liegen die Verhältnisse klar; fehlen
solche, so ist die Deutung schwieriger. Beiläufig bemerkt der Vor¬
tragende, dass er sich in eigenen Versuchen an Hunden davon hat
überzeugen können, dass selbst nach Einbringung sehr grosser
Mengen von Tuberkelbazillen in ein ausgeschaltetes und einge¬
schlossenes Darmstück die Schleimhaut des Darmes selbst nicht
zu erkranken braucht.
Ausser dem Darm kommen noch namentlich als Eingangs¬
pforten die Tonsillen in Betracht. Zum Studium dieser Verhält¬
nisse ist das kindliche Alter besonders geeignet.
Herr Lange bittet um Auskunft über die jetzige Art der Be¬
handlung des Fleisches von tuberkulösen Thieren.
Herr Disselhorst erwidert, dass die erkrankten inneren
Organe vernichtet werden, das Fleisch dagegen bei gutem Er¬
nährungszustand des betreffenden Thieres in den freien Verkehr
gelangt, bei abgemagerten Stücken indessen auf die Freibank ver¬
wiesen und hier, unter Umständen nach vorheriger Kochung im
Dampfapparat, zu einem geringeren Preise verkauft wird. Findet
sich generalisirte Tuberkulose oder auch nur Tuberkulose in Brust.-
und Bauchhöhle zugleich, so wird der Kadaver vernichtet.
Herr Braunschweig stellt eine Kranke vor, bei welcher
ein Orbitalsarkom vermittelst temporärer Resektion der lateralen
Orbitalwand entfernt wurde. Bemerkenswerth ist, dass der Ex¬
ophthalmus schon vor ca. einem Jahre auf trat und bis Anfang
Dezember ständig zunahm; dann verminderte er sich auf grosse
Dosen Jodkali so auffallend und rasch, dass an die spezifische
Natur der Erkrankung um so eher gedacht wurde — trotzdem
sonstige Zeichen von Lues fehlten — als die Untersuchung in Nar¬
kose absolut nichts ergeben hatte. Gegen Weihnachten nahm die
Vortreibung des Augapfels zu, leichte Insuffizienz der Lider, Rei¬
zung und Schmerz im Augapfel, sowie ausstrahlende Kopfschmer¬
zen stellten sich ein, und es musste an die Beseitigung des Tumors
gegangen werden; ein solcher war mit Sicherheit anzunehmen und
zwar an der inneren Seite der Spitze des Orbitaltrichters, trotzdem
auch eine zweite Untersuchung in Narkose keinen positiven Be¬
fund ergab. Die Ursache stellte sich bei der Operation heraus:
Es handelte sich um eine ausserordentlich Aveielie eingekapselte
Geschwulst von beträchtlicher, schätzungsweise mehr als Wall-
nussgrösse, welche selbst dann noch nicht vom Orbitalgewebe zu
unterscheiden war, als der palpirende Finger sie unmittelbar be¬
rührte, und die erst durch die direkte Besichtigung sicher als
Geschwulst zu erkennen war. Die stumpfe Ausschälung gelang
ziemlich leicht, doch wurde, da der Sack platzte, mit scharfem
Löffel gründlich, d. h. so lange sich noch verdächtige Brockel
zeigten, die ganze Höhle ausgeräumt. Die Heilung verlief ohne
irgend welchen ZAvischenfall und ergab eine völlig normale Lage
des Augapfels, dessen Beweglichkeit fast gar nicht gelitten hatte.
Trotz einer deutlichen konsekutiven Abblassung des Sehnerven,
welche sich später entwickelte, blieb das Sehvermögen gut, was
um so wichtiger war, als es sich um das einzig gut sehende Auge
der Patientin handelte. Unangenehm war die komplete Ptosis,
welche sich erst ca. t) Wochen später zu A’ermindern begann und
jetzt (Anfang Juni) ganz erheblich gebessert ist.
Die Geschwulst erwies sich (Herr Geheimrath Eberth) als
Kundzellensarkom. Ein Rezidiv ist bis jetzt, 5 Monate nach der
Operation, nicht aufgetreten.
Herr A. Tschermak: Ueber das zweiäugige Sehen der
Wirbelthiere.
Bei den Wirbelthieren lassen sich nach Abtrennung des Ge-
sichtsschädels vom ITirnschädel und nach Freilegung der Hinter¬
fläche der Bulbi die durchscheinenden N e tzhautb i Idchen einer
Lichtquelle in beiden Augen beobachten. Die Sicherung der
postmortalen Augenstellung, die keine augenfälligen Differenzen
von *dcr vitalen zeigte, gelingt am besten durch Frierenlassen.
Es wurde auf diese Weise das Bestehen eines binokularen Ge¬
sichtsraumes von bestimmtem Ausmaasse und bestimmter Lage
zum Kopfe auch bei Thieren mit erheblich divergirenden Augen¬
achsen (Kaninchen, Ratte, Huhn, Taube, Frosch, Karpfen) er¬
wiesen: dasselbe erscheint demnach unabhängig von dem Ver¬
halten der Optikusfasern im Chiasma. Die Pickhöhe bei Huhn
und Taube entspricht einer Distanz deutlicher Abbildung in
beiden Augen. Die sensorische Verknüpfung der nach hinten
aussen und unten gelegenen Bin okular bezirke dürfte bei den
Thieren mit erheblich divergirenden Augenachsen der Netzhaut¬
korrespondenz beim [Menschen und bei den Thieren mit ange-
nähert parallelen Augenachsen (in Grundstellung) analog sein.
Nur fällt bei jenen Thieren der hintere Augenpol, die eventuelle
Fovea centralis, nicht mit dem Mittelpunkte des Binokular¬
bezirkes zusammen, sondern gehört dem relativ grossen Unokular¬
bezirke an, entbehrt also einer Korrespondente im anderen Auge.
Bei dieser Voraussetzung würden die bezeichneten Thiere die
Dinge angenähert am „richtigen Orte“ sehen; eine Beziehung,
ein Wettstreit der beiden hinteren Augenpole untereinander
oder dieser Partie, der ev. Fovea centralis, mit dem Mittelpunkte
des Binokularbezirkes, der ev. Fovea temporalis (Vögel), ist nicht
anzunehmen.
Besprechung: Herr Fries richtet an den Vortragenden
die Frage, auf welche Gruppen von Fischen er seine Unter¬
suchungen ausgedehnt habe. Bei dem Hammerhai z. B., bei wel¬
chem die Augen am Aussenende der ausgedehnten seitlichen Kopf¬
lappen liegen, sei es doch mindestens zAveifelhaft, ob ein binoku-
1. Juli 1902.
1119
MUENCIIEJST E R MEDICINISCHE WO CIIENS CIIRI FT.
lares Sehen möglich. Mit der Behauptung-, dass letzteres für alle
Tliiere zutreffe, müsse man doch wohl vorsichtig sein.
Herr Tscherma k erwidert, dass er unter den Fischen
meist Karpfen benutzt habe. Im üebrigen könne man doch nicht
nach dem blossen Aeusseren der Tliiere urtheilen; besondere Bre¬
chungsverhältnisse, selbst Schiefstellung der Linse, könnten noch
ein binokulares Sehen ermöglichen, wo man das zunächst gar
nicht erwarten würde.
Aerztlicher Verein in Hamburg,
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 24. Juni 1902.
Vorsitzender : Herr Lenhar t z.
I. Demonstrationen:
1. Herr Grube demonstriert einen grossen Uterus myoma-
tosus, den er durch den vorderen Scheidenbauchschnitt mittels
Morcellement glücklich entfernt hat, obwohl die Grösse der Ge¬
schwulst diese Operationsmethode kaum zuliess.
2) Herr Fraenkel zeigt die Organe eines 37 jährigen
Mannes, der an Perforativperitonitis zu Grunde ging. Die Bauch¬
fellinfektion war durch Platzen einzelner kleiner Abszesse im
rechten Leberlappen erfolgt. Die Quelle der Leberinfektion war
in einer vor 10 Jahren beobachteten W u r m fortsatzerkr a. n -
kung zu suchen. Im Appendix findet sich eine derbe, striktu-
rierende Narbe, vor welcher das Lumen erweitert, die Wandung
hypertroph und in der Schleimhaut ein flacher Substanzverlust
vorhanden war. Dass es nach einem so langen, anscheinend völlig
normalen Befinden zu deletären Erkrankungen kommen kann,
muss eine weitere Mahnung sein, einen einmal erkrankten Wurm¬
fortsatz baldmöglichst zu exstirpieren.
3. Herr Kiessling: Organe eines Falles von tuberkulöser
Meningitis mit dichten diffusen Hirnhämorrhagien und
Chorioidealblutungen.
4. Herr Eieck demonstriert zwei tuberkulöse Tuben,
welche die Form der Salpingitis nodosa zeig-en und von einem
20jälirigen, sonst kräftigen, aber erblich belasteten und 3 mal
an Pleuritis erkrankten Mädchen stammen. Auch das Endo¬
metrium war tuberkulös erkrankt (mikroskopisch: Riesenzellen,
Tuberkelbazillen im Schnitt). Den idealen Weg für solche Fälle
bildet die Kolpotomia anterior, wodurch gleichzeitig die etwa vor¬
handene Retroflexio uteri fixata durch hohe Vaginifixur in voll¬
kommenster Weise beseitigt werden kann, wie es auch in diesem
Falle geschah. Es genügt, die Tuben, die für gewöhnlich den pri¬
mären Sitz der Unterleibstuberkulose beim Weibe abgeben, zu
entfernen. Die Uterustuberkulose heilt dann resp. ist durch eine
medikamentöse Therapie zur Heilung zu bringen. So behält die
Pat. ihren Geschlechtscharakter, ihre Menstruation und Ovulation,
kann aber, was nur zu wünschen ist, nicht mehr konzipieren und
ist ohne sichtbare Narbe in schonendster Weise von ihrem ernsten
Leiden befreit.
5) Herr Lenhar tz demonstriert eine grössere Anzahl (8)
von operativ geheilten Lungenbrandkranken. Er erörtert seine
Technik, die in zweizeitigem Vorgehen und in möglichst breiter'
Eröffnung der Gangränhöhle besteht. Er verfügt zurzeit über
33 Operationen mit der günstigen Heilungsziffer von 21. Die
Todesfälle betreffen 4 Fälle, in denen es sich um multiple Brand¬
herde handelte, 2 mal kam es zu Empyem: die übrigen Todes¬
fälle sind auf Tuberkulose in 3 Fällen, Erysipel, Macies, Alcoliolis-
mus chronicus in je 1 Falle zu beziehen. Demonstration der Fieber-
und Sputumkurven unter Erwähnung verschiedener Details der
Krankengeschichten.
IT. Diskussion über den Vortrag des Herrn Buch¬
holz: Ueber die schnell verlaufenden Erkrankungen der De¬
mentia paralytica.
Herren Troemne r, K a e s, B uchliol z.
III. Diskussion über den Vortrag des Herrn Engels:
Ueber Entstehung und Behandlung des Plattfusses.
Herr D e u t s c li I ä n d e r weist hin auf die Inkongruenz des
anatomischen Befundes beim Plattfuss und der klinischen Sym¬
ptome. Er erwähnt das symptomlose Vorhandensein desselben
bei gewissen Volkstypen und Gewerben (Küstenbevölkerung). Die
Beschwerden des Plattfusses sind als sekundäre aufzufassen; Pe¬
riost, Muskulatur und der Bandapparat erkranken, daher auch
Massage und Gymnastik nützlich und zu empfehlen. Für die
Behandlung des kontrakten Plattfusses empfiehlt er neben Bett¬
ruhe Hochlagerung und feuchten Verband an die Bier sehe Stau¬
ung. Prophylaktisch ist die Modetorheit der hohen Absätze zu
beachten.
Herr K ii m mell weist auf die diagnostischen Schwierig¬
keiten bei der Erkennung des Pes valgus hin. Knickfussbeschwer-
den haben in England sogar zur Aufstellung des gesonderten
Krankheitsbildes der Mortons disease geführt.
Herr Hasebröck sieht im Kniekfuss eine Affektion im
Lisfranc- und Chopart sehen Gelenk und beschuldigt für
das Zustandekommen: häufige leichte Traumen, habituelles Um¬
kippen, Gicht, Alter, Neurosen. Er erörtert sodann noch einzelne
Momente, wie die Versteifung im Lisfranc sehen Gelenk, die
Plantarknickung und Pronation des Vorderfusses, die Ballen¬
beschwerden unter dem Fuss etc. und befürwortet die Verwendung
von Zelluloidsohlen.
Herr Kawka erwähnt den rachitischen Plattfuss, der bei
entsprechender Behandlung der Rachitis spontan heilt.
Herr Engels resümiert in seinem Schlusswort die Ergeb¬
nisse der Diskussion. Von Massage und Gymnastik verspricht er
sich nicht viel. Wichtig ist bei der Behandlung das Verbot
längeren Stehens. Hingegen sieht man von vorübergehender stär¬
kerer Beanspruchung des Fusses, dessen Muskulatur dadurch ge-
kräftigt wird, häufig nur Gutes. Hauptsächlich rät er, im einzel¬
nen Fall zu individualisieren und die Plattfussbeschwerden in
zweckentsprechender Weise orthopädisch zu heben und die Be¬
handlung nicht auf den Schuhmacher abzuwälzen. W e r n e r.
Biologische Abtheilung desärztlichen-Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 22. April 1902.
Vorsitzender: Herr E. Frankel.
Schriftführer : Herr Moltrecht.
I. Demonstrationen:
1. Herr Unna stellt einen Fall von Xanthom „en tumeur“
vor, eine sehr seltene Hauterkrankung, deren Kenntnis« wir
Chambard, Besnier und Thibierge verdanken. Im
Gegensatz zu dem häufiger vorkommenden Xanthoma tuberosum,
welches hauptsächlich bei Glykosurischen beobachtet wird, im
mittleren Lebensalter auftritt, u. a. viele kleine, derbe, rundliche,
z. Th. konfluirende Knoten aufweist, befällt das t u m orartige
Xantlio m jugendliche Personen und tritt in einzelnen stark
protuberirenden Knoten auf. die sich in der Breite und Höhe lang¬
sam und oft bedeutend vergrössern. Auch bei ihnen besteht eine
Fettdegeneration in der Cutis wie bei den anderen Xanthomen.
Der vorliegende Fall hat Aelmlichkeit mit dem im internationalen
Atlas von Thibierge publizirten, was die Farbe und Grösse
der Tumoren anlangt. Es handelt sich um ein 1 jähriges, sonst
gesundes Kind gesunder Eltern, welches seit dem 2. Monat mit
der Affektion behaftet ist. Die Knoten traten zuerst am be¬
haarten Kopf auf, wo sie auch jetzt am zahlreichsten und grössten
(markstückgross) sind, haben eine theils gelbliche, theils röthlieli-
bräunliche Farbe (Cafe au lait. Nussfarbe), sind in der Mitte tlieil-
weise etwas eingesunken und dunkler gefärbt und haben einen
steil wallartig abfallenden Rand und eine weiche Konsistenz. Am
Rumpf und den oberen Extremitäten sind einige Knoten zerstreut,
an den unteren Extremitäten nur sehr wenige.
2. Herr Molt recht demonstrirt 2 Fälle von multiplen
Exostosen der Trachea. (Wird an anderer Stelle veröffentlicht.)
3. Herr Roosen -Runge: Mittheilung eines Falles von
Diphtheriebazillensepsis. (Wird in extenso in dieser Wochen¬
schrift erscheinen.)
Diskussion: Herr Schottmüller hat vor einigen
Jahren einen Fall von durch Diphtheriebazillen verursachte Ent-
biudungssepsis gesehen. Im Blut, und im Uterussekret fanden
sich reichliche Mengen von Diphtheriebazillen.
Herr E. Fraenkel: Es empfiehlt sich, zum Nachweis der
Bakterien in den Schnitten noch andere als die Gram’scho
Methode zu benutzen, da durch diese doch manche eventuell vor¬
handene Bakterien entfärbt werden. Das Vorkommen der Diph¬
theriebazillen auf den Herzklappen beweist nichts, denn die im
Blute kreisenden Bakterien könnten sich an den vorhandenen
rauhen Stellen leicht niedergeschlagen haben.
Herr Roosen -Runge hat ausser der Gram’sclien Fär¬
bung auch das polychrome Methylenblau angewandt.
II. Diskussion über den Vortrag des Herrn Del-
banco: Zur Pathologie des elastischen Gewebes.
Herr U n n a stimmt mit dem Vortragenden in den meisten
Punkten völlig überein: dem Vorkommen von elastischen Faser¬
fragmenten in Riesenzellen, den Veränderungen der elastischen
Fasern in demselben und dem verschiedenen Aussehen solcher,
Elastinreste enthaltenden Riesenzellen. Nur in 2 Punkten ist
Herr TJ n n a etwas abweichender Ansicht. Er hat zuerst die
später auch von .Tadassohn gestützte These ausgesprochen,
dass von einem Phagocytismus der elastinhaltigen Riesenzellen
nicht gut die Rede sein könne, dass man sich vielmehr wundern
müsse, wie lange die Elastinreste in den Riesenzellen konservirt
bleiben. Diese These stützt sich auf die allgemeine Erfahrung,
dass ein vollko m m euer Sc h w und des E 1 a s t i n s
eines der ersten Symptome der tuberkulösen
Vergiftung des Gewebes ist. Diese Thatsache ist auch
unter Weiger t’s Leitung von W e c h sberg neuerdings be¬
sonders hervorgehoben. Schon in de n j üngste n, aus Plasma¬
zellen bestehenden L u p u s k n ö tchen ist das Collagen bis auf
das sogen. Reticulum rarefizirt und das E 1 a s t i n voll-
k o in m en g e s c li w ü n d e n; soweit die Plasmazellen reichen,
hört das Elastin, wie abgebrochen, plötzlich auf. Dieses gilt ins¬
besondere für die gut umschriebenen Knötchen des Lupus circum-
scriptüs, welche in einer späteren Periode besonders reich an
Riesenzellen sind; das Elastin ist aber schon geschwunden, ehe
eine Riesenzelle sich gebildet hat. In den Fällen von diffusem
1120
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 26.
Lupus, wo (las Gefässbindegewebe überall zwischen die Plasmom-
herde hineinreicht und noch öfter später beim Durchwachsen der
Plasmomlierde mit neu sich bildendem Lupusfibrom, da kommt es
öfter zu einer (Koexistenz von vereinzelten, spärlichen, groben
Elastinfasern und Riesenzellen. Immerhin sind das Ausnahme¬
fälle; die meisten Lupusfälle verlaufen, ohne dass es zu elastin-
haltigen Kiesenzellen kommt.
Nach dem Gesagten hat Herr U n n a. auch Bedenken, für
diese Fälle den Ausdruck: Fremdkörper riesenzellen
zu gebrauchen, obwohl sich die Riesenzellen ganz so um die
elastischen Fasern herumlegen, auf ihnen reiten, sie umwachsen
und allmählich zerstören, als ob es Fremdkörper wären. Herr
TT n n a ist mit Weigert der Ansicht, dass die tuberkulösen
Kiesenzellen neben einer proliferativen, lebendigen Kemzone eine
gelähmte, vergiftete, nekrobiotische Protoplasmazone aufweisen,
die hin und wieder auch Tuberkelbazillen enthält. Die gewöhn¬
lichen Fremdkörperriesenzellen enthalten eine solche vergiftete
Zone wohl nicht und weisen auch meistens ein besser tingibles
Protoplasma auf. Es erscheint Herrn TT n n a wahrscheinlich, dass
die elastinhaltigen Kiesenzellen gewöhnliche vergiftete Lupus¬
riesenzellen sind, in welche die Elastinreste zufällig gerade so ein-
gesehlossen sind, wie andere Zellen- und Kernreste, die man öfters
findet. Es wäre zu untersuchen, ob man mittels
geeigneter Färbemethoden, t u b e r k u 1 i n ver¬
giftete und gewöhnliche Fremdkörperriesen-
zellen unterscheiden könnt e. Erst wenn dieses
glücken würde, stände die Entscheidung der Frage, ob es sich im
Lupus um zwei verschiedene Typen von Riesenzellen handelt,
in Aussicht.
Herr P a p penhei m gibt eine Arbeit aus dem Institut von
F o ä herum, in dem ähnliche konzentrische Schichtung beschrieben
wird, wie Herr Delbanco sie geschildert hat. hält aber die in
. dieser Arbeit beschriebenen Gebilde nicht für elastische Fasern,
sondern für nekrotische Stellen im Protoplasma. Er glaubt, dass
die grossen Wanderzellen aus Endotlielien entstehen können.
Herr Fraenkel weist darauf hin. dass Riesenzellen vom
Typus der L a. n g han s’schen auch bei sicher nicht tuberkidösen
Erkrankungen angetroffen werden, speziell in syphilitischen (.gum¬
mösen) Produkten; er hat in gummösen Herden des Hodens
wiederholt Kiesenzellen vom Charakter der L a n g h a n s’schen
gesehen und weicht in dieser Beziehung von Baum garten ab,
welcher in solchen Fällen die Hodenaffektion für tuberkulös auf¬
zufassen geneigt ist. Nach seinen Erfahrungen liegen dabei aber
die Riesenzellen regellos zerstreut in dem die gummösen Produkte
zusammensetzenden granulationsartigen Gewebe, während sie bei
tuberkulösen Erkrankungen innerhalb der mehr oder weniger
scharf begrenzten knötchenartigen Krankheitsherde gefunden wer¬
den. Die Riesenzellen in tuberkulösen Produkten sind, wie wohl
ziemlich allgemein angenommen wird, als durch das Eindringen
der Tuberkelbazillen in fixe Gewebszellen bedingt anzusehen und
somit als Fremdkörperriesenzellen aufzufassen; vielleicht aber
gelingt es. wie Herr TT n n a meint, später einmal durch bestimmte
Färbungsmethoden die tuberkulösen Riesenzellen von anderen
ähnlichen, durch todte Fremdkörper erzeugten, zu unterscheiden.
Herr TT n n a hat Riesenzellen bei der Syphilis noch häufiger
gefunden als bei Tuberkulose. Er kennt kein Syphilid ohne Riesen¬
zellen. und gerade zum Studium der Riesenzellen eignen sich die
Syphilide gut. Die Diagnose auf Syphilis oder Tuberkulose lässt
sich auf Grund des Riesenzellenbefundes nicht stellen.
Herr P a p p e n h e i m fragt Herrn Fraenkel, ob er glaubt,
dass der todte Körper durch die schon vorhandene Riesenzelle um¬
flossen werde, oder ob er die Ursache sei zur Bildung einer Riesen¬
zelle.
Herr Fraenkel glaubt das letztere.
Herr Delbanco (Schlusswort): Auch nach seinen Er¬
fahrungen — die Frage wollte er in seinem Vortrag nicht be¬
rühren — sei die Lang h a n s’sche Riesenzelle in dem syphi¬
litischen Granulationsgewebe etwas sehr häufiges. Mit Herrn
Privatdozent Buri in Basel arbeite er zur Zeit über die Histo¬
logie der syphilitischen Papel der Haut, in welcher die gi’osse Zahl
der Riesenzellen imponire. Analog den Untersuchungen über
syphilitische Granulationsgeschwülste der inneren Nase (Ma¬
li a. s s e) seien auch die Syphilome des Kehlkopfes reich an Riesen¬
zellen. Die Lagerung und Vertheilung der Riesenzellen, die Ver¬
hältnisse des elastischen Gewebes lehnen fast schon die Diagnose
der Tuberkulose in solchen Fällen ab.
Der abweichende Standpunkt des Herrn Unna gegenüber
dem Vorgetragenen sei dahin zu präzisiren. dass die elastischen
Fasern nicht den Anlass zur Riesenzellbildung geben; die Riesen-
zellcn bilden sich nach TT n n a unabhängig von den elastischen
Fasern, trotz der elastischen Fasern. Die Riesen¬
zellen. über deren Bildung bei der Tuberkulose TT n n a zu be¬
sonderen Anschauungen gelangt sei. umscliliessen einfach die ge¬
rade im Wege liegenden Fasern. Redner möchte demgegenüber
betonen, dass elastische Fasern in Riesenzellen ja bei ganz ver¬
schiedenen Affektionen beobachtet werden, für welche die von
Unna bei der Tuberkulose entwickelte Genese der Riesenzellen
natürlich nicht übernommen werden könne. Da muss für die A\if-
fassung des immer wiederkehrenden Bildes eine gemeinsame
Grundlage angenommen werden. Eine solche liegt, in der An¬
nahme einer Fremdkürperwirkung sehr nahe. Herr Fraenkel
stimme mit Redner überein, dass die elastische Fasern tragenden
Riesenzellen als Fremdkörperriesenzellen zu bezeichnen seien.
Herr Unna mache aufmerksam auf das lange Erhaltenbleiben
der Fasern in den Riesenzellen beim Lupus. Das spräche nach
U n n a. und II o n a gegen die ,, Fremdkörperriesenzelle“, welche
phagoeytäre Kraft besitze. An die spezifische Thätigkeit von
Zellen bestimmte Forderungen zu stellen, müsse nach Redners
Ansicht abgelehnt werden. Ueberdies sei nicht zu vergessen, dass
die Fremdkörperriesenzelle im tuberkulösen Gewebe auch unter
der Giftwirkung der Tuberkelbazillen stehe, darum in ihrer „auf¬
lösenden Kraft“ sehr wohl geschwächt sein könne. Redner kommt
darauf hinaus, dass vorderhand zweierlei Riesenzellarten beim
Lupus zu trennen seien, die echte L a n g h a n s’sche Zelle und
die elastische Fasern einschliessende Riesenzelle, welche beim
Lupus allerdings auch die wandständige Anordnung der Kerne
zeige. Die Fremdkörperriesenzelle finde sich vornehmlich ausser¬
halb des eigentlichen tuberkulösen Gewebes dicht an den gröberen
Resten des elastischen Gewebes. Die von Herrn Pappenheim
erwähnte Arbeit von Sprecher sei ihm noch nicht bekannt ge¬
wesen. Vorderhand verstehe er sie nicht, da eine genaue Färbung
der elastischen Fasern die Herkunft der „Einschlüsse“ sicher
stelle. D. geht zum Schluss noch einmal auf die von ihm an¬
genommene Art der Quellung der elastischen Fasern ein. Die
starke Lichtbrechung der geschichteten Einschlüsse, vor Allem die
Deutlichkeit der einzelnen Schichten mache von vornherein eine
Salzimprägnation der Fasern wahrscheinlich, welche nachgewiesen
zu haben Ron a’s Verdienst bleibt.
III. Herr Luce hält seinen Vortrag über den Adam-
S t o k e s’schen Symptomenkomplex. (Der Vortrag wird in der
nächsten Sitzung vollendet werden.)
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. April 1902.
Vorsitzender : Herr Unverricht.
Herr Buttenberg demonstrirt 2 Präparate der seltenen
interstitiellen Schwangerschaft aus der Tliorn’schen Klinik.
Im ersten Fall hatte das Ei das linke Horn langsam auseinander¬
getrieben und sich frei in der Bauchhöhle bis zum 4. Monat ent-
wickelt, in dem zweiten war die Entwicklung nach dem Isthmus
zu erfolgt, die Wand war im Begriff zu rupturiren. Beide Fälle
werden ausführlich an anderer Stelle publizirt.
Herr Unverricht demonstrirt die Bruchstücke von
2 gläsernen Tripperspritzen und einem Flaschenhalse, die von
einem seiner Kranken in selbstmörderischer Absicht verschluckt
worden sind. Es handelte sich um einen Untersuchungs¬
gefangenen. der schon früher einmal versucht hatte, sich die Puls¬
adern zu durchsclineiden. Bei dem Fehlen aller Beschwerden
glaubte man Anfangs, dass es sich nur um vorgespiegelte Angaben
handelte. Es wurde eine Kartoffelkur eingeleitet und auch sonst
eine viel Kotli gebende Nahrung zugeführt. Unter scharfer Kon-
trole entleerte der Mann in 4 Stuhlgängen die von Kotli allseitig
umhüllten gläsernen Bruchstücke, welche weder vorher, noch bei
der Defäkation die geringsten Schmerzen hervorriefen.
Herr Siedentopf demonstrirt:
1. 2 Fälle von Uterus bicornis unicollis. Zuvor wirft der¬
selbe einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung des Uterus aus
dem Geschlechtsstrang und den beiden Plicae urogenitales und er¬
läutert. wie durch das Eintreten eines Entwicklungshindernisses
in der Vereinigung der beiden Hälften des Geschlechtsstranges und
darüber hinaus der beiden Plicae urogenitales die verschiedenen
Formen der Doppelbildungen des Uterus zu Stande kommen.
Das erste Präparat stammt von einer 20 jährigen Frau, die
vom 20. Jahre an 3 — 4 wöchentlich menstruirt war, die Blutungen
waren stark, dauerten 8 Tage und gingen mit sehr heftigen Leib¬
schmerzen einher. Bald dauerten die Schmerzen auch in den Inter¬
vallen zwischen den Menstruationen an und die Patientin wurde
arbeitsunfähig.
Die Untersuchung stellte eine so aiisgedehnte Verwachsung
des Uterus mit seiner Umgebung fest, dass sich der Uteruskörper
nicht davon differenziren liess, die Sonde führte über dem Cervi-
kalkanal nach links. Nach erfolgloser konservativer Behandlung
wurde die Laparotomie gemacht und dabei eine innige Verwach¬
sung des Netzes mit der Bauchwand und ausgedehnte Verwach¬
sungen mehrerer Dünndarmschlingen mit dem Uterus und den
Adnexen gefunden. Erst nach zeitraubender Lösung und Ver¬
sorgung der Dünndarmschlingen kam in steiler Beckenhochlage¬
rung der Uterus zu Gesicht. Derselbe bestand aus 2 vollkommen
von einander getrennten Körpern und einem Halse, die Tuben
und Ovarien waren rudimentäre Gebilde. Die Tuben waren 1 cm
lang, streichholzdick und hatten beide ein normales Fimbrienende.
Das eine Ovarium war so gross wie eine Erbse, das andere wie
eine kleine JCirsche. In Anbetracht der ausgedehnten Verwach¬
sungen und der Verkümmerung der Adnexe führte S. die Exstir¬
pation des Uterus mit beiden Anhängen aus. An dem exstirpirten
Organ wurde sodann in dem rechten Hom eine mit normaler
Schleimhaut ausgekleidete Uterushöhle ohne Ausführungsgang ge¬
funden, dieselbe war mit etwas seröser Flüssigkeit angefüllt. Die
Patientin hat eine ungestörte Heilung dimchgemacht und ist jetzt,
1. Juli 1902.
1121
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCIIENSCIIRI FT.
5 Monate nach der Operation, beschwerdefrei und zeigt keine Aus¬
fallserscheinungen.
Das zweite Präparat wurde von einem 25 jährigen jungen
Mädchen gewonnen. Menses vom 17. Jahre an, stets mit heftigen
Krämpfen, seit 2 Jahren dauernd Schmerzen in der linken Seite.
Befund: Links neben dem Uterus ein faustgrosser Tumor, rechts
gesunde Adnexe und ein kleiner walzenförmiger Körper, der für
ein subseröses Myom gehalten wird. Von dem linken Tumor ist
der Uteruskörper nicht abzugrenzen. Sondirung unterlassen.
Laparotomie: Linksseitige Tuboovarialcyste mit bedeutender
Hypertrophie der Tubenwand und dünnwandiger Ovarialcyste.
Fimbrienende der Tube in der Ovarialcyste. Der Uterus entpuppt
sich als ein Uterus bicornis unicollis, dessen linkes Horn wie ein
normaler Uteruskörper entwickelt ist, während das rechte ein
kleiner walzenförmiger Strang von ca. 1 cm Durchmesser ist. Da
nur in der linken Seite Schmerzen bestanden hatten, wird der
Missbildung des Uterus weiter keine Bedeutung beigelegt und
nur die Tubo-Ovarialcyste entfernt. 2 Menstruationen verliefen
ohne Schmerzen, dann kehrten die alten Beschwerden wieder. Die
Sondirung des Uterus ergibt, dass zwischen Cervix und dem kräf¬
tig entwickelten linken Horn keine Kommunikation auffindbar ist,
wohl aber zwischen Cervix und dem rudimentären rechten Horn.
Zweite Laparotomie, da der vaginale Weg durch Verwachsungen
des Uterus erschwert ist, und Exstirpation des demonstrirten
linken Hornes. Dasselbe besitzt eine grosse, geschlossene und mit
Blut angefüllte Höhlenhämatometra. Glatte Heilung. Patientin
ist jetzt beschwerdefrei. Menses heute, 2 Monate post operat.,
noch nicht wieder eingetreten.
2. demonstrirt S. ein kindskopfgrosses, weiches Karzinom der
rechten Niere von einer 35 jährigen Frau. Vor der Operation war
in Folge der Grösse des Tumors bei einer kleinen, zarten Frau
nicht festzustellen, ob der Tumor von der Niere oder vom Ovarium
ausging. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wurde das viszerale
Blatt des Peritoneums gespalten, der Tumor ausgeschält, der Stiel
versorgt, der Schnitt im hinteren Blatt des Bauchfells durch eine
Tabaksbeutelnaht bis auf eine fingerdicke Oeffnung zusammen¬
gezogen, der Rand an die Bauchwunde genäht und die Wundhöhle
drainirt. Die Heilung verlief ohne Störung. Einen ganz gleichen
Fall hat S. in derselben Weise vor 1 Jahre operirt, die Kranke ist
noch rezidivfrei.
3. demonstrirt S. ein 9 Monate lang in utero nach Beendigung
seines Wachsthums zurückgehaltenes Myxom der Chorionzotten.
Der Fall wird im Centralblatt für Gynäkologie veröffentlicht
werden.
4. berichtet S. über eine glücklich verlaufene Ovariotomie
bei einer 08 jährigen Frau, die selbst kaum 100 Pfund wog und ein
Ovarialkystom von 24 Pfund Gewicht hatte. Der Inhalt bestand
aus einer so zähen Gallerte, dass der Tumor in toto entfernt werden
musste.
Herr Sendler stellt eine 47 jährige Kranke vor, der vor
ungefähr 4 Wochen eine kopfgrosse maligne Geschwulst der
rechten Niere durch Nephrektomie mittels grossen, extraperi¬
tonealen Flankenschnitts entfernt worden ist. Der Vortragende
bespricht die Vortheile dieses von der übergrossen Mehrzahl de?
Chirurgen angenommenen Schnittes, der auch im vorliegenden
Falle eine grosse Uebersichtliclikeit gewährte, gegenüber der trans¬
peritonealen Methode. Bei der Entwicklung des Stiels riss die*
Geschwulst theilweise ab und es zeigte sich, dass Tumormassen
in die Vena renalis hineingewachsen waren und diese thrombosirt
hatten. Bei der Entfernung dieser Geschwulstmassen riss die
Vena cava an der Einmündungsstelle der Vena renalis ein. so dass
sofort das ganze Operationsfeld mit dunkelrothen Blutmassen
überschwemmt war. Indessen gelang es leicht, das Loch in der
Cava mit langen Klemmen zu verschliessen und seitlich zu ligiren.
Die Fäden wurden lang gelassen und zum hintern Wundwinke]
hinausgeleitet. Anstandslose Heilung ohne Zwischenfall. Das
gewonnene Präparat der Niere wird vorgelegt.
Soda nn bespricht Herr Sendler das Zusammentreffen von
Gallensteinleiden mit anderen Erkrankungen der Unterleibs¬
organe, besonders beim Weibe, und demonstrirt die steinkranke
Gallenblase, den erkrankten Wurmfortzatz und das kleincystisch
degenerirte Ovarium einer 42 jährigen Frau, welche der Patientin
in einer Sitzung entfernt worden sind. Glatte Primärheilung.
Entlassung 3 Wochen nach der Operation.
Hierauf hält Herr Sendler den angekündigten Vortrag:
Ueber den Zeitpunkt der Operation bei Perityphlitis.
Er führt zunächst aus, dass sich allgemein bindende, sche¬
matische Vorschriften hier nicht geben lassen. Entscheidend
wird für den Chirurgen im Wesentlichen seine eigene Erfahrung
in jedem einzelnen Ealle sein müssen. Die umstrittenste Kontro¬
verse zwischen den Chirurgen und den Internen nicht nur, son¬
dern auch immer noch zwischen den Chirurgen seihst, dreht sich
um die eigentlicheFrüh op era t ion, d. h. um die Opera¬
tion innerhalb der ersten 12 bis 24 Stunden, auch beim ersten An¬
fall, welche von einer Gruppe von Chirurgen gefordert wird,
während die Mehrzahl in Würdigung der Thatsache, dass eine ge¬
wisse Zahl von Erkrankungen des Wurmf ortsatzes nach dem
ersten Anfall ausheilt, zunächst ein abwartendes Verfahren für
zulässig hält, aber allerdings verlangt, dass bei einer Erkran¬
kung von so hervorragend chirurgischem Charakter der operative
Eingriff von vorneherein in’s Auge gefasst wird, da jederzeit Ver¬
hältnisse eintreten können, welche denselben verlangen.
Unbedingt erheischt die sofortige Operation die vom Wurm¬
fortsätze ausgehende akute Perforationsperitonitis.
Wie hei anderen Perforationsperitonitiden kommt man auch
hier mit dem Eingriff häufig zu spät und der Kranke erliegt
rasch der peritonealen Sepsis, zuweilen aber sind doch schöne Er¬
folge zu erzielen. So war Vortragender unter anderem in der
Lage, bei einem jungen Herrn bereits 3 Stunden nach der unter
Schüttelfrost erfolgten Perforation die Laparotomie zu machen,
den in die freie Bauchhöhle perforirten Wurmfortsatz zu exstir-
piren und rasche, glatte Heilung zu erreichen. Die Möglich¬
keit aber eines solchen Ereignisses auch im ersten Anfall beweist
die Richtigkeit des oben Gesagten.
Ferner ist zu operiren bei jeder nachgewiesenen
Eiterung, auch bei der ersten Attacke. Wenn möglich, soll
der Eingriff vor Eintritt peritonitischer Reizung ausgeführt wer¬
den, sonst nach Ablauf derselben, da dann die Gefahr des Ueber-
greifens auf gesunde Theile der Bauchhöhle durch die Bildung
von Verklebungen eine geringere wird. Solche Kranke sind aber
auf das Genaueste zu beobachten. So lange das Allgemein¬
befinden befriedigend, der Puls gut ist und die lokalen Erschei¬
nungen nicht zunehmen, mag abgewartet werden; treten aber be¬
drohliche Erscheinungen auf : erneutes Erbrechen, Anstieg der
Temperatur, kleiner, beschleunigter Puls, verfallener Gesichts¬
ausdruck, dann ist sofort zu operiren.
Im Allgemeinen kommt hier auf die Temperatur weniger
an, als auf den Puls, und ganz besonders ominös hat sich dem
Vortragenden in solchen Fällen das Auftreten eines kleinen,
raschen Pulses bei niedriger Körpertemperatur erwiesen. Dass
manche dieser Fälle auch ohne Operation die Gefahr überstehen,
beweist nichts gegen die Richtigkeit der Indikation, denn Nie¬
mand kann den Ausgang garantiren und man spielt ein gefähr¬
liches Spiel mit Leben und Gesundheit seiner Kranken, wenn man
dem Eiter keinen Abfluss verschafft.
Das Gesagte gilt nicht nur für die um den Wurmfortsatz
lokalisirte Eiterung, sondern auch in gleichem Maasse für die
progrediente fibrinös-eitrige Peritonitis,
den retroperitonealen Abszess und die retro-
peritoneale Phlegmone und den Beckenabszess.
Alle diese Fälle sind operativ zu behandeln, sobald die Diagnose
gestellt ist.
Auseinander gehen die Ansichten der Chirurgen nur über die
Frage, ob bei akuter Eiterung jedesmal die Entfernung des
Wurmfortsatzes erzwungen werden soll. Einer extremen Gruppe
steht auch hier eine grosse Zahl von Chirurgen gegenüber, zu
denen sich auch der Vortragende zählt, welche der Meinung sind,
dass bei den eitrigen Formen der Perityphlitis die Aufgabe zu¬
nächst darin besteht, dem Eiter einen Ausweg zu verschaffen
und damit der Gefahr einer fortschreitenden Peritonitis zu
steuern. Kann man den Appendix ohne zu grosse Schwierig¬
keit erreichen, so soll man ihn natürlich entfernen, weil man auf
diese Weise gründliche Arbeit macht, das wühlende Suchen nach
ihm ist und bleibt aber höchst gefährlich und ist daher zu unter¬
lassen. Vortragender hat sich aus diesen Gründen bisher auch
nicht entschliessen können, von vornherein die freie Bauchhöhle
zu eröffnen und von hier aus auf den Erkrankungsherd vorzu¬
gehen.
Zum Schluss bespricht S. die Behandlung der rezidi-
v i r e n d e n Formen der Perityphlitis. Diese stellen
Scheinheilungen dar und sind sämmtlich zu operiren, gleichgiltig,
ob ein Exsudat zurückgeblieben ist oder nicht. Wenn möglich, ist
die Operation in das freie Intervall zu verlegen, gemacht muss
sie aber werden, sobald nur ein einziger Rückfall eingetreten ist,
denn Niemand kann vorher sagen, was der nächste Anfall bringt,
und erst mit der Entfernung des Wurmfortsatzes ist der Kranke
über die Gefahr gestellt. Auf die Ausführung der Operation ist
umsomehr zu dringen, als sich dieselbe im freien Intervall als fast
gefahrlos erwiesen hat.
Diskussion: Herr Siedentopf bezweifelt die Richtig¬
keit der Diagnose im zweiten Buttenber g’schen Fall.
Herr Habs stimmt Sendler bezüglich der Indikations¬
stellung bei, nur glaubt er, dass man beim ersten Anfalle mit der
Operation etwas freigebiger werden müsse. Er selbst habe
1122
No. 26.
MUENCHENER M EDICINISCI IE WOCHENSCHRIFT.
w iederholt Fälle letaler Peritonitis gesehen bei einer bis dahin
latent verlaufenen Perityphlitis, so dass also hier der erste kli¬
nische Anfall sofort zur Perforationsperitonitis führte.
Bezüglich der Operationstechnik verfährt H. bei der Operation
im Anfall sowohl wie bei der Operation im Intervall derart, dass
er mittels eines ausgiebigen Schrägschnittes, der von der Spitze
der XI. Rippe nach vorn innen unten verläuft und die einzelnen
Schichten der Bauchwand in verschiedener Höhe durchtrennt, alle¬
mal die Peritonealhöhle breit eröffnet, und — unter Schutz der
Bauchhöhle mittels steriler Kompressen — in allen Fällen die Ent¬
fernung des Wunmf ortsatzes forcirte.
Die Bauchdeckenwunde wurde exakt durch Naht jeder ein¬
zelnen Schicht geschlossen, nur in seltenen Fällen wurde durch
einen in der Lumbalgegend angelegten Knopflochschnitt mittels
Gazestreifen drainirt. Sämmtliche Fälle kamen zur Genesung und
in fast allen heilte die Bauchdeckenwunde per primam. Von den
wegen diffuser Peritonitis Operirten genas nur ein verschwindender
Tlieil, die meisten kamen zum Exitus.
Herr Tscli m a r k e sehliesst sich im Allgemeinen dem Vor¬
tragenden an, vertritt aber in längerer Ausführung den Stand¬
punkt Sonnenbur g’s, dass man zur Beantwortung der Frage
nach dem Zeitpunkt der Operation doch bemüht sein muss, die
verschiedenen Formen der Appendicitis zu unterscheiden. So er¬
fordere die Appendicitis gangraenosa einen sofortigen Eingriff,
während man beim Empyem oder der A. perforativa häufig die
ersten stürmischen Allgemeinerscheinungen abwarten darf, natür¬
lich unter sorgfältiger Ivontrole der Temperatur und des Pulses.
Die Schwierigkeit beruhe nur darin, die einzelnen Formen von
einander auch klinisch zu trennen und zu erkennen. Auch bei der
allgemeinen eitrigen Peritonitis mit Neigung zu Abkapselungen
und Verklebungen und bei der progredienten serösen und puru¬
lenten Form sind operative Eingriffe indizirt und häufig von Erfolg
gekrönt, während man bei der schweren, mit Sepsis verbundenen
Peritonitis meist zu spät kommt. T. bespricht die einzelnen
Formen der Appendicitis, auch die A. Simplex vom anatomischen
und klinischen Standpunkte aus. Die Exstirpation im Intervall
soll nicht zu lange aufgeschoben werden. Auch auf die inter¬
essante Lehre D ieulaf oy’s von der ..cavitö close“ und der ver¬
schiedenen Virulenz der Bakterien geht er näher ein und kommt
zum Schluss auf die Statistik der Internen und der Chirurgen zu
sprechen, ihre Fehlerquellen und die Möglichkeit, beide mit
einander zu vergleichen, da das Material ein zu verschiedenes sei.
Es komme z. B. nicht allzuselten vor, dass ein und derselbe Fall
auf einer inneren Abtheilung mehrere Male als geheilt geführt wird
und so die Statistik dort verbessert, während er bei einem weiteren
Anfall an Peritonitis erkrankt, auf die chirurgische Abtheilung
kommt, hier stirbt und so die Statistik dieser verschlechtert.
Was die Technik anbelangt, so ziehe er den Sonnenburg-
sclien Flankenschnitt vor, nähe so gut wie nie die Wunde zu, da
häufig die Naht hinterher doch wieder gelöst wei’den muss. Das
Suchen nach dem Processus vermiformis ist aufgegeben worden.
Freilich bleibt so die Gefahr eines Rezidives bestehen und es wird
zuweilen ein Abszess übersehen, der bei Lösung des Wurmfort¬
satzes an den Tag gekommen wäre.
Herr Rudolph: Die Operation halte ich nach den Er¬
fahrungen. die ich als Assistent und auch in der Privatpraxis ge¬
wonnen habe, nur selten für indizirt. Erst wenn alle Hilfsmittel
der inneren Therapie verwandt worden sind und keinen Nutzen
gebracht haben, ist ein operativer Eingriff in Betracht zu ziehen.
Häufige Rezidive sind hier auch kein Grund zur Operation. Ich
habe einen Herrn in meiner Klientel, der 5 mal Blinddarmentzün¬
dung hatte. Jetzt ist er ganz gesund, seit 3 Jahren hat er keinen
Anfall mehr gehabt. Viele Paratyphlitiden sind infektiöser Natur,
vielleicht die meisten. Ein Fremdkörper wird verhältnissmässig
selten gefunden. Zweifellos besteht z. B. ein Zusammenhang
zwischen Paratyphlitis und Angina tonsillaris. Solche Fälle, die
im Gefolge von akuten Infektionskrankheiten auftreten, scheinen
mir, wenn sie auch noch so schwer einsetzen, prognostisch durch¬
aus günstig zu sein. Ich selbst kann über zwei Fälle von Para¬
typhlitis berichten nach Angina. Der eine betrifft einen Herrn,
der 8 Tage an einer heftigen Angina litt und dann eine sehr
schwere Paratyphlitis bekam. Es entwickelte sich ein so grosses
Exsudat, wie ich es noch nicht gesehen habe, kindskopfgross.
Dabei bestand 14 Tage lang hohes Fieber. Der hinzugezogene
Chirurg verlangte bei mehreren Konsultationen Operation, ich war
für konservative Behandlung. Und ohne Operation hörte das
Fieber auf und das Exsudat wurde resorbirt, ohne dass auch nur
die geringste Verdickung zurückblieb. Freilich vergingen zwei
Monate, bis völlige Resorption erfolgt war. Ein Rezidiv ist nicht
wieder auf getreten; der Fall liegt 5 Jahre zurück. Ferner habe
ich bei einem Mädchen unter 10 Jahren zweimal nach Angina
Paratyphlitis beobachtet. Im Anschluss an Influenza habe ich
Paratyphlitis noch nicht gesehen, nach französischen Autoren soll
sie gerade nach dieser Infektionskrankheit ziemlich häufig sein.
Bis jetzt habe ich erst einen Fall von Blinddarmentzündung
operiren lassen. Einer ist mir gestorben, ein Kind mit bereits
schwerer allgemeiner Peritonitis am zweiten Behandlungstage.
Herr Unver rieht vertritt vom Standpunkt der inneren
Medizin eine mehr konservative Behandlung der Blinddarm¬
entzündung. Die Typhlitis sei keine so schlimme Erkrankung, wie
es von chirurgischer Seite gewöhnlich behauptet werde. In die
chirurgischen Kliniken komme ein ganz anderes Material, wie es
die praktischen Aerzte zur Behandlung bekämen, und man könne
desslialb sehr leicht zu einer pessimistischen Auffassung kommen.
B a h r d t habe gegen 50 Fälle hintereinander ohne tödtlichen Aus¬
gang behandelt, und mit ähnlichen Zahlen würden wohl viele
Aerzte aufwarten können. Gewisse Fälle aber, welche von vorn¬
herein einen foudroyanten Verlauf nehmen, seien gewöhnlich auch
von den Chirurgen nicht zu retten, und es werde sich, selbst wenn
alle Fälle sofort nach gestellter Diagnose operirt würden, die
Mortalität nie auf 0 Proz. herunterdrücken lassen. Die Diagnose
sei in einzelnen Fällen keineswegs so einfach, insbesondere soweit
es sich um die Frage eines komplizirenden Abszesses oder einer
Peritonitis handele. Manchmal -werde die richtige Diagnose gar
nicht gestellt. U. beleuchtet dies durch einen Fall, welcher von
hervorragender Seite behandelt wurde und sich später als Blind¬
darmerkrankung entpuppte. Der Eiter werde gelegentlich nicht
gefunden, wenn er an atypischen Stellen sitze, oder es werde ein
Abszess entleert, während andere bereits in der Lebergegend oder
sonstwo sich gebildet hätten. In einem Falle fand sich als Ur¬
sache einer Abszessbildung gar keine Wurmfortsatzerkrankung,
sondern ein Blinddarmgeschwür, das dem chirurgischen Eingriffe
gar nicht zugänglich gewesen wäre.
In einem anderen Falle traten nach der Operation, die von
berufenster Seite gemacht worden war, beständige Rezidive ein.
Es war hier also gerade durch die chirurgische Behandlung eine
einfache Blinddarmentzündung in die rezidivirende Form über¬
geführt worden, natürlich nicht vom Wurmfortsatz ausgehend,
sondern durch andere Ursachen bedingt.
Bei einer Patientin mit rezidivirender Typhlitis fand sich* der
Wurmfortsatz ganz intakt. Die wiederholte Kothstagnation in der
Blinddarmgegend mit Schmerzhaftigkeit und den übrigen Erschei¬
nungen der Typhlitis war hier wahrscheinlich bedingt durch die
peritonitischen Verwachsungen, welche sich um den Blinddarm
primär gebildet hatten. Ob diese nach einer Operation sich
immer günstiger gestalteten, lasse er dahingestellt.
Alles in Allem komme er zu dem Ergebnisse, dass eine sche¬
matische Regel für die Indikation zum operativen Eingriffe sich
bis jetzt noch nicht aufstellen lasse. Man werde weiter in jedem
einzelnen Falle alle Verhältnisse erwägen müssen und danach
sein Handeln einrichten. Den Vorwurf, dass, wenn man bei wohl¬
begründeter Berücksichtigung aller Momente eine Operation für
überflüssig halte, dabei mit dem Leben seiner Kranken va banque
spiele, könne man als durch nichts begründet wohl ohne Weiteres
von der Hand weisen.
Herr Pendler spricht zum Schlüsse seine Befriedigung
darüber aus, dass er sich mit seinen chirurgischen Fachgenossen
bezüglich der meisten wesentlichen Punkte in so erfreulichem
Einvernehmen befindet und dass seine Ausführungen der Anlass
einer so angeregten Aussprache geworden sind. Auf die Patho¬
genese und pathologische Anatomie der Perityphlitis, sowie auf die
operative Technik ist er absichtlich nicht näher eingegangen und
auch die Diagnose hat er nur, soweit unbedingt nöthig, berück¬
sichtigt, weile diese Dinge, streng genommen, nicht in die Er¬
örterung des Themas gehörten.
Die abweichenden Ansichten der Herren Internen haben ihn
sehr interessirt, aber allerdings in keinem Punkte überzeugt. Wenn
einer der Herren Redner gesagt hat, dass ihm von allen seinen
Perityphlitiskranken nur ein Einziger gestorben sei und dass er
nur einen hätte operiren lassen, und wenn er dadurch die Un¬
gefährlichkeit des Leidens beweisen will, so ist S. in der Lage,
zu erwidern, dass er selbst, wie die Mehrzahl der Aerzte noch am
Anfang der 80 er Jahre auf einem ähnlichen Standpunkt gestanden
hat, d. li. zu einer Zeit, wo unsere Kenntniss der Pathologie der
Perityphlitis noch eine äusserst ungenügende und unsere Anschau¬
ungen in vieler Beziehung thatsäehlich falsche waren. Desslialb
wurden damals die Erfolge auch vielfach unrichtig gebucht und
die Peritonitiden, an denen die Menschen starben, nicht der Peri¬
typhlitis zur Last geschrieben, weil man den Zusammenhang nicht
erkannte. Heute ist das anders geworden und heute wissen wir.
dass wir es mit einer ausserordentlich gefährlichen und tückischen
Krankheit zu thun haben, die wir in keinem Falle leicht nehmen
dürfen.
Wenn dann von anderer Seite die Schwierigkeit der Diagnose
in manchen schweren Fällen gegen die Operation in’s Feld geführt
ist und damit die Unsicherheit der operativen Indikation bewiesen
werden soll, so ist darauf zu sagen, dass den Herren Internen die
Deutung dunkler Krankheitsbilder, der sogen, larvirten Formen
häufig weniger schwer erscheinen würde, wenn sie sich ent-
schliessen wollten, die Ergebnisse chirurgischer Forschung und die
chirurgische Literatur etwas eingehender zu berücksichtigen, als
das bisher im Allgemeinen leider der Fall gewesen ist, denn durch
die Chirurgie ist überhaupt erst Klarheit in diese Verhältnisse
gebracht worden.
Dass die Gefahr mit der Zahl der Rezidive abnehmen soll,
wie behauptet worden ist, ist durch nichts bewiesen, und jeden¬
falls wird den Kranken durch das Auftreten immer neuer Anfälle
das Leben verbittert. Es muss daran festgehalten werden, dass
Niemand wissen kann, welche Gefahr der nächste Anfall her-
beiführt, und desshalb muss auch auf der unbedingten Forderung
der Operation bei den rezidivirenden Formen bestanden werden,
1. Juli 1902.
1123
MUENCIlENEß MEDICI NI 8CIIE WOCHENSCHRIFT.
zumal da dieselbe in der U eberzahl der Fälle sich als ungefährlich
erwiesen hat.
Auf die sonstigen Einwürfe einzugehen, muss sich 8. ver¬
sagen, da er nur bereits Gesagtes wiederholen müsste.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. April 1902.
Vorsitzender : Herr Groldschmidt.
Herr Hahn berichtet über einen Fall von Aneurysma vari-
cosum der Vena saphena magna und bespricht dann die chirur¬
gische Behandlung der erweiterten Venen der unteren Extremi¬
täten.
Herr Göschei berichtet über einen Fall von Inkarzeration
des schwangeren Uterus in einem Mesenterialschlitz mit ileus-
artigen Erscheinungen.
Die Patientin war eine kräftige, bisher immer gesunde
Arbeitersfrau von 42 Jahren, die früher 5 mal entbunden hatte,
zum letzten Mal vor 9 Jahren. Bei den Entbindungen war nie
eine Störung eingetreten. Die Frau hatte ihre Menses zum letzten
Mal Mitte Oktober 1901, glaubte etwa 3 — 4 Monate schwanger zu
sein.
Sie erkrankte am 6. Februar d. J. plötzlich mit Frösteln, all¬
gemeinem Unbehagen, Schmerz im Leib und Kreuz. Anfangs
noch mehrmals Stuhl. Die Patientin versuchte trotz ihrer Er¬
krankung noch einige Tage ihre Hausarbeit nothdürftig zu ver¬
richten und liess erst am 10. Februar ihren Arzt, Herrn Hofrat
Stich, rufen. Dieser konstatierte allgemeine Druckempfindlich-
keit des Bauches, besonders aber in der Coekuingegend, Meteoris¬
mus, leichte Fieberbewegungen. Ich sah die Patientin am
13. Februar, eine Woche nach dem Beginn der Erkrankung.
Status: Patientin blass, verfallen, Puls weich, etwas beschleunigt,
etwas erhöhte Temperatur. Patientin hatte an diesem Tage mehr¬
mals gallige Flüssigkeit erbrochen, hatte Aufstossen und Uebel-
keit, mehrere Tage Stuhlverhaltung, es gingen keine Flatus ab.
Leib gleichmässig stark aufgetrieben, doch in den seitlichen Par¬
tien noch etwas ein drück bar. In der rechten Bauchhälfte zwischen
Nabel und Rippenbogen fühlte man zwischen den geblähten Darm¬
schlingen das Segment eines rundlichen Körpers von etwa 10 bis
15 cm Durchmesser. Der Leib überall etwas druckempfindlich,
aber weitaus am schmerzhaftesten bei Berührung dieses rund¬
lichen Körpers. In Folge der hochgradigen Blähung des Darms
konnte der Zusammenhang der Geschwulst mit den Organen der
Bauchhöhle nicht festgestellt werden. Die rechte Fossa iliaca
war frei. Die Untersuchung per vaginam ergab eine verlängerte,
sehr weiche Cervix, etwas geöffnetes Orif. ext. Das Vaginal¬
gewölbe durchweg herabgetrieben infolge des Meteorismus, eine
höher hinauf reichende Betastung des unteren Uterinsegments
war nicht möglich. Das Rektum leer. Die Perkussion ergab
einen beträchtlichen Hochstand des Zwerchfells, mit Ausnahme
des Tumorsegments überall lauten tympanitischen Schall. Der
Vortragende bespricht eingehend die für die Diagnose des Falles
wichtigen Ei’scheinungen.
Die Diagnose wurde gestellt auf Peritonitis, wahrscheinlich
ausgehend von dem im Bauch gefühlten Tumor, dessen Deutung
verschiedene Möglichkeiten zuliess. Es kam hauptsächlich in
Frage der schwangere Uterus oder ein Ovarientumor mit Stiel¬
drehung oder irgend eine Einklemmung. Ob das Erbrechen rein
peritonitische Erscheinung war oder durch eine Verlegung des
Darmlumens hervorgerufen wurde, musste ebenfalls zweifelhaft
bleiben.
Zur Klärung der Diagnose und eventuellen Beseitigung der
Ursache der Peritonitis war die Laparotomie nöthig. Der Zustand
der Patientin schien diese Operation noch zu gestatten, ohne
chirurgischen Eingriff aber war das Leben für verloren zu halten.
Die Operation wurde in der Aethernarkose gemacht. Der
Befund nach Eröffnung des Bauches und Zurückschieben der vor¬
quellenden, stark geblähten Darmschlingen war folgender: Der
Tumor war der Fundus des schwangeren Uterus, bedeckt mit
fibrinösen Auflagerungen und mit dem Netz verklebt. Quer über
die Vorderseite des Isthmus uteri verlief eine stark gespannte
Dünndarmschlinge. Diese wurde mit Mühe heraufgeholt und über
den Fundus uteri hinweggeschoben. Es zeigte sich nun ein Schlitz
im Dünndarmmesenterium, der vom Dannansatz bis zur Wurzel
reichte, glatte, mit Peritoneum überkleidete, etwas verdickte
Ränder hatte. Durch diesen Schlitz war der Körper des schwan¬
geren Uterus hindurchgetreten.
Der Schlitz bildete eine Alt Schlinge um den Uterus und
klemmte ihn ein. Der Darm war durch die Anspannung und Ab¬
knickung unwegsam geworden. Es war aber nicht nur der zen¬
trale Abschnitts des Darms gebläht, sondern infolge der Peritonitis
auch teilweise der distale, besonders das Querkolon. Die Darm¬
serosa und das Netz zeigte vielfache Ekchymosen. Ein Flüssig¬
keitserguss fehlte.
Der Mesenterialschlitz wurde vernäht, der Darm und der
Uterus in die Bauchhöhle mühsam zurückgeschoben, die Bauch¬
wunde mit durchgreifenden Nähten geschlossen.
Der Verlauf nach der Operation wurde durch die nur all¬
mählich ausheilende Peritonitis und durch das Eintreten der Früh¬
geburt eines ca. (j monatlichen Fötus gestört, dann aber genas die
I atientin und konnte mit festgeschlossener Bauchwunde und
normaler Darmfunktion am 8. März geheilt entlassen werden,
also 3 Wochen nach der Operation. Einige Wochen darauf hat sicli
die Patientin wieder vorgestellt. Der einzige Umstand, der jetzt
noch an die iiberstandene Gefahr erinnerte, war der noch nicht
vollständig zurückgebildete Uterus, dessen Fundus noch etwa
handbreit über der Symphyse zu fühlen war.
Der Vortragende spricht sich weiter dahin aus, dass es sich
in dem geschilderten Fall um einen kongenitalen Mesenterial¬
schlitz gehandelt hat, erwähnt aus der Literatur eine Anzahl von
Fällen, bei denen ein Mesenterialschlitz zu Darmeinklemmung ge¬
führt hat, demonstriert das Präparat eines sulchen, welches sich
in der anatomischen Sammlung des Nürnberger Krankenhauses
befindet und erklärt, dass er weder in der chirurgischen, noch in
der gynäkologischen Literatur einen weiteren Fall von Einklem¬
mung des schwangeren Uterus in einem Mesenterialschlitz ge¬
funden hat.
Sitzung vom 1. Mai 1902.
Voristzender : Herr S. Merkel.
Herr W. Müller stellt einen Fall von Erythema exsuda¬
tivum multiforme vor.
Herr Heuberger stellt vor:
a) einen Fall von Favus;
b) einen Fall von Pagets Disease am Penis.
Herr Port bringt kleinere kasuistische Mitteilungen.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein München.
Sitzung vom 18. Juni 1902.
Nach Erledigung des Einlaufes und geschäftlicher Mittei¬
lungen, in deren Rahmen Herr Hofrat Hellermann dem
jüngst verstorbenen Ehrenmitgliede des Vereins, Herrn Dr. Ber-
line r, einen warmen Nachruf widmete, sprach Herr Professor
v. Bauer über: Die Aufgaben der Krankenhaus¬
ärzte gegenüber den Anforderungen der neuen
P r ü f uugsordnun g. Eingangs wies Redner darauf hin, dass
bis 1872 in Bayern ähnliche Prüfungsvorschriften bestanden haben,
wie wir sie jetzt wieder bekommen, namentlich hatten wir in
Bayern bis dahin die Einrichtung des praktischen Jahres. Wie
soll nun letzteres zum Heil und Segen der angehenden Aerzte ver¬
wendet werden? Früher bestand die Bestimmung, dass die¬
jenigen, welche mit der ersten Note absolviert hatten, nach freier
Wahl das Jahr bei einem praktischen Arzte oder Amtsärzte an
einem von ihnen selbst gewählten Orte zubringen konnten, wäh¬
rend die übrigen das praktische Jahr in einer Universitätsstadt
durchzumachen hatten. Einen ähnlichen Modus jetzt wieder ein¬
führen zu wollen, wärt? antediluvianisch. Es ist unbestreitbar,
dass die Verbringung des praktischen Jahres bei einem tüchtigen
praktischen Arzte auf dem Lande einen Gewinn für den jungen
Arzt bedeuten kann. Doch müsste ersterer auf der Höhe stehen.
Im allgemeinen wird es nicht zutreffen, dass der junge Prak¬
tikant dort eine weitergehende Fortbildung in den feineren Unter¬
suchungsmethoden erhält, wie man dies fordern müsste, denn der
praktische Arzt auf dem Lande hat hierzu schon nicht die Zeit,
nicht die Hilfsmittel und meist auch nicht die Befähigung. Sollen
grössere, nicht in Universitätsstädten gelegene Krankenanstalten
herangezogen werden? Es ist klar, dass an solchen im allgemeinen
die Hilfsmittel der Unterweisung vorliegen, doch müssen die be¬
treffenden Oberärzte die Verpflichtung auf sich nehmen, die Prak¬
tikanten nicht nur nebenher laufen zu lassen, sondern sich ihrer
wirklich anzunehmen. Es soll eine genaue Benennung derjenigen
Anstalten vorgenommen werden, welche zur Aufnahme von Prak¬
tikanten berechtigt sein sollen. Wenn Rumpf in seinen Thesen
für den diesjährigen deutschen Aerztetag verlangt, dass die Prak¬
tikanten nicht ohne weiteres an die Stelle von Krankenhaus¬
assistenten treten sollen, so stimmt Redner mit ihm hierin völlig
überein. Auch die Volontärärzte sollen nicht durch die Prak¬
tikanten ersetzt werden.
Das jetzige Institut der Koassistenten muss aufhören und
werden im allgemeinen die Praktikanten die Funktionen der bis¬
herigen Koassistenten zu übernehmen haben. In der praktischen
Durchbildung der letzteren ist jede Einseitigkeit zu vermeiden;
auch für jene, welche Beruf für die akademische Laufbahn in sich
zu spüren glauben, ist praktische Beschäftigung in allen Fächern
anzustreben. Die Praktikanten sind nach Meinung des Redners
auf der Abteilung jeder einzelnen Sparte etwa ein Vierteljahr zu
beschäftigen. Während des praktischen Jahres hat der Praktikant
gerade auch in den Nebenfächern möglichst eingehende Studien
zu machen und Erfahrungen zu sammeln. Eine gewisse Zahl von
praktischen Kursen müssen für die Praktikanten obligatorisch ge¬
macht werden. Stramme dienstliche Disziplin erscheint auch für
die Praktikanten — wie überhaupt im ärztlichen Berufe — vom
ersten Tage an nötig. Auch poliklinische Uebungen sollen ebenso
wie die praktischen Kurse zwangsweise vorgeschrieben werden.
Die Krankenhäuser ausserha lb der Universitätsstädte sollen nur eine
beschränkte Zahl von Praktikanten bekommen, dafür können die
1124
MÜENCI1ENER MEDlCINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 26.
letzteren dann von den Oberärzten umsomehr herangezogen werden.
Redner möchte nicht verschweigen, dass sich bei der Durch¬
führung des praktischen Jahres eine Reihe von Schwierigkeiten
zeigen. Z. B. scheint kein Mittel jenen Praktikanten gegenüber
vorhanden zu sein, welche ihren Verpflichtungen nicht nach-
kommen. Den Abteilungsvorständen soll die Befugnis eingeräumt
werden, solche Elemente ihres Weges ziehen zu lassen. Was den
Punkt betrifft, den Praktikanten eigene Vorlesungen über Standes¬
ehre und Standespflichten zu halten, so äussert. sich v. B. ab¬
lehnend. Wer soll solche Kurse halten? Ein Aesthetiker oder ein
Kollege aus der Praxis? Redner hat den innigen Wunsch, den
jungen Aerzten gerade in dieser Richtung recht stramme Be¬
griffe beizubringen, aber das meiste wird hier durch persönliches
gutes Beispiel erreicht. Redner wollte durch seine Ausführungen
nur die Anregung geben, sich über die ganze Frage innerhalb des
Bezirksvereines auszusprechen, damit daraus dann auch Material
für den Aerztetag gewonnen werden kann.
An die vorstehend kurz skizzierten Darlegungen v. B.s schloss
sich eine lebhafte Debatte, in der einerseits die Meinung zum Aus¬
druck kam, dass aus dem praktischen Jahr in Wirklichkeit ein
fünftes Jahr theoretischen Studiums werden würde, sodann der
Wunsch ausgesprochen wurde, den Praktikanten auch ein gewisses
Muss von Verantwortung zu übertragen, da ohne eine solche eine
wirksame Vorbereitung für die Praxis nicht denkbar erscheine,
andererseits besonders auch betont wurde, dass es zu bedauern
und ungerecht sei, wenn die Ableistung des zweiten Halbjahres
als einjährig-freiwilliger Arzt gar nicht in das praktische Jahr
eingerechnet werden dürfe. Vom Vorsitzenden wurde auch hervor¬
gehoben, dass gerade auch die Beschäftigung der Praktikanten bei
einem beschäftigten Praktiker den angehenden Aerzten die reich¬
lichste Gelegenheit liefere, Dinge kennen zu lernen, welche im
Krankenhause nicht in dem Masse an den Praktikanten heran¬
treten, z. B. die Kassengesetzgebung, das Gutachtenwesen, das
Verhalten bei Konsilien. In seinem Schlusswort führte der Re¬
ferent aus, dass aus dem praktischen Jahre sich für die Oberärzte
der Krankenhäuser grosse Mühen und Verantwortung ergäben.
Aber eine strikte Schulung in einer gut geleiteten Kranken¬
abteilung gibt für die Praktikanten eine Basis, auf welcher sie
Weiterarbeiten können. Der Verkehr mit den Kranken muss im
Leben gelernt werden, die Routine gibt überhaupt nicht den Aus¬
schlag. sondern immer machen die Kenntnisse den Einfluss und
die Stellung des einzelnen Arztes aus.
Die beiden Vorträge über ärztliches Genossenschaftswesen und
die Revision des Krankenversicherungsgesetzes kamen wegen der
vorgerückten Zeit nicht mehr zur Erledigung.
Grassmann - München.
Verein Nürnberger Spezialärzte.
Seit unserem ersten Berichte (cf. Münch, med. Wochensclir.
1901, No. 26) hat der Verein mehrere, zumeist gut besuchte
Sitzungen abgehalten. In der Vereinssitzung vom 23. Oktober
referirte Herr v. Rad über ,,D i e neue Prüfungsord-
n u n g“. In der dem Referate folgenden ausgiebigen Diskussion
wurde besonders der Nutzen des „Annuum practic-um“ für eine
künftige Ausbildung der Aerzte und der damit verbundene Fort¬
schritt in der Entwicklung des Spezialistentums hervorgehoben,
da durch diese Einrichtung und die dadurch zu schaffende Be¬
reicherung der Kenntnisse der Aerzte dem Pseudospezialistentum
wirksamer begegnet werden könne. Ferner besprach Herr Neu-
lterger die Broschüre von Dr. F. Grimm: „Misstände der
Aerzteversorgung bei den gesetzlichen Krankenkassen in Deutsch¬
land“, kritisirte den vom Verfasser als „subjektive Betrach¬
tungen“ bezeichneten Inhalt der Schrift in ungünstigem Sinne,
tadelte die oft unmotivirten Angriffe auf die Aerzte und wider¬
legte die gegen die freie Arztwahl angeführten Argumente des
Autors.
Die Sitzung vom 6. Februar 1902 brachte eiu Referat von
Herrn F. G i u 1 i n i über „D ie neue bayerische Ge¬
bührenordnung“. Da sich im Verlaufe der dem Vortrage
folgenden Debatte Unklarheiten bezüglich der Honorierung der
Gutachten bei den Gerichtsbehörden und den Berufsgenossen¬
schaften ergaben, wurde zur Klärung und Bearbeitung dieser
Frage eine aus den Herren F. G i u 1 i n i, Leonhard Rosenfeld
und Schubert bestehende Kommission gewählt. Weiterhin
sprach Herr Neuburge r über „w irtscliaftliche
Fragen“. Der Vortrag führte zwei wichtige Beschlüsse herbei;
einmal sollen die Mitglieder des Vereins eine schwarze Liste von
säumigen oder nicht zahlenden Patienten aufstellen und eventuell
im Rechtsschutzverein, zur Herbeiführung günstigerer Verhält¬
nisse in demselben, eine ausserordentliche Generalversammlung
einberufen und dann soll bei den von den Stadtärzten behandelten
Kranken die freie Arztwahl unter den Spezialärzten eingeführt
werden. Der letztere Beschluss war um so zeitgemässer, als die
Vermutung bestand — sie erwies sich später als Tatsache — ,
dass der Stadtmagistrat bei obiger Kategorie (Schutzmannschaft
und deren Angehörige) Spezialärzte für Augen- und Ohrenkrank¬
heiten aufstellen wollte. Auf Grund dieses Beschlusses fanden
schriftliche Verhandlungen mit dem Magistrat statt, mit dem Er¬
gebnisse, dass der Stadtmagistrat die freie Arztwahl unter den
Spezialärzten — in erster Linie kommen allerdings nur die Augen-
und Ohrenärzte in Betracht — gewährte und der Verein auf die
Honorierung nach den Sätzen der Gemeindekrankenkasse au
Stelle der ursprünglich geplanten Vergütung der ärztlichen Leist¬
ung nach der Mindesttaxe einging.
In der Sitzung vom 9. Mai erstattete Herr Leonhard Rosen-
f e 1 d das im Aufträge der Kommission ausgearbeitete Referat
über „D i e Honorärf rage als Sachverständiger
u n d Gutachte r“. Die Kommission gelangte zu folgendem
Resuine:
„In der Tätigkeit als Sachverständiger vor Gericht, welche
durch Reichsgesetz vom 30. Juni 18TS geregelt ist, ist darauf hin¬
zuweisen, dass der Arzt auf Grund des § 13 der Gebührenordnung
für Zeugen und Sachverständige berechtigt ist, nach der all¬
gemeinen ärztlichen Taxe, namentlich für Voruntersuchungen und
vor der Vernehmung gemachte Gutachten, zu liquidieren.
Aerztliche Amtsgeschäfte, zu welchen ein Privatarzt berufen
wird, werden nach § 12 der bayerischen Gebührenordnung vom
17. Oktober 1901 auch weiterhin noch nach den Bestimmungen der
Verordnung vom 20. Dezember 1875 vergütet.
Bezüglich der Tätigkeit des Arztes als Gutachter für Be¬
rufsgenossenschaften muss darauf hingewiesen werden, dass alle
die von Berufsgenossenschaften eingeforderten Gutachten eigent¬
lich als begründete Gutachten aufzufassen sind und demnach
nach der bayerischen Gebührenordnung vom 17. Oktober 1901 von
jetzt ab mit 9 — 30 M. zu liquidieren sind. Bei ganz einfachen For¬
mularen, wie sie teilweise bei den Revisionsgutachten vorliegen,
schlägt die Kommission vor, aus Billigkeitsgründen unter Um¬
ständen nur 5 M. zu liquidieren.“
Der Berichterstatter, Herr R o s e n f e 1 d, soll nach noch¬
maliger Durcharbeitung das Referat publizieren, um es auf diese
Weise der Allgemeinheit der Aerzte zugänglich zu machen.
Herr Neuberger sprach sodann über ,,ä rztliche
Rechtsschutzverein e“, eine bereits in der Sitzung vom
6. Februar erörterte Frage, die auch in einer weiteren Sitzung des
Vereins zur Bildung einer Kommission (Paul Giulini, Aug.
B e c k h, Bauer, Epstein, Neuberger, Port) geführt
hatte. Der Vortrag behandelte insbesondere die Entwicklungs¬
geschichte der ärztlichen Rec-htsschutzvereine in Deutschland und
deren Erfolge und ergab folgende Schlussätze:
Aerztliche Rechtsschutzvereine sollen als wichtiges wirtschaft¬
liches Hilfsmittel über ganz Deutschland, sowohl in Stadt., als auch
auf dem Lande, ausgedehnt und über deren Ergebnisse alljährlich
in Standes- und Tageszeitungen referiert werden. Eine Reform
des ärztlichen Rechtsschutzvereins Nürnberg ist notliwendig
(Herabsetzung des Jahresbeitrages, % jährliche hektographierte
Ergänzungen zur schwarzen Liste etc.) und der Beitritt möglichst
sämtlicher Mitglieder des Spezialistenvereins zum Rechtsschutz¬
verein erwünscht.
Auch dieses Referat soll im Druck erscheinen und dann zur
weiteren Erörterung gelangen.
Sodann fand die diesjährige Generalversammlung statt, in der
Herr H i n t n e r den Kassenbericht erstattete und die Neuwahl
der Vorstandschaft (dieselbe hatte beantragt, dass die Zahl der
Vorstandsmitglieder von 3 auf 5 vermehrt würde) vorgenommen
wurde. Durch Akklamation wurden gewählt: Herr F. Giulini
als erster Vorsitzender, Herr Neuberger als zweiter Vor¬
sitzender, Herr Hintner als erster Schriftführer, Herr Ottmar
Müller als zweiter Schriftführer, Herr Flat a u als Kassier.
Zum Schlüsse teilte der Vorsitzende mit, dass im Monate Juni eine
gemütliche kollegiale Zusammenkunft im Garten des Doktor¬
zwingers stattfinden solle. N.
Aus der Sektion Mittelfranken des Leipziger Verbandes.
Am 30. April fand in Nürnberg im Hotel Kaiserhof eine zahl¬
reich besuchte Versammlung der Nürnberger Mitglieder des L. V.
statt. Den Vorsitz führte der Vertrauensmann des L. V. für Mittel¬
franken, Herr Neuberger, welcher die erschienenen Kollegen und
besonders den zweiten Vorsitzenden des ärztlichen Bezirksvereins,
Herrn Hofrat E m m e r i c h, begriisste und hervorhob, dass die
Vorstandschaft des L. V. in Nürnberg schon längst die Einberufung
einer allgemeinen Mitgliederversammlung gewünscht habe, aber
erst jetzt durch die vom L. V. an die Mitglieder ergangene Auf¬
forderung zur Mitarbeit an der Statistik die Ausführung er¬
möglicht worden sei.
Ueber Punkt 1 der Tagesordnung: „Bericht über die
Erfolge der bisherigen Agitation in Nürnberg,
Mittelfranken und Bayern“ referiert Herr Neu¬
berger, dessen Ausführungen, kurz zusammengefasst, wie folgt
lauten: Dem L. V. sind in Nürnberg fast sämtliche Kollegen bei¬
getreten (130). Dieser Erfolg ist teils dem Opfersinn und der kol¬
legialen Denkweise der Nürnberger Kollegen, teils der Tätigkeit
der Vorstandschaft zuzuschreiben. Die Vorstandschaft, welche
aus den Herren Neuberger (Vertrauensmann), Seiler (Stell¬
vertreter des Vertrauensmannes), Bernett (Kassier), Ale¬
xander und Ranninger (Schriftführer), B e r t ho 1 d, Hint¬
ner, Krapf, Neuburge r, R ii li 1 (Obmänner) besteht, hat
mehrfache Sitzungen abgehalten, die sich vorzugsweise mit der
Agitation für den L. V. beschäftigten. Es gelang, als weitere Ob-
1. Juli
1902.
M UENCTT EN ER MEDICI NI SCIIE WOCIIENSCI IRIFT.
1125
männer die Herren D ö r f 1 e r für den Bezirksverein siidwest-
liches Franken, IM a a r für Ansbacli, Keichold für Lauf-Hers-
bruck zu gewinnen, die ihrerseits mit bestem Erfolge in ihren
Vereinen für den L. V. wirkten. Ein nicht hoch genug zu veran¬
schlagender Faktor war, dass Herr Hofrat M a yer - Fürth, als
Obmann von Fürth aufgestellt, von der Vorstandschaft des L. V.
(Mittelfranken) auf Antrag des Referenten in einer Sitzung,
der auch die auswärtigen Obmänner beiwohnten, zum Ver¬
trauensmann von Mittelf r a n k e n gewählt wurde und
die Wahl annahm. Zu gleicher Zeit wurde bei der Leipziger Vor¬
standschaft des L. V. der Antrag für die diesjährige Generalver¬
sammlung gestellt, dass in Bezirken mit mehr als 100 Mitgliedern
mehr als 1 Vertrauensmann aufgestellt werden soll und kann.
Für Mittelfranken sind also Herr Hofrat Mayer und der Re¬
ferent die beiden Vertrauensmänner, wozu von der Leipziger
Vorstandschaft bereits die Genehmigung erteilt worden ist. Von
den übrigen Bezirksvereinen Mittelfrankens, an die sich die Vor¬
standschaft schriftlich gewendet hat, haben Eichstätt und Rothen¬
burg o/T. noch nichts verlauten lassen, in Erlangen ist ein Antrag,
der Bezirksverein möge in toto dem L. V. beitreten, abgelehnt
worden, im Bezirksverein nordwestliches Franken sind nach einem
Referate des Herrn Klein- Windsheim die meisten Kollegen dem
L. V. beigetreten. Der im Erlanger Bezirksverein gestellte Antrag
kann, so ideal er für den L. V. wäre, nicht gutgeheissen werden,
da nicht jedes Mitglied eines Bezirksvereins ein jährliches Opfer
von 20 M. bringen kann.
Auch in Oberfranken, Oberpfalz und Unterfranken wurde die
Agitation eingeleitet. Herr Dörfler- Regensburg hat die Stel¬
lung eines Vertrauensmannes für die Oberpfalz angenommen und
in Oberfranken haben die Herren Scheiding - Hof und Ober-
arzi Jungengel - Bamberg sich der Sache des L. V. mit Eifer
und Energie angenommen. Bezüglich Unterfranken sind die Ver¬
handlungen noch nicht zum Abschluss gelangt.
Aus dem übrigen Bayern ist besonders der Tätigkeit K reck es -
München zu gedenken, der kürzlich im Augsburger Bezirksverein
über den L. V. referiert und dort eine grosse Zahl von Mitgliedern
gewonnen hat, obwohl ursprünglich der Augsburger Bezirksverein
den Bestrebungen des L. V. nicht sympathisch gegenüberstand.
Der Appell Krecke s, dass in Zukunft die persönliche Agitation
vom Kollegen zum Kollegen rege betrieben werden müsse, hat die
Vorstandschaft veranlasst, Herrn Dörfler- Weissenburg und
den Referenten mit der Abfassung eines für diesen Zweck
zu verwendenden Aufrufs zu betrauen, der sämtlichen Mitgliedern
zur Verwertung zugeschickt werden soll. Dann gelingt es hoffent¬
lich auch, alle noch Fernstehenden heranzuziehen! Zunächst
müssen auch die Universitätsprofessoren gewonnen werden, dann
sämtliche jungen Kollegen. Der Geschäftsausschuss des Deut¬
schen Aerztevereinsbundes -müsse in corpore dem L. V. beitreten
und nach jeder Richtung hin für den L. V. eintreten, da nunmehr
die Situation völlig geklärt ist.
Was Nürnberg speziell betrifft, so ist die Gründung eines Lese¬
zimmers für Standeszeitschriften in Aussicht genommen; auch
wird bei der Vorstandschaft des Bezirksvereins der Antrag ge¬
stellt Averden, häufigere Sitzungen abzuhalten, in denen allgemeine
Referate über Standesfragen etc. gebracht werden sollen. Ur¬
sprünglich sollten diese Anträge vom L. V. Nürnberg ausgehen,
auf Antrag des Herrn Hofrat Mayer ist aber der Beschluss ge¬
fasst worden, diese im Rahmen des Bezirksvereins einzugliedern.
In der Diskussion begrüsste Herr Hofrat E m m e r i c h mit
Freuden den Gedanken der persönlichen Agitation und stellte
seine Tätigkeit nach dieser Richtung zur Verfügung.
Ueber Punkt 2 der Tagesordnung: „Vorläufiger Kas¬
senbericht“ berichtete Herr Bernett, dass die meisten
Beiträge bereits erhoben wären und von Nürnberg aus ca. 2500 M.
an den L. V. nach Leipzig bereits abgeführt seien.
Sodann besprach Herr Frankenburger: „Die vom
Leipziger Verband ausgehende Statisti k“. Der
Redner zollt der Vorstandschaft des L. V. volle Anerkennung für
ihre Tätigkeit und ihr Wirken, glaubt aber nicht, dass durch diese
Statistik etwas Nennenswertes zu erzielen sei. Im Teil I der Sta¬
tistik vermisst er die sehr wichtige Frage, ob der betreffende Kol¬
lege ledig oder verheiratet sei; der Teil II hat für die Nürnberger
Mitglieder des L. V. durchaus gleichmässige Geltung, ist auch be¬
reits genau bearbeitet dem Generalsekretär des Aerztevereins¬
bundes vom Redner im Namen des ärztlichen Bezirksvereins zur
kritischen Verwertung eingesandt worden. Der Referent ist
dafür, dass jedes Nürnberger Mitglied den Teil I der Statistik aus¬
füllen. bei Teil II aber bemerken soll, dass derselbe bereits nach
einheitlichem statistischen Gesichtspunkte bearbeitet dem Aerzte^
Vereinsbunde übergeben sei.
Es wird der Beschluss gefasst, an die der Sitzung nicht bei¬
wohnenden Mitglieder eine diesbezügliche Aufforderung schrift¬
lich zu erlassen.
Der letzte Gegenstand der Tagesordnung betraf: „Vor¬
schläge zur Generalversammlung in Königs-
b e r g“, worüber Herr Seiler Bericht erstattet.
Derselbe verliest aus den den Mitgliedern früher zugegangenen
„Mitteilungen aus dem L. V.“ die Sätze, welche sich mit der Ab¬
sicht der Vorstandschaft, ein eigenes Organ zu gründen, beschäf¬
tigten, und begründet die Stellungnahme, welche die hiesige Voi*-
standschaft hierzu eingenommen hat. Die letztere ist nicht für
ein ständiges Organ, da dasselbe viel Geld kosten dürfte und
anderen Standesblättern namentlich hinsichtlich der Inserate even¬
tuell Konkurrenz machen würde, hingegen sind zwanglos erschei¬
nende Mitteilungen zur Agitation zu begrüssen. Die Versamm¬
lung bekennt sich gleichfalls zu dieser Anschauung. Es werden
dann noch einige Vorschläge kundgegeben; so glaubt Herr Heinr.
Koch, dass eine Herabsetzung des Jahresbeitrages für die Aus¬
breitung des L. V. erforderlich sei, und Herr F r a nkenb u r g e r,
dass die engere Vorstandschaft nicht ausschliesslich in Leipzig
ihr Domizil haben dürfe. Beide Vorschläge sollen eventuell für
die nächstjährige Generalversammlung ausführlicher erörtert
werden.
Der Vorsitzende seliliesst sodann die Sitzung mit der Sitte an
die Teilnehmer, auch fernerhin für den L. V. tatkräftigst agitieren
zu wollen.
Auswärtige Briefe.
Pariser Briefe.
Pari s, 26. Juni 1902.
Dr. Garnaults Selbstimpfimg mit Rindertuberkulose
und seine Angriffe auf Prof. R. Koch. — Krebsschäden im
ärztlichen Stand in Frankreich.
In der Absicht, den Beweis zu liefern, dass - — entgegen Prof.
Kochs Meinung — die Binder tuberkulöse mit der mensch¬
lichen Tuberkulose identisch und auf Menschen übertragbar ist,
hat (17. J uni) ein Pariser Oto-Laryngologe, Dr. Garnault
— ein noch junger, gesunder und kräftig gebautei’, wohlhabender
Mann — an sich eine Impfung mit perlsüchtigem Material in
Anwesenheit der Doktoren Marcel Baudouin, Barlerin
und Demeurisse, als Zeugen, voi’genommen. Einige Tage
darauf erschien von demselben Garnault ein ziemlich dickes
Buch (1100 Seiten in 8 0 mit Abbildungen) : „Leprofesseur
Ivocb et le peril de la tuberculose bovin e“, in
welchem sich der Verfasser ebenso empörende, wie absurde An¬
griffe auf Prof. Koch erlaubt. Folgendes steht, unter anderem,
in der V orrede geschrieben :
„Die teilweise negativen Resultate der Koch sehen Ver¬
suche (es handelt sich hier um Verimpfungsversuche mensch¬
licher Tuberkulose an Kühen) sind absichtlich, mit Vorbedacht,
erhalten worden (ont ete premedites et voulus), da dafür aus¬
schliesslich abgescliwäche Kulturen in Anwendung kamen. Da¬
raus die Schlüsse zu ziehen, die er gezogen, war Prof. Koch
logischerweise nicht berechtigt. Würden Kochs Ratschläge
befolgt, so würden sie nicht ixur kolossales Unheil für die Land-
* Wirtschaft anstiften, sondern auch eine beträchtliche Zunahme
der menschlichen Sterblichkeit durch Infektion mit Rindertuber¬
kulose nacb sich ziehen. Hingegen könnte diese Mortalität, sowie
die Rindertuberkulose selbst durch gehörige Massnahmen be¬
kämpft und vermindert, ja sogar, vielleicht, ausgerottet werden.
Es ist immöglich, das Benehmen Prof. Koclis und seine lo¬
gischen Irrtümer — welche Prof. Adam schon als „fast ver¬
brecherische“ bezeichnet hat — wissenschaftlichen Motiven zuzu¬
schreiben. Das Benehmen Prof. Kochs in der Frage des thera¬
peutischen Wertes des Tuberkulins — wo er die öffentliche Mei¬
nung aus gewinnsüchtigen Absichten fortwährend irreleiteto
(oü il a constamment trompe l’opinion dans un but de lucre) und
enorme Benefizia erhielt, indem er den vorzeitigen Tod sehr vieler
auf sein Wort und seine Autorität vertrauender Kranken ver¬
ursachte — mit seinem gegenwärtigen Benehmen verglichen,
scheint durch nichts anderes als durch persönliche Interessen
bedingt zu sein (semble exiger surtout, en dehors de tout autre
explication possible de sa conduite, qu’on en rapporte Foriginc a
des motifs Interesses).“
Wie bekannt, hatte sich Dr. Garnault schon auf dem
Londoner Kongress dem Prof. K o c h zu Impfungsversuchen mit
Rindertuberkulose offeriert, ein Vorschlag, welchen Prof. Koch
aus leicht einzusehenden Rücksichten ablelmle.
Nun hat jetzt Garnault einen solchen Versuch selbst
unternommen. Auf eiixe von Epidermis (durch ein Ve :kator)
entblösste Stelle von 12 qmm, an der vorderen Fläche des Unter¬
arms, 10 cm unterhalb der Ellenbeuge liegend, hat er, mit Ililfe
eines Bandes, während zweier Stunden eine Schicht fein zer¬
riebenes Impfmaterial appliziert. Dasselbe stammte aus einer
tuberkulösen subdiaphragmalen Drüse, welche einer perlsüch-
1126
Ko. 26.
M t T E NOiiKK ER M E I )ICI N I SO L 1 E W 001 1 EN SCI i R l El’.
tigen Kuh unter allen aseptischen Kautelen entnommen worden
war. Die Impfung selbst wurde auch aseptisch ausgeführt. Vor
der Uebertragung des Impfmaterials hatte Ga mault die kleine
oberflächliche Wunde an seinem Arm mit einem durch die
Flamme gezogenen Skalpel leicht geschabt und dann abgewartet,
bis die dadurch bedingte Blutung stand, um einem lebensgefähr¬
lichen Eindringen von Tuberkelbazillen direkt ins Blut durch
die offenstehenden Gefässe vorzubeugen. Ein Teil der für die
Impfung angewandten Drüse wird zur bakteriologischen Unter¬
suchung und zu Impfversuchen an Meerschweinchen benutzt.
Im Falle eines negativen Resultats wird natürlich dieser Ver¬
such nichts beweisen können. Aber dann hat Garnault die
Absicht, sich mit perlsüchtigem Material in irgend ein Gelenk
oder in eine Sehnenscheide zu impfen.
Aber auch im positiven Fall wird die Bedeutung dieses Ex¬
perimentes eine beschränkte bleiben. Es wird nur der Beweis
erbracht, dass die Rindertuberkulose auf den Menschen bei lang-
dauernder und sozusagen gewaltsamer Berührung übertragbar
ist, ein Schluss, welchen schon einige klinische Beobachtungen
(die letzte von P. Krause in dieser Wochenschrift — No. 25,
S. 1035 — soeben mitgeteilt) uns zu ziehen berechtigen. Es wird
aber dadurch die Frage über die Unschädlichkeit bezw. Schäd¬
lichkeit des Genusses von Fleisch und Milch perlsüchtiger Rinder
nicht entschieden.
Nichtsdestoweniger ist Garnaults kecker Autoinokulations¬
versuch von einer nicht zu unterschätzenden wissenschaftlichen
Bedeutung. Was aber die rohen Angriffe gegen Prof. Koch be¬
trifft, so kann nur wiederholt werden, dass sie ebenso empörend
wie absurd sind. Man könnte mit dem gleichen Recht, d. h. Un¬
recht, dieselben Anschuldigungen gegen jeden Arzt, sei er die
grösste wissenschaftliche Zelebrität oder ein bescheidener Prak¬
tiker, erheben. E r rare h u m a n u m e s t. Theoretischen und
praktischen Irrtümern kann niemand entgehen. Falsche Dia¬
gnosen, unpassende Behandlungen, unglückliche, sogar irrtüm¬
lich angewandte Operationen gibt es viele und für solche Irr-
tümer werden oft beträchtliche Honorare gereicht.
Prof. Koch hat sich geirrt, wenn er glaubte, das Tuber¬
kulin könne die Schwindsucht heilen; er hat sich aber nicht ge-
irrt in der Annahme, dasselbe sei für die Tuberkulose ein ent¬
scheidendes diagnostisches Mittel. Er hat sich auch nicht geirrt,
als er die Tuberkelbazillen, die Cholerabazillen u. dergl. mehr
entdeckte. Etwas hat dieser Mann doch geleistet! Ihn für ein
Ungeheuer zu halten, welches die Absicht hat, das arme Menschen¬
geschlecht mit Tuberkulose zu infizieren, um Millionen davon zu
ernten, dessen ist nur eine boshaft-kranke Phantasie fähig. Ob
aber Prof. Koch sich irrt, indem er den Genuss von Fleisch
und Milch perlsüchtiger Rinder für den Menschen als unschäd¬
lich betrachtet — dafür muss noch der Beweis erbracht werden.
Jedenfalls ist nicht klar, was für einen materiellen Nutzen Prof.
Koch aus dieser Meinung ziehen könnte. Werden ihm viel¬
leicht von den Viehhändlern, Schlächtern und Metzgern Pro¬
zente vom Verkauf tuberkulösen Fleisches abgezahlt? Wenn er
aber entgegengesetzter Meinung wäre, könnte er Prozente vom
Verkauf sterilisierter Milch abheben. Es wäre noch vorteilhafter.
Prof. K och hat sich verrechnet !
Traurig ist es noch, dass solche Angriffe aus einem Land
stammen, wo die Gewinnsucht in medizinischen Kreisen und
die Missachtung der Grundsätze der Deontologie auf das äusserste
getrieben sind und solche Formen annehmen, die die Kritik
geradezu herausfordern. Hierher gehört die in Frankreich so
weit und breit geübte „D ichotomi e“, d. h. die Teilung der
Honorare zwischen Chirurgen und den Aerzten, welche ersteren
Kranke zur Vornahme von Operationen zuführen; die unver¬
schämte, nicht nur von Charlatanen allein, sondern auch von
eminenten Fachmännern geübte Reklame (die bekannten kine-
ma (»graphischen Vorstellungen des Chirurgen Doyen); das
Erzwingen übermässiger Honorare (der jüngste Prozess des Chir¬
urgen A 1 b a r r a n, welcher für eine an der Frau eines kleinen
Händlers unternommene Laparotomie 6000 Franken verlangte);
die beständigen Fälschungen seitens der Examinatoren bei medi¬
zinischen Prüfungen (dieser Tage noch haben Prof. A. R o b i n
und Dr. II ucha r d gegen eine solche Fälschung offiziellen Pro¬
test erhoben) ; das Benehmen vieler Professoren, welche, von ihrer
Praxis völlig in Anspruch genommen oder im süssen Genuss ihrer
(durch Heirat) erworbenen Millionen, keine Vorträge halten und
nicht einmal im Spital erscheinen, ein Umstand, der den jetzigen
Dekan der medizinischen Fakultät, Prof. Debove, gezwungen
hat, die betreffenden wie kleine Schulbuben zu einer besseren
Aufführung zu ermahnen, etc. etc.
Anstatt sich in chauvinistische und unbegründete Aeusse-
rungen gegen fremde Gelehrte einzulassen, wäre es besser, sich
mit der Säuberung des eigenen Augiasstalles etwas zu beschäf¬
tigen. L.
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Bayerischer Landtag.
Die zuerst von der Kammer der Abgeordneten mit einer ge¬
ringen Majorität abgelelmte Forderung von 464 000 M. für den
Neubau einer k. Zentralimpfanstalt in Mii n c li e u
wurde, nachdem die Kammer der Reichsräte das Regierungs-
postulat wieder hergestellt hatte, nunmehr auch seitens der erst¬
genannten Kammer genehmigt.
Die in No. 41 und 42 des vorigen Jahres mitgeteilten Neu¬
forderungen für die medizinischen Fakultäten wurden einschliess¬
lich einer Nachforderung von je 14 850 M. für die beiden Etats¬
jahre 1902 und 1903 behufs Anschluss der Universität Erlangen
an das städtische Elektrizitätswerk zunächst vom Finanzaus¬
schüsse der Abgeordnetenkammer bewilligt und werden voraus¬
sichtlich auch im Plenum Annahme finden. So erfreulich dies ist,
darf doch auch nicht vergessen werden, dass bei Aufstellung des
Etats bereits an die äusserst zulässige Grenze gegangen wurde.
Das Unzureichende der in Aussicht genommenen Mitttel ward
namentlich anerkannt für die Polikliniken im Reisingeriä-
num z München. Jede derselben bekommt einen Zuschuss,
der aber lange nicht ausreicht, die tagtäglich bemerkbaren Miss-
stände für die Kranken, Dozenten und Studierenden auch nur
einigermassen zu lindern, geschweige denn zu beseitigen. Hierzu
bedarf es. da auch ein Erweiterungsbau nicht genug Raum für
7 grosse Polikliniken schaffen kann, eines Neubaues auf einen!
grösseren Terrain. Durch Beschränkung des Zuganges von Kraiiken
oder eine Art Auslese die Verhältnisse zu sanieren, ein solcher
Versuch scheint am wenigsten geeignet, wenn auch unter dem
heutigen Massenandrang der Unterrichtszweck leidet und eine Ge¬
wöhnung der Studierenden an eine oberflächliche Behandlung
leicht sich einschleichen könnte. Non multa, sed multum! Bis
jetzt bedeutet es bei dem langsamen Gang der Dinge schon viel,
dass wenigstens das Vorliegen von Misständen im Reisingerianum
im Finanzausschüsse unwidersprochen blieb und anerkannt wurde;
dann werden wohl bald auch die Mittel zur Abhilfe bereit ge¬
stellt werden.
Bezüglich der sozialen Bedeutung der Polikliniken, die in
erster Linie Unterrichtszwecken dienen und durch die kostenlose
Erteilung ärztlichen Rates in zweiter Linie auch Wohlthätigkeits-
anstalten darstellen, meinte der Abg. Dr. H e i m, dass hier nicht
nach Reich und Arm ausgeschieden werden dürfe und dass Leute
aus dem Mittelstände nur durch die Poliklinik zu einer spezia-
listisclien Behandlung gelangen könnten, weil sonst der Spezialist
zu viel koste. Zu dem Zwecke sind die Polikliniken keinesfalls
da, dass vermögenden Leuten unentgeltliche ärztliche Behandlung
gewährt wird, und der ärztliche Stand verlangt, nachdem er von
jeher alle humanen Bestrebungen eifrig unterstützt, mit Recht,
dass einem Missbrauch derselben vorgebeugt werde. Dass dem
Mittelstände Spezialisten wegen des hohen Honorars unzugänglich
seien, ist in dieser Verallgemeinerung eine unbewiesene Behaup¬
tung, und soviel Berichterstatter aus Erfahrung weiss, reichen die
Honoraransprüche der Spezialisten noch lange nicht an die vieler
Kurpfuscher heran. #
Während Preussen die Absolventen der Realgymnasien nun¬
mehr auch zum juristischen Studium zugelassen hat, zögert man
damit in Bayern und vorläufig haben die zuständigen Ministerien
die Frage in negativem Sinne entschieden. Keinesfalls kann
Bayern auf dem Isolierschemel bleiben und der jetzige Zustand
wird nicht lange haltbar sein, dass die Absolventen norddeutscher
Realgymnasien und Oberrealschulen in Bayern zum juristischen
Studium anstandslos zugelassen werden, die von bayerischen Gym¬
nasien kommenden aber nur mit der kleinen Matrikel. Der Kultus¬
minister rühmte sich, die Zulassung der Realgymnasiasten zum
medizinischen Studium zuerst befürwortet zu haben; warum bleibt
er nun auf dem kaum betretenen Wege stehen und gibt nicht freie
Bahn für alle Fächer? Im Finanzausschüsse äusserten sich die
einzelnen Abgeordneten teils zurückhaltend, teils vorwärtsschie¬
bend; einer realistischen Vorbildung der Juristen, namentlich der
Verwaltungsbeamten, wurde von fachmännischer Seite sogar der
Vorzug vor der humanistischen eingeräumt.
Begrüssenswert erscheint die Anregung des Referenten für
den Kultusetat, Abg. Dr. Schädler, Professoren und Leiter
von Anstalten in einem bestimmten Lebensalter, etwa mit dem
70. Jahre, zu pensionieren. Während in Oesterreich Professoren
mit 65 Jahren in den Ruhestand treten können und mit 70 Jahren
1. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1127
dies müssen, bestehen in Deutschland keine Altersgrenzen und in
Payern würde es zu einer Festlegung solcher einer Abänderung
der verfassungsmässigen Dienstespragmatik bedürfen. Jedenfalls
sollte diese Anregung im Auge behalten werden. Dass manche
Autoritäten über das 70. Lebensjahr hinaus ihre körperliche und
geistige Mistigkeit sich erhalten haben, bildet die Minderzahl und
diesen einzelnen mag die unfreiwillige Niederlegung ihres Lehr¬
amtes ein schweres Opfer sein; weit häufiger ist der Fall, dass
einerseits aus Mangel an Selbsterkenntnis und Selbstkritik, an¬
dererseits aus Rücksicht auf frühere verdienstvolle Leistungen
ältere Professoren viel zu lange mitgeschleppt werden, zum Scha¬
den der Fakultät und der studierenden Jugend.
Wie alljährlich bei einer bestimmten Entwicklung der Vege¬
tation empfindsame Naturen vom Heufieber befallen werden, tritt
bei der Beratung des Kultusetats in den letzten Jahren regelmässig
eine Hyperästhesie des Nervus olfactorius confessionalis ein; die
Tagespresse benennt die Reflexbewegung vulgär „Konfessions¬
schnüffelei“. Dass dabei besonders die* Universitätslehrer in die
Nase stechen, entspricht ihrer hervorragenden Bedeutung. Es
wurde daher jeder Universitätslehrer bis herab zum Privatdozenten
auf seinen Taufschein geprüft und das Ergebnis in einer amtlichen
Konfessionsstatistik niedergelegt. Für die medizinische Fakultät
ergab sich dabei folgendes Verhältnis, das wir mitteilen, nachdem
soviel Mühe dafür auf gewendet worden ist.
München
Würzbur
g
Erlangen
kathol.
protest.
israel.
C3
GG
S
Toxpota
protest.
israel.
3
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§
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protest.
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( Irdentl. Professoren
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Ausserordentl. Profess.
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GG
13
21
—
34
3
15
1
19
Im Uebrigen ist jedem Arzt diese Konfessionsstatistik gleicli-
giltig, da die ärztliche Wissenschaft und Kunst nach konfessio¬
nellen Gesichtspunkten weder gelehrt noch ausgeübt wird und das
ärztliche Gewerbe an gewaltsam aufgerichteten konfessionellen
»Schranken keine Grenzen findet.
Münchener Kellnerinnen petitionierten um eine Standesord-
nung für das k. Hofbräuhaus, damit die Jüngerinnen der Hebe
auch etwas Gehalt bekämen und nicht bloss von Trinkgeldern
leben müssten. Fast einen ganzen Tag lang beschäftigte sich die
Kammer der Abgeordneten mit dieser Staatsfrage. Von der ärzt¬
lichen »Standes- und Ehrengerichtsordnung hat man seit Anfang
des Jahres nichts mehr gehört. Versunken und vergessen — das
ist des Sängers Fluch! Dr. Karl Becker.
Therapeutische Notizen.
Die Malariabehandlung des Krebses ist bekannt¬
lich von Löffler empfohlen auf Grund der angeblichen That-
, Sache, dass das Karzinom in den Tropen so gut wie gar nicht vor¬
komme. A. E. Neu m a n n weist nun darauf hin (Ther. Monats¬
hefte 5, 1902), dass viele Beobachtungen über Krebs in den Tropen
vorliegen, zumal der Leberkrebs ist eine häufige Erkrankung der
Eingeborenen. N. warnt davor, die Krebskranken einem von vorn¬
herein aussichtslosen Behandlungsversuche zu unterwerfen. Kr.
Die Erfolge des Dlpntherieserums werden von
Ivassowitz - Wien einer erneuten scharfen Kritik unterzogen
(Ther. Monatsh. 5, 1902). Er weist nach, dass die Mortalität der
Diphtherie trotz der Einführung der Serumbehandlung keineswegs
in dem Maasse gesunken ist, wie man zu erwarten berechtigt wäre,
ln Petersburg gab es vor der Serumbehandlung auf 10 000 Ein¬
wohner 5,4 Todesfälle, nach Einführung der Serumbehandlung
12,1 Todesfälle, die durchschnittliche jährliche Todesziffer betrug
ror 1895 522, nach 1895 1272.
Aus der de Maurans’schen Statistik ergibt sich für33grössere
Städte ein bedeutender Anstieg der Diphtheriemortalität in der
Serumperiode, so besonders in Bukarest, Birmingham, Dublin,
Liverpool, Stockholm.
Was den von den Serumfreunden behaupteten Mortalitäts¬
abfall in den Kinderspitälern anbetrifft, so glaubt K. nachweisen
zu können, dass auch dieser in Wirklichkeit nicht besteht. Im
Grazer Kinderspital stieg die Mortalitätsziffer von höchstens 17
bis zu 37; in Strassburg starben in den 4 Jahren vor der Serum¬
einführung 210, in den 4 ersten Serumjahren 205 Kinder, das Ver
hältniss der nach Operation Gestorbenen war 141:140.
Für diejenigen Spitäler und Städte, die nach S i e g e r t und
Müller ein Fallen der Mortalitätskurve aufweisen, zeigt K.,
dass dieser Abfall schon vor der Serumeinführung begonnen hat;
in manchen Städten ist die Mortalitätskurve dann sogar wieder
gestiegen.
K. bittet das Reichsgesundheitsamt um die alljährliche Zu¬
sammenstellung und Veröffentlichung der absoluten Diphtherie¬
mortalität in allen Ländern und Städten, wo das Serum zur Ver¬
wendung kommt. Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 1. Juli 1902.
— Die Beratung des Kultusetats in der bayerischen Ab¬
geordnetenkammer hat eine Reihe interessanter Momente gebracht
über die in unserer Parlamentschronik berichtet werden wird
Das bedeutsamste Ereignis ist der mit 51 meist schwarzen gegen
41 meist liberalen Stimmen gefasste Beschluss, es sei die Staats¬
regierung zu ersuchen, in den nächsten Etat eine Position für Er¬
richtung eines Lehrstuhls f ü r II omüopathie au der
Universität München oder an einer anderen bayerischen Uni¬
versität vorzusehen. Ein ähnlicher Beschluss ist iii der Württem¬
berg! sehen Kammer wiederholt gefasst worden, dort aber an der
festen Haltung der Regierung stets gescheitert. Der bayerische
Kultusminister dagegen hat trotz der bereits vorliegenden einstim¬
migen ablehnenden Gutachten der drei medizinischen Fakultäten
des Landes erklärt, die Sache in erneute Erwägung ziehen zu
wollen. Man kann dem Resultat dieser Erwägung nur mit
grösstem Misstrauen und Unbehagen entgegensehen. Bei der der¬
zeitigen Einflusslosigkeit der Fakultäten auf ihre eigensten An¬
gelegenheiten und gegenüber dem übermächtigen Einfluss der
ultramontanen Partei unseres Landtags im Kultusministerium
muss man auf Alles gefasst sein.
— - ln Pose n hat die von den Polen majorisirte Orts¬
krankenkasse vier ältere deutsche Kassenärzte entlassen
und an ihre »Stelle polnische Aerzte gesetzt. Die Med. Reform
knüpft an diese Mittheilung den berechtigten Hinweis, wie allent¬
halben im Deutschen Reiche das System der fixirten Kassenärzte
zur Unterdrückung der politischen Betätigung der Aerzte führt.
Ein politisch hervortretender Arzt hat stets den Verlust seiner
Kassenarztstelle zu befürchten, wenn die Machthaber der Kasse
seine politischen Gegner sind und er wird daher, wenn er nicht
sonst wirtschaftlich unabhängig gestellt ist, in den meisten Fällen
auf die Vertretung einer politischen Ueberzeugung verzichten.
Das ist ein für die Aerzte unwürdiger, für den »Staat aber, dem
die politische Unterstützung eines intelligenten und in seiner über¬
wiegenden Mehrheit staatserhaltenden »Standes entgeht, ein gewiss
unerwünschter Zustand. Unter den Gründen, die für die gesetz¬
liche Einführung der freien Arztwahl, oder doch für »Schaffung
einer unabhängigeren Stellung der Aerzte bei den Kassen ins Feld
geführt werden, dürfte keiner berechtigter sein, als die Erwägung,
dass ein unabhängiger Aerztestand auch eine politische Notwendig¬
keit ist.
— Nach der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 18. Juni
1902 treten mit Wirkung vom 1. Oktober an in der Eisenbahn¬
verkehrsordnung Aenderungen in Kraft, welche die Beförde-
r u n g von Leichen vereinfachen und verbilligen und damit
namentlich auch die Transporte an Leichenverbrennungsanstalten
erleichtern. Als Regel gilt auch jetzt noch, dass die Leiche von
einer Person begleitet sein muss, die eine Fahrkarte zu lösen und
denselben Zug zu benützen hat, mit dem die Leiche befördert wird.
Jedoch bedarf es einer Begleitung nicht, wenn als Bestimmungsort
eine Eisenbahnstation bezeichnet ist und der Absender bei der
Aufgabestation das schriftliche oder telegraphische Versprechen
des Empfängers hinterlegt, dass dieser die Sendung sofort nach
Empfang der bahnseitigen Benachrichtigung von ihrem Eintreffen
abholen lassen werde. Bei Sendungen an Leichenverbrennungs¬
anstalten und an Beerdigungsinstitute genügt es, wenn diese eine
derartige Verpflichtung gegenüber der Eisenbahn in allgemeiner
Form übernommen haben.
— Ueber die innere Einrichtung der für die preussischen
Staatsbahnen in Bestellung gegebenen Aerztewagen schreibt
Dr. Brälimer in der Aerztl. Sachverst.-Ztg.: Die Wagen, für
deren Herstellung die Eisenbahndirektionen breite Durchgangs¬
wagen IV. Klasse, wie sie bei der Armee für den Verwundeten¬
transport eingerichtet sind, aus ihren Beständen zu ihrer Ver¬
fügung stellen sollen, haben folgende Einrichtung: Der Wagen be¬
steht aus zwei ungleichen, durch eine Bretterwand getheilten Ab¬
theilungen, voix denen die eine als Verbands- und Operationsraum,
die zweite, doppelt so grosse, als Lagerraum für 8 Verwundete
und gleichzeitig Sitz raum für 4 Leichtvei-letzte dienen soll. Zur
Heizung sind bestimmt die Röhren der Dampfheizung des Zuges
und ein Gasofen. Für die Lüftung ist durch Oberlichtaufbauten,
Klappen und die nach hinten geöffnete Thür gut gesorgt. Be-
leuchtxxng erfolgt bei Tage durch Oberlicht, in der Dunkelheit
durch Gas oder Acetylen. Für warmes und kaltes Wasser ist in
genügender Weise gesorgt, ln der ersten Abteilung befindet sich
ein Torfmullkloset. Für den grösseren Wagenabteil sind 8 Trag-
bahren (preussisclies Anmeemodell) mit je 2 Gurten zum Fest-
sclxnallen, sowie 4 bequeme Stühle für solche Verletzte, die sitzen
können, vorgesehen; ausserdem wollene Decken in genügender An¬
zahl. In dem ärztlichen Abteil befindet sich zunächst ein Opera-
tionstiscli voix 1,70 m Länge und (*,70 m Breite mit verstellbarem
Kopfteil liehst Kopfrolle, ausserdem 2 Schemel und 2 Sessel mit
durchbrochenen Ilolzsitz und Anstrich von Emaillack für die
Aerzte, eine Waseh verricht ung mit Abflussrohr, ein Gaskocher
liebst Topf, wie ein Eiskasten, endlich der Instrumenten- und Ver¬
bandschrank. Der Inhalt dieses Schrankes entspricht im wesent¬
lichen dem Inhalt der grossen, auf allen Eisenbahnstationen vor¬
handenen Rettungskästen — ausgenommen, dass einzelne Gegen¬
stände, den veränderten Verhältnissen entsprechend, in doppelter
oder dreifacher Menge vorhanden sind. So befinden sich z. B. in
1128
MHENCHENEE MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 20.
jedem Schrank 3 ärztliche Verbandst;! sehen mit demselben Inhalt.
Von der Einfügung grösserer Instrumente zu Amputationen u. s. w.
hat man mit Recht abgesehen. Eine sorgfältige Orientierung und
Berechnung hat ergeben, dass von jeder Unfallstelle der preussi-
sclien Staatsbahnen in längstens 1 — ll/> Stunde ein Krankenhaus
mit allen erforderlichen Utensilien zu erreichen ist. Um bis dahin
alles ärztlich Gebotene zu tun, gefährliche Blutungen u. s. w. zu
verhindern, und den Verwundeten transportfähig zu machen, sind
alle Mittel vorhanden. Insbesondere wird der Transport dadurch,
dass die Tragbahre sich gleichzeitig als Bett passend und bequem
in den Wagen hineinschieben lässt, erleichtert und für den Ver¬
wundeten unschädlich gemacht. Die 77 Wagen werden in ge¬
eigneter Verteilung Tag und Nacht bei'eit stehen, um ohne weitere
Vorbereitungen sofort der Lokomotive folgen zu können. Der
Wagen untersteht der Aufsicht des zugehörigen Bahnarztes, der
mit einer Dienstanweisung versehen, die Oberaufsicht ausübt. Für
die tägliche Aufsicht, Reinigung, Ergänzung u. s. w. wird ein be¬
sonderer Beamter angestellt.
— Die diesjährige Versammlung der Ophthalmolo gi¬
schen Gesellschaft findet vom 4. — 6. August in Heidelberg
statt.
— Wie sehr das Interesse an der Heilstättenbehandlung der
Tuberkulose in allen zivilisierten Ländern erstarkt ist, beweisen
die jetzt bereits in verschiedenen Sprachen vorliegenden Werke,
deren Zweck es ist, den gegenwärtigen Stand der Frage zu kenn¬
zeichnen und festzustellen, was in den einzelnen Ländern für die
Durchführung der Aufgabe bereits geschehen ist. Zu den besten
Werken dieser Art geholt dasjenige des Prof. V. Gozzolino
in Neapel : La cura del tubercolotico polmonare
nel sanatorio, considerato anche come questione
sociale (Turin, R o s e n b u r g & S e 1 1 i e r, Preis IG Lire).
In einem stattlichen Bande wird hier die ganze Tuberkulosefrage,
ihre soziale Bedeutung, Pathologie, Behandlung etc., besonders
aber die Behandlung in Sanatorien und der Bau, die Einrichtung
und der Betrieb der Sanatorien unter Beigabe zahlreicher Pläne
und Abbildungen ausführlich besprochen. Die deutschen Sana¬
torien und Heilstätten werden dabei besonders eingehend berück¬
sichtigt. Das Werk verdient die sorgfältige Beachtung aller, die
sich für die Heilstättenbehandlung der Tuberkulose interessieren.
— Der Unterstützungsverein der Kuranstalt
Neu wittelsbach, der die Sammlung von Geldern bezweckt,
um minderbemittelten Kranken der gebildeten Stände die Anstalts¬
behandlung zu ermöglichen, veröffentlicht seinen 2. Rechenschafts¬
bericht. Es wurden während des Berichtsjahres 18 Kranke mit
508 Verpflegstagen, und zwar 14 Kranke mit 448 Verpflegs¬
tagen auf ganzen und 4 Kranke mit GO Verpfiegs tagen
auf halben Freiplätzen, verpflegt. Der vom Verein für den ganzen
Freiplatz vergütete Verpflegssatz (M. 5.50 im Tag) bleibt wesent¬
lich (fast um die Hälfte) hinter dem Durchschnitt der Selbstkosten
der Kuranstalt zurück. Zu ähnlichen Bedingungen hat sich auch
Herr Dr. Stammler in Brunnthal bei’eit erklärt, Ki-anke bei
sich axxfzxxnehmen. Die Einnahmen des Vereins erreichten im
Bei'iclxtsjahre die beträchtliche Höhe von M. 2812 an jährlichen
und M. 3065 an einmaligen Beitxügen, wählend das Gesamtvei--
mögen am Ende des Jahres 14 047 M. betlügt. Dem sehr segens¬
reich wirkenden Verein ist auch in der Zukunft die xegste Teil¬
nahme zu wünschen.
— Pest. Aegypten. Vom 6. bis einschl. 12. Juni 7 neue
Erkrankungen (und 1 Todesfall). — - Britisch-Ostinuien. In der
Präsidentschaft Bombay während der am 30. Mai endenden
Woche G15 Ei'krankungen (und 485 Todesfälle). — Cochinchina.
Während des Monats April sind in Hanoi mehx*ere Pestfälle vor¬
gekommen, die zu behördlichen Vorsiclitsmassregeln Anlass
gaben. Für jede getödtete Ratte wurden 4 Cents gezahlt, was
zur Folge hatte, dass in der Zeit vom 24. bis 30. April etwa G000
solcher Thiei’e eingeliefert wurden. — Kapland. Während der
beitlen am 10. und 17. Mai abgelaufenen Wochen im ganzen 3 Neu-
erkrankungen und 3 Todesfälle in Poi-t Elizabeth. — Queensland.
Während der am 10. Mai abgelaufenen Woche in Bi’isbane 9 neue
Pestei-krankungen und 4 Todesfälle.
— Pocken. Grossbritannien. Vom 3. (10.) bis einschl. 9.
(IG.) Juni wurden in London nebst Vorstädten 191 (112) neue
Pockenfälle nachgewiesen. Die Zahl der seit Beginn der Seuche
festgestellten Erkrankungen betnxg am 12. Juni insgesammt 9098;
davon haben 1536 einen tödtliclien Verlauf genommen.
— In der 24. Jatmeswoche, vom 8. bis 14. Juni 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Heidelberg mit 29,9, die geringste Schöneberg mit
7,3 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Croup in
Elberfeld.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Habilitiert: Dr. Rudolf Jürgens, Kustos am
pathologischen Institut, mit einer Antrittsvorlesung über Hämor-
rliagie des Gehirns und der Hirnhäute xind Di-, med. et phil. Adolf
Magnus-Lev y, fiiiher in Stra.ssbui-g, mit einer Vorlesung über
den Enei-gieumsatz in Krankheiten.
F r e i b u r g i. B. Der Direktor der psychiatrischen Klinik,
Prof. Dr. Hermann Emminghaus, ist auf sein Ansuchen
wegen leidender Gesundheit in den Ruhestand versetzt worden.
Strassburg. Der ausserordentliche Prof. Dr. Hoch o
hat einen Ruf als ordentlicher Professor und Diivktor der psychia¬
trischen Klinik nach Freiburg, als Nachfolger des in den Ruhe¬
stand getretenen Prof. E m m i n g h a u s, angenommen.
Bordea u x. Der Professor der Physik Di-. Bergoni e
wurde zum Professor der biologischen Physik und medizinischen
Elektrizitätslehre ernannt.
London. Major Ronald Ross wird die ihm übertragene
Stelle am Jenner Institut in London nicht antreten.
(Todesfälle.)
Dr. D li e i 1 1 y, früher Professor der medizinischen Pathologie
zu Amiens.
Di*. F. Nawrotsk y, Professor der Physiologie an der me¬
dizinischen Fakultät zu Warschau.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Vei’zogen: Augenarzt Dr. Karl Hu brich von Fürth nach
Nürnberg.
Korrespondenz.
An die Herren Fabrik- Vertrauensärzte!
Für eine Studie: „Arzt und Gewerbeaufsicht“ möchte ich gern
die Erfahrungen derjenigen Herren Kollegen verwerten, welchen
auf Grund gesetzlicher Vorschiift die einmalige bezw. periodische
Untersuchxxng der Arbeiter in Bleifarben- und Bleizuckerfabriken,
Quecksilberspiegelbelegen , Phosphoiztindlxolzfabriken , Anlagen
zur Herstellung elektrischer Akkumulatoren aus Blei oder Blei-
verbindxmgen, zur Herstellxxng von Alkalichromaten, in Zink¬
hütten, in Walz- und Hammerwerken, Glashütten, Steinkohlen-,
Zink- und Bleierzbergwerken u. dergl. übertragen ist.
Ich bitte die Hei*i*en Kollegen mir gefälligst umgehend ihre
Adresse mitteilen und möglichst alles einschlägige Material zur
Verfügung stellen zu wollen.
B e r 1 i n, den 2G. Juni 1902.
Prof. Di-. Th. Sommerfeld,
Wilsnack ersti-. 52.
Herr Pi-of. H. Freu n d - Strassburg ersucht uns um Auf¬
nahme nachstehender Berichti g u n g: In dem in No. 23 dieser
Wochenschrrift veröffentlichten Refei*at meines Vortrages „Ueber
moderne Prolapsopei-ationen“ hat der Hei-r Referent 3 verschiedene
Operationen zu einer einzigen zusammengefasst. Ich sprach in
Soden :
1. Ueber eine von mir als Kolpocystopexie bezeiclinete Opera¬
tion, die im Ablösen der Harnblase, Fixieren dei'selben im para-
kolpalen Bindegewebe und Verkürzen der Scheide besteht.
2. Ueber Modifikationen der W. A. Freund sehen Einnähung
des Fundus uteri in die Scheide.
3. Ueber die Behandlung mächtiger Eventrationen durch
Laparotomie, Ventrofixatio uteri und Ausschalten des Douglas da-
durch, dass die über das kleine Becken hinübergezogene Flexura
sigm. i-echts vom Bauchschnitt an das parietale Peritoneum an-
genälit wird.
Das wesentliche dieser Angaben findet sich im Centi-albl. für
Gynäkol. 1901, No. 18.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheitenfür München
in der 24. Jahreswoche vom 8. bis 14. Juni 1902.
Beteiligte Aerzte 141. — Brechdurchfall 17 (11*), Diphtherie u.
Kroup 5 (8), Erysipelas 8 (7), Intermittens, Neuralgia interm.
— (1), Kindbettfieber 1 ( — ), Meningitis cerebrospin. 1
Morbilli 22 (28), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 3 (1), Parotitis
epidem. 6 (5), Pneumonia crouposa 7 (15), Pyämie, Septikämie
— (— ), Rheumatismus art. ac. 17 (25), Ruhr (Dysenteria) — ( — ),
Scarlatina 7 (7), Tussis convulsiva 23 (35), Typhus abdominalis
— (4), Varicellen 11 (4), Variola, Variolois — ( — ), Influenza 4 (3),
Summa 128 (151). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 24. Jahreswoche vom 8. bis 14. Juni 1902.
Bevölkerungazahl ; 499 932.
Todesursachen : Masern 1 (4*), Scharlach — ( — ), Diphtherie
u. Kroup 2 (2), Rotlauf — (1), Kindbettfieber 1 (1), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 3 (3), Brechdurchfall 3 (6), Unterleib-Typhus 1 (2),
Keuchhusten 1 (3), Kroupöse Lungenentzündung 2 (3), Tuberkulose
a) der Lunge 26 (24), b) der übrigen Organe 7 (11), Akuter Gelenk-
rlieumatismus — (1) , Andere übertragbare Krankheiten 4 (4),
Unglücksfälle 4 (2), Selbstmord 3 (2), Tod durch fremde Hand 1 (1),
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 222 (210), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 22,8 (21,6) für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 14,5 (13,7).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle derVonvoche.
Verlag vou J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
Die Münch. Med. Wochenschr. erscheint wöohentl
in Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen.
Preis in Deutschi. u. Oest.-Ungarn vierteljährl. 6 M.,
ins Ausland 8.— M.. Einzelne No. 80 -4-
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressiren : Für die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Angerer, Ch. Bäumler, 0. Bollinger, H. Curschmann, C. Gerhardt, W. v. Leube, G. Merkel, J. v. Michel, F. Penzoldt, H. v. Banke, F. v. Winckel,
München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Berlin. Würzburg. Nürnberg Berlin Erlangen. München. München.
No. 27. 8. Juli 1902,
Redaktion : Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Ans der medizinischen Klinik zn Heidelberg.
(Dir. : Geh. Rath Prof. Dr. E r b.)
Wi dal’ sehe Serumreaktion bei Weil’ scher
Krankheit.
Von Dr. Theodor Eckardt, Assistenten der Klinik.
Als Weil im Jahre 1886 Mittheilungen brachte über einige
ihm vorgekommene Krankheitsfälle, die sein ganz besonderes
Interesse erweckt hatten, nnd die er bis dahin in ähnlicher Weise
nicht beschrieben fand, und als er dieselben im Deutschen
Archiv für klinische Medizin veröffentlichte unter dem Titel:
„lieber eine eigenthiimliche, mit Milztumor, Ikterus und
Nephritis einhergehende akute Infektionskrankheit“, kamen bald,
nachdem einmal die Aufmerksamkeit auf diesen Symptomen-
komplex gelenkt war, von verschiedenen Seiten bestätigende Mit¬
theilungen über ähnliche Beobachtungen. Etwas wesentlich
Neues hatten sie dem Symptomenkomplex nicht hinzuzufügen,
die Hauptcharakteristika dieser neuen nach Weil „W e i l’sche
Krankheit“ benannten Krankheitsform sind auch heute noch
akute Erkrankung, Fieber, oft mit initialem Schüttelfrost, rasch
bis zum verschieden hohen Eastigium ansteigend, lytischer Ab¬
fall desselben nach kurzdauernder AJcme, Leber- und Milz¬
schwellung, Ikterus verschiedenen Grades, gutartige hämor¬
rhagische Nephritis. Daneben besteht in der Regel starkes
Krankheitsgefühl, bestehen oft Gehirnerscheinungen in wech¬
selnder Intensität, meistens auch solche seitens des Darmkanals,
bestehen Glieder-, besonders Wadenschmerzen, öfters Nasenbluten.
Die Rezidive, die bei Weil in 3, oder wenn man will in allen
4 Fällen vorkamen, haben sich später als nicht absolut zum
Krankheitsbild gehörig herausgestellt. Was die Aetiologie dieser
neuen Krankheitsform betrifft, so ist die Frage nach derselben
bis heute noch nicht sicher gelöst. J ä g e r (Zeitschr. f . Hygiene,
Bd. XII) beschuldigt allgemein eine unter dem Namen Proteus
zusammengefasste pleomorphe Bakteriengruppe, während Banti
(Deutsche med. Wochenschr. 1895, No. 31) für einen einzigen
speziellen Fall von Ikterus infektiosus levis einen bestimmten
„Bacillus icterogenes capsulatus“ verantwortlich macht, der aber
nach Jäger (ebenfalls Deutsche med. Wochenschr. 1895) eben
auch nur der oben erwähnten Proteusgruppe zuzurechnen ist.
Weitere ätiologische Mittheilungen sind mir nicht bekannt, wohl
aber haben mehrere Forscher angegeben, dass sie nichts haben
bakteriologisch im Blut nachweisen können.
Es ist nun heute weder meine Absicht, die Statistik der
W e i Eschen Krankheit zu vermehren, noch auch in das Dunkel
der Aetiologie derselben klares Lieht bringen zu wollen, ich
möchte vielmehr nur eine Beobachtung veröffentlichen und der
Nachprüfung empfehlen, die ich bei einem resp. zwei Patienten
mit W e i Tscher Krankheit zu machen Gelegenheit hatte.
Am 2. Februar 1902 wurde uns in die Klinik ein 22 jähriger
Metzger L. M. eingeliefert, der seit 6 Tagen damals erkrankt war
und bis dahin in poliklinischer Behandlung gestanden hatte, und
dessen poliklinische Diagnose lautete: Ikterus iufectiosus, Weil-
sehe Krankheit'. Die Aufnahme der Anamnese ergab: Eltern und
.Geschwister gesund, Familienanamnese ohne Belang. Patient
selbst war eigentlich immer gesund, litt nur in der Schulzeit öfters
au halbseitigen, oft mit Erbrechen einhergehenden, migräne-
No. 27.
artigen Kopfschmerzen, sowie manchmal an Nasenbluten. Sonst
war er nie ernstlich krank. Am 27. Januar 1902 erkrankte er
plötzlich, nachdem er sich den ganzen Tag nicht recht wohl ge¬
fühlt hatte, am Abend mit mehrfachen Schüttelfrösten, ausge¬
sprochenem Krankheitsgefühl, Hitze und Fieber. Dabei kein Er¬
brechen, keine besonderen Kopfschmerzen, keine lokalisirbaren
Beschwerden, nur allgemeine Prostration und Appetitlosigkeit. Am
folgenden Tage ebenfalls noch Fieber, massig hoch, Krankheits¬
gefühl wie Tags zuvor, andauernde Appetitlosigkeit, Stuhlver¬
haltung, starke Wadenselnnerzen. Patient hatte nun unter gleich-
bleibenden Allgemeinerscheinungen, aber zurückgehendem Fieber
3 Tage Stuhlverhaltung, von da an regelmässigen, zunächst normal
aussehenden Stuhl, der aber vom 4. Krankheitstage an anfing,
heller zu werden, am gleichen Tage fiel ihm auch eine dunklere
Färbung des Urins auf, während er eine beginnende Gelbfärbung
der Haut erst noch einen Tag später an sich bemerkte. Die
letzten 2 Tage zuvor habe ein leichter schmerzhafter Druck iu der
Lebergegend bestanden. Da vom 4. Krankbeitstage an öfters
starkes Nasenbluten auftrat, besonders des Nachts, so dass Pat.
plötzlich in Folge dessen erwachte und dann auch anscheinend
verschlucktes Blut erbrechen musste, der übrige Gesammteindruck
der Krankheit andauernd ziemlich schwer erschien, so wurde
Patient am 7. Krankheitstage uns in die Klinik überwiesen. Poli¬
klinisch war schon am 4. Krankheitstage akute hämorrhagische
Nephritis festgestellt worden. Als Grund seiner Krankheit machte
Pat. ausser der zugegebenen Möglichkeit von Erkältungsschädlich-
keiten die Angabe, dass sein jetziger Stubenkollege erst wenige
Tage bei ihm sei, nachdem er kurz zuvor eine ähnliche, ebenfalls
mit Gelbsucht und Fieber verlaufene Krankheit überstanden ge¬
habt hätte. Auf meine Anfrage bei dem behandelnden Kollegen
von der Poliklinik erfuhr ich, dass der erwähnte Zimmergenosse
unseres jetzigen Patienten von Mitte Dezember 1901 bis gegen
Ende Januar 1902 an einer in allen Erscheinungen identischen
und in ganz analoger Weise verlaufenen, ebenfalls als Weil-
sche Krankheit gedeuteten Erkrankung poliklinisch behandelt
worden war und seit Ende Januar hei noch leichtestem Ikterus
und geringer Albuminurie, aber sonstigem Wohlbefinden die Ar¬
beit wieder aufgenommen habe. Unser Patient gab speziell an,
nie unmässig gelebt zu haben, weder im Essen noch im Trinkeu,
kein rohes oder verdorbenes Fleisch genossen, keinen Abusus iu
Tabak getrieben zu haben. Auch war er nie geschlechtlich in-
fizirt.
Der aufgenommene Status ergab nun Folgendes: Mittel¬
grosser, normal gebauter Mann in herabgekonnnenem Ernährungs¬
zustand. Gesichtsausdruck leidend, Gesichtszüge etwas verzerrt.
Augen tiefliegend, Sklerae ikterisch. Farbe der Haut und der
Mundschleimhaut ebenfalls deutlich gelb. Patient klagt über hef¬
tige Wadensehmerzen, die ihn zeitweise zu lautem Jammern ver¬
anlassen, ist indessen vollständig bei Besinnung, macht aber im
Ganzen einen verfallenen, schwerkranken Eindruck. Die Zunge
ist trocken, stark belegt, auch die Rachenschleimhaut trocken und
glänzend, dabei etwas injizirt, an hinterer Rachenwand befinden
sich kurze Streifen angetrockneten Blutes. Die Lymphdrüseu
bieten nichts Besonderes dar. Der Thorax ist normal gebaut, im
Ganzen gut gewölbt, nur die Oberschlüsselbeingruben sind leicht
eingesunken. Seine Ausdehnung ist symmetrisch. Die Lungen
geben perkutorisch und auskultatorisch normale Verhältnisse. Die
Herzgrenzen reichen von der III. — VI. Rippe, vom linken Steinal-
rand bis zur linkeu Mammillarlinie. Der Spitzenstoss befindet sieh
im V. Interkostalraum in der Mammillarlinie. Die Herztöne sind
rein, die Herzaktion regelmässig. Der Puls ist mittelkräftig,
regelmässig, ohne besonderen Charakter. Die Pulszahl 72 pro
Minute. Das Abdomen ist etwas flach, sonst gut gefüllt, gibt
überall normalen Schall. In der Lebergegend besteht eine
geringe Druckempfindlichkeit, sonst im Abdomen keine auffallende
Schmerzhaftigkeit, vor Allem kein Ileocökalschmerz. Wohl aber
lässt sich etwas Ileocökalgurren erzeugen. Auf der BauchhauL
zeiprt sich nichts Besonderes. Itie Leber ist etwas vergiösseit,
sie überschreitet den Rippenbogen nach unten in der Mammillar¬
linie ihr Rand ist palpabel, die ganze Leber ist eine Spur druck-
I
MUENCHENEE MEDlClNISClIE WOCHENSCHRIFT.
No. 21
1130
empfindlich. Iu der Gallenblasengegend ist nichts Sicheres zu
fühlen. Der Magen lässt perkutorisch und palpatorisch nichts
Abnormes oder Auffälliges erkennen. Die Milz ist erheblich ver-
grössert, ihr vorderer Rand schneidet mit dem Rippenrand ab,
sie ist deutlich palpabel. Messung der Milzdämpfung ergibt lti cm
Länge bei 10 cm Breite. Die Extremitäten sind frei von Oedemen,
auffallend nur die Druckempfindlichkeit der Waden. Was das
Nervensystem betrifft, so ist, wie erwähnt, das Sensorium frei,
die Pupillen sind gleich weit und reagiren, Motilität, Sensibilität
und Reflexe sind normal, nur die Sehnenreflexe etwas schwach.
Die Körpertemperatur ist normal. Der Urin ist dunkel, sauer,
hat ein spezifisches Gewicht von 1010, enthält Albuinen und
Gallenfarbstoff, keinen Zucker. Mikroskopisch finden sich Leukocy teil
und Erythrocyten in massiger Zahl, Fettkörnchenzellen, hyaline,
Leukocyten- und granulirte Zylinder, etwas Detritus. Alles leicht gallig
gefärbt. — Dies war der bei der Aufnahme erhobene Befund und
fassen wir denselben nochmals kurz zusammen, so finden wir bei
einem einen schwerkranken Eindruck machenden Patienten Ik¬
terus, leichten Lebertumor, Milztumor, hämorrhagische Nephritis,
etwas Cökalgurren, stark druckempfindliche Waden, stark belegte
Zunge, trockenen, mit angetrocknetem Blute besetzten Rachen,
normale Temperatur, normalen Puls, normalen Herz- und Lungen¬
befund. Dabei hören wir aber aus der Krankheitsgeschichte, dass
Patient akut erkrankt war mit initialem Schüttelfrost und Fieber,
dass das Fieber nach kurzdauernder Akme lytisch abflel, dass
Patient von vornherein einen schwerkranken Eindruck machte
und dass im Verlaufe der Krankheit öfters Nasenbluten vorhanden
war. Will man den Krankheitsfall unter eine der bekannten
Krankheitsformen rubriziren, so passt er eigentlich nur in die
Rubrik des Ikterus infectiosus, der W e i l'schen Krankheit, und
dieser haben wir den Fall auch zurechnen zu müssen geglaubt.
Dabei war es interessant, zu erfahren, dass unser Patient wenige
Tage vor Beginn seiner Erkrankung einen neuen Stubengenossen
erhalten hatte, der eben erst aus ärztlicher (poliklinischer) Be¬
handlung entlassen war und dessen Diagnose ebenfalls gelautet
hatte: Ikterus infectiosus (W e i l’sche Krankheit).
Aus dem weiteren Verlaufe unseres Falles ist nun nichts Be¬
sonderes mehr erwähnenswerth, Patient fühlte sich subjektiv
schon am zweiten Tage bei uns viel besser, machte jedoch eine
längerdauernde, aber ungestörte Rekonvaleszenz durch. Der Milz¬
tumor nahm nur langsam ab, um erst Mitte Februar normal zu
werden und von da an normal zu bleiben, der Ikterus überdauerte
denselben noch um einige Tage, bevor er deutlich anfing abzu¬
nehmen, er verschwand erst Anfang März und die Nephritis be¬
stand, allerdings in geringem Grade, fast die ganze Zeit seines
Spitalaufenthaltes hindurch. Erst zur Zeit der Entlassung ver¬
schwanden schliesslich auch Zylinder und zellige Elemente aus
dem Urin, nachdem schon eine Woche zuvor kein Eiweiss mehr
nachzuweisen gewesen war. Der Stuhl war in den ersten Tagen
bei uns bei unserem Patienten leicht diarrhoisch, sowie entspre¬
chend dem Verhalten des Ikterus mehr oder weniger entfärbt,
dann wurde derselbe fester (nach 4 Tagen), von da an aber bald
ziemlich regelmässig, um späterhin bei Verabreichung von Karls¬
bader Salz wieder etwas Neigung zu dünnerer Beschaffenheit zu
zeigen. Der Grad seiner Färbung entsprach dabei immer ziem¬
lich genau dem Verhalten der Gelbsucht.. Der Puls war immer
langsam und regelmässig, ging mit dem Grade des Ikterus vorüber¬
gehend bis auf 48 herunter und hob sich mit dem Nachlass des¬
selben wieder bis auf die normale Zahl. Späterhin, als Patient
anfing, aufzustehen, stieg die Pulsfrequenz auf 90 und 9G Schläge
in der Minute. Von Dikrotie habe ich nichts notirt. Fieber -«be¬
stand, abgesehen von leichten Steigerungen bis 37,3 in den ersten
Tagen, die ganze Zeit hindurch nicht, vor Allem kam kein Rezidiv
vor. lleocökalgurren konnte noch öfters etwas hervorgerufen
werden. Das Körpergewicht hob sich, nachdem es bis Mitte Fe¬
bruar kontinuirlich gesunken war, von da an rasch und konstant
und Patient verliess das Spital mit 2 y2 Pfund Mehrgewicht als
bei der Aufnahme. Im Ganzen machte er aber doch damals noch
einen recht mitgenommenen Eindruck, er hatte sich von der über¬
standenen Krankheit trotz Gewichtszunahme nicht sonderlich er¬
holt, wobei allerdings berücksichtigt werden muss, dass sein Auf¬
nahmegewicht jedenfalls schon beträchtlich unter dem Werthe
seines Normalgewichtes gelegen haben wird. Unsere Therapie
iiatte, nachdem wir bei der Aufnahme wegen des verfallenen Aus¬
sehens des Patienten eine Kochsalzinfusion gemacht hatten, die
dem Patienten sehr gut bekam, vornehmlich bestanden in Pflege
und Diät, innerlich gaben wir Phosphorsäure und späterhin Karls¬
bader Salz, zuletzt auch einige Kaltwasserklystiere. Am 8. März
1902 verliess Patient das Krankenhaus, objektiv gesund, aber, wie
gesagt, nicht allzu kräftig, er wollte sich zu Hause noch weiter¬
hin etwas erholen.
Was nun den Fall bemerkenswert!! macht und wesswegen ich
ihn veröffentliche, ist Folgendes: Auf Veranlassung meines
Chefs, Herrn Geh. Rath E r b, machte ich am 4. Tage seines
Spitalaufenthaltes, am 10. Tage seiner Krankheit, bei dem Pa¬
tienten die W i d a l’sche Serumprobe, und siehe, sie fiel positiv
aus, sie war sogar so stark positiv, wie man sie nicht immer bei
Typhus abdominalis findet. Die Verdünnungen 1:10, 1:50 und
1:100 waren schon nach 14 Stunde agglutinirt, die Verdünnung
1 : 1000 zeigte nach 2 Stunden ausgedehnte Agglutination. Dies
war natürlich sehr auffallend; ich wiederholte daher 2 Tage
später nochmals die W i d a l’sche Serumreaktion auch diesmal
mit dem gleichen positiven Effekt, wie das erste Mal. Da meines
Wissens bei W e i l’scher Krankheit eine W i d a l’sche Probe bis
jetzt noch nicht gemacht, resp. deren Resultat noch nicht ver¬
öffentlicht war, beschloss ich, diese Beobachtung weiter zu ver¬
folgen, und Dank dem Entgegenkommen meines poliklinischen
Kollegen Dr. Rockenbach konnte ich einige Tage später
von F. K., dem Stuben- und Arbeitskollegen unseres Patienten,
der ja kurz zuvor unter poliklinischer Behandlung eine gleiche
akute, als W e i l’sche gedeutete Krankheit überstanden hatte,
ebenfalls Blut entnehmen zur Vornahme der Reaktion bei ihm.
Auch bei ihm fiel dieselbe positiv aus, wenn auch nicht ganz so
stark wie bei unserem Patienten, sie erstreckte sich aber doch
auch bis zur Verdünnung 1:1000. Die Verdünnung 1:10 war
sofort, 1:50 nach % Stunden, 1:100 nach 1 Vz Stunden voll¬
kommen agglutinirt, die Verdünnung 1:1000 theilweise nach
2 Stunden, jedenfalls die Reaktion entschieden als positiv zu
bezeichnen. Dass in der gleichen Zeitdauer meine Typhus¬
bouillonkultur allein im hängenden Tropfen keine Veränderungen
aufwies, brauche ich wohl nicht hinzuzufügen.
Wir hatten also jetzt bei 2 Patienten mit W e i l’scher Krank¬
heit, von denen der eine mit Ikterus, leichter Leberschwellung,
Milztumor und hämorrhagischer Nephritis noch bei uns lag, der
andere zur Zeit vollkommen geheilt und arbeitsfähig war, speziell
auch nicht das Geringste mehr von Ikterus darbot, eine stark
positive Reaktion des Blutserums auf Typhusbazillen erhalten.
Ohne natürlich daraus einen Schluss zu ziehen, kam mir doch
der Gedanke, ob bei diesem augenfälligen Befunde nicht am Ende
je ein Fall von Abortivtyphus vorliege, und dann, ob vielleicht
die Komplikation mit Ikterus ganz im Beginn von einem gewissen
Einfluss auf die Abkürzung dieser Fälle gewesen sein könnte.
Ikterus ist eine sehr seltene Komplikation des Ileotyphus;
Lieber m eiste r erwähnt in seiner Arbeit über Abdominal¬
typhus (Ziemssen’s Handbuch der spez. Pathol. u. Therap.,
Bd. II, 1), dass unter 1420 Fällen des Baseler Spitals nur 26 mal
Ikterus notirt sei und dass auch Griesinger unter 600 Er¬
krankungen nur 10 mal Ikteius beobachtet habe, und Oursch-
m a n n bestätigt in seiner neuesten Arbeit über den gleichen
Gegenstand (Nothnagels spez. Pathol. u. Tlierap., Bd. III, 1)
diese Angaben, wobei er in diesen seltenen Fällen von Typhus
mit Ikterus besonders die Cholelithiasis als ätiologisches Moment
des letzteren verantwortlich machen zu dürfen glaubt. Grie¬
singer selbst hatte in seinem Werke „Infektionskrankheiten“
(Virchow’s Handbuch der spez. Pathol. u. Therap., Bd. II, 2,
1. Aufl.) bei Abtheilung Typhus auf S. 150 geschrieben : „Ikterus
ist im Ileotyphus sehr selten; wenn er vorkommt, scheint er
immer katarrhalischer Natur zu sein — es fehlt ganz an ana¬
tomischen Untersuchungen, selbst an genauen Angaben über die
Beschaffenheit der Stühle — und findet sich vorzüglich im Be¬
ginn der Krankheit neben ungewöhnlich starken gastrischen
Störungen. Es kommen Epidemien vor, wo diese Komplikation
häufiger auftritt, und derlei Epidemien scheinen früher noch
öfter beobachtet worden zu sein; denn manche der Seuchen
„biliöser Fieber“ mit Ikterus, denen man beim Studium der
älteren Epidemien begegnet, sind offenbar Ileotyphus gewesen.
Zur Vermeidung bedeutender diagnostischer Irrthümer genügt
es, dass man die Möglichkeit dieser Komplikation beim Typhus
kennt ; auf die Prognose scheint sie keinen besonderen Einfluss
zu haben.“ In der zweiten Auflage seines Werkes erweitert
Griesinger obige Ausführung, er erwähnt auch andere
Ikterusformen, darunter in der zweiten Periode des Typhus sogar
solche mit oft tödtlichem Ausgang bei grosser Prostration,
schweren Nervenerscheinungen, akuter Nephritis und Ekchy-
mosen. Fiedler endlich (Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1887/88,
Bd. 42, S. 287) führt, wenn er auch das Vorkommen von Ikterus
bei Abdominaltyphus nicht für unerhört selten hält, doch den
nie fehlenden Ikterus bei W e i l’scher Krankheit u. a. direkt als
ein gegen die Deutung dieser Krankheit als Abortivtyphus
sprechendes Moment an. Wenn also Ikterus im Verlaufe eines
Abdominaltyphus einerseits sehr selten zu sein scheint, so hat er
augenscheinlich andererseits auch in der Regel keinen besonderen
Einfluss auf den weiteren Verlauf dieser Fälle ausgeübt, wenig¬
stens finden sich darüber keine beweisenden Angaben. Trotzdem
1131
8. Juli 1902. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
möchte ich heute versuchen, darzuthun, dass eine Beeinflussung
eines eben beginnenden Typhus durch einen gleichzeitig ein¬
setzenden Ikterus als möglich denkbar wäre, jedenfalls eine solche
nicht kurzer Hand zurückgewiesen werden kann. Schon im Jahre
1897 hat Grünbaum in seiner Arbeit „Heber den Gebrauch
der agglutinirenden Wirkung von menschlichem Serum für die
Diagnose des Abdominaltyphus“ (Münch, med. Wochensclir. 1897)
erwähnt, dass das Blutserum bei Gelbsucht eine auffallend
intensive agglutinirende Wirkung auf Typhusbazillen habe, und
eigene Untersuchungen haben mir diese Thatsaclie voll und ganz
bestätigt. Während Grünbaum aber nur in bis 16 facher
Verdünnung positive Resultate bei allen darauf untersuchten
Fällen bekam, bekam ich bei meinen bis jetzt auf Zahl 8 ge¬
stiegenen Untersuchungen höhere Agglutinationswerthe, meist
einen positiven Ausfall noch in einer Verdünnung 1:100 bei
einer Zeitdauer des Versuchs von Vz — 2 Stunden. In einem Falle
war die Reaktion sogar schwach positiv nach dieser Zeit bei Ver¬
dünnung 1 : 1000, und nur ein Fäll gab mir eine nur schwach
positive Wirkung bei zweistündiger Versuchsdauer in blosser
Verdünnung 1: 50. Letzterer Versuch war bei einem karzinoma-
tösen Ikterischen (durch Operation bestätigt) unternommen, der
in seinem Ernährungszustände herabgekommen war, die übrigen
Untersuchungen erstreckten sich grösstentheils auf Ikterus in
Folge Cholelithiasis ; nur 1 Fall von Ikterus catarrhalis stand
mir zur Verfügung. In keinem einzigen dieser Fälle konnte
anamnestisch etwas, was für früher überstandenen Typhus ge¬
sprochen hätte, herausgebracht werden. Nach völlig ab¬
gelaufenem Ikterus Untersuchungen vorzunehmen, war mir bis
heute, ausgenommen unsere beiden Fälle, mit W e i l’scher
Krankheit, worauf ich zurückkommen werde, nicht möglich, die
obigen Patienten zeigten beim Verlassen des Krankenhauses
noch immer leichten Ikterus oder befinden sich zur Zeit noch bei
uns. Diese Untersuchungen wären also noch nachzuholen ; soviel
ist mir aber doch aufgefallen, dass in den stärksten und
frischesten Fällen von Ikterus bei gutem Allgemeinzustand das
Blutserum die grösste agglutinirende Eigenschaft zeigte. Wo¬
rauf die verschiedengradige Agglutinationsfähigkeit des ikte¬
rischen Blutes beruht, ist mir jetzt allerdings nicht klar, dazu
bedarf es weiterer Untersuchungen, die Verhältnisse liegen dabei
nicht so einfach. Weder Leichengalle, noch Galle aus einer
Gallenblasenfistel übten einen nennenswerthen Einfluss auf
Typhusbazillen aus, dieselben waren nach 2 Stunden noch ebenso
mobil wie zu Anfang; aber doch beweist dies noch nichts gegen
die Annahme einer Wirkung der ikterischen Eigenschaft dieser
Blutsera, denn der Uebertritt von Galle in’s Blut ist ja sicher
Anlass zu Spaltungen, neuen Bindungen und Verbindungen
zwischen beiden, ja könnte ganz gut auch Veranlassung werden
zur Bildung von Schutzstoffen. Ganz interessant ist jedenfalls
der oben erwähnte Fall einer wegen Gallensteinen operirten Pa¬
tientin mit einer Gallenblasenfistel, bei welcher, während die reine
Galle aus ihrer Fistel nicht agglutinirte, doch das Serum, obwohl
die Patientin ihres Wissens nie einen Typhus durchgemacht
hatte, noch in Verdünnung 1:100 einen entschieden als positiv
zu bezeichnenden agglutinirenden Einfluss auf Typhusbazillen
ausübte. Anerkennt man aber, dass das Blutserum bei Ikterischen
eine mehr oder weniger agglutinirende Eigenschaft auf Typhus¬
bazillen annimmt, so ist es kein grosser Schritt weiter, auch die
Vermuthung zuzulassen, dass diese agglutinirende Eigenschaft
auch im menschlichen Organismus vor sich gehe, dass also nun
auch in die Blutbahn hineingelangende oder soeben eingedrungene
Typhusbazillen agglutinirt und abgetödtet werden und dass auch
eine von solchem Blute durchflossene Darmschleimhaut wohl
weniger Tendenz habe, zu erkranken. Und wenn auch der Ikterus
erst am 3. oder 4. Tage der Erkrankung deutlich in Erscheinung
tritt, was ja für unsere Patienten und die meisten Fälle Weil-
scher Krankheit zutrifft, so ist es wohl nicht zu kühn, daraus die
Annahme herzuleiten, dass er schon beim Einsetzen der ersten
Krankheitserscheinungen begonnen habe, sich zn entwickeln,
dass also sehr wohl vom ersten Krankheitstage an schon eine
Einwirkung des Blutserums auf eventuelle Typhusbazillen in
obigem Sinne möglich gewesen sei. In weitere theoretische Spe¬
kulationen mich einzulassen, muss ich mir versagen. Wohin
obige Ausführungen zielen, ist wohl klar; es handelt sich um
die Deutung unserer beiden als W e i l’sche Krankheit ange¬
sehenen Fälle angesichts der auffallenden Agglutinationsfähig¬
keit ihres Blutserums. Dass bei einer Auffassung derselben als
Abortivtyphen mit Ikterus und Nephritis vor Allem der Ikterus
keine Erklärung gefunden hätte, sondern dass für diesen andere
Gründe gesucht werden müssten, wie etwa bestimmte Lokalisation
der Krankheitserreger, Mischinfektion, Aufnahme toxischer Pro¬
dukte etc., verhehle ich mir nicht, ebenso wenig dass man ein¬
wenden könnte, die Frage eines Typhus abdominalis brauche ja
überhaupt nicht herangezogen zu werden, wenn nicht sonst vieles
Andere an einen solchen denken lasse, indem doch der Umstand,
dass das Blutserum bei Ikterischen einen agglutinirenden Ein¬
fluss auf Typhusbazillen annehme, wenn er allgemein zutreffen
sollte, allgemein genügen könne zur Erklärung obiger Beob¬
achtung. Aber einmal habe ich bis jetzt keine so starke Agglu¬
tination bei einfach Ikterischen beobachtet wie in den beiden
Fällen W e i l’scher Krankheit, wo doch der Versuch noch deutlich
positiv ausfiel bei der Verdünnung 1:1000, und dann ferner
hatte ja der zweite Patient bei der Vornahme der Serumprobe
gar keinen Ikterus mehr. Auch bei unserem Kranken, kann ich
gleich hinzufügen, behielt das Blutserum seine agglutinirende
Eigenschaft, selbst nachdem der Ikterus schon abgelaufen war,
denn eine am Tage der Entlassung des Patienten veranstaltete
diesbezügliche Untersuchung wurde ebenso positiv wie die beiden
ersten Male. Und diese letztere Thatsaclie, dass bei beiden
Kranken die agglutinirende Eigenschaft des Blutserums den
Ikterus überdauerte, ist doch ein nicht zu unterschätzendes Mo¬
ment, sie weist uns für unsere beiden, klinisch als W e i l’sche
Krankheit imponirenden Fälle doch sehr auf Typhen hin. Wie
sich in dieser Beziehung weitere Fälle W e i l’scher Krankheit
verhalten, muss die Zukunft entscheiden; ich möchte nun nur
noch kurz die Frage berühren, ob bei unserem Patienten und
überhaupt im Bilde der W e i l’schen Krankheit Züge des Ab¬
dominaltyphus Vorkommen. Diese beiden Fragen lassen sich zu¬
sammen und kurz beantworten und doch wohl nur in bejahendem
Sinne. Schon Weil hat in seiner Originalmittheilung 1886
(1. c. S. 231) ausgesprochen, dass es sehr wohl möglich sei, dass
es sich in seinen Fällen um Abdominaltyphus mit Ikterus und
Nephritis gehandelt haben könne und dass ebenso wenig bewiesen
wie widerlegt werden könne, dass keine Abortivtyphen vor¬
lägen. Fiedler hat im folgenden J ahre (1. c. S. 287) unter
voller Anerkennung, dass es sich nur entweder um einen Morbus
sui generis oder eine besondere Art von Typhus abdominalis ab-
ortivus handeln könne, diesen Gegenbeweis, dass die W e i l’sche
Krankheit nicht eine besondere Form von Abortivtyphus dar¬
stelle, angetreten, hat ihn auch mit einer grossen Reihe von
Gründen unterstützt, gelungen ist ihm aber der Beweis nicht
und wird auch nicht gelingen, so lange nicht das sichere ätio¬
logische Moment für die W e i l’sche Krankheit selbst unzweifel¬
haft aufgefunden ist. Entkräften kann man F i e d 1 e r’s Gründe
nicht, aber er hat auch die Punkte, die Weil für die Möglich¬
keit des Vorliegens von Abortivtyphen anführt, durchaus nicht
widerlegt, und diese letzteren Punkte lassen sich noch um einige
vermehren. Sehr wohl könnte der akute Beginn und die Art
des Ablaufs, der ganze schwere Gesammteindru^k, die Trocken¬
heit der Schleimhäute, der oft staffelförmige Fieberabfall, ja
die ganze Temperaturkurve einem abortiven Typhus abdominalis
entsprechen, gar nicht zu reden von dem in den allermeisten
Fällen nachgewiesenen Milztumor, den zerebralen, gastrischen
und intestinalen Erscheinungen, den Rückfällen. Selbst Roseola
wurde beobachtet. Auch einem in der ersten Krankheitswoche
auftretenden wiederholten Nasenbluten hat man früher oft einen
gewissen differentialdiagnostischen Werth für Typhus beigelegt.
Endlich sind die oft lange dauernde Rekonvaleszenz, die nur
langsame Wiedergewinnung der Kräfte und die zuweilen bedeu¬
tende Gewichtsabnahme bei einer Reihe von Fällen W e i l’scher
Krankheit doch auch Faktoren, denen wir gleich regelmässig nur
bei ausgeprägten Fällen von Typhus abdominalis begegnen. Nur
der konstant vorhandene Ikterus und die ausgeprägte Nephritis
passen, wie gesagt, nicht zum sonstigen Bilde des Abortivtyphus,
aber warum nicht dafür nach anderen Gründen suchen, wenn
das Uebrige stimmen kann. Vielleicht kommen wir so einen
Schritt weiter, nachdem wir sonst heute noch auf dem gleichen
Standpunkt stehen, den schon Weil 1886 bei der ersten Ver¬
öffentlichung über diesen Gegenstand eingenommen hat, dass
wir nämlich weder beweisen noch widerlegen können, dass keine
Abortivtyphen vorliegen. Jedenfalls ist Typhus abdominalis
1*
1 132
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
überall da endemisch, wo Fälle W e i l’scher Krankheit beob¬
achtet wurden, und die H a a s’schen Mittheilungen (Prager med.
Wochensehr. 1887, No. 39 u. 40) von einem gesteigerten Vor¬
kommen von Erkrankungen unter dem W e i l’schen Symptomen-
komplex gleichzeitig mit dem Anschwellen einer Typhusepidemie
und einer gesteigerten Zahl gewöhnlicher Abortivtyphen sind
doch zu interessant, als dass sie gänzlich ausser Acht gelassen
werden dürften. Auch W e i s s beobachtete nach Fiedler
ein kumulirtes Auftreten. Dass in den mitgetheilten Sektions¬
berichten, von denen man aber bei einzelnen sehr im Zweifel
sein muss, ob die zu Grunde liegende Krankheit wirklich die sog.
W e i fische war, die charakteristischen makroskopischen Darm¬
veränderungen des Typhus abdominalis vermisst wurden, bildet
keinen strikten Gegenbeweis gegen die Möglichkeit, dass dennoch
Abortivtyphen vorliegen, denn dieses Fehlen jener könnte
sehr wohl seine Erklärung finden in dem abortiven Ablaufe der
Krankheit, da es doch keinem Zweifel unterliegen kann, dass
ausser der gewöhnlichen Reihenfolge der Darm Veränderungen,
wie markige Infiltration, Verschorfung, Geschwürsbildung etc.,
in den ersten Stadien auch eine Restitutio ad integrum eintreten
kann. Wollten wir auch heranziehen, was Griesinger
schreibt über den Leichenbefund beim biliösen Typhoid (Vir-
chow’s Ilandb. d. spez. Path. u. Ther., 1. Aufl., II., 2., S. 213),
für dessen Identität mit W e i l’scher Krankheit Fiedler in
seiner zweiten Arbeit über die letztere (Deutsch. Arch. f. klin.
Med. 1892, Bd. 50) sich ja sehr ausspricht, so konnte dies nur
eine Stütze sein für obige Ausführungen, denn Griesinger
schreibt (1. c. S. 215) am Schlüsse resümirend Folgendes : „Für
die pathologische Gesammtauffassung des biliösen Typhoids ist die
eigenthümliche Infiltration der M a 1 p i g h fischen Milzbläschen
das Wichtigste. Mit ihr schliesst sich die Krankheit unmittelbar
an den Ileotyphus an, wo die anatomisch-physiologisch identi¬
schen Apparate, die Follikel der Peyer’schen Drüsen, infil-
trirt werden. Ueberhaupt bietet der Prozess auch sonst, in der
häufigen und starken Miterkrankung der Mesenterial- und son¬
stigen abdominalen Lymphdrüsen und dem nicht seltenen Vor¬
kommen des Larynxgeschwiirs mancherlei nahe Analogien mit
dem Ileotyphus.“
Ich will und muss mich mit diesen Ausführungen begnügen;
dieselben sollen und können ja, wie schon Anfangs gesagt, nichts
Abschliessendes enthalten, ihr Hauptzweck soll nur sein, die
Beobachtung einer ganz auffallend stark agglutinirenden Wir¬
kung des Blutserums bei zwei klinisch als W e i fische Krankheit
imponirenden und ganz im Charakter dieser Erkrankung ver¬
laufenden Fällen und zwar sowohl während ihrer Dauer als auch
nach ihrem Ablauf bekannt zu geben, der Nachprüfung und wei¬
terem Nachdenken zu empfehlen.
Zum Schluss ist es mir noch eine angenehme Pflicht, meinem
verehrten Lehrer und Chef, Herrn Geh. -Rath E r b, für die An¬
regung zu dieser Arbeit und sein Interesse an derselben meinen
verbindlichsten Dank auszusprechen.
Aus der medizinischen Klinik zu Leipzig.
Ueber den Intentionskrampf der Sprache, die sogen.
Aphthongie.*)
Von Dr. H. Steiner t, Assistenten der Klinik.
Eine in ihrer Eigenart recht interessante, nicht häufige und
wenig bekannte Sprachstörung rechtfertig! die Mitteilung fol¬
gender Krankengeschichte. Ich schicke die allgemeinen Daten
voraus.
Der 44 jährige Uhrmacher W. K. weiss über seine Familie
nichts Bestimmtes anzugeben. Im .Jahre 187G hat. ihm ein Unter¬
schenkel Avegen „Knoclienfrasses“ amputiert werden müssen. Im
Jahre 1901 ist IC. wegen linksseitigen Pleuraempyems in der medi¬
zinischen Klinik behandelt und durch Heberdrainage völlig ge¬
heilt worden. Nach seiner Entlassung im September hat er einen
aussichtsarmen Kampf zur Verbesserung seiner traurigen sozialen
Verhältnisse führen müssen. W ährend dieser Zeit ist
eine Art von Stottern, wie er sich ausdrückt, zu m
ersten Male bei i h in auf getreten. 'Wenn er Ruhe
hatte, schwand es, wenn er zu sorgen hatte, kam es Avieder. Auf
dem Bahnhofe hat ihn einmal ein Weinkrampf befallen. Weiter
klagt Pat., dass er gedankenschAvach geworden sei.
*) Nach einem am 11. III. 1902 in der Medizinischen Gesell¬
schaft zu Leipzig gehaltenen Vortrage.
Vom 22. I. bis 14. III. 1902 Avurde er wiederum in der medi¬
zinischen Klinik beobachtet. Die inneren Organe des gut ge¬
nährten Kranken sind frei von envähnenswerten Anomalien. Da¬
gegen ist er sehr gedächtnisschwach, Aveiss Aveder Datum noch
Wochentag, schAvankt sogar, ob wir Januar oder Februar schreiben.
Er lässt alle Dinge aus Vergesslichkeit herumliegen, vergisst
kleine Aufträge sehr rasch. Seine gemütliche Erregbarkeit ist
gering, seine Stimmung überschreitet trotz allem Anlasse zu
schwerer Sorge kaum die Gleichgewichtslage. Die rechte Pupille
ist, wie schon im Vorjahre konstatiert wurde, Aveiter als die linke,
die Mimik ist äusserst träge, der Gesichtsausdruck stereotyp.
Andere Zeichen einer organischen Nervenkrankheit fehlen. Da¬
gegen bietet Pat. pathognomonisclie Symptome der Hysterie. Bei
raschem, brüsken Druck in die rechte sog. 0\'ariegegend und in
die rechte Inguinalbeuge schreit er auf, wirft sich auf die rechte
Seite, atmet schwer, die Gesichts,- Hals- und Brusthaut rötet sich,
es tritt ein mittelgrosschlägiger Schütteltremor aller 4 Extremi¬
täten ein. Der Zustand löst sich erst nach Aussetzen des Druckes.
Aehnliche Anfälle eines tremorartigen klonischen Krampfes des
ganzen Körpers traten auch spontan auf. Auch ein typischer
Weinkrampf wurde bei dem Pat. beobachtet. Einmal klagte er
über Kältegefühl in der rechten Gesichtshälfte: Es fand sich eine
vorübergehnde Hypästhesie für feine Berührungen in dieser Haut¬
region. Weitere hysterische Stigmata Avaren nicht nachzuweisen.
Die Sprachstörung nun äusserte sich in
folgender Weise: Wenn der Kranke sprechen wollte, so
Avurde die Ausführung dieser Absicht meist durch den Eintritt
eines eigentümlichen Krampfes völlig verhindert, nach dessen
Ablauf erst der Sprechakt vonstatten ging. Der Kranke ver¬
mochte zuerst nicht einen Laut hervorzubringen, ja nicht einmal
die zur Bildung desselben nötigen Bewegungen zu beginnen. An
ihre Stelle traten in regelmässigem Zusammenspiel bestimmte,
völlig andere, selbständige, un willkürliche Kontraktionen, be¬
sonders in Muskelgruppen, die bei dem Sprechakt unmittelbar
oder mittelbar beteiligt sind. Pat. entblösste die Zähne, leicht
durch Zurückziehen der Lippen, zog die Brauen hoch, öffnete
die Augen Aveit, seltener kniff er sie zu, die Bulbi drehte er nach
einer Seite oder nach oben. Der Kopf wurde stark gegen die
Brust gebeugt, auch leicht gedreht, Avobei die . Sternokleido-
mastoidei sich aufs äusserste spannten, die Muskulatur des
Mundbodens wurde bretthart und zeigte häufig ein klonisches
Aufundniederstedgen, Aviihrend der Kehlkopf sich ebenfalls hob
und senkte. Das Platysma spannte sich an, der Omohyoideus
sprang einigemal in kurzablaufenden klonischen Kontraktionen
vor. Durch eine Zahnlücke des Kranken liess sich beobachten,
wie die Zunge sich bald drehte, bald an die Zähne oder den
harten Gaumen presste, bald kräftig ins Innere der Mundhöhle
zurückgezogen wurde. Der Kranke gab in der anfallsfreien Zeit
an, dass es ihm oft die Zunge nach hinten ziehe und dadurch
den Atem versetze. Auch schnalzende Laute beAviesen hie und
da die Beteiligung der Zunge an dem Krampfvorgange. Sie liess
sich auch gut demonstrieren, wenn der Pat. bei passiv durchs
Heister sehe Spekulum geöffnetem Munde die Sprech¬
in tention fasste. An der Atembehinderung Avährend des Anfalles
war übrigens auch die Spannung der eigentlichen Atemmusku¬
latur beteiligt, die Atmung war während des Anfalles regelmässig
sistiert, die Atempause wurde höchstens durch vereinzelte kurze
Atemzüge unterbrochen.
In besonders schweren Fällen ergriff der Krampfzustand
fast die gesamte Körpermuskulatur, jeder Muskel Avar gespannt,
die Fäuste geballt, die Arme und Beine machten kurze, atypische
Bewegungen.
Diese' Schilderung versucht zugleich zu zeigen, in welcher
Reihenfolge etwa der Krampf die verschiedenen Muskelgruppen
befiel. Der Grad der Generalisation dieses Krampfes war nun
ebenso wechselnd Avie seine Dauer. Breitete er sich weit aus,
dauerte er eine Minute oder länger, so explodierte der Kranke
am Ende oft mit der tadellosen Aussprache eines ganzen Satzes.
Der Krampf schien eine geAvisse Erschöpfbarkeit zu zeigen.
Nach schweren und gehäuften Anfällen Avurde vielfach eine
längere Weile ohne Beschwerde gesprochen. In anderen Fällen
folgten sich leichteste, nur sekundenlange, manchmal fast nur
in momentaner I Unterbrechung der Atmung bestehende Krampf -
zustände so rasch, dass der Satz, den der Kranke sprach, in
lauter einzelne, durch ganz kurze Krampfpausen getrennte
Silben zerhackt Avurde. Dann hatte die Affektion eine entschie¬
dene, wenn auch nur äusserliche Aehnlichkeit mit dem Stottern.
Dieser zweite Typus konnte durch viele Stunden festgehalten
8. Juli 1902.
werden. Zwischen den Extremen kamen in raschem Wechsel
alle Uebergänge vor.
Die Intention des Spontan- und des Nachsprechens wirkte in
gleicher Weise krampfauslösend. Gab man dem Pat. ein Wort
auf, das, wie „Paul“, mit einem harten, einen energischen Im¬
puls erfordernden Buchstaben beginnt, so zeigte sich vielfach
ein ausgedehnterer Krampf, als wenn etwa „Birne“ gesagt werden
sollte. Das Singen fiel dem Kranken nicht leichter als das
Sprechen.
Der charakteristische Gesichtsausdruck während des
Krampfs ist auf den beigegebenen Momentbildern gut zu er¬
kennen. Links oben sieht man das Gesicht K.s in Ruhe.
Die wichtigsten Züge, die den Symptomen-
komplex dieses Krampf Vorgangs als durchajus
eigenartig- kennzeichnen, sind folgende. Der
Krampf tritt nie spontan auf, er befällt niemals nur einzelne, be¬
stimmte Muskeln. Es handelt sich vielmehr um einen Be¬
wegungsvorgang von typischem Ablauf, in dessen jeder Phase 1
zahlreiche Muskeln koordina torisch Zusammenwirken. Von dem
isolierten Muskelkrampf hebt sich unser Fall somit scharf ab.
Die Neigung zur Generalisation, zum Ergreifen immer
weiterer Muskelgruppen fügt zu der schon oben genannten eine
weitere Aehnlichkeit mit dem von Mitbewegungen begleiteten
Stottern. Dass diese nur eine äusserliche bleibt, zeigt uns der
folgende, der charakteristischste Zug unserer Krampfform.
Es handelt sich um einen exquisiten Intentionskrampf.
Wenn der Kranke sprechen will, ehe er noch in die Bildung des
ersten Lautes cintritt, wird er von dem Krampfe befallen, der
bald leicht, bald schwer, bald mehr, bald minder sich ausbreitend,
aber doch immer in derselben Form sich abspielt.
Ganz anders beim Stotternden. Bei ihm tritt der Krampf
erst auf, wenn die Artikulation des Lautes bereits begonnen hat,
er unterbricht zeitweise den Artikulationsvorgang und verzögert
nicht sein Eintreten, sondern seine normale Abwicklung. Die
Form des Krampfes ist wiederum im Gegensatz zu unserem Falle
eine je nach dem auszusprechenden Buchstaben wechselnde, sic
schliesst sich bekanntlich dem eben ablaufenden Lautbildungs¬
prozess eng an und ist demnach in ihren wesentlichen Teilen
eine ganz andere, wenn vielleicht p oder a, als wenn t oder w ge¬
sprochen werden.
Nebenbei sei erwähnt, dass der Stotternde beim p weniger
Beschwerden zu haben pflegt als beim b. Unseren Kranken
brachte die Absicht, die zu einem p nüthige grössere Energie auf¬
zubringen, auch zu stärkerem Krämpfen.
No. 27.
1133
Auch den Beschäftigungsneurosen gegenüber darf für den
Intentionskrampf wohl eine selbständige Stellung in Anspruch
genommen werden.
Der koordinatorische Intentionskrampf der Sprache — die
Bezeichnung artikulatorischer Zungenkrampf [Bernhardt1)]
ist besonders wegen der Differentialdiagnose gegen Stottern
missverständlich — ist denn auch als Symptomenkomplex sui
generis in die Literatur übergegangen und von Eleury2) als
Aphthongie bezeichnet worden. Was an Tatsachenmaterial sich
findet, ist äusserst spärlich. Bernhardt (1. c.) hat die Orte
angeführt. Die deutsche Literatur, soweit sie leicht zugänglich
ist, enthält ausserhalb der Lehrbücher so gut wie nichts. Sie
pflegen die Aphthongie unter den Krämpfen des Ilypoglossus-
gebiets abzuhandeln. Dass diese nicht im Vordergründe des Bildes
zu stehen brauchen, zeigt unser Fall. Bei dem Patienten S a r -
b 6 s s) hat es sich, soweit man nach dem Referat urteilen kann,
nicht um Aphthongie, sondern um Stottern mit ausgedehnten
Mitbewegungen gehandelt.
Aetiolo gisch hat man in den Fällen der Literatur auf
Kummer und Sorgen vielfach hingewiesen. Bei unserem Kran¬
ken ist an die allerdings wohl nur äusserlieh empfundene Un¬
ruhe zu erinnern, die ihm seine traurige soziale Lage bereitete.
Die Hysterie ist vielleicht nur als ein der Aphthongie bei geordne¬
tes Leiden anzusprechen. Wenigstens ist meines Wissens die
Aphthongie bisher als Teilerscheinung der Hysterie nicht be¬
obachtet worden. Dass eine fortschreitende geistige Schwäche
bei unserem Kranken den Mutterboden für beide Affektionen ab¬
gegeben hat, ist nicht von der Hand zu weisen. „Reflexursachen“
im Bereich des Schlundes liess unser Patient nicht erkennen.
In der Ruhe der Krankenhausbehandlung schwanden die
Krampferscheinungen bis auf einen geringen Rest. Als mit
der Entlassung die Unbilden des Lebens von neuem drohten,
kehrte der Krampf mit alter Heftigkeit wieder. Die Suggestion
kann von hervorragendem Einflüsse auf die Krampf erschei-
nungen sein. In einem früher in der Poliklinik des Herrn
Prof. Seeligmüller zu Halle beobachteten Falle eines
jungen Landwirts J) konnte Verfasser häufig einen frappanten,
leider nicht nachhaltigen Erfolg einer stabilen Anodengalvani¬
sation der Wirbelsäule beobachten. Eine organische Wirkung
darf in diesem Falle der Behandlungsmethode wohl nicht zu¬
geschrieben werden.
Aus der Klinik des Geh. Ilofraths Prof. Dr. Scliinzinger
im St. Josefs-Krankenliause Freiburg i/B.
Morphin-Scopolamin-Narkose.
Von Dr. B. Kor ff.
In No. 29 der Münch, med. Wochenschr. 1901 machte ich
Mittheilungen über eine ursprünglich von Dr. Schneider-
lin in No. 10 der Aerztl. Mittheil, aus u. für Baden, 31. Mai
1900, angegebenen Narkose für operative Eingriffe, die Narkose
mit Morplnn-Scopolamin hydrobrom. Merck. Weitere Versuche,
die bei der ungenauen wechselnden Dosirung des vielleicht aueli
nicht immer ganz konstanten Präparates anderen Versuchern
zweifelhafte Resultate ergaben, haben zu einer Diskreditirung der
kaum eingeführten Methode geführt. Nach meiner Ansicht und
nach den Resultaten, die wir mit der Narkose gewonnen haben,
mit Unrecht. Ich will, wie schon früher, statt langer Er¬
wägungen Resultate sprechen lassen. Vorher einige Bemer¬
kungen. Erwähnen will ich zunächst, dass nach Erkundigungen,
die bei der das Präparat herstellenden Firma Merck eingezogen
’) Erkrankungen der peripheren Nerven, Bd. II, 1897, pag. 78
u. 82.
'-) Gaz. liebd. 1805, No. 15. Zit. bei Bernhard t.
*) Demonstration in der Sitzung der neurologischen Sektion
des k. Ungar. Aerztevereins in Ofen-Pest vom 4. Nov. 1890. Ref.
Neurol. Zentralbl. 1897, p. 138.
‘) Bei diesem Kranken, dessen Vater durch eine eigentümlich
stockende Sprache und Schielen stuf fiel, bestand die Aphthongie
seit einer mit Krämpfen verlaufenen Krankheit des 4. Lebens¬
jahres. Seit dieser Aff'ektion war Pat. in der geistigen Entwick¬
lung zurückgeblieben. Er schielte, hatte stark geschlängelte,
sichtbar pulsierende Temporalarterien, einen Arcus corneae, wie er
sich bei Greisen findet, und hypertrophische Gaumenmandeln.
Psychische Erregung erschwerte das Sprechen; Vorlesen und
Singen fielen leichter als Spontansprechen.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2
1134
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
wurden, seit meiner Veröffentlichung keine Arbeit über das Sco-
polainin erschienen ist, die der Wirkungsweise des Präparates
etwas Neues hinzugefügt. Was bisher über das Scopolamin be¬
kannt wurde, kam wesentlich von Augen- und Irrenärzten. Und
doch dürften die folgenden Veröffentlichungen dazu drängen,
das Präparat auf seine physiologischen Wirkungen und seine
Eigenschaften genauer zu untersuchen, da Mancher sich dadurch,
dass unsere Ivenntniss über das Scopolamin so gering ist, ab¬
halten lässt, Versuche damit anzustellen. Immerhin ist diese Er¬
wägung grösstentheils hinfällig, da die von uns angewandte
Menge die von irrenärztlicher Seite empfohlene Dosis (0,002 Sco¬
polamin als Einzeldosis — • Beler-Szalay) nicht erreicht.
Zudem wirken Scopolamin und Morphin, wie früher hervor¬
gehoben, als Antagonisten. Die Vorsichtsmaassregel, zwecks
Narkose lieber geringere Dosen anzuwenden und, wenn keine
genügende Wirkung eintrat, Chloroform weiterzugeben, wenig
zwar, schätzungsweise oft nur 1/s bis 1/10 der sonst gebrauchten
Menge, machte die Methode auch nicht gerade handlicher. Wie
meine weiteren Ausführungen darlegen, sind wir in den zuletzt
operirten Fällen nicht mehr zur Anwendung von Chloroform ge¬
schritten, seitdem wir eine bestimmte Grenze der Dosirung ein¬
gehalten haben. Sollte es aber auch einmal ausnahmsweise nöthig
werden, Chloroform nachzugeben, so hat sich auch bei den seit
der letzten Veröffentlichung operirten Fällen kein Nachtheil für
die Patienten ergeben. Ungünstige Resultate sind in bisher
130 Fällen nie auf getreten. Die Nebenerscheinungen an den
Augen und am Gefässapparat gingen bald ohne Störungen vor¬
über. Es zeigte sich bei sonst ruhiger Herzaktion eine starke Ge-
fässerweiterung im Karotidengebiet. Stärkere Blutungen und
Erweiterungen in anderen Gefässgebieten sind, namentlich auch
bei Bauchoperationen, nicht aufgetreten. Bei Kropfoperationen
würden wir es nicht mehr anwenden. Dieselben machen wir ohne
allgemeine Narkose. Am wohlthuendsten trat das Fehlen aller
Übeln Nachwirkungen, anderen Narkosen gegenüber, hervor. An
Stelle der Malaise, des starken Brechreizes, des Brechens und
Würgens, der Schmerzen, eine wohlthuende Ruhe, ein oft viele
Stunden ausgedehnter tiefer Schlaf. Wie oft ist namentlich bei
Operationen an Brust- und Bauchhöhle durch Brechen und
Würgen schwere Schädigung entstanden und der Patient durch
Nachblutungen, Zerren und Durchschneiden der Suturen ernst¬
lich gefährdet worden. Dieser Umstand sollte namentlich auch
die Gynäkologen veranlassen, der Narkose näherzutreten und die¬
selbe auf ihren Werth zu untersuchen. Ein Uebelstand war bis¬
her die ungewisse Dosirung. Ich bin nach vielem Probiren zu
einer Anwendungsweise und Dosirung übergegangen, die ich
vorderhand als die beste bezeichne, jedenfalls als eine bezeichnen
kann, die uns brillante Resultate ergeben hat. 4 Stunden vor
der Operation wird, nachdem Va Stunde vorher ein flüssiges Früh¬
stück gereicht, eine erste Einspritzung gemacht von 0,01 Mor¬
phin und 0,0012 Scopolamin; nach 2 Stunden eine zweite,
% Stunde vor der Operation eine dritte Injektion gleicher Stärke.
Bei einigen Operationen, wie Herniotomien etc., kürzerer Dauer
wurde die erste Injektion 2 Stunden, die zweite V2 Stunde vor
der Operation gemacht. Auf Zurücksinken der Zunge muss, wie
schon früher betont, als Athmungshindemiss geachtet werden.
Einmal trat bei sehr heruntergekommener Patientin nach der
ersten Injektion Herzschwäche auf. 2 Kamphorinjektionen ge¬
nügten, es wurde mit der zweiten und dritten Injektion wie ge¬
wöhnlich fortgefahren, ohne dass weitere bedrohliche Erschei¬
nungen auf traten. Der Assistent, der ausschliesslich der Narkose
vorsteht, wird frei, ein nicht zu unterschätzender Umstand. Ich
lasse nun die kurze Beschreibung der letzten 15 Fälle folgen,
die nach dieser Methode ohne Chloroform und Aether operirt
wurden. Ein ungünstiger Fall ist uns nicht vorgekommen. In
zwei Fällen waren die Patienten früher wegen anderer Erkran¬
kungen chloroformirt worden, beide Patienten hatten schwer
unter der Nachwirkung zu leiden gehabt, mehrtägiges Uebel-
befinden und Erbrechen. Diese sowohl wie alle anderen äusserten
sich höchst günstig über die Methode. Eiweiss oder Zucker¬
ausscheidungen sind nach der Anwendung nicht beobachtet
worden.
Maria St, 23 Jahre. Op. 15. X. 1901. Hernia inguin. ext. sin.
Vor einem halben Jahre auswärts operirt, Hernia wiedergekehrt.
Radikaloperatiou nach B a s s i n i. 2 Injektionen. Lokal Aether-
spray. Nach 3 Stunden Schlaf, Nahrungsaufnahme. Heilung p. p.
Frau Anna M., 24 Jahre. Op. 11. 111. 1902. Entfernung eines
hühnereigrossen Packetes tuberkulöser Drüsen reg. inguinal, dextr.
I*at., die einestheils sehr schmerzempfindlich, auf der anderen Seite
grosse Angst vor Chloroform hatte, verweigerte auf das Be¬
stimmteste jede Aether- oder Chloroformnarkose. 2 Injektionen
und lokal Aetherspray genügten, die nicht ganz einfach zu lösende
Geschwulst zu entfernen. 5 Stunden Schlaf, Nahrungsaufnahme,
kein Erbrechen. Heilung p. p.
Schwester Pli., 25 Jahre. Hernia inguinal, ext. sin. Op.
IS. V. 1902 mit Verlagerung nach Kocher. 3 Injektionen. Hei¬
lung p. p. Kein Erbrechen.
Luise W., 39 Jahre. Op. 11. III. Hernia ventralis regiou.
iliac. dextr. Pat. hatte vor 16 Jahren wegen Knochenneubildung
an der Innenseite der rechten Darmbeinschaufel eine grössere
Operation durchgemacht. Die Operation gelang gut, später bildete
sich durch Zerrung und Nachgeben der Bauchwand eine Hernie,
die der Pat. grosse Beschwerden und Schmerzen macht. Bei der
Operation zeigten sich starke Netzverwachsungen. Abtragen der
adhärenten Netzpartien, Anfrischung der Ränder. Zur Sicherung
der stark gespannten Naht Anlegen von 3 Silberdrathsuturen.
Bei dieser Operation kam es wesentlich darauf an, dass Erbrechen
nach der Operation vermieden wurde, da sonst grosse Gefahr be¬
stand, dass die Nähte bei starkem Druck der Bauchpresse durch-
reissen würden, da der rechte Pfeiler der Wunde direkt an die
Darmbeinschaufel grenzte und aus altem Narbengewebe bestand.
Tadelloser Verlauf nach der Operation. 4 Stunden fesfer Schlaf,
kein Erbrechen, während bei der früheren Operation unter Chloro¬
form starke Brechbeschwerden aufgetreten waren. 3 Injektionen.
Viktor T., 28 Jahre. Op. 4. IV. 1902. Appendizitis. Ein An¬
fall vor 10 Jahren, ein zweiter vor 4 Wochen. Direkt nach voll¬
ständigem Ablauf dieses Operation. Appendix nach hinten oben
durch alte Verwachsungen fest verlöthet. In einer Tasche einer
Verwachsung 2 bohnengrosse Kothsteine. 3 Injektionen. Etwas
Brechneigung vorübergehend am 2. Tage. Tadelloser Verlauf.
Heilung per primam.
Weibl. Patient, 24 Jahre. Vor 9 Monaten schwere Perityphlitis
acutissima, ausser dem Hospital inzidirt wegen Indicatio vitalis,
c*a. 1 Liter Eiter entfernt. Die Wunde schien sich zu schliessen,
doch bald neue Abszedirung, abermalige Eröffnung, im Laufe der
nächsten Monate zahlreiche Senkungsabszesse und metastatische
Abszesse bis zum Schafte des Oberschenkels. Nachdem sich Pa¬
tientin einigermaassen erholt, Appendizitisoperation. Die Appendix,
die erst nach Lösung zahlreicher Verwachsungen auf dem Becken¬
boden befestigt gefunden wurde, und zwar an einer Stelle, bis zu
der man von der Mitte des Oberschenkels herauf eine biegsame
Sonde fuhren konnte, wurde entfernt. Von da schnelle Heilung
und Erholung. 3 Injektionen von Morphin Scopolamin gut ver¬
tragen, nach einigen Stunden Nahrungsaufnahme möglich, wäh¬
rend vorher bei Chloroformnarkosen tagelang Erbrechen und
Uebelbefinden bestand.
Frau M., 23 Jahre. Op. 11. III. Karies des Sternum und Zer¬
störung des Knorpelansatzes dreier Rippen. Spaltung der Haut
und des Periostes über der ganzen Ausdehnung des Sternum.
Entfernung mit Meissei und scharfem Löffel aller krankhaften
Prozesse. 3 Injektionen von Morphin Scopolamin. Pat. wacht
schmerzfrei nach 4 Stunden auf, kann bald flüssige Nahrung
nehmen, kein Erbrechen. Heilung per primam.
Franz K., 19 Jahre. Op. 1. III. Itesectio cubiti dextr. mit
K o e h e r's Schnitt wegen ausgebreiteter Tuberkulose des Ge¬
lenkes. Tuberkulose des Metatarsophalangealgelenkes der grossen
Zehe, Entfernung der erkrankten Gelenkenden. 3 Injektionen.
Sehr heruntergekommener junger Mann. Eingriff gut ertragen,
schläft 0 Stunden nach der Operation, erwacht ohne Schmerzen,
nimmt am gleichen Abend Nahrung (Suppe). Kein Erbrechen.
Heilung.
Hermine H., 16 Jahre. Op. 1. II. Hernia inguinal, dextr.
Operation nach K oclie r’s Verlagerungsmethode. 2 Injektionen,
lokal Aetherspray. Pat. wacht 3 Stunden nach der Operation auf,
kein Erbrechen, nimmt am gleichen Tage Kaffee und Stippe. Hei¬
lung per primam.
Otto B., 23 Jahre. Op. 21. I. Hernia epigastrica r. vom
Rectusrand. 2 Injektionen, lokal Aetherspray. 2 Stunden Schlaf,
dann Nahrungsaufnahme. Heilung per primam in 8 Tagen.
Balbina R., 60 Jahre, verheil1. Tumor alb. genu. Sir Benj.
Br o dies Ostilis artieularis superficialis periplieric. Pat. durch
Schmerzen sehr heruntergebracht. Amputatio femoris im unteren
Drittel nach Teale-Bruns. Selbst beim Durchschneiden des
Iscliiadikus keine Zeichen von Schmerzempfindlichkeit. 3 Injek¬
tionen. 8 Stunden Schlaf, seit Langem der erste ungestörte, dann
Nahrungsaufnahme. Heilung per primam. Nach 10 Tagen ge¬
heilt aus dem Bett.
Frau Dr. Oh., 32 Jahre. Op. 23. V. Appendizitis." Vor 2 Jahren
erster schwerer Anfall, seither 3 leichtere. 3 Injektionen. Heilung
per primam, nach 14 Tagen ausser Bett. Keine Brechneigung.
Schwester C., 35 Jahre. Op. 13. III. Caries oss. sacri et oss.
iliaci sin. Abstemmen der kariösen Stellen. Entfernung eines
wallnussgrossen Sequesters. Resektion des kariösen Steissbeines.
3 Injektionen. Der grosse Eingriff wurde ohne Schmerzensäusse-
rungen gut ertragen.
8. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
1135
Marie B„ 35 Jahre. Op. 20. III. Spondylitis tuberculosa.
l’soasabszess. 2 Injektionen. Eingriff und Narkose gut vertragen,
noch in Behandlung.
Ueber physiologische Funktionen von Tumoren.1)
Von Dr. Eugen A 1 b v echt in München.
M. II.! Die onk( »logische Forschung hat in den letzten
Jahren vornehmlich Fragen der Histiogenese und Aetiologie der
Tumoren behandelt. Im engeren Kreise der Pathologen voji
Fach war es besonders die originelle These Ribbert’s von der
primären passiven Absprengung der Epithelien aus ihrem Ver¬
bände als dem ersten Akte in der krebsigen Wucherung, welche
lebhafte Diskussion hervorrief, und welcher namentlich von
II auser entschieden entgegengetreten wurde. Jedenfalls hat
die dadurch angeregte Erörterung manche Begriffe schärfer de-
finiren gelehrt als vorher, manche neue Tliatsache zu Tage ge¬
fördert und altbekannte in einem anderen Lichte erscheinen
lassen; aber die Kernfrage, jene nach der eigentlichen Ursache
und dem Wesen der sonderartigen Veränderung des wu¬
chernden Epithels hat sie ebenso ungelöst gelassen wie die ältere
Ansicht von der primären „malignen Degeneration“ des Epithels.
Gegenwärtig steht, wie Sie wissen, hier wieder Meinung gegen
Meinung; während Bibbert daran festhält, dass die Annahme
einer Wachsthumssteigerung der Geschwulstzellen entbehrlich,
das Wesentliche ihre Abtrennung und ihr Weiterwachsthum un¬
abhängig von dem Einfluss des organischen Ganzen sei, scheint
■die Mehrzahl der Forscher mit Hauser daran festzuhalten,
dass das Wesentliche der karzinomatösen Epithelveränderung in
der Einbusse an physiologischer Funktion und der gleichzeitigen
dauernden Steigerung des Assimilations- und Proliferationsver¬
mögens liegt.
Nicht besser als mit dieser mehr theoretischen steht cs
augenblicklich mit jener zweiten, praktisch so bedeutsamen und
desshalb von allen Seiten in Angriff genommenen Frage: in
welcher Richtung die eben genannte Causa specifica des Kar¬
zinoms, der malignen Tumoren überhaupt zu suchen ist; ob in
Analogie mit den Infektionskrankheiten in irgendwelchen or-
ganisirten parasitären Gebilden oder in eigenartigen Kom¬
binationen von inneren Ursachen des betreffenden Körpers selbst,
in besonderen Anlagen, Anordnungen von Zellen, deren schlum¬
mernde oder gehemmte Wachsthumstendenzen nur durch irgend¬
welchen, nicht eigentlich spezifischen, Reiz, durch irgendwelche
äussere oder innere Veranlassung ausgelöst werden mögen.
Im Allgemeinen hat es gegenwärtig den Anschein, als ob
die Situation nicht unwesentlich zu Gunsten der parasitären
Theorie verschoben sei. Immerhin scheint mir der Grund dafür
eher in einer Art von allgemeiner Stimmung der Zeit und Rich¬
tung der Forschung, mehr in einer Art von Antizipation eines
lebhaften und dringenden Wunsches gelegen zu sein, als in
einem wirklichen Zuwachs der logischen oder thatsächlichen Be¬
weisgründe für diese Annahme.
Es wäre gewiss für die Praxis von unschätzbarer Bedeutung
und für die Theorie eine angenehme Lösung des gordischen
Knotens, wenn ein oder eine Anzahl von parasitischen Klein¬
wesen als Ursache für maligne Tumoren, speziell für das Kar¬
zinom, erwiesen würden. Aber trotzdem, und gerade wegen der
Bedeutsamkeit der Sache, werden wir uns doppelt davor zu hüten
haben, den Wunsch zum Vater des Gedankens werden zu lassen
und die zahlreichen und zum Tlieil schwerwiegenden Bedenken,
welche einer parasitären Theorie der malignen Geschwülste ent¬
gegenstehen, so ohne Weiteres bei Seite zu schieben. Es ist viel¬
leicht gerade jetzt, wo die Erörterung wieder in ein ruhigeres
Fahrwasser eingelaufen ist, der günstigste Zeitpunkt, alle diese
Gegengründe wieder einmal ernstlich zu erwägen und vielleicht
weiter zu verfolgen; und ich denke bei gegebener Gelegenheit in
einer kritischen Revue die Gründe pro et contra Karzinom -
Parasiten Ihnen vorzuführen — unter der Voraussetzung natür¬
lich, dass bis dahin nicht etwa der Parasit entdeckt worden sein
sollte.
Unter den vielen bekannten Thatsachen aus der Geschwulst¬
lehre, welche es unwahrscheinlich machen, dass ein Parasit analog
demjenigen irgend einer der bekannten .Infektionen als Erreger
maligner Tumoren gefunden werden wird, ist mir eine Reihe
von Gründen immer sehr schwerwiegend erschienen: das sind die
*) Vorgetragen in der Sitzung der Gesellschaft für Morpho¬
logie und Physiologie in München vom 5. November 1901.
morphologischen und physiologischen B e z i e hungen de r
in alignen zu den so g. benigne n, der hetero-
logen zu den homologen Geschwülsten und dieser
wieder zu den Prozessen der einfachen Hyperplasie. Ich
bitte Sie, hier etwa an die Formenreihe zu denken,
welche die Gastritis oder Endometritis glandularis mit
den Drüsenpolypen des Magens oder Uterus, diese wieder etwa
mit dem malignen Adenom oder, um mit Kaufma n n zu
sprechen, mit dem hochadenomatösen Karzinom und dem eigent¬
lichen Adenokarzinom dieser Organe verbindet; oder vielleicht
an jene Zusammenhänge, an welche man sofort erinnert wird,
wenn man im Zusammenhänge die Namen Narbe, Narben-
keloid, Fibrom, Fibrosarkom, Spindelzellensarkom ausspricht,
und was dergleichen Beispiele mehr sind. Es gibt sowohl unter
den histioiden wie organoiden Geschwülsten Fälle, in welchen
einzig und allein der Nachweis der Malignität, d. h. ent¬
weder des zerstörenden Vorwachsens in die Umgebung oder Me¬
tastasenbildung, die Diagnose sichert; streng genommen eigent¬
lich nur die erstere, da auch z. B. Chondrome gelegentlich Meta¬
stasen machen. Was hat in diesem Falle die Umwandlung aus
der relativ harmlosen, noch typisch gebauten und nur in ihrer
Proliferationstendenz gesteigerten Geschwulst zu der unaufhalt¬
sam vordringenden malignen Geschwulst gemacht, deren Zellen
ausser der gewöhnlichen, aber durchaus nicht immer vorhandenen
Vergrösserung im Ganzen, Chromatinvermehrung der Kerne
und den Zeichen regelmässiger und unregelmässiger Theilung
uns vielleicht noch keinerlei Besonderheiten aufweisen?
Ich will noch an etwas Weiteres erinnern. Dass in den
Zellformen aller Geschwülste Uebergänge zu den normalen
Zellen der Organe gefunden werden, versteht sich nach unseren
heutigen Kenntnissen von der Spezifizität und den Stamm¬
bäumen der Organzellen fast von selbst und gilt natürlich für
maligne Tumoren ebenso wie für Produkte infektiöser Er¬
krankungen. Was die Tumoren so eigenartig abgliedert gegen¬
über etwa den infektiösen Granulomen, ist der Umstand, dass
wir in ihnen, und zumal im Karzinome, durchweg Bildungen
vorliegen haben, in welchen Avir in gleichviel Avie weit ver¬
zerrter Form physiologische Bildungen wieder erkennen —
sei es nun mehr solche bestimmter Gewebe wie bei den Ge¬
schwülsten der Bindesubstanzgruppe, seien es eigentliche „organ¬
artige“ Gebilde wie bei den epithelialen Tumoren. Der Satz
V i r c h o w’s, dass auch die heterologen Gewebe physiologische
Typen haben, gilt nicht nur für die Zellformen, sondern auch
für die Art der Zusammenordnung, der Architektonik der Neo¬
formationen : hier ist es z. B. das gef ässführende Bindegewebe
in allen seinen Schattirungen vom kernreichsten, dem embryo¬
nalen ähnlichen GeAvebe bis zum kernarmen sklerotischen Fibrom,
dort vielleicht die drüsenartige Bildung mit immer neuer Ent-
Avicklung eines Bindegewebsstratums und drüsenartiger Ilohl-
räume, Avelchc uns an den Ausgangspunkt und die Struktur des
Mutterbodens gemahnen. Während wir bei allen Reaktionen
auf infektiöse Einflüsse es immer mit Variationen des Grund¬
schemas der „Entzündung“ und Regeneration zu thun haben,
liegen in allen Tumoren sensu strenuo Variationen jenes Bid-
dungsvermögens Aror, welches wir im embryonalen Aufbau
der Organe bewundern. Ich frage: Wo ist zu solchen Bil¬
dungen eine erklärende Analogie in der Lehre der thierischcn
Infektionen? Man könnte höchstens gewisse Bildungen bei den
Pflanzen heranziehen wollen, etwa die eigenartigen Gewebs-
bildungen bei den Gallen, Avelche Küster u. A. untersucht
haben. Aber deren allerdings höchst merkAvürdige Zellen- und
Gewebsbildungen kommen hier schon desshalb nicht in Betracht,
weil sie keinerlei malignen Charakter tragen.
Wir wollen uns heute bei dieser Seite der Frage nicht
1 länger aufhalten, da ich, Avie gesagt, darauf zurückzukommen
hoffe. Ich habe vor, jetzt, im ersten Theile meines eigentlichen
Vortrages, zwei Beispiele wenigstens kurz zu besprechen, welche
nach der physiologisch-funktionellen Seite hin zu der beregten
Frage in engem Zusammenhänge stehen.
Zunächst ein paar Worte über ein Beispiel, welches Ihnen
Allen bekannt sein dürfte. Genau gezählt 3 Beispiele: von
Heller, J u n g m a n n, Schmidt ist je ein Fall beschrieben
Avorden, in welchem die Metastasen von Leberzellkarzinomen in
der Lunge Galle sezernirten. Wir finden die Thatsache häufig
registrirt, ohne dass doch der Werth darauf gelegt wird, Avelcher
ihr meiner Ansicht nach zukommt. Zunächst, um das nebenbei
2*
1 1 3G
Ml TEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nu. 27.
zu bemerken, erscheint os mir allgemein physiologisch von
grossem Interesse, dass Leberzellen, aus dem Verbände des Or¬
gans, jedenfalls also auch aus dessen nervösem Apparat völlig
losgelöst., im Stande sind, Galle, anscheinend normale Galle zu
produziren. Daraus geht ohne Weiteres hervor, dass auch für
die normale Thätigkeit der Leber die Nothwendigkeit
einer Annahme eigener sekretorischer Nerven nicht besteht, und
dass dazu die Beziehungen der Parenchymzellen zum Gefäss-
sy.sl.em ausreichen. Diese Folgerung erscheint mir angesichts
«ler Schwierigkeiten einer experimentellen Untersuchung dieser
Frage von nicht geringer Wichtigkeit. Noch interessanter ist
dieses eigenartige Verhalten für die pathologisch-physiologische
IVberlegung. Für gewöhnlich ist man ja, wie Sie wissen, für
die eigenartige Umänderung der Zellen maligner Tumoren mit
umschreibenden Ausdrücken, wie Entdifferpnzirung, Rückkehr
zum embryonalen Zustand, Anaplasie, eventuell auch Kata-
plasie u.s.w., schnell zur Hand. In der vorhin angeführten De¬
finition H a u s e r’s ist der Wegfall der Funktion eigens hervor¬
gehoben. Alle diese Ausdrücke umschreiben, wie A s c h o f f
kürzlich sehr richtig bemerkte, nur die Frage, geben nicht etwa
irgendwelche Erklärung oder Lösung. Aber hier, im Falle des
Gallosezorniren ; seitens des Leberkarzinoms, fehlt doch offenbar
dicEntdiffercnzirung,wenn nicht ganz, so doch zu einem sehr weiten
Grade: hier liegen Zellen vor, welche trotz ihres Error loci, an
den man sie sich auch einmal durch irgendwelchen unglücklichen
Zufall (Ruptur einer Vena centralis oder Aehnliches) verschleppt
denken könnte — welche trotz ihrer Verirrung in ein anderes
Organ redlich nach wie vor aus Bestandteilen der umspülenden
Blutflüssigkeit Galle sezerniren, also vermutlich rothe Blut¬
körperchen einschmelzen und auch die übrigen komplizirten
Theilaufgaben der Gallebereitung im Ganzen gut erfüllen, welche
vielleicht nur desshalb, weil Gallengänge fehlen, nicht dazu
kommen, an dem neuen Orte für den Organismus nützlich zu
werden.
Ich habe das Beispiel zuerst gewählt, weil es besonders frap¬
pant ist ; aber Sie brauchen nur z. B. zu denken an Schleim¬
hautkarzinome des Darmes oder der Bronchien, deren Metastasen
im Gehirn aus Becherzellen Schleim sezerniren, oder an Platten¬
epithelkarzinome in der Niere, welche typische Riffe, Zell¬
brücken ausbilden, wie in der Epidermis, wo sie die schützende
Decke bildeten, an metastatische Schilddrüsenkarzinome, welche
Colloi'd in der Lunge erzeugen, oder an Periostsarkome, welche
dauernd Knochen in der Art eines Callus bilden können u. s. w.,
um zu sehen, dass solche und ähnliche Beispiele nicht ganz so
selten sind als es zuerst scheinen mag.
Immerhin kann man hier bemerken, dass es sich schliess¬
lich um Beibehaltung, gewissermaassen mechanische Repetition
ererbter oder eingelernter Zellthätigkeiten handle, neben welcher
die Malignität, die schrankenlose Proliferation, zur Geltung ge¬
kommen; dass von einer Funktion im eigentlichen Sinne einer
„Leistung für das Ganze“ demnach wohl nur im Falle der Leber¬
zellen und der Schilddrüsenmetastasen die Rede sein könne. Ich
bin aber in der Lage, Ihnen einen Tumor in Bildern und Prä¬
paraten vorzulegen, welcher in dieser Hinsicht wohl einwandfrei
gedeutet, werden kann und einen interessanten Beleg dafür
bietet, wie bei ausgesprochener Malignität doch physiologische
Funktionen noch vorhanden sein können.
Es handelt sich um ein Endotheliom der Dura
in a t e r, welches als seltene Metastase in die Blase einen Ab¬
leger entsendete. Die genaue Beschreibung des Falles, der dia¬
gnostischen und anderweitigen Besonderheiten ist in einer von
meinem früheren Koassistenten, Herrn Dr. L i n d n e r, ver¬
fassten Dissertation, 'welche im Druck sich befindet1), enthalten.
Ich erwähne hier nur die für meinen Zweck belangreichen Mo¬
mente.
Der Duratumor hatte während des Lebens keinerlei charak¬
teristische Erscheinungen gemacht, obwohl er bereits die Hirn¬
rinde an einer Stelle invadirt und eine oberflächliche Erweichung
dortselbst erzeugt hatte; der Blasentumor war diagnostizirt und
hatte zu Hydronephrose geführt.
Der mikroskopische Befund war bereits durch den histio-
logischen Aufbau interessant. Es lagen in beiden Tumoren
gleichmässig alveolar und netzförmig gebaute, sehr zellreiche
’) Inzwischen erschienen in der Prager Zeitschr. f. Heilk..
patli.-anat. Abth., 1902, H. IV.
Geschwulstmassen vor, welche stellenweise grosse, an anderen
Stellen zahlreiche kleine, mit Blut oder homogener Masse ge¬
füllte Räume enthielten, deren Auskleidung t-heils von den
typischen, häufig senkrecht gestellten und epithelartig geformten
Tumorzellen, theils, mitten unter letzteren, von charakteristischen
flachen Endotlielien, im direkten Anschluss an Tumorzeih n, ge¬
bildet. wurde. Nach dem Bilde, wie ich es Ihnen hier vorzeige,
schien es keinem Zweifel zu unterliegen, dass ein Endotheliom,
und zwar ein Hämangio-Endotheliom, vorliege; in Anbetracht
der Lage des Hauptherdes in der Dura vermuthete ich, dass es
sich vielleicht um Absprengung eines Herdes vasoformativer
Zellen aus dem Mesencbymblastem der Hirnhäute handle. Ich
war nun sehr angenehm überrascht, als die genaue Untersuchung
sowohl in dem Blasen- als im Duratumor an vielen Stellen in
den erwähnten Hohlräumen förmliche Nester von theils kern¬
haltigen rothen Blutkörperchen, theils von Erythroblasten zeigte.
Die Formen der Kerne waren sehr vielfach atypisch, viel reich¬
licher, als man solche sonst im Knochenmark zu finden pflegt,
besonders waren Sprossungen und Zerschniirungen häufig; aber
doch waren mir alle Formen bereits auch vom normalen In¬
dividuum bekannt und sehr viele wichen in nichts von dem
gewöhnlichen Bau der Erythroblasten ab. Die betreffenden
Inseln standen im freien Zusammenhänge mit den übrigen
Bluträumen ; die kernhaltigen Rothen und was eventuell aus
ihnen hervorging, konnten also in die Blutbahn gelangen.
Die nächste Frage war: Woher stammen diese Zellen?
Ein primärer Knochenmarkstumor war nach dem Bau der
Durageschwulst mit grosser Sicherheit auszuschliessen ; die
Untersuchung der Wirbel hatte nichts Derartiges ergeben. Ich
dachte weiter an eine etwaige allgemeine Ueberchwemmung des
Blutes mit kernhaltigen Rothen, wie sie bei verschiedenen Blut¬
erkrankungen, auch bei Kachexien gelegentlich vorkommt. Nichts
davon wurde gefunden; die Milz zeigte keine Erythroblasten
oder kernhaltige Erythroeyten (Erythrocytoden Pappenheim):
in allen untersuchten Organen enthielten die Gefässe gewöhn¬
liches Blut, ohne kernhaltige Erythroeyten. Die kernhaltigen
Erythroeyten mussten also in den Tumorknoten selbst gebildet
sein; und da für die Annahme einer etwaigen Einschleppung
von Erythroblasten keinerlei Anhaltspunkt besteht, andererseits
gerade nur in den beiden örtlich getrennten Tumoren die gleichen
Bildungen auf gefunden wurden; und da schliesslich, last not least,
unter den hämoglobinfreien Erythroblasten sich viele befanden,
welche von den kleineren Tumorzellen in ihrer Nähe nicht unter¬
scheidbar waren, so darf man als Ort der Blutkörperchenbildung
wohl das Neoplasma, als Mutterzellen die Zellen — oder sagen
wir vorsichtiger: Zellen — des Endothelioms ansehen. Der Fall
steht, soweit ich die Literatur kenne, in dieser Hinsicht einzig
in der Pathologie der Tumoren da. Dagegen hat kürzlich Borst
ein Sarkom des Stirnbeins beschrieben, welches sowohl osteoide
Substanz als Marksubstanz produzirte, wo also offenbar vom
Knochenmarksgewebe aus in dem Tumor die Bildung der spe¬
ziellen Produkte des Knochenmarks weiter stattfand. Ich muss
gestehen, dass ich nach der Beschreibung von Borst allerdings
nicht ganz sicher bin, ob es sich nicht doch nur um Inseln
versprengten Knochenmarks in dem verhältnissmässig kleinen
im Stirnbein sitzenden Sarkom gehandelt hat, was natürlich die
Deutung ändern würde.
Für unseren Fall scheint mir unter Beziehung auf die, wie
gesagt., schon vorher ziemlich gut begründete Hypothese der Ent¬
stehung des Tumors aus vasoformativen Zellen und nunmehr in
Erinnerung an einen bekannten Vorgang der frühesten embryo¬
nalen Entwicklung die weitere Spezifikation der Annahme ge¬
rechtfertigt — hypothetisch natürlich — , dass jene vasoforma¬
tiven Zellen entweder in gerader Linie abstammten oder, wenn
man das lieber will, wieder zurückgekehrt waren zu jenem Typus
der gefässbildenden Zellen, welche gleichzeitig Mutterzellen von
Blutkörperchen darstellen : wie dies bekanntlich seitens der ur¬
sprünglichen Endothelröhren des Embryo nach der heute wohl
überwi egenden Annahme der Fall ist.
In Summa: Wir haben es mit einem Tumor zu thun, welcher
nach seinem ganzen Bau und Verhalten als maligner anzu¬
sehen ist; welcher sicher in seiner Weise ausser den mechanischen
auch chemische Schädigungen für den Organismus brachte;
welcher aber, gewissermaassen in Erinnerung an die Aufgaben,
denen er entwachsen war, dem Organismus das Blut, welches er
ihm abzapfte, auch wieder zu ersetzen trachtete. Ich habe schon
8. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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darauf hingewiesen, dass freie Kommunikation der Blutzellinseln
mit den Gefässräumen bestand, sowie dass in den Kapillaren der
Tumoren sich Erythrocyten fanden; die Integrität des Gewebes
erwies, dass auch die Zirkulation, wenn auch natürlich verlang¬
samt, doch erhalten war. Somit müssen auch von den gebilde¬
tem Zellen Exemplare in’s Blut abgeschwemmt worden sein, und
wenn sie genügend lebenskräftig und hämoglobinhaltig waren,
ist nicht einzusehen, wesshalb sie im Blute nicht ebenso ihre Auf¬
gabe erfüllt haben sollten, als etwa die kernhaltigen oder die
abnorm geformten rothen Blutkörperchen bei perniziöser Anämie.
Man könnte also in etwas paradoxer Wendung geradezu von der
rudimentären Bildung eines hämatopöetischen Organs aus einem
malignen Tumor sprechen.
M. H. ! Ich bin überzeugt, dass wir bei genauerem Zusehen
ähnliche Beispiele auch unter den bösartigen Tumoren in nicht
allzu geringer Menge finden werden. Wir werden, wie mir
scheint, gerade durch solche Fälle besonders intensiv darauf hin¬
gewiesen, die Lehre von den malignen Geschwülsten nicht als ein
getrenntes, abgesondertes U ntersuchu ngsgebiot, sonders als ein
besonderes Kapitel der Theilerkrankungcn in dem lebenden Gan
zen zu behandeln, und die unzähligen Brücken und Fäden, welche
zum Physiologischen hinüberführen, nie aus dem Auge zu lassen.
Man hat ja gewiss für gewöhnlich recht, wenn man die Zellen
maligner Geschwülste als etwas Parasitäres, dem Organismus
eo ipso Feindliches und Schädliches betrachtet; aber man sieht
aus solchen Beispielen, dass auch diese Eigenschaften nicht etwa
prinzipieller, sondern occasioneller Natur sind. In letzter Instanz
sind und bleiben eben auch die Zellen aller Tumoren, gleichviel
ob man sie nun aus fertigen Organzelltypen oder aus undifferen-
zirten Resten embryonaler Anlagen hervorgehen lässt, doch
somatische Zollen mit den Entwicklungs- und Funktionsmöglich¬
keiten ihres Mutterbodens, nur unter mehr oder weniger weit¬
gehender Veränderung, Steigerung oder Abschwächung einzelner
dieser Fähigkeiten, vor Allem der Assimilations- und Ver¬
mehrungsfähigkeit. In den meisten Fällen wird die in’s Abnorme
gesteigerte Fähigkeit der Assimilation und Vermehrung in
malignen Geschwülsten sich nur auf Kosten der Ausbildung
anderer, gerade der im engeren Sinne physiologischen, durch die
Arbeitstheilung der Organe und Gewebe bedingten Qualitäten
der Zellen entwickeln können. Denn die Zelle stellt ebenso wie
die Organe und der Organismus im Ganzen schliesslich ein be¬
grenztes System von Aktualitäten und Potenzen dar, innerhalb
dessen eine erhöhte einseitige Beanspruchung und Ausbildung
gewisser Thätigkeiten von einem bestimmten Punkt ab noth-
wendig durch Hemmung und Rückbildung anderer Funktionen
wett gemacht werden muss. Aber bei diesen Unterschieden
zwischen pathologischer und normaler Zelle handelt es sich, wie
gerade die angeführten Beispiele besonders klar beweisen, immer
nur um eine Art von labiler Gleic liu n g, welche bald mehr
zu Gunsten der Organfunktion, bald mehr zu Gunsten der, wenn
ich so sagen soll, „parasitären“ und autonomen Eigenschaften
der betreffenden Zellen schwankt.
(Schluss folgt.)
Aus der Poliklinik für Kinderkrankheiten im Reisingerianum.
(Prof. Dr. C. S e i t z.)
Ueber Juckausschläge im Kindesalter.
Von Dr. F. Sichert,
Facharzt für Haut- und Harnleiden, Volontär an der Poliklinik.
Wenn Kolkott Fox sich in seinem Artikel „Heber Urtikaria
im Säuglings- und Kindesalter“ (Monatsh. f. prakt. Dermatol.
1890, Bd. 10) darüber beklagt, dass diesen Erkrankungen bis jetzt
noch nicht die genügende Aufmerksamkeit entsprechend ihrer
Häufigkeit und entsprechend den diagnostischen Schwierigkeiten,
die sie des öfteren bieten, geschenkt worden sei, so hat sich in
den reichlich 10 Jahren, die seit dieser Veröffentlichung ver¬
gangen sind, wenig zum Besseren verändert.
Es handelt sich um eine Erkrankung, die den Kinderärzten
meist bekannter ist, als den Dermatologen, da ihr reichlichstes
Auftreten in die ersten Kinderjahre fällt. Im Volke ist der
Ausschlag bekannt unter dem Namen Juckblattern, Zahnpocken
und anderen. Die Dermatologen wünschten den Ausschlag
immer einer schon bestehenden Gruppe von Erkrankungen unter¬
zuordnen, aber schon die Verschiedenheiten, die darin bestehen,
weisen darauf hin, dass die Gruppe von Hautausschlägen, die
No. 27.
wir hier vor Augen haben, sich nicht völlig dem Schema des
einen oder anderen Systems beugen wollte. Einmal findet man
unsere Erkrankung zur Urtikaria gerechnet, ein anderes Mal
zum Erythema exsudat. multiforme, wieder ein anderes Mal zur
Prurigo.
Bei der grossen Verschiedenheit der Beschreibung darf man
vermuthen, dass die Erkrankung, soweit die Autoren nicht über¬
haupt andersartiges vor Augen hatten, nach Ort und Zeit in ver¬
schiedenen Formen auf tritt, um so mehr, da sie schon an einem
Orte in den verschiedensten Formen nach Aussehen und Ver¬
lauf sich dem Arzte zeigt.
In den Lehrbüchern finden wir für die Erkrankung in Folge
dessen die verschiedensten Namen: Urticaria papulosa, Lichen
urticatus, Strophulus, Lichen strophulus, Varicella pruriginosa,
Prurigo infantilis u. a.
Das einzige allgemein zugegebene und in allen Fällen auf¬
zufindende Charakteristikum ist der schubweise Verlauf. Tn ein¬
zelnen Schüben treten die P r i m ä ref fl or eszen zen auf, und während
sie noch bestehen oder bereits im Verschwinden begriffen sind,
treten an derselben Körperregion zwischen den alten neue
Efflorcszenzen auf, oder sie erscheinen an ganz anderen Stellen.
Die subjektiven Symptome bringen bereits Verwirrung in
das Bild. Während Bohn von seinem Strophulus schreibt:
Subjektive Symptome scheinen von ihnen (den Knötchen) nicht
auszugehen, das Jucken, wenn vorhanden, muss allem Anscheine
nach schwach sein. So werden nur die Mütter und die Aerzte
von dem Ausschlage behelligt“; wissen andere Autoren von star¬
kem Juckreiz und starker Behelligung der Kinder und ihrer
Umgebung durch diesen Ausschlag zu erzählen.
Und in der That bekommt man von den Müttern die ver¬
schiedensten Angaben. Während man einmal bei der Unter¬
suchung als Nebenbefund auf einen Strophulus stösst, auf dessen
Anwesenheit die Mutter zum ersten Male aufmerksam wird, ist
ein solcher ein anderes Mal die Ursache, die die Mutter zum Arzte
treibt, weil das Kind so sehr unter dem Jucken leidet. Meist
hört man dann, dass das Jucken unter Tags ebenso stark wäre
wie Nachts. Im Allgemeinen ist es aber doch selten, dass die
Nachtruhe des Kindes gestört wird. Mitunter soll gleich nach
dem Zubettebringen des Kindes das Jucken am stärksten sein,
so dass man nach der Anamnese eher eine Krätze zu finden er¬
warten würde.
Die Lokalisation des Ausschlages ist eine sehr verschiedene.
Mitunter ist der ganze Körper befallen, doch lassen sich gewisse
Lieblingssitze, die bevorzugt werden, aufzählen. Es sind die
Streckseiten der Extremitäten, die Weichen und besonders gerne
die Gesässbacken. Ein nicht seltener Sitz sind auch die Fuss-
sohlen und die äussere Malleolargegend.
Als Einzeleffloreszenzen findet man Makulae, die nicht über
die normale Haut erhaben sind, meist ungefähr linsen- bis
erbsengross, von ziemlich dunkelrother Farbe, von ovaler Form,
aber nicht scharf begrenzt, sondern ohne deutliche Grenze in
die normale Hautfarbe übergehend.
Des Weiteren findet man flache Papeln, hellroth gefärbt, mit
regelmässig begrenztem entzündlichen Hof, ihre Grösse ist meist
geringer, linsen- bis erbsengross, als man sie bei der Urtikaria zu
finden gewohnt ist. Doch finden' sich unter Effioreszenzen
anderer Art gemischt häufig auch grosse Quaddeln mit hellem,
anämischem Zentrum, wie bei Urtikaria.
Als dritte Form, die wir bei den Einzeleffloreszenzen vor¬
finden können, sind Knötchen zu nennen. Sie sind es, die in
die Bezeichnung der Erkrankung den Namen Lichen herein¬
gebracht haben.
Ich lasse hier die Beschreibung, die Bohn (Handbuch der
Kinderkrankheiten) von dem Ausschlage gibt, folgen:
..Er bestellt, bei seiner Eruption aus griesskorn- bis steck¬
nadelkopfgrossen. kugligen Knötclien von dunkelrother Farbe,
welche dem Finger eine härtliche Resistenz bieten, manche mit
zentraler Depression und dem Porus eines Haarbalges versehen.
Sie sitzen, einzeln oder zu mehreren vereinigt, auf diffusen rothen
Höfen. Die Knötchen stehen mehrere Tage ziemlich unverändert;
dann beginnen sie sich zu entfärben, werden heller, gelblich-blass,
weisser als die Haut, besitzen oft einen wächsernen Glanz oder
sehen Bläschen ähnlich. Gleichzeitig erblasst auch die hyper-
ämiselie Unterlage, auf der sie sitzen, und man findet nun die
kleinen Gebilde auf normaler Haut. Sie vertrocknen allmählich
und schilfern zuletzt ab. Bei wiederholten Nachschüben trifft man
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
die verschiedene« Phasen gleichzeitig auf demselben Uliede. Eine
Umwandlung der Knötchen zu Vesikelu, Pusteln u. dgl. oder
Schorf- und Krustenbildung kommt niemals vor.“
Es besteht noch ein Streit über das Vorkommen von Bläs¬
chen bei der in Frage stehenden Erkrankung. Den Angaben
R o li n’s stehen andere gegenüber, die solche beobachtet haben.
-I arisch schreibt z. B. : „Bei Hintanhaltung mechanischer
Läsionen kommt es gelegentlich in der Mitte der Effloreszenzen
zur zirkumskripten Abhebung der Epidermis und oft zu tief
sitzenden, prall gespannten, dem tastenden Finger härtlich er¬
scheinenden Bläschen“.
Auch der Ausdruck Varicella pruriginosa der englischen
Autoren würde sich nicht verstehen lassen, wenn diese nicht
Bläschen gesehen hätten.
Am häutigsten traf ich die Bläschen an den Fusssohlen;
aber ich sah sie auch an anderen Körperstellen.
Es muss aber zugegeben werden, dass man häutig auf das
blosse Ansehen hin einer Täuschung unterliegt.
Besonders eine Form der Strophuluseffloreszenz täuschte
mich des Oefteren, bei der auf einer papulösen Erhabenheit
eine perlenartige, derbe Halbkugel sitzt, die von der Entfernung
einem Bläschen mit einem Thautropfen als Inhalt gleicht.
Zur Diagnose ist es also nöthig, dies Bläschen mit einer
Nadel vorsichtig anzustechen, um sich vom flüssigen Inhalt zu
überzeugen.
Die Vielgestaltigkeit der Ei uzelef floreszenzen erklärt hin¬
reichend die verschiedenen Anschauungen über die Zugehörigkeit
unserer Erkrankung, sie erklärt, wie so es kommen kann, dass
jeder Dermatologe eine Urtikaria und ein Erythema multiforme
als zwei verschiedene Erkrankungen erklären wird, aber doch
mitunter sich vor Fälle gestellt sehen wird, die er weder der einen
Erkrankung noch der anderen ohne Vorbehalt zurechnen kann.
Es fragt sich nun, ist es überhaupt berechtigt, eine einheit¬
liche Erkrankung anzunehmen, die es nur der Vielgestaltigkeit
ihres Erscheinungsbildes verdankt, dass sie von den Beobachtern
in der verschiedensten Wredse beurtheilt wurde.
Wir dürfen aber verschiedenartige äussere Erscheinungen
als im Wesen gleichartige betrachten, wenn sie häufig zusammen
Vorkommen oder sich gegenseitig vertreten können und wenn der
Verlauf der Erkrankung ein ziemlich gleichartiger ist.
Wir sehen nun häufig bei einem Kinde zu gleicher Zeit eine
Eruption von Knötchen an einer Körperstelle, während an einer
anderen flache Papeln und Quaddeln aufgeschossen sind. Oder
wir sehen an ein und derselben Erkrankungszone derbe Stropliu-
lusknötehen und Makeln und Papeln untermischt, wobei mit Vor¬
liebe eine Anordnung zu beobachten ist, dass die Knötchen sich
mehr zentral, die Papeln sich mehr an der Peripherie finden.
Der einheitliche Verlauf, den ich vorhin schubweise nannte,
der in Worten schwer zu charakterisiren ist, aber jedem Arzte
ohne Weiteres klar vor Augen steht, würde eine Abtrennung von
der Urtikaria schwer erlauben, wenn nicht eine Erscheinung
gegeben wäre, das ist die vergleichsweise Beständigkeit der
Strophuluseffloreszenz gegenüber der Urtikariaquaddel.
J arisch schreibt darüber :
„Unterscheidet sich diese Urtikaria von der gewöhnlichen
schon durch die Form der- Effloreszenzen, so differirt sie auch
durch den Verlauf der letzteren, insoferne die Knötchen der flüch¬
tigen Natur ermangeln, vielmehr erst im Laufe von mehreren
Tagen zur Rückbildung gelangen, indem sie allmählich ihres
hyperämischen Grundes verlustig werden, abflachen und meist
nach zirka ein- bis zweiwöchentlichem Bestände verschwinden
und sich in dieser Beziehung jener höchst seltenen Form der Ur¬
tikaria nähern, bei welcher die typischen Quaddeln Tage und
selbst Wochen hindurch fortbestehen (Urticaria perstans, Pick).“
Es gibt nun gewisse Fälle von Strophulus, bei denen man
geneigt wäre, sie lieber dem Erythema exsudativ, multiforme zu¬
zuzählen. Das ist nicht wunderbar, da Urtikaria und Erythema
multiforme exsudativ, vielleicht ebenfalls einer einheitlichen
Gruppe von Hauterkrankungen zugehören. Gibt doch J arisch
an, dass er die Urtikaria nur aus Rücksicht auf den allgemeinen
Gebrauch getrennt von den polymorphen exsudativen Erythemen
besprochen.
Nun nimmt aber der Stropliulus eine Mittelstellung zwischen
beiden Erkrankungen ein und es ist daraus erklärlich, dass es Fälle
dieser Erkrankung geben wird, die mehr nach der einen oder
mehr nach der anderen Seite neigen.
Zur Unterscheidung wird heranzuziehen sein die Lokali¬
sation. Während das Erythema exsudativ, selten sich am
Stamme ansiedelt, ist das beim Stropliulus häufig der Fall. Sollte
sich der Stropliulus ausschliesslich an den Extremitäten zeigen,
so kann das beim Stropliulus stärkere Jucken zur Unterscheidung
dienen; endlich werden die Handrücken und Fussriicken im
Verhältniss weniger als Ober- und Unterarm bezw. Fuss befallen
sein. Wenn der Stropliulus Hände und Füsse ergreift, so hält er
sich an die Fusssohlen oder an die Uebergangsstellen von der
Handfläche zum Handrücken. An den Flächen der Hand habe
ich, im Gegensatz zu den Fusssohlen, niemals Strophulus-
knötchen gefunden.
Endlich kommt ein peripheres Weiterwachsen der Einzel-
effloreszenz beim Stropliulus nicht vor.
Im Gegensatz zu den Angaben englischer Autoren, habe ich
einen Uebergang des Stropliulus in Prurigo niemals beobachten
können.
Differentialdiagnostisch können ja nur beginnende Fälle von
Prurigo in Frage kommen. Bei Prurigo finden sich, neben den
Papeln und Knötchen, die ohne Weiteres auch beim Stropliulus
Vorkommen können, doch auch kleinere, griesartige, stecknadel¬
knopfgrosse Knötchen, die einen Anhalt zur Diagnose geben
und zum mindesten den Arzt vorsichtig machen. Der weitere
Verlauf wird einen Verdacht dann bestätigen; denn, wenn der
Stropliulus auch manche Kinder durch Jahre begleitet, so sind
die freien Perioden doch länger und gründlicher als es l>ei der
Prurigo der Fall ist, welche auch in ihren leichten Zeiten die
Kinder niemals ganz von der Erkrankung befreit sein lässt.
Vor einer Verwechslung mit Insektenstichen wird der allen-
fallsige Nachweis des Stichkanals schützen.
Die Dauer der Erkrankung ist eine äusserst verschiedene.
Manche Kinder bekommen einmal einen Anfall, der mit dem
Abstossen der Effloreszenzen abgelaufen ist, wieder andere haben
Wochen und Monate lang damit zu thun. Meist verhält sich die
Sache dann so, dass die Kinder zu bestimmten Jahreszeiten von
der Erkrankung gequält, zu anderen wieder frei von ihr sind.
Das kann sich bei manchen Kindern bis in das 6. und 7. Jahr hin¬
ziehen.
Am häufigsten tritt die Erkrankung vom Ende des 1. bis
zum 3. Lebensjahre auf.
Es kommen während des ganzen Jahres Fälle unserer Er¬
krankung zur Vorstellung, ein gewisse Häufung derselben lässt
sieh aber im 1. und 2. und 7. und 8. Monat wahrnehmen. Stärkere
Anfälle sind nicht selten von leichten Temperatursteigerungen
begleitet.
Eine Ursache für die Erkrankung lässt sich häufig nicht an¬
führen.
Sehr oft ist man geneigt, eine konstitutionelle Anomalie zu
beschuldigen. Es sind besonders häufig anämische Kinder, die
mehr Fett als Muskeln haben, mit schwammigem Unterhaut¬
zellgewebe. Es sind das Kinder, die selbst für einen Rubens
zu dick wären und deren Mütter meist selbst das Gefühl haben,
dass die Schwere und Dicke des Kindes nicht einem ebenso guten
Ernährungszustände entspricht. Wenn ich bei Erwachsenen den¬
selben Befund, wie bei diesen Kindern erheben würde, so würde
ich vorerst eine Entwässerungstherapie einleiten.
In anderen Fällen wird man mit mehr oder weniger Wahr¬
scheinlichkeit eine Stuhlverstopfung oder* bestimmte Nahrungs¬
stoffe. im Verdachte haben.
In einem Falle hörten bei einem 2 jährigen Mädchen hart¬
näckige Anfälle von Strophulus auf, sowie die, natürlich ohne
Wissen des Arztes verabreichten Speisen, die Leber enthielten,
entzogen worden waren.
Solche Befunde würden nahe legen, als Ursache der Erkran¬
kung irgend einen im Blutkreisläufe befindlichen schädlichen
Stoff zu beschuldigen; sei es nun ein von aussen durch den Mund
eingeführter Stoff, oder seien es abnorme Zei’setzungsprodukte,
die aus dem Darme stammen, oder es könnte sich endlich auch,
wenn wir mehr an rheumatische Erkrankung denken wollen, um
Stoffwechselprodukte handeln, die von Bakterien stammen.
Nun aber wird man, ohne dem Aetiologiebedürfnisse der
Laien zu weit entgegen zu kommen, doch einen Zusammenhang
des Strophulus mit der Zahnung nicht ganz leugnen können. Es
wird natürlich nothwendig sein, bevor man zu den vielbeschuldig-
8. Juii 190$.
MÜENCHEftER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT*.
ton Zähnen seine Zuflucht nimmt, alle anderen Ursachen pein-
lichst auszuschliessen. Wenn das aber geschehen ist, so bleiben
einige Fälle übrig, bei denen Kinder kurz vor und während des
Durchbruches von Zähnen Anfälle von Strophulus bekommen.
Meist handelt es sich dabei um Kinder, die zu dieser Zeit auch
noch weitere Zeichen stärkerer Reizbarkeit zeigen.
Bei diesen Fällen wird man nur schwer die Blutbahn als
Trägerin der Schädigung bezeichnen können und man wird an
irgend welche nervöse und reflektorische Vorgänge denken
müssen, ohne dadurch freilich für das Verständnis« viel ge¬
wonnen zu haben.
Es bedarf nach dem Vorgebrachten keiner weiteren An¬
führung der Gründe, die mich bestimmen, die beschriebenen
Krankheitsformen als eine Gruppe für sich aufzufassen, die
weder dem Erythema multiforme noch der Urtikaria vorbehalts¬
los unterzuordnen ist, als wäre sie nur eine Unterform, eine
andere Erscheinungsform dieser Erkrankungen.
Ich habe schon des Oefteren den Namen Strophulus für diese
Erkrankung gebraucht. Es wird sich vielleicht empfehlen, den
Namen beizubehalten, denn er hat das älteste Anrecht; meines
Wissens hat W i 1 1 a n zum ersten Mal den Namen für diese Er¬
krankung geprägt; weiterhin ist der genannte Ausschlag unter
diesem Namen bei den Kinderärzten, die ihn ja doch am häufig¬
sten zu Gesicht bekommen, am bekanntesten.
Es macht sich nun, wie auch anderwärts in der Dermatologie,
ein Bedürfniss nach einer gewissen Mannigfaltigkeit in der
Namengebung geltend, um sowohl der Vielheit der Erscheinungs¬
formen als auch dem Unterschied der Anschauungen gerecht zu
werden.
Es Hessen sich im Strophulus verschiedene Erscheinungs¬
arten nach Grxxppen zusammenstellen, freilich ohne dass mau
dabei aus dem Bewusstsein verlieren darf, dass die Uebergänge
zwischeix den einzelnen Gruppen fliessiende sind.
Unter dem Namen Lichen uxf.icatus, Urticaria papulosa
Hessen sich die Formen zxxsaxximenfassen, bei denen die Papelix
und Quaddeln im Vordergrand des Bildes stehen, während Licheix
strophulus xxiehr die Formen bezeichnen köixnte, bei denen die
charakteristischen halbkugeligen, derben Ivixötchen und derb-
wandigen Bläschen in Erscheinung treten.
Es gibt nxxn gewisse Fonnen von Ekzem, von denen ich
zweifle, ob sie nicht auch dem Strophulxis nahe stehen.
Man findet sie auch sein* häufig bei anämischen Kindern
von der Beschaffenheit, wie sie oben beschrieben wurde. Das
schubweise Auftreten ist ebenfalls charakteristisch. Es besteht
starkes Jucken und es bilden sich plötzlich ungefähr markstjiek-
g rosse Flächen, in denen die Haut ekzematös verändert ist.
Der häufigste Sitz sind die Innenflächen der Unterarme und
die Brust über dem Sternum.
Der Ausschlag besteht meist aus dichtgedrängt stehenden,
kleinsten Papelchen, die spitz und kegelförmig zulaufen und
auf der Höhe entweder ein kleinstes Schüppchen tragen oder
nässen. Der Grund auf dem die Papelchen stehen ist geröthet.
Die einzelnen Flächen heilen unter Puder oder Lassar rasch
ab, jedoch treten häufig immer wieder Nachschübe auf.
Das leidigste Kapitel ist die Therapie des Strophulus. Ein
sicher wirkendes äusseres Mittel haben wir nicht.
Im Allgemeinen wurde die Regel befolgt, bei akutem Ver¬
lauf und stai'ker Reizbarkeit Puder oder spirituöse Betupfungen,
auch Essigwaschungen zu veroi*dnen. Mitxmter waren die Mütter
sehr zufrieden, häufig Hess sich aber kein Einfluss bemerken.
Bei chronisch verlaufenden Fällen mit wenig gereizter Haut
thut oft W ilkinso n’sche Salbe gute Dienste, die auch auf
die Kratzeffekte heilend einwirkte. Waren in Folge des Kratzens
stärkere Eiterungen inid impetiginöise Erkrankungen da, so
wurde das Unguent hydrarg. rubrum sulfurat. zur Anwendung
gebracht.
Dankbarer waren eine Aenderung der Lebensweise und ge¬
naue Diätvorschriften.
Von internen Mitteln wurde das Ichthyol in verschiedenen
Formen verordnet. Seine Wirksamkeit ist keine sichere, doch
gibt es eine Anzahl Fälle, bei denen mit den Ichthyolgaben die
Anfälle verschwanden.
Ursprünglich wurden in der Poliklinik Ichthalbinpxilver
0,5 3 mal täglich gegeben, nachdem uns aber dieses Mittel durch
1139
die Fabrik nicht weiter zur Verfügung gestellt wurde, gaben wir
Ichthyol- und F orrichthyoltabletten, die wir von der Ichthyol¬
gesellschaft, Cordes, Herrmann & Comp., zum Geschenk be¬
kommen hatten.
Wir haben mit diesen Mitteln theilweise schöne Erfolge ge¬
sehen, theilweise Hessen sie uns im Stich.
Auch bei den vorhin genannten Formen von Ekzem habe ich
sie mehrmals mit Erfolg verordnet.
In einigen sehr hartnäckigen Fällen nahmen wir xuxsere Zu¬
flucht zum Arsenik, ohne jemals eine Besserang zu erzielen.
Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem ver¬
ehrten Chef, Herrn Prof. Dr. Carl S e i t z, für die Ueberlassung
das Materials und für die Anregung zu der Arbeit meinen besten
Dank auszusprechen.
Die Frage nach der Identität der Menschen- und
Thiertuberkulose.*)
Voix Prof. Dr. Disselhorst in Halle a. S.
M. H. ! Wie in unser Aller Erinnerung ist, hat Robert
Koch bei seiner berühmten Veröffentlichung über die Ent-
stehungsursache der Tixberkulose im Jahre 1881 die Identität
a 1 1er Tuberkuloseformen, insbesondere die der Menschen- und
Rindertuberkulose betont, axxs dem Grunde, weil der Entstehung
beider der gleiche Krankheitserreger zu Gi-unde liege. Einzelne
Beobachtungen indessen, auf welche bereits mehrere Forscher
hingewiesen hatten, wie z. B. die verschiedene Beschaffeixheit der
tuberkulösen Veränderungen beim Menschen und beim Rinde und
das Fehlen sicher festgestellter Uebertragungen der Tuberkulose
vom Menschen auf das Thier und umgekehrt, machten es zweifel¬
haft, ob die oben mitgetheilte Amiahme zutreffend sei. Nun ist
K o c h, wie Ihnen bekannt, im vorigen Sommer auf dem Londoner
Kongress mit der überraschenden Behauptung hervorgetreten, die
seine früheren Angaben zum Theil hinfällig macht, nämlich
dass die Tuberkulose des Menschen und verschiedener Thiere,
insbesondere des Rindes, nicht identische Krankheiten seien. Zu
dieser Aixsehauung gelangte er aber nicht durch theoretischo
Reflexionen, sondern auf Grund einer Anzahl von bedeutungs-
vollen Vei’suclien, die er mit Prof. Schütz an der thierärzt-
lichen Hochschule gemeinsam anstellte.
Das von beiden benutzte Infektionsmaterial, mit welchem zu¬
nächst. die Rinder geimpft wurden, bestand theils aus Sputum
von tuberkulösen Menschen, theils aus Reinkulturen, welche aus
tuberkulösen Organen von Menschen, bezw. Rindera gewonnen
waren. Sputum und Kulturen wurden den Thieren entweder
mit sterilisirter Milch oder mit sterilisirtem Wasser vermischt
nach deix verschiedensten Methoden beigebracht: durch Inhala¬
tion, Eiixspritzung unter die Haut, ixi die Bauchhöhle, in die
vordere Augenkammer und in eine Vene. Es braucht nicht be¬
sonders hervorgehoben zu werden, dass man nur junge und ge¬
sunde Thiere zu den Versuchen venvendete. Um den Verdacht
einer schon vorhandenen Tuberkulose axxszuschliessen, wurden
die grösseren Rinder zunächst mit Tuberkulin behandelt, die
mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose infxzirten Thiere
ausserdem streng getrennt von denexx, welche mit Bazillen der
Rindertuberkulose behandelt wurden, Eine entsprechende Tren-
nixng fand axicli unter dem Wartepersonal statt.
Die Resultate waren folgende:
I. Kälber.
6 verschiedene Fütterungsversuche exgaben mit Sicher¬
heit, dass man nicht im Stande war, Kälber durch Ver-
fiitterung von menschlichem tuberkulösen Material, selbst wenn
letzteres in grosser Menge und 7 Monate lang täglich ver¬
abreicht wird, tuberkulös zu machen.
Die Injektionsversuche ergaben, dass es xxicht möglich
war, bei subkutaner Injektion von Bazillen der menschlichen
Tubei-kulose bei 3 Kälbern eine Ausbreitung der Tuberkulose
hervoi’zu rufen, trotzdem die Thiere 7 — 8 Monate lang beobachtet
wurden, und die Bazillen an der Injektionsstelle sich lebend er-
haltexi hatten.
*) Vortrag,’ gehalten im Aerztevei’ein zu Halle am 12. Fe¬
bruar 1902.
3*
1140
Ganz anders dagegen verhielten sich die mit Bazillen der
Rindertuberkulose subkutan infizirten 3 Kälber ; denn
dieselben erkrankten innerhalb kurzer Zeit an allgemeiner Tuber¬
kulose, und gingen in Folge dessen das eine am 49., das zweite
am 77. Tage zu Grunde, während das dritte am 100. Tage schwer¬
krank getödtet wurde.
Hieraus geht nach Koch mit Sicherheit hervor, dass die
Bazillen der menschlichen Tuberkulose vollkommen unschädlich
für das Rind sind, dass dagegen diePerlsuchtbazillen bei letzterem
innerhalb kurzer Zeit die schwersten Veränderungen hervor-
rufen und den Tod veranlassen können.
Die intraabdominale Injektion mit Bazillen der mensch¬
lichen Tuberkulose ergab bei 3 Versuchskälbern ein durch¬
aus negatives Resultat, die Thiere blieben gesund; die gleiche
Injektion mit Perlsuchtbazillen dagegen zeitigte inner¬
halb kurzer Zeit eine Serosatuberkulose.
Während es unmöglich war, drei Kälber durch intravenöse
Injektion der menschlichen Tuberkulose zu infiziren, gingen von
2 Kälbern, welchen dieselbe Dosis von Bazillen der Rinder¬
tuberkulose in die Vene gespritzt wurde, das erste schon nach
26 Tagen in Folge von Miliartuberkulose zu Grunde, während
das andere an allgemeiner Tuberkulose sämmtlicher Organe
schwer erkrankte, so dass es getödtet werden musste.
Fs wurden endlich noch 4 Inhalatiönsversuche gemacht,
welche ergaben, dass man nur in einem Falle im Stande war,
durch Inhalation von Bazillen der menschlichen Tuberkulose
einen kleinen abgekapselten tuberkulösen Prozess in den Lungen
hervorzurufen, während die übrigen 3 Kälber, von welchen 2
die ungeheure Menge von je 4 g Bazillen der menschlichen
Tuberkulose eingeathmet hatten, vollkommen gesund blieben.
Schlussergeb n iss.
Die Versuche ergaben Folgendes:
1. Das Rind ist für den Bazillus der menschlichen Tuber¬
kulose nicht empfänglich, während der Perlsuchtbazillus für das¬
selbe eine grosse Virulenz besitzt.
2. Man kann geradezu die Reaktion des Rindes zur Unter¬
scheidung zwischen Menschen- und Rindertuberkulose benützen.
3. Das mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose subkutan
injizirte Kalb zeigt weder Veränderungen des Allgemeinbefindens,
noch nennenswerthe örtliche Erscheinungen, insbesondere
keine oder rasch vorübergehende unbedeutende Schwellung der
benachbarten Lymphdrüsen.
4. Bei dem mit Perlsuchtbazillen infizirten Kalbe
tritt erst nach 7 — 10 Tagen ein fieberhaftes Ansteigen der
Körpertemperatur ein; von dieser Zeit ab aber besteht andauernd
Fieber. Die Injektionsstelle schwillt sammt der Umgebung und
den benachbarten Lymphdrüsen bedeutend an; letztere erreichen
schon nach 10 Tagen das Doppelte ihrer Grösse. Eiterung an
der Injektionsstelle und Durchbruch durch die Haut. Dabei Ver¬
minderung der Fresslust, öfteres Husten, allmähliche Erschwer-
niss und Beschleungung der Athmung. Meistens verenden die
Thiere schon nach wenigen Wochen an Perlsucht.
Schweine.
Es wurden nur durchaus gesunde, V4 Jahr alte Schweine,
an denen zuvor die Tuberkulinprobe gemacht wurde, zu den Ver¬
suchen benutzt.
Endergebniss:
Die Fütterungsversuche, sowie die subkutanen, intraabdomi¬
nalen und intravenösen Injektionen mit Bazillen der mensch¬
lichen Tuberkulose einerseits und mit denen der Rindertuber¬
kulose andererseits haben gezeigt, dass auch das Schwein für die
Bazillen der menschlichen Tuberkulose nicht empfänglich war,
dass sich dagegen die Bazillen der Rinder tuberkulöse inner¬
halb kurzer Zeit über den ganzen Körper verbreiteten und zu
allgemeiner Tuberkulose führten. (Hier kommt aber ein Aus¬
nahmefall in Frage, bei welchem Granulationen in der Lunge
und kleine Tuberkeln in einer Lymphdrüse gefunden wurden.)
Schafe.
Die in derselben Weise wie beim Rinde und Schweine an-
gestellton Versuche ergaben, dass Schafe ebenso wie Schweine
und Kälber nach Infektion mit Bazillen der menschlichen Tuber¬
No. 27.
kulose nicht erkranken, dass aber nach Infektion mit Bazillen
der P erlsucht eine Erkrankung an Tuberkulose bei Schafen
eintritt, welche der bei Kälbern ähnlich ist. Nur scheint die
Ausbreitung der Tuberkulose bei Iv ä Iber n schneller zu er¬
folgen als bei Schafen.
Kritische Bemerkungen.
Gegen diese Resultate K o c h’s und ihre kritische Ver-
werthung, insbesondere in Bezug auf die Seuchentilgung und
sanitärpolizeilichen Konsequenzen, haben sich indessen in neuerer
Zeit gewichtige Stimmen erhoben; insbesondere hat Professor
A r 1 o i n g in Lyon gegen die Schlussfolgerungen Koc h’s er¬
hebliche Bedenken geltend gemacht.
So betonen A r 1 o i n g und Nocard, dass nicht alle jene
Versuche Chauveau’s, von welchen sogleich die Rede sein
wird, in dem von K o c h angegebenen negativen Sinne ausge¬
fallen sind. Chauveau konnte nämlich in den Jahren 1870,
1872 und 1891 Kälber sowohl durch Verf ütterung als auch durch
intravenöse Injektion mit frischen und käsigen Massen der
menschlichen Tuberkulose tuberkulös infiziren. Dasselbe gelang
K 1 e b s, Kitt, Bollinger, und Cro okshank und Tho¬
mas s e n vermochten gleichfalls auf 3 Fälle gelungener In¬
fektion hei Kälbern hinzuweisen.
Bezüglich der Infektion von Schweinen ergaben die
Versuche K o c h’s selbst, dass nach Verf ütterung von mensch¬
lichem Sputum tuberkulöse Knötchen in den Halsdrüsen und
Granulationen in der Lunge vorkamen. Wenn auch die Gering¬
fügigkeit der tuberkulösen Infektion bei diesem Thiere zu¬
gestanden werden muss, so bedeuten sie doch den negativen Re¬
sultaten beim Kalbe gegenüber immerhin eine tuberkulöse In¬
fektion !
Von sehr wesentlicher Bedeutung ist aber die Thatsache,
dass das dem M enschen entnommene tuberkulöse Ma¬
terial durchaus nicht immer die gleiche Virulenz besitzt; und
dasselbe gilt auch für die Kulturen. Es kann das Tuberkelgift
im menschlichen Körper verschiedene Aktivitätsgrade besitzen,
und diese zu entdecken, gestattet die mehr oder weniger deut¬
liche Empfänglichkeit verschiedener Thierspezies; so z. B. kann
ein vor oder nach seinem Eintritt in den menschlichen Körper
abgeschwächtes Virus einen Theil der verlorenen Aktivität
wiedergewinnen durch wiederholte Passagen durch das Meer¬
schweinchen. Auch andere Thatsachen beweisen, dass der Ba¬
zillus der menschlichen Tuberkulose ausserhalb des Organismus
eine Abschwächung seiner Virulenz erleidet oder erleiden kann.
Das hat auch II u e p p e neuerdings besonders hervorgehoben.
Arloing nimmt desshalb an, dass Koch seine Versuche mit
Varietäten vornahm, deren Virulenz abgeschwächt war; denn
er selbst habe humane Bazillen besessen, mit welchen er Thiere
infizirte, die nach Koch nur mit den Bazillen der Rindertuber¬
kulose hätten tuberkulös werden können.
Oer K o e h’schen Behauptung entgegen können aber auch
Ziege und Esel mit Reinkulturen von menschlicher Tuber¬
kulose infizirt werden; denn sowohl Arloing selbst, als auch
schon früher Chauveau, Johne, Stockmann und
Gallier konnten Esel mit menschlicher Tuberkulose infiziren!
Arloing injizirte 1896 3 Eseln eine sehr virulente Kultur
in die Vene; bei allen dreien kam es zu tuberkulösen Verände¬
rungen an den Organen der Brusthöhle; die Lymphdrüsen waren
dabei nicht geschwollen, nur eine einzelne Bronchialdrüse ent¬
hielt vereinzelte kleine Tuberkel. Dabei ist aber sehr heachtens-
werth, dass die durch intravenöse Injektion hervorgerufene
Lungentuberkulose beim Esel spontan zu heilen scheint.
Fernere Versuche ergaben bei 7 auf die gleiche Art behan¬
delten Ziegen tuberkulöse Eruptionen in der Lunge, welche
durch Sektion verifizirt wurden.
A r 1 o i n g hat somit nachgewiesen, dass es in Reinkulturen
erhaltene Bazillen humanen Ursprungs gibt, welche Ziege und
Esel durch intravenöse Injektion sehr wohl infiziren können,
so dass durch sie bei einzelnen dieser Thiere schwere Erkrankung
und selbst der Tod veranlasst wird. Dieselben Bazillen rufen
bei subkutaner Anwendung beim Rinde indessen ausschliess¬
lich lokale Erscheinungen hervor.
Es haben diese Versuche somit ebensoviel positive Resul¬
tate verzeichnen lassen, welche sich den negativen Koc h’s ent-
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT^.
8. Juli 1902.
gegensteilen. Daher reicht das von Koch bisher angeführte
Kriterium nach der Meinung Arloing’s nicht aus, um die
generelle Verschiedenheit der humanen und bovinen Tuber¬
kulose auszusprechen. Besonders ist zu betonen, dass die V i r u -
lenz der Tuberkelbazillen sich häufig verändert, selbst bei einer
und derselben Thierspezies, da sie sich durch eine Reihe von
successiven Transmissionen den einzelnen lebenden Medien
adaptirt.
Hierzu kommen Beobachtungen direkter Infektion von
Thieren auf den Menschen:
Schon Nocard und Bang haben bemerkt, dass es zweifel¬
los Fälle von zufälliger Inokulation beim Menschen gibt, welche
hinreichend beweiskräftig sind. Koch legt den Hauptwerth
auf die Möglichkeit einer Ansteckung in Folge von Ingestion;
Nocard betont, dass auch in der That authentische Fälle von
Infektion in Folge des Genusses von Milch von an Eutertuber¬
kulose erkrankten Kühen bestehen.
Koch seinerseits will den alimentären Ursprung der Tuber¬
kulose jedoch nur in den Fällen anerkennen, bei welchen der
Darm zuerst erkrankte; ja die Infektion müsse auf den Darm
lokalisirt sein und bleiben; und auch dann, wenn der alimentäre
Ursprung zweifellos sei, sei noch nicht erwiesen, dass die In¬
fektion in jedem Falle der Rindertuberkulose zugeschrieben wer¬
den müsse.
A r 1 o i n g dagegen findet dieses Kriterium zu weit gehend;
es sei, so betont er, nicht erwiesen, dass in den vielen, von
Bagin ski und Biedert erforschten Fällen von Kinder-
tuberkulose, wobei die Läsionen gleichzeitig Darm, Lunge und
Bronchialdrüsen ergriffen hatten, nicht einige mit Darmtuber¬
kulose angefangen hätten. Die Krankheit schreitet mitunter so
schnell vor, dass es unmöglich ist, die primären Läsionen zu be¬
zeichnen. Vor Allem müsse hervorgehoben werden, dass tuber¬
kulöse Läsionen an den Elektionsstellen auftreten können, ohne
dass das Virus irgendwelche Spuren an der Eintrittpforte zurück¬
lässt. Arloing glaubt beispielsweise an die Möglichkeit einer
Lungentuberkulose alimentären Ursprungs ohne Darmläsion!
Ferner beobachtete er bei sehr zahlreichen und verschiedenen
Versuchen viscerale Tuberkulisationen, ohne tuberkulöse Aus¬
saat an der Eingangspforte, und endlich muss auf die Möglich¬
keit hingewiesen werden, dass eine Infektion schon in den ersten
Verdauungswegen erfolgt, ohne dass eine intestinale Läsion sich
anschliesist, während eine Lungentuberkulose entstehen kann, die
dann immerhin alimentären Ursprunges ist.
Hiernach kann nach A r 1 o i n g u. A. nicht zugegeben wer¬
den, dass Koch schon jetzt in der Lage sei, sich mit Sicher¬
heit über die Frage der Empfänglichkeit des Menschen für die
Tuberkulose des Rindes auszusprechen. K o c li wagt auch nicht,
die Möglichkeit der Infektion durch Milch oder Fleisch tuber¬
kulöser Thiere ganz abzuweisen; er spricht mit Bestimmtheit
nur von der Seltenheit dieser Infektion; dies wird aber heut¬
zutage allgemein zugegeben.
Wir dürfen also zur Zeit noch nicht von einer endgiltigen
Regelung dieser für die Seuchentilgung und für die sanitäre
Wohlfahrt so bedeutungsvollen Frage reden. Bisher wurde ja,
wie bekannt, die Verbreitung der Tuberkulose durch Fleisch und
Milch als eine der Hauptverbreitungsursachen derselben über¬
haupt betrachtet. Wenn nun die oben besprochenen Erfahrungen
Koc h’s sich als einwandfrei wahr erwiesen, so bedürften wir
hinfiiro der sanitärpolizeilichen Maassregeln für den Vertrieb
von Fleisch und Milch tuberkulöser Thiere nicht mehr. So lange
aber diese Fragen noch schweben, wird man ein Anhänger jener
Maassregeln bleiben müssen, selbst in dem Bewusstsein, dass die
Hauptforderung der humanen Tuberkulose der tuberkulöse Mensch
selbst ist. So reduzirt aber die Infektion von Thier auf Mensch
sein möge, immer muss gegen sie Schutz gesucht werden, denn
der infizirte Mensch wird wiederum ein gefährlicher Weiterver¬
breiter der Seuche.
1141
Lieber die Natur der zur Heilung führenden regres¬
siven und produktiven Gewebsveränderungen,
welche der Lupus, das Ulcus rodens und der Naevus vasculosus
planus unter dem Einfluss der 1 i ns en’ sehen Lichtbehandlung
erleiden. *)
Von Dr. med. et phil. Arnold Sack,
leitender Arzt am Heidelberger Sanatorium für Hautkranke.
In meiner ersten, in dieser Wochenschrift1) erschienenen,
zusammenfassenden Arbeit über das Wesen und die Fortschritte
der Finse n’schen Lichtbehandlung berührte ich neben den
theoretischen Voraussetzungen physikalischen und biologischen
Charakters hauptsächlich nur die klinische Seite dieses
therapeutisch so wirksamen Verfahrens, während ich die h i s to-
logischen Veränderungen, welche sich im Gewebe der be¬
handelten Hautherde unter dem Einfluss des konzentrirten elek¬
trischen Bogenlichtes abspielen, nur insoweit berücksichtigt habe,
als es zum Verständniss der klinisch wahrnehmbaren Heilungs¬
vorgänge auf die Haut unbedingt nöthig ist. Nun ist aber die
Frage nach dem „Wie“, nach der Biomechanik des ganzen Pro¬
zesses, der die komplizirte Struktur eines lupösen Granuloms,
eines Hautkankroids u. s. w. durch eine Reihe von regressiven
Zwischenstufen hindurch schliesslich der Heilung entgegenführt,
welche mit der Bildung einer zarten anämischen Hautnarbe
gleichbedeutend ist, eine so interessante, dass sie wohl vei’dient,
auch ausserhalb des Rahmens technisch-klinischer Betrachtung
für sich allein erörtert zu werden.
Wie erspriesslich die Arbeiten der Kopenhagener Forscher
für die wissenschaftliche Begründung und für die technische
Ausgestaltung der Finse n’schen Methoden auch gewesen sind,
für die Erkenntniss der eigentlichen histo - pathologi¬
schen Vorgänge, welche in der endgiltigen Heilung der
eminent chronischen einschlägigen Hautaffektionen gipfeln, ist
von dieser Seite bis jetzt noch so gut wie gar nichts geschehen.
In dem mustergilt ig eingerichteten Lichtinstitut des Herrn Prof.
F insen ging man neben den exakten physikalischen, physio¬
logischen, biologischen und bakteriologischen Forschungen in den
letzten Jahren vornehmlich nur den praktischen Heilzwecken
nach, denn für diese Zwecke war dieses Institut, Dank der
Munifizenz echter Menschenfreunde, schliesslich gegründet.
Pathologische Arbeiten feineren Kalibers nahm man dort nicht
gern auf. Nicht einmal das Wesen der Wirkung des elektrischen
Lichtes auf die gesunde Haut wurde dort histologisch studirt.
Wie also die eigentliche „photochemische Entzün¬
dung“ im Mikroskop aussieht, in wieweit sie sich von jeder
anderen durch thermische, chemische oder pathogene Reize allein
bedingten Entzündung etwa unterscheidet, darüber konnte man
weder von F i n s e n noch von seinen Schülern etwas Genaueres
erfahren.
Der Erste, der die Reaktion der gesunden Haut auf das
elektrische Bogenlicht histologisch studirt hat, war Möller2)
in Stockholm. Nach diesem Autor vollziehen sich die ersten
Veränderungen in den Blutgefässen der Haut, welche auch
makroskopisch eine gewisse Erweiterung zeigen. Gleichzeitig
bemerkt man ein leichtes Oedem und Parakeratose des Epithels.
Bei intensiverer Bestrahlung tritt eine sero-fibrinöse Exsudation,
begleitet von kleinzelliger Infiltration unter Beimengung von
rothen Blutkörperchen, auf. Diese Veränderungen gehen mehr
oder minder tief in’s Corium hinein. Bei höheren Graden der Ex¬
sudation können auch schwerere Gewebsstörungen, wie Quellung
und Homogenisirung des Kollagengerüstes, Quellung, Infiltration
und schliesslich blasige Abhebung des Epithels, namentlich auf
der Grenze zwischen dem Stratum granulosum und dem Stratum
corneum beobachtet werden. Bei sehr starker Belichtung hat
Möller auch Thrombenbildung in den Gef ässen gesehen.
Die ersten Arbeiten dagegen über die histologischen Gewebs¬
veränderungen bei pathologischen Prozessen der Haut ver-
*)' Vortrag, gehalten im Naturh.-medic. Verein zu Heidelberg.
9 A. Sack: Ueber das Wesen und die Fortschritte der
F i n s e n’schen Lichtbehandlung. Münch, med. Wochenschr. 1902,
No. 13—14.
2) M ö 1 1 e r: Der Einfluss des Lichtes auf die Haut in ge¬
sundem und krankhaftem Zustande. Bibliotheca Medica, Abth. D,
II. Heft 8. Stuttgart 1900.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
4
1142
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
danken wir russischen Forschern. Ein besonderes Verdienst hat
sich darin das Lichtinstitut der chirurgischen Klinik des Prof.
Welj aminow in Petersburg erworben. Unter der Leitung
Dr. S e r a p i n’s hat dort Dr. Glebowsky seine ersten um¬
fassenden Untersuchungen angestellt. In seiner ausgezeichneten
Monographie 3) hat Glebowsky werthvolle Aufschlüsse ge¬
geben über die Reihenfolge der z. Th. produktiven, z. Th. re-
gressiv-degenerativen Veränderungen der Lupuselemente bei der
Einsenbestrahlung. Es sollen hier zunächst die akuten Er¬
scheinungen, mit denen das Lupusgewebe auf eine einmalige
Bestrahlung von üblicher Dauer reagirt, kurz angedeutet und
dann die im Laufe der weiteren Behandlung aufeinander fol¬
genden chronischen Umwandlungen der Lupomzellen aus¬
führlich erörtert werden.
Die akute Reaktion erkennt man nach 24 Stunden : a) als
Blutüberfüllung und Erweiterung der Gefässe mit Quellung
und Wucherung ihrer Endothelien, b) als vermehrten Austritt
der Leukoeyten um dieselben und c) als Erweiterung der Binde-
gewebsspalten — mit einem Worte: als eine Entzündung mässigen
Grades, zu der sich aber — wie es scheint, eine spezifische Erschei¬
nung — die Degeneration der Riesenzellen in Form von deut¬
licher Vacuolenbildung in ihrem Protoplasma hinzugesellt.
Diese entzündlich degenerativen Erscheinungen schreiten bis
zum 4. Tage fort und werden auch von nekrobiotischem Zerfall
der Kerne und von fettiger Degeneration des Plasmas der sog.
epitheloiden, vornehmlich aber der Riesenzellen begleitet. Wäh¬
rend nach dem 4. Tag ein allmählicher Stillstand in das Gewebe
der Lederhaut kommt, beginnt in der Epidermis nunmehr die
fettige Entartung und stärkere Abschuppung. Doch ist nach
7 — 12 Tagen Alles zur Norm wieder zurückgekehrt bis auf eine
stärkere Gefässbildung in dem Gewebe. Soweit die akute Re¬
aktion.
Die chronische Reaktion dagegen bei wiederholter Bestrah¬
lung geht auf das Ausstossen der Lupomknötchen aus den oberen
Schichten desCoriums hinaus. Diese Befreiung geschieht auch mit
Hilfe degenerativer Prozesse und zwar in folgender Weise. Zu¬
nächst verfallen die Riesen zellen der fettigen Degeneration
des Plasmas unter Bildung von mehr oder minder grossen Hohl¬
räumen (Vacuolen). In ihrem Innern finden sich körnige Ge¬
bilde ohne deutliche Eett- oder Glykogenreaktion, die wohl beson¬
dere Zwischenstufen des Zelleneiweisses darstellen und nach und
nach zu Vakuolen resorbirt werden. Aber auch ihre Kerne zer¬
fallen sichtlich durch Pyknose und Chromatolyse, bis schliesslich
die Riesenzellen auf diese Weise nach mehreren Sitzungen aus
dem mikroskopischen Bilde für immer verschwinden. Parallel
damit vollziehen sich schwerwiegende Umwandlungen der
sogen, epitheloiden Elemente, bei denen der de-
generative Charakter schon weniger, der produktive dagegen
sehr deutlich in den Vordergrund tritt. Schon bei der akuten,
einmaligen Reaktion sahen wir die Degenerationsvorgänge in
ihnen im Verhältniss zu den anderen morphologischen Elementen
des Luporns nur sehr schwach ausgeprägt. Im Laufe der Behand¬
lung ändert sich dieses Verhältniss auch nicht mehr; dagegen
gehen die Epitheloiden progressive Metamorphosen ein.
Die im Mikroskop zu beobachtenden Umwandlungen derselben
berechtigen zu der Annahme, dass ihnen am Aufbau der späteren
Lupusnarbe ein wesentlicher Antheil zukommt, indem sich diese
Zellen bezw. ihre Kerne oval und spindelförmig verlängern und
umlagern und schliesslich in Bindegewebsfasern übergehen.
Von dem dritten integrirenden Bestandteil des Lupusknöt¬
chens — von den lymphoiden Elementen desselben — be¬
richtet uns Glebowsky, dass sie z. Th. zu Grunde gehen,
z. Th. aber proliferative Veränderungen eingehen. Jene nach
Serapin’s Ansicht aus den Leukoeyten des Blutes hervor¬
gegangenen Elemente, welche dem Untergang geweiht sind,
unterliegen einer fortschreitenden fettigen Degeneration; diese
aktiven Elemente dagegen, die Glebowsky (bezw. S e r a p i n)
*) A. Glebowsky: Zur Frage der Wirkung des konzen-
trirten Bogenlichtes auf den Lupus. St. Petersburg 1901. (Russisch.)
-Mit vielen Abbildungen und Tafeln. 168 S. — Vergl. auch den
von Dr. Serapin auf dem VII. Kongress d. Deutsch, dermatol.
Gesellsch. zu Breslau, Mai 1901, erstatteten Bericht über die
G lebowsk y’sehen Befunde. Verhandl. S. 500—507 und Taf. XI
bis XIV.
von den fixen Bindegewebszellen ableitet, zeigen keine Degene¬
rationserscheinungen. Nach Art der Epitheloiden gehen sie viel¬
mehr in ovale und spindelförmige Zellen über, die durch Faser¬
erzeugung an der Bildung des Narbengewebes theilnehmen, ja zu¬
sammen mit fibroplastisch aktiven Epitheloiden das eigentliche
Narbengewebe bilden.
Interessant ist es, dass die sehr reichlich entwickelten Blut¬
gefässe, die für das Vorsichgehen aller dieser Prozesse unent¬
behrlich sind, zunächst keine Rückbildung zeigen und erst am
Schluss des Vernarbungsprozesses mit der Bildung einer zellen¬
armen Narbe durch Endovasculitis zu obliteriren anfangen
und schliesslich verschwinden.
Alles zusammen — der Schwund der weniger standhaften
Lupomelemeinte (wie der Riesenzellen und eines Theiles der
Lymphocyten) sowohl, wie die Proliferation der standhafteren
Elemente (der Epitheloiden und des anderen Theils der
Lymphocyten), dann aber die Rückbildung der gewucherten Binde¬
gewebszellen zu Fibrillen — bildet im Verein mit desquami-
render und obliterirender Endothelproliferation der Blutgefässe
das Wesen jener „photochemischen Entzündung“ bei Finsen¬
behandlung, welche, von den oberen Schichten des Coriums aus¬
gehend, sich allmählich über seine ganze Dicke ausbreitet und
endlich in die kosmetisch tadellose zellenarme und weiche Narbe
übergeht.
Aus diesen Beobachtungen Glebowsky’s ergeben sich
viele interessante Gesichtspunkte für die weitere Verfolgung
der Frage der Lupomrückbildung vom Standpunkte der Plasma¬
zellentheorie. Weiteren Arbeiten bleiben hier wichtige histo¬
logische Aufschlüsse unter Zuhilfenahme feinerer Färbungs-
me (Loden Vorbehalten.
Während in den Arbeiten von S e r a p i n und Glebowsky
keine Antwort auf die Frage enthalten ist, wie die Vakuolisirung
der Riesenzellen, die, wie anzunehmen ist, ein charakteristisches
Merkmal der photochemischen Entzündung des lupösen Gewebes
darstellt, vor sich geht und durch welche Faktoren diese und
der Schwund der übrigen Elemente bedingt wird, hat Pilnow4)
in der allerletzten Zeit versucht, eine Erklärung dafür zu geben,
indem er auf Grund seiner histologischen Beobachtungen, in
denen er übrigens auf die Arbeiten Glebowsky’s merk¬
würdiger Weise keinen Bezug nimmt, die Behauptung aufstellt,
dass es die aus den photochemisch gereizten Blutgefässen aus-
gewanderten Leukoeyten sind, welche in die Riesenzellen (und
auch andere Zellen nach P i 1 n o w) eindringen und dort durch
eine Art Phagocytose das Plasma unter Bildung von Ilohlräumen
(Vakuolen) vernichten. Es sei mir gestattet, die betreffende
Stelle hier ausführlicher wiederzugeben: Man begegnet, sagt
Pilnow, Riesenzellen, die keine Leukoeyten enthalten, dafür
aber von solchen haufenweise umlagert sind, wobei einige von
diesen im Momente des Eindringens in die Riesenzelle ertappt
werden, indem ein Theil des weissen Blutkörperchens noch ausser¬
halb der Zelle, der andere Theil dagegen in dieselbe schon ein¬
bezogen ist. Dort, wo sie schon eingedrungen sind, sieht man
im Protoplasma der Riesenzelle einen hellen, ringförmigen Hohl¬
raum um sie herum, der schliesslich zu einem runden grossen
Hohlraum wird. Solcher gibt es 4 — 5 in einer Riesenzelle, so
dass ihr Protoplasma schwammiges Aussehen bekommt. Einige
von den Vakuolen nehmen den grössten Theil der Zelle ein.
Gieiehzeitig zerfallen aber auch die Riesenzellkerne durch
Chromatolyse und geben ähnlichen Vakuolen, wie den oben be¬
schriebenen, Platz. Auf diese Weise löst sich allmählich die
ganze Riesenzelle unter der von Pilnow behaupteten destruk¬
tiven Mini rarbeit der eingewanderten Leukoeyten auf.
Wie schon Glebowsky, beobachtete Pilnow die Va¬
kuolenbildung auch in den tieferen Schichten des Rete Malpighi
und — im Gegensatz zu jenem — auch in den Epitheloiden.
Auch hier glaubt er die Resorption im Plasma auf die einge¬
wanderten Leukoeyten zurückführen zu müssen, die er in ihnen
4) M. Pilnow (aus dem Laboratorium von Prof. Gay in
Kasan): Ueber liistopathologische Veränderungen des Lupus vul¬
garis unter der F i n s e n’schen Behandlung. Vortrag, gehalten
am 4. März d. J. in der medizinischen Gesellschaft der Universität
Kasan. Vorläufige Mittheilung in der russischen medizinischen
Wochenschrift ..Iiusskij Wratsch“, No. 15, 1902, p. 579. (Vergl. ein
kurzes Referat von mir darüber in der „Deutsch, med. Wochen¬
schrift“, No. 20.)
8. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1143
gesehen hat. Die Lymphocyten dagegen lässt er durch Chromato-
lyse der Kerne zu Grunde gehen.
Diese interessanten Veränderungen, die er auf die Phago-
cytosre der unter dem photochemischen Reiz emigrirten Leuko-
cyten zurückführt, im Verein mit einer eigenthümlichen serösen
Durchtränkung und mit Leukocyten- und Eosinophileninfiltration
des Lupusgewebes beschreibt Pilnow als das Wesen der photo¬
chemischen Reaktion.
Die Bestätigung dieser Befunde bleibt abzuwarten. Vor
Allem muss noch der Nachweis geführt werden, dass es wirklich
eingewanderte Leukocyten und nicht die degenerirenden Kerne
der Riesenzellen und sonstiger Zellen selbst sind, um die sich die
Hohlräume bilden. Die degenerirenden Zellkerne sind im Ge¬
webe mitunter leicht mit Leukocyten zu verwechseln. Mit
diesem Nachweis fällt und steht die schöne Phagocytentheorie
dieses Beobachters 5 6).
Wie für den Lupus, so waren auch für das Ulcus
r o d ens die russischen Arbeiten bis jetzt die einzigen, die sich
mit der Histopathologie der Finsenreaktion beschäftigten. Aus
demselben Laboratorium von Weljaminow kam vor Kurzem
eine andere ausführliche Arbeit von Gerschuny6) heraus. Um
die Resultate dieses Autors richtig zu würdigen, muss hervor¬
gehoben werden, dass er mit v. V o 1 k m a n n, König,
Braun u. A. geneigt ist, im Ulcus rodens weniger eine wahrhaft
karzinomatöse Neubildung der Haut, als vielmehr ein exulzerirtes
Endotheliom, also ein Gebilde mesodermalen Ursprungs mit nur
sekundären Epithelveränderungen proliferativen Charakters
zu sehen. Man mag in dieser noch wenig geklärten Frage von der
wahren Natur des Ulcus rodens oder des „Jaco b’schen Haut¬
karzinoms“ einen von Gerschuny abweichenden Standpunkt
einnehmen, immerhin muss zugegeben werden, dass ein guter
Theil der TJlcera rodentia durch seinen klinischen Verlauf, seine
Zugänglichkeit für die konservative Therapie, seine relative Be-
nignität und den Mangel jeglicher Drüsenmetastasen von den
typisch karzinomatösen Bildungen in der Haut wesentlich ver¬
schieden ist. Dazu kommt der von v. Volk mann, Pagen¬
stecher, König, Braun, Madelung und Ger¬
schuny erhobene histologische Befund, der mit grosser Wahr¬
scheinlichkeit für den primär-endotheliomatösen Charakter
dieser Hautgeschwüre spricht. Gibt man also die Wahrschein¬
lichkeit zu, dass man im Ulcus rodens eine relativ benigne Neu¬
bildung bindegewebigen Charakters hat, die von den Endothelien
der Bindegewebsspalten ausgeht, so wird man auch als Chirurg
gegen die Ausdehnung des konservativen Finsen’schen Ver¬
fahrens auch auf die Behandlung dieser „Pseudokarzinome“
nichts Wesentliches einzuwenden haben, zumal als nach verschie¬
denen Publikationen, speziell von Finsen u. A., der Prozent¬
satz der Heilungen (ca. 50 Proz.) bis jetzt kein geringer war.
Auch ich konnte mich u. A. von der heilenden Kraft dieses Ver¬
fahrens bei meinen Fällen überzeugen. Gerschuny selbst
konstatirt eine gewisse, wenn auch nicht durchgreifende Analogie
zwischen den histologischen Bildern der akuten wie chro¬
nischen Lupus- und der Ulcus rodens-Reaktion. Bei der
a k u t e n fallen hauptsächlich die gewöhnlichen entzündlichen
Erscheinungen auf, die sich in den oberen Cutisschichten ab¬
spielen und neben der starken Erweiterung und Hyperämie der
Blutgefässe sowohl wie ödematöser Durchtränkung des Gewebes
(Erweiterung der Saftspalten) in rundzelliger Infiltration um die
Gefässe bestehen, während das Rete Malpighi auch ein leichtes
Oedem mit Vacuolisirung der Zellen und Abschuppung des
Stratum corneum zeigt. Die Hyperplasie der Endothelien an
den Knäuel- und Talgdrüsen ist nebensächlich.
Die chronische Reaktion dagegen bei fortgesetzter Be¬
handlung lässt auch hier die Umlagerung und Umwandlung der
rundzeiligen Elemente zu spindelförmigen und verzweigten
Zellen mit nachträglicher Umwandlung derselben zu Binde-
gewebsfibrillen erkennen. Mit dem fortschreitenden Schwund
5) Ich habe mich inzwischen aus den mir von Herrn Prof. Gay
in liebenswürdigster Weise überlassenen P i 1 n o w’schen Prä¬
paraten überzeugen können, dass seine Behauptungen wirklich auf
Thatsachen beruhen.
°) B. Gerschuny: Zur Frage des Ulcus rodens und der
Einwirkung des konzentrirten elektrischen Bogenliehtes (nach
Finsen) auf dasselbe. (Russisch.) St. Petersburg 1901. Mit
mehreren Tafeln. 79 S.
der Infilträtzellen und dem Erstarken der jungen Bindegewebs¬
zellen und Fibrillen zieht sich das ursprünglich gewucherte Epi¬
thel unter fortschreitender Vakuolisirung, Schrumpfung und
sonstiger Degeneration immer mehr zurück und zusammen. Die
im Gewebe der Cutis versprengten Epithelzüge werden von dem
neuen zellenreichen Bindegewebe umwachsen und gewisser-
maassen erdrückt, bis sie durch Atrophie völlig zu Grunde gehen.
Die das eigentliche Stroma des Ulcus ausmachenden endothelialen
Elemente dagegen verschwinden nach und nach, indem sie neue
Fibroblasten bilden, aus denen wiederum junge Bindegewebs-
fibrillen entstehen ; denn mit der progressiven Abnahme der
Endothelzellen der Neubildung geht die fortschreitende Zu¬
nahme der Fibroblasten, ohne erkennbare degene-
rative Zwischenstufen, vor sich. Die in Frage kom¬
menden Fibroblasten, die von den Endothelien geliefert werden,
haben sternförmiges Aussehen. Ihre Ausläufer gehen unbemerkt
in die Collagenfasern über.
Das Endresultat aller dieser Umwandlungen ist ein festes
Narbengewebe, dessen derbe Faserzüge die zwischen ihnen lie¬
genden Blutgefässe zur Obliteration bringen. Ob dabei desquama¬
tive Prozesse im Innern derselben in Frage kommen, erwähnt
Gerschuny nicht.
Aber auch über den Naevus vasculosus planus
oder die einfache Teleangiektasie der Haut verdanken
wir einige Aufschlüsse derselben Weljamino w’schen Klinik,
aus der G 1 e b o w s k y 7) vor einigen W ochen eine kurze dies¬
bezügliche Arbeit gebracht hat. Wie ich in meiner ersten Ver¬
öffentlichung erwähnt habe, hat Finsen in vielen Fällen dieser
hartnäckigen Hautanomalie Heilerfolge erreicht. Auch in Peters¬
burg waren die Resultate nicht minder günstig. Anatomisch
bildet das Wesen des Rückbildungsprozesses, der hier zur Hei¬
lung führt, nach den histologischen Untersuchungen von Gle-
b o w s k y, die noch nicht ganz abgeschlossen sind, eine starke
Hyperämie bis zur Blutstase und die Peri- und Endovasculitis
an den Blutgefässen. Durch die entzündlichen Zellenmäntel, die
sich um dieselben bilden (Perivasculitis), erleiden die Gefässe
schon eine erhebliche Kompression. Durch die parallel einher¬
gehende Wucherung der Gefässendotlielien (Endovasculitis) führt
diese Kompression schliesslich zur Thrombose bezw. zur voll¬
ständigen Verödung der Gefässe. Nach der vollzogenen Oblitera¬
tion organisiren sich die Thromben sehr rasch durch die pro¬
liferative Thätigkeit der Gefässendothelien, während in dem
Bindegewebe selbst von seinen Zellen neue Faserzüge ausgehen.
Zuletzt entsteht auf diese Weise ein festes, aus Collagen ohne
Beimengung von jungem Elastin bestehendes Corium.
Lassen sich nun aus diesen Befunden Folgerungen ziehen für
die Theorie der Lichtwirkung auf die Haut ? Ich glaube, dass
es bis zu einem gewissen Grade schon zulässig ist, wenn auch
zugestanden werden muss, dass weitere und zahlreichere Beob¬
achtungen dazu gehören, um diesen Folgerungen eine absolute
Beweiskraft zu verschaffen.
Aus diesen Befunden lernen wir:
1. Dass der erste Angriffspunkt für die Lichtwirkung die
Blutgefässe sind, an deren Wandungen die ersten Ver¬
änderungen, wie Endothelquellung und Wucherung, zu erkennen
sind. Am einfachsten tritt dieses Verhalten bei unkomplizirten
Angiomen der Haut in Erscheinung (Endovasculitis mit
schliesslicher Obliteration der Gefässe). Es kommt aber auch
in der komplizirten Struktur eines Lupusherdes noch deutlich
genug zur Geltung.
2. Dass der ganze Prozess mit Verbrennung und
Verätzung des kranken Gewebes nichts zu
thun ha t, wie es von mancher Seite fälschlich beobachtet
wurde. Schon das späte Auftreten der Lichtreaktion, aus der
von vornherein die Wärmestrahlen zum allergrössten Theil eli-
minirt sind, sowohl wie der ganze klinische Verlauf sprechen
T) A. Glebowsky: Zur Frage der Wirkung des konzen¬
trirten elektrischen Bogenlichtes (nach Finsen) auf die Blut-
mäler (Naevus vasculosus planus. Angioma Simplex, Teleangi¬
ektasie). Mit Tafeln. (Aus den „Arbeiten des medizinischen Licht¬
institutes der Chirurg. Klinik von Prof. Weljamino w“.
[Russisch.] März 1902.)
4*
1144
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
gegen diese unrichtige Annahme. Vor Allem spricht aber im
histologischen Bild das Fehlen der jede Verbrennung und Aetz-
ung begleitenden Koagulation mekrose dagegen. Die regressiven
Veränderungen zellularen Charakters, die hier auftreten
und z. Th. nekrobiotiseher Art sind, sind rein e 1 e k t i v, indem
sie nur bestimmte und zwar weniger standhafte Elemente des
kranken Gewebes befallen, während die anderen Elemente
innerhalb und ausserhalb des kranken Herdes gerade
zur aktiven Thätigkeit angeregt („inzitirt“) werden. Somit geht
diesen Veränderungen jede nekrotisirende oder zerstörende Rolle
ab, die den Brenn- oder Aetzprozessen bei Lupus u. A. dagegen
innewohnt.
3. Dass die chemischen Lichtreize, welche hier die kranke
Haut treffen, vermöge ihrer verhältnissmässig geringen In¬
tensität, die weit davon entfernt war, das Zellleben gänzlich zu
zerstören, in den Zellen im Gegen theil solche Bedingungen
schaffen, welche den noch nicht ganz kranken Zellen die Möglich¬
keit geben, sich selbst wieder zu erholen und auch über die kran¬
ken Zellen zu siegen. Die Schwächung der pathologischen Haut¬
elemente auf der einen, die Stärkung der standhaften, noch ge¬
sunden Elemente im Inneren des Herdes und in seiner „Grenz¬
schicht“ auf der anderen Seite — sind die beiden biochemischen
Produkte der Finsenbehandlung, welche demnach wohl den
Namen der zellular therapeutischen, die ihr G. Müller8) bei¬
gelegt hat, wohl verdient. Damit stimmt es auch überein, dass
die Methode, wie schon erwähnt, rein e 1 e k t i v wirkt, indem sie
nur gewisse zellige Elemente allmählig zur Resorption bringt,
die anderen dagegen zu fixen Bindegewebsbestandtheilen erhebt,
wodurch die eigentliche Heilung hervorgebracht wird.
Wie ganz anders muss die Heilung hier vor sich gehen, wo
unter dem Einfluss der in den Grenzen eines noch physio¬
logischen Reizes befindlichen chemischen Lichtwirkung die
Lebensenergie der geschwächten Gewebszellen zu aktiver Thätig¬
keit und Ausstossung der kranken Einlagerungen angefacht wird,
im Vergleich mit jenen rein passiven Methoden, wo das Gesunde
mit dem Kranken zugleich durch Thermokauter und Aetzstab
unwiderruflich zerstört wird und damit den noch standhaften
Elementen die Möglichkeit entzogen wird, sich durch eigene pro¬
duktive Lebensthätigkcit des inneren Feindes zu erwehren.
Was die andere wichtige Frage anlangt, ob die Finsenbehand¬
lung durch baktericide oder durch photochemisch-entzündliche
Eigenschaften wirkt, so scheint mir aus den histologischen Be¬
funden hervorzugehen, dass die letzteren eine überaus wichtigere
Rolle dabei spielen, als die bakterizide Kraft allein. Immerhin
ist dadurch die indirekte bakterizide Einwirkung gewiss nicht
ausgeschlossen. Schon die im Beginn der Behandlung auf¬
tretende vakuolisirende Degeneration der Riesenzellen, in denen
die Tuberkelbazillen zu vermuthen sind, muss zum Untergang
dieser führen. Inwieweit für die Erklärung dieses Bakterien¬
todes die Phagocytentheorie von P i 1 n o w herangezogen werden
darf, bleibt noch dahingestellt. P i 1 n o w selbst hat diese Kon¬
sequenz noch nicht gezogen. Vielleicht geben uns weitere
Arbeiten näheren Aufschluss darüber.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Basel
(Direktor : Prof. Dr. v. Herf f).
Zur klinischen Bedeutung der Retroflexio uteri
mobilis.
Von Dr. E. Wormser,
gew. Assistenzarzt der geburtsh.-gynäkol. Poliklinik.
(Schluss.)
Ich habe während des Jahres 1901/02 reichlich Gelegenheit
gehabt, mich von der Richtigkeit des eben skizzirten Stand¬
punktes zu überzeugen, indem sich unter dem Material der
gynäkologischen Poliklinik etwas über 100 Fälle von unkom-
plizirter, also „reiner“ mobiler Retroflexion des nicht gra¬
viden Uterus befanden. Von diesen waren absolut beschwerde¬
frei 36, also über ein Drittel; diese Frauen kamen theils zur
Kontrole nach Geburt, Abort oder Operation resp. Behandlung,
theils zur Untersuchung auf Gravidität oder wegen Affektionen
der äusseren Genitalien oder aus sonstigen Ursachen. Ueber
8) G. J. Müller: Artikel „Aktinotherapie“ im Lolmstein’schen
Medizinalkalender für 1902. Verlag von O. Coblentz.
Kreuzschmerzen allein oder verbunden mit anderen Beschwerden
klagten 32; in einem Theil dieser Fälle habe ich Pessare ein¬
gelegt und dabei die schon oben erwähnte Erfahrung bestätigen
können, dass eine Anzahl von Frauen trotz guter Lage des Uterus
im Pessar sich nicht erleichtert fühlten; andere kamen zum
Ringwechsel, ganz beschwerdefrei : der Uterus lag retroflektirt ;
in noch anderen Fällen stimmten das orthopädische und funktio¬
nelle Resultat mit einander überein. Einer Anzahl dieser Frauen
habe ich kein Pessar eingelegt; ich habe ihnen gesagt, die Be¬
schwerden kämen nicht vom Unterleibe, sondern von den Nerven
her, habeBäder, kalte Waschungen, Tct. valerianae oder je nach be¬
stehenden anderen Beschwerden (Obstipation etc.) dementspre¬
chend ein Mittel verschrieben und sehr schöne Resultate erzielt.
Das letzte Drittel meiner Patientinnen kam aus den verschie¬
densten Gründen; sie klagten über verstärkte, unregelmässige
Blutungen, Dysmenorrhoe, Fluor, Schmerzen im Leib, in den
Lenden, im Rücken, Kopfweh, Schwindel, Magenschmerzen,
Stuhlbeschwerden, Ischias etc. Auch hier hat sich dieselbe Er¬
fahrung bestätigt, dass eben in der Mehrzahl dieser Fälle
ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen den Symptomen,
worüber geklagt wurde, und der Lage des Uterus nicht bestand.
Eine Beobachtung habe ich aber mit grosser Evidenz machen
können und die betrifft den grossen Einfluss der
Suggestion und Autosuggestion. Einige Beispiele,
die ich leicht vermehren könnte, mögen dies verdeutlichen:
Eine 36 jährige Hausfrau, Mutter von 3 Kindern, deren
jüngstes 8 Jahre alt ist, steht seit Nov. 1899 in poliklinischer Be¬
handlung wegen Kreuzschmerzen, Müdigkeit, Schwäche in den
Beinen etc. Die erste Untersuchung hatte eine Retroflexion er¬
geben, die durch verschiedene Pessarien zu heben versucht worden
war. Manchmal hatte sie nun Beschwerden, trotzdem der Uterus
vorne lag, manchmal umgekehrt keine oder wenigstens keine
Kreuzschmerzen, währenddem sich der Uterus im Pessar nach
hinten umgelegt hatte. Im Juni 1901 sah ich die Patientin und
stellte die Diagnose Neurasthenie. Die Behandlung war nun zu¬
nächst eine psychische, indem ich der Patientin Hauptaugenmerk
vom Unterleib weg auf den Zustand ihrer Nerven richtete und ihr
desshalb kalte Waschungen, Spazieren im Freien, gute Ernährung
anrieth; wegen eines leichten Descensus vaginae legte ich ein
kleines Hodgepessar ein, das keine Beschwerden verursacht. Seit¬
her kommt Patientin alle 2—3 Monate zum Ringwechsel, Avobei
der Uterus stets ganz retroflektirt angetroffen wird; dabei fühlt
sie sich aber vollkommen wohl, ist arbeitsfähig und arbeitskräftig
und klagt namentlich nie mehr über Kreuzweh.
Eine 47 jährige Hausfrau, ebenfalls seit 2 Jahren in Behand¬
lung wregen Retroflexion, zeigt in gleicher Weise ein wechselndes
Verhalten in ihren Beschwerden, ohne dass dieselben mit der
Stellung des Uterus zusammenfallen würden. Am 15. April 1901
kam sie wieder zum Ringwechsel und fühlte sich dann ganz wohl,
bis sie Anfangs Juli bei der täglichen Scheidenausspülung den
Eindruck hatte, das Rohr stosse an, gehe nicht mehr so tief in
die Scheide herein wie sonst, woraus sie schloss, der Ring sei ge¬
rutscht und der Uterus habe sich wieder umgelegt; nun fühlt sie
wieder Kreuzschmerzen, Müdigkeit, Scliwrere in den Beinen etc.,
Beschwerden, die nicht verschwinden wollen; sie kommt desshalb
früher als gewöhnlich zum Ringwechsel und siehe da, das Pessar
liegt absolut korrekt in der Scheide und der Uterus ist tadellos
anteflektirt! Die einfache Vorstellung, die Gebärmutter habe sich
wieder nach hinten gelegt, hat also genügt, um die typischen
Retroflexionsbeschwerdeu trotz schönster Anteversion zu erzeugen!
Einen ganz analogen Fall habe ich erst vor Kurzem erlebt: Die
Patientin trug ihr Pessar zu ihrer Zufriedenheit seit mehreren Mo¬
naten bei regelmässigem Wechsel, wobei stets der Uterus vorne
lag. Eines schönen Tags hat sie bei der in Folge Obstipation etwas
mühsamen Defäkation plötzlich das Gefühl, der Ring sei heraus¬
gerutscht und in der Tiefe verschwwinden; von diesem Augen¬
blicke an Kreuz- und etwas Leibschmerzen etc., so dass sie schon
nach wenigen Tagen in die Poliklinik kommt, um ganz verschämt
ihr Missgeschick zu erzählen. Wie gross war aber mein und auch
der Patientin Erstaunen, als ich bei der Untersuchung den Ring
absolut richtig an seinem riatze und den Uterus anteflektirt fand!
Auf ganz dieselbe Weise lässt sich gewiss die Mehrzahl der¬
jenigen Fälle erklären, wo die Schmerzen zuerst auftreten im
Anschluss an einen Fall, eine körperliche Ueberanstrengung,
eine unhygienische Maassregel etc., während Alles dafür spricht,
dass die Retroflexion nicht erst bei diesem betreffenden Anlass
akut aufgetreten ist, sondern schon seit Jahren, wenn nicht an¬
geboren, bestand. Es hat diese Thatsache ein gewisses forenses
Interesse dadurch, dass nicht so sehr selten in industriellen Be¬
trieben mit weiblicher Arbeiterschaft derartige Fälle Vorkommen
und zu Entschädigungsforderungen Veranlassung geben mögen,
da es sich um einen Unfall handle, was natürlich noch viel we¬
niger zutrifft als bei der bekannten Unfallshernie.
8. Juli 1902.
MÜENCllENER MEbiCitflSCtife WOCHENSCHRIFT'.
Mit dieser meiner Auffassung' von der klinischen Dignität
der Retroflexio uteri stimmen nun auch die Resultate überein,
die ich nach Alexander-Adam s’scher Operation zu sehen
Gelegenheit hatte. Obschon alle Operirten zur Nachuntersuch¬
ung bestellt werden, kommen natürlich nur eine Anzahl derselben
wieder und ich will gerne zugeben, dass speziell diejenigen wieder¬
kehren, die mit dem Erfolg der Operation nicht zufrieden sind.
Immerhin ist das Yerhältniss der Unzufriedenen unter den
„Alexandrirten“ viel grösser als bei jeder anderen Operation,
z. B. wegen Prolaps u. dergl., und, was das Charakteristische ist,
diese Patientinnen sind unzufrieden, trotzdem der objektiv fest¬
stellbare Effekt, das orthopädische Resultat ein vorzügliches ist.
Es haben sich im Laufe des Jahres 21 Patientinnen nach Ale¬
xanderoperation in der Poliklinik gezeigt; bei einer derselben,
die auswärts operirt worden war, lag der Uterus ganz retroflektirt ;
sie hatte sehr starke Beschwerden und wurde desshalb zur noch¬
maligen Operation auf die gynäkologische Station aufgenommen,
dort ventrofixirt und ohne Beschwerden vor Kurzem erst ent¬
lassen. Die 20 übrigen Frauen waren hier operirt worden und
bei allen war das orthopädische Resultat ein denkbar gutes, d. h.
der Uterus hatte die nach Verkürzung der Ligg. rot. charakte¬
ristische Lage, die eine Art Suspension darstellt ; immerhin war
er vollständig antevertirt, oft auch anteflektirt und dabei recht
exkursionsfähig. Von diesen 20 Frauen waren nun aber nur 5
bei der Nachuntersuchung 2 bis 24 Monate nach der Operation
absolut beschwerdefrei ; die anderen hatten mehr oder weniger
ihre früheren oder ähnliche Beschwerden wieder, wenn auch viel¬
fach nicht in dem Maasse wie vorher: Kreuzschmerzen, Leib-,
Magen- und Rückenschmerzen etc., so dass man wohl in vielen
Fällen von Besserung, aber nicht von Heilung in funktioneller
Hinsicht sprechen kann; und seitdem ich darauf achte, fand ich
auch bei den meisten dieser Unzufriedenen die Zeichen der
Neurasthenie oder II y s t e r i e.
Dies meine persönlichen Erfahrungen. Ich möchte nun
nicht so weit gehen, zu behaupten, dass in jedem Fall von in-
komplizirter Retroflexion mit Beschwerden nur ein Nervenleiden
und sonst nichts vorhanden sei. Heinricius aus Helsing-
fors, der mit grosser Energie und an Hand reicher Erfahrung
denselben Standpunkt vertritt wie wir, hat mit Recht darauf
hingewiesen, dass hinter dem Uterus leicht veränderte Organe
liegen können, die sich palpatorisch nicht als krankhaft nach-
weisen lassen und doch durch den Druck des auf ihnen lastenden
Uteruskörpers zu schmerzhaften Sensationen Veranlassung geben
können. Dies dürfte z. B. in einem Theil derjenigen Fälle zu¬
treffen, wo die Aufrichtung des Uterus die Beschwerden heljt,
während sofort, nachdem der Uterus wieder nach hinten gefallen
ist, auch die Beschwerden wieder auftreten. Doch muss man
auch in diesen Fällen in der Beurtheilung sehr vorsichtig sein,
da wiederum die Autosuggestion nur schwer auszuschliessen ist.
Auch andere Organerkrankungen mögen hie und da zu einem
ähnlichen Sj^mptomenkomplex Veranlassung geben, wie hoch¬
gradige Anämie, Chlorose, Schwächezustände nach Ablauf
schwerer Infektionskrankheiten etc. Doch treten diese Möglich¬
keiten gegenüber der Affektion des Nervensystems ganz in den
Hintergrund. Und schliesslich will ich nicht bestreiten, dass in
einer Anzahl von Fällen ausser der Retroflexion gar nichts ge¬
funden werden kann, was die Symptome erklären könnte, weder
ein Nervenleiden noch eine andere allgemeine oder lokale Stö¬
rung. Diese Fälle bilden aber gewiss die kleine Minderzahl und
werden nur desshalb noch für häufiger gehalten, als sie es that-
sächlich sind, weil die Retroflexion sehr leicht, die erwähnten
anderen Zustände oft nur sehr schwer zu erkennen sind.
Dies führt uns zur Besprechung eines wichtigen Punktes,
nämlich der Diagnose des Nervenleidens in unseren Fällen. Der
einzig richtige und sichere Weg wäre ja unstreitig eine genaue
neurologische Untersuchung, Prüfung der Motilität und Sensi¬
bilität in ihren verschiedenen Qualitäten, der elektrischen Reiz¬
barkeit, der Reflexe, der Sinnesorgane etc. Dies ist nun aller¬
dings dem Praktiker in der Sprechstunde nicht gut möglich, da
bekanntlich ein derartiger Status auch den geübten Spezialisten
Vz — 1 Stunde lang beschäftigen würde. Es ist aber auch für
den erstrebten Zweck gar nicht nÖthig, da es weniger darauf
ankommt, eine neurologisch einwandfreie und exakte Diagnose
zu stellen, als vielmehr genügende Anhaltspunkte dafür zu ge¬
winnen, dass die Patientin eine „nervöse Konstitution“ oder ein-
No. 27.
1145
zelne Zeichen der funktionellen Neurosen direkt darbietet. In
dieser Beziehung ist schon die Anamnese sehr werthvoll. Die
Beschwerden betreff en die verschiedensten Körperregionen, drehen
sich um die verschiedenartigsten Schmerzqualitäten ; meist lauten
die Klagen auf Kopfweh, Schwindel, Appetitlosigkeit, Globus,
Herzklopfen, Schmerzen zwischen den Schulterblättern, im
Rücken, im Kreuz, allgemeines Müdigkeits- und Schwächegefühl
etc., Beschwerden, denen oft die Superlative in der Quantität
beigelegt werden („furchtbares Kopfweh“, „schreckliche Kreuz¬
schmerzen“ etc.). Ergibt die Untersuchung des ganzen Menschen
sodann kein nachweisbares Substrat für all’ diese Klagen, ausser
einer unkomplizirten, mobilen Retroversio-flexio uteri, kein
Herz-, Lungen- und Nierenleiden, keine hochgradige Anämie
und Chlorose, keine wesentliche Störung des Verdauungskanals
etc., so ist der Verdacht auf Nervosität resp. funktionelle Neu¬
rose gestattet. Zur Eeststellung der Hysterie gehören bekannt¬
lich die Stigmata, die aber nicht immer leicht und rasch zu
finden sind; für die Neurasthenie ist der objektive Beweis noch
schwieriger zu erbringen. Man muss sich demnach mit
einzelnen Hinweisen begnügen. In dieser Hinsicht ist das
äusserst einfach feststellbare Fehlen des Konjunk¬
tiv a 1 - und des Rachenreflexes von grossem
Werth, wenn es auch kein absolut pathognomonisches Sym¬
ptom darstellt 6). Auch die Druckempfindlichkeit der
Processus spinosi der Wirbelsäule ist leicht zu prüfen,
ebenso wie Hyperästhesien der Bauchdecken (durch Kneifen).
W i n d s c h e i d ) gibt als charakteristisch für Hysterie
und mit wenigen Griffen prüfbar an: die Aufhebung des Kon-
junktival- und die Steigerung des Patellarreflexes, sowie das Be¬
stehen hysterogener Zonen in der Gegend der untersten Rippen,
in der Mitte des Unterleibes und in der Schenkelbeuge. Bei
Neurasthenischen finden sich diese letzteren Symptome jedoch
nicht. Aus den genannten anamnestischen und objektiven Hin¬
weisen setzt sich also in den gewöhnlichen Fällen die Diagnose
zusammen. Aber wenn auch die Neurose nicht sichergestellt sein
sollte, so ist es doch gerechtfertigt, ihr Vorhandensein vorläufig
und bis auf Weiteres anzunehmen, falls eben ausser der mobilen
Retroflexion keine Veränderung im Becken nachgewiesen werden
kann, und zwar ist dies meines Erachtens im Interesse der
Patienten bezüglich der Therapie nicht nur erlaubt, sondern
geradezu geboten.
In dieser Hinsicht möchte ich vor Allem betonen, wie ausser¬
ordentlich wichtig es wäre, der Patientin nichts von ihrer Retro¬
flexion zu sagen, um nicht die in therapeutischer Hinsicht ja so
werthvolle Suggestibilität dieser Kranken in schädlicher Weise
zu beeinflussen. Wir haben gesehen, dass die meisten Frauen,
die mit Beschwerden zum Arzte kommen und bei welchen sich,
ausser der mobilen Retroflexion, keine pathologischen Verände¬
rungen an den Genitalien etc. finden, dass diese Frauen, wenn
nicht immer als hysterisch oder neurasthenisch, so doch als neuro-
pathisch veranlagt angesehen werden müssen. Wird nun einer
solchen Patientin gesagt, die Lage ihrer Gebärmutter sei keine
normale, so hat man damit ihre Aufmerksamkeit auf ein Organ
gelenkt, das schon an und für sich in der Psyche jeder Frau
einen besonders wichtigen und exponirten Platz einnimmt; man
suggerirt ihr also gew i sserm a aasen ein Unterleibsleiden, und eben¬
so leicht als dies erreicht wird, ebenso schwer ist es, diese Ueber-
zeugung wieder aus der Patientin heraus zu bringen; manchmal
gelingt es durch ein Pessar oder durch eine Operation, manchmal
aber auch nicht, wie die oben mitgetheilten Statistiken lehren.
Würde man aber der Patientin nichts von ihrer Retroflexion ge¬
sagt haben, sondern im Gegen theil — wie dies ja thatsächlicli zu¬
trifft, da diese Anomalie eben meist nur anatomisches Interesse
hat — , dass im Unterleib Alles in Ordnung sei und dass die
Beschwerden herrühren von einer gesteigerten Erregbarkeit ihres
Nervensystems, so wäre sie durch diesen Bescheid sehr beruhigt,
da für die überwiegende Mehrzahl der Patientinnen die Diagnose
„Nervosität“ nichts Beängstigendes hat, im Gegensatz zu Allem,
was die Genitalsphäre betrifft. Diese „Nervosität“ lässt sich dann
auch direkt, durch Hydrotherapie etc. viel besser und sicherer
8) Nach Engelhardt (lieber Pharynxreflexe bei Normalen
und Hysterischen, Diss. Bonn 1893) fehlt der Baclienreflex auch
bei ca. 25 Proz. gesunder Individuen.
7) Centralbl. f. Gyn. 1901, p. 1319.
5
1146
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
lieben, als auf dem Umwege einer Pessar- oder operativen Be¬
handlung- der im Krankheitsbilde ganz unwichtigen Lageverände¬
rung des Uterus. Aber ehe man von einem Arzt verlangen kann,
dass er dies tliue, dass er der Patientin den Befund einer retro-
flektirten Gebärmutter verschweige, muss derselbe die Gewissheit
haben, dass nicht sein Kollege, den die Patientin nach ihm auf¬
sucht — wie dies ja zuweilen vorkommt! — sich triumphirend
dieses vermeintlichen Missgriffes bediene, um der Kranken zu be¬
weisen, wie falsch und verkehrt sie bisher behandelt worden sei.
Dies ist natürlich noch ein pium desiderium; aber der Zweck
dieses Vortrages ist erfüllt, wenn er zur Verbreitung der Ueber-
zeugung nur ein wenig beiträgt, dass nicht jede Retroflexio uteri
einer Behandlung bedürfe, ja dass sie in den seltensten Fällen
einer direkten Behandlung bedarf, und dass man speziell bei ner¬
vösen Individuen äusserst vorsichtig sein soll, die Beschwerden,
die meist auf neuropathischer Basis beruhen, auf die Lagever-
änderung des Uterus zu schieben. Und desshalb ist auch meine
oben aufgestellte Forderung berechtigt, von einer lokalen Thera¬
pie auch in denjenigen Fällen vorerst abzusehen, in welchen die
Neurose nicht sicher feststellbar ist; denn einerseits kann sie
trotzdem vorhanden sein, so dass die Lokalbehandlung nicht viel
nützen, wohl aber autosuggestiv schädlich wirken wird; oder sie
ist 1 hatsächlich nicht da, dann ist mit der allgemeinen Therapie
auf jeden Fall nichts geschadet.
Ich würde in dieser Beziehung noch weiter gehen als
W a 1 t h a r d s), der im Ganzen unseren Standpunkt theilt, der
aber bei Frauen, welche geboren haben, doch zuerst die Reposition
des Uterus vornimmt und durch ein „Probepessar“ festhält. Denn
erstens weckt man damit die Aufmerksamkeit der Patientin,
was, wie gesagt, schädlich sein kann, und zweitens lässt sich dann
doch nicht entscheiden, ob ein eventueller Erfolg auf der Kor¬
rektur der Lage oder aber auf Suggestion beruht. Ich würde
desshalb einer Patientin — vorausgesetzt natürlich, dass sie nicht
schon vorher über die Lage ihres Uterus unterrichtet worden
ist — nicht sagen, es sei damit etwas nicht in Ordnung, son¬
dern zunächst ausser der sehr wichtigen psychischen Beeinflus¬
sung, eine allgemein roborirende und antinervöse Therapie ein-
schlagen, auch wenn keine deutlichen Zeichen der Hysterie oder
Neurasthenie nachweisbar wären. Damit ist, wie gesagt, nichts
geschadet, was nicht behauptet werden kann, wenn man gleich
die Aufmerksamkeit der Patientin auf ihre Gebärmutter lenkt
und die doch sicher lästige Pessarbehandlung anfängt, deren Er¬
folge unsicher, deren Ende meist gar nicht abzusehen ist. Und
wie peinlich es ist, wenn eine Patientin, der man zur Operation
gerathen hat, nachher gar nicht oder nur wenig gebessert wieder¬
kehrt, hat wohl jeder Operateur schon erfahren; ob es da nicht
gerathener ist, die Wasser- und Badekuren und den ganzen Appa¬
rat der antinervösen Behandlung vor anstatt nach der Opera¬
tion anzuwenden?
Nur wenn eben diese Therapie der Nervosität, trotz gründ¬
licher und sachgemässer, durch vernünftige psychische Ein¬
wirkung kräftig unterstützter Durchführung keinen Effekt
haben sollte, dürfte es an der Zeit sein, die Lagekorrektur zu ver¬
suchen. Es muss aber auch in diesem Fall sehr vorsichtig vor¬
gegangen werden, indem man z. B. der Patientin sagt, es sei eine
leichte Scheidensenkung vorhanden, die bei den meisten Frauen
keine Beschwerden mache, die aber bei ihr doch vielleicht zum
Theil an den Erscheinungen schuld sei, wesshalb probeweise ein
Ring eingelegt werde. Dadurch wird der Sache ein harmloser An¬
strich gegeben, die Suggestion also möglichst ausgeschaltet, durch
Vermeidung des ominösen Wortes „Gebärmutter“ die Phantasie
der Patientin weniger angeregt, und man hat dabei ein Mittel,
zu beurtheilen, was von den Symptomen der Reflexion direkt oder
indirekt (durch Druck auf hypersensible Stellen) zuzuschreiben
ist und was nicht. Natürlich muss das Pessar so gewählt werden,
dass es selbst keine Beschwerden verursacht; es darf alo haupt¬
sächlich nicht zu gross sein.
Dann wird man nach kurzer Zeit klar sehen, das Pessar
als nutzlos wieder weglassen oder im Gegentheil beibehalten resp.
durch eine Operation entbehrlich machen.
*) Walthard: lieber die Wechselbeziehungen zwischen
Neurasthenie und Itetroflexio uteri mobilis. Korr.-Bl. f. Schweizer
Aerzte 1900, p. 573.
No. 27.
Nur eines möchte ich noch erwähnen, dass man nämlich jede
Frau mit Retroflexion zur Untersuchung bestellen muss im 2.
oder 3. Monat einer eventuell eintretenden Gravidität, falls man
es nicht will darauf ankommen lassen, ob — wie ja meistens —
Selbstauflichtung des Uterus erfolgt oder ob lnkarzeration oder
Abort eintritt. Das beste ist es wohl, im 2. oder 3. Monat den
Uterus manuell aufzurichten, was meist sehr leicht gelingt, und
dann bis zum 5. Monat ein Pessar tragen zu lassen, das nachher
wieder entfernt werden kann. Diese kleine Episode wird ohne
merkliche psychische Alteration der Patientin vor sich gehen
können.
Die vorstehenden Ausführungen möchte ich in folgenden
Schlusssätzen zusammenfassen :
1. Die unkomplizirte, mobile Retroflexion
macht bei absolut gesun d e n F rauen i n d e r
M e li r z a h 1 der I ä 1 1 e keine B e s c h werde n,
b r a u c h t desshalb auch keinerlei Be h a n d 1 u n g,
ausser etwa im Fall von Graviditä t.
2. I) i e B e s c li w erden, welche von F raue n m i t
mobiler Retroflexion geklagt werden, haben in der
ü berwiege n d en Mehrheit der Fälle zweierlei
Ursachen: entweder rühren sie von Kompli¬
kationen her, die oft nicht leicht nachweis¬
bar sin d, oder sie bilden den Ausdruck eine r.
mehr weniger deutlich ausgeprägten Störung
des Nervensystems. In beiden Fällen ist die
Retroflexio als solche an den S y m p t o m e n u n -
schuldig. Die Behandlung ha t d e m n ach i h r
Hauptaugenmerk auf Heilung der K o m pli-
k a t i o n resp. der Nervosität zu richten; erst
w e n n diese T h e r a p i e fehlschlagen sollt e, i s t
der Versuch einer Lagekorrektur zu unter-
n e h m e n.
Nachschrift bei der Korrektur: In einer soeben
erschienenen Arbeit von Theilhaber (Der Zusammenhang
von Nervenerkrankungen mit Störungen in den weiblichen Ge¬
schlechtsorganen. Samml. zwangloser Abliandl. a. d. Gebiete d.
Frauenheilk. u. Geburtsh., Bd. 1 V, II. 6) weist der Autor darauf
hin, dass er seit 9 Jahren und zwar als Erster den hier ver¬
tretenen Standpunkt eingenommen und dass er unter mehr als
1000 Patientinnen mit Retroflexio uteri keinen einzigen Fall von
Reflexneurose gesehen hat.
Uebsr Kehlkopftuberkulose.*)
Von Dr. Hans Naumann, Arzt in Bad Reinerz (Schlesien).
Die von Dr. Ii. Frey tag in der Münch, med. Woclien-
schr. 1902, No. 19 gemachten Ausführungen fordern zu einigen
Bemerkungen heraus, die sich tlieils auf die prognostische Beur-
theilung solcher Fälle, tlieils auch auf das therapeutische Vor¬
gehen beziehen.
Hinsichtlich der Prognose zeugen die Darlegungen des Ver¬
fassers von einer vielleicht doch gar zu (lüstern Auffassung der
Sachlage. Wenn er auch Heilungen und sogar Spontanheilungen
tuberkulöser Prozesse im Kehlkopfe zugibt, so hält er solche
Fälle doch für ausserordentlich selten und glaubt, dass in der
grossen Mehrzahl das Auftreten einer Larynxkomplikation den
Anfang vom Ende darstelle.
Ohne dass der Ernst solcher Komplikation verkannt wird,
muss doch darauf hingewiesen werden, dass eine gewisse Anzahl
von Larynxtuberkulosen — und ihre Zahl ist vielleicht grösser, als
wir es bisher glauben — in allen Stadien zur völligen Ausheilung
gelangt. Freilich sind das Fälle, die mehr den praktischen
Aerzten als den Spezialisten bekannt sind, denn ganz natur-
gemäss gehen diesen Letzteren verhältnissmässig viel mehr vor¬
geschrittene Fälle zu. Hieraus ergeben sich wohl auch die pessi¬
mistischen Auffassungen Freytag's. Ich persönlich kenne aus
der eigenen Praxis mehrere Fälle von Heilungen von Kehlkopf¬
tuberkulose, und zwar sowohl von Infiltrationen wie ulzerösen
Prozessen. Heilungen, die von hervorragenden Spezialitäten be¬
stätigt, seit Jahren andauern — in einem Falle trotz Fortbestehens
der primären Lungern1 rkrankung.
Dass diese Fälle sämmtlicli ohne eine aktive Behandlung
geheilt, sind, wird Mancher vielleicht nur einen glücklichen Zufall
oder eine Spontanheilung nennen. Ich habe mich des Eindruckes
nicht erwehren können, dass die Heilung in diesen Fällen ledig¬
lich der konsequenten Durchführung des auferlegten Sprechver¬
bots verdankt wurde. Auf diese Schweigebehandlung, die in F.’s
*) Bemerkungen zu dem Aufsatze „Ueber Kehlkopftuber¬
kulose“ von Dr. It. Frey tag in Magdeburg in No. 19 d. W.
8. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Darlegungen in zwei Worten 1) abgemacht wird, lege ich darum
den Hauptna chdruck und glaube mit vielen anderen Aerzten. das-;
in der Durchsetzung des Schweigens die Basis der ganzen
Larynxbehandlung bei Tuberkulose gelegen ist. Natürlich setzt
dieses woclien- und monatelange Stillschweigen eine hervor¬
ragende Willensstärke von Seiten der Patienten voraus; diese zu
heben, immer und immer wieder auf's Neue durch eindringliche
Zusprache auf den Patienten sie zu vermehren und zu kräftigen,
das ist die Aufgabe des Arztes, hier gerade kann er zeigen, wie
gross seine Fähigkeit, psychisch zu beeinflussen, ist. Vielleicht
wird die Autorität des Spezialarztes in manchem Falle einen inten¬
siveren Einfluss auszuüben im Stande sein, als die Zuspraehe des
Hausarztes. Aber von wem es auch immer sei. unter allen Um¬
ständen muss dem Kranken mit allen Mitteln der Ueberredungs-
und ITeberzeugungskunst klar gemacht werden, dass von seinem
eigenen Verhalten seine Wiederherstellung zum grössten Theile
abhängig sei. dass sein fester Wille, dass seine Energie, das
Schweigen durchzuführen, die Grundbedingung für die Genesung
schaffe, dass im Schweigen das A und O der ganzen Behandlung
liegt. Seine ganze Dialektik muss man da aufwenden, um dem
Patienten klar zu machen, dass entzündete Theile nur durch Ruhe
ausheilen können, kurz, man wird gar nicht beredt genug sein
können, um die unerlässliche Vorbedingung der Ruhigstellung des
Kehlkopfes zu erreichen. Das Schweigeverbot schliesst selbst¬
verständlich auch das Verbot des Flüsterns in sich. Das Zu¬
geständnis der Flüstersprache halte ich für verhängnisvoll; ab¬
gesehen davon, dass man mit dieser Konzession schon das halbe
Terrain verloren hat, möchte ich behaupten, dass das Flüstern
fast noch anstrengender ist, als die natürliche Phonation. Sich
durch Flüstern verständlich zu machen erfordert, wie das Jeder
an sich selbst feststellen kann, ganz erhebliche Anstrengungen
von Seiten des gesummten Respirationsapparates. Dass die
Schweigekur auch für die erkrankte Lunge von Vortheil ist, sei
nur nebenher erwähnt; ebenso, dass der Werth der ..Luftruhekur“
auf den Liegehallen durch das laute Flandern und Gelächter oft
recht beeinträchtigt wird.
Mit dieser Schweigekur, die — eine blosse Schonungskur —
in manchen Fällen nicht genügt oder nicht schnell genug zum
Ziele führt, wird sich in einer grösseren Zahl von Fällen eine
aktive Behandlung des erkrankten Larynx verbinden. Was diese
anlangt, so wird wohl Jeder sich den F r e y t a g' sehen Dar¬
legungen anschliessen. ln keinem Falle aber darf diese Heil¬
methode, seien es nun Insufflationen, Pinselungen oder chirurgische
Eingriffe, das Schweigen als Heilfaktor in den Hintergrund
drängen, immer muss dem Patienten der Werth gerade dieses
Theiles der Kur auf's Neue eindringlich zum Bewusstsein gebracht
werden.
Den oft gemachten Einwand, dass die Auferlegung absoluten
Schweigens die Kranken psychisch deprimire und dadurch
schädige, halte ich für gänzlich hinfällig. Die grössere Chance
auf Heilung, die man dem Patienten in Aussicht stellen kann, wird
der durch die Unannehmlichkeit des Scliweigenmüssens erzeugten
seelischen Depression sicherlich das Gleichgewicht halten. Hier
ist eben die Stelle, avo wir zeigen können, wie weit unsere Fähig¬
keit, Menschen zu beeinflussen geht; hier können auch die Anstalts¬
ärzte ihre Qualifikation, auf Menschen erziehlich einzuwirken,
erweisen und praktisch betliätigen.
Bemerkung zu Dr. Büdingen: „Der Thoraxdruck¬
messer und eine neue Lungenprobe“.
Von Dr. P 1 a c z e k.
Als ich vor kurzem in dieser Wochenschrift für gerichtlich-medi¬
zinische Zwecke eine neue „Lungenprobe“ empfahl und die Fach¬
kollegen um deren Erprobung bat, dachte ich nicht an eine „Nach¬
prüfung“, wie sie Dr. B ü d inge n in No. 22 dieser Wochenschrift
für angebracht hielt. Da es meinem Geschmack nicht entspricht,
dem Herrn Kollegen in seiner Stilart zu folgen, beschränke ich
mich auf folgende Feststellung:
„Die Verwertung des Thoraxinnendruekes bei Neugeborenen
für gerichtlich-medizinische Zwecke, speziell zur Mitentscheidung
der Frage, ob ein Neugeborenes geatmet hat oder nicht, ist neu.
Alt dagegen und schon seit Donders feststehend ist die Kennt¬
nis, dass im Brustkorb ein negativer Druck herrscht, wenn die
Lungen geatmet haben. Diese Tatsache ist zu klinischen und
anderen Zwecken, an Lebenden und Leichen, und mit dem ver¬
schiedensten Instrumentarium studiert.“
Hätte Dr. Büdingen weniger flüchtig gelesen, so hätte er
seinen Aufsatz erspart. Nicht unerwähnt soll aber hier der Schluss¬
passus seiner Arbeit bleiben, in welchem er erzählt, dass meine
Arbeit im „Tag“ enthusiastisch anerkannt wurde. Das ist mir
allerdings neu, denn ich lese diese Zeitung nicht, ja kenne sie nur
aus den übergrossen Reklamen, die zeitweilig hier ihr Erscheinen
ankündigten. Sollte Dr. B ii d ingens Angabe zutreffen, so würde
sie beweisen, dass der „Tag“ die leidige Gepflogenheit der anderen
Berliner Tagespresse angenommen hat und seinen Lesern medi-
9 „Dass man den Kranken möglichst Stillschweigen auferlegt
und geeignete diätetische Vorschriften (breiige Nahrung etc.) gibt,
versteht sich von selbst.“
1147
zinische Referate auftischt. Bekanntlich hat man öfters versucht,
diesem Unfug zu steuern, doch ohne Erfolg. Was aber gibt Herrn
Dr. Büdingen das Recht, mich oder meine „Freunde“ mit sol¬
chem Elaborat in Beziehung zu bringen? Hält er solche Insinuation
mit kollegialen Umgangs!' oymen für vereinbar? Meinen kollegialen
Gewohnheiten entspräche es nicht.
Studium und Beruf des Arztes.
Ansprache an die Studierenden bei Uebernahme der medi¬
zinischen Klinik in Greifswald.
Von Professor Friedrich Moritz.
M. II.! Die erste Vorlcsungsstunde in einem Semester regt
an sich schon zu einer allgemeineren Betrachtung an. Bei
mir ist das heute um so mehr der Fall, als ich, bisher Ihnen
völlig fremd, überhaupt zum erstenmale als Lehrer vor Sie hin¬
trete. Ich will daher versuchen, eine Einführung zu gewinnen,
die nicht nur mit dem Wissensgebiet, das uns beschäftigen wird,
zusammenhängt, sondern zugleich eine gewisse persönliche Fär¬
bung hat, indem ich Ihnen in den Grundlinien meine Auf¬
fassung des Studiums und des Berufes, dem Sie sich gewidmet
haben, skizziere.
Es gibt mehrere Gesichtspunkte, von denen aus man die
Medizin betrachten kann. Zunächst den einer reinen W issen-
scliaft.
Als Wissenschaft ist die Medizin ein Teil der Biologie, der
Lehre von der belebten Natur. Der Kernpunkt aller Biologie,
das Problem des Lebens, ist uns zwar noch ein dunkles Rätsel.
Aber wir haben doch die sichere Erkenntnis gewonnen, dass
dieselben Naturgesetze physikalischer und chemischer Art, die
in der unbelebten Natur walten, auch für den belebten Organis¬
mus Geltung haben. Hiermit sind wir in der Biologie auf festen
Boden gekommen. Soweit es uns gelingt, Erscheinungen des
lebenden Organismus ar\f physikalische und chemische Vorgänge
zurückzuführen, die wir als solche oder wenigstens in strengen
Analogien auch ausserhalb des Organismus, im Experiment, ver¬
folgen und studieren können, soweit befinden wir uns auf dem
Gebiete exakter Wissenschaft.
Freilich hat es der Biologe mit einem ausserordentlich ver¬
wickelten Mechanismus zu tun, an dem die physikalischen und
chemischen Prozesse sich abspielen, er findet eine unendlich viel
grössere Mannigfaltigkeit gleichzeitig nebeneinander bestehender
Vorgänge vor, als sie der Experimentator auf rein physikalischem'
oder chemischem Gebiete zu gewärtigen hat, der sich stets mög¬
lichst einfache Verhältnisse zu schaffen sucht. Diese Kom-
plizirtheit der Bedingungen bringt es mit sich, dass bei der Er¬
klärung biologischer Erscheinungen anfangs häufig Irrtümer
unterlaufen. Die Schlussfolgerungen sind oft verfrüht, indem sie
gezogen werden, ehe alle influierenden Bedingungen bekannt sind.
Nichtsdestoweniger lässt sich aber, wenn der Irrtum erkannt wurde,
die richtige oder der Wahrheit wenigstens ein erhebliches Stück
näher kommende Erklärung wieder auf physikalische oder che¬
mische Gesichtspunkte gründen. Auf diese Weise bildet die
exakt naturwissenschaftliche Betrachtungsweise in der Biologie
und somit auch in der Medizin ein heuristisches Prinzip aller¬
ersten Ranges.
Aus dem Gesagten geht hervor, m. II., wie wichtig es für
die wissenschaftliche Ausbildung des Arztes ist, dass er über ge¬
diegene physikalische und chemische Kenntnisse verfügt.
Physik und Chemie sind i m Studien plane des
Mediziners keine Nebenfächer, es sind grund¬
legende II a u p t f ii c h e r.
Die Disziplin, in der Ihnen die Bedeutung der reinen Natui’-
wissenschaften für die Medizin am deutlichsten entgegentritt,
ist die Physiologie. Aber im Grunde ist es durchaus dasselbe
auch mit der Pathologie. Hat es sich doch herausgestellt, dass
die Krankheiten als solche keineswegs eine Art fremder Ein¬
dringlinge in den Organismus sind, sondern dass die patho¬
logischen Erscheinungen eigentlich nur physiologischen Vor¬
gängen entsprechen, welche durch abnorme Bedingungen in
abnorme Bahnen gedrängt wurden. Es kann somit alles, was
von den Beziehungen der Physiologie zu den exakten Natur¬
wissenschaften gilt, auch auf die Pathologie übertragen werden.
5*
1148
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Nennt man doch, die allgemeine klinische Pathologie heute viel¬
fach geradezu pathologische Physiologie.
Physiologie wie Pathologie sind nicht denkbar ohne das
solide morphologische Fundament der normalen bezw. patho¬
logischen Anatomie. Schon die gröbere Anatomie
eröffnet uns nicht nur für die äusseren mechanischen
Funktionen des Organismus, vor allem für die Wirkung
der Muskeln und Gelenke , sondern vielfach auch für
dessen inneres Getriebe das Verständnis, indem die
Architektur der Organe, ihre gegenseitige Verbindung und ihre
topographischen Beziehungen zu einander auf die Art ihrer
Tätigkeit und die Möglichkeit ihrer gegenseitigen Beein¬
flussung Schlüsse zulassen. In noch höherem Masse gilt dies von
der Histologie, wenn wir freilich auch noch sehr weit davon
entfernt sind, die ganze Bedeutung der wunderbar feinen und kom¬
plizierten Strukturen zu begreifen, die uns das Mikroskop ent¬
hüllt. Besonders augenfällig ist die Förderung, welche die kli¬
nische Medizin speziell der pathologischen Anatomie ver¬
dankt. Indem dieselbe uns das materielle Substrat der Krankheits¬
erscheinungen kennen lehrte, hat sie uns nicht nur mit einer
sehr grossen Zahl theoretisch neuer und wertvoller Gesichts¬
punkte beschenkt, sie hat vor allem auch unsere Diagnostik in
strenge Zucht genommen und uns in therapeutischer Hinsicht
kritisch und bescheiden gemacht.
Die bisher genannten Disziplinen, m. H., nicht nur
Chemie und Physik, sondern auch normale und patho¬
logische Anatomie und normale und pathologische Physiologie,
können als exakte Wissenschaften bezeichnet werden. Sie
schreiten Schritt für Schritt nach strengen Methoden in stetiger
enger Fühlung mit dem bereits gesicherten Terrain voran und
sind vermöge ihres fest gefügten logischen Baues und der Un-
umstösslichkeit ihrer gesicherten Resultate in erster Linie ge¬
eignet, den jungen Mediziner zu fesseln und zu begeistern. Mit
Recht gelten sie ihm als ein sicheres Unterpfand für einen
künftigen Siegeslauf der Medizin. Aber, m. H., wenn Sie auch
die besten Chemiker und Physiker und die beschlagensten Ana¬
tomen und Physiologen in normalen wie in pathologischen Dingen
sind, wenn Sie alles, was wir sonst an Experimentalwissenschaften
besitzen, in sich aufgenommen haben, wie viel fehlt Ihnen dann
doch noch zu einem Arzt!
Die Medizin ist, auch als Theorie, noch nicht an dem Ziele
angelangt, schon in ihrem ganzen Umfange exakte Wissenschaft
zu sein. Und vor allem hat die praktische Medizin noch mit
einem grossen Material rein empirischen Wissens,
mit vielen einzelnen, isoliert dastehenden, nicht in eine Erkennt-
nissreihe logisch und notwendig sich einfügenden Tatsachen zu
tun, die Sie als solche kennen lernen müssen. Vor allem müssen
Sie sich mit den unendlich verschiedenen Erscheinung^- und
Verlaufsformen, welche die Krankheiten, sowie unsere thera¬
peutischen Massnahmen am Menschen aufweisen, vertraut
machen, Sie müssen sich mit der vielfach rein beschreibenden
Disziplin der speziellen Pathologie und Therapie
beschäftigen.
Diesen Teil der Medizin können Sie nun nur an der Hand
beständiger Demonstrationen erlernen. Die Stätte dafür ist die
Klinik. Hier tritt Ihnen zuei’st das eigentliche Objekt der
Medizin, der lebende Mensch, entgegen. Alsbald erhalten
Sie hier den Eindruck von der ausserordentlichen Kompliziertheit
dieses Organismus. Wie verschieden kann er auf dieselbe Schäd¬
lichkeit reagieren ! Bei relativ einförmigem pathologisch-ana¬
tomischem Befunde, welche Fülle oft der klinischen Symptome,
welche Summe von Erscheinungen, die wir im Verhalten der
Respirations- und Herztätigkeit, des Sensoriums, des gesamten
Nervensystems, des Chemismus des Körpers u. a. m. konstatieren
können. Aber dieser wunderbare Organismus ist uns nun nicht
mehr nur ein passives Objekt wissenschaftlicher Betrachtung,
er macht gebieterisch Ansprüche praktischer Natur geltend, die
an sich mit der biologischen Wissenschaft nichts zu tun
haben, die Forderung nämlich nach Heilung,
nach Linderung seiner Schmerzen und Ge¬
brochen. Zu diesem Endzwecke der „Heilkunde“ müssen nun
alle tauglich erscheinenden Mittel herangezogen werden, das
geläuterte Edelmetall exakt wissenschaftlicher Errungenschaften
ebenso, wie das noch mit Schlacken behaftete rein em¬
pirische Wissen. Mit beiden hat also die Klinik zu
rechnen. Die Unzulänglichkeit unseres therapeutischen Ver¬
mögens, insbesondere unseres wissenschaftlich fest fundierten,
gegenüber der Zahl und Grösse der von der praktischen Medizin
geheischten Aufgaben macht sich jedem Arzt drückend fühlbar
und gerade der hochstehende Arzt hat am empfindlichsten unter
dem Zwiespalt zwischen einem wissenschaftlich geschärften Ge¬
wissen und der Nötigung zu einem vielfach rein erfahrungsmäs-
sigen oder gar nur traditionellen, in seiner Wirksamkeit nicht
unanfechtbaren Handeln zu leiden. Den richtigen Pfad hier
zwischen therapeutischem Nihilismus auf der einen und kritik¬
loser Polypragmasie auf der andern Seite zu finden, ist nicht
leicht. Sie müssen sich ihn nach Kräften mit der Leuchte wissen¬
schaftlichen Denkens zu erhellen suchen und diese besondere Art
praktischen und doch wissenschaftlichen Vorgehens muss Ihnen
die Klinik ebenfalls übermitteln.
Doch wiederum, m. H., wenn Sie neben einer gründlichen
wissenschaftlichen Durchbildung sich auch den fleissigsten Be¬
such der Klinik haben angelegen sein lasssen, Ihre ärztliche Aus¬
bildung ist damit immer noch nicht vollendet. Eine neue Seite
der Medizin erhebt noch Ansprüche an Sie, die rein
technische, aber darum nicht minder wich¬
tige Seite, das, was an der Medizin nicht Wissen,
sondern K önne n oder , wie man gerne auch sagt,
„Kunst“ ist. Da braucht es einer sorgfältigen Schärfung
unserer Sinne, vor allem des Auges, des Ohres und der fühlenden
Hand, um die oft unscheinbaren Krankheitszeichen aufdecken zu
können. Fundamentale diagnostische Methoden, wie die Auskul¬
tation und Perkussion, erheischen die Erlernung einer besonderen
Technik und auch zu zahlreichen sonstigen diagnostischen und
vor allem zu den meisten therapeutischen Massnahmen ist eine
solche nötig. Diese Schulung Ihrer Sinne und Ihres manuellen
Geschickes, Fähigkeiten, die durch eine gewisse natürliche Be¬
gabung unterstützt sein sollten, wird Ihnen in eigenen prak¬
tischen Hebungen geboten. Sie müssen dieselben um so fleissiger
ausnützen, als sie fast die einzige Gelegenheit zu sein pflegen,
bei der Sie w'ährend Ihrer Studienzeit in nähere, selbständigere
Berührung mit den Kranken kommen. Es ist eine wenig er¬
freuliche Erscheinung, dass die Zahl der solche Kurse regel¬
mässig besuchenden Studierenden nicht selten erheblich hinter
der Zahl derer zurückbleibt, welche die Kurse belegt haben. Eine
zu Ihrer praktischen Ausbildung ganz vorzügliche Einrichtung
sind auch die Koassistenten- oder Famuli-Stellen, die Ihnen ja
leider nur in beschränkter Zahl zugänglich gemacht werden
können. Um solche Stellen sollte ein reger Wettbewerb bei Ihnen
bestehen. Gewähren sie doch dem, der sie gewissenhaft ausnützt,
zweifellos einen ausserordentlichen Vorsprung für diePraxis. Auch
das neuerdings in die Studienordnung auf genommene „praktische
Jahr“ wird wesentlich dazu beitragen, Ihre technische Ausbildung
zu vervollkommnen.
Es gibt nun aber noch eine andere „Kunst“, m. H., deren
Sie als Aerzte bedürfen, eine Kunst psychischer Art. Sie
müssen es verstehen, auf den Willen des Kran¬
ken zu wirke n, um erst dadurch vollen Einfluss auf sein
ganzes körperliches und geistiges Verhalten zu gewinnen. Sie
sind bei dem innigen Ineinandergreifen psychischer und soma¬
tischer Vorgänge oft genötigt, die Seele des Kranken
nicht weniger als seinen Körper in Behänd-
1 u n g z u n e h nx e n, erzieheifisch auf ihn zu wirken, den
Verzagten zu heben, den Unglücklichen zu trösten, den Leicht¬
sinnigen zu dämpfen, den Oberflächlichen auf edlere Ziele hin¬
zuweisen u. a. m.
Je feiner organisiert das Gemütsleben des Kranken ist, um
so wichtiger wird in der Regel diese Aufgabe und sie wird
um so schwieriger, je energischer und intellektuell höherstehend
der Patient ist. Die Fähigkeiten zu dieser psychischen Kunst
können in den Hörsälen allein nicht erworben werden. Es ist
hier Takt, Feinfühligkeit, Bildung und Energie von seiten
des Arztes nötig, es bedarf allgemeiner Menschenkenntnis und
des Vermögens, sich in die verschiedenartigsten seelischen Zu¬
stände hineinzu versetzen, der charakterlichen, intellektuellen
und sozialen Individualität des einzelnen Rechnung zu tragen.
Die Kranken sind im allgemeinen geneigt, dem Arzte rück¬
haltlosen Einblick in ihr körperliches und geistiges Leben zu ge-
8. Juli 1902.
1149
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
statten. Dieser ganz ausnah ms weisen Yer- |
trauensstellung müssen Sie sich auf das pein¬
lichste würdig zu erweisen bestrebt sein. Der
Kranke muss Ihrer absoluten Diskretion sicher sein können.
Wahren Sie auch möglichst Ihrer Klientel gegenüber eine gewisse
Grenze der Intimität und Vertraulichkeit. Der Arzt sollte, bild¬
lich gesprochen, dem Patienten nie im Schlafrock gegenüber¬
treten.
Und nun noch eines, m. H. ! Lassen Sie es den
Kranken und dessen Angehörigen nicht vermissen, dass
Sie menschlich mit ihm fühlen können.
Unser Beruf, der uns täglich mit Krankheit und Tod,
Unglück und Elend in Berührung bringt, stumpft uns
ja bald bis zu einem gewissen Grade ab. Wäre dem nicht so,
so würden wir uns seelisch aufreiben. Aber diese Abstumpfung
darf nicht bis zur Unfähigkeit zum Mitleid, nicht bis zur Ge¬
fühllosigkeit gehen, die vom Kranken und seiner Umgebung als
abstossend, unter Umständen sogar als brutal empfunden würde.
Lassen Sie mich, m. II., Ihnen zum Schluss nun nur noch
ein Wort über Ihr späteres Verhalten zu Ihren Kollegen sagen.
Ich kann es Urnen nicht genug ans LIerz legen : Achten
Sie den Stand, dem Sie an gehören, in denen,
die ihn mit Ihnen teilen. Inkollegiales Verhalten,
skrupellose Konkurrenz haben unserem Stand in der O Öf¬
fentlichkeit schon unendlich viel geschadet. Halten Sie
zusammen mit Ihren Kollegen in den Standesvereinen.
Sie werden aus deren Verhandlungen Gewinn für Ihre
Fortbildung ziehen und in denselben den notwendigen Rückhalt
gegen zahlreiche Faktoren finden, die zurzeit die materiellen
Grundlagen unseres Standes gefährden. Die Aerzteschaft hat,
wie Sie noch erfahren werden, heutzutage einen harten Lohn¬
kampf zu bestehen. Es sind unhaltbare Zustände, wenn die Ent¬
lohnung des Arztes für einen Krankenbesuch bei vielen der ge¬
setzlichen Krankenkassen niedriger ausfällt nicht nur als die ge¬
setzlich festgelegte Minimaltaxe, sondern niedriger als die For¬
derung, die ein Dienstmann nur für die Zurücklegung der Weg¬
strecke beanspruchen würde. In diesem Kampfe, der mit dem
materiellen Wolde schliesslich auch um die ethischen Güter des
Standes geht, sollten Sie Schulter an Schulter stehen. Die ärzt¬
liche Tätigkeit darf gerade auch im Interesse der Kranken nicht
zu einem Massenbetrieb mit Schleuderpreisen herabsinken. Un¬
sere heutigen Kassenverhältnisse bewegen sich vielfach nach
dieser Richtung hin.
Sie sehen, m. II., es sind grosse und schwierige Aufgaben,
die Ihr Beruf an Sie stellt. Der Arzt, wie er sein soll, muss nicht
nur fachlich sehr viel gelernt haben, er soll auch ein Mann von
nicht gewöhnlicher Bildung des Geistes und Gemütes sein, fähig,
Menschen aus den verschiedensten Gesellschaftskreisen in phy¬
sischen und psychischen Nöten mit Rat zur Seite zu stehen. Ge¬
lingt es Ihnen aber, ein solcher Arzt zu werden, so werden Sie auch
mit freudigem Stolz erkennen, dass Sie so manches Gute zu wirken
im Stande sind und dass Sie in der Wertschätzung, die Ihnen
der geistig hochstehende Teil Ihrer Klientel entgegenbringt, auch
des Dankes nicht entbehren. Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie
diese edlen Freuden unseres Standes in der Stellung eines
„II ausarztes“ gemessen mögen, dem die Familie nach alter,
guter Sitte die Geschicke ganzer Generationen anvertraut. Das
ist die ideale ärztliche Position, in der allein Sie einer der wich¬
tigsten Aufgaben der praktischen Medizin, der Prophylaxe, ge¬
recht werden können und in der Sie auch keine Gefahr laufen,
falschem Spezialistentum zu verfallen. Aber bei allen Er¬
folgen, m. H., die ich für Sie erhoffe, viele Mühseligkeiten und
Enttäuschungen werden Ihnen in der Praxis nicht erspart bleiben.
Diesen gegenüber werden Sie die beste Er¬
frischung und Erholung finden, wenn Sie sich,
ganz unabhängig von praktischen Fragen, die
Liebe zu unserer schönen Wissenschaft, ein
offenes Auge für den regen, stetigen Fort¬
schritt der Erkenntnis zu wahren vermöge n.
Referate und Bücheranzeigen.
M. R u b n e r : Beiträge zur Ernährung im Knabenalter
mit besonderer Berücksichtigung der Fettsucht. Berlin 1902,
A. Hirschwald.
Zur Erklärung der Entstehung der Fettsucht in den Fällen,
bei welchen die Nahrungsaufnahme nicht augenfällig eine
abundante ist, werden vielfach Veränderungen des Stoff- und
Kraftwechsels angenommen. Die Einen suchen den Grund in
einer spezifischen Erniedrigung der Leistungen der Zellen, dio
Anderen in einer funktionellen Erniedrigung der Leistungen des
Körpers durch Ausfall von Muskelbewegungen. Mit exakten,
alle wichtigeren Faktoren berücksichtigenden Untersuchungen
an einem fetten und an einem nicht fetten Knaben tritt R. an
diese Fragen heran. Das Resultat ist, dass er bei seinem fetten
Knaben ebenso wie bei einem anderweitig untersuchten fetten
Manne beim Vergleich mit gleich grossen und in gleichen Er¬
nährungsverhältnissen befindlichen gesunden Personen keine
Verminderung, ja sogar eher eine Vermehrung der Wärmeproduk¬
tion nachweisen konnte. Bei Berechnung der Wärmebildung
auf 1 Kilo Lebendgewicht erhält man allerdings für den mageren
Knaben 52,0 Kalorien pro Kilo, für den fetten nur 43,6 Kalorien.
Allein aus diesen Zahlen kann man keinen geringeren Umsatz
beim Fetten entnehmen. Denn im Kilo des Fetten ist viel
weniger lebendes Eiweiss enthalten als im Körperkilo des Ma¬
geren, und insbesondere, was R. naclidrücklichst betont, ist die
Oberflächenentwicklung eine durchaus verschiedene. Bei Be¬
rechnung auf 1 Quadratmeter Oberfläche erhält R. für den Ma¬
geren 1290, für den Fetten 1321 Kalorien. Zum Zustandekommen
des überreichlichen Fettansatzes wirken verschiedene Faktoren,
vorzüglich zu geringe Bewegung und unzweckmässige Nahrungs¬
mischung, mit. Beim Fettsüchtigen liess sich eine schlechtere
Ausnützung hauptsächlich des Stickstoffes nachweisen.
Durch frühere Untersuchungen hat R. bekanntlich nach¬
gewiesen, dass der Energieumsatz hauptsächlich von der Grösse
der Oberfläche des Organismus abhängig ist. Nebenbei spielen
noch andere Umstände (Arbeitsleistung, Nahrungszufuhr, Er¬
nährungszustand, Wachsthum etc.) eine Rolle. Neuerdings wollen
nun Sonden und Tigersted t im Gegensatz zu R. in Re¬
spirationsversuchen bei jugendlichen Individuen eine grössere
Kalorienproduktion als bei älteren, bezogen auf die Oberflächen¬
einheit, gefunden haben. R. weist eingehend nach, dass die An¬
traben von S. und T. unrichtig sind und dass die Fehler zum
Theil in den Versuchsbedingungen, zum Theil in der Betrachtung
liegen.
Bezüglich der Wasserdampfausscheidung bestehen beträcht¬
liche Unterschiede zwischen dem Mageren und dem Fetten. Die
Arbeit steigert beim Normalen nicht immer die Wasserdampf¬
ausscheidung. A"on besonderer Bedeutung ist hier die Luft¬
temperatur. Beim Fetten tritt nun schon eine starke Vermehrung
der Wasserdampf abgabe auf bei einer Temperatur (20 "), wo sic
beim Mageren noch fehlt. Bei 36 0 ist die Arbeitsfähigkeit des
Fetten schon an ihrer Grenze: die Bluttemperatur steigt und
der Wasserverlust nimmt ausserordentlich zu. Besonders em¬
pfindlich ist der Fette gegen Feuchtigkeit der Luft. Beim Ge¬
sunden ist die Wasserdampfabgabe in feuchter Luft mehr oder
minder herabgesetzt, beim Fetten aber zeigt sich eine Zunahme
der Wasserdampfabgabe. Schon in der Ruhe geratli der Fette
bei 30 0 in feuchter Luft in sehr starke Transspiration.
F. V o i t - München.
W. Ebstein: Vererbbare zelluläre Stoffwechselkrank¬
heiten. Stuttgart, F. E n k e, 1902. Preis 3 M.
In sechs, Franz König zum 70. Geburtstag gewid¬
meten, Briefen legt Ebstein seine Anschauungen über
das Wesen der Fettleibigkeit, der Gicht und der Zuckerharnruhr
dar, welche er als zusammengehörige, durch Störungen der I ätig-
keit des lebenden Eiweissmoleküls hervorgerufene Krankheiten
auffasst. Die Hypothesen Ebsteins gipfeln darin, dass es
sich bei der Fettleibigkeit um eine Erkrankung des Protoplasmas,
dessen Oxydationsfähigkeit dabei abgenommen hat, handelt, bei
der Gicht um- eine Erkrankung des Zellkerns, welcher eine ge¬
steigerte Harnsäure- resp. Xanthinkörperproduktion auf weist,
beim Diabetes mellitus schliesslich wiederum um eine Schädigung
1150
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
des Protoplasmas, speziell der inneren Atmung', was sicli durch
verminderte Kohlensäureausscheidung kund gibt. Jeder "wird
mit Interesse die Ausführungen Ebsteins lesen; ob sieh aber
jemand durch dieselben zu den Anschauungen des Autors wird
bekehren lassen, bezweifle ich. Die positiven Grundlagen, auf
welchen die Sätze sich aufbauen, sind doch noch zu wenig feste:
Wir wissen nichts Sicheres von einer Herabsetzung der Oxy¬
dationsfähigkeit der Zellen bei der Adipositas (cfr. Rubner:
Beiträge zur Ernährung im Knabenalter, mit besonderer Berück¬
sichtigung der Fettsucht ; Berlin, Hirsch w a 1 d, 1902), die ver¬
minderte CO .-Ausscheidung beim Diabetes existiert nicht, und
über den Einfang der Xanthinkörperproduktion bei der Gicht
sind unsere Kenntnisse noch durchaus unzulängliche.
Die Anschauungen des Referenten weichen in mancher Be¬
ziehung von denjenigen Ebsteins ab. Aber auch wer auf
( inem anderen Standpunkt als E b s t ei n steht, wird mit Nutzen
die Schrift lesen und genug des Interessanten aus ihr schöpfen.
F. V o i t - München.
H. C. Hamburger: Osmotischer Druck und Ionen¬
lehre in den medizinischen Wissenschaften, zugleich Lehrbuch
physikalisch-chemischer Methoden. Bd. I (539 S.). Wiesbaden,
J. F. Bergma n n, 1902.
Mit diesem Werk ist der Groninger Physiologe, dem wir
eine Reihe werthvoller physikalisch-chemischer Arbeiten über das
Blut verdanken, einem wahren Bedürfniss entgegengekommen.
In den ersten Kapiteln gibt er eine Uebersicht der grundlegenden
Theorien und der Untersuchungsmethoden nach dem heutigen
Stande der Wissenschaft. Dann folgt, in historisch-kritischer
Darstellung, die Anwendung derselben auf die Physiologie und
Pathologie des Blutes mit zahlreichen noch unveröffentlichten
eigenen Untersuchungen, ln meisterhafter Weise hat es Ham-
b u r g e r verstanden, das ausgedehnte Gebiet so zu bearbeiten,
dass jede einzelne Frage für sich in objektiv-kritischer Weise ge¬
sichtet und für den Leser, der sich rasch zu orientiren wünscht,
in zusammenfassender Weise beantwortet ist. Es ist über¬
raschend, wie die wichtigsten Fragen der physiologischen und
klinischen Hämatologie unter dem Einfluss der physikalischen
Chemie in neue Beleuchtung gerückt sind: Volumen, Form und
Zusammensetzung der rothen und weissen Blutkörperchen,
Kohlensäuregehalt und Alkaleszenz des Serums, Hämatolyse und
selbst das bakterizide Vermögen des Blutes wird in Mitleiden¬
schaft gezogen, und es ist ein grosses Verdienst Hamburge Fs,
die weitzerstreute Literatur gesammelt und in gesichteter Form
zugänglich gemacht zu haben. Sehr werthvoll ist auch die Auf¬
nahme aller für den Laboratoriumsgebrauch wichtigen Zahlen
in 1 a bellenform. Das Buch wird Allen, die sich mit diesen
I ragen beschäftigen, unentbehrlich sein. Ein zweiter Band, wel¬
cher die Anwendung der Ionenlehre auf Physiologie und Patho¬
logie der Lymphe, der Resorption, der Nierenthätigkeit und auf
pharmakologische und bakteriologische Gebiete enthalten soll,
wird baldigst in Aussicht gestellt. H i s - Dresden.
Dr. Raimund Mayr: Das Töchterlein, sein Leben, seine
Erziehung, seine Kleidung. München 1902.
Es ist ein populär-hygienischer Vortrag, den M. am 26. III.
1902 im Bayerischen Hebammenverein gehalten hat. An die
Hebammen wendet er sich wesentlich mit seinen Bestrebungen,
sie sucht er zu überzeugen und für seine Pläne zu gewinnen, weil
ihre Berufstätigkeit alle gesellschaftlichen Klassen umfasst, und
ihr Rat oft genug begehrt und befolgt wird. In fesselnder Weise
schildert er die Erziehung und Pflege des Kindes von der Geburt
an und gibt zahlreiche Winke, wie man namentlich mit Bezug
auf Ernährung und Kleidung der Kinder den hygienischen An¬
forderungen gerecht werden kann. Wenn man bedenkt, wie oft
gerade in diesen letzten Dingen von den jungen Müttern ge¬
sündigt wird, so wird man es dem Verfasser Dank wissen, dass
er durch Drucklegung seinen Vortrag weiteren Kreisen zugäng¬
lich gemacht hat. Max II e n k e 1 - Berlin.
Neueste Journalliteratur.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 63. Bd., 5. u. 6. Heft.
Mai 1902. Leipz:g, Vogel.
10) S. Hahn: lieber Rückenmarkscliirurgie. (Chirurg. Ab¬
teilung Friedrichshain.)
II. berichtet zunächst über 4 operativ behandelte Wirbel¬
frakturen mit Paraplegie. Bei allen handelte es sich um schwere
Verletzungen, bei 8 bestanden Frakturen mehrerer Bogen und
Wirbel zugleich. Die Operation wurde ausgefükrt nach 3, 0,
9 Tagen und nach 9 Wochen. Ein Kranker starb 14 Tage nach
der Operation, bei 3 wurden die Folgen der Operation gut über¬
standen, ohne dass eine wesentliche Besserung der Lälimungs-
erseheinungen nachzuweisen gewiesen wäre, nur bei einem Patien¬
ten besserte sich die Blasen- und Mastdarmlähmung; aber auch
dieser Patient ist 1 Jahr nach der Verletzung gestorben.
H.s Bat ist: So früh wie möglich operieren bei Bogenfrak¬
turen; bei Durchquetselnmgen nach Körperfrakturen mit Luxa¬
tionen gar nicht; bei Kompressionsfrakturen (Gibbus), wenn inner¬
halb einer Beilie von Monaten keine Besserung eintritt.
II. berichtet des weiteren über einige anatomische Präparate
und über 2 sehr interessante Stichverletzungen. Bei der zweiten
derselben wurde ein operativer Eingriff vorgenommen, aber erst
bei der Sektion konnte das abgebrochene Messerstück entfernt
werden.
5 Operationen wurden vorgenommen bei Erkrankungen, die
unter den Erscheinungen der Bückenmarkskompression verlaufen
waren (2 mal Echinokokkus, 1 mal Exostose, 1 mal Syringomyelie
mit Gliombildung, 1 mal Erweichung). Die Segmentdiagnose war
in allen Fällen richtig gestellt worden. 2 Fälle, ein Echino¬
kokkusfall und die Exostose wurden geheilt.
Von 43 t on II. zusammengestellten Fällen wurden 24 geheilt,
IS sind gestorben, einer blieb ungeliebt.
17) Perez: Die Influenza in chirurgischer Beziehung.
(Chirurg. Klinik Bonn.)
P. weist in vorliegender Arbeit die pathologische Bedeutung
des Bazillus Pfeiffer in experimenteller und klinischer Beziehung
für eine grosse Reihe von Krankheiten nach. Zunächst für die
Entzündungen der Nasen-, Mund-, Larynx- und Pharynxschleim¬
haut. Am Knochensystem kann die Influenza eine einfache Osteo¬
periostitis und eine eitrige akute Osteoperiostitis hervorrufen.
Viele Influenzaperiostitiden werden nach I’. übersehen und als ein¬
fache schematische Erkrankungen betrachtet. Auch viele Gelenk¬
erkrankungen sind häufiger durch den Bazillus Pfeiffer bedingt,
als man nach den Mitteilungen in der Literatur annehmen sollte.
Die Influenza hat mit dem Gelenkrheumatismus in vielen Punkten
eine ganz ausserordentliche Aeliulichkeit. Von grosser Bedeutung
isl nach den Experimenten des Verfassers der Influenzabazillus für
die Erkrankungen des Gehörorgans.
18) E. Payr: Ueber Verwendung von Magnesium zur Be¬
handlung von Blutgefässerkrankungen. (Chirurg. Klinik Graz.)
r. hat auf Rat von Nicola doni in einem Falle von Tumor
cavernosus am Kinn eine Anzahl von Magnesiumpfeilen von einem
Loch aus nach allen Richtungen in die Geschwulst eingestochen
und damit ein vollständiges Verschwinden des Tumors herbei¬
geführt. r. möchte dies Verfahren für alle diejenigen Fälle von
Angiom empfehlen, bei denen die Exstirpation, Ignipunktur und
Elektrolyse auf Schwierigkeiten stossen. Durch das Magnesium¬
metall werden in den mit Blut gefüllten Hohlräumen Gerinnungs¬
vorgänge erzeugt.
19) E. Payr: Zur Verwendung der Quetschmethoden in der
Darmchirurgie. (Chirurg. Klinik Graz.)
P. hat schon wiederholt bei Abquetschung des Wurmfort¬
satzes beobachtet, dass die ganze Appendixwand von der Quetsche
durchtrennt wurde, und nach der Abnahme nur einige Gewebs-
fasern anstatt der erwarteten Serosamanchette übrig waren. In
vorliegender Arbeit berichtet I’. über einen Fall von Bruchein¬
klemmung, bei dem der Enterotrib die Darmwand ganz durch¬
quetschte und Darminhalt aus der Quetschfurche austrat. Dar¬
nach scheint, dass bei Stauung und Entzündungszuständen am
Darm die Anwendung des M i k u 1 i c z sehen Enterotribs Ein¬
schränkungen zu erfahren hat. Auch hatte sich an der Sclinür-
furche ein Hämatom ausgebildet, zum Zeichen, dass auch die Blu¬
tung in sclc lau Fällen nicht exakt gestillt wird. '
20) G rase r: Walter v. H e i n e k e.
Ein Nekrolog.
21) W. v. N o o r d e n - München: Schulterverrenkung mit
Abreissen der Arteria thoracica longa von der Achselarterie.
Bei einer 70 .jährigen Dame entstand gleichzeitig mit einer
Luxation des rechten Humerus ein hochgradiger Bluterguss in der
rechten Axilla. Tod nach 2 Stunden. Bei der Sektion fand sich
die Arteria thoracica longa zu etwa 2 Dritteln von der Stamm¬
arterie abgerissen. Die Adventitia und Media waren voneinander
auf geblättert, die Intima einwärts gekräuselt, mit kleinem Saum in
der Arterienwunde flottirend. Mikroskopisch hatte dieselbe die
Zeichen des beginnenden Atheroms.
In der Literatur fand Verfasser 5 ähnliche Fälle. Die Be¬
handlung würde in Unterbindung der Axillaris zu bestehen haben.
22) ,T acobsthal: Beiträge zur Statistik der operativ
behandelten Aneurysmen. (Chirurg. Klinik Göttingen.)
Den Anlass zu der Arbeit gab ein operativ behandelter Fall
von Aneurysma der Arteria anonyma. Es wurden die rechte
Karotis und Subklavia gleichzeitig unterbunden. Ein Nachlass
MÜENCHENER MEDICTELSCHE WO CTIEK SCHRIEB.
1151
8. Juli 1902.
des Wachstums der Geschwulst trat nicht ein. Der Patient starb
51 Tage post opera tionem an zunehmender Schwäche. Keine
Sektion.
Aus der Zeit, nach der letzten grossen Statistik durch P o i v e t
hat Verfasser 28 operativ behandelte Fälle zusannnengestellt, von
denen 18 die gleichzeitige Unterbindung der rechten Karotis und
Subklavia betrafen. 5 Todesfälle, 13 Besserungen, keine Heilung,
10 ungebessert. Bei Poivet finden sich 7 Heilungen, von denen
3 anatomisch sichergestellt sind.
Zum Vergleich hat dann .1. 28 mit internen Mitteln behandelte
Fälle zusammengestellt (Einführung von Stahlnadeln, Filipuuktur,
subkutane Gelatineinjektionen, indifferente Behandlung). Von
diesen ist einer (Filipuuktur) geheilt, 15 gebessert. Die Resultate
sind also im wesentlichen die gleichen wie die der operativen Be¬
handlung. Vielleicht sind der Operation mehr schwere Fälle unter¬
worfen.
Dreimal wurden infolge der Karotisunterbindung Gehirn¬
störungen beobachtet, 2 mal mit tätlichem Ausgang.
23) K u li n - Königsberg: Der Mechanismus der Fractura
radii typica. K reck e.
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 47. Band
2. Heft. — Stuttgart, F. Enke. I9u2.
1) M. II e li k e 1 - Berlin: Blutungen nach der Geburt und
ihre Behandlung.
Nach kurzer Besprechung der an der k. Universitäts-Frauen¬
klinik in Berlin üblichen Methoden zur Behandlung der Blutungen
post partum empfiehlt II. ein neues Verfahren, das er zunächst
bei Cervixrissen mit Erfolg ausführte. Es ist dies die beider¬
seitige Abkle m m u li g der Aa. uterinae mit M u z e u x-
Ilakenzangen. Die Technik ist dabei sehr einfach. Nach Ein¬
stellung der Portio werden die Mutternnindslippen gefasst und
zuerst nach der dem Cervix riss entgegengesetzten Seite stark ge¬
zogen. Hierauf wird ein 2. Muzeux „ohne Rücksicht auf Blase
und Ureter" an das betr. Parainetrium gelegt und geschlossen.
In der gleichen Weise wird hierauf das andere Parainetrium ab-
geklemmt. Entfernung der Zangen nach 12 — 24 Stunden. Das
Verfahren hat sich auch bei Atonia Uteri bewährt, so dass H.
hierbei auf die Tamponade zu Gunsten seines Verfahrens ver¬
zichten will.
Nachteile für Blase und Ureter glaubt H. nicht befürchten
zu müssen, trotzdem er selbst 2 mal Blut im Urin fand.
2) O. v. F r a n q u ö - Würzburg: Carcino-Sarco-Endothelioma
tubae.
Das gleichzeitige Vorkommen von karzinomatösen, sarkoma-
tösen und endotlieliomatösen Partien in einem Tumor wird von
manchen Autoren, wie v. K a h 1 d e n, K a u f m a n n u. a., ge¬
leugnet, von v. F. jedoch in einem selbst beobachteten Falle genau
beschrieben. An dem vorliegenden Präparat liess sich die gleich¬
zeitige maligne Degeneration einerseits des Tubenepithels, anderer¬
seits des Blutgefässendothels vom ersten Anbeginn ab nachweisen.
Durch seine Beobachtung hält v. F. das gleichzeitige Vorkommen
maligner Entartung an den 3 verschiedenen Bestandteilen eines
Organs für erwiesen. Das Karzinom entstand aus dem Ober-
Üächenepithel, das Sarkom aus Elementen der Tubenwamlung.
v. F. hält seinen Fall überhaupt für den ersten sicheren von Car-
einosarcoma tubae, für den dritten von primärem Tubensarkom.
3) F. A li 1 f e 1 d - Marburg: Verblutung im Anschluss an die
Geburt.
Es handelte sich um eine 29 jähr. Multipara, die 3 mal ab¬
ortiert und nie ausgetragen hatte. Nach der Geburt des 4. Kindes,
das in der Eiliautkopf kappe zur Welt kam, trat eine unstillbare
Nachblutung ein, die trotz Massage, heissen Irrigationen und Tam¬
ponade zum Verblutungstode führte. Ein Cervixriss bestand nicht.
Als einzige Ursache der Verblutung fand A. eine eigentümliche
Blutbeschaffenheit, nämlich Fehlen von Fibrinogen und geringen
Gehalt organischer Substanz, wodurch die Thrombose der Uterin-
gefässe verhindert wurde und die Zirkulation nach der Uterin¬
höhle fortbestand.
4) F. A li 1 f e 1 d - Marburg: Wie stellt sich das Zahlen¬
verhältnis der eineiigen Zwillinge zu den zweieiigen?
Kritik einer Arbeit von Wein b e r g über Mehrlingsgeburten
(cf. diese Wochensclir. 1902, No. 19, p. 802), der wesentlich höhere
Zahlen für eineiige Zwillinge gefunden hatte als A., nämlich
21,2 Proz. statt 15,5 Proz. Zu kurzem Referat ungeeignet.
5) F. A h 1 f e 1 d - Marburg: Zur Prophylaxe der puerperalen
Mastitis.
A. empfiehlt zur Verhütung der Brustdrüseneiterung den Ge¬
brauch einer 10 proz. alkoholischen Tanninlösung. Jeden 2. Tag
wird der Warzenhof und die Warze der Schwangeren erst mit
Wasser abgewaschen, dann abgetrocknet und mit der Tannin-
Alkohollösung mittels Watte betupft. Bei dieser Behandlung ist
in 2 Jahren kein Fall von Mastitis puerperalis mehr eingetreten.
6) F. A h 1 f e 1 d - Marburg: Partielle Kontraktionen des
schwangeren Uterus, Myome vortäuschend.
Isolierte Kontraktionen des schwangeren Uterus hatte A.
bisher nur in den ersten Monaten beobachtet. Bei einer 41 jähr.
VIII. Para fand das Phänomen statt und wurde für ein Myom
gehalten. Die Frau starb an Verblutung infolge von Placenta
praevia und einem inneren Riss in der Gegend des inneren Mutter¬
mundes. Die Sektion ergab keine Spur von Myom; es hatten also
partielle Kontraktionen des Uterus letzteres vorgetiiusclit.
7) M. IV a 1 1 h a r d - Bern : Die bakteriotoxische Endo¬
metritis.
W. teilt die Endometritiden bakteriellen Ursprungs in
2 Gruppen ein:
1. Infektiöse E n d o m e t r i t i d e n, deren Erreger in
Epithel und Stroma eindringon und sich im Gewebe ihres Wirtes
vermehren.
Als solche Erreger fungieren die infektiösen Streptokokken,
Staphylokokken, Kolibazillen und Anaeroben, sowie Gonokokken
und Tuberkelbazillen.
2. Bakteriotoxische Endometritiden, deren Er-
reder im Uterussekret und Uterusinhalt vegetieren und nicht in
die Gewebe ihres Wirtes einwandern. Hierher gehören die sapro-
phytischen Streptokokken, Staphylokokken, Kolibazillen, An¬
aeroben und die echten bakteriotoxiscli wirkenden Sapropliyten,
wie z. B. die Proteusformen.
Da diese Erreger sich im Vaginalsekret jeder Schwangeren
finden und im Puerperium in den Uterus gelangen können, so er¬
klärt es sich, dass auch bei sorgfältigster Asepsis die Morbidität
des Wochenbetts nicht ganz verschwinden kann, wobei allerdings
tröstlich ist, dass diese Infektionen meist milde und oft ganz
symptomlos verlaufen.
8) K. H o 1 z a p f e 1 - Kiel: 1. Was ist zu verstehen unter
Modus Bandelocque, Schul tze, DuncanP
2. Kritik der Arbeit Levys: „Beiträge zum Mechanismus
der Plazentarlösung“ im Bd. XIA'I dieser Zeitschrift.
K. vergleicht zunächst die Lehren Bändel o c q e s,
Schnitzes und D uncans nach den Originalarbeiten, erklärt
die Widersprüche in ihren Angaben daraus, dass sie den Austritt
der Plazenta zu verschiedenen Geburtsabschnitten vielleicht beob¬
achtet haben, und wünscht die Bezeichnungen Modus Baude-
1 o c q u e u. s. w. am liebsten ganz vermieden zu sehen.
Der 2. Teil ist eine Kritik der Arbeit Levys, dem er un¬
richtige Auffassung der Begriffe Modus Schnitze und Modus
Du n ca n vorwirft. H. verwirft, m. E. mit Recht, die an der
Stuttgarter Hebammenschule vorgetragene Lehre, jeden Uterus
sofort post partum zu reiben und die Plazenta nach y2 Stunde
auszudrücken. Durch das frühzeitige Reiben kommt es ent¬
schieden häufiger zu Blutungen und leichter zu Retention von Ei-
liaut- und Zottenresten. Solange es nicht erheblich blutet, soll
man den natürlichen Lösungsprozess der Plazenta durch Reiben
des Uterus nicht stören.
Schliesslich moniert H. die Bestimmung des Plazeutarsitzes
aus der Lage des Eiliautrisses, was zu grossen Irrtümern führen
kann.
9) G. .T. W y clig'el- Leiden: Untersuchungen über das Pig¬
ment der Haut und den Urin während der Schwangerschaft.
In der vorliegenden, wesentlich chemischen Arbeit versucht
W. die E h r 1 i c li sehen Theorien auf die Schwangerschaft zu
übertragen. Er untersuchte hierzu die Ursachen der vermehrten
Pigmentation und den Eisengehalt des Urins und fand folgendes:
Die Ursachen der physiologischen Pigmenthypertrophie sind
uns völlig unbekannt. Dagegen lässt sich sicher behaupten, dass
das Pigment Eisen enthält. Dieses Eisen kann nur vom Hämo¬
globin herstammen, und da dieses in den Erytlirocyteu sehr fest
gebunden ist und diese in W.s Präparaten ihre normale Farbe
zeigten, so kann das Eisen nur aus seiner Lösung im Serum des
zirkulierenden Blutes herstammen. Hieraus ist zu entnehmen,
dass das Discoplasma (der eine Bestandteil der roten Blutkörper¬
chen) in den Erytlirocyteu in der Schwangerschaft zerstört wird.
I )ureh die vermehrte Pigmentbildung wird also ein Teil des frei¬
gewordenen Hämoglobins ausgeschieden. — Der Urin der
Schwangeren enthält mehr Eisen als solcher von nicht Schwange¬
ren unter gleichen Ernährungsbedingungen. Auch dieses Eisen
kann natürlich nur vom Hämoglobin herrühren.
J0) Constantin J. B u c u r a - Wien: Anatomischer Befund
eines wegen Prolaps nach Wertheim operierten Falles.
B. hat im vorigen Jahre über 10 Fälle berichtet, in denen
die W ert heim sehe Prolapsoperation (Annäliung des Uterus an
die angefrischte vordere Vaginalwand) ausgeführt worden war
(cf. das Referat in diesem Blatt 1901, No. 34, p. 1357). Ein neuer,
anfangs geheilter Fall derselben Art starb einige Wochen später
an Nephritis und Herzmuskelentartung. B. beschreibt nun das
hierbei gewonnene anatomische Präparat. Aus dem histologischen
Befunde sei besonders hervorgehoben, dass die in die Vagina
sehende Uterusfläche vollkommen mit mehrschichtigem Platte n-
ep.it liel überkleidet war, das sich vom Epithel der Scheide in
keiner Weise unterschied und kontinuirlioh von der Seheiden-
sehleimliaut auf die Uterusserosa hinüberzog.
J a f f 6 - Hamburg.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 25 u. 26.
No. 25. 1) W. Tliomass - Brandenburg a/H.: Ein Fall von
echtem Fibrom der Vulva.
Der pllaumengrosse Tumor, dessen Trägerin ein 17 jähriges
Mädchen war, sass an der Vulva zwischen Orific. uretlirae, kleinen
Labien und unterstem Tlieil der vorderen Vaginalwand. Ex¬
stirpation mit Messer und Selieere; Heilung. Die mikroskopische
Untersuchung ergab ein zellreiches Fibrom.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 2?;
•Ji M i c li i n - Charkow: Zur Frage der operativen Behand¬
lung der myomatösen schwangeren Gebärmutter.
35 jährige Frau, im 5. Monat gravida, hatte oberhalb des Oriflc.
int. uteri einen Tumor, desgleichen einen im Fundus; daneben be¬
stand Nephritis. INI. nahm an, dass der Tumor in der Cervix die
Geburt per vias naturales unmöglich machen würde; die Nephritis
bestimmte ihn, nicht das Ende der Gravidität abzuwarten. Daher
supravagiuale Amputation des ganzen Uterus; Heilung. Der
Fundustumor war ein einfaches Myom, der untere ein „Myo-
sarkoma myxomatodes lymphangiektaticum papilliferum“.
3) C. v. P a u e r - Ofen-Pest: Ein Fall von Uterus duplex
separatus.
Der Fall betraf eine 18 jährige Virgo, die wegen heftiger Men¬
st rualkoliken und eines Tumors in der linken Bauchhälfte zur
Laparotomie kam. Hierbei fand sich ausser einem normalen
rechtsseitigen Uterus ein zweiter Uterus auf der linken Seite, der
nur durch einen Bindegewebsstrang an die Vagina tixirt war, aber
nicht mit ihr kommunizierte. Es fand sich in diesem Uterus Blut,
also Hämatometra; daneben bestand auch linksseitig Hämato-
salpinx. Beide Tumoren wurden exstirpiert, worauf ungestörte
Heilung eintrat.
Aus der Literatur, die P. zusammenstellt, ergibt sich, dass eine
so starke Entwicklung des rudimentären Uterus bisher nicht be¬
schrieben worden ist.
Xo. 26. 3) A. Död erlein - Tübingen: Ueber abdominelle
Exstirpation des karzinomatösen Uterus nach Wertheim.
D. berichtet zunächst über seine Karzinomoperierten aus den
letzten 4 y2 Jahren. Er hatte nur 84 Proz. primäre Heilungsresul¬
tate, während 16 Proz. starben. Ganz rezidivfrei sind bis jetzt
38 geblieben, darunter 15 Proz. länger als 3 Jahre. Nach Wert-
h e i m operiert D. seit etwa Jahresfrist, zuerst nur sehr ungünstige
8 Fälle, von denen 3 sofort starben, seit Januar d. .T. alle Karzinom¬
fälle, im ganzen 26 Fälle. Von diesen sind 6 gestorben, 20 zunächst
noch am Leben. Als Vorzüge des Verfahrens lobt D. die U eber¬
sicht lichkeit des Operationsgebietes in steilster Beckenliochlage-
rung, die Ausdehnung der Exstirpationsmöglichkeit von Geweben
und Drüsen und seine Leistungsfähigkeit bei Entfernung von Kar¬
zinomrezidiven.
2) A. Catterina- Camerino: Ueber die Hysterokata-
phraxis.
Ein neues Verfahren zur Fixation des prolabierten Uterus.
Ohne Abbildungen nicht verständlich, daher im Original nach¬
zusehen. Jaf f e - Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 55. Bd. Heft 5 u. 6.
23) Aus Prof. Ganghof ners Kinderklinik in Prag:
1. Ganghof nev: Ueber das Verhältnis von Intubation
und Tracheotomie bei der Behandlung der diphtheritischen
Larynxstenose.
Auf Grund seiner reichen Erfahlirang sehliesst der um die
Einführung der Intubation in Europa hochverdiente Autor, dass
die Intubation bei weitem in den meisten Fällen ausreicht,
während die Tracheotomie überall da geübt werden soll, wo der
bestmögliche Erfolg mit der Intubation nicht zu erreichen ist.
Aus grossen Massenstatistiken lässt sich der Wert beider Ver¬
fahren deshalb nicht genügend erschliessen, weil diese eine Be¬
rücksichtigung des Alters, des Genius epidemieus und anderer für
den Einzelfall bestimmender Momente nicht erlauben. (Also auch
bei Ganghofner heisst es: Tracheotomie und Intubation, nicht
Tracheotomie oder Intubation. Ref.)
2. Joseph Langer: Zur Beurteilung der Eiweissbefunde
im Harn diphtheriekranker Kinder.
L. fand, dass bei den gewöhnlichen Eiweissproben mit Ferro-
cyankali-Essigsäure oder mit Essbaclis Reagens die im kon¬
zentrierten Morgenharn Diphtheriekranker sehr reichlichen Ui’ate
eine scheinbar grosse Eiweissmenge Vortäuschen können. Die
Urate fallen meist schon beim Säurezusatz allein aus, auch auf
anorganische Säuren. Eine derartige Uratvermelirung ist also
wohl zu berücksichtigen, um so mehr, als sie bei Diphtherie
häufiger zu sein scheint, als bei anderen fieberhaften Krankheiten.
3. Ritter v. Rittershain: Erfahrungen über die in
den letzten 4 Jahren beobachteten Serumexantheme.
Zur Beobachtung kamen allgemeine Urtikariaexantheme,
diffuse, scharlachähnliche, morbillenähnliche und polymorphe,
schliesslich multiforme exsudative Exantheme. Nur die Diffe-
rentialdiagnose zwischen echtem Scharlach und scharlachähn¬
lichem Exanthem kann gelegentlich grosse Schwierigkeiten be¬
reiten. Auch R. v. R. konstatiert das immer seltenere Auftreten
der Serumexantheme, die von 22 Proz. im Jahre 1S97 auf 6,45 Proz.
in 3901 zurück gingen.
24) Scherer- Prag: Die P a r r o t sehen Pseudoparalysen
bei angeborener Syphilis. (Vortrag, gehalten in der III. Ver¬
sammlung böhmischer Naturforscher und Aerzte in Prag 1901.)
Wo Knochenveränderungen im Sinne P a r r o t s fehlen, wo
Zentralnervensystem und periphere Nerven vollkommen intakt
sind, scheint es sich um eine Schädigung des Zentralnervensystems
durch luetische Toxine oder Toxine komplizierender Septikämie
zu handeln. Verfasser fand zweimal Streptokokken im Marke, den
Spinalganglien und allen Organen.
25) Kramsztyk: Ueber Vergiftung mit Natronlauge bei
Kindern.
Beobachtung von 32 Fällen der Warschauer Kinderklinik und
Vorschläge zur Verhütung derselben.
26) Axel Johannessen: Uebersicht aus der nordischen
pädiatrischen Literatur.
Eine sehr vollkommene Mitteilung der schwedischen und nor¬
wegischen neuesten pädiatrischen Arbeiten, deren regelmässige
Wiederkehr dem Jahrbuch eine noch allgemeinere Beachtung
sichern dürfte.
27) IT. B r ü n i n g - Leipzig: Zur Kasuistik der Tumoren im
4. Ventrikel. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Leipzig.)
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
28) Geissler: Ueber variköse Erweiterung der Hirnsinus
bei einem Kinde mit kongenitalem Defekte im Herzventrikel¬
septum. (Aus der med. Universitäts-Poliklinik in Leipzig.)
Muss im Original nachgelesen werden.
29) C. Hartung: Zusammensetzung und Nährwert der
Backhausmilch.
Gebührende Zurückweisung der gänzlich unberechtigten, un¬
sinnigen Reklame, mit der die Backhauskindermilch als der
Frauenmilch gleichwertig, wenn möglich sogar überlegen an¬
gepriesen wird. „Das Verdienst von B. besteht in der milchtech¬
nischen Verbesserung der bereits früher in anderer Form peptoni-
sierten Kindermilch. Die II. und III. Sorte B. bietet nichts Neues.“
Die B. -Milch kann selbstverständlich so wenig als Ersatz der
Frauenmilch dienen, wie jede künstliche Nahrung ganz allgemein,
und die viel billigere Heubne r sehe Mischung oder das im Hause
dargestellte Biedert sehe Rahmgemenge mit seinen 5 Ab¬
stufungen leistet mindestens ebensoviel.
(Eine eingehende chemische Untersuchung, wie diejenige
Hartuugs ist gewiss sehr verdienstvoll, sollte aber kaum
nötig sein, um die heute ganz gewöhnliche Reklame, dass jedes
erste beste Ersatzmittel für die natürliche Säuglingsnahrung der
Frauenmilch gleichkommt, zu widerlegen. Die Aerztewelt selbst
sollte derartige Reklameartikel prinzipiell ablehnen. Ref.)
30) S z o n t a g h - Ofen-Pest: Beiträge zur skarlatinösen
Gelenkentzündung.
35 recht interessante Beobachtungen. Dass die allgemeine An¬
gabe über den angeblichen Eintritt der Gelenkaffektiou gewöhnlich
bis zum Beginn der 3. Woche nicht zutrifft, zeigt sich auch bei S.
Bakteriologische Untersuchungen werden leider vermisst. Die
Nephritis wurde in keinem Falle vermisst.
31) Bjoerksten: Ein Fall von kongenitaler Dilatation
des Kolon bei einem Kinde.
Vereinsbericht. Literaturbericht. Besprechungen.
S i e g e r t - Strassburg.
Arbeiten aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte. 19. Bd.,
1. Heft.
3) E. Rost: Ueber die Wirkungen der Borsäure und des
Borax auf den tierischen und menschlichen Körper, mit be¬
sonderer Berücksichtigung ihrer Verwendung zum Konservieren
von Nahrungsmitteln.
2) M. Rubner: Ueber die Wirkung der Borsäure auf den
Stoffwechsel des Menschen.
3) R. O. Ne u man n: Ueber den Einfluss des Borax auf den
Stoffwechsel des Menschen.
4) A. H e f f t e r: Ueber den Einfluss der Borsäure auf die
Ausnutzung der Nahrung.
5) G. Sonntag: Ueber die quantitative Untersuchung des
Ablaufes der Borsäureausscheidung aus dem menschlichen
Körper.
6) A. Weitzel: Ueber die Labgerinnung der Kuhmilch
unter dem Einfluss von Borpräparaten und anderen chemischen
Stoffen.
7) E. Polenske: Ueber den Borsäuregehalt von frischen
und geräucherten Schweineschinken.
Das vorliegende Heft der Arbeiten aus dem Kais. Gesund¬
heitsamt umfasst eine Reihe von wichtigen Untersuchungen über
B orsii u r e und Bora x, welche gerade jetzt, wo es sich bei der
Frage der Nahrungsmittelkonservierung um das F ii r u n d
W i d er der Bor p r ä p a rate handelt, von ganz besonderem
Interesse sind.
Bekanntlich werden eine Menge Nahrungsmittel — Schinken,
Lachsschinken, Speck, Cervelatwurst, Blutwurst, Brühwürstchen,
Frankfurter Würstchen, Fische, Kaviar, Muscheln, Milch, Butter,
Margarine, Eiweiss und Eigelb — mit Bors ä u r e oder Borax
behandelt und zwar zum Teil in ganz erheblichen Mengen. So
wurden z. B. in amerikanischem Trockenpöckelrindfieiscli bis über
3 Proz. Borax gefunden. Es ist demnach möglich, dass auch
unter normalen Verhältnissen eine Aufnahme von einigen Gramm
Borsäure pro Tag stattfinden kann. Selbsverständlich sind der¬
artige Mengen eines nicht indifferenten Salzes für den Organismus
nicht gleichgültig und so lassen sich auch in der Literatur eine
Reihe Angaben finden, die tliese Tatsache bestätigen. So hat
z. B. C. Gerhardt neuerdings Dosen von 1 g Borax 3 mal täg¬
lich bei Entfettungskuren nicht indifferent gefunden. Nichtsdesto¬
weniger sind nicht .alle Forscher derselben Meinung und auch die
tägliche Erfahrung scheint dagegen zu sprechen.
Um diese Frage zu klären, sind im K. G.-A. seit mehreren
Jahren Untersuchungen im Gange, durch welche die Wirkung der
Borpräparate auf den Organismus einwandfrei festgestellt wurde.
Die Experimente erstreckten sich nicht nur auf Tiere, sondern
es wurden auch eine Anzahl Versuche am Menschen ausgeführt,
wobei die Wirkung auf die V e r d a u u n g s s ii f t e, die Magen¬
schlei m h a u t, den D a r m, sowie der Einfluss auf den
8. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1153
Stoffwechsel und auf die Ausnützung de r N ahrung
ins Auge gefasst wurde. Auch wurde die Ausscheidung
der Borate aus dein Körper und die Wirkung der¬
selben bei Zusatz zur Milch genau ermittelt.
Ohne auf die ausführlichen und auf breitester Basis ange¬
legten Versuche hier genauer eingehen zu können, seien nur im
folgenden die Hauptergebnisse mitgeteilt.
Die Erfahrungen, welche man beim Tierexpex’iment und beim
Menschen über die örtliche Wirkung der Borsäu re und des
Borax gemacht hat, sprechen dafiii-, dass nur bei sehr gros¬
sen Gaben in starker Konzentration eine Reizwir¬
kung auf die Schleimhäute des Magens ausgeübt wird. Bedeu¬
tender ist sie fi'eilich bei Aufnahme der Borpräparate im Hunger¬
zustande. Dabei wirkt Borax intensiver wie Borsäure.
Rost teilt mit, dass ein Hund von 17 Kilo wiederholt nach
G g Borsäure erbrach, ein anderer bei’eits nach Gaben von 2 g.
Noch empfindlicher sind Katze n. Subjektive Beschwerden stell¬
ten sich gelegentlich eines Menschen Versuches bei Ein¬
atmen von 3 g Borsäure ein, welche sich in wiederholtem Auf-
stossen und Uebelkeit äusserten. Entzündungen des Magens und
des Darmes verursachen nur ganz gi-osse Doseix; selbst subkutane
Injektionen bringen keine nennenwerten lokalen Reizungen hervor.
Dagegen ei’gaben Experimente, dass sowohl bei innerlicher
wie bei subkutaner Darreichung von Borpräparaten Diarrhöen
auf traten.
Als Eigentümlichkeit der Borpräparate wurde ferner die
Herabsetzung der Ausnützbarkeit der Eiweiss-
n a li r ung i m Dar m erkannt. Ausser durch die ausführlichen
Versuche von Förster und Schlenker am Menschen, hat
sich auch durch neue Versuche, die R o s t an 2 Männern und einem
Hund anstellte, auf indirektem Wege ergeben, dass die Bor-
s ä u r e in der Tat eine die Resorption verzögernde
W irkung auf die stickstoffhaltigen Bestandteile der Nahrung
ausübt. Es wurde dies in der Weise festgestellt, dass die stünd¬
lich ausgeschiedene Stickstoffmenge nach der Aufnahme eines
Frühstücks in Vergleich gesetzt wurde zur Stickstoffmenge, die
nach einem Frühstück mit Borsäurebeigabe abge¬
geben wurde und ausserdem durch die Beobachtung der Tem-
peraturkurve nach der boi’haltigen Nahrung.
In direkte r Weise finden wir die Versuche über die Aus-
n u t z u n g der Nahrung nach Borsäure von Hef f ter
an sich selbst ausgeführt. Er genoss nach 20 stiindiger Nahrungs¬
verweigerung 2 Tage lang nur Eier und Milch, worauf eine
20 stündige Hungerperiode folgte. Solcher Versuche machte er 4,
bei zweien wurden 1 — 2 g Borsäure gereicht. Auch er bestätigte
die Forste r sehen Befunde, nach welchen schon kleine Mengen
(0,5 g) die Vermehrung des Kotes begünstigen und damit eine
V er schlechter ung der Ausnutzung herbeiführen
k iinne n.
Sehr bemerkenswert sind die Resultate über den Einfluss der
Borpräparate auf den Eiweisstoffwechsel. Da auch hie¬
rüber keine Uebereiustimmung in der Literatur herrscht, so wurden
von Rost zunächst an wachsenden und und an ausgewachsenen
Hunden, später in 7 Versuchen an 5 Personen Stoffwechsel¬
versuche mit Borsäure ausgeführt. Uebereinstimmend
wurde bei Mensch und Tier gefunden, dass eine spezifische
Borwirkung auf den Eiweissumsatz nicht be¬
steht. Ein beim Hunde beobachteter Eiweisszerfall
war das Resultat von sehr grossen Gaben. Aber der Ei¬
weisszerfall wurde nur dann gesteigert, wenn die gi'ossen Mengen,
entspi’echend den Neuti’alsalzen (Kochsalz und Salpeter) xxnd den
alkalisch reagierenden Alkalisalzen, infolge Salzwirkung den Kör¬
per entwässerten. Wenn dagegen genügend Wasser gleichzeitig
gereicht wurde, so konnte bei gi-ossen Boi*gaben sogar eine ge¬
ringe Herabsetzung des Eiweissverbrauchs konstatiert wei’den.
Beim Menschen zeigt sich diese verminderte Eiweisszer¬
setzung, wie aus dexxx oben angeführten Stoffwechsel versuch von
R. O. N e u m a n n hervorgeht, bereits bei 3 g Bor a x, also bei
relativ kleinen Mengen.
Ausserordentlich bedeutungsvoll ist aber
in allen 7 Versuchen mit Borsäure und Borax
die ermittelte Tatsache, dass diese Präparate
bei längerdauernder Einnahme das Körperge¬
wicht zum Abfall bringen, der bisweilen einen
jähen Absturz erfährt. So sank bei N e u m a n n das
Gewicht in den ersten 7 Tagen des Versuchs uni 1200 g und bei
der Versuchspei’son W. und S. in den R o s t sehen Experimenten
plötzlich um 800 g am 1. Tag und bei A. um 1480 g an 2 Tagen.
Durch die bei Genuss von Borpräparaten bedingte Diurese lässt
sich dieser Gewichtsabfall nicht allein erklären und so muss mit
grösster Wahrscheinlichkeit als Ursache dieser Ei’sclieinuiig eine
gesteigerte Inanspruchnahme des Fettes ange¬
nommen werden.
Diese Annahme liess sich aber nur ganz sicherstellen, wenn
der Gesamtstoffwechsel von den Versuchspersonen fest-
gestellt wurde, und so hat R u b n e r an 2 Männern, die auch Rost
als Versuchsobjekte dienten, im Respirationsapparat die biesbezüg-
lichen Expei'imente angestellt. Die Männer wurden mit einer
gleiclimässigen Kost gefüttert und verblieben 8 Tage im Respira¬
tionskasten mit Ausnahme von 2 Stunden am Tage.
In beiden Fällen war der Energieverbrauch
in der Borperiode gesteigert und zwar in einem
Falle erhielt er einen Zuwachs voix 21,7 Proz. Es
ergaben also die Vei*suche latente Veränderungen i o
den Ernährungsvorgängen nach Borsäurege¬
nuss, die wir auch durch den gewöhnlichen Stick¬
stoffwechselversuch und empirische Beobach¬
tung nicht zu ermitteln im stände sind. Rubner
macht darauf aufmerksam, dass ein derartiger Mehrver¬
brauch von Energie und ein solch erhöhter Umsatz der N-f leien
Stoffe unzweifelhaft unter den Begriff einer gesundheit¬
lichen Schädigung fällt, da der Fettbestand eines Organis¬
mus eine grosse Bedeutung für die Erhaltung des Lebens darstellt.
Die Ausscheidung des Borax und der Bor¬
säure aus dem Organismus geht nur recht lang¬
sam von statten. Während N e u m a n n nach mehrfacher
Boraxaufnahme denselben im Harn noch nach 18 Tagen nacli-
weisen konnte, zeigte Sonnta g durch exakte quantitative Unter-
suckxmgen, dass nach einmaliger Aufnahme von 3 g Borsäure
der Körper erst nach 5, 8 oder 9 Tagen gänzlich von Borsäure be-
freit war. Die Hauptmenge der Borsäure wird in den ersten
12 Stunden bis zu 50 Proz. abgestossen, zur Entfernung der letzten
Hälfte siixd dagegen viele Tage — ungefähr die 8 fache Zeit —
nötig. Quantitativ genau kann man die Ausscheidung bis zum
5. Tage vei'folgen.
Der Einfluss der Borate auf die Milch ergab
nach Weitzels systematischen Untersuchungen,
dass die hemmende Wirkung des Borax sich schon in sehr kleinen
Mengen geltend macht xmd dass Konzentrationen von 1 — 2 g auf
1 Liter die Milch für die Labgerinnung so gxxt wie untauglich
machen würden. Hiernach muss der Zusatz von
Borax zu Milch, diesem wichtigen Kinder-
nahrungsmittel, hygienisch als höchst bedenk¬
lich angesehen werden.
Aus R o s t s Untersuchungen geht endlich noch hervor, dass
der Tod an Borvergiftung durch aufsteigende zentrale Lähmung
lierbeigefühi’t wird, zu der Wärmeverlust infolge schwerster Diai*-
rlioe unterstützend treten kann.
Die Borsäure und der Borax unterscheiden sich nur dort voix-
einander, wo sie ihre verschiedene Reaktion auf die Schleimhäute
entfalten können, sonst sind ihre Wirkungen und ihre Auf¬
saugungsfähigkeit iix den Organen des Körpers dieselben, ebenso
zeigt die Ausscheidung durch die Haut und Niexen keine Unter¬
schiede.
Hieraus geht hervor, dass der Borax und die Borsäxxre, sofern
sie Mengen von einigen Bruchteilen eines Grammes übei’steigeix,
keineswegs indifferente Stoffe sind.
Die Wir k u u g de r Harnve r m eliung, die
schwere E n t f e r n u ix g a ns de m Organismus, das
Entstehen von Hautausschlägen nach inner¬
licher Darrei c li xx n g, die entstehenden D i a r -
r h ö e n, die m a ix g e 1 li a f t e A u s n xi t z xi n g der mit Bor-
präpa raten versetzten Nahrungsmittel, die V er¬
find e r xx xx g der Milch bei Zusatz von Boraten,
der Fettverlust u n d die Gewichtsabnah m e und
endlich die Tatsache, dass e i ix z e 1 n e dieser Wir-
k u xi gen unbemerkt im Körper vor sich gehe n
können, zeigt, dass vor der B e n xx t z xx n g der Bor-
Präparate gewarnt werden muss und es ist daher
vom Standpunkt der Pharmakologie und öffent¬
lichen Gesundheitspflege die Verwendung von
Borpräparaten zur Nahrungsmittelkonser¬
vierung zu untersagen. R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 26
1) W. v. O e 1 1 i li g e li - Berlin: Die Behandlung des an¬
geborenen Klumpfusses beim Säugling. (Fortsetzung folgt.)
2) A. Rosenberg: Nebennierenextrakt in der Rhino-
Lai’yngologie.
R. hat das von ihm benutzte Extrakt aus Ochsennebexxnieie
sich selbst hergestellt und der Haltbarkeit wegen mit etwas Kar¬
bolsäure versetzt und verwendet dasselbe, indem er es mittels
Wattebausches in die Nase einführt. Die beinahe sofoi't ein-
txetende Wirkung besteht in einer hochgradigen Anämisirung der
Schleimhaut, die fast vollkommen weiss wii-d und dabei ganz ab¬
schwillt, so dass ein Einblick auch an Stellen stattfinden kann, wo
dies vorher nicht möglich war. Wird in diesem Stadium noch
Kokain angewandt, so können die voi’zunelxxxienden Operationen
fast ohne jeden Blutvei-lust ausgeführt werden. Bei allen akuten
Schwellungszuständen entfaltet das Mittel einexx guten Effekt, hin¬
sichtlich des Heufiebers spricht sich Verfasser leserviert axis.
Stärkere Nachblutungen nach Operationen, axxch solchen am Sep¬
tum, hat R. nicht gesehen. Uebrigens vermag das Adrenalin Blu¬
tungen ganz prompt zu stillen. Iixx Larynx bringt es ebenso eine
momentane Absckwellung der Stimmbänder hervor, so dass Heisei’-
keit wenigstens für kurze Zeit behoben werden kann. Die Wir¬
kung der innerlichen Dai’reichung, im Tag etwa 4 mal 0,3 g ist eine
viel geringere und xxnsicherere.
3) S. G o 1 1 s c li a 1 k - Berlin: Ueber das Folliculoma malig-
num ovarii.
Vergl. den Bericht hierüber S. 1007 der Münch, med.
Woclienschr. 1902.
4) B e r d i n g - Königsberg: Zur Frage der Harnsäui’e-
bestimmung.
Verfasser kritisiert die kürzlich von J. Ruhemann an¬
gegebene Methode der Harnsäxirebestimmung sehr ungünstig, da
ihre Resultate mit jener von Ludwig-Salkowski, welche be-
1154
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
kauntlich als zuverlässig anerkannt ist, weit abweichen. B. ver¬
tritt übrigens die Anschauung, dass die Ilamsäurebestimmung
heute noch praktisch ohne jeden Wert ist.
5) F. F r o m m e r - Berlin: Ein neues Instrument zum Nähen
der Fisteln und Wunden in beschränkten Hohlräumen.
Das im Original abgebildete Instrument besteht im Wesent¬
lichen aus einer an einem Führungsstab beweglich angebrachten,
rückwärts gerichteten Nadel, die eine feste und beliebige Stellung
durch Drehen der am unteren Teile des Gerätes sich befindenden
Schraube erreicht; jede Stellung der Nadel wird an einer doi’t be¬
findlichen Skalenscheibe sichtbar gemacht. Die Nadel ist besonders
gut brauchbar bei Vernähung von Blasenscheidenfisteln.
6) F. Strassmann - Berlin: Die operative Entfernung der
Eileiterschwangerschaft von der Scheide her.
Ist bereits S. 545 der Münch, med. Wochensehr. 1902 be¬
sprochen. Grass mann - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 26. 1) A. G hon -Wien: Ueber Meningitis bei der In¬
fluenzaerkrankung. (Schluss folgt.)
2) E. W i e n e r - Wien: Ueber das Verhalten der roten Blut¬
körperchen bei höheren Temperaturen.
Verfasser macht darauf aufmerksam, dass manche bei der
Hämolyse hervortretenden Erscheinungen wahrscheinlich nicht
allein von dem einwirkenden Serum abhängen, sondern auch von
physikalischen Einflüssen,, welche das Blutkörperchen treffen. Es
kann z. B., wie W. durch seine Untersuchungen an verschiedenen
Tierblutarten nachweisen konnte, das Endosoma aus dem Stroma
herausgedängt werden und letzteres dann als Blutkörperchen¬
schatten Zurückbleiben. Dies tritt z. B. bei der Einwirkung
höherer Temperaturen ein. Eine wichtige Rolle spielt auch die
Isotonie der verwendeten Kochsalzlösung, Avelche nicht nur bei
den verschiedenen Tierarten, sondern auch innerhalb derselben
Tierart bei den verschiedenen Individuen schwankt. Die roten
Blutkörperchen erleiden bei der Einwirkung höherer Temperaturen
schon eine physikalische Veränderung ihres Inhaltes. Das Stroma
erweist sich als der thermostabilere Tlieil des Blutkörperchens.
3) K. K r e i b i c h - Wien: Ueber 6 Fälle von Pityriasis
lichenoides chronica.
Das Alter seiner 6 Patienten schwankt zwischen 13 und
45 Jahren; für die Aetiologie der seltenen Krankheitsform konnte
Verfasser aus seinen Beobachtungen keinen Anhaltspunkt ge¬
winnen, da sie sonst ganz gesund waren. Zu bemerken ist be¬
sonders, dass das polymorphe Exanthem Monate und .Talire hin¬
durch dauert, was besonders gegenüber Syphilis in Betracht
kommt. Von Psoriasis ist die Affektion schwer zu scheiden. Hin-
sichlich der klinischen Charakteristika muss auf die Originalarbeit
verwiesen werden
4i L. M e r k - Graz: Zur Frage der Vaccina generalisata vera.
Unter Rücksichtnahme auf die einschlägige Literatur schildert
Verfasser einen Fall, in welchem bei einem 22 jährigen Menschen
am 5. Tage nach der Impfung zunächst eine Gruppe von Bläschen
auf der linken Brust sich zeigte. Pusteln bildeten sich auch in der
Augenbrauengegend und am Hodensack, hier in grösserer Zahl.
Die primäre Impfstelle zeigte normale Verhältnisse, auch war die
übrige Haut des Körpers völlig rein. Nach ca. 2 Wochen war die
Affektion schon völlig abgeheilt. Grassmann - München.
Englische Literatur.
A. R u f f e r und M. Crendiropoulo: Ein Beitrag zum
Studium der agglutinirenden Substanzen und ihrer Bildung im
Blute. (Brit. Med. Journ., 5. April 1902.)
Auf Grund sorgfältiger Untersuchungen, deren Einzelheiten
im Originale nachzulesen sind, kommen die Verfasser zu folgen¬
den Schlüssen: Befreit man Kulturen von Bakterien durch irgend
eine Methode von den Bakterien, so hat der Rückstand eine ge¬
länge agglutinirende Wirkung auf diese Bakterien; das Alter der
Kultur und die Art des Kulturmittels spielen hierbei eine grosse
Rolle. Die rothen Blutkörperchen immunisirter oder nicht im-
munisirter Thiere enthalten keine Spur von agglutinirenden Sub¬
stanzen, diese finden sich dagegen besonders in den polynukleären
Leukocyten nicht immunisirter Thiere und besitzen diese meist
(>ine grössere agglutinirende Kraft als das Serum. In immuni-
sirten Thieren findet sich die agglutinirende Substanz ebenfalls in
den polynukleären Leukocyten und ist es ziemlich sicher, dass
diese nicht nur die Träger, sondern auch die Erzeuger dieser Stoffe
sind, von ihnen aus treten sie allmählich in das Serum über; die
Bildung spezifischer agglutinirender Substanzen ist bald nach der
Impfung begleitet von der Bildung von agglutinirenden Substanzen
für andere Mikroben, doch hört letzteres bald wieder auf. während
die Bildung spezifischer Substanzen viel länger anhält.
Leonard Rogers: Der diagnostische Werth der Blutunter¬
suchung bei Typhus und tropischen Malariaformen. (Ibid.)
Auch diese Arbeit verdient eine genauere Durchsicht, als im
Referate gegeben werden kann. Eine Vermehrung der Lympho-
cyten auf 40 Proz. oder darüber spricht für Typhus, wenn die
grossen mononukleären Leukocyten nicht gleichzeitig vermehrt
sind. Sind die letzteren auf 12 Proz. und darüber vermehrt (be¬
sonders während der Fieberremissionen), so spricht dies für
Malaria auch bei Fehlen von Malariaparasiten. Die Anwesenheit
von Myelocyten in der Menge von 1—5 Proz. spricht für Malaria.
Starke Anämie und Verminderung der rothen Blutkörperchen
unter 3 Millionen wird fast nur bei Malaria gefunden; starke Ver¬
minderung der Leukocyten (unter 2000 im Kubikzentimeter) wird
viel häufiger bei Malaria beobachtet als bei Typhus, auch geht bei
Malaria das Verhältniss der Blutkörperchen zu einander oft unter
1:2000. Starke Leukocytose mit 80 Proz. polynukleären Zellen
spricht für das Vorhandensein eines Abszesses.
A. E. W right: Resultat der Inokulationen gegen Typhus
beim 5. Bataillon des Manchester-Regiments in Südafrika.
(Ibid.)
547 Personen wurden nicht geimpft, von ihnen erkrankten an
Typhus 23 (4,2 Proz.), es starben 7 (1,3 Proz.). Von 200 Geimpften
erkrankten 3 (1,5 Proz.), von diesen starb Niemand (OProz.). Auf die
Erkrankungsfälle berechnet starben von der ersten Gruppe 1 auf
3,3, von der zweiten 0 auf 3,0. Die Anfälle bei den Ungeimpften
sollen sehr schwer, bei den geimpften sehr leicht verlaufen sein.
Mayo Robson: Ueber die Zerreissung der Semilunarknor-
pel und über Operationen wegen freier Körper im Kniegelenk.
(Ibid., 12. April 1902.)
Robson weist darauf hin, dass die Verletzung der Semi¬
lunarknorpel „internal derangement of the knee joint“ besonders
häufig bei Grubenarbeitern vorkommt, die beruflich lange Zeit das
Knie in stark gebeugter Stellung halten müssen; wird nun das
steifgewordene Gelenk plötzlich gestreckt, so kann der Zwischen-
knorpel leicht zwischen die Gelenkenden gerathen und hier wie
eine Nuss in einem Knacker zerquetscht werden; viele dieser Fälle
rezidiviren auch bei sorgfältigster konservativer Behandlung
immer wieder und müssen operirt werden. Verf. suchte früher
den zerrissenen und dislozirten Knorpel zu nähen und au richtiger
Stelle zu befestigen, hat dies aber als nutzlos aufgegeben und ent¬
fernt seit einer Reihe von Jahi’en einfach das abgelöste Knorpel¬
stück. Im Ganzen hat Verf. 21 mal wegen Zerreissung des Knor¬
pels (meist des inneren), 4 mal wegen totaler Abreissung desselben
operirt, 1 mal waren beide Knorpel dislozirt; alle diese Fälle, so¬
wie 8 andere, in denen freie Körper aus dem Gelenk entfernt
wurden, wurden geheilt. Genaue Krankengeschichten sind beige¬
geben. Verf. empfiehlt dringend, bei der Operation das eröffnete
Gelenk nicht mit dem Finger, sondeni nur mit sterilen Instru¬
menten zu berühren.
John Williamson Pugh: Die Behandlung des Ulcus rodens
mit Röntgenstrahlen. (Ibid.)
Krankengeschichten und Abbildungen von 4 Fällen, die in
kurzer Zeit durch Bestrahlung zur Ueberhäutung gebracht wurden.
Die 3 ersten Fälle sind seit einem Jahre geheilt und wohl, beim
vierten ist keine Zeit angegeben.
Balmano Squire: Ein Fall von kompleter Kahlköpfigkeit
in Folge von Alopecia areata. (Ibid.)
Der Fall ist interessant, weil es gelang, durch sehr lange fort¬
gesetzte Behandlung wenigstens theilweise neue Behaarung zu er¬
zielen. Es wurde über 1 Jahr lang jeden Abend der 8. Theil des
Kopfes mit folgender Salbe eingerieben: Hydrargyr. jod. rubr. 2,0,
Vaseline 30,0. Erst nach 6 Monaten begannen die ersten Haare zu
wachsen. Die Behandlung ist schmerzhaft.
Marmaduke Sh ei Id: Eine Reihe von äusseren Operationen
am Larynx. (Ibid., 19. April 1902.)
Verf. gibt 9 Krankengeschichten von Fällen, bei denen durch
Thyrotomie Geschwülste des Larynx entfernt wurden. Genaue
Beschreibung der Operation und Nachbehandlung, die aber nicht
viel Neues bringen.
Herbert Tilley: Bemerkungen über 35 Fälle chronischer
Eiterung der Kieferhöhle. (Ibid.)
Da die Fälle alle aus der Privatpraxis stammen, so hatte Verf.
gute Gelegenheit, sie längere Zeit hindurch zu beobachten; er em¬
pfiehlt dringend, in jedem Falle zuerst einen Versuch mit der ein¬
fachen Punktion vom Alveolus aus zu machen und den grösseren
Eingriff der Aufmeisselung nur dann auszuführen, wenn der an¬
dere Versuch fehlgeschlagen ist.
E. H. Embley: Die Ursache des Todes während der
Chloroformnarkose. (Ibid., 5., 12., 19. April 1902.)
Auf Grund dieser äusserst sorgfältigen Arbeit kommt Verf. zu
wesentlich anderen Schlüssen als Mitglieder der Hyderabadkommis¬
sion. Er stellt erstens fest, dass der Herzmuskel äusserst empfindlich
gegen Chloroform ist; ferner weist er nach, dass die Erregbarkeit des
Vagus während der Chloroformdarreichung und besonders im Be¬
ginn derselben wesentlich erhöht ist, und zwar wirkt das Chloro¬
form direkt auf das Vaguszentrum. Die Vagushemmung wirkt
bedeutend ungünstiger auf ein Herz, dessen spontane Erregbar¬
keit. durch Chloroformwirkung bereits abgeschwächt ist. Das
vasomotorische System im Mark und Gehirn wird eine Zeit lang
durch Chloroform erregt; der Fall des Blutdrucks beruht auf
Lähmung der Herzmuskelzellen. Die Athmung wird ungünstig
beeinflusst durch das Sinken des Blutdrucks und die Wiederher¬
stellung der Athmung hängt davon ab, ob es gelingt, den Blut¬
druck wieder zu heben. Im Anfang der Narkose tritt Aufhören
der Athmung ebenso häufig vor wie nach Auf hören der Ilerz-
thätigkeit auf. Da die Hemmung des Vaguszentrums während
der Narkose durch schlechte Athmung leichter herbeigeführt wird,
andererseits aber die Athmung durch Fallen des Blutdrucks
(Herzlähmung) ungünstig beeinflusst wird, so kann sich leicht ein
Circulus vitiosus ausbilden. Zu viel Chloroform setzt die Vagus¬
hemmung in Thätigkeit, der Blutdruck sinkt und die hierdurch
8. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1155
bedingte Athemlähmung steigert nocli die Vagushemmung. Es
ergibt sieh hieraus die praktische Folgerung, im Beginn der Nar¬
kose (wo das Vaguszentrum leichter erregbar ist) nur sehr geringe
Mengen von Chloroform zu geben, also langsam die Narkose zu
beginnen. Die sehr sorgfältige Arbeit verdient ein genaueres Stu¬
dium.
Sydney C o r n i s h: Das Haarseil bei Migräne.
Ein 25 jähr. Arbeiter litt seit vielen Jahren an schwerer Mi¬
gräne mit Erbrechen, die Anfälle waren zuletzt so schwer, dass
Patient mehrfach einen Selbstmordversuch unternahm. Ein länge¬
rer Aufenthalt im Spital und auf dem Lande brachte keine Besse¬
rung, seit 4 Monaten trägt er im Nacken ein Haarseil und ist
völlig frei von Beschwerden.
T. E. Watson: Das Haarseil bei der Behandlung der
Migräne. (Ibid.)
Auch Watson hat mit der Anwendung des Haarseils am
Nacken bei einem Kranken, der an sehr hartnäckiger Migräne litt,
einen raschen (das Haarseil wurde 3 Wochen lang getragen) und
anhaltenden Erfolg erzielt.
Reginald Harri so n: Ueber Litholapaxie bei Hunden.
(Ibid., 26. April 1902.)
Der bekannte Urologe gibt in diesem kurzen Aufsatz seine
Erfahrungen wieder, die er in der Behandlung des Blasensteines
bei Hunden gemacht hat. Er hat auch hier den suprapubischen
Schnitt aufgegeben und ist zur unblutigen Operation, zur Lithola¬
paxie, übergegangen; dieselbe lässt sich leicht ohne Narkose in
wenigen Minuten ausführen. Anhangsweise spricht er auch noch
über Nephrolithotomien bei Hunden. (So interessant diese Ope¬
rationen zu Uebungszwecken sind, so möchte Bef. im Allgemeinen
es vorziehen, seine Thierliebe dadurch zu bethiitigen, dass ein
schwerkrankes Thier getödtet wird; es ist das einer der wenigen
Vorzüge, den es vor dem Menschengeschlechte voraus hat.)
J. McKean Harrison: Zwei Fälle von akutem Darm¬
verschluss, die durch Verabreichung von Quecksilber erfolgreich
behandelt wurden. (Ibid.)
Ein 60 jähr. Mann fiel am 14. September die Treppe hinunter.
Während der nächsten Tage zunehmende Auftreibung des Leibes,
Erbrechen, Singultus und völlige Verstopfung. Da eine Operation
verweigert wurde, so gab Verf. am 9. Tage ein halbes Pfund
Quecksilber innerlich, gefolgt von 0,06 Opium alle 4 Stunden. Am
folgenden Tage, wohl in Folge des Opiums, besseres Befinden,
2 Tage darauf Stuhlgang, nun täglich Darmentleerungen, ohne
Abgang von Quecksilber. Am 7. Tage nach der Aufnahme des
Quecksilbers stand der Kranke zum ersten Male wieder auf, am
10. Tage entleerte er das Quecksilber. Darnach völliges Wohlsein
für fast 3 Monate, dann Hemiplegie und Tod. (Es wird nicht an¬
gegeben, ob der Darm auch für Gase gesperrt war, auch scheint
kein Kotherbrechen aufgetreten zu sein. Ref.)
Ein 80 jähr. Mann erkrankte plötzlich mit Erbrechen und
Leibschmerzen, es trat Verstopfung auf und es gingen auch keine
Winde mehr ab, der Bauch wurde rasch aufgetrieben und Pat.
erbrach häutig. Am 2. Krankheitstage Erbrechen von etwa
300 ccm Blut. Da der Kranke rasch verfiel, so erhielt er am
4. Krankheitstage ein halbes Pfund Quecksilber, gefolgt von
Opium, Am folgenden Morgen Stuhlgang und darnach Besserung;
das Quecksilber ging in 2 Portionen am 11. resp. 12. Tage nach
der Aufnahme ab. In keinem der beiden Fälle traten nach* der
Aufnahme irgend welche Schmerzen auf, auch folgte kein Mer¬
kurialismus. (Ref. sah vor 11 Jahren zusammen mit Dr. G e 1 p k e
in Liestal 2 ähnliche Fälle, bei denen offenbar ein völliger Darm¬
verschluss bestand und in welchen Quecksilber Heilung brachte;
in einem der Fälle blieb aber das Quecksilber viele Monate lang
im Körper, ging nur ganz allmählich ab und erzeugte schwere
Merkurialsymptome.)
Killick Millard: Die angenommene Ansteckungsfähigkeit
der Schuppen bei Scharlachrekonvaleszenten. (Lancet, 5. April
1902.)
Unter dem Publikum, wie unter den Aerzten herrscht vielfach
die Meinung, dass die Schuppen der Scharlachkranken die Träger
und Verbreiter der Krankheitskeime sind, und es hat sich dess-
halb der Gebrauch ausgebildet, derartige Rekonvaleszenten so
lange als ansteckungsfähig zu betrachten und zu isoliren, als noch
Schuppung vorhanden ist. Dies führt aber nach Verf.’s Meinung
zu ganz überflüssiger Verlängerung des Hospitalaufenthaltes (in
England werden ansteckende Kranke, sobald sie im eigenen Hause
nicht mit Sicherheit gut isolirt werden können, zwangsweise in die
sog. Feverhospitals gebracht. Ref.). Er hat nun eine Umfrage
bei einer Anzahl von Oberärzten an Fieberhospitälern gehalten
und hat von 16 Aerzten (von 21 Anfragen) bestätigt erhalten,
dass die Schuppung an sich gar nichts mit der Ansteckungsfähig¬
keit des betreffenden Kranken zu thun hat. Ist derselbe noch
infektiös, so können seine Schuppen ebenso gut wie von ihm be¬
nützte Kleider u. dgl. mehr die Ansteckung vermitteln, ist aber
die ansteckende Periode schon abgelaufen, so sind auch die
Schuppen nicht mehr gefährlich. Liegt also sonst kein Grund vor,
den Kranken für ansteckend zu halten (pathologische Sekrete),
so kann man ihn, selbst wenn er schuppt, ruhig nach 4 Wochen
entlassen; Verf. hat dies bei 190 Kranken gethan und hat trotz
sorgfältiger Weiterbeobachtung sich nicht davon überzeugen
können, dass diese Kranken die Krankheit nach ihrer Entlassung
weiter verbreitet hätten.
William Stuart- Low: Die topische Anwendung des
Mucins bei gewissen Krankheiten der Nase, des Halses und des
Ohres. (Ibid.)
Verf., der schon früher (Lancet, S. Sept. 1900 u. 12. Okt. 1901)
warm für die Verwendung des Mucins bei schmerzhaften Affek¬
tionen des Magen- und Darmkanals eingetreten ist, empfiehlt das¬
selbe jetzt bei allen trockenen Katarrhen der Luftwege und des
Ohres. Er verwendet Tabletten (Burroughs & Wellcome), die je
0,3 Mucin und Natr. bicarb. und 0,1 Menthol enthalten; diese
werden in je 15,0 sterilen Wassers und Kalkwassers gelöst und
2 mal täglich auf die betreffenden Schleimhäute gesprayt, bei
trockenen Katarrhen des Mittelohres applizirt er das Mittel durch
die Tuba Eustacliii. Verf. will besonders auch bei hartnäckiger
Rhinitis und Pharyngitis atrophicans rasche Erfolge erzielt haben,
der üble Geruch verschwindet bei regelmässiger Anwendung bald.
Montague D. Makuna: Antistreptokokkenserum bei Puer¬
peralfieber. (Ibid.)
Verf. injizirte in einem Falle von Puerperalfieber 5 mal je
10 ccm Serum (Parkes, Davis & Co.). Seiner Meinung nach war
der Erfolg ein merkbarer und hat die spezifische Behandlung auf
jeden Fall die Krankheitsdauer beträchtlich abgekürzt, vielleicht
sogar der Frau das Leben gerettet.
Stanley Green: Die Verwendung des Adrenalins in der
Augen-, Nasen- und Ohrenpraxis. (Brit. Med. Joürn., 10. Mai
1902.)
Die Einführung eines genau dosirbaren Präparates hat die
Verwendung des Nebennierenextraktes viel sicherer und leichter
gemacht. Das Präparat, Adrenalinchlorid, kommt in Verdünnung
von 1:1000 in den Handel. Für das Auge sind Lösungen von
1:10 000, für die Nase und das Ohr solche von 1:5000 zu verwenden.
Verf. verwendet es fast gar nicht mehr bei Operationen, da die
Nachblutung nach der blutleeren Operation sehr störend und
selbst gefährlich sein kann. Sehr gute Erfolge hatte er dagegen
bei entzündlichen Erkrankungen der Konjunktiva und Kornea, des
Trommelfells und des Mittelohres, sowie besonders auch bei
Schwellungen und Hypertrophien der Naseuschleimhaut. Bei
Schnupfen und Heufieber wirkt es wie ein Spezifikum. Eine An¬
zahl von Krankengeschichten erläutern das Gesagte. Bei Ge¬
schwüren der Hornhaut ist das Mittel nicht angezeigt.
H. li. Clarke und R. S. Nichol: Ein Fall von ungewöhn¬
lich langem Stillen. (Ibid.)
Der Fall verdient als Kuriosum kurz erwähnt zu werden. Die
kräftige 47 jähr. Mutter stillte ihr Kind 5 Jahre und 2 Monate,
3y2 Jahre lang hatte das Kind nur Muttermilch, während der
letzten 2 Jahre etwas andere Nahrung ausserdem. Die Milch der
Mutter enthielt ungefähr ebenso viel Fett wie Kuhmilch. Mutter
und Kind waren gesund.
Rickman J. Godlee: Beitrag zur Kenntniss des tropischen
Leberabszesses. (Lancet, 24. Mai 1902.)
Diese Abszesse führen fast immer zu einer Perityphlitis (meist
lokalen Peritonitis), bestehende Verwachsungen führen zu Stö¬
rungen der Magen- und Darmthätigkeit, ja zu völligem Verschluss
der Gallengänge und den Symptomen des chronischen Choledochus-
verschlusses. Sehr wichtig ist es, womöglich schon vor der Ope¬
ration festzustellen, ob die Pleurablätter verwachsen sind; dies
ist aber nicht immer möglich und so ist es in jedem Falle besser,
durch Vernähung derselben einer Infektion der Pleurahöhle voi’zu-
beugen. Häufig bilden sich Abszesse in der Lunge, die glatt aus¬
heilen, wenn sie frühzeitig erkannt und entleert werden. Bleiben
sie unerkannt, so senkt sich der Eiter oft, macht lange Gänge
und zerstört beträchtliche Theile der Lunge. Zur Heilung dieser
Abszesse sind ausgedehnte Operationen und langdauernde Drai¬
nage nöthig, sie führen übrigens gelegentlich zu metastatischen
Abszessen im Gehirn. Die tropischen Leberabszesse finden sich
meist in der Einzahl, entstehen oft sehr schleichend und enthalten
dann meist Amöben, daneben gibt es akut verlaufende multiple
Abszesse mit Eiterbakterien und Kolibazillen, auch wird zuweilen
ein bisher chronischer Abszess vom Darm aus sekundär infizirt
und verläuft dann akut. Die meisten Abszesse liegen im rechten
Leberlappen und so beginnt Verf. die Operation gewöhnlich mit
einer Inzision in der Axillarlinie, bei der die Pleura meist geschont
werden kann; Abszesse im linken Lappen müssen vom Epigastrium
aus geöffnet werden. Verf. spricht dann noch über das Verfahren
von M anso n, das zweif ellos gute Resultate gegeben hat und
darin besteht, dass ein Troikart durch alle Schichten von aussen
eingestochen und durch die Kanüle ein dickes Drain eingeführt
wird. In Europa und in Krankenhäusern überhaupt empfiehlt
sich entschieden mehr das offene Verfahren, da man dabei die Ver¬
hältnisse besser übersieht. Verf. gibt zum Schluss 10 Kranken¬
geschichten zur Erläuterung des Gesagten.
II. Challice Croucli und Ed red M. Corner: Ist Chloro¬
form gefährlicher als Aether? (Ibid.)
Die Verf. haben im Jahre 1900 im St. Thomas-Hospitale
3000 Narkosen gemacht und die Fälle genau nachbeobachtet. Bei
2400 Aethernarkosen kam es 10 mal zu Lungenkomplikationen, die
unzweifelhaft auf das Anästhetikum zurückzuführen waren, 1 Fall
endete tödtlich, die Chloroformnarkosen verliefen ohne unan¬
genehme Zwischenfälle. Die Verf. glauben, dass, wenn man alle
Fälle von Pneumonie und Bronchitis in Betracht zieht, die Anwen¬
dung des Aethers mindestens ebenso grosse Gefahren darbietet,
wie die des Chloroforms.
1156
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Arthur E. J. Barke r: Maschinengarn als Nähmaterial.
Verf. verwendet seit längerer Zeit zu allen Operationen nur
noch den gewöhnlichen Zwirn, der für Nähmaschinen gebraucht
wird, als Unterbindung»- und Nahtmaterial. No. 40 dient zur
Unterbindung grosser Gefässe und zur Naht der Bauchdecken,
No. 00 für kleinere Gefässe und No. 90 zur Darmnaht. Der Faden
wird 1 Stunde lang in Wasser gekocht und in Alkohol aufgehoben,
er ist sehr stark und quillt nicht auf. Verfasser hält ihn für das
beste und billigste Material, das er bis jetzt versucht hat.
James Cantlie: Die Symptome, Pathologie und Therapie
der Pest. (Indian Medical Record No. 13, 1902.)
Wir übergehen die beiden ersten Abschnitte der Arbeit, die
nichts Neues bieten und bemerken nur, dass der vielerfahrene Ver¬
fasser das II a f f k i n e’sche Prophylaktikum als ein ziemlich
sicher gegen die Pest schützendes Mittel ansieht und die gesetz¬
liche Schutzimpfung verlangt für alle Personen, die voraussichtlich
mit Pestkranken oder verseuchten Wohnungen und Kleidungs¬
stücken in Berührung kommen. Dem Yersin-Calmette’-
sclien Heilserum spricht er dagegen jeden Werth ab. Das Pro¬
phylaktikum von H a f f k i n e reduzirt die Gefahr der Ansteckung
um 50, die der Mortalität um 80 Proz.
Godfrey Gumpel: Die Pest in Indien. (Indian Dancet
No. 9 u. 10, 1902.)
Verfasser verbreitet sich zuerst über die von anderer Seite
zur Prophylaxe der Pest vorgeschlagenen Mittel und Wege und
sucht nachzuweisen, dass gründliche hygienische Verbesserungen
sowie prophylaktische Impfungen sowohl am Widerstande der
Eingeborenen, wie an den grossen Kosten scheitern; er selbst
glaubt, dass ein hoher Kochsalzgehalt des menschlichen Körpers
das beste Schutzmittel gegen Pest und andere Krankheiten ist,
leider gemessen nun die Eingeborenen wegen der hohen Salzsteuer
wenig Salz; das Nähere über diese Theorie muss im Originale
nachgelesen werden.
R. Walker: Eine neue Behandlungsmethode der Pest.
(Ibid. No. 9 und 11, 1902.)
Die Begründung dieser Methode, die auf ziemlich unbe¬
wiesenen Theorien zu stehen scheint, muss im Originale nach-
gelesen werden. Die Behandlung selbst besteht in der Ver¬
abreichung grosser Dosen von Chlorcalcium, Zinksulphat und be¬
sonders reinen Harnstoffes.
Herbert W. Alling ham: Ueber das „internal derange-
ment“ des Kniegelenks. (Lancet, 15. März 1902.)
Verfasser hat im Ganzen 59 Fälle von Verletzung des Semi¬
lunarknorpels operirt, doch hält er die Operation nur in den Fällen
für angezeigt, in welchen konservative Behandlung nicht zum
Ziele gefühlt hat. Gleich nach der Verletzung soll das Knie für
mehrere Wochen ruhig gestellt werden und später soll Massage
versucht werden. Hilft diese Behandlung nicht oder treten immer
wieder Rezidive ein, so kommt nur noch die Operation in Frage.
Diese hat meist in der Entfernung des zerrissenen oder dislozirteu
Semilunarknorpels zu bestehen, da Vernähen desselben nur selten
möglich, die Entfernung aber von keinen üblen Folgen begleitet
istist. Die 59 Krankengeschichten sind beigegeben.
R. G. McHerron: Suppressio urinae nach der Geburt.
(Journ. of Obst, and Gynaecol., April 1902.)
Den wenigen in der Literatur niedergelegten Fällen dieser Art,
bei denen bald nach der Entbindung die Harnausscheidung völlig
auf hörte, kann Verfasser 3 eigene beifügen. Die Kranken¬
geschichten dieser Fälle, sowie die einschlägige Literatur sind im
Originale nachzulesen. Therapeutisch bewährten sich am meisten
Kochsalzeingiessungen in das Rektum.
Harvey Littlejolin: Latente Pneumonie. (Edinburgh
Med. Journ., April 1902.)
Verfasser hat innerhalb von 13 Jahren 33 Fälle sezirt, die an
Pneumonie gestorben waren, ohne dass die Krankheit während des
Lebens vermuthet worden wäre. Obwohl die befallene Lunge
meist schon im Stadium der grauen Hepatisation gefunden wurde,
hatten weder die Kranken noch ihre Umgebung etwas von der
schweren Krankheit geahnt, der Kranke war vielmehr scheinbar
im besten Wohlsein, wurde plötzlich krank und starb meist schon
2 bis 3 Stunden später. In 25 Fällen handelte es sich um schwere
Trinker, G mal blieb die Frage des Alkoholismus unentschieden,
von sicher bewiesener Mässigkeit war nur einer der 33 Fälle ge¬
wesen. Die latente Pneumonie hat ein beträchtliches forensisches
Interesse, da diese Säufer oft Streitigkeiten haben, geschlagen
Averden und bald nachher sterben; man sollte, falls es sich um
scheinbar leichte Verletzungen handelt, immer sein Augenmerk auf
den Zustand der Lungen richten.
Arbuthnot L a n e: Beiträge zur operativen Behandlung der
Brüche am Ellenbogen. (Ibid.)
Verfasser sucht an der Hand seiner Fälle nachzuweisen, dass
es in jedem Falle von Fraktur am Ellenbogen besser ist, sofort zu
operiren und die Fragmente in richtiger Stellung mit Draht oder
Schrauben zu fixiren, als zu Scliienenverbändeu etc. zu greifen.
lLane empfiehlt übrigens die Naht jetzt so ziemlich für alle
Frakturen, eine Empfehlung, die hoffentlich nur von wenigen
Chirurgen befolgt wird. Referent bedauert, dass die Röntgen¬
strahlen, die ja gerade in der Beurtheilung der Knochenbrüche so
viel Gutes geleistet haben, offenbar die Köpfe mancher Chirurgen
so verwirrt haben, dass diese Herren die klinische Beobachtung des
Falles ganz ausser Acht lassen und lediglich auf Grund von Rönt¬
genbildern Behandlungsmethoden empfehlen, die durch gar nichts
berechtigt sind. Wir haben seit Jahren mit den unblutigen Metho¬
den so gute Erfolge erzielt, die Kranken haben so gut arbeiten
können [speziell wenn keine Entschädigungsansprüche in Betracht
kamen], dass es uns ganz einerlei sein kann, ob das Röntgenbild
eine Abweichung von der Norm zeigt, wenn nur der Fall für alle
praktischen Zwecke geheilt ist. Jede unkomplizirte Fraktur aber
zu operiren, würden wir für ein grosses Unglück ansehen. Ref.)
John Brownlee: Die Antitoxinbehandlung der Diphtherie
im Glasgow Fever Hospital Belvidere während eines Zeitraums
von 6y2 Jahren. (Glasgow Med. Journ., April 1902.)
Dem obigen Titel kann im Referate nicht viel hinzugefügt wer¬
den, da die Arbeit naturgemäss eine rein statistische ist. Erwähnt
sei nur, dass Verfasser ein warmer Anhänger einer möglichst früh¬
zeitigen und energischen spezifischen Behandlung ist.
George Crile: Experimentelle und klinische Erfahrungen
über die temporäre Abklemmung der Karotiden. (Annales of
Surgery, April 1902.)
Nachdem Verfasser die an Thiereu erhaltenen Resultate der
Abklemmung der Karotiden geschildert hat, beschreibt er 18 Fälle
von Operationen an Menschen, bei denen mittels einer abgebildeten
Klammer eine oder beide Karotiden während der Dauer der Opera¬
tion abgeklemmt und das Operationsfeld dadurch blutleer gemacht
worden war. 10 mal wurden beide, 5 mal eine Carotis communis
abgeklemmt, in 3 Fällen wurde nur eine Carotis externa abge¬
klemmt. Das Alter der von 1897 — 1901 operirten Kranken
schwankte zwischen 7 Monaten und 69 Jahren. Kein Todesfall
trat in Folge der Abklemmung auf, die Zirkulation stellte sich in
allen Fällen sofort nach Abnahme der Klemme wieder her; auch
trat später keine nachweisbare Schädigung der Gefässe oder der
Zirkulation auf. Hirnsymptome wurden weder während der Ope¬
ration noch später beobachtet. Wurden beide Karotiden abge¬
klemmt, so brauchte man weniger von dem zur Narkose verwende¬
ten Anästlietikum. Die Athmung wurde bei Abklemmung beider
Karotiden zuweilen behindert, doch genügte es stets, eine oder
beide Karotiden wieder aus den Klemmen zu lösen, um die Ath¬
mung wieder herzustellen. Die Operationszeit wurde sehr abge¬
kürzt, da das Operationsfeld blutleer war; ein weiterer Vortheil
bei den Operationen im Munde war, dass kein Blut in die Luftwege
einfiiessen konnte. Die Klammern lassen sich durch sehr kleine
Schnitte in wenigen Minuten anlegen.
Parker Sy ms: Ueber perineale Prostatektomie. (Ibid.)
Verfasser führt in die Blase ein Instrument ein, das aus einem
vorne mit einem Gummiballon versehenen Schlauche besteht. Nach
Auftreibung des Ballons zieht man an dem Schlauche und drückt
hierdurch die Blase nach unten und fixirt sie. Die Prostata wird
dann vom Damm aus enukleirt. Von 13 Operirten wurden alle
geheilt und mit normaler Harnfunktion entlassen. Gelegentlich
bildete sich für wenige Wochen eine Inkontinenz aus, die dann
wieder verschwand.
A. Newsholme: Ueber eine Epidemie von Anginen und
Skarlatina durch infizirte Milch. (Journal of Hygiene, April 1902.)
Verfasser sucht auf Grund dieser sorgfältigen Arbeit nach¬
zuweisen, dass Milch das Scharlachgift zuweilen in so abge¬
schwächter Form enthält, dass an Stelle einer typischen Scarla-
tina nur noch atypische, fieberhafte Anginen epidemisch auftreten.
Diese Fälle sind sehr gefährlich, da sie leicht übersehen werden
und sie wieder als Zentren für neue Scharlachfälle dienen können.
Verfasser plädirt dafür, dass alle Anginen der Anzeigepflicht unter¬
liegen sollen.
’C. F. Marshall: Syphilis d’emblee. (Treatment, April
1902.)
Unter Syphilis d’emblee versteht man eine Syphilis, bei der
es nie zur Bildung eines Schankers gekommen ist. Verfasser
glaubt, dass es solche Fälle gibt, obwohl viele Autoren ihr Vor¬
kommen ableugnen. Er selbst glaubt einen einschlägigen Fall be¬
obachtet zu haben, doch scheint dem Ref. der Fall wenig be-
weisend, da Verfasser seinen Kranken nicht von Anfang an sah
und da der Kranke an einem nicht näher definirten Ausfluss der
Harnröhre litt, Endoskopie aber ebenso wenig wie Untersuchung
auf Gonokokken vorgenommen wurden.
J. P. z u m Busch- London.
Vereins- und Congressberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
. (Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. Juni 1902.
Herr De la Camp: Familiäres Vorkommen von ange¬
borenen Herzfehlern. (Mit Krankendemonstration.)
Vortr. demonstriert 3 Geschwister, bei welchen sämtlich ein
angeborener Herzfehler (wahrscheinlich offener Ductus Botalli)
anzunehmen ist. Die Eltern sind gesund, Lues nicht nachzuweisen.
Sämtliche Kinder waren rhachitiscli. Er zeigt ausserdem noch¬
mals die vor einigen Jahren von Zinn demonstrierte Patientin mit
demselben Leiden, wahrscheinlich kombiniert mit anderen Herz¬
anomalien. Die Kinder sind auch sonst in der Entwicklung ge-
8. Juli 1902.
M (JEN CIIENER M F DI CI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
stört, das eine leidet an epileptiformeu Krämpfen, das zweite ist
imbezill.
Herr Brat: Ueber die Wirkung- von Eiweisskörpern auf
die Blutgerinnung. (Schluss.)
Vortragender hat untersucht, ob die Gelatosen in gleicher
Weise, wie die wegen ihres Tetanusbazillengehaltes nicht ge¬
fahrlose Gelatine auf die Gerinnungsfähigkeit des Blutes wirke.
Als Vergleichsobjekte hat B. herangezogen: Antipepton, Trypton
und Sornatose.
Die bekannte Wirkung von Peptoninjektionen bestünde in
der Aufhebung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes, bei welcher
es zur Senkung der Blutkörperchen in einem flüssig bleibenden
Plasma komme, eventuell erstarre das Plasma nachträglich über
den Blutkörperchen. In manchen Versuchen habe eine ausge¬
sprochene Senkung der Blutkörperchen nicht stattgefunden, son¬
dern es sei zu einer gleichmässigen Koagulation gekommen,
welche dann aber im Gegensatz zur normalen Gerinnung bestehen
blieb. Bei dieser kommt es, wie bekannt, nach vorangegangener
Koagulation zur Bildung eines im Serum schwimmenden Blut¬
kuchens.
Die Vergleichsversuche ergaben die Resultate, dass keiner der
erwähnten Stoffe eine antagonistische Wirkung gegenüber der
Peptonwii-kung entfaltet, dass alle im Gegenteil in gleichem
Sinne wirkten. Es sei auch nicht möglich, irgend einen Zeit¬
punkt festzustellen, auch bei Anwendung kleinster Dosen, in
welchen eventuell durch feinere Vorgänge im Organismus, wie
dieselben z. B. bei der Antitoxinwirkung stattflnden, eine Ueber-
kompensation der blutgerinnungshemmenden Wirkung einer der
erwähnten Substanzen erzeugt wurde. Speziell gelang es B.
nachzuweisen, dass auch durch die Gelatine die oben für die
Peptonwirkung festgestellten Erscheinungen bewirkt werden
konnten ; ebenso aber auch durch die Gelatose, Gluton, deren
sich der Vortragende zu seinen Versuchen bediente.
Wenn nun zwar nachgewiesen sei, dass die Gelatosen ebenso
wirken wie die Gelatine, so sei trotzdem die Frage berechtigt,
oh diese Körper überhaupt, speziell auch die Gelatine, da sie doch
die Blutgerinnungszeit verlängern, zu therapeutischen Zwecken
bei Blutungen oder vielmehr zur Erzeugung von Thrombenbil¬
dung angewendet werden dürfen. In der tatsächlichen Wirkung
einerseits und erwünschten Wirkung andererseits bestünde
scheinbar ein unlöslicher Widerspruch.
B. geht nun auf 2 Beobachtungen ein, welche er bei der Ein¬
wirkung dieser Körper auf die Gerinnbarkeit festgestellt hat;
das ist erstens die Senkung der Blutkörperchen und zweitens
die Agglutination derselben. Die Senkung der Blutkörperchen
in durch Natronoxalat flüssig gehaltenem Blut hat eine ein¬
gehende Beobachtung durch Birnacki erfahren, welcher zu
dem Resultat gekommen ist, dass die Senkung abhängig von
dem Eibrinogengehalt des Plasmas ist und dass der letztere um
so grösser ist, je schneller die Senkung- der Blutkörperchen vor
sich geht. Auch für das Peptonblut kann nach den von B. analog
Birnacki angestellten Versuchen eine Vermehrung des
Fibrinogens im Plasma angenommen werden.
Die zweite Beobachtung war eine Eigentümlichkeit des nach
der Injektion entnommenen Blutes, welche darin bestand, dass
sich die Blutkörperchen in Häufchen ballten; dieses konnte in
dünnster Schicht an der Wand des Reagensglases oder auf
Objektträgern direkt beobachtet werden. B. wies nach, dass das
Plasma des unveränderten Blutes imstande war, die Blut¬
körperchen desselben Tieres zu agglutinieren (während das
Serum des vor der Injektion entnommenen Blutes die eigenen
Blutkörperchen natürlich nicht agglutinierte). Auch aus diesen
Vorgängen müsse man auf primäre, chemische Veränderung der
Blutkörperchen schliessen, welche zu der physikalischen Erschei¬
nung der Agglutination führten und welche auch in der chemi¬
schen Beschaffenheit des Plasmas zum Ausdruck kommen müsse.
Es sei nun nachgewiesen, dass die agglutinierende Kraft einer
Flüssigkeit mit ihrem Gehalt an Globulinen zunehme. Demnach
geht aus den Versuchen hervor, dass es durch Injektion der er¬
wähnten Eiweisskörper gelingt, die Globuline im Plasma, speziell
auch das Fibrinogen zu vermehren. Zieht man noch fernerhin
in Betracht, dass Alexander Schmidt nachgewiesen hat, dass
gerade ein Zellenbestandteil der roten Blutkör¬
perchen, das Oytoglobulin, imstande sei, einerseits die Blut¬
ilS?
gerinnungszeit zu verlängern, andererseits jedoch den Fibrinogen¬
gehalt zu vermehren, so sei damit der scheinbare Widerspruch
gelöst, der darin bestehe, wenn man die erwähnten Körper, welche
die Blutgerinnungszeit verlängern, trotzdem zur Bildung von
Thromben und zur Ablagerung von Fibrinschwarten thera¬
peutisch verwertet.
B. hat nun in drei Versuchen an lebenden Tieren unter Ivon-
trollversuchen nachgewiesen, dass eine wesentlich stärkere
Thrombenbildung stattfindet bei injizierten Tieren; und zwar
sowohl an Stellen, wo die Intima verletzt wurde, als auch an
nicht verletzten Stellen. Zwei Momente kommen für die Beur¬
teilung dieser Versuche in Betracht :
1. Die Organisation eines Thrombus von der Gefässwand
aus und
2. die Bildung von Fibrin.
Die Organisation von der Gefässwand aus kann nur dort
stattfinden, wo sich der Thrombus an die Gefässwand anlehnt.
Da das Koagulum nach Injektion von Eiweisskörpern sich nicht
kontrahiert, muss in diesen Fällen eine umfangreichere Organi¬
sation eines Thrombus stattfinden. Die Tatsache, dass an den
nicht verletzten Stellen der Carotis sich nur bei den injizierten
Tieren Thromben vorfanden, beweist die Richtigkeit der An¬
schauung, dass durch Injektion obiger Eiweisskörper die che¬
misch veränderten Blutkörperchen eine Vermehrung des Ma¬
terials zur Thrombenbildung des Fibrins bedingen, resp. das¬
selbe liefern.
Vortragender wendet sich, nachdem er diese Fragen all¬
gemein pathologischer Natur erörtert hat, zum Schluss der prak¬
tischen Seite zu und macht darauf aufmerksam, dass man bei
der Anwendung der obigen Substanzen an die toxikologische
Wirkung, welche aufzuklären er sich bemüht habe, denken muss,
und rät bei Anwendung von Gelatosen zur vorsichtigen
Dosierung, um konstatieren zu können, ob der Heileffekt ohne
schädigende Nebenwirkungen erzielt werden kann.
Herr Karewski: Ueber diffuse adhäsive Peritonitis
infolge von Appendizitis.
Vortragender bespricht seine auf diesem Gebiete gemachten
vielfältigen Beobachtungen, welche ihn zu dem Schlüsse führten,
bei Appendizitis möglichst bald nach dem Anfalle zu operieren.
ITans K ohn.
Verein für innere Medizin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 23. Juni 1902.
Herr P. Jakob berichtet, dass die von Herrn II. N e u -
m a n n in der vorletzten Sitzung erwähnte Molkerei diejenige von
Bolle sei, wie er mitzuteilen von letzterer ermächtigt worden.
Er habe mit den Leitern dieser Anstalt die Angelegenheit be¬
sprochen und es sei vereinbart worden, dass die Bolle sehe Mol¬
kerei das bisher geübte Pasteurisierungsverfahren auch fernerhin
beibehalten und Zirkulare an ihre Kunden verschicken solle des
Inhalts, dass die Milch bereits sterilisiert sei und daher ein
kuzes Aufkochen derselben genüge.
Herr G u t m a n n berichtet, dass in dem von ihm kürzlich
demonstrierten Falle von Tuberkulose der Nebennieren sich in
Schuittpräparaten reichlich Tuberkelbazillen gefunden haben.
Herr Westen hoffe r berichtet dazu über einen ähnlichen
Fall, der einen Soldaten betraf, der bis wenige Wochen vor seinem
Tode anscheinend gesund war und Dienst tat, obgleich, wie die
Sektion ergab, die Affektion der Nebenniere eine längere Dauer
der Erkrankung zur Voraussetzung hatte.
Tagesordnung :
Herr Waldeyer: Neuere Forschungen über Spermien
und Befruchtung.
Vortr. hebt einige wesentliche Punkte aus den neueren For¬
schungsresultaten auf diesem Gebiete heraus und illustriert die¬
selben durch Zeichnungen, ohne deren Hilfe eine kurze Wieder¬
gabe des Inhaltes dieses interessanten Werkchens dem Leser je¬
doch nur schwer verständlich wäre. Hans Ivohn.
Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 26. Ju n i 1902.
1. Herr de la Camp demonstriert ein 12 jähriges Mädchen
mit angeborenem Herzfehler und dessen 5 Geschwister, mit
scheinbar dem gleichen Fehler. Bei dem Mädchen w-eist die Ver¬
breiterung des Herzens nach rechts, eine bandförmige Dämpfung,
1158
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 27,
die der Herzdämpfung längs des linken Sternalrandes aufsitzt,
ein lautes systolisches Geräusch und Schwirren über der Pul-
monalis mit akzentuiertem zweiten Pulmonalton auf ein Offen-
bleiben des Ductus Botalli hin. Das Röntgenbild zeigt
an dieser Stelle einen pulsierenden Schatten. Bei den 5 Ge¬
schwistern ähnliche, wenn auch weniger deutliche Symptome,
akzentuierter 2. Pulmonalton, zeitweise hörbare systolische Ge¬
räusche und ein Schatten im Röntgenbilde an dieser Stelle.
Sämtliche Kinder haben Rliachitis überstanden, Alkoholismus
und Lues sind bei den Eltern nicht nachgewiesen.
2. Herr Grawitz demonstriert einen 39 jährigen Mann, bei
dom sich seit 10 Jahren im Anschluss an eine Lungenentzündung
starke Varikositäten an beiden Beinen und in der Unterbauch¬
gegend entwickelt haben. In den ausserordentlich erweiterten
Venen strömt das Blut von unten nach oben. Es wird eine
Thrombose im untersten Teil der Vena cava in¬
ferior angenommen.
Diskussion: Herr H o f f m a n n berichtet über einen
ähnlichen Fall, bei dem von chirurgischer Seite in unrichtiger Auf¬
fassung der Verhältnisse eine Ausschälung der erwei¬
terten Venen gemacht wurde.
3. Herr Dorendorf demonstriert einen Kranken mit
doppelseitiger Postikuslähmung, bei dem die Tracheotomie not¬
wendig wurde. Wegen der seit längerer Zeit bestehenden Schwäche
der Beine mit gesteigerten Reflexen, einer linksseitigen Zungen¬
atrophie und Zwangslachen wird eine multiple Sklerose
angenommen. Bei der Einatmung werden die Stimmlippen
einander genähert, obgleich eine Ansaugung ausgeschlossen ist,
und daher muss eine gleichzeitige Innervation der Ad-
d u k t o re n angenommen werden.
Im Anschluss hieran berichtet er über einen Fall von Tabes
mit Postikuslähmung und dadurch notwendig gewordener Tra¬
cheotomie mit den gleichen Bewegungen der Stimmlippen.
Diskussion: Herr Senator stellt in dem vorgestellten
Falle die Diagnose auf progressive Bulbär paralyse.
4. Herr Stuertz demonstriert einen Kranken mit Chylurie.
Der Patient hat das Leiden vor 7 Jahren in Australien erworben.
Nach Ausweis der cystoskopisehen Untersuchung entstammte der
milchige Urin dem linken Nierenbecken. In dem Urin gelang der
Nachweis von Wurmeiern, und zwar von Eustrongylus
gigas und einem nicht näher erkannten Wurm. Bemerkenswert
ist an dem Falle, dass die äusserst seltene Ursache des Leidens,
der Parasitismus, bei Lebzeiten entdeckt wurde, was bisher nur
einmal bei diesem Wurm gelungen sein soll.
Diskussion: Herr TJ m b e r hat den Urin chemisch unter¬
sucht und weist darauf hin, dass der geringe Fettgehalt, von 0,G
pro Mille die milchige Trübung nicht erklärt, sondern dass der
Lecithingehalt dafür verantwortlich zu machen ist, ähnlich
wie wir das durch neuere Untersuchungen vom milchigen Aszites
wissen.
5. Herr Umber: Zur Chemie und Biologie der Eiweiss¬
körper.
Yortr. hat bei Kaninchen durch Einspritzen von Eiweiss¬
substanzen die Bildung von Präzipitinen in dem Blutserum
hervorgerufen und mitersucht, inwieweit es gelingt, nach
Einverleibung reiner Eiweisskörper spezifi¬
sche fällende Substanzen für die einzelnen
chemisch differenten Eiweisskörper zu er¬
halten und dadurch für die Trennung der einzelnen Eiweiss¬
substanzen von einander Anhaltspunkte zu gewinnen. Die Unter¬
suchungen wurden mit den isolierten Eiweisskörpern des Eier¬
klars, nämlich mit krystallinischem Albumin und Globulin, an¬
gestellt. Dabei gelang es ihm einmal, den grössten Teil des Eier¬
globulins krystallinisch zu erhalten in Form grosser aus lauter
kleinen Nadeln zusammengesetzter Globuliten, die demonstriert
werden.
Vortr. kommt zu dem Ergebnis, dass die Präzipitine,
die im Tierkörper nach der Vorbehandlung
mit den beiden reinen Eiweisskörpern ent¬
stehen, nicht spezifisch sind für die chemi¬
sche Art des zur Vorbehandlung verwandten
Ei weisskörpers, sondern nur für die Tier¬
spezies, die ihn geliefert hat. Durch Isolierung und
Prüfung der einzelnen Eiweisskörper des wirksamen Serums hat
sich ferner herausgestellt, dass das fällende Prinzip, sowie das
gefällte Prinzip mit gewissen Ammonsulfatfraktionen, näm¬
lich den durch Ualbsättigung abgeschiedenen, vornehmlich den
Globulinen, ausgesalzen wird.
K. Brandenburg- Berlin.
Altonaer Aerztiicher Verein.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. März 1902.
Vorsitzender : Herr H e n o p.
Schriftführer: Herr F eigner.
Herr König: 1. 38jähr. Patientin, im Jahre 1899 wegen
schwerer syphilitischer Mastdarmstriktur, die sich durch Dila¬
tation nicht beheben liess, operiert: Exzision des ca. 10 cm langen
kallösen Teils, Darmvereinigung mit Schonung des Analteils. Im
Dezember 1901 Wiederaufnahme. Reichliche fortwährende Schleim¬
absonderung, Inkontinenz, fortwähi-ende Beschmutzung, Fisteln
im hinteren Schnitt, sehr starke Schmerzen, Mastdarm verengt,
hart, aber noch keine Stenosenerscheinungen; Arbeitsunfähigkeit.
Am 8. I. wurde ein Anus arteficialis angelegt, nach
W i t z e 1 (neuerdings von W i e s i n g e r warm empfohlen) von
einem Bauchschnitt am lateralen 1. Rektusrand die Flexur auf¬
gesucht, zweiter Schnitt 2 Finger breit aussen unten von der Spina
ant. sup. sin., der Darm von jener Stelle unter den Muskeln durch
zur äusseren Wunde herausgezogen. Die Darmöffnuug liegt jetzt
aussen von der Spina auf dem Darmbein, lässt sich leicht durch
eine Gummipelotte verschliessen, die an einer einfachen Bauch¬
bandage gehalten dem Knochen sicher a u f 1 i e g t und
auch durch Bewegungen nicht verschoben wird. Unteres Darm¬
ende wird ausgespült, die Sekretion ist gering, Sckmei’zen nicht
vorhanden, Pat. ist zufrieden. Der Anus muss ein dauernder sein.
2. 44 jälir. Patient, in den 80 er Jahren Gonorrhoe. Anfang
November 1901 Urinbeschwerden, die schliesslich Katheteiismus
nötig machten. Am 22. XI. Aufnahme mit fluktuierender, phleg¬
monöser Schwellung vom Mons veneris um die Peniswurzel
beiderseits zum Skrotum und Perineum. Penis und Skrotum
ödematös. Urin eitrig, stark ammoniakalisch, Katheter geht glatt
durch.
Inzision am Mons veneris und am Perineum entleert sehr viel
stinkenden Eiter, Urethra zeigt Perforation. Tamponade, Verweil¬
katheter, Blasenspülung.
Eiterung wird geringer, Urin klarer. Bei Weglassen des Ka¬
theters entleert er sich durch die Fistel. Am 5. XII. macht sich
Inkontinenz des Mastdarms gegen dünnen Stuhl be¬
merkbar: Flatus gehen durch die Wunde am Perineum ab!
In Narkose werden Ulzerationen in der Sphinktergegend neben
haknenkammartigen Gebilden festgestellt, noch einige Geschwüre
höher oben an der Vorderwand. Charakter nicht sicher. Die Ge¬
schwüre werden nach Dehnung des Sphinkter mit dem Paquelin
verscliorft. Am 28. I. tritt Kontinenz, später scheinbar Heilung
ein. Da die Urinfistel sich nicht schliesst, erfolgt am
23. I. Operation zur Freilegung derselben in der grossen Granu-
lationskölile: es besteht eine Ulzeration der Harnröhrenwand au
der Pars bulbosa und etwas nach vorn längsgestellt, seitlich. Das
die 1 cm lange Perforation enthaltende Harnröhrenstück wird
resezirt, die Granulationshöhlen angekratzt. 2 kleinere Fistel¬
öffnungen weiter vorn, ebenfalls seitlich, werden übernäht. In¬
filtriertes Gewebe der Umgebung mit Eiterlierdchen wird entfernt.
Die mikroskopische Untersuchung der e x -
zidierten Ulzeration der Harnröhre ergibt Tuberkulose.
Die Naht hat nicht sicher gehalten, es läuft heute noch Urin
(klar) durch die Perinealwunde, die jedoch gut granuliert. Eine
Verengerung besteht nicht.
Weitere Zeichen von Tuberkulose im Körper bestehen nicht,
auch nicht an den Genitalien. Es handelt sich also um eine Tuber¬
kulose, die wahrscheinlich in der Form von Mastdarmgeschwüren
begonnen hat, die Umgebung infiltrierte, die Harnröhre ulzerierte.
Dann -wurde wohl diese Oeffnung infiziert, es kam zu jauchiger
periurethraler Phlegmone.
Die Prognose für die Ausheilung ist natürlich zweifelhaft.
Herr B u s a 1 1 a: Entfernung des Os cuboides, Teil des Navi-
culare, Metatarsalköpfchen, III. Cuneiforme wegen Tuberkulose,
Verschluss der grossen Knochenhöhle durch einen Hautknochen¬
lappen vom Calcaneus, Die sehr tiefe und grosse Knochenhöhle
hat sich bei dem 22 jährigen Patienten durch Einheilen des Cal-
caneuslappens schön geschlossen, das Knochenstück hat sich schon
gehoben, so dass ein allmählicher Ausgleich der Niveaudifferenz
zu erwarten steht.
Herr König: 22 j ähr. Patientin. Seit 4 Jahren an Magen¬
krämpfen leidend, selten mit Erbrechen. Am 25. XII. 1901 Partus.
Pat. stand am 5. Tage auf, war zunächst wohl. Nach 3 Wocheu
treten plötzlich heftige Leibschmerzen auf, der Leib ist hoch auf¬
getrieben, Stuhl und Winde gehen nicht ab, Erbrechen während
einer ganzen Nacht und der Hälfte des nächsten Tages; Pat. fühlt
sich schwer krank. Nach Nachlass der schwersten Erscheinungen
(Behandlung 3 Wochen) macht sich allmählich eine Geschwulst
in der linken Oberbauchseite geltend, welche stark empfindlich ist.
Bei der Aufnahme, die wegen erneuter Schmerzen Mitte Fe¬
bruar stattfand, ist leichte Temperaturerhöhung vorhanden, all¬
gemeine Untersuchung ergibt nichts Besonderes, Urin ist frei von
Eiweiss und Zucker. Der Bauch ist unregelmässig aufgetrieben,
am stärksten am linken Rektus oberhalb Nabelhöhe. Die Re¬
sistenz reicht links etwa bis zur Axillarlinie, rechts bis zum
Aussenrand des rechten Rektus, geht herunter bis über den Nabel.
8. Juli 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1159
Mau hat das Gefühl eiues cystiseheu Gebildes, dessen Grenzen
jedoch sehr wenig ausgeprägt sind. Oberfläche im Ganzen glatt,
doch reihen sich rechts unten ein paar deutliche Knollen an.
Verschieblichkeit ist nicht vorhanden. Perkussionsschall über
einem kleinen Teil gedämpft, das Colon descendens geht vor der
Geschwulst her, der Magen liegt aufwärts. Bin Zusammenhang
mit den Beckenorganen war in keiner Weise zu konstatieren.
Die Entwicklung eines intraperitonealen Abszesses im An¬
schluss an die Entbindung war wenig wahrscheinlich bei den
völlig normalen Verhältnissen im Becken. Der Gedanke an eine
etwas verlagerte hydronephrotische und dann vereiterte Niere
wurde wegen des völlig normalen Urinbefundes auf gegeben. Eine
teils cystische, teils knollige, durch die Gravidität zu raschem
Wachstum gekommene Geschwulst des Netzes hätte gedämpften
Schall in grösserer Ausdehnung gegeben. Eine cystische Bildung,
die sich hinter den Därmen entwickelte, konnte auf Mesen¬
terialcysten und Pankreaserkrankung bezogen
werden. An diese 3 letzten Dinge wurde vorwiegend gedacht,
als am
21. II. der Bauchschnitt in der Mittellinie ausgeführt wurde.
Spärliche Flüssigkeit, grosser Saftreichtum aller Organe und des
Fettgewebes. In diesem, im Netz (weiter im Mesokolon), Anden
sich zahlreiche Fettnekrosen. Der Magen ist breit ausgespannt
und in dieser Stellung fixiert, am unteren Rand rechts grosse saft¬
reiche Lymphdrüsen. Tumor als unbestimmte breite Resistenz
hinter dem Magen zu fühlen. Nach Hinaufschlägen des Netzes
Yorbuchtung des Mesokolon nach unten, auch hier Fettnekrosen
und starke Rötung der Dünndarmschlingen. Eingehen durch das
kleine Netz unmöglich wegen Quellung und Retraktion. Nach
sorgfältigem Abschluss der Bauchhöhle durch Gaze wird die Vor-
buchtung am Mesokolon punktiert und eine grau rötliche, mit
vielen Bröckeln versetzte Flüssigkeit von alkalischer Reaktion
ohne Geruch gewonnen. Durch die Punktionsöffnung, welche
durch einen Schnitt erweitert wird, stürzt eine ungeheure Masse
dieser Flüssigkeit nach, in der weiche Fetzen und Brockel schwim¬
men. — Mikroskopisch erweisen sich alle diese Teile als nekrotische
Fettmassen, in der Flüssigkeit findet sich Detritus, Fettkörnchen,
Reste von Blutungen, Blutkrystalle, alte Blutkörperchen, wenig
Eiterkörperchen.
Es trat schwere Asphyxie durch Erbrechen grosser Mengen
z. T. galligen Inhalts auf. Der Magen bleibt in seiner durch Ad¬
häsionen fixierten Ausbreitung. Die Höhle geht nach oben und
links, gegen die Wirbelsäule. Man fühlt in der Tiefe eine höckerige
Masse. Die Schnittränder werden an das Bauchfell herangenäht,
ein Teil der Wunde offen gelassen, mit Vioformgaze tamponiert,
die Höhle tamponiert, am Tag darauf drainiert. Am 2. Tage
wird eine Heberdrainage angelegt, durch die grosse Mengen der
gleichen Flüssigkeit mit nekrotischen Bröckeln entleert werden.
— Die Flüssigkeit, mit Amylum versetzt, im Brutschrank auf¬
bewahrt, gibt die Zuckerproben.
Die vorgestellte Patientin hat alles gut überstanden; ein
Drainrohr führt in den Gang, welcher sich zumal nach links weit¬
hin bis in die Nierengegend erstreckt.
Die. akute, ileusartige Entstehung der Krankheit bei einer
an Magenkrämpfen leidenden Frau, die Entwicklung des Ergusses
oberhalb des Mesocolon transversum an der Wirbelsäule, die Art
des Ergusses, der Gehalt an alten Blutresten und Nekrosen, die
saccharifizierende Eigenschaft der Flüssigkeit, die multiplen Ne¬
krosen im Fettgewebe rechtfertigen die Annahme einer akuten
Erkrankung des Pankreas mit Blutungen und mit Ne¬
krose. Der Beginn der Erkrankung ist geradezu typisch; die
Ausbreitung des Ergusses, welche hier nach unten ins Mesokolon
erfolgte, kann auch nach vorn oder oben gehen, dann kommt der
Sack oberhalb oder unterhalb vom Magen zur Erscheinung. Die
Senkung nach der linken Nierengegend ist vielfach, zumal auch
von Körte, betont worden. Da hier eine ausgedehnte Pankreas¬
nekrose nicht vorliegt, so ist auch das Auftreten von Zucker im
Urin weder jetzt noch später zu erwarten.
Der Vortragende bespricht das Krankheitsbild der akuten
Pankreatitis und die bisher mit der Operation erzielten Hei¬
lungen.
Herr Pilsky: Demonstration einer geheilten Patientin, an
welcher P. mit bestem Erfolg die Exstirpation des karzinoma-
tösen Uterus mittels der Mackenrodt sehen Methode aus¬
geführt hat (Vgl. Protokoll der letzten Sitzung des Altonaer ärzt¬
lichen Vereins.)
Herr K ö n i g: 1. 12 jähr. Knabe, am 9. II. Abends Verletzung
der rechten Oberbauchseite in der vorderen Axillarlinie durch
Auffallen auf die Spitzen eines Eisengitters. Erbrechen, Schmer¬
zen, Schock. Abdomen gespannt, überall schmerzempfindlich, auf¬
getrieben, besonders die rechte Seite, wo nur eine Leberdämpfung
von einer Fingerbreite nachzu weisen ist (1 Stunde nach der Ver¬
letzung.) Erweiterung der Wunde, welche nur bis a n das Peri¬
toneum reicht, Tamponade mit Vioformgaze1)- 6 Stunden
nach der Verletzung: Zunahme der Erscheinungen: Bauch
*) Dies Präparat, besonders von Schmieden aus der
Schede sehen Klinik empfohlen, wird bei uns fast durchweg als
Ersatz der Jodoformgaze benutzt. Es ist geruchlos, und kann
vor jedem Gebrauch sterilisiert werden. Vergl.
Schmieden: Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. (31, p. 552.
hart, empfindlich, Leberdämpfung verschwunden, Atmung
kostal, Puls 120, klein, Gesicht ängstlich. - ■ Laparo¬
tomie am äusseren r. Rektusrand: Klares peritouitisches
Exsudat; am Peritoneum zeigt sich gegenüber der Stelle, welche
aussen die Wunde trägt, Rötung, Blutaustritte, Fibrinbelag.
D ä r m e nicht verletzt, aber in der ganzen rechten Ober¬
bauchseite gebläht, entferntere Schlingen kontrahiert.
Tamponade, Verschluss der Wunde bis auf diese Stelle, ln den
ersten Tagen Puls und Temperatur erhöht, auch entleert sich noch
Exsudat. Vom 4. Tag an versiegt dies, die Heilung verläuft glatt.
K. betont, dass die von der Kontusion betroffenen Dann¬
schlingen offenbar alsbald (1 Stunde) nach der Verletzung er¬
weitert und nicht kontrahiert waren. Diese Lähmung des Darms
kann noch nicht Folge einer Peritonitis sein. Die Laparotomie
wurde durch die klinischen Erscheinungen wegen Verdacht innerer
Kontusion bedingt.
2. Alter Mann in den 60 er Jahren erhält am 11. XII. einen
heftigen Stoss gegen die rechte Unterbauchseite. Sofort Schmer¬
zen in einer schon vorher bestandenen rechtsseitigen Inguinal¬
hernie und Einklemmungssymptome. Gegen den Willen des
Arztes Behandlung im Hause. Erst Besserung, dann nach 5 Tagen
starke Verschlimmerung: Erbrechen, Darmlähmung, Schmerz¬
haftigkeit, Auftreibung des Leibes und der (irreponiblen) Hernie.
Aufnahme ins Krankenhaus. Prall gespannter, empfindlicher
Leistenbruch, Auftreibung des Leibes, lokale Geschwulst oberhalb
der Hernie, gurkenförmig, leicht gedämpft, empfindlich — etwa
in der Verlängerung der Hernie aufwärts.
Die Operation eröffnet einen grossen, intraabdominal ab¬
gesackten Abszess, der mit dem im übrigen leeren
B ruchsac k k o m m uniziert und nach unten in den
Douglas, aufwärts nach der Leber geht. Eine D a r m s c h 1 i n g e
hat eine kleine, durch Schleimhautektropion fast verschlossene
Perforation (Dünndarm). Abtragung des Bruchsackes, Ver-
näliung der Fistel, Tamponade mit Vioformgaze. Verlauf: viel¬
fache Eiterentleerung, Platzen der Fistel. S Tage Wasserbettbehand¬
lung, Reinigung der Wunde, erneuter, diesmal erfolgreicher Ver¬
schluss der Fistel durch quere Uebernähung. Am 28. II. völlige
Heilung per granulationem.
K. weist darauf hin, dass trotz der offenen Leistenhernie das
schwere Trauma keine Inkarzeration erzeugte, deren Diagnose
nahe lag, während der Darm so gequetscht war, dass nachträglich
Perforation zustande kam. Der abgekapselte Abszess ist kein sein-
häufiger Ausgang. Die weitere Folge ist, nach P e t r y, in der
Regel Spätperforation in die Bauchhöhle. Es kann der Eiter sich
in den Darm wieder entleeren, und endlich auf die Haut: es ent¬
stellt eine Kotfistel. K. konnte eine solche des S romanum durch
Laparotomie und Resektion des perforierten Stücks vor einigen
Jahren zur Heilung bringen.
Ausser diesen traumatischen Fisteln hatte K. im letzten Jahr
Gelegenheit noch 4 Darmfisteln zu behandeln, eine im Brucli-
sack einer früher wegen gangränösen Bruches operirten Frau, drei
bei Appendizitiskranken, welche im akuten Anfall operirt waren.
Alle wurden geheilt, drei durch Uebernähung, meist nach Reini¬
gung im Wasserbett. Eine hochgelegene Dünndarmschlinge musste
nach Laparotomie reseziert werden. Auch diese Kranke genas.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. April 1902.
(Schluss.)
H err F. Weindler: Die Therapie des Uteruskarzinoms.
Von jener Zeit an, wo unter der Aegide V i r c h o w’s der
Beweis geliefert worden ist, dass
1. das Karzinom in seinen Anfangsstadien eine rein lokale
Neubildung ist, die erst bei weiterem Wachsthum das
Lymphgefässystem ergreift und dass
2. durch gründliche Entfernung des primären Erkrankungs¬
herdes die Krankheit unter Umständen dauernd geheilt
werden kann,
ist ein rascher und systematischer Entwicklungsgang in der
rationellen, radikalen Behandlung des Uteruskarzinoms unver¬
kennbar, und zwar von der Amputatio portionis vaginalis zur
Amputatio cervicis uteri supravag'inalis, Exstirpatio uteri vagi¬
nalis, Exstirpatio uteri sacralis, Exstirpatio uteri abdominalis,
Amputatio corporis uteri abdominalis, Operatio radicalis ab¬
dominalis.
Wie der letzte Kongress in Giessen gezeigt hat, vollzieht sich
der Fortschritt in der Behandlung des Carcin. uteri in ganz
extremen Richtungen : Schröder, Hofmeier, Winter
sprechen wieder für die kleinste Operation, die supravaginale
Amputation ; Mackenrodt, Rumpf, Ries, Wert heim
u. a. gehen im radikalen Operieren immer weiter vorwärts. An
den drei Formen des Uteruskarzinoms (Portio-, Collum- und
1160
MUENCHENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
( 'orpuskarzinom) sollen diese neueren Bestrebungen näher dar¬
gelegt und besonders ihre Berechtigung kritisiert werden.
a) Portio k arzino m : Kurze Skizzierung der anatomi¬
schen Verhältnisse und der Diagnose. Die Therapie anlangend
handelt es sich hier um die eine Kardinalfrage: Genügt für die auf
die Portio beschränkten Karzinome eine supravaginale Amputation
oder soll der Uterus total entfernt werden? Die grosse Mehrzahl
der Gynäkologen ist. entsprechend der modernen radikalen Rich¬
tung, zur Totalexstirpation und zwar zur vaginalen übergegangen.
Ist denn aber nicht gerade durch neueste Arbeiten die Berech¬
tigung der partiellen Methode bei beginnendem Portiokarzinom so¬
wohl anatomisch wie klinisch erwiesen worden ? Anatomisch
durch Puppel und FranquÄ, welche zeigen, dass sich bei be¬
ginnendem Portiokarzinom keine Herde in höheren Partien der
Cervix oder im Uteruskörper vorfinden, und klinisch durch
Schröder, welcher zuerst die supravaginale Amputation ge¬
macht hat. Die Schüler Schröders haben gezeigt, dass
27,0 I’roz. aller Fälle nach 5 Jahren vollständig rezidivfrei blieben.
Bei genauerem Zusehen reduziert sich jedoch die Berechtigung der
Vornahme der partiellen Operation auf eine äusserst beschränkte
Anzahl von Fällen. Denn, wie selten kommt dem Arzt die ganz
beginnende Form des Portiokarzinoms, so wie es Puppel und
Franquö meinen, unter die Hände! Frommei findet unter
100 Krebsoperationen kaum einen Fall, welcher sich für die par¬
tielle Operation geeignet hätte. Weiterhin sind die Untersuchungen
von Mackenrodt, S e e 1 i g. L e o p o 1 d von massgebender Be¬
deutung, welche nachgewiesen haben, dass selbst bei beginnendem
Portiokarzinom Vorpostenketten weit vom Primärherd abliegen
können, d. h. feinste Karzinom strahlen auf dem Wege der Lymph-
bahn bis in das Corpus uteri oder tief in die Parametrien hinein
vorgedrungen sind. Einen weiteren Beleg für die Unzulänglich¬
keit der partiellen Operation liefern jene von Zweifel,
P f a n n e n s t i e 1, Rüge, S t r a t z und Abel beschriebenen
Fälle von sogen. Doppelkarzinom, d. li. isolierte, unabhängig von¬
einander bestehende Herde des unteren und oberen Uterus-
abschnittes. Pfannenstiel (..Heilerfolge bei Karzinom des
Uterus“) hat Recht, wenn er behauptet, dass die Entfernung des
ganzen Uterus gerade in denjenigen Fällen, die sich für die Teil¬
operation eignen sollen, ein ganz ungefährlicher Eingriff ist, wel¬
cher kaum eine höhere Mortalitätsziffer haben dürfte als die Teil¬
operation. Sollte es da nicht unsere Pflicht sein, eher des Guten
zu viel zu tun, als zu wenig? Als Ausnahme oder Notoperation
(bei Vitium eordis, Nephritis, grössere Adnextumoren, frische Ex¬
sudate) wird die partielle Methode nie von der Bildfläche ver¬
schwinden, jedoch wegen der Seltenheit dieser Operation verliert
sie ihre praktische Bedeutung. Die totale Entfernung des Uterus
bleibt im Allgemeinen der sichere Weg. ein Portiokarzinom zu
heilen.
b) Kollumkarzinom: Zunächst kurze anatomische und
diagnostische Mittheilungen. Von einer partiellen Methode kann
bei diesen Formen keine Rede sein. Die Totalexstirpation, per
vaginam oder laparotomiam. ist hier das allein in Betracht
kommende Verfahren. Die Frage, ob wir den karzinomatösrm
Uterus von der Bauchhöhle oder von der Scheide entfernen sollen,
ist seit dem Jahre 1878. wo Freund die abdominelle und
C z e r n y die vaginale Methode in die Praxis eingeführt haben, in
ganz wechselnder Weise besprochen werden. Als oberster Grund¬
satz hat zu gelten, dass überall da, wo das Karzinom unzweifel¬
haft die Grenzen des Uterus und der Vagina überschritten hat,
die Parametrien bereits deutlich infiltriert erscheinen, die Aussicht
auf radikale Heilung bei jeder der beiden Methoden eine sehr ge¬
ringe ist. Die abdominelle Methode in ihrer neuesten Form (z. B.
die Versuche von Werthei m, IM a c k e n r o d t) soll den karzi-
nomatösen Uterus im Gesunden entfernen, d. h. im Zusammenhang
mit dem infizierten umgebenden Beckenbindegewebe und Drüsen,
um das Auftreten von Rezidiven auszuschliessen. Ein Ausräumen
der Lymphdrüsen im Becken ist bei ihrer grossen Anzahl fast un¬
möglich. Zudem weist die abdominelle Operationsweise, im Gegen¬
satz zu der vaginalen Exstirpation, eine unverhältnissmässig hohe
primäre Mortalität auf (3 bis 4 mehr als die 'vaginale Methode).
W e r t li e i m hat 38,9 Proz. Anfangsmortalität. Und dabei die
enorme Zahl von Nebenverletzungen an Blase und Ureteren! Zu
bedenken ist weiterhin, dass wir bis jetzt bezüglich der Dauer¬
erfolge noch keine Sicherheit haben. So lange wir nicht durch auf¬
fallend*' Verbesserungen der Enderfolge für den Wert der abdomi¬
nellen Methode sichere Beweise haben, wird für die auf den Uterus
beschränkten Karzinome die vaginale Totalexstirpation vorgezogen
werden. Auch nicht in der Erweiterung unserer Op.'rationsweisien
und in dem Radikalismus einiger weniger Operateure dürfte das
Heil für <li*' Zukunft liegen, sondern in dem frühzeitigen Operiren.
Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, um so früh wie
möglich das Karzinom unter unsere Hände zu bekommen.
c) Korpuskarzinom: Kurze anatomische und dia¬
gnostische Angaben. Die vaginale Totalexstirpation gibt gerade
für die Korpuskarzinome die beste Prognose (Rezidivfreiheit nach
3 jähriger Beobachtungszeit 100 Proz.: nach 5 jähriger Beobach¬
tungszeit 00.7 Proz.). Die abdominelle Hysterektomie soll bei ab¬
soluter Iudikation ausgeführt werden, d. h. bei Unmöglichkeit
vaginaler Durchführung, z. B. Karzinom und grossen Myomen oder
Ovarialkystomen. Ist die karzinomatöse Infiltration schon so weit
ins Beckenbindegewebe vorgedrungen, dass die vaginale Methode
nicht mehr ausführbar ist. dann ist von einer Radikalheilung
überhaupt nichts mehr zu erhoffen, und daher auch die abdominelle
Methode aussichtslos. Hier tritt die palliative Behandlung in ihre
Rechte, die sehr gute Resultate aufzuweisen hat und für welche
00 Proz. unheilbarer Fälle übrig bleibt. Wenn auch die grosse Zahl
der konservativen Behandlungsweisen unsere Ohnmacht dieser Er¬
krankung gegenüber kundtut, so haben wir hier ein dankbares
Feld unserer praktischen Tätigkeit. Die lästigen Symptome *1*".'
Blutung und Jauchung werden am ehesten in Schranken gehalten
durch gründliche Auskratzung und Verschorfung mit dem Paquelin
in Narkose und weiterer Nachbehandlung mit konzentrierter Säure.
Diskussion: Herr Leopold glaubt aus den Aus¬
führungen des Herrn Vortragenden den Punkt nochmals hervor¬
heben zu müssen, dass der Wunsch in der gynäkologischen Aerzte-
welt immer allgemeiner und drängender werde, die Karzinom¬
kranken so früh wie irgend möglich der ärztlichen Hilfe zu¬
zuführen. 50 — 00 Proz. der von ihm selbst früh Operirten hat er
bis 5 Jahre rezidivfrei gesehen, in seltenen Fällen habe er aller¬
dings noch G — 7 Jahre nach der Operation ein Rezidiv eintreten
sehen, aber schon diese Zahlen beweisen die ausserordentliche Be¬
deutung der Frühdiagnose und Frühoperation.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 19. F ebruar 1902.
Vorsitzender : Herr C. F r a e n k e 1.
Herr Sobernheim: Ueber ein neues Verfahren der
Schutzimpfung gegen Milzbrand.
Mit Unterstützung des Iv. Preuss. Landwirtschaftsministe-
riums und der Landwirtschaftskammer für die Provinz Sachsen
hat der Vortragende im Laufe der letzten 2 Jahre die Wirk¬
samkeit des Milzbrands erums sowohl im Laboratoriums¬
versuch, wie unter praktischen Verhältnissen einer eingehenden
Prüfung unterworfen und dabei überaus günstige Ergebnisse
gewonnen. Das Serum wurde teils für sich allein zu rein
passiver Immunisierun g benutzt, teils in der bereits bei
früherer Gelegenheit (Berl. klin. Wochensohr., 1899, No. 13 und
Zeitsehr. f. Hygiene u. Infektionskrankh., Bd. 31, p. 89) be¬
schriebenen Form der kombinierten Anwendung
gleichzeitig mit gewissen Mengen einer leicht abgeschwächten
Milzbrandkultur injiziert. Das Serum wurde von Pferden, Rin¬
dern und Schafen gewonnen.
Es zeigte sich, dass geringe Serummengen (10 cm) schon
ausreichten, um Schafe und Rinder gegen die Infektion mit
hochvirulenten Milzbrandbakterien (Kultur oder Blut) sicher zu
schützen. Durch einen Versuch an Schafen konnte weiterhin
festgestellt werden, dass die vorbehandelten Tiere nicht nur gegen
Impfmilzbrand, sondern in gleicher Weise auch gegen die Ver-
fütterung von Milzbrandsporen Immunität erworben hatten.
Auch eine gewisse Heilkraft schien dem Serum zuzukommen,
indem es gelang, bereits infizierte Tiere (Schafe) nachträglich
durch Seruminjektion zu retten bezw. deren Tod sehr erheblich
zu verzögern.
Praktische Erf ahrunge n wurden in grösserem
Umfange, namentlich in der Provinz Pommern, gesammelt. Die
Zahl der ausgeführten Impfungen betrug ca. 2700. Die
Impfungen wurden ausschliesslich an Rindern vorgenommen.
Anfänglich wurde die reine Serumimmunisierung, später nur
noch die kombinierte Form angewendet. Impf Verluste waren
niemals zu verzeichnen, sämtliche Tiere vertrugen den Eingriff
ohne nennenswerte örtliche oder allgemeine Erscheinungen.
Der Erfolg war durchweg ein äusserst günstiger. Ueberall
dort, wo der Milzbrand schon längere Zeit
herrschte oder plötzlich ausgebrochen war,
konnte er durch die Impfung sofort zum Still¬
stand gebracht werden. Auch erkrankte Tiere gelang
es durch Injektion grösserer Serummengen vom Tode zu retten.
Der Impfschutz erwies sich als beständig und hielt während der
Dauer der bisherigen Beobachtungszeit, 9 Monate, an.
Das Milzbrandserum, und zwar besonders in der Form der
kombinierten Anwendung von Serum und Kultur, dii rfte somit
wohl als Schutzimpfungsmethode zur Bekämpfung des Milz¬
brandes ernsthafte Berücksichtigrung beanspruchen.
Besprech u n g: Herr F r aenkel bemerkt, dass das vom
Vortragenden beschriebene Verfahren ohne Zweifel grosse prak¬
tische Bedeutung besitze und wegen seiner Vorzüge vor der
8. Juli 1902.
MIT EN CHEN KR M EDICINTSCHE WOCHENSCHlil FT.
11 01
I'astour sclien Methode die letztere voraussichtlich verdrängen
werde. Aber auch in theoretischer Beziehung sei die neue
Art der Schutzimpfung von hohem Interesse,, da es sich im (legen¬
salz zu denjenigen Affektionen, bei denen die Anwendung des
Serums bisher von Erfolg gekrönt und welche toxischer Natur
seien, hier um ein Leiden handle, das gerade umgekehrt als Para¬
digma. eines septikämisclien und infektiösen Uebels an¬
zusehen sei.
In diesem Zusammenhänge möchte F. an den Vortragenden
die Frage richten, wie er sich in letzter Linie die Wirkung
seines Serums vorstelle. Lege er demselben antitoxisohe
oder bakterizide Eigenschaften bei? Die Antwort sei frei¬
lich wohl eine schwierige, da wir ja trotz aller einschlägigen Ver¬
suche bisher etwas Genaueres über die Gifte der Milzbrandbazillen
nicht wissen und sie weder den Toxalbuminen, den Erzeugern der
Antitoxine, noch den Proteinen, den Erzeugern der bakteriziden
Stoffe, zuweisen können. Vielleicht aber habe der Vortragende
wenigstens festgestellt, w a s de n n nun eigen tlic li a u s
den Bazille n w e r d e, die in den Körper der immunisierten
Tiere gelangen.
Herr So b er n hei m erwidert, dass sich nach seinen Be¬
obachtungen in der Tat eine ganz bestimmte Auskunft über diese
Punkte nicht geben lasse; da ein speziüsclies Milzbrandgift bisher
unbekannt, könne man auch über antitoxische Wirkungen
nichts aussagen. Andererseits seien antibakterielle Ein-
liiisse (Agglutination, Bakteriolyse etc.) spezifischer Art ebenso¬
wenig nachweisbar; trotzdem glaube er im wesentlichen an einen
b a k t e r i z i d e n Einfluss seines Serums. Treffe das zu. so er¬
gebe sich die' interessante Folgerung, dass hier, ähnlich wie wohl
bei der Rinderpest, ein bakterizides Serum auch heilend wirke.
Herr E b o r t h möchte erfahren, ob die Bazillen durch Serum
nicht vielleicht nur in eine Art Scheintod versetzt werden und
nachher wieder aufleben.
Herr Sobernheim spricht sich dahin aus, dass die Bazillen
durch das Serum zwar zuerst vielleicht nur in ihrer Vermehrung
gehindert, dann aber von den bakteriziden Körpersäften wie be¬
liebige Saprophyten vernichtet werden.
Herr Eberth bittet um Auskunft, ob denn die Bazillen im
Körper des immunisierten Tieres Veränderungen ihrer Gestalt er¬
fahren.
Herr Sobernheim erwidert, dass das in der Tat der Fall;
die Stäbchen quellen auf und werden aufgefasert, doch handle es
sich dabei kaum um eine spezifische Wirkung des Milzbrand¬
serums. Die gleiche Erscheinung könne man unter Umständen
auch unter dem Einfluss normalen Rinder- oder Kaninchenserums
im Reagensglase beobachten.
Herr Fraenkel: Wie denkt sich der Vortragende die prak¬
tische Anwendung seiner Methode? Soll den Tieren ein Gemisch
von Serum und lebender Kultur oder beides getrennt eingespritzt
werden?
Herr Sobernheim rät von der Benutzung eines Ge¬
misches ab, da ein solches sich namentlich auch für die Praxis
nicht haltbar hersteilen lasse. Es soll eine getrennte Injektion
an verschiedenen Körperstellen vorgenommen werden.
Herr Fuld wirft die Frage auf, ob die Bazillen im Reagens¬
glas bei Berührung mit dem Serum Veränderungen, namentlich
eine Abschwächung ihrer Virulenz erleiden.
Herr Sobernheim: Ueber diesen Punkt liegen wohl nur
Versuche von französischer Seite vor, die zu negativen Ergebnissen
geführt haben.
Herr Fraenkel ist der Meinung, dass es sich doch em¬
pfehlen würde, dieser Seite der Frage noch einmal näher zu treten.
Habe der Vortragende genauere Kenntnisse über die Häufigkeit
des Milzbrandes bei uns und über den Umfang, in dem bisher die
Pasteursche Methode in Deutschland angewandt wurde?
Seines (F.s) Wissens vertreibe das Pasteurinstitut in Stuttgart
jährlich Impfstoff für etwa 40 000 Tiere.
Herr Sobe r nhei m: Die statistischen Erhebungen über die
Häufigkeit und Verbreitung des Milzbrandes sind bei uns sehr un¬
sicher, da der Meldepflicht nur sehr unvollkommen genügt und
eine Entschädigung für Verluste in den meisten Provinzen nicht
gewährt wird, also der Landwirt kein Interesse an der Meldung
hat. Der Milzbrand sei sicherlich weit mehr verbreitet, als man
auf Grund der zahlenmässigen Angaben gewöhnlich glaube.
Herr Ri sei: Wie steht es mit dem Milzbrand jetzt auf der
früher in diesem Zusammenhänge viel genannten Domäne
Packisch?
Herr Sobe r nhei m: Der Milzbrand ist dort so gut wie er¬
loschen.
Herr Fraenkel: Glaubt der Vortragende, dass die An
Wendung seines Serums auch für den M ensche n in Betracht
komme? Man müsse doch z. B. daran denken, ob es sich nicht
empfehlen würde, Arbeiter in besonders gefährdeten Betrieben,
wie den Pinsel- und Bürstenfabriken, mit Serum zu impfen, falls
der so gewonnene Schutz nicht allzu rasch wieder verloren gehe.
Herr Sobernheim: Sollte das Serum zu Immuni¬
sierungszwecke n Verwendung finden, so müsste man vor¬
aussichtlich die Impfungen in gewissen Zwischenräumen wieder¬
holen. Ueber die Heilkraft des Serums sind zahlreiche Unter¬
suchungen in Italien angestellt worden. wo inan Hunderte von
Menschen mit Milzbrandserum geimpft hat, ohne dass sich jedoch
schon jetzt etwas Bestimmtes über den Erfolg sagen lasse. Die
Prognose der Milzbranderkrankung an sich sei eben eine zu wech¬
selnde.
Herr G r u n e r t fragt, ob für das Auftreten des Milzbrandes
unter dem Vieh die Art der Fütterung, ob Weidegang oder Stall¬
wirtschaft, von Einfluss sei.
Herr Sobernheim erwidert, dass die Tiere sich meist auf
der Weide anstecken, dass aber auch Stallepidemien im Winter
gar nicht selten beobachtet werden.
Herr Fries möchte erfahren, warum der Vortragende für
die auf natürlichem Wege erkrankten und mit Serum geheilten
Tiere ein nachträglich kombinierte Impfung (Serum und Kultur)
empfiehlt. Man müsste sich zunächst doch vorstellen, dass die
auf natürlichem Wege erfolgte Infektion hier die Einimpfung der
Kultur überflüssig mache.
Herr S oberheim beantwortet die Frage dahin, er müsse
sich nicht deutlich ausgedrückt haben; er empfehle diese Nach¬
impfung nur für solche Fälle, in denen bei g esunde n, aber
gefährdeten Tieren zunächst eine reine Serumimmunisierung zu
p rophylak tische n Zwecken vorgenommen worden war.
Die kombinierte Impfung gewähre längeren Schutz.
Herr L ö h 1 e i n : Zur Kenntnis der Streptothrixpyämie.
Der Vortragende berichtet an der Hand von Präparaten und
Kulturen über einen im Juni 1901 im pathologischen Institut zu
Halle zur Beobachtung gekommenen Fall, den er gemeinsam mit
Dr. E n g e 1 h a r d t untersucht hat.1)
Bei der Sektion des 22 jährigen Mannes (die klinische Dia¬
gnose war auf Miliartuberkulose gestellt worden) fanden sich
zwei je hühnereigrosse Gangränhöhlen im Parenchym des rechten
Leberlappens, dicht unter der Oberfläche gelegen; ferner voll¬
kommene Verwachsung der Pleurablätter recliterseits, m u 1 1 i p 1 e
Abszesse von Erbsen- bis Ilaselnnssgrösse in den Unterlappen
beider L u n g e n, im H erzfleisch, in der Milz, ganz beson¬
ders zahlreiche Abszesse im Gehi r n.
Im Inhalt der Herde in der Leber wie im Eiter der Abszesse
Hessen sich in Ausstrich- und in Schnittpräparaten feine homogene
Fäden nacliweisen, die sich nach G ram färbten; die gleichen Ge¬
bilde wurden in Gelassen (besonders reichlich in mittleren und
kleineren Arterien und in Kapillaren des Gehirns) gefunden.
Aus einem frisch eröffneten Abszess im Herzmuskel gelang
die Züchtung eines Fadenpilzes, der morphologisch mit den in
Schnitten gesehenen Gebilden übereinstimmt, und der nach seinen
genauer erörterten Eigenschaften zur Gattung Streptothrix zu
rechnen ist.
ln seinem kulturellen Verhalten stimmt der Mikroorganis¬
mus fast vollkommen mit dem von Hesse (in einem Falle von
Aktinomykose) beobachteten überein; er ist wie dieser und die
beim Menschen von Almquist, Scheele und P e -
truschky, Garten beobachteten zur Gruppe der „Strepto¬
thrix alba“ (Possi -Doria) zu rechnen, deren Mitglieder, mehr
oder weniger streng aerob, besser bei Körperwärme als bei
niederen Temperaturen wachsen, meist weissgefärbte Kolonien
auf festen und in flüssigen K ährböden bilden und die Fähigkeit
besitzen, Gelatine langsam zu verflüssigen.
Besprechung: Herr Schmidt-Ri m p 1 e r wünscht zu
erfahren, ob der in den Konkrementen des Tränenkanals wieder¬
holentlieh gefundene und als Kladotlirix bezeiclinete Pilz botanisch
auch zu den Streptotliricheen gehöre.
Herr Grunert wirft die gleiche Frage für den von Coz-
z o 1 i n o als Pseudoaktinomyees beschriebenen Filz auf.
Herr L ö h 1 e i n bejaht erstere, verneint letztere Frage. Dem
Cozzolino sehen Fadenpilz fehlt das charakteristische Merkmal
der echten Vorzweigungen.
Herr F raenkel hat zuerst Zweifel gehegt, ob der vom Vor¬
tragenden gefundene Pilz wirklich als der Erreger der betreffenden
Affektion anzusehen sei, da er sich nur auf einem einzigen Röhr¬
chen entwickelt halte. Indessen sprächen doch die Tierversuche
und die sonstigen Tatsachen sehr für diese Annahme.
Es könne kaum noch bezweifelt werden, dass die Angehörigen
der Gruppe Streptothrix weit häufiger Vorkommen und eine be¬
deutendere Rolle spielen, als man das früher geglaubt. Der sicher»'
Nachweis dieser Mikroorganismen und die Identifizierung der ein¬
zelnen Arten stosse nur auf erhebliche Schwierigkeiten, da sie
durch eine grosse morphologische und kulturelle Vielförmigkeit
und Beweglichkeit ausgezeichnet seien und auch ihr»' pathogenen
Eigenschaften starken Schwankungen unterliegen. So treten sie
im mikroskopischen Ausstriche aus dem betreffenden Gewebssalt
u. s. f. oft als kurze diphtheriebazillenähnliche Stäbchen oder gar
als Kokken auf und werden desshalb verkannt; bei der nach¬
folgenden gewöhnlichen Kultur aber versagen sie entweder über¬
haupt, weil manche Arten anaerober Natur sind, oder sie wachsen
so langsam, dass sie überwuchert werden und also ebenfalls der
_ H *|1 q-
J) Engelha r d t und L ö h 1 e i n werden an anderer Stelle
ausführliche Mitteilungen über ihre Untersuchungen machen.
11 (»2
No. 27.
Al I T EN( 1 1 1 EN ER M E Df Ol N ISO! I E WOOHENS( T I RI FT.
Feststellung entgehen. Auch sei, wie schon angedeutet, dieselbe
Art oft bald virulent, bald unschädlich, bald mehr nach der
aeroben, bald nach der anaeroben Seite veranlagt. Man müsse
wohl die Methodik ändern, um hier häufiger zum Ziele zu kommen,
die anaeroben Verfahren, saure Nährböden benutzen u. s. w.
Herr Eberth hebt hervor, dass der Vortragende hier nach
dem pathologischen Befunde mit Recht von einer Streptothrix-
pyä m io gesprochen habe. Auffällig sei es, dass diese Affektion
trotz der Häufigkeit und weiten Verbreitung der Streptotricheen
so selten auftrete. Er wünscht genaue Auskunft über das Er¬
gebnis der Tierversuche zu erhalten.
Herr Eöli lein erwidert, dass die Tierversuche noch nicht
ganz abgeschlossen und eindeutig seien. Eine pathogene Wirkung
für Kaninchen sei ohne Frage vorhanden, aber ein sicherer Auf¬
schluss müsse noch von dem Ausfall einiger weiterer Experimente
erwartet werden.
Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Mai 1902.
Vorsitzender : Herr N o c li t.
Schriftführer: Herr 0«t t o.
Herr Roosen-Eunge demonstriert ein Präparat von
Blasentuberkulose, ausgehend von linksseitiger Nieren- und
Uretertuberkulose; dasselbe wurde gewonnen bei der Sektion eines
12 jährigen Mädchens, das im St. Georger Krankenhaus an tuber¬
kulöser Meningitis zu Grunde ging. Das Präparat ist interessant,
weil Blasentuberkulose beim weiblichen Geschlecht, zumal bei
Kindern, zu den Seltenheiten gehört, dann aber, weil in diesem
Falle die sekundäre Natur der Blasentuberkulose deutlich zu Tage
tritt. Die Nieren- und Ureteraffektion und eine tiefe, schmierig
belegte TTlzeration an der Mündung des Ureters sind unzweifelhaft
älter als die flachen, frischen Epitheldefekte der Blasenschleim¬
haut. Die rechte Niere war frei, deshalb wäre in diesem Falle, da
sich sonst ausser der Meningitis von Tuberkulose im Körper nichts
fand, durch rechtzeitige Exstirpation des kranken Organs eine
dauernde Heilung möglich gewesen.
Herr Wiesinger demonstriert ein grosses Myom (17 Pfd.
schwer), welches, vom Fundus uteri ausgehend, mit dem Uterus
und Adnexen in toto entfernt worden ist. Bei der Laparotomie
zeigte sich der Leib mit etwa 2 Litern flüssigen, dunklen Blutes er¬
füllt. Die Eierstöcke, besonders der linke, stark hämorrhagisch
infarciert, ebenso die Tuben und die Uterussubstanz. Die Tuben
und die Schleimhaut des Uterus sind mit geronnenem Blute belegt.
Es muss daher eine ganz bedeutende Behinderung des venösen
Rückflusses bestanden haben, mag diese nun durch eine Knickung
durch die darüber lastende Geschwulst oder durch eine leichte
Torsion hervorgerufen worden sein. Eine Störung des arteriellen
Blutzuflusses wie bei Strangulation bestand jedenfalls nicht.
Das Präparat stammt von einer 40 jährigen Frau, die seit
Jahren bei normaler Menstruation einen sehr starken Leib gehabt
hatte. Einige Tage vor der Operation hatte sie Schmerzen im
Leibe bekommen, war schwach, elend und sehr kurzluftig ge¬
worden. Puls frequent, Aussehen etwa wie bei geplatzter Extra¬
uterinschwangerschaft. Der Verlauf nach der Operation war, ab¬
gesehen von anfänglichen Kollapszuständen und beginnendem
Lungenödem, ein ganz normaler.
Herr L u c e beendet seinen Vortrag : Zur Klinik und patho¬
logischen Anatomie des Adams-Stokes sehen Symptomen-
komplexes. (Der Vortrag wird ausführlich anderweitig ver¬
öffentlicht.)
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 13. J a n u a r 1902.
Vo rsitzender: Herr Hochhaus. Scliriftf. : Herr Schulte.
Herr Pincus: lieber Catarrhus vernalis conjunctivae.
P. demonstriert einen Fall von Cat a r r hus vernali s,
sowie einen Fall von Trachom. Ersterer sieht einem Trachom
ausserordentlich ähnlich, jedoch lassen bei genauerer Betrachtung
die konsistenten, gröberen, schollenartigen Wucherungen, welche
die ganze Bindehaut des oberen Lides, namentlich die des Tarsus
bedecken und sich in typischer Weise pflasterartig aneinander
legen, den Fall als Catarrhus vernalis erkennen. Dazu kommt die
bekannte Beschaffenheit des Epithels, welche die ganze Bindehaut
der Lider, auch an den nicht von den Wucherungen betroffenen
Stellen, wie mit Milch übergossen erscheinen lässt, sowie die
Anamnese, welche in der bekannten Weise den Beginn der Be¬
schwerden im Frühjahr, ihr Anschwellen mit zunehmender Tem¬
peratur und ihr völliges Verschwinden mit Eintreten der kalten
Jahreszeit ergibt. Die Conjunctiva bulbi und die Hornhaut sind
bisher frei geblieben. Zum Vergleich demonstriert P. einen Fall
von Trachom mit ungewöhnlich stark entwickelten, grossen,
sulzigen Einlagerungen ohne jede Reizung und ohne Affektion
der Hornhaut. Beide Fälle betreffen Kinder, der erstere einen
10 jährigen Knaben, der zweite ein 8 jähriges Mädchen, in dessen
Familie übrigens auch sonst Trachom vorkommt. Beide wurden
bei Gelegenheit einer Schuluntersuchung in derselben Schule auf¬
gefunden. Der Vortragende geht mit einigen Worten auf seine
im Verlaufe mehrerer Jahre bei d e u Schulunter¬
suchungen gemachten Erfahrungen ein. Er hat
hierbei eine merkbare Abnahme der Trachomzahlen konstatiert,
die er jedoch bei vorurteilsfreier Betrachtung einfach darauf zu¬
rückführt, dass er mit zunehmender Erfahrung in der Diagnose:
Trachom immer zurückhaltender geworden ist; mancher darauf
verdächtige Fall erwies sich bei der Untersuchung im nächsten
Jahre als geheilt, ohne dass irgend welche Behandlung stattgefun¬
den hatte, war also nur ein harmloser Follikularkatarrli gewesen.
Wirkliche Trachome sind in den Kölner Schulen (wenigstens in
den von dem Vortragenden untersuchten) ausserordentlich selten;
in den meisten fand er gar keinen, in den anderen auch nur ganz
vereinzelte Fälle.
Sitzung vom 24. Februa r 1902.
Vorsitzender : Herr II o c h h a u s. Schriftf. : Herr Schult e.
Herr Frank: Ueber Gynatresien.
Einleitend erinnert F r a n k an den 80. Geburtstag v. K u s s-
m a u 1 s und freut sich, über ein Thema sprechen zu dürfen,
bei dessen Bearbeitung gerade Kussmaul Bahnbrechendes ge¬
leistet hat, da er der Erste war, welcher die Gynatresien als
Hemmungsbildungen in einem bestimmten embryonalen Stadium
auffasste, während man früher nur den anatomischen Stand¬
punkt berücksichtigte. Frank hebt dann besonders die Ver¬
dienste von L e T o r t, Fürst, Förster, Rokitans k y
hervor.
Um das anatomisch-physiologische Verhältnis klar zu
machen, gibt F rank an der Hand von Tafeln einen kurzen
Ueberblick über die embryonale Entwicklung des uropoetischen
Systems, indem er sich dabei besonders an die Arbeiten von
N a g e 1 anlehnt.
Von den Hemmungsbildungen interessieren ihn heute nur die¬
jenigen, welche für den praktischen Arzt eine Bedeutung haben,
nämlich diejenigen, bei welchen es über dem Verschluss
zu einer Blutausscheidung kommt und welche beseitigt werden
müssen. Bei Unterleibsbeschwerden zur Zeit der Pubertät soll
man immer an Verseldiessungen denken, weil es darauf an¬
kommt, dass der Fehler so früh wie möglich entdeckt wird. Wird
der Fehler übersehen, so sind die Folgen unberechenbar (Ilämato-
metra, Hämatosalpinx, peritoneale Verwachsungen, Beratung,
Verjauchung, tödliche Peritonitis).
Aber auch nach Erkennen einer Gynatresie ist bei Aus¬
führung der Operation die grösste Vorsicht geboten. In vielen
Fällen werden die Tubensäcke übersehen, welche dann nach Er¬
öffnen des Verschlusses platzen oder verjauchen.
Hie erste Frage bei einer Gynatresie soll sein: Sind Tuben¬
säcke vorhanden? Sind dieselben da, so muss sich die operative
Therapie zunächst auf diese richten, und der Weg, welchen
Kehrer zuerst angegeben, eingeschlagen werden, nämlich per
Laparotomie den Sack zu entfernen; dabei sofort zu kastrieren,
sucht F r a n k zu vermeiden. Sein Streben ist, die sichtbare Men¬
struation in Gang zu bringen, Eierstocksgewebe zu erhalten
und die Verbindung des Cavum uteri mit der normalen oder
künstlich angelegten Scheide herzustellen.
Ist es unmöglich, bei Fehlen der Scheide eine neue Scheide
zu bilden, so empfiehlt es sich, den Uteruskanal in den Mast¬
darm, die Blase, oder durch die Bauchdecken nach Aussen zu
leiten.
Man hat versucht, von unten die Scheide zu bilden. Ist der
Versuch fehlgeschlagen, so hat man kastriert, die Tuben ent¬
fernt und den Hämatometrasack an die Bauchwand angenäht
und eröffnet. Frank hat durch kombinierte Art, teils von
oben, teils von unten eine Scheide hergestellt.
Der Fall war kurz folgender:
24 jährige Dame. Vom 13. Jahre an bekam sie Beschwerden
von Seiten der Uuterleibsorgane und war in den Händen ver
scliiedeuer Aerzte. Erst im 19. Jahre wird ein Frauenarzt kon¬
sultiert. welcher Fehlen der Scheide und der inneren Genitalien
konstatiert.
Bei der Untersuchung fehlte die Scheide vollständig. Die
ganze Unterbauchgegend auf Druck schmerzhaft, auf der inneren
Seite des linken Darmbeins ein faustgrosser ovaler Tumor.
8. Juli 1902.
MÜENCHENER MEDICINISCRE WOCHENSCHRIFT
1163
Bei der Operation zeigte sich die Diagnose bestätigt. Links¬
seitige Hämatosalpinx und dabei eine Hämatometra des linken
Uterushornes von ca. Gänseeigrösse.
Die Hämatosalpinx wird in der Sitzung demonstriert. Der¬
selbe ist deshalb von besonderem Interesse, als das Ostiurn
nterinum vollständig verschlossen. liier besteht ein bindegewebi¬
ger Strang. Auch bei sorgfältigster mikroskopischer Unter¬
suchung nichts von Epithelien zu entdecken. Es handelte sich um
einen angeborenen Verschluss der Tube und in diesem Falle
konnte die Entstehung der Hämatosalpinx durch Reflux vom
Uterus her nicht erklärt werden. Eine Vagina wurde gebildet,
indem von aussen zwischen Blase und Rektum, so weit wie mög¬
lich vorgedrungen war; der obere Tlieil der Scheide wurde gebildet,
indem von der Bauchhöhle aus zwischen Blase und Hämatometra
dein von unten hergestellten Teil der Scheide entgegengearbeitet
wurde. Die Schleimhaut der Scheide wurde aus Vorhofsselileiin-
haut gebildet.
Anschliessend an diesen Fall verbreitet sich F rank über
die Beteiligung der Tubenschleimhaut bei den Perioden. Er
gehört zu denjenigen, welche eine Blutausscheidung auf der
Tubenschleimhaut bei der Periode für wahrscheinlich halten.
Er führt zum Belege für seine Ansicht zwei Fälle an, bei
welchen die gesunde Tube nach der Laparotomie in die Bauch¬
wunde einheilte und es zu einer Bauchdeckentubenfistel kam.
Bei der Periode kam es jedesmal zu einer Blutausscheidung aus
der Fistel, welche während der ganzen Periode anhielt.
Herr Frank demonstriert am Schlüsse seines Vortrages zwei
interessante Präparate. Das eine stellt eine ausgetragene Gravidi¬
tät in einem rudimentären Nebenhorne des Uterus dar, das andere
einen Uterus didelphys bei einem neugeborenen Kinde.
Herr G o 1 d b e r g : Cystoskopische Erfahrungen. (Der
Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 15. Mai 1902.
V orsitzender : Herr Goldschmidt.
Herr Hahn demonstriert:
a) Einen 5 jährigen Knaben, bei dem wegen Lupus eines
Fingers ein Krausescher Lappen auf den Defekt, der über
2 Gelenke hinweggeht, gesetzt wurde. Tadellose Funktion des
Fingers. Eine zweite Lupusstelle an der Regio temporalis wurde
nach Exzision durch Naht versorgt. Demonstration der hierzu¬
gehörigen anatomischen und mikroskopischen Präparate.
b) Einige Präparate maligner Geschwülste, darunter ein von
der linken Ohrmuschel ausgehendes Karzinom des Schädels, das
in das Felsenbein perforiert ist (Fazialislähmung) und sich nach
dem Scheitel- und Hinterhauptsbein in der Grosse eines Hand¬
tellers erstreckte. Exzision des ulzerirten Tumors, Trepanation
des Proc. mastoideus und Felsenbeins und des anliegenden Schädel¬
daches. Pat, 70 jährig, starb nach 11 Tagen an Entkräftung.
c) Photographische Aufnahmen von tertiärluetischen Unter-
schenkeigeschwüren mit Sitz in der Wade, das grösste Gesell vs üi
war handtellergross. Die von anderer Seite auf Tuberkulose ge¬
stellte Diagnose widerlegte ausser dem Vorhandensein einer alten
Ulcusnarbe im Sulcus praeputialis der Erfolg der antiluetischen
Behandlung. Vortragender bespricht die Kennzeichen der
luetischen Unterschenkelgeschwüre.
d) Präparate von Smegmolithen bei 23 jährigem Manne. (Er¬
scheint ausführlich.)
Herr Friedrich Merkel trägt eine Reihe von Kranken¬
geschichten vor und demonstriert die zugehörigen, durch Operation
gewonnenen Präparate:
1. R., 53 jährige Dame, seit 3 Jahren in der Menopause, Nulli-
para, 28 Jahre verheirathet, früher angeblich nicht krank, litt nur
vor 3 Jahren an Störungen der Menses, die bald schwanden;
machte eine Hochzeit (20. IV. 02) mit, tanzte auf derselben sehr
viel und erkrankte Tags darauf mit Beschwerden beim Wasser¬
lassen, Stuhlverhaltung, Brechreiz, Leibschmerzen. Nach
24 Stunden gerufen, fand ich die Dame hochfiebernd, 24. IV . :
38,0 bis 39,3. Leib auf getrieben, tympanitisch; Ileocoekalgegend
kolossal druckempfindlich, vom Typhlon einwärts eine länglich
dem aufsteigenden Aste des Kolon parallel laufende Dämpfung.
Per vaginam und per rectum nichts Abnormes zu fühlen. Line
kombinierte Untersuchung war wiegen Fettleibigkeit einerseits und
Tympanitis mit Schmerzhaftigkeit andererseits nicht möglich.
25. IV.: Morgens 39,3, Puls 100, Nachm. 39,6, Puls 106, Allgemein¬
befinden und Aussehen entschieden schlechter.
Nach Lage der Dinge stellte ich die Diagnose auf Perityphlitis
und riet nach 38 stündiger Beobachtung zur sofortigen Operation.
Dieselbe wurde auch bereits am 25. IV. Abends y2 6 Uhr vor-
genommen. Grosser Flankenschnitt, der Dämpfung entsprechend.
Nach mühsamem Suchen Eröffnung des Peritoneums; zwischen
Colon ascendens und einer Dünndarmschlinge, die verklebt waren
und getrennt wurden, Eindringen in die Tiefe. Blosslegen eines
Gebildes von Darmdicke, grünblauschwarz verfärbt. Beim Ab¬
lösen von den allseitig verklebten Darmschlingen platzt der Tumor
und entleert eine kotigriechende, jauchige, braune Flüssigkeit, die
schleunigst auf getupft wird; nach oben zu lässt sich zunächst ein
kolbig verdicktes Ende des Tumors auslösen; nach abwärts prä¬
sentiert sich darauf, völlig unversehrt, ein kleiner Wurmfortsatz
und hinter diesem geht der völlig ausgelöste, fast 18 cm lange
Tumor auf die Uterusecke über. Es hatte sich also um einen lange
Zeit latent bestehenden, plötzlich verjauchten Pyosalpinx der
rechten Seite gehandelt. Abbinden desselben. Mikulicztampon,
Naht der oberen Hälfte der Wunde. In den nächsten Tagen all¬
mählich Temperaturabfall, zunehmende Besserung. Heilung durch
ein prävesikales Exsudat verzögert.
2. P., 55 Jahre alte III. Para. Bauchumfang 102 cm; Leib seit
y2 Jahr rasch gewachsen, rapide allgemeine Abmagerung, rechts¬
seitige Lungenspitzentuberkulose. Differentialdiagnose zwischen
Bauchfelltuberkulose mit Aszites und Ovarialtumor besprochen.
Ovariotomie, Cyste mit 12 Liter Inhalt entfernt; glatter Verlauf.
3. N., 32 Jahre alte HI. Para, seit 2 Jahren zerrende Schmer¬
zen in der Blinddarmgegend; Untersuchung ergibt: Rechts orange¬
grosses Ovariäldermoid an sehr langem Stiel, um die Achse ge¬
dreht; links kleinere Cyste; doppelseitige Ovariotomie, Heilung.
4. E., 43 Jahre, V. Para, Blutungen seit % Jahren, Unter¬
suchung ergibt sehr grossen, retroflektirten Uterus, das kleine
Becken ausfüllend; Portio direkt hinter der Symphyse stehend;
im Muttermund, der offen steht, ein kleines Myom zu fühlen.
Vaginale Totalexstirpation des total mit Myomen durchsetzten
Uterus nach D ö d e r 1 e i n; glatte Heilung.
5. G., 42 jährige II. Para, blutet seit 7 Monaten, ist seit
y2 Jahre bettlägerig. Verdacht auf Myome in dem erheblich ver-
g-rösserten Uterus, an der linken Uteruskantenmitte im Para-
metrium geringe Verdickung. Nach Umschneiden der Portio und
Herabziehen zeigen sich mehrere kleine bis kirschkerngrosse
Myome. Daher vaginale Totalexstirpation mit Morcellement.
Glatter Verlauf, langsame Erholung (exquisites Myomherz).
6. N., 41 jährige II. Para, leidet seit 3 Jahren an zunehmenden
Uterusblutungen; Untersuchung ergibt: mit Myomen durchsetzter
Uterus und linksseitiger intraligamentärer Ovarialtumor. Laparo¬
tomie. Entfernung des Ovarialtumors nach Entfernung der
Verwachsungen mit dem S romanum, supravaginale Amputation
des Uterus und Entfernung einer rechtsseitigen wallnussgrossen
Ovarialeyste. Vollständige Uebersäumung mit Peritoneum, retro-
peritoneale Versorgung, glatte Heilung.
7. L., 55 jährige II. Para, blutet seit 2 Jahren in steigendem
Masse. Vor 4 Jahren war ein nussgrosser Cervicalpolyp entfernt,
vor 2 Jahren von anderer Seite eine Prolapsoperation gemacht
worden; Untersuchung ergab: Uterus mit Myomen durchsetzt,
linksseitlich bis über den Nabel reichend, nach unten das kleine
Becken völlig ausfüllend, ein elastischer Tumor, Portio nach rechts
seitlich verdrängt und hinter der Symphyse stehend. Laparotomie:
Es zeigt sich zunächst der linksseitige grosse Tumor aus 2 Teilen
bestehend. Die oberhalb des Beckens gelegene Hälfte ist ein
kindskopf grosses, cystisclies, der linken Uteruskante auf sitzendes,
intraligamentär entwickeltes Myom; dasselbe wird enukleiert,
Stiel abgebunden, dann der kleinfaustgrosse myomatöse Uterus
supravaginal entfernt, zugleich mit dem kleincystisclien rechten
Ovarium. Schliesslich wird aus dem Douglas das kindskopfgrosse,
entartete linke Ovarium (Dermoid) herausgeholt und entfernt.
Iletroperitoneale Stielversorgung. Uebernähen der Ligaturstümpfe
mit Peritoneum; glatte Heilung.
Herr Port berichtet über einen letal verlaufenen Fall von
Sarkom der Leber bei einem Kinde von 6 Jahren.
Sitzung vom 6. Juni 1902.
Vorsitzender : Herr Goldschmidt.
Herr Epstein stellt einen Fall von multipler Neuro¬
fibromatose vor.
Herr Neuburger stellt ein Mädchen vor, bei welchem
durch ein traumatisch entstandenes Iriskolobom (Steinwurf, per-
forirende Wunde in der Ciliarkörpergegend, linsengrosser Iris¬
vorfall, Abtragung desselben, reizlose Heilung mit querovaler
Pupille) hindurch sehr schön die Zonula fasern in situ mit
dem Lupenspiegel zu sehen sind. Durch unregelmässige
Strahlenbrechung am Linsenrand besteht ferner m onoculare
Diplopie.
Herr Hauenschild spricht über einen Fall von
urämischer Amaurose. (Der Vortrag erscheint in extenso.)
Herr Heinrich Koch demonstriert das Präparat einer
Hydronephrose infolge von Prostatahypertroph io.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Officielles Protokoll.)
Sitzung' vom 15. Mai 1902.
Herr Steinhardt stellt zwei Knaben (Brüder) vor, welche
das typische Bild der Pseudohypertrophie der Muskeln (Dys¬
trophia musculorum progressiva Erb) aufweisen.
Der ältere derselben, 7y8 Jahre alt, hat früher ganz gut laufen
können, ist auch nie nennenswert krank gewesen; nur bemerkten
die Eltern seit einiger Zeit eine eigentkiimlieke Aenderung des
1164
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 27.
Ganges. Aetiologiscli lässt sich kein Anhaltspunkt finden; ebenso
fehlt hereditäre Belastung.
An dein entkleideten Knaben, der eine seinem Alter ent¬
sprechende Körpergrösse besitzt, fällt vor allem ein Missverhältnis
zwischen dem Umfang beider Oberschenkel und Waden einerseits
und der oberen Extremitäten andererseits auf: während bei ersteren
die Muskulatur ganz mächtig entwickelt zu sein scheint und prall
hervortritt, wie wenn sie einem kleinen Athleten angehörte, ist
bei letzteren, besonders an den Oberarmen und Schultern, eher
Atrophie vorhanden, wenn auch nicht sehr ausgeprägt; bei der
Palpation erweisen sich die Waden als nicht so derb und hart,
wie man nach dem ungewöhnlichen Volumen erwartet. Die Hal¬
tung des Knaben zeigt die Eigentümlichkeit, dass der Bauch weit
vorgestreckt ist bei rückwärts gebeugtem Oberkörper — starke
Lordose der Lendenwirbelsäule, die sich aber beim Sitzen fast
vollständig ausgleicht; sicht- oder fühlbare Veränderungen der
langen Kückenmuskeln sind nicht vorhanden. Der Gang ist
watschelnd, breitbeinig, erinnert an den Gang der angeborenen
doppelseitigen Hüftgelenksluxation. Sehr typisch ausgeprägt ist
die Art und Weise, Avie sich der kleine Patient vom Boden erhebt,
„an sich selbst hinauf kletternd“ (Arergl. die bekannte Abbildung in
S t r Ii mpells Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie).
Aus dem weiteren Befund verdient noch Erwähnung, dass die
Sensibilität intakt ist, Blase und Mastdarm normal funktionieren,
die Sehnenreflexe nicht auszulösen sind; die Intelligenz ist sehr be¬
deutend zurückgeblieben. Eine elektrische Prüfung musste aus
äusseren Gründen unterbleiben, doch ist ein Zweifel an der Dia¬
gnose unmöglich.
Der 4y3 jährige Bruder zeigt ganz die gleichen Symptome in
Haltung, Gang und Auf stehen vom Boden; noch wenig aber doch
schon deutlich ausgeprägt ist die Pseudohypertrophie der Muskeln
an den unteren Extremitäten. Intelligenz dem Alter entsprechend.
2 Schwestern im Alter von 13 und 10 Jahren sind körperlich
und geistig normal; bei 2 jüngeren Brüdern, 2 Jahre, bezw. wenige
Monate alt, lässt sich naturgemäss von einer event. Entstehung
des Leidens noch nichts feststellen.
Im Anschluss an die Demonstration erörtert Vortragender die
wichtigsten differential-diagnostischen Momente zwischen der
spinalen und rein myopathischen Muskelatrophie.
Herr Steinhardt berichtet Aveiter über einen Fall von
Hernia ventraiis lateralis congenita bei einem 4 Wochen alten
Knaben; die Sektion ergab vollständiges Fehlen der
M u s c u 1 i o b 1 i q u. a b d o m. e x t. und int., sowie des
M. transversus a b d. an der betreffenden Stelle der seit¬
lichen Bauchwand. Der Fall wird anderwärts ausführlich be¬
schrieben werden.
Herr Heinlein teilt die Krankengeschichte und den Sek¬
tionsbefund eines bei einem 3 Tage alten Knaben beobachteten
I\Tabelstrangbruches mit. Es war hier — zum Teil wohl infolge un¬
zweckmässiger äusserliclier Applikationen auf das die Bruchsack-
liülle bildende Amnion durch die Angehörigen — zu einer Ent¬
zündung im Bruchsack, so dass dessen Inhalt nicht mehr reponiert
Averden konnte, gekommen. Die örtliche Peritonitis, rasch zu einer
diffusen ausartend, endete das Leben innerhalb einiger Stunden
nach Beginn der stürmischen Erscheinungen. Vorausgeschickt
wurde eine eingehende Schilderung der entAvicklungsgeschicht-
lichen Einzelheiten der Bildung der embryonalen Bauchwand, die
anatomischen Unterschiede des als wahre Hemmungsbildung an¬
zusprechenden Nabelstrangbruches gegenüber dem im extra¬
uterinen Leben entstehenden Nabelbruch hervorgehoben. Die in
dem geschilderten Falle bestehende allgemeine Bauchfellentzün¬
dung Avar bestimmend für die Unterlassung eines operativen Ein¬
griffes. Das sehr instruktive Präparat — der Nabelstrangbruchsack
mit angrenzenden und entfernteren Komponenten der Bauchwand,
Urach us, Nabelgefässen, Harnblase — Avird vorgelegt.
Herr Heinlein demonstriert nochmals genau das in der
Sitzung vom 2U. III. bereits vorgelegte Präparat von Fractura
colli femoris. Dasselbe stammt von einem 8ü jährigen ehemaligen
Maler, welcher, an einer Herzruptur plötzlich verstorben, vor
5 Jahren von einem Radfahrer umgerannt Avorden Avar und dabei
einen rechtsseitigen Schenkelhalsbruch erlitten hatte. Der Bruch
Avar anderwärts behandelt, die Beinfunktion niemals mehr Avieder
hergestellt worden. Patient konnte nicht mehr auf dem r. Beine
allein stehen und sich nur mit Hilfe von Krücken mühselig eine
ganz kurze Strecke vom Platze beAvegen. Das gewonnene, nach
verschiedenen Seiten sehr merkwürdige Leichenpräparat der
Bruchgegend Avird vorgelegt. Der Trochanter major ist um reich¬
lich 3 cm nach aufwärts gerückt. Der Bruch des anatomischen
Halses war nicht mehr zur Vereinigung gekommen; der ab¬
gebrochene Gelenkkopf zeigt annähernd normale Konfiguration,
stellt ein etAva 3 cm hohes Spliäroid dar, dessen konvexe Ober¬
fläche mit zahlreichen flachen, rundlich beetartigen, milcliweissen
Knorpelwuchcrungen besetzt ist; die Bruchfläche an dem Gelenk¬
kopf erscheint als eine gegen den Mittelpunkt sich gleichmässig
wenig vertiefende, ziemlich regelmässige plane Fläche, Avelche
ebenfalls einige Knorpehvucherungen von gleicher Beschaffenheit
erkennen lässt, ZAvischen denen die Bruchfläche mit dünn binde¬
gewebigen, glatten Auflagerungen überzogen ist. Die offenbar an
mehreren Stellen stark und unregelmässig zerrissen gewesene
Gelenkkapsel erscheint sehr stark erweitert, buchtlg und reichlich
mit zottigen Wucherungen, welche an einzelnen Stellen durch
I zarte, schmale, bindegewebig-sehnige Brücken mit einander ver¬
bunden sind, besetzt. Die gleiche Beschaffenheit Avie die Gelenk -
kopfbruchfläche, zeigt die distale Bruchfläche unterhalb des
Trochanter major. Diese letztere Bruchfläche gehört bereits dem
Bereich des Oberschenkelknochen s c li a f t e s an, so dass man zu
der Annahme gedrängt wird, der zwischen den jetzt sich dar¬
stellenden Bruchflächen früher vorhandene Knochenabschnitt,
welcher dem chirurgischen Hals entsprach, wäre entAveder dem
völligen SchAA'und anheimgefallen, oder es hätte sich um einen
Komminutivbruch des letzteren gehandelt, dessen Komponenten
der Einschmelzung und völligen Resorption unterlägen.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein München.
Sitzung vom 2Ö. Juni 11)02.
In dem ersten der beiden auf der Tagesordnung stehenden
Vorträge A’erbreitete sich Herr Dr. K a s 1 1 über „ärztliches Ge¬
nossenschaftswesen“. Wie erinnerlich, hat Kos enberg - Leipzig
kürzlich im ärztlichen Vereinsblatt der Schaffung einer grossen
ärztlichen Genossenschaft das Wort geredet, welche die Kranken-,
Unfall-, Haftpflicht-, WittAven- und Waisenversicherung für Aerzte
in ein grosses Unternehmen zusammenfassen soll, um auf diese
Weise dem deutschen Aerztestande selbst den Gewinn zuzuführen,
welchen jetzt die verschiedenen deutschen und auch ausländischen
Versicherungsgesellschaften für sich erreichen. Redner begrüsste
zwar den Gedanken ärztlicher Genossenschaften an sich sym¬
pathisch, da dieselben auch ein Glied in der Kette der Einigungs¬
bestrebungen innerhalb der deutschen AerzteSchaft darstellen,
übte aber an dem K o s e n b e r g sehen Plane scharfe Kritik, da
derselbe mit zu grossen Rückzahlungen bei relativ kleinen Bei¬
trägen rechnet, einen zu grossen Verwaltungsapparat erfordert
und vor allem zur Voraussetzung hat, dass alle deutschen Aerzte
sich dem Unternehmen anschliessen, während irgend ein ZAvang
zum Beitritt ja gar nicht ausgeübt werden kann und andererseits
durchaus nicht erwartet werden kann, dass die deutschen Aerzte
alle gerade in dieser Frage unter einen Hut gebracht werden
könnten. Redner glaubt, dass eine genossenschaftliche Haft¬
pflichtversicherung am ehesten Aussicht auf Verwirklichung böte,
da das Interesse hiefiir am verbreitetsten sei. Er kam zu dem An¬
trag, dass die Delegierten zum deutschen Aerztetag dahin instruiert
werden sollten, dass der Aerztevereinsbund die Gründung einer
genossenschaftlichen Haftpflichtversicherung in die Hand nehmen
solle, eine Anregung, Avelche von der Versammlung denn auch an¬
genommen wurde.
In einem umfangreichen Referat: Zur Revision des Kranken¬
versicherungsgesetzes legte sodann Herr L u k a s dem Vereine
eine Reihe A'on Vorschlägen A'or, Avelche bei der Abänderung des
Gesetzes von ärztlicher Seite gewünscht Averden. Dieselben be¬
ziehen sich auf den Umfang der Versicherung, d. h. den Kreis der
VersicherungspliieliUgen und -Berechtigten, auf Einzelheiten in der
Gewährung der Krankenunterstützung, auf die Stellung der Aerzte
im Krankenversicherungsgesetze, endlich auf die Organisation der
Krankenkassen. Es kann hier auf das Einzelne nicht eingegangen
werden; das Ganze der Anträge stellt jedoch eine präzise Formu¬
lierung dessen vor, Avas wir Aerzte nach den schlimmen Er¬
fahrungen seit Einführung der Krankenversicherung einer Neu¬
gestaltung für ganz dringend bedürftig halten müssen. In den Be¬
richten über die Verhandlungen des deutschen Aerztetages Avird
diese Materie Avolil eine grössere Rolle spielen. Die Versammlung
nahm die von Herrn L u k a s eingebracliten Vorschläge en bloc an.
Grassm a 11 11 - München.
Auswärtige Briefe.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Wie n, 4. Juli 1902.
Ferien. — Exstirpation der ganzen Zunge und des
Zungengrundes. — Salbenbehandlung des Lupus vulgaris. —
Entfernung der Epiglottis samt aryepiglottischen Falten. —
Rezidivierende schwere Anämie. — Infantile Tabes mit
gastrischen Krisen.
Nun hat auch die Gesellschaft der Aerzte ihre gastfreund¬
lichen Pforten geschlossen und damit ist die öffentliche Kund¬
gebung klinischer Beobachtungen und Studien in unseren ärzt¬
lichen Gesllschaften für Wochen hinaus sistiert. Auch die
Aerztekammcrn und die zahlreichen Bezirksvereine, in welchen
jahrüber über sozialärztliche Interessen so wacker und leider
auch so fruchtlos verhandelt wird, haben ihre Tätigkeit einge¬
stellt und wollen dieselbe erst im Herbste wieder aufnehmen.
Pns selbst erübrigt noch, aus den wissenschaftlichen Verhand¬
lungen der letzten Wochen einiges Bemerkenswerte nachzu¬
tragen.
Da ist vorerst eine Operation des Regierungsrat Dr. G e r -
suny erwähnenswert. Er hatte einen 44 jährigen Mann wegen
8. Juli 1902,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1165
Karzinoms der Zunge schon 2 mal operiert, hatte erst eine Keil-
(»xzision des an der Zungenspitze sitzenden Neoplasmas gemacht
und später — wegen Rezidive — fast die ganze Zunge und einen
Teil des Mundbodens entfernt. Trotzdem erfolgte abermals ein
lokales Rezidiv ohne Drüsenmetastasen. Der ganze Boden der
Mundhöhle war in ein zerklüftetes, höchst übelriechendes Krebs-
gescliwür verwandelt, dessen hintere Grenze dicht an der Epi¬
glottis war; auch der Alveolarfortsatz des Unterkiefers war von
der Ulzera tion ergriffen. Nun wurden die Weichteile des Kinnes,
die Unterlippe und die Backen vom Unterkiefer abpräpariert,
ebenso nach abwärts bis zum Zungenbeine die erkrankten Teile
blossgelegt und entfernt, der ganze Kiefer bis auf einen Teil der
aufsteigenden Aeste beseitigt. Nach der Operation, welche vor
7 Wochen stattfand, sah man durch die Mundspalte hinten die
Epiglottis frei über das Zungenbein emporragen; den Boden der
Mundhöhle bildete jetzt nur die Haut der Submaxillargegend.
Einige Tage lang wurde der Operierte mit der Scblundsonde er¬
nährt, bald aber erlernte er wieder das Trinken, ja auch das
Schlucken von breiigen Nahrungsmitteln. Sein Ernährungs¬
zustand Hat sich seither wesentlich gebessert. Man hat nun ver¬
sucht, seine Kinngegend durch Paraffineinspritzungen starrer
zu machen; um ein weiteres Zurücktreten zu verhindern, eine
Prothese füllt den muldenförmigen Mundbogen aus, er soll eine
künstliche Zunge aus Weichgummi erhalten. Inzwischen spricht
der Operierte schon jetzt recht verständlich, wiewohl er einzelne
Laute nicht hervorbringen kann, er leidet aber noch daran, dass
ihm zuweilen beim Sprechen etwas Speichel aus dem Munde
läuft. Dieser Eingriff ist wohl in technischer Hinsicht ein recht
schwieriger.
Da man' in letzter Zeit so viel über Heilresultate bei Lupus
vulgaris nach Röntgenbestrahlungen liest und hört, hielt es Pro¬
fessor E h r m a n n einmal wieder für angezeigt, einen Fall von
ausgebreitetem Lupus beider Backen, der Nase, des Ohres, der
Ober- und' Unterlippe vorzustellen, welchen er durch Salben¬
behandlung geheilt hat. Der Mann ist Bauarbeiter und nur im
Sommer beschäftigt; die Behandlung fand also bloss in den
Wintermonaten der Jahre 1892 — 1896 statt. Jetzt stellte er sich
wegen eines anderen Leidens ein. E h r m a n n applizierte eine
33 proz. Resorzinpaste, 2 mal täglich, welche die lupösen Massen
zunächst in ihren oberen Schichten zu einer weissgrauen morti-
fizierten Masse verwandelte, die mit Leinen leicht abgerieben
werden kann. Geht dann die Mortifikation der Knötchen mehr
in die Tiefe, so kami man sie mit dem scharfen Löffel leicht ent¬
fernen. Die Mortifikation und die Auslöffelung sind völlig
schmerzlos (Vorzug vor anderen Aetzpasten). Von Zeit zu Zeit
lässt man unter Borsalben die Ueberhäutung eintreten, um sich
auf diese Weise von dem Fortschritte der Behandlung zu über¬
zeugen. Der vorgestellte Mann liess erkennen, dass vom Lupus
(seit 1896) bloss zwei kaum linsengrosse Knötchen vorhanden
sind, dass dagegen die grosse Narbe weich, weiss, den Mund nicht
st ringierend, dass mithin der Effekt ein vorzüglicher ist. Das
kleine Rezidiv wird bald beseitigt werden. Die Methode kann
von jedem Arzte ohne grossen Apparat angewendet werden.
Den ersten Fall von Genesung eines Menschen, dem — wegen
Karzinoms — die Epiglottis samt den anliegenden Teilen
der aryepiglottisclien Falten und des grössten Teiles des
Zungengrundes entfernt wurde, konnte Primararzt Dr. B ii -
dinger jüngst der Gesellschaft der Aerzte vorstellen. Der
Mann war schon sehr herabgekommen und Dr. Hein dl, der
ihn zuerst behandelte, entfernte vom Munde aus einen grossen
Teil der karzinomatösen Epiglottis, so dass der Mann wieder
schlucken konnte, wodurch seiii Ernährungszustand ein guter
wurde. Diesen Umstand hält Büdinger als für den Ausgang
sehr günstig. Bei der Operation wurde nach tiefer Tracheo¬
tomie und Einführung einer Tamponkanüle die Pliaryngotomia
subhyoidea ausgeführt, zunächst die Epiglottis samt Ansätzen,
dann nach medianer Spaltung des Zungenbeines ein über finger¬
breites Stück des Zungengrundes exstirpirt. Naht der Zungen¬
wunde an das Zungenbein, Einlegen eines Schlauches durch die
Nase in den Magen. Naht nur an den lateralen Wundwinkeln,
um den Sekreten leichtesten Abfluss zu verschaffen. Ersatz der
Kanüle durch eine gewöhnliche. Der Operierte stand am
nächsten Tage auf, das Rohr wurde am 4., die Kanüle am
8. Tag entfernt, die Heilung dauerte 2 Monate. Büdinger
bespricht schliesslich, wie der Operierte isst und wie er
spricht, und erwähnt, dass dessen Stimme angeblich eine
höhere geworden sei. — In der Diskussion berichtet Professor
v. Eiseisberg über seine diesbezüglichen Erfahrungen.
In der Gesellschaft für innere Medizin stellte Assistent
Dr. Robert Breuer einen seltenen Fall von rezidivierender
schwerer Anämie vor. Der 42 Jahre alte Kranke hatte 1888 eine
fieberhafte Erkrankung durchgemacht (Malaria?), litt im Jahre
1896, als er zum ersten Male auf die Klinik Nothnagels
kam, an Schwindel, Uebelkeiten, Schwäche und hochgradiger
Blässe. Der Blutbefund war der einer schweren Anämie. Systo¬
lisches Geräusch am Herzen, Milztumor. Im Stuhl und Urin
nichts Besonderes, speziell keine Darmparasiten. Nach Eisen-
und Arsenmedikation auffallende Besserung des Allgemein¬
befindens und des Blutbefundes. Ein ähnlicher Anfall schwerer
Anämie ohne erkennbare Ursache hat sich nun in den letzten
3lA> Jahren bereits siebenmal wiederholt. In Pausen von
ca. Vs Jahre tritt der Kranke mit den oben geschilderten Sym¬
ptomen in die Klinik ein, um nach 6 — 10 Wochen in sehr gutem
Zustande und arbeitsfähig entlassen zu werden. Eine Ursache
für diese Anämie hat sich auch bei dauernder genauester Unter¬
suchung nicht auffinden lassen, nur hat der Blutbefund eine
Aendcrung erfahren. Darnach handelt es sich zweifellos um eine,
schwere primäreAnämie von dem Charakter derjenigen, die in der
Regel mit progressiv perniziösem Verlaufe vorkommt. Dass in
Fällen schwerer primärer Anämie sich Remissionen, ja selbst
scheinbare Heilungen ereignen können, ist ja allgemein bekannt;
dagegen dürfte ein Fall, wie der vorgestellte, mit so häufigen
Relapsen und fast vollständigen Remissionen innerhalb kürzer
Zeit wohl zu den grössten Seltenheiten gehören.
Sodann stellte Dr. Kaufmann einen Fall von infantiler
Tabes mit gastrischen Krisen vor. Der 10 jährige Knabe hat in
seinem 5. Lebensjahre die Masern überstanden und soll sonst
vollkommen gesund gewesen sein. Vor 3 Jahren wurde Incon¬
tinentia urinae in der Form von Enuresis noturna beobachtet,
welche noch besteht, seit einem Jahre leidet er an Magen¬
beschwerden. Anfallsweise, früher seltener, in den letzten
Monaten häufiger und stärker, tritt Erbrechen auf. Alle 3 bis
4 Wochen stellen sich plötzlich ohne Gelegenheitsursache Uebel-
keit, Druck in der Magengegend, Erbrechen ein, welche 2 — 3 Tage
dauern. Er bricht in einem fort, und zwar bitter schmeckende,
grünlich gefärbte, schleimige Flüssigkeit. Ist der Anfall vor¬
über, so ist der Junge wieder vollkommen gesund, hat Appetit
und kann alles ohne irgend welche Magenbeschwerden essen.
Auf die Tabes weisen folgende Erscheinungen: vollkommene
Lichtstarre der Pupillen, träge und unvollkommene Reaktion der
Pupillen auf Akkommodation ; es besteht eine Andeutung von
Romberg, die Patellarreflexe fehlen auf beiden Beinen voll¬
kommen. Der Kranke ist schwächlich, mager, in seiner Ent¬
wicklung zurückgeblieben. Er ist wohl etwas schüchtern, ist aber
von normaler Intelligenz, kommt in der Schule gut vorwärts.
Der Vortragende scliliesst das Bestehen von Paralyse und Pseudo¬
tabes (Kalischer) aus und weist auf die Publikation von Ider-
sohn mit 6 sichergestellten Fällen hin, in welchen - Avie in
diesem Falle — die Inkontinentia urinae das erste Symptom
oder eines der ersten Symptome darstellt und dass ferner in allen
Fällen neben der Lichtstarre der Pupillen auch Akkommodations¬
starre besteht. Tn einem Falle von Didynski wird übrigens
wiederholtes Erbrechen angegeben. Das Bestehen von tabischen
Krisen bei einem 10 jährigen Knaben dürfte aber wohl zu den
grössten Seltenheiten gehören. Tn einem von Professor
Neusser beobachteten Falle hat sich die Tabes auf dem Boden
hereditärer Lues entwickelt, beim demonstrierten Knaben sind
sichere Zeichen hereditärer oder acquirierter Lues nicht vor¬
handen.
Römische Briefe.
(Eigener Bericht.)
R o m, 20. Juni 1902.
Zum Schlüsse des scholastischen Jahres.
Der Tag der letzten Vorlesung in diesem Universitätsjahr
war gekommen. B,ei uns ist bekanntlich die Einteilung der Uni-
versitätsstudieii eine andere als in Deutschland; statt der zwei
1166
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Semester haben wir das sogen, „anno scolastico“ (scholastisches
Jahr), welches im Oktober beginnt und am 15. Juni endet,
Während der Sommermonate bleiben die Hörsäle geschlossen und
die Kranken werden aus der Klinik entlassen, bczw. in das an
dieselbe anstossende Krankenhaus, welches das ganze Jahr ge¬
öffnet ist, übergesiedelt. In Deutschland bleiben statt dessen
auch die Kliniken immer besetzt und bildet, soviel ich weiss, nur
die Universität Strassburg eine Ausnahme. Ich halte unser
System für sehr gut, da während der Sommerferien auf diese
Weise alle nötigen Ausbesserungen, Veränderungen und „Gross¬
reinemachen“ in den Kliniken bequem ausgeführt werden können.
Nur die Laboratorien und Bibliotheken bleiben geöffnet, so dass
die Fleissigen, die sich auch durch die Hochsommerglut nicht
stören lassen und auf den Landaufenthalt verzichten, auch
während dieser Zeit ihrer Arbeitswut fröhnen können. Aber die
meisten Professoren, Assistenten und Studenten ziehen es doch
vor, einig'e Wochen frische Luft zu schöpfen und an der See, oder
in den Bergen etc. neue Kräfte für das kommende Arbeitsjahr zu
sammeln. Einige benützen die Zeit auch zur Vollendung be¬
sonderer Arbeiten oder zu Reisen ins Ausland, um sich dort
weiterzubilden und zu vervollkommnen. Zur letzten Vorlesung
hatte sich, wie gewöhnlich eine besonders grosse Anzahl von Stu¬
dierenden und Aerzten im Hörsaal eingefunden, um dem der¬
zeitigen stellvertretenden Leiter der medizinischen Klinik, Prof.
Rosson i, zu huldigen, der sich als bescheidener, aber tüchtiger
Lehrer die Liebe und Verehrung der Studenten in besonderem
Masse zu erwerben verstand. Einer der Studenten gab dieser Ver¬
ehrung auch sehr beredten Ausdruck und sprach in seinem und
seiner Komilitonen Namen dem Herrn Professor den wärmsten
Dank aus. Prof. R o s s o n i antwortete in väterlicher, liebens¬
würdiger Weise und gab seinen Hörern, bald jungen Aerzten,
auch einige beherzenswerte Winke für ihr künftiges Leben. Die
meisten würden doch als einfache medici condotti (Gemeinde¬
ärzte) hinausziehen müssen und hätten die Wissenschaft zu ver¬
treten inmitten einer Bevölkerung, die noch sehr von veralteten
Vorurteilen und Irrtümern erfüllt sei. LIeil sei diesen neuen
Kämpfern der modernen Kultur!
Prof. Rosson i besprach dann einen sehr interessanten
Fall von Osteom alacia bei einem jungen Mädchen mit
spezieller Lokalisation an der Wirbelsäule, welcher das ganze Bild
des Morbus Pott aufwies. Er hatte aber kaum einige Mi¬
nuten gesprochen, als uns die Freude und Ehre eines zur Zeit
leider seltenen Besuches zu Teil wurde. Se. Exz. Prof. B a c -
cell i war in unserer Mitte erschienen, um auch seinerseits den
Studenten ein Lebewohl zu sagen. Von ungeheuerem Juhel em¬
pfangen, begann er, klassisch wie immer zu seinen Jüngern zu
sprechen. Seine Rede enthielt so wichtige Leitworte für jeden
jungen Arzt, dass ich glaube, sie hier im Auszug wiedergeben zu
sollen. „Sie werden, nun bald diese Klinik verlassen und nicht
nur in direkte Berührung mit den Kranken kommen, sondern
auch nach eigenem Ermessen zu handeln und die ganze Verant¬
wortung dafür zu tragen haben. Sie sind jung, voll Mut und
Hoffnung, aber vergessen Sie nie, dass Ihre Handlungsweise eine
sehr vorsichtige sein muss. Immer wieder abwägen und nach-
denken, hundertmal naelidenken und dann erst handeln. Ich
bitte Sie, seien Sie vorsichtig ! Tota medicina pru-
dentia est. Sie werden leichten und schweren Diagnosen,
bezw. leichten und schweren Behandlungen gegenüber stehen,
aber suchen Sie immer, die Diagnose so sicher als möglich zu
stellen und dann : in certis fortiter! Sie sollen stets alle
Hilfsmittel heranziehen, die klinischen Erfahrungen und das
Laboratorium sollen Ihnen helfen. Sie sollen in allem peinlich
genau sein und nie vergessen, dass die Diagnose „suprema ratio“
der Behandlung ist. Suchen Sie deshalb immer und immer
wieder die medizinische Wahrheit, d. h. die richtige Diagnose.
Und wenn Sie dies tun werden, wenn Sie keine, auch noch so
winzige, unscheinbare Aeusserung übersehen, dann werden Sie
so wenig als möglich irren. Irren werden Sie immer, denn kein
Mensch ist unfehlbar, am wenigsten die Aerzte; der Tüchtigste
ist jener, der am wenigsten irrt. Wenn Sie aber einen Fehler be¬
gangen haben, dann haben Sie auch den Mut, ihn eiuzugestehen
und nachzuforschen, wodurch er entstanden ist, damit Sie selbst
und die andern Nutzen davon haben; denn manchmal bringt ein
gründlich erforschter Fehler der Wissenschaft mehr Nutzen, als
zehn glänzende Diagnosen. Verwenden Sie wenige Arzneien,
wenige, gut studierte Arzneien gelten mehr, als eine Masse nicht
gründlich erkannter. Seien Sie misstrauisch gegen die Flut
der neuen und neuesten Medikamente, von denen viele wie Ein¬
tagsfliegen kommen und verschwinden. Suchen Sie vor allem
die Prophylaxis immer mehr bekannt zu machen und aus¬
zubreiten und seien Sie nicht bloss Rezeptenschreiber, sondern
stets und hauptsächlich Hygienisten. Schätzen Sie die natür¬
lichen Kräfte und sorgen Sie, dass dieselben in voller Wirksam¬
keit dem Kranken helfen können. Seien Sie minister
natu r a e und beschränken Sie nie die vis medicatrix
der Natur. Erinnern Sie sich auch, dass Sie nicht nur Aerzte,
sondern Menschen sind, und stellen Sie nicht nur Ihr Gehirn,
sondern auch Ihr Herz in den Dienst der Leidenden, denn es
gibt Krankheiten, die ein freundlicher, mitfühlender Arzt am
besten heilt. Halten Sie sich stets vor Augen, dass Ihre Mission
unter den Menschen eine sehr grosse und erhabene ist. Ver¬
gessen Sie auch nie, dass Sie an mir stets einen Freund haben,
und dass Sie in meiner Klinik immer Rat und Hilfe finden.“
Ich war seltsam bewegt, als ich die Klinik verliess. An der
Engelsburg und dem alten Tiber dahinschreitend, durchzogen die
merkwürdigsten Erinnerungen mein Gemüt. Ich sah den Kon¬
trast zwischen dem Alten und Neuen, die beiden Kulturen des
Mittelalters und der Neuzeit; die letztere so ganz Arbeit und
Wissenschaft. Nirgends fühlt man diesen Kontrast so sehr, als
hier in Rom, wo eine neue, zielbewusste, lebenskräftige Genera¬
tion inmitten des Moders und der Vorurteile der älteren Zeit sich
ihr Hauptquartier bereitet. Der Meister hatte Recht, der Jungen,
die hinausziehen, harrt noch eine grosse Aufgabe. Mögen sie
derselben gerecht werden als Pioniere einer neuen, besseren Zeit
und einer besseren Kultur. In Gedanken sandte ich ihnen, den
jungen Kollegen, auch meine innigsten Wünsche. Und dann
gedachte ich auch der Freunde in Deutschland, die uns auf
diesem Wege vorangeschritten sind, und die am Schicksal unseres
teuren Italiens den wärmsten Anteil nehmen und sich unserer
Fortschritte freuen und ich grüsste auch sie zum Jahresschluss
aus Herzensgrund.
Heil Deutschland, Heil Italien immerdar.
Dr. Giovanni G a 1 1 i.
Verschiedenes.
Eine Adresse an Professor Moritz.
Die beiden grossen ärztlichen Korporationen Münchens, der
Aerztliche Verein und der Aerztliclie Bezirksverein, haben an
Herrn Professor Moritz, der durch seine Uebersiedelung nach
Greifswald während der vergangenen Osterferien München plötz¬
lich entrissen wurde, nachstehende Adresse gerichtet:
IM ii n c li e n, 20. Juni 1902.
Hochverehrter Herr Professor!
Zu Ihrer Berufung als ordentlicher Professor und Direktor
der medizinischen Klinik in Greifswald spricht Ihnen die Vor¬
standschaft des ärztlichen Bezirksvereines und des ärztlichen
Vereines München die herzlichsten Glückwünsche aus.
Mögen Sie in Ihrer neuen verantwortungsvollen Stellung
volle Befriedigung und die verdiente Anerkennung finden! Ihre
hervorragende Bedeutung als Forscher und Lehrer, Ihr freund¬
schaftliches Verhält.niss zu den Studierenden der Medizin. Ihre
kollegialen Beziehungen zu den Aerzten und Ihre eifrige Teil¬
nahme an allen ärztlichen Vereinsbestrebungen wird Ihnen,
daran zweifeln wir nicht, auch an Ihrer jetzigen Wirkungsstätte
allseitige Sympathien sichern.
Für die beiden grossen Münchener ärztlichen Vereine be¬
deutet Ihre Berufung einen schweren Verlust. Sie haben jeder¬
zeit die besten Beziehungen zu den Kollegen unterhalten, haben
sich mit grossem Eifer an der Pflege wissenschaftlichen
Strebens beteiligt und sind auch bei jeder Gelegenheit wann
und entschieden für die ethischen und wirtschaftlichen Inter¬
essen des ärztlichen Standes eingetreten.
Gerade bei Ihrer starken Inanspruchnahme als Universitäts¬
lehrer müssen wir dies doppelt anerkennen, und war wünschen,
dass überall und allezeit in akademischen Kreisen ein so reges
werktätiges Interesse den ärztlichen Vereinsbestrebungen ent¬
gegengebracht werde, wie dies von Ihrer Seite geschah.
Nehmen Sie hierfür unseren vollen aufrichtigen Dank ent¬
gegen !
Wie wir Ihrem Wirken in den beiden ärztlichen Vereinen
ein getreues Gedenken bewahren werden, wünschen wir nur,
dass auch Sie gerne an Ihren Münchener Aufenthalt zurück-
8. Juli 1902.
MÜENcHENER MEDlCiNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
1167
denken und eine dauernde geistige Verbindung mit uns unter¬
halten. Ein äusseres Zeichen derselben sei Ihnen das bei¬
liegende Diplom, das Ihre Ernennung zum korrespondierenden
Mitglied des ärztlichen Vereines München enthält.
Mit ausgezeichneter Hochachtung und in aufrichtiger Verehrung!
Der ärztliche Verein München.
Der ärztliche Bezirksverein München.
Folgen die Unterschriften.
Wir freuen uns der ungewöhnlichen aber wohlverdienten
Ehrung, welche Herrn Professor Moritz durch diese Adresse
von den Münchener Aerzten, die in den gezeichneten Vereinen
fast vollzählig vertreten sind, bereitet wird. Es trifft sich zu¬
fällig, dass wir in unserer heutigen Nummer auch die Antritts¬
vorlesung, die Prof. Moritz bei Uebernalmie der Klinik in
Greifswald gehalten hat, zum Abdruck bringen können. Die
Adresse der Münchener Aerzte liefert den Beweis, dass die schönen
Grundsätze, die Prof. Moritz dort seinen Schülern für ihr
künftiges ärztliches Leben ans Herz legt, nicht leere Worte sind,
sondern dass er während seines langjährigen Wirkens in München
stets selbst nach ihnen gehandelt hat. Welches höhere Lob
könnte einem Lehrer der Jugend gespendet werden V Möge die
Anerkennung und Hochachtung seiner Münchener Kollegen, wie
sie in der Adresse sich aussprechen, Herrn Prof. Moritz eine
Genugtuung und eine dauernde liebe Erinnerung an seine Mün¬
chener Tätigkeit sein.
Therapeutische Notizen.
Leder mann - Berlin hat das fabrikmässig hergestellte
20 proz. Bromocoll-ßesorbin in einer grösseren Versuchs¬
reihe von Pruritus nervosus jeder Art mit Erfolg angewendet. Es
handelte sich meist um Fälle von lokalem Pruritus am Anus, der
Vulva und anderen Stellen, bei denen schon alle möglichen Mittel
erfolglos angewendet waren. Bei Pruritus ani wurden gleichzeitig
Bromoeollzäpfchen (Bromocoll 1,0, Butyr. Cacao 2,0) gegeben.
Auch bei Lichen Simplex chronicus Vidal, bei Lichen ruber planus
universalis, in mehreren Fällen von Urtikaria sowie von sebor¬
rhoischem und chronischem Ekzem schwand der Juckreiz duich
das Bromocoll-llesorbin teils vorübergehend, teils dauernd. Das¬
selbe ist daher als ein brauchbares und der weiteren Anwendung
werthes Mittel zur Bekämpfung des Juckreizes bei nervösen und
chronisch-entzündlichen Hautaffektionen zu bezeichnen. (Fort¬
schritte der Medizin 1902, No. 14.) E- S.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 8. Juli 1902.
— Die tiefgehende Erbitterung, die seit geraumer Zeit in den
gebildeten Kreisen Bayerns, besonders aber in akademischen
Kreisen gegen den derzeitigen Kultusminister \ . L a n d -
mann herrscht und die bereits in einem seitens der liberalen
Landtagsfraktion in aller Form abgegebenen Misstrauensvotum
ihren Ausdruck gefunden hat, hat sich zu einer akuten Krisis zu¬
gespitzt infolge eines aus der Tagespresse als bekannt oraus-
zusetzenden Vorgangs, wobei der Minister dem Senat der Uni¬
versität Würzburg statt ihn gegen einseitige Angriffe zu ver¬
teidigen, in öffentlicher Kammersitzung Befangenheit und Mangel
an Objektivität vorwart’. Rektor und Senat der Universität \\ ürz-
burg, darunter auch die Vertreter der medizinischen Fakultät,
v. Fr ey, Hofmeier und Stöhr, haben Protest gegen diese An¬
klagen erhoben und ihre Aemter im Senat niedergelegt. Die übrigen
Professoren der Alma Julia (mit einigen wenigen Ausnahmen)
haben zu diesem Schritte öffentlich ihre Zustimmung aus¬
gesprochen. Der Ausgang dieses Kampfes kann nicht zweifelhaft
sein. Wenn alle Beteiligten einmütig zusammenstehen und an
ihrer Pflicht und ihrem gegebenen Worte festlialten, wenn ins¬
besondere auch den Würzburger Professoren die moralische und
praktische Unterstützung ihrer Münchener und Erlanger
Kollegen nicht fehlt, dann wird diesem gewaltigen Ansturm
gegenüber selbst ein so festgegründeter Ministerstuhl wie der des
Herrn v. Landmann nicht bestehen können. W enn dieser Er¬
folg erreicht wird, dann werden die bayerischen Professoren sich
ein unvergängliches Verdienst um das arg gefährdete Geistesleben
des Landes erworben haben. Wir sind überzeugt, dass mit allen
Gebildeten, soweit sie nicht durch einen besonderen Partei¬
standpunkt daran verhindert werden, nicht nur Bayerns,
sondern weit über dessen Grenzpfähle hinaus, auch die
Aerzte, denen als nächste Tat dieses Ministeriums eine
homöopathische Professur an einer bayerischen Universi¬
tät droht, sich freudig auf die Seite der Würzburger Universi¬
tät stellen werden und in dieser Ueberzeugung sprechen wir hier
den Würzburger Herren, die ohne Rücksicht auf persönliche Inter¬
essen in den Kampf um ideale Güter eingetreten sind, Dank und
Anerkennung aus und die Zuversicht, dass sie ihre gute Sache
siegreich durchführen werden. Q. d. b. v.
— Der 30. deutsche Aerztetag, der am 4. und 5. ds.
in Königsberg stattfand, ist vor allem bemerkenswert durch seine
Frequenz. Trotz der ausserordentlichen Entfernung war derselbe
mit 1G3 Delegirten stärker beschickt als irgend einer seiner Vor¬
gänger. Die steigende Frequenz der Aerztetage, noch dazu unter
so erschwerenden Umständen, ist gewiss der beste Beweis für das
zunehmende Interesse, das die deutschen Aerzte au ihren An¬
gelegenheiten nehmen. Die Verhandlungen sind unter lebhaften
Diskussionen, aber dank der eminent umsichtigen und energischen
Leitung durch den Vorsitzenden Löbker, glatt und geordnet
verlaufen. Eine etwas erregte Erörterung fand schon der erste
zur Beratung stehende Gegenstand, der zum Zwecke der Er¬
langung der Rechte einer juristischen Person ausgearbeitete Ent¬
wurf einer Aenderung der Satzungen. Besonders die Bestimmung,
dass in Zukunft nicht die Vereine oder deren Mitglieder, sondern
die Delegierten den Aerztevereinsbund bilden sollen, wurde heftig
bekämpft. Man einigte sich dahin, dass man auf Abänderungen
einzelner Bestimmungen verzichtete, der Geschäftsausschuss je¬
doch angewiesen wurde, die bis 1. November 1. J. ihm zugehenden
Anträge der Vereine nach Möglichkeit zu berücksichtigen. Wohl
mit Recht wurde (von Becker- München) darauf hingewiesen,
dass nach dem Gesetze die Satzungen eines eingetragenen Vereins
in allen einzelnen Paragraphen von der Generalversammlung ge¬
nehmigt sein müssen. Hiernach wäre es nicht zu umgehen, dass
die Frage nochmals auf die Tagesordnung des nächsten Aerzte-
tages zu setzen wäre. Ein nach Form und Inhalt glänzendes
Referat erstattete Prof. R u m p f - Bonn über die Aufgaben der
Krankenhausärzte gegenüber den Anforderungen der neuen Prü¬
fungsordnung (praktisches Jahr). Unbeschadet einiger Meinungs¬
verschiedenheiten in Einzelheiten kann man sagen, dass, wenn die
Krankenhausärzte ihre Aufgabe im Geiste des It u m p f sehen
Referates auffassen werden, die Einrichtung des praktischen
Jahres sich als eine segensreiche erweisen wird. Der Natur der
Sache nach nahm unter den Beratungsgegenständen der Bericht
der Kommission zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes
das grösste Interesse und den breitesten Raum für sich in An¬
spruch. Der von den Herren M ayer- Fürth und Höher-
Augsburg bearbeitete, im Druck vorgelegte Bericht erregte durch
seine fleissige und gründliche Arbeit allgemeinen Beifall. Kollege
Mayer hat sicli überdies durch seine, Kürze mit Sachlichkeit und
liebenswürdigen Humor mit Schlagfertigkeit in glücklichster
Weise verbindende Art als der weitaus erfolgreichste Debatter
des Aerztetages erwiesen, der stets nicht nur die Lacher, sondern
auch die Stimmer auf seiner Seite hatte. Auch der Bericht der
Kommission zur Bekämpfung der Kurpfuscherei wurde im
Wesentlichen nach den Anträgen der Kommission erledigt. Die
übrigen Punkte der Tagesordnung, darunter die so aktuelle Frage
des ärztlichen Unterstützungswesens in Deutschland mussten in
Folge der Anforderungen, welche das Vergnügungsprogramm an
die Zeit stellte, zurückgesetzt werden. Wir verkennen nicht die
Notwendigkeit, auch für das persönliche Bekanntwerden der Dele¬
gierten auf den Aerztetagen durch gesellige Veranstaltungen Sorge
zu tragen, möchten jedoch mit Rücksicht darauf, dass es sich hier
um Delegationen handelt, die ihren Auftraggebern Rechenschaft
schuldig sind über die getane Arbeit, möglichste Zurückhaltung
nahelegen. Das hindert uns natürlich nicht, mit lebhaftestem Danke
die gastfreundliche Aufnahme, welche die Stadt Königsberg und
die ostpreussischen Aerzte dem Aerztetage bereiteten, anzu¬
erkennen. Unser ausführlicher Bericht folgt in nächster Nummer.
— Der Direktor der Medizinalabteilung im preussischen Kul¬
tusministerium, Dr. Foerste r, hat dem Apotheker-Kammer¬
ausschuss eine Regierungsvorlage über Gewä li rung ei n e r
ermässigten Taxe an Krankenkassen übergeben.
Der Apotheker-Kammerausschuss wird den Entwurf den einzelnen
Kammern unterbreiten, damit diese darüber beraten. Die Ergeb¬
nisse der Besprechung sollen bis Mitte August dem Kammeraus-
schusse mitgeteilt werden. Welche Stellungnahme zu der Vorlage
seitens der Apotheken zu erwarten ist, geht aus folgendem Be¬
schluss des Kreises Potsdam des Deutschen Apothekervereins her¬
vor: „Die Versammlung spricht sich grundsätzlich gegen jeden
Rabatt auf die Arzneitaxe aus, da diese die amtlich festgesetzten,
niedrigsten Preise enthält, welche zur Lebensfähigkeit der Apo¬
theken erforderlich sind. Wird aber seitens der Regierung ein
Rabatt vorgeschrieben, so muss seitens der Apotheker verlangt
werden, dass gleichzeitig mit dieser Bestimmung angeordnet wird,
a) dass dieser Rabatt als Maximalrabatt zu gelten hat, b) dass
alle Arzneimittel für Kassenmitglieder aus den Apotheken bezogen
werden, c) dass ein Boykott einzelner Apotheken unmöglich ge¬
macht wird.“
— Das Komitee zur Veranstaltung ärztlicher
Studienreisen in Bade- und Kurorte schreibt : Das
vorläufige detaillierte Programm der diesjährigen ärztlichen
Studienreise ist fertig gestellt und von dem Generalsekretär Herrn
Dr. W. H. Gilbert- Baden-Baden oder dem I. Schriftführer,
Herrn Dr. P. M e i s s n e r - Berlin, Kurfürstenstrasse 81, kosten¬
los zu erhalten. Dasselbe bietet eine reiche Fülle von Einzel¬
demonstrationen, wissenschaftlichen Sitzungen und Besichti¬
gungen. Daneben ist für das leibliche Wohl der Teilnehmer in
mehr wie ausreichender Weise gesorgt und es wird jedem nach
Kenntnissnahme des Programms erstaunlich erscheinen, wieviel
für den geringen Preis von M. 150. — geboten werden kann. Die
offizielle Aufforderung zur Teilnahme geschieht in der zwischen
dem L und 15. Juli a. c. erfolgenden Versendung des Programms
der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Die Zahl
der Meldungen ist schon jetzt eine erhebliche und wir machen
nochmals darauf aufmerksam, dass die Teilnehmerzahl auf 400
beschränkt ist, so dass frühzeitige Anmeldung am Platze sein
dürfte.
— An der Universität Erlangen finden in diesem Jahre Ferien¬
kurse für Aerzte statt, welche am 11. September beginnen und
MtTEN CIIENER MEDiCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 2 7.
1168
ea. 6 Wochen dauern. Näheres ist aus dem Inserat in dieser
Nummer zu ersehen.
Der Geh. Medizinalrat Dr. Günther, Präsident dies
sächsischen Landesmedizinalkollegiums, tritt mit Ende dieses
Monats nach 50 jähriger Wirksamkeit in den Ruhestand.
— Die Schule für Tropenmedizin in Liverpool
wird in diesem Jahre ihre achte Expedition nach Westafrika ent¬
senden, die sich mit besonderen Studien über das Vorkommen von
Trypanosoma im menschlichen Blute beschäftigen soll.
— Pest. Italien. An Bord des mit 700 Passagieren am
2.!. Juni von Buenos Aires eingetroffenen Dampfers ,,Duca de
Galliern“ sind in Genua 2 Pestfälle festgestellt worden. Der
Dampfer wurde mit allen Passagieren nach Asinara auf Sardinien
gesandt. — Aegypten. Vom 13. bis einschl. 19. Juni wurden 4 neue
Erkrankungen (und 1 Todesfall) an der Pest angezeigt, davon 3 in
Alexandrien, 1 in Tukli. — Britiscli-Ostindien. ln der Präsident¬
schaft Bombay kamen während der am (5. Juni endenden Woche
074 Erkrankungen (und 504 Todesfälle) an der Pest zur Anzeige,
davon 124 (115) in der Stadt Bombay und 84 (09) in Stadt und Hafen
Karachi. Der Hafen von Mangalore ist regierungsseitig unter dem
9. Mai für pestverseucht erklärt. — Madagaskar, ln der Zeit vom
19. Mai bis 14. Juni sind zu Majunga insgesamt 85 Personen, da¬
runter 2 Europäer, an der Pest gestorben. — Kapland. Vom 17.
bis 24. Mai sind in Port Elizabeth 2 neue Pesterkrankungen fest¬
gestellt, ausserdem wurde ein der Pest erlegener Eingeborener
tot aufgefunden. — Queensland. Den amtlichen Ausweisen zu¬
folge sind vom 27. April bis 10. Mai 18 Erkrankungen und 6 Todes¬
fälle an der Pest, sämtlich in Brisbane, vorgekommen. — West¬
australien. Bis zum 23. Mai waren in Freeinantle 2 Personen an
erwiesener Pest erkrankt; der eine Pestkranke war am 22. Mai
uach etwa 5 tägigem Leiden gestorben. — In Kalkutta sind in der
Woche vom 18. bis 24. Mai 205 Personen an der Pest gestorben.
— Pocken. Grossbritannien. In Birmingham sind in letzter
Zeit die Pocken ebenfalls häufiger aufgetreten; bis zum 19. Juni
waren dort 47 Personen erkrankt und davon 3 gestorben. Auch
in der Umgegend der Stadt sind vereinzelte Pockenfälle beobachtet.
— In der 25. Jahreswoche, vom 15. bis 20. Juni 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit München-Gladbach mit 28,9, die geringste Hagen mit 7,4
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Scharlach in Königshütte; an Masern
in Bamberg, Mainz.
— Unter dem Titel „American Gynecology“ erscheint
vom 1. ds. Mts. ab in New York eine neue gynäkologische Zeit¬
schrift unter Redaktion der Herren Bovöe, Je wett, Noble,
Peterson und Williams.
(Hochschulnachrichten.)
Kiel: An hiesiger Universität habilitierte sich Oberstabsarzt
Dr. Reinhold Rüge für historisch-geographische Medizin. Seine
Antrittsvorlesung handelte über Malaria und Syphilis.
München. Von der medizinischen Fakultät wurde anläss¬
lich des Stiftungsfestes der Universität nachstehende Preisaufgabe
gestellt: „Deskriptiv-topographische Bearbeitung der Lymplibahnen
des Dickdarms mit Hilfe der modernen Untersuchungsmethoden“.
Die für das Jahr 1901/02 gestellte Preisaufgabe: „Experimentell¬
anatomische Untersuchungen über die Beziehungen der hinteren
Rückenmarkswurzeln zu den Spinalganglien“, die keine Bearbei¬
tung gefunden hat, wurde wiederholt.
\\ iirzl) u r g. Dr. R o s t o s k i, erster Assistent an der medi¬
zinischen Klinik, habilitirte sich mit einer Probevorlesung über den
innere Medizin.
zum
Uni-
Pro¬
gegenwärtigen Stand der Serumdiagnostik für
Die Habilitationsschrift ist betitelt: Zur Kenntnis der Präzipitine.
Barcelona. Dr. M. V a 1 1 e j o y L o b 6 n wurde zum
Professor der medizinischen Klinik ernannt.
Graz. Der Privatdozent Dr. Erwin Payr wurde
ausserordentlichen Professor für Chirurgie an der hiesigen
versität ernannt.,
Grenada. Dr. J. Pa re ja y .Garrido wurde zum
fessor der chirurgischen Klinik ernannt.
M a d r i d. Dr. S. Recasens Gerol wurde zum Professor
der Geburtshilfe und Gynäkologie ernannt.
Marseille. Professor Dr. Cousin wurde zum Professor
der operativen Medizin, Dr. Delanglade zum Professor der
externen Pathologie, Dr. O d d o zum Professor der internen und
der allgemeinen Pathologie ernannt.
(Todesfälle.)
ln Erlangen starb am 4. Juli der ausserordentliche Professor
der Ohrenheilkunde, Dr. Wilhelm Kiesselbach, 02 Jahre alt.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Befördert: der Unterarzt Dr. Maximilian Bickel im 8 Inf -
Reg. zum Assistenzarzt. Zu Assistenzärzten in der Reserve die
Unterärzte Julius Bing- Nürnberg, Friedrich Richter- Hof
Wilhelm Engelmann- 1 München, Dr. Theodor Zimmer-
m a n n - Mindelheim, Leonhard Geissend örfer- Augsbur«-
Dr. Karl Merkel -I München, Dr. Gustav Büllmann-
\\ uizburg. Dr. Hermann B o r 1 1 s c h e 1 1 e r - Ludwigshafen Dr
Siegfried P f i f f e r 1 i n g - I München. Alfons S t a if ^e r Nü nn
bor?> •1:lk,’h H i 1 z - Augsburg, Paul Eo s en thal- Bamberg; Dr.
August Bolzano- Würzburg und Dr. Josef N i r s c h 1 - 1 Mün¬
chen.
Abschied bewilligt: von der Landwehr 1. Aufgebots den
Stabsärzten Dr. Adam B a r a b o - Nürnberg, Theodor Lie¬
sch i n g - Gunzenhausen und Dr. Franz Z e i 1 1 e r - Straubing,
dem Oberarzt Dr. Friedrich Moritz- 1 München, sämtlichen mit
der Erlaubnis zum Tragen der Uniform mit den für Verabschiedete
vorgeschriebenen Abzeichen; dann von der Reserve dem Ober¬
arzt Dr. Alexander Göscliel - Ansbach; von der Landwehr
1. Aufgebots den Oberärzten Dr. Hermann Laue-I München und
Dr. Karl S c li m i 1 1 - Aschaffenburg; von der Landwehr 2. Auf¬
gebots dem Stabsarzt Dr. Alwin B a u d 1 e r - Bamberg, den Ober¬
ärzten Dr. Leo Leistikow - Aschaffenburg und Dr. Oskar
Lauer- Ansbach.
Auszeichnung: das Offizierskreuz des Militärverdienstordens
dem Oberstabsarzt Dr. 1 1 b e r g, Leibarzt Seiner Majestät des
Deutschen Kaisers, Königs von Preussen.
Ernannt: Seitens des Generalstabsarztes der Armee wurden
zu Unterärzten ernannt und mit Wahrnehmung offener Assistenz¬
arzt stellen beauftragt: die einjährig-freiwilligen Aerzte Heinrich
S c h m i 1 1 des 2. Fuss-Art.-Reg. im 17. Inf.-Reg. und Dr. Ludwig
E nders des 4. Ohev.-Reg. im 2. Ulanen-Reg.
Korrespondenz.
Aufruf an die deutschen Otologen.
Im Aufträge des stellvertretenden 1. Vorsitzenden der
(4. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Herrn
Dr. Herrmann in Karlsbad, benachrichtige ich meine Herren
Kollegen, dass bisher nur wenige otologische Vorträge angekiiudigt
sind. Es ist dringend zu wünschen, dass noch weitere Vorträge
angemeldet werden (an den Einführenden, Herrn Dr. Hni-
1 1 1 s c hk a - Neudeck bei Karlsbad), welche jedoch nicht mehr in
der zweiten Einladung aufgenommen werden können, dagegen im
lageblatt zum Abdruck gelangen werden. Gleichzeitig mache ich
diejenigen, denen dies noch nicht bekannt ist, darauf aufmerksam,
dass in Karlsbad diesmal eine Trennung der laryngologischen und
otologischen Abteilung stattfindet. A. Lucae. *
Amtlicher Erlass.
(Bayern.)
Bekanntmachung.
Die Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst im Jahre 1903 betr.
K. Staatsministerium des Innern.
Nach Massgabe der §§ 1 und 2 der K. Allerhöchsten Verord¬
nung vom 0. Februar 1S7G, die Prüfung für den ärztlichen Staats¬
dienst betreffend, wird für das Jahr 1903 eine Prüfung für den
ärztlichen Staatsdienst abgelialten werden.
Die Gesuche um Zulassung zu derselben sind unter Vorlage
der Originale des Approbationszeugnisses und des Doktor-
diploms der medizinischen Fakultät einer Universität des Deutschen
Reiches bei Vermeidung des Ausschlusses von der Prüfung spä¬
testens bis 30. September 1. J. bei jener Kreisregierung, Kammer
des Innern, einzureiclien, in deren Bezirk der dermalige Wohn¬
sitz des Gesuchstellers sich befindet.
Im Gesuche ist zugleich die Adresse für die seinerzeitige Zu¬
stellung des Zulassungsdekretes genau anzugeben
München, den 20. Juni 1902.
Dr. Frhr. v. Feilitzsch.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheitenfur München
in der 25. Jahreswoche vom 15. bis 21. Juni 1902.
- Bet®ü^Je Aerzte 143. — Brechdurchfall 18 (17*), Diphtherie u.
Kroup 6 (•->), Erysipelas 8 (8), Intennittens, Neuralgia interm.
7r u'ir r~ ^ Meningitis cerebrospin — (— ),
Morbilli 35 (22) , Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 1 (3), Parotitiß
epidem. 3 (6), Pneumonia crouposa 13 (7), Pyämie, Septikämie
1 (-), Rheumatismus art. ac. 18 (17), Ruhr (Dysenteria) 1 (-),
Scariatma 6 (7), Tussis convulsiva 38 (23), Typhus abdominalis
1 ( ), Varicellen 7 (11), Variola, Vanolois — (— ), Influenza 3 (3),
Summa lo7 (128). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 25. Jahreswoche vom 15. bis 21. Juni 1902.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen : Masern 2 (1*), Scharlach 1 (—) Diohtheris
m Kroup 2 (2) Rotlauf - (-), Kindbettfieber -(I) BlutvergSung
(Pyämie u.s. w.) - (3), Brechdurebfaü 4(3), Unterleib-Typhus - (1*
Keuchhusten 1 (l). K>oupöse Lungenentzündung 1 (2), Tuberkulose
a) der Lunge 34 (26), b) der übrigen Organe 9 (7), Akuter Gelenk-
rheamatiBmus — Andere übertragbare Krankheiten 2 (4),
Unglucksfälle 1 (4), Selbstmord 2 (3), Tod durch fremde Hand 1 (1),
, ^lGe8a™!S Ser Svterbefälle 215 (222), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 22,1 (22,8) für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 13,5 (14,5).
*) Die oittgoklanimerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Die Münch Med. Wochensctir. erscheint wöchenü. f"| T"\T/^i TTTB'\TTiIT~) Zusendungen sind zu adresslren : Für die Redaktion
ln Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen. IVI I I [V I , J— I H, H, l'v Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh-
Preis in Deutschi, u Oest.-Ungarn vierteljährl. 6 JC, -i- s v_/ J- x. J— i-i. l J— i mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
ins Ausland 8. — JC. Einzelne No. 80 •$. an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
H erausgegeben von
0. v. Angerer, Ch. Bäumler, 0. Boilinger, H. Curschmann, C, Gerhardt. W. v. Leube, G. Merkel, J. v. Michel, F. Penzoldt, H. v. Ranke, F. v. Winckel,
München. Freiburg i. B München. Leipzig. Berlin. Würzburg. Nürnberg. Berlin Erlangen. München. München.
No. 28. 15. Juli 1902.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus der II. medizinischen Universitätsklinik zu Berlin.
(Direktor: Geh. Rath Prof. Dr. Gerhardt.)
Ueber autolytische Vorgänge in Exsudaten.
Von Dr. F. Umber, Assistenten der Klinik.
Die Bedeutung der verschiedenen genuinen Eiweisskörper
für den Organismus, sowie die Art ihrer intermediären Abbau¬
stufen heim normalen Eiweisszerfall bedarf in vieler Beziehung
noch der Aufklärung. Die Untersuchungen der stickstoffhaltigen
Stoffwechselendprodukte im Urin, auf die in den letzten Jahr¬
zehnten so viel Mühe und Arbeit verwandt worden ist, und die
auch an sich manches interessante und klinisch wichtige Resultat
gebracht haben, lassen uns doch da im Stich, wo wir Aufschluss
haben wollen über die Art und Weise, wie der Körper sein Ei¬
weissmolekül verarbeitet, über die Wege des Zerfalls, die dabei
beschriften werden. Wenn wir hier klarer sehen wollen, müssen
wir uns schon daran begeben, in die intermediären Vorgänge
im Organismus und in den Organen selbst Einblick zu gewinnen.
Ein in dieser Hinsicht nicht undankbares Untersuchungs¬
material stellen aber sicherlich die eiweissreichen Exsudate der
Leibeshöhle dar, wie sie zur Untersuchung kommen bei entzünd¬
lichen Vorgängen des Peritoneums oder beim Wachsen von
Tumoren im Leibe, die die peritoneale Ueberkleidung zu aus¬
giebiger Zellvermehrung anregen. Unter diesen Umständen wird
wenigstens ein Teil der dabei auftretenden Aufbau- und Zerfalls¬
produkte der Eiweisskörper in der serösen Leibeshöhle wie _ in
einem sterilen intermediären Reservoir aufgestapelt und der
systematischen Untersuchung zugänglich werden. In dieser Ab¬
sicht habe ich im Laufe des Winters ausgedehnte Unter¬
suchungen an mehreren Serien von Exsudatflüssigkeiten vor¬
genommen, die hauptsächlich von zwei klinischen Fällen stamm¬
ten. Beide Male handelte es sich um Kranke der F rauenabteilung,
die Tumoren im Leibe hatten und die sich die ansammelnden,
sehr eiweissreichen Bauchexsudate in regelmässigen Zwischen¬
räumen auf der Abteilung punktieren liessen. Der eine der
beiden Fälle kam zur Obduktion und es wurden grosse, kontinuir-
lich von Serosa überkleidete Tumoren, zum Teil von cystiscker
Natur und fraglichem karzinomatösen Charakter gefunden.
Von dieser Kranken habe ich S Exsudate in Untersuchung ge¬
nommen, während von einer zweiten Kranken, welche Tumoren
von vermutlich tuberkulöser Natur im Leihe hatte und gleich¬
falls regelmässig punktiert wurde, 4 gleichfalls sehr eiweissreiche
Exsudatflüssigkeiten vorgenommen wurden. Sie wurden alle
nach jeder Punktion sofort frisch verarbeitet. Die ausführlichen
Resultate meiner Untersuchungen mit genaueren analytischen
bezw. elementaranalytischen Daten habe ich an anderer Stelle
niedergelegt. Hier will ich nur zunächst ganz kurz hervorheben,
welche genuinen Eiweisskörper, sowie welche intermediäre Stufen
des Eiweisszerfalles sich auf diesem Wege gewinnen liessen. Dass
sich unter den genuinen Eiweisskörpern der eiweissreichen Ex¬
sudate Albumin und Globulin nachweisen liess, entspricht be¬
kannten Tatsachen. Was sich als neu und bemerkenswert heraus¬
stellte ist, dass bei wiederholter Ansammlung der Flüssigkeit in
den Leibeshöhlen die Albuminkomponente prozentisch viel
schneller absinkt wie die Globulinkomponente, und dass demzu-
No. 28.
folge der Prozentsatz der globulinartigen Eiweisskörper, zu dem
auch das in minimalen Spuren nachweisbare Fibrinogen zu
rechnen ist, in der Gesamtmenge progressiv ansteigt. Analoge
Verhältnisse hat übrigens Burckhardt seinerzeit im
Miescher sehen Laboratorium am Blutplasma hungernder
Tiere gefunden.
Diesen bisher bekannten genuinen Eiweisskörpern eiweiss¬
reicher Exsudate gesellt sich ein weiterer eigenartiger Ei¬
weisskörper hinzu, auf dessen Vorkommen und genauere Zu¬
sammensetzung man seither noch nicht geachtet hat. Derselbe
nimmt nach seinen Eigenschaften und Elementaranalysen eine
Mittelstellung zwischen den eigentlichen Mucinen und den ge¬
wöhnlichen Eiweisskörpern ein. Den ersteren, den Mucinen, ist
er nahe verwandt, indem er durch schwache Essigsäure aus den
ursprünglichen Exsudaten gefällt werden kann und in neu¬
traler, selbst eben schwach saurer Lösung in der Siedehitze nicht
gerinnt, dagegen unterscheidet er sich in seiner Elementaranalyse,
vornehmlich seinem Stickstoffgehalt (N = 14,37 — 14,91 Proz.)
und seinem minimalen Gehalt an reduzierender Substanz recht
erheblich von den echten Mucinen. Unter Anwendung von
Optimumbestimmungen, wie sie P. Müller zur Spaltung seiner
Mucine benutzt bat, gelang es nicht einmal, eine sichtliche Re¬
duktion von P e h 1 i n g scher Lösung durch die Spaltflüssigkeit
nachzuweisen, und nur durch die Babo - Meissner sehe Mo¬
difikation der Reduktionsprobe (Nachweis der Kupferoxydul¬
verbindungen durch Salzsäure und Ferricyankalium) oder durch
Salzsäure und Rhodankalium war überhaupt eine geringe Menge
reduzierender Substanz nachzuweisen. Beim Spalten des Eiweiss¬
körpers mit Orcinsalzsäure und Extraktion mit Amylalkohol
lässt sich ein deutlicher Absorptionsstreifen im Rotgelb des
Spektrums, sowie eine mehr gleichmässige Verdunkelung weiter
nach links im Rot feststellen. Ob diese Reaktion nur durch die
Gegenwart von Pentosen oder aber auch von Glykuronsäurekom-
plexen in dem Eiweisskörper verursacht wird, lässt sich in An¬
betracht der minimalen Spuren nicht mit Sicherheit feststellen.
Es sei nur darauf hingewiesen, dass Schmiedeberg im
Chondromucin und Levene im Sehnenmucin das Vorkommen
von Chondroitinschwefelsäure nachgewiesen haben, aus welcher
Substanz sich Chondrosin, eine Anhydro-chitosamin-glykuron-
säure nach Untersuchungen im Schmiedeberg sehen Labo¬
ratorium, isolieren lässt. Freilich ist neuerdings die Existenz
dieses Komplexes wenigstens für die Ovarialmukoide in Zweifel
gezogen worden (Neuberg und Heyman n).
Der Eiweisskörper ist phosphorfrei, enthält aber ziemlich
reichlich teils nichtoxydierten, teils oxydierten Schwefel, im
ganzen 1,3 — 1,6 Proz.
In Exsudaten ist ein derartiger Eiweisskörper noch nicht
dargestellt worden. P a j k u 1 1, ein Schüler IL a m m a r -
s t e n s, scheint ihm auf der Spur gewesen zu sein, soweit sich
aus dem Referat des letzteren Autors über die in schwedischer
Sprache geschriebene Originalarbeit entnehmen lässt. P a j k u 1 1
hat darnach „in vielen Fällen“ von Transsudaten das Auftreten
einer durch Essigsäure fällbaren Substanz beobachten können,
„die keine zu der Mucingruppe gehörende Substanz ist“. Der
Autor sah sie. vielmehr nach ihrem Verhalten zur Pepsinsalzsäure
für ein Nukleoalbumin an. Möglicherweise handelte es sich also
1
1170
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 28.
hier um die von uns dargestellte Substanz, deren eigentliches |
Wesen jedoch mangels eingehenderer analytischer Untersuchungen
offenbar verkannt wurde. Unter den zahlreichen Mueinen und
muciniihnlichen Körpern, wie sie von einer nicht geringen Zahl
von Autoren bearbeitet wurden, findet unser Eiweisskörper kein
Analogon. Nur Salkowski hat vor Jahren einen ähnlichen
Körper aus dem entzündlichen Synovialerguss eines Hüftgelenkes
isoliert, den er seiner eigenartigen Beschaffenheit halber Syn-
o v i n nennt, und der mit dem unsrigen anscheinend völlig-
identisch war. Derartige Proteide scheinen aber nur da vor¬
zukommen, wo die Endothelauskleidung seröser Höhlen in Ent¬
zündung oder Umbildungsvorgängen begriffen ist, weshalb wir
auch vorschlagen, sie unter dem Namen Serosamucine )
zusammenzufassen. Die Identität dieser Serosamucine mit dem
Synovin wird vielleicht durch die entwicklungsgeschichtliche
Verwandtschaft ihrer Mutterböden erklärt. Da wo Ergüsse in den
Leibeshöhlen nur transsudativer Natur sind, also das Serosa-
endothel nur eine passive Rolle spielt, habe ich seinen Nachweis
vergeblich versucht. Deshalb halte ich es für möglich, dass dieses
Serosamucin, dessen Gegenwart leicht durch die flockige Fällung
bei Essigsäurezusatz zu dem genuinen Exsudat zu erweisen ist,
eine pathognomonische Bedeutung erlangt zur Beurteilung der
Frage, ob ein Erguss exsudativer oder transsudativer Natur ist,
was ja bekanntlich aus dem spezifischen Gewicht und dem Ei¬
weissgehalt allein nicht immer hervorgeht.
In den frisch entnommenen Exsudaten Hessen sich aus dem
enteiweissten Filtrat regelmässig primäre und gewisse se¬
kundäre Albumosen darstellen, von letzteren diejenige,
die durch % Sättigung mit Ammonsulfat ausgesalzen und als
Deuteroalbumose A bezeichnet wird, sowie die durch Ammon¬
sulfatsättigung bei neutraler Reaktion isolierbare Deuteroalbu¬
mose B. Sie unterscheiden sich in keiner Weise von den Albu¬
mosen gewöhnlicher Art, weder in ihrem chemischen Verhalten,
noch ihren Gruppenreaktionen, höchstens dass sie verhältnis¬
mässig schwefelreich sind, ähnlich wie dies von den Albumosen
des Serumalbumins bekannt ist. Die Deuteroalbumose C,
sowie die eigentlichen P eptone fehlen konstant.
Neben den erwähnten Albumosen liess sich auch das Ham¬
marsten sehe M u c o i d, aber nur in ganz geringen Mengen,
darstellen, wie es ja auch Hammarsten selbst im Aszites
exsudativer Natur gleichfalls nur in „wesentlich“ geringeren
Mengen als aus Transsudaten zu isolieren vermochte. Der vom
selben Autor mit gewissem Vorbehalt als Mucinalbumose be¬
schriebene Körper stellt zweifellos einen Teil der isolierbaren
Albumosen dar und wir vermochten daraus solche primären und
sekundären Charakters abzuscheiden.
Von Monaminosäuren waren in den erwähnten Ex¬
sudaten stets, wenn auch in geringen Mengen, Leucin und
Tyrosin zu gewinnen, neben minimalen Spuren von P u r i n -
basen. *
Wenn Diarni nosäuren überhaupt in frischen Ex¬
sudaten auftreten, so handelt es sich — wie aus den minimalen
mit Phosphorwolframsäure fällbaren Stickstoffmengen zu ent¬
nehmen ist — doch jedenfalls nur um so geringe Spuren, dass
an eine Isolierung einzelner Ilexonbasen nicht zu denken ist.
Dass die isolierten Zerfallsprodukte wirklich intermediärer
Natur waren, geht daraus hervor, das der gleichzeitige Urin
durchaus nur die gewöhnlichen Stoffwechselprodukte und nichts
von Albumosen, Peptonen oder Monaminosäuren enthielt. Wir
dürfen also jene isolierten Zerfallsstufen des Eiweisses als Zeugen
dafür aufrufen, dass der Abbau des Eiweissmolekiiles auch unter
normalen Umständen im lebenden Körper allemal über dieselben
Stufen geht, wie wir sie bei unseren künstlichen fermentativen
oder chemischen Eiweisspaltungen auftreten sehen.
Damit stehen auch die Resultate, die uns die Unter¬
suchungen der letzten Jahrzehnte über die Vorgänge der Auto¬
digestion der Organe gebracht haben, in vollem Einklang. Sie
gehen bekanntlich aus von den grundlegenden Beobachtungen
Salkowslcis von dem postmortalen fermentativen Zerfall der
Eiweisskörper in Leber und Muskel.
’) Die ausführliche Publikation und Mitteilung der analytischen
Daten dieses Körpers wird an anderem Orte erfolgen.
Erweiterte Untersuchungen in dieser Richtung haben ge¬
zeigt, dass vornehmlich unter Bedingungen abnorm gesteigerter
Ei Weisszersetzung im Körper, wie in der Leber bei Phosphor¬
vergiftung (J akob y), bei krebsigem Zerfall der Gewebe
(Petry) oder bei Lösungsvorgängen pneumonischer Infiltrate
(F. Müller und O. Simon) sich gewisse Eiweisszerfallspro¬
dukte unschwer in beträchtlicherem Umfang isolieren lassen, wie
sie auch bei digestiver Spaltung zu fassen sind. Verhältniss-
mässig leicht gelingt die Darstellung solcher Spaltprodukte, wenn
man diese Zerfallsvorgänge an den Organen post mortem bei
Bruttemperatur, unter Ausschluss von Bakterien- und Zell¬
wirkung, durch Chloroform- oder Toluolzusatz weitererhält. Da¬
bei kommt eine gewisse Anhäufung der entstehenden Produkte
in vitro der Untersuchung zu statten. Im lebenden Körper, der
unter den Gesetzen derartig krankhaft gesteigerten Eiweiss¬
zerfalles steht, wird die Gewinnung der dabei entstehenden
Lösungsprodukte im Allgemeinen dadurch sehr erschwert, dass
dieselben eben ununterbrochen weitergespült werden, in dem
Masse, als sie entstehen. Nur Momente, die auch intra vitam
eine Ansammlung, eine Aufstapelung derselben am Orte ihrer
Entstehung ermöglichen, setzen uns in die Lage, auch intra Cor¬
pus das Entstehen dieses löslichen Autodigestionsprodukts wenig¬
stens teilweise zu beobachten.
Dass auch in normalen Organen, die nicht unter den Zeichen
abnorm gesteigerten Eiweisszerfalles stehen, bei postmortaler
Autodigestion gewisse Abbauprodukte des Eiweisses auftreten,
die mit Sicherheit Sprengungen des Moleküles im Sinne be¬
kannter Fermentspaltungen erweisen, haben Untersuchungen von
LI e d i n und Roland an der Milz, Nieren, Lymphdrüsen, von
J akob y an der normalen Lunge von Kutscher an der
Thymus und von Salkowski an der Galle gezeigt, und wir
haben bereits gewisse Anhaltspunkte dafür, dass auch für den
Zerfall im normalen Organismus ähnliche Zerfallsgesetze gelten.
Ich erinnere nur an die Versuche Jacobys in denen er nach
Unterbindungen gewisser Gefässbezirke in der lebenden Leber
in denselben Leucin und Tyrosin nachweisen konnte. Auch
F. Mülle r kommt bereits auf Grund seiner vortrefflichen Stu¬
dien über die Lösungsvorgänge bei der Pneumonie zu der Vor¬
stellung, dass auch im Stoffwechsel des lebenden Körpers das Ei-
weissmolekül zu denselben intermediären und Endprodukten ge¬
spalten werde wie bei der künstlichen Aufspaltung. Durch
unsere Ergebnisse bei der Untersuchung eiweissreicher frisch¬
gewonnener Exsudate der Leibeshöhlen, in denen also die Pro¬
dukte des intermediären Eiweisszerfalles gewissermassen wie in
einem sterilen Reservoir intra vitam aufgefangen und dank der
dabei nur in erheblich verlangsamtem Masse zur Geltung kom¬
menden Resorptionsvorgänge aufgestapelt worden sind, erhalten
diese Vorstellungen eine wichtige Stütze.
Es erhebt sich nun die Frage, können wir gewisse Anhalts¬
punkte dafür gewinnen, welcher Natur die eiweissabbauenden
Kräfte in unseren Exsudaten sind? Wenn hier ähnliche Momente
eine Rolle spielen, wie bei den erwähnten autodigestiven Vor¬
gängen an den Organen, dann müssen die Zerfallsvorgänge au
diesen eiweissreichen Exsudaten auch fortdauern, nachdem sie
den lebenden Körper verlassen haben ! Es gelang nun
auch tatsächlich in den unter völlig sterilen
Kautelen entnommenen ei weissreichen Ex¬
sudaten im Brutschrank unter Toluolzusatz
eine Fortdauer des Eiweisszerfalles nachzu¬
weisen.
Die Versuchsanordnung war folgende: Bei der unter asep¬
tischen Kautelen unternommenen Bauchpunktion wurde 1 Liter
Exsudat direkt aus dem Troikart in dampf sterilisierte, mit
sterilem Wattepfropf verschlossene Kolben einlaufen gelassen,
reichlich Toluol zugesetzt, durchgeschüttelt und sodann die Kol¬
ben mehrere Tage in den Brutschrank gestellt. In dieser Flüssig¬
keit, die sich allemal in eine weisse Milch verwandelte, wurden
dann in je 25 ccm direkte Gesamtstickstoffbestimmungen vor-
genommen, Stickstoffbestimmungen im subtil enteiweissten Fil¬
trat und Ammoniakbestimmungen nach S c h 1 ö s i n g. Von
sämtlichen Bestimmungen wurden gleichzeitige Kontrollbestim-
mungen gemacht. Die dabei erhaltenen Resultate wurden mit
den in genau derselben Weise ausgeführten Bestimmungen in
frischen Exsudatportionen vor der Autodigestion in Vergleich
.5. Juli 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1171
gesetzt. Der TJebersichtlichkeit halber stelle ich die Resultate
tabellarisch zusammen : |
100 ccm Exsudat von Fall 1.
I
II*)
III
IV
V
Gesamt -N
koa-
gulables
Eiweiss
gelöster N
Ammoniak-
N
Proz. des
Ammoniak-
N vom
Oes amt- N
g
g
g
g
Vor der Auto-
digestion . . .
0,495
2,77
0,0515
0,0085
1,13
Nach der Auto-
digestion . . .
0,494
2,71
0,0590
0,0142
2,4
100 ccm Exsudat von Fall 2.
Gesamt-N
koa-
gulables
Eiweiss
gelöster N
Ammoui ik-
N
p- 07. des
Ammoniak-
N vom
Gesamt-N
g
g
g
g
Vor der Auto-
digestion . .
0,857
5,137
0,0352
0,0234
2,25
Nach der Auto-
digestion . . .
0,857
5,037
0,0515
0,0418
4,i 2
Diese Tabellen sprechen mit bemerkenswerter Deutlichkeit
aus, dass bei der Autodigestion der Exsudatflüssigkeiten zunächst
der Gesamtstickstoff völlig unverändert bleibt. Hingegen zeigen
die koagulierbaren Eiweisskörper allemal eine
deutliche Abnahme bei entsprechender Zu¬
nahme des gelösten nichtkoagulierbaren
Stickstoffs. Erstere setzen sich nach unseren eingangs kurz
erwähnten Untersuchungen zusammen aus Serumglobulin,
Serumalbumin, Spuren von Fibrinogen und Serosamucin. Letz¬
teres ist zwar in reiner Lösung in der Siedehitze nicht gerinn¬
bar, wird aber beim Kochen in Gegenwart anderer Eiweisskörper
— gerade wie das Synovin — mitgefällt, ist also in der Berech¬
nung der koagulablen Eiweisskörper mit zu veranschlagen. Zu
den gelösten, d. h. nicht koagulablen stickstoffhaltigen Sub¬
stanzen gehören, wie wir sahen, in erster Linie primäre und ge¬
wisse sekundäre Albumosen, Leucin und Tyrosin. Diese Abbau¬
produkte des Eiweisses nehmen also bei der Autodigestion der
Exsudatflüssigkeiten zu, wobei die Yer m ehrung des Am¬
moniaks tick Stoffs, der einen Bruchteil dieses gelösten
Sticktoffs darstellt, besonders in die Augen springt. Dieselbe
muss natürlich auf Kosten des festgebundenen Stickstoffes ein¬
hergehen. Der Ammoniak steigt, wie aus unseren Ta¬
bellen ersichtlich ist, in seinem prozentischen Ver¬
hältnis zum Gesamt - N fast auf das doppelte.
Das entspricht den Beobachtungen, die auch J akoby bei
der Autolyse der Leber, sowie Salkowski bei der Auto¬
digestion der Galle gemacht haben. Aus der Art der Versuchs¬
anordnung geht hervor, dass diese postmortalen Lösungsvorgänge
der genuinen Eiweisskörper der Exsudates auf der Wirkung von
Fermenten beruhen müssen, die in löslicher Form in den Ex¬
sudaten wirksam sind. Ob wir auf die Tätigkeit derartiger Fer¬
mente die Entstehung der gesamten löslichen Spaltprodukte
der Eiweisskörper in den Exsudaten intra vitam zurückführen
dürfen oder ob ein Teil derselben auch das Produkt aktiver
Zellarbeit ist, ist damit nicht unbedingt erwiesen. Jedoch fragt
es sich, ob wir überhaupt einen tiefergreifenden Unterschied
zwischen Zellwirkung und Fermentwirkung machen dürfen ! Er¬
innern wir uns der jüngsten Ausführungen Hofmeisters
über die chemischen Kräfte in der Zelle, in denen er betont, dass
wir nicht weniger als 10 verschiedene Fermente aus der Leber¬
zelle darzustellen vermögen!
In den vorliegenden Untersuchungen spielen die primären
albumosenartigen Zerfallsstufen quantitativ durchaus eine be¬
herrschende Rolle unter den löslichen Zerfallsprodukten, während
z. B. F. Mülle r, J akoby u. a. vorwiegend tiefere Stadien
des Zerfalles isolierten, und ich meine, man kann sich des Ein-
*) Rubrik: koagulables Eiweiss ist berechnet ans der
Multiplikation der Differenz von Gesaint-N und gelöstem N mit
dem Faktor 6,25.
drucks nicht erwehren, dass bei dem Abbau des Eiweissmolekiiles
im Körper ein gewisses gesetzmässiges, stufenweises Ineinander¬
greifen einer sozusagen fraktionierten Fermentwirkung eine
Rolle spielen muss, wie wir sie auch im Darmkanal in der Reihe
Pepsin, Trypsin, Erepsin (C o h n h e i in) heute kennen.
Aus der II. internen Klinik der Königl. ung. Universität zu
Ofen-Pest (Direktor: Kgl. Hofrath Prof. Carl v. Ketly).
Ueber die Serumdiagnose der Tuberkulose.
Von Dr. F ranz v. Gebhardt und Dr. Arpädv. Torday.
Bei der Therapie der Tuberkulose weist die klimatisch¬
hygienische Heilmethode noch immer die grössten Erfolge auf;
nach Friedrich v. Koränyi beträgt die Zahl der geheilten
Fälle 25 bis 30 Proz. Der Grund, warum die Zahl der geheilten
Fälle doch verhältnismässig so niedrig ist, liegt darin, dass das
klimatisch-hygienische Heilverfahren nicht überall anwendbar
ist, und zwar einerseits aus pekuniären Gründen, andererseits,
weil der Arzt die Tuberkulose oft erst in einem Stadium zur Be¬
handlung bekommt, wo die pathologischen Veränderungen der
Lunge schon zu sehr vorgeschritten sind. Ein anderesmal meldet
sich der Kranke zwar früh genug, und einzelne Frühsymptome —
Blutarmut, Herzsensationen, Verdauungsstörungen etc. — sind
zeitig genug konstatierbar; Tuberkulose kann aber wegen Mangel
physikalischer Erscheinungen nicht angenommen werden.
Der Nachweis der Koch sehen Bazillen im Sputum ist der¬
zeit auch nur das einzig sichere Zeichen der tuberkulösen Er¬
krankung der Lunge; wie oft uns aber die auch in dieser Rich¬
tung vorgenommene wiederholte und gewissenhafte Unter¬
suchung, trotz dem Vorhandensein physikalischer Symptome,
im Stiche lässt, ist allgemein bekannt. Da die Therapie nur dann
von Erfolg gekrönt sein kann, wenn die Tuberkulose auch früh
genug erkannt wird, und da wir heute noch keine sichere Methode
besitzen, um dies zu erreichen, so ist in dieser Richtung jedes
Experiment und jede Forschung gerechtfertigt und willkommen.
Seit der Entdeckung R. Kochs wurde das Tuberkulin öfters
zu diagnostischen Zwecken verwendet, man spritzte /4 — Ms — 1 mg
unter die Haut, worauf sich bei dem tuberkulösen Kranken
Fieber, vermehrte Bronchialsekretion und Verbreitung
der Dämpfungsstellen als Reaktion cinstellte. Weil das Fieber
sich auch bei auf Tuberkulose Verdächtigen einstellte, bei denen
man physikalische Symptome nicht nachweisen konnte, glaubte
man, dass durch die subkutane Injizierung des Tuber¬
kulins die Frage der Diagnose der schleichenden Tuberkulose
erledigt sei. Aber wie es sich bei späteren Forschungen heraus¬
stellte, kann die Reaktion auch bei anderen Krankheitszuständen
und bei ganz gesunden Personen auf treten; einige machen sogar
auf ihre schädlichen Folgen aufmerksam.
Der VI. internationale ärztliche Kongress sagt zwar, dass
man sich gegen den allgemeinen Gebrauch des Tuberkulins nicht
verwahren kann, doch scheint es nicht ausgeschlossen zu sein
und ist nicht erwiesen, dass der Gebrauch des Tuberkulins für
den Kranken so ganz ohne Gefahr wäre, und lässt es einerseits
die ärztliche Gewissenhaftigkeit, anderseits in der Praxis die
Furchtsamkeit des Kranken nicht zu, das Tuberkulin zur früh¬
zeitigen Diagnose der Tuberkulose allgemein anzuwenden.
Com bemale und Mouton spritzten ein künstlich her-
gestelltes Serum — Natrium phosphoricum und Kochsalzlösung
— dem Tuberkuloseverdächtigen unter die Haut und gewahrten,
dass bei Tuberkulose eine Temperaturerhöhung erfolgte, welche
bei Gesunden oder mit anderen Krankheiten Behafteten nicht
vorkommt. Kontrollierende Versuche wurden in dieser Richtung
bis dato nicht vorgenommen.
Eine andere Methode ist die Serumdiagnose der
Tuberkulose.
S. A r 1 o i n g [1] hat nämlich im Jahre 1898 nachgewiesen,
dass im Blute Tuberkulöser sich ein Stoff befindet, welcher
K o c h sehe Bazillen zuagglutinieren vermag. Seine Ver¬
suche stellte er mit der homogenen Bouillon-Glyzerinkultur an.
Diese wurde von ihm so hergestellt, dass er den Auswurf tuber¬
kulöser Personen in die Schenkel von Meerschweinchen injizierte,
in einigen Wochen das Tier schlachtete und aus den tuberkulösen
Drüsen Strichkulturen auf Kartoffeln anlegte. Wurden die Kar¬
toffeln bei 38 0 gehalten, so erschienen die Kolonien in der Form
1*
1172
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 28.
von ziegelroten Knötchen. Von diesen impfte dann Arloing
in 6 proz. Bouillon glyzerin; die auf diese Art hergestellten
Kulturen bewahrte er durch tägliches Schütteln vor Trübung
und so wurden die Kulturen zu homogenen.
Arloing [2] impfte anfangs Tiere mit Tuberkulin oder
Tbc. -Kulturen und beobachtete so, dass das Blutserum eines
solchen Tieres die Bazillen der homogenen Kultur auch bei
stärkerer Verdünnung agglutiniert, als dasjenige eines gesunden
Tieres, weiterhin, dass diese Agglutinierungsfähigkeit auch auf
die Wirkung chemischer Stoffe — Guajakol, Kreosot, Eukalyptol,
Sublimat — eintritt, obzwar mit geringerer Energie.
Später setzte er seine Versuche mit menschlichem Serum
fort und fand, dass das Blut mit frischer Tuberkulose behafteter
Menschen eine ebensolche agglutinierende Wirkung besitzt, als
dasjenige von mit Tuberkulin oder tuberkulöser Kultur ge¬
impften Tieren.
Nach Arloing ist die Agglutinierungsfähigkeit keine
spezifische Eigenschaft in der Diagnose der Tuberkulose, ist aber
bei verdächtigen Fällen trotzdem verwendbar. Die Ausführung
geschieht folgendermassen : Das aseptisch von der Fingerspitze
der zu Untersuchenden gewonnene Blut wird in Reagensgläsern
von 5 — 6 cm Länge und 0,5 cm Durchmesser gesammelt, diese
werden schräg aufgestellt und nun abgewartet, bis sich das Serum
an der Oberfläche sammelt; wenn dies nicht bald eintritt, nimmt
man den Zentrifugierapparat in Anspruch. Nunmehr wird mittels
einer Pipette Arloing sehe Homogenkultur in 4 kleine Rea¬
gensgläschen getropft; diese werden nebeneinander gestellt, dann
mittels einer anderen Pipette reines, durchsichtiges Blutserum
aufgesaugt und aus derselben tropfenweise in die Reagens¬
gläschen gebracht, so dass auf 5 — 10 — 20 Tropfen homogener
Kultur ein Tropfen des Blutserums kommt; in dem 4. Reagens-
glas bleibt die reine Kultur zum Vergleichen.
Die Reaktion ist positiv, wenn im Reagensglas
makroskopisch sichtbare Trübung eintritt, welche sich in
kurzer Zeit zu Boden setzt, während sich der obere Teil aufhellt
(Klarifikation), oder wenn man bei mikroskopischer Untersuchung
eines Tropfens des Inhaltes die Koch sehen Bazillen agglutiniert
vorfindet.
NegativistdieReaktion, wenn eine makroskopische
Trübung nicht eintritt und die Bazillen im Verlaufe von
5 Stunden nicht agglutinieren.
Man muss homogene Kulturen von gleichem Alter und Viru¬
lenz nehmen. Arloing nahm aus einer 1 monatlichen Kultur
1--2 Oesen und hielt das Bouillonglyzerin durch 8 — 12 Tage
auf 38—39° C. Weiterhin müssen Bazillen in genügender Zahl
vorhanden sein und es muss stets von der Oberfläche der homo¬
genen Kultur genommen werden, denn am Grunde sind gewöhn¬
lich schon trübe Knoten angesammelt.
Arloing und C o u r m o n t [3] machten Versuche in
352 Fällen.
1. Von diesen litten 191 Kranke an klinisch konstatierter
Tuberkulose, positiv war die Reaktion in 168 Fällen (87,9 Proz.),
negativ war sie bei 23 Fällen (12,1 Proz.).
2. Es wurden 130 klinisch nicht konstatierte tuberkulöse In¬
dividuen untersucht, von diesen war die Reaktion positiv in
45 Fällen (34,6 Proz.), negativ in 85 Fällen (64,4 Proz.).
3. Scheinbar gesunde Personen wurden in 41 Fällen unter¬
sucht, von diesen war dieReaktion positiv in 11 Fällen (26,8 Proz.),
negativ in 30 Fällen (73,2 Proz.).
Dass bei den klinisch erwiesenen Tuberkulösen in 12,1 Proz.
der Fälle die Reaktion negativ war, kommt daher, dass in dieser
Nummer auch die schweren Fälle inbegriffen sind, bei welchen
die Reaktion regelmässig nicht eintritt. Die beginnenden Fälle
und diejenigen mittleren Grades geben die Reaktion gewöhnlich,
die schweren Fälle aber nicht.
Nach Arloing kann aus der Reaktion auch die Prognose
bestimmt werden, denn die sich bessernden schweren Fälle geben
die Reaktion wieder.
Bei den klinisch nicht tuberkulösen Kranken war die Re¬
aktion in 34,6 Proz. der Fälle positiv; diese grosse Zahl zeigt
die Fälle der schleichenden Tuberkulose an, bei welchen die Ob¬
duktion sehr oft die Richtigkeit der Annahme bestätigte.
Schliesslich gaben die anscheinend gesunden Personen in
26,8 Proz. der Fälle positive Reaktion; dies würde der Reaktion
in praxi den grössten Wert sichern, denn sie würde uns ermög¬
lichen, nach der Herkunft der schleichenden Tuberkulose zu
forschen und die betreffenden Personen früh in Behandlung zu
nehmen und so die schnelle Ausbreitung der Krankheit zu ver¬
hindern.
Diese durch Arloing [4] auf dem Kongresse in Mont¬
pellier (1898) vorgetragene neue Methode erweckte überall leicht¬
verständliches lebhaftes Interesse und eiferte die Gelehrten zu
neueren Untersuchungen an.
Gelobt wurde die Methode durch M o n g o u r und
Buard [5], Rothamel [6], Dubard [7], Ferre und
Mosny [8], es beschäftigten sich mit ihr Knopf [9],
Ferran [10], F raenkel [11] und vom chirurgischen Stand¬
punkte Clement [12] . B e n d i x [13] untersuchte auf der
Klinik v. Leydens in Berlin das Blutserum von 40 Personen
mit den A r 1 o i n g sehen Homogenkulturen; 39 unter ihnen’
waren tuberkulös und in 28 Fällen trat positive Reaktion ein.
Dies wurde durch die Untersuchung des Auswurfes in allen
Fällen bestätigt; daraus folgert er dann, dass das Verfahren zur
rechtzeitigen Erkenntnis und Andeutung der Tuberkulose ge¬
eignet sei. Beck und Rabinowitsch [14] untersuchten
die agglutinierende Fähigkeit des Blutserums von 73 Individuen
und zwar mit Arloing sehen Homogenkulturen. Nach diesen
Autoren besitzt die homogene Kultur nicht dieselben Eigen¬
schaften wie der gewöhnliche Koch sehe Bazillus, er bildet näm¬
lich auf Agar einen schmutzigen Belag, das 6 proz.
Bouillonglyzerin wird von ihm schnell getrübt, er vermehrt sich
schnell auch in nicht glyzerinhaltiger Bouillon und sogar die
Virulenz der Kultur ist kleiner. Während der Agglutination bil¬
den die Bazillen zwar Knoten, aber einige bleiben
trotzdem vereinzelt stehen. Nebenbei bekamen Beck
und Rabinowitsch zwar positive Reaktion bei beginnender
Tuberkulose, diese positive Reaktion zeigte sich
aber auch bei ganz anderen Erkrankungen
(Pneumonie, Bronchitis, Rheumatismen).
Durch Arloing und Courmont [15] wird anerkannt,
dass die homogene Kultur einigermaassen von der Kultur der
normalen Tuberkulosebazillen abweicht und sie betrachten jene
als eine Varietät der Kultur der Tuberkulosebazillen.
Jedoch in Tiere eingeimpft gewinnt sie nach und nach ihre
ganze Virulenz zurück und gedeiht wieder fernerhin ganz in der
Weise, wie der gewöhnliche Koch sehe Bazillus.
Sie behaupten, dass es von Beck und Rabinowitsch
ein Fehler gewesen sei, zuerst die Tuberkulinreaktion
bei Kranken anzuwenden und erst dann die Serumdiagnose,
denn nach Arloing konnte dies ihre Resultate beeinflussen.
Wir befassen uns auch schon seit einem Jahre mit der Serum¬
diagnose. Während dieser Zeit untersuchten wir im ganzen das
Blutserum von 176 Personen mit der homogenen Kultur
Arloing s. Wir bezogen die homogene Kultur direkt vom Er¬
finder und erhielten durch Weiterimpfung in 6 proz. Bouillon¬
glyzerin unsere homogenen Kulturen.
In unseren Fällen war die Tuberkulose bei 75 In¬
dividuen klinisch erwiesen. Von diesen war die Re¬
aktion 56 mal (=74,7 Proz.) positiv, 19mal negativ (=25,3 Proz.);
nicht tuberkulöse Fälle hatten wir 96, deren Blut¬
serum in 35 Fällen positive (=34,5 Proz.), in 61 Fällen negative
(= 64,5 Proz.) Reaktion ergab.
Ganz gesunde Personen, bei denen gar kein Uehel konstatier¬
bar war, untersuchten wir nur in 5 Fällen, von denen in 3 Fällen
ebenfalls positive Reaktion erfolgte.
Im Laufe dieser Versuche überzeugten wir uns, dass die Er¬
zeugung und das im stände halten der homogenen Kultur mit
Schwierigkeiten verbunden ist.
Die Geduld wird oft auf harte Probe gestellt, wenn die schon
beinahe durchsichtige Kultur auf einmal trübe und zu weiterem
Experimentieren unbrauchbar wird. Wir müssen aber kon¬
statieren, dass in jenen Fällen, wo wir die Reaktion als positiv
bezei ebneten, dieselbe mikroskopisch ganz in derselben Weise ver¬
lief, wie es die Erfinder beschrieben, aber unter dem Mikroskope
fanden wir trotzdem einige vereinzelt
stehende, nichtagglutinierteBazillen. Bei den
klinisch als tuberkulös erwiesenen Kranken
bekamen wir in 25,3 Proz. der Fälle negative Reaktion, obzwar
15. Juli 1902.
an vorgeschrittener Tuberkulose nur 3 litten, bei den anderen in
diese Kategorie eingereihten 75 Fällen konnten wir die Anfangs¬
symptome der Tuberkulose konstatieren. Zwar untersuchten wir
nicht in sämtlichen Fällen das Sputum, weil die Kranken
a m b u 1 a n t waren, als wir uns aber später, als der Prozess vor¬
geschritten war, von der Richtigkeit der Diagnose überzeugten,
blieb die Reaktion immer noch negativ.
Bei den klinisch nicht tuberkulösen Fällen
bekamen wir bei 34,5 Proz. positive Reaktion. Wenn wir auch
annehmen, dass unter diesen Fällen viele latente Tuberkulose
waren, so ist es doch auffallend, dass in dieser Kategorie die
positiven Reaktionen sich auf solche Kranke beziehen, welche
meistens über subjektive Beschwerden klagten, welche mit der
Tuberkulöse gleichzeitig sehr selten auftreten (Carcinoma ventri-
culi, Morb. Basedowii, Leukämie etc.).
Zweifellos ist, dass die positive Reaktion öfters auch bei
Fällen von beginnender Tuberkulose nicht zu be¬
kommen und andererseits gibt auch das Serum
scheinbar gesunder Individuen und solcher,
die an a n dere n Krankheiten leide n, die posi¬
tive Reaktion, wie dies F raenkel neuerdings den
Typhus betreffend auch nachgewiesen hat. Vielleicht wird
dies durch die bisher uns unbekannte Eigen¬
schaft des die Agglutination verursachenden
Stoffes hervorgebracht. Dass die Agglutination auch
bei positiver Reaktion nicht immer vollkommen ist, das wissen
wir. Es ist möglich, dass ein anderer Faktor, wie ihn A r 1 o i n g
für das Tuberkulin schon bestimmte, den aggluti-
nirenden Stoff des Blutserums beeinflusst. Allerdings sollte man
untersuchen, ob nicht gewisse Zustände des Blutes, Erkrankungen
desselben, die Reaktion beeinflussen können. Das Blutserum
eines Leukämikers muss ja unbedingt von anderer
chemischer Zusammensetzung sein, als das eines Karzinomatösen,
und trotzdem bekommen wir bei beiden positive Re¬
aktion.
Wir müssen betonen, dass sich unsere Ansichten nur auf
die von uns kultivierten Arloingschen homo¬
genen Kulturen beziehen. Denn es ist möglich, dass
man andere Resultate bekommt, wenn man immer mit originalen
Kulturen arbeitet. Es ist eben der grösste Fehler, dass die
Autoren nicht immer mit derselben, ständigen homo¬
genen Kultur arbeiten, welche, wenn sie auch Koch sehe
Bazillen enthält, doch sich nicht immer so verhält, wie die Kul¬
turen echter Koch scher Bazillen. Vielleicht beruhen die auf
die Rechnung der Serumdiagnose geschriebenen, abweichenden
Resultate auf diesem Umstand. Nach unserer Meinung wäre d'i e
Vereint achun g d e r M ethode, mit welcher A r 1 o i n g
und Cour m ont die Wissenschaft zweifelsohne um viele
Schritte vorwärts gebracht haben, die erste A u f g a b e, um
sie in praxi leichter ausführen zu können.
Das oben Gesagte zusammenfassend, können wir behaupten:
1. Das Blutserum der an erwiesener Tuber¬
kulose Leidenden hat unsere homogenen Kul¬
turen, zwar nicht in allen Fällen, aber d o c h
meistens agglutinier t..
2. Diese Agglutination ist aber für die
Tuberkulose nicht von spezifischer Bedeu-
t u n g, denn sowohl das Blutseru m d e r a n
anderen Krankheiten Leidenden als dasjenige
gesunder Individuen gibt auch positive Re¬
aktion.
Literatu r:
1. S. Arloing: Agglutination du bacille de la tuberculose
vraie. Compt. rendus, Paris 1898. — 2. 8. Arloing: Apposition
dans le serum sanguin, sous rintlueuce de produits chimiques,
d’une matiere capable d’agglutiner le bacille de la tuberculose
vraie. C. R. de l’Acad. de scienc. Paris 31. mal 1898. — 3. S. Ar¬
loing et Paul Courmont: De l’obtention des cultures du ba¬
cille de Koch les plus propeces ä belüde du phenomeue de l’agglu-
tination par le serum sanguin des tuberculeux C. R. de l’acad. des
scienc. 19. sept. 1898. — 4. S. A r 1 o i u g: Agglutination du bacille
de Koch par le serum sanguin des tuberculeux. Congr. de med.
interne Montpellier 1898. — 5. Mongour et Buard: Soc. de
biol. 17. juin et 20. dec. 1899, Journ. de med. de Bordeaux 17. dec.
1898 et 9. juillet 1899. — 6. Bothamel: Agglutination du bacille
de la tuberculose primfipalement ehez les tuberculeux cachectiques,
Thöse de Bordeaux 1899. — 7. Duba r d, cit. de Arloing et Cour-
No. 28.
1173
mont: Extrait de la Gazette des höpitaux du 1. dec. 1900. _
8. F e r r e et Mosny: Congr. intern de Paris 1900. — 9. K n opf:
Early recognition of pulmonary tuberculosis. Journ. of the Arner.
med. Assoc. 1899. — 10. Ferrari (de Barcelona), cit. de Arloing
et Courmont. -11. Fraenkel: Hygien. Rundschau, 10. Juli 1900.
— 12. Clement: Contribution ä 1‘etude du sero-diagnostic de la
tuberculose son application aux cas de tuberculose chirurgicale.
These de Lyon 1900. — 13. Bend ix: Serodiagnose der Tuber¬
kulose. Deutsche med. Wochensehr. 1900, 224. — 14. Beck und
Rabino witsch: Deutsche med. Wochenschr. 1900, 25. —
15. Arloing et Cour mont: Sur la valeur de la sero-reaction
pour le diagnostic precoce de la tuberculose. Presse med. 1900,
73. Deutsche med. Wochenschr. 1900, 48.
Zur spezifischen Behandlung der Tuberkulose.*)
Von Sanitätsrat Dr. Hager in Magdeburg N.
M. H.! Den medizinischen Forschungen und Entdeckungen
der letzten Jahrzehnte gelang es nicht nur, eine Reihe von früher
bekannten Infektionskrankheiten auf eine ätiologisch sichere Rasis
zu stellen, sondern auch eine Reihe anderer Krankheiten, wie
z. B. Pneumonie und Tuberkulose, erst als Infektionskrankheiten
zu erkennen.
Diese Entdeckungen, welche wir der Bakteriologie verdanken,
hatten im Gegensatz zu früheren Fortschritten im Erkennen des
Wesens der Krankheiten für den Praktiker den einen Vorzug, dass
sie ihn nicht vollständig wehrlos den Krankheiten wie einer vis
major gegenüberstellten.
Die Virchow sehe Zellularpathologie, so berechtigte An¬
erkennung derselben zu ihrer Zeit und bis heute geworden, war
nicht geeignet, den praktischen Arzt zum Kampfe gegen die
Krankheiten zu ermutigen; höchstens konnte die Prophylaxe in
einigen wenigen Fällen von ihr Vorteil ziehen.
Der neueren bakteriologischen Forschung aber gelang es, nicht
nur der Prophylaxis eine weit breitere und zuverlässigere Stütze
zu bieten, sondern auch die Therapie in wesentlicher und rationeller
Weise zu bereichern und zwar so, wie man es früher in der Medizin
nicht gekannt hatte.
Noch heute vor drei Jahrzehnten hätte ein Arzt, welcher sich
unterfing, ein sicheres Spezifikum gegen Diphtherie, Typhus, Pneu¬
monie oder Tuberkulose zu suchen, unter seinen Kollegen be¬
rechtigtes Kopfschütteln hervorgerufen. Heute haben wir gegen
die eiue dieser Infektionskrankheiten, gegen die Diphtherie, ein
nach der Ansicht der überwiegenden Mehrzahl der Aerzte allen
Anforderungen entsprechendes spezifisches Heilmittel, und die
nahe Aussicht, gegen die andei-en solche Heilmittel zu finden,
wenigstens aber ist das Suchen nach solchen Heilmitteln überall
als berechtigt anerkannt.
Unter einem spezifischen Heilverfahren im Sinne der Bakterio¬
logie versteht man ein solches, welches die natürlichen Kräfte
und Bedingungen, durch welche in einer Infektionskrankheit Ge¬
nesung und oft ein gewisser Schutz gegen Wiedererkrankung ein-
tritt, erforscht hat und dann beim erkrankten Menschen diese
Kräfte und Bedingungen nachahmt und anwendet; hier handelt
es sich also im Gegensatz zu dem heute oft missbräuchlich an¬
gewandten Ausdruck um ein wahres Naturheilverfahren.
In einer Erörterung über das Thema „Immunität“, mit welcher
mich vor einigen Jahren der Vorstand unserer Gesellschaft betraut
hatte, sahen wir, wie viel Arbeit vieler Forscher nötig gewesen,
um das Zustandekommen des Heilungs- und Immunisierungs¬
vorganges bei Infektionskrankheiten unserem Verständnis näher
zu rücken und wie verschieden sich bei gewissen gemeinsamen
Merkmalen doch im einzelnen bei den einzelnen Infektionskrank¬
heiten die Schutzvorrichtungen des Körpers und die schützenden
Produkte verhalten.
Bisher scheinen es von den bakteriologisch sicher erforschten
Infektionskrankheiten die akuten, schnell verlaufenden und töt-
licli endenden zu sein, bei welchen der Infektionsvorgang und die
Infektionsheilung sich am sichersten erforschen und sich am zu¬
verlässigsten nachahmen lässt. Neben der Diphtherie, gegen
welche wir ein allgemein anerkanntes spezifisches Heilverfahren
besitzen, erfreuen sich noch einer allmählich zunehmenden Aner¬
kennung das spezifische Heilverfahren gegen Tetanus, dann in
absteigender Linie das von dem Italiener Sclavo entdeckte
gegen Milzbrand, das P a n e sehe gegen Pneumonie, ferner das
gegen Typhus, Pest, Gelbfieber (?) (Sanarelli). Leider hat sich
gegen Streptokokkeninfektion bisher kein spezifisches Heilver¬
fahren bewährt. Zugleich mit dem Heilverfahren gegen die ge¬
nannten Krankheiten hatte man die Möglichkeit, Nichterkrankten
einen Schutz zu gewähren, sie gegen die Krankheit zu immuni¬
sieren.
Alle diese genannten Heil- und Schutzverfahren gingen bis¬
her von der Behrin g’ sehen Entdeckung aus, dass im Blutstrom
des Menschen und des Tieres, Avelches eine Infektionskrankheit
glücklich überstellt, Schutzstoffe sich erzeugen und ansammeln,
welche die pathogenen, in den Körper gelangten Keime vernichten
oder wenigstens sie und ihre deletären Produkte unschädlich
machen, und ferner, dass man auf dem Wege des Experimentes
diese Schutzstoffe bei Tieren erzeugen und sie darstellen und
sammeln kann.
*) Nach einem in der Magdeburger med. Gesellschaft ge¬
haltenen Vortrage.
MÜENcHENER MEDIClNISCHE WOCHENSCHRIFT.
2
MHENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
1174
Diese Schutzstoffe sind nicht rein darzustellen, sie befinden
sich im Blutplasma, dem Blutserum, scheinen gebunden au einen
Eiweisskörper des Blutserums, an das Serumglobulin.
Es lag nahe, dass bei dieser immerhin merkwürdigen Ent¬
deckung gewisse Zweifler und Kritiker — au solchen fehlt es
ja zum Glück in der Medizin nicht — eine Rückkehr und Umkehr'
von der anerkannten Zellularpathologie zur alten Humoralpatho-
logie weissagten und eine Zeit voraussagten, in welcher man alles
Heil von den Körpersäften und den Körperausscheidungen er¬
warten würde. Indessen fügen sich die neu gefundenen Tat¬
sachen sehr gut in die uns allen durch Virchow geläufige
Wahrheit ein, dass das Leben des Menschen, die Gesundheit und
die Krankheit, auf der Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Zelle
beruht. Zellen sind es, welche im Blutstrom und in den Körper¬
säften kreisend, die Verteidigung gegen alle fremden, in den
Körper eindringenden, ihn krankmachenden Keime übernehmen,
und Zellen sind es, welche die zum Ueberstehen einer Infektion
und zur Immunisierung gegen eine Infektion notliwendigen, im
Serum des Blutes abgesonderten Schutzstoffe erzeugen.
Diese Zellen wiederum werden erzeugt in den Lymphdrüsen,
in der Milz, im Knochenmark. Hier bilden sie sich und vermehren
sie sich, und vermöge einer besonderen Art von Empfindlichkeit
und Beweglichkeit, welche wir als Chemotropismus oder Chemo¬
taxis kennen gelernt haben, begeben sie sich an den Punkt des
Körpers, wo eine Verteidigung nötig ist.
Diese Zellen, auch Pliagocyten genannt, wiewohl dieser Aus¬
druck keineswegs ihre Tätigkeit beim Infektionsprozesse er¬
schöpfend bezeichnet, sind im Blute die weissen Blutkörperchen,
die Leukoeyten. Von ihnen, die man früher für gleichwertig hielt,
unterscheidet man heute bestimmt dreierlei Varietäten: 1. die
polynukleären, die vielkernig erscheinenden, 2. die Lymphocyten,
3. die mononukleären Leukoeyten.
Die Lymphocyten haben keine phagocytiscken Eigenschaften,
sie erlangen dieselbe nur durch Umwandlung in mononukleäre
Leukoeyten.
Von den drei genannten Gebilden sind es die polynukleären
und die mononukleären, welchen die Haupttätigkeit bei Infek¬
tionen obliegt; die Lymphocyten betheiligen sich nur insofern, als
aus ihnen die mononukleären Leukoeyten hervorgehen.
Nach den neuesten Forschungen, auf die wir hier nicht ein-
gehen können, ist Grund zu der Annahme vorhanden, dass sich diese
Leukoeyten je nach den Infektionen in verschiedener Weise be¬
teiligen. So glaubt W i d a 1 gefunden zu haben, dass die eigent¬
lichen Agenten der Verteidigung bei akuten Mikrobenkrankheiten
die polynukleären Leukoeyten sind, welche, wie erwähnt, % der
ganzen im Blute kreisenden Leukoeyten sind, während die mono¬
nukleären Leukoeyten speziell gegen die Mikroben chemischer
Affektionen den Kampf zu führen haben und ihnen ausserdem die
Beseitigung alles dessen obliegt, was der Atrophie oder der De¬
generation im Kreislauf anheimfällt.
In funktioneller Beziehung darf man noch mit Ehrlich
diesen Zellen sekretorische Eigenschaften wie den Drüsenzellen
zusprechen, welche sich in verschiedener Weise äussern können,
je nachdem sie mit Mikroorganismen oder den Stoffwechselpro¬
dukten derselben in Berührung kommen.
Ich führe Ihnen diese zum Teil noch hypothetischen Funde
und Anschaungen deshalb an, weil sie beweisen, dass es immer
Körperzellen sind, von denen die Schutzstoffe bei Infektionskrank¬
heiten abliängen und ferner, weil sie uns erklären können, dass
für die einzelnen Infektionen das Schutzverfahren ein verschiedenes
sein kann und dass sich für Heilung wie Immunisierung vielleicht
sobald kein allgemeines Gesetz aufstellen lässt.
Wenden wir uns nun nach diesen allgemeinen Bemerkungen
zu dem Infektionsvorgang bei derjenigen Krankheit, über deren
Therapie wir heute handeln wollen, so ist derselbe noch vielfach
für uns in Dunkel gehüllt, namentlich aber die allerersten Stadien
desselben und der eigentliche Heilungsvorgang. Wir müssen uns
hier ausser an das Tierexperiment an mehr oder weniger be¬
gründete Hypothesen halten.
Nicht leicht wird man sich denken können, dass wir in irgend
einem Falle beim Menschen jemals genau den Zeitpunkt bestimmen
können, wo der erste Tuberkelbazillus resp. die erste Tuberkel¬
bazillenaussaat haftet und ihr verderbliches Werk beginnt. Ex¬
perimente am Menschen (auch unbeabsichtigte) sind hier nicht ge¬
macht (wie etwa bei der Lepra), aber länger und symptomloser,
als bei irgend einer der uns bisher bekannten Infektionskrankheiten
erscheint hier die Latenz des Infektionserregers.
Dreifach, so nehmen wir an, ist die Eintrittspforte: Der Pilz
kann in den Körper eindringen auf dem kutanen Wege, auf dem
Wege der Inhaltion und auf dem Wege der Verdauungsorgane.
Es ist anzunehmen, dass von den vielen, vielen tausenden
Tuberkelbazillen, welche an den Menschen auf seinem Lebens¬
wege herantreten, nur in sehr seltenen Fällen einige haften und
dass von denjenigen, welche haften, auch nur ein begünstigter
Teil zu weiterer Entwicklung kommt. Sucht man experimentell
einen günstigen Infektionsmodus nachzuahmen, impft man Koch¬
sehe Bazillen in die vordere Augenkammer von Kaninchen ein,
oder subkutan, intraperitoneal, intramuskulär, intratracheal, so
hat man die am besten zu verfolgenden Resultate mit der ersten
Methode. Die in der vorderen Kammer deponierten Tuberkel¬
bazillen pflanzen sich auf den Epithelzellen der Iris ein und ver¬
breiten sich dann auf dem Lymph- und Blutwege im Körper weiter
auf andere Epithelzellen und auch in die Zwischenzellensubstanz.
Sie liegen hier, wie innerhalb der Zellen, meist zu zwei und zwei,
manchmal auch in Form von Kreuzen oder kleinen Sternen. Zu¬
nächst zeigt sich für längere Zeit an den von der Invasion be¬
troffenen Zellen keinerlei Veränderung, so wenig am Kern als am
Protoplasma. Die erste Veränderung, sowohl an den Endothel¬
zellen der Gefässe, als an den Epithel- und Bindegewebszellen,
besteht in Kernbewegung und Kernteilung, und hier ist gleich
bemerkenswert: Es entsteht eine solche nicht nur in den be¬
fallenen Zellen, sondern auch in den nicht befallenen Zellen der
Nachbarschaft; es entsteht eine Epithelzellenneubildung, epi-
tlieloide tuberkulöse Zellenneubildung, die fortschreitend zum
Tuberculum miliare führt. Wir sehen hier also eine gewisse Art
von Fernwirkung, vielleicht bedingt durch Stoffwechselprodukte
des Infektionsträgers. In einer vorgeschrittenen Periode des
Tuberkels, vielleicht schon in der beginnenden Abschwächung der
Proliferation, finden wir die typischen Riesenzellen, ln dieser
Entwicklungsphase sehen wir nun ein zweites wichtiges Phänomen.
Rings um die Tuberkel finden wir eine dichte Ansammlung von
lymplioiden Elementen, von kleinen mononukleüren, später auch
von typischen Lymphocyten, welche gleichsam herangelockt den
Tuberkel belagern, auch in ihn eindringen, seine Nekrose und Ver¬
käsung begünstigen. Es ist auf diese Weise die Möglichkeit vor¬
handen, dass die neugebildeten Zellen mit den in ihnen weilenden
Infektionsträgern in vielen Fällen unschädlich gemacht werden
und dass so in den ersten Lympliwegen der Angriff siegreich ab¬
geschlagen wird, weil die schützenden Leukoeyten ihre Schuldig¬
keit tun.
Tun sie dieselbe nicht, ist das Individuum der Infektions¬
möglichkeit vielleicht in zu breiter und ungünstiger Weise aus¬
gesetzt gewesen, oder handelt es sich, worauf Bau m g arte n
mehr Gewicht legen möchte, um eine zu hohe Virulenz der Tu¬
berkelbazillen. so entwickeln sich dieselben weiter, sie vermehren
sich in den Lympliwegen, führen zu Anschwellung der Lymph¬
drüsen, denen es dann oft noch gelingt, für lange Zeit der Weiter¬
entwicklung ein Ziel zu setzen.
Gelangen die Pilze, sei es auf dem Wege des Lymph- und
Blutstromes, sei es auch durch Einatmung, an ihre Prädilektions¬
stellen und entwickeln sich hier weiter, so kann, nachdem es oft
auch noch zu einer Vergesellschaftung der Tilze mit den im
Körper immer kampfbereiten pyogenen Infektionsträgern ge¬
kommen ist, bei Kindern z. B. eine Knochen- oder Gelenkanschwel¬
lung und bei Erwachsenen eine Dämpfung in der Lungenspitze,
mit Blutarmuth, unbedeutendem Husten, als erstes alarmierendes
Zeichen auftreten. Man spricht dann von beginnender Tuber¬
kulose; aber wie weit liegt der eigentliche Anfang der Krankheit
zurück? Von all’ den Vorstadien, in welchen es zu alarmierenden
Symptomen nicht gekommen ist, legen die zahlreichen Obduktions¬
befunde von geheilten Tuberkelinsulten Zeugnis ab, welche im
Leben keine Symptome gemacht haben. Zählt man zu diesen Be¬
funden diejenigen hinzu, welche konstatiert wurden bei der
Autopsie solcher Individuen, welche im Leben Symptome geboten
haben, aber geheilt sind, häufig ohne, oft aber auch nur durch
hygienische Behandlung, so dürfen wir behaupten, dass etwa Vi
aller Leichen die Zeichen einer unwirksam gewordenen Tuberkel¬
bazilleninvasion bietet, also die Zeichen einer geheilten Tuber¬
kulose. Wir dürfen sagen: von allen Infektionskrankheiten,
welche wir kennen, ist die Heilungsziffer bei keiner grösser, keine
Krankheit ist in gleichem Masse spontan, d. li. durch die natür¬
lichen Kräfte, heilbar wie die Tuberkulose.
Können wir sagen, wie diese Heilung zu stände kommt und
weshalb sie in anderen Fällen unterbleibt?
Der hypothetische Vorgang ist folgender:
Gelangen Tuberkelbazillen an irgend einer Stelle des Körpers
zur Haftung, zur Entwicklung und Vermehrung, so kommt es
ebensogut wie in Tuberkelbazillenkulturen zur Absonderung gif¬
tiger Stoffwechselprodukte derselben, der Tuberkelbazillentoxine.
Gelangen diese in den Blut- oder Lymphstrom, so wirken sie dort
chemotaktisch auf die Leukoeyten. welche sie gleichsam zum
Kampfe aufrufen gegen die Eindringlinge.
Dass die Stoff Wechselprodukte des Tuberkelbazillus in hohem
Grade chemotaktisch sind, ist bekannt, aber nicht alle Autoren
schreiben dieser Eigenschaft die gleiche Wichtigkeit und Haupt¬
aufgabe bei einer Einleitung des Kampfes gegen die Eindringlinge
zu. Alle aber stimmen darin überein, dass die Aufforderung zur
Abwehr und zum Kampfe an die schützenden Leukoeyten von den
Stoffwechselprodukten des Tuberkelbazillus ausgeht. Bouclia r d
nimmt an, dass die bazillären Sekrete komplizierterer Art sind: es
soll darin Stoffe geben, welche den Durchtritt der Leukoeyten
durch die Gefässwand hervorrufen, daneben auch solche, welche
diesen Durchtritt hindern, endlich auch solche, welche eine im¬
munisierende Eigenschaft haben.
Durch das Eintreten der schützenden Leukoeyten in den
Kampf mit den Infektionsträgern, welcher nicht immer sym-
ptomenlos verläuft, tritt ein vorläufiger Stillstand ein, der oft zu
einem definitiven werden kann. Dieser Stillstand wird dadurch
bewirkt, dass es seitens der Leukoeyten zur Absonderung von
Stoffen kommt, welche die Entwicklung der Tuberkelbazillen hin¬
dern und die von ihnen produzierten Gifte unschädlich machen,
zur Absonderung von Tuberkelbazillenantitoxinen.
Wird der Stillstand ein definitiver, so ist die Anhäufung der
im Säftestrom des Individuums gebildeten Tuberkelantitoxine (‘ine
so reichliche, dass auch ein neuer Schub wieder entwicklungsfähig
gewordener Tuberkelbazilen abgewehrt, sowie auch eine neue
an das Individuum herantretende Infektion überwunden wird,
diesmal ohne dass es zu sichtbaren Symptomen ausser etwa einer
15. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1175
Leukocytose zu kommen braucht Der Körper des Individuums
hat sich zu einer Immunität gegen die Infektionsträger durch¬
gerungen und die Zeugen dieses stillen, unbeobachteten, tausend¬
fältig durchkämpften Kampfes sind obsolet gewordene verkalkte
und verkleidete Tuberkelresiduen meist an den Prädilektionsstellen
der Tuberkulosekrankheit, oft mit noch lebensfähigen aber gut ab¬
gekapselten Infektionsträgern, meist ohne dieselben.
Wir zeichneten in Vorstehendem das Schema des Tuberkel-
bazillen-Infektionsvorganges und, Avie erwähnt, sind die einzelnen
Pliaseu dieses Kampfes hypothetisch. Manchem von Ihnen möchte
aber diese ganze Ausführung mehr unbewiesen und mehr als Hypo¬
these erscheinen, als sie es in Wirklichkeit ist, und es liegt uns
mm ob, einige Daten dafür beizubringen, dass im ganzen so und
nicht anders der Infektionsvorgang verlaufen muss.
Es war im August des Jahres 1890, als der Entdecker des
Tuberkelbazillus die erste Mitteilung über die mit einem Stoff¬
wechselprodukt des Tuberkelbazillus erlangten Resultate machte,
allerdings ohne dass er damals die Gewinnung dieses Mittels und
seine Darstellung bekannt gab.
Vielen von Ihnen dürften die damaligen Ausführungen noch
bekannt sein; ich will sie hier kurz skizzieren. Koch erwähnte,
wie eine grosse Anzahl von Mitteln ausserhalb des Körpers selbst
in starken Verdünnungen im stände sei, den Tuberkelbazillus zu
töten; aber alle diese Mittel Hessen im Stiche, sobald sie bei tuber¬
kulösen Tieren versucht würden. Nichtsdestoweniger aber habe
er das Suchen nach einem spezifischen Mittel nicht aufgegeben und
er erfreue sich in dieser Richtung seiner Bemühungen auch der
Zustimmung namhafter Autoritäten, wie z. B. u. a. B i 1 1 r o t li s,
welche der Ansicht seien, dass es ein spezifisches Mittel gegen
die Krankheit geben müsse. Von einem solchen Mittel sei viel¬
leicht nicht zu verlangen, dass es den Tuberkelbazillus wie die
desinfizierenden Mittel ausserhalb des Körpers direkt töte, sondern
nur, dass es sie unschädlich mache, ihr Wachstum und ihre Ver¬
mehrung verhindere.
Schliesslich habe er Substanzen gefunden und er könne über
dieselben nur soviel mitteilen, dass Tiere, welche, wie Meer¬
schweinchen, für Tuberkulose ausserordentlich empfänglich seien,
wenn man sie der Wirkung einer solchen Substanz aussetzt, auf
eine Impfung mit tuberkulösem Gift nicht mehr reagieren und
dass ferner bei Meerschweinchen, welche schon in hohem Grade
an allgemeiner Tuberkulose erkrankt sind, der Krankheitsprozess
vollkommen zum Stillstand gebracht werden kann, ohne dass der
Körper von dem Mittel etwa anderweitig nachteilig beeinflusst
wird.
3 Monate nachher, im November 1890, erschien dann in einer
Extraausgabe der Deutsch, med. Woclienschr. der Artikel: „Weitere
Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose“, derselbe,
welcher die einer ruhigen Beobachtung und Erforschung des
Mittels wenig günstige Sensation der ganzen Aerztewelt und der
Presse der ganzen Welt entfachte, und dann ferner am 15. Januar
1891 die zweite Veröffentlichung Kochs ..Fortsetzung der Mit¬
teilungen über ein Heilmittel gegen die Tuberkulose“, in welcher
bekannt gegeben wurde, dass es sich um ein Stoffwechselprodukt
der Tuberkelbazillen in Glyzerinextrakt aus abgetöteten Rein¬
kulturen des Tuberkelbazillus handle.
Ueber die Art und Weise, wie solche Stoffwechselprodukte
Stillstand und Heilung zu bewirken im stände sind, konnte der
Autor selbst vielleicht damals noch keine sichere Meinung halten.
Dies erste Stoffwechselprodukt, von Koch Tuberkulin genannt,
sollte weniger immunisierende Eigenschaften haben als ein später
dargestelltes zweites Produkt Tuberkulin Ii.
Schon die nächste Zeit brachte, allerdings zunächst nicht in
Bezug auf Tuberkulose, weitere Aufschlüsse über die Wirkungs¬
weise der Stoffwechselprodukte der Bazillen überhaupt und über
die Erzeugung von Antitoxinen. Sie erinnern sich, wie damals,
als die aufgeregten Wogen der Tuberkulinerwartungen langsam
abtlachten, anscheinend zu einer hoffnungslosen Ebbe, sich eine
neue Flut erhob, ein gewaltiger Ansturm von Hoffnungen auf ein
neues Heilmittel, diesmal gefunden von einem Schüler Kochs
und vom Meister selbst bestätigt, geltend der Heilung einer akuten
Krankheit, die der Schrecken des Kindesalters war, der Diphtherie.
Hier fehlte es im Gegensatz zu dem Bekanntwerden des Tuber¬
kulins nicht an einer weitgehenden Skepsis und schon weissagten
eine ganze Anzahl besonnener Autoren auch diesem Mittel, dem
B e h r i n g sehen Diplitherieantitoxin. dasselbe Schicksal wie dem
Tuberkulin. Aber es handelte sich liier um eine akute, schnell
verlaufende Infektionskrankheit. Erfolg wie Misserfolg war
schnell ersichtlich: dies Mittel bestand die Prüfung glänzend und
die dissentierenden Urteile werden heute kaum der Beantwortung
für wert gehalten. Hier also war der Beweis geliefert, dass durch
die Stoffwechselprodukte eines Bazillus Schutzstoffe im Blute sich
bilden, deren Ansammlung, ohne das Versuchstier zu schädigen,
zu einer ausserordentlichen Höhe getrieben werden kann.
In rascher Folge gelang es nun bei den verschiedensten akuten
Infektionskrankheiten, solche Schutzstoffe im Blutserum nachzu¬
weisen und auch zu verwenden; in die Praxis sind, wie erwähnt,
ausser dem Tetanusheilserum die meisten derselben bisher noch
nicht eingeführt.
Ueber Antitoxine im Blutserum bei Tuberkulose berichtete
als einer der ersten Maragliano, Kliniker an der Universität
zu Genua, über dessen Arbeiten ich Ihnen im Jahre 1897 berichten
durfte.
Diese Angaben M.s von Tuberkelantitoxinen im Blute sind von
einer ganzen Reihe von Forschern bestätigt, v. Behring fand
neuerdings, dass tuberkulöse Rinder durch vorsichtig fortgesetzte
Tuberkelgiftinjektionen geheilt werden können und dass dann
ihr Blutserum antitoxisch wirkt gegen Tuberkulose.
Max G r u ber - Wien (Münch, med. Wochensehr. 1901, No. 47)
benutzt diesen Fund Behrings dazu, um die Theorie der Proto¬
plasmaseitenketten. der haptoplioren und toxoplioren Toxin¬
elemente, welche von Ehrlich aufgestellt ist, zu erschüttern.
„Nicht diejenigen Zellen, welche das Toxin binden“, so meint er,
„spielen bei der Antitoxinbereituug eine Rolle, sondern es muss
sich um ganz verschiedene Zellenapparate bei Toxinbindung und
Antitoxinbildung handeln.“
Er sagt in Bezug auf den Bell rin g sehen Fund: „Es ist
in diesen Fällen meines Erachtens undenkbar, dass das schon er¬
krankte und durch das Tuberkelgift schwer erkrankte Gewebe
durch noch vermehrte Giftzufuhr gebessert und zur Gegengiftpro¬
duktion angeregt wird.“ Dagegen wird der Vorgang gerade bei
der Tuberkulose verständlich, wenn man annimmt, dass der para-
sitierende Tuberkelbazillus selbst zu wenig Gift bildet, als dass
genügende Mengen davon in die antitoxinbildenden Organe ge¬
langen würden, um hier die Antitoxinbildung in Gang zu bringen;
dass dies aber dann geschieht, wenn von aussen grössere Mengen
von fertigem Gift ins Blut gebracht werden, worauf dann das in
den antitoxinbildenden Organen erzeugte Gegengift dem erkrankten
Gewebe zu geführt wird und das hier entstehende Gift bindet.
Wie sich die gerade in neuerer Zeit immer mehr kompli¬
zierte viel diskutierte Frage der Antitoxinbildung bei Infektions¬
krankheiten auch lösen mag, soviel steht nach der gemeinsamen
Forschung aller Autoren fest, dass es bestimmte Zellen sind,
welche das Toxin der Infektionserreger binden und welche Anti¬
toxin erzeugen, und ebenso, dass die Antitoxinerzeugung durch
das in dem Blute kreisende Toxin geweckt wird, und ferner, dass
das Schicksal des von der Infektion befallenen Organismus von
der Leistungsfähigkeit dieses Antitoxinerzeugungsmechanismus
abhängt.
Dafür, dass sich im Blute Tuberkulöser bestimmte Verände¬
rungen finden, welche als Abwehrbestrebungen aufgefasst werden
' müssen, sprechen die Untersuchungsresultate aller neueren For¬
scher: ich brauche nur an einige derselben zu erinnern. Ehrlich
konnte im Blute wie auch im Auswurf Tuberkulöser gewisse
eosinophile Zellen naclnveisen. Er fasste dieselben als eine Ab¬
wehrbestrebung des Körpers gegen die tuberkulöse Infektion auf,
bewirkt durch chemotaktische Wirkung der Tuberkeltoxine. Das
Auftreten der eosinophilen Zellen im Sputum soll dem Auftreten
der Tuberkelbazillen im Sputum vorhergehen.
A r 1 o i n g und Cour m o n t gelang es, festzustellen, dass
es auch bei tuberkulösen Kranken wie z. B. beim Typhus eine
Serumreaktion und Serumdiagnose gibt. Diese Reaktion in Form
von Agglutination erfolgt bei lebenden Koch sehen Bazillen wie
bei abgestorbenen, bei letzteren nur erheblich langsamer. Dieser
Serumreaktion soll eine prognostische Bedeutung beiwohnen.
M i r c o 1 i machte auf dem letzten italienischen Kongress
für innere Medizin in Pisa auf gewisse hämolytische Substanzen
im Blute Tuberkulöser aufmerksam: die Blutungen bei Tuber¬
kulösen sollen sich durch diesen Befund erklären und die Bildung
dieser hämolytischen Substanzen soll mit der Bildung von Schutz¬
stoffen gegen Tuberkulose in einem gewissen Zusammenhang
stehen.
Bei weitem die wichtigste Entdeckung aber enthält die
neueste Veröffentlichung Koch s, welche wir in der Deutsch, med.
Woclienschr. 1901, No. 48, finden.
Koch gelang es, eine längere Zeit haltbare Testlösung aus
getrockneten Tuberkelbazillenkulturen des Neutuberkulins herzu¬
stellen. vermöge deren man das dem zu untersuchenden Individuum
! mittels Schröpfkopfes entzogene Blut auf seine Agglutinatious-
fähigkeit prüfen kann. Er glaubt das Agglutinationsvermögen,
weil sich mit demselben antitoxische und bakterizide Eigenschaften
des Blutes verbinden, als einen Ausdruck der Immuuisation be¬
trachten zu können. Nachdem es ihm bei Tierversuchen gelungen
war, die Agglutinationsfähigkeit des Blutes zu steigern und so
Schutzstoff e im Blute und eine immunisierende Eigenschaft des
Blutes zu erzeugen, erreichte er auch durch Tuberkulininjektionen
beim Menschen ein erhöhtes Agglutinationsvermögen. Dass diese
Erhöhung mit der Bildung von Schutzstoffen und mit zunehmender
Immunisierung verbunden war, zeigte sich deutlich an der Besse¬
rung des Allgemeinbefindens. Appetit und Körpergewicht nahmen
wieder zu, die Naclitscliweisse hörten auf, Rasselgeräusche wie
Auswurf nahmen ab; bei einigen verschwanden Sputum und
Tuberkelbazillen gänzlich. Am auffallendsten aber war das Ver¬
halten der Temperatur: bei Fieberfreien nach dem Ablauf der
Reaktion niemals eine Steigerung, bei früher Fiebernden zuerst
vorübergehend 3 — 4 Tage nach der Reaktion ein Abfall, mit zu¬
nehmender Immunisierung ständige Entfieberung. Bei dieser Art
der Behandlung bildete also das Fieber keine Kontraindikation
mehr wie bei der Anwendung des alten Tuberkulins.
Wir haben also hier eine kontrollierbare
physiologische Grundlage für die Anwendung
des Tuberkulins und für die Entstehung von
Antituberkulosekörpern im Blute.
Auf der gleichen Anschauung beruht, wie erwähnt, das Heil¬
verfahren M araglianos gegen Tuberkulose, welches in Italien
und neuerdings auch im Auslande viele zustimmende Urteile ge¬
funden hat. Seine Theorie ist folgende: Die von den Tuberkel¬
bazillen in den Kreislauf gelangenden toxischen Produkte geben
zu einer Bildung xron Antitoxinen Veranlassung; diese Antitoxine
2*
1176
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28,
sind im Blute nachzuweisen, sowohl durch das Agglutinationsver-
falirou, als auch durch eine hemmende Wirkung, welche sie auf
das Wachstum von Tuberkellmzillen in Kulturen iiussern. Iläutig
aber ist der von den Stoffweehselprodukten der Tuberkelbazillen
ausgeiibte Heiz zur Bildung von Antitoxinen ein zu geringer; man
kann ihn steigern dadurch, dass man Tuberkulin injiziert; in diesem
Falle kann das Plus genügen, um zur wirksamen Absonderung von
Antitoxinen Veranlassung zu geben und eine methodische An¬
wendung dieser Tuberkulininjektionen kann auf diese Weise zur
Heilung der Tuberkulose führen, wenn die Antitoxinbildung eine
genügende ist.
ln vielen Fällen aber von Tuberkulose ist der Organismus
der Kranken nicht im Stande selber in genügender Weise die Bil¬
dung von Antitoxinen zu besorgen; zu diesem Zwecke hat man
eine Anleihe zu machen; man nimmt dazu das Serum von Tieren,
bei welchen man durch geeignete Vorbehandlung ein an solchen
Antitoxinen reiches Blutserum erzeugt hat. Die wiederholte und
lange fortgesetzte Injektion solchen Serums hat den Vorteil, den
Kranken gegen die toxische Wirkung seiner Tuberkelbazillen zu
schützen und allmählich in dem so geschützten Organismus die
Bildung von neuen Antitoxinen, zu welcher er sich vorher untaug¬
lich erwies, hervorzurufen. Auch diese letztere Tatsache will
M. durch Blutuntersuchungen bewiesen haben. Sie sehen, dies
Verfahren ist durchaus ähnlich dem Diphtherieserumheilverfahren,
nur dass es sich nicht um nur eine 1 oder 2 malige Anwendung
handelt. In der That behauptet denn auch M., dass beide In¬
fektionen in Bezug auf Infektionsmodus wie Infekvionsheilung die
gleichen Bedingungen zeigen, mit dem einzigen Unterschiede, dass
»'S sich in dem einen Falle um eine akute, in dem anderen um eine
chronische, schwerer und in langwierigerer Weise der Heilung zu¬
gängige Infektion handle.
Die Wirkung des Serums zeige sich am besten daran, dass bei
gleichzeitiger Einspritzung mit »1er Tuberkulindose, welche sonst
eine Reaktion beim Tuberkulösen hervorrufe, diese Reaktion
prompt ausbleibe und überhaupt nichts wahrzunehmen sei.
Die Gegner des M. sehen Verfahrens betonen, soweit ich mich
darüber habe unterrichten können, dass das von ihm gewonnene
Serum zu schwach an Antitoxinen sei, um Heilwirkungen zustande
zu bringen; dass es »vine Immunisierung gegen das Tuberkulin zu
bewirken imstande sei, geben sie zu.
(Schluss folgt.)
Ueber eiweissfreies Diphtherieantitoxin.
Von Dr. Pro scher in Darmstadt.
Die chemische Natur der bakteriellen Antitoxine ist trotz
zahlreicher Arbeiten der letzten Jahre nicht weiter aufgeklärt
worden. Bis jetzt musste die Frage, ob es sich um Eiweiss¬
körper handle oder nicht, offen gelassen werden. Das
Haupthindernis, an dem sämtliche Versuche, die auf die Iso¬
lierung der Antitoxine hinausliefen, scheiterten, was das, dass
es bis jetzt auf keine Weise gelang, die Eiweisskörper, die den
Antitoxinen anhaften, so zu entfernen, dass die Integrität der¬
selben vollkommen gewahrt blieb. Obwohl gewisse Momente
dagegen sprachen, dass wir in den Antitoxinen sogen, labile Ei¬
weisskörper vor uns haben, ist denselben keine weitere Be¬
achtung geschenkt worden. Nach zahlreichen Versuchen ist es
mir nun gelungen, das Diphtherieantitoxin von sämtlichen Ei¬
weisskörpern zu befreien, ohne dass es seine gif t bindenden Eigen¬
schaften verloren hätte. Die Methodik, deren ich mich bedient
habe, werde ich demnächst in den Beitr. z. ehern. Physiol. u.
Pathol. eingehend beschreiben. Ich habe dieselbe auch auf andere
bakterielle Antitoxine mit gleichem Erfolg übertragen. Der
Zweck dieser Mitteilung ist der, mir dieses Arbeitsgebiet zu
wahren. Im folgenden gebe ich die Reaktionen des eiweissfreien
Antitoxins zum Vergleich mit dem ei weisshaltigen und die Re¬
sultate der Tierversuche kurz wieder. Als Ausgangsmaterial
dienten 10 ccm 400 faches Diphtherieserum.
Ant:toxin eiweisshaltig. Antitoxin eiweissfrei.
Biuret-Reaktion.
starke Violettfärbung. rein blaue Lösung, Lösung ent¬
hält pro Kubikzentimeter 380 J.E.
Millonsclie Reaktion,
purpurrote Färbung. negativ.
Adamkiew iczsche Reaktion.
Rotfärbung. negativ.
Xanthoprotein - Reaktion,
starke Gelbfär’. ung negativ.
Ferrozy ankalium und Essigsäure,
starker voluminöser Niederschlag. keine Trübung.
Gerbsäure.
starker voluminöser Niederschlag. keine Trübung.
Pikrinsäure.
starker gelber Niederschlag. keine Trübung.
Sublimat.
starker weisser Niederschlag. keine Trübung.
Platinchlorid.
starker Niederschlag. keine Trübung.
Verhalten bei der Dialyse,
dialysiert nicht dialysiert nicht.
Stärke des Serums.
400 J.E. pro Kubikzentimeter. 380 J.E. pro Kubikzentimeter.
Tierversuche.
Meerschweinchen von 280 g Ge- Meerschweinchen von 280 g Ge¬
wicht erhält 1 J.E. -f- 0,23 ccm wicht erhält 1 J.E. -j- 0,23 ccm
Testgift. Tier bleibt am Leben. Testgift. Tier bleibt am Leben.
Meerschweinchen von 280 g
Gewicht erhält 0,23 ccm Test¬
gift, tot nach 20 Stunden.
Wie aus den angeführten Reaktionen ersichtlich ist, gibt das
eiweissfreie Antitoxin selbst auf die empfindlichste Eiweiss¬
probe keine Reaktion mehr. Es ist mit grösster Wahrscheinlich¬
keit anzunehmen, dass wir in den Antitoxinen eine neue Klasse
von Körpern vor uns haben, die uns nach ihren chemischen und
physikalischen Eigenschaften vollkommen unbekannt sind. Wei¬
tere Untersuchungen, die bereits im Gange sind, müssen lehren,
ob wir in dem gereinigten Antitoxin dasselbe schon in chemisch
reiner Form vor uns haben, oder ob noch andere indifferente
kolloidale Körper beigemengt sind. Mit der technischen Ver¬
vollkommnung der Methode bin ich zur Zeit noch beschäftigt,
und dürfte es wahrscheinlich sein, dass es gelingt, das eiweiss¬
freie Diphtherieantitoxin anstatt des Serum für therapeutische
Zwecke zu verwenden. Es wäre dann das Ideal der Diphtherie¬
behandlung erreicht und kann man die Stärke des Antitoxins
auf 10 000 und mehr Immunitätseinheiten pro Kubikzentimeter
steigern. Die chemische Konstitution der Antitoxine dürfte nach
den bis jetzt vorliegenden Erfahrungen eine bedeutend ein¬
fachere sein, als die der Eiweisskörper, und steht es zu er¬
warten, dass wir über den molekulären Bau derselben in nicht
allzu ferner Zeit Aufschluss erlangen.
Cystoskopische Erfahrungen.*)
Von Dr. Bert hold G o 1 d b e r g,
Spezialarzt für Harnkrankheiten, Badearzt in Bad Wildungen.
Cystoskopische Erfahrungen setzen zweierlei voraus.
Einmal muss man recht viele Blasenbesichtigungen vor¬
genommen haben, zum anderen muss man recht viele auch der
selteneren Blasenerkrankungen beobachtet und behandelt
haben.
Uebt ein Arzt seine Praxis in einem Landstrich, in welchem
Harnsteine iiusserst selten sind, so wird er trotz guter Uebung
in der allgemeinen eystoskopischen Technik nicht zu einer rich¬
tigen Mittellinie in der Würdigung dieser Untersuchungsmethode
bei Blasensteinen gelangen können. Auf der anderen Seite wird
ein Spezialist mit grossem barnchirurgischem Material, wenn er
nur selten das Cystoskop zur Hand nimmt, in eine Unterschätz¬
ung der Bedeutung dieses Instrumentes für Diagnostik und
Therapie verfallen.
Da nun des Verfasser „Geburt“ als Urologe in die Aera
der Cystoskopie fiel, da ihm als Arzt an einem internationalen
Sammelpunkt der Blasenkranken (wie es Wildungen ist und
immer mehl* zu werden verspricht) auch ausreichendes Kranken-
material nicht gefehlt hat, so darf er wohl heute, nachdem er
bereits vor 8 Jahren (26. November 1894, s. Deutsche Medizinal¬
zeitung 1895, No. 14) sich „über Cystoskopie“ geäussert hat,
wieder das Wort zu dieser Frage nehmen.
1. Die Cystoskopie bei Prostatahypertrophie.
Ich habe bisher 200 — 300 Patienten mit Prostatahyper¬
trophie beobachtet und behandelt. Die Zahl der Blasenbesicht i-
gungen, welche ich bei Prostatikern, insofern dieselben eine
andere Erkrankung der Ilarnwege nicht hatten, vornahm, ist
aber nur etwa 10 Proz. dieser Gesammtzahl.
*) Nach einem Vortrag, gehalten im Allgemeinen ärztlichen
Verein Köln a. Rh. am 24. Februar 1902.
15. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1177
Denn um eine Prostatahypertrophie zu diagnostiziren, be¬
darf es im Allgemeinen der Blasenbesichtigung nicht. So lange
Erscheinungen der gestörten Blasenthätigkeit ihn nicht belästi¬
gen, pflegt der Prostatiker den Arzt nicht aufzusuchen; wird er
von solchen befallen, so sind sie so charakteristisch, dass sie zu¬
sammen mit dem Befund der rektoabdominalen Palpation und
dem Ergebniss des (sterilen !) Katheterismus die Diagnose
sichern.
Dennoch ist es nothwendig, gerade auf die Technik der
Prostatikercystoskopie ausführlicher einzugehen. Denn sehr viele
Patienten, welche wegen anderer Harnkrankheit cystoskopirt wer¬
den müssen, haben nebenbei eine hypertrophische Prostata ;
die Schwierigkeiten aber, welche diese hypertrophische Prostata
der Einführbarkeit und Bewegungsfreiheit des Cystoskops
schafft, sind meines Erachtens am häufigsten die Ursache des
Fiaskos einer Cystoskopie.
Wenn auch die Mercierkrümmung des Cystoskops für die
gewöhnlichen leichteren Deviationen und Deformationen der
Urethra prostatica durch Prostatahypertrophie hinreicht, so er¬
möglicht sie doch nicht eine glatte Passage des schwerer ver¬
änderten Prostatakanals.
a) Die \ erlängerung der Urethra prostatica kann bei
gleichzeitiger gleichmässiger Erweiterung die Durchführung des
Schnabels nicht hochgradig erschweren. Man senkt den Griff
ganz allmählich, indem man dem Widerstand, welchen der
Schnabel an der oberen Wand der tiefen Harnröhre findet, gänzlich
nachgibt, untei keinen Umständen darf man hierbei irgendwelche
Kiaft anwenden. Die stärkste Senkung des Griffs darf aber erst
dann erfolgen, wenn man fühlt, dass die Spitze des Cystoskops
frei beweglich geworden ist.
b) Weitere Schwierigkeiten ergeben sich für die glatte Ein¬
führung des Cystoskops, wenn die Drostata breit und hoch gegen
die hintere Zirkumferenz des Orificium uretlirovesicale zu sich in
die Blase hineinwölbt. Da die vordere Zirkumferenz des Orificium
tiefer liegt, und die vordere Hälfte der prostatischen Harnröhre
kürzer, so ist der Cystoskopschnabel bereits in dem v o r dem
Prostatawulst gelegenen Harnblasenabschnitt angelangt; man
sieht schon den vorderen oberen Theil der Harnblase und glaubt
das Cystoskop ganz eingeführt zu haben; nun will man nach
unten hinten drehen; das ist unmöglich, man berührt mit der
Lampe den Wulst; erst nachdem man mit nach vorn oben ge¬
richtetem Prisma das Cystoskop noch eine gute Strecke hat hinauf¬
gleiten lassen, ist eine Drehung möglich; und erst jetzt kann man
den hinteren unteren Theil der Blase, den Fundus und den Re-
cessus retroprostaticus besichtigen.
c) Soweit ist ja nun die Einführung des Cystoskops gerade
nicht unmöglich, wenngleich man wohl bedenken wolle, dass es
nicht bloss wie beim evacuatorischen Katheterismus darauf an¬
kommt, das Instrument hineinzubringen, sondern ohne jede
Blutung hineinzubringen; und wie leicht blutet eine hyper¬
trophische Prostata selbst bei zarter Berührung! Kommt aber
zu der Verlängerung der Urethra prostatica, zu der Zweitheilung
der Blase durch die von hinten unten hineingewachsene Prostata
noch eine dritte Form Veränderung, so kann die Einführung des
starren kurzschnabeligen Cystoskops geradezu unmöglich werden.
Wächst nämlich die Prostata ungleichmässig von der rechten oder
linken Seite her in die Harnröhre hinein, so zwar, dass deren
Achse mehrfach aus der Sagittalen herausgedrängt wird, so ist es
vollständig ausgeschlossen, ohne stärkere Blutung ein metallenes,
unbiegsames, winkliges Instrument durch die dergestalt ge¬
schlängelte Urethra prostatica hindurch in die Blase hinein¬
zubringen.
Alle Erschwerungen der Introduktion des Cystoskops sind
auch Erschwerungen der freien Beweglichkeit des in der Blase
bereits befindlichen Cystoskops. Die Senkung des Schnabels
nach hinten unten, um ausreichend nahe den retroprostatischen
Blasengrund zu sehen, ist nicht selten unmöglich; die seitlichen
Drehungen sind oft erst nach ganz tiefem Einschieben nach
allen Richtungen möglich.
Man hat nun auch verschiedene Formen von Cystoskopen an¬
gegeben, welche die Cystoskopie bei Prostatahypertrophie in
etwas erleichtern.
1. Das Nitz e’sche Cystoskop No. III trägt den Spiegel, bezw.
das Fenster des Prismas nicht, wie die anderen, an der konkaven,
sondern an der konvexen Seite; hierdurch ist es möglich, in Folge
der optischen Anordnung von Prisma und Objektiven, die ganze
Zirkumferenz des Orificium uretlirovesicale in natürlicher Grösse
zu sehen.
2. Cystoskope mit längerem Schaft; das gewöhnliche ist 23 cm
lang, die Urethra eines Prostatikers insgesammt kann bis zu 30 cm
und mehr messen.
3. Die verschiedenen Arten der Cystoskope mit Spülkanal er¬
möglichen, das bei der Einführung blutbeschmutzte Prisma rein-
No. 28.
gSe?enD?cke.V°rtheil Wini abei' aufSew°gen durch die noch
Schiff mfrf'inhnoi ejUeU m<rtaUeneu Katheter so konstruirt, dass
,„^aft Vn.d. Schnabel von einander abgeschraubt werden können,
d zugleich den langen Schenkel als Kanal für ein gerades nicht
winkeliges Cystoskop konstruirt, so lässt sich einigS Schwierig-
Leiten der Einführung dadurch abhelfen, dass man die kurzen
Schenkel den verschiedenen Formen der prostatischen Urethren
entsprechend baut. Dem Vortheil der leichteren Einführung steht
dei'vJaclltheil der Unmöglichkeit der Annäherung
«in alle Stellen der Blase entgegen.
Bald mit diesem, bald mit jenem Instrument wird man besser
fahren ; die Hauptsache aber ist und bleibt, dass man v o r dem
Versuch der Cystoskopie sieh alle Aufschlüsse über die Form der
prostatischen Harnröhre verschafft hat, welche man mit den
anderen nicht instrumenteilen und instrumenteilen Unter¬
suchungsmethoden erlangen kann. Nur dann kann man hoffen,
durch die Cystoskopie mehr Aufschlüsse zu erhalten, als durch
die übrigen Mittel der Diagnostik.
Im Wesentlichen ist bei unkomplizirter Prostatahyper-
trophie die Besichtigung angezeigt bei der Erwägung einer
Operation. Ob eine totale oder partielle Exstirpation der Pro¬
stata von aussen oder ob die galvanokaustische Inzision von innen
vorzuziehen ist, ob bei der Prostatektomie der suprasymphysäre
oder der perineorektale Weg bessere Chancen bietet, lässt sich
nur durch die Erschöpfung aller diagnostischer Hilfsquellen
eruiren. Bei der örtlichen Untersuchung ist ausser der Bougie
a boule, der Metallsonde mit Mercier- und Thompsonkrümmung
das Cystoskop unerlässlich, ehe über diese Fragen ein Urtheil
gefallt werden kann. Entschied man sich für die Galvano¬
kaustik nach Bottini-F reudenberg, so kann wiederum
nur durch die Kombination der anderen instrumenteilen Unter¬
suchungen mit der Cystoskopie festgestellt werden, wie viele,
wie lange, wie gerichtete Inzisionen nothwendig- sind; ohne dies
kann es sich ereignen, dass man Inzisionen macht, wo keinerlei
Raumbeschränkung vorliegt, und dass man Inzisionen unterlässt
an Stellen, wo mächtige Wülste den Blaseneingang verband -
kadiren. Leider werden die schwersten Formveränderungen des
Blasen eingangs durch die hypertrophische Prostata, welche am
ehesten der Operation bedürften, am ehesten auch die Cysto¬
skopie unmöglich machen. Man wolle bei dieser Frage nie ver¬
gessen, dass eine absolute Indikation zur Radikaloperation
der unkomplizirten Prostatahypertrophie äusserst selten vorliegt.
(Es wurden Bilder und Zeichnungen von Befunden bei Prostata¬
hypertrophie demonstrirt.)
2. Die Cystoskopie bei Cystitis, speziell bei der tuberkulösen
Cystitis.
Will man aus dem Fehlen des glänzenden weissrosa Farben¬
tons, aus dem Fehlen der deutlichen Gefässzeichnung im cysto-
skopischen Bilde den Schluss ziehen, dass es sich um eine ent¬
zündliche Trübung handele, so muss man sicher sein, dass die
Besichtigung technisch ganz exakt ist. Nachlass der Glühstärke
des Lämpchens, allzugrosse Entfernung des Prismas vom Objekt,
in Folge Vermehrung der Blasenfüllung durch Polyurie bei dem
Eingriff, Wiederverunreinigung des Blaseninhaltes durch Eiter
oder Blut im Laufe der Besichtigung sind oft genug die Er¬
klärung einer Trübung.
Solche Irrthümer haben nicht viel zu sagen, denn es wird
ja wohl kaum Jemand auf den Gedanken kommen, eine Cystitis
lediglich durch Cystoskopie erkennen zu wollen, die man nicht
schon auf anderem Wege cliagnostizirt hätte.
Die Cystoskopie hat nach meiner Erfahrung nicht aufge¬
deckt, dass wir früher zu wenig Cystitiden diagnostizirt
hätten; denn wenn wir jene oben geschilderten Veränderungen
bei einer Person finden, deren Katheterharn keine Eiterzellen
führt, so würden wir zunächst eine technische Unkorrektheit der
Cystoskopie annehmen müssen ; ich setze bei dieser Bemerkung
voraus, dass man die rein epitheliale Desquamation
der Blasenschleimhaut, welche ich in Steinblasen und
nach Einwirkung von starken Lösungen von Kalium permangani-
cum, von Protargol, von Ichthargan auf gesunde Blasenschleim¬
haut gesehen habe, n i c h t „Cystitis“ nennt. Die Leukocyten-
produktion ist ein , weit feineres Reagens der Cystitis, als die
cystoskopiseh sichtbaren Veränderungen.
3
1178
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Umgekehrt hat die Cystoskopie sehr wohl die Aufklärung ge¬
bracht, dass wir bisher zu viel Cystitiden diagnostizirt haben.
Auf die durch unzureichende Untersuchung herbeigeführten
Fehldiagnosen will ich nicht eingehen.
Aber es kann sich ereignen, dass man die klassische Trias
von Symptomen: Pollakiurie, Dysurie, Pyurie vor sich hat, dass
man objektiv die Provenienz des Eiters aus der Blase mit
Katheter feststellt und trotzdem besteht keine Cystitis.
1. Der Eiter kommt von oben in die Blase, durch Pyelitis
oder Pyelonephritis; reflektorisch entsteht Dysurie; die Pollaki-
urie entsteht zum Theil durch die bei Pyelitis häufige Ver¬
mehrung der Harnmenge; örtliche Erscheinungen fehlen von
Seiten der Nierengegend: was liegt da näher als die Annahme
einer Cystitis ! Die Cystoskopie, welche uns die gesammte Blasen¬
schleimhaut in ungetrübtestem Glanze zeigt, gewährt raschen
und endgültigen Aufschluss. In seinen „experimentellen und
klinischen Untersuchungen über die Urininfektion hat Rov¬
sing auf diese Thatsache mit grossem, vielleicht etwas zu
grossem Nachdruck hingewiesen.
2. Die Eiterzellen, welche man aus der Blase herauslässt,
können aber auch statt „deszendirt“ in sie „aszendirt sein. Aus
den Gängen der Prostata in die Urethra prostatica sich drängen¬
des eiterhaltiges Sekret regurgitirt in einzelnen Fallen m die
Blase, und bewirkt so Pyurie, die auch dem Katheterharn nicht
fehlt; Pollakiurie und Dysurie sind in solchen Fällen das eine
Mal von der Urethra prostatica her ausgelöst, das andere Mal
rein neurasthenischen Ursprungs. Wenn auch dem erfahrenen
Kenner die Gesundheit der Blase selbst hier aus einer Einzel¬
analyse aller objektiven Symptome bei längerer Beobachtung klar
wird, ist doch für eine rasche Diagnose die Cystoskopie das
beste Hilfsmittel.
Chronische Cystitis ist für die cystoskopische Erfahrung
deswegen von grosser Bedeutung, weil sie Bilder liefern kann,
die grosse Aehnlichkeit mit infiltrirenden Geschwülsten bieten.
Sie erschwert als Komplikation in hohem Grade die Erkenntniss
anderweitiger Erkrankungen der Harnblase im Cystoskop.
Von besonderen Formen der Cystitis möchte ich liier nui
die tuberkulöse mit Rücksicht auf die Cystoskopie be¬
sprechen.
Ich habe ungefähr 60 Uro tuberkulösen beobachtet und be¬
handelt, meist lange Zeit hindurch; von diesen habe ich nur
7 cystoskopirt. Die Diagnose der Tuberkulose an sich lässt sich
in den meisten Fällen aus der klinischen Würdigung der Ge-
sammtsymptomatologie stellen, vorausgesetzt, dass man die Sym¬
ptomatologie der anderen Harnkrankheiten genau kennt; dazu
kommt der Tuberkelbazillenbefund — ich habe bei sterilem
Katheterismus und Untersuchung der letzten aus dem Katheter
austropfenden dickeren Partikel doch in der Mehrzahl der ver¬
dächtigen Fälle Tuberkelbazillen nachweisen können. Auch in
den 7 vorgedachten Fällen hatte die Cystoskopie nicht den Zweck,
die Diagnose „Tuberkulose^ an sich zu stellen, sondern ihien
Sitz — ob Blase, ob Niere, welche Niere — zu stellen; 4 mal er¬
wies sie die Blase gesund und eine Niere als Ursprungsherd,
3 mal die Blase erkrankt.
Was die Technik und die Prognose der Cystoskopie bei
Urotuberkulose angeht, so ist es meines Erachtens erforderlich,
zwischen weit entwickelten Zuständen und Frühformen, bei letz¬
teren zwischen den genitovesikalen und den renovesikalen
Formen einen Unterschied zu machen. Bei Nierentuberkulosen
erfolgt die Propagntion auf die Blase so, dass sie Anfangs nur
kleine, bei Katheterisirung der Blase vermeidbare Partien be¬
trifft. Man wird also bei deszendirender Tuberkulose das Cysto¬
skop durch gesunde Theilc einführen und mit erkrankten Theilen
auch nicht in Berührung bringen; cs wird auch aus der Blasen¬
füllung, wenn man sie nur der vorhandenen Kapazität anpasst,
ein Schaden nicht erwachsen ; endlich wird man die Gefahr einer
Sekundärinfektion, da es sich um einen einmaligen Eingriff han¬
delt, erfolgreich bekämpfen können. In der That habe ich dem¬
nach von reinen Cystoskopien bei früher Renovesikaltuberku-
lose keinerlei Schaden den Kranken erwachsen sehen. Bei genito-
vcsikaler Tuberkulose dagegen ist das Mittelglied zwischen Geni¬
talien und Harnreservoir die Gegend der Urethra prostatica
(Prostata selbst, Ductus ejaculatorii) und des Blaseneingangs.
Es ist also nicht möglich, ohne Kontakt mit den tuberku¬
lösen Theilen zu operiren; es werden sogar meistens die Ver¬
änderungen in der Urethra prostatica solche sein, dass sie eine
unblutige Passage des Cystoskops äusserst schwierig machen
(vergl. oben bei Prostatahypertrophie) ; bei der grossen Empfind¬
lichkeit dieser meist schwer leidenden Kranken, bei der grossen
Empfänglichkeit etwa gesetzter W unden für Weiterimpfung dei
Tuberkulose, bei der Disposition der Tuberkulösen zum Ivatheter-
fieber würde man also hier von der Cystoskopie nur in dem Falle
Gebrauch machen, dass sie therapeutisch vervverthbare ^unum¬
gänglich erforderliche Aufschlüsse gäbe. Ein solcher Fall ist
mir nicht vorgekommen, wird auch sehr selten sein , Sitz und
Ausbreitung sind palpatoriscli abdominal ausreichend festzu¬
stellen; Operationsindikationen werden auch nicht durch die Art
und den Umfang der intravesikalen Ausbreitung, sondern durch
andere Momente gegeben, auf die ich hier nicht eingehen kann.
Weit gediehene Tuberkulosen, gleichviel welchen Ursprungs,
kontraindiziren die Cystoskopie. _
Die — durchaus exzeptionellen — rein primären V esi-
ealtuberkel können unter Umständen anders als durch Cysto¬
skopie nicht erkannt werden [Asch1), Blank")].
3. Die Cystoskopie bei Blasensteinen.
Seit meiner Publikation „über Lithotripsie“ (vergl.
I diese Wochenschrift 1901, No. 52) habe ich wiederum eine Reihe
von Blasensteinen zu behandeln gehabt, welche dazu beitrugen,
meine Erfahrung über den Werth der Cystoskopie bei Blasen¬
steinen zu klären. Im Ganzen zähle ich jetzt nahezu 30 ein¬
schlägige Fälle. _ .
Die Ansichten über die Nothwendigkeit der Blasenbesichti-
gung zur Erkennung von Steinen, und über die Nothwendigkeit
der Blasenbesichtigung vo* Operation von Steinen gehen recht
weit auseinander. Anfänger, entzückt von der wunderschönen
Klarheit des Bildes von Steinen in normaler Blase bei normalen
Harn wegen, möchten Jeden für einen l hören halten, der einen
Menschen uncystoskopirt lithotripsirt ; Meister der Urologie aber,
wie G u y o n, D i 1 1 e 1, T h o m p s o n, haben ohne Zweifel in der
antecystoskopischen und in der cystoskopischen Aera zahlreiche
Patienten mit glänzendstem Erfolge ohne vorgängige Besichti¬
gung von ihren Steinen befreit.
Wie sich in der Praxis die Sache stellt, wird am besten
durch einen Bericht über die Cystoskopie in meinen letzten
4 Fällen veranschaulicht.
Bei dem ersten Patienten war die Diagnose mit der Stein¬
sonde leicht zu stellen. Da Patient drängte, beschloss ich, sogleich
zu lithotripsiren. Die erste Sitzung führte aber nicht zum end-
giltigen Erfolg, weil der äusserst aufgeregte Patient nicht narkoti-
sirt war; es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Fassen
und Zerbrechen des Steines sogleich gelungen sein würde, wenn
man durch Besichtigung über Form und Lage sich vorher ge¬
nauer orientirt hätte. .
Der zweite Patient hatte einen ausserordentlich grossen Stein
und eine vesical-, urethral-, rectalwärts bedeutend vergrösserte,
mit zirkumskripten vesikalen Prominenzen versehene und zu alle¬
dem noch derzeit kongestionirte Prostata. All’ das war ohne
Cystoskopie erkennbar; die Auffälligkeit des Sitzes an der vorderen
oberen Zirkumferenz des Blasenhalses veranlasste mich jedoch zu
einer Blasenbesichtigung. Nun, wie nicht anders zu erwarten, es
blutete etwas aus der Urethra prostatica; so konnte ich sehen, dass
ein grosser Stein vorhanden, mehr nicht; das hatte ich aber vorher
auch schon gewusst. Die Litholapaxie gelang aber dennoch.
Der dritte Patient hatte einen sehr kleinen Uratstein im
Fundus vesicae; der Stein wurde in einer Sitzung Anfangs von der
Steinsonde entdeckt, nachher nicht wiedergef unden; auch hier ver¬
eitelte eine Prostatahypertrophie und -Kongestion Detailstudien bei
der Besichtigung; ti'otzdem litholapaxirte ich den noch dazu dia¬
betischen Kranken mit bestem Erfolg in einer Sitzung.
Beim vierten, einem jungen kräftigen Manne, ohne andere
Komplikation als Cystitis- mässigen Grades, war die Cystoskopie
insofern von Werth für die Operation, als sie neben dem Stein
im Fundus eine diffuse Inkrustation der rechten Seiten- und
Vorderwand zeigte, die ich in solcher Ausdehnung nach der Son-
dirung doch nicht erwartet hatte. Litliolapaxirt habe ich in zwei
Sitzungen, volle Heilung in 1—2 Wochen erzielt.
Sie sehen also, das eine Mal war es gut, zu cystoskopiren,
das andere Mal ist es nutzlos gewesen; es ist keineswegs an¬
gängig, die Cystoskopie als eine Conditio sine qua non aller
J) Berliner kliu. Wochensclir. 1900.
~) Monatsber. ü. d. G. a. d. G. d. Kr. des Harn- u. Sexualapp.
15. Juli 1902,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1179
Steinoperationen zu erklären; man muss von Fall zu Fall ent¬
scheiden und wird zuweilen mit der Unterlassung dieser Unter¬
suchungsmethode dem Steinkranken einen besseren Dienst er¬
weisen, als mit der Ausführung-, insbesondere bei primären
Steinen in noch aseptischen Harnorganen.
Man kann mit der Besichtigung feststellen, 1. wie viel Steine
vorhanden sind, 2. wie gross der oder die Steine sind, 3. welche
Form sie haben, 4. welche Lage sie haben, 5. die Kompli¬
kationen.
Man kann 3. und 5. mit Sicherheit nur durch Be¬
sichtigung feststellen ; Zahl, Grösse und Lage bestimmt mit einer
nicht grösseren Sicherheit, aber in einer für die Operation
besser verwerthbaren Weise der Litho trip tor.
Man kann mit der Besichtigung nicht feststellen, ob ein
Stein zerbrechlich ist ; darüber entscheidet lediglich der Ver¬
such des Zerbrechens; die Wahl zwischen Lithotomie und
Lithotripsie hängt von der Würdigung aller örtlichen und all¬
gemeinen Erscheinungen ab, nicht von dem Ergebniss einer
Methode örtlicher Untersuchung.
4. Die Cystoskopie bei Blasengeschwülsten.
Die Zahl der von mir behandelten Blasengeschwülste betrug
zur Zeit meiner gleichbetitelten kurzen Mittheilung im Zentralbl.
f. Chir. 21; seitdem sind 2 neue hinzugekommen. 33 Blasen¬
besichtigungen habe ich bei 16 dieser Patienten vorgenommen;
bei 7 unterblieb die Cystoskopie, weil bei bereits gestellter Dia¬
gnose und nicht beabsichtigter Operation ein derzeitiger Nutzen
des Eingriffes für den Patienten nicht ersichtlich war.
Die Technik der Geschwulstbesichtigung wird zum Theil
beherrscht von der Geschwulstblutung ; sie wird zum Theil ausser¬
ordentlich erschwert durch hinzugetretene Cystitis.
Wenn es auch im Allgemeinen ratlisam ist, die Beendigung
einer Geschwulstblutung abzuwarten, weil ohne Blutung die Be¬
sichtigung weit leichter, ihre Ergebnisse weit zweifelsfreier sind;
so lässt sich in der Praxis dieser Forderung doch nicht immer
Genüge leisten. Die Patienten mit gutartigen Blasen¬
geschwülsten sind von auswärts eben wegen der Blutung zur
Diagnosenstellung hergeschickt worden; so lange es blutet, sind
sie auch ärztlicher Intervention recht zugängig; hat die Blutung,
und damit ihr subjektives Krankheitsgefühl, auf gehört, und dazu,
wie so oft, für lange Zeit, so denken sie nicht daran, sich dem
gefürchteten Eingriff ohne Noth, wie sie meinen, auszusetzen.
Handelt es sich aber um klinisch bösartige Geschwülste, ist be¬
reits eine Harninfektion hinzugetreten, so hat man manchmal
gut warten ; durch die Infektion verliert zuweilen die Geschwülst-
blutung ihren intermittirenden, spontanen Typus ; sie erklärt
sich in Permanenz, und man würde mit längerer Verzögerung der
exakten Diagnose die beste Zeit zur Operation vielleicht ver¬
passen.
Und so bin ich recht oft in der Lage gewesen, eine Cysto¬
skopie bei vermutheter Geschwulst zur Zeit einer Hämaturie vor¬
nehmen zu müssen; Die Diagnose konnte aber trotzdem auf
Grund der Besichtigung gestellt werden.
Ist die Blutung eine geringe urethrale, so wird man, wenn
einmal das Cystoskop liegt und durch Anreiben am Orificium
urethrovesicale etwas gereinigt oder, bei Gebrauch von Spiil-
cystoskopen, abgespült wurde, kaum in der Besichtigung viel ge¬
stört werden. Schwere Blutungen aus einer kongestionirten oder
verletzten Urethra prostatica freilich werden eine erfolgreiche
Cystoskopie bei Blasengeschwülsten vereiteln; man muss dann
8 — 14 Tage bis zur Abschwellung der Prostata mit der Wieder¬
holung warten. Diese urethralen Blutungen sind accidentell und
haben mit der Geschwulst an sich nichts zu thun.
Die eigentliche Geschwulstblutung ist nach ihrer Art und
Stärke von sehr verschiedener Bedeutung für die Besichtigung.
Führt sie in akuter Weise zur Bildung zahlreicher Gerinnsel,
erschwert sie durch Gerinnselbildung die Harnentleerung, hat sie
gar zur Harnverhaltung geführt, so hat man mit der Hämostase
genug zu thun und kann nicht an Cystoskopie denken wollen.
Ist die Blutung derart, dass sich keine Gerinnsel bilden, aber
immerhin eine tiefrothe und trübe Beschaffenheit des Harns
resultirt, so kann man die unten zu schildernde Spülung immer¬
hin versuchen, und wird bei glatter Passage der Urethra und
schnellem, ebenso sicherem wie schonendem Operiren oft eine
vorübergehende Klärung, wenn auch nicht Entfärbung des
Blaseninhalts erreichen; diesen Augenblick muss man benutzen,
um sich zu orientiren.
Ist die Blutung gering, so zwar, dass der Urin hellroth die
Blase verlässt, so hat das nun zu schildernde Vorgehen mich kein
einziges Mal im Stich gelassen.
Man führt einen mit 2 Augen versehenen elastischen
Meroierkatheter nicht zu harten Materials (Charriere 14 — 16)
nach gründlicher Spülung der Urethra ein, ohne dass Patient
vorher urinirt. Man hält mehrere vorher mit klarer Bor¬
lösung fertig gefüllte 150—200 ccm Handdruckspritzen feinsten
Stempelgangs bereit. Ehe aller Urin aus dem Katheter abge-
dossen ist, injizii*t man eine hinter dem von der Blase tolerirten
Quantum (das ist aus der Menge des maximal auf einmal ent¬
leerten Spontanurins festzustellen) etwas zurückbleibende Menge
Borlösung. Gleich viel lässt man nun immer abfliessen, so dass
die Blase nie ganz entleert wird. Durch schnellen Wechsel der
Flüssigkeit geling-t es nun in einer Zeit, die nicht zur erneuten
Trübung genügendes Blut liefert, die Mischung zwischen Urin,
klarer Borlösung und Blutstropfen so zu gestalten, dass sie für
die Besichtigung durchsichtig genug wird. Ist man so weit, so
entfernt man so schnell wie möglich den Katheter und führt so
schnell wie möglich das bereit gehaltene Cystoskop ein; über die
Passage muss man vollkommen orientirt sein; denn jeder Augen¬
blick ist kostbar. Um ganz sicher zu gehen, kann man dann noch
statt des gewöhnlichen Cystoskops (mit welchem ich allerdings
bei dieser Art des Vorgehens meistens auskam) ein Spülcystoskop
benutzen, aber nicht ein sogen. Kathetercystoskop (Katheter,
durch welchen das Cystoskop eingeschoben wird), sondern das
Nitz e’sche Irrigationscystoskop mit festliegendem, besonderem
Spülkanal. Bei dem Kathetercystoskop führt nämlich die zu
schnelle Entleerung der Blase durch den weiten Kanal zu
schnellen Druckschwankungen, die nicht ganz vermeidbare Er¬
schütterung beim Herausnehmen des Spülmandrins und Ein¬
führen des Lichtmandrins zur mechanischer!. Reizung der Blase;
beides begünstigt die Blutung. Bei dem Irrigationscystoskop ist
der Spülkanal zwar eng, aber man will ja hier nur Flüssigkeit
wechseln, nicht feste Partikel herausspülen; die Hauptsache
bleibt immer die vorbereitende Katheterspülung, das Spülcysto¬
skop soll nur nachhelfen.
Auf einem ganz anderen Gebiete liegt die Erschwerung der
Technik durch komplizirende chronische Cystitis. Hier sind es
„optische Täuschungen“, w-elche sehr leicht zu diagnostischen
Irrungen führen. Ist doch der optische Eindruck einer theils
produktiv proliferativen, theils regressiv exulzerativen schweren,
chronischen Cystitis nicht so sehr verschieden von dem eines in-
filtrirenden, nur sehr wenig vortretenden, hie und da ulzerirten
Karzinoms. So habe ich bei einem 70 jährigen kachektisehen
Patienten, den ich vorher zu untersuchen und zu beobachten
nicht Gelegenheit hatte, bei dem aber eine Intumeszenz der
Blase palpatorisch festgestellt war, cystoskopisch einen Tumor
zu sehen vermeint; die Sektion des an Embolie von einer Ober¬
schenkelvenenthrombose aus gestorbenen Mannes wies aber nur
eine schwere Cystitis und ein Divertikel auf. Bei sorgfältigster
Berücksichtigung der Palpation, der Anamnese, des Allgemein¬
zustandes (Unterscheidung karzinomatöser Kachexie von Uro¬
sepsis, oder chronischer „kleiner“ Urämie!) wird eine Einschrän¬
kung solcher Fehldiagnosen erreichbar sein. Sie lehren uns, dass
wnr bei komplizirten Aufgaben urologiseher Diagnostik nicht
Alles auf eine Karte setzen dürfen, selbst wenn diese Karte so
sehr „Trumpf“ ist, wie die Cystoskopie.
Im Ueb rigen ist sie in der That für die Tumordiagnostik
souverän.
Dass eine Blasengeschwulst cystoskopisch nicht erkennbar
ist, kann seine Ursache darin haben, dass sie nicht in’s Blasen¬
innere vorragt, oder darin, dass die Cystoskopie unmöglich ist.
Die intramuskulären infiltrirenden Blasengeschwülste, welche
nicht von der Schleimhaut ausgehen, und Anfangs, ohne die
Schleimhaut überhaupt zu betheiligen, wachsen, erzeugen dem zu
Folge Anfangs keine intravesikalen Veränderungen; cysto
skopisch kann man sie also in Anfangsstadien nicht dia-
gTiostiziren ; später treten aber doch deutliche Buckel i n der
Blase auf. Diese Geschwülste sind enorm selten ; Englisch
3*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
1180
hat sie kürzlich genau beschrieben; ich habe einen derartigen
Fall nicht beobachtet.
Die andere Ursache für die Unmöglichkeit cystoskopischer
Erkenntniss eines Tumors liegt in der Unmöglichkeit der Cysto-
skopie. Es handelt sich aber hier nach meiner Erfahrung nur
um ein „noch nicht“ oder ein „nicht mehr“. „Noch nicht“, weil es
zu stark blutet, weil akute Cystitis besteht oder Aehnl. : nun,
man wartet die Beendigung dieser vorübergehenden
Hindernisse ab. „Nicht mehr“, weil das Wachsthum der Ge¬
schwulst die Passage der Urethra, oder die Anfüllung des Cavmn
vesicae mit ausreichender Menge unmöglich macht. Es ist Auf¬
gabe des Arztes, es zu diesem „nicht mehr“ nicht kommen zu
lassen, sondern jeden Kranken, bei dem auch nur der leiseste
Verdacht auf Tumor besteht, sofort bei der ersten Konsultation
zur Cystoskopie zu bewegen. Es dürfte eine ausserordentliche
Seltenheit sein, dass die Cystoskopie unmöglich ist, wenn der
Patient zum ersten Mal ärztlichen Rath nachsucht ; denn
unter meinen 23 zum Theil nach vielfachen ander¬
weitigen Konsultationen in meine Behandlung gelangten
Patienten war nur eine r, bei dem ich die Cystoskopie für
nicht möglich ansah.
Eine zweite Gruppe von Blasengeschwülsten — die Cysto¬
skopie als Eintheilungsprinzip genommen — bilden solche deren
Existenz zwar ohne Besichtigung feststeht, deren Details aber
nur durch Besichtigung erkennbar sind.
Unmittelbar vor der Exstirpation einer cystoskopisch von
mir auf der linken Seitenwand zwischen Orificium urethrae und
Ureter sinister lokalisirten Geschwulst fand der mitbehandelnde
Arzt durch rectoabdominale Palpation den Sitz rechterseits. Da
Untersuch er in Abdominalpalpation sehr geübt, der ganz magere
Patient narkotisirt, und Därme und Blase entleert waren, konnten
bessere Bedingungen für ein richtiges Palpationsresultat gar
nicht Vorkommen; die operative Autopsie bewies aber, dass die
Cystoskopie Recht hatte.
Die Unterlassung der Besichtigung kann dazu führen, dass
man in einen an der oberen Wand anhaftenden Tumor bei dem
üblichen Blasenschnitt mitten hineinschneidet, mit dem Ergeb-
niss einer profusen Blutung und einer enormen Erschwerung
glücklicher Operation ; denn w o der Tumor inserirt, kann man
nicht fühlen, wenn man seine Existenz auch ganz sicher durch
Palpation erwiesen hat.
Endlich eine dritte Gruppe bilden die ohne Besichtigung
nicht zu diagnostizirenden Geschwülste. Zu dieser Gruppe ge¬
hören ca. 25 Proz. meiner Fälle; mehrfach konnten wir uns bei
der Operation von der Richtigkeit der Behauptung überzeugen,
dass man die vorliegende Affektion weder extravesikal noch
intravesikal palpatorisch mit Sicherheit hätte konstatiren können.
Es wäre zu wünschen, dass alle Blasengeschwülste — von
den oben erwähnten, nicht primär intravesikalen abgesehen —
zu einer Zeit erkannt würden, in welcher sie noch zu dieser
3. Gruppe — nur cystoskopisch erkennbar — gehören.
Denn die Frühdiagnose ist die Voraussetzung für Fort¬
schritte bei der Heilung bösartiger Blasengeschwülste.
Für die Blasengeschwülste ohne Komplikation gilt in der
That, was kürzlich ein amerikanischer Urologe erklärte: Das
erste Instrument, welches man zur Diagnose in die Blase ein¬
führt, soll das Cystoskop sein. Ein Urologe aber, der bei allen
Blasenkrankheiten mit dem Cystoskop den Angriff eröffnet,
dessen erster instrumenteller Eingriff immer die Cysto¬
skopie wäre, ist ebenso schlecht berathen, wie ein Urologe ohne
Cystoskop.
Ueber die Heilungsvorgänge bei der operativen
Behandiung der Bauchfell- und Nierentuberkulose.*)
Von Dr. Weisswange in Dresden.
Seitdem im Jahre 1884 König über 4 Fälle referirte, bei
denen er nicht genau zu diagnostizirende Tumoren im Unterleib
operirtc, und berichtete, dass die als Tuberkulose erkannten
Fälle ausheilten, ist die operative Behandlung der Bauchfell¬
tuberkulose in den Mittelpunkt unseres therapeutischen Interesses
*) Vortrag, gehalten in der Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde zu Dresden am 12. April 1902.
getreten. In den nächsten Jahren schwoll die Literatur über
operative Behandlung der Bauehfelltuberkulose gewaltig an und
die Operation gewann immer grössere Anhänger.
1890 berichtet Koni g über 131 Fälle, die in der Zwischen¬
zeit und früher durch den einfachen Bauchschnitt behandelt
worden waren. Die Zahl der über 2 Jahre lang nach der Opera¬
tion gesund Gebliebenen betrug 24 Proz. der Operirten, 65 Proz.
waren geheilt, aber weniger als 2 Jahre beobachtet. Unter den
Ersteren waren Heilungen in der Dauer von 25, 15 und 13 Jahren.
Man hatte sich bemüht, die vor Koni g’s Veröffentlichung
Operirten aufzusuchen.
1892 stellte L i n d n e r 250 Beobachtungen zusammen.
1893 E ö h n s c li 358 mit 70 Proz. Heilungen, darunter
15 Proz. länger als 2 Jahre. Es folgte eine grössere Statistik
von 253 Fällen, die von den Mitgliedern der italienischen Gesell¬
schaft für Chirurgie laparotomirt wurden und 1896 von
Margarucci veröffentlicht wurden mit 85,4 Heilungen.
Von da an wächst die Kasuistik so an, dass sie keine Zu¬
sammenstellung mehr erfahren hat, andrerseits wird die Heilung
als so feststehende Thatsache betrachtet, dass die Veröffent¬
lichung der Fälle nicht mehr für nothwendig erachtet wird.
W i n c k e 1 konnte 1897 auf dem 12. internationalen Kon¬
gress in Moskau aussprechen:
„Die tuberkulöse Peritonitis ist in allen ihren Formen durch
die abdominale Köliotomie heilbar.“ Er fügt hinzu: Die bisher
beobachteten, sein- günstigen Resultate der operativen Eingriffe,
70 — 80 Proz. Heilungen, sind nicht einwandfrei. Der grösste
Theil ist zu kurz beobachtet worden. Klinische und anatomische
Heilung sind nicht gleichbedeutend. Sicherlich sind viele, nicht
tuberkulöse Fälle unter den „Geheilten“. Sieht man die Litera¬
tur durch, so findet man allerdings, dass eine grosse Anzahl der
veröffentlichten Fälle nicht beweiskräftig sind, da diese zu kurze
Zeit nach der Operation als geheilt erklärt wurden. Daher hat
die Forderung, nur diejenigen Fälle als geheilt zu bezeichnen, die
2 Jahre gesund geblieben sind, wohl ihre Berechtigung.
Selbstverständlich versuchte man auch, die wunderbaren
Heilungsvorgänge zu erklären, aber zu einem definitiven Ab¬
schluss ist man noch nicht gekommen, auch W i n c k e 1 blieb
eine vollständige Erklärung für den Heilungsvorgang schuldig.
Bei der grossen Anzahl von Veröffentlichungen auf dem Ge¬
biete der operativen Behandlung der Bauchfelltuberkulose möchte
es vielleicht anmaassend erscheinen, den Gegenstand in dieser
Gesellschaft nochmals zur Sprache zu bringen. Ich glaube je¬
doch, dass die Fälle, über die ich mir Ihnen zu berichten ge¬
statte, wegen einiger Komplikationen, die vielleicht ein Licht
auf die Heilungsvorgänge zu werfen geeignet sind, einiges Inter¬
esse bieten dürften.
Von einer grossen Anzahl von Beobachtungen von Bauch¬
felltuberkulose, die ich in den letzten 5 Jahren als chirurgischer
Assistenzarzt und später zu beobachten Gelegenheit hatte, und
deren theilweise Behandlung und weitere Beobachtung mir durch
die Güte meines früheren Chefs, des Herrn Prof, de Ruyter
in Berlin, ermöglicht wurde, gestatte ich mir nur auf einige
etwas näher einzugehen. Es sind dies solche Fälle, wo durch
die Operation auch anderweitige Tuberkulose des Körpers in
wunderbarer Weise beeinflusst wurde.
Um mir ein Bild von dem Heilungsverlauf zu machen, theilto
ich die zur Beobachtung gekommenen Fälle ein:
I. in solche, die spontan ausheilten,
II. in solche, die durch die Laparotomie ausheilten,
III. in solche, die durch die Laparotomie ausheilten und bei
denen durch die Operation auch anderweite, tuberkulöse Herde
im Körper ausheilten oder auffällig günstig beeinflusst wurden,
in solche, die auch durch Laparotomie nicht ausheilten.
Nur aus der 3. Gruppe gestatte ich mir zunächst einige
Krankengeschichten zu berichten. Vorausschicken möchte ich
noch, dass in sämmtlichen Fällen die Diagose nicht nur klinisch,
sondern auch mikroskopisch und bakteriologisch sicher gestellt
ist sämmtliche Fälle sind 8, 6, 5, 3, einige wenigstens 2 Jahre
geheilt und genügen dem von König geforderten Maassstab
einer LIeilungsdauer von 2 Jahren als Norm, von der ab man
einen Fall als geheilt bezeichnen darf.
Der erste Fall betrifft ein 5 jähriges Mädchen. Es erkrankte
im März 1894 mit einer Anschwellung des linken Zeigefingers, die
15. .Till! 1902.
MUEN OTIENER MEHICTNTSCHE WOCHENSCHRIFT.
aber keine weitere Beachtung fand. Nach einiger Zeit fiel eine
nicht unerhebliche Anschwellung des Leibes auf. ohne dass das
Kind über Schmerzen klagte. Bei der Aufnahme in die Klinik
fand sich folgender Befund: Sehr mageres Kind mit trommelartig
aufgetriebenem Leib und ausgesprochenem Aszites, einer Spina
ventosa der 2. Phalanx des linken Zeigefingers und einer Ver¬
dickung des rechten Unterkiefers iron der Grösse eines halben
Taubeneies, die als tuberkulöse Knochenerkrankung angesprochen
wird. Bei der vorgenommenen Laparotomie, die in einfacher In¬
zision in Medianlinie bestand, entleeren sich 2—3 Liter rein se¬
röser Flüssigkeit. Das Peritoneum viscerale und parietale findet
sich übersät von unzähligen miliaren Tuberkeln. Die Wunde wird
in der ganzen Ausdehnung geschlossen. Schon nach wenigen
Tagen macht sich eine auffällige Verkleinerung der Auftreibung
am Unterkiefer, sowie auch der Geschwulst am Finger geltend.
Als das Kind auf Wunsch die Klinik verlässt, ist die Bauchwunde
geheilt, die Schwellung' am Kiefer fast ganz verschwunden, die
Auftreibung am Finger geringer. Nach kurzer Zeit stellte sich
wieder eine Anschwellung des Leibes mit Aszites ein. die aber
gleich wieder zu schwinden anfing, und zwar so rapid, dass nach
Messungen von Seiten der intelligenten Eltern täglich eine Ab¬
nahme des Leibesumfanges um 5 — 6 cm gefunden wurde. Zu
gleicher Zeit begannen die 1. und 2. Phalanx des rechten
und die 1. Phalanx des linken Zeigefingers in derselben Weise
zu erkranken wie früher die 2. der linken Hand. Es bildete
sich dann eine Fistel, durch dip sich Eiter entleert haben soll und
die sich bald von selbst schloss. Von da an erholte sich das Kind
vollständig. Ein Jahr nach der Operation zeigte sich dasselbe in
gutem Ernährungszustand, fühlte sich sehr wohl und frisch. Weder
am Leibe, noch an sonstigen Organen Hessen sich irgend welche
krankhafte Veränderungen wahrnehmen. Der Knochen des Unter¬
kiefers war vollständig normal, die Fistelöffnung am linken Finger
gut vernarbt. Die 2. und 3. Phalanx des linken Zeigefingers etwas
verdickt, sonst völlig normal. Der treffliche Gesundheitszustand
hat bis jetzt angehalten.
Dieser Fall ist bereits im .Tahre 189.r> Gegenstand einer Disser¬
tation von K r a m e r gewesen.
Der zweite Fall betrifft einen S jährigen Knaben, der mit
starkem Fieber, beiderseitigem Lungenspitzenkatarrh, einer links¬
seitigen Pleuritisexsudation und mit einem grossen Exsudat in
der linken Bauchseite, das vom Bippenbogen bis zum Darmbein-
kamm reichte, in sehr desolatem Zustande 1890 aufgenommen
wurde.
Da das Fieber bestehen blieb, der Zustand sich verschlechterte,
wird 14 Tage nach der Aufnahme die Laparotomie ausgeführt.
Es entleert sich 500 ccm klare, gelbe Flüssigkeit. Das Peritoneum
parietale ist stark verdickt und mit Tuberkeln besetzt, die sich
theilweise im Stadium der Verkäsung befinden. Das Peritoneum
viscerale zeigt sieb glatt und spiegelnd, ist aber auch mit sub¬
miliaren Knötchen iibersät. Im stark verdickten, geschrumpften
Netz finden sich Tuberkelknoten. Hier wird die Wunde nur theil¬
weise vernäht, die Bauchhöhle drainirt. Die Wunde heilte nicht
per primnm. es bildeten sich grosse Fisteln mit schlechten,
schwammigen Granulationen. Im Laufe des nächsten halben
Jahres stiess sich das Peritoneum wie eine Schwarte ab und 'wir
konnten mehrfach grosse, schwartenartige Stücke durch die
Fisteln herausziehen. Das Peritoneum wurde allmählich glatt.
Der Aszites verschwand bald ganz. Auffällig war, dass die
Lungenerscheinungen vom Tage der Operation an zurückgingen.
14 Tage nach der erstpn Laparotomie wurdp das linksseitige
Pleuraexsudat punlrtirt und 300 ccm klare, hellgelbe Flüssigkeit
durch Aspiration abgelassen. Nach 2 Monaten war das Fieber
vollständig verschwunden, der Knabe nahm an Gewicht zu. die
Lungenerscheinungen waren bis auf vereinzelte Rasselgeräusche
der linken Spitze verschwunden. Der Knabe wurde mit piner
Bauchfistel in ein Soolbad entlassen. Nach einigen Monat0!) kam
er wieder zur Beobachtung mit 3 ca. 4 cm tiefen Fistelgängen
in der Bauchwundennarbe. Tn derlleocoekalgegend fühlte man eine
harte Geschwulst, die ganz allmählich verschwand. 2 .Tahre nach
der Operation wurde er mit völlig geschlossener Fistel entlassen.
Nach ö Jahren sah ich ihn wieder munter und wohl, nur mit einem
ziemlich grossen Bauchbruch belastet. An der Lunge waren keine
krankhaften Erscheinungen mehr nachweisbar.
Der dritte Fall betrifft ein 9 jähriges Mädchen mit tuber¬
kulösem Habitus. Fieber und Lungenkatarrh mit starkem Aszites.
Die Operation wurde 1897 vorgenommen. Das Mädchen hat sich
ausserordentlich erholt, ist dick und blühend, wovon wir uns kürz¬
lich überzeugen konnten.
Der vierte Fall betrifft ein lö jähriges Mädchen, ebenfalls
mit tuberkulösem Habitus, Fieber. Lungenkatarrh und starkem
Aszites. Die Laparotomie wurde 1899 ausgeführt. Peritoneum
stark verdickt und mit Tuberkeln iibersät, ebenso Därme, einzelne
Stränge vorhanden. Nach der Operation erholte sich die Patientin
auffällig, im Juli 1901 gutes Wohlbefinden, frische und blühende
Gesichtsfarbe.
Es liegt auf der Hand, dass die wenigsten Fälle von Bauch¬
fell- oder FT ieren tuberkulöse einzig und allein auf Peritoneum
oder Niere beschränkt sind, denn der Erreger muss auf irgend
einem Wege durch den Organismus zum Ort seiner Bestimmung ^
No. 28.
1181
gekommen sein, nicht ohne wahrscheinlich auf diesem Wege hie
und da Halt gemacht zu haben. Er kann von Pleura, Harm,
Lymphdrüsen, von den Geschlechtsorganen seinen Ursprung
nehmen. Es werden daher hei den in der Literatur als geheilt
bezeichneten Fällen wohl auch günstige Beeinflussungen der pri¬
mären Herde eingetreten sein, aber ich finde diese auffällige
günstige Beeinflussung anderer tuberkulöser Herde durch den
operativen Eingriff nirgends hervorgehoben und betont, und ich
finde in der zahlreichen Literatur keinen Fall, den ich in dieser
Beziehung unseren Beobachtungen an die Seite stellen könnte.
Ich halte aber gerade diese Beobachtungen für den Versuch
einer Erklärung der Heilungsvorgänge für ausserordentlich
wichtig.
Was ist nun bei diesen Eingriffen das heilende Agens? Und
wie kann man sich diese auffällig günstige Beeinflussung ent¬
fernt liegender tuberkulöser Herde durch die Operation erklären ?
Wenn man die Literatur über die operative Behandlung der
Bauchfelltuberkulose durchsieht, so findet man, dass die ver¬
schiedensten Theorien zur Erklärung herbeigezogen worden sind.
Sie alle hier anzuführen, würde bei der grossen Menge zu weit
führen.
Chemische Reagentien (Antiseptika und Jodoform), Licht
(L auen stei n), L u f t (N oler, Mosetig-Moorhof),
andere Bakterien, die bei der Operation eingebracht werden
sollen (Bact. termo — O a t a n i — , F e h 1 i n g’s den Tuberkel¬
bazillen antagonistische Keime), Entfernung des Exsudats wur¬
den für das Heilende erklärt. Aber alle diese Theorien konnten
einer scharfen Kritik nicht Stand halten und so musste auch
v. Winckel zu dem Schluss kommen : eine allseitig befrie¬
digende Erklärung für die Wirkung der Laparotomie bei der
tuberkulösen Peritonitis ist noch nicht gefunden worden. Hie
meisten Anhänger fand die Annahme, dass die durch die Lapa¬
rotomie erzeugte Stauungshyperämie das heilende Agens sei. So
sagt. Hildebrand (Münch, med. Wochenschr. 1898, No. 51
u. 52) : Hie Heilung bei tuberkulöser Bauchfellentzündung wird
hervorgerufen weder durch Entfernung des Exsudats (denn auch
die trockene Form wird Geheilt), noch durch die Antiseptica,
noch durch die bazillentödtenden Keime, die bei der Operation
in die Bauchhöhle gelangen, noch durch die austrocknende Wir¬
kung des Lichtes, noch durch die Luft — denn auch die von
N o 1 e r und Mosetig - Moorhof empfohlenen Luftein¬
blasungen in die Bauchöhle wirken nur durch die Hyperämie,
die sie erzeugen — , noch durch die Exsudation, in der die Tu¬
berkelbazillen degeneriren, denn in vielen Fällen kommt es nicht
zu Verwachsungen, wie auch Thierexperimente ergeben haben,
sondern durch die erzeugte Stauungshyperämie. Auch Nassauer
schliesst sich der Ansicht an, dass die mächtige Hyperämie, die
durch die Inzision erzeugt wird, das heilende Agens sei.
Hie zahlreichen Thierexperimente, die von Kischensky,
Gatti u. A. vorgenommen wurden, lieferten zwar ein Bild der
pathologisch-anatomischen Vorgänge der Heilung, aber eine aus¬
reichende Erklärung dafür blieben die Experimentatoren schul¬
dig. Hass durch die Inzision ein mächtiger Reiz auf das Peri¬
toneum ausgeübt wird, muss Jeder zugeben, der in die Lage ver¬
setzt war, kurz nach einer Laparotomie aus irgend einem Grunde
die Bauchhöhle nochmals öffnen zu müssen. Er wird selbst bei
einfacher Laparotomie, wo das Peritoneum verhältnissmässig
wenig gereizt worden war, erstaunt sein über die vorhandene
starke Hyperämie. Wenn schon im gesunden Peritoneum die
Hyperämie eine starke ist, wie viel stärker müsste sie in den
Theilen sein, wo schon als Reaktion auf den krankhaften Reiz
eine Hyperämie vorhanden ist? Aber geben wir selbst zu, dass
durch den Bauchschnitt die Zirkulationsverhältnisse günstig be¬
einflusst werden, dass durch Befreiung von der Stauung die
Lymph- und Blutgefässe freier, entlasteter werden und das
Bauchfell, welches sich vergeblich bemühte, des Feindes Herr zu
werden, einen neue n Antrieb bekommt, kräftiger wird, um
gegen den Feind anzukämpfen, so würde damit doch nicht der
merkwürdige Einfluss der Inzision auf entferntere erkrankte Or¬
gane erklärt sein ; es würden auch die Fälle von trockener, tuber¬
kulöser Peritonitis nicht erklärt sein, wo keine oder wenigstens
nur eine geringe Stauung besteht, und vor Allem würde nichl
erklärt sein derselbe günstige Einfluss der Operation bei Niere
4
1182
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tuberkulöse, für den ich mir folgende 2 Fälle anzuführen ge¬
statte :
Eine 44 jährige Böttchersehefrau, die vor 3 Jahren dem Kran¬
kenhaus von einem Kollegen zur Operation zugeschickt wurde,
war tuberkulös belastet, hatte seit Jahren an Lungenkatarrh ge¬
litten und war mit Fieber, Schüttelfrost und Schmerzen in der
linken Nierengegend erkrankt. Bei der Aufnahme fand sich
folgender Befund:
Sehr schwächliche Frau in elendem Ernährungszustand.
Fieber 39,0, mit rechtsseitigem Lungenspitzenkatarrh, die linke
Nierengegend schmerzhaft, linke Niere palpabel, abei nicht
wesentlich vergrössert, Urin trübe, im Sediment reichlich Tuberkel¬
bazillen in Zopfform und Streptokokken. Bei der mehrfach vor¬
genommenen. cystoskopischen Untersuchung finden sich in der
Blase keine Veränderungen, an der linken Ureterenmündung findet
sich einmal ein flockiges, grösseres Gerinnsel,, aus beiden Ureteren
spritzt bisweilen trüber, eitriger Urin aus, links stärker als rechts.
Die Diagnose wird gestellt auf rechtsseitigen Lungenspitzen¬
katarrh, doppelseitige Nierentuberkulose, links stärker als rechts,
eventuell linksseitiger Nierenabszess.
Da der Zustand sich in den nächsten 14 Tagen verschlimmert,
wird die Freilegung der linken Niere, behufs Spaltung eines even¬
tuellen Abszesses in der linken Niere beschlossen.
Bei der Operation findet sich eine Hufeisenniere. Die links¬
seitige Niere ist von zahlreichen, miliaren, grauen Knötchen durch¬
setzt. Es wird eine Inzision in die linke Niere vorgenommen. Auf
der Schnittfläche finden sich ebenfalls zahlreiche, grauweisse Knöt¬
chen in der Nierenrinde, deren mikroskopische Diagnose Tuberku¬
lose ergab. Die Inzisionswunde wird tamponirt. Vom Tage der
Operation an beginnt eine auffällige Besserung im Zustand der
Patientin: das Fieber nimmt ab. die Harnmenge, die vor der
Operation 500—800 betrug, steigt bis 3400 ccm. Da eine Pyo-
cyaneusinfektion auftrat, musste Patientin täglich verbunden wer¬
den. Die Wunde heilte durch gute Granulationen zu. Patientin
konnte nach 5 Wochen mit beginnender Gewichtszunahme ent¬
lassen werden, der Lungenbefund ergab bedeutende Besserung.
Vor wenigen Monaten sahen wir die Kranke in befriedigendem
Zustande, vollständig beschwerdefrei wieder, der Tmngenbefund
ergab normales Untersuchungsergebniss.
Dieser Fall dürfte vielleicht insofern noch von Interesse sein,
als Israel in seiner kürzlich erschienen Klinik der Nieren¬
krankheiten sagt : „Tn der ganzen Eiteratur findet sich kein be¬
weisender Fall von geheilter Nierentuberkulose durch Nephro¬
tomie“ (R. 187). Hierher dürfte auch ein mir von Herrn Dr.
Zeller in Perl in giitigst zur Besprechung überlassener Fall
von TTrogenitaltuberkulose gehören, der seit 1898 beobachtet wird.
30 Jahre alter Patient, seit mehreren Jahren verheirathet, ge¬
sunde Kinder. Seit einigen Monaten bemerkt er knollige An¬
schwellung beider Nebenhoden, starken Blasenkatarrh mit sehr
starkem Tenesmus und zunehmender Verengerung des hinteren
Harnröhrentheils.
Die Untersuchung im Oktober 1898 ergibt: Mann von kräf¬
tiger Konstitution, der sehr stark abgemagert ist. Knollige An¬
schwellung in beiden Nebenhoden und in den Samensträngen,
am stärksten rechts, wo sich Erweiterungsherde finden.
Urin enthält viel Eiweiss und grosses aus Eiterkörperchen be¬
stehendes Sediment. Urin kann nur tropfenweise entleert werden
Harnröhre in Pars prostatic. selbst für feinste Sonden undurch¬
gängig.
In Prostata schmerzhafte, knollige Anschwellungen per
rectum zu fühlen.
Diagnose: Doppelseitige Nebenhodentuberkulose, doppel¬
seitige Tuberkulose beider Vasa deferent.. Tuberkulose der Blase
und der Prostata. Undurchgängige Striktur der Urethra.
Es wird die Resektion des am stärksten erkrankten rechten
Nebenhodens vorgenommen und die Urethrotomia externa.
Es gelingt, die Harnröhre selbst für starke Katheter gut durch¬
gängig zu erhalten nach Heilung der Urethrotomiewunde. Blase
fasst kaum 80 ccm Flüssigkeit.
Die schon früher beobachteten unregelmässigen Temperatur¬
steigerungen stellen sich wieder ein. Patient magert mehr und
mehr ab. Klagen über Schmerzen in der linken Nierengegend.
Die linke Niere ist deutlich zu fühlen, erscheint höckrig, Palpation
ist schmerzhaft. Von der linken Niere geht ein daumendicker
harter Strang nach dem kleinen Becken (Ureter?!.
Cystoskopie gelingt nicht.
Die Narkosenuntersuchung ergibt Vergrösserung und höckrige
Oberfläche der linken Niere. Die rechte Niere scheint normal.
Diagnose: Linksseitige Nieren tuberkulöse.
Exstirpation der linken Niere, die etwa doppelt vergrössert
ist. Das käsig-eitrig zerfallene Parenchym ist durchsetzt mit zahl¬
reichen Abszessen von Wallnuss- bis Bohnengrössie. Der bis zur
Ria so mitentfernte Ureter stark verdickt durch Hypertrophie der
Muskulatur.
Glatte Wundheilung. Nach der Operation normale Tempera¬
tur. Eiweissgehalt des Urins nimmt allmählich ab. Patient erholt
sich auffällig, nimmt an Gewicht zu. die sonstigen tuberkulösen
Veränderungen gehen zurück.
No. 28.
Im Jahre 1902 ist Patient vollständig beschwerdefrei, fühlt
sich gesund, sieht blühend aus; tuberkulöse Erkrankungen am
Urogenitalapparat sind nicht mehr nachweisbar.
Also auch hier durch den operativen Eingriff auf einen Herd
günstige Beeinflussung, ja sogar Heilung entfernt liegender
tuberkulöser Herde. Wie sollen wir uns das erklären? Büch¬
ner hat in seinem Aufsatz über die natürlichen Heilkräfte des
Organismus gegenüber den Krankheitserregern darauf aufmerk¬
sam gemacht und dies auch experimentell bewiesen, dass im
Blutserum flüssige Serumstoffe, sogen. Alexine, vorhanden sind,
chemische Substanzen, die wahrscheinlich zu den Eiweisskörpern
gehören, die eine starke, bakterienfeindliche Wirksamkeit be¬
sitzen. Er hat ferner darauf hingewiesen, dass die Leukocyten
die TTrsprungsstätten oder die Transporteure der Alexine im
Körper sind. Es ist ferner der Nachweis geliefert worden, dass
todte Bakterienzellen ein mächtiges Anlockungsmittel für Leuko¬
cyten darstellen, eine Erscheinung, die hauptsächlich auf die
chemotaktische Reizwirkung gewisser Stoffe aus dem Inneren
der Bakterienzellen, die in Form sogen. Bakterienproteine isolirt
werden konnten, zu beziehen ist. Es ist wohl ferner nach den
Forschungen der letzten Jahre als bewiesen anzusehen, dass die
Leukocyten in der That an der Abwehr der Infektionserreger
betheiligt sind, aber nicht durch den Akt des Auffressens an und
für sich, wie es M etschnikoff annahm, sondern durch ge¬
löste Stoffe, die von ihnen ausgeschieden werden und die den
leukocytenhaltigen Exsudaten ihre bekannte erhöhte, bakterien¬
feindliche Wirksamkeit verleihen.
Nehmen wir nun aus dieser Lehre die Nutzanwendung auf
unsere Beobachtungen, so könnten wir uns den Heilungsvorgang
vielleicht folgendermaassen erklären: „Durch die Operation wird
sowohl eine verstärkte Blutzufuhr resp. Blutstauung am Infek¬
tionsorte. hervorgerufen als auch eine vermehrte Ansammlung
von Leukocyten. Wir erhalten eine mehr oder weniger grosse
Menge leukocy tonreichen Serums, das sich den Tuberkelbazillen
gegenüber bakterizid verhält.“
Durch die Inzision werden nicht nur eine Menge Bazillen
und ihre Stoffwechselprodukte entfernt, sondern es wird auch
die bakterienfeindliche Qualität des Blutes sicherlich gesteigert
dadurch, dass denselben mehr Leukocyten beigemengt werden.
Alle diese Umstände kommen zusammen, um zunächst am
Infektionsorte eine Heilung hervorzurufen, dann aber wird auch
das an bakterienfeindlichen Stoffen (Alexinen) reichere Blut die¬
selben an entfernter gelegene Infektionsherde bringen können,
um auch hier heilend zu wirken.
Betrachten wir von diesem Gesichtspunkt aus noch einmal
die Anfangs von mir auf gestellten 4 Gruppen:
I. Die Fälle, die spontan ausheilen, Tn diesen Fällen (und
auch wir haben eine ganze Reihe solcher beobachtet) werden die
natürlichen Schutzkräfte des Körpers genügen, um mit dem
Feind fertig zu werden resp. wird es gelingen, durch einfache
Verfahrungsarten eventuell physiologisch wirkende Mittel, wie
heisse Kompressen, Muskelbewegung, Massage (auch durch Mas¬
sage geheilte Fälle finden sich in der Literatur beschrieben), einen
vermehrten Blutzufluss zu erzielen. Freilich muss auch hier
sorgfältig das richtige Maass abgewogen werden, denn es gibt
zweifellos eine übermässige Blutansammlung, eine Entzündung,
die den richtigen Grad überschreitet und dann schädlich wirkt.
II. Die Fälle, wo durch die Operation glatte Erfolge erzielt
werden. In diesen Fällen gelang es rechtzeitig, den natürlichen
Heilbestrebungen zu Hilfe zu kommen. Hierher würden auch
die oft in der Literatur beschriebenen Fälle zu rechnen sein,
wo zwar die Bauchfelltuberkulose ausheilte, die Patienten aber
bald an Tuberkulose anderer Organe zu Grunde gingen. Das
würden nach meiner Theorie solche Fälle sein, wo die durch die
Operation geschaffenen Verhältnisse zwar genügten zur Heilung
der Tuberkulose des lokalen Herdes, wo aber die erzeugten
Alexine des Blutes nicht genügten, um an entfernt gelegenen
Orten den Kampf gegen die Infektionserreger glücklich zu be¬
stehen.
In die III. Gruppe würden die angeführten Fälle zu rechnen
sein: Heilung des lokalen Herdes durch Operation und günstige
Beeinflussung resp. Ausheilung auch anderweiter tuberkulöser
Herde im Körper.
15. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET.
1183
In die IV. Gruppe würden die Fälle gehören, wo auch durch
den operativen Eingriff keine Heilung erreicht wird. Das sind
die vorgeschrittenen Fälle, wo die erzeugte bakterizide Wirkung
nicht mehr genügt, um den Feind zu überwinden.
Aus dem Gesagten werden sich von selbst die Prinzipien
unseres therapeutischen Handelns ableiten lassen.
Bei geringen Erscheinungen werden wir versuchen, durch Er¬
zeugung vermehrten Blutzuflusses und roborirende Diät zum Ziele
zu kommen. Entschliessen wir uns aber zu einem operativen Ein¬
griff, so werden wir der Laparotomie vor der Punktion und der
neuerdings wieder bei weiblichen Patientinnen empfohlenen
Kolpotomie entschieden den Vorzug zu geben haben, da die
Punktion meines Erachtens nicht zum Ziele führen kann, weil
dadurch nicht genügende Reaktion hervorgerufen wird. Ich
möchte im Gegentheil zu einem grossen Inzisionsschnitt rathen,
da durch einen solchen eine grössere Entlastung der Lymph- und
Blutgefässe und günstigere Beeinflussung der Zirkulationsver¬
hältnisse geschaffen wird. Bei der Laparotomie braucht man sich
durch eine oder mehrfache Erfolglosigkeit nicht abschrecken zu
lassen, immer wieder zu inzidiren, denn oft kommt man erst
durch mehrfache Inzisionen zum Ziel, wovon ich mich selbst
überzeugen konnte, wie auch die von G a 1 v a n i veröffentlichten
Fälle zeigen, der einmal erst nach der 5. Laparotomie eine Hei¬
lung erreichte.
In dieser Beziehung scheint mir besonders die Beobachtung,
die wir in dem ersten der angeführten Fälle machen konnten,
bemerkenswert!! . Es stellte sich da, wie ich oben erwähnte, bald
neuer Aszites ein, der aber bald wieder verschwand und zwar
so rapid, dass die Eltern eine tägliche Abnahme des Leibes¬
umfanges von 5 — 6 cm konstatiren konnten. Nach den obigen
Auseinandersetzungen würde sich ergeben: Die Bakterien ver¬
suchen einen neuen Ansturm, die bakterizide Kraft des Or¬
ganismus ist aber nun so stark, dass sie den Kampf mit den
Tubcrkelbazillen und ihren Produkten siegreich bestehen konnte.
Hätte diese bakterizide Kraft nicht ausgereicht, so kann man
sich wohl vorstellen, dass man durch eine erneute Inzision die
bakterizide Kraft hätte vermehren können und damit neben Ent¬
fernung der Tuberkelbazillen und ihrer Produkte einen gün¬
stigen Erfolg hätte erreichen können. Eine Kontraindikation
für die Laparotomie dürfte bei der Erfolglosigkeit unseres son¬
stigen therapeutischen Handelns nur sehr vorgeschrittene Ka¬
chexie, sehr vorgeschrittene Lungentuberkulose, ausgesprochene
Darmtuberkulose bilden. Doch wird auch hier strengste Indivi-
dualisirung zu den befriedigendsten Erfolgen führen. Auch
wenn wir uns von dieser — nennen wir sie Alexintheorie — 'bei
der Erklärung der Heilungsvorgänge leiten lassen, so wird bis¬
weilen die Entscheidung schwierig sein, ob wir unseren Patienten
nützen oder nicht. Denn Vieles bleibt auch bei diesem Er¬
klärungsversuch noch dunkel.
Es spielen sicherlich auch andere Gesichtspunkte noch eine
Rolle bei dem Gelingen oder Misslingen der Operation. So wird
z. B. auch die Qualität des Blutes bei verschiedenen krankhaften
Vorgängen im menschlichen Körper zu untersuchen sein. Es
werden vielleicht auch Veränderungen der Zirkulation, die durch
den Krankheitsprozess selbst hervorgerufen werden, von Wichtig¬
keit sein. Es würde meines Erachtens darauf ankommen, die
Menge der zur Heilung nothwendigen bakteriziden Stoffe im
Blut zu bestimmen. Gelänge es auf experimentellem Wege, wo¬
ran ich nicht zweifle, uns von dem Gehalt des Blutes an bakteri¬
ziden Stoffen (Alexinen) zu überzeugen, so würde vielleicht hierin
ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel für unser therapeu¬
tisches Handeln zu begrüssen sein. Vielleicht würde sich auch
lner ein gangbarer Weg finden lassen zur Lösung der serothera¬
peutischen Frage der Tuberkulose.
Gestatten Sie mir noch, auf gewisse Analogien hinzuweisen,
die wir bei anderen tuberkulösen Erkrankungen, wie z. B. der
Gelenktuberkulose, beobachten können. Auch hier ist, abgesehen
von der etwaigen Ansicht, dass man durch Injektionen von Jodo¬
form, Karbol, Chlorzink u. s. w. direkte antituberkulöse Wir¬
kungen hervorrufen könnte, das therapeutische Streben darauf
gerichtet gewesen, durch Entfernung des Exsudats (Punktion)
und durch Erregung einer reaktiven Entzündung heilend zu
wirken.
Bier kam bekanntlich auf Grund der Beobachtung von
Rokitansky, dass Stauungszustände in den Lungen, wie sie
bei Kyphose oder Herzfehlern beobachtet wurden, die Erkrank¬
ungen an Tuberkulose auszuschliessen scheinen, auf seine be¬
kannte Behandlung der Gelenktuberkulose durch Stauungshyper¬
ämie.
N ö t z e 1 kommt nun auf Grund einer experimentellen
Arbeit über die bakterizide Wirkung der Stauungshyperämie
zu der Ansicht, dass das heilende Agens in einer Konzentration
der Alexine zu suchen sei. Er glaubt, dass es möglich ist, durch
experimentelle Versuche den bakteriziden Werth des durch Stau¬
ungshyperämie entstandenen Transsudats zu präzisiren. Er
glaubt, dass sich ein gerades Verhältnis zwischen Höhe der
bakteriziden Wirkung und Leukocytenreichtkum feststellen
lassen wird, wie Büchner es vermuthet. Das Ausbleiben des
Heilerfolges bei der Behandlung tuberkulöser Erkrankungen
nach der B i e Eschen Methode ist nach N ö t z e l’s Ansicht be¬
dingt in einzelnen Fällen durch mangelhafte Technik der Aus¬
führung, in anderen ist die Ursache des Misserfolges in dem Grad
der Erkrankung zu suchen, die bereits zu weit vorgeschritten ist,
als dass die erzeugte Wirkung zur Heilung genügte, in noch
anderen Fällen glaubte er die Misserfolge darin suchen zu
müssen, dass es nicht gelingt, die Stauungshyperämie in der ge¬
wünschten Form zu erzielen, höchst wahrscheinlich in Folge von
Veränderungen der Zirkulation, die erst durch den Krankheits¬
prozess bewirkt werden. Auf ähnlichen Prinzipien beruht be¬
kanntlich die Zimmtsäuretherapie von Länderer, der eine
Anregung zu energischer Leukocytose und damit eine Steigerung
der normalen Heilungsbedingungen durch Zimmtsäureinjektionen
bewirken will.
Ich würde mich zu weit in das Gebiet hypothetischer Ver-
mutliungen ergehen, wollte ich im Anschluss an das Gesagte
noch weitere Perspektiven verfolgen, die sich aus der Grundlage,
dass das Blut durch Zufuhr bakterizider Stoffe heilend zu wirken
vermag, für die Forschung und für unser therapeutisches Han¬
deln ergeben. Jedem, der sich, mit diesen Dingen beschäftigt;,
werden immer neue Räthsel für die Erklärung dieser Vorgänge
aufstossen.
Bedenken wir aber, dass das Gebiet der bakteriologischen
und chemischen Blutforschung noch verhältnissmässig jung ist,
dass die Forschungen über Bakteriolyse und Hämolyse noch
nicht abgeschlossen sind, dass aber Vieles schon geklärt ist und
manches beginnt Gemeingut der Wissenschaft zu werden. Und
so ist zu hoffen, dass uns dieses Forschungsgebiet noch über
manches Aufklärung bringen wird, was jetzt theilweise noch
dunkel ist und unerklärt bleiben muss!
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Heftige Blutung und Anaemie, verursacht durch einen
prolaoirten Mastdarmpolypen bei einem 10 Jahre alten
Knaben.
Von Er. Aronheim in Gevelsberg.
Am 5. März, Nachmittags, wurde ich zu dem 10 Jahre alten
Knaben E. 8t. gerufen. Ich traf ihn auf dem Soplni liegend an;
Gesicht, Lippen und Zahnfleisch waren äusserst blass, Respiration
und Pulsfrequenz beschleunigt, der Gesichtsausdruck ängstlich.
Nach den Angaben der Mutter war der bisher noch nicht
ernstlich krank gewesene, kräftige Knabe nach dem Mittagessen
vollständig gesund in die Schule gegangen und nach einer Stunde
aufgeregt und blass zurückgekehrt, weinend berichtend, dass ihm
bei einer Turnübung „etwas Dickes“ aus dem After gerutscht sei
und ihn nass gemacht habe, ln Folge der sofort auf getretenen
Schmerzen und grosser Schwäche habe er die Schule verlassen.
Bei der Besichtigung fanden sich die Glutäen, die Analgegend,
die Hinterseiten der Oberschenkel bis zu den Waden mit Blut be¬
deckt; das untere Drittel des Hemdes war mit Blut vollständig
beschmutzt.
Nach Reinigung des Afters bemerkte man einen aus dem¬
selben hervorragenden, wallnussgrossen, blutenden, gestielten
Tumor von lieischartiger Konsistenz. Eine Digitaluntersuchung
ergab die Insertion des fast bleistiftdicken Stiels etwa 5 cm über
der Analöttnung an der hinteren Mastdarmwand. Offenbar han¬
delte es sich um einen Mastdarmpolypen, der bei der Turnübung
aus dem Rektum herausgepresst, wegen seiner Grösse nicht wieder
zurücktrat, sondern dem Anus vorgelagert blieb und in Folge der
Einklemmung des Stiels, durch Bersten der oberflächlichen ge-
fässreichen Schicht zu der heftigen Blutung geführt hatte.
Die Therapie war eine einfache: Möglichst nahe der Insertion
wurde der Stiel, in dem ein deutlich sichtbares Gefäss verlief,
abgebunden und unterhalb der Unterbindung durchschnitten.
Nach einigen Tagen hatte der Knabe sich von dem starken
Blutverlust vollständig ei’holt und konnte die Schule wieder be¬
suchen.
Nach der mikroskopischen Untersuchung, die Herr Dr. Neu-
haus in Hagen vornahm, bestand der Tumor aus lockerem, zell¬
reichem Bindegewebe mit dazwischengelagerten Drüsen. Einige
Drüsen waren in schleimiger Entartung begriffen. In dem Binde¬
gewebe verliefen mehrere Gefässe. Es handelte sich also um
einen reinen Schleimpolypen (polypöses Adenom).
Wie mir die Mutter des Kindes mittheilte, hatte der kleine
Patient ihr schon vor einem Jahre geklagt, dass ihm beim Stuhl¬
gänge' eine Geschwulst aus dem After vor-, aber sofort wieder
zurückgetreten sei. In der Annahme, dass der Junge an Würmern
leide, habe sie ihm desshalb wiederholt Wurmmittel verabreicht.
Blutungen habe sie aber früher niemals bemerkt.
Nach Ziegler1) kommen mitunter die polypösen Bil¬
dungen auch ohne voraufgegangene Entzündung, theils ange¬
boren, theils erworben vor. Sie schliessen sich in ihrem Bau
durchaus demjenigen der Schleimhaut an, nur sind die Drüsen
oft reichlicher und daher mehrfach verzweigt und gewunden.
Sie werden als glanduläre Hyperplasien oder als gutartige Ade¬
nome bezeichnet. Im Dünndarm kommen sie selten vor, häufiger
dagegen im Rektum.
Nach König') sind diese Polypen des Rektums meist nicht’
gross, oft weich und haben Grösse und Gestalt einer Erd- oder
Himbeere. Seltener erreichen sie die Grösse eines Taubeneies
und nur in sehr vereinzelten Eällen füllen sie mit ihrer Masse
den ganzen Darm aus. Sie sind verhältnissmässig häufig schon
im kindlichen Alter beobachtet worden (nach B o c k e y am
häufigsten im Alter von 4—7 J ahren
Manche Mastdarmpolypen verlaufen vollständig symptomlos,
andere machen Erscheinungen unregelmässiger Stuhlentleerung,
theils Drang zum Stuhl mit Entleerung von etwas Schleim oder
Blut, theils Stuhlverhaltung. Besonders bei Kindern wird die
letztgenannte Erscheinung als Folge von Schmerzen, welche der
kleine Körper bei der Stuhlentleerung hervorruft, beobachtet.
Die Kleinen halten aber die Stuhlentleerung so lange als möglich
zurück. Ist die Geschwulst prolabirt, dann können durch ober¬
flächliche Erosionen leicht Blutungen eintreten, aber selten
werden überhaupt die bei Polypen beobachteten Blutungen -er¬
heblich.
Für den praktischen Arzt ist es daher, wie der mitgetheilte
Fall beweist, wo es durch den prolabirten Polypen zu sehr heftiger
Blutung kam, dringend geboten, bei Klagen über Stuhlbeschwer¬
den, über Tenesmus (die von den Eltern meist auf Reizung von
„Würmern“ zurückgeführt werden) eine Digitalexploration des
Rektums auch im kindlichen Alter vorzunehmen.
Ueber physiologische Funktionen von Tumoren.
V on Dr. Eugen Albrecht in München.
(Schluss.)
M. H., ich möchte nun zur provisorischen Abrundung der
kleinen Skizze, welche ich ihnen eben entworfen, noch ein paar
Worte über die entsprechenden Verhältnisse bei benignen,
homologen Tumoren beifügen. Hier ist ja der Gedanke, dass sie
noch gewisse Funktionen, Arbeitsleistungen im Dienste des
Ganzen ausüben, näher liegend als bei den besprochenen Kate¬
gorien. Ich brauche nur die Namen des Lipoms, des Lymphoms,
des Myeloms zu nennen, um mehrere Gruppen von Tumoren zu
bezeichnen, in welchen sehr häufig die Unterscheidung zwischen
einfacher Hyperplasie und Tumorbildung schwierig ist, und bei
welchen jedenfalls auch die Möglichkeit besteht, dass diese Ueber-
produktion auch unter Umständen in geringem Grade dem Orga¬
nismus zum Nutzen werde, ln vielen Fällen ist durch mehr zu¬
fällige Momente eine solche Arbeitsleistung paralysirt. Wenn
ein Myom sich kontrahirt, so macht es eben der Patientin Schmer¬
zen oder Blutung; wenn eine Drüsenwucherung die Ausfuhr¬
gänge verliert, so wird sie keine Sekrete mehr abliefern können.
Wir wundern uns auch nicht, wenn z. B. ein Talgdrüsen¬
adenom noch fortdauernd Talg produzirt, mag derselbe
dann auch angesammelt zur Bildung von Cysten etc. An¬
lass geben; oder wenn ein Drüsenpolyp der Nase, des Darms, des
Uterus fortwährend Schleim sezernirt, welcher auch für die be¬
treffende Schleimhaut von einem gewissen Vortheil ist; wenn
1 ein Ovarialkystom gewissermaassen in Verkennung der Nutz¬
losigkeit seiner Thätigkeit fortdauernd Kolloid etc. in ge-
i schlossene Hohlräume abscheidet.
Es gilt eben hier, wie in den meisten Gebieten des Orga¬
nischen, die Regel, dass die Extreme nach Form wie Leistung
sowohl morphologisch als physiologisch leicht zu definiren sind ;
aber die U ebergänge zeigen uns hier wie anderswo, dass die
*) Ziegler’s Lehrt), d. allg. u. spez. path. Anat., S. 331 (Ge¬
schwülste des Dai’ms).
-) Franz Koni g: Lehrt», d. spez. Chir.
8) s. Artikel „Mastdarm“ (Rektum) S. 608, Bd. XII Realency-
klopiidie d. ges. TIeilk. von Englisch.
15. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1185
Natur auch da keine Sprünge macht, wo wir in unseren tastenden
Versuchen sie nachzuverstehen, solche zu statuiren meinen.
M. H. ! Ich möchte Sie nun an einem neuen Beispiel noch
einen Schritt weiter führen. Von Tumoren, welche bei einer ge¬
wissen geringen Leistung für den Organismus doch im Wesent¬
lichen sich schädlich erweisen, gehe ich über zu einer Art von
Geschwülsten — ■ ich will, die späteren Erörterungen vorweg¬
nehmend, lieber sagen: von geschwulstartigen Bildungen — bei
welchen dies letztere Moment, das der Schädigung, anscheinend
völlig fehlt, eher eine Steigerung der physiologi¬
schen Funktionen vorhanden ist.
Gestatten Sie, dass ich Ihnen den Fall zuerst kurz erläutere.
Als Nebenbefund bei einer Sektion fand ich in der Milz
eines an Peritonitis gestorbenen Mannes etwa ein Dutzend kleiner
Knoten, welche schon makroskopisch sich als theilweise thrombo-
sirte Kavernome, theilweise mit gleichzeitiger Hyperplasie der
an- und einliegenden Follikel diagnostiziren liessen. Die Stücke
wurden von meinem Bruder Dr. Hans Albrecht genau mikro¬
skopisch, zum Theil in Serie untersucht2). Ich erwähne auch
hier wieder nur dasjenige, was für unser Thema von Wichtigkeit
ist. Das sind folgende 3 Punkte:
1. Es findet sich in den grossen kavernösen Räumen durch¬
weg ein einschichtiger Besatz grosser Zellen vom Aussehen
hypertrophischer Pulpazellen, welche grossentheils dicht ange¬
stopft sind mit Pigment, hier und da Erythrocyten enthalten,
auch an der Basis die bekannten Seitenausläufer der Pulpazellen
gelegentlich erkennen lassen. Sieht man von der Grösse der
Zellen und der Räume ab, so lässt sich das ganze Bild unschwer
auf gewöhnliche Pulparäume und Zellen zurückführen.
2 Es finden sich, aber nur in ganz spärlicher Zahl, direkte |
Uebergänge in die gewöhnlichen Pulparäume der Umgebung,
welche ziemlich eng sind.
3. Wie mein Bruder auf Serienschnitten konstatirte, liegen
in der Peripherie der Tumoren sehr zahlreiche Milzarterien mit
grossen Follikeln; im Inneren, entlang der Trabekel, sehr spär¬
liche Venen.
Mein Bruder gründete darauf die hypothetische Ansicht, dass
möglicher Weise die Entstehung des Kavernoms auf ein kongeni¬
tales Missverhältniss zwischen der Zahl der zu- und abführenden
Gefässe der betreffenden Pulpaabschnitte zurückgeführt werden
könnte — eine Annahme, deren genauere Begründung ich mir
ersparen kann, welche aber jedenfalls schon nach dem wenigen
Angeführten Vieles für sich hat. Die Entstehung wäre dann so
zu denken, dass von Anfang der Zirkulation an in den betreffen¬
den Abschnitten, welche entweder schon ursprünglich oder sekun¬
där. in Folge der auf die Umgebung durch die Erweiterung der
Bluträume geübten Kompression nur wenige ausgleichende Ver¬
bindungen mit der Umgebung hatten, sich eine dauernde Erweite¬
rung mit entsprechender Verlangsamung der Zirkulation her¬
stellte. Diese Verlangsamung hatte natürlicher Weise eine län¬
gere Berührung der Blutelemente mit den Wandzellen zur Folge,
wodurch besonders deren phagocytäre Funktion erleichtert wurde,
wenn auch vielleicht in Folge der Zirkulationshemmung die Ab¬
gabe der aufgenommenen Zerfallsstoffe der Erythrocyten etc. ge¬
hemmt waren. Daraus würde sich unschwer die Hypertrophie
der Epithelien als eine funktionelle erklären lassen. Dieselbe
geht eben darauf zurück, dass die Zirkulationshemmung niemals
eigentlich einen schädigenden Grad angenommen hat. Wir wer¬
den auch hypothetisch uns leicht vorstellen können, dass bei einer
derartigen kongenitalen Störung der Zirkulation die Verhältnisse
auch einmal ungünstig liegen mögen: dass die Zellen in Folge der
Stauung durch Druck atrophiren, oder auch durch Kohlensäure¬
asphyxie geschädigt werden, so dass nur weite, von einem flachen
Endothel und Bindegewebe umgrenzte kavernöse Räume ent¬
stehen: also etwa jene Art des Kavernoms, wie wir sie in der
Leber nicht selten finden.
Jedenfalls liegen, wenn wir uns, unabhängig von dieser
Hypothese, den Aufbau dieser Kavernome in der Milz noch ein¬
mal vergegenwärtigen, hier ganz eigenartige, aus dem Bau des
Organs sich ergebende Verhältnisse vor, welche uns das Ganze
der Bildung verstehen lassen. Während in einem anderen Organ
eine dauernde Erschwerung der Zirkulation und Verlangsamung
der Strömung schädlich wirken wird, dürfte das gerade in der
a) Hans Albrecht: Das Kavernom der Milz. Prager Zeit¬
schrift f. Heilk., path.-anat. Abth., 1902, H. IV.
No. 28.
Milz nicht der Fall sein, da für sie schon eine gewisse Verlang¬
samung der Zirkulation in den Maschen der Pulpa physiologisch
vorgesehen ist. Man könnte in diesen Tumoren geradezu einen
Verbesserungsvorschlag für eine noch ausgiebigere Ausnützung
der Funktion der Pulpazellen sehen.
Nun, m. H., ich habe schon einleitend bemerkt, dass ich die
Namen Tumoren, Geschwülste nur mit Vorbehalt für diese Art
von Kavernomen anwende. Makroskopisch sind es ja wohl um¬
schriebene knotige Gewebsbildungen nicht-physiologischer Art
und auch offenbar nicht durch irgend welche Infektion oder durch
ein Trauma mechanisch ausgelöst. Mikroskopisch erweist sich
aber, dass der Name einer „umschriebenen Gewebsneubildung“
solchen Formationen nicht zugetheilt werden kann: denn die An¬
lage war sicher in der Form, wie wir sie vorfanden, schon in
embryonaler Zeit vorhanden, und seitdem ist eine Neubildung
offenbar nicht hinzugekommen.
Vor kurzer Zeit hat Schmieden ähnliche Gedanken für
die Kavernome der Leber geltend gemacht. Er findet sie ge¬
legentlich schon bei Neugeborenen und beschreibt in einem Falle,
wie vor ihm Pillietin2 Fällen, Blutbildungsinseln in solchen
Kavernomen. Er konstatirte entgegen anderen Beobachtungen
von R i b b e r t, welcher die Gefässe der Knoten in sich ab¬
geschlossen fand, dass dieselben mindestens vielfache ausgiebige
Kapillarenanastomosen mit der Umgebung eingehen; und er hält
diese Bildungen, die wir ja bekanntlich sehr häufig besonders
beim Rind antreffen, für Hemmungsbildungen, hervorgebracht
durch Störungen in der embryonalen Anlage der ja ohnehin kom-
plizirt genug sich bildenden netzförmig-tubulösen Drüse. Man
kann auch hier, wenn man z. B. Schnitte durch die embryonale
Leber vergleicht, daran denken, dass durch primäre Zirkulations¬
störungen in einem umschriebenen Gebiet, welche aus nicht näher
bekannten Ursachen nicht durch Anastomosen kompensirt wer¬
den können, solche Dauerbildungen entstehen. Dieselben werden
auch hier je nachdem als einfache kavernöse Räume mit Endo¬
thelbelag, als kavernöse Räume mit hier und da eingestreuten
Leberinseln etc. anzusehen sein.
M. H. ! Als ich im Anschluss an die eben angeführten Er¬
wägungen über die funktionelle Hypertrophie der Pulpazellen
der Milzkavernome die Frage der Leberkavernome überlegte,
schien mir die Möglichkeit diskutabel, ob nicht ähnliche Verhält¬
nisse wie dort auch gelegentlich in der Leber sich einstellen und,
statt zum Schwund der Leberzellen, in den betreffenden Bezirken
zu einer Hypertrophie derselben führen könnten. Die Leberzellen
haben ja, abgesehen von ihrer gallenbildenden Thätigkeit, noch
eine ganze Reihe wesentlicher Aufgaben, für deren Ausführung
sie rein auf die Blut- und die Lymphbahnen angewiesen sind.
Ich erinnere an die Aufnahme, provisorische Anspeicherung,
Festlegung von Nahrungsstoffen, von Fetten, Glykogen, vielleicht
auch vieler anderer, normaler oder abnormer Weise im Körper
zirkulirender Stoffe. Wenn die Zellen, etwa einer Speicheldrüse
oder der gewundenen Harnkanälchen von ihren Ausführgängen
abgeschnitten werden, so ist es mit ihrer Funktion zu Ende: sie
sind völlig einseitig differenzirt, auf die Zufuhr ihres Arbeits¬
materials seitens des Bluts, auf die Abfuhr ihrer Produkte in die
Ausführungsgänge angewiesen.
Anders bei der Leber: auch wenn dieselbe ihre Gallepro¬
duktion völlig einstellte, würde sie noch immer ein wichtiges
Glied für den intermediären Stoffwechsel im Körper darstellen;
und so könnte z. B. die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden,
dass Leberzellen, auch wenn sie von Gallenkapillaren und
grösseren Gallengängen völlig abgesperrt sind, nicht etwa atro¬
phiren und untergehen, sondern, zumal wenn diese Abtrennung
von früher, etwa embryonaler Zeit an besteht, erhalten bleiben und
nunmehr bloss jenen anderen Funktionen dienen. Dieser Gedanke
bekommt sofort eine greifbare Unterlage, wenn man bedenkt,
wie häufig ausser aberrirenden Gallengängen auch isolirte Leber¬
zellen — z. B. in den physiologischer Weise sich zurückbildenden
Ausläufern des linken Leberlappens — sich finden, die keinerlei
Pigment enthalten, zu zweien oder mehreren zusammen liegen
und völlig gut erhalten aussehen.
Eine noch näher liegende Unterstützung dieses Gedankens
liegt vielleicht in der von Schmieden gemachten Bemerkung
— ich selber habe solche Fälle nicht gesehen — , dass mitten in
seinen Kavernomen eingeschlossen gelegentlich sehr gut er¬
haltene, geradezu hypertrophische Leberzellen sich fanden. Er
5
1186
MtiEN CIIENER MEDlClNiSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
vermuthet demgemäss minderzählige Anlage von Leberzellen und
ch wulstartige Fehlbildungen, mit erhaltener
entsprechende Hypertrophie der vorhandenen.
Ich komme an der Hand solcher und ähnlicher Erwägungen,
die ich Ihnen nicht alle aufzählen will, zu einer hypothetischen
Generalisirung und folgender Formulirung des vorhin ange¬
deuteten Gedankens für die Leber: Wenn aus irgend welchen
lokalen Ursachen grössere oder kleinere Komplexe von Leber¬
zellen vom Anfang ihrer Funktion an so gestellt wären, dass ihre
gallebildende Tliätigkeit gehemmt oder unterdrückt würde, so
müssten daraus Bildungen entstehen können, in welchen diese
von Anfang an überwiegend auf ihre Beziehungen zum Säfte¬
kreislauf angewiesenen Leberzellen, unter Reduktion oder viel¬
leicht gänzlicher Aufgebung der Galleproduktion, ihre Tliätigkeit
als erste Reservoire der einströmenden Nährstoffe u. s. w. in be¬
sonderem Maasse ausbilden.
So weit die Hypothese.
Nun aber existirt eine solche, aus hypertrophischen Leber¬
zellen gebildete, geschwulstartige, aber von den Geschwülsten der
Leber s. str. seit den Untersuchungen von Simmonds u. A.
gut abgegrenzte Formation. Es ist dies die sogen, um¬
schriebene knotige Hyperplasie der Leber.
Sie können sich denken, dass ich nunmehr schleunig daran
ging, die Präparate von knotigen Hyperplasien, die ich besitze,
durchzumustern. Ich fand zwei derselben: in beiden waren im
ganzen Bereich der Hyperplasie keine Gallengänge, in der
Peripherie eine auffallende Anzahl grosser Gallengänge nach¬
zuweisen. Alle Zellen waren ganz typisch ausgebildet, hochgradig
fettreich. Die Hypothese stimmt also soweit, wie Sie sich auch
an den Präparaten überzeugen können; und es bleibt nur zu
untersuchen, ob sie für alle knotigen Hyperplasien zutrifft oder
nicht. In den früheren Beschreibungen, das will ich hier noch
bemerken, ist der Reich thum der Gallengänge in der Umgebung
auch bereits hervorgehoben, so von Simmonds. Leider habe
ich noch keine Gelegenheit gehabt, gerade diesen jedenfalls kaum
zufälligen Umstand auf Serienschnitten weiter zu verfolgen. Als
eine hypothetische Vorstellung — ich bemerke aber, dass sie
bloss als eine ganz provisorische Hypothese sich gibt und der
Prüfung durch Serienuntersuchungen bedarf — könnte für dies
Verhalten vielleicht folgende Annahme in Betracht kommen: ,
Die grösseren Gallengänge der Peripherie weisen darauf hin
dass hier eine grössere Zahl von ursprünglichen Gallenröhren j
relativ nahe zusammen zu liegen kamen. Dabei ist es wohl denk- ^
bar, dass gerade in diesem eingeschalteten Rayon die Anasto- (
mosen zwischen den verschiedenen Zweigästen weniger günstig
situirt waren, als dies in anderen Partien der Fall ist: etwa
unter der Voraussetzung, dass hier die Ausläufer langer Ver- j
zweigungen in den Zwickel hereinragten, und demgemäss von
Anfang an nur wenige und unzureichende Abfuhrwege bei doch I
gleichguter Ernährung vorhanden waren u. s. w. Wie dem auch
sei, jedenfalls besteht die Thatsache, dass in knotigen
Hyperplasien der Leber Mangel von Gallengängen mit Hyper¬
trophie und starker Fettinfiltration gefunden wurde.
Ich will das Beispiel nicht weiter ausführen ; ich
meine, das Gesagte dürfte genügen, um zu zeigen, dass
in den angeführten Beispielen Gebilde vorliegen, welche |
zwar als Tumoren zunächst imponiren, aber |
der gebräuchlichen Definition von solchen ,
nicht einbezogen werden können. Einfach von
„Hemmungsbildungen“ zu sprechen, scheint wiederum zwar
nicht ganz unrichtig; aber dabei wird das Tumorartige
dieser Formationen, wie mir scheint, doch allzu stark in
den Hintergrund geschoben. Auch ist der Begriff der Hemmung
schliesslich nicht ohne Weiteres anwendbar; es handelt sich ja
mehr um eine Funktionsänderung oder gar Eunktionssteigerung
in bestimmten Richtungen, entsprechend wahrscheinlich einer
primären Abnormität im Aufbau. Ich möchte Ihnen daher Vor¬
schlägen, diese Arten von Bildungen, welche gewöhnlich, wenn
auch mit Vorbehalt, unter den Tumoren aufgeführt werden,
welche aber durch die mangelnde Neubildung ihrer
Zellen, die mangelnde Expansions- oder Zer¬
störungstendenz, die ausgeprägte Erhaltung
ihrer Funktionen, wenn auch gelegentlich mit Abände¬
rung, sich von Tumoren im strengen Sinne unterscheiden, mit
einem eigenen Namen zu bezeichnen; -und ich proponire
dafür den zusammenfassenden Namen Hamartome : g e -
oder ab geänderter Funktion der zusammen¬
setzenden Zellen; wahrscheinlich hervorgegangen aus un¬
vollkommener Anlage. Der letztere Punkt ist hypothetischer
Natur, die übrigen sind Umschreibungen des thatsächlichen Be¬
fundes.
Ich bin der Meinung, dass diese Gruppe sich vermuthlieh,
sobald man nur auf Verhältnisse der Entstehung und der Funk¬
tionsänderung bezw. -Beibehaltung grösseres Augenmerk richtet,
nicht unbeträchtlich wird erweitern lassen : dass vielleicht manche
der bekannten submukösen Lipome, viele Nävi, Angiome, die
multiplen Lymphome der Milz, manche Myelome u. s. w. aus
ähnlichen „Irrungen und Anlagefehlern“, sei es nun in der An¬
lage der Lymph- und Blutgefässe, sei es in dem Verhältniss von
Stroma- und Parenchymzellen, von sekretorischen und ausführen¬
den Abschnitten, hervorgehen. Jedoch möchte ich auf diese
Fragen nicht weiter eingehen, da ich positive Anhaltspunkte vor¬
läufig hier nicht bringen kann.
Bemerken muss ich noch, dass dieser Erklärungsversuch der
Entstehung von M ilzeavernomen, knotigen Hyperplasien der
Leber und ähnlichen Bildungen nichts zu thun hat mit der viel
genannten Absprengung von Keimen, welche ja auch
nicht selten zu geschwulstartigen Bildungen führt. Knorpel -
keime in der Lunge, aberrirt von Bronchialanlagen, welche En-
chondrome bilden, Nebennierenkeime, die in der Niere liegen,
ITeterotopien grauer oder weisser Substanz im Hirn und Rücken¬
mark, von Ganglienzellen im Sympathikusgebiet u. s. w. sind eben
Absprengungen, wirkliche Verlagerungen von Zellkeimen
aus dem normalen Verband; während für die Hamartome gerade
die Einordnung an der entsprechenden Stelle, mindestens im
anatomischen, zumeist wohl auch im physiologischen Verbände
mit ihren Schwesterzellen charakteristisch wäre. Man wird gut
thun, vielleicht auch jene Fälle, in welchen solche Abspreng¬
ungen mit Sicherheit behauptet werden können, durch einen
eigenen Namen abzugrenzen; und ich schlage für diese Gruppe,
deren wesentliches Charakteristikum in der Abtrennung
von Zellen oder Zellkomplexen und in dem
gleichfalls gegebenen Mangel der eigent¬
lichen Geschwulstcharaktere besteht, den Namen
Choristome vor, bezw. Chorismen, von ^oo/^oV, die
Abtrennung, wofern eine geschwulstartige Form nicht
vorliegt. Analog wären solche Irrungen in der Anlage, welche
nicht wie die Milzcavernome etc. geschwulstartiges Aussehen
haben, vielleicht als Hamartien, von uuaQiia^ der Fehler, zu
benennen.
Diesen beiden Gruppen würden dann die progressiven
Neubildungen aller Art als Blastome gegenüber stehen. Wofern
aus einem abgesprengten Keim sich ein wirklicher Tumor mit
expansivem oder infiltrativem Wachsthum entwickelt, läge dann
die Entstehung eines Blastoms auf der Basis eines Choristoms
vor u. s. w.
M. LI. ! Sie werden vielleicht darüber lächeln, dass ich bei
der geringen Klarheit, welche gerade in der Geschwulstlehre
über die Ursachen der primären Entstehung herrscht, es hier
unternehme, mit ein paar Namen und hypothetischen Erörte¬
rungen Eintheilungen zu schaffen. Ich kann dem gegenüber¬
halten, dass die 3 Gruppen von Bildungen, welche ich hier
schärfer einander gegenüberstelle, in gewisser Weise immer
unterschieden worden sind. Man hat von jeher darüber ge-
zweifelt, ob das Kavernom als Geschwulst oder als Hemmungs¬
bildung aufzufassen sei, wohin eigentlich die aberrirten Neben¬
nierenkeime systematisch zu stellen seien u. s. w. Und ich finde,
dass es gerade angesichts der vorhandenen Unklarheiten und
Meinungsdifferenzen nicht ohne Nutzen sein kann, solche bisher
nur empirisch und ungefähr beachtete Gesichtspunkte in mög¬
lichst scharfer Abgrenzung und Benennung — sie mag auch ein
oder das andere Mal allzu scharf, vielleicht schematisch sein —
der Diskussion und weiteren Forschung zu unterbreiten.
35. Juli 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1187
Erfahrungen auf dem Gebiete der Unfall- und Inva¬
lidenversicherung.
Von Prof. A. Peters in Rostock.
M. H. ! Wenn ick heute, einer ehrenvollen Aufforderung
des Rostocker Aerztevereins entsprechend, vom Standpunkte des
Augenarztes über die Erfahrungen berichte, die mittlerweile auf
dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung gemacht worden sind, so
kann es nach den erschöpfenden Referaten der Herren Lech-
ler, Martius und Müller nicht meine Aufgabe sein, noch¬
mals auf die allgemeineren, den praktischen Arzt in erster Linie
interessirenden Gesichtspunkte einzugehen. Ich hoffe jedoch,
dass, wenn es sich im Folgenden auch um mehr spezialistische
Erfahrungen handelt, auch für den Nichtophthalmologen hieraus
einige Anregungen resultiren, die ihm bei der Beurtkeilung und
Begutachtung einschlägiger Fälle von Nutzen sein können.
Bevor ich jedoch an meine eigentliche Aufgabe herantrete,
halte ich es nicht für überflüssig, besonders zu betonen, dass für
das eingehende Studium der hier in Betracht kommenden Ver¬
hältnisse schon eine ganz reichhaltige Literatur zu Gebote steht.
Nicht nur, dass in den Zeitschriften über „Unfallheilkunde“, in
den Lehrbüchern dieser jungen, aber schon sehr entwickelten
Disziplin, eine Fülle äugen ärztlichen Materials angesammelt ist;
nicht nur, dass in den Entscheidungen der oberen Instanzen oph-
thalmologische Fälle einen breiten Raum einnehmen, sondern es
findet sich in unserer Li teratur auch eine ganze Reihe von Werken,
die sich speziell mit der Beurtheilung und Abmessung der Er¬
werbsfähigkeit nach Augenverletzungen beschäftigen. Von dem
Grundsätze ausgehend, dass unterhalb einer gewissen Grenze einer
Verminderung der Sehschärfe auch eine Beeinträchtigung der
Erwerbsfähigkeit entspricht, hat man Tabellen aufgestellt,
welche unter besonderer Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit
des 2. Auges für jeden nur denkbaren Fall ein Schema an die
Hand geben, und wenn man auch zugeben muss, dass derartige
Hilfsmittel zu Beginn der Wirksamkeit jener Gesetzgebung
jedem Augenärzte willkommen sein mussten, so darf doch nicht
verschwiegen werden, dass dabei ein Umstand zu wenig Berück¬
sichtigung gefunden hat, der sonst im Berufsleben des Arztes
einen breiten Raum einnimmt, nämlich die Nothwendigkeit, zu
individualisiren. Wenn auch der Versuch gemacht wurde, und
die Praxis sich allmählich auf dem Wege befindet, für gewisse
Berufsarten gesonderte Beurtheilung Platz greifen zu lassen, so
ist doch gerade der jenen Tabellen zu Grunde liegende ziflfem-
mässig zu erbringende quantitative Nachweis der verminderten
Sehschärfe geeignet, ein rein schematisirendes Vorgehen zu
zeitigen, während der lediglich auf die genaue Kenntniss 'der
Berufsarbeit und auf Vergleiche mit ähnlichen Fällen sich
stützende Gutachter bei 2 Fällen mit gleicher Sehschärfe zu ganz
verschiedenen Rentensätzen gelangen kann. Sieht man noch
dazu die Berechnung der Erwerbsfähigkeit in komplizirte For¬
meln, wie es z. B. M a g n u s thut, eingezwängt, so ist sicherlich
bei vielem Gutachtern der Wunsch rege geworden und berechtigt,
auf Grund der im Laufe der Jahre gewonnenen persönlichen Er¬
fahrungen ein wenig mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Auf
diese zahlenmässigen Berechnungen der verbliebenen Erwerbs -
fähigkeit näher einzugehen, würde hier zu weit führen. Nur so
viel sei hervorgehoben, dass der Verlust des Auges bei den ver¬
schiedenen Berufsgenossenschaften verschieden bewerthet wird.
Besonders auffällig tritt dieser Umstand für mich zu Tage, der
ich früher in der Nähe einer industriereichen Gegend prakti-
zirte. Während dort der Verlust eines Auges gemäss den seiner
Zeit von Zehender und von Mooren auf gestellten Sätzen
bei Industrie- und anderen Arbeitern Anfangs in gleicher Weise
mit 33% Proz. bewerthet wurde, nahm die landwirthschaftliche
Berufsgenossenschaft bald eine Herabsetzung auf 25 Proz. vor,
und hier zu Lande werden dem landwirthschaftlichen Arbeiter
nur 20 Proz. zugebilligt. Dementsprechend hat man auch die
Sätze zu bemessen, wenn es sich nicht um Verlust, sondern nur
um Schädigung des Auges handelt. Bei jenem Satze von 20 Proz.
für Verlust eines Auges kommen überhaupt nur mehr 2 Ab¬
stufungen in Frage, 15 Proz. und 10 Proz., da bekanntlich unter
10 Proz. nicht herabgegangen werden darf.
Man hat sich ferner dahin geeinigt, eine Erwerbsverminde¬
rung nicht anzunehmen, wenn bei intaktem 2. Auge die Seh¬
schärfe des verletzten Auges % und darüber beträgt, weil man
eine solche Sehschärfe für die meisten Berufsarten noch als hin¬
reichend erachtete.
Unter Zugrundelegung dieser Normen muss nun entschieden
werden, ob und wie viel die Erwerbsfähigkeit im gegebenen Falle
vermindert ist. Dabei lässt sich gewiss nicht leugnen, dass diese
bisherige Praxis im Allgemeinen eine sehr bequeme genannt
werden muss. Die exakten Methoden der Sehschärfenbestim¬
mung, die Sicherheit der Entlarvung von Simulation, die Kon-
trole der Angaben mit Hilfe des Augenspiegels setzen uns in den
Stand, in den allermeisten Fällen die Sehschärfe quantitativ zu
bestimmen und so braucht man nur jene Tabellen in die Hand
zu nehmen, um aus einer bestimmten Rubrik die Beeinträch¬
tigung der Erwerbsfähigkeit abzulesen. Aber welcher Praktiker
hätte es nicht schon als Hohn empfunden, wenn er 10 oder
15 Proz. Erwerbsverminderung festgestellt hatte und sehen
musste, wie der geheilte Patient sich beeilte, an seine frühere
Arbeit zu kommen ? Und es ist wohl die Mehrzahl dieser Renten¬
empfänger, deren nicht verletztes Auge intakt ist, im Stande, die
frühere Arbeit wieder zu verrichten, wenn auch erst ein kürzer
oder länger dauerndes Stadium der Gewöhnung zu überwinden
ist. Man braucht nur zu sehen, wie beim Tagelöhner, beim
landwirthschaftlichen Arbeiter eine in baarem Gelde ausbezahlte
Rente, die bekanntlich bei 10 — 15 Proz. nur wenige Mark im
Monat beträgt, als willkommener Zuschuss zu den Haushaltungs¬
kosten betrachtet wird, während die frühere Arbeit ebensogut
wie sonst geleistet werden kann, um es zu begreifen, dass in
vielen Fällen die Arbeitgeber bestrebt sind, durch eine geringe
Lohnherabsetzung die von der Behörde gewissermaasseii er¬
härtete Erwerbsverminderung anzuerkennen, um damit der Un¬
fallrente den Charakter einer Prämie für kleine Verletzungen zu
nehmen.
Das soeben Gesagte gilt in erster Linie von den landwirth¬
schaftlichen Arbeitern, bei denen die hier zu Lande ganz beson¬
ders häufigen Hornhautverletzungen durch Strohhalme etc. mit
nachfolgender Eiterung zu gänzlichem oder theilweisem Verlust
des Sehvermögens führen. Die aus diesen Verletzungen resul-
tirenden Hornhautflecken sind wohl überhaupt der häufigste
Gegenstand augenärztlicher Begutachtung und gerade auf diesem
Gebiete bedarf es einer gereiften Erfahrung, um den hierbei so
häufigen Versuchen der Simulation und Aggravation erfolgreich
begegnen zu können, die nicht nur bei der ersten Rentenfest¬
setzung sondern ganz besonders häufig in die Erscheinung
tritt, wenn die Frage einer event. Aufhebung der Rente erwogen
wird. Man könnte nur wünschen, dass der Zähigkeit, mit welcher
man bestrebt ist, die Rente festzuhalten, einigermaassen die Eile
entspräche, bei Hornhauteiterungen die so nothwendige ärztliche
Hilfe nachzusuchen.
Gewiss soll nicht geleugnet werden, dass die wohlmeinende
Absicht des Unfallversicherungsgesetzes, für Unfallfolgen eine
Entschädigung zu gewähren, schon für Tausende von Verletzten
in segensreicher Weise verwirklicht wurde. Nichtsdestoweniger
muss ich mich mit aller Entschiedenheit dahin aussprechen, dass
gerade mit Rücksicht auf diese Hornhaut Verletzungen oder ähn¬
liche Ursachen der Sehschärfenverminderung eine Aenderung
oder eine andere Interpretation des Gesetzes Platz greifen möge.
Ich scliliesse mich dabei vollständig den Ausführungen von
Pfalz1) an, der in einem sehr lesenwerthen Auf satze über reelle
und eventuelle Unfallfolgen die Anschauung vertritt, dass in
vielen Fällen von Augenverletzungen heutzutage eine Rente zu
Unrecht gezahlt wird, weil keine Erwerbsverminderung vorliegt
und mit Recht auf den demoralisir enden Einfluss solcher Renten
hin weist. Wenn dem gegenüber das Gesetz dahin interpretirt
wird, was durch Entscheidungen der oberen Instanzen oft genug
wiederholt wurde, dass die Rentenfestsetzung von dem Gesichts¬
punkte aus zu verfolgen hat, ob in rein ideellem Sinne eine Beein¬
trächtigung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, etwa durch Verminde¬
rung der Konkurrenzfähigkeit, ganz unbekümmert darum, ob
der frühere Lohn wieder erreicht wird oder nicht, so ist dieser
letztere Umstand an und für sich schon geeignet, ein rein
schematisirendes Vorgehen zu zeitigen, welches dem Empfinden
des ärztlichen Praktikers nicht entspricht. Noch mehr aber muss
’) Zeitschr. f. Augenheilk. Bd. II, S. 516.
5*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
1188
es Bedenken erregen, dass diese Handhabung des Gesetzes das
Richtige trifft, wenn man berücksichtigt, dass eine solche für
Verlust oder Schädigung eines Auges festgesetzte Rente definitiv
ist, d. h. keine Erhöhung mehr erfahren kann, wenn das andere
Auge ganz oder theilweise, ohne vorausgegangenen Unfall, ver¬
loren geht. Wenn auch bei der Konstruktion der Rentenquoten
der Umstand in erster Linie mit in Rechnung gezogen wurde,
dass für jenes Risiko der späteren Schädigung des anderen Auges
eine gewisse Entschädigung zu gewähren sei, muss es doch
unserem Rechtsgefühl widerstreiten, wenn für V erlust oder
Schädigung eines Auges eine definitive Rente gezahlt wird, die
nicht mehr geändert wird, wenn z. B. das andere Auge an spon¬
taner Netzhautablösung, Embolie, Blutung, Katarakt etc. er¬
blindet. Hätte die Verletzung das erste Auge nicht getroffen,
so wäre bei spontaner Erkrankung des 2. Auges die Erblindung
nicht eingetreten. Von diesem Leitsätze aus ist die Anschauung
hervorgegangen, die ich in Uebereinstimmung mit Pfalz seit
langen Jahren meinen Zuhörern nicht vorzuenthalten pflege, dass
auf der einen Seite das Gesetz zu viel, auf der anderen zu wenig
gewährt und ich bin der Ueberzeugung, dass, wenn eine Aende-
rung des Gesetzes in der angedeuteten Hinsicht erfolgen würde,
die Berufsgenossenschaften sicherlich keinen Grund hätten, vom
finanziellen Standpunkte damit unzufrieden zu sein, denn die
Anzahl der Homhautverletzungen ist Legion und die Zahl der
Fälle, wo nach der Verletzung eines Auges das andere spontan
in erheblichem Maasse erkrankt, unverhältnissmässig geringer.
Aber auch der Arbeiter, und der soll doch in erster Linie in Frage
kommen, müsste mit einer Neuerung zufrieden sein, welche ihm
auf der einen Seite eine Rente versagte, wenn derselbe Lohn ver¬
dient werden kann wie früher, dagegen aber volle Entschädigung
für den Verlust beider Augen gewährt, auch wenn dasi zweite
durch spontane Erkrankung zu Grunde geht. Diese erheblich
grössere Rente ist wirklich im Stande, die Familie vor dem Ver¬
hungern zu schützen, während die Bagatellbeträge der kleinen
Renten viel zu niedrig sind, um im Falle eines solchen Unglückes
auch nur einigermaassen dem Charakter einer wirklichen Für¬
sorge zu entsprechen.
In einem Falle gänzlicher Erblindung würde nun zwar die
Invalidenrente bezogen werden, die jedoch viel geringer ist, als
z. B. der Satz für völlige Erwerbsunfähigkeit nach Unfall; aber
diese Fälle sind weit geringer an Zahl, ja überhaupt selten
gegenüber denen, wo das andere Auge durch spontane Erkrank¬
ung keine Erblindung, sondern eine Schädigung davonträgt,
welche zur Aufgabe des Berufes zwingt, auch wenn die Fähigkeit,
noch % des ortsüblichen Tagelohnes zu verdienen, erhalten bleibt.
Für diese in der Praxis wohl nicht so seltenen Fälle würde jene
Aenderung in erster Linie in Frage kommen. Wenn ich somit
für die Trennung von reellen und eventuellen Unfallfolgen, wie
Pfalz es nennt, auf’s Entschiedenste eintreten möchte, so bin
ich überzeugt, dass viele Augenärzte diese Meinung theilen.
Um aber auf diesem Gebiete Erfolge zu erzielen, d. h. eine Aen¬
derung herbeizuführen, wären weitere Meinungsäusserungen er¬
wünscht, vor Allem aber auch Statistiken seitens der Berufs¬
genossenschaft, die festzustellen hätten, eventuell durch Rund¬
frage, wie viele Rentenempfänger nach Augenverletzungen eine
spontane Verschlechterung des anderen Auges aufzuweisen
haben.
Nicht zum Mindesten aber wäre der Widerstand zu be¬
siegen, der diesem Vorschläge von juristischer Seite entgegen¬
gebracht wird. Wer sich dafür interessirt, der lese einmal in der
Zeitschrift „Die Arbeiterversicherung (1901)“ die Aufsätze von
Fleisch auer und H ahn durch, welche sich mit der aus¬
führlichen Widerlegung der Ansichten von W e y m a n n be¬
fassen, der als Mitglied des Reichsversicherungsamtes in der¬
selben Zeitschrift die Frage in bejahendem Sinne erörtert, ob
eine Aenderung des Gesetzes in Bezug auf jene eventuellen
Folgen wünschenswerth und möglich sei. Die hierbei von seinen
Gegnern vorgebrachten Gründe mögen juristisch noch so stich¬
haltig, noch so schwerwiegend sein, sie können meines Erachtens
dennoch nicht im Wege stehen, wenn es gilt, unsere soziale Ge¬
setzgebung im humanen Sinne weiter auszubauen, nachdem
schon längst in Theorie und Praxis die Handhabung jener Ge¬
setze von der sonstigen Rechtspflege erhebliche Abweichungen
zeigt. Wenn beispeilsweise darauf hingewiesen wird, dass der
Abmessung einer Entschädigung im Wege des Zivilprozesses bei
Privatversicherungen unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen¬
stünden, dass es juristisch die schwersten Bedenken habe, wenn
solche eventuelle Unfallfolgen berücksichtigt werden müssten,
so ist dem entgegen zu halten, dass beim Zivilprozess die Sache
durch Abfindung mit Kapital erleichtert wird, dann aber auch
dem Ermessen des Richters der weiteste Spielraum gewährt wird
und schliesslich beim gerichtlichen Verfahren meistens solche
Summen gefordert und stellenweise bewilligt werden, dass jenes
Risiko ausreichende Berücksichtigung findet.
Immerhin zeigen jene Ausführungen von Fleischauer
und Hahn, dass noch grosse Schwierigkeiten zu überwinden
sind, bis diese Anschauung in der Handhabung des Unfallver¬
sicherungsgesetzes zur Geltung gelangen kann.
So lange diese Aenderung nicht vollzogen wird, sind wir ge-
nöthigt, auf der bisherigen Basis weiterzuarbeiten.
Wie schon oben erwähnt, bildet eine Sehschärfe von Vz die
untere Grenze der Entschädigungspflicht, wie die jetzige Recht¬
sprechung es als Norm hinstellt, wenn das andere Auge intakt
ist. Da eine Rente nicht unter 10 Proz. herabgehen darf, so
resultirt daraus, dass bei einer Sehschärfe von 0,4 eine Erwerbs¬
verminderung von 10 Proz. angenommen werden müsste. Dabei
macht aber jeder Augenarzt täglich die Erfahrung, dass ein Auge,
welches bei der Fernprüfung nur 1 — 0,4 aufweist, im Stande ist,
in der Nähe die feinste Druckschrift zu lesen. Dieses
Missverhältniss zwischen den Resultaten der Fern- und
Nabprüfung ist geeignet, die schematische Handhabung
jener Tabellen in noch ungünstigerem Lichte erscheinen
zu lassen, wenn es auch unstreitig bequemer ist, auf
Grund fester Normen sein Gutachten abgeben zu können.
Wer aber geneigt ist, seinem subjektiven Ermessen grösseren
Spielraum zu gewähren, dem passirt es leicht, dass er mit der
Auffassung eines Obergutachtens oder der oberen Instanz in
Widerspruch geräth, weil eben in diesen Dingen eine Art Tra¬
dition und Hebung Platz gegriffen hat, die der Individualität,
sowohl des Arztes wie des Patienten, wenig Raum gibt. Dazu
kommt noch, dass es zu den unerfreulichsten Aufgaben des
Arztes gehört, bisher gezahlte Renten auf heben zu lassen. Aus
Allem geht hervor, dass diese Schwierigkeiten noch hinzu¬
kommen, um den Wunsch um so mehr gerechtfertigt erscheinen
zu lassen, zwischen reellen und eventuellen Unfallfolgen unter¬
scheiden zu dürfen.
Eine Aenderung in der praktischen Beurtheilung dieser
Fälle ist insofern in neuerer Zeit eingetreten, als man sogen,
provisorische oder Uebergansrenten mehr zur Geltung kommen
lässt auf Grund der Erwägung, dass 'an eine Schädigung eines
Auges allmählich Gewöhnung erfolgt. Für die uns in erster
Linie interessirenden Hornhauttrübungen nach Unfällen gilt
dies in erster Linie und so hat man ein Mittel an der Hand,
in sogen. Grenzfällen eine Rente von 10 Proz. zu gewähren, die
später in Wegfall kommt. Leider ist es nach Entscheidungen des
Reichsversicherungsamtes bisher unstatthaft, eine höhere ITeber-
gangsrente und dauernde Rente in einem und demselben Gut¬
achten festzusetzen. Es hat das zur Folge, dass die unerfreu¬
liche Rentenkürzung oder -Aufhebung später für sich erfolgen
muss, wobei gerade besonders häufig der demoralisirende Ein¬
fluss solcher Renten in Gestalt von grober Simulation zu be¬
merken ist.
Eine höhere Anfangsrente ist in vielen Fällen unerlässlich,
weil die Reizerscheinungen nach erfolgter Heilung eines Horn-
hautgeschwüres noch lange anzudauem pflegen und. sich auch An¬
fangs eine sehr störende Dispersion des Lichtes bemerkbar macht.
Im Allgemeinen wird man in solchen Fällen eine Uebergangs-
rente auf ein Jahr gewähren und es empfiehlt sich nach meiner
Erfahrung dabei dringend, den Patienten von vomeherein da¬
rauf aufmerksam zu machen, dass die Rente nur bis zur er¬
folgten Heilung und Gewöhnung zu zahlen und dementsprechend
später zu kürzen resp. aufzuheben sei. Seitdem ich in dieser
Weise verfahre, habe ich in einer Reihe von Fällen ein Einver¬
ständnis seitens der Patienten erzielt, die sich sonst sicherlich
nicht beruhigt, sondern Rekurs eingelegt hätten.
Ein weiterer Grund, diese Hornhauttrübungen nicht allzu
tragisch zu nehmen, liegt darin, dass noch bei Y10 Sehschärfe,
15. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1189
wie Pfalz ebenfalls sehr richtig betont, das Tiefenschätzungs¬
vermögen erhalten zu sein pflegt, und so hat es gar keinen Zweck,
diesen Punkt in den Gutachten noch besonders zu betonen.
Sollte nach einer Verletzung Doppelsehen, eine wirkliche Stö¬
rung des binokularen Einfachsehens, auftreten, so ist diesem
Umstande natürlich besonders Rechnung zu tragen.
Sie ersehen, m. H., aus dem Gesagten, dass die bisherige
Normirung der Entschädigungen bei Augenverletzungen, speziell
bei solchen der Hornhaut, doch zu Ausstellungen der verschie¬
densten Art Veranlassung gibt und dass sicherlich Gründe genug
vorliegen, diese kleineren Renten zu Gunsten der Anerkennung
reeller Unfallfolgen, wozu die Spontanerkrankung des zweiten
Auges zu rechnen ist, fallen zu lassen. Für die praktische Hand¬
habung der Neuerung wäre es natürlich ebenso nothwendig, die
vorhandene Sehschärfe nach Unfällen von Sachverständigen fest¬
stellen zu lassen, wie es bisher geschieht, um bei später eintre¬
tender Aenderung im Befunde am anderen Auge eine zuver¬
lässige Grundlage für die Begutachtung zu besitzen.
Wenden wir uns nun der Invalidenversicherung zu, so muss
von vorneherein betont werden, dass unsere Erfahrungen auf
diesem Gebiete naturgemäss nicht so umfangreiche sein können,
weil diese Gesetze später in Kraft getreten sind. Immerhin
lässt sich auch hierbei nicht verkennen, dass die gewiss in bester
Absicht vom Gesetzgeber eingeführte untere Grenze von % Er¬
werbsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, weniger als % des orts¬
üblichen Tagelohnes verdienen zu können, ein so konkretes Maass
darstellt, dass wir meistens nicht im Stande sind, auch nur
schätzungsweise das zahlenmässig Richtige zu treffen, und damit
befinden wir Augenärzte uns genau in der gleichen misslichen
Lage wie die anderen Aerzte. Liegt eine Beeinträchtigung der
Sehschärfe bis zu einem solchen Grade vor, dass auch grobe Ar¬
beit nicht mehr geleistet werden kann, z. B. bei einer rasch fort¬
schreitenden Optikusatrophie, bei schweren Makulaerkrankungen,
besonders bei hochgradiger Myopie, dann kann die Entscheidung
nicht schwer fallen. Schwierigkeiten entstehen aber, wenn z. B.
bei einem Veteran der Arbeit beginnende Linsentrübungen zu
konstatiren sind. Hier ist die Grenze zahlenmässig gar nicht
zu bestimmen, wo die Fähigkeit aufhört, noch % des ortsüblichen
Tagelohns zu verdienen. Die Sehschärfe allein ist dabei nicht
ausschlaggebend, denn wir sehen Menschen mit stationären
Linsentrübungen oder mit Hornhautflecken nach wie vor ar¬
beiten, die eine gleiche Sehschärfe oder noch weniger aufweisen.
Ausschlaggebend ist hier einzig und allein die Aenderung des
Sehvermögens und wenn auch in vielen Fällen die rasche Reifung
einer Katarakt die Entscheidung erleichert oder die heutzutage
viel öfter als früher gegebene Möglichkeit, unreife Staare zu
operiren, die Frage der Invalidität hinausschieben kann, so
bleiben doch Fälle genug übrig, wo für uns Aerzte allein der
Umstand schwer in’s Gewicht fällt, dass ein alter Arbeiter oder
z. B. eine alte Näherin erklärt, es gehe mit der Arbeit nur schwer
vorwärts. Meistens pflegen auch noch andere körperliche Leiden
die Invalidisirung zu erfordern und so kommen wir Augen¬
ärzte verhältnissmässig häufig in die Lage, unseren Befund dem
praktischen Arzte zur Verfügung zu stellen, der ihn im Verein
mit anderen Leiden dazu verwerthen kann, ein solches Gesammt-
bild zu konstruiren, dass die Zweifel an der Erreichung der un¬
teren Erwerbsgrenze verschwinden.
Nicht selten war ich in der Lage, Ansprüche abweisen zu
müssen, die lediglich auf sogen, „schlechten Augen“ basirten,
wenn z. B. hochgradige Myopie mit den üblichen Begleiterschei¬
nungen, wie partielle Linsentrübungen, Glaskörpertrübungen
oder Aderhauterkrankungen, vorlag. Hier bestimmt das Fehlen
frischer Veränderungen, sowie die Feststellung der Thatsache,
dass bis zum Tage der Untersuchung gearbeitet wurde, unser ab¬
lehnendes Verhalten. Dass man im Zweifelsfalle zu Gunsten
des Antragstellers verfahren wird, dass man prophylaktischen
Erwägungen besonders breiten Raum zu gewähren hat, z. B., um
Blutungen zu verhüten, ist selbstverständlich.
Mit Dank muss ich anerkennen, dass in vielen Fällen meiner
poliklinischen Praxis die Versicherungsanstalt bei chronischen
Augenerkrankungen, vor Allem bei den so chronisch verlaufenden
Tuberkulosen, bereitwilligst die Kosten der Krankenhausbehand¬
lung übernommen hat, wenn die Krankenkassenverpflichtung
aufhörte.
Damit hätte ich einige wesentliche Punkte hervorgehoben,
welche mir im Laufe der letzten Jahre besonders aufgef allen
sind, und ich bitte Sie, im Auge zu behalten, dass ich allein nicht
im Stande bin, Alles hier aufzuzählen, was an Wünschen, Zwei¬
feln und Erfahrungen den Augenarzt beschäftigen kann, und
so muss in diesen Ausführungen mehr Subjektives, Erlebtes zum
Ausdruck kommen.
Aus diesem Grunde möchte ich mir auch erlauben,
noch auf einen Punkt näher einzugehen, der mir Ge¬
legenheit gibt, in eigener Sache das Wort zu ergreifen. Er be¬
trifft die Augensymptome bei traumatischen Neurosen. In
meiner früheren Praxis, durch meine Thätigkeit an dem von
Prof. W i t z e 1 geleiteten berufsgenossenschaftlichen Rekon¬
valeszentenhause habe ich in der Begutachtung von Unfall-
Nervenkranken reichliche Erfahrungen sammeln können. Be¬
sonders habe ich mich davon überzeugen können, dass die kon¬
zentrische Gesichtsfeldeinengung, soweit sie nicht direkt simulirt
wird, ein schätzenswerthes und verwerthbares Symptom der
Hysterie darstellt, insofern, als es oft das alleinige Zeichen war,
zu welchem sieh erst später anderweitige Symptome gesellten,
welche die Diagnose „traumatische Hysterie“ ermöglichten, wäh¬
rend vorher aus den vagen Beschwerden der Kopfschmerzen und
des Schwindels eine genaue Diagnose nicht zu stellen war. In¬
sofern konnte die Untersuchung des Sehorgans, ganz abgesehen
von den vielfachen Störungen des Augenmuskelapparates, der
Pupillarreaktionen etc., nicht entbehrt werden. Ich befinde mich
mit der Werthschätzung des Symptomes der konzentrischen Ge¬
sichtsfeldeinengung in erfreulicher Uebereinstimmung mit
Bruns2), der neuerdings in einer vorzüglichen Monographie die
traumatischen Neurosen bearbeitet hat und Strümpell
gegenüber den Werth des Symptoms als eines objektiven Kenn¬
zeichens betont, das zwar gelegentlich simulirt werden kann, im
Allgemeinen aber nicht, wie Strümpell meint, im Laufe der
Zeit dem Kranken suggerirt wird, sondern den Werth eines ob¬
jektiven Symptomes ebenso beanspruchen muss, wie z. B. kutane
Anästhesien. Ich habe stets in meinen Gutachten zum Ausdruck
gebracht, dass eine konzentrische Gesichtsfeldeinengung, die bei
vorher am Perimeter noch nicht untersuchten Patienten, nicht
ein, sondern mehrere Male, gefunden wurde, in der Beurtheilung
des Falles, speziell seiner Prognose, zur Vorsicht mahnen müsse.
Anders steht es aber mit dem sogen. Verschiebungstypus des
Gesichtsfeldes, einer Erscheinung, die im Wesentlichen darin be¬
steht, dass bei der zentripetalen Einführung des Perimeter¬
objektes und direkter Durchführung nach der entgegengesetzten
Seite und öfterem Hin- und Herführen des Objektes allmählich
eine Einengung des Gesichtsfeldes zu konstatiren ist, welche zu¬
erst von Förster in Fällen von sogen. Anaesthesia retinae ge¬
funden wurde. In einer grösseren Arbeit (1894) habe ich 3) den
Nachweis geführt, dass dieses Symptom bei Gesunden fast ebenso
häufig vorkommt als bei Nervenkranken, und darauf ebenso wie
Schmidt-Rimpler die Anschauung basirt, dass dieser Er¬
scheinung die Bedeutung eines objektiven Kennzeichens von
Neurosen abzusprechen sei.
Wenn daher Bruns schreibt: „Nur nebenbei will ich hier
hervorheben, dass alle die Versuche, speziell die besonders „ob¬
jektiven“ Gesichtsfeldeinengungen für die Diagnose der traii-
mati sehen Neurosen in ihrem Werth herabzusetzen dadurch, dass
man nachweisen wollte, sie kämen auch bei Gesunden vor, als
nicht gelungen bezeichnet werden müssen; theilweise haben sie
sogar das Gegentheil von dem bewiesen, was sie beweisen wollten
(Schmidt-Rimpler, Peters, V o ge s)“, so habe ich
demgegenüber zu betonen, dass ich für meine Person niemals
an der Objektivität des Symptomes der konzentrischen Gesichts¬
feldeinengung gezweifelt habe, wohl aber heute noch an meiner
Ansicht festhalte, dass der sogen. Verschiebungstypus in dieser
Hinsicht ihr nicht an die Seite gestellt werden darf. Wohl er¬
kenne ich an, dass diese Erscheinung eine Minderleistung des
nervösen Zentralapparates, der Psyche, darstellt; ich leugne aber,
dass es eine direkte Ermüdungserscheinung ist, weil man durch
Fortsetzung des Versuches das Gesichtsfeld wieder erweitern
2) Die traumatischen Neurosen. Spez. Patliol. u. Therapie
von Nothnagel, 1901.
') Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1894, Bd. V.
1190
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
kann, was mit der Annahme einer Ermüdung schlechterdings
unvereinbar ist, und das ebenso häufige Vorkommen bei Ge¬
sunden lässt es mir auch heute noch rathsam erscheinen, von
einer Vervverthung dieses Symptome« bei der Begutachtung von
Unfallkranken lieber ganz abzusehen.
Tm Uebrigen gestehe ich gern zu, dass wir zu der Zeit, als
die Lehre von den traumatischen Neurosen in der Entwicklung
begriffen war, in der Bewrerthung der einzelnen Symptome viel¬
fach zu weit gegangen sind insofern, als dadurch öfters die Be-
urtheilung des Gesammtbildes in den Hintergrund gedrängt
wurde, und ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass Simu¬
lation auf diesem Gebiete wohl seltener ist, als wir früher ge¬
glaubt haben.
Das eigentliche Terrain der Simulation ist und bleibt die
Herabsetzung der Sehschärfe nach direkten Verletzungen des
Auges und wenn auch hierin eine Abnahme zu bemerken ist, so
wird der Versuch doch noch häufig genug unternommen, so dass
ich beispielsweise zu Beginn meiner hiesigen Thätigkeit in der
Lage war, auf einmal 3 Simulantinnen aus dem Bereiche der
landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft meinen Zuhörern zu
demonstriren. Diese Simulationsversuche würden an Zahl sicher¬
lich geringer sein, wenn direkt nach dem Unfälle, der ein Auge
betrifft, die Sehschärfe des anderen geprüft würde, und so möchte
ich gerade Ihnen, meine Herren Kollegen, die sich mit all¬
gemeiner Praxis beschäftigen und oft die erste Hilfe leisten,
diesen Punkt dringend an’s LIerz legen. Ebenso möchte ich
Ihnen gegenüber zum Schluss noch auf Grund langjähriger Er¬
fahrung die Bitte aussprechen, bei Hornhautverletzungen, be¬
sonders dort, wto komplizirende Thränensackerkrankungen vor¬
liegen, nicht erst abzuwarten, ob eine beginnende Reizung sich
als Infektion zu erkennen gibt. Die Behandlung dieser Er¬
krankungen erfordert diagnostische und therapeutische Hilfs¬
mittel, die dem praktischen Arzte im Allgemeinen nicht zu Ge¬
bote stehen, und wenn es irgendwo gilt, keine Zeit zu verlieren,
dann ist es hier der Fall, wo aus jeder Progression der Geschwüre
undurchsichtige Narben resultiren, und wenn es Ihnen gelingt,
die Indolenz der arbeitenden Bevölkerung gegenüber solchen be¬
ginnenden Infektionen zu überwinden, so können alle betheiligten
Faktoren, Patienten, Aerzte und Berufsgenossenschaften, Ihnen
nur dankbar sein.
Referate und Bücheranzeigen.
Lassar-Cohn: Arbeitsmethoden für organisch-che¬
mische Laboratorien, ein Handbuch für Chemiker, Mediziner
und Pharmazeuten. III., vollständig umgearbeitete und ver¬
mehrte Auflage. Spezieller Theil, 1. und 2. Abschnitt, ä 7 Mark.
Leop. Voss, Hamburg und Leipzig, 1901/2.
Dem im Jahrgang 1901, S. 1455 ausführlich besprochenen
„Allgemeinen Theil“ seiner Arbeitsmethoden lässt Lassar-
Cohn in kurzer Folge Abschnitt 1 und 2 des „Speziellen
Theiles“ folgen. Das Lassar-Coh n’sche Handbuch ist in
erster Linie für den Fachchemiker berechnet; es ist aber gleich
werthvoll für den Mediziner, der organisch-chemisch arbeiten
will ; für diesen sogar ganz besonders, weil der Mediziner im All¬
gemeinen noch seltener als der Fachchemiker Gelegenheit gehabt
haben wird, alle Methoden organischen Arbeitens praktisch zu
üben. Hierfür gibt nun das Lassar-Coh n’sche Buch alle
technischen und literarischen Hilfsmittel. Abschnitt 1 des spe¬
ziellen Theils bespricht : Azyliren, Benzenyliren,
Oximiren, Alkalischmelzen, Bromiren, Chlo-
riren, Jodiren, Fluoriren, Austauschbarkeit
der Halogene; der 2. Abschnitt : Darstellung und
Zerlegung von Salzen und Alkaloiden, Diazo-
tiren, Estergewinnung und Aetherifizirung
der Phenole, Kondensation. Jedem Kapitel geht eine
kurze Inhaltsangabe voraus; ausserdem ist jedes einzelne Kapitel
von einem speziellen Sachregister gefolgt, was die Benützung des
Buches in der Praxis sehr erleichtert. Heinz- Erlangen.
Professor Dr. Karl B e c k- New- York: Die Röntgenstrahlen
im Dienste der Chirurgie. I. Teil (Text) 138 S. II. Teil (Tafeln).
München 1902, Verlagsbuchhandlung Seitz & Schauer.
Der um die Ausbildung der Lehre von den Röntgenstrahlen,
speziell in ihrer Anwendung auf die Chirurgie, hochverdiente
Verfasser hat im vorliegenden Werk seine reichen Erfahrungen
zusammengefasst und niedergelegt. Dieselben umfassen einen
Zeitraum von 6 Jahren und sind grösstenteils in den bisherigen
Arbeiten des Verfassers, von denen das Literaturverzeichnis nicht
weniger als 54 aufweist, enthalten. Die jetzige Arbeit ist für
Schüler und solche Aerzte bestimmt, die in die Technik und
Lehre der Röntgenuntersuchung, soweit das Gebiet der Chirurgie
in Frage kommt, eingeführt werden wollen.
Der I. Teil, welcher den Text enthält, lehnt sich eng an
die im II. Teil enthaltenen Tafeln an. Beide Teile ergänzen
einander und geben zusammen ein gutes Bild vom jetzigen Stande
der neuen Lehre. Nach einer schwungvoll geschriebenen Ein¬
leitung über die Bedeutung der Röntgenstrahlen für die Chi¬
rurgie folgt eine Beschreibung des nothwendigen Röntgen-
armamentariums und der Technik der Röntgenuntersuchung.
Diesem allgemeinen Teil folgt zunächst ein ziemlich ausführ¬
liches Literaturverzeichnis, das etwa bis Mitte 1901 reicht. Dann
folgt der spezielle Teil, der zunächst in topographisch-anato¬
mischer Reihenfolge Schädel, Ilals, Brust, Bauch, Becken und
untere Extremitäten, Schulter und obere Extremitäten abhandelt.
Die beiden letzten Kapitel behandeln die Entzündungsprozesse
und Neubildungen, sowie die pathologische und therapeutische
Bedeutung der Röntgenbeleuchtung.
Der 2. Teil bringt in 65 meist wohlgelungenen Autotypien
die im 1. Teil besprochenen Apparate und einzelnen Körper¬
regionen in radioskopischer Aufnahme. Obgleich die Tafeln den
hohen Anforderungen, welche wir heute an die Wiedergabe von
Röntgenbildern zu stellen uns gewöhnt haben, nicht vollauf ent¬
sprechen, so lassen sie doch die verschiedenen Affektionen fast
durchweg gut erkennen und sind wrohl geeignet, dem Lernenden
ein Bild der Röntgenaufnahme zu geben. Dass die Bilder zu¬
weilen etwas gar zu schematisch wiedergegeben sind, ist viel¬
leicht kein zu grosser Nachtheil, da es den Lernenden darüber
aufklärt, was er event. einmal, wenn auch nicht so deutlich wie
hier, zu sehen sich bemühen soll. Zu solchen Bildern rechne ich
z. B. die Gallensteine Fig. 15 und den Blasenstein Fig. 16; ich
glaube kaum, dass andere Untersucher jemals so scharfe Bilder
dieser Steine zu Gesicht bekommen haben.
Als ein Mangel muss es auch bezeichnet werden, dass das
Werk weder ein Inhaltsverzeichnis, noch ein Register hat. Will
der Leser sich über eine bestimmte Körperregion orientieren, so
muss er sie sich erst aus dem Text heraussuchen.
Abgesehen von diesen kleinen Mängeln verdient B.s Werk
uneingeschränktes Lob und bietet eine vollkommene Ergänzung
zu den vielfachen Bildwerken aus dem Gebiete der Röntgen -
strahlcn, welche uns das letzte Jahr gebracht und die zum Teil
nur Spezialgebiete der Chirurgie, zum Teil das Gebiet der
inneren Medizin betrafen. J affe- Hamburg.
Dr. Heinrich Walther, a. o. Professor in Giessen : Die
Krankheiten der Frauen in übersichtlicher Darstellung für
Hebammen. Verlag von E. Staude, Berlin 1902. Preis
—.60 M.
In schlichter, klarer Weise schildert der Verfasser alle die¬
jenigen Frauenkrankheiten, deren Symptome den Hebammen be¬
kannt sein müssen, wenn sie einen guten und sachgemässen Rat
geben sollen — in die Lage dazu kommen sie oft. Nicht heilen
sollen die Hebammen, wohl aber an ihrem Teil dazu beitragen,
dass die Leiden nicht verschleppt, sondern rechtzeitig dem
Arzt zur Behandlung überwiesen werden. Das ist die Idee, die
dem Autor bei der Abfassung seiner kleinen Schrift vorgeschwebt
hat; und damit und durch die Art, wie er seiner Aufgabe gerecht
geworden ist, hat und wird er sich den Dank der Aerzte, der
Hebammen und nicht zuletzt auch der leidenden Frauen er¬
werben.
Zahlreiche instruktive Abbildungen erläutern den Text des
Büchleins, dem wir eine weite Verbreitung in den Kreisen der
Hebammen aus voller Ueberzeugung wünschen können.
Max Henkel- Berlin.
15. Juli 1902,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1191
Dr. Robert Sommer, Professor an der Universität Giessen :
Beiträge zur psychiatrischen Klinik. I. Band, 1. Heft. Mit
30 Figuren. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien
1902. 64 Seiten. Preis 2 Mark.
Die Beiträge machen sich die methodische Analyse der bei
den Geisteskranken zu beobachtenden Erscheinungen zur
Aufgabe. Vor Allem wollen sie die der Messung zugänglichen,
oder zugänglich zu machenden Symptome berücksichtigen, so die
morphologischen Abnormitäten, die motorischen und die psycho¬
physischen Vorgänge. Auch die Ableitung einer wissenschaftlich
begründeten Behandlung aus der Erkenntniss der inneren Zu¬
stände, die Probleme der Heredität und Aehnliches sollen nicht
vernachlässigt werden, Alles unter Betonung der Nothwendigkeit
einheitlicher Methoden, welche ein vergleichbares und gemein¬
sames Zusammenarbeiten verschiedener, auch räumlich ge¬
trennter Forscher an den gleichen Fragen gestatten.
Im vorliegenden ersten Heft schildert Sommer Klinik und
grobe Anatomie eines Kleinhirntumors, der diagnostizirt, aber bei
der Operation nicht gefunden worden war. Im Hinblick auf die
Aenderung der Druckverhältnisse in der Schädelhöhle bei der
Operation empfiehlt Sommer, solche Operationen in zwei
Zeiten zu machen: Zunächst die Lumbalpunktion, der die Er¬
öffnung des Schädels folgt, dann die Exstirpation des Tumors
und eine eventuelle Punktion des Ventrikels.
Alber verfolgt die Zitterbewegungen eines gesunden
Menschen unter Alkoholwirkung und eines Deliranten mit der
graphischen Methode sehr eingehend. Im letzteren Falle werden
auch die Patellarreflexe studirt und dokumentiren ganz parallel
mit den zitternden oder ataktischen Bewegungen der Hand eine
Abschwächung des zerebralen Einflusses auf die tiefer lokalisirten
Funktionen. Die Arbeit bildet indess nur den Anfang einer
grösseren Untersuchung in gleicher Richtung.
Der Weg, den Sommer sich vorgenommen, ist ein mühe¬
voller; er darf aber nicht mehr vernachlässigt werden, wenn die
Psychiatrie allseitig ausgebaut werden soll. Hoffen wir, dass die
„Beiträge“ viele verständnisvolle und mit Laboratorien aus¬
gerüstete Mitarbeiter bekommen, die die Wissenschaft dem Ziele
näher bringen, das einem einzelnen Forscher ganz unerreichbar
ist. Bleuler - Burghölzli.
Friedr. Dannemann: Grundriss einer Geschichte der
Naturwissenschaften, zugleich eine Einführung in das Studium
der grundlegenden naturwissenschaflichen Literatur. I. Bd.
Erläuterte Abschnitte aus den Werken hervorragender Natur¬
forscher aller Völker und Zeiten. 2. Aufl. Mit 57 Abbildungen.
Leipzig, Verlag von Wilh. Engelmann, 1902. Preis 8 M.
Dass ein Buch, wie das vorliegende, schon nach wenigen
Jahren — die erste Auflage erschien 1896 — eine neue Auflage
erleben konnte, ist ein erfreulicher Beweis des erstarkenden
Interesses für die Geschichte unserer Wissenschaften. Der Er¬
folg des Buches ist auch vollauf verdient; denn es bietet etwas,
was sonst nicht leicht zu finden ist, die Möglichkeit, in die grund¬
legenden Werke hervorragender Männer selbst einzudringen,
bahnbrechende Arbeiten, von denen jeder gehört hat, die aber die
Wenigsten selbst gelesen haben, durch eigenes Studium in ihren
wichtigsten Teilen kennen zu lernen. So bringt der vorliegende
Band 69 Abschnitte aus klassischen naturwissenschaftlichen Ab¬
handlungen von Aristoteles bis Heinrich II e r t z, darunter
Teile aus den Werken der Galilei, Keppler, Newton,
Linne, Kant, Lavoisier, Volta, Wöhle r, Faraday,
L i e b i g, Darwin, Helmholt z, Pasteur und vieler
anderer. Kurze erläuternde Bemerkungen sind diesen Ab¬
schnitten vorausgeschickt. Das Werk ist in hohem Grade ge¬
eignet, zu weiteren geschichtlichen Studien anzuregen und es
wäre nur zu wünschen, dass die Sammlung noch durch weitere
Bände vervollständigt würde, wobei dann auch die grossen Medi¬
ziner zum Worte kommen könnten.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
Bd. VI, Heft 6. 1902.
1) Max Schotten us: Ueber die Bedeutung der Darm¬
bakterien für die Ernährung. (Aus dem hygienischen Institute
der Universität Freiburg i. B.)
Durch D u c 1 a u x wurde experimentell nachgewiesen, dass
der Aufbau der organischen Substanzen in den Pflanzen nur bei
Anwesenheit von Spaltpilzen statttinden kann.
Dass diese Mitwirkung von Bakterien auch für die Ernährung
des tierischen Organismus notwendig ist, dafür spricht eine Reihe
von feststehenden biologischen Tatsachen. Verfasser verfügt über
22 Versuche am Hühnchen, die gleichmässig das Resultat ergaben,
dass bei steriler Züchtung und steriler Nahrungsaufnahme nie¬
mals eine Gewichtszunahme eintritt; im Gegenteil findet, ähnlich
wie beim Ilungerznstand, trotz der meist auffallenden Fressgier
der Tiere, eine fortschreitende Gewichtsabnahme statt, die bis zu
einem Verluste von 32 Froz. des ursprünglichen Körpergewichts
führt. Die zur gleichen Zeit gezüchteten normalen Ivontrolltiere
liessen dagegen bei gewöhnlicher Nahrung einen Gewinn von
117 Proz. des ursprünglichen Körpergewichts erkennen.
Nachdem nun durch diese Versuche im Prinzip konstatiert ist.
dass für die Ernährung der Tiere, speziell für die warmblütigen
Wirbeltiere, die Tätigkeit der Darmbakterien notwendig ist, wird
es sich zum Verständnisse der Physiologie und der Pathologie des
Tractus intestinalis um den weiteren Ausbau dieser biologischen
Lehre von der Ernährung handeln.
2) Hans Rüge -Berlin: Physiologisches über Muskel¬
massage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. (Mit
3 Abbildungen.)
Trotz des hohen Alters der Massage zu Heilzwecken ist ihre
wissenschaftliche und speziell physiologische Begründung bisher
noch unvollkommen. R. studierte den Einfluss der Massage auf
den Muskel, und zwar verwandte er hierzu teils den durchbluteten,
teils den blutleeren Gastroc-nemius des Frosches, dessen Muskel¬
zuckungen er nach Einwirkung von elektrischen Reizen auf eine
berusste Trommel aufzeichnen liess. Zur Beobachtung gelangten
die Hubhöhen und der Zuckungsverlauf mit und ohne ein¬
geschaltete Massagen, ferner die Wirkung von Pausen und
Massagen bei dem durch Tetanus ermüdeten Muskel.
Die Registrierung der Hubhöhen ergab kein eindeutiges Re¬
sultat; dagegen stellte der Zuckungsverlauf beim durchbluteten
Muskel fest, dass Massage den Muskel leistungsfähiger und aus¬
dauernder, sowie vor allem flinker zur Arbeit macht.
Während nämlich die Zuckung des Muskels mit zunehmender
Ermüdung immer gedehnter wird, derselbe sich also viel lang¬
samer zusammenzieht und wieder ausdehnt und dadurch eine
niedere, langhingezogene Kontraktionskurve erzeugt, tritt nach
einer Ruhepause, in viel höherem Grade aber nach Massage eine
beträchtliche Verkürzung der Kurve auf. Den Einfluss der
Massage kann man auch am ausgeruhten Muskel erkennen; für
den ermüdeten Muskel leistet die Massage erheblich mehr, als
blosse Ruhe; kurze Massage von 3 — 5 Minuten zeigte häufig eine
grössere Wirkung als Ruhepausen von 10 — 20 Minuten. Die
Leistungsfähigkeit eines ermüdeten Muskels kann nach einer
Massage von 5 Minuten, in Kilogrammetem ausgedrückt, das
Siebenfache betragen gegenüber seinen vorherigen Leistungen.
Zur Erzielung von Tetanus ist nach Massage eines Muskels eine
grössere Reizfrequenz notwendig, als vorher. Dagegen zeigte der
entblutete Muskel nach Massage eine Abnahme der Arbeitsleistung
gegenüber einfachen Ruhepausen.
In diesen Experimenten erblickt Verfasser einen wissenschaft¬
lichen Beleg für die empirisch gefundene Zweckmässigkeit von
Massage vor Kraftübungen, wie Ringen, Turnen; vor allem glaubt
er die Massage der Muskeln für Rekonvaleszenten nach langen
Krankheiten, insbesondere aber der gesunden Muskeln bei Patien¬
ten, welche in Folge von Verletzungen längere Zeit still liegen
müssen, warm empfehlen zu müssen; ferner dürfte sich dieselbe
nach körperlichen Ueberanstrengungen als nützlich erweisen.
3) Julian M a r c u s e - Mannheim: Der gegenwärtige Stand
der Lichttherapie.
M. fasst seine Ausführungen folgendermassen zusammen:
Die Finse n’sche Lupusbehandlung ist ein Spezifikum, das,
nur erschwert durch äussere Verhältnisse, einer universellen An¬
wendung Hindernisse bietet; die lokale Lichtbehandlung, abge¬
sehen vom Lupus, ist ein bisher ungelöstes Problem, die allgemeine
Bogenlichtbehandlung eine Methode, die bei funktionellen ner¬
vösen Erkrankungen als psychische Beeinflussung heranzuziehen
ist, die allgemeine Glühlichtbeliandlimg eine Wärmeprozedur, die
nach dem augenblicklichen Stand unserer technischen Hilfsmittel
als die beste Massnahme zur Erzeugung von Schweiss angesprochen
werden kann. M. Wassermann- München.
Centralblatt für Chirurgie. 1902. No. 26.
A. S c h a n t z - Dresden: Zur Operation des Klumpfusses.
Wie bekanntlich das Redressement des gewöhnlichen ange¬
borenen Klumpfusses zweizeitig ausgeübt wird, d. h. erst nachdem
die Korrektur der Adduktions- und Rotationsstellung des Fusses
erreicht ist, die Achillotenotomie ausgeführt wird, so empfiehlt
Sch. auch beim paralytischen Ivlumpfuss, erst den Klumpfuss zu
redressieren und die Sehnentransplantation von der Achillessehne
auf die Peroneussehne auszuführen, während der Fuss zunächst
in Spitzfusstellung bleibt, erst darnach (wenn solches überhaupt
sich als nötig erweist) eine der Methoden zur Verlängerung der
Achillessehne auszuführen.
Hagen-Torn-St. Petersburg: Statik und Dynamik.
Kasuistischer Beitrag.
1192
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28:
Besclireibung eines Falles von Amputation des Armes und
Beines einer Seite, in dem Pat. infolge Uebung seiner Muskulatur
(durch Herumspi’ingen auf einem Bein) gerade blieb, d. k. eine
Skoliose sich erst dann ausbildete, als der Pat. ein künstliches
Bein benutzte; doppelte Krümmung der Wirbelsäule ist nach H.
in solchen Fällen meist durch Muskelinsuffizienz bedingt.
P r z e wal s k i - Charkow: Ein Fall von ausgesprochener
Verlängerung des Femur bei einem Erwachsenen nach Osteo-
sarcoma tibiae.
Beschreibung eines Falles von kindskopfgrossem, harten,
kugelförmigen Sarkom, das von der Diaphyse der Tibia nach vorn
gewuchert war und bei dem der Oberschenkel sich um 3 cm, der
Unterschenkel um 1 cm gegenüber der anderen Seite verlängert
zeigte. Sehr.
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. 10. Ed., 3. Heft.
1902.
13) Rosenfeld: Zur Statistik der Deformitäten.
Eine ungemein sorgfältige und interessante Bearbeitung eines
eigenen orthopädischen Materiales von 2000 Ifällen. Namentlich
wird auch die Frage der Vererbung von Deformitäten statistisch
untersucht. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden.
Jedenfalls bedarf es noch weiterer ähnlich eingehender Statistiken,
um Zufälligkeiten auszuschliessen. Zu letzteren ist gewiss z. B.
zu rechnen, dass der Ivlumpfuss nach R.s Statistik bei beiden
Geschlechtern gleich häufig gefunden wird.
14) S c h u 1 1 h e s s: Zusammenhang der physiologischen
Torsion der Wirbelsäule mit lateraler Biegung und ihre Be¬
ziehungen zur Skoliose.
Kritik einer experimentellen Arbeit von Lovett, deren
Wert für die Bewegungen der normalen Wirbelsäule aner¬
kannt, für die Skoliose bestritten wird.
15) Schulthess: Die Z u p p i n g e r sehe Skoliosen¬
theorie.
Zurückweisung der von Z. aufgestellten Theorie, dass das
Primäre bei der Dorsalskoliose die Deformierung des Thorax, der
Rippen sei, bedingt durch Druck der Schulbank gegen die rechte
vordere B nistwand.
16) Blencke: Kongenitale Verrenkung der Kniescheibe
nach oben.
Er berichtet über einen wohl einwandsfreien Fall von an¬
geborenem doppelseitigen Hochstand der Patella, bedingt durch
fehlerhafte Keimanlage oder durch angeborene Erschlaffung des
Bandapparates. Beschwerden wurden durch diesen Zustand nicht
oder kaum bedingt.
17) Karch: Seitliche Deviation der Fingerphalangen.
Es handelt sich um eine angeborene, radialwärts gerichtete
Abknickung der Endphalanx der kleinen Finger, die durch Osteo¬
tomie an der Mittelphalanx beseitigt wurde. Eine Untersuchung
bei 41 weiblichen und 41 männlichen Personen ergab eine der¬
artige Abknickung (aber doch wohl nicht kongenital? Ref.) bei
11 bezw. 3 Individuen.
18) Bähr: Der Oberschenkelknochen als statisches Pro¬
blem.
Polemik gegen Ghillini und Canevazzi.
V u 1 p i u s - Heidelberg.
Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 32. Bd
1. Heft. 1902.
1) Karl Sternberg: Experimentelle Untersuchungen
über pathogene Hefen. (Aus der Prosektur der k. k. Kranken¬
anstalt „Rudolfstiftung“ in Wien.)
In der vorliegenden umfangreichen Abhandlung bringt St. zu¬
nächst eine Zusammenstellung der einschlägigen zahlreichen Ar¬
beiten und berichtet dann über seine eigenen Experimente; er ver¬
wandte zu seinen Injektionsversuchen teils Oidi umstämme, teils
echte Hefen (Blastomyceten, Saccharomyceten). Aus den Unter¬
suchungen ergibt sich, dass sowohl Oidien wie Hefen für die ver¬
schiedensten Tierarten pathogen sein können, während sie doch
wohl für den Menschen nur geringe pathologische Bedeutung be¬
sitzen. Durch massenhafte Ansammlung von Hefen kann es in
Organen des Tierkörpers zwar zur Bildung von Pseudo¬
tumoren kommen, n i e aber bilden sich nach St.s Unter¬
suchungen echte Neoplasmen, wie von anderen Autoren
behauptet wurde.
2) Ludwig Talke: Zur Kenntnis der Lymphgefässneu-
bildung in pleuritischen Schwarten. (Aus der chir. Universitäts¬
klinik zu Königsberg i. P.)
Die vorliegende Frage ist noch wenig diskutiert; T. sucht
den histologischen Nachweis neugebildeter Lymphgefässe an peri¬
tonealen Adhäsionen, sowie an einer durch Verwachsung der
Kostal- und Parietalpleura entstandenen Schwarte zu erbringen.
Er findet neugebildete Lymphgefässe in verschiedenen Formen;
nämlich als Endothelröhrchen mit einfacher Wand, als grössere
Lymphgefässe mit zweischichtiger Wandung, Plexusbildung, so¬
wie Lymphspalten im Gewebe, besonders perivaskuläre Lymph¬
gefässe. Die neugebildeten Lymphgefässe entstehen wahrschein¬
lich analog den Blutgefässen aus vorhandenen Lymphgefässen.
3) P. Kworostansky: Chondrofibrom des Uterus. (Aus
der Universitäts-Frauenklinik in Zürich.)
K. beschreibt in einem Fibrom des Uterus als eigentümliche
Elemente Knorpel, osteoides Gewebe und Knochen.
Aus den mikroskopischen Bildern, die eine sehr eingehende Be¬
sprechung erfahren, entnimmt Verf., dass es sich nicht um em¬
bryonale Keimversprengung, sondern um metaplastische
Entstehung jener Gewebsarten direkt aus dem Fibromgewebe
handle. Ein analoger Fall ist unter v. Recklinghausen be¬
arbeitet.
4) L. Jores-Bonn: Ueber das Verhalten der Blutgefässe
im Gebiet durchschnittener vasomotorischer Nerven.
Nach der Thoma sehen Theorie führt bekanntlich eine
längerdauernde Stromverlangsamung zur Wucherung der Intima.
J. untersucht nun bei einseitig durchschnittenem Halssympathikus
vergleichend die beiderseitigen Gefässe, und konstatiert wohl Er¬
weiterung- des Gefässlumens auf der verletzten Seite, vermisst
aber eine vikariierende Intimawucherung. Damit ist wieder ein
Einwand gegen die Richtigkeit der Thoma sehen Theorie, die
schon von anderen Seiten stark angegriffen worden ist, gegeben.
5) H. Merkel: Kasuistischer Beitrag zu den Missbildungen
des männlichen Genitalapparates. (Aus dem pathol. Institut zu
Erlangen.)
Verf. berichtet über den Sektionsbefund einer einseitigen
Hodenverdopplung; ausgehend von der Forderung, dass
nur der auatomische Nachweis die Diagnose sichert, stellt M.
4 Fälle1) von einseitiger Hodenverdopplung aus der Literatur zu¬
sammen. Die zweite berichtete Missbildung betrifft einen
Pseudohermaphroditismus masculinus inter¬
nus; bei völlig normalen männlichen äusseren Genitalien wurde
ein vollständig ausgebildeter Uterus gefunden mit Tuben und Lig.
lat.um, in welch letzterem sich die beiden Hoden (analog der Lage¬
rung der Ovarien) vorfanden. Die ganzen inneren Genitalien
— Uterus mit Tuben und Hoden — lagen als angeborener Skrotal-
bruch im rechten Hodensackabschnitt; der linke war leer!
H. Merkel- Erlangen.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 27
1) Ri edel- Jena: Die minimale Narkose bei kleineren chi¬
rurgischen Eingriffen, speziell bei der Reposition von Radius-
und Knöchelbrüchen.
Diese Narkosen nimmt R. mittels der Tropf methode vor und
verwendet bei dem nüchternen Patienten binnen 2 Minuten 80 bis
100 Tropfen Chloroform, wodurch eine für kleinere Eingriffe hin¬
reichende Anästhesie erzeugt wird, während der Patient noch alles
merkt, was mit ihm vorgenommen wird. Das gewünschte Stadium
der Analgesie ist erreicht, sobald der Kranke anfängt, im gering¬
sten unregelmässig zu zählen. Kropfoperationen macht Verf. ohne
allgemeine Narkose. Besonders für einen mit Schmerzen ver¬
bundenen Verbandwechsel ist die minimale Narkose zu empfehlen,
ferner für Zahnextraktionen, Furunkelinzisionen, ganz speziell
aber für die richtige Reposition der Radius- und Knochenbrüche,
in deren Behandlung noch reichlich Fehler gemacht werden. Verf.
beschreibt die Art der von ihm geübten Reposition, sowie die Ver¬
wendung des von ihm gebrauchten Schienenverbandes, den er
nach 3 Tagen zum ersten Male abnimmt, dann wieder nach
4 Tagen; nach 3 Wochen wird jeder Verband entfernt und mit der
Massage begonnen. Die Patienten mit Knöchelbrüchen lässt R.
8 — 12 Wochen im Bette liegen.
2) J. Morgen roth und H. S a c h s - Frankfurt a. M.:
Ueber die Kompletierbarkeit der Ambozeptoren.
Nicht zu kurzer Wiedergabe des Inhaltes geeignet.
3) G. A s c o 1 i und F. F i g a r i - Genua: Ueber Nephrolysine.
In dieser Mitteilung berichten die Verf. über die Wirkung der
von ihnen sog. Nephrolysine auf das Zentralnervensystem, welche
sie in der Weise studierten, dass sie Hunden eine Trepanatious-
wunde anlegten und mittels langer Nadel das Serum subdural bei¬
brachten. Die auftretenden Erscheinungen Avaren teils depres-
sorischen, teils sehr ausgesprochen krampfartigen Charakters, ohne
dass die genauere Aid der Giftwirkung bisher bekannt wäre. Von
Wichtigkeit ist besonders die Art der Einbringung unter die Dura.
Wie schon früher erwähnt, rufen die Nephrolysine besonders auch
Nierenschädigungen (Albuminurie), sowie bestimmte Wirkungen
auf die Zirkulation hervor. Die am Nervensystem auftretenden
Erscheinungen können unschwer in eine gewisse Parallele mit den
urämischen Erscheinungen gebracht werden und ist ein Teil der
klinischen Symptome der chronischen Nephritiden mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit auf die Bildung von Autonephrolysinen zu be¬
ziehen.
4) K. L i e p e 1 1 - Berlin: Ulnarislähmung nach Typhus ab¬
dominalis.
In der Literatur sind bisher im ganzen 16 Fälle von isolierter
Ulnarislähmung nach Unterleibstyphus bekannt geworden. In dem
vom Verf. beschriebenen Falle handelte es sich um einen 20jähr.
Gärtner, bei dem die periphere Lähmung im rechten Ulnarisgebiet
nach einem mittelscliAveren Typhus auftrat. Eine Heilung ist bis¬
her noch nicht erfolgt, wie auch bei der grösseren Zahl der ander¬
weitig beschriebenen Fälle. Die Prognose speziell der Ulnaris¬
lähmung scheint daher nicht so günstig zu sein, wie der übrigen
posttyphösen Neuritiden.
9 Ein 5. Fall von Lossen, in der Festschrift des Dresdener
Krankenhauses 1899 beschrieben, ist Verf. entgangen!
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1193
15. Juli 1902.
5) E u g c 1 m a u n - Berlin: Ueber einen doppelseitigen, kon¬
genitalen Knorpelrest am Halse.
Bisher sind nur 3 Fälle von doppelseitigem Vorkommen dieser
Bildung beschrieben, 14 von einseitigem. Im beschriebenen Falle
war der Träger der Hemmungsbildung, welche sich mikroskopisch
unzweifelhaft als Knorpel darstellte, der dem 2. Kiemenbogen
entstammt, ein 20 jälir. russischer (Student, dessen Vater übrigens
dieselben Auswüchse am Halse gezeigt hatte. Es handelt sich bei
diesen Bildungen nicht allein um Enchondrome im (Sinne V i r -
cliows, sondern auch um eine atavistische Erscheinung.
6) F. Meyer- Berlin und L. A s c h o f f - Güttingen: Ueber
die Rezeptoren der Miiclieiweisskörper.
Die Verf. haben die Resultate ihrer im Pasteur sehen In¬
stitut entstandenen Untersuchungen in 17 (Schlussätzen nieder¬
gelegt, die sich nicht für einen kurzen Auszug eignen.
7) W. v. ü e 1 1 i n g e n - Berlin: Die Behandlung des ange¬
borenen Klumpfusses beim Säugling. (Schluss folgt.)
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 20.
11. Sch ul z- Greifswald: Zu Karl Binz' siebzigstem Ge¬
burtstage.
1) E. v. K o zi c z k o w s k y - Kissingen: Ueber die klinische
Verwertbarkeit der Sahli sehen Methode zur Funktionsprü-
fung des Magens.
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
2) A. Hess: Zur Kenntnis der Venenthrombose beim akuten
Gelenkrheumatismus.
Unter eingehender Behandlung der einschlägigen Literatur
teilt H. 2 Fälle mit, welche sich durch ungewöhnliche Lokalisation
der Thrombose auszeichnen; im ersten Falle war neben Throm¬
bosen der Extremitätenvenen die Vena cava inferior, im zweiten
neben oben erwähnten die Vena cava superior betroffen, im
2. Falle, der letal endete, konnte mikroskopisch der entzündliche
Prozess nachgewiesen werden; die Gef äss wand wie das um¬
gebende Gewebe zeigten starke kleinzellige Infiltration. Eine Ein¬
wirkung seitens der Blutstase auf die Thrombenbildung kann je¬
doch bei dem Befallensein des Herzens und der Lungen nicht
negirt werden. Dass die an und für sich relativ günstige Prognose
des akuten Gelenkrheumatismus, der trotz schwerster Kompli¬
kationen von (Seiten des Herzens, der Lungen, Nieren und des
Nervensystems und trotz monatelangen Fiebers oft in wunder¬
barer Weise abheilt, auch durch die Thrombose der grossen Hohl¬
venen nicht hoffnungslos wird, lehrt der erste mitgeteilte Fall,
der unter Zurückgehen aller Krankheitserscheinungen zur voll¬
ständigen Heilung kam.
3) A. Moeller- Belzig: Ueber säurefeste Bakterien.
Nach einem im Verein für innere Medizin am 3. Februar l'J02
gehaltenne Vortrag. Referat hierüber siehe diese W ochenschrift
1902, No. 6, pag. 255.
4) E. Beck er -Charlottenburg: Ueber die durch Triclio-
kephalus dispar verursachten Krankheitszustände.
Kasuistische Mitteilung zweier Fälle von Anämie, welche
höchst wahrscheinlich durch den Trichokeplialus bedingt waren.
Aus dem kurzen U eberblick über die Literatur und den mit¬
geteilten Fällen geht hervor, dass die Trichokephalen im Stande
sind, 3 verschiedene Krankheitszustände hervorzurufen:
1. Symptome von seiten des Magendarmkanals, starken Dick¬
darmkatarrh mit Geschwürsbildung, reichlichen Diarrhöen, Blut im
Stuhl, auch mit peritonitischen Erscheinungen, Erbrechen, leb¬
haften Schmerzen und perityphlitische Zustände.
2. Symptome von seiten des Nervensystems: Himerscliei-
nungen, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Aphonie, Erscheinungen
einer Meningitis.
3. Symptome von seiten des Blutes: Anämie mit ihren Folge¬
erscheinungen, Kopfschmerz, Schwindel, Herzklopfen, Mattigkeit,
aber auch Leibschmerzen verbunden, welch letztere auf den Ur¬
sprung hinweisen können.
5) A. Winter- Hagenau i/Els.: Die Beurteilung der Quali¬
tät der Frauenmilch nach ihrem mikroskopischen Bilde.
Bemerkungen zu dem Aufsatz von Dr. F riedmann in
No. 4 dieser Wochenschrift.
6) Beyer- Lome, Togo: Zur Frage der Bekämpfung der
Malaria in unseren westafrikanischen Kolonien.
7) H. Z i e m a n n: Nachtrag zu dem Aufsatz: „Ueber Loma-
dera, eine Art äusserst verbreiteten Texasfiebers in Venezuela“,
in No. 20 und 21 der Deutsch, med. Wochenschr.
8) H. Strebei - München: Mitteilung über wirksame Licht¬
generatoren in der Therapie. M. Lache r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 27. 1) G. Gärtner-Wien: Ueber intravenöse Sauer-
stoffinfusionen. (Schluss folgt.)
Bei Hunden hat G. Sauerstoffgas in die V. jug. externa in¬
fundiert und konnte sich überzeugen, dass reines Sauerstoffgas
in grossen Mengen und durch lange Zeit in das Venensystem eines
Hundes eingeleitet werden kann, ohne dass irgend welche Schä¬
digungen des Tieres auftreten. Die Herztätigkeit der Hunde ist
während der Einleitung des Gases von einem lauten Plätscher¬
geräusch begleitet. Der Blutdruck erfährt keine Veränderung,
nur bei stürmischer Einverleibung tritt eine Senkung ein. Der
eingeleitete Sauerstoff wird offenbar rasch vom Blute aufgenom¬
men. Aus den Einzelheiten der Versuche ergab sich ferner auch,
dass die Zentren der Blutgefässnerven, wie auch schon früher
angenommen wurde, tatsächlich durch Sauerstoffmangel erregt
werden. Bei Einverleibung von Luft tritt unmittelbar nach der
Infusion ein rapides Sinken des Blutdruckes und der Tod ein.
2) C. P e z z o 1 i - Wien: Ueber die Reaktion des Prostata-
sekretes bei chronischer Prostatitis.
F ürbringe r hat die Fähigkeit des Prostatasekretes, das
in den Spermatozoen latente Leben zu erwecken, mit der sauren
Reaktion des Sekretes in Zusammenhang gebracht und Finger
hat festgestellt, dass Individuen mit chronischer Prostatitis und
alkalischem Sekret im irischen Ejakulate unbewegliche oder rasch
absterbende Spermatozoen haben. Diesen Beobachtungen hat
Lohnstein widersprochen. P. weist nun nach, dass die Unter¬
suchungen von Lohnstein keinen Anspruch auf Zuverlässig¬
keit haben, da er bei denselben sich eines ungeeigneten Säure¬
indikators, nämlich des Phenolphthaleins, bedient hat, das bei
peptonreichen Flüssigkeiten, wie es eitrige Flüssigkeiten und
Sperma darstellen, keine Verwendung finden kann. Die Titrierung
muss mit Lakmustinktur vorgenommen werden, wie Verf. an
seinen Nachuntersuchungen dartut. Nach letzteren sind die An¬
gaben von Finger und F ürbringe r gegenüber den Lohn¬
st e i n sehen vollkommen aufrecht zu erhalten. Die alkalische
Reaktion des Prostatasekretes hat demnach aut die Beweglichkeit
der Spermatozoen einen deletären Einfluss.
3) K. K r e i b i c h - Wien: Ueber einige serodiagnostische
V ersuche.
Verf. hat das Serum von Kranken, welche an verschiedenen
Infektionskrankheiten litten (z. B. Pemphigus, Erysipel, Purpura),
auf seine hämolytische Wirkung untersucht, konnte aber keine
positiven Resultate erzielen, so dass ein Behelf für die Diagnose
sich hieraus nicht gewinnen liess.
4) A. Glion - Wien: Ueber die Meningitis bei der Influenza¬
erkrankung.
Verf. veröffentlicht 2 Fälle dieser Art, einen 33 jähr. Agenten
und ein 8 Monate altes Brustkind betreffend, mit allen Einzel¬
heiten des histologischen und bakteriologischen Befundes. Der
Nachweis der Infiuenzabazillen erfolgte durch die Kultur; doch ist
das Kulturverfahren nach den Erfahrungen des Verf. nicht immer
zuverlässig. Der 1. Fall des Autors stellt sich als eine von der
Stirnhöhle aus fortgeleitete Infektion dar, der 2. als eine meta¬
statische. Die in der Literatur bisher beschriebenen Fälle ähn¬
licher Art verdienen eine strenge Sichtung, so dass nur wenige
echte Fälle übrig bleiben. Es handelt sich beim Auftreten solcher
zerebraler Lokalisationen zum Teil um Mischinfektionen, zum an¬
deren Teil um Reininfektionen. Von den 12 beobachteten und
sichergestellten Fällen handelte es sich 8 mal um Kinder, nur
4 mal um Erwachsene. Grassmann - München.
Französische Literatur.
Moreul und Rieux: Die pathogene Einheit der Dys¬
enterie, Spezifität ihres Erregers, Indikationen zur Serum¬
therapie. (Revue de medecine, Februar 1902.)
ln dieser ausführlichen Arbeit beschreiben Verfasser, welche
ihre Untersuchungen bei Dysenterieepidemien und Einzelfällen im
französischen Departement Finistere und in Tunis angestellt
haben, als einzigen Erreger der Ruhr einen Bacillus coli, welcher
ganz spezifische Färbe- und Kultureigentümlichkeiten hat und
sowohl bei der europäischen wie tropischen, bei der endemischen
wie epidemischen, bei der schweren und gutartigen Form als der
spezifische Ruhrbazillus anzusehen ist. Im ersten Teile der Arbeit
werden verschiedene Typen der Krankheit beschrieben und der
Mikrobenassoziation gedacht, welche in der Mehrzahl der Fälle
jedoch nicht vorhanden ist und nur der endemischen Form, mitt¬
lerer oder schwerer Art, zugehört. Der zweite Teil enthält die
ausführliche Beschreibung des spezifischen Erregers, welcher in
seinen äusseren Formen variabel wie der Esche rieh sehe und
Eberthsche Bazillus ist, durch alle Anilinfarben, jedoch nicht
nach Gram färbbar ist, die Ueberimpfungsresultate des Bazillus
auf Tiere (Meerschweinchen, Hunde, Pferde) und dessen Aggluti¬
nationsfähigkeit. Der dritte Teil der Arbeit beschreibt die Ver¬
suche zur Herstellung eines Heilserums durch Immunisierung von
Pferden; nach Ansicht der Verfasser würde sich dieses Serum vor
allem zur Bekämpfung der epidemischen Ruhr eignen, es sei etwa
auf die gleiche Stufe zu stellen, wie das von Chantemesse
hergestellte und so erfolgreich angewandte Serum gegen den
Typhus, und neben dem gewöhnlichen, dem subkutanen \\ ege der
Einverleibung käme hier auch der rektale in Betracht. Zum
Schlüsse bekennen die beiden Autoren, dass die Beweiskette für
ihre Angaben noch nicht ganz geschlossen und besonders noch
Untersuchungen über den Ruhrbazillus in den Ländern, wo die
Krankheit endemisch ist (Cochinchina) angezeigt seien.
Busquet: Beitrag zum Studium der Typhuspneumonie.
(Ibidem.)
Auf Grund von drei mitgeteilten Beobachtungen, welche
sämtlich junge Leute (Soldaten) betrafen, ergab es sich, dass
die Lungenkomplikation beim Typhus der Assoziation der beiden
pathogenen Keime, des Eber th sehen Bazillus mit dem Tala-
1194
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 28.
mou-Fraenkel sehen Pneumokokkus, zuzuschreiben ist, der
Lungenpi’ozess dabei aber durch letzteren allein zustande kommt.
In diesen Fällen ist es bald der eine, bald der andere Keim,
welcher die primäre Infektion hervorruft, d. h. bald erscheint die
Pneumonie am Anfänge, um die Widerstandsfähigkeit des Orga¬
nismus zu vernichten, so dass die sekundäre Invasion des
E b e r t h sehen leicht ermöglicht ist, bald ist es umgekehrt. So¬
wohl in diesen 3 Fällen, wie in anderen, aus der Literatur be¬
kannten, zeigte es sich, dass der erstere Weg meist eine leichtere
Form der Erkrankung, der zweite eine schwerere und nicht selten
tödliche Form anzeigt.
Mathis: 3 Fälle von Malariapolyneuritis. (Ibidem.)
Neben dem N. isekiadieus scheint der N. cubitalis der
häufigste Sitz der bei Malaria vorkommenden Neuritis zu sein;
von 40 Beobachtungen, welche Verfasser aus der Literatur sam¬
melte, war 21 mal der Cubitalis mehr oder weniger befallen und
werden hier 3 weitere, selbst beobachtete Fälle dieser Art beigefügt.
In einem Falle waren die Gebiete des N. radialis und musculo-
cutaneus (Atrophie des Biceps, Muse, coraco-brackialis) in be¬
sonderem Masse befallen. Durch die geeigneten therapeutischen
Massnahmen (Hydrotherapie, Elektrizität) sind diese Formen von
Neuritis — die differentialdiagnostischen Merkmale von anderen
verwandten Krankheitstypen hebt M. bei jedem seiner Fälle her¬
vor — der Besserung leicht zugänglich, wenn auch definitive Hei¬
lung oft längere Zeit in Anspruch nimmt.
Chelmonski: Der Zustand des Nervensystems bei den
Phthisikern und sein Einfluss auf den Verlauf der Tuberkulose.
(Revue de medeciue, März 1902.)
Bei fast allen Lungenkranken kann man die Symptome der
Neurasthenie, Hysterie oder Hysteroneurasthenie konstatieren.
Gewisse Geistesstörungen, welche schon seit langem bei den
meisten Phthisikern beobachtet worden sind, haben nach Ch.s
Ansicht nichts für diese Krankheit Charakteristisches, sondern
stellen nur ein Symptom der Nervenschwäche (Neurasthenie) dar.
Der Zustand des Nervensystems bei den Phthisikern beeinflusst
in ungünstiger Weise den Verlauf der Tuberkulose. Das Nerven¬
system muss daher bei der Behandlung der Lungentuberkulose
mehr wie bei jeder anderen chronischen Krankheit in Betracht
gezogen werden.
Bacaloglu: Die am Krankenhause des Enfants malades
zu Paris von 1. März bis 1. September 1900 beobachteten Krank¬
heiten. (Revue de medeciue, Januar — März 1902.)
Es handelt sich hier nur um die Fälle, welche als „zweifel¬
haft“ in eiue Isolierabteilung des grossen Kinderspitales, die im
Jahre 1890 speziell zu diesem sehr wichtigen Zwecke gegründet
wurde, gebracht worden sind. Beschreibung dieser Abteilung,
welche in keinem grösseren Kinderspitale fehlen sollte, sta¬
tistische Angaben über die verschiedenen dabei beobachteten
Krankheiten mit Einreihung von Einzelfällen, die therapeutischen
und hygienisch-prophylaktischen Massnahmen. Naturgemäss sind
hier fast alle im Kindesalter vorkommenden Krankheiten an¬
geführt, besonders eingehend die Fälle von Masern, Scharlach,
Diphtherie, von nichtdipktheritiscker Angina und die bezügliche
Therapie beschrieben. Betreffs der Einzelheiten ist die instruktive
Originalarbeit einzusehen.
T a v e 1 - Bern: Die Resektion des Nervus pudendus internus
beim Vaginismus und Pruritus vulvae. (Revue de Chirurgie,
Februar 1902.)
Die allgemeine topographische Beschreibung der vom N. pud.
intern, versorgten Teile, der Verlauf desselben, seine Beziehungen
zur entsprechenden Arterie und seine Verzweigungen sind einer
Arbeit des Berner Prof. Strasse r entnommen. Die Resektion
dieses Nerven kommt bei allen hartnäckigen Fällen, welche ge¬
wöhnlich jeder Therapie trotzen, in Betracht und führt in der
Tat, wie die von T. angeführten 2 Fälle beweisen, zur Heilung.
Bei der kompleten oder partiellen Resektion des N. pud. intern,
muss man in erster Linie die Durchschneidung der analen Aeste
bei beiden Geschlechtern und des N. dorsalis penis beim Manne
zu vermeiden suchen. Das genaue Verständnis des operativen
Eingriffes ist nur vermittels der beigegebenen Zeichnungen mög¬
lich, es sei hier nur angegeben, dass T. die Inzision in der Länge
von 8 — 10 cm für notwendig hält und sie in der Mitte des Raumes,
welcher das Tuber ossis ischii vom Anus trennt, in sagittaler
Richtung macht. Diese Inzision wird andererseits durch die
Linea interischiadica in 2 Teile geteilt. Bezüglich der Nach¬
behandlung ist hervorzuheben, dass die “Drainage keinen Wert hat;
in den 2 von T. behandelten Fällen, wo es sich um verheii'atete
Finnen, eine 48jähi-ige, die seit einer Reihe von Jahren an
Pruritus vulvae litt, und eine 28 jährige handelte, die lange Zeit
von heftigem Brennen an der Vulva und beim U linieren geplagt
wurde, ist die Heilung ohne Drainage mit vollem Eilolg und ohne
die geringste Reaktion eingetreten.
Chai'les Julliard: Die klinische Verwendung der Cyto¬
logie, der Kiyoskopie und der Hämatolyse bei serösen Ergüssen.
(Ibidem.)
In dieser ausführlichen Arbeit wird die Verwertung der drei
angeführten LTntersuchungsxnetkoden bei serösen Ergüssen in den
Hodensack, in Gelenkhöhlen, in Hernien dargestellt. Die Haupt¬
schlüsse der interessanten Ex-gebnisse J u 1 1 i a r d s seien hier an¬
geführt. Der Zelleninhalt eines Ergusses ist der direkte Beweis
der Reaktion, welche die Serosa dem irritierenden Agens entgegen¬
gesetzt hat, sei es, dass dasselbe infektiösen, toxischen oder trau¬
matischen Urspnxngs ist, d. h. der Zelleninhalt steht in innigem
Zusammenhang mit dem mehr oder weniger hohen Grade des
Krankheitsprozesses und nicht mit der Natur seines Ursprungs.
Die verschiedenen Stadien der Intensität scheinen, von der schwä¬
cheren zur stärkeren fortschreitend, folgend eimassen charakteri¬
siert zu sein: 1. durch die Anwesenheit von Endotkelien, 2. von
Lympliocyten und 3. von vielkernigen Zellen. Die Ergüsse mit sehr
torpidem Verlauf und jene rein mechanischen Ursprungs (chro¬
nische essentielle Hydiecele, gewisse Formen von tubei’kulöser
Arthritis mit sehr langsamer Entwicklung, mechanischer Hyd-
artliros, traumatischer Hämarthros und präpatellares Hygroma)
sind entweder durch Zelleninhalt, welcher ausschliesslich oder zum
grössten Teile aus Endothelzellen besteht, oder durch den
Mangel aller figürlichen Elemente charakterisiert. Die Ergüsse
infektiöser Natur mit subakutem oder chronischem Verlauf und
gewisse traumatische Ergüsse (tuberkulöse, traumatische Hydro-
cele, tuberkulöse Artkiätis, blennorrliagiscker Ilydartkros ohne
Fieberex-scheinungen u. s. w.) sind durch einen Zelleninhalt cha¬
rakterisiert, welcher ausschliesslich oder zum grössten Teile aus
Leukocyten besteht. Vorwiegend vielkernige Zellen
kommen vor bei Ergüssen mit akuter Entwicklung, bei chronischen
Ergüssen im Stadium akuter Exazerbation xxnd bei chronischen
Ergüssen, welche einem sehr heftigen Trauma ausgesetzt waren
(akute gonorrhoische Hydrocele, akuter oder chronischer Gelenk¬
rheumatismus, alte tuberkulöse Arthritis, chronische Ergüsse, die
ein- oder mehrmals schon punktiert worden sind u. s. w.) Was die
Ivryoskopie betritt' t, so sind die Grade des Gefrierpunktes bei
den serösen Ergüssen in die Tunica vaginalis, in die Gelenks¬
höhlen und in die Hernien so wenig verschieden, dass bezüglich
der Prognose und Diagnose der Affektion verwertbare Anhalts¬
punkte nicht zu gewinnen sind. Die Hämolysine sind bei
den Gelenksergüssen in den Fällen vorhanden, wo die Natur der
Krankheit eine rein infektiöse und speziell, wo es sich um akute
Entwicklung handelt. In den Fällen von traumatischem Häm¬
arthros und ebensolchem hämorrhagischen IIygi*oma präpatellare
steht die hämolytische Kraft des Gelenkergusses im umgekehrten
Verhältnis zix der Zeit, welche den Augenblick der Untersuchung
vom Beginne der Krankheitsei’scheinungen trennt. Die cyto-
logisclxe Untersuchung, welche vor allem von W i d a 1 gefördert
worden ist, dürfte also nach diesen Befunden die wichtigste der
genannten 3 Methoden, wenigstens vorläufig, sein.
A u d a r d - Paris: Die R i g a sehe Krankheit. (Revue xnen-
suelle des maladies de l’enfance, Februar 1902.)
Diese Säuglingsaffektion, auch Aphthae cachekticae, diphtlxe-
roide Subglossitis (Coinby) u. a. benannt, ist hauptsächlich dadurch
charakterisiert, dass am Zungenbändchen eine mit einem diphtlierie-
ähnliclien Exsudate bedeckte Wucherung eracheint und zwar ohne
dass irgend eine Spur von Keuchhusten vorhanden ist. A. bit¬
spricht die ganze Literatur, welche über diese, zuerst von Car-
darelli im Jahre 1857 beschriebene und besonders in Italien
beobachtete Affektion erschienen ist, und teilt einen selbst beob¬
achteten Fall mit. Das Leiden ist ein solches des ersten Lebens¬
jahres, selten sind die Fälle über 12 — 14, jedoch auch ixnter G Mo¬
naten; beide Geschlechter werden befallen, schlechte soziale, hygie¬
nische oder Emährungsverhältnisse sind die prädisponierenden
Ursachen. In Italien sind es fast nur die Kinder araier Land-
leute, welche die Krankheit acquirieren, wähi*eud sie bei den Kin¬
dern der besser situierten Stadtbevölkerung nur ausnahmsweise
vorkommt. Lokal scheint mangelhafte Reinhaltung des Mundes
(von Milch Überresten) zu den prädisponierenden Ursachen zu ge-
lxöi’en, von ganz besonderer Wichtigkeit ist aber die Zahneruption.
Klinisch muss man 2 Aitten untei-scheideu: entweder ist die Krank¬
heit des Bändchens nur eine lokale Affektion oder sie zeigt sich
mit einer schweren Allgemeinerkrankung verbunden, wobei jedoch
der Belag unter der Zunge das Hauptsymptom bleibt. Die benach¬
barten Drüsen sind nicht entzündet, die funktionellen Syinpb me
sind gleich Null oder wenig ausgesprochen. Die Dauer der Krau*
heit ist eine verschiedene, nach Riga 14 Tage bis 2 Monate, nach
Chiarello mehrere Tage bis 8 Monate, ja kann auf mehr wie
1 Jahr nach P i a n e s e sich ausdehnen. Die Prognose ist eine
günstige, es existiert jedoch eine schwere, meist mit Magendarm¬
katarrh verbundene Fonn, bei welcher sie sehr zweifelhaft ist.
Die Diagnose der Affektion ist gewöhnlich eine leichte: das Auf¬
treten einer vegetierenden, mit einem weisslichen Belag bedeckten
Wucherixug am Zungenbändchen, kurze Zeit nach dem Ausbruch
der 2 unteren, mittleren Sclineidezälme, ist pathognomonisch. Die
Behandlung zerfällt in die Prophylaxe (Reinhaltung des Mundes)
und die eigentliche Therapie. Von den zahlreich empfohlenen lo¬
kalen Mitteln empfiehlt A. die Jodtinktur und Arg. nitr. am
meisten; falls diese keinen Erfolg geben sollten, muss man chir-
urgisch eingreifen: Exzision mit der gebogenen Scheere, gefolgt
von der Kauterisation der Ansatzstelle mit dem Glüheisen oder
von einer Vereinigungsnaht. Bei der schweren Fonn Regelung
der Diät event. Luftveränderung. Was schliesslich noch den histo¬
logischen Befund betrifft, so handelt es sich nach der Mehrzahl
der Forscher um eine rein entzündliche Hypertrophie der obersten
Schleimhautschichten, besondere der Papillen und des Stratum
Malpighii ; über den bakteriologischen Befund herrscht noch wenig
Klarheit. Die aufgeführte Literatur weist fast nur italienische
Autoren auf.
15. J uli 1902,
MUEN CHENER MEDICINTSCHE WO CHEN SCHRIET.
1195
Mario Flamin i, Assistent an der pädiatrischen Klinik zu
Horn: Beitrag zum Studium der medikamentösen Milchproduk¬
tion; über Jodmilch. (Ibidem. März 3902.)
Nachdem es erwiesen ist. dass das in den Organismus ein-
geführte .Tod in die Milch ebenso wie in den Speichel u. s. w. über¬
geht. kam Fl. auf den Gedanken, die Milch als Vehikel des Jods,
therapeutisch zu verwenden, wodurch besonders für Säuglinge
eine sozusagen natürliche Kombination des Medikaments entsteht.
Fl. bediente sich zu seinen Versuchen, im Gegensatz zu früheren
Untersuchern. welche ausschliesslich Jodkalium oder Jodnatrium
anwandten, des metallischen .Tods und zwar in öligen Lösungen
(5.0:100,0), da mit letzterer, ohne das Tier zu töten, eine viel
grössere Menge in den Organismus eingeführt werden kann wie
mit der gesättigten Jod-.Todkalium-Lösung, keine lokale Entzün¬
dung an den Injektionsstellen entsteht und die Ausscheidung des
Jods durch den tTrin in viel weniger tumultuarisclier Form sich voll¬
zieht, was ebenso für die Milchsekretion anzunehmen ist. Fl. zieht
die intramuskulären Injektionen den subkutanen vor, da sie viel
weniger reizend sind; dieselben müssen derartig ausgeführt wer¬
den. dass der Organismus mit .Tod gesättigt ist, dann nimmt die
ausgeschiedene Menge ständig zu. Das Jod findet sich in der
Milch zum Teile im Serum gelöst, zum Teile in Verbindung mit
den Eiweissubstanzen; aber ein Teil des im Serum enthaltenen
.Tods bildet selbst wieder eine organische Zusammensetzung, so
dass anzunehmen ist, dass mehr als die Hälfte des gesamten in
der Milch enthaltenen .Tods eine organische Substanz darstellt.
Fügt man jedoch der Milch direkt Jod hinzu, so ist es fast voll¬
ständig im Serum in anorganischer Zusammensetzung vorhanden.
Die lange fortgesetzte Einverleibung von .Tod, in öliger Lösung
und mittels intramuskulärer Injektionen, verursachte keine schäd¬
liche Veränderung in der Zusammensetzung der Milch. Das so
behandelte Tier geht nicht zu Grunde, zeigt keine Allgemein-, noch
lokale Reaktion und erträgt vortrefflich das eingeführte Medi¬
kament. Die beigegebenen Tabellen fassen übersichtlich die Re¬
sultate bezüglich der auf 1 Liter Milch erhaltenen .Todmenge
u. s. w. zusammen.
R o c a z: Akute Lymphocythämie mit Hyperthropie der
Thymusdrüse hei einem 4 jährigen Kinde. (Ibidem.)
Die akute Leukämie ist noch selten im Kindesalter beobachtet
worden. Bei dem 4 jährigen Kinde begann, wie in den meisten
Fällen, das Leiden mit einer Angina und war mit einer hoch¬
gradigen Hypertrophie der Thymus verbunden; der Verlauf war ein
sehr rapider. 25 Tage nach dem Beginne trat der Tod ein.
Martinez Va rgas, Professor an der Universität zu Barcelona:
Dokumente über Soriano, einen Kinderarzt des 16. Jahr¬
hunderts. (Annales de medecine et Chirurgie infantiles. Februar
1902.)
Ein interessanter Beitrag zur Geschichte der Pädiatrie.
Soriano war ein aragonesischer Arzt, welcher als einer der
ersten über Kinderkrankheiten geschrieben und gar manche Vor¬
schriften gegeben hat. welche man heutzutage für neu erklärt.
Nach V.’s Ansicht stammen überhaupt die wichtigsten Werke über
Kinderkrankheiten im 30. und 17. Jahrhundert aus Spanien, zu
einer Zeit, wo dieses Land seine höchste Blüte gehabt und der
Welt noch Gesetze vorgeschrieben hat. Aus dem kurzen Auszuge,
welchen V. über dieses Buch von Soriano liefert, sei die merk¬
würdig genaue Beschreibung der hauptsächlichsten, bei Kindern
vorkommenden. Wurmarten (Ascaris lumbric., Taenia solium.
Oxyuris), der Pädatrophie. der Steinkrankheit bei Kindern (Harn¬
sand und Steine in der Blase), die treffliche Beschreibung der
Ranula u. a. hervorgehoben.
Alex. M a rmorek: Das Streptokokkengift.
Alex. Ma rmorek: Die Einheit der für den Mensclien
pathogenen Streptokokken. (Annales de l'institut Pasteur, März
1902.)
M.s Untersuchungen über die Strentokokkentoxine ergaben,
dass alle Streptokokken verschiedenen Ursnrumrs das gleiche Gift
erzeugen: dasselbe gehört zu den diastatischen Körpern, welche
bei 70° zerstört werden. Das Serum, welches mit dem Toxin des¬
selben Mikroorganismus hergestellt wurde, ist gegen die Toxine
eines Streptokokkus anderer Abstammung wirksam. Das an¬
gewandte Verfahren ermöglicht, ein Toxin herzustellen, welches
Kaninchen in der Dosis von 0.25 — 0.5 ccm tötet.
Diese Einheit der Toxine ist eines der Hauptargumente M.s
fiir die Einheit aller Streptokokken, d. h. für eine Verschiedenheit
der Rassen der beim Menschen vorkommenden Streptokokken sei
noch kein wissenschaftlicher Beweis erbracht. Selbst die Varietät,
welche so verschieden erscheint, der Scharlachstreptokokkus, bietet
nur eine ouantitative Divergenz, sonst aber vollkommene Aehnlich-
keit mit den anderen Arten. Wenn die Streptokokken lange Zeit
anderen pathogenen Mikroorganismen assoziiert leben so ist leicht
zu begreifen, dass sie ihnen äussere Merkmale aufprägen, welche
jedoch nicht im Stande sind, ihre innere Zusammensetzung, ihre
physiologischen Eigenschaften zu verändern: diese bleiben die
gleichen, soweit es die Forschung ermitteln konnte, und deshalb
kommt M. zu der Lehre von der absoluten Einheitlichkeit aller für
den Menschen pathogenen Streptokokken.
A. Bill et: Beitrag zum Studium der Malaria und ihrer
Plasmodien in Algier (Constantine). (Ibid.)
B. hat im Verlaufe von mehr als 2 Jahren 395 I alle Aon
Malaria als Militärarzt beobachtet und folgende Schlüsse aus
seinen Studien gezogen. In Algier .gibt es 2 Formen von Malaria,
welche 2 Arten ganz verschiedener Parasiten entsprechen: die
Tertiana und die Quartana, welch letztere aber viel seltener wie
die erstere ist (2,7 Proz. in Constantine). Jede dieser Malaria¬
formen bietet einen doppelten klinischen und parasitären Verlauf,
nämlich erstens einen Sommer-Herbst-Zyklus, wobei die primären
Erscheinungen bei noch nicht infiziert Gewesenen auf treten, der
Fiebertypus schlecht ausgeprägt ist und der Parasit durch die
kleinen Amöben (Zyklus sexueller Reproduktion) dargestellt
wird, zweitens einen Winter-Friihjahrs-Zyklus mit sekundären
Erscheinungen bei Individuen, welche schon seit einem oder meh¬
reren Jahren malariakrank sind, mit ausgesprochenem Typus der
Tertiana oder Quartana, und wobei der Parasit durch die grosse,
stark pigmentierte Amöben form (parasitärer Zyklus der endo¬
genen und asexuellen Vermehrung) dargestellt wird. B. stellt
daher den Fundamentalsatz auf, dass man die Malaria in Algier,
wenigstens an der Küste, nicht vor den letzten Tagen des Monats
Juni acquiriert und zwar sogar an den notorisch unsaubersten
Orten.
P. Vigna rd: Untersuchungen über die beste Verbandart
und Wunddrainage mit den verschiedenen Arten von Verband¬
gaze. (Bulletin med. 1902. No. 22.1
Aus den experimentellen und klinischen Untersuchungen des
Verfassers geht hervor, dass der gewöhnlichen, sterilisierten Gaze
vor allen chemisch desinfizierten Verbandstoffen beim Wund¬
verband und bei der Drainage der Vorzug zu geben ist. besonders
wenn es sich um reichlichere Wundsekretion handelt.
Debove: Die Morphinomanie, Selbstbeobachtung eines
morphiumsiiehtigen Kranken. (Presse mödicale 1902, No. 25.)
Sehr lesenswerte Beschreibung zweier Fälle von Morphium¬
sucht, wovon der eine von einem nun geheilten Arzte, einer grossen
Autorität, selbst stammt; bei der Art des Leidens können nur die
speziellen Einzelheiten und die interessante Heilung in ihrem
ganzen Verlaufe Interesse bieten. Stern- München.
Vereins- und Kongressberichte,
30. Deutscher Aerztetag.
in Königsberg, am 4. und 5. Juli 1902.
(Eigener Bericht.)
Hem Deutschen Aerztevereinsbunde gehören gegenwärtig
311 Vereine mit 18 894 Mitgliedern • an ; vertreten sind auf. dem
Aerztetage 222 Vereine durch 163 Delegierte mit 17 095 Stimmen.
Der Aerztevereinsbund bat sich seit dem vorigen Jahre um
9 Vereine und 557 Mitglieder vermehrt. Es sind auf dem Aerzte-
tage wohl um 12 Delegierte weniger anwesend, dagegen 29 Vereine
und 622 Stimmen mehr vertreten.
I. Tn seiner Eröffnungsrede gedenkt der Vorsitzende, Herr
Professor Dr. E ö b k er, der seit dem letzten Aerztetage ver
storbenen DDr. Näher- München, P i z a - Hamburg und Ge¬
heimrat v. Ziemssen - München in dankbaren, ehrenden
Worten. Die Versammlung ehrt das Andenken derselben durch
Erheben von den Sitzen. Gemäss den Beschlüssen des vorigen
Aerztetages wurde die Errichtung eines Generalsekretariates
durchgeführt; diese wichtige Stelle versieht seit dem 1. Dezember
1901 Herr Heinze, den der Vorsitzende in seinem Amte be-
grüsst und für den er das Vertrauen und die Unterstützung
der Vereine erbittet, zugleich der 13 jährigen, erfolgreichen und
opferwilligen Tätigkeit W a 1 1 i c b s gedenkend. Die deutschen
Aerzte stehen fortgesetzt im Kampfe um die Rechte und An¬
erkennung ihres Standes, nur Selbstzucht und Selbsthilfe führen
zum Ziele. Das beweisen die Handhabung der Standesordnung in
Sachsen, die Vorverhandlungen der bayerischen Kammer über die
Standes- und Ehrengerichtsordnung mit ihren unannehmbaren
Zumutungen an die Aerzte. In Württemberg liegt ein Gesetz¬
entwurf über die Neuorganisation vor, welcher von den Eorde-
rungen der Aerzte nichts enthält. Vor allem ist Verwahrung ein-
zulegcn er egen eine Aeusserung in der hessischen Kammer, dass
die ärztlichen Bestrebungen zur Verbesserung ihrer Lage eine
absichtliche Benachteiligung und Ausbeutung der Kassen be¬
deuten. Die Aerzte sind gewohnt, in den Parlamenten schlecht
behandelt zu werden und dort einen ausserordentlichen Mangel
an Kenntnis der ärztlichen Angelegenheiten und eine nicht ge¬
ringe Missachtung ihres Standes zu finden. Möge man doch,
wenn man uns schon nicht liebt, das Wort des Weltweisen Jesus
Sirach beachten: ..Ehre den Arzt mit gebührender Verehrung,
dass du ihn habest in der Not!“ An die deutschen Aerzte selbst
aber ergeht der dringende Aufruf zum engen Zusammenschluss.
Herr Oberpräsidialrat v. Werder begriisst den Aerztetag
Namens des Oberpräsidenten Exz. Erhm. v. Richthof er.
1196
MTTEN OHENER MEDICINTSCTTE WOCHEN SCHRIET.
No. 28.
Von diesem «selbst ist ein liebenswürdiges Begrüssungstclegramm
ans Wiesbaden eingetroffen, welches zu erwidern der Geschäfts¬
ausschuss ermächtigt wird.
Herr Oeheimrat Dr. Aschenborn versichert die Aerzte
des aufrichtigen Wohlwollens des Kultusministers, zumal in der
gegenwärtigen schwersten Krisis des Standes.
Tm Aufträge der medizinischen Fakultät spricht Herr Ge¬
heimrat Prof. Lichtheim und würdigt die Bedeutung eines
angesehenen und kräftigen Aerztestandes auch für die akademi¬
schen Lehrer.
Herr Landeshauptmann v. Brandt begriisst die Aerzte
auf dem historischen Boden der Provinz.
Herr TT. Bürgermeister Kunkel bringt den Willkommcns-
gruss der Stadt Königsberg, die es sich zum besonderen Ruhme
anrechnet, seit Jahren den Leiter des hygienischen Institutes
der Universität als ständiges Mitglied im Magistrate zu haben.
TT. Der Vorsitzende dankt für diese sympathischen Kund¬
gebungen und bringt unter anderen geschäftlichen Mitteilungen
zur Kenntnis, dass der Geschäftsausschuss auf Antrag des Be¬
zirksvereines Nürnberg 500 M. für das zu errichtende medico-
historische Kabinet des Germanischen Museums bewilligt hat
und fordert zur regen Unterstützung des Unternehmens auf.
Herr Heinze erstattet, den Geschäftsbericht:
Betreffs Gründung einer Auskunftsstelle für Aerzte, die sieb
im Auslande niederlassen wollen, schweben noch Verhandlungen
mit den Behörden. Die Eingabe bezüglich der Honorierung ärzt¬
licher Gutachten für die Militärbehörden hat seitens des Bundes¬
rates noch keine Erledigung gefunden.
Das Vereinsblatt wird künftig im Selbstverlag des Bundes
erscheinen.
Herr Magen- Breslau wünscht Abweisung aller nicht ganz
einwandsfreien Inserate, was Herr Heinze zusagt,
TTT. Den Kassenbericht erstattet Herr Heinze.
Die Einnahmen des Jahres 1901 betrugen 82 038.73 M„ die
Ausgaben 56 441.60 M. Der Voranschlag für 1902 sieht
81 090 M. Einnahmen, 58 250 M. Auslagen vor.
Herr L ö w e n s t e i n - Elberfeld wünscht Verbilligung der
Kosten für das Vereinsblatt.
Herr Heinze: Eine Ersparnis® von 2000 M. wird durch
Amränderte Postzustellung erreicht werden, wenn die einzelnen
Vereine ihre Mitgliederlisten den Postanstalten einsenden.
Auf eine Anfrage des Herrn G ö t z - Leipzig gibt Herr
Heinze den Vermögensstand mit 65 000 M. an.
IV. Entwurf einer Aenderung der Satzungen des Deutschen
Aerztevereinsbundes (insoweit sie zum Zweck der Erwerbung
der juristischen Persönlichkeit für den Deutschen Aerztevereins-
bund erforderlich geworden ist). Von Belang sind für diesen Be¬
richt nur die Bestimmungen, welche festsetzen, wer künftig
Träger der Mitgliedschaft des Bundes sein soll. Nach Antrag
des Geschäftsausschusses soll § 3 der Satzungen betimmen: Mit¬
glied der Aerztevereinsbundes kann nur ein Arzt werden,
der zum Delegierten eines vom Aerztevereinsbunde an¬
erkannten ärztlichen Vereines bestellt ist. (Folgen die Be¬
dingungen für die Anerkennung eines solchen Vereines.)
Der Referent. Herr Wi ndels - Berlin, führt aus, dass hei
der Fülle von Rechtsgeschäften, welche an den Aerztevereinsbund
jetzt mehr und mehr herantreten, die Rechtsfähigkeit notwendig
geworden sei. Früher ist dieselbe schwer zu erlangen gewesen,
das neue bürgerliche Besetz verlangt nur wenige Formalitäten!
Per von TT e i n z e, W a 1 1 i c h s und W i n d e. 1 s mit juristischem
Beistand ausgearbeitete Entwurf erfüllt alle Voraussetzungen.
Ha, in letzter Stunde aber Zweifel geltend gemacht wurden, em¬
pfiehlt es sich, dass die einzelnen Vereine ihre Anregungen als
Material zu einer weiteren Bearbeitung einsenden.
Vorsitzender Herr Rübke r: Die prinzipielle Frage, ob die
Rechtsfähigkeit, erAvorben werden solle oder nicht, hat der Ge-
sehäftsausschuss bisher einstimmig bejaht, in manchen Kreisen
sind aber ZAveifel aufgetreten.
Herr Alexander- Berlin b e a n t r a g t im Auftrag von
10 Berliner Standesvereinen die Beschlussfassung zu
vertagen, bei der Schwierigkeit des Themas müsse den Ver¬
einen Zeit zur Beratung gegeben werden. Es handle sich darum,
ob dem nächsten Aerztetag eine neue Vorlage zu machen sei oder
der Geschäftsausschuss nach wiederholter Beratung die Frage
selbst regeln solle. Er wünsche ersteres. Die Zweckmässigkeit
der Rechtsfähigkeit ist zuzugeben, bisher traf die Verantwortung
den einzelnen, in Zukunft kann der Ausschuss im Namen des
Bundes handeln. Die Auffassung des beratenden Juristen, dass
die Vereine nicht Mitglieder des Bundes sein können, ist un¬
haltbar. ein „Vereinsbund“ kann unmöglich aus einzelnen Per¬
sonen bestehen, es gibt schon Vereine, Avelche aus Vereinen be¬
stehen. Die Delegierung der Aerzte gelte nur für den Aerzte¬
tag, für die übrige Zeit trete ein Vakuum ein, vor dem Redner
einen Horror habe.
Herr II i r s c h f e 1 d - Leipzig: Der Leipziger Verband hat
Schule gemacht, er hat die Rechtsfähigkeit envorben und lässt
seine Schriften im Selbstverlag erscheinen. Den juristischen For¬
derungen soll durch Annahme des Ausschussantrages Rechnung
getragen worden.
Herr P f a 1 z - Düsseldorf : Wenn Vereine Mitglieder des Bun¬
des werden sollen, müssten sie selbst erst die Rechtsfähigkeit er¬
werben. Die Delegierten sollen ein Dauermandat auf je ein Jahr
erhalten.
Herr D i p p e - Leipzig empfiehlt den Antrag des Aus¬
schusses, die Vereine sollen ihre Anschauungen kundgeben, die
Ausarbeitung kann nicht im rienum geschehen.
Herr W i n d e 1 s - Berlin: Ein Verein ohne Rechtsfähigkeit ist
ein wesenloses Gebilde, aus solchen lässt sich kein rechtsfähiger
Bund zusammensetzen, deshalb muss man zu physischen Personen
greifen; die Delegierten bleiben solange Mitglieder des Bundes,
bis sie durch andere ersetzt sind.
Herr Henius - Berlin: Nach seinen Informationen brauchen
die einzelnen Vereine nicht juristische Personen zu sein. Die Be¬
schlussfassung soll vertagt werden. um sonstige notwendige Sta¬
tutenänderungen zugleich vornehmen zu können.
Herr W i n d e 1 s - Berlin beantragt, den Vereinen den 1. Ok¬
tober d. .T. als Termin zu setzen, bis zu welchem sie ihre Vorschläge
einsenden sollen.
Die Versammlung beschliesst mit allen
gegen 3 Stimmen die Erwerbung der Rechts¬
fähigkeit. Zu der weiteren Frage, ob die Beratung der
notwendigen Statutenänderungen vertagt oder dem Vorstand
vorbehaltlich der Wünsche der Vereine Vollmacht zur selbst¬
ständigen Regelung der Fragen gegeben sei, spricht:
Herr Bach- Leipzig: Es ist anzustreben, dass die Vereine
selbst Mitglieder des Bundes werden; dieselben sollen Areranlasst
werden, jetzt juristische Personen zu werden, die weiteren Vor¬
schläge dann im nächsten Jahre vorgelegt werden.
Herr Alexander-Berlin: Der Neuentwurf enthält viele
sch werwiegende Veränderungen, welche die Vereine nicht bis zum
1. Oktober genügend prüfen können.
Herr P f a 1 z - Düsseldorf : Es handelt sich nur um formelle
Dinge, man kann den 1. Januar als Termin setzen.
Herr Streffer - Leipzig ersucht, behufs baldigster Rege¬
lung an dem 1. Oktober als Termin festzuhalten.
Herr M a g e n - Breslau beantragt Vertagung bis zum näch¬
sten Jahr. Der Aerztetag kann nicht jetzt Statutenänderungen
gutheissen, die er gar nicht kennt.
Herr B e c k e r - München: Es ist gesetzlich unzulässig, dem
Ausschüsse die Vollmacht zu geben; zur Erlangung der Rechts¬
fähigkeit müssen die von der Generalversammlung beschlossenen
Statuten vorgelegt werden.
Herr Alexander - Berlin weist im Einzelnen auf die Wich¬
tigkeit der geplanten Statutenänderungen und gewisse Mängel des
Entwurfes hin, z. B. bezüglich der TTebertragung der Mandate auf
andere Delegierte, der Aufgaben des Aerztetages, der Rechnungs¬
prüfung. Dringlichkeitsanträge. Satzungsänderungen.
Der Vorsitzende Herr Löbker betont gegenüber Herrn
Becker, dass dessen Bedenken nicht aus den Statuten des
Aerztevereinsbundes stammen, sondern aus dem bürgerlichen Ge¬
setze abgeleitet werden.
Herr Windeis- Berlin: Es kann an dem Entwürfe manches
besserungsbedürftig sein, aber auch im nächsten Jahr würden die
gleichen Einwände wiederkommen. Es Hesse sich der Termin
auch auf 1. November 1902 hinausschieben.
Herr Becker- München: Es handelt sich hier nicht um eine
Abstimmung auf Grund der Satzungen, wir beantragten die Ein¬
tragung als rechtsfähiger Verein auf Grund des Bürgerlichen
Gesetzbuches.
Herr Löbk er: Die Führung der Geschäfte erfolgt allein auf
Grund der Statuten des Aerztevereinsbundes.
Bei der Abstimmung wird der Antrag Alexander mit 49
gegen 98 Stimmen abgelehnt.
V. Wahl des Geschäftsausschusses.
Zunächst werden mittels Stimmzetteln folgende 12 Mit¬
glieder gewählt : L ö b k e r mit 15 049 Stimmen, Wallichs
13614, Windeis 13 357, Leut 13324, Hippe 12545.
Pfeiffer 10 385, Mayer- Fürth 10 236, D e a h n a 9550,
Lindmann 9446. P a r t s c h 7861, K r a b 1 e r 7851, Becker-
München 7201.
Als I. Vorsitzenden wählen diese 12 Mitglieder Herrn
L ö b k e r, als dessen Stellvertreter Herrn L e n t ; kooptiert
werden in den Geschäftsausschuss 9 weitere Herren, nämlich
R upp, Landsberger, Tiedemann, Hartmann-
Hanau, Sendler, Becher I - Berlin, Bruhns, Flor¬
schütz und F ritsch i.
15. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1197
VI. Aufgaben der Krankenhäuser gegenüber den An¬
forderungen der neuen Prüfungsordnung.
Herr Prof. Dr. Rumpf- Bonn führt in seinem geistvollen,
mit grossem Beifalle aufgenommenen Referate folgendes aus:
Neben den Klagen über die Ueberfüllung des Berufes gehen
durch die deutsche Aerztescliaft lebhafte Beschwerden über die
mangelhafte Ausbildung der jungen Aerzte. Und doch kann
man heute noch mit Stolz sagen, dass der tüchtige und gewissen¬
hafte deutsche Arzt im In- und Auslande das höchste Ansehen
geniesst, dank unserer Hochschulen. Aber es ist nur eine Minder¬
zahl, die von den Lehrmitteln den von Männern wie v. Ziems-
s e n und v. Strümpell geforderten vollen Gebrauch macht.
Bei der grossen Menge von Studierenden bedarf es ausserordent¬
licher Lehrtalente; an die Stelle des früher geübten langen
Klinikbesuches begnügen sich heute viele mit zwei bis drei Se¬
mestern und die vielen Spezialfächer ziehen von den Haupt¬
fächern ab.
Bei dem Durchschnitt der Studierenden bleiben grosse, em¬
pfindliche Lücken. Die Psychiatrie scheint ferner auf Kosten
anderer Disziplinen, z. B. den Hals-, Ohren-, Kinderkrankheiten,
bevorzugt. Eür die physikalische Therapie u. a. sind die Unter¬
richtsmittel sehr spät und in ungenügender Weise bereitgestellt
worden. Die Erwerbung von Kenntnissen auf dem weiten Gebiet
der sozialen Gesetzgebung und des Versicherungswesens bleibt
durchaus dem Privatfleiss überlassen. Alles das macht eine Besse¬
rung notwendig. Der Kreis der Examinatoren ist zu erweitern,
das Niveau der Ansprüche im Examen darf nicht, speziell auch
an den grossen, stark besuchten Universitäten, ermässigt werden.
Vor allem ist aber Ziemssen beizustimmen, dass die ersten
praktischen Erfahrungen unter der Leitung erfahrener Kranken¬
hausärzte gewonnen, dass alle Aerzte diese Schulung in Kranken¬
häusern durchzumachen haben. Die Aufgabe der leitenden Aerzte
dieser Anstalten ist nicht leicht, an kleinen Spitälern, wo sie
schlecht honoriert und auf Privatpraxis angewiesen sind, ent¬
steht ihrien ein empfindlicher Zeitverlust, und es ist zu fürchten,
dass sie sich mit der unerfreulichen Zugabe mit möglichst ge¬
ringer Belastung abzufinden suchen. Die Unterbringung der
Praktikanten, welche in der Nähe der Anstalt wohnen und ver¬
pflegt werden müssen, und auch ihre eingehende Beschäftigung
machen Schwierigkeiten, letztere wird unter Leitung von Assi¬
stenten stattfinden müssen; ob kleine Krankenhäuser hierfür ge¬
eignet sind, hängt von der Tüchtigkeit des leitenden Arztes ab.
Zunächst wären, eigentlich schon auf der Hochschule, die
so wichtigen Technizismen der Krankenpflege zu erlernen, eine
Art von Krankenpflegerdienst durchzumachen, dazu kommt die
Führung der Krankengeschichten, die Untersuchung der Se- und
Lxkrete, der Jourdienst, Referate. Die Krankenhäuser dürfen
nicht aus finanziellen Gründen die notwendigen Einrichtungen
unterlassen, ihr therapeutischer Apparat muss, wie das klinische
Institut in München oder das umgebaute Eppendorfer Kranken¬
haus zeigen, möglichst vollständig erhalten werden. Den Prakti¬
kanten müssen Journale zugänglich sein, Referats- und Demon-
strationsabende müssen das kritische Denken, die Sicherheit des
Auftretens und der Ausdrucksweise schulen. Der Grundsatz
salus aegroti prima lex, das Bewusstsein von den Pflichten des
Berufes, muss den Arzt gegen Halbwissen und schwindelhafte
Reklame wappnen. Die soziale Gesetzgebung und die Stellung
als Gutachter erschweren die Stellung des Arztes vielfach, jeder
einzelne muss in den Stand gesetzt werden, sich die Vertrauens¬
stellung beim Publikum zu erhalten, er muss die Schädigungen
und Versuchungen kennen, die das moderne Krankenkassenwesen
iür die ethische Stellung des Arztes mit sich bringt, muss einen
Begriff davon bekommen, wie sehr die Zwietracht unter den
Aerzten ihrer Ausbeutung Vorschub leistet. Der junge Arzt ist
zum Verkehr in den ärztlichen Vereinen heranzuziehen, er soll
sich in einer den akademischen Ständen angemessenen Weise
führen, die äusseren gesellschaftlichen Formen, ohne ein
Stutzer zu sein, beherrschen lernen; in allen diesem Richtungen
erzieherisch vorzugehen, ist Aufgabe der mit der Ausbildung
der Praktikanten betrauten Aerzte.
Referent hat folgende Leitsätze aufgestellt :
Den leitenden Aerzten der deutschen Krankenanstalten ist
durch die Einführung des praktischen Jahres in die Ausbildung
der Aerzte eine ehrenvolle, aber verantwortungsvolle Aufgabe zu
teil geworden. Da die Ausbildung der Aerzte in dieser Zeit so¬
wohl der Vertiefung und Fortbildung der praktischen Kennt¬
nisse und Fähigkeiten als auch der Einführung in das Verständ¬
nis der Berufsaufgaben und -Pflichten gilt, so dürften folgende
Punkte beachtenswert sein:
Die Krankenhausärzte haben Sorge zu tragen :
1. Dass die Praktikanten nicht an Stelle sonst notwendiger
Assistenzärzte eingeschoben werden, um nur auf dem Wege der
Erfahrung am Krankenbett und der gemeinschaftlichen Visite
ihre Ausbildung zu erfahren;
2. dass der diagnostische und therapeutische Apparat der
Krankenanstalten sich auf jener Höhe befindet, welcher der er¬
folgreichen Anwendung bei Kranken und der Ausbildung der
künftigen Aerzte entspricht ;
3. dass den Praktikanten Gelegenheit gegeben wird, wissen¬
schaftlich und praktisch den Fortschritten der Medizin zu
folgen ;
4. dass für die Praktikanten, um sie mit den Aufgaben und
Pflichten des ärztlichen Standes vertraut zu machen, Vorträge
oder Besprechungen über die ärztlichen Pflicht- und Sittengesetze
eingerichtet werden.
Hierzu hat Herr Prof. Partsch- Breslau als Ergänzung
foglende Thesen eingebracht:
a) Das praktische Jahr kann nur seinen Zweck erfüllen
bei genügender praktischer Vorbildung des Praktikanten. Des¬
halb ist auch in Zukunft für die Erweiterung des poliklinischen
und propädeutischen Unterrichts an der Universität seitens der
Unterrichtsverwaltung Sorge zu tragen.
b) Es ist zu vermeiden, dass das praktische Jahr zu spe-
zialistischer Ausbildung verwendet wird. Deshalb sind ausser
den 3 Hauptkliniken der Universität die allgemeinen Kranken¬
häuser für die Ableistung des praktischen Jahres heranzuziehen.
Herr Partsch kann es nicht billigen, dass von Seite des
Ministeriums die Zuweisung von Praktikanten an die Kranken¬
häuser wie eine vorteilhafte Annehmlichkeit hingestellt wurde, sie
bleibt vielmehr eine Last für die leitenden Aerzte. Die Unter¬
richtsverwaltung bleibt auch allein verantwortlich für die ent¬
sprechende Ausbildung der Aerzte und es ist schon auf der Uni¬
versität die praktische Schulung in jeder Richtung zu fördern,
nicht nur das Auge, sondern vor allem die Hand, d. h. der Ge¬
fühlsinn ist durch eifrige Uebung zu schärfen. Hierfür bietet
die Poliklinik die beste Gelegenheit und die Verwendung zu Lehr¬
zwecken ist das wirksamste Mittel gegen die Ueberfüllung der
Polikliniken. Es ist eine möglichst allseitige Ausbildung "während
des praktischen Jahres zu erstreben und soll einer kümmerlichen
spezialistischen Ausbildung nicht Vorschub geleistet werden.
Herr Spatz- München wendet sich gegen die Bestimmung
der These 1, dass die Praktikanten keinesfalls an Stelle von Assi¬
stenzärzten eingeschoben -werden dürfen. Für grosse Krankenhäuser
treffe dies zu; in kleineren Anstalten genüge die Tätigkeit eines Ko-
assistenten nicht für die Ausbildung der Praktikanten. Nur die
Erfüllung bestimmter Pflichten und die Tragung eines gewissen
Masses von Verantwortung unter steter Kontrolle eines tüchtigen
Chefs gebe jene praktische Schulung, deren Wohltat, bisher ein
Vorzug einiger weniger, durch das praktische Jahr allen Aerzten
zu gute kommen solle. Er beantrage daher eine allgemeinere
Fassung der These 1.
Herr Magen- Breslau wünscht, dass die Assistentendienste
leistenden Aerzte volle Bezahlung erhalten. Die noch nicht appro-
birten Mediziner können nicht als Assistenzärzte fungieren.
Herr A 1 e x a n d e r - Berlin: Die Einschiebung der Prakti¬
kanten als Assistenzärzte ist gesetzlich unzulässig, es wird Un¬
zuträglichkeiten geben, wenn sich Bürger von nicht approbierten
Aerzten behandeln lassen sollen. Bestimmte Verrichtungen sind
nur wirklichen Aerzten erlaubt.
Herr Wentscher- Thorn wünscht unveränderte Annahme
der These 1, da die Verantwortlichkeit der leitenden Aerzte zu
gross würde.
Die Thesen 1, 2, 3 werden unter Ablehnung des Antrags
Spatz angenommen.
Zu These 4 liegt ein Antrag der Herren Munter, Mug-
d a n und Lennhoff vor, wonach die Praktikanten insbeson¬
dere auch mit den Aufgaben des Arztes bei Ausführung der
sozialpolitischen Gesetze vertraut zu machen sind.
Herr Munter begründet den Antrag mit dem Hinweis, dass
von der bayerischen Kammer eine Professur für soziale Medizin
und Gewerbehygiene beschlossen worden sei, worauf
Herr Mayer- Fürth erwidert, unter grosser Heiterkeit der
Versammlung, dass es sich nur um eine Summe von 1200 M. für
einen Lehrauftrag an einen praktischen Arzt handelt, dagegen die
Kammer die Errichtung einer homöopathischen Professur be¬
schlossen habe.
1198
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Herr II ü f 1 e r - Chemnitz beantragt einen Zusatz „unter Mit¬
wirkung der Standes Vertretung". Die ärztlichen Bezirksvereine
würden gerne bereit sein, die Praktikanten über wichtige Gegen¬
stände, z. B. die briefliche Krankenbehandlung, ärztliche Zeug¬
nisse für Heilmittel u. s. w., aufzuklären, die leitenden Aerzte
können das nicht tun.
Herr Partsch - Breslau beantragt Streichung der zweiten
Hälfte der These 4, da den Krankenhausärzten solche Demonstra¬
tionen und Vorträge nicht zugemutet werden können.
Herr II u m p f glaubt, dass die Standesvereine nicht immer in
der Lage sind zu solchen Unterweisungen, wenn die leitenden
Aerzte das nicht übernehmen, wird oft eine Lücke bleiben; auf der
Universität werden solche Vorträge, wenn es sich nicht um ein
Examensfach handelt, nicht besucht.
Bei der Abstimmung wird die erste Hälfte
der These 4 mit dem Zusatz von Munter u. Ge n.
angenommen, der Antrag H ü f 1 e r abgelehn t,
die zweite Hälfte der These abgelehnt.
Die Herren Becker und Bergeat - München bean¬
tragen, dass die von den einjährig-freiwilligen Aerzten geleistete
Dienstzeit (zweites Halbjahr) auf das praktische Jahr in An¬
rechnung gebracht werden soll.
Herr Becker: Durch die neue Ordnung wird das medi¬
zinische Studium um ein Semester und um das praktische Jahr
verlängert, die Mehrbelastung desjenigen, der dem Vaterland
Militärdienst leistet, noch empfindlicher. Nach der Heerordnung
müssen allerdings die einjährig-freiwilligen Aerzte approbiert sein,
es ist aber möglich, dass Bemühungen um eine Neuregelung Erfolg
haben. Wenn auch der Revierdienst wohl als minderwertig gelten
kann, so gilt das nicht für die Verwendung in einem der Kranken¬
häuser der Militärverwaltung.
Der Antrag wird gegen 28 Stimmen ab -
gelehnt.
Herr K o r m a n n - Leipzig beantragt eine These „es ist er¬
wünscht, dass die Praktikanten in der ersten Hilfeleistung und
in der Krankentransporttechnik ausgebildet werden“.
Zur Begründung macht er die Wichtigkeit dieser Technizismen
geltend und die Notwendigkeit, dass die Aerzte auf diesem Gebiete
die Führung und Ausbildung in der Hand behalten. Die jungen
Aerzte sind in diesen Dingen viel zu wenig unterrichtet.
Der Antrag wird abgelehnt.
Herr Siemens - Köslin beantragt Bestimmungen, welche
den leitenden Aerzten gestatten, die Annahme von Praktikanten,
welche sich melden, zu verweigern und solche, welche sich Ver¬
fehlungen zu Schulden kommen lassen, aus dem Krankenhaus
zu entlassen.
Herr Petschull - Nassau widerspricht dem, damit nicht das
in der Besetzung der Assistentenstellen herrschende Protektions¬
wesen auch auf dieses Gebiet übertragen werde.
Der Antrag Siemens wird abgelehnt.
Zur These a von Prof. Partsch bemerkt
Herr K r e c k e - München, dass ein weiteres Ueberhand-
nehmen der Polikliniken durchaus unerwünscht erscheine, die Aus¬
nützung zu Lehrzwecken biete gegen den herrschenden Miss¬
stand durchaus keinen Schutz.
Die Thesen a und b werden angeno m m e n,
nachdem ein Amendementantrag K ii hne - Charlottenburg, ein¬
zusetzen „zu ausschliesslich spezialistischer Ausbildung“,
abgelehnt wurde.
VII. Bericht bezw. Anträge der Kommissionen
a) für Lebensversicherung.
Herr Pleinze: Es liegen Klagen vor, dass sich einzelne
Vereine nicht an den Freiburger Beschluss halten, wonach für
hausärztliche Atteste das Honorar auf 5 M. normiert wurde.
Andrerseits weichen einzelne Gesellschaften,' z. B. bei der Volks¬
versicherung, durch erweiterte Fragestellung von den verein¬
barten Formularen ab, daher ist eine Revision der Formulare
angezeigt. lieber eine ernste Differenz mit der Versicherungs¬
gesellschaft Adler in Darmstadt, deren Verhalten die Missbilli¬
gung des Verbandes deutscher Lebensversicherungsgesellschaften
gefunden hat, wird im Aerztlichen Vereinsblatt ausführlich be¬
richtet werden.
Die Herren II e n i u s - Berlin und J a f f e - Hamburg be¬
richten, dass entsprechend dem von ihren Vereinen festgesetzten
Satz die hausärztlichen Atteste anstandslos mit 10 M. honoriert
werden.
b) für Unfallversicherung.
Herr L ö b k e r - Bochum : Die Regel ung der Verhältnisse ist
im allgemeinen gut, wenn auch nicht die beste, ernste Diffe¬
renzen sind nicht vorgekommen.
Nach den Anträgen von Partsch - Breslau und David-
sohn - Berlin wird beschlossen, die Zusammenstellung der
zwischen dem Aerztevereinsbund und den Versicherungsgesell¬
schaften getroffenen Vereinbarungen neu aufzulegen und den
neueintretenden Mitgliedern auszuhändigen, die Beschlüsse des
Aerztevereinsbundes in Sachen der Versicherungsgesellschaften
anzufügen. — Auf Vorschlag Löbkers wird das Mandat der
Kommission verlängert.
c) Zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes.
Die Herren Referenten Mayer- Fürth und IT über -
Augsburg haben hierzu Anträge eingebracht, deren erster Teil
zunächst zur Beratung gestellt wird:
Der Aerztetag wolle beschliessen,
A. eine Denkschrift an den Bundesrat zu richten und fol¬
gende Punkte als Wünsche des ärztlichen Standes, welche bei
Revision des Krankenversicherungsgesetzes zu berücksichtigen
sind, aufzustellen und zu begründen.
I. Die Mitglieder der Krankenkasse sollen die Hilfe jedes
Arztes anrufen können, der im Bezirke der Kasse tätig ist und
sich auf die vereinbarten Bedingungen verpflichtet hat,
II. Die gegenseitigen Leistungen zwischen Aerzten und
Krankenkassen sollen vereinbart werden von Kommissionen, die
zu gleichen Teilen von Aerzten des Bezirkes und Delegierten
der Krankenkassen gebildet werden.
III. Den Honorarbestimmungen seitens dieser Kommissionen
ist die staatliche Mindesttaxe zu Grunde zu legen.
Herr Mayer- Fürth : Unsere Beweismittel gegenüber den
Behörden waren bisher lückenhaft, wir haben daher eine Enquete
veranstaltet und zu einer grossen Statistik, der wir den ominösen
Namen Denkschrift gegeben, verarbeitet. (Der Entwurf dieser
überaus inhaltreichen Denkschrift ist der Tagesordnung beige¬
geben. Ref.) Wir müssen uns auf die Wünsche der Aerzte
beschränken. Die Frage, ob die freie Arztwahl für uns gut und
durchführbar, ist zu bejahen, wenn die Aerzte wirklich sich den
Vereinbarungen fügen. Bei direkten Verhandlungen mit den
Kassen hatten die Aerzte noch immer Erfolg, daher sind Honorar¬
kommissionen zu gründen. Die Minimaltaxe ist als starres
Prinzip nie aufrecht erhalten worden, wir sprechen nur aus, dass
wir Anspruch darauf haben und es eine Konzession an die Kasse
ist, wenn davon abgesehen wird. Jedenfalls müssen wir mitreden
bei der Honorarfestsetzung, allmählich kommen wir sicher zu
besserer Bezahlung. Aerzte und Kassen müssen ihrer gegenseiti¬
gen Pflichten und Rechte eingedenk sein, die Kassenmitglieder
ihre Ansprüche mässigen, die Aerzte die Leistungsfähigkeit der
Kassen schonen, speziell mit Bezug auf die Heilmittelverordnung
Herr H a r t m a n u - Leipzig: Die Einreichung einer Denk¬
schrift hat wenig Wert; der Regierungsvertreter hat uns bereits
versichert, dass unsere Verhandlungen mit Interesse verfolgt
werden. Wir machen immer wieder unliebsame Erfahrungen:
Als der Ausschuss der preussischen Aerztekammern den Wunsch
aussprach, in Sachen der Krankengesetzgebung gehört zu werden,
antwortete der Handelsminister Mülle r, man wisse, was die Aerzte
wollten, das Material sei bereits vollständig; wenn eine so wichtige
Korporation nicht beachtet werde, in der keine groben Re¬
volutionäre und Heissporne sind, wie ich, dann wird der Aerzte¬
tag auch keinen Eindruck machen. Die Vertreter der Gewerk¬
schaften, der Arbeiter, die Arbeitgeber, Kassenvorstände und
Kassenbeamten sprechen sich gegen uns aus, diese Faktoren sind
einflussreicher als die Aerzte und werden eher Gehör finden.
Ein anderer Weg ist der der Selbsthilfe; was die Regierung leisten
kann und muss, ist, dass sie die von ihr gegründeten Versiche¬
rungseinrichtungen leistungsfähig macht, den vermittelnden Be¬
amten zur Objektivität gegen die ärztlichen Forderungen anhält
und die Statistik mit grösserer Sachlichkeit als bisher aufstellen
lässt, wo die Tatsachen bis ins Fünffache zu Ungunsten der Aerzte
übertrieben wurden.
Schon Bismarck hat den als sehr kindlich und naiv be¬
zeichnet, der ohne eigenen politischen Einfluss vom Staat Hilfe
in seinen materiellen Interessen erwartet, und wo alle Hilfe von
aussen versagt, gibt es nur eines: die Selbsthilfe!
Herr II e r z a u - Halle: Der Optimismus der Anträge ist er¬
staunlich angesichts der Fruchtlosigkeit aller unserer bisherigen
Bemühungen, man versichert uns des Wohlwollens, und wenn ein¬
mal eine günstige Verordnung kommt, wird sie von den Behörden
selbst nicht durchgeführt. Die finanziellen und ethischen Verhält¬
nisse der Aerzte in der Provinz Sachsen stellten sich als noch
trauriger heraus, als dem A erz te v e r e in sbu n d und den Behörden
bekannt ist. Zur Abhilfe dienen Vertragskommissionen, auch die
Standes vereine können Avirken, indem sie Aerzte zur Verant-
Avortung ziehen, die unwürdige Verträge schliessen, Avie solche
beispielsweise mit der Eisenbahnverwaltung eingegangen worden
sind.
Redner stellt den Antrag: Der 30. Deutsche Aerztetag
beauftragt den Geschäftsausschuss, bei den ge-
15. Juli 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1199
setzlichen Standesvertretungen aller deut¬
schen Bundesstaaten und, wo solche nicht vor¬
handen sind, bei den ä r z 1 1 i ch e n Vereinen auf
die sofortige Errichtung von Vertragskom-
missionen hinzuwirken.
Herr Königshöfer- Stuttgart. Nach den in Württem¬
berg gemachten Erfahrungen ist vom Staate nichts zu erreichen,
dagegen ist durch strammes Zusammenhalten der Aerzte selbst
vieles schon erzielt worden. Gegen die vorgeschlagene Berufung
von Verwaltungsbeamten als Vorsitzenden der Einigungskommis¬
sionen bestehen grosse Bedenken, in neun Zehnteln der Fälle treten
sie auf Seite der Kassen. An Stelle der Festlegung der Mindest¬
taxe soll man die Vereinbarung des Honorars nach lokalen Be¬
dürfnissen treten lassen.
Herr Pfalz- Düsseldorf: Durch wiederholte Petitionen lässt
sich doch manches erreichen, namentlich gilt dies für die Auf¬
klärung der Regierungskreise, in denen trotz gegenteiliger Be¬
hauptung noch vielfach die gröbste Unkenntnis über die ärzt¬
lichen Verhältnisse herrscht. Die Vertragskommissionen werden
„ünstig wirken, man darf ihnen keine undurchführbare Vorschrift
machen. Man macht mit den Verwaltungsbeamten oft auch gute
Erfahrungen. Die Taxe muss erstrebt werden, niedrigere Sätze
sind eine Konzession; an manchen Orten wird die Taxe sogar
überschritten. Niemand hindert einen Wohnungsgeber, dem Ar¬
beiter den Mietpreis zu steigern, der Arzt soll an der Durchsetzung
selbst der bescheidensten Forderungen gehindert werden.
Herr M a r k u s e - Berlin: Die Regierungen sind aufzuklären,
dass es einen Stand gibt, der durch die Ausführung der Kranken¬
versicherungsgesetze schwer leidet, und dass Abhilfe nötig ist,
wenn nicht weiteres schweres Unheil entstehen soll.
Herr May er- Fürth: Wenn bisher mit Petititionen wenig
erreicht wurde, ist noch nicht bewiesen, dass die Selbsthilfe sicher
zum Ziele führt. Sie ist besonders angezeigt in grossen Städten,
in kleinen viel weniger durchführbar. Der Leipziger Verband ist
sozusagen das zweite Eisen, das wir im h euer haben, abei ei ist
noch jung, ein recht bescheidenes Pflänzlein. In München hat das
Eingreifen der Regierung den Streit geschlichtet.
Herr H a r t m a n n - Leipzig: Dass auch in kleinen Städten
die Selbsthilfe zum Ziele führen kann, beweist der Erfolg in Feuer¬
bach. . , . , „
Herr K rüg- Mainz: Die freie Arztwahl ist ein berechtigtes
Postulat; es ist auch unrichtig, dass die Versicherten nichts davon
wissen wollen. Die Kassenvorstände und Behörden widerstreben
ihr aus bureaukratischen Gründen. In Mainz ist es gelungen,
durch Aufklärung der Versicherten die Wiedereinführung der ab¬
geschafften freien Arztwahl zur dauernden Zufriedenheit durchzu¬
setzen.
Bei der Abstimmung werden These I und II einstimmig
Herr Streffer- Leipzig stellt für den Bezirksverein
Leipzig-Stadt den Antrag, bei den Regierungen darauf hinzu¬
wirken, dass sie allen über das gesetzliche Maas hinausgehenden
Leistungen der Kassen für ihre Mitglieder entgegentreten, so¬
lange die Kassen nicht den Ansprüchen der Aerzte auf Bezahlung
der Mindesttaxe nachgekommen sind.
Die Herren W. Becher- Berlin und Munter- Berlin
und Kirberger- Frankfurt beantragen Ablehnung.
Der Antrag wird abgelehnt.
lieber weitere den Thesen I — III in der Tagesordnung an¬
gefügte Grundsätze unterbleibt eine Besehlussfasung nach der
Erklärung des Referenten, dass dieselben keine formellen Anträge
bilden sollen.
II. Teil:
IV. Personen mit Gesamteinkommen über 2000 M. dürfen
weder Kassenmitglieder werden noch bleiben. .
V. Die Behandlung von erkrankten Mitgliedern darf nur
durch die in den deutschen Bundesstaaten approbierten Medi¬
zinalpersonen stattfinden, welche auch einzig und allein berechtigt
sind, die Erwerbsunfähigkeit eines Mitgliedes zu bezeugen.
VI. Streichung der Bestimmung in § 6a Abs, 1 ZifT. 2 und
§ 26 a Abs. 2 Ziff. 2, dass Versicherten, welche sich eine Krank¬
heit vorsätzlich oder durch schuldhafte Beteiligung bei Schlä¬
gereien oder Raufhändeln, durch Trunkfälligkeit oder geschlecht¬
liche Ausschweifungen zugezogen haben, für diese Krankheit
das Krankengeld gar nicht oder nur teilweise zu gewähren ist.
Nach kurzer Begründung durch den Referenten, Herrn
Höher- Augsburg, wird These IV ohne Debatte mit allen gegen
1 Stimme angenommen.
Zu V. äussert Herr M u g bau- Berlin Bedenken, weil
"Badern u. dgl. die Befugnis zur Bestätigung der Erwerbsunfähig¬
keit zugestanden wird. .
Herr A d a m - Nieder-Hermsdorf beantragt statt Medizinal-
personen „Aerzte“ zu setzen. *
Mit dieser Aenderung wird These V ein¬
stimmig angenommen.
Zn VI. Herr W. B e c li e r - Berlin ersucht, nur die Worte
durch Trunkfälligkeit oder geschlechtliche Ausschweifungen“ zu
streichen, den übrigen Teil der Bestimmung aus allgemeinen
Rechtsgrundsätzen bestehen zu lassen. . '
Dem widersprechen die Herren K o r m ann- Leipzig und
Referent Höher. 0 .
These VI wird dann mit allen gegen 11 Stirn¬
angenommen.
Zu These III beantragt Herr K o r m a n n - Leipzig statt
Mindesttaxe „Taxe“ einzusetzen.
Herr Kirberger- Frankfurt spricht gegen die These III,
da sie falsche Vorstellungen über die Bestrebungen der Aerzte er¬
wecken kann. .
Herr Pfeiffer- Weimar: Man soll nicht auf einmal zur
Mindesttaxe übergehen "wollen, durch langsames Ansteigen im
Laufe der Jahre ist auch vieles zu erreichen.
Herr Mugdan - Berlin: Die Forderung der Mindesttaxe, die
der Staat jeden Augenblick herabsetzen kann, ist falsch.
Herr Pfalz- Düsseldorf warnt davor, sich mit früheren Be¬
schlüssen in Widerspruch zu setzen. Der frühere Beschluss, der
ein Pauschale von 3 M. fixierte, war unglücklich.
Nachdem ein Schlussantrag abgelehnt, wird hier wegen vor¬
gerückter Zeit Vertagung beschlossen.
Sitzung vom 5. J u 1 i 1902.
Herr Becker-München: Eine Bestimmung über die
Honorarbemessung ist notwendig. Man muss staunen, wenn der
Eisenacher Beschluss als unglücklich bezeichnet wird, die Aeizte
haben an demselben bei allen Streitigkeiten eine Stütze gefunden.
Herr W i n d e 1 s - Berlin: Es ist unrichtig, dass die Kassen
durch die Mindesttaxe ruiniert werden, es sind schon jetzt 300
Kassen bekannt, die sie in vollem Umfang gewähren. Die Kassen
müssen eben die Beiträge erhöhen und es ist kein Grund vor¬
handen für die Aerzte, die Forderung nicht zu stelleu. Zur Ver¬
doppelung des Aerztelionorares ist eine Erhöhung der w öchent-
lichen Beiträge um 2,8, zur Verdreifachung um 5,8 PI. genügend.
Herr Magen- Breslau spricht für die Taxe, um den Kom¬
missionen eine Norm zu geben. Das Nichtvertragen hölieiei
Leistungen seitens des Kassen ist ein Märchen. Der Leip¬
ziger Verband ist kein schwaches Pflänzlein, sondern ein mächtigei
Baum.
Herr P f e i f f e r - Weimar wünscht der vorzüglichen Denk¬
schrift Verbreitung auch bei den Kassenmitgliedern, dem würde
die Forderung der Mindesttaxe im Wege sein.
Da sich der Referent einverstanden erklärt, für Mindest
faxe zu setzen „staatliche Taxe“, wird T hese III in der so
veränderten Fassung gegen 18 Stimmen an
genommen.
men an g.e nommen.
Zu dem Punkt A, betreffend Absendung einer Denkschrift
an den Bundesrat, beantragt der Referent, Herr Mayer-
Fürth, die Denkschrift nach Ueberarbeitung durch den Ge¬
schäftsausschuss an den Bundesrat zu leiten.
Herr Stoltenhof f -Kortau beantragt auch Uebersendung
an den Reichstag.
Herr Bongar tz - Karlsruhe erklärt sich gegen die Abseu-
dung an den Bundesrat, wegen der These III, welche im badischen
Landtag zu Debatten führen würde; man müsse daraut rechnen,
durch die Landesgesetzgebung vielleicht zu erzwecken, was durch
das Reich aller Voraussicht nach nicht gewährt wird, namentlie i
die Einigungskommissionen.
Beide Anträge werden mit grosser Majorität angenommen.
B. Eine Petition an den Bundesrat zu richten und zu be¬
antragen, dass zur Beratung des Krankenversicherungsgesetzes
Vertreter der Aerzteschaft herbeigezogen werden. _
Herr H ö b e r - Augsburg ist bereit, die Petition im W ort¬
laut vorzulegen; dieselbe wir dem Geschäftsausschuss überwiesen.
Herr Königshöfer - Stuttgart beantragt, dass die ge¬
nannten Vertreter der Aerzteschaft von dieser gewählt
an sollen.
Herr Pfalz- Düsseldorf meint, man solle die 1 ertreter nicht
»rschreiben, es genüge, wenn überhaupt Vertreter der Aerzte zu-
ezogen würden. , . .
Herr M u g d a n - Berlin spricht für den Antrag, Heil
[über- Augsburg schlägt Vertreter des Aerztevereinsbundes voi.
Herr Löbker: Wenn wir auch stolz auf unsere Gef o g
chaft sind, wird der Bundesrat doch sich an die gesammte Aeizte-
eliaft wenden wollen. . ,A a , •
Der Antrag Königshöfe r wird mit 64 gegen 40 Stim-
aen, der Antrag B mit diesem Zusatz mit allen
;egen 5 Stimmen angenommen.
Nunmehr folgt ein Antrag C von Kirberger^ irank¬
urt u. Gen.: Der Aerztetag wolle beschliessen, gleichzeitig um
11c in der deutschen Aerzteschaft vorhandenen Kräfte in Tätig¬
keit zu setzen, um auf dem Wege der freien Organisation der
Merzte das Verhältnis zwischen den Krankenkassen und Aerzten
1200
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
zu reformieren. Der Aerztetag erklärt es deshalb für eine Pflicht
aller dem Aerztevereinsbund angehörenden Aerzte, darauf hinzu¬
wirken, dass sich die Aerzte den einzelnen Kassen gegenüber
zu festen Organisationen zusammenschliessen, welche als solche
mit den Kassen die Bedingungen für die kassenärztliche Tätig¬
keit vereinbaren.
Bei allen Vereinbarungen ist zu erstreben:
1. Dass jeder Arzt, welcher die Satzungen der ärztlichen
Organisationen und die Vereinbarungen derselben mit den Kassen
anerkennt, in die Organisation aufgenommen werden muss;
2. dass die Kassenmitglieder die freie Wahl unter den Aerzten
der Organisation haben;
3. dass die Pflichten der Aerzte den Kassen und Kassen¬
mitgliedern gegenüber, sowie die Gegenleistungen der Kassen
ausschliesslich durch die ärztliche Organisation mit den Kassen
vereinbart wird;
4. dass die Organisation als solche die Verantwortung für
die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtung seitens der ein¬
zelnen Aerzte übernimmt und deshalb allein befugt ist, die ein¬
zelnen Aerzte wegen Verletzung ihrer kassenärztlichen Pflichten
zur Verantwortung zu ziehen;
5. dass die Kassen und die ärztliche Organisation bei allen
\ erliandlungen und Meinungsverschiedenheiten als gleichberech¬
tigte Parteien erscheinen.
Herr K i r b e r g e r - Frankfurt: Der Antrag ist verknüpft
mit der freien Arztwahl, er soll auf dem Wege der freien Organi¬
sation das erreichen, was auf gesetzlichem Wege möglicherweise
nicht erreichbar ist.
Herr D i p p e- Leipzig: Der Antrag bezweckt die Selbsthilfe,
die wohl mehr und mehr in den Vordergrund treten wird; wenn
derselbe zu sehr ins einzelne geht, dann kann der Aerztetag ebenso¬
gut allen Aerzten den Beitritt zum Leipziger Verband empfehlen.
Herr H a r tmann - Hanau glaubt, dass man durch die
Tätigkeit der Standesvertretungen, welche die Verträge genau
prüfen, weiter kommen kann.
Herr M u g d a n - Berlin: Wer glaubt, dass in wirtschaft¬
lichen Dingen die staatlich eingerichteten Standesvertretungen
uns fördern können, dem ist nicht zu helfen. Man kann in dem
Antrag alle speziellen Punkte von 1—5 streichen.
ü e n Antragstellern werden diese Punkte 1
bis 5 alle zurückgezogen.
Herr Neuberger - Nürnberg weist darauf hin, dass Herr
H a r t m a n n in Hanau selbst zur Selbsthilfe gegriffen hat, als
er bei einem Kassenstreit eine Cavete- Annonce erlassen. Ein Er¬
folg sei jedenfalls der Gründung des Leipziger Verbandes zu
danken gewesen.
Herr Hartmann - Hanau erwidea’t, dass derartige An¬
noncen schon vor 6 Jahren, also lange vor der Gründung des Leip¬
ziger Verbandes erlassen wurden.
Bei der Abstimmung wird der Antrag II erzau mit allen
gegen 3 Stimmen angenommen, wodurch der Antrag Kir¬
be r g e r hinfällig wird.
Auf der Tagesordnung steht noch ein Antrag K rüg-
Mainz :
Der Aerztetag wolle ferner beschliessen, eine Petition an den
Bundesrat zu richten, dahin gehend, dass das Formular, welches
durch das Ausschreiben des Bundeskanzleramtes vom 16. Novem¬
ber 1892 für die TTebersichten und Rechnungsabschlüsse der
Krankenkassen vorgeschrieben wurde, so abgeändert werde, dass
aus diesen Uebersichten erkenntlich sei, wie viel Krankheitstage
auf die erwerbsunfähigen Kranken im Ganzen kommen und wie¬
viel dieser Krankheitstage Krankenrente bezahlt wurde; ferner
wieviel erwerbsfähig^ Kranke in ärztliche Behandlung kamen ;
ferner, ob ärztliche Behandlung der Familienangehörigen statt¬
fand, und wieviel Krankheitsfälle bei diesen vorkamen; ferner,
welcher Betrag an den Ausgaben für ärztliche Behandlung auf
die Behandlung der Familienangehörigen entfällt.
Heil K rüg - Mainz betont in Kürze, wie sehr die gegen¬
wärtige amtliche Statistik dazu geeignet sei, der wüsten Agitation
der Krankenkassen gegen die Aerzte zu dienen, und erläutert ihre
Mangelhaftigkeit an Beispielen; der Aerztetag muss das sta¬
tistische Amt zu einer Aenderung auffordern, die es längst von
selbst hätte vornehmen sollen.
Herr D avidso li n - Berlin wünscht, dass aus der Statistik
in Zukunft hervorgehe, ob die Aerzte nach Einzelleistungen oder
durch Pauschale honoriert wurden, ob freie Arztwahl oder fix¬
bezahlte Kassenärzte eingeführt seien.
Herr M unter- Berlin beantragt eine noch viel weiter
gehende genaue Statistik, welche die Art der Krankheiten u. s. w.
zu berücksichtigen hätte, daher sei über vorliegenden Antrag zu¬
nächst zur Tagesordnung überzugehen.
Dieser Antrag wird mit allen gegen 1 Stimme abgelelmt.
No. 28.
Herr Müller- Zittau hält es für notwendig, bei den Aus¬
gaben für Aerzte genauer festzustellen, welche Beträge dabei auf
die Vergütung eigener Ausgaben der Aerzte fallen. Es sind das
oft 10 — 20 Prozent.
Der Antrag Iv r u g mit dem Zusatzantrag- Davidsolin wird
angenommen.
(Schluss folgt.)
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 2. Juli 1902.
Demonstrationen :
Herr Salzwedel: ein Kind mit missbildetem Schädel,
Trigonocephalus; ferner ein Kind mit Nierentumor, operiert.
Herr Mackenrodt: Präparate von radikaloperierten
Gebärmutter-Scheidenkrebsfällen. Besprechung der Methode, die
transperitoneal ist, um eine völlige Ausräumung der Parametrien
und Berücksichtigung der regionären Drüsen zu ermöglichen.
Sorgfältige Drainage.
Tagesordnung :
Herr Liepmann: Demonstration von 3 Kranken: 1. Seelen¬
blindheit. 2. Asymbolie. 3. Apraxie.
Vortragender, der an dem Ausbau der Lehre von der Seelen¬
blindheit selbst beteiligt ist, demonstriert an 3 Kranken, welche
durch apoplektische Insulte zu partiellen Rindendefekten ge¬
kommen waren, die obengenannten Affektionen. Unter Apraxie
versteht er, im Gegenteil zur alten Anwendung dieses Wortes,
jenen Defekt, bei welchem die Kranken zwar alles verstehen, aber
von den Gliedern nicht den zweckentsprechenden Gebrauch zur
Ausführung einer intendierten Bewegung zu machen wissen.
Herr Liebreich: Ueber die Wirkung des schweflig¬
sauren Natrons.
Das schwefligsaure Natron wurde bekanntlich von den
Schlächtern zur Konservierung der roten Farbe des
Fleisches verwendet und seine Anwendung zu diesem Zwecke
ist jetzt neuerdings gesetzlich untersagt. Iliegegen wendet sich
mit Schärfe Vortragender. Es werde dadurch zahlreichen Leuten,
zumal Arbeitern, der Genuss des Fleisches verleidet. Denn wenn
das Schabefleisch, das Morgens aufs Brot gestrichen worden, bis
zum Moment seiner Verzehrung die Farbe verloren habe, so be¬
einträchtige dies die Esslust. Dies Verbot stütze sich auf Gut¬
achten des Reichsgesundheitsamtes.
Während, so führt Vortr. weiterhin aus, die Publikationen
anderer staatlicher Institute, z. B. des Kriegsministeriums oder
der technischen Reichsanstalt, absolut zuverlässig seien und eine
Bereicherung der Wissenschaft bedeuten, liesse sich nicht
das gleiche vom Reichsgesundheitsamt sagen.
Das rühre z. T. daher, dass an seiner Spitze kein naturwissen¬
schaftlich gebildeter Präsident, sondern ein Jurist stehe, der auf
das Urteil seiner Räte angewiesen sei.
V ortr. sucht an mehreren Beispielen zu beweisen, (P har-
makopöe mit ihren ungeheuerlichen neuen Namen, teilweise
falschen Siedepunkten etc. ; Balneologisches Album auf der Pa¬
riser Ausstellung mit groben Fehlern und Reklameunfug), dass
die Publikationen des Reichsgesundheitsamtes nicht den berech¬
tigten Anforderungen entsprechen.
In diese Reihe unzuverlässiger Ai-beiten dieses Instituts ge¬
höre nach Vortr. auch sein Gutachten über das Präserve-
s a 1 z, das schwefligsaure Natron. Dasselbe sei seit
langen J ähren zur Konservierung des Blutfarbstoffs von den
Schlächtern gebraucht (in Mengen von 1 — 2 g pro kg) und noch
nie seien Klagen über Unzuträglichkeiten laut geworden. Nur
der Geh. Medizinalrat Born t r ä g e r in Danzig habe, wenn
er Bockwurst u. dgl. esse, danach Aufstossen bekommen, welches
nach schwefliger Säure und Schwefelwasserstoff roch. Dies rühre
aber nicht, sagt Liebreich, von dem schwefligsauren Natron
her, sondern von Knoblauch.
Ferner habe Herr Kionka im Gesundheitsamt an Hunden
fest gestellt, dass durch Einführung mehrerer Gramm schweflig¬
sauren Natrons und nachheriger Sektion mit Durchspülung des
Gefässystems mit Kochsalzlösung sich an einzelnen Stellen
Hyperämien finden. Diese Deutung- sei aber unzulässig; es sei
eben einfach das Spülwasser an manche Stellen nicht hingelangt ;
überdies sei dies eine ungewöhnliche und unzuverlässige Sektions¬
methode. Er habe diese Versuche nachgeprüft und könne sie
in keiner Weise bestätigen. Herr v. Hanse m a n n, der den
Sektionen beigewohnt, habe seine Auffassung geteilt. Auch
Lcpine und Kallmann können die Versuche Kionka s
nicht bestätigen. Es sei dann angeführt worden, dass das Fleisch
15. Juli 1902.
M1JENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1201
trotz Erhaltung der roten Farbe verdorben sein könne. Dies
sei richtig. Aber daraus dürfe man doch nicht herleiten, dass
mit der Anwendung des schwefligsauren Natrons eine Täuschung
des Publikums beabsichtigt sei. Es sei also das Verbot des
schwefligsauren Natrons durch keine ärztliche oder experimen¬
telle Erfahrung berechtigt und es müsste ebenso wieder fallen,
wie das ehemalige Verbot dünnster Kupferlösungen zur Erhal¬
tung der grünen Farbe der Gemüsekonserven.
Hans K o li n.
Verein für innere Medizin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
S i t z u n g v o m 7. Juni 1902.
Herr Hoffa: Ueber die orthopädische Behandlung der
essentiellen Kinderlähmung.
Vortragender gibt einen kurzen Ueberblick über die Ent¬
wicklung der Behandlung der Kinderlähmung von den Schienen¬
apparaten zu den Schienenhülsenapparaten und endlich zur
Operation mittels Sehnentransplantation. Er demonstriert seine
zum Teil ausgezeichneten Resultate an einer Reihe von Kranken.
Hans K o h n.
Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 20. M a i 1902.
Vorsitzender : Herr E. Fraenkel.
Schriftführer : Herr Moltrec li t.
I. Demonstrationen:
Herr Mönckeberg: Demonstration mikroskopischer
Präparate eines Doppelkarzinoms der Gallenblase.
Die Patientin, eine 77 jährige Frau, kam am 28. XII. 01 auf
der chirurgischen Abteilung des Eppendorfer Krankenhauses zur
Aufnahme. Sie litt seit 5 — 6 Jahren an Schmerzen in der Leber¬
gegend, die anfallsweise alle 6 Wochen etwa eintraten. 14 Tage
vorher hatte sie eine Geschwulst im r. Hypochondrium entdeckt,
die seitdem sich nicht vergrössert haben sollte. Bei der Aufnahme
liess sich ein harter knolliger Tumor in der Gegend der Gallen¬
blase palpieren, der von dem r. Leberlappen abzugrenzen war.
In der Annahme, dass es sich um ein noch nicht auf die Leber
übergreifendes Karzinom der Gallenblase handelte, wurde die
Exstirpation vorgeschlagen, angenommen und am 30. XII. 01 in
Chloroformnarkose ausgeführt. Bei der Operation ergab sich die
Richtigkeit der Annahme eines Gallenblasen tumors. Die Gallen¬
blase wurde exstipiert, die auf der unteren Leberfläche sichtbaren
Geschwulstmassen mittels Methylchlorid zerstört. Das Präparat
gelangte mit der Diagnose Carcinoma, vesicae felleae auf die Ana¬
tomie zur mikroskopischen Untersuchung.
Leider hatte das Präparat bei der Operation stark gelitten,
so dass eine genaue Orientirung unmöglich war. Es liess sich nur
konstatieren, dass die Gallenblase einen intakten Serosaüberzug
besä ss, dass ferner etwa, der dritte Theil der Gallenblase normale
Dicke der Wandung zeigte und dass die übrigen zwei Drittel ein¬
genommen wurden von Tumormassen, die sich polypös gegen das
Lumen vordrängten, zwischen sich kleine, gelbe, facettierte Stern¬
chen trugen und auf ein mitexstirpiertes Stück Leber übergegriffen
hatten. Der mikroskopische Befund war ein sehr überraschender.
Während an einigen Stellen der Geschwulst ein deutliches, alle
Gewebsschichten der Wand durchsetzendes Adenokarzinom zu
sehen war, fand sich an anderen Stellen ein Tumor von rein kan-
kroidem Charakter. Sehr eigentümlich sind die Partien der Ge¬
schwulst, wo beide Tumoren Zusammentreffen. Da finden sich in
gewucherten Drüsenschläuchen typische Kankroidperlen und
andererseits in Plattenepithelnestern komprimierte Drüsen¬
schläuche. Dass es sich dabei wirklich um ein Kankroid handelt,
geht daraus hervor, dass der von den Autoren geforderte Nach¬
weis von Stachelzellen, sowie die E rnst sehe Hornreaktion po¬
sitiv ausfielen.
Bei der 12 Tage nach der Operation vorgenommenen Obduk¬
tion fanden sich ausserdem noch Metastasen beider Geschwulst¬
arten in periportalen Lymphdrtisen und in der Leber, dagegen
nirgendswo im Körper ein anderer Tumor, der das Kankroid
in der Gallenblase etwa als sekundär erst dorthin gelangt hätte
erscheinen lassen. Daraufhin lautete die anatomische Diagnose
auf primäres Adenokarzinom und Kankroid der
Gallenblase.
Was nun den Ausgangspunkt für die Tumoren anlangt, so
geht aus den Präparaten ohne weiteres hervor, dass das Adeno¬
karzinom aus der Drüsen enthaltenden Schleimhaut der Gallen¬
blase abzuleiten ist. Für das Kankroid ist die Entstehung nicht
mit Sicherheit nachzuweisen. Es finden sich zwar in verschiedenen
Präparaten direkt am Lumen der Gallenblase mehrschichtige
Lagen von Plattenepithel, sowie papilläre Exkreszenzen, die an die
gutartigen Lanrynxpapillome, ausgehend von den Stimmbändern,
erinnern, doch kann man eben nicht mit Gewissheit ausschliesseu,
dass hier das Plattenopithel erst sekundär als Tumor hingelangt
ist. ln der Literatur finden sich im ganzen 12 Fälle von Kankroid
in der Gallenblase. Die Autoren aller dieser Fälle nehmen zur Er¬
klärung eine Metaplasie des Epithels in Folge langwieriger Ent¬
zündung mit Konkrementbildung in Anspruch. Lu barsch ist
es ausserdem gelungen, eine solche Metaplasie ohne Tumorbildung
in der Gallenblase bei chronischem Entzündungszustand naehzu-
weisen. Daher geht man wohl nicht fehl, wenn man auch in
diesem Falle eine stellenweise Metaplasie des Epithels in Folge
der aus der Anamnese hervorgehenden Cholelitliiasis und eine
sekundäre Tumorbildung annimmt.
Die Metaplasie ist bekanntlich eine sehr strittige Frage in der
Pathologie. Während einige Autoren überhaupt ihr Vorkommen
leugnen, ist für Andere der Nachweis wahrer Metaplasie bereits
erbracht worden. Man wird vorläufig am sichersten gehen, wenn
man in den strittigen Fällen zunächst alle anderen Erklärungs¬
möglichkeiten ausschliesst und erst als letzten Notbehelf die Meta
plasie als Erklärung heranzieht.
In diesem Falle kommen nun drei Möglichkeiten überhaupt
nur in Betracht: Ein Hinüberwuchern von einem Plattenepithel
tragenden Organ, eine Versprengung embryonaler Plattenepithel¬
keime und die Metaplasie. Da keine Gallenfistel bestanden hat
und da man sich ein Hinüberwuchern vom Oesophagus her nicht
gut vorstellen kann, ist die erste Möglichkeit auszuschliessen.
Versprengte Keime sieht man stets nur in Organen, die benach¬
bart dem Mutterboden der Keime sind oder embryonale waren.
In die Nähe der Gallenblase kommt aber während des ganzen
Embryonallebens niemals Plattenepithel, weshalb auch diese
Möglichkeit als Erklärung nicht anwendbar ist. Es bleibt für
diesen Fall also nur die Metaplasie als Erklärung bestehen.
(Schluss folgt.)
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 10. März 1902.
Vorsitzender : Herr FI ochhau s. Schriftf. : Herr Schult e.
Vor der Tagesordnung demonstriert Herr Dreesmann ein
24 Pfund schweres multiloculäres Ovarialkystom, welches er bei
einer 28 jährigen Frau mit Erfolg entfernte. Dasselbe war inner¬
halb 5 Jahren allmählich gewachsen, ohne der Patientin besondere
Beschwerden zu machen. Es waren starke Adhäsionen mit Netz,
vorderer Bauchwand und Wurmfortsatz vorhanden gewesen.
Ferner demonstriert Redner ein Präparat einer ausgedehnten
Tuberkulose der Nieren, Harnleiter und der Blase. Da nach der
Anamnese etwa y2 Jahr vorher eine leichte Perityphlitis Vorgelegen
und die jetzige Krankheit unter ähnlichen Symptomen begonnen
hatte, zudem -ein stark eiterhaltiger Urin entleert und eine Per¬
foration eines Abszesses, der mit der Blase kommunizierte, nach
dem Peritoneum stattgefunden hatte, wurde die Ursache der Er¬
krankung anfänglich an der Appendix gesucht. Dieselbe fand sich
bei der Operation nur wenig verändert, ein grosser perinephri-
tisclier Abszess stand nicht mit ihr in Verbindung. Bei der Sek¬
tion. einige Wochen später, fanden sich ausser einer miliaren
Tuberkulose beider Lungen multiple Abszessbildungen in den
Nieren, besonders rechts, und Erweiterung der Nierenbecken. Der
rechte Ureter war fingerdick, in der ganzen Ausdehnung ulzerös
und mit schmierigen Granulationen bedeckt. Der linke Ureter
zeigte diese Veränderungen nur in der unteren Hälfte. Die Blase
war geschrumpft und in gleicher Weise wie der rechte Ureter
verändert.
Herr Czaplewski: Ueber Malaria. (Mit Demon¬
strationen.)
C.. spricht über Malaria unter spezieller Berücksichtigung
der neueren Forschungsergebnisse. Nach einleitenden Bemer¬
kungen über die grosse nationalökonomische Bedeutung der
Malaria, speziell für Italien und die Tropen (Kolonien), teilt
Vortragender, welcher sich an die Arbeiten von 0 e 1 1 i, G r a s s i,
Koch, Lühe und Rüge anlehnt, die Geschichte der Malaria
und Malariaforschung in 4 grosse Abschnitte : I. von Hippokrates
bis 1640 (Einführung der Chinarinde durch Gräfin C i n c h o n).
II. 1640—1880 (1820 Chinin von P e 1 1 e t i e r und Caventon
dargestellt). III. 1880—1896 (1880, 6. Nov., Malariaplasmodien
von L a v e r a n entdeckt). IV. 1896 bis neueste Zeit, in welcher,
ausgehend von den Entdeckungen der Zoologen Simon d,
Schau d in n und Siedlecki bei Protozoen, 1897/98 von
McOallum die geschlechtlichen Formen und die Copula der
Parasiten der Vogelmalaria, dann ebenfalls 1897/98, angeregt
durch Manson von Ross die Entwicklung der 1 ogelparasiten in
Culex, dann 1898 — 1901, vornehmlich von G r a s s i und seinen
Mitarbeitern Bignami und Basta nielli die weitere
Entwicklung der Parasiten der Tertiana, Quartana und I ropica,
ausschliesslich in , Anopheles (einer anderen Mückengattung)
lückenlos klargelegt wurde.
1202
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Dann kommen die Forschungen von R. Koc h, welcher sich
für nur 3 Malariaarten, Tertiana, Quartana, Tropica, mit ver¬
schiedenen Parasitenarten ausspricht und Regeln für Beobach¬
tung und Behandlung, sowie planmässige Bekämpfung mit seinen
Schülern festlegt, während auf der anderen Seite die italienische
Schule den Kampf gegen die Malaria in Italien im Grossen
durchführt. Weitere Fortschritte sind der Ausbildung der Unter¬
suchungstechnik spez. durch Ausbildung der Romanowsky-
schen Methode durch Ziemann, N o c li t, Rüge, M e u r e r,
Zettnow und Reuter zu verdanken.
Vortragender schildert an der Hand der Leuckart-
C hun sehen Wandtafeln die Entwicklung der Protozoen und
dann der Malariaparasiten nach dem Schaudinn sehen
Schema (ungeschlechtlicher und geschlechtlicher Zyklus). Dia¬
positive z. T. von Prof. Z ettn o w, z. T. nach Originalpräpa¬
raten von Hafenarzt Dr. N o c h t und Dr. Reuter- Hamburg
vom Vortragenden hergestellt, dienen zur weiteren Illustration.
Zum Schluss wird die moderne Chininbehandlung nach Rüge
und die allgemeine und spezielle Prophylaxe und Bekämpfung
der Malaria skizziert.
Sodann bespricht Herr Kötschau in längerer Aus¬
führung bakteriologisch-gynäkologische Tagesfragen.
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 1. Mai 1902.
Vorsitzender : Herr Unverricht.
Herr Habs demonstriert zwei Fälle von Rezidiven nach
Gallensteinoperationen. In beiden Fällen war die Cholecystostomie
ausgeführt und zwar von berufenster Hand (T r endelen-
b u r g. K e h r). H. demonstriert die Fälle, um von ihnen die
Berechtigung der modernen Radikaloperation (Cholecystektomie,
kombiniert mit Choledochussondierung und Hepaticusdrainage) ab¬
zuleiten. Sodann demonstriert Habs zum Belege seiner in der
vorigen Sitzung aufgestellten Behauptung einen vor 4 Tagen
durch Operation gewonnenen Proc. vermiformis mit Kotstein, bei
welchem der erste klinische Perityphlitisanfall zur akuten Per-
forationsperitonitis geführt hatte.
Herr Tschmarke bespricht kurz das Verfahren zur An¬
fertigung stereoskopischer Röntgenphotographien und zeigt eine
Anzahl solcher Aufnahmen.
Herr T h o r n : Bemerkungen zu den Demonstrationen
des Herrn B u 1 1 e n b e r g in der vorigen Sitzung.
Herr Kirsch: Der Nachweis der Simulation und Ueber-
treibung bei Unfallverletzten.
Nach einigen einleitenden Worten über die Häufigkeit der
Simulation und Uebertreibung, welche in Beziehung zu setzen
ist zu der Unzuverlässigkeit der Angaben der meisten Patienten,
begrenzt Vortragender das Thema auf die Besprechung des Nach¬
weises der Erdichtung und Vorspiegelung krankhafter Zustände
durch falsche Angaben und Verstellung, während die Hervorruf ung
von Krankheiten (Selbstverstümmelung) und die fälschliche Be¬
ziehung bestehender krankhafter Zustände auf einen Unfall aus
der Betrachtung ausscheiden. Simulation und Uebertreibung sind
nur graduell verschieden und ihre Scheidung von einander hat
nur wenig praktischen Wert. Es werden die verschiedenen Me¬
thoden aufgeführt, nach denen die Vorspiegelung der am häu¬
figsten simulierten Symptome zu prüfen ist: des Druckschmerzes,
des Spontanschmerzes, des Tremors, der Kontraktur, der Parese,
der Schwachsichtigkeit und der Schwerhörigkeit. Die reichste
Auswahl, die auch die besten Resultate gibt, finden wir bei der
Sensibilitätsprüfung. Beim Druckschmerz ist namentlich auf
die reflektorische Fluchtbewegung zu achten. Die Untersuchung
auf den Grad der vorhandenen Kraft muss die Antagonistenspan¬
nung benützen, die bei den Uebertreibem meist sehr stark vor¬
handen ist. Die meisten Methoden, mit denen wir die Simu¬
lation nachweisen, beruhen auf der Wiederholung der Unter¬
suchung, der Ablenkung der Aufmerksamkeit oder der Hervor-
rufung von Reflexen.
Diskussion: Herr Purruck er vermisst bei der Be¬
sprechung der Symptome von Simulation und Uebertreibung die
Erwähnung eines, oft des einzigen, objektiven Symptomes.
der mangelnden Atrophie der betreffenden Gliedmasse, an welcher
eine Funktionsstörung geklagt wird. Es muss als feststehende
Tatsache gelten, dass dasjenige Glied in seiner M u s k u 1 a t u r
— n i c li t im Fettpolster — atropliiert, an dem eine tatsächliche
Funktionsstörung eine gewisse Zeit bestanden Hat. Der bekann¬
teste Fall ist die Atrophie des M. quadriceps bei Ivniegeleuks-
affektionen. Ist die Funktionsstörung wirklich da, so ist auch die
Muskelatrophie unausbleiblich. Eine solche Atrophie ist nicht zu
simulieren oder künstlich hervorzurufen. Zu berücksichtigen ist
dabei der physiologische Umfangsunterschied zwischen rechter
und linker Seite, der zu Gunsten der rechten Seite (bei Rechts¬
händern) % — 1 cm je nach der geWohnheitsgemässen Tätigkeit des
Gliedes zu betragen pflegt, am Arm mehr als am Bein. Unan¬
genehme Empfindungen nach Verletzungen jeglicher Art, besonders
aber nach Knochenverletzungen, pflegen lange Zeit nachher noch
anzuhalten, brauchen aber keine Funktionsstörungen zu bewirken.
Die Angaben der Verletzten sind oft wenigstens teilweise glaub¬
würdig; die Entscheidung, ob diese Empfindungen funktionsstörend
sind, lässt aber die vergleichende Messung dann sicher fällen:
,,w o keine Funktionsbehinderung, da keine Atro-
p h i e“. Dieser Satz wird leider bei der Beurteilung der Ver¬
letzungsfolgen häufig nicht genügend beachtet, obwohl er das Fun¬
dament der Beurteilung der subjektiven, sonst ja gar nicht kon¬
trollierbaren Symptome bildet. Keine Versicherungen, weder staat¬
liche noch die privaten, wollen und sollen Schmerzensgelder zahlen,
sie sollen vielmehr nur einen etwaigen Ausfall der Funktion ent¬
schädigen. An den Gliedmassen sind die Bedingungen zu eiuiger-
massen objektiver Beurteilung durch die meist mögliche verglei¬
chende Messung der angeblich behinderten mit der gesunden Seite
ja gegeben, am Stamme liegen die Verhältnisse schwieriger und
hier ist natürlich der Uebertreibung die breiteste Bahn geöffnet,
der das Mitleid des Untersuchers nur zu oft unterliegt. Der oben
erwähnte Grundsatz müsste sich aber jedem Arzte so fest ein¬
prägen, dass er auch den AI u t finden kann, seine Meinung zu
bilden und stets strikte zu folgern: „w o keine Atrophie, da
keine F u 11 k t i o 11 s b e h i n d e r u 11 g“.
Herr Unverricht bemerkt, dass nach seinen recht aus¬
gedehnten Erfahrungen auf dem Gebiete der Begutachtung Un¬
fallkranker Simulation gar nicht so selten sei. Ceteris paribus
müsse man sagen, dass ihre Feststellung der Sorgfalt des Unter¬
suchers proportional sei. Es gäbe viele Gutachter, welche sich auf
die Prüfung von Simulation so gut wie gar nicht einliessen und
die Angaben der Verletzten ohne weiteres ihrem Gutachten zu
Grunde legen. Das sei natürlich ein sehr bequemer Standpunkt,
und man habe dann noch den Vorteil, für einen sehr wohlwollenden
und arbeiterfreundlichen Mann gehalten zu werden. Dieser Stand¬
punkt sei aber nicht richtig. Der Arzt sei, wenn er gefragt werde,
nicht Partei, sondern er habe ohne Rücksicht auf den Verletzten,
aber ebenso ohne Rücksicht auf die Berufsgenossenschaft nach
den Grundsätzen des unparteiischen Richters sein Gutachten ab¬
zugeben. Weiche man von diesem Standpunkte ab, dann verliere
man den Boden unter den Füssen und verhindere die Segnungen
des Unfallversicherungsgesetzes. Immer das Rechte zu treffen, sei
natürlich bei dem Stande unseres heutigen Wissens und Könnens
vollkommen ausgeschlossen, aber das sei der Rechtsprechung auf
anderen Gebieten ja bisher gleichfalls nicht gelungen und die Ur¬
teilsbildung sei auf dem Gebiete einer Erfahrungswissenschaft
mit so vielen Lücken, wie sie die Medizin aufweise, unendlich viel
schwieriger. Es gehöre deshalb häufig ein gewisser Mut dazu,
ein bestimmtes Urteil auszusprechen.
Was die einzelnen berührten Punkte anlangt, so glaubt U.,
dass der F u c h s sehe Versuch nicht immer ein bestimmtes Ur¬
teil zulässt. Er würde nicht wagen, jemanden für einen Simu¬
lanten zu erklären, wenn das Zittern einer Hand bei Nachahmung
bestimmter vorgeschriebener Bewegungen mit der anderen nach-
lasse. Das eigentümliche Beben des ganzen Körpers, auf welches
er gelegentlich die Aufmerksamkeit gelenkt habe, könne wohl
kaum nachgemacht werden. Es zeichne sich durch so schnell-
schlägige Erschütterungen des ganzen Rumpfes aus, wie sie will¬
kürlich wohl kaum erzeugt werden könnten.
Am interessantesten seien die Störungen auf dem Gebiete
der Sensibilität und ihre Simulation. Auch hier müsse man
häufig in bestimmter Weise Stellung nehmen auf die Gefahr hin,
gelegentlich einmal nicht das Richtige zu treffen. Wenn ein Manu
nach einem Sturze auf das Kreuz 10 Jahre lang über Schmerzen
klage, ohne die geringsten sonstigen objektiven Krankheitserschei¬
nungen zu zeigen, so Hessen sich derartige Angaben wohl nicht
mit Sicherheit als unwahr bezeichnen, es sei aber doch undurch¬
führbar, der Rentenbemessung eine derartige Angabe ohne wei¬
teres zu Grunde zu legen. Ebenso gehe es mit den Klagen über
Kopfschmerzen.
Zur Entlarvung von Sensibilitätsstörungen macht U. zunächst
auf die Chlorofo r m u m 11 e b e 1 u n g aufmerksam. Er hat
mehrere Fälle gesehen, wo in dem ersten Stadium der Chloroform¬
narkose Simulanten sich verrieten und dann ihre Vorspiegelungen
fallen Hessen und auf Rentenansprüche verzichteten. Gewisse
Kranke verwechseln die unempfindlichen Seiten, w7enn sie plötzlich
auf den Bauch gelegt werden. Sie zeigen dann Störungen im
linken Beine, während sie vorher solche im rechten gezeigt haben.
Vielfach sei man auch im stände, mit schnellen Doppelstichen die
Vorspiegelung einseitiger Empfindungsstörung, z. B. in dem einen
Beine, nachzuweisen. Ein Stich, welcher unmittelbar nach Be¬
rührung des empfindenden Beines auf das angeblich unempfind¬
liche appliziert werde, rufe bei Simulanten ein plötzliches Stocken
hervor. Sie müssten sich in derartigen Fällen ihre Angaben erst
15. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1203
überlegen, was zur Entlarvung vollkommen aiisreiche. Die Mittel¬
linie werde vielfach ganz ungenügend festgehalten, je nachdem
man bei der Prüfung von rechts nach links oder umgekehrt vor¬
gehe. In mehreren Fällen konnte U. Simulanten mit halbseitiger
Empfindungsstörung dadurch entlarven, dass er die grosse Elek¬
trode eines faradischen Stromes in der Mitte so aufsetzte, dass sie
empfindliches und unempfindliches Gebiet berührte. Simulanten
geben, wenn mau die andere Elektrode auf die unempfindliche
Seite aufsetzt, das Fehlen einer Empfindung an, während sie doch
an der ersten Elektrode, soweit sie die empfindliche Körperhälfte
berührt, eine Empfindung haben müssten.
Wenn man sich bemühe, Sensibilitätsstörungen mit allen zu
Gebote stehenden Mitteln auf etwaige Simulation zu untersuchen,
daun komme man mehr und mehr zu der Ansicht, dass jeder Un¬
fallverletzte mit Störungen der Empfindung im höchsten Grade
verdächtig sei.
U. führt dann noch einzelne Formen von Simulation an und
spricht sich zum Schlüsse dahin aus, dass man auch bei wirklicher
traumatischer Neurose oder traumatischer Hysterie mit der Be¬
messung der Rente möglichst vorsichtig sein soll. Nicht jeder Fall
von traumatischer Neurose bedinge vollkommene Erwerbsunfähig¬
keit, ja vielfach sei die Gewährung der vollen Rente für den Ver¬
letzten das grösste Unglück, weil sie ihm die Rückkehr zur Ar¬
beit erschwere. Ein grosser Teil der Fälle sei der Heilung durch
aus zugänglich.
Die Gutachten über nervöse Zustände sollten tunlichst nach
längerer Krankenhausbeobachtung angestellt werden, nicht aber
auf Grund einer kurzen Sprechstundenuntersuchung, wobei auf
die Prüfung nach Simulation fast immer verzichtet werden müsse.
Herr Kirsch: Atrophie ist allerdings fast in allen Fällen
von Funktionsstörung nach Verletzung der Extremitäten vor¬
handen. Andererseits gibt es aber Fälle von völliger Wiederher¬
stellung der Funktion bei Bestehenbleiben von Muskelabmagerung.
Man darf ferner nicht immer vom Grade der Abmagerung auf den
Grad der Funktionsstörung schliessen.
An dem in der Diskussion erwähnten und angefochtenen
Satze: „in dubiis pro paupere“ ist festzuhalten. Er darf aber nur
in den Fällen angewandt werden, in denen der Gutachter nach
umfassender und exakter Untersuchung zu einem „non liquet“ ge¬
langt.
Aerztlicher Verein München.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 12. März 1902.
Bei Beginn der Sitzung machte der I. Vorsitzende, Herr
Prof. Moritz, zunächst einige auf das Projekt eines Petteil-
kofer-Hauses sich beziehende Mitteilungen. Der vom ärztlichen
Verein München in Angriff genommene Plan, dem grossen
Meister der Plygiene durch Schaffung eines nach ihm zu be¬
nennenden Hauses ein würdiges Denkmal in München zu er¬
richten — das Pettenkofer-Haus würde hinsichtlich seiner
Zwecke ein Seitenstück zu dem Langenbeck-Hause in Berlin
bilden — , ist ja vorläufig über die ersten Entwicklungsstadien
noch nicht hinaus gediehen, soll aber dadurch eine konkretere
Unterlage erhalten, dass die von Sr. K. IT. dem Prinzregenten
Luitpold von Bayern jüngst ins Leben gerufene Kommission für
staatliche Monumentalbauten sich des Projektes liebevoll an¬
nehmen soll. Die innerhalb des ärztlichen Vereines bisher ge¬
sammelten, freilich dem kleinen Samenkorn an Bescheidenheit
noch so nahestehenden Mittel haben immerhin vor kurzem da¬
durch einen sehr schätzbaren Zuwachs erhalten, dass das Heraus¬
geberkollegium der Münch, mecl. Wochenschr. einen Baustein
von 5000 M. für das Pettenkofer-ITaus gestiftet hat. Noch recht
viele solche Angebinde — und wir bauen es wirklich!
Von mehreren Rednern wurde hervorgehoben, dass die von
der Stadt München gehegte und bereits durch öffentliche Samm¬
lungen festgelegte Absicht, ihrem grossen Wohltäter ein Denk¬
mal zu errichten, dem Plane eines Pettenkofer-ITauses wenig
förderlich ist und eine Verschmelzung beider Projekte zu einem
Unternehmen, in welchem Pettenkof er dauernd geehrt
werden soll, angestrebt Averden möge.
Er berichtet sodann Herr Grassmann über einen aus
der Praxis stammenden Fall: Tödliche Blutung in die Bauch¬
höhle unter dem Bilde des akuten Darmverschlusses.
Zu dem Vortrage, der in dieser Wochenschrift publiziert
werden wTird, bemerkt Herr A. M ii 1 1 e r, dass eine Verwechslung
von Darmverschluss mit innerer Blutung avoIü öfter vorkomme,
als es den Anschein habe, namentlich bei Blutungen infolge Extra¬
uterinschwangerschaft.
Herr Alb recht hebt im Anschluss an den Vortrag hervor,
dass der tödliche Ausgang nicht so sehr auf den Blutverlust als
auf die beginnende, ziemlich ausgedehnte Aspirationspneumonie
beider Unterlappen zurückzuführen war, im Zusammenhang mit
dem starken Meteorismus, welcher die Zwerchfellsatmung er-
schwerte und dadurch für den dilatierten rechten Ventrikel des
idiopathisch hypertrophischen Herzens die bedeutenden Wider¬
stände noch Aveiter erhöhte. Er betont die Wichtigkeit des letzteren
Momentes, Avelches er in mehreren ihm zur Sektion gekommenen
Fällen als direkte Todesursache anspricht (Dilatation und Adi¬
positas des rechten Ventrikels, Hypertrophie desselben bei Em¬
physem oder anderen chronischen Lungenerkrankungen, Mitral¬
fehlern — plötzliche hochgradige Ueberanstrengung infolge der
durch den extremen Zwerchfellshochstand bedingten Kompression
der Lungen). Derselbe ist in entsprechenden Fällen z. B. der
Meteorismus bei thorakaler Kompressionsmyelitis im Beginne der
allgemeinen Peritonitis) auch therapeutisch Avohl zu berücksich¬
tigen.
Fathölogisch-auatomisch gehört der Fall zu einer Abart der
hypertrophischen Zirrhose, welche man nach A. vielleicht passend
mit dem Namen der adenomatösen hypertrophischen Cirrhose be
zeichnen könnte; es sind dies Fälle, in welchen die Bildung aus¬
gesprochener Adenome (Leberzellenadenome mit Bildung von teils
gallengangartigen Schläuchen, teils mehr oder weniger charak¬
teristischen Leberzellbalken) besonders frühzeitig und AVülirend
der ganzen Dauer der Erkrankung in hohem Grade ausgesprochen
ist. Die Adenombildungen dürften in diesen Fällen Aveniger auf
eine pathologische „Uebertreibung" der regenerativen Prozesse im
DrüsengeAvebe als auf einen direkten Wucherungsreiz zurückzu-
fiihren sein.
So war in dem beschriebenen Falle die Cirrhose noch in den
Anfängen, dagegen durch die ganze Leber hindurch bereits die Bil¬
dung multipler kleiner Adenome im Gange. Die frühzeitige Ent-
Avicklung eines so grossen und dabei ganz oberflächlichen Adenom¬
knotens im Lohns Spigelii mit den vorliegenden Folgen dürfte ein
Unikum darstellen.
Herr Fr. Craemer: Ueber die Diagnose des Dickdarm¬
karzinoms. (Der Vortrag ist ausführlich in No. 24 d. Wochen¬
schrift erschienen.)
Herr Seggel jun. betont die Sclnvierigkeit der Diagnose
des Kolonkarzinoms und schildert einen in der chirurgischen Klinik
beobachteten Fall, der unter den Erscheinungen eines subphreni¬
schen Abszesses mit Durchbruch durch die vordere Bauchwand
ohne jede Erscheinung von seiten des Darmes verlief. Der Pat.
Avar 3i/3 Monate vor seinem Eintritt plötzlich mit einem heftigen,
in der Magengegend lokalisierten Schmerz anlässlich einer körper¬
lichen Anstrengung erkrankt. Es stellte sich intermittierendes
Fieber, heftiger Schmerz und Meteorismus ein und schliesslich
bildete sich im linken Hypochoinlrium eine Vorwölbung, die bei
der Probepunktion fäkulenten Eiter ergab.
Unter der Diagnose: „subphrenischer Abszess auf okkulter
Grundlage“ (es bestanden anamnestisch auch jetzt keine Erschei¬
nungen von seiten des Darmkanals) erfolgte Eröffnung parallel
dem Rippenbogen, ohne den Ausgangspunkt zu erkennen. Tod
4 Wochen später unter septischen Erscheinungen, Kot entleerte
sich erst 1 Tag vor dem Tode. Die Sektion ergab eine zwischen
ZAverclifell. Magen, Milz und Querkolon gelegene Eiterhöhle, ent¬
standen durch Perforation eines zirkul ä r e n, 2 — 3 cm hohen
KarzinomgeschAvtires in der Flexura lienalis. Der Fall zeigt, AVie
schAvierig die Diagnose sein kann, zumal wenn die vordere Bauch¬
Avand in Mitleidenschaft gezogen Avird, und steht in Analogie zu
den Fällen von Magenkarzinom mit Uebergreifen auf die Baucli-
Avand, von denen Redner mehrere Beobachtungen im Jahre 181)'.)
in der Münch, med. Wochenschr. zusammengestellt hat.
Herr F. May freut sich, dass der Vortragende so energisch
vor der Massage in zweifelhaften Fällen gewarnt hat. Auch ihm
ist ein Fall bekannt, bei dem durch von anderer Seite verordnete
Massage die Obstipation allerdings vorübergehend gebessert, da¬
durch aber vielleicht der Zeitpunkt zur Operation versäumt wurde.
Die Metastasenbildung ist in diesem Falle auffallend schnell auf¬
getreten.
Er fragt ferner, ob das beschriebene Geräusch auch mit
blossem Ohr und auf Entfernung wahrgenommen, wurde.
Was den Stenosenstuhl betrifft, so glaubt er, dürfe derselbe
bei der Diagnose nicht ganz vernachlässigt werden. Wenn
auch ZAveifellos meistens Spliinkterenkrampf denselben verursache,
so hat M. doch einen Fall von destruierendem Zotteupapillom ge¬
sehen, aa^o bei Ausspülung des Darmes sehr harter, exquisiter
Stenosenstuhl vorkam, der nach seiner Meinung durch die fast
obliterierende Geschwulst verursacht Avar.
Herr K recke: Gerade beim Carcinoma coli ist eine früh¬
zeitige Diagnose ausserordentlich wichtig. Bekanntlich
sind bei keinem anderen Karzinom mit der Exstirpation so gün¬
stige Dauerresultate erzielt worden Avie beim Dickdarmkrebs.
G ussenbauer hat über eine Heilung von 18 jähriger Dauer
berichtet, Mikulicz u. a. über solche von 9 jähriger Dauer.
Kr. hat vor 4 Jahren eine GO jährige Patientin operiert, die sich
zurzeit noch des allerbesten Wohlseins erfreut.
In den meisten Fällen ist leider eine frühzeitige Diagnose
nicht möglich. Jeder kennt ja derartige Fälle, wo die Kranken
nach nur unbedeutenden Störungen der Stuhlentleerung an den
schwersten Erscheinungen von Darmstenose erkranken. So er¬
klärt es sich, dass K. bei 10 chirurgisch behandelten Fällen von
Dickdarmkrebs nur 3 mal die Radikaloperation machen konnte;
1204
MtJENCHENER MEHIClNlSCHE WOCHENSCHRIFT. .
No. 28.
in den übrigen 7 Füllen musste er sich mit der Anlegung eines
Anus priiteruaturalis bezw. einer Enteroanastomose begnügen.
Es kann darum nicht dringend genug gemahnt werden, bei allen
Patienten mit Störungen in der Stuhlentleeruug, bei Verstopfung,
abwechselnd mit Durchfall, stets die Möglichkeit eines Dickdarm¬
krebses im Auge zu haben. Von den 3 Hauptzeichen des Dick¬
darmkrebses, der Darmstenose, dem Tumor und den Erschei¬
nungen des Ulcus, ist zweifellos den Stenose Zeichen die
grösste Bedeutung beizumessen. Dadurch, dass der Dickdarm¬
krebs eine so grosse Neigung hat, zirkulär zu wachsen, stellen
sich fast in allen Fällen schliesslich die Zeichen der Darmstenose
ein. Bekanntlich kann ein solcher Stenoseanfall vorübergehen,
ohne besondere Erscheinungen zu hinterlassen, und sich erst nach
vielen Wochen wiederholen. Solche Stenoseanfälle müssen immer
als ein sehr verdächtiges Zeichen angesehen werden und geben
gewiss auch beim Fehlen aller sonstigen Erscheinungen die Be¬
rechtigung zum Bäuchschnitt.
Die Diagnose des Sitzes eines Darmkrebses wird
beim Fehlen eines fühlbaren Tumors wohl nur selten möglich sein.
Von den am häutigsten befallenen Stellen, dem Coekum und der
Flexur, werden die Tumoren des Coekums der Palpation bald zu¬
gänglich sein. Die Tumoren der Flexur sind in den meisten
Fällen weder von oben noch von unten mit der Betastung zu
erkennen. Auch die Tumoren der Flexura hepatiea und lienalis
werden im allgemeinen nur dann nachweisbar sein, wenn sie
schon eine bedeutende Grösse erreicht haben.
In manchen Fällen wird die Art der Darmsteifung
Anhaltspunkte für den Sitz des Tumors geben. Beim Sitz am
Coekum finden wir die Erscheinungen, die wir sonst bei der
Dünndarmstenose sehen, ausserordentlich lebhafte peristaltische
Kontraktionen, beim Sitz an der Flexur werden wir die träge
verlaufende Peristaltik, wie sie für die tiefsitzende Dickdarm¬
stenose charakteristisch ist, zu erwarten haben. K. hat bei Flexur-
krebs mehrmals eine auffällige Auftreibung des Abdomens in der
Breite, eine Füllung der Lendengegend beobachtet und damit die
Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Carcinoma fiexurae gestellt.
Die günstige Prognose, die die Dickdarmkrebse für die ope¬
rative Behandlung bieten, erhellt auch aus einer Beobachtung,
die eine 55 jährige Patientin betraf, bei der im Jahre 1890 wegen
eines Karzinoms der Flexur ein künstlicher After angelegt wurde.
Die Patientin erholte sich darnach in vortrefflicher Weise, so dass
sie zu einer radikalen Operation nicht zu bewegen war. Im
Jahre 1902 musste sie wegen eines rechtsseitigen Ovarialsarkoms
wieder operiert werden und bei dieser Gelegenheit fand sich, dass
der Krebs eigentlich gar keine Fortschritte gemacht hatte. Pa¬
tientin überstand die Ovariektomie sehr gut, war aber auch jetzt
nicht zu einer Exstirpation ihres Darmtumors zu überreden.
Herr O p p 1 e r berichtet über einen Fall von karzinomatöser
Striktur der Flexura coli sin., welcher anfangs unter dem Bilde
der kompletten Darmokklusion verlief. Behandlung mit hohen
Einläufen. Die ersten 3 — 4 Entleerungen bestanden nur aus kot¬
freier Flüssigkeit. Dann erfolgten reichliche Beimengungen von
fein zerriebenen Fäzes. Als jetzt wieder ein Einlauf gegeben
wurde, gelang es, mit 2 Fingern Stuhl aus dem Rektum zu ent¬
fernen, welcher die Form der Stenosenfäzes darbot. Zugleich war
der komplette Ileus in die Form des inkompletten Ileus über¬
gegangen. In der nächsten Entleerung fand sich reichlicher,
fester Stuhl, welcher nach Form und Grösse am besten mit Leber¬
nockerln sich vergleichen lässt. Als nun ein Abführmittel per os
gegeben wurde, stellte sich wieder totale Okklusion ein. Es wurde
deshalb wieder zu ausschliesslicher Rektalbehandlung überge¬
gangen und nun wiederholte sich ganz der gleiche Vorgang.
Zeichen von begleitendem Dickdarmkatarrh fehlten vollständig.
Ein Krampf des Dickdarmes unterhalb der Striktur dürfte aus-
zuschliessen sein, weil es mit Leichtigkeit gelang, 2 Finger und
ein dickes Darmrohr in das Rektum einzuführen, (weil ferner das
rapide Abttiessen von 1 1 Flüssigkeit durch das Darmrohr auch
gegen einen Krampf des höhergelegenen, dem Finger nicht mehr
erreichbaren Darmabschnittes sprach 1), und weil schliesslich bei
der Operation ein Krampf des unterhalb der Striktur gelegenen
Darmes nicht gefunden wurde. Die Erklärung des Herrn Vor¬
tragenden, dass die „Stenosenfäzes“ nur durch den begleitenden
Dickdarmkatarrh und durch einen Krampf des distalwärts von
der Striktur gelegenen Darmabschnittes resp. durch Sphinkter¬
krampf hervorgerufen würden, scheint daher nicht für jeden Fall
auszureichen. Im Gegenteil spricht dieser Fall dafür, dass die
„Stenosenfäzes“ durch die Stenose als solche bedingt sein können.
Herr Albrecht stimmt mit Dr. C r ä m e r und Dr. K recke
darin überein, dass die mikroskopische Untersuchung
des Kotes für die Frühdiagnose von relativ geringer Bedeutung
ist, da die Mehrzahl der Kolonkarzinome skirrhöser Natur sind
und wenig charakteristische Bestandteile an die Kotmassen ab-
geben, von denen dann wieder für gewöhnlich nur ein minimaler
Bruchteil aufgefunden werden dürfte. Trotzdem empfiehlt es sich
dringend, die mikroskopische Kotuntersuchung in einschlägigen
Fällen eifrig zu pflegen, besonders im Hinblick auf 2 Punkte.
1. Bei ulzerierten Karzinomen kann bereits das Vorhanden¬
sein von reichlichen Körnchen- und Pigmentkörnchenzellen mit
Vorbehalt („geschwürige Zerstörung in der Darmwand“) für die
Diagnose verwertet werden.
9 In der Diskussion nicht erwähnt.
2. Dieser Befund dürfte zur Unterscheidung gegenüber den
rein eitrigen Absonderungen bei purulenter Proktitis und Colitis
verwendbar sein. Durch allgemeinere Betätigung der mikro¬
skopischen Kotuntersuchung dürften auch die letzteren Er¬
krankungen häufiger als bisher zur Diagnose kommen. Neben der
nicht seltenen eitrigen Proktitis kommt nach seinen Beob¬
achtungen auch die eitrige diffuse Colitis nicht so selten
vor, als die vorhandenen Angaben darzutun scheinen. A. erwähnt
3 von ihm sezierte Fälle, in welchen diffuse eitrige Peritonitis
(ohne Perforation) sich anschloss an
a) chronische eitrige Colitis, ausgehend von eitriger Appen-
dicitis und Typhlitis;
Lp diffus eitrige Colitis im Anschluss an luetische Proktitis;
c) diffuse eitrige Colitis ohne auffindbaren Ausgangspunkt.
Die beiden häufigsten und Hauptformen dieser Colitis dürften
durch a und b gegeben sein: a) deszendierende C. im Anschluss
an Typhlitis, b) aszendierende C. im Anschluss an chronische
eitrige Proktitis aus irgend einer der bekannten Ursachen.
Zur Frage der Lokalisierung der Kolonkrebse bemerkt
A., dass die ihm zur Sektion gekommenen Krebse, an der Grenze
zwischen Flexura sigmoidea und Rektum, im obersten Teil der
Kreuzbeinaushöhluug gelegen, ausser wegen ihrer versteckten
anatomischen Lage auch besonders deshalb leicht der Feststellung
entgehen, weil sie häufig auffällig lange mit sehr geringer Ul-
zeration und Stenose einhergehen. Unter solchen Umständen er¬
klärt sich in Anbetracht des Sitzes auch leicht das langdauernde Fehlen
aller subjektiven wie objektiven Symptome, insbesondere auch die
Kachexie. A. erwähnt ausserdem einen in den Annalen der Mün¬
chener Krankenhäuser pro 1898/99 von ihm publizierten, dia¬
gnostisch interessanten Fall, in welchem ein von der grossen Kur¬
vatur des Magens auf das Colon transversum übergewuchertes
ulzeriertes Karzinom (Fistula bimucosa) ein Kolonkarzinom vor¬
täuschte.
Nach makro- und mikroskopischen Untersuchungen, welche
A. über das Verhalten der Metastasenbildung der Rektumkarzi¬
nome anstellte, scheint bei den skirrhösen Formen sehr häufig
auch dann noch die Invasion der regionären Lymphdrüsen zu
fehlen, wenn der Tumor bereits einen grossen Teil der Wand oder
das ganze Darmrohr umgreift.
Im weiteren Verlaufe der Diskussion betonte Herr Crärner
nochmals die charakteristische Art des Schüttegeräusches, das
so laut sein kann, dass man es im nächsten Zimmer hört. Hin¬
sichtlich des sog. Stenosenstuhles hebt C. hervor, dass die Form
des letzteren mit der Stenose nichts zu thun hat, sondern vom
Kontraktionszustand des Darmes abhängt. In den Lehrbüchern
wird auch jetzt noch meist Gegenteiliges vorgetragen.
Grassmann.
Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in
München.
Sitzung vom 17. Juni 1902.
Herr E. Weinland: Ueber Antifermente.
Bekanntlich sind die parasitischen Würmer im Magen und
Harm gegen die daselbst enthaltenen proteolytischen Fermente
(Pepsin und Trypsin) unempfindlich. Eine Erklärung für diese
Tatsache konnte bis jetzt nicht gegeben werden.
Es gelang dem Vortragenden, nachzuweisen, dass der aus¬
gepresste Extrakt der Tiere (Ascaris, Taenia) die Fähigkeit be¬
sitzt, Fibrin sowohl gegen Pepsin (in salzsaurer Lösung) als gegen
Trypsin (in alkalischer Lösung) auf kürzere oder längere Zeit
(bis zu 14 Tagen und mehr) zu schützen, so dass dasselbe nicht
zur Lösung gebracht wird. Siedehitze hebt die schützende Wir¬
kung auf.
Hie wirksame Substanz, die als ein A n t i f e r m ent anzu¬
sehen ist, liess sich aus dem Extrakt durch fraktionierte Alkohol¬
fällung gewinnen, verlor jedoch dabei an ihrer Wirksamkeit.
Ob es sich bei der wirksamen Substanz um einen oder zwei
verschiedene Stoffe handelt, ist noch nicht sicher zu entscheiden.
Weitere Beobachtungen über analoge Körper (Antifermente)
in der Schleimhaut des M a g e n s und I) a r m s der höheren
Tiere werden in kurzem mitgeteilt werden. Hie Versuche werden
fortgesetzt.
Hie ausführliche Mitteilung erscheint in der Zeitschrift für
Biologie.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Societe de Therapeutique.
S i t z u n g vom 11. J u n i 1902.
Ein neues Salizylpräparat: das TJlmarin.
Das TJlmarin ist nach den Mitteilungen von Bordet und
Chevalier bestimmt, in der Therapie das Methylsalicylat,
dessen Geruch manchen Kranken unangenehm ist, zu ersetzen.
Das Ulmarin ist ein Gemisch von Salicylätheru und von Alkoholen
15. 'Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1205
mit hohem Molekulargewicht, es enthält 75 Proz. Salicylsäure
und stellt eine leicht rosa-gell > gefärbte Flüssigkeit dar, welche
einen schwachen, aromatischen Geruch, ähnlich dem Salol, zeigt.
Pie Tierexperimente haben die geringe Giftigkeit und leichte
Elimination des Mittels nachgewiesen. Therapeutisch wurde das
Ulmarin erst in einer kleinen Anzahl von Fällen bei akutem Ge¬
lenkrheumatismus, Lumbago, blennorrhagischem Rheumatismus
u. s. w. angewandt, es wurde von der Haut in Pinselungen in der
Dosis von 4 — 16 g gut ertragen und hat dasselbe Resultat gegeben
wie das Methylsalicylat. Die schmerzstillenden Eigenschaften
machten sich schon in den ersten Stunden nach der Applikation
fühlbar, der Einfluss auf die Temperatur war nicht sehr ausge-
sprochen. Man kann das Ulmarin auch ohne Schaden innerlich
geben: einer der Untersucher hat auf einmal 5 g des Mittels ge¬
nommen. ohne die geringste Unannehmlichkeit zu fühlen.
Das J o d ä t h y 1 hat sich Amat beim Keuchhusten
in Form von Inhalationen, analog den Erfahrungen beim Asthma,
sehr bewährt: die Anfälle nehmen an Häufigkeit und Intensität
ab, dieselben werden kürzer, die Bronchialsekretion flüssiger, leicht
eliminirbar und die Dauer der ganzen Krankheit wird bedeutend
abgekürzt.
G a 1 1 o i s bespricht den chronischen Nasen-
racheEka)ta,rrh als eine der möglichen Ursachen von
Nephritis; solche Fälle würden meist unter die essentielle
oder zyklische Albuminurie eingereiht. Durch die Heilung des
primären Leidens, des Nasenrachenkatarrhs, kann daher sehr
rasch die Albuminurie beseitigt werden, wie dies G. in einem Falle
durch die Webe r’sche Nasendusche nach 3 Tagen gelungen ist.
Stern.
Aus italienischen medizinischen Gesellschaften.
Königl. Akademie zu Turin.
Aus den Verhandlungen vom 11. April erwähnen wir Mit¬
teilungen von C o 1 1 a: Zur Entstehung der Hyperglobulie.
Dieselben bestätigen das im Jahre 1S95 von B o z z o 1 o aufgestellte
Gesetz, dass die Hyperglobulie wie die Hypoglobulie des strömen¬
den Blutes von rein mechanischen Gesetzen ab¬
hängig i s t.
So oft aus irgend einem Grunde der Blutdruck und damit die
Schnelligkeit des Blutstromes herabgesetzt wird, entsteht eine
Hyperglobulie, welche dieser Druckherabsetzung proportional ist.
Sobald sich der Blutdruck wieder erhöht, verschwindet die Hyper¬
globulie allmählich bis zur Entstehung einer Hypoglobulie.
Dies Gesetz, dasselbe welches für die Ströme und ihre festen
Geschiebe gilt, fand C. mit seinem Mitarbeiter Z. bestätigt bei
seinen Untersuchungen in den allerverschiedensten Krankheits¬
zuständen, sowohl bei Herzaffektionen, Traumen der Gefässe, als
auch den verschiedensten nervösen Zuständen, bei Infektions¬
krankheiten, Hydroceplialus vor und nach der Quincke sehen
Punktion. Hager- Magdeburg N.
Verschiedenes.
Ein Trichterreagensglas.
Beifolgende Abbildung zeigt ein von mir angegebenes ., Trich¬
terreagensglas“ für Schichtungsproben, welches eine Verein¬
fachung sämtlicher für die klinische Diagnostik in Betracht kom¬
menden Schichtproben bezweckt. Betreffende Vorrichtung be¬
steht aus einem Reagensgläschen, an dessen äusserer Fläche im
oberen Drittel ein Trichtermantel rings angeschmolzen ist. Der
zwischen dem Trichtermantel und der äusseren Fläche des
Reagensglases befindliche Raum, steht durch 6 — 10 feine Oeff-
nungen mit dem Innenraume des Röhrchens in Verbindung. Will
man z. B. die Heller sehe Eiweissprobe an¬
stellen, so füllt man einige Kubikzentimeter
Salpetersäure in den Innenraum des Röhrchens
und giesst in den äusseren Behälter den Urin,
der durch die feinen Löcher in das Reagens¬
glas Übertritt und infolge der Adhäsion an der
inneren Glasfläche langsam herabfliessend sich
in einigen Sekunden über der Säure auf-
schiclitet. Infolge des gleichmässigen Herab-
fiiessens kommt es so immer zur Bildung eines
scharf abgegrenzten Eiweissringes. Ist der
Harn trübe, so wird er durch ein der Kon¬
figuration des äusseren Behälters entsprechen¬
des Filter geschickt, worauf er wie im ersten
Falle durch die Oeffnungen austritt. Gegen¬
über der Pipetten- oder Filtriermethode, die ge¬
wöhnlich bei Schichtungsproben im Gebrauch
hterreagensglas“ den Vorteil, eine einheitliche
Vorrichtung zu sein, die auch dem Ungeübtesten eine schnelle
und sichere Anwendung der für den Nachweis von Eiweiss, Blut,
Gallenfarbstoff etc. in Frage kommenden Ringproben ermöglicht.
L. J a c o b s o h n - Würzburg.
Die neue Regelung der ärztlichen Verhältnisse in Südafrika.
Herr Dr. L. Hönigsberger in Durban (Natal) schreibt
uns unterm 31. Mai 1. Js.:
Zur Aufklärung derjenigen Herren Kollegen, die sich allen¬
falls Hoffnung machen, nach Beendigung des Krieges als Aerzte
nach Südafrika zu kommen, habe ich die untenstehende, in der
,, Governments Gazette of the Orange River Colony“ erschienene
Proklamation übersetzt und sende die Uebersetzung zur Veröffent¬
lichung. Zweifelsohne gelten dieselben Massnahmen auch für
Transvaal.
Proklamation
Sr. Exzellenz des Deput.-Administrator der Orange River Colony.
In Erwägung, dass es wünschenswert ist, bessere Vorkehrung
zu treffen für die Registrierung gehörig qualifizierter Personen,
die wünschen dürften, in dieser Kolonie als prakt. Aerzte, Zahn¬
ärzte, Pharmazeuten und Drogisten zu praktizieren, proklamiere
ich kraft der mir verliehenen Autorität und tue kund und zu
wissen wie folgt:
1. In dieser Proklamation bedeutet die Bezeichnung ..prak¬
tischer Arzt“ jede Person, gehörig zugclassen und gesetzlich be¬
rechtigt, in dieser Kolonie als Arzt oder Chirurg zu praktizieren,
zur Zeit vor Inkrafttreten dieser Proklamation, sowie auch jede
Person, gehörig qualifiziert durch Registrierung unter der vor¬
liegenden Proklamation, als Arzt oder Chirurg innerhalb dieser
Kolonie zu praktizieren. Die Bezeichnung Dentist bedeutet jede
Person, gehörig zugelassen vor Inkrafttreten dieser Proklamation,
Zahntechnik oder Zahnheilkunde in dieser Kolonie auszuüben, ent¬
weder allein oder in Verbindung mit seinem Beruf als Arzt oder
Chirurg oder als Apotheker und Drogist, sowie auch jede Person,
gehörig qualifiziert durch Registrierung unter dieser Proklamation,
als Zahnarzt innerhalb dieser Kolonie zu praktizieren. Die Be¬
zeichnung „Apotheker und Drogist“ bedeutet jede Person, gehörig
zugelassen in dieser Kolonie zur Zeit v o r Inkrafttreten dieser
Proklamation, als Apotheker, Chemiker und Drogist, sowie auch
jede Person, gehörig qualifiziert durch Registrierung unter dieser
Proklamation, als Apotheker und Drogist innerhalb dieser Kolonie
zu praktizieren.
2. Jede Person, die zur Zeit vor Inkrafttreten
dieser Proklamation gehörig zugelassen und gesetzlich
qualifiziert war, als Arzt, Chirurg,. Accoucheur, Zahnarzt, Apo¬
theker und Drogist, in dieser Kolonie zu praktizieren, soll trotz
Veröffentlichung vorliegender Proklamation berechtigt sein, ihre
Praxis fortzusetzen oder ihren Beruf, wie oben bezeichnet, aus¬
zuüben, ohne Erlangung eines Registrierungszertifikates, wie fest¬
gesetzt in folgenden Paragraphen.
3. Zur Zeit und nach dem Inkraftreten der vorliegenden Pro¬
klamation soll niemand, ausser den im vorhergehenden Paragraph
bezeichneten Personen, berechtigt sein, als Arzt, Chirurg, Zahn¬
arzt, Apotheker und Drogist zu praktizieren, ohne ein Re¬
gistrierungszertifikat, unterzeichnet vom Sekretär der Orange-
River-Colony-Administration, erhalten zu haben. Vor Erlangung
eines solchen Zertifikates muss die betr. Person ihr Diplom oder
anderweitiges Zeugnis ihrer gehörigen Qualifikation, als Arzt, Chi¬
rurg, Zahnarzt oder Apotheker und Drogist zu praktizieren, dem
genannten Sekretär zur Prüfung und Begutachtung vorlegen.
Derselbe kann auch nach Gutdünken den Nachweis für die Identi¬
tät und lauteren Charakter des Gesuchstellers, der Authentität des
Diploms oder Zeugnisses und das Recht, auf Grund desselben
anderswo zu praktizieren, in Form einer beschworenen Erklärung
vor einem Friedensrichter oder anderen Zeugen verlangen und
jede Person, die absichtlich falsche Angaben bei einer solchen Er¬
klärung macht, soll sich der gesetzlichen Strafen für Meineid
schuldig machen, immer vorausgesetzt, dass der Sekretär der
Orange-River-Colony-Administration, wenn befriedigt durch den
Nachweis der Identität und guten Charakter, das Registrierungs¬
zertifikat bewilligen muss jedem Gesuchsteller, dessen Name ein¬
getragen ist in einem Britischen Medizinalregister, oder der be¬
rechtigt ist, in Grossbritannien und Irland registriert zu werden.
4. Keines der vorher genannten Zertifikate soll bewilligt
werden dem Gesuchsteller, als Arzt, Chirurg, Zahnarzt, Apotheker
oder Drogist zu praktizieren, auf Grund eines Titels, Diploms oder
Zeugnisses einer ausländischen Universität oder medizinischen
Schule, wenn nicht zur Befriedigung des Sekretärs der O.-R.-C.-
Administration bewiesen ist, dass:
a) Der genannte Titel oder das Diplom den Besitzer im ge¬
gebenen Falle als Arzt, Chirurg, Zahnarzt, Apotheker und Drogist
in dem Lande der Verleihung zu praktizieren berechtigt.
b) Dass zufolge den gesetzlichen Bestimmungen des Landes,
wo der betr. Titel oder Diplom verliehen war, britische Unter¬
tanen, die gesetzlich berechtigt sind, in Grossbritannien und Irland
als Aerzte, Chirurgen, Zahnärzte, Apotheker und Drogisten zu
praktizieren, die gleichen Privilegien gemessen, wie die durch vor¬
liegende Proklamation zugestandenen.
5. Jeder praktische Arzt soll berechtigt sein, als Accoucheur
zu praktizieren.
6. Ein Arzt, der wegen eines Vergehens bestraft ist, das seine
Moralität berührt, soll durch den Sekretär der O.-R.-C. -Administra¬
tion seines Registrierungszertifikates verlustig erklärt werden.
7. Jede Person, die absichtlich und fälschlich vorgibt. Arzt,
Doktor der Medizin oder Chirurgie, Lizentiat oder Bakkalaureus
in Medizin oder Chirurgie, Chirurg, prakt. Arzt, Zahnarzt, Apo¬
theker oder Drogist gu sein, oder solche Namen und Titel annimmt
und gebraucht, oder irgend welche Namen, Titel, Hinzufügungen
1206
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
oder Beschreibungen, enthaltend, gehörig qualifiziert zu sein, unter
vorliegender Proklamation als Arzt etc. zu praktizieren, und jede
Person, die als Arzt, Chirurg, Zahnarzt, Apotheker und Drogist
praktiziert, ohne zufolge vorliegender Proklamation dazu berech¬
tigt zu sein, soll bestraft werden mit Geldstrafe bis zu 100 rfd. St.
und Mangels Zahlung mit Gefängnis mit oder ohne Zwangsarbeit
bis zu sechs Monaten, bei nicht früher erlegter Geldstrafe.
S. Entgegenstehende Gesetze sind aufgehoben.
Gegeben unter meiner Hand und Siegel.
Bloemfontein, 17. April 1902.
H. Goold-Adams, Deput. Administrator.
Die reichsgesetzliche Krankenversicherung
umfasste im Jahre 1900 in 23 021 Kassen 9 520 7G3 Personen.
Während die Bevölkerung des Deutschen Reiches seit 1895. um
7.8 Proz. angewachsen ist, hat sich in demselben Zeitraum die
Zahl der gegen Krankheit Versicherten um 2G.5 Proz. gehoben,
so dass auf Grund des Reichsgesetzes bereits 16,1 Proz. der ge¬
samten Bevölkerung gegen Krankheit versichert sind. Ausgegebeu
wurden 1900 für 3 679 285 Erkrankungsfälle mit 64 916 827 Krank¬
heitstagen an Krankheitskosten 157 865 199 M.
Therapeutische Notizen.
In einem Aufsatz „Ueber die Krankenhausbehandlung der
Lungentuberkulose“ berichtet Winter nitz - Halle über das
T h i o c o 1 (ortho-guajakolsulfosaures Kalium), welches in der
medizinischen Klinik zu Halle meistens in der Form des „Sirolin“
dhiocol 10,0, Aqu. dest. 40,0, Extr. fluid. Aurant. 5,0, Sir. Sacchar.
95,0) zu 3—4 Theelöffeln täglich, oder auch in Pulvern und
Tabletten, 3 — 4 mal täglich 0,5 angewendet wurde. Die Erfolge
halten sich in den Grenzen der durch Kreosot überhaupt erreich¬
baren, doch besitzt das Thiocol dem Kreosot bezw. Guajakol gegen¬
über unbedingte Vorzüge, vor allem den der Geruchlosigkeit und
des Fehlens i on Nebenwirkr \gen. Appetit und Körpergewicht
nahmen fast ausnahmslos ras h und auffallend zu, auf Nacht-
schweisse, sowie auf Husten un Auswurf war ein günstiger Ein¬
fluss unverkennbar. Gegen q. -ilenden Husten wird auf der
Hallenser Klinik Codein und Di inin gegeben, letzteres in Dosen
von 0,03, am besten in Lösung (1 ionin 0,6 : Aq. dest. 100,0, Abends
1 Theelöffel). (Deutsche Aerzte tg. 1902, Januar.) — Auch Vogt-
Genf hat nach einem Vortrag in der Societö de therapeutique zu
Paris mit Thiocol sehr r xnstige Resultate gehabt. Er gab
Pulver von 0,5 Thiocol, 4 m: . täglich, 2 Monate hindurch. Auch
hier wurde niemals über das Mittel geklagt, Naclitschweisse,
Husten und Auswmrf nahmen ab, die physikalischen Erschei¬
nungen besserten sich, Appetit und Körpergewicht nahmen zu, so
dass Vogt dem Mittel eine grosse Zukunft bei der Behandlung
beginnender Tuberkulose und zur Bekämpfung der Krankheits¬
disposition. voraussagt. (Bull, gener. de Thörapeutique 1902,
No. 1.) R. S.
Als neues Ersatzmittel für Salicyl wird von den Vereinigten
chemischen Fabriken Z i m m e r & C o m p. in Frankfurt a/M. das
R h e u i a t i n (salicylsaures Salicylchinin) in den Handel ge¬
bracht. Dasselbe ist ein weisses, in Wasser schwer lösliches, voll¬
kommen gesehmac .loses Pulver, welches dem Aspirin gegenüber
den Vorteil hat, dass es auch bei längerer Anwendung in mittleren
Dosen, 4 g pro die, keine Nebenwirkungen macht, indem weder
Ohrensausen noch Magenbeschwerden noch auch Schweissbildung
eintraten. P i e p e r - Lüdinghausen empfiehlt, das Rheumatin
Nachmittags in einstündigen Intervallen zu geben und dazu sehr
viel kühlendes Getränk, aber keine festen Speisen nehmen zu
lassen. Die Erfolge bei akutem und chronischem Rheumatismus,
sowie auch bei Trigeminusneuralgien, waren so eklatant, dass
weitere Versuche angezeigt erscheinen. Leider ist der Preis des
Mittels ein hoher. (Therapie der Gegenwart, Mai 1902.) R. S.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ii.n chen, 15. Juli 1902.
— Der Konflikt zwischen dem Senat der Universität Würzburg
und dem Kultusminister Dr. v. L a n d in ann hat rascher,
als man zu hoffen gewagt hatte, durch die vorläufige Beurlaubung
des M inisters, welcher der endgültige Abgang wohl bald folgen dürfte,
den glücklichsten Abschluss gefunden. In akademischen Kreisen
und bei allen, denen das Gedeihen unserer Hochschulen am Herzen
liegt, empfindet man das Scheiden Dr. v. L a n dmanne als eine
Erlösung.
— Mit entgegengesetzten Empfindungen begleiten wir den
Abgang eines anderen hohen bayerischen Staatsbeamten von
seinem Posten, des Herrn Regierungspräsidenten
v. Auer, der nach vollendetem 70. Lebensjahre in den Ruhestand
getreten ist. Exz. v. Auer hat bei den vielen Beziehungen, in
welche sein hohes Amt ihn zu den oberbayerischen Aerzten
brachte, diesen stets freundliches Wohlwollen und eingehendes
Verständnis für ihre Angelegenheiten entgegengebracht. Besonders
dankbar erinnern wir uns an sein objektives und erfolgreiches
Eingreifen in den Streit der Münchener Aerzte mit der Orts¬
krankenkasse IV'. Die Vorstandschaft des ärztlichen Bezirks¬
vereins München hat darum auch dem jetzt scheidenden Herrn bei
seinem 70. Geburtstage die besonderen Glückwünsche und den
Dank der Aerzte ausgesprochen.
— Der preussische Medizinalminister hat unterm 28. v. Mts.
folgenden Erlass, betreffend die Beaufsichtigung der
Kurpfuscherei, an sämtliche Regierungspräsidenten und an
den Berliner Polizeipräsidenten ergehen lassen: Die Vorschrift des
§ 46 der Dienstanweisung für die Kreisärzte vom 23. März 1901
(Min.-Bl. f. Medizinal- u. s. w. Angelegenheiten, S. 13) legt dem
Kreisärzte die Verpflichtung auf, sein besonderes Augenmerk auf
diejenigen Personen zu richten, welche, ohne approbiert zu sein,
die Heilkunde gewerbsmässig ausüben, und über sie unter Bei¬
hilfe der Ortspolizeibehörden und der Aerzte des Bezirkes ein Ver¬
zeichnis zu führen, welches Mitteilungen über Vorleben, Beruf,
Heilmethoden und etwaige Bestrafungen enthält. Zur Sicherung
der Ausführung der vorstehenden Bestimmung erscheint die all¬
gemeine Einführung der Meldepflicht der nicht
approbierten Heilpersonen angezeigt. Da die Anzeige.
Pflicht aus § 14 der Reichsgewerbeordnung zufolge der Vorschrift
im § 6. Abs. 1 daselbst auf die Ausübung der Heilkunde keine
Anwendung findet, empfiehlt es sich, die Meldepflicht im Polizei¬
verordnungswege zur Einführung zu bringen. Mit Rücksicht auf
die empfindlichen Schädigungen, welche dem Publikum durch das
Treiben der Kurpfuscher an Gesundheit und Vermögen vielfach
zugefügt werden, ist es weiter angebracht, der marktschreierischen
öffentlichen Anpreisung der Berufstätigkeit
d e r Iv u r p f u s c li e r in gleicher Weise entgegenzutreten. Ich
ersuche hiernach ergebenst, für den dortseitigen Bezirk eine
Polizeiverordnung nachstehenden Inhalts zu erlassen bezw. etwa
bereits bestehende Polizeiverordnungen entsprechend abzuändern:
,.l. Personen, welche, ohne approbiert zu sein, die Heilkunde
gewerbsmässig ausüben wollen, haben dies vor Beginn des Ge¬
werbebetriebs demjenigen Kreisärzte, in dessen Amtsbezirk der
Ort der Niederlassung liegt, unter Angabe ihrer Wohnung zu
zu melden und gleichzeitig demselben die erforderlichen Notizen
über ihre Personalverhältnisse anzugeben. Personen, welche be¬
reits zurzeit die Heilkunde ausüben, haben die vorbezeichnete
Meldung und Angabe binnen 14 Tagen nach dem Inkrafttreten
dieser Polizeiverordnung zu bewirken.
2. Die in No. 1 bezeiehneten Personen haben dem zuständigen
Kreisärzte auch einen Wohnungswechsel innerhalb 14 Tagen nach
dem Eintritt desselben, sowie die Aufgabe der Ausübung der Heil¬
kunde und den Wegzug aus dem Bezirke zu melden.
3. Oeffentliclie Anzeigen von nicht approbierten Personen,
welche die Heilkunde gewerbsmässig ausüben, sind verboten, so¬
fern sie über Vorbildung, Befähigung oder Erfolge dieser Per¬
sonen zu täuschen geeignet sind oder prahlerische Versprechungen
enthalten.
4. Die öffentliche Ankündigung von Gegenständen, Vorrich¬
tungen. Methoden oder Mitteln, welche zur Verhütung, Linderung
oder Heilung von Menschen- oder Tierkrankheiten bestimmt sind,
ist verboten, wenn
a) den Gegenständen, Vorrichtungen, Methoden oder Mitteln
besondere, über ihren wahren Wert hinausgehende Wirkungen
beigelegt werden oder das Publikum durch die Art ihrer An¬
preisung irregeführt oder belästigt wird, oder wenn
b) die Gegenstände, Vorrichtungen. Methoden oder Mittel
ihrer Beschaffenheit nach geeignet sind, Gesundheitsbeschädi¬
gungen hervorzurufen.
5. Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Vorschriften
werden, soweit in den bestehenden Gesetzen nicht eine höhere
Strafe vorgesehen ist, mit Geldstrafe bis zu 60 M. oder mit ent¬
sprechender Haft bestraft.“
Ueber die Ausführung des vorstehenden Erlasses will ich
einem Berichte nach 3 Monaten, sowie der gleichzeitigen Ein¬
reichung eines Exemplars der Nummer des Amtsblattes, in wel¬
cher die Polizeiverordnung veröffentlicht ist, entgegensehen.
gez. : S t u d t.
Dieser Erlass dürfte sich als ein wirksames Hilfsmittel zur
Bekämpfung der schlimmsten Auswüchse der Kurpfuscherei er¬
weisen; er antezipiert, zunächst für Preussen, die soeben vom
Deutschen Aerztetage gefassten, die Kurpfuscherei betreffenden
Beschlüsse in ihren wichtigsten Punkten. Zu wünschen wäre, dass
ähnliche Verordnungen baldigst auch in den übrigen Bundes¬
staaten erlassen würden. Zu beanstanden ist nur der Ausdruck
„nicht approbierte Heilpersonen“ und ..Personen, welche, ohne ap¬
probiert zu sein, die Heilkunde ausüben“. Die Unterscheidung
zwischen approbierten und nicht approbierten „Heilpersonen“ wäre
bedenklich; die „Heilkunde“ setzt Kenntnisse voraus, welche nur
durch eingehendes Studium erworben werden können. Der tech¬
nische Ausdruck für Personen, welche, ohne approbiert zu sein,
Kranke behandeln, ist Iv u r p fusche r, und diese Bezeich¬
nung sollte auch in der Polizeiverordnung ohne weiteres auf diese
Personen angewendet werden.
— Das Ministerialblatt für Medizinal- und medizinische Unter¬
richtsangelegenheiten veröffentlicht in No. 7 dieses Jahres die
Allerhöchste Verordnung über die Ehrengerichte der Sa¬
nitätsoffiziere im preussischen Heere vom 9. April
1901.
— In Nürnberg wurde am 12. .1 uli eine „Fränkische Ge¬
sellschaft für Geburtshilfe und Frauen lieil-
k u n d e“ gegründet mit dem Zwecke der Förderung dieser beiden
Wissenschaften, besonders auch unter den praktischen Aerzten.
Die beabsichtigten 4 Sitzungen im Jahre sollen alternierend in
15. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1207
Würzburg, Erlangen, Nürnberg und Bamberg stattfinden. I. Vor¬
sitzender ist Hofmeier - Würzburg, II. Vorsitzender tlessner-
Erlangen und als Schriftführer ist gewählt F 1 a t a u - Nürnberg.
_ Dem Stabsarzt Dr. Ernst M a r x, wissenschaftlichen Mit-
gliede am Institut für experimentelle Therapie zu Frankfurt a. M.,
ist das Prädikat „Professor“ beigelegt worden.
— Der k. württembergische Professor Dr. Theodor Paul ist
zum Direktor im Gesundheitsamte unter Beilegung des Charakters
als Geheimer Regierungsrat ernannt worden.
— Pest. Grossbritannien. Der Dampfer „City of Perth“,
welcher in Dünkirchen 2 Mann seiner Besatzung am 11. Juni an
Pest verloren und dort am 13. Juni noch eine dritte Erkrankung
an Bord aufzuweisen hatte, ist am 18. Juni an der Themsemündung
mit einem Kranken angelangt. Das Schiff wurde desinfiziert, der
Kranke dem Hafenhospital zu Üenton überwiesen, wo er Tags
darauf verstarb; seine Krankheit ist bakteriologisch als Pest fest¬
gestellt worden. Der Dampfer hatte am 2. Mai Kalkutta ver¬
lassen, Colombo am 10., Suez am 20., Port Said am 27. und Malta
am 31. Mai berührt. Am 5. Juni hatte der erste, am 7. der zweite
Krankheitsfall begonnen. — Türkei. In Stambul und Galata je
1 Pestfall. — Aegypten. Vom 20. bis 26. Juni 6 Erkrankungen
(und 5 Sterbefälle) an der Pest. V. d. K. G.-A.
— Pocken. Grossbritannien. Vom 17. (24.) bis einschl.
23. (30.) Juni wurden in London nebst Vorstädten 111 (94) neue
Pockenfälle nachgewiesen. Die Zahl der Kranken in den Lon¬
doner Pockenspitälern belief sich am 30. Juni Abends auf 814,
d. i. 414 weniger als am 2. Juni.
— In der 26. Jahreswoche, vom 22. — 28. Juni 1902, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Bamberg mit 37,7, die geringste Solingen mit 6,7 Todesfällen pro
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Diphtherie und Krupp in Hamburg.
— Zu dem auf dem Umschlag der No. 26 veröffentlichten
Programm der Herbstferienkurse in München ist
nachzutragen, dass Herr Privatdozent Dr. D ii r c k einen bakterio¬
logischen Kurs abhalten wird. Näheres siehe auf dem Umschläge
der vorigen Nummer.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Ernannt wurden der ordentliche Professor Ge¬
heimer Medizinalrat Dr. med. Heubner zum ordentlichen Mit-
gliede, sowie die Professoren Dr. Fritz Strassmann und
Dr. Thier felder zu ständigen Hilfsarbeitern bei der König¬
lichen Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen.
Breslau. An der medizinischen Fakultät der Universität
Breslau hat diese Woche der Fortbildungskursus für Aerzte be¬
gonnen. Zur Teilnahme eingetragen haben sich 106 Aerzte und
zwar 70 aus Schlesien, 14 aus dem übrigen Deutschland und 22
aus dem Ausland (Schweden, Dänemark, Holland, Oesterreich,
Russland). — Wie aus Braunschweig gemeldet wird, hat Medi¬
zinalrat Prof. Dr. Heinrich B e k u r t s, Rektor der technischen
Hochschule daselbst, die Berufung als Direktor des pharmazeu¬
tischen Instituts der Universität Breslau an Stelle des verstorbenen
Geheimrat Poleck abgelehnt.
Heidelberg. Prof. Dr. A. Edler v. Rosthorn aus
Graz hat den Ruf als Nachfolger des Herrn Geh. Rat Dr. Kehrer
angenommen.
Kiel. Dr. med. et phil. R. O. N e u m a n n, 1. Assistent am
hygienischen Institut, habilitierte sich mit einer Probevorlesung
über „die Morphologie der Bakterien“. Seine Habilitationsschrift
handelt über „experimentelle Beiträge zur Lehre von dem täg¬
lichen Nahrungsbedarf des Menschen, mit besonderer Berück¬
sichtigung der notwendigen Eiweissmenge“.
München. Der ordentliche Professor der Anatomie an der
k. Universität München und II. Konservator der anatomischen An¬
stalt des Staates Dr. Johannes Rückert wurde zum I. Konser¬
vator der anatomischen Anstalt des Staates ernannt; der ausser¬
ordentliche Professor an der k. Universität München Dr. Siegfried
Mollier zum ordentlichen Professor der Anatomie, insbesondere
der Histologie und Entwicklungsgeschichte in der medizinischen
Fakultät der k. Universität München und zum II. Konser¬
vator der anatomischen Anstalt des Staates ernannt. (Hiermit
wird endlich nach langer Vakanz, der durch den Rücktritt
v. Iv u p f f e r s erledigte Lehrstuhl besetzt. Von der Fakultät war
an erster Stelle Prof. Bonnet - Greifswald vorgeschlagen; ausser¬
dem standen Prof. Rabl- Prag und Prof. Mollier- München
auf der Liste. Die Ernennung dürfte der letzte Akt des jetzt ab¬
getretenen Ministers v. Lan d mann gewesen sein. )
Wien. An der medizinischen Fakultät wurde Dr. Arnold
I) u r i g als Dozent für Physiologie und Dr. Heinrich Winter¬
berg als Dozent für allgemeine uud experimentelle Pathologie zu¬
gelassen.
(Todesfälle.)
Gestorben ist im 77. Lebensjahre Dr. Richard Förster,
Geh. Medizinalrat, ordentlicher Professor der Augenheilkunde
an der Universität Breslau. 1857 als Privatdozent habilitiert, 1873
ordentlicher Professor, hat er bis ins 70. Lebensjahr seine Lehr¬
tätigkeit ausschliesslich der Breslauer Alma mater gewidmet. Mit
ihm stirbt ein hervorragender Ophthalmologe und Lehrer. Ein
ausführlicher Nekrolog folgt.
(Berichtigung.) In No. 26, S. 1110, Sp. 1, soll der Titel der
Arbeit von Cohn- Halle lauten: Untersuchungen über eine neue
tierpathologische Hefeart (Hefe Klei n).
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse Dr. Ludwig Schoepp-
n e r in St.idtsleinacli t\ urde, seiner Bitte entsprechend, in gleicher
Eigenschaft nach Friedberg versetzt.
Verzogen: Dr. Max K a h r e n k e, prakt. Arzt von Königstein
(Oberpfalz) nach Alpirsbach (Württemberg).
Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee
für den Monat Mai 1902.
Iststärke des Heeres;
68 231 Mann, — Invaliden, 200 Kadetten, 150 Unteroff. -Vorschüler
1. Bestand waren am
30. April 1902:
Mann
Invali¬
den
Kadetten
Unter-
offiz.-
Vor-
schüler
2011
—
1
2
2. Zugang : j
im Lazarelh :
im Revier:
in Summa:
1215
3588
4803
—
7
7
16
16
Im Ganzen sind behandelt:
°/oo der Iststärke :
6814
99,9
_
8
40,0
18
120,0
3. Abgang : ■
dienstfähig;
°/oo der Erkrankten :
gestorben :
°/oo der Erkrankten ;
invalide :
dienstunbrauchbar :
anderweitig :
. in Summa :
4807
705,4
13
1,9
31
39
258
5148
—
4
500,0
1
5
11
611,1
11
4. Bestand
bleiben am
31. Mai 1902:
in Summa:
°/oo der Iststärke :
davon im Lazareth :
davon im Revier:
1666
24,4
1103
563
—
3
15,0
1
2
7
46,7
7
Von den in Ziffer 3 auf geführten Gestorbenen haben gelitten:
1 an Diphtherie, 1 an Rose (kompliziert mit eitriger Hirnhautent¬
zündung), 2 an Lungentuberkulose, 1 an kruppöser Lungenent¬
zündung, 1 an Brustfellentzündung, 1 an Darmverschlingung, 3 an
Blinddarmentzündung (davon 2 kompliziert mit allgemeiner Bauch¬
fellentzündung), 2 an Nierenentzündung, 1 an Gehirnabszess' und
eiteriger Hirnhautentzündung nach Schussverletzung des Halses
und Kopfes (Selbstmordversuch).
Ausserdem endeten noch 3 Mann durch Selbstmord (2 durch
Erschiessen, 1 durch Erhängen).
Der Gesamtverlust der Armee durch Tod betrug demnach im
Monat Mai 16 Mann.
Korrespondenz.
Vorschriften zur sparsamen Verordnung für Krankenkassen.
In No. 25 der Münch, med. Wochenschr. vom 24. Juni 1902
bespricht Herr A. Frankenburger einen Artikel aus No. 86
der südd. Apothekerzeitung vom 25. Oktober 1901 und behauptet,
es hätte den „grossen“ Unwillen des Herrn Apotheker C. Bedall
in München erregt, dass den Nürnberger Apothekern die Pflicht
auf erlegt wurde, Verordnungen von Spezialitäten, Patentmedizinen
und neuen wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten chemisch¬
pharmazeutischen Präparaten für Krankenkassen zurückzuweisen.
Diese Behauptung ist nach keiner Richtung begründet; weder
in dem angeführten Artikel No. 86 der südd. Apothekerzeitung,
noch in einem weiteren Artikel in No. 22 des gleichen Blattes, den
Herr A. Frankenburger offenbar übersehen hat, habe ich
eine derartige Vereinbarung bemängelt, und muss deshalb auch den
Schlussatz der Entschliessung der k. Regierung von Mittelfranken
vom 22. Januar 1902 als auf irrtümlicher Voraussetzung beruhend
bezeichnen.
Die auf Grund eingelaufener Klagen an das k. Staatsministe¬
rium gerichtete Beschwerde wendet sich vielmehr gegen die im
fraglichen Artikel gesperrt gedruckten Konditionalsätze des magi¬
stratischen Rundschreibens, nach welchen die Verordnungen der
im deutschen Arzneibuch aufgenommenen Arzneimittel nur
dann vom Apotheker angefertigt werden sollten, soweit die
Rezeptur sich an die allgemeinen Bestimmungen
der neuen Verordnungslehre hält, und soweit
die Herstellungskosten im Allgemeinen nicht
wesentlich höher, als die in den Vorschriften
aufgeführten Rezepturen sich stellen.
Nach diesen allgemeinen Bestimmungen für die Gemeinde¬
krankenkasse Nürnberg sind (Seite 6) Infuse, Dekokte, Mazera¬
tionen, Emulsionen, Saturationen (soweit sie nicht in den Magistral-
formeln vorgesehen sind) möglichst zu vermeiden, ebenso Salz¬
lösungen und Extrakte in einer Lösung, (Seite 8) Suppositorien,
Globuli, Bazilli nur soweit im Handverkauf befindlich zu ver¬
wenden, (Seite 8) Adeps Lanae als Salbengrundlage zu vermeiden.
(Seite 11) Für alle aus Nichtbeachtung der Vorschriften her¬
vorgehenden Schädigungen der Kasse können die Aerzte und die
Apotheker haftbar gemacht werden.
1208
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Dass eine solche Bestimmung jeder gesetzlichen Unterlage
entbehrt, ist auch von der k. Regierung von Mittelfranken nicht
bestritten worden. Ein Apotheker, der sich erlauben würde, etwa
die Anfertigung von Suppositorien mit Morphin zurückzuweisen,
würde vielmehr den Strafbestimmungen des § 367, Ziffer 5 des
Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich verfallen. Aus diesem
Grunde schon müsste die dem Apotheker zugemutete Kontrolle
lege artis verschriebener ärztlicher Rezepte abgelehnt werden.
Aufs Entschiedenste aber muss ich gegen den \ orwurf des
Herrn A. Frankenburger protestieren, als hätte ich in das
gute Einvernehmen zwischen den Nürnberger Aerzten und Apo¬
thekern einen Keil hineinzutreiben versucht. Dass mir an einem
guten Einvernehmen zwischen beiden Ständen sehr viel gelegen
ist, habe ich gerade in den letzten Jahren in Wort und Tat wieder¬
holt bewiesen. Dr- C. B e d a 1 1.
Morbiditätsstatistikd.lnfektionskrankheitenfiirMiinchen.
in der 26. Jahreswoche vom 22. bis 28. Juni 1902.
Beteiligte Aerzte 136. — Brechdurchfall 12 (18*), Diphtherie u-
Kroup 8 (6), Erysipelas 7 (8), Intermittens, Neuralgia mterm.
— (1). Kindbettfieber 3 ( — ), Meningitis cerebrospm. — (— )>
Morbilli 39 (35), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 1 (1), Parotitis
epidem. 3 (3), Pneumonia crouposa 6 (13), Pyämie, Septikämie
1 (1), Rheumatismus art. ac. 14 (18), Ruhr (Dysenteria) — (1),
Scarlatina 6 (6), Tussis convulsiva 44 (38), Typhus abdominalis 2
(1), Varicellen 12 (7), Variola, Variolois — (— ' ), Influenza 2 (3).
Summa 158 (157). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 26. Jahreswoche vom 22. bis 28. Juni 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen: Masern 4 (2*), Scharlach 2 (1) Diphtherie
u. Kroup 3 (2), Rotlauf 2 (-), Kindbettfieber 2 (— ), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 3 (— ), Brechdurchfall 2 (4), Unterleib-Typhus -
(— ), Keuchhusten 5 (1), ICroupöse Lur genentzünd ung 5 (I), Tuber¬
kulose a) der Lunge 32 (34), b) der übrigen Organe 10 (9), Akuter
Gelenkrheumatismus — (— ), Andere übertragbare Krankheiten
— (2), Unglücksfälle 3 (1), Selbstmord 3 (2), Tod durch fremde
Hand 1 (1).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 193 (215), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 19,8 (22,1), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 14,3 (13.5).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten in Bayern : April ') und Mai 1902.
Regierungs¬
bezirke
bezw.
Städte mit
über 30,000
Ein¬
wohnern
Oberbayern
Niederbay.
Pfalz
Oberpfalz
Oberfrank.
Mittelfrank.
Unterfrank.
Schwaben
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Bamberg
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35
21
6
12
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4
38
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68
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20
59
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57
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11
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19
11
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1
14
5-
—
90
24
Bevölkerungsziffern: Oberbayern 1'323,888, Niederbayern 678,192,
Pfalz 831,678, Oberpfalz 553,841, Oberfranken 608,116, Mittelfranken 815,895, Unter-
franken 650,766, Schwaben 713,681. - Augsburg 89,170, Bamberg 41,823, Hof 32,781,
Kaiserslautern 48,310, Ludwigshafen 61,914, München 499,932, Nürnberg 261,081,
Pirmasens 30,195, Regensburg 45,429, Würzburg 75,499
Einsendungen fehlen aus den Aemtern Bogen, Grafenau, Wegscheid. Sulz¬
bach, Fürth, Gunzenhausen, Neustadt a./A., Hofheim, Königshofen, Mellrichstadt,
Kempten und Oberdorf. . . . . .
Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet
aus folgenden Aemtern bezw. Orten:
Diphtherie, Croup: Epidemie in Bruchweiler (Pirmasens) — 20 beh.
Fälle; auch in der Stadt Pirmasens wieder 21 beh. Fälle.
Influenza: Zunahme der Erkrankungen in den Amtsbezirken Hersbruck
— 64 beh Fälle und Donauwörth; häufige Erkrankungen besonders unter Kin¬
dern im Amte Garmisch mit zum Theil heftigen bronchitischen und pneumoni¬
schen Erscheinungen — 46 beh. Fälle und in der ersten Hälfte des Monats im
ärztl Bezirke Schöll krippen (Alzenau). Stadt Erlangen 28, Aemter Altotting 26,
Zweibrücken 41, Amberg 35, ärztl. Bezirk Lauingen (Dillingen) 47 beh. Fälle.
Morbilli’ Fortsetzung der Epidemien in den Amtsbezirken Frankenthal
(noch in Lambsheim), Landau i. Pf. in Frankweiler und Edesheim), Ludwigshafen
(in Oguersheim häufig Bronchopneumonie als Nachkrankheit), Stadtsteinach (in
den Gemeinden’ Grafengehaig und Eppenreuth mit vielen Komplikationen, weitere
Ausdehnung auf 5 Gemeinden; gutartig in Stadtsteinach, hier und in 3 weiteren
Gemeinden Schulschluss), Schwabach (in Schwabach und Umgebung), Weissen-
burg (in Kattenhochstatt und Holzingen, hier Schulschluss), Ebern (seit April
im südwestl und südö«tl. Theile des Bezirkes), Kitzingen (in Mainstockheim,
Biebergau und Martinsheim, hier neben Varicellen, 31 beh. Fälle), Neustadt
a./S. (Schulschluss in Sondernau), Schweinfurt (68 beh. Fälle, davon 50 in
Schweinfurt) und Memmingen (in 5 Orten, 52 beh. Fälle); Abnahme im Amte
Feuchtwangen (25 beh. Fälle). Epidemisches Auftreten ferner in den Bezirken
Erding (neben Tussis in Erding und Gemeinde Altenerding, 30 beh. Fälle), Mün¬
chen II (in der Kinderbewahranstalt Gauting, 33 beh. Fälle), Germersheim (in
Hatzenbühl) Forchheim (Schulschluss in Gosberg und Pinzberg, 70 beh Fälle),
Staffelstein (in Busendorf, Birkach und Lahm), Scheinfeld (im ärztl. Bezirke Ip-
hofen 42 beh Fälle), Alzenau (gegen Ende des Monats heftig im ärztl Bezirke
Schöllkrippen), Gerolzhofen (in Rehweiler und Obereisenheim, hier Schulschluss),
Neuburg a /D fln Neuburg und Heinrichsheim neben Tussis, 40 beh. Fälle), Neu-
Uim (Schulschluss in Emershofen, über die Hälfte der Schulkinder krank), Sont¬
hofen (in mehreren Orten, 5 Schulen geschlossen) und Wertingen (in Riedsend
und Wengen). Stadt Erlangen 27, Stadt- und Landbezirk Lindau 28, Aemter
Zweibrückeu 22, Neustadt a /WN. 23, Wunsiedel 30, Hassfurt 37 beh. Fälle.
Rubeolae: Leichte Epidemie in Haag (Wasserburg), mehrere Erkrank¬
ungen in Dittelbrunn (Schweinfurt) ; Stadt Nürnberg 72 beh. Fälle.
Parotitis epidemica: Häufige Erkrankungen (neben Varicellen) in
Burgbausen (Altötting), 22 beh. Fälle; Epidemie in Grünstadt (Frankenthal), in
Wiesentheid (Gerolzhofen) seit Mitte des Monats, langsame Ausbreitung, 33 beh.
Fälle und in Heigenbrücken (Aschaffenburg), 51 beh. Fälle.
Pneumonia crouposa: Stadt- und Landbezirke Bayieuth34, F°rcbhe’“
86, Kitzingen 30, Aemter Kusel 41, Zweibrücken 36 Amberg und Lichten i Ms je
32, Wunsiedel und Feuchtwangen je 30, Schweinfurt 38, Wertingen 31 beh. lalle,
8 beh. Fälle im Dorfe Neuhofen (Ludwigshafen), davon 7 bei Kindern von 3 bis
0 Jahren), 3 Fälle in einem Hause im Amte Viechtach.
Ruhr, dysenteria: 6 Fälle im ärztl. Bezirke Schönbrunn (Dachau).
Scarlatina: Epidemisches Auftreten in Böllenborn (Bergzabern); Stadt-
und Landbezirk Nördlingen 12, Bez -Amt Amberg 10 beh. Fälle.
Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemien in den Amtsbezirken
Erding (in Erding und Allenerding neben Morbillis, 36 beh. Fälle), Landau a./i.
(im ärztl. Bezirke Eichendorf)), Bergzabern (in den Gemeinden Ingenheim, Kaps¬
weyer und Steinfeld), Landau i /Pf. (neuerdings in Offenbach), Ludwigshafen
(in Böhl, 34 beh. Fälle). Neustadt a /H. (in Gimmeldingen Meckenheim und
Geinsheim), Füssen (in Lechbruck und Pfronten) und Neuburg a./D. (in Neu¬
burg und Heinrichsheim, neben Morbillis); epidemisches Auftreten ferner in
den Aemtern Garmisch (in Eschenlohe und Schwaigen), Griesbach (in rascner
Ausbreitung im Bezirke), Germersheim (in Rülzheim), Kusel Frf!lkelbil/J
und Kaulbach), Neustadt a./S. (in Rödelmaier und Dürrnhof) und Wertingen (in
Affaltern, Langenreichen und Markt). S
Typhus abdomi'nalis: Aemter Landau i./Pf. 5, Zweibrücken 4 beh.
Fäll© _
Varicellen: Gehäufte Erkrankungen in den Aemtern Altötting (in Burg¬
hausen neben Parotitis), 15 beh. Fälle, Tirschenreuth (in Mitterteich und V\ iesau.K
Kissingen (im ärztl. Bezirke Münnerstadt) und Kitzingen (in Martinsheim neb„n
Aus dem Bezirke Viechtach wird ferner gehäuftes Auftreten lange an¬
dauernder Diarrhoen gemeldet; ärztliche Hilfe dagegen nicht beansprucht.
Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird um
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den
monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von feni-
anzeigen ersucht, womöglich unter anmerkungsweiser Mittheilung von Epi¬
demien. Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wunschenswerin,
dass Fälle aus sog. Grenz praxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen
Amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern
mitgetheilt werden.
Meldekarten nebst Umschlägen zur portofreien Einsendung an aas
K. Statistische Bureau sind durch die k. Bezirksärzte zu erhalten. Diese Karten
dienen ebenso zu sog. S ammeikarte n , welch’ letztere zur Vermeidung ton
Verzögerungen ohne Rücksicht auf etwa ausständige Anzeigen gieicn-
falls bis längstens 20. jeden folgenden Monats einzusenden wären. Allen tau
später eingekommene Meldungen wollen auf der nächstfolgenden Ka.ru a‘
Nachträge gekennzeichnet, aufgenommen werden. Noch in Hanaen De-
findliche sog. Postkarten wären aufzubrauehen, jedoch durch Angabe ue
behandeltenlnfluenzafäll e zu ergänzen und gleichfalls unter Umschlag ei¬
zusenden. — Sog. Zählblättchen dagegen werden vom k. Statistischen Bureau
weder beschafft noch versendet.
i) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 24) eingelaufener Nachträge. - *) Im Monat April 1902 einschliesslich der Nach
träge 1255. — 8) 14. mit 18. bezw. 19. mit 22. Jahreswoche. . _ _____
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
MÜNCHENER
Die Münch Med. Wochenheim erscheint wftrhentl.
ln Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen.
Preis in Deutschi, u Oest.-Ungarn vierteljährl. 6 M.,
ins Ausland 8. — Ji. Einzelne No. 80 *}.
Zusendungen 'ihd zu adressiren : Für die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
0. v. Ängerer, Ch. Bäumler, 0. Bollinger,
München. Freiburg i. B. München.
No. 29. 22. Juli 1902.
H. Cursctaann,
Leipzig.
Herausgegeben von
C, Gerhardt, W. v. Leube, G, Merkel, J. v. Michel, F. Penzoldt, II. v. Ranke, F. v. Winckel,
Berlin. Würzburg. Nürnberg Berlin Erlangen. München. München.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstraese 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus der Universitätspoliklinik für Ohrenkranke in Marburg.
Die Bedeutung der tuberkulösen Belastung für die
Entstehung von Ohrenkrankheiten bei Kindern.*)
Von Professor Ostmann in Marburg a. L.
Die Untersuchung sämtlicher Volksschulkinder des Kreises
Marburg auf Krankheiten des Gehörorgans hat mir ein hin¬
reichend grosses Material an die Hand gegeben zur Prüfung der
Frage, ob bezw. wie weit der tuberkulösen Belastung eine Be¬
deutung für die Entstehung von Ohrenkrankheiten bei Kindern
zukommt.
Es wurden bei den Schuluntersuchungen 7537 Kinder im
Alter von 5 — 13 Jahren untersucht; von diesen wurden 2142
— 28,4 Proz. ohrenkrank befunden.
Vielfache Mitteilungen über die gesundheitlichen Verhält¬
nisse der Eamilien der ohrenkranken Kinder legten die Ver¬
mutung nahe, dass möglicherweise die in Oberhessen unter der
ländlichen Bevölkerung so ausserordentlich häufig auftretende
Tuberkulose nicht ohne Einfluss auf das gehäufte Vorkommen
von Ohrenkrankheiten unter den Volksschulkindern war.
Um einen möglichst sicheren Anhalt für die Entscheidung
dieser Frage zu gewinnen, wurden für die den Dorfschulen an¬
gehörenden 1679 schwerhörigen Kinder Fragebogen ausgesandt,
durch welche festgestellt werden sollte:
1. Ob unter den nächsten Blutsverwandten — Grosseltern,
Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten — der ohrenkranken
Kinder Todesfälle an Schwindsucht vorgekommen waren;
2. die Eamilienzugehürigkeit der Kinder, sowie die Zahl
ihrer nicht mehr oder noch nicht schulpflichtigen Geschwister.
Die Ergebnisse einer solchen Statistik werden aus mehr¬
fachen Gründen stets unter einer gewissen Unsicherheit leiden,
selbst wenn, wie dies der Fall war, die Lehrer in dankens¬
wertester Weise sich in den Dienst der Sache stellten.
Dies zeigte auch deutlich die Durchsicht der ausgefüllten
1679 Fragebogen, aus denen aber doch soviel hervorging, dass
es sich verlohnte, in engerem Bezirk der bedeutungsvollen Frage
näher zu treten.
Von den 69 Schulorten, in die die Fragebogen gesandt waren,
Hessen sich dieselben von 21 Orten mit einiger Sicherheit inso¬
weit benutzen, dass festgestellt werden konnte, wie viele von den
schwerhörigen Kindern tuberkulösen und wie viele nicht tuber¬
kulösen Familien zugehörten.
Es ergab sich, dass 190 schwerhörige Kinder zu 131 tuber¬
kulösen Familien und 196 schwerhörige Kinder zu 149 nicht
tuberkulösen Familien gehörten, somit prozentuarisch eine etwas
grössere Zahl von schwerhörigen Kindern auf die tuberkulösen
Familien entfiel.
Des weiteren ergab sich für beide Gruppen dieser schwer
hörigen Kinder aus den Untersuchungslisten, dass von dex ei
steren Gruppe 43, von der letzteren nur 33 gewohnheitsmässige
Mundatmer waren.
*) Weitere Ausführung meiner Mitteilung im Arch. f. Oliren-
heilk., Bd. 55.
No. 29.
Diese Erhebungsresultate erschienen mir aber im grossen
ganzen doch zu unsicher, um auf so breiter Basis weiter fort-
bauen zu dürfen; ich habe deshalb die weitei'en Erhebungen und
Untersuchungen auf 8, räumlich z. T. weit voneinander entfernte
Landgemeinden beschränkt, in denen ich Lehrer wusste, die ein
volles Intcrc . und Verständnis für die angeregte Frage hatten
und durch i 1. : meist langjährige Tätigkeit in den Dörfern mit
den familiären Verhältnissen der Dorfbewohner gut vertraut
waren.
Allo nachstehenden Ausführungen beziehen sich somit allein
auf die 8 Landge meinden : Wollmar, Weitershausen, Michelbaoh,
Amoenau, Bürg ln, Nicdeiuvetter, Wenkbach und Roth.
Für diese wurden sämtliche Kinder, normalhörende wie
schwerhörig?, nach ihrer Familienzugehörigkeit gruppiert und
für jede ehr Familien festgestellt, ob im zuvor ausgeführten
Sinne tuberkulöse Belastung vorlag oder nicht.
Es wurden im ganzen 676 Kinder vom 5. — 13. Lebensjahr
untersucht, von denen 162 = 23,9 Proz. schwerhörig waren,
d. h. auf einem oder beiden Ohren nur auf etwa Vs der normalen
Entfernung hörten oder weniger.
Diese 676 Kinder gehörten 385 Familien an, welche ich in
3 Gruppen — a, b, c — einteile, und zwar umfasst Gruppe a
die Familien mit normalhörenden, Gruppe b diejenigen mit nor¬
malhörenden u n d schwerhörigen, Gruppe c diejenigen mit n u r
schwerhörigen Kindern.
Auf diese 3 Gruppen verteilen sich die Familien und Kinder
wie folgt :
Gruppe a . . . 251 Familien mit 404 normalhörenden Kin¬
dern ;
Gruppe b . . . 70 Familien mit 100 normalhörenden und
82 schwerhörigen Kindern;
Gruppe c . . . 64 Familien mit 80 schwerhörigen Kindern.
Unter den Familien waren tuberkulös belastet von:
Gruppe a ... 69 Familien = 25,8 Proz. mit 119 normal¬
hörenden Kindern-;
Gruppe b . . . 33 Familien = 49,5 Proz. mit 54 normal¬
hörenden und 37 schwerhörigen Kindern;
Gruppe c ... 41 Familien = 73,4 Proz. mit 52 schwer¬
hörigen Kindern.
Fine Gegenüberstellung der gesunden und tuberkulösen Fa¬
milien ergibt somit :
242 gesunde Familien hatten 414 Kinder, von denen 341
— 82,4 Proz. noimalliürend und 73 = 17,6 Proz.
schwerhöiflg waren;
dagegen hatten: # _ . „o
143 tuberkulöse Familien 262 Kinder, von denen lio
— 66,0 Proz. normalhörend und 89 = 34,0 Proz.
schwerhörig waren ; somit hatten die tubei-
kulÖsen Familien prozentuarisch dop¬
pelt so viel schwerhörige Kinder als
die gesunden Familien.
Wenn man nun die tuberkulösen und nicht tuberkulösen
Familien der Gruppen h und c, also die Familien mit sclxwer-
hörigexi Kindern, untereinander zum Vergleich stellt, so zeigt
sich auch dann noch deutlich die ungünstigere Stellung (1er tuber¬
kulösen.
1
121Ö
IviÜEN CHENER MEDlClNlSCSE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
Zu 74 tuberkulösen Familien der Gruppen b und c gehörten
143 Kinder, von diesen waren:
54 = 37,7 Proz. normalhörend; 89 = 62,3 Proz. schwer¬
hörig.
Dagegen gehörten zu :
60 gesunden Familien der Gruppen b und c 129 Kinder,
von denen 56 — - 43,4 Proz. normalhörend und 73
— 56,6 Proz. schwerhörig waren; somit hatten die
tuberkulösen Familien noch 5,7 Proz. mehr schwer¬
hörige Kinder.
Als weitere Folgerung ergibt sich aber aus der Zusammen¬
stellung der Familien in obige 3 Gruppen, dass unter den¬
jenigen Familien, welche die relativ meisten
schwerhörigen Kinder haben (Gruppe c), sich
auch relativ am häufigsten tuberkulöse Be¬
lastung der Kinder (i n 73,4 Pro z.) findet.
Diese Tatsache macht es an sich sehr wahrscheinlich, dass
zwischen der Tuberkulose der nächsten Blutsverwandten in auf¬
steigender Linie und den Ohrerkrankungen der diesen Familien
angehörenden Kinder ein, wenn auch nur indirekter, ursächlicher
Zusammenhang besteht.
Ist dies thatsächlich der Fall, so muss angenommen werden,
dass dieser Zusammenhang um so schärfer hervortritt, je näher
die verwandtschaftlichen Beziehungen des ohrenkranken Kindes
zu dem an Tuberkulose verstorbenen Familienmitglied© waren,
d. h. mit anderen Worten : es muss erwartet werden, dass bei
Tuberkulose der Eltern und Grosseltern eine stärkere Disposition
des Kindes zu Ohrerkrankungen hervortritt als bei der Tuberku¬
lose von Onkel, Tanten und Geschwistern.
In nachstehender Tabelle habe ich nach dieser Richtung das
Ergebniss der Erhebungen über die tuberkulös be¬
lasteten Familien mit schwerhörigen Kindern zusammen¬
gestellt ; demnach enthält die Tabelle einerseits die 33 tuberkulös
belasteten Familien der Gruppe b, andererseits die 41 tuberkulös
belasteten Familien der Gruppe c. Die 69 tuberkulös belasteten
Familien der Gruppe a scheiden naturgemäss aus, weil diese
Familien nur normalhörende Kinder hatten.
Tabelle I.
Gruppe b.
Zahl der
tuberkul.
Familien
Art der tuberkulösen Belastung bei .... Familien
durch Erkrankung von .... an Tuberkulose
Gross¬
eltern
Vater
Mutter
Onkel,
Tante
Ge¬
schwister
33
11
5
4
11
2
Proz. der
Familien
33,3
15,1
19,1
33,3
6,1
in 60,5 Proz. 39,5 Proz.
Belastg. in dir. Linie. Belastg. in Seitenlinie.
Gruppe c.
Zahl der
tuberkul.
Familien
Art der tuberkulösen Belastung bei .... Familien
durch Erkrankung von .... an Tuberkulose
Gross¬
eltern
Vater
Mutter
Onkel,
Tante
Ge¬
schwister
41
19
5
6
10
1
Proz. der
Familien
4*‘>,3
12,2
14,6
21,4
2,4
73,1 Proz, 26,9 Proz.
Belastg. in dir. Linie. Belastg. in Seitenlinie.
Die Tabelle bedarf keiner besonderen Erläuterung. Wir
folgern aus der Zusammenstellung:
Unter den tuberkulösen Familien findet
sich bei d e n j e n i g e n, welche die relativ g r ö s s t e
Zahl sch w e r h ü r i g e r K i n d er habe n, a uch rela¬
tiv am häufigsten die schwerste Form der
tuberkulösen Belastung des Iv i n d e s.
Die Schlussfolgerung, die wir aus der Annahme eines inneren
Zusammenhanges zwischen der Tuberkulose der nächsten Bluts¬
verwandten und den Ohrerkrankungen der ihnen zugehörigen
Kinder ableiten mussten, hat sich somit durch die Tatsachen
als richtig herausgestellt, wodurch umgekehrt auch die Richtig¬
keit der Annahme selbst wesentlich gestützt wird.
Wenn nun die tuberkulöse Belastung die Entstehung von
Ohrenkrankheiten bei den tuberkulös belasteten Kindern fördert,
so sollte man meinen, dass auch die einmal entstandene Erkran¬
kung durch die Belastung ungünstig beeinflusst wird, es somit
durchschnittlich zu einem höheren Grade der funktionellen
Störung des Gehörorgans kommt, als es bei gleichartigen Er¬
krankungen nicht belasteter Kinder gemeinhin der Fall ist.
Ich habe auch nach dieser Richtung das vorhandene Material
zusammengestellt.
Die tuberkulösen Familien der Gruppen b und c hatten 89
schwerhörige Kinder; bei diesen waren 118 Gehörorgane er¬
krankt, und zwar wurde festgestellt bei :
6 Gehörorganen Erkrankung des äusseren Ohres,
68
1
y
19
15
katarrhalische Erkrankung des Mittelohres,
akute Mittelohrentzündung,
chronische Kiterung,
Otitis med. cicatricia, d h. es wurden Narben und
andere Reste früherer Entzündungen gefunden,
Irpin krankhafter Trommelfellbefund.
Es waren somit im wesentlichen sämtliche Gruppen von
Veränderungen vertreten, die überhaupt bei den Schulunter¬
suchungen gefunden werden.
Die Hörprüfung dieser 118 Gehörorgane ergab für 39 der¬
selben eine Ilörschärfe von 0,4 m und für 79 derselben eine Iiör-
schärfe von 4 — 8 m für zugeflüsterte Zahlen von 1 — 100.
Stellt man dieses Ergebnis dem Gesamtergebnis der Hör¬
prüfungen bei den Schuluntersuchungen gegenüber, so ergibt
sich: Von den bei den Schuluntersuchungen insgesamt unter¬
suchten 15 074 Gehörorganen wurden 2922 schwerhörig befunden.
Von diesen 2922 Gehörorganen hörten: 26,4 Proz. 0 — 4 nt;
von den 118 Gehörorganen, welche den aus tuberkulös belasteten
Familien hervorgegangenen Kindern angehörten, hörten dagegen
33,0 Proz. C — 4 m; also 6,6 Proz. mehr waren von diesen erheblich
schwerhörig; während sich der Prozentsatz bei den massig
Schwerhörigen, also den zwischen 4 und 8 m Hörenden, um eben
diesen Prozentsatz verminderte.
Wenn die zum Vergleich gestellten Zahlen auch sehr ver¬
schieden gross sind, so dürfte doch auch hier die ungünstigere
Stellung der tuberkulös belasteten Kinder hinsichtlich der Rück¬
wirkung der verschiedensten Ohrerkrankungen auf die Schädi¬
gung der Hörfunktion nicht auf einer Zufälligkeit beruhen, und
es würde diese ungünstigere Stellung wahrscheinlich noch
schärfer hei vortreten, wenn in der Zahl 2922 der überhaupt
schwerhörig befundenen Gehörorgane nicht auch alle diejenigen
Gehörorgane mitinbegriffen wären, welche den aus tuberkulösen
Familien entstammenden Kindern angehören.
Es wird aber auch deshalb um so unwahrscheinlicher, dass
wir es hier mit einer Zufälligkeit zu tun haben, weil sich weiter
zeigen lässt, dass unter den tuberkulös belasteten schwerhörigen
Kindern unserer 8 Landgemeinden wieder die am schwersten
belasteten (Gruppe c) nicht allein die höchste Prozentzahl erheb¬
lich Schwerhöriger (38,0 Proz. 0 — 4 m Hörende der Gruppe c,
gegenüber 25,5 Proz. 0 — 4 m Hörende der Gruppe b) stellen, son¬
dern auch die relativ grössere Zahl erkrankter Gehörorgane
(69,6 Proz. gegenüber 61,8 Proz.). Dies wird durch die nach¬
stehenden Tabellen zahlenmässig erhärtet.
Tabelle II.
Gruppe b.
Zahl der
tuberkul.
Familien
Zahl der
schwerhör
Kdr. aus d.
tubk. Farn.
Zahl der
Gehör¬
organe
Von diesen
waren
erkrankt
Es hörten von den
erkrankt. 47 Gehör¬
organen
0—4 m | 4 — 8 m
33
38
76
47 =
61,8 Proz.
25,5 Proz
35 =
74,5 Proz.
22. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1211
Gruppe c.
Zahl der
tuberkul.
Familien
Zahl der
schwerhör
Kdr. aus d
tubk. Farn.
Zahl der
Gehör¬
organe
Von diesen
waren
erkrankt
Es hörten von den
erkrankt. 71 Gehör¬
organen
0—4 m | 4 — 8 m
41
51
102
71 =
69,6 Proz
27 =
38,0 Proz.
44 =
62,0 Proz.
Auch diese Tabelle spricht für sich selbst und bedarf keiner
besonderen Erläuterung. Wir ziehen aus ihr den Schluss:
„Die tuberkulöse Belastung fördert die
Entstehung und übt einen ungünstigen Ein¬
fluss auf den Ablauf der entstandenen Ohr¬
erkrankung aus und zwar um so mehr, je
schwerer die Belastung i s t.“
Es fragt sich nun, welches sind denn die geheimnisvollen
Fäden, die wir hier zwischen der tuberkulösen Belastung der
Kinder und ihren Erkrankungen dos Ohres gezogen sehen.
Die Ohrerkrankungen als solche sind nicht tuberkulös; das
können wir für die grösste Zahl mit Bestimmtheit behaup¬
ten; denn in der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um chro¬
nisch-katarrhalische Erkrankungen des Mittelohrs und um aus¬
geheilte Entzündungen; nur für die wenigen fortbestehenden
chronischen Eiterungen könnten Zweifel bestehen.
Das Bindeglied zwischen der Tuberkulose der nächsten
Blutsverwandten und den Ohrerkrankungen der Kinder ist in
erster Linie in der durch die tuberkulöse Belastung bedingten
erhöhten Vulnerabilität der Nasen- und Rachenschleimhaut, ein¬
schliesslich des in ihr eingeschlossenen adenoiden Gewebes, in
zweiter Linie in der geringen Widerstandskraft des Gesamt¬
organismus der Kinder gegen schädigende Einflüsse zu suchen.
Nur bei Annahme dieser Bindeglieder lässt sich das aus der
statistischen Untersuchung hervorgegangene Resultat klinisch
erklären, dass die tuberkulöse Belastung nicht allein die Ent¬
stehung von Ohrkrankbeiten fördert, sondern auch einen un¬
günstigen Einfluss auf den Ablauf der entstandenen Ohrerkran¬
kung ausübt, und zwar um so mehr, je schwerer die Be¬
lastung ist.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Graz.
Ueber das Schwinden des Patellarsehnen-Reflexes
als ein noch unbeachtetes Krankheitszeichen bei
genuiner, kruppöser Pneumonie im Kindesalter.
Von Dr. Meinhard Pfaundler.
Als in den Monaten März und April des Jahres 1897 die
übliche Frühjahrshochflut der Fälle von kruppöser Pneumonie
unsere Räume füllte, fiel mir auf, dass bei vielen der ein¬
gelieferten Kranken der Patellarsehnenreflex (P.-S.-R.)nicht aus¬
lösbar oder deutlich herabgesetzt war. Diese seither bei uns oft
bestätigte Beobachtung veranlasste mich, unser einschlägiges
Material aus den letzten 7 Jahren zusammenzustellen, wobei sich
folgendes ergab.
Tn dem angegebenen Zeiträume kamen 200 Fälle von
genuiner, kruppöser („fibrinöser“, V i r c h o w) Pneumonie in
unsere stationäre Behandlung1). Bei 55 der Kinder, also in
27,5 Proz. der Fälle, wurde der P.-S.-R. bei der Aufnahme des
„Status praesens“ von dem jeweiligen Oberärzte der Abteilung
als nicht vorhanden oder (symmetrisch) herabgesetzt bezeichnet.
Diese 55 Fälle sind in nebenstehender Uebersicht kurz dargelegt.
(Tabelle siehe nächste Seite.)
Zu den Angaben über das Verhalten des P.-S.-R., welche aus
den Krankenjournalen stets w ö r 1 1 i c h zitiert wurden, ist fol¬
gendes zu bemerken. Die Prüfung geschah in der üblichen
Weise; wo der Reflex vermindert erschien oder fehlte, wurde stets
durch rasch wiederholtes Beklopfen der Sehne versucht,
innerhalb des Reflexbogens eine Bahnung zu erzielen und wurden
(bei älteren Kindern) die usuellen Kunstgriffe (Reiben der Haut,
Händeklatschen, J e n d r ä s s i k) angewandt. Das Ergebnis der
Prüfung wurde in diesem Falle durch wiederholte Untersuchung
0 Bei anderen 14 Fällen, die nicht weiter berücksichtigt
wurden, konnte diese Diagnose nur mit Wahrscheinlichkeit gestellt
werden.
und bei den allgemeinen Visiten kontrolliert. Dass eine Vor-
eingenomenheit des Untersuehers das protokollierte Ergebnis
hätte beeinflussen können, ist in der Mehrzahl der Fälle schon
dadurch ausgeschlossen, dass die betreffenden Kollegen an eine
eventuelle typische Beziehung des Befundes zum Krankheits¬
zustande gar nicht dachten. Es wäre eher denkbar, dass in
anderen, hier nicht aufgezählten Fällen eine gewisse allzu kri¬
tische Skepsis oder aber ein minder lebhaftes Interesse an dem
Sachverhalte normalen Befund annehmen liess, wo tatsächlich
gleichfalls eine Abschwächung bestand.
Dass das Verhalten unserer Pneumoniekranken in Bezug
auf den Patellarsehnenreflex ein ganz abnormes und auffälliges
ist, geht aus dem Umstande hervor, dass beträchtliche Herab¬
setzung oder Fehlen des Reflexes bei gesunden oder anderweitig
(nicht nervös) erkrankten Kindern ein seltenes Vorkommnis ist.
Bei gesunden Kindern fand Eulenburg"), der sich noch
keiner besonderen Kunstgriffe zum Nachweise herabgesetzter Re¬
flexe bediente, nur in etwa 4,7 Proz., B 1 o c h :') in 0,72 Proz.
der Fälle Fehlen des Reflexes, während Pelizaeus4) bei be¬
sonders sorgfältiger Prüfung unter 2403 Fällen nur 1 mal das
W e s t p h a 1 sehe Zeichen konstatierte, und dies bei einem
Knaben, an welchem Remak") später den Reflex auszulösen
vermochte.
Auch in unseren Protokollen findet sich bei anderweitig er¬
krankten Kindern, wenn man von gewissen Nervenleiden ab¬
sieht, nur selten die Angabe, dass der P.-S.-R. herabgesetzt sei
oder fehle. Auf das Verhalten des Reflexes bei anderen Formen
von Pneumonie werde ich noch zurückkommen.
Es liegt nahe, zu erforschen, ob das Fehlen des P.-S.-R.
bei der kruppösen Kinderpneumonie zu gewissen, die Erkrankung
begleitenden Umständen in fixer Beziehung stehe. Diesbezüglich
ergibt obige Zusammenstellung folgendes:
1. Was zunächst die Temperatur betrifft, so war dieselbe
naturgemäss zur Zeit der Aufnahme des „Status praesens“ in
der Regel eine hoch fieberhafte. Tn gewissen Fällen aber, fehlte
der P.-S.-R. auch bei Kindern, welche zu dieser Zeit nicht
fieberten und nicht selten bestand das W e s t p li a 1 sehe Zeichen
noch fort nach eingetretener Krise bei normaler oder subnormaler
Körpertemperatur.
2. Das W e s t p h a 1 sehe Symptom begleitet die Pneumonia
crouposa bei Kindern sebr verschiedenen Lebensalters, doch
nur ausnahmsweise (1 Fall) bei mehr als zehn¬
jährigen, anscheinend selten bei Säuglingen. (Letztere er¬
kranken allerdings überhaupt nur selten an kruppöser Pneu¬
monie; hingegen ist unser Material an 11 — 14 jährigen Pneu-
monikern hinreichend gross, um ersteres Verhalten evident er¬
scheinen zu lassen.)
3. Eine Beziehung der Lokalisation des Pi*ozesses zum Ver¬
halten des P.-S.-R. ist nicht zu eruieren. In den obigen Fällen
betraf die Erkrankung den
rechten Oberlappen ... 11 mal,
rechten Unterlappen ... 13 mal,
linken überlappen .... 5 mal,
linken Unterlappen ... 14 mal,
2 oder mehr Lappen ... 12 mal.
Es kann nicht gelten, dass eine weitere Ausbreitung des
Prozesses auf zwei oder mehr Lappen etwa besonders häufig zum
Auftreten unseres Zeichens führe.
4. Hingegen fanden sich unter den Fällen mit herabgesetztem
P.-S.-R. wohl auffallend viele mit schwerem Allgemeinzustande,
namentlich mit zerebralen Initialerscheinungen. Die Mortalität
in den oben registrierten Fällen betrug 3 von 55 = 5,4 Proz., war
also auch eine verhältnismässig hohe.
5. Es waren vorwiegend kräftig gebaute und gut genährte
Kinder, welche das W e s t. p h a 1 sehe Zeichen bei Pneumonie
aufwiesen.
a) A. Eulen bürg: Ueber Sehnenreflexe bei Kindern.
Deutsche Zeitsehr. f. prakt. Med. 1S78 und: Ueber einige Reflexe
im Kindesalter. Neurolog. Centralbl. 1882.
3) Bloch E.: Neuropathisehe Diathese und Kniephänomen.
Areii. f. Psycli. u. Nervenkrankh., Bd. XIII.
«) Pelizaeus F.: Ueber das Kniephänomen bei Kindern.
Arc-h. f. Psycli. u, Nervenkrankh., Bd. XIV.
5) Derselbe: Zur Untersuchungsmethode des Kniephäno¬
mens. Neurol. Centralbl. 1880.
1*
MUEN CHENER MEDICIN1SC1IE WOCHENSCHRIET
No. 29,
1212
22. Juli 1902.
MÜENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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No. 29.
1214
6. Der Verlauf der Pneumonie in den Pallen mit fehlendem
oder herabgesetztem P.-S.-R. bot keine besonders auffälligen
Abweichungen von der Norm. Der durchaus typische Verlauf
mit steilem, kritischem Temperaturabsturze am 4. bis 9. Tage
war vielmehr die Regel (34 Fälle). Seltener erfolgte die Krise
später oder protrahiert oder es gestaltete sich die Defervesizenz
zu einer lytischen.
7. Ueber das zeitliche Auftreten des W e s t p h a 1 sehen
Zeichens im Verlaufe der Erkrankung lässt sich aus unserem
Materiale nur folgendes entnehmen: Häufig besteht das Zeichen
bereits am 2. und 3. Krankheitstage im Stadium der Anschop¬
pung ; einige Male wurde es konstatiert zu einer
Zeit, da ein physikalischer Lungenbefund
noch völlig fehlte und nur der Allgemeinzustand, At¬
mungstypus etc. zur Diagnose leiten konnten. Da die meisten
Kranken uns erst nach voller Entwicklung- des Lokalprozesses
eingeliefert wurden, kann nur vermutet werden, dass die
P.-S.-R., soferne sie bei kruppöser Pneumonie schwinden, schon
sehr frühzeitig zu schwinden beginnen.
Nach Ablauf der Erkrankung und Rekonvaleszenz wurde
der P.-S.-R. in allen darauf untersuchten Fällen in. gehörigem
Ausmasse wiedergefunden. Wo fortlaufende Prüfungen vor¬
genommen wurden, zeigte sich, dass der P.-S.-R. zumeist wäh¬
rend oder bald nach der Krise, ausnahmsweise vor der¬
selben oder erst in der späteren Rekonvaleszenz — meist (nicht
immer) beiderseits gleichzeitig — wiederkehrte.
Es schien von Interesse, zu erfahren, ob bei anderen Formen
von Pneumonie im Kindesalter das Fehlen der P.-S.-R. gleich¬
falls oder gleich oft gesehen wird, wie bei der kruppösen. Unter
87 Fällen unseres klinischen Materials, die mit der Diagnose
„Pneumonia lobularis“ geführt sind, finden sich (nach Aus¬
schluss eines in moribundem Zustande untersuchten und eines
diagnostisch fraglichen Falles) nur 2, in welchen der P.-S.-R.
fehlte, und 3, in welchen er herabgesetzt schien. Die Infiltrate
waren in allen diesen Fällen konfluierende. In den 63 Fällen,
die unser übriges Pneumoniematerial in dem oben angegebenen
Zeitraum darstellen, war der P.-S.-R. stets normal oder ge¬
steigert. Das W estphal sehe Zeichen scheint somit der ge¬
nuinen, kruppösen Pneumonie bis zu einem gewissen Grade eigen¬
tümlich zu sein.
Vergleichen wir die Häufigkeit dieses Symptoms mit jener
eines andern, z. B. des Auftretens von Herpes labialis, das als
höchst vulgäres Zeichen bei Pneumonia crouposa in jedem Kom¬
pendium erwähnt wird, so ergibt sich nach dem Materiale unserer
Tabelle, dass das Fehlen oder die Herabsetzung des P.-S.-R. sehr
viel häufiger vorkommt, als der Herpes, denn dieser begleitete nur
ca. 18 Proz. aller unserer Krankheitsfälle.
Nebenbei sei hier a\if das häufige Auftreten von gewissen
abnormen Harnbestandteilen bei kruppöser Pneumonie der Kin¬
der hingewiesen. Der Nachweis von Aceton (Legal s Probe)
— der diagnostisch nach meiner Ansicht noch zu wenig gewertet
wird — gelang in mehr als 50 Proz. unserer Fälle; die Diazo-
reaktion war in ca. 15 Proz. der Fälle positiv.
Wie mich nach Sammlung der obigen Daten die Einsicht¬
nahme in M. Sternbergs „Die Sehnenreflexe und ihre Be¬
deutung für die Pathologie des Nervensystems“ 6) belehrte, sind
Beobachtung über Störungen der tiefen Reflexe bei akuten fieber¬
haften Erkrankungen (namentlich Infekten) schon mehrfach ge¬
macht, worden. „Meist wird (bei solchen) Steigerung als Regel
angenommen . . .
Dagegen hat schon 1880 Petitclerc7) darauf hinge¬
wiesen, dass gerade bei schweren fieberhaften Erkrankungen mit
hoher Temperatur, als Typhus und Variola, die Sehnenreflexe
fehlen. Ebenso beobachtete M a r i n i a n 8 *) Fehlen des Patellar-
reflexes bei Pneumonie und Typhus. Longaard') hat neue-
stens den Gegenstand besprochen. Er fand in 3 Fällen von
6) Franz D e u t i c k e, Leipzig u. Wien 1893.
7) Petitclerc C.: Des rßflexes tendineux. Thöse de Paris
1900.
8) M a r i n i a n W.: Contribuzione allo Studio clinieo dei riflessi
tendinei. Dissert. Itivista clinica. Bologna 1884.
°) Longaard J.: Ueber die Beschaffenheit der Sehnen-
reflexe bei fieberhaften Krankheiten etc. Deutsche Zeitschr. f.
Nervenlieilk. I.
No. 29.
Pneumonie die Sehnenreflexe während des Zustandes der Benom¬
menheit fehlen. Sonst findet er regelmässig Erhöhung der
Sehnenreflexe bei Fieber. Auf seine selbst gesammelten Er¬
fahrungen übergehend, berichtet Sternberg, der von den
akuten Infekten (Pneumonie, Typhus, Erysipel, Masern,
Scharlach u. s. w.) nur im allgemeinen spricht, dass
bei hohem (seltener bei mässigem) Fieber die Sehnen¬
reflexe herabgesetzt seien oder gänzlich fehlen. Plierbei
versagen nach Sternberg in der Regel auch die bahnenden
Einflüsse. Weitere Angaben 10) hierüber sind mir nicht bekannt
geworden, speziell enthalten die gebräuchlichen Lehr- und Hand¬
bücher der Kinderheilkunde keinen Hinweis auf das Vorkommen
des W e s t p h a 1 sehen Zeichens bei Pneumonia crouposa; es
wird daher keinem Widerspruche begegnen, wenn ich das Sym¬
ptom als ein bisher unbeachtetes oder unverwertetes bezeichnete,
das in Form dieser anspruchslosen Mitteilung bekannt gemacht
zu werden verdient.
Was die Erklärung für das Auftreten des in Rede stehenden
Zeichens betrifft, so bringt Longaard das Fehlen des P.-S.-R.
bei Pneumonie während der Benommenheit mit dem Fehlen des
Reflexes während des normalen (tiefen) Schlafes in Zusammen¬
hang. Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschliessen, da
viele von den obgenannten Kindern zur Zeit der Prüfung auf
den Reflex nicht im mindesten benommen waren. Auch mit dem
Erlöschen der Funktion des Reflexzentrums durch äusserste Er¬
müdung, Koma, Kollaps, Agone etc. kann die Erscheinung1 wohl
kaum in Parallele gestellt werden. Wenn ich in der Ablehnung
dieser Annahmen mit Sternberg übereinstimme, so kann
ich andrerseits auch nicht finden, dass das Verhalten des P.-S.-R.
in den akuten Infekten (speziell bei kruppöser Pneumonie) in
d e m Sinne eine Funktion der Körpertemperatur sei, wie es nach
Darstellung dieses im Studium der tiefen Reflexe so besonders
erfahrenen Autors der Fall ist. Ich verweise auf den sub 1) an¬
geführten Kommentar zu unserer Tabelle. Manches scheint mir
dafür zu sprechen, dass es spezifische toxisch-infektiöse Schä¬
digungen der Nervenmasse im peripheren Verlaufe und im
Reflexzentrum sind, welche für das Verhalten der P.-S.-R. bei
vielen kruppösen Pneumonien der Kinder verantwortlich ge¬
macht werden müssen. Das Versagen der Bahnungsversuche
lässt sich vielleicht für die Annahme vorwiegend zentralen Sitzes
der Läsion verwerten. In zweiter Linie ist an die Möglichkeit
einer indirekten Beeinflussung der Reflexaktion durch Reizung
anderer sensibler Zonen zu denken. ,
Auf das Verhalten anderer tiefer Reflexe wurde in unseren
Fällen nicht besonders geachtet.
Es scheint mir nach dem Dargelegten gerechtfertigt, zu be¬
haupten, dass das Wes tp lial sehe Zeichen — soferne es bei
kruppöser Pneumonie der Kinder vorliegt — diagnostisch ver¬
wertbar ist, namentlich in jenen Fällen, in welchen es sich um
zentrale Infiltration oder verspätetes Auftreten der physL
kali sehen Erscheinungen handelt, und in jenen, in welchen zere¬
brale Erscheinungen im Beginne an Meningitis denken lassen.
Bei Meningitis müssen wir im Beginne eine Steigerung- der
Sehnenreflexe erwarten.
Kurz resümiert:
Bei genuiner, kruppöser Pneumonie der
Kinder (1. Dezennium) findet man oft — mit¬
unter schon vor Auftreten eines nachweis¬
baren Lokalbefundes — den Patellaraehnen-
reflex herabgesetzt oder fehlend. Das Zeichen
tritt viel häufiger in Erscheinung als bei¬
spielsweise der Herpes labialis und kann im
positiven Falle diagnostisch (z. B. gegen be¬
ginnende Meningitis) verwertet werden.
10) Erwähnenswert scheint mir hier immerhin ein Umstand,
der mir bei der Lektüre der erwähnten Arbeit von Pelizaeus
auf fiel. Unter 2403 Knaben fand P. nur einen einzigen ohne
P.-S.-R. Diesen w ollte er gelegentlich seines Vortrages in der Berl.
med. Gesellseh. f. Psyeh. demonstrieren, doch musste die Vor¬
stellung unterbleiben, weil der Knabe unterdessen an einer Pneu¬
monie erkrankt war. Pelizaeus gibt nicht an, wie lange vor
der Erkrankung er den Knaben untersucht hat.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
22. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1215
Aus der medizinischen Klinik in Basel.
Ein Beitrag zur Kenntnis des Stoffwechsels bei Gicht-
Von Dr. Felix R e a c li in Karlsbad.
Durch mehrfache Untersuchungen wissen wir, dass nach
Aufnahme nukleinreicher Nahrungsmittel, wie Thymus, Milz,
Pankreas etc. die Menge der durch den Harn ausgeschiedenen
Harnsäure, sowie der Purinsubstanzen überhaupt, wächst. Diese
Thatsache ist zunächst für den Gesunden festgestellt worden.
Es ist einleuchtend, dass die Ausdehnung dieser Untersuchungen
auf den Gichtkranken für die Frage nach dem Wesen und der
Pathogenese dieser Krankheit von Bedeutung ist. Hat, so
müssen wir uns fragen, eine vermehrte Einführung von Purin¬
basen, also von Harnsäurebildnern, in den Stoffwechsel einen
Einfluss auf den Verlauf der Gicht? Diese frage steht im engen
Zusammenhang mit der weiteren, noch immer ungelösten, ob bei
der Entstehung dieser Krankheit einer Anomalie im Verhalten der
Harnsäure eine wesentliche Rolle zuzuschreiben ist, oder ob, wie
mehrere Autoren annehmen, die Harnsäureablagerung eine rein
sekundäre Erscheinung, nur Folge lokaler Affektionen ist. Eine
fernere Frage ist die nach der Ausscheidung der Purinsubstanzen
bei Gicht nach vermehrter Einverleibung. Scheidet sie der Orga¬
nismus des Gichtikers in gleicher Weise wie der gesunde rasch
wieder aus oder ist er dies nicht zu tun im stände?
Einen Versuch mit 4 tägiger Darreichung von Thymus an
einen Gichtkranken hat Schmoll1) vorgenommen. Er mass
die Harnsäure im Urine durch den Stickstoffgehalt der mit
ammoniakalischer Silberlösung fällbaren Substanzen (nach Aus¬
waschen des Ammoniak). Wir wissen aber jetzt ), dass durch
diese Methode nicht nur Harnsäure, sondern alle Purinkörper
aus dem Harne ausfallen; wir müssen daher das, was Schmoll
als Harnsäurestickstoff angibt, als Purinstickstoff ansehen. Er
fand, dass bei Verabreichung von 416 bis 460 g Thymus pro die
die durchschnittliche Tagesmenge des Purinstickstoffs im Harne
von 184 mg auf 401 mg stieg', also einen Zuwachs von 217 mg
erfuhr (aus Schmolls Zahlen berechnet). Er kommt zu dem
Schlüsse, dass die Harnsäureausscheidung seines Patienten durch
die Thymusverabreichung in normaler Weise beeinflusst worden
sei. Wir müssen jedoch nach dem oben Gesagten zum Vergleiche
mit seinen W erteil solche Zahlen heranziehen, die ebenfalls die
Gesamtpur inmenge betreffen. Buri a n und Schur ), welche
die Beeinflussung der Purinausscheidung durch nucleinreiche
Nahrungsmittel zum Gegenstand zahlreicher Untersuchungen ge¬
macht haben, finden für 100 g Kalbsthymus in der Nahrung eine
Steigerung von 0,10 (exogenem) Harnpurinstickstoff. Wenn man
die Berechnung auf Grund dieser Zahlen von B u r i a n und
Schur ausführt, so ergibt sich, dass die Steigerung des Purin-
stickstoffs im Harne hätte bedeutend grösser ausfallen müssen.
Magnus-Levy4), der 2 Gichtkranke ebenfalls mit
Thymus nährte, sagt: „Es tritt gewöhnlich bei der Aufnahme von
einem halben Kilo derselben (Kalbsmilch) eine Harnsäuresteigt:
rung von 400—600 mg (bei meinen Gichtpatienten 200—300 mg)
auf“. Eine Einwirkung dieser Art der Ernährung auf das Be¬
finden der Kranken konnte weder er noch Schmoll kon¬
statieren.
Vogt“) hielt einen an akuter Gicht erkrankten Mann und
eine gesunde Kontrollperson durch 15 läge bei vollkommen
gleichem Regime. Er verabreichte nach einer b tägigen \<>i
Periode durch 5 Tage je 175 g Thymus. Dabei stieg die durch¬
schnittliche Tagesmenge des Harnsäurestickstoffs bei der Kon¬
trollperson um 125 mg, beim Gichtkranken nur um 92 mg (aus
Vogts Zahlen berechnet). Vogt kommt zu dem Schlüsse,
dass bei den Patienten eine Retention von Purinkörpern statt¬
fand. Der Patient Vogts bekam gleich am ersten Tage dei
Thymusdarreichung einen Gichtanfall, der jedoch nicht mit
Sicherheit auf diese Darreichung bezogen werden kann.
II i s d. j. e) spricht sich dahin aus, dass „die Niere des Gicht¬
kranken sehr wohl imstande ist, vermehrte Harnsäuremengen,
’) Scli m oll: Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 29.
-) Ca in er er: Zeitschr. f. Biologie Bd. 27.
3) Burian und Schur: Archiv für die gesamte Physio¬
logie Bd. 80. ... .
4) Magnus-Levy: Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 06, S. 414.
5) Vogt: Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 71.
fl) His d. j.: Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 65.
die aus verfütterter Kalbsthymus stammen, zur Ausscheidung
zu bringen.“
Wie man aus dieser Anführung der bisherigen Unter¬
suchungen ersieht, ist die Frage noch keineswegs so geklärt,
dass eine neuerliche Versuchsreihe überflüssig wäre. Ich folgte
daher gerne einer Aufforderung des Herrn Professor Friedrich
Müller, an einem Patienten der Baseler Klinik neuerliche
Untersuchungen über die Frage anzustellen. Für die freundliche
Anregung, sowie für die Unterstützung bei den Versuchen, sage
ich Herrn Prof. Müller auch an dieser Stelle meinen besten
Dank.
Zur Zeit der Aufnahme dieser Versuche war überdies die
Diagnose „uratische“ Gelenkserkrankung bei unserem Patienten
noch nicht über jeden Zweifel erhaben, und es war die Aussicht
vorhanden, durch Verabreichung nukleinreicher Nahrung zur
Sicherung der Diagnose eventuell beizutragen und diesen Ver¬
suchen dadurch auch eine diagnostische Bedeutung zu geben.
In der Tat liess der letzte auf der Klinik beobachtete Anfall,
der sich unmittelbar an den Versuch anschloss, keinen Zweifel
mehr darüber, dass wir es wirklich mit echter Gicht zu tun
hatten.
Unser Tat. war ein 69 jähriger ehemaliger Schlosser. Gelenk¬
schmerzen fühlte er schon seit ca. 20 Jahren. Dieselben traten
stets nur Perioden weise auf. ln den ersten Jahren hatten diese
Perioden stets mit Schmerzen in den Zehengelenken begonnen.
In letzter Zeit litt er wieder stark unter diesen Schmerzen und
nachdem er infolgedessen bereits 8 Tage das Bett zu hüten ge¬
zwungen war, suchte er am 15. X. 1901 das Spital auf.
Bei dem ziemlich kräftig gebauten und gut genährten Manne
wurde ein leichtes Lungenemphysem mit Bronchitis und Rigidität
der Arterien konstatiert. Das rechte Kniegelenk war stark ge¬
schwollen, seine Palten vollständig verstrichen, die Haut darüber
gespannt, gerötet und stark druckschmerzhaft. Linkes Metatarso-
phalangealgelenk stark geschwollen und gerötet. Rechtes Radio-
karpalgelenk ebenfalls geschwollen und gerötet und intensiv
schmerzhaft. Im Harne Spuren von Eiweiss, keine Formelemente.
Im Verlaufe der Behandlung trat vollständige Besserung auf.
Vom 25.X. bis 1. XI. wurden täglich 300 g Thymus ver¬
abreicht. Während man bei gesunden Menschen nach Thymus¬
darreichung oft eine starke Ausscheidung von Sedimentum late-
ritiura als Zeichen der Harnsäurevermehrung beobachtet, trat ein
solches Sediment bei unserem Kranken während der Thymus¬
periode niemals auf, und gerade diese Beobachtung hatte uns in
der Vermutung bestärkt, dass bei unserem Gichtiker die Harn¬
säureausscheidung hinter den normalen Verhältnissen zurückblieb.
\m 27. X. waren die Gelenkschmerzen fast vollständig zuriiek-
gegangen. Am 1 . XI., also nach 6 t ä g i g e r T li y m u s -
gäbe, trat neuerlich eine Verschlimmerung ei n,
indem sich Schmerzen im linken Kniegelenk
einstellten, und eine zirkumskripte Stelle d < i
II n. u t d a rüber auf der Aussenseite sich rötete
u n d sc h merzhaft w u r d e. Der Patient hatte nach
6 tägigem Thymusgebrauch einen regulären Gichtanfall bekommen.
In der Folge trat wieder Besserung ein, nur am 26. und 27. XI.
waren vorübergehend leichte Schmerzen an beiden 1* ussiiicken
vorhanden. Die Zeit vom 6. bis 13. XII. ist die Hauptperiode
unseres Stoffwechselversuches; es wurden in dieser Zeit täglich
150 g Pankreas verabreicht. Am 16. XII. traten heftige Schmerzen
im rechten Kniegelenk und Fussrücken, verbunden mit leichter
Schwellung des rechten Kniegelenkes auf, welche in der Folge
rasch nachliessen und am 21. XII. bereits vollständig verschwun¬
den waren. Also wurde auch nach der Pankreas¬
periode eine Verschlimmerung des lokalen
Gichtleidens beobachtet.
Zu diesem Auszug aus der Krankengeschichte ist noch zu
bemerken, dass die beiden Anfälle, die sich unmittelbar an die
Verabreichung von nukleinreicher Nahrung anschlossen, be¬
deutend heftiger waren, als die leichte Attacke am 26. und 27. II.,
so dass durchaus der Eindruck hervorgerufen wurde, als hätte die
Nukleinverabreichung das Aufflackern des Krankheitsprozesses
verursacht. Ich bin jedoch weit entfernt, diesen kausalen Zu¬
sammenhang als einen sicheren anzusehen. Es wird weiten !
Fälle bedürfen, um die Frage, ob die Nukleinverabreichung
einen derartigen Einfluss auf den Verlauf der Gicht nehmen
kann, zu entscheiden; Beobachtungen solcher Art sind aber um
so wichtiger, als diese Frage auch für die Therapie der Gicht
von der grössten Bedeutung ist. Ich erinnere nochmals daran,
dass Vogts Patient am 1. Tage der Thymusdarreichung einen
Anfall bekam, Schmoll und Magnus-Levy aber nichts
ähnliches beobachteten.
Ein anderer Patient der Baseler Klinik, der im Gefolge einer
chronischen Bleiintoxikation und starken Alkoholmissbrauches
2*
1216
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
an Sehrumpfniere erkrankt war, und früher mehrmals Anfälle
von typischer Gicht aufgewiesen hatte, zeigte nach Pankreas¬
darreichung zwar ebenfalls kein Uratsediment im Harn, aber es
wurde darnach kein Schmerzanfall und keine Entzündung der
Gelenke beobachtet.
5 om 25. XI. bis 19. XII. war Patient auf eine möglichst gleich-
massige Kost gesetzt. Dabei musste bei dem appetitlosen,
wählerischen Kranken auf seine Wünsche weitgehende Rücksicht
genommen werden. Es war infolgedessen nicht möglich, eine
quantitativ bestimmte, absolut gleichwertige Kost zu verabreichen.
Indessen ist bei unserer Fragestellung vollkommene Gleichartig¬
keit. der Kost auch von untergeordneter Bedeutung. Wesentlich ist
nur, dass zu einer an Purinkörpern möglichst armen Kost der Vor¬
periode ein an diesen Substanzen reiches Nahrungsmittel in der
Ilauptperiode hinzugefügt wurde, um in der Nachperiode wieder
zu entfallen. Die Kost bestand aus 150 g Kalbfleisch, 1 Liter
Milch, 200 g Milelibrod, 40 — 50 g Butter, ca. 400 ccm Suppe,
ca. 100 g Obst, etwas Brot und wechselnden Mengen Gemüse (oder
Kartoffelpüree, Nudeln, Makkaroni). Es kam leider wiederholt
vor, dass Patient einen Teil des Kalbsbratens nicht ass; es wurde
dann der Rest zurückgewogen. Am 30. II. ass Patient 130 g, am
1. XII. 100 g, am 2. XII. 100 g, am 3. XII. 80 g, am 4. XII. 100 g.
am 5., 7. und 10. XII. je 120 g und am 16. XII. 130 g Kalbsbraten.
In der Zeit vom 5. bis 12. XII. bekam Patient, wie erwähnt, täg¬
lich 150 g Kalbspankreas, welches in gebratenem Zustande ein
wohlschmeckendes Gericht abgab. Es wurde desshalb Pankreas
verwendet, weil die Purinkörper dieser Drüse (vorwiegend Guanin)
nach der Angabe von Burian und Schur vollständig in Harn¬
säure übergehen und desshalb für die Untersuchung am Gicht¬
kranken besonders geeignet erschienen.
Eine Probe des verabreichten Kalbspankreas wurde nach der
von Burian und S c h u r 7) am Schweine-, Rind- und Hammel¬
pankreas angewandten Methode der Analyse unterworfen. Sie
ergab für 100 g rohen Kalbspankreas’ (18,9 Proz. Trockensubstanz)
0,190 g I'urinstickstoff, das ist ein wenig mehr, als Burian
und Schur*) für die genannten Drüsen gefunden hatten.
Vom Beginne der Hauptperiode an bekam Pat. täglich auf
seinen Wunsch 500 ccm Kaffee. Eine Bestimmung nach der Methode
von Paul und Cownby”) ergab, dass diese Menge nur 0,435 g
Koffein enthielt. Der Kaffee musste auch in der Nachperiode in
der Kost des Pat. bleiben, da die Entziehung dieses Genussmittels
schon während der Vorperiode auf grossen Widerstand seitens des
Pat. gestossen war.
Der Harn des Pat. wurde vollständig gesammelt, täglich um
12 Uhr Mittags abgeschlossen. Die bei der Untersuchung zur An¬
wendung gelangten Methoden sind folgende: Für die Bestimmung
des Stickstoff die von Iv j eldahl, für den Purinstickstoff die von
Camerer-Arnstein10) und für die Harnsäure die von
Ludwig-Salkowski (als Stickstoffbestimmung zu Ende ge¬
führt). Der Purinbasenstickstoff wurde als Differenz zwischen
Gesammt-Purinstickstoff und Harnsäurestickstoff berechnet. Auf
die geringen Spuren von Eiweiss, die der Urin, wie oben erwähnt,
enthielt, wurde bei diesen Untersuchungen keine weitere Rück¬
sicht genommen. lieber die Resultate der Harnuntersuchung
gibt nachfolgende Tabelle Aufschluss.
&
D
a t
u m
bp
5
r*
N o
o> -r
Cu £
g
&
c
. £
£ <v
s b
.
.2 2
CO ®
e
0Q
O
0
c
u
E 3
g
mg
mg
mg
30. XI
bif
1. XII.
825
1020
13,6
165,6
60,1
P 5,5
1.
2. XII
1000
1017
13,1
114,6
49,5
65,1
2.
y>
3. XII.
740
1025
10,9
169,8
52,5
117,3
3.
4. XII.
870
1018
13,4
150,0
17,8
102,2
4.
»
5. XII
800
1015
7,2
92,0
35,4
56,6
Mittel der Vorperiode
11,65
138,4
49,05
89,35
5.
bis
6. XII.
1250
1015
10,5
125,2
-- .
— *)
6.
»
7. XII.
1165
1016
15,0
178,0
82,4
95,6
7.
8. XII.
1625
1014
9,9
233,7
132,2
101,5
8.
»
9. XII.
770
1018
8,1
1 12,9
82,2
60,7
9.
fJ
10. XII,
1310
1016
12,3
168,3
71,8
96,5
10.
l)
11. XII.
1140
1016
11,3
259,7
79,6
180,1
11.
12. XII.
1180
1010
12,1
150,6
82,6
68,0
12.
»
13. XII.
970
1018
9,9
159.9
90,2
69,7
M
fittel der Hauptperiode
11,15
177,3
88,7
96,0
13
>»
14. XII.
1200
1012
13,T~
166,4
75,0
91,4
14.
15. XII.
1130
1014
11,7
196,2
81,3
114,9
15.
16. XII.
1260
1015
12,4
187,2
98.0
89,2
16.
.•>
17. XII.
850
1010
9,1
131,6
81,3
50,3
17.
»»
18. XII.
1250
1017
9,3
150,3
73,0
77^3
18.
H
19. XII. |
950
1019
9,7
199,5 |
87,6
111,9
Mittel der Nachperiode
10,9 |
171 ,85|
82,7 |
89,15
*) Beide Harnsäurebestimmungen verloren gegangen.
9 Areli. f. d. gesammte Physiol. Bd. 87, S. 319.
s) Ebenda S. ,331.
Es dürfte bei Betrachtung dieser Tabelle zunächst auf fallen,
dass die ( iesamtstickstoffmenge des Harns in der Hauptperiode
nicht vergrössert ist (den 150 g Pankreas würden ca. 3 g Stick¬
stoff entsprechen), sondern im Verlaufe des Versuches langsam
abnimmt. Das hat zum Teil gewiss darin seinen Grund, dass der
Kranke während dieser Periode von jenen Nahrungsmitteln, in
deren Aufnahme er nicht so streng- kontrolliert wurde (Gemüse,
Suppe, Brod) etwas weniger ass, ist zum Teil aber wohl auf die
gewöhnlich vorhandene Stickstoffretention der Gichtiker zu be¬
ziehen, resp. als eine jener Unregelmässigkeiten aufzufassen, wie
sie im Stickstoffhaushalt bei dieser Krankheit häufig sind
(Schmoll, Magnus - Levy, Vogt, Z a g a r i ”) u. a.).
Was die Purinwerte anbelangt, sehen wir, dass unser Patient
sehr wenig- Harnsäure und überhaupt wenig Purinkörper aus¬
schied. Während der Hauptperiode zeigt sich nun eine deutliche
Steigerung der Harnsäure, die jedoch in Anbetracht der ver¬
abreichten Nukleinmenge nur gering ist. Nach den Aus¬
führungen von Burian und S c h u r konnte man eine
Steigerung von 99,75 mg Harnsäurestickstoff erwarten, während
dieselbe in unserem Falle nur 39,65 mg beträgt, ln der Nach¬
periode geht die Harnsäureausscheidung wieder zurück, ohne
jedoch bis auf den Wert der Vorperiode zu sinken. In diese
Nachperiode fällt auch der neuerliche Gichtanfall, was das Fort¬
bestehen der Harnsäurevermehrung wohl zum Teile erklärt
(M a g n u s - L e v y, His u. A.). In der Tat fällt die stärkste
Harnsäureausscheidung der Nachperiode (3. Tag derselben) mit
dem Einsetzen des Gichtanfalles zusammen.
Ehr die erhaltenen Werte des Purinbasenstickstoff können
nur die mit neueren Methoden vorgenommenön Versuche zum
Vergleiche herangezogen werden und diese sind eben nicht zahl¬
reich. Die grossen Schwankungen der Ausscheidungswerte
scheinen noch physiologisch zu sein, wenigstens findet Otto
L ö w i ) das \ erhalten der Purinbasen „eigenartig und schein¬
bar launisch“; aucli die grossen Werte für Purinbasen in unserem
lalle werden (absolut genommen) von einigen bei Löwi noch
weit übertroffen. Hingegen ist das Ueberwiegen des Basenstick¬
stoffs über den Harnsäurestickstoff, das unser Patient so häufig
zeigt, mit den neueren Methoden nicht beobachtet worden. Es
liegen aber für Gichtkranke (soweit ich die Literatur übersehe)
nur 2 Versuchsreihen von C a m erer u) vor, die in Betracht
kommen.
An der Steigerung der Purinausscheidung während der
Hauptperiode nehmen die Basen keinen' Anteil. Nach Burian
und Schur ) folgt auf die Verabreichung von amino-
purinhaltigen Nukleinen zwar eine Steigerung der Harn¬
säure, aber keine der Purin basen im Harne. Diese Regel
gilt auch für das guaninhaltige Pankreasnuklein. Dies trifft also
für unseren Fall zu. Hingegen sollten wir als Wirkung des ver¬
abreichten Kaffees eine geringe Steigerung der Purinbasen im
Harne der Haupt- und Nachperiode erwarten. Unser Patient
ei hielt in dieser Zeit im Kaffee täglich 0,435 g Koffein gegen 0 g
in der Vorperiode. Dieser Zulage würde (wieder nach den ge¬
nannten Autoren) eine Steigerung von 15,4 mg Puribasenstick-
stoff entsprechen, welche nicht zu konstatieren ist. Inwieweit
dieses \ erhalten der 1 urinbasen dem Krankheitszustande unseres
Patienten zur Last fällt oder inwieweit es innerhalb physio¬
logischer Grenzen liegt, darüber ein Urteil abzugeben, will ich
vermeiden. Hiezu sind, wie mir scheint, zahlreichere Unter¬
suchungen an Gesunden und Kranken nötig.
kür das geringe Ausmass der Harnsäureausscheidung hin¬
gegen müssen wir wohl die Gicht verantwortlich machen; denn,
wenn die Vergleichsversuche an Gesunden, speziell mit Pankreas¬
nuklein auch spärlich sind, so liegen hier doch genügend viel
m das Studium der Alkaloide
10. Auflage
) uuaresclu: Einführun
deutsch von Kraus, 1896.
10) Neub a uer - Vogel: Aualvse des Harns,
von H u p p e r t.
n) Zagari: II Policlinico 1899.
’) Burian und Schur: Arch. f. d.
Bd. 87. Vergl. auch den Versuch von Weis s-
Chemie Bd. 27, S. 216, auf den sich B. und S
13) Otto Löwi:
Bd. 44, S. 19.
,4) C a m e r e r: Zeitsehr. f. Biologie Bd. 28.
) Burian und Schur: Arch. f. d. gesammte riivsiol.
Bd. 87, S. 331.
gesammte I’hysiol.
Zeitschr. f. physiol.
stützen.
Arch. f. experim. Patliol. u. Phannakol.
22. Juli 1902
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1217
Versuche mit anderer nukleinreicher Kost vor. Die hier mit¬
geteilte Untersuchung zeigt mithin aufs Neue deutlich, dass der
Giclitiker nicht in gleichem Masse wie der Gesunde vermehrte
Nukleinzufuhr mit vermehrter Harnsäureausscheidung beant¬
wortet.
Untersuchungen über Physiologie und Pathologie der
Ureteren- und Nierenfunktion mit besonderer Berück¬
sichtigung der verdünnenden Nierenthätigkeit nach
Flüssigkeitszufuhr.*)
Weitere Mittheilung von Dr. Friedrich Straus, Spezialarzt
für Chirurgie der Harnorgane, in Frankfurt a. M.
M. H. ! Je emsiger die Fäden aus den Gebieten der inneren
Medizin und Chirurgie herüber und hinüber spinnen, desto
leichter werden Grenzgebiete geschaffen, auf denen durch wechsel¬
seitiges Wirken für beide Disziplinen neue Wege der Erkenntniss
sich öffnen.
Ein solches Grenzgebiet war von je das der Nierenerkrank¬
ungen. Und neuerliche Forschungen innerer Kliniker gaben
neuerdings Veranlassung, auf diesem Gebiete Interne und Chir¬
urgen, noch inniger wie bisher, Zusammenwirken zu lassen.
Von den durch Herrn Koränyi in die Klinik eingeführten
Methoden, der Bestimmung des osmotischen Drucks von Blut
und Harn durch die Bestimmung ihrer Gefrierpunktserniedri¬
gung, hat zunächst diejenige des Blutes die Nierenchirurgie sehr
gefördert. Die Methode scheint berufen, uns in der Ausführung
der Nephrektomie eine Sicherheit zu geben, die uns die bislang
häufig eingetretenen postoperativen üblen Zufälle mehr und mehr
vermeiden lehrt. Sie gibt uns heute die Grenze an, innerhalb
deren wir eine erkrankte Niere entfernen und darauf rechnen
dürfen, dass die andere Niere deren Funktion mitzuübernehmen
im Stande ist.
Auf dem letzten Chirurgenkongress vor wenigen Tagen erst be¬
richtete uns Herr Kümmell, an der Hand eines grossen Zahlen¬
materials, in welcher Weise sich ihm diese Methode in der Nieren¬
chirurgie bewährt hat. In den Fällen, in denen ich sie anzu¬
wenden in der Lage war, erwies sie sich als werthvoller Finger¬
zeig dafür, ob die eine Niere noch entfernt werden durfte.
In allen den Fällen aber, in denen es sich darum handelt,
aus diagnostischen und prognostischen Gründen über den Zu¬
stand der Leistungsfähigkeit der einen oder der anderen Niere
etwas zu erfahren — mag dabei die Entfernung des Organes in
Betracht kommen oder nicht — in diesen gibt uns ein anderes Auf¬
schluss : die von den Herren Casper und Richter in-
augurirte Eunktionsprüfung einer jeden einzelnen Niere.
Wenn ich als Chirurg von dieser Stelle aus über weitere
Untersuchungen der physiologischen und pathologischen Nieren¬
funktion berichte und dabei auch Vieles berühre, was ich schon
vor das chirurgische Forum gebracht habe, so geschieht dies dess-
halb, weil diese Untersuchungen ihrem Wesen nach zum grossen
Theil auf dem Gebiete der internen Medizin liegen und weil ich
voraussetzen darf, dass diese Fragen nicht nur für den Chir¬
urgen, sondern auch für den Internen von Interesse sind.
Die Voraussetzung aller Untersuchungen über die Funktion
einer Niere ist die gesonderte Entnahme des Sekretes aus jeder
einzelnen Niere. Dieser Forderung wird genügt durch den
TJreterenkatheterismus. Ich verfüge über 55 Untersuchungen,
deren Resultate erhalten sind durch vergleichsweise Analysen
der durch den Ureterenkatlieterismus gleichzeitig gewonnenen
Sekrete. Die Analyse bezog sich auf quantitative Bestimmung
von Harnstoff-Phosphorsäure, Chlor, Glukose nach Phloridzin¬
ein Verleihung und auf die Bestimmung der molekulären Kon¬
zentration durch die Methode der Gefrierpunktserniedrigung.
Physiologisch arbeitende Nieren sind in der Weise thätig,
dass sie in nahezu regelmässigen Intervallen durch ihre zu¬
gehörigen Ureteren ihren Urin meist alternirend auswerfen. Die
Intervalle zwischen den einzelnen Entleerungen des gleichen
Ureters können in weiten Grenzen schwanken. Sie sind abhängig
von der Konzentration des Urins. Bei konzentrirtem Urin
können die Pausen bis zu 5 Minuten und mehr betragen. Je ver¬
dünnter der Urin, desto kürzer werden die Pausen. Ist der Urin
sehr verdünnt, so folgen die einzelnen Ureterkontraktionen sehr
rasch aufeinander. Sie können sich in Abständen, die bis auf
4 Sekunden heruntergehen, folgen. Dabei ist das Volum der
ausgeworfenen Flüssigkeitsmenge im grossen Ganzen keinen be¬
deutenden Schwankungen unterworfen. Man könnte leicht der
Annahme zuneigen, der dünnere Urin werde dadurch in grösserer
Menge als der konzentrirte vom Ureter in die Blase befördert,
dass der Ureter in einer jeweiligen Kontraktion ein vermehrtes
Volum Urins aus seiner Niere in die Blase leitet. Dem ist nicht
so. Die Urinmenge in der Blase wird in der gleichen Zeit beim
verdünnten Urin dadurch eine grössere, dass die Ureteren sich
viel häufiger kontrahiren, also vermehrte Arbeit leisten. Die
gleiche Flüssigkeitmenge wird in häufigerer Folge ausgeworfen.
Die Flüssigkeitsmenge, die auf eine Ureterkontraktion ent¬
fällt, schwankt in der grossen Mehrzahl der Fälle zwischen an¬
nähernd 2/10 — 4/10 ccm. Das Urinvolum im einzelnen Aus¬
wurf bleibt also annähernd das gleiche, nur die Ureterkontrak¬
tionen werden mehr oder weniger häufig.
Wird kein Katheter in den Ureter gelegt, sondern werden die
Oeffnungen der Ureterlippen im Cystoskop betrachtet, so fällt
auf, dass alsdann die Kontraktionen der Ureteren und dem¬
entsprechend die einzelnen Auswurfsperioden des Urins noch
rascher aufeinander folgen. Der starre Katheter bildet offenbar
ein gewisses Ilemmniss für die Peristaltik des Ureters; die Kon¬
traktionen werden weniger zahlreich. Am wenigsten macht sich
dies bemerkbar, wenn der Katheter nur wenig hoch in dem Ureter
liegt, dringt er weiter vor, so wird die Verlangsamung der Kon¬
traktionen deutlicher. Bei noch weiterem Vorschieben tritt in¬
dessen wieder eine gehäuftere Folge des Ausflusses ein, die an
Schnelligkeit wächst, je mehr sich das Katheterauge den Nieren¬
becken nähert, um schliesslich in einen kontinuirlichen oder fast
kontinuirlichen Urinausfluss überzugehen, sobald das Auge des
Katheters im Nierenbecken liegt.
Der periodische Auswurf geschieht unter starkem Druck.
Aus dem sich kontrahirenden Ureter kommt der Urin im cysto-
skopischen Bild als Strudel heraus; durch die in die Ureteren
eingelegten Katheter wird er tropfenweise herausgeschleudert.
Ganz anders sehen wir die Verhältnisse gestaltet bei ver¬
schiedenen Erkrankungen der Niere. Da beobachten wir, worauf
ich nachher an der Pland einzelner Fälle des Näheren zurück¬
kommen werde, markante Abweichungen von diesem Typus. Wir
sehen träge Ureterkontraktionen, die an Zahl weit hinter denen
der gesunden Seite Zurückbleiben. Besonders auffallend tritt
dieses Phänomen in die Erscheinung bei fortgeschrittenen ein¬
seitigen Pyonephrosen und Tumoren der Niere. Und während
normal funktionirende Nieren in gleichen Zeiten annähernd
gleiche Mengen Sekretes liefern, zeigt sich bei anormal funktio-
nirenden eine erhebliche Differenz in der Menge.
Ferner können wir uns aus dem Ausfall der Ureterenkon-
traktionen auf der einen Seite im Zusammenhalt mit den vor¬
liegenden Verhältnissen und im Verein mit der speziellen Funk¬
tionsprüfung, die ich gleich erörtern werde, beispielsweise bei
Pyonephrosen und Tumoren, ein Bild machen von der Grösse des
zu Grunde gegangenen funktionstüchtigen Parenchymgebietes.
Vergleichen wir hierbei auch wieder die Mengen, die aus beiden
Nieren ausgeworfen werden, so sehen wir die eine Niere in rascher
Folge innerhalb kurzer Zeit grosse Quantitäten Flüssigkeit pro-
düziren. Ist die andere Niere Sitz eines Tumors, oder ist sie
zum grossen Theile eitrig eingeschmolzen oder tuberkulös de-
generirt, erfüllt das Nierenbecken ein Stein, so wirft sie in der
gleichen Zeit oft nur einige wenige Kubikzentimeter Sekretes
aus oder ihr Ureter arbeitet überhaupt gar nicht. Die Beschaffen¬
heit des Sekretes ist, entsprechend dem relativen degenerirten
Zustand der Nieren, eine charakteristisch differente von dem der
gesunden oder gesünderen Niere. Ganz anders charakterisirt
sich natürlich das Verhalten der Ureterkontraktionen bei Stein¬
einklemmung. Hier ist es die Plötzlichkeit des Versagens seiner
Funktion und meist auch der des anderen Ureters, die dem Bilde
sein charakteristisches Gepräge gibt. Im Gegensatz hierzu steh*
das intermittirende Aussetzen seiner I hätigkeit bei Hydio-
nephrose, bei Verlegung seines Weges durch Kompression
benachbarter Tumoren und plastischer Exsudate, durch Ad
häsionen, durch Verwachsungen mit den Gefässscheiden.
*) Auszugsweise vorgetragen auf dem XXX. Kongress der
Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin, am 4. April 1902
und dem XX. Kongress für innere Medizin in Wiesbaden, am
16. April 1902.
;k, :o.
1218
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
Gelingt es in diesem Falle, das Katheterauge in’s Nieren¬
becken zu bringen, so ändert sieh mit einem Mal das
Bild. Während physiologisch sich die Sekretion im Nieren¬
becken durch ein kontinuirliches Träufeln aus dem Ka¬
theterende charakterisirt, ist die Retention im Nierenbecken
bei diesen Zuständen, bei manchen Formen der Wanderniere, bei
Knickungen des U reters aus anderen Ursachen, die zur Retention
führen, dadurch ausgezeichnet, dass der verhaltene Urin im un¬
unterbrochenen Strom aus dem im Nierenbecken liegenden Ka¬
theter ausfhesst.
Dies in kurzen Zügen das grobsinnlich Wahrnehmbare der
Funktion.
In das feinere Wesen dieser Funktion eröffneten uns einen
Einblick die Arbeiten der Herren C a s p e r und Richte r. Sie
stellten fest, dass normale Nieren in der Weise thätig sind, dass
sie in gleichen Zeiten ein Sekret liefern, in dem gleiche Mengen
Stickstoffs, meistens gleiche Mengen Chlors, sowie gleiche Men¬
gen Zuckers nach Phloridzininjektion enthalten sind und dessen
molekulare Dichte gleich ist.
In 22 Untersuchungen konnte ich diese Angaben bestätigen.
Pathologisch funktionirende Nieren arbeiten nicht so gleich-
mässig, wie die normalen, sondern sie liefern in gleichen Zeiten
ein Produkt, das in Bezug- auf Stickstoff- und Chlorgehalt, auf
Zuckergehalt nach Phloridzininjektion und in der molekularen
Dichte erhebliche Differenzen aufweist. Die pathologisch funk¬
tionirende Niere verarbeitet keine so grosse Molekelzahl, als ihr
gesundes oder gesünderes Schwesterorgan, sie hält mehr Molekel
zurück, ihr Produkt hat eine geringere molekuläre Dichte: sie
scheidet demgemäss weniger Chlor, weniger Stickstoff aus und
verarbeitet weniger Zucker aus dem Phloridzin. In der Art und
Menge der Zuckerelimination insbesondere haben wir ein wich¬
tiges Kriterium, um uns im Zusammenhang mit der Funktions¬
weise des Ureters eine Vorstellung davon zu machen, ob überhaupt
noch und wie viel funktionirendes Nierenparenchym erhalten ist.
Die Herren C a s p e r und Richter kamen zu diesen Er¬
gebnissen auf Grund ihrer Untersuchungen, die sie in der Weise
anstellten, dass sie jeweils in einem Falle einmal dasjenige
Nierensekret analysirten, das sie während einer bestimmten Zeit
erhielten.
Ich erweiterte nun die Fragestellung hinsichtlich der Thätig-
keit der physiologisch und pathologisch arbeitenden Niere und
suchte über die exaktere Nierenarbeit weiteren Aufschluss zu er¬
halten durch Untersuchung folgender Fragen: Wie verhält sich
diese Arbeit zu verschiedenen Zeiten in einer Niere allein, wie
verhält sie sich in beiden Nieren? Wie verhält sie sich unter
den gleichen Voraussetzungen zu einer bestimmten Zeit? In
welcher V eise weicht hiervon die pathologisch arbeitende
Niere ab? Ferner sollte Hand in Hand damit unter¬
sucht werden, welchen Einfluss die Verdünnung des Urins
durch Zufuhr von Ilüssigkeit während des Reihenversuchs
auf die Arbeit der Niere ausiibt. Die Zahl meiner
Untersuchungen beträgt bis jetzt 55, und ich kam in
ihnen zu folgenden Ergebnissen, die meine früher mitgetheilten
Resultate bestätigten: Die Funktion physiologisch arbeitender
N ieren ist zu gleicher Zeit stets die gleiche, verglichen linke
mit rechter Niere. Diese Funktion ist eine wechselnde, und zwar
eine in jedem Augenblick wechselnde in ein und derselben Niere.
Die Funktion pathologisch arbeitender Nieren weist, ver¬
glichen linke mit rechter Niere, gleichzeitig stets analoge Diffe¬
renzen auf und ist in ein und derselben Niere in jedem Augen¬
blick eine wechselnde, niemals eine konstante.
Molekuläre Konzentration, Chlor-, Ilamstoff-Phosphorsäure-
gehalt, sowie durch Phloridzin erzeugter Zuckergehalt im Sekret
der gleichen Niere wechseln also von Augenblick zu Augenblick,
physiologisch wie pathologisch, sind aber physiologisch jederzeit
gleichwerthig dem korrespondirenden Sekret der korrespondiren-
den Niere, pathologisch von analoger Differenz. Dabei ergab sich
vielfach zwischen den einzelnen Werthen einer Reihe ein kon¬
stantes Verhältnis.
1 nter dem Einfluss der Urinverdünnung durch aufge¬
nommene Flüssigkeitsmengen findet ein jäher Wechsel im osmo¬
tischen Druck insbesondere, weniger konstant in den übrigen
Werten statt. Es können Differenzen bis zu 200 Proz. und dar¬
über erreicht werden. Bezüglich der Differenzen in der moleku¬
laren Konzentration zwischen linker und rechter Niere soll das
Nähere weiter unten erörtert werden.
Ausserdem findet ein mehr allmählicher Wechsel in der Kon¬
zentration statt, der in direktem Verhältniss zum Verdauungs-
resp. Resorptionsprozess steht. Die Zahlen sinken successive mit
abklingender Verdauung resp. Resorption.
Auch meine neuerlichen Untersuchungen bestätigen mir, was
ich schon früher betonte. Wir dürfen für die Erniedrigung des
Harngefrierpunktes keine Grenzwerthe aufstellen und aus dies¬
seits oder jenseits dieser Grenze liegenden Werthen diagnostische
Schlüsse auf pathologische Zustände der Niere ziehen. Es ist
ein Leichtes, durch Flüssigkeitszufuhr die Gefrierpunktserniedri¬
gung, selbstverständlich auch die übrigen Werthe beliebig zu
variiren bezw. zu vermindern. Kurze Zeit nach Eingabe der
^ erdünnungsflüssigkeit macht sich der Einfluss der Urinver¬
dünnung im Sinken der Zahlen, besonders für d bemerk¬
bar. Je geringer die Molekelzahl in der Volumeinheit
wird, desto geringer wird die Gefrierpunktserniedrigung.
Die Zahlen der Gefrierpunktserniedrigung im Gesammturin sind
ich darf dies wohl an dieser Stelle nochmals betonen — nur zu
verwerthen unter Berücksichtigung der aufgenommenen und aus¬
geschiedenen Flüssigkeitsmenge einerseits und des Stoffwechsel¬
versuches andererseits. Auf die Chlorbestimmung möchte ich
nicht verzichten, denn sie lieferte mir durchgehend exakte
Werthe. Bei kleinen zu Gebote stehenden Flüssigkeitsmengen
ist es zweckmässig, nach der Tüpfelmethode zu arbeiten.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen möchte ich im Spe¬
ziellen das Bemerkenswertheste meiner neuen Untersuchungen
mitzutheilen mir gestatten.
Zwei davon betrafen eine rechtsseitige Wanderniere. Auch
liier ergab auffallender Weise die funktionelle Prüfung in beiden
Versuchen, analog den früher mitgetheilten bei Wanderniere, dass
die Wanderniere nicht, wie a priori zu erwarten war, geringere
Werthe lieferte, sondern sie zeigte sich funktionell tüchtiger als
die andere Niere. Sie schied dementsprechend mehr Harnstoff-
Phosphorsäure, mehr Chlor aus, produzirte mehr Glukose und ihr
Urin hatte eine erhöhte Gefrierpunktserniedrigung. Die Diffe¬
renzen waren im zweiten Versuch grösser als im ersten und am
ausgesprochensten in der Zahl des osmotischen Druckes. Diese
Differenz muss als Wirkung der aufgenommenen Flüssigkeit auf¬
gefasst werden. Identische Resultate nach aufgenommener Flüs¬
sigkeit während des Versuchs ergaben sich in einer weiter unten
zu besprechenden Versuchsreihe.
Linke Niere Rechte Niere
I , I
d
1,51
1,56
G
1,90 Proz.
2,15
Proz.
Na CI
0,97 „
1,09
Ur*)
L51 „
1,54
V)
II
II
d
0,905
1,09
G
1,08 Proz.
1,42
Proz
Na 01
0,60 „
0,78
Ur
0,97 „
1,16
yy
7,5 mg Phloridzin injizirt 4 Uhr 42 Min.
I sezernirt 5 Uhr 04 Min. bis 5 „ 35 „
^ » 5 „ 35 „ „ 5 „ 47 „
Ureterkatheter im rechten Ureter.
5 Uhr 25 Min. 200 ccm warmen Kaffees.
Zu diesen und den folgenden Untersuchungen ist zu be¬
merken, dass die mit fortlaufenden römischen Zahlen versehenen,
wie I, II, jeweils zu einer Untersuchungsreihe gehören und sich so
unmittelbar aneinander anschliessen, dass zwischen den einzelnen
\ ersuchen kein Urin verloren gehen konnte.
J bedeutet die Gefrierpunktserniedrigung unter dem Gefrier¬
punkt des destillirten Wassers bei 15° C.
G bedeutet Glukose.
Ur*) schliesst in sich diegesammte durch salpetersaures Queck¬
silberoxyd fällbare Substanz und bedeutet also die durch salpeter¬
saures Hg-Oxyd fällbaren Harnstoff- und Phosphorsäure.
Die Wirkung der Zufuhr der Verdünnungsflüssigkeit (200 ccm
warmen Kaffees) machte sich 10 Minuten nach der Aufnahme be¬
merkbar. Die Sekretion wurde stärker, es wurde in 12 Minuten
die gleiche Menge (18 ccm Urins) aus beiden Nieren ausgeworfen,
die vor der Flüssigkeitsaufnahme in 31 Minuten produzirt wurde.
Des Ferneren machte sich der Einfluss der Urinverdünnung be¬
merkbar im Sinken der Zahlen, besonders für d und Harnstoff -
Phosphorsäure. d in der linken Niere sank unter dem Einfluss
der aufgenommenen Verdünnungsflüssigkeit um G8 Proz., der
*) Aus technischen Gründen konnte für die übliche Bezeich¬
nung des Harnstoffs nur Ur gesetzt werden.
22. Juli 1902.
MUENC1IENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1219
Ur-Phosphor Säuregehalt mu 5(5 Proz. In der rechten Niere be¬
trugen die Differenzen für d 43 Proz., für Ur - Phosphorsäure
32 Proz. Aber nicht allein ein Sinken der Zahlen trat nach der Urin¬
verdünnung ein, es machte sich, was viel bemerkenswertlier er¬
scheint, eine erhebliche Differenz, besonders in der Gefrierpunkts¬
erniedrigung zwischen linker und rechter Niere bemerkbar.
Aehnlich lagen die Funktionsverhältnisse in einem Falle von
intermittirender rechtsseitiger Hydroneplirose. Ich sehe auch hier,
wie bei Besprechung der Ergebnisse der Funktion bei den fol¬
genden Fällen, von einer Wiedergabe der Krankengeschichten ab
und betone nur das, was mit der Prüfung der Funktion in un¬
mittelbarem Zusammenhänge steht.
Die verminderte Funktionsfähigkeit entsprach nicht der
a priori als kränker angesehenen Niere. Mit dem Ureterkatheter
traf man im Verlauf des r. Ureters auf ein Hinderniss, das nicht
zu überwinden war. Dieser Stelle entsprach eine äusserlich deut¬
lich abgrenzbare Resistenz. Bei der Patientin, die 2 Jahre zuvor
doppelseitig ovariotomirt worden war, hatte sich ein beträchtliches
Stumpfexsudat gebildet, das den r. Ureter komprimirte. Trotz
der rechtsseitig bestehenden intermittirendcn Hydroneplirose war
die Funktion in dieser Niere besser, als in der anderen, in der
offenbar der pyelonephritische Prozess (im Anschluss an die
Ovariotomie war eine schwere purulente Cystitis und eine Pyelo¬
nephritis aufgetreten) grössere funktionelle Beeinträchtigungen
gesetzt hatte.
Die Analyse des gesummten Urins, der unmittelbar vor dein
Beginn des Ureterenkatheterismus durch den Katheter entnommen
wurde, ergab Folgendes:
Gesammt-Urin
d 1,045
Na CI 0,76
Proz.
Ur 1,68
Ureter-Katheterismus ergab :
Linke Niere
Rechte Niere
I
I
d
1,405
1,555
G
2,15 Proz.
2,7 Proz.
Na CI
i.oo „
1,09 „
Ur
1,28 ,,
1,62 „
II
n
d
1,335
1,455
G
1,45 Proz.
1,57 Proz.
Na CI
1,10 „
1,21 „
Ur
1,23 „
1,58 „
HI
III
d
1,34
1,365
G
1,25 Proz.
1,23 Proz.
Na CI
—
—
Ur
—
—
Der Ureterkatheter lag im rechten Ureter:
12 Uhr 4 Min. werden 7,5 mg Phloridzin injizirt. Patientin
trank bis 5 Tage vor dem Versuch täglich % Liter Wildunger
Helenenquelle: Diese wurde absichtlich zum Zwecke des Versuchs
sistirt. An Flüssigkeit auf genommen: 5 Stunden vor Beginn des
Versuchs 200 ccm warmen Milchkaffees, 3 ya Stunden vor Beginn
des Versuchs 250 ccm Hafermehlsuppe.
Versuch I: 12 Uhr 25 Min. bis 12 Uhr 50 Min.
„ II: 12 „ 50 „ „ 1 „ 10 „
„ III: 1 „ 10 „ „ 1 „ 20 „
12 Uhr 47 Min. wurden 250 ccm warmen Thees zur Ver¬
dünnung gegeben.
Während der ganzen Dauer der Untersuchung war die Sekre¬
tion auf der rechten Seite gegen die der linken um nahezu die
Hälfte verringert, und unter dem Einflüsse der Verdünnung machte
sich in diesem Verhältniss auch keine Aenderung bemerkbar. Be¬
trachten wir die Zahlen, so fällt auf, dass sich hier der Einfluss
der verdünnenden Nieren thätigkeit nach Flüssigkeitszufuhr in der
gleichen Zeit wie bei den vorauf gegangenen und folgenden Ver¬
suchen nicht — auch nicht für d — bemerkbar machte. Es wurden
weder die Zahlenwerthe verringert, noch traten Differenzen auf
zwischen d der linken und der rechten Niere.
Wohl aber machte sich der Einfluss in Versuch III daran be¬
merkbar, dass in diesem das gleiche Flüssigkeitsvolum, was in
Versuch II in 21 Minuten sezernirt wurde, nunmehr in 10 Minuten
sezernirt wurde. Aber nur von der linken Niere. Von der rechten
wurde im Gegentheil etwas weniger sezernirt.
10 weitere Untersuchungen betrafen einen Fall, von dem ich
in seinen Anfängen schon auf der Hamburger Naturforscher¬
versammlung berichtete. Es handelte sich um eine Patientin, die
wegen linksseitiger Wanderniere 3 mal nephropexirt war und bei
der gelegentlich der zweiten Nephropexie vor 7 y2 Jahren Tuber¬
kulose der linken Niere konstatirt worden war. Es wurde die
mikroskopische Diagnose an einem exzidirten Stückchen Niere
gestellt. In den ersten Untersuchungen, deren Reihen viele Wochen
auseinander lagen, und die sich über 6 Monate erstreckten, waren
für linke und rechte Niere übereinstimmende Zahlen gefunden
worden. Die nun folgenden Untersuchungsreihen lagen über
3 Monate auseinander und wurden y2 Jahr nach den ersten Ver¬
suchen angestellt. In den ersten 7, die eine Reihe (A) umfassten,
war, wenn wir einmal den Einfluss der Flüssigkeitszufuhr ganz
ausser Acht lassen wollen, eine, wenn auch in Versuchen I
und IV— VII nur sehr geringe und völlig innerhalb nor¬
maler Grenzen liegende, so doch konstante Erniedrigung aller
Wert he aus der linken Niere gegenüber denen der rechten
Niere zu konstatiren. Eine über 3 Monate nach dieser
angestellte Untersuchungsreihe (B) ergab eine zunehmende Diffe¬
renz in den Werthen der linken gegenüber denen der rechten Niere
(zu Ungunsten der linken), insbesondere in der molekulären Kon¬
zentration aber auch im Chlor-, Harnstoff-Phosphorsäuregehalt
und im Glukosegehalt nach Phloridzininjektion.
Der Ureterkatheter lag im linken Ureter:
Reihe A:
Linke Niei’e
Rechte Niere
I
I
d
0,95
5 0,98
G
—
—
Na CI
0,74 Proz
0,75 Proz.
Ur
1,24 „
1,24 „
II
II
d
0,43
0,63
Na CI
0,41 Proz.
0,50 Proz.
Ur
0,06 „
0,78 „
III
III
d
0,35
0,40
Na CI
0,29 Proz.
0,41 Proz.
Ur
0,41 „
0,56 „
IV
IV
d
0,31
0,36
Na CI
0,31 Proz.
0,34 Proz.
Ur
0,40 „
0,46 „
V
V
d
0,29
0,32
Na CI
0,25 Proz.
0,28 Proz.
Ur
0,34 „
0,40 „
VI
VI
d
0,30
0,30
Na CI
—
—
Ur
—
—
VII
VII
d
0,30
0,31
Na CI
—
—
Ur
—
—
Während des Versuches I wurden 400 ccm Gerolsteiner
Sprudels zur Verdünnung des Urins gegeben.
5 Uhr 50 Min. bis G Uhr 10 Min. wurden 250 ccm kalter Milch
zur weiteren Verdünnung gegeben.
Deren Wirkung machte sich bereits nach 10 Minuten — aber
nur an der verstärkt einsetzenden Sekretion — bemerkbar. Un¬
mittelbar vor Versuch I katheterisirter Blasenurin hatte eine d
— 1,05. Unmittelbar vor Versuch I katheterisirter Urin der linken
Niere hatte eine d — 1,015.
Versuch I: 5 Uhr 45 Min. bis
6
Uhr 04 Min.
„ II: 6
04
6
16
yy
„ HI: 6
»
16
» ff
6
22
yy
„ IV: 6
yy
22
» J?
6
V
28
yy
„ V: 6
T>
28
ff »
6
yy
34
yy
„ VI: 6
yy
34
6
yy
39
yy
„ VII: 6
yy
39
yy yy
6
yy
42
yy
In den Zahlen drückt sich der Einfluss der Verdünnung schon
in Versuch II aus (nach 15 Minuten ungefähr). Die weitere Zufuhr
von 250 ccm kalter Milch wirkte nicht mehr in dem Maasse ver¬
dünnend, wie die ersten 400 ccm Sprudelwassers.
Auffallend ist jedoch das Verhalten der Zahlen unter dem
Einflüsse der aufgenommenen , verdünnenden Flüssigkeiten.
Während in Versuch I, der ausserhalb des Wirkungsbereichs
der verdünnenden Flüssigkeit liegt, die Zahlen für linke und
rechte Niere so identisch sind, wie sie einer normalen
Niere entsprechen, ist die Differenz unter dein Einflüsse
der Flüssigkeitszufuhr in Versuch II eine recht beträcht¬
liche zwischen links und rechts. Am grössten ist sie in der Ge¬
frierpunktserniedrigung links. Allmählich gleichen sich die Zahlen
von Versuch zu Versuch wieder aus, um zum Schlüsse in Versuch
VI und VII wieder hinsichtlich der molekulären Konzentration
identisch zu werden.
Leider gingen die Flüssigkeiten dieser letzten V ersuche bei der
Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung durch Zerbrechen des
Gefässes verloren, so dass eine CI- und Ur-Bestimmung nicht mehr
angestellt werden konnte.
Zahlenmässig ausgedrückt sinken die Zahlen unter dem Ein¬
flüsse der Verdünnung in Versuch II gegenüber denen in 'Ver¬
such I wie folgt:
3*
i 220
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
A links um 120 Proz.
A rechts „ 55 „
CI Na links „ 80 „
CI Na rechts „ 50 „
Ur links „ 107 „
Ur rechts „ 59 „
erniedrigt in Versuch II gegen Versuch I.
Auf der rechten Seite schwankt also die Erniedrigung zwi¬
schen 50 und (50 Froz., auf der linken innerhalb grösserer Grenzen.
Die Zahlen in Versuch III sinken gegen diejenigen in Ver¬
such I wie folgt:
A
A
CI
CI
Ur
Ur
links
um
171 Proz
rechts
»
145
»»
links
155
yy
rechts
.*)
83
links
n
202
»
rechts
yy
121
yy
erniedrigt gegen Versuch I.
Und betrachten wir die Erniedrigungen der Zahlen von Ver¬
such III gegen diejenigen von Versuch II, so ergibt sich in Pro¬
zenten ausgedrückt:
A
links
um
23 Proz.
A
rechts
57
yy
CI
links
tt
29
yy
erniedrigt in Versuch III gegen
Ver-
CI
rechts
22
yy
such II.
Ur
links
46
yy
Ur
rechts
yy
40
yy
Die Differenzen
werden nun von Versuch zu Versuch
ge-
ringer, um sich allmählich gänzlich auszugleichen.
Reihe B, 3 Monate nach Reihe A angestellt, ergab:
Linke Niere Rechte Niere
I I
A
1,22
1,37
G
1,04 Proz.
1,32 Proz.
Na CI
1,00 „
0,96 „
Ur
1,20 ,,
1,18 „
II
II
J
1,02
1,23
G
0,74 Proz.
0,88 Proz
Na CI
0,79 „
0,83 „
Ur
0,86 „
1,0) „
4 3
IG
Na CI
Ur
UI
0,74
0,29
0,61
0,71
Proz.
III
5 Uhr 10 Min. 7,5 mg Phloridzin injizirt.
0,81
0,32
0,71
0,87
Proz.
Versuch IV5 Uhr 35 Min. bis 5 Uhr 58 Min.
» U:*b » 53 „ „ 6 „ 13 „
., III :;5 „ 13 „ „6 „ 22 „
5 Uhr 55 Min. 200 ccm warmen Thees zugeführt.
Es kam nun hinzu, dass im Laufe der Beobachtung sich auch
rechterseits eine Wanderniere ausbildete. Wie schon bemerkt,
fanden sich in 5 Untersuchungen bei Wandernieren auf Seiten der
Wanderniere mehr wenig erhöhte Werthe.
Ob nun in vorliegendem Falle die Zahlen der Versuchs¬
reihe B in der Weise aufzufassen seien, dass die erhöhten
Werthe auf die rechtsseitige Wanderniere, oder die verminderten
auf eine einsetzende Erkrankung der linken Niere zu beziehen
sind, musste vorerst eine offene Frage bleiben. Es wäre auch in
Erwägung zu ziehen, ob nicht die Niere durch die dreimalige
Nephropexie in ihrer Funktion derartig beeinträchtigt worden ist,
dass sie nunmehr beginnt, niedrigere Werthe zu produziren. Wahr¬
scheinlich ist dies nicht und zwar desshalb nicht, da sie in zahl¬
reichen voraufgegangenen Versuchen mit der Niere der anderen
Seite gleichwerthig funktionirte.
Die Gefrierpunktserniedrigung des Blutes <f betrug in vier
Untersuchungen: 0,56, bezw. 0,56, bezw. 0,55, bezw. 0,55."
Auffallen muss indessen auch hier der Einfluss der Flüssigkeits¬
zufuhr. der sich in den Zahlen — am ausgesprochensten wieder
in der Gefrierpunktserniedrigung — ausdrückt. Einmal sinken
die Werthe für A andererseits bleibt die zuvor bestehende Differenz
zwischen links und rechts auch nach der Flüssigkeitsaufnahme
bestehen und wird unter dem unmittelbaren Einfluss der Flüssig¬
keitszufuhr in Versuch II noch etwas grösser, um sich in Ver¬
such III schon wieder allmählich auszugleichen.
Betrachten wir nun in den 4 Versuchsreihen die erhaltenen
Zahlenwerthe vor Aufnahme der Flüssigkeit, mit denen nach der
1 lüssigkeitsauf nähme im Zusammenhang, so ergeben sich in
3 Reihen ausgesprochene Differenzen, hauptsächlich in der Ge¬
frierpunktserniedrigung. In der einen Reihe (intermittirende
Ilydronephrose) besteht diese Differenz nicht. Die Differenzen
drücken sich nach 2 verschiedenen Richtungen hin aus. Ein¬
mal in einem regelmässigen starken Sinken der Gefricrpnnkts-
erniedrigung nach der- Flüssigkeitsaufnahme (auch die Zahlen für
NaCl und Ur sinken, wenn auch nicht so regelmässig) innerhalb
kurzer Zeit. Alsdann ergibt sich, was besonders bemerkenswert!!
erscheint, zwischen den Werthen insbesondere der Gefrierpunkts¬
erniedrigung für linke und rechte Niere eine solche Differenz,
dass diese sicher keine zufällige sein dürfte, sondern zur An¬
nahme berechtigt, dass sie den dem direkten Einfluss der aufge¬
nommenen Flüssigkeit auf die spezifische wassersekretorische
bezw. resorptive Thätigkeit der Niere (im Sinne Paul i’s und
Drese r’s) zuzuschreiben ist.
Während in dem Falle von Wanderniere vor der Flüssigkeits¬
aufnahme keine Differenz bestand, vielmehr die Zahlen für links
und rechts so übereinstimmten, dass beide Nieren als normal
funktionirende angesehen werden mussten, stellte sich eine er¬
hebliche Differenz unter dem Einfluss der Flüssigkeitszufuhr ein.
Man könnte nur den naheliegenden Einwand machen, dass diese
Wirkung der Wanderniere eigen wäre, oder auch eine Eigenschaft
normaler Nierenthätigkeit sei. Dieser Einwand wird widerlegt
durch die Ergebnisse des Falles, in dem es sich darum handelte,
festzustellen, ob eine einseitige funktionelle Minderwertigkeit
in der Niere bestehe oder nicht (Reihen A und B). In 12 Ver¬
suchen, deren Reihen viele Wochen lang auseinander lagen und
sich über 6 Monate erstreckten *), fanden sich für linke und rechte
Niere übereinstimmende Werthe. Ein Vz Jahr darnach angestell-
ter Versuch ergab gleichfalls übereinstimmende Zahlen im I. Ver¬
such der Reihe, der vor der Urinverdünnung lag. Es wurde nun
der Versuch mit Flüssigkeitszufuhr unmittelbar an diesen ange¬
schlossen, und es ergab sich zum ersten Male in diesem Falle eine
Differenz in den Werthen. 3 Monate später wurde eine aber¬
malige Versuchsreihe angestellt, und es ergab sich nunmehr, auch
ohne Flüssigkeitsaufnahme, eine ausgesprochene Differenz in der
molekulären Konzentration (und Glukoseausscheidung) zu Un¬
gunsten der suspekten Niere. Diese Differenz blieb auch be¬
stehen, bei angestelltem Versuch der Verdünnung des Urins durch
Flüssigkeitszufuhr.
Es erhellt hieraus, dass die unter dem Einfluss der
Flüssigkeitszufuhr und der urinverdünnen¬
den Nierenthätigkeit eintretende einseitige
Verminderung der Gefrierpunktserniedri¬
gung, das Zeichen einer funktionell minder¬
wert liigen Niere ist, dass diese Minder¬
wertigkeit sich manifestiren kann zu einer
Zeit schon, wo die gewöhnliche funktionelle
Prüfung und die funktionelle Prüfung im
Reihenversuch noch nichts darüber auszu¬
sagen vermögen, und dass der Versuch der
Urinverdünnung durch Flüssigkeitszufuhr
eine latente funktionelle M inderwert higkeit
einer Niere aufzudecken im Stande ist.
Im Gegensatz hierzu stehen die Ergebnisse des Falls von
intermittirender rechtsseitiger Ilydronephrose. Die Werthe
für -/ waren unter dem Einfluss der Flüssigkeitsaufnahme nicht
auffallend erniedrigt, und die schon bestehende Differenz zwischen
a der linken und rechten Niere wurde nicht beeinflusst. Es ist
dies, bei den zweifellos bestehenden pathologischen Veränderungen
beider Nieren, in diesem Falle sehr auffallend und es wäre mög¬
lich, dass wir nach dieser Richtung hin graduelle Verschieden¬
heiten in der Funktionsfähigkeit einer Niere zu suchen haben
werden. Es ergeben sich eben aus dem Moment der urinver¬
dünnenden Nierenthätigkeit weitere Gesichtspunkte, deren Mög¬
lichkeit vorerst nur angenommen werden darf und deren Be¬
rechtigung durch weitere Untersuchungen nach dieser Richtung,
insbesondere an normalen Nieren geklärt und erhärtet werden
soll.
Alsdann möchte ich über 2 Fälle berichten, in denen es mög¬
lich war, durch Prüfung ihrer Funktion diagnostische Details
vorherzusagen, über die bislang nur die operative Autopsie Aus¬
kunft zu geben vermochte, und die die Operation (Nephrektomie)
vollauf bestätigte.
ln dem einen Falle handelte es sich um ein rechtsseitiges
Nierenkarzinom.
Auf Grund der Analyse der gesonderten Sekrete 2) konnte vor
der Operation vorausgesetzt werden, dass nahezu alles Nieren
gewebe in dem Tumor aufgegangen, aber doch noch minimalste
9 Berl. klin. Wochenschr. 1902, No. 9.
-) Ibidem.
22. Juli 1002.
MUENC1IENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
1221
Mengen Nierenparenchyms erhalten sein müssen. Denn in einem
Reihenversuch von 5 Einzelversuchen schied in Versuch No. I die
erkrankte Niere noch und zwar 20 mal weniger Zucker aus als die
gesunde. Wenige Minuten danach schied die erkrankte Niere
überhaupt keinen Zucker mehr aus. Man kann an dem Tumor —
er ist ein Karzinom — erkennen, dass in der That noch eine kleine
Zone Nierenparenchyms am unteren Pol erhalten ist, auf dem
Durchschnitt ca. 2 cm breit, 1 cm lang. Rinde und Mark sind deut¬
lich geschieden und die Markstrahlen distinkt in die Rinde ver¬
folgbar.
Man sieht also hier, eine wie geringe Menge Nieren¬
parenchyms überhaupt nur nöthig ist, um noch Glukose aus
Phloridzin zu verarbeiten.
Interessant war es, die Nieren arbeiten zu sehen. Während
die Urinfluth der gesunden Niere so stark war, dass sie 90 ccm in
25 Minuten durch den TTreterkatheter auswarf, produzirte der
Tumor, nur durch wenige Ureterkontraktionen, einige Kubikcenti-
meter Blutes und blutfarbener Flüssigkeit, wovon die eine Hälfte
auf Versuch I der Reihe, die andere auf Versuch III kam.
Während der übrigen, dazwischen liegenden und folgenden Ver¬
suche, II, IV und V arbeitete der Ureter der erkrankten Seite
überhaupt nicht.
Die Gefrierpunktserniedrigung des Blutes betrug 0,595.
Alsdann möchte ich mir erlauben, Ihnen das Präparat einer
exstirpirten Pyonephrose zu zeigen, das dosshalb interessant ist,
weil es gleichfalls darthut, ein wie geringer Rest von Nieren¬
rindensubstanz nur noch erhalten zu sein braucht, um sein Vor¬
handensein in vivo nachweisen zu können. Die Niere stellte
einen prallelastischen Tumor dar, der ballotirte, ausgedehnten
lumbalen Kontakt in Rückenlage, abdominalen in Seitenlage er¬
gab. Cystoskopisch zeigte sich ein aus der linken Uretermündung
heraushängender Eiterpfropf, der bei Druck auf die linke Niere
sich allmählich loslöste. Damit war die Diagnose Pyonephrose
einerseits eindeutig. Andererseits aber konnte aus dem Umstand,
dass indem von dieser Eiterniere produzirten Eiter noch Phlorid¬
zin zu wenig Glukose verarbeitet war, bestimmt vorausgesagt
werden, dass doch noch etwas weniges Nierenparenchym vor¬
handen sein müsse. Wie wenig das sein muss, damit es durch
Ureterkatheterismus und Analyse auf Glukose noch nachgewiesen
werden kann, werden Sie leicht an der herumgegebenen Niere
erkennen können. Beiläufig sei noch bemerkt, dass der gesammte
Eiter, der zur Untersuchung auf Glukose gewonnen wurde, durch
nur 2 Ureterkontraktionen von der Niere geliefert wurde.
. Aber noch etwas anderes ist aus diesen beiden durch
Nephrektomie gewonnenen Präparaten zu ersehen. Und das
scheint mir sie, im Zusammenhalt mit den Ergebnissen der
vorausgegangenen Funktionsprüfung, besonders interessant zu
machen. Es ist ein glücklicher Zufall, dass in beiden das Nieren-
parcnchym bis auf geringste Rindenreste gleichmässig durch den
regressiven bezw. proliferirenden Prozess zerstört ist und dass
unter diesen Verhältnissen die Zuckerbildung aus dem Phloridzin
studirt werden konnte. Wir werden auf diese Weise mit der
Deutlichkeit des Experiments auf den Ort hingewiesen, wo das
Phloridzin zu Glukose verarbeitet wird. Wenn man sieht, wie hier
fast das ganze Nierenparenchym in dem einen Falle eitrig einge¬
schmolzen, in dem anderen in dem Karzinom aufgegangen ist
und cs in beiden Fällen nur minimalster Reste Rindensubstanz
zur Glukoseverarbeitung bedarf, so wird man im Zusammenhang
mit dem histologischen Befund, der vorwiegend das Erhaltensein
der Glomeruli erkennen liess, nicht fehlgehen, wenn man die
Glomeruli als die Stätte betrachtet, in der der Umbau des Phlorid¬
zin in Glukose vor sich geht.
Zum Schluss sei' es mir gestattet, hinzuweisen auf den Fall,
in dem es mir durch Ureterkatheterismus und Prüfung der
Nierenfunktion gelungen ist, das Vorhandensein und somit das
Vorkommen einer einseitigen Nephritis dadurch nachzuweisen,
dass sich im Urin der betreffenden Seite hyaline Zylinder fanden,
während der Urin der anderen Seite frei davon war. Darf ich
noch anfügen, dass die Analyse der gesondert aufgefangenen
Sekrete uns eine thatsächlich bestehende, sehr erhebliche funk¬
tionelle Beeinträchtigung auf Seiten dieser Niere auf deckte, dass
diese Niere zeitweise, insbesondere in Bezug auf Zuckerverarbei¬
tung aus Phloridzin, bedeutend schlechter als die andere arbeitete,
so bin ich am Ende meiner heutigen Ausführungen angelangt.
Man wird sich der Ansicht nicht verschliessen können,
dass die Untersuchung der Nierenfunktion mittels Üreterkathe-
Xo. 29.
terismus’ und mittels gesonderter Harnanalyse uns durch das
Erkennen der getrennten Thätigkeit einer jeden Niere in der
Diagnose und damit Hand in Hand gehend in der Therapie der
chirurgischen Nierenerkrankungen einen wichtigen Schritt vor¬
wärts gebracht hat.
lieber Encephalitis haemorrhagica acuta.')
Von Dr. Stegmann in Dresden.
M. II. ! Sie werden sich vielleicht erinnern, dass im Jahre
1897 mein Vorgänger, Herr Dr. L ii h r m a n n, Ihnen eine Reihe
von Fällen schilderte, welche das Bild der von Wernicke zu¬
erst beschriebenen und nach ihm benannten Poliencephali -
t i s haemorrhagica superior darboten. Es handelte
sich dort um jene fast ausschliesslich bei Trinkern beobachtete
hämorrhagische Entzündung der grauen Substanz im III. und
IV. Ventrikel und im Aquaeductus Sylvii, welche meist unter dem
Bilde des Delirium tremens beginnt, deren auffallendstes Symptom
neben Somnolenz und schweren allgemeinen Störungen eine meist
vollständige Lähmung der Augenmuskeln ist, und die gewöhn¬
lich rasch zum Tode führt.
Heute möchte ich Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen
für eine andere Form von Hirnentzündung, welche ihrem patho¬
logisch-anatomischen Charakter nach dem Wernicke sehen
Typus nahe verwandt, klinisch aber doch von ihm zu unter¬
scheiden ist und die von Strümpell und Leichtenstern
zuerst als Encephalitis haemorrhagica acuta beschrieben wurde.
Strümpell hatte schon seit Anfang der 80 er J ahre seine
Aufmerksamkeit den Encephalitisformen zugewandt und beson¬
ders darauf hingewiesen, dass die zerebrale Kinderlähmung min¬
destens in einem Teile der Fälle aus encephalitischen Prozessen
hervorgehe. Leichtenstern hatte um dieselbe Zeit Ence¬
phalitis als Begleiterscheinung epidemischer Zerebrospinalmenin-
gitis beschrieben. Beide Autoren beobachteten nun -eine Reihe
von Encephalitisfällen im Anschluss an Influenzaerkrankungen
und lenkten durch genaue Beschreibung derselben im Jahre 1890
die Aufmerksamkeit auf dieses Krankheitsbild. Seitdem wurden
von verschiedenen Autoren ähnliche Fälle mitgeteilt und 1897
konnte Oppenheim in einer Monographie bereits eine scharf
umrissene Charakteristik der Encephalitis haemorrhagica acuta
non purulenta geben, die auch heute noch als massgebend an¬
zusehen ist, wenngleich unsere Kenntnis der Krankheit durch
gründliche Arbeiten von F r i e d m a n n, N o n n e und Oppen-
h eim selbst, sowie durch eine Reihe kasuistischer Mitteilungen
, von anderen Autoren erweitert und vervollständigt worden ist.
Immerhin ist die Zahl der genau beobachteten geheilten Fälle,
in denen die Diagnose mit Sicherheit gestellt werden konnte,
noch nicht sehr gross und ich benutze die Gelegenheit, Ihnen
einen derartigen, hier im Stadt-Irrenhaus beobachteten Fall zu
schildern, um so lieber, da dieser Fall manche interessante Be¬
sonderheiten aufweist.
Gestatten Sie mir zunächst, Ihnen das von Oppenhei m
geschilderte Krankheitsbild in seinen wichtigsten Zügen zu re¬
kapitulieren.
Die Encephalitis haemorrhagica acuta befällt meist jugend¬
liche Personen und tritt in der Mehrzahl der Fälle im unmittel¬
baren Anschluss an eine akute Infektionskrankheit auf, meist,
wie schon erwähnt, nach Influenza, doch auch nach Pneumonie,
Diphtherie, Endocarditis ulcerosa u. a. Nach kurzem Vorstadium,
manchmal auch ganz ohne Vorboten, setzt die Krankheit mit
den schwersten Gehirnerscheinungen ein. Häufig werden zu Be¬
ginn Krämpfe oder wenigstens krampfartige Muskelzuckungen
beobachtet; heftigster Kopfschmerz, Bewusstlosigkeit und im
weiteren Verlauf mehr oder weniger ausgebreitete Lähmungs¬
erscheinungen beherrschen das Krankheitsbild und während in
günstig verlaufenden Fällen nach Aufklärung des Bewusstseins
die übrigen Erscheinungen im Laufe einiger Wochen oder Monate
zurückgehen, tritt in anderen unter andauerndem Koma und
schweren allgemeinen Störungen in wenigen Tagen der Tod ein.
Pathologisch-anatomisch charakterisiert sich die Krankheit
als ein Entzündungsprozess mit multiplen Blutungen, die sich
über mehr oder weniger ausgedehnte Bezirke des Grosshirns er-
*) Vortrag, gehalten in der Gesellschaft für Natur- und Heil
künde zu Dresden am 22. März 1902.;
4
2222
MÜENCILENER MED1CINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
strecken. Meist handelt es sich um ganz kleine, etwa stecknadel¬
kopfgrosse Blutaustritte, doch findet man auch grössere Er¬
weichungen, die sieh von apoplektischen Herden nur dadurch
unterscheiden, dass eine gröbere G ef ässerk rankung oder -Ver¬
stopfung einer Hirnarterie nicht nachweisbar ist. Durch die
Güte des Herrn Medizinalrat Dr. S c h m o r 1 bin ich in der Lage,
Ihnen ein solches Präparat zu zeigen.
Sie sehen an demselben einen grossen Bluterguss, der zu aus¬
gedehnter Zerstörung der Hirnsubstanz im Gebiete der grossen
Ganglien geführt hat, und in seiner Umgebung zahlreiche punkt¬
förmige Blutungen, welche dem Ilemisphiiremnark ein gespren¬
keltes Aussehen geben. Das andere Präparat, welches ich eben¬
falls Herrn Obermedizinalrat Dr. Schmorl verdanke, zeigt
Ihnen, wenn auch etwas verblasst, die kleinen Blutpunkte, welche
hier ausgedehnte Hirnbezirke durchsetzen.
Die mikroskopische Betrachtung zeigt in den erkrankten Hirn¬
partien die Kapillaren und kleinsten Blutgefässe erweitert, die
Gefiisseheide mit roten Blutkörperchen gefüllt und an einzelnen
Stellen zerrissen, so dass Blutaustritt in das Gewebe erfolgt. Zu
Beginn der Erkrankung sieht man fast nur rote Blutkörperchen
in den Extravasaten und wenige Itundzellen; späterhin
finden sich zahlreiche Leukoeyten, Körnchenzellen und
gewucherte Gliazellen. Herr I)r. Geipel hat mir giitigst
ein Präparat überlassen, welches Ihnen ein Bild des
ersten Stadiums zu geben vermag. Es handelt sich um einen
an Pneumonie verstorbenen Kranken, bei dem als zufälliger Sek¬
tionsbefund multiple Blutungen in das Splenium des Balkens ent¬
deckt. wurden, ohne dass die klinische Beobachtung Anhaltspunkte
für das Bestehen einer Encephalitis gegeben hätte, was ja bei dem
Sitz und der geringen Ausdehnung des Prozesses erklärlich ist.
Die Blutaustritte scheinen erst ganz kurz vor dem Tode erfolgt
zu sein und es muss auffallen, dass Entzündungserscheinungen
nicht wahrzunehmen sind. Das aufgestellte Präparat zeigt sehr
schön ein kleines, in eint' Blutung eingebettetes Blutgefäss.
Die Frage nach der Ursache solcher Blutungen ist noch
nicht ganz geklärt; am wahrscheinlichsten ist es, dass Toxine
auf die Gefässwand schädigend einwirken, in einzelnen Fällen
ist es aber gelungen, den Pfeiffer sehen Influenzabazillus
und Pneumokokken in den encephalitischen Herden nachzu¬
weisen, woraus wohl hervorgeht, dass mit dem Blutstrom Bak¬
terien ins Gehirn gelangen und sich dort ansiedeln können. Dass
cnccphali tische Herde unter Hinterlassung einer Narbe ausheilen
können, hat Oppenheim in einem Falle anatomisch nachzu¬
weisen vermocht, bei dem cinig-e Monate nach dem Ablauf einer
Encephalitis der Tod durch eine andere Krankheit herbeigeführt
wurde.
Der Fall von Encephalitis haemorrhagica, den ich Ihnen
schildern möchte, ist, wie bereits erwähnt, in Heilung ausge¬
gangen und ich werde nun zunächst versuchen. Ihnen einen
Ueberblick über den Krankheitsverlauf zu geben und erst dann
auf einzelne bemerkenswerte Erscheinungen etwas näher ein-
gehen.
Es handelte sich um einen 24 Jahre alten Bildhauer, der aus
gesunder Familie stammt und selbst auch bis dahin stets gesund
war. Er hat eine gute Schulbildung erhalten, hat sich dann in
Wien und Paris künstlerisch ausgebildet und ist hierauf als tech¬
nischer Leiter in die väterliche Fabrik für Kunstgegenstände ein-
getreten. Kurz vor Weihnachten 1001 unternahm er eine grössere
lteise, die ihn u. a. auch hierher nach Dresden führte, wo er am
10. XIT. ankam. Er hat an diesem Tage keinerlei anstrengende
Arbeiten oder Vergnügungen unternommen und nachweislich
keinerlei Exzesse begangen, war anscheinend ganz gesund und
klagte nur über Müdigkeit. Nachdem er sich um ys12 Uhr Nachts
von einem Freunde getrennt hatte, brach er kurze Zeit darauf
bewusstlos zusammen, bekam Krämpfe und hatte dabei reichliches
Erbrechen. Der lierbeigenifene Arzt verordnete Senfpflaster auf
die Herzgegend, wodurch die stark darniederliegende Herzaktion
wieder belebt wurde; bald aber steigerten sich die Zuckungen und
Bat. verfiel in einen Aufregungszustand, in dem er wild um sich
schlug, so dass er gefesselt in das Stadt-Irrenhaus überführt
werden musste. Auch bei der Aufnahme warf sich Pat. noch un¬
ruhig umher, war bewusstlos und reagierte weder auf Anruf noch
auf Nadelstiche. Die Pupillen waren sehr weit, reagierten träge
auf Lichteinfall, die Augen wurden nach verschiedenen Richtungen
verdreht, die Atmung war röchelnd, der Puls gut gespannt, regel¬
mässig. 06 in der Minute. Auch am folgenden Tage lag Pat. noch
in tiefem Koma, wenn er auch auf energischen Anruf reagierte
und mühsam lallend seinen Namen zu nennen vermochte. Beim
Versuch, ihn zu füttern, trat Erbrechen ein. Eine genaue körper¬
liche Untersuchung ergab wenig Anhaltspunkte. Es fanden sich
an den Zungenrändern frische Quetschwunden und am Herzen
erschien der erste Ton nicht ganz rein; die Sehnenreflexe waren
sämtlich gesteigert — sonst konnte keine Abnormität nachgewiesen
werden. Auch am 2. und 3. Krankheitstage trat hierin keine Aen-
derung ein. nur wurde das Bewusstsein freier, so dass Pat. ein¬
fache Fragen beantworten konnte. Er klagte über heftigen
No. 20.
Kopfschmerz, der Hinterkopf war bei Beklopfen empfindlich, er
gähnte viel, wälzte sich im Bett umher und verfiel in Halbschlaf,
sobald man ihn sich selbst überliess. lieber Ort und Zeit war er
ganz unorientiert. Am Abend des 3. Krankheitstages fand sich
der rechte Kniereflex schwächer als der linke und am Augen¬
hintergrund wurden Blutungen bemerkt. Herr Dr. F. Schanz
hatte die Freundlichkeit, den Befund zu kontrollieren, und stellte
fest, dass die Arterien normal, die Venen aber stark gefüllt und
von Blutungen begleitet waren. Sehvermögen, Pupillen und
Augenmuskelbewegungen waren intakt. An den folgenden Tagen
klagte Pat. über unerträglichen Kopfschmerz, Lichtscheu, starken
Durst und Schwindelgefühl; es bestand Unsicherheit im Gehen
und Stehen, die Benommenheit dauerte an und Pat. warf sich
laut stöhnend im Bett umher. Allmählich stieg nun die Tem¬
peratur und erreichte am 5. Tage als höchsten Punkt 38,8°, wobei
zugleich am Herzen die Erscheinungen der Endokarditis hervor¬
traten. Das anfangs kaum merkliche Geräusch an der Herzspitze
war jetzt über allen Ostien laut hörbar, die Herzdämpfung ver¬
breiterte sich nach rechts und links und der Puls war zwar regel¬
mässig. stieg aber bis auf 110 in der Minute.
Nunmehr traten auch Lähmungserscheinungen auf und zwar
zunächst eine isolierte komplette Lähmung des M. rectus externus
am linken Auge, welche gleichnamige nebeneinanderstehende
Doppelbilder hervorrief. Dann zeigte sich auch eine zunehmende
Schwäche der vom Fazialis versorgten Muskeln rechts und zwar
zuerst der Mund-, dann der Augen- und zuletzt der Stirnregion.
Sämtliche Sehnenreflexe fehlten vom (>. Krankheitstage an völlig.
Andere Lähmungen und Störungen der Sensibilität oder der Sinnes¬
organe traten nicht auf, ebensowenig Sprachstörungen.
Auf diesem Höhepunkt angelangt, blieb das Krankheitsbild
einige Tage unverändert, dann kehrte zunächst die Temperatur
zur Norm zurück, die Erscheinungen am Herzen wurden weniger
deutlich und auch die Schwäche des Fazialis glich sich allmählich
völlig aus. Gleichzeitig kehrten die Sehnenreflexe zurück und
zwar zuletzt der rechte Kniereflex, der seinerzeit zuerst geschädigt
war. Nur die Abducenslähmung blieb völlig unverändert und auch
die Veränderungen am Augenhintergruiule blieben noch längere
Zeit gleichmässig bestehen. Das Bewusstsein wurde mit der Bes¬
serung des körperlichen Befindens allmählich ganz frei, die sub¬
jektiven Beschwerden traten ganz zurück und es entwickelte sich
geradezu eine euphorische Stimmung, die den Pat. manchmal zu
kindisch-läppischem Verhalten führte und ihn die vielfachen Stö¬
rungen durch Doppelbilder und Schwäche des Gedächtnisses kaum
empfinden liess. Patient wurde etwa 4 Wochen nach Beginn
der Krankheit nach Hause entlassen, nachdem am Herzen auch
die letzten Zeichen der überstandenen Endokarditis verschwunden
waren; er war aber nach dem Bericht seines Hausarztes noch vor
kurzer Zeit völlig arbeitsunfähig. Die Abducenslähmung bestand
noch unverändert und störte durch Doppelbilder erheblich und vor
allem fiel der Umgebung die ausserordentliche Gedächtnisschwäche
des Pat. auf. Er sollte daher zu seiner weiteren Erholung ein
Sanatorium aufsuchen.
Gehen wir nun auf die Einzelheiten des Falles ein, so wird
zunächst die Diagnose einer näheren Begründung bedürfen und
es wird hierzu am besten sein, die U eberlogungen zu wiederholen,
welche uns bei der Beurteilung des Falles tatsächlich geleitet
haben. Der Zustand des Kranken bei der Aufnahme legte den
Gedanken an eine Vergiftung nahe, insbesondere musste man
an Alkoholwirkung denken, die wir hier nicht selten in ähnlicher
Form mit Erbrechen, Krämpfen, Bewusstlosigkeit und Erregungs¬
zuständen einhergehen sehen. Pat. hatte aber nachweislich keine
erheblichen Alkoholmengen zu sich genommen und an andere
Gifte zu denken, lag kein Grund vor, insbesondere fand sich auch
kein Zeichen von Urämie oder einer anderen Autointoxikation.
Die Zungenbisse Hessen den Gedanken an Epilepsie erwägen,
doch war von früheren Anfällen nichts bekannt und die Art der
Bewusstseinsstörung nach dem Anfall hätte mindestens sehr un¬
gewöhnlich erscheinen müssen. Eine Kopfverletzung konnte aus¬
geschlossen werden, da hierzu jede Gelegenheit gefehlt hatte, an
eine Apoplexie konnte bei der Jugend des Pat. und beim Fehlen
jeder Spur von Arteriosklerose kaum gedacht werden. Zeichen
von Lues fanden sich nicht und es fehlte auch zu Anfang jeder
Hinweis auf eine akute Infektionskrankheit. Für Meningitis
konnte ausser Kopfschmerz keines der charakteristischen Sym¬
ptome nachgewiesen werden, es bestand ferner weder Fieber, noch
Milzvergrösserung, noch irgend ein Exanthem ; auch das gering¬
fügige Geräusch am Herzen gab zunächst keinen Anhaltspunkt,
da die Herztätigkeit durchaus normal und die Dämpfungsfigur
nicht vergrössert war. Es blieb nun noch die Frage, ob ein Hirn¬
tumor oder ein Hirnabszess vorliegen könne. Für einen Abszess
fehlte es wiederum an einer Eingangspforte, zumal auch die von
Herrn Dr. B. Hoffmann vorgenommene genaue Untersuchung
von Nase und Ohren durchaus normalen Befund ergeben hatte.
Wenn ein Tumor vorlag, so musste es merkwürdig erscheinen,
22. Juli 1902.
MÜENCHENER MERlCTNTSCliE WOCHENSCHRIFT.
122?,
dass er so plötzlich zu schweren Störungen führte, ohne doch
irgendwie lokalisierte Ausfalls- oder Reizerscheinungen zu
machen.
Es blieben demnach nur noch zwei Möglichkeiten übrig, zu¬
mal nachdem der Befund am Augenhintergrund die Lage etwas
mehr geklärt hatte : Sinusthrombose oder Encephalitis haemor-
rhagica. An Sinusthrombose musste man denken, weil die Stau¬
ung in den Venen des Augenhintergrundes auffällig war, doch
Hessen sich sonst keine Stauungserscheinungen nachweisen und
vor allem fand sich auch weder Anämie noch eine andere Ursache
zur Entstehung einer solchen Thrombose. Ganz auffallend er¬
innerte aber die verwaschene Färbung in der Umgebung der Blu¬
tungen an das Bild, welches die von Encephalitis befallenen Hirn¬
teile auf der Schnittfläche darbieten und wie es in der Mono¬
graphie von Oppenheim nach üayet abgebildet ist.
Der weitere Verlauf bestätigte denn auch die Annahme, dass
Encephalitis vorliege, und es liess sich sogar mit einiger Sicher¬
heit die Lokalisation derselben bestimmen. Schon die subjektiven
Störungen: Durst, Schwindelgefühl, Unsicherheit des Ganges,
weisen uns auf die Gegend der Brücke und des verlängerten
Marks; noch deutlicher aber zeigen die Lähmung des Abducens
und die Schwäche des gegenüberliegenden Fazialis, dass sich am
Boden des IV. Ventrikels verschiedene kleine Herde befunden
haben. Die VI-Lähmung kann, glaube ich, nur als eine Kern-
lälnnung aufgefasst werden; sie trat so isoliert auf, war von
Anfang an so vollständig und blieb so gleichmässig während der
ganzen Beobachtungszeit, dass wir annehmen müssen, eine Blu¬
tung habe gerade den VI -Kern zerstört, der ja bekanntlich am
Boden des IV. Ventrikels im sogen. Knie der Eazialiswurzel liegt.
Die Parese des gegenüberliegenden VII. dürfte auf eine Schädi¬
gung der Wurzelfasern durch Blutungen zurückzuführen sein.
Es waren also diejenigen Bezirke erkrankt, die auch in den typi¬
schen Fällen von W e r n i c k e scher Poliencephalitis betroffen
zu sein pflegen. Dass aber nicht ausschliesslich die graue Sub¬
stanz von Blutungen durchsetzt war, geht aus der schweren Stö¬
rung der psychischen Funktionen hervor, auf die ich bisher nur
flüchtig hinweisen konnte. Schon in den ersten Tagen zeigte sicn,
dass Pat. das Gedächtnis, zumal für jüngst Erlebtes fast ganz
verloren hatte. Nicht nur für die Ereignisse kurz vor der Ueber-
führung in die Anstalt bestand Amnesie, er erinnerte sich der
ganzen Reise nicht mehr, glaubte bald im Juli, bald im Oktober
1901 zu leben; erinnerte sich der Erlebnisse aus den letzten
Monaten überhaupt nicht, vermochte aber auch diejenigen aus
dem Anfang des Jahres nur höchst mangelhaft zu reproduzieren
und war sogar nicht imstande seinen Lebenslauf geordnet zu er¬
zählen, auch noch zu einer Zeit, in der sein Bewusstsein durchaus
frei war. Am auffallendsten aber war sein Unvermögen, lat-
saelien und Namen zu merken, die ihm mitgeteilt wurden, und
in der ersten Krankheitswoche gelang es nicht, ihm einzuprägen,
dass er in Dresden sei. Er fasste zwar die Mitteilung richtig auf,
vergass sie aber sofort wieder und wusste einmal 30 Sekunden,
nachdem es ihm gesagt worden war, nicht mehr, wo er sich be¬
finde; jedes Mal wieder war er erstaunt, in Dresden zu sein und
fragte, wie er dahin komme. Ebenso schnell vergass er, dass er
Besuch von seinen Angehörigen gehabt und war immer wieder
verwundert, diese hier zu sehen. Allmählich merkte er dann
allerdings die einfachsten Daten, doch verwechselte er noch bei
seinem Abgang die Namen 'der Aerzte, die er täglich gesehen
hatte und vermochte einfache Vorgänge nur auf wenige Stunden
im Gedächtnis zu behalten. Erinnerungstäuschungen traten nur
ganz zu Anfang in geringem Masse auf und zwar nur in dem
Sinne, dass Pat. die Lücken seiner Erinnerung dadurch au-zu-
füllen suchte, dass er frühere Erlebnisse und Eindrücke in die
neueste Zeit verlegte.
Wir müssen annehmen, dass diese Störungen auf Unter¬
brechung von sogen. Assoziationsfasern im Marklager der Grass¬
hirnhemisphären beruhen; dass die Rinde in grösserer Aus¬
dehnung betroffen sei, ist nicht anzunehmen, da weder Sprach¬
störungen irgend welcher Art, noch sonstige Störungen, ins¬
besondere auch nicht motorische, nachzuweisen waren, die aul
Rindenerkrankung bezogen werden könnten. Von ganz be¬
sonderem Interesse ist aber weiterhin das Verhalten der Sehnen¬
reflexe. B runs hat bekanntlich durch seine eingehenden Lntcr-
suehungen nachgewiesen, dass bei völliger Dnrchtrennung des
Halsmarks die Kniereflexe fehlen, auch wenn der Reflexbogen im
Lendenmark intakt ist, wie dies schon B a s t i a n im Jahre 1890
behauptet hatte.
Seitdem ist die Frage oft erörtert worden, wie diese Tat¬
sache zu erklären sei, ohne dass bis jetzt eine ganz befriedigende
Lösung gefunden wurde. Auch unser Fall kann, da er nicht ana¬
tomisch untersucht ist, die Frage natürlich nicht entscheiden,
immerhin ist folgendes bemerkenswert: Die Sehnenreflexe waren
gesteigert zu einer Zeit, in der auch andere Reizerscheinungen
(Krämpfe, Muskelunruhe, Erbrechen, Schwindel) bestanden; mit
dem Auftreten von Lähmungen verschwanden die Sehnenreflexe
und zwar nicht nur die Knie-, sondern auch die Aneonaeus- und
Achillessehnenreflexe; gleichzeitig mit dem Zurückgehen der
Fazialislähmung erschienen dann die Sehnenreflexe, zunächst
noch schwach und unsicher, dann aber in normaler Weise wieder.
Es scheint dies doch darauf hinzuweisen, dass eine zum Zustande¬
kommen der Sehnenreflexe notwendige Bahn hier zunächst ge¬
reizt und dann für eine gewisse Zeit unterbrochen, schliesslich
aber wieder leistungsfähig wurde.
Es würde zu weit führen, wenn ich näher auf diese F ragen
eingehen wollte; zum Schluss möchte ich nur noch über Aetio-
logie und Therapie in unserem Falle einiges anf ühren. Die Aetio-
logie ist wie in vielen ähnlichen Fällen recht unklar; cs muss
eine Infektion Vorgelegen haben, welche die Endokarditis ver¬
ursachte, und deren Erreger wohl vom Endokard aus in das Ge¬
hirn gelangten; welcher Art aber die Infektion war, entzieht
sich unserer Kenntnis — wahrscheinlich handelt es sich um
Influenza. Auffallend ist auch, dass nur das Herz und das Ge¬
hirn befallen wurden, während die Nieren dauernd ganz 1 rei
blieben und auch trotz sorgfältigen Sucliens nirgendwo Embolien
gefunden wurden.
Die Therapie bestand in möglichster Ruhestellung, Eis¬
kühlung des Kopfes und Entleerung des Darmes. Von einem
Aderlass wurde abgesehen, da hierzu keine dringende Indikation
vorlag, es wurde aber versucht, durch feuchte Packungen der
Ibisse auf die Blutverteilung einzuwirken.
Die Prognose konnte, nachdem die Diagnose feststand, schon
früh relativ günstig gestellt werden, wobei der von Oppen¬
heim besonders hervor gehobene Umstand massgebend war, dass
das Bewusstsein des Pat. sich frühzeitig klärte, und hierin liegt
ein Moment von hoher praktischer Bedeutung, ln einem von
Oppenhci m beschriebenen Encephalitisfall war die Eröffnung
des Warzenfortsatzes vorgenommen worden, weil man einen Ab¬
szess vermutete und dieser diagnostische Irrtum wurde später
für den Pat. verhängnissvoll. Wir werden also, zumal ja In¬
fluenzaerkrankungen jetzt überall häufig sind, doppelt vorsichtig
sein in der Diagnose Abszess oder Tumor cerebri und werden hier¬
bei stets an das Krankheitsbild der Encephalitis haemorrhagica
rfi-nken müssen, um vor Irrtiimern bewahrt zu bleiben.
Nachtrag vom 12. VII. 02: Nach einem in diesen Tagen
eingegangenn n Schreiben des Pat. hat dieser seit einigen \\ ochen
seine geschäftliche' Thätigkeit wieder aufgenommen. Er klagt
noch über Gedächtnisschwäche und bedient sich im täglichen \ or¬
kehr eines Notizbuches; im übrigen hat er keinerlei Beschwerden
mehr und gibt an, dass die Augenmuskellähmung völlig geheilt ist.
so dass er nicht mehr schitle und bereits seit längerer Zeit keine
Doppelbilder mehr habe.
Die Myxome der Ovarien.
Von Dr. Carl II e n n i g in Leipzig.
Die Gallertgeschwülste der Eierstöcke gehören nicht zu uea
täglichen Vorkommnissen. Ehe eine allgemeine Besprechung
darüber erfolgen kann, ist cs von Nutzen, eine Durchsicht dci
Begriffe Gallert, Schleim, Mucinkörper vorzunehmen. Hierin
haben Scherer, IL Virc h o w (Onkologie I, 203 ; 11 1, 31 und
seine meist falsch zitirte Schrift : Verhandlungen der Gesellschaft
für Geburtskunde, Berlin, III, 197, 1848), B i r c h - 1 1 i r s c h -
fei d, March and, Pfannenstiel, Werth aulklärend
gewirkt. E. Ziegler hat weitere Schlüsse auf den verwandten
Schleim- oder Gallertkrebs gezogen.
Normal zeigt sich schleimige Gallert in Gelenkhöhlen und ;n
den Z wischen wi rbelb ii n d ern der Kinder. Krankhaft tritt dm
Myxomkern im G a 1 1 e r t k r o p f e auf ; darin bemerkt man
z e 1 1 i g e T li e i 1 e, Eettkörner, auch eingesprengten Kalk. Die
Gallertmasse kann von den Rändern her erweichen und zu einer
4*
3224
MtJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
zähen, schlüpfrigen Flüssigkeit mit reichlichem Gehalte an
Natroneiweiss zerfliessen.
Der Inhalt der G raa Eschen Follikel ist fast reine Par-
alliuminlösung (\\ aldeyer). Der Inhalt der Kystome ge-
liört bald der Mucinreihe an: Pseudomucin (Pfannenstiel
nimmt drei Arten mit abgestuftem Gehalte an N: 16—7 Proz.
an), C olloi'd, Sehleimpepton, bald der Albuminreihe, besonders
mich öfterer Punktion der Cyste: Paralbumin, Metalbumin,
Albuminpepton. I ebergang einer Art in die andere war schon
den früheren Aerzten bekannt, zumal betreffend die schleimige
! mwandlung der Krebse und der geborstenen colloiden Adeno-
k, \stome, worauf Pseudomucin sich im Bauche verbreiten oder
Bauchfellentzündung folgen kann (Werth). Bisweilen laufen
glykogenhaltende Zellen unter, auch Hyalin (s. Hennig:
Katarrh der inneren weiblichen Geschlechtstheile, 1870, S. 86).
Am frühesten entarten beim Menschen Reste der fötalen
A o 1 f Eschen Körper oder der Pflüge Eschen Schläuche. Da
gibt es einfaches, meist flimmerndes Zylinderepithel — sonst
schleimerzeugendes Zylinderepithel (s. unten mein Beispiel).
Einbettung des Balges in das breite Band kann für
Ursprung im Neebeneierstoeke sprechen (Olshause n). Die
epitheliale Auskleidung des ursprünglichen Follikels (Keim¬
epithel, Membrana granulosa) wird verschoben, endlich ab-
gestossen, wann die Papillen des Balges myxomatös entarten
(S c h r a n t, Rokitansk y). Sobald ein Proteinkörper dem
Schicksale verfällt, gallertig zu werden, so nimmt sein N-Gehalt
ab, er nähert sich immer mehr der Cellulose, dem Zucker; Essig
scheidet netzförmigen Schleimstoff aus. In gröberen Binde-
gewebsfächern hängen rundliche, spindelförmige bis sterngleiche
Körper zusammen, in welche auch zarte Muskelfasern, meist
oiganische, höchst selten quergestreifte übergehen. Aus der ein¬
fachen, mit Zylinderepithel ausgekleideten Cyste wächst der ver¬
schleimende Balg hervor, in welchem häufig niedriges, fast
wiiifelförmiges Epithel neben hohen, schmalen, auch gewimperten
Zellen getroffen wird; geschichtete, stärkeähnliche Körper,
Cholestearinkrys falle sind nicht selten. Endlich geht die Sülze
häufig in Hyalin oder Fetttrypsin über, während die Zellen kör¬
niges oder punktiges Fett auf nehmen.
Wenn auch die Sülze der Organisation unfähig ist und
nicht zur Ernährung dient, so schliesst sie doch oft nicht nur
Zellreste ein, sondern wird auch von neugebildeten zarten, selbst
wandlosen Blut- und Lymphbahnen durchzogen, fällt Blutaus-
t litten anheim, deren Rückstände sich m Pigmentkörncheii oder
Schollen erhalten; schon Lizars bildete buntfarbige Tochter¬
cysten ab.
„Die glandulären proliferirenden Kystome enthalten immer
und reichlich Pseudomucin, die papillären Kystome wenig und
nicht stets.“ Das Hyalin ist Paraglobulin. — Die aller¬
meisten schleim- und wassersüchtigem Bälge; gehen aus
ei haltigen Follikeln hervor; wenige entstehen als Neu¬
gebilde und dann zahlreiche im Zwischengewebe: „Cystosarcoma
proliferum gelatinosum“. Die einfache Balgwand wird später
doppelt, manche sogar muskulös, kann demnach bei der Pal¬
pation und in kalter Umgebung sich ebenso verkleinern wie ein
Myom. Das unreife lettgewebe kann zu wirklichem Fett
werden, dieses wieder zu Schleimgewebe. Gereizt ist die Innen¬
wand im Stande, Eiter zu liefern, was klinisch wichtig ist.
Die gallertigen Naturerzeugnisse bergen- alle etwas Räthsel-
liaftes - sie gehen, seien sie Gallertpilze, Algen, Quallen, Theile
des thierischen Organismus, sämmtlich aus bildsamen Zellen
hervor, verlassen dieselben bald einfach, aus Becherzellen, bald
nach Zerstörung, Sprengen der Mutterzelle und kehren als In-
digesta moles nicht wieder in die den Körper erhaltende Säfte¬
masse zurück, belästigen durch ihre Quellung (Haucke: Diss.
inaug. de hydrope. Hai. 1701).
Zur Statistik.
Die Seltenheit der ovariellen Gallertcyste erhellt aus den
Meldungen der Operateure, welche nur in 60 von mir als er¬
härtete Diagnosen zusammengebrachten Beispielen vertreten
sind.
S e a n z o n i zählte 1So9 unter 41 tödtlich abgelaufenen Bei¬
spielen von Eierstocksgeschwulst nur 9 colloide (= 22 Proz.);
S e h r ö d e r erwähnt unter 300 Oophorektomien in Berlin nur 1;
La croyen ne hatte unter 500 lediglich 1 vielkammeriges
( 'olloi'd zu exstirpiren ; B. Schnitze hatte 1884—1886 50 mal
laparotomirt, darunter doch 1 Colloid. Sp. Wells traf unter
seinen zahlreichen Operirten auffallend selten Myxom, dagegen
G ullingwort h 27 unter 52 mit sekundären Veränderungen.
Die ersten, dazu glücklichen Laparotomien wegen gallertiger
Cysten hat Mac Do well 1809 in Kentucky ausgeführt; ihm
folgten Chr y s m a r 1820, Lizars 1825.
Alter: \ on 40 Kranken war das Alter angegeben, in wel¬
chem sie operirt wurden. 4 Jahre zählte das von Sehwartz
in Göttingen laparotomirte Mädchen; ihr Uterus war so gross
wie der einer Erwachsenen. Sie genas rasch. Dann folgen erst
2 Kranke von 12 und 13 Jahren, 11 zwischen 20 und 30, 15 zwi¬
schen 31 und 40, 4 bis 50, 5 bis 10 Jahre; nur 2 zählten 61 Jahre
— sie genasen.
Sexuelle T hätigkeit: 5 werden als Nulliparae auf-
geführt, 3 als Bniparae; 2 Geburten gingen voran bei 6, davon
war 1 während der Operation wieder schwanger; 1 hatte 3 mal,
4 mal hatten 3 geboren, davon 1 noch ausserdem einen Abortus
erlitten; 2 hatten 5 Geburten hinter sich, 1 = 8 Geburten, da¬
runter 1 Zwillingsgeburt, 1 = 9 Geburten. Mehrgebärende ohne
nähere Angabe sind 3 verzeichnet.
Körperbeschaffenheit: Es kam eine Negerin zur
Behandlung. Als besonders mager sind 5 gemeldet, als „schwäch¬
lich, verfallen“ 4. Demnach waren Viele noch gut bei Kräften.
Dauer der Anschwellung: 1 mal 4 Monate, 1 mal
Vz Jahr, 2 mal 7 Monate, 1 mal 8 Monate, 4 mal 1 Jahr, 1 mal
1 U, 2 mal 2, 2 mal 3, 1 mal 3 Vs, 2 mal 4 Jahre. Eine Person
liesis schnelles Wachsthum der Geschwulst wahrnehmen. Man
fand bei der Laparotomie ein Uterusmyom hinter der Eierstocks¬
geschwulst, doch war das Myem nicht entfernbar. Darauf nahm,
wie bisweilen nach Bauchschnitt, das Myom binnen 3 Monaten
bis auf die Hälfte ab. Heirath, Schwangerschaft. 1 Jahr
später wurde das grosse Kystom des Eierstocks entfernt
(L. I a i t). In einem anderen Falle verschwand das Uterus¬
myom.
Beschaffenheit der Menstruation: Das 4jähr. Kind men-
struirte etwas, dem 12 und dem 13 jähr. Mädchen fehlten die Menses
vor der Köliotomie. Bei 9 später Operirten blieben die Regeln
aus bis zu 1 Jahre; eine Kranke vermisste sie seit 3 Monaten,
ward schwanger, abortirte, darauf traten wieder trotz des Tumor
ovarii Menses auf. Eine litt an Menorrhagie, man fand in der
Gallerte des Ovariums Blutpunkte; 2 klagten über Dysmenorrhoe,
4 über Schleimflüsse, worunter einer Eiter ausgab.
o i l z uer uescnwuist : nas Uolioid war
CUUH8U uit rwm.’b
wie links entstanden, in R u n g e’s Beispiele hatte es beide
0\ aiien befallen. In dem lalle M li 1 1 e Es, welcher ebenfalls
beide Organe zu entfernen hatte, später aber noch eine „r ü c k -
fäll i g e“ Cyste mit Flimmerbesatz, handelte es sich vielleicht
um ein Myxom de Paroophoron.
Eine Colloidcyste hatte Muskelhülle; 2 ebensolche waren bei
uer Operation von solcher Hülle abgeschält worden; die von
Scott operirte hatte hauptsächlich Leiomgewebe. Nur eine
Cyste war einkammerig — vielleicht ein Nebeneierstock. Da¬
gegen kamen mehrere kleinzellige Geschwülste vor. 3 waren
dünnwandig, 2 hatten an der Hinterfläche ein Loch, 4 barsten
während der Herausnahme. Die Anwesenheit von freier Gallerte
im Bauche spricht meist für ein vor oder während der Operation
ei folgtes Bersten; man vergleiche des Verf. Bericht über ein
gewöhnliches Cystoid mit Ascites und Hydrocele muliebris duplex
(Tagebl. d. Vers. Deutsch. Naturf. u. Aerzte zu Magdeburg 1884,
No. 2, S. 22). Eine Cyste barst nach der Scheide. Bisweilen
fanden sich Rippen und Zwerchfell mit zäh anhaftender Gallerte
belegt, so ist auch die Cyste manchmal mit Gelee überzogen.
Gewichte einzelner Tumoren: Vz — 4 — 5 — 11 Kilo, 15 Kilo.
Die Gallerte war bald leimig, bald honigähnlich, bald (8 mal)
gelb bis hellbraun (ward 1 mal an der Luft grünlich), bald (4 mal)
dunkel, rothbraun bis braun, 2 mal bluthaltig, nur 2 mal farblos
bis weisslich.
Grünlich und jauchig fand man die Gallerte 13 mal, dennoch
folgte Genesung. 1 mal roch sie säuerlich, 1 mal war sie mit
Eiter- und Körnchenzellen versehen, 1 mal käsig-fettig.
In den meisten Fällen ist das in den Sack Ergossene al¬
kalisch; bald schwach mit Gehalt von Natronalbuminat und
spez Gew. = 1,024; 1 mal 1,05, bald stark, dann (in 3 Bei¬
spielen) eiweisshaltig. Sehr selten (3 Fälle) Mucin und alkali¬
sches Albummat, sonst Para- und Metalbumin (2 mal) Schere Es-
gewöhnlich (7 Beispiele bei Pfannenstiel) Pseudo-
22. Juli 1902.
MITEH CIIEHER MEDIClHISÖffE WOCIIEHSOnRIFT.
1225
mucin (häufiger die Modifikation « als ß oder y). Bmal gab es
saure Sülze im Hauche; 1 mal war das Bauchfell sulzig ange¬
steckt. Zucker fand sich in der Cyste lmal, Cholestearin 4mal,
Faserstoff lmal in Flocken, daneben Hämatoidin, lmal kon¬
zentrische Körperchen, 1 mal Kalk.
Der Innenbesatz der Cyste ist Zylinderepithel von ver¬
schiedener Höhe, die Kerne dieser Zellen meist an der Basis,
in meinem Beispiele nahe der freien Fläche; häufiger sind die
Epithelien einschichtig als geschichtet, die Kerne meist rund¬
lich, selten stabförmig. Gern ist das Innere warzig oder hält
Leisten und Buchten; lmal gab es Karben der Wand, 5 mal
Dermoidgebilde, 2 mal Uebergang in Krebs (kalkig). 1 mal war
der Uterus klein, 2 mal grösser, derb, 1 mal Myom. Oft war
der Sack mit dem grossen Hetze verwachsen. 1 mal folgte auf
die Exstirpation Darmenge, Ausgang glücklich.
Merkwürdig ist ein von I) o n a t h (Arch. f. Gyn. 26, 478,
1885) berichteter Fall von Saenger: Die grosse Geschwulst
war gleichmässig weich, elastisch, verschiebbar; Vulva und Mons
ödematös, der Stiel senkte sich in’s breite Mutterband wie noch
bei 20 anderen. Schwieriges Entfernen der eiweissreichen,
schnell faulenden Gallertmasse. Ein damit g e i m p f t e s Ka¬
ninchen starb nach 5 Tagen an Peritonitis suppurativa.
Koch eigen thümlicher, von demselben Operateur (\ erhandl.
d. Ges. f. Gyn., VII., 409) gemeldet: Der faustgrosse Tumor
war punktirt worden; es lief mehrere Tage Colloid aus. 3 Mo¬
nate später ward die nun überall verwachsene, vereiterte Cyste
ausgerottet. An der alten Stichstelle hatte sich etwas Gallerte
i m p 1 a n t i r t. Hach 1 Jahr bricht eine hypogastrische Fistel
auf. Das sekundäre Bauchwandkystom bildete 2 Knoten, deren
einer in Därme eingebrochen war. Die verletzten Theile wurden
sofort vernäht und vereinten sich (1898); vergl. auch E. P eis er:
Monatssehr. f. Geb. u. Gyn., XIV. Bd., 2. IT.
Sch m erz klagten vor der Operation 6 (2 beim Gehen),
1 über Hüftweh, 1 nicht über Schmerz trotz Verwachsungen.
Fieber bis 40° C. hatte das 4 jährige Kind.
2 mal wurde Abwesenheit von Verwachsungen vorher er¬
kannt, 2 mal Anwesenheit solcher. 8 mal fühlte man am Bauche
Unebenheiten, mehrmals solche von Scheidengrund oder Mast¬
darm aus. Walter palpirte an der 13jährigen Italienerin
nach links oben an der Eierstocksgeschwulst „harte Theile, wie
Fötus“ (höchst selten). Schwanger waren in der That 2 Operirte.
Runge operirte doppelte Geschwulst; in der einen Cyste war
0,29 p. 1. „Mucin“. Eine war für schwanger gehalten worden.
Ascites fand sich bei 5, 1 mal „grosswellige Fluktuation“
(wird besser als Undulation technisch bezeichnet!). Unter 4 prall
elastisch fluktuirenden gab es eine Cyste, welche, von der Scheide
aus undeutlich tastbar, überhaupt, entsprechend den inneren
Scheidewänden, nicht deutlich schwappte. Ein 1 umor bot an der
Hinterfläche das berufene Gallertknirschen dar, ein
anderer das Blasegeräusch. Kabelbruch trugen 2. 7 mal
war der U t e r u s durch die Geschwulst verschöbe n, bald
seitlich, bald nach vorn.
Prognose der Operationen: Für die Kolloide des
Ovariums ist die Aussicht auch aus der a- und antiseptischen
Zeit nicht rühmlich. Im Ganzen ist ein Drittel der Operirten
her gestellt worden, eine schon nach 11 Tagen, 2 genasen in
Folge Fistelbildung vom Stiele her erst nach 5 Wochen, 1 noch
später. 1 menstruirte 5 Monate später.
Gestorben sind von 60 bereits 21 — von den fiebrigen ist
keine Kachricht gegeben. Der Tod erfolgte 9 mal durch Bauch¬
fell- (bezw. auch Gebärmutter- und Darm-) -Entzündung, 4 mal
an Hachblutung (nach 32 bis 48 Stunden bis 6 Tagen), 3 mal an
Darmentzündung, 1 an Ruhr nach 42 Tagen, 2 an Erbrechen,
1 an Lungenentzündung, 1 am 22. Tage an Lungenembolie,
2 später an einer Heubildung (1 Krebs), doch ist das Gallerte -
gewächs nicht an sich zu bösartigem Rückfalle geneigt.
L. Tai t sah nach der Heilung ein Uterusmyom schwinden.
Ohne Adhäsion der Geschwulst an Hachbarorgane konnten
4 operiren, 20 hatten mit Verwachsungen zu schaffen; 2 mal
mussten Ketzzipfel nach Abbinden getrennt werden, lmal war
ein grosses Packet Hetz zu entfernen. C. Braun hatte eine
Stielcyste vor sich. . .
Spezielles: Vorherige Punktionen geschahen in 8 Bei¬
spielen, davon eine Kranke mehrmals Paracentese ei f ulu .
A. M e r c i e r musste, um die Geschwulst aus dem Bauche hc h u
zu können, derselben mehrere Einschnitte beibringen. An der
No. 29.
von fl’O liier operirten Cyste war die innere Hülse von der
äusseren abgeschält worden; dieses Kolloid war allerdings hinter
dein Kabel breit mit wandständigem Bauchfell verwachsen.
Dief f enbach, welcher überhaupt 4 Ivystoophora mit Er¬
folg operirte, musste einmal nach Durchschneiden der Bauch
decken die Geschwulst aus dem Bauchfelle schälen, ohne sie zu
öffnen (Schrägschnitt) und hatte Erfolg. In allen übrigen Fällen
wurde in der Linea alba eingeschnitten und das Bauchfell ganz
gespalten, und die Geschwulst, was allgemein empfohlen wird,
ganz entfernt, 5 mal der Stiel in eine Klammer gefasst;
diese versagte lmal, daher Ligatur (die Kranke starb); 7 mal
wurde der Stiel extraperitoneal — nach Stilling — behandelt;
alle genasen zunächst, 1 starb später an Krebs des Pankreas.
2 wurden während der Schwangerschaft operirt, 1 nach P orro
exstirpirt, nach Ansaugen des Fruchtwassers; Ecraseur blieb
liegen. B. Sch ult ze operirte glücklich ohne.Karkose wegen
arrhythmi sehen Pulses. 4 mal musste die Hand, bcz. nach Durch¬
brechen von Scheidewänden, die Gallerte ausschöpfen (1 f), 1 mal
später Eiter ausdrücken (gen.). 4 wurden drainirt, davon 1 am
3. Tage f.
Eigene Beobachtung:
Am 2. Oktober 1901 trat die Gl jährige Frau S., Mutter meh¬
rerer Kinder, in meine Klinik. Gegen den mageren Körper stach
der aufgetriebene Unterleib stark ab. Die Schwellung datirto
seit 7 Monaten, hatte zunehmende Schmerzen im Gefolge und
fühlte sich uneben, stellenweise prall schwappend an. Der Stiel
ward rechts vermuthet. Die Clilorofornmarkose, durch Dr. Deg'el
1 y2 Stunden unterhalten, verlief ruhig. Das mit dem kleinen
-Becken, dem grossen Netze und besonders fest am Nabel ver¬
wachsene Cystoid barst an mehreren Stellen und hatte gegen
G Liter Gallerte über die Eingeweide ergossen. Der noch im Sacke
verbliebene Inhalt ging nicht durch Well’s Kanüle. Die Stich-
öffnüng wurde abgeklemmt, die Scheidewände durchbrach ich mit
der Hand, welche nun den zähen Inhalt mühsam ausschöpfte und
bis in’s breite Band vordrang. Nach Räumung der Taschen des
Kystoms liess sich das Ganze aus der Bauchhöhle wälzen, die an-
gelötliete Tube unterbinden, durchtrennen, der Stiel 5 mal schritt¬
weise mit starker Seide unterbinden, darüber abtrennen. Blutung
gering. Der Uterus war normal, der linke Eierstock geschrumpft.
Das Auswaschen des Bauches mit warmem Wasser unterblieb,
da das Ausschaben und Abstreifen der Gallertbeläge von den
Bauchwänden und Därmen mittels der Finger schon viel Zeit¬
verlust gebracht hatte; ausserdem erwies sich nachträglich diese
Gallerte (Gemisch von X-Albumin mit X-Globulin nach Kobert !)
in warmem Wasser, selbst unter Zusatz von Essig, unlöslich, lue
Temperatur stieg nur in der ersten Nacht bis 38,3, der 1 uls aul
100, um dann für immer zu fallen. Wenig Erbrechen bis zum
2. Tage. . .
Da man der zurückgelassenen Gallertschicht doch nicht un¬
bedingt trauen konnte, so war durch die betheiligten Kollegen
(A. S c h midt und Hesse) die Höhle um den Stumpf herum
mit Jodoformgazestreifen fest ausgestopft worden. Die Abstos
sung dieser Drains durch die Natur blieb aus. Erst am 5. und
22. November konnten die letzten Gazestreifen ausgezogen werden.
Wie zu vermuthen war, hatte die zurückgebliebene Gallerte die
Gazestreifen zäh umsponnen; dies zeigten Querschnitte der un¬
tersten Streifstrecken im Mikroskope. Es fehlte auch nicht an
organisirter Neubildung im Anschlüsse an die oberflächlichen, an
den Streifen haften gebliebenen Schichten der Cystenwand, welche
ihren g 1 a n dularen Urs p r u n g verrietli mit kopfständigen
Kernen der Zylinderzellen. In der Tiefe gab es zwischen Binde¬
gewebs- auch glatte Muskelfasern in der Cystenwand.
zähflüssige Cysteninhalt trübte sich nur mit ver-
Essigsäure; darin schwammen Inseln von ziemlich
flachen, getüpfelten Zellen mit meist je einem wand¬
grossen Kerne, ferner Hyalintropfen, wenig Blutfarb-
Gallerte selbst, erhärtet und Reihenschnittchen unter-
wo sie nicht von Bindegewebe unterbrochen war,
parallele, etwas geschlängelte, durchscheinende
Farbstoffe schlecht annalimen. Ausserdem kamen
vor, welche mit Anilin-Methylenblau die Reaktion
ron Plasmazellen darboten.
Hach Beobachtungen und Versuchen an Seeanemonen ist
,bige Behauptung, lebende Gallerte sei der Organisation un-
’ähig, zweifelhaft (Dicquemare: Phil. Transa. 63, 361, 17 to
fiC 907 177FÖ
Der
dünnter
grossen,
ständigen,
Stoff. Die
worfen, zeigte,
welligen Bau,
Balken, welche
kleine Schollen
Zur spezifischen Behandlung der Tuberkulose.
Von Sanitätsrat Dr. Hager in Magdeburg K.
(Schluss.)
. M. H.! Ich habe versucht, Ihnen die Tatsachen zusainmen-
mstellen, welche die Möglichkeit einer spezifischen Therapie der
fuberkulose begründen.
Dass alle bisher gebräuchlichen medikamentösen Stolle, auch
solche, welche bakterizid auf den Tuberlcelbazillus wirken, keine
1226
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ko. 29.
spezifischen Heilmittel sind, werden, sie mir ohne weiteres Zu¬
sehen. Auch das Kreosot in seinen verschiedenen, neuerdings
vielfach bereicherten Präparaten, auf welches kein Praktiker gern,
namentlich in der symptomatischen Behandlung der Tuberkulose
und der pyogenen Mischinfektionen mit Tuberkulose verzichten
Avird, obgleich dm bakterizide Wirkung auf den Tuberkelbazillus
eine geringe, und eine antitoxische gar nicht nachgewiesen ist,
wird niemand ein Spezifikum gegen Tuberkulose nennen; ebenso¬
wenig wie das gegen chirurgische Tuberkulose sich fraglos A’or-
züglicli bewährende Jodoform und manche Ersatzpräparate des¬
selben.
Eher könnten noch die Anhänger der Zimmetsäurebehandlung
nach Länderer diesem Stoff den Anspruch, ein spezifisches
Heilmittel zu sein, vindizieren. Die Zimmetsäure soll, intravenös
oder subkutan injiziert, chemotaktisch auf die im Blute kreisenden
Leukocyten wirken und so durch eine, an den von Tuberkelbazillen
befallenen Geweben sich entwickelnde Leukocytose die Unschäd¬
lichmachung der Tuberkelbazillen und die Gesundung der von
Tuberkulose befallenen Gewebe herbeiführen.
Von einem ähnlichen Gesichtspunkte ausgehend empfahl
Liebreich im Jahre 1890 die Anwendung des Gantharidins.
Mit. beiden Stoffen, namentlich also der Zimmetsäure, mögen in
manchen Fällen, die sich besonders zu dieser Behandlung eignen,
günstige Resultate erzielt werden; indessen ist nicht einzusehen,
weshalb diese Stoffe die gleiche Wirkung nicht bei allen anderen
1 nfektionskranklieiten entfalten sollten und es fehlt somit dem
Heilmittel der Charakter eines spezifischen Tuberkuloseheilmittels.
Eine spezifische W i r k u n g auf Tuberkulose dürfen Avir nur
beim Tuberkulin und beim Tuberkuloseheilserum voraussetzen;
das zeigt beim Tuberkulin deutlich die Reaktion des von Tuberku¬
lose befallenen Organismus, und beim Tuberkuloseheilserum garan¬
tiert einen solchen spezifischen Charakter die Art der Darstellung
und Gewinnung des Mittels und seine prompte antagonistische
\\ irkung gegen das Tuberkulin. Es bliebe uns nun übrig zu be¬
weisen, dass diese spezifische Wirkung auch zu Heileffekten führt,
wenn sie in geeigneter Weise benutzt wird.
Es folgt schon aus unseren bisherigen Darstellungen, dass der
erste dieser beiden spezifischen Stoffe, das Tuberkulin, nicht- so
ohne weiteres. als ein Heilmittel anzusprechen ist; dazu sind die Be¬
dingungen seiner Wirkung doch zu kompliziert und dazu macht
es doch zu bestimmte Voraussetzungen.
Dementsprechend hat sieh auch der Entdecker des Tuberku¬
lins und der erste, welcher seine Heilwirkung experimentell fest¬
stellte, sehr vorsichtig über diese Wirkung ausgesprochen.
Hi sagt: Nach meinen Erfahrungen möchte ich annehmen,
dass beginnende Tuberkulose durch das Mittel mit Sicherheit zu
heilen ist; theilweise mag dies auch noch für die nicht zu weit vor¬
geschrittenen Fälle gelten.
Dieser Ausspruch, so heisst es in einer Anmerkung, bedarf
allerdings noch insofern einer Einschränkung, als augenblicklich
noch keine abschliessenden Erfahrungen darüber vorliegen und
auch nicht \ orliegeii können, ob die Heilung eine definitive ist.
Rezidive sind selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Der Schwer¬
punkt, so betont der Autor dann nochmals, liegt in der möglichst
frühzeitigen Anwendung.
Es ist bekannt, Avie diese vorsichtigen Aeusserungen in den
Lebertreibungen und dem Lärm der nicht medizinischen Tages¬
presse verhallten und wie der kurzen Erfolgsexaltation eine tiefe
Misserfolgsdepression folgte, in Avelcher alles, Avas einer unzAveck-
mässigen oft übereilten Aimendung zur Last zu legen ist, dem
Mittel selber als Fehler angerechnet wurde.
Eine immerhin Aviclitige Eigenschaft des Mittels ging aus der
schAveren Exkommunikation, welcher es verfiel, als gerettet und
anerkannt hervor, das war seine diagnostische Bedeutung im Er¬
kennen der Tuberkulose, welche allerdings fast nur der Veterinär¬
medizin als Avillkommene Bereicherung diente. Heute dürfen Avir
dieselbe als eine so einmütig anerkannte Tatsache ansehen wie
es solche überhaupt in der Medizin gibt. Es soll damit nicht be¬
stritten werden, dass es auch in Bezug auf die diagnostische Eigen-
schaft Ausfälle nach der einen Avie nach der anderen Seite gibt;
aber selbst die berüeksichtigungswerten Gegner geben zu dass
diese Ausfälle nie über 20 Proz. gehen und in diesem Zugeständ¬
nisse liegt nach unserer Ansicht die Anerkennung. Leistet ein
Mittel dies, dann ist nicht seine spezifisch diagnostische Wirkung
m Zweifel zu ziehen, sondern es ist den Ursachen nachzuforschen
av eiche diese seltenen Ausfälle bedingen.
,I.Jl,m]so tiefer aber sank das therapeutische Ansehen des
Mittels; der Arzt, welcher es in deutschen Landen noch anwandte
Kam in den Verdacht an urteilsloser Voreingenommenheit zu leiden
- ausserhalb Deutschlands war es vielfach mit staatlichen Inter-
dikten belegt. Und doch Avaren von den Klinikern fast aller
Hochschulen in der Sturm- und Drangperiode eine Reihe Hei-
hingen, die direkt dem Mittel zuzuschreiben Avaren, gesehen und
\ crort entlieht. Man erlebte das, Avas aus der Geschichte aller
spezifischen Heilmittel, Avir erinnern nur an das Chinin und an
Merkur, sattsam bekannt ist.
1 nentAvegt aber Avurden die Ileilversuche mit dem Mittel fort¬
gesetzt in dem Institut für Infektionskrankheiten unter der Lei¬
tung Kochs. Zum grossen Teil waren die dieser Anstalt zu¬
gehenden Kranken nicht zu einer erfolgreichen Behandlung ge¬
eignet: aber über einzelne Fragen der Therapie, z. B. die der mög-
l.clien Jropagation der Bazillen auf dem Wege der Blutbahn durch
das Mittel waren auch diese Fälle geeignet, ein Urteil abzu¬
geben. Besonders wichtig aber war, dass sich im Institut seit Ent¬
deckung des Tuberkulins eine ambulatorische Behandlung an
tuberkulösen Kranken eingeleitet hatte, Avelclie zum Teil ein
besseres Material für eine erfolgreiche Behandlung bot. Nur eine
kleine Anzahl von Aerzten Avandten ausserdem das Mittel weiter
an; ein Teil derselben betonte, dass die Dosirung noch vorsichtiger,
als sie von Koch angegeben, zu normieren sei, um eine günstige
Heilwirkung zu erzielen.
Immerhin genügten diese Erfolge, um das Tuberkulin auch
als therapeutisches Mittel nicht der Vergessenheit anheimfallen zu
lassen. Auch in der grossen Heilstättenbewegung, mit welcher
sich unser neues Jahrhundert einführte, fanden die Verteidiger
desselben Gehör und blieben nicht ohne Anerkennung und zur Zeit,
2 Jahre nach Beginn der Heilstättenbewegung, steht die erneute
Amvendung des Mittels in den meisten Lungenheilstätten unseres
Wissens beAror. Hoffentlich wird die Bewegung diesmal eine
ruhigere und sachgemässere sein.
Gestatten Sie mir jetzt kurz die Literatur über die Anwen¬
dung des Tuberkulins seit dem Ende des Jahres 1891, avo die De¬
pression am tiefsten war, hier anzuführen. In erster Linie ist hier
ein Schüler Kochs, Dr. J. Petruscliky, Direktor des bak¬
teriologischen Instituts der Stadt Danzig, früher Oberarzt am
Institut für Infektionskrankheiten in Berlin zu erwähnen. Seine
gesammelten Vorträge zur Tuberkulosebekämpfung sind 1900 in
Leipzig (Verlag von F. Leinewebe r) erschienen; ausserdem sind
zu erwähnen Arbeiten von T li orne r, Krause, Kaatze r,
Spengler, W e i c k e r u. a. m., auch K 1 e b s, der ein ver¬
ändertes Tuberkulin, Aron ihm Tnberculocidin genannt, verwandte,
neuerdings G ö t s c h, der seine Resultate in der Deutsch, med.
Woclienschr. 1901, No. 25 veröffentlichte.
Petruscliky betont in seinen gesammelten Abhandlungen
die Nothwendigkeit der Auswahl der Fälle. Man könne die Ge¬
samtheit der Formen tuberkulöser Erkrankungen nach ihrer Auf¬
einanderfolge, wie bei der Lues in drei Stadien gruppieren: in ein
primäres, sekundäres und tertiäres. Das primäre Stadium um¬
fasst nur die Lymphdriisenerkrankungen, das sekundäre die
Tuberkelbildung in den Geweben, Pleura, Haut, Lungen. Das
teitiäie die mit GeAvebszerfall verbundenen Ulzerationsprozesse.
Das letzte Stadium ist besonders leicht Mischinfektionen durch
akute Infektionserreger zugänglich; man kann daher bei diesen
Avieder zwei Unterabteilungen unterscheiden, das der reinen Tu¬
berkulose, Avelches fieberlos zu verlaufen pflegt und das der akuten
W unclinfektion der ulzoriorteii Gewebe, welches in seinem aus-
geprägten Stadium vollständig den Charakter der Septikämie
trägt und auch tatsächlich in einer erheblichen Zahl von Fällen
durch septische Allgemeininfektion zum Tode führt. Aus dem
Bedürfnis der ärztlichen Praxis heraus kann man bei der Lungen¬
tuberkulose zwischen beiden Unterabteilungen des tertiären Sta¬
diums noch eine mittlere unterscheiden, die Uebergangszeit, in
welcher die Lunge bereits ulzeriert ist und Attacken von akuten
nlektionen sich einstellen, die Konstitution des Gesammtorganis-
mus aber noch eine solche ist, dass unter geeigneter Behandlung
diese Angriffe der Infektionserreger siegreich abgeschlagen werden
können.
Bekanntlich kommen die allermeisten Phthisiker überhaupt
msff m diesem Stadium III b und zAvar während einer akuten
Attacke zum Arzt, da die allerersten Stadien reiner Lungentuber¬
kulose sich ohne alarmierende Symptome einzuschleichen pflegen,
bezAv. sich aus bestehender Bronchial-, Drüsen- oder Pleuratuber-
uilose last unmerklich entwickeln. Nur gelegentlich gelingt es.
Avirklicli beginnende Fälle amu Lungentuberkulose in Behandlung
zu bekommen. „Für ausserordentlich wichtig möchte ich es daher
erachten ', so sagt P„ „die Tuberkulose womöglich bereits im Sta¬
dium der nachweisbaren Drüsenerkrankung im kindlichen Alter
nach K o c h zu behandeln, um weiteren Infektionen des Körners
vorzubeugen. 1 '
Geeignet für die Iv o c lösche Behandlung sind aber auch noch
die sekundären Formen, also diejenigen, in denen zwar Tuberkel
un Gewebe, aber noch keine wesentlichen Ulzerationen bestehen.
Bei allen anderen Fällen, in denen bereits Pforten für die Einkehr
sekundärer Infektionen vorhanden sind, besteht dauernd die Ge-
ti,. ' 77, auch während der Behandlung selbst natürlich — , dass der
Eintritt einer Mischinfektion die spezifische Behandlung, Avelche
gegen die Tuberkulose allein gerichtet ist, unterbricht. Fälle
mit bereits fixierter Mischinfektion und hektischem Fieber sind
',0.r!, <*e1' Behandlung nach Koch auszuscliliessen. In diesen
fallen kann durch forcierte Anwendung von Tuberkulininjek-
lionen geradezu Schaden angerichtet werden. Damit fällt also
Ko chweg 111 abei' aUCh nur tli,eses> für tlie Behandlung nach
Bei Tuberkulinbehandlung des frühen Lymphdrüsenstadiums,
der sogen, skrophulösen Leiden des Kindesalters, können auch
allerdings seltener, akute Mischinfektionen an den Mandeln oder
hohlen Zahnen als Infektionspforten auftreten und zu akuter
Drusen Vereiterung durch Strepto- oder Staphylokokken führen
Darum ist bei Behandlung dieser Fälle auf Entfernung kariöser
Zahne, hypertrophischer, buchtiger Mandeln Gewicht zu legen.
Der beginnende, über das Knötchenstadium noch nicht hinaus¬
gekommene, also zur sekundären Form der Tuberkulose zu rech¬
nende Lupus, ist ebenfalls ohne weiteres zur Tuberkulinbehand¬
lung geeignet. In den späteren mit starker Ulzeration ver-
bundenen Stadien, kann, wie ich Aviederholt festgestellt habe, eine
Staphylokokkus aureus, d. li. die Komplikation
,.(,s L.liPus mit Staphylokokkenekzem, ein grosses Hindernis er¬
folgreicher Behandlung sein. Fälle von Lungentuberkulose aus
22. Juli 1902.
MUENCHENER MEDIOIN ISCHE WOCHEN SCHRIET.
1227
dom Stadium III a liefern noch keine Bazillen im Auswurf; liier
ist die Reaktion das Entscheidende. Als diagnostische Injektionen
kommen in Betracht 1 mg, 5 mg und 10 mg. Gesunde vertragen
sie ohne Temperaturschwankungen; Schaden richten sie nie an.“
Hier erwähnt P. die diagnostischen Untersuchungen, welche
Schreiber an Säuglingen vornahm: er erhielt niemals eine
Reaktion, ein auch für die Vererbungsfrage wichtiges Moment.
Im Stadium III b, wo Einschmelzung von Lungengewebe
bereits erfolgt ist, und eine Kommunikation des Erkrankungs¬
herdes mit dem Luftröhrensystem hergestellt ist, ist die Auswahl
zur Tuberkulinbehandlung schon schwierig. Macht die Sekundär¬
infektion Stillstand, so können solche Fälle immer noch das Ob¬
jekt. einer glücklichen K o c löschen Behandlung sein; hier ist Indi¬
vidualisierung und vorsichtiges Üeberwachen der Symptome der
Mischinfektion die Hauptkunst.
Auf die Erzielung einer milden, nicht übermässigen Lokal¬
reaktion ist das Hauptgewicht zu legen. Heftige Allgemein¬
reaktionen sind zu vermeiden. Vielleicht spielt gerade die lokale
Hyperämie, die reichliche Durchtränkung der erkrankten tuber¬
kulösen Partien mit Blut nach Art der Bi er’ sehen Stauungs¬
hyperämie, leine Rolle bei der Heilung. Gerade im Tuberkulin
haben wir ein Mittel, welches wie kein anderes im Stande ist,
in der subtilsten Weise nur da Hyperämie zu erzeugen, wo tuber¬
kulöse Erkrankungsherde sich befinden.
Beginnt die Reaktionsfähigkeit sich zu erschöpfen, tritt eine
gewisse Immunität gegen das Tuberkulin ein, so kann man durch
grössere Sprünge in der Dosis noch wünschenswerte Reaktion
erreichen; sonst kann man auch das Präparat wechseln, anstatt
des alten Tuberkulins TR nehmen.1) P. pflegt meist eine Pause
zu machen; nach etwa 3 Monaten, von den letzten grösseren. Dosen
an gerechnet, ist wieder eine Reaktionsfähigkeit vorhanden.
Auf diese etappenweise Erreichung der Heilung legt P. das
Hauptgewicht; sie ist oft mehrere Jahre hindurch fortzusetzen.
Bezüglich des therapeutischen Resultats betont P., dass man
bei Kindern oft eine völlige Aenderung der Konstitution erlebe,
ein Beleg dafür, dass das, was wir tuberkulöse Disposition jugend¬
licher Individuen zu nennen pflegen, bereits ein Symptom vor¬
handener Erkrankung, i. e. der tuberkulösen Intoxikation ist.
Darauf werden 11 Krankengeschichten, darunter 2 Fälle von
HI 1) angeführt, welche sämtlich günstig verliefen. Schädigungen
durch Tuberkulin hat P. in keinem seiner Fälle gesehen. Die
Vorteile der Behandlungsmethode vor dem durch Hygiene und
Klimatotherapie zu erzielenden Stillstände sind evident. Die Bil¬
dung von zahlreichen Zentren für Tuberkulinbehandlung ist an¬
zustreben.
In einer folgenden Abhandlung, dem \ ortrage P.s, gehalten
auf dem Tuberkulosekongress Berlin, stellt P. folgende Leit¬
sätze auf: ,, , , .
1. Durch die Koch sehe Tuberkulinbehandlung kann bei
sackgemässer Durchführung die dauernde Beseitigung aller tuber¬
kulösen Krankheitserscheinungen erreicht werden und zwar
ambulatorisch auch in solchen Fällen, in welchen eine längere
Berufsstörung vermieden werden soll.
Eine einmalige, bis zur Ileaktionslosigkeit des Kranken aut
grössere Tuberkulindosen durchgeführte Kur genügt nur in relativ
seltenen Fällen zur dauernden Beseitigung aller Krankheitserschei¬
nungen. Dennoch lebt gegenwärtig noch eine nicht unerhebliche
Zahl früherer Phthisiker, welche nach einmaliger Tuberkulinkur
1800/91 symptomlos geworden und rezidivfrei geblieben sind.
In der Regel muss die Tuberkulinkur etappenweise — etwa
zweimal pro Jahr — wiederholt werden, um eine zuverlässige
Beseitigung der Krankheit zu erreichen.
Ferner: Geeignet für die Tuberkulinbehandlung sind: a) alle
unkomplizierten Frühstadien der Tuberkulose; b) Fälle mit bereits
bestehenden Gewebszerstörungen, welche chronisch und üeberlos
verlaufen, frei von Sekundärinfektionen und bei leidlichem Ivratte-
zustande sind. .
In solchen Fällen, in denen Neigung zu Sekundannfektionen
oder mangelhafter Kräftezustand vorliegt, kann die hygienisch-
diätetische Behandlung die Tuberkulinbehandlung in wirksamer
Weise ergänzen und unterstützen - und ferner:
Die Tuberkulinbehandlung ist nicht, wie es anfänglich er¬
scheinen mochte, eine relativ leichte und einfache Sache, die jedei
Arzt ohne Vorübung richtig durchzuführen vermöchte. V ielmehi
muss dieselbe, wie jede andere wissenschaftliche Behandlungs¬
methode, sorgfältig studiert und praktisch eingeübt werden.
Nachteilige Wirkungen der Tuberkulinbehandlung habe ich
bei richtiger Anwendung derselben niemals beobachtet.
Weitere Abhandlungen Petrusch kys betreffen die lube1-
kuloseprophylaxis, die Heilstättenfrage und die experimentelle
Frühdiagnose der Tuberkulose.
Zu dieser letzteren erwähnt er, dass die Verwertung der
Serumdiagnose nach Courmont bei Tuberkulose nach Art der
Widal sehen Probe für Typhus, sowie das Impfexperiment bis
lieber
macht K o c li Mitteilungen in
der Deutsch.
med. 'Wochensehr. 1897. Es ist ein Präparat, welches un Gegen¬
satz zu dem alten Tubrekulin TA möglichst alle Giftstoffe dei
Tuberkelbazillen enthält. Zu diesem Zweck werden die Bakterien¬
zellen im Mörser zertrümmert und alsdann extrahiert. Das nt
wird in 10 fach schwächerer Dosis als TA angewendet; es wiu
verdünnt in 20 proz. Glyzerinlösung angewandt. Die immuni¬
sierenden Eigenschaften des TR sollen viel höhere, die Reaktionen
mildere sein.
jetzt nicht annähernd so brauchbare Ergebnisse bieten, wie die
diagnostische Anwendung des Tuberkulins.
Alle Frühsymptome der Tuberkulose, welche sich nur mit
Hilfe des Tuberkulins diagnostizieren lassen, sind auch durch
Tuberkulin sicher heilbar.
Am Schlüsse heisst es dann:
Die möglichst allgemeine Anwendung des Tuberkulins zur
Frühdiagnose und Frühbehandlung der Tuberkulose wäre die voll
kommenste und dabei wohlfeilste Form des Kampfes gegen die
Tuberkulose.
Von diesen Ausführungen P et rusch kys wollen wir über¬
gehen zu denen einiger praktischer Aerzte und zwar zunächst von
T ho rn er- Berlin. Wir finden die Erfahrungen, welche er in
seiner Praxis mit diesem Mittel gemacht hat, niedergelegt in einer
Reihe von Artikeln und Vorträgen in den Therapeutischen Monats¬
heften, sowie der Deutsch. Medizinalztg. und der Deutsch, med.
Wochenschr.. Es handelt sich ferner um zwei Vorträge, gehalten
1891 und 1893 im Verein für innere Medizin in Berlin.
In einer kleinen, im Verlage S. Karge r, Berlin 1894, er¬
schienenen Monographie fasst er das Resultat seiner zahlreichen,
vierjährigen, vielfach geläuterten Beobachtungen zusammen.
Er betont die Möglichkeit und die Notwendigkeit, heftige
Fieberreaktionen durch penibel vorsichtige Dosierung zu ver¬
meiden, erwähnt die vorzüglichen Resultate bei ambulatorischer
Behandlung und unter oft hygienisch nicht günstigen Verhält¬
nissen. Er resümiert seine Erfahrungen dahin :
Die vorsichtig geleitete Tuberkulinbehandlung, mit kleinsten
Dosen beginnend, birgt keine der Gefahren, auf die Virc h o w
aufmerksam gemacht hat. Sie ist imstande, beginnende Tuber¬
kulose zu heilen, vorgeschrittene erheblich zu bessern und den
Kranken von einer Anzahl von Krankheitserscheinungen zu be¬
freien, gegen die man bisher vergeblich ankämpfte. Gute Pflege
und hygienische Behandlung in Kurorten unterstützen die Tuber¬
kulinkur, sind aber meist nicht imstande, dieselbe zu ersetzen. Sie
stellt das wichtigste Heilmittel in der Behandlung der Tuberkulose
dar und es ist Pflicht eines jeden Arztes, wenn auch nicht die¬
selbe selbst auszuüben, so doch sich mit ihren Resultaten vor¬
urteilsfrei bekannt zu machen.
Von Autoren, welche Tuberkulin in Lungenkurorten an¬
wandten, erwähnen wir Kaatze r und Spengler, welche ihre
erlangten Resultate als günstig hinstellten.
Klebs- Zürich suchte die heilende Substanz des Rohtuber¬
kulins als eine- rein darstellbare Albumose zu isolieren. Dieselbe
soll in der Dosis von Vs — 1 g injiziert bei tuberkulösen Menschen
keine Temperaturerhöhung bewirken. Klebs nennt diese Sub¬
stanz Tuberculocidin, weil er ein Zerfallen der Tuberkelbazillen
nach ihrer Anwendung konstatiert haben will. Er glaubt, dass
seine Methode zu einem wahren Volksheilmittel gegen Tuberkulose
ausgebildet werden kann. Eine Methode der kombinierten Tuber¬
kulin- und Tuberkulocidinanwenduug versuchte Spengler; auch
über diese konnte er günstige Resultate veröffentlichen.
Dagegen ergab die Prüfung des Tuberculocidms und aller
übrigen" nach dem K 1 e b s sehen Prinzip, die giftigen Stoffe aus
dem Tuberkulin auszuschalten, präparierten Mittel im Kocn-
schen Institute in Berlin ein negatives Resultat.
Von den vielen einzelnen ärztlichen Stimmen, die sich immer
wieder, wie Ihnen bekannt, für das Tuberkulin erheben, will ich
kurz noch die Resultate von Goetsch erwähnen.
Er hat von 1891 bis heute 224 Tuberkulöse geheilt, wobei zu
erwähnen, dass er unter Heilung nur solche Fälle versteht, welche
seit dem Jahre 1895 symptomenlos geblieben sind. Er sucht das
Ziel zu erreichen, ohne febrile Reaktionen zu machen, welche sich
in der Tat durch vorsichtige Dosierung und langes Warten zwi¬
schen den einzelnen Injektionen vermeiden lässt; man steigt mit
der Dosis nur dann, wenn die vorher eingespritzte ohne Reaktion
ertragen wurde. G. legt Gewicht darauf, die Kranken am Em-
spritzungstage das Bett hüten zu lassen.
Die letzte Mitteilung, welche mir besonders wichtig erschien,,
ist die von Möller aus der Lungenheilstätte Belzig. Er wandte
zu therapeutischen Zwecken das Tuberkulin nur aut direkten
Wunsch des Patienten an, wenn im übrigen keine Kontraindikation
vorhanden. Auf das Sorgfältigste und dem individuellen Falle
angepasste Steigen mit der Dosis legt er das Hauptgeu ich -
Schliesslich sagt er: In allen Fällen, in denen ich luberkulm zu
therapeutischen Zwecken anwandte, konnte ich einen guten Vei-
lauf der Kur, d. h. eine stetig fortschreitende Besserung des
Lungenbefundes bei gutem Allgemeinbefinden beobachten. YVie
hoch der Wert der Tuberkulinbehandlung, wenn sie mit dei
hygienisch-diätetischen Anstaltsbehandlung kombiniert wird. Über¬
haupt anzuschlagen ist, darüber kann ich mir noch kein absch les-
sendes Urteil erlauben; jedenfalls kann ich aber wiederholen, dass
ich eine nachteilige Wirkung des Tuberkulins bis jetzt memu s
beobachtet habe. . OTlUo
Was nun meine eigenen Erfahrungen mit lubeikuhn anbe
langt, so habe ich seit dem Jahre 1S90 nicht aufgehort, dasselbe
in meiner Praxis anzuwenden. Dieser Zeitraum von über 10 Jaliu n
ist gross genug, um über manche Fragen ein sicheres I rteil zu
Ich darf zunächst sagen, dass ich in all den Fällen, wo ich
Tuberkulin zu diagnostischen Zwecken angewandt habe, niema s
irgend einen Nachteil gesehen habe; es handelt sich im ganzen
um etwa 200 Fälle. .
Diejenigen Fälle, bei welchen Tuberkulose nur durch Reak¬
tion auf Tuberkulin festgestellt worden konnte und bei denen
1228
MUENCHENEB MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
; 1 1 h I < * i'< * sichere klinisch;' / iclicn fohlten, sind, soweit sio sich zur
Fortsetzung und Durchführung der Tubcrkuliiikur entschlossen,
alle gesund geblieben, soweit ich rie verfolgt habe. Ihre Zahl
reicht aber nicht über 20. In Füllen von ausgesprochener Tuber¬
kulose mit Bazillenbefund im Sputum verfüge ich über etwa
• .n hülle, über welche ich .jetzt ein abschliessendes Urteil abgeben
kann. Der Erfolg ist in fast all diesen Füllen ein so evidenter
gewesen, dass diese ganfce Behandlungsmethode zu den Lichtseiten
meiner ärztlichen Tätigkeit gehört. Es sind Patienten auch vor¬
geschrittener Art darunter, welche die verschiedensten medika¬
mentösen. hygienischen und klimatischen Kuren durchgemacht
hatten und Welche jedesmal von der Wirkung der Einspritzungen,
<1. h. von der Besserung, welche auf die geringen Reaktionen folgt,
I rappiert waren. Freilich, das muss ich hier gleich einschränkend
bemerken, I nmügliclies darf man von dem Mittel nicht verlangen.
IiS handelt sich um ein vorsichtiges und langsames Immunmachen
di s erkrankten Körpers gegen die in ihm befindlichen Parasiten.
Die Arbeit kann in vorgerückten Füllen, namentlich wenn es sich
um Mischinfektionen handelt, eine grosse Geduldsprobe sein. Ge¬
lingt es, einen zeitweiligen Stillstand zu erzielen, so ist das schon
ein gutes Resultat. Es sind oft dann längere Pausen und im
ganzen mehrere Injektionskuren mit Unterbrechungen zu machen.
Mein- als 3 Kuren habe ich nur in einem Falle nötig gehabt.
W iederholte Kontrolle durch Sputumuntersuchungen ist dringend
notwendig. Starke Reaktionen sind zu vermeiden, am Ein¬
spritzungstag und auch am Tage nachher hat sich der Patient
sehr ruhig zu verhalten, womöglich einen Tag das Bett zu hüten
und auf alle Erscheinungen sorgfältig zu achten. Die nächste Ein¬
spritzung ist nicht eher zu machen, bis alle Erscheinungen der
vorherigen Einspritzungsreaktion vollständig abgeklungen sind.
An dem neuen Tuberkulin, dem TR, bin ich zuerst irre ge¬
worden. die Resultate waren schlechter als bei dem alten. Das
mag am Präparat gelegen haben und an seiner geringeren Halt¬
barkeit. Jetzt ziehe ich TR wegen seiner geringeren Reaktion
und wegen seiner sichereren Wirkung dem TA weit vor.
Was die mit dem Heilserum Maragliano erzielten Resultate
anbelangt, so erfreut sich dieses Heilverfahren in Italien einer
zunehmenden Anerkennung. Die letzte Veröffentlichung umfasst
171 in der Klinik zu Genua ambulatorisch behandelte Fälle
il. I. 1900 bis 1. VII. 1901), von denen auch mehrere schwerster
Art waren. Die Kranken blieben bei ihrer gewöhnlichen Lebens¬
weise. z. T. auch bei ihrer Beschäftigung, ohne jede andere medika¬
mentöse Behandlung. Die Serumbehandlung, 1 ccm subkutan
jeden 2. Tag, wurde mit grosser Konsequenz lange fortgesetzt.
Das Resultat war von 171 Fällen 44 Heilungen (soweit Symptom-
losigkeit Heilung bedeutet), 04 Besserungen, 39 Fülle blieben sta-
lionür. in 12 Fällen schritt die Krankheit fort, letal endigte wäli-
i end der Lohandlungszeit keiner der in Behandlung genommenen
Uib(>- V enn man bedenkt, dass Fälle leichtester Art, wie sie
sich für Tuberkulinbehandlung am besten eignen, kaum zu dieser
ambulatorischen Behandlung kamen, so muss das Resultat als ein
günstiges bezeichnet werden.
In Deutschland ist das Serum bisher kaum angewandt, wenig¬
stens sind mir keine Veröffentlichungen über dasselbe bekannt
gew oiden. Dies ist vielleicht so zu erklären, weil allgemein auf
ein von Behring noch darzustellendes Heilserum gegen Tuber¬
kulose gewartet wird und weil dieser Autor sich nicht zustimmend
zu den Funden M.s geäussert hat.
Neuerdings wird von zwei russischen Forschern, Frenkel
und B e r n s t e i n. in der Berl. klin. Woclienschr., No. 31, 1901
die Wirksamkeit dieses Mittels und die Arbeiten der Genueser
Schuh' und ihre Verdienste um die Heilung der Tuberkulose be¬
stätigt. Die Autoren raten den russischen Aerzten die fleissige
Benutzung des Serums dringend an.
Meine eigenen Erfahrungen mit dem Mittel haben die An¬
gaben des Autors über antitoxische und kurative Wirkung des¬
selben bei Tuberkulose voll bestätigt; sie sind allerdings nicht sehr
reichlich, da ich nur diejenigen Fälle mit Serum behandelt habe,
welche Sich zu einer Tuberkulinbehandlung von vornherein nicht
mein eigneten oder sich ihr nicht zugängig erwiesen.
Ich hoffe, durch meine Ausführungen den Beweis geliefert
zu haben, dass der Weg, die Tuberkulose mit spezifischen Heil¬
mitteln günstig zu beeinflussen und zu heilen, ein' gangbarer ist
und dass es an der Zeit ist, dieses Heilverfahren mit dem livgie-
liiscli-diiitct ischen zu kombinieren.
Möge diesmal ein günstiger Stern über der Anwendung des
Tuberkul in heil Verfahrens strahlen und möge dem hochverdienten
Autor desselben auch in dieser Beziehung die ihm solange mit
ln recht vorenthaltene Anerkennung seitens der Aerzte werden.
Referate und Bücheranzeigen.
G. Fütterer: Ueber die Aetiologie des Karzinoms. Mit
besonderer Berücksichtigung der Karzinome des Skrotums, der
Gallenblase und des Magens. Mit 32 Abbildungen im Text und
3 Abbildungen auf Tafeln. Wiesbaden, Verlag von J. F. Berg-
ni a n n, 1901.
Der \ ertasser teilt die von der Mehrzahl der Pathologen
\ ertreteiie Auffassung, dass der Krebs auf einer biologischen
Entartung des Epithels beruhe. Die Bibbert sehe Theorie
wird auch von ihm zurückgewiesen, da durch eine mechanische
Verlagerung des Epithels allein, wie auch zahlreiche vom Ver¬
fasser selbst und von anderen vorgenommene Experimente er¬
geben haben, niemals zur Krebsentwicklung führt. Auch vermag
diese Theorie nach der Ansicht Füttere r’s nicht nur die bio-
logi-vheii Eigenschaften der Krebszelle unmöglich zu erklären,
sondern sie steht auch zu den bei der Histogenese des Krebses
zu beobachtenden Vorgängen in völligem Widerspruch. Auch
die parasitäre Theorie hält F., namentlich wegen des Verhaltens
der Metastasen in epithelialen Organen, nicht für berechtigt.
Für das Zustandekommen der biologischen Zellentartung
sei
chron i sehe Beizei i i wi r k ung
von gr<
isstem Einfluss, wie nament¬
lich der Krebs der Schornsteinfeger und Paraffinarbeiter, der
Krebs der Gallenblase und die häufige Beobachtung von Krebs
im Anschluss an chronisches Magengeschwür beweisen. Ver¬
fasser gibt von den genannten Krebsen tabellarische Uebersichten
der in der Literatur beschriebenen Fälle, wobei ihm aber unter
anderen auch die vom Bef. in seiner Arbeit über den Zylinder-
epith eikrebs publizierten Fälle von krebsiger Entartung chro¬
nischer Magengeschwüre entgangen sind. Ferner teilt er auch
eine Anzahl eigener Beobachtungen mit; leider sind jedoch
namentlich seine histologischen Beschreibungen so kurz skizziert,
dass es oft unmöglich ist, aus den Darstellungen sich ein sicheres
objektives Urteil zu bilden. Interessant ist es, dass es dem Ver¬
fasser gelungen ist, bei Tieren durch Besektion von Magen¬
schleimhaut und nachträglicher Einspritzung von Pyrogallus-
säure einen dem chronischen Magengeschwür des Menschen ähn¬
lichen Geschwürsprozess zu erzeugen und dass er bei diesen Ge¬
schwüren wiederholt lebhafte, bis in die Muskularis vordringende
Drüsen Wucherungen beobachten konnte, welche sich histologisch
durch nichts von krebsigen Wucherungen unterschieden.
H a u s e r.
v. Krafft-Ebing: Psychosis menstrualis. Eine kli¬
nisch-forensische Studie. Stuttgart, Ferdinand Enke, 1902.
112 Seiten, Preis 3 M.
Nach einer physiologischen und historischen Einleitung
t heilt v. Krafft-Ebing die Krankheit in 3 Gruppen ein :
I. menstruale Entwicklungspsychosen, 11. Ovulationspsychosen
und III. epochale Menstrualpsycliosen.
Unter der ersten versteht er die äusserlich ganz verschieden
gefärbten kurzdauernden Zustände, die in der Pubertät, nament¬
lich zur Zeit der ersten Menstruation eintreten und meistens mit
der vollständigen Entwicklung nach wenigen Perioden in Heilung
übergehen.
Auch die Ovulationspsychose zeigt verschiedene
Krankheitsbilder. Die familiäre Belastung ist eine sehr grosse.
Den Erkrankungen der Genitalorgane scheint keine kausale Be¬
deutung zuzukommen. Die Krankheit beginnt am häufigsten in
der Pubertät oder gleich nachher, dann immer seltener; doch gibt
es noch Fälle, die im Klimakterium oder sogar nach der Meno¬
pause erst auftreten. In etwa der Hälfte der Fälle lässt sich
nach längerer oder kürzerer Zeit Heilung erwarten. Während
der Gravidität hören, die Anfälle auf.
L nter epochaler Menstruationspsychose ver¬
steht Verfasser eine pathologische Uebertrcibung der psychischen
Menstrualwelle, bei welcher während der ersten Hälfte der Epoche
manische Erregungen, während der zweiten Hälfte Depression
besteht. Die Zahl der beobachteten Fälle reicht nicht aus, um
diese Gruppe genauer zu charakterisiren. Die Prognose scheint
eine ziemlich ungünstige zu sein.
Den sehr interessanten Schluss bildet die Diskussion der
forensischen Bedeut u n g der Menstruationspsychose.
1 erfasse:1 fasst unser Wissen sehr gut zusammen und fügt
vi 1 Neues hinzu. Seine grosse eigene Erfahrung, seine Kennt¬
nis; der Literatur und die Klarheit der Darstellung geben dem
Werkch eil seinen besonderen Werth.
Bleuler- Burghölzli.
Bibliothek v. Co ler. Bd. XI: E. Marx: Die experi¬
mentelle Diagnostik, Serumtherapie und Prophylaxe der In¬
fektionskrankheiten. Mit 1 Figur im Text und 2 lithogra¬
phischen Tafeln. Berlin 1902. Preis M. 8.
Das Buch gibt einen vortrefflichen Ueberblick über die zur
Zeit zur "Verfügung stehenden Hilfsmittel der Bakteriologie zur
Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Zunächst wird in den
• 22. Juli 1002.
MUENCHENEK MEDICINISCHE WO CHENS CIIEIFT.
1220
einzelnen Kapiteln ein kurzer Abriss der wichtigsten für die
Diagnostik besonders in Betracht kommenden morphologischen,
kulturellen und biologischen Eigenschaften der spezifischen
Mikrooganismen gegeben. Dann sind die Methoden für die
experimentelle Diagnostik, soweit diese im bakteriologischen
Laboratorium zur Ausführung kommt, besprochen. Hieran
schliesst sich eine Schilderung der verschiedenen mehr oder
weniger gelungenen Versuche der Serumtherapie, deren Aus¬
wüchse Verfasser mit Kocht einer offenen Kritik unterzieht.
Endlich findet sich eine eingehende Besprechung der spezifischen
Prophylaxe. Aus allen Kapiteln ist die reiche eigene Erfahrung
des Verfassers ersichtlich, der das wirklich Brauchbare von dem
Minderwertigen ausscheidet. Dem praktischen Zwecke des
Buches entsprechend ist auch speziell bei der Serumtherapie
alles Theoretische, für die Praxis noch nicht nutzbar gemachte,
weggelassen. So stellt das durchweg klar und übersichtlich ge¬
schriebene Buch einen ausgezeichneten Führer in der Seuchen¬
bekämpfung dar und kann desshalb nicht nur den Sanitäts¬
offizieren, sondern jedem Arzt, insbesondere dem beamteten Arzt,
warm empfohlen werden.
Bd. XII: M. Martens: Die Verletzungen und Verenge¬
rungen der Harnröhre und ihre Behandlung. Mit einem Vor¬
wort von Geh.-Eat Prof. Koni g. Berlin 1902. Preis M. 4.
Verfasser hat die in der Klinik von König in den Jahren
1S75 — 1900 behandelten Fälle von Strikturen und Verletzungen
der Harnröhre zusammengestellt. Eingehend wird die Aetio-
logie, Diagnose und die Behandlung besprochen; bei letzterer
nimmt König einen streng chirurgischen Standpunkt ein und
zwar, wie die vorliegende Monographie zeigt, mit günstigen Ke-
sultaten. Dieudonne-W ürzburg.
Aerztliches Handbüchlein für hygienisch - diätetische,
hydrotherapeutische, mechanische und andere Verordnungen.
Eine Ergänzung zu den Arzneivorschriften. Für den Schreib¬
tisch des praktischen Arztes. Von Dr. med. H. Schlesinger,
prakt. Arzt in Frankfurt a. M. 8. vermehrte Auflage. Göttingen,
Verlag der Deuerlic h’schen Buchhandlung, 1902.
Die vorliegende 8. Auflage des Handbüchleins hebt das be¬
kannte und längst bewährte Werkchen in jeder Hinsicht auf die
Höhe des modernen Standes der Diätetik. Besonders der Ab¬
schnitt der „diätetischen Verordnungen“ ist von einer ausser¬
ordentlichen Vollständigkeit der Angaben und kaum wird man
sich über irgend eine in der Praxis vorkommende Detailfrage
dieses Gebietes in dem Handbüchlein nicht Aufschluss ver¬
schaffen können. Fm nur ein Beispiel anzuführen, sind bei Auf¬
führung der für die Krankenkost in Betracht kommenden Weine
nicht nur die Bezugsquellen, sondern sogar die Bezeichnung der
besten Jahrgänge angegeben.
Wie dieser Teil, haben auch die übrigen eine Menge Er¬
gänzungen in ihren Angaben erfahren, so dass der Umfang des
Werkchens seit der letzten Auflage ganz erheblich zugenommen
hat. Gr.
*TT - -y :
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1902. 72. Bd
5. u. 6. Heft.
IS) H. D oering: Ueber Eventratio diapliragmatica. (Aus
der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses Stettin.)
Die Affektion bestellt in einer hochgradigsten Dehnung einer
ganzen Zwerchfellhälfte, die in einen dünnen, häutigen Sack um¬
gewandelt ist, so dass die Formelemente des Diaphragmas nur eben
noch nachweisbar sind, was gegenüber dem blossen Zwerchfell
hochstande mit u n v e r ä n dort e r anatomischer Beschaffenheit
wichtig ist. D. bereichert die noch sehr spärliche Kasuistik um
einen neuen Fall bei einem G0 jährigen Manne, der, ohne dass je¬
mals Beschwerden bei ihm aufgetreten, oder ein Trauma voraus¬
gegangen wäre, den typischen Befund bei dar Autopsie zeigte,
dessen Entstehung wohl in die Fötalzeit oder früheste Kindheit
zu verlegen ist, wofür die 3 lappige linke Lunge und die Intaktheit
der Thoraxform spricht.
19) Charles P. Emerson: Der Einfluss des Karzinoms auf
die gastrischen Verdauungsvorgänge. (Aus der medizinischen
Klinik zu Basel.)
Den Anlass zu dieser Arbeit bot die Tatsache, dass im karzi-
nomatösen Magen bei einer oft recht hohen Azidität das sogen.
Salzsäuredefizit existiert. Salzsäurehiiuleiide Substanzen können
in der Nahrung enthalten (Albumin, Asehebestandteile) sein,
können vom Magen selbst sezerniert werden, wie auch bereits die
Absonderung einer fixes Alkali enthaltenden Flüssigkeil seitens
der ulzenorten KrebsoberHiiohe naehgowicsoii ist. Verfasser go
lang es mm in künstlichen Verdauungsmischungen einen Einfluss
des karzinonnvtösen (»(»wehes auf die HCl-Bimlung nachzuweiseu,
wodurch HCl-gierige. basenartige Verdauungsprodukte entstellen.
Im Karzinomgewebe ist wahrscheinlich ein aulolyt isches, basen
bildendes Ferment vorhanden, 'das sowohl im Brutschrank, als im
menschlichen Magen Ehveiss verdauen kann, und auch bei An¬
wesenheit von II CI wirksam ist.
20) ,T. .Tacobi: Ueber das Erscheinen von Typhusbazillen
im Urin. (Aus der internen Klinik des Herrn Prof. Dr. S. Pur
jesz in Klausenburg.)
•T . fand in < Fällen von :>•> Typliuskranken in dem mit allen
Kautelen entnommenen Urin Typhusbazillen, ausserdem stets
gleichzeitig Albuminurie, nur in 1 Falb» überdauerte die Typhus-
bakteriurie die Albuminurie. Die Bakteriurie tritt grösstenteils in
der Zeit der Continua, auf, meist bald nach der Itoseolaeruption,
die als typhöse Kapillarembolien aufzufassen sind, und zeigen,
dass die Bakterien ins Blut übergetreten sind; in den meisten Fällen
ist ein starkes Exanthem vorhanden. Die prognostische Bedeutung
der Typhusbakteriurie ist. ebenso gering (alle: 7 Kranke sind ge¬
nesen) als die diagnostische, da in allen Fällen schon vor der Bak¬
teriurie die Diagnose aus den anderen Symptomen sichergestclll
war. Jedenfalls sollte der Urin Typhuskranker während des Ver¬
laufes dietr Krankheit und Rekonvaleszenz ebenso streng desinfiziert
werden als die Stühle.
21) F. Bommel: Klinische Beobachtungen über Herz-
arhythmie. (Aus der medizinischen Klinik zu Jena.) (Schluss von
S. 255 dieses Bandes.)
Im ersten Teile der umfangreichen Arbeit bespricht B. zu
nächst die Extrasystole als diejenige Arliytlnnieform des Herzens,
bei welcher der arhythmische Beiz an Stellen entsteht,, die unter
physiologischen Verhältnissen ihre Bewegungsimpulse nur durch
Leitung empfangen, also als ausserhalb der rhythmischen Beiz¬
erzeugung entstehende Systolen zu deuten sind. Verfasser be¬
obachtete das Vorkommen solcher Extrasystolen, denen zur Zeit
eine speziellere diagnostische und prognostische Bedeutung nicht
zukommt, bei 20 verschiedenen Krankheitsfällen, wobei er in
jedem Falle auf Grund genauer klinischer Erscheinungen sich eine
Vorstellung über die Ursache der Extrasystole zu machen suchte,
und so zu folgender Gruppierung gelangte: Extrasystolen, die
1. bei absolut oder relativ erhöhtem intrakardialen Blutdrucke
entstehen = dynamische Bigeminie. prognostisch bedeutungslos,
2. solche bei organischen Herzaffektionen, meist interstitielle
Myokarditis,
3. solche, die bei nervösen Affektionen und Vergiftungen ver¬
kommen.
Der Entstelmngsort der Extrasystole ist bei gesteigertem Blut¬
druck wohl immer am Ventrikel, bei Myokarderkrankungen an
höher gelegenen Herzabschnitten zu suchen.
Viele Arhythmien kommen dadurch zustande, dass, nur in
stärkerem Grade als normal, eine respiratorische Beschleunigung
und exspiratorische Verlangsamung des Herzschlages eint ritt.; sie
sind nur quantitative Steigerungen der normalen respiratorischen
Schwankungen und nicht durch organische Herzerkrankungen be¬
dingt; nach fieberhaften Erkrankungen, bei Herzneurosen und
Vagusreizung durch Hirnerkrankungen werden sie beobachtet und
sind rein nervösen Ursprunges.
22) M. Reichardt: Zur pathologischen Anatomie der
Chorea minor. (Aus der pathol.-anatom. Abteilung des Stadt¬
krankenhauses in Chemnitz.)
Mangels positiver pathologischer Befunde ist die Chorea minor.
den zentralen Neurosen zugerechnet, wenn auch die Wahrschein¬
lichkeit ihrer infektiösen Natur zugegeben wird. M. berichtet
über 2 Fälle von Sy d e n h a m scher Chorea, bei denen die wenige
Stunden post mortem ausgefiilirte Autopsie Entzündung, Blutung
und Degeneration von Nervenfasern ergab. Der eine Fall, der
im Anschluss an Gelenkrheumatismus entstanden war, hatte im
Herzblute Staphyloc. nur.: im 2. Falle, der ein Chorearezidiv war.
fanden sich Streptokokken, so dass das Bild wohl mit der akuten
Enkephalitis in eine Reihe gestellt werden darf.
23) Gg. Koste r: Ein zweiter Beitrag zur Lehre von der
Fazialislämung, zugleich ein Beitrag zur Physiologie des Ge¬
schmackes, der Schweiss-, Speichel- und Tränenabsonderung.
(Aus der mediz. Universitäts-Poliklinik zu Leipzig.) (Schluss von
Seite 3G5 dieses Bandes.)
In dieser grossen, teilweise recht polemisch gehaltenen Arbeit
kommt Iv. auf Grund der vorliegenden klinischen und experimen¬
tellen Ergebnisse zu dem Schluss, dass Dis jetzt die sekretorische
Abhängigkeit der menschlichen Tränendrüse vom Sympathikus
nicht als feststehend anzusehen ist. Immerhin scheinen verein
zelte Beobachtungen, besonders die Tränenstörungen nach ope¬
rativer Schädigung des Halssympathikus für einen Einfluss des
Sympathikus auf die Glandula lacrymalis zu sprechen. Damit
wäre, analog den Speicheldrüsen, eine Doppelinnervation der
Tränendrüse gegeben, deren sekretorische Tätigkeit von mark-
haltigen (Fazialis resp. Glossopharyugens) und niarklosen Nerven¬
fasern (Sympathikus) bedingt würde. Für jeden Geschmack oxi-
stieren besondere Neurone, so dass also das wesentliche Moment
bei der Unterscheidung der vier Gesehmaoksqualitäten (süss,
sauer, salzig, bitter) nicht in der Spezifität der Endorgane (Ge¬
schmacksknospenbecher), sondern in der Spezifität der zu den End-
organen gehenden Nerven liegt. Näheres im Original.
1230
No. 29.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
24 1 F. Soetl) e e r und II. Kriege r: lieber Phosphaturie.
(Aus der mediz. Klinik und dem Laboratorium der Kinderklinik
zu Heidelberg.)
Das Hauptsymptom der Phosphaturie ist ein trüber, an Erd-
pliosphaten reicher Harn, der seine trübe Beschaffenheit entweder
gleich bei der Entleerung oder nach einigen Minuten zeigt. Ausser¬
dem bestehen zahlreiche Störungen von seiten des Nervensystems,
Darmes, Magens, der Zirkulation. Als ätiologisch wichtiges Mo¬
ment betrachtet Verf. den Dickdarmkatarrh, der die Ausscheidung
des Kalkes in den Dickdarm behindere, so dass dieser die Niere
passieren müsse. Bei einem einschlägigen Falle gelang es wohl,
durch häutige, während der Nacht fortgesetzte Nahrungsaufnahme
und dadurch vermehrte Phosphorsäure einen klaren Urin zu er¬
zielen, gleichzeitig trat jedoch eine Verschlimmerung des Zustandes
ein. Der absolut erhöhte Kalkgehalt des Urins weist auf eine
Ueberladung der Gewebe mit Kalk hin. wovon sich der Organis¬
mus zu entlasten sucht. Die für die Absättigung des Kalkes im
Urin nötige Säuremenge stellt wohl die C02, die am leichtesten
die Niere passieren kann.
25) C. Hirsch und C. Beck: Studien zur Lehre von der
Viskosität (inneren Reibung) des lebenden menschlichen Blutes.
2. Mitteilung, lieber das Verhalten der inneren Reibung des
Blutes bei Nierenerkrankungen. (Aus der medizinischen Klinik
zu Leipzig.)
In der Mehrzahl der beobachteten Fälle von Nephritis war
eine* Erhöhung der Viskosität des Blutes nicht zu konstatieren.
Bei Herabsetzung der Viskosität fand sich Hydrämie; in 3 Fällen
fand sich eine gesteigerte innere Reibung des Blutes, 2 mal nach
dem Ausbruche urämischer Erscheinungen. Die alte Bright-
sche Hypothese, dass die Herzhypertrophie bei Nephritis durch
eine gesteigerte direkte Erregung des Herzmuskels ausgelöst
werde, lässt sich mit dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse am
1 testen vereinbaren.
2Ö) F. Seiler: Nachträge zu „Heber eine neue Methode
der Untersuchung der Funktionen des Magens nach Prof.
Sahl i“. (Aus der mediz. Klinik der Universität Bern.)
In Band 71 dieses Archivs hat S. die Verwendung einer aus
mit Fett geröstetem Mehl hergestellten Meldsuppe als Probe¬
nahrung empfohlen, weil er, ausgehend von der Annahme, dass
der Fettgehalt des Mageninhaltes sich nur durch die; Motilität ver¬
ändere. in dem butyrometrisch bestimmten Fettgehalte des Magen¬
inhaltes ein Mass für die noch im Magen vorhandene Menge von
Mehlsuppe erblicken konnte. Zur Nachprüfung seiner Ergebnisse
entschloss sich Verf. infolge der Angabe eines anderen Autors, dass
bei Einführung von emulgiertem Fette unter Umständen eine
quantitativ recht beträchtliche Fettspaltung eintrete. S. fand
dabei, dass bei Verwendung der Mehlsuppe als Probenahrung zur
Untersuchung der Magenfunktionen innerhalb der Versuchszeit
nur eine so geringe Fettspaltung im Magen auftritt, dass ein Ein¬
fluss auf die Genauigkeit der butyrometrischen Fettanalyse nicht
anzunehmen ist. Ausserhalb des Magens findet beim Stehenlassen
hypaziden Mageninhaltes durch Fermentwirkung eine nachträg¬
liche Spaltung des Neutralfettes der Mehlsuppe in hohem Grade
statt, weshalb der Mageninhalt bald nach der Ausheberung titriert
werden soll. Bei geringen Aziditätswerten sollen vor der Titration
die Fettsäuren durch Aetherextraktion entfernt werden.
27) E. A u f r e c h t - Magdeburg: 1. Ein Fall von Embolie
der Arteria mesenterica superior mit Ausgang in Heilung.
Die Diagnose wurde bei einem 8 jährigen, an einer inkompen¬
sierten Mitralinsuffizienz leidenden Mädchen gestellt, als Blut-
brechen und heftiger Schmerz in der Lebergegend, dann blutige
Stühle und eine fünfmarkstückgrosse, nicht scharf abgegrenzte
Resistenz unterhalb des unteren Leberrandes, schliesslich kolik-
artige Schmerzen mit Abgang blutiger Schleimmassen auf traten.
Die eingetretene Heilung ist wohl einer unvollkommenen Embolie
zuzuschreiben.
2. Ein 5 Jahre latent verlaufener, scheinbar als Atropin-
vergdftung manifest gewordener Hirnabszess. Kasuistik.
28) Besprechungen. Bamberger - Ivronach.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 27.
1) Ungar: Zur Frage der Verwertbarkeit der Lungen¬
schwimmprobe bei Keimgehalt der Uterushöhle.
Kritik der Hitsch mann - Lindenthal sehen Arbeit.
Verfasser bezweifelt, dass anaerobe Bazillen bei spontan und nor¬
mal rasch verlaufenden Geburten, bei denen keine innere Unter¬
suchung stattfand, sich dort ansiedeln und so wuchern, dass durch
sie eine Tympania uteri entsteht, oder doch ein solcher Keimgehalt
der Uterushöhle bewirkt wird, dass der Fötus jene gasbildenden
Bazillen bei vorzeitigen Atembewegungen in seine Lungen auf¬
nimmt. Zur Entscheidung, ob der Fötus geatmet hat, bleibt daher
für die gerichtliche Medizin die Lungenschwimmprobe ent¬
scheidend.
2) K os s mann: Was ist intraabdomineller Druck?
Ergänzende Bemerkungen zu der in No. 22 des Centralblattes
erschienenen Behandlung dieser Frage durch Robert Meyer.
3) Schulze-Vellinghausen: Beitrag zur instru-
mentellen Perforation des Uterus.
2 Fälle, in denen bei der Sondierung des Uterus die Sonde
ohne Hindernis den Fundus durchbohrte. Wegen Verdachts der
Malignität Totalexstirpation. Die so gewonnenen Uteri hat Ver¬
fasser mikroskopisch genau untersucht (Serienschnitte). In beiden
Fällen fanden sich schwere Veränderungen der Uterusmuskulatur,
vom Fundus gegen die Zervix zu an Intensität abnehmend. Die
Muskulatur erschien auseinander gedrängt, die freien Interstitiell
zwischen den einzelnen Muskelbündeln mit Oedem oder Exsudat
durch tränkt. Daneben mehr oder weniger stark ausgesprochene
Gefössveränderung, die sich hauptsächlich in einer Verdickung der
Media äussert: Adventitia stark gewuchert, Intima weniger. Diese
Gefüsserkrankung ist das Primäre, insofern als sie die normale
Involution des Uterus verhindert und damit die abnorme Durch¬
lässigkeit der Muskularis zur Folge hat. Die vorliegenden Unter¬
suchungen lehren, dass wir bei der forensischen Beurteilung der¬
artiger Vorkommnisse ausserordentlich vorsichtig sein sollen.
No. 28. 1) Rissmann: Ueber die schnelle Erweiterung
der Zervix mit dem Dilatatorium von B o s s i.
Kasuistik: 3 Fälle von Eklampsie, in denen mit dem Bosni¬
schen Instrument dilatiert wurde. Die Methode wird warm em¬
pfohlen. Im 3. Fall erlag die Patientin (alte I. Para) der
Eklampsie. Die Sektion liess erkennen, dass durch das Dilatato¬
rium keine Verletzungen gesetzt waren.
2) Po teil: Die quere Eröffnung des Bauchfells, besonders
bei der abdominellen Entfernung des Uteruskrebses.
I'. durchtrennt die Bauchdecken vom Nabel bis zur Sym¬
physe, jedoch nur bis zum Peritoneum. Jetzt wird der noch intakte
Bauchfellsack nach rechts und links Aveit. von den Muskeln ab-
gesclioben, was bei der lockeren Verbindung beider leicht möglich
ist, so dass man das ganze Peritoneum der vorderen Bauchwand
vor sich liegen hat. Dies wird dicht oberhalb der Umschlagstelle
auf die Blase in querer Richtung eröffnet, so dass ein schiirzeu-
förmiger Lappen entstand, der nach hinten zurückgeschlagen und
unterhalb des Promontoriums der hinteren Beckenwand und dem
Rektum aufgenäht wurde. Damit war der Zweck, die Därme vom
Operationsgebiet abzusehliessen, erreicht. Die Methode soll die
Gefahren der grossen Köliotomien, wie Peritonitis, Ileus, Schock,
verringern.
31 Kurz: Ein einfacher Nähapparat.
Der Nadelhalter besteht in zwei federnden, innen ausgehöhlten
Branchen, die in einen Konus zusammenlaufen, in welchen die
Nadeln eingestochen werden. Zwischen die Branchen wird ein
Gläschen mit V ö m e 1 scher Seide oder ein aus einer Thermometer¬
hülse hergestelltes Rohr, in das die Seide eingebracht ist. ge¬
schoben: letzteres hat den Vorteil, dass alles zusammen sterilisiert
werden kann, ohne dass die Gefahr des Zerspringens des Gläschens
besteht. Illustriert. Werner- Hamburg.
Vircliow’s Archiv. Bd. 168. Heft 1. 1902.
1) B r o w i c z - Krakau: Meine Ansichten über den Bau der
Leberzelle.
Im Gegensatz zu A mol d, der nur i n t e r zelluläre Gallen-
kaniile annimmt, hält B. unter Hinweis auf seine früheren Arbeiten
daran fest, dass es auch solche intrazelluläre gibt, die innerhalb
des Leberzellenparenchyms in einem Gerüst verlaufen, das die
Leberzelle durchzieht, ähnlich wie die Poren einen Schwamm.
B. stellt sich die Entstehung der Galle etwa folgendennassen vor:
Von der Leberzelle -werden in eigenen Kanälchen, die mit. den
Gallenkanälchen Zusammenhängen, aus den Blutkapillaren Stoffe
(manchmal auch rote Blutkörperchen) aufgenommen; jedoch sind
diese Kanäle nur dann sichtbar, wenn gerade Stoffe in ihnen sind:
in der Zelle findet dann eine Verarbeitung des Aufgenommenen zu
Galle statt, wobei hauptsächlich der K e r n beteiligt ist. Die so
in den Leberzellen gebildete Galle fliesst durch die intrazellulären
Kanälchen in die interzellulären ab.
2) Schönem a n n - Bern: Die Umwandlung (Metaplasie)
des Zylinderepithels zu Plattenepithel in der Nasenhöhle des
Menschen und ihre Bedeutung für die Aetiologie der Ozaena.
S. hat Messungen des Gesichtes, der Nase (und hier besonders
der Muschel) an über SO zur Sektion kommenden Leichen vor¬
genommen. Dabei wurde auch die Nasen- und Muschelschleimhaut
mikroskopisch untersucht. S. kommt zu dem gleichen Ergebnis
Avie E. F raenkel, dass nicht die Metaplasie des Zylinder¬
epithels in Plattenepithel massgebend ist für die Ozaena, sondern
dass diese das Produkt eines abgelaufenen und z. T. noch be¬
stehenden chronisch entzündlichen Prozesses (Katarrh) der Nasen-
(Muscliel-) Schleimhaut und der umliegenden Teile derselben sei.
bei dem die drüsigen Elemente (Bor mann sehe Drüsen) durch
Atrophie in ihrer normalen Funktion zum Teil gestört sind. Der
normal funktionierende Teil der Drüsen ist nicht im stände, das
Sekret vor fötider Zersetzung zu bewahren.
3) Maximilian He r z o g - Chicago: Zur Histo-Pathologie des
Pankreas beim Diabetes mellitus.
Bei 5 Fällen von Diabetes mellitus Avurden Veränderungen
der L a n g e r h a n s sehen Inseln gefunden, entweder Avar es an
ihrer Stelle zur Bildung A’on hyalinem Material gekommen oder
die Inselzellen Avaren unter gleichzeitiger Bindegewebswucherung
einfach gesell Avunden. Diese Veränderungen sprechen für die An¬
sicht. die den Inseln die innere Sekretion eines Zucker umsetzenden
Enzyms zuschreibt.
4) S s o b o 1 e av - Petersburg: Zur normalen und patho¬
logischen Morphologie der inneren Sekretion der Bauchspeichel¬
drüse. (Die Bedeutung der Lange rhans sehen Inseln.) (Aus
dem pathologisch-anatomischen Laboratorium von Prof. Wino-
g r a d o av.)
Wie in vorstehender Arbeit wird auch in dieser die Bedeu¬
tung der L a n ge r h a n s sehen Inseln für den Diabetes mellitus
pathologisch-anatomisch, daneben auch experimentell untersucht.
22. Juli 1902. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT . 123i
S. unterband den Ausführungsgang des Pankreias und fand, dass
zwar die zur Verdauung dienenden Drüsenröhrchen durch Atrophie
zu Grunde gingen, die Langer h a n s sehen Inseln aber erhalten
blieben und kein Diabetes eintrat. Dies war auch nicht der Fall
Dei Transplantation eines Stückchens Pankreas mit gefässhaltiger
Brücke, wobei die Inseln sich als die widerstandsfähigsten Ele¬
mente erwiesen, während die andern Drüsenläppchen atrophisch
wurden. Auch das Vorkommen der Inseln beim Embryo hält S.
für einen Beweis, dass sie von den übrigen Pankreasdrüsen unter¬
schieden seien.
Die pathologisch-anatomische Untersuchung führt den Autor
dazu, den L a n g e r li a n s sehen Inseln eine Bedeutung für den
Zuckerumsatz im Körper zuzuschreiben; er meint deshalb, dass
durch eine Organotherapie die Leiden der Diabetiker gelindert
werden könnten, indem man Drüsen von Tieren nimmt, die sehr
reichlich Inseln enthalten (? lief.).
5) M. Hausmann: Zur Anatomie und Pathogenese der
Divertikel der vorderen Oesophaguswand. (Aus dem patliolog.
Institut der Universität Bern.)
Die von Zenker zum ersten Male ausführlich beschriebenen
Divertikel hat H. an sehr kleinen Objekten untersucht, indem er
davon Serienschnitte anlegte. H. nahm ganz beginnende
Divertikel, weil dadurch ausgeschlossen wird, dass durch sekun¬
däre Veränderungen der primäre Charakter leidet. Was die Er¬
gebnisse der Untersuchung der Traktions- und Pulsionsdivertikel
und der Divertikel mit kongenitaler Basis anbelangt, so ist auf
das Original zu verweisen. Nur soviel sei gesagt, dass H. die
Traktionsdivertikel auf Induration einer Lymphdrüse
zurückführt.
Bezüglich der nach Abschluss dieser Arbeit in diesem Archiv,
Bd. 167, Heft 1, erschienenen Arbeit von Bibbert: „Zur Kennt¬
nis der Traktionsdivertikel des Oesophagus“ glaubt II. doch seine
als Traktionsdivertikel mit durchbrochener Muskulatur beschrie¬
benen Fälle als reine Fälle ansprechen zu dürfen, ohne aber aus
ihnen gegen die R i b b er t sehe Auffassung zwingende Gegen¬
gründe ableiten zu können. Konr. Schneider- Erlangen.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1 902
40. Bd. 2. Heft,
1) A. J o o s - Brüssel: Untersuchungen über den Mechanis¬
mus der Agglutination. II. Teil.
ln einer früheren Abhandlung hatte Joos berichtet, dass die
Agglutination eine Verbindung dreier Substanzen
sei, einer agglutinierenden und einer agglutinier-
baren und dem dazugehörigen Salz. Die neuere Untersuchung
sollte zeigen, ob wir es bei diesem Vorgang mit einer wirklichen
chemischen Verbindung zu tun hätten. Es konnte er¬
mittelt werden, dass in einer Mischung, welche die agglutinierende
und die agglutinierbare Substanz zusammen enthielt, eine S p u r
Salz sofortige Agglutination hervorruft, die vorher weder makro¬
skopisch noch mikroskopisch zu beobachten war. Die Bolle des
Salzes ist also eine aktive. Die ganze Erscheinung muss dem¬
nach als chemischer Vorgang angesehen werden, weil zwischen der
relativen Menge der drei in die Verbindung eintretenden Sub¬
stanzen eine enge und konstante Beziehung besteht.
Die gebildete Verbindung ist ein n e u e f K ö r p e r, welcher
durchaus verschieden ist von denen, aus welchen er hervor¬
gegangen ist. Die älteren Theorien können, wie Joos meint,
durch keine sicheren Experimente gestützt werden und sind zu ver¬
lassen.
2) E. M arx - Frankfurt a/M.: Ueber die tetanusgiftneutrali-
sierende Eigenschaft des Gehirns.
Gewissermassen als Ergänzung zu den von \V a s s e r m a n n
und Takaki gemachten Untersuchungen, wonach es gelingt,
durch normale Gehirnsubstanz die Giftigkeit des Tetanustoxins
zu verringern resp. aufzuheben, bringt Verfasser neue Versuche,
die mit Gehirnemulsion und' T etanusgift an 200 Mäu¬
sen ausgeführt wurden. In diesen Versuchen gehen diese Mäuse,
welche nur Gift und Gehirn erhalten haben, zu Grunde, während
durch Antitoxinzusätze, die als solche nicht zur Neutralisation der
Giftdose ausreichen, Tiere mit diesen Gehirndosen gerettet werden.
Es summieren sich also Gehirndosen, die als solche nicht schützen,
mit nichtschützenden Antitoxindosen zu schützenden Dosen. Diese
Erscheinungen lassen sich in vitro nacliweisen.
3) T a v e 1 , Krumbein, Glücksmann: U eher Pest-
schutzmassregeln.
Im neu eingerichteten Berner Pestlaboratorium wurden
verschiedene Immunisierungsmethoden auf ihren Wert nachge¬
prüft, und zwar die von H a f f k i n, der deutschen Pest¬
kommission, von Lustig und Calmette, wobei der Ein-
lluss der Menge des Virus und der Einfluss des Infektionsmodus
besonders in Betracht gezogen wurden. Als Versuchstiere fungier¬
ten Batten und Meerschweinchen. Die Ilesultate ergaben, dass das
\ accin H a f f k i n, das der deutschen Pestkommission
und das V accin Lustig in Bezug auf Immunisierungseffekt als
gleichwertig zu erachten sind. I )as Lustig sehe scheint aber
insofern das geeignetste zu sein, als es die geringsten Beizerscliei-
nungen macht, sich sehr lange wirksam aufbewahren lässt und
ausserordentlich leicht dosiert werden kann, weshalb sich auch der
Export dieses Mittels bei ausbrechender Epidemie am meisten
empfiehlt.
Als Anhang enthält die Arbeit noch eine Zusammenstellung
der Utensilien und Apparate für einen transportablen Pestunter-
suchungskasten.
4) G. F r a n k - Wiesbaden: Ueber einen neuen Bazillps aus
der Gruppe des Influenzabazillus.
Der Organismus wurde aus verendeten Schweinen gezüchtet,
welche an vereiterten Halsdrüsen und oberflächlichen Eiterbeulen
gelitten hatten. Es ist ein kleines Stäbclie n, auf allen
Nährböden gut gedeihend, verflüssigt nicht Gelatine, zeigt keine
Eigenbewegung. In der Kultur färbt es sich nach Gram, frisch
aus dem Tierkörper nicht. Es hat keine Sporen. Seine Lebens¬
fähigkeit konnte bis 5 y3 Monat nachgewiesen werden. Degenera-
tiensformen sind im Tierkörper sehr häufig. Das Bakterium
wächst bei 37° und bei Zimmertemperatur, sowohl aerob wie an¬
aerob. Infektionsversuche an Mäusen, Meerschweinchen,
Kaninchen, Batten, Hunden, Tauben und Hühnern ergaben, dass
das Stäbchen bedeutende pathogene Eigenschaften zeigte. Meist
entstanden serös-eitrige Exsudate mit Hämorrhagien.
Das Bakterium steht dem Influenzabakterium recht
nahe, doch ist es ausserordentlich viel weniger anspruchsvoll als
der Influenzaerreger.
5) G. W i r g i n - Stockholm: Zur Wirkung des Aethylalkohols
auf Mikroorganismen.
Verfasser untersuchte die Einwirkung von geringpro¬
zentigem Alkoho 1. Schon die allerkleinsten Mengen von
0,1 I’roz. ab beeinträchtigten das Wachstum aller untersuchten
Bakterien. Bald jedoch hört die beeinflussende Wirkung auf. Eine
Entwicklung ist aber bei allen untersuchten Arten bis zu 4 Proz.
Alkohol möglich. Viele vertragen auch 5 Proz., mehrere 6,5 Proz.;
eine Sarcine und Micr. pyogenes noch 7,5 Proz. Hefe n,
welche an Alkohol gewöhnt waren, vermochten noch bei 8,5 Proz.
zu wachsen. Bei über 10 Proz. Alkohol wurden alle Bakterien
mehr oder minder rasch abgetötet. Alkohol zeigte sich bei der Ab¬
tötung der Bakterien in den genannten Konzentrationen kräftiger
als Chlornatrium.
6) W. Ford -Berlin: Beitrag zur Lehre von den Hämagglu-
tininen.
Aus seinen Versuchen ist zu entnehmen, dass das im nor¬
malen Seru m vorkommende und im I m munser u m auf¬
tretende II ämagglutinin dieselben Substanzen sind. Bei der
Vorbehandlung bildet sich also nicht ein neuer Körper, sondern
es tritt eine Vermehrung der bereits vorhandenen Substanz ein.
R. O. N e u m a n n -■ Kiel.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. 32. Bd. No. 1. 1902.
1) A. G r i m m e - Marburg: Die wichtigsten Methoden der
Bakterienfärbung in ihrer Wirkung auf die Membran, den
Protoplasten und die Einschlüsse der Bakterienzelle. (Fort¬
setzung folgt.)
2) O 1 s c h a n e t z k y - Odessa: Ueber ein neues alkohol-
und säurefestes Stäbchen.
Das Stäbchen wurde aus einem Leberabszess einer Maus iso¬
liert. Die Säurefestigkeit zeigt es auf allen Nährböden, nur nicht,
wenn es auf Milch gezüchtet ist. Auf Kartoffeln gewachsen, ver¬
liert es später die Fähigkeit, säurefest zu sein. In seinem morpho¬
logischen Verhalten nähert es sich dem Leprabazillus, auch sind
Analoga mit Pseudodiphtherie vorhanden. Es ist pathogen für
Batten, welche an eitriger Peritonitis eingelien. Verzweigungen
wurden auch nachgewiesen.
3) Jochmann und Krause: Zur Aetiologie des Keuch¬
hustens. (Erwiderung an Vincenci in Sassari.)
Die Verf. verwahren sich dagegen, dass der von Vincenci
bei Keuchhusten gefundene Coccobazillus mit ihrem gefun¬
denen B a c. pertussis Eppendor f identisch sei, und zwar
deshalb, weil letzterer nur auf hämoglobinhaltigen Nährböden ge¬
deiht und sich weiter übertragen lässt, während der Coccobazillus
von Vincenci auf allen Nährböden gleich gut gedeihen soll.
4) Wiener- Wien: Zur Entstehung der Rattenepizootien.
Mittels Alkalisierung von Eiern gelang es dem Ver¬
fasser sowohl einen aus einer Battenepizootie isolierten Organis¬
mus, der recht wenig virulent war, als auch das Bact. coli durch
Fortzüchtung auf diesen alkalisierten Eiern ziemlich virulent zu
machen, so dass Batten bei Fütterungsversuchen zu Grunde gingen.
Er zieht aus seinen Beobachtungen den Schluss, dass Battenepi-
zootien unter Umständen durch Bakterien hervorgerufen werden
können, welch letztere sonst an sich ganz unvirulent sind.
5) T h e 1 1 u n g - Zürich: Experimenteller Beitrag zur Frage
der Agglutination der Tuberkelbazillen und zur Behandlung'
der Tuberkulose mit Neutuberkulin Koch (Bazillenemulsion).
Die Wirkung des Koch sehen Neutuberkulins wurde bei
einigen gesunden und einigen tuberkulös gemachten
Kaninchen und Meerschweinchen gep r ii f t. 1 >ie
Resultate der Untersuchung sind folgende:
a) Die Agglutination der Tuberkelbazillen tritt bei Tuberku¬
lose nicht regelmässig auf, weshalb sie nicht als ein praktisch
brauchbares diagnostisches Merkmal betrachtet werden kann.
b) Durch subkutane Injektion von Kochs „Bazillenemulsion“
in Dosen von einigen Milligrammen lässt sich dem Blutserum von
Meerschweinchen die Fähigkeit erteilen, Tuberkelbazillen zu
agglutinieren. Nach ihren Untersuchungen waren die Aggluti¬
nationswerte bei tuberkulösen Tieren grösser als bei nicht tuberku¬
lösen. Bei Kaninchen lässt sich die agglutinierende Fähigkeit nur
schwer erzielen.
MUEKCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 20.
1232
c) E i u g ii n s t i g e r Einfluss des N e u t u b o r k u -
lins a u f <1 e n V* e r 1 a uf ex p e r iinentell e r T u b e r k u -
lose b e i M e e r s c h w e i n c h e n u n d K a ninclien
k o nute n i c li t beobachtet w e r d e n.
(1) Zwei mit dem Höchster Präparate „Zerriebene
T u b e r k e 1 b a z i 1 1 e n“ geimpfte Meerschweinchen starben an
Tuberkulose; von zwei mit dem aus Höchst bezogenen Präparate
„\ e u t u 1) e r k u 1 i n K o c li, B a z i 1 1 e n e m u 1 s i o n“ geimpf-
t(>n Meerschweinchen wurde (‘ins tuberkulös. Die beiden Prä¬
parate enthielten lebensfähige, für Meerschweinchen virulente
Tuberkelbazillen.
<*) E. S. L o n d o n - St. Petersburg: Der gegenwärtige Stand
der Lehre von den Cytolysinen und die cytolytische Theorie der
Immunität. (Schluss folgt.)
7) Kraus und v. Pirquet- Wien : Weitere Unter¬
suchungen über spezifische Niederschläge. I. Können Bakterien¬
filtrate agglutinierende Substanz binden? II. Uebsr Präzipi-
toide.
Es wurde durch ausführliche Versuche ermittelt, dass in den
P, a k t e r i e n k u lturfilt r a t e n eine Substanz vorhanden ist,
die die spezifisch agglutinierende Substanz bindet. Ausser dieser
spezifischen Substanz sind aber noch in den Filtraten s p e -
z i f i s c li präzipitierbare Substanz e n sui generis vor¬
handen.
Unter Präzipitoide verstehen die Verfasser ein Frä-
z i ]) i t i n, welches seine f alle n d e Eigenschaft verloren hat,
dem die bindende aber erhalten bleibt. Die Präzipitine können
beim blossen Stehenlassen verändert „abgebaut“ werden, indem
ganz allmählich im Serum zuerst die fällende, später auch bin¬
dende Gruppe verloren geht.
S) L. Har r iS- Baltimore: Concerning an improved method
of making collodium sacs. lt. O. N e u m a n n - Kiel.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Rundschau.
No. 2G. O. Seif ert-Wiirzburg: Ueber Exalginvergiftung.
Vergiftungen mit dem Exalgin, wenn auch keine tödlichen,
sind schon verschiedene beobachtet worden. In dem Falle Sei¬
fer! s kam es nach 3 in grösseren Zwischenräumen genommenen
I losen von nur 0.5 g zu heftigen Beklemmungen, Tachykardie
(loo Pi, Seliwückegeftikl, allgemeinem Gefühl von Ameisenkriiechen.
Dabei trat eine Cyanose der Haut und Schleimhäute auf, welche
ohne Zweifel auf Methämoglobinbildung zurückzuführen ist. Dem¬
nach ist das Mittel nur mit grosser Vorsicht zu geben oder ganz
fallen zu lassen, da es ohnehin durch unschädliche leicht ersetzt
werden kann.
N'o. 24 — 2G. L. B o r n h a u p t - Riga: Ueber Nierenexstir¬
pationen.
Kritischer Bericht mit Krankengeschichten über 21 Fälle des
Stadtkrankenhauses Riga. Davon starben 4 nach der Operation,
die schon unter ungünstigen Bedingungen gemacht wurde. Von
5 Karzinomkranken sind 3 2 — 4 Jahre rezidivfrei, desgleichen ein
Sarkomfall seit 7 Jahren. 2 Fälle von Pyonephrose und 4 von
Hydronephrose, 1 Fall von Nierentuberkulose sind geheilt. Der
Ureterenkatheterismus wurde nie angewendet, die Oystoskopie er¬
gab oft sehr ungenügende Anhaltspunkte, es bleibt die Nieren¬
diagnostik und -Chirurgie noch vielfach auf die richtige Zusammen¬
fassung der übrigen Symptome angewiesen.
No. 27. Chlum sky-Wien: 4 Fälle von Ileus.
Ein verzweifelter Fall, 80 jährige Frau mit malignem Tumor,
ging zu Grunde, die 3 übrigen genasen. Bei zweien hat Verf.,
um eine Wiederkehr der Torsion zu verhindern, die betreffende
Darmschlinge nicht nur mit der benachbarten der Länge nach
vernäht und das Mesokolon resp. Mesosigmoidemn verkürzt, son¬
dern auch eine ausgedehnte Anheftung an die nächstgelegene
Stelle der Bauchwand vorgenommen. Bei dem letzten Kranken
bestand eine vielfache Invagiuation, nach deren teilweiser Lösung
immer noch ein kopfgrosser unlösbarer Tumor verblieb; dieser
wurde ausserhalb der Bauchhöhle belassen und bildete sich dann,
wie Verf. schon früher in einem solchen Fall gesehen, völlig zurück.
Patient., der eine Darmresektion kaum überstanden hätte, wurde
hergestellt. Die 4 Fälle wurden unter C o r n i n g - B i er scher
Eukain- oder Tropakokainanästhesie operiert, mit der Verf. über¬
haupt nur gute Erfahrungen gemacht hat.
No. 28. H ö 1 s c li e r- Tübingen: Ein Fall von abnormer
Ausbildung eines akzessorischen Sinus occipitalis nach einseiti¬
ger Thrombose des Sinus transversus.
Der Fall betrifft ein 14 jähriges Mädchen, welches seit der
Kindheit an einer linksseitigen Mittelohreiterung litt und im
8. Jahre eine „Gehirnentzündung“ durchmachte, schliesslich plötz¬
lich an einem Kleinhirnabszess unter Erscheinungen zu Grunde
ging, welche von den verschiedenen Beobachtern als hysterische
aufgefasst wurden. Nach dem anatomischen Befund hatte eine
frühere Thrombophlebitis den linken Sinus sigmoideus verlegt.
Als direkte Fortsetzung des Sinus longitudinalis hatte sich bei
schwach entwickeltem Sinus transversus ein vom Torkular direkt
zum Foramen jugulare dextr. ziehender kräftiger Sinus occipit.
herausgebildet.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 25. G. 11 e i m a n n: Melanotisches Karzinom der Neben¬
nieren bei einem 3 Monate alten Säugling’.
Hervorzuheben ist die Seltenheit der Erkrankung in diesem
Lebensalter und die Schwierigkeit der Diagnose trotz reichlicher
subkutaner Metastasen; nach Fehlschlagen einer antiluetischen
Kur waren multiple Fibrome angenommen worden.
No. 2G. F. Neu manu: Ueber Paraffininjektionen.
Verf. berichtet über eine Kranke, bei der eine über nussgrosse
oystische Geschwulst am Oberkiefer durch Inzision entleert wurde.
Dadurch sank die eine Wange so ein, dass eine betleutende Ein¬
stellung entstand; es wurde, nachdem die Höhle dauernd reizlos
geworden, nach Gersuuy Paraffin injiziert und nach An¬
frischung der Wundränder geschlossen. Durch (‘ine kleine Nach¬
operation wurde dauernde Heilung und ein völlig befriedigender
kosmetischer Effekt erzielt.
No. 27. A. Ko lin- Prag: Chromaffine Zellen; chromaffine
Organe; Paraganglien.
Aus den von Kolin selbst formulierten Sätzen führen wir
folgendes an:
Es bricht sich die Ueberzeugung Bahn, dass die chromaffine
Zelle als ein besonderer und eigenartiger, allen Wirbeltieren zu¬
kommender Zelltypus anzusehen ist.
Sie stammt aus den embryonalen Anlagen der sympathischen
Ganglien und ist frühzeitig ausgezeichnet durch ihre Chrom-
afiinität. Diese besteht in der Annahme einer Braunfärbung in
Chromsäure und Lösungen chromsaurer Salze. Ferner bleibt ihr
Zelleib in Chromatlösungen und zwar nur in diesen gut erhalten.
Die chromaffine Zelle kommt einzeln oder gruppenweise vor,
häufig in Form von Ballen oder Strängen, welche den wesentlichen
Bestandteil kleiner oder grösserer Organe bilden; sie bilden cha¬
rakteristische diffuse Einlagerungen inmitten der sympathischen
Ganglien und Nerven (chromaffine Organe, Paraganglien). Letztere
sind in der Hegel im engen Anschluss an den Grenzstrang und
die Hauptgeflechte im ganzen Gebiete des N. sympaticus zu finden.
Von grösstem Interesse ist die organische Verbindung einer mäch¬
tigen chromaffinen Zellmasse („Marksubstanz“) mit der epithelialen
Nebenniere der höheren Wirbeltiere. Extrakte chromaffiner
Organe vermögen, in (len Kreislauf gebracht, den Blutdruck enorm
zu steigern. Die Chromaffinität der von Paragauglien ausgehenden
Neubildungen dürfte für die pathologisch-anatomische Diagnostik
von Bedeutung werden. Bergeat - München.
Englische Literatur.
E. Herrn an: Dysmenorrhöe. (Brit. Med. Journ., 17. Mai
1 902.)
Zum Schlüsse dieses längeren Aufsatzes, der eigentlich nichts
neues bringt, empfiehlt Verfasser zur Behandlung die Dilatation
mit Stiften bis zu No. 12. Für deutsche Leser ist der Schluss der
Ai beit recht erheiternd. „Diese (Stift-) Behandlung bietet für
englische Gynäkologen nichts neues. Die meisten von uns kennen
die Dilatationsmethode schon solange, dass man sich darüber
wundern muss, dass es Lehrbücher gibt, die sie nicht erwähnen;
und doch ist dem so. Das allerletzte Lehrbuch in deutscher Sprache,
das erst 1002 erschienen ist, erwähnt sie nicht.“ (Trotz dieser Be¬
mängelung kennen wir Deutsche mit unseren gynäkologischen
Lehrbüchern recht zufrieden sein, besonders aber, wenn wir sie
mit den englischen vergleichen. Befer.)
Thomas B r y a n t: Eine Analyse von 47 Fällen von operativ
behandeltem Brustki’ebs, die die Operation 5 bis 32 Jahre über¬
lebten. (Ibid.)
Verfasser hat aus seinen Notizen 47 Fälle von Brustkrebs
herausgesucht, die die von ihm unternommene Operation minde¬
stens 5 Jahre überlebt haben. Er hat den Zeitraum von 5 Jahren
gewählt, da er den gewöhnlich angenommenen von 3 Jahren für
zu kurz hält. (Wie aus dein Nachfolgenden hervorgeht, ist die
Annahme der Heilung nach 5 jähriger Gesundheit ebenso willkür¬
lich und täuschend, wie die nach dreijähriger. Bef.) Die erste
Gruppe seiner Fälle umfasst 17, von denen 13 noch am Leben sind
und kein Ilezidiv zeigen, die 4 Gestorbenen starben 5, 13, 14 und
20 Jahre nach der Operation au interkurrenten Krankheiten und
ohne Bezidiv. Von den 13 lebenden Fällen sind bei 1 seit der
Operation 5 Jahre verflossen, bei 1 anderem G, bei 3 weiteren 8,
bei 3 liegen 9 Jahre inzwischen, 2 Kranke sind 10, 2 weitere 14
und 1 gar 16 Jahre rezidivfrei. Verfasser beschreibt dann genauer
seine Operation, die darin besteht, dass er in jedem Falle die ganze
Brustdrüse mit der darüber liegenden Haut entfernt, dann macht
er (‘ine kleine Inzision in die Achselhöhle, führt den Finger ein und
tastet von hier aus die Achselhöhle und den Baum unter dem
Pectoralis ab, fühlt er hierbei vergrösserte Drüsen, dann, aber
auch nur dann, entfernt er dieselben. Die modernen, ausgedehnten
Operationen, deren Priorität er für Moore (1867) gegenüber
H a 1 s t e d in Anspruch nimmt, verwirft er als Routineoperationen
vollkommen. Nach seiner Meinung müssen wir dahin streben,
nicht bei praktisch hoffnungslosen Fällen kolossale- Operationen zu
machen, sondern möglichst früh zu operieren. (Diesen Wunsch
dürfte jeder Chirurg schon lange haben. Bef.) Er empfiehlt des¬
halb, in jedem Falle einer Geschwulst der Brust eine Probeinzision
zu machen, auch wenn dieselbe noch sehr klein ist. ln den letzten
paar Jahren sah er 242 Fälle von Brustgeschwülsten in Konsul¬
tationen, 163 von diesen diagnostizierte er als solide Tumoren,
67 als Cysten. Im ganzen wurden 170 der Fälle operiert und es
stellte sich heraus, dass etwa jeder 4. Fall, der als Karzinom im¬
poniert hatte, tatsächlich eine Cyste war, die sich durch eine kleine
Operation entfernen liess. Die zweite Gruppe umgreift 19 Falle,
bei denen ein lokales Rezidiv auftrat. 3 mal trat das Rezidiv in
22. Juli 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1233
der Narbe auf und wurde innerhalb eines Jahres entfernt, 2 dieser
Kranken leben 4 Jahre nach der zweiten Operation in guter Ge¬
sundheit. 1 gar 10 Jahre später. Bei !) Fällen trat ein lokales Re¬
zidiv 3 bis 7 Jahre nach der ersten Operation auf; 3 mal konnte
dasselbe nicht mehr entfernt werden. Bei den 0 anderen Fällen
wurde 3 bis 7 Jahne nach der ersten eine zweite Operation nötig.
Diese zweiten Operationen waren von jahrelanger Gesundheit ge¬
folgt, 4 von den Kranken leben noch 0 Jahre nach der zweiten
Operation, 2 sind G Jahre darnach an Luugenmetastasen gestorben.
In den übrigen 7 Fällen traten lokale Rezidive je 10, 11, 12, 13, 25,
31 und 32 Jahre nach der ersten Operation auf, doch machten diese
Spätrezidivie nur sehr langsame Fortschritte. Die dritte Gruppe
umfasst 10 Fälle, bei denen später die zweite Brust krebsig ent¬
artete und 4, bei denen Metastasen im übrigen Körper auf traten.
In G Fällen wurde die zweite Brust auch entfernt und sind diese
2, 3, 5 und G Jahre nach der 2. Operation noch rezidivfrei. Ver¬
fasser polemisiert dann gegen die neueren Operationsmethoden
und sucht auf Grund seiner Statistik nachzuweisen, dass seine
wenig eingreifenden Operationen von ebenso gutem Erfolge be¬
gleitet sind. (B ryants Arbeit, so interessant sie auch ist, be¬
weist natürlich gar nichts für oder gegen die grösseren Opera¬
tionen, da die Fälle alle aus einem grossen Materiale ausgesucht
sind, und offenbar nur sehr frühzeitige Fälle operiert wurden, viel¬
leicht gibt uns B r y a n t gelegentlich einmal eine Statistik aller
seiner Fälle und teilt dabei mit, wie viele er operiert und bei wie
vielen er die Operation verweigert hat. Ref.) Inoperable Fälle
behandelt er mit Röntgen strahlen und glaubt er mit dieser Methode
ganz überraschend gute Erfolge gesehen zu haben, nur muss man
lange bestrahlen, er selbst gibt 3 Sitzungen die Woche für wenig¬
stens 3 Monate.
Douglas Drew: Zur Operation des Brustkrebses. (Ibid.)
Verfasser empfiehlt warm, in jedem Falle die beiden M. pec-
torales fortzunehmen, da die Operation dadurch gründlicher und die
Ausräumung des Achselhöhle sehr erleichtert wird. Er empfiehlt
die Entfernung der Muskeln umsomehr, als doch die zu ihnen
ziehenden Nerven fast immer durchschnitten werden. (Auch lief,
kann auf Grund zahlreicher Operationen bestätigen, dass die Ent¬
fernung beider Brustmuskeln durchaus nicht so sehr die spätere
Bewegungsfähigkeit hindert, als man anzunehmen geneigt ist.)
David Wilson: Puerperalfieber und Antistreptokokken¬
serum. (Ibid.)
In diesem Falle soll eine einmalige Einspritzung von 10 ccm
Serum (B u r r o u g li s und W e 1 1 c o m e) am 5. Fiebertage das
Leben der Kranken gerettet haben.
Margaret M. Trail Chris tie: Puerperalfieber und Anti¬
streptokokkenserum. (Ibid.)
Eine 20 jährige I. Para wurde manuell von einem aneneeplia-
lisclien Monstrum entbunden. 24 Stunden später Symptome einer
schweren Sepsis. Es wurden 20 ccm Antistreptokokkenserum
(B u r r o u g h s, W ellcome & Co.) eingespritzt, worauf die
Temperatur prompt abfiel; im Ganzen wurden während der
nächsten 3G Stunden 80 ccm eingespritzt. Glatte Heilung. In
einem 2. Falle, der erst am 4. Tage zur Aufnahme kam, brachte
die Einspritzung von Serum zwar die Temperatur zum Sinken,
doch trat der Tod schliesslich ein. Verfasser, der das Mittel
häufiger angewendet hat, hält es für sehr nützlich, wenn man
frühzeitig damit beginnen und es längere Zeit hindurch 'fortsetzen
kann.
Melville Dunlop: Ein Fall von Chlorom. (Ibid., 3. Mai
1902.)
Sorgfältige, durch Illustrationen bereicherte Beschreibung
eines der sehr seltenen Fälle von Chlorom. Es handelte sich um
einen 5 jährigen Knaben; die Tumoren entstanden zuerst am
Periost e der Kopfknochen und metastasierten über den ganzen
Körper; ihre Farbe war grasgrün, ihre Struktur die der Lympho¬
sarkome. Die näheren Einzelheiten sind im Original nachzulesen.
Stopford Taylor: Epitheliom auf dem Boden eines Lupus
erythematosus, Heilung durch Röntgenstrahlen und Auskratzen.
(Ibid.)
Ausgedehntes Karzinom, das zuerst gründlich ausgeschabt
und dann sofort mit Röntgenstrahlen behandelt wurde. Tägliche
Sitzungen von 10 Minuten Dauer; später, als die Reaktion zu heftig
wurde, wurde täglich nur 5 Minuten belichtet. Glatte Heilung.
Dieser Fall ist auch dadurch interessant, dass Verfasser 3 mal bei
demselben Patienten die Entwickelung von Epitheliomen an ver¬
schiedenen Stellen der lupösen Gesichtshaut beobachten und be¬
handeln konnte. Zuerst entfernte er 1892 ein grosses Epitheliom
der Unterlippe, dann 1893 ein Epitheliom der Nasenspitze, die
letzte EpitheliomentAvicklung betraf die ganze Nase und kam 1900
zur Beobachtung, wurde durch Röntgenstrahlen geheilt und ist
seither nicht rezidiviert.
J. Berry: Diagnose und Behandlung der verschiedenen
Formen des Kropfes. (Lancet, 3. Mai 1902.)
Verfasser, der die für England recht grosse Zahl von 155
Kröpfen operiert hat, gibt in dieser Arbeit seine Anschauungen
über die Kropffrage: dieselben decken sich im allgemeinen mit den
aueh in Deutschland üblichen. Er hat 100 mal ohne einen Todes¬
fall Enukleationen gemacht, in den übrigen 55 Fällen exstirpierte
er den Kropf nach vorheriger Unterbindung (4 Todesfälle). Bei
B a s e d o av scher Krankheit operierte 1er nicht, am ehesten ge¬
rechtfertigt erscheint ihm bei dieser Erkrankung noch die Unter¬
bindung Aron 2 oder 3 der Arterien, die Operationen am Sym¬
pathikus verwirft er vollkommen.
Pridgin Tealc: Subkutane Drainage zur Entlastung eines
hydropischen Gelenkes. (Ibid.)
Verfasser rät, bei Hydrops des Gelenkes dasselbe subkutan
zu eröffnen und auf diese Weise eine Kommunikation zAvisclien der
Synovialhöhle und dem subkutanen Gewebe herzustellen. Der Er¬
guss fiiesst dann in letzteres ab und wird hier resorbiert. Das
Verfahren, das übrigens einem bei Ilydrocephalus angegebenen
ähnlich ist, hat sich dem Verfasser in mehreren Fällen bewährt.
Alexander Crom bie: Zur Erage der Schutzimpfung gegen
Typhus in Südafrika. (Ibid.)
Verf. hatte Gelegenheit, 250 Offiziere nachzuuntersuchen, die
kürzlich aus Südafrika zurückgekehrt Avaren. Von diesen waren
102 1 mal geimpft worden, von ihnen erkrankten 30 (29,4 Proz.)
an Typhus, von 10 2 mal geimpften erkrankten 2 (20 Proz.). Von
29 Personen, die früher Typhus durchgemacht hatten, erkrankten 3
(10,3 Proz.). Von 109 Nichtgeimpften erkrankten 24 (22 Proz.).
Es ist möglich, dass die Krankheit bei den Geimpften leichter ver¬
läuft; ziemlich sicher ist es aber ausserdem, dass die Gefahr, am
Typhus zu erkranken, kurz nach der Schutzimpfung grösser ist,
als wenn man überhaupt nicht geimpft wird.
T. R. B radsha av : Bisher unbeschriebene Krystalle im
Urin. (Ibid.)
Verf. fand im Urin eines Kranken, der an MagenerAveiterung
litt und Magnesium regelmässig nahm, Krystalle von Magnes.
phosplior. monoliydrieüm (Mg HPOJ. Dieselben krystallisierten
in langen, glitzernden Nadeln und Avaren in grosser Menge vor¬
handen.
Leonard G. Guthrie: Idiopathische oder angeborene und
vererbte Hämaturie. (Ibid.)
Die recht interessante Beobachtung betrifft eine Familie von
12 Personen, die an Hämaturie leidet. Es handelt sich um
2 Frauen, die Mütter der übrigen Personen, die beide an Häma¬
turie leiden und deren 2 Brüder dieselbe Abnormität aufAviesen,
aber jung starben. Die ältere der beiden Sclnve Stern hat 7 Kinder,
4 Mädchen und 1 Knabe leiden an Hämaturie, 1 Mädchen und
1 Knabe sind frei davon. Die jüngere Schwester hat 3 Kinder,
2 Knaben und 1 Mädchen, die alle 3 an Hämaturie leiden. Die
beiden Mütter haben noch 1 unverheiratete Schwester, die nie
Nierenblutungen gehabt hat. ln manchen Fällen Avird immer Blut
im Urin gefunden, in anderen handelt es sich um anfallsweise auf¬
tretende Blutungen. Stets finden sich reichlich rote Blutkörper¬
chen im Urin. Bei heftigeren Blutungen, die durch grosse Tem-
peraturschAvankungen ausgelöst zu Averden scheinen, besteht
Fieber, Unwohlsein, Erbrechen und Gliederschmerz. Haben die
Personen das 10. Lebensjahr überschritten, so Averden die Anfälle
seltener. Dabei sind die Betroffenen keine eigentlichen „Bluter1,
da an manchen A'on ihnen sogar kleinere Operationen ohne Avesent-
liclie Blutung ausgeführt wurden. Aelmliclie Fälle wurden von
Attlee (St. BartholomeAvs Ilosp.-Journ., Dez. 1901) beschrieben,
bei dessen Fällen die Vererbung übrigens auch durch die männ¬
liche Linie zu Stande kam, Avälirend bei G. bis jetzt nur die Frauen
das Leiden vererbten.
C. Edward Wallis: Die Behandlung der Hämophilie mit
Chlorkalzium. (Brit. Med. Journ., 10. Mai 1902.)
Verf. rät bei Zahnoperationen an Blutern prophylaktisch
3 mal täglich 1,0 Chlorkalzium zu geben; durch den längeren Ge¬
brauch dieses Mittels wird die Gerinnungsfähigkeit des Blutes so
vermehrt, dass man, Avie er sich selbst überzeugen konnte, Wurzel¬
extraktionen u. dgl. ohne heftige Blutung vornehmen kann. Lässt
man das Mittel dann Avieder fort, so verliert sich die gute Wir¬
kung und die Leute bluten bei jeder Gelegenheit wieder heftig.
Sir Fr. Treves: Die chirurgische Behandlung des Aneu¬
rysma arterio-venosum. (Ibid.)
Früher kamen bei schlecht ausgeführten Aderlässen häufiger
Verletzungen vor, die zur Entstehung von diesen Aneurysmen
führten; jetzt sind dieselben in der Friedenspraxis sehr selten
geworden, im Kriege allerdings scheinen sie durch das moderne,
kleinkalibrige Geschoss wieder häufiger vorzukommen. T. selbst
sah 4 Fälle, 2 mal bestand eine direkte Verbindung zAvischen Ar¬
terie und Vene, 2 mal lag ein falscher aneurysmatischer Sack da¬
zwischen. Die Prognose dieser Verletzung ist quoad vitam gut,
da weder Gangrän noch Spontanruptur häufiger vorzukommen
scheint, andererseits aber ist die Prognose der Funktion sehr
schlecht, da spontane Heilung ausgeschlossen ist und die befallene
Extremität meist völlig unbrauchbar Avird, nicht selten bildet sich
ein der Elephantiasis ähnlicher Zustand aus. Alle konservativen
Behandlungsmethoden, Avie Hochlageruug, Kompression etc.,
führen nicht zum Ziel, können sogar schaden, auch die H Unter¬
seite Ligatur der zuführenden Arterie ist zu verAverfen. Die ideale
Behandlungsmethode besteht in der proximalen und distalen Li¬
gatur der beiden Gefässe und bei Vorhandensein eines Sackes in
der Entfernung desselben. Doch lässt sich diese Methode aus ana¬
tomischen Gründen nicht immer ausführen. Noch erwähnt T.,
dass es unmöglich ist, vor der Operation zu sagen, ob es sich um
ein Aneurysma arterio-venosum oder um ein Aneurysma varicosum
handle. Seine 4 Fälle betrafen die Femoralgefässe an der Teilungs¬
stelle der Femoialarterie und die Carotis externa, ln allen 4 Fällen,
deren genaue Krankengeschichten manches Interessante bieten,
erfolgte Heilung.
II. M. C oop er und Cyril Ogle: Infektiöse Endokarditis
lind Antistreptokokkenserum. (Ibid.)
Der hier mitgeteilte Fall ist insofern von Interesse, als die
spezifische Behandlung anscheinend grossen Nutzen brachte, avouu
der Tod schliesslich auch ein trat. Der 2G jährige Patient bot die
1234
MÜENCHENER MEDIC1NISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
Zeichen einer septischen Endokarditis mit Infarkten in der Niere
und anderen Organen. Aus Blut, welches der Vena basilica ent¬
nommen wurde, liess sich eine Reinkultur von Streptokokken ge¬
winnen. Die darauf eingeleitete Behandlung mit Antistrepto¬
kokkenserum brachte das Fieber völlig zum Verschwinden, ebenso
die Nierensymptome, das Allgemeinbefinden wurde gut, nur die
Pulsfrequenz blieb hoch. Nach einem relativen Wohlsein von einer
Woche, während der die Behandlung ausgesetzt wurde, trat eine
Verschlechterung ein, der der Kranke erlag. Im ganzen wurden
in 27 Tagen 110 ccm Serum eingespritzt, das von Burrouglis & Wel¬
come aus verschiedenen Streptokokkenarten hergestellt wurde.
II. H. Lucy: Perforation eines Duodenalgeschwüres.
Laparotomie, Heilung. (Lancet, 24. Mai 1902.)
R. H. Lucy: Perforation eines Magengeschwüres. Laparo¬
tomie, Heilung. (Ibid.)
Der erste Fall wurde etwa 20 Stunden, der zweite etwa
17 Stunden nach der Perforation operiert. Die Bauchhöhle wurde
trockengetupft, aber nicht gespült, auch wurde nicht genäht.
Sir William Thomson: Die Entfernung der adenomatösen
Prostata. (Brit. Med. Journ., 31. Mai 1902.)
Es ist seit einiger Zeit in England viel darüber gestritten
worden, ob es, wie F r e y e r behauptet, möglich ist, die ganze
Prostata samt ihrer Kapsel von der Blase aus zu entfernen.
T li o m s o n beschreibt nun auch einen Fall, in dem es ihm ge¬
lang, die Prostata zu entfernen, indem er Frey er s Vorschriften
befolgte; es handelte sieh aber, wie aus dem Präparat hervorging,
um die Enukleation zweier grosser Adenome aus der Prostata.
John S m y t h: Prostatahypertrophie, F r e y e r s Operation,
Heilung. (Ibid.)
Auch diese Arbeit beschreibt einen Fall, in dem es gelang, die
Prostata resp. darin enthaltene Adenome von einer Sectio alta aus
mit Glück zu enukleiren und den Patienten von seinen Leiden zu
befreien.
Sir William R. Go wer s: Ueber Myasthenia gravis und
Ophthalmoplegie. (Ibid., 24. und 31. Mai 1902.)
Verf. gibt in 2 Aufsätzen 4 Krankengeschichten, die viel
Interessantes bieten; 2 der Fälle wurden von ihm übrigens schon
vor kurzem in der Deutsch, med. Wochensehr. (v. L eydeu-
Num liier) veröffentlicht.
Malcolm Morris und Ernest Do re: Neue Erfahrungen
über die Behandlung des Lupus und des Ulcus rodens nach
F i n s e n s Methode und mit Röntgenstrahlen. (Ibid., 1. Mai
1902.)
Die Verf. beginnen ihre Arbeit damit, dass sie ausführen, die
beiden Lichtmethoden geben zwar gute Resultate, in manchen
Fällen sogar so gute wie keine andere Methode, trotzdem aber
dürfe man ihnen zuliebe nicht die älteren Methoden vernach¬
lässigen, die vielmehr in einer Reihe von Fällen allein indiziert
seien. Das kosmetische Resultat der Lichtmethoden übertrifft alle
anderen Methoden, auch werden fast immer Besserungen erzielt;
über die Dauer der Heilerfolge dagegen drücken sich die Verf.
ziemlich skeptisch aus, sie haben viele Rezidive gesehen und
können nicht zugeben, dass die Dauerresultate der neuen Me¬
thoden besser sind als die der alten. Nach Versuchen mit ver¬
schiedenen Lampen arbeiten die Verf. jetzt mit Vorliebe mit der
neuen Finsenlampe. Die Röntgenstrahlen verwenden sie besonders
bei Ulzeratiouen, die zweifellos dadurch zu schnellerer Heilung
gebracht werden; so eignet sich diese Methode auch ganz besonders
für die ausgedehnten Fälle von Ulcus rodens. Es ist häutig vor¬
teilhaft, die beiden Lichtmethoden zu kombinieren. Näheres da¬
rüber im Original, wo auch eine Reihe von Krankengeschichten
mitgieteilt ist.
G. H. L a n c a s h i r e: Die therapeutische Verwertung der
Röntgenstrahlen. (Ibid.)
Verf. verwendet die Röntgenstrahlen besonders bei Hyper-
trichosis, Sycosis parasitaria, Ulcus rodens und solchen Fällen von
Lupus vulgaris, bei denen die Krankheit sehr ausgedehnt ist oder
die mit Ulzeratiouen oder entstellenden Narben einhergehen, dann
auch bei Lupus der Schleimhäute. Näheres ist im Original nach¬
zulesen.
S. W. MacTlwaine: Myxödem bei Mutter und Kind.
(Ibid., 24. Mai 1902.)
Die Arbeit ist von Interesse, weil die Krankheit bei Mutter
und Kind nach dem Ueberstehen einer schweren Infektionskrank¬
heit auftrat, in beiden Fällen brachte dauernder Gebrauch von
Tliyreoidin Heilung.
H. VV. Syers: Die klinische Brauchbarkeit der Diazo-
reaktion. (Ibid.)
\ erf. spricht der Diazoreaktion bei Abdominaltyphus jeden
praktischen \\ ert ab, da im Beginn des Typhus, also wenn die
Diagnose noch zweifelhaft ist, die Reaktion meist negativ ausfällt.
Später wird sie gewöhnlich positiv, aber auch dann beweist sie
nicht viel für das Bestehen von Typhus, da sie auch oft bei tuber¬
kulösen Erkrankungen gefunden wird. Verf. benutzt die Gelegen¬
heit, um dafür zu plädieren, dass der Student mehr zur klinischen
Beobachtung erzogen wird, als das in den letzten Jahren der Fall
ist. Auch ohne chemische und bakteriologische Reaktionen mach¬
ten die alten Aerzte recht genaue Diagnosen.
Thomas R. Fraser: Ueber die relative Unwirksamkeit der
Kakodylpräparate in der Therapie. (Scottish Med. and Sure.
Journ., Mai 1902.)
\ erf. hebt zuerst hervor, dass die Vertreter der Kakodyl-
therapie die Ungiftigkeit des Mittels hervorheben; er hat sich
zwar ebenfalls davon überzeugt, ist aber folgerichtig zu dem
Schlüsse gekommen, dass die grossen Mengen von Arsenik, die in
Form der Kakodylpräparate dem Körper, ohne Vergiftungserschei¬
nungen auszulösen, einverleibt werden können, auch therapeutisch
wahrscheinlich nur eine geringe Wirksamkeit entfalten werden.
Er hat deshalb das Mittel einer Reihe von Kranken gegeben, gegen
deren Leiden Arsenik gebräuchlich ist, und er hat sich davon
überzeugt, dass die Kakodylpräparate keinerlei therapeutische
Wirkung ausüben; durch Analysen der Uriue der betreffenden
Kranken konnte er fernerhin den Beweis erbringen, dass das Arsen
des Kakodylpräparates im Körper nicht abgespalten wird, sondern
in fester Verbindung mit den anderen Komponenten des Kakodyls
den Körper wieder verlässt. Das Mittel wurde ausserdem sehr
schlecht vertragen, da, wenn es genommen wurde, meist lange
vor Erreichen der Maximaldosen Uebelkeit, Erbrechen und Diar¬
rhoe auftraten; diese Nebenerscheinungen fehlten zwar bei sub¬
kutaner Anwendung, doch ist diese wegen der Länge der Zeit
schwer durchzuführen, auch tritt selbst hier der Knoblauchgeruch
auf, der der Kakodyltherapie eigen ist. Der Hauptgrund gegen
die Anwendung der Kakodyle ist natürlich der, dass sie keinerlei
Arsenik Wirkung entfalten.
C. R. Marshall: Zur Wirkung des Purgatins. (Ibid.)
Verf. glaubt nicht, dass das neue synthetische Abführmittel
eine grosse Zukunft haben wird, da es in grösseren Dosen die
Nieren reizt und auch in kleineren Dosen den Urin rot färbt.
Es ist demnach in allen Fällen von Nierenleiden kontraindiziert
und auch sonst entbehrlich.
D. A. Calle n d a r: Zwei Fälle von Magenperforation, eine
Heilung ohne Operation. (Ibid.)
Bei Durchsehen der Krankengeschichten kann man kaum
zweifeln, dass es sich auch in dem geheilten Falle um eine Magen¬
perforation gehandelt hat; volle 14 Tage wurde nichts per os ge¬
geben. Die Kranke genas, obwohl der Fall durch eine Pleuritis
kompliziert wurde. Im zweiten ebenfalls nicht operierten Falle
trat wie gewöhnlich der Tod ein.
Norman W a 1 k er: Zur Behandlung des Lupus vulgaris mit
Röntgenstrahlen. (Ibid.)
Verf. bepinselt vor der Bestrahlung die lupöse Fläche mit
reiner Karbolsäure; die auf die Bestrahlung folgende» Reaktion ist
allerdings meist sehr beträchtlich, doch heilen die Geschwüre
unter indifferenten Salben rasch und mit glatter Narbenbildung.
Der Enderfolg ist sehr gut.
S. FI. Haber sh on: Wanderniere und Leberstöfungen.
(Edinburgh Med. Journ., Mai 3902.)
Gestützt auf Literaturstudien und eine Reihe von eigenen
Beobachtungen weist Verf. darauf hin, dass rechtsseitige Wander¬
nieren nicht gar so selten zu Symptomen Anlass geben, die. auf
Störungen der Leberfunktion liinweisen und zu falschen Diagnosen
Anlass geben. Als Engländer weiss Verf. natürlich eine Menge
über die „sluggish liver“ und die daraus resultierende „bilious
ness“ zu sagen (mangelhafte Leberfunktion und Galligkeit), ein
Gebiet, auf das wir ihm kaum folgen können, das aber zusammen
mit der Gicht eine riesige Rolle in der englischen Medizin spielt.
Interessanter und auch uns Nichtengländern einleuchtend sind die
Fälle, in denen es durch Druck oder Zerrung von seiten der
Wanderniere zu Kolikanfällen mit oder ohne Ikterus kommt, die
sich von Gallensteinkoliken nur schwer unterscheiden lassen. Verf.
empfiehlt therapeutisch weniger die Nephropexie als eine Mastkur
und das Tragen eines gut sitzenden Gürtels. lief, hat in den
letzten 2 Jahren 2 derartige Fälle operiert, in denen eine Wander¬
niere zu typischen Kolikanfällen mit Ikterus geführt hatte. Nach
der Nephropexie verschwanden alle Symptome, im ersten Falle
war versehentlich die Diagnose auf Gallensteine gestellt worden.)
R. W. Lefturih: Ein nahrhaftes Getränk für Fieber¬
kranke. (Ibid.)
Verf. empfiehlt warm folgende Limonade: 2 Zitronen werden
doppelt geschält, die äussere gelbe Rinde kommt in die Limonade
mit den Zitronenscheiben, die darunter liegende weisse Rinde wird
fortgeworfen. Die Zitronenscheiben und die gelbe Rinde legt man
mit 2 Stücken Zucker in einen Topf und giesst % Liter kochendes
Wasser darüber; während dasselbe abkühlt, rührt man die Masse
zuweilen um. Sobald die Flüssigkeit lauwarm geworden ist. giesst
man sie ab und quirlt sie, indem man langsam das Weisse von
2 Eiern zufügt. Schliesslich seiht man die nun fertige Limonade
durch ein Muslintuch und serviert sie kalt.
W- J. S in y 1 y: Die Behandlung- der Endometritis. (Glasgow
Med. Journ., Mai 1902.)
In Fällen von akuter septischer Endometritis rät Verf., den
Uterus mit stumpfer Spülkiirette auszuschaben und mit grossen
Mengen von Lysol nachzuspülen, ln der gewöhnlichen chronischen
Form der Endometritis kiirettiert er ebenfalls und lässt eine
Aetzung mit Karbolalkohol oder noch besser mit SOproz. Formalin
folgen. In hartnäckigen Fällen schreitet er zur Atmokausis.
Arch. Galbraith Faulds: Eukalyptus in der Behandlung
des Diabetes. (Ibid.)
Auf Empfehlung eines Laien versuchte Verfasser dieses Mittel
bei Kranken in der Glasgow Royal Infirmary und zwar mit gutem
Erfolge in gewissen Fällen, namentlich in solchen, in denen keine
erbliche Belastung mit Diabetes oder Neurasthenie vorlag. Zur
Verwendung kam ein Aufguss aus getrockneten Blättern des
australischen Gummibaums, in 1.1 Fällen soll Heilung eingetreten
sein. (Offenbar handelte es sich meist um alimentäre Glvkosurieu.
Refer.)
22. Juli 1902.
MUENCIIENEK MEDICINISCHE WOCIIENSCIIRI ET
1235
George Heaton: Prognose und Therapie der Appendizitis.
Mit einer Analyse von 91 Pallen. (Birmingham Medical Review,
Mai 1902.)
Neben Bettruhe und strenger Diät hält Verfasser es für das
Wichtigste, so bald wie möglich nach Beginn der Krankheits¬
erscheinungen den Darm zu entleeren. Da man nie wissen kann,
ob nicht Perforation droht, vermeidet er alle Abführmittel und
sucht durch einen oder mehrere Einläufe Stuhlgang zu erzielen.
Narkotika will er vermieden wissen; äusserlich wendet er warme
Umschläge an; bei heftigen Schmerzen auch Blutegel. Viele
Kranke bleiben nach dem ersten Anfall völlig wohl, doch muss auf
guten Stuhl und sorgfältiges Kauen geachtet werden. Tritt
dennoch ein zweiter Anfall ein (in etwa 30 Proz. der Fälle), so
empfiehlt Verfasser die Operation im freien Intervall. Im An¬
fall operiert er stets, wenn er die TJeberzeugung hat, dass Eiter vor¬
handen ist. Es gibt kein einziges pathognomisches Symptom für
das Vorhandensein von Eiter, am wertvollsten ist der Puls, meist
gelingt es aber durch genaue Beobachtung und Abwägen der ver¬
schiedenen Symptome die richtige Diagnose zu stellen. Wichtig ist
auch die genaue Blutuntersuchung. Erreicht die Leukocytose
18 000 bis 20000, ohne dass Lungenkomplikationen vorliegen, so
wird man sicher Eiter finden. Das Suchen nach der Appendix
ist bei der Eröffnung des Abszesses zu vermeiden, da leicht all¬
gemeine Peritonitis durch Zerreissen von Adhäsionen eintreten
kann. Bei allgemeiner Peritonitis legt er eine Gegenöffnung an,
spült die Bauchhöhle mit grossen Mengen von Salzlösung aus und
d ruiniert. Verfasser glaubt, dass nur in etwa 25 — 30 Proz. aller
Fälle von Appendizitis es zur Eiterbildung kommt, weshalb er auch
die Frühoperation verwirft.
William Rose: Zur Exzision des Ganglion Gasseri. (Prac-
titioner, Mai 1902.)
Verfasser, der ja zuerst das Ganglion Gasseri entfernt hat,
wendet sich in dieser Arbeit gegen die II a r 1 1 e y - K r ause sehe
Methode und empfiehlt eine Modifikation der Methode von
D o y e n, deren Einzelheiten im Originale nachzulesen sind.
Herbert W. Page: Ueber die chirurgische Seite der Hirn¬
erschütterung. (ßrain. Spring 1902, Vol. 47.)
Die interessante Arbeit gipfelt in dem traurigen Zugeständnis,
dass die Chirurgie in diesen Fällen machtlos ist, Verfasser wenig¬
stens hat durch das Studium vieler Fälle, in denen er operierte und
zahlreicher anderer, die er sezierte, stets die TJeberzeugung ge¬
wonnen, dass ein chirurgischer Eingriff aussichtslos war.
Byrom Br am well: Eine Analyse von 155 Pallen von
Tabes dorsalis. (Ibid.)
Es kann an dieser Stellt* nur kurz auf die sorgfältige Arbeit
hingewiesen werden. Interessant ist, dass Verfasser nicht nur der
Syphilis, sondern auch den übrigen venerischen Krankheiten eine
prädisponierende Ursache für die Entstehung der Tabes zuweist.
Sir Th. Lautier Brunton: Ueber Halluzinationen und ver¬
wandte Phänomene. (Journal of Mental Science, April 1902.)
Auch diese interessante Arbeit des bekannten Londoner Arztes
eignet sich nicht zum Referat, sollte aber von jedem, der sich für
Telepathie, Visionen etc. interessiert, gelesen werden. Sehr geist¬
voll ist der Versuch, nachzuweisen, dass die Feen, die eine so
grosse Rolle in unserem Kinderleben spielen, nur den Halluzi¬
nationen der Epilepsie oder Migräne ihr Leben verdanken. Im
Anschluss an die Arbeit, die die Ausarbeitung eines Vortrags
bildet, findet sich eine lange und interessante Diskussion abge¬
druckt, die dem Vortrage folgte und an welcher eine Reihe der
bekanntesten englischen Irrenärzte teilnalimen.
J. P. z u m B u sch- London.
Inaugural-Dissertationen.
Universität Breslau. Juni 1902.
29. Silber mann Edwin: Die Einleitung der Frühgeburt
i u i t tels II y stereu ry se.
30. Ri mann Hans: Die Endotheliome des Utero- vaginal-
Schlauches Erwachsener.
31. S c li i r o k a u e r Hans: Der traubige Schleimpolyp der Cervix
uteri. (Ein Beitrag zur Lehre von den Geschwülsten des
Uterus.)
32. Peiser Julius: Ueber die Ursachen des angeborenen Klump-
fusses.
33. Schlesinger Eugen: Ueber die Beziehungen zwischen
Schädelgrösse und Sprachentwicklung.
Universität Erlangen. Juni 1902.
12. W erner Josef: Statistischer Beitrag der Therapie der Unter¬
schenkelsarkome.
13. Richter Johannes: Vergleichende Untersuchungen über den
mikroskopischen Bau der Lymphdrüsen von Pferd, Rind.
Schwein und Hund.
Universität Freiburg. Juni 1902.
33. ,1 ä necke Georg: Ueber Metamorphosenwahn.
34. Scliaich Julius: Ueber die Diagnose der Nierensteine.
35. Krau ss Leonhard: Ueber die K i 1 1 i a n sehe Radikalopera¬
tion chronischer Stirnhöhleneiterungen.
3G. Schulz Hermann: Ueber gutartige Penistumoren. (Ein Fall
von Fibromyom des Penis.)
37. Leschziner Leo: Ueber 2 Fälle von Bursitis troelianterica
tuberculosa.
38. Zade Martin: Die Tuberkulose der weiblichen Brustdrüse.
39. Nelson Siegfried: Ueber 2 Fälle von Zungentuberkulose.
40. Rosenhaupt Heinrich: Beiträge zur Kenntnis der Meralgie.
41. Schuster Paul: Zur pathologischen Anatomie der Orbital¬
fraktur (Hernia orbitocerebralis), sowie über isolierte Augen-
muskellähmungen bei Basisfraktur.
Universität Halle. Juni 1902.
22. II en nicke Hermann: lieber einen Fall von Sarkoma uteri
mit ausgedehnter sarkomatüser Thrombose der Venae uterinae
und der Vena spermatica.
23. Tasliiro Akidaro: Ueber Bau und Pigmentierung der Ader-
liautsarkome.
Universität Heidelberg. Juni 1902.
15. S c li ni i d t Wolfgang: Ueber den schnellenden Finger.
Universität Jena. Juni 1902.
15. Kessler Karl: Bericht über 31 Fälle von Dickdarmtumoren.
IG. Preller Karl: Ueber Keratokonus, besonders den pul¬
sierenden.
17. Sclieitz Paul: Die Exarticulatio femoris, ihre Geschichte und
moderne Ausführung.
Universität München. Juni 1902.
5S. Stanze Otto: Ein Fall von Epignatlius und polypenförmigem
Fibro-Lipoma myxomatodes congenitale der rechten Nasen¬
höhle.
59. Lindner Erwin: Ein Fall von Eudothelioin der Dura mator
mit Metastase in der Harnblase. Beitrag zur llistogenese und
Differentialdiagnose der Endotheliome.
G0. Al brecht Hans: Ueber das Kavernom der Milz. Ein Bei¬
trag zur Kenntnis von Bau und Entstehung der Kavernome.
Gl. Rosenthal Erich: Die Fälle von künstlicher Lösung der
Plazenta und deren Folgen (1890 — 1900).
G2. Dolimeyer Wilhelm: Luetische Endaortitis mit Aneurysma
der Brustaorta.
63. Dodel Hans: Ein seltener Fall von septischer Autoinfektion
nach traumatischem Abort.
G4. Heyn Paul: Zehn Myomektomien.
65. Dör'ner Karl: Zur Kasuistik der kryptogenen Septico-
pyämie.
GG. Scheu Erich: Ueber Gravidität bei Uterus bicornis septus
cum vagina septa.
G7. Kuhn Wilhelm: Ein Fall von Harnblasenruptur.
G8. Forgber Georg: Ein Fall von primärem Nierenkarzinom
mit zentraler Vereiterung.
Universität Strassburg. Juni 1902.
13.
14.
15.
IG.
Schneider Alfons: Ein Beitrag zur Anatomie der Scheitel¬
beine des Menschen und der Affen.
Witscliol Wilhelm Karl: Ueber Ausfallerscheinungen nach
Entfernung der weiblichen Sexualorgane.
Parczewski Eugen v.: Prognose der Zangenoperationen
nach den Resultaten der Universitätsklinik zu Strassburg in
den Jahren 1891 — 1900.
Mertz Karl: Ueber Verletzungen des Halsmarks, mit be¬
sonderer Berücksichtigung eines Falles von Schussverletzung
1,,;+ 1 > n 1 1 en TAiiinprutnren.
18.
19.
20.
21.
24.
25.
20,
27.
2S.
29.
28.
29.
30.
31.
ao
Universität Tübingen. Mai 1902.
Günzler Ernst: Ein Fall von Cystadenoma papillare der
Schilddrüse mit Drüsenmetastase.
Fluss Fritz: Ueber Myiasis interna et externa.
P, r ii n i n g Max: Bericht über die Wirksamkeit der Universi¬
tätsaugenklinik in Tübingen in der Zeit vom 22. Oktober 18(5
bis 31. Dezember 1901.
Juni 1902.
Elsaesser Karl: Ueber einen Fall von tuberkulösem
Ovarialkystom.
Hegler Karl: Zur Frage der Regenerationsfähigkeit des
Gehirns.
II e 1 m b r echt Günther: Klinisch-statistischer Beitrag zu der
Lehre von der Hyperopie.
Mallinckroot Konrad Gustav: Ueber Sarkome der weichen
Rückenmarkshäute.
Martin Georg: Ein Fall von Nabeischnurstrangulation bei
einem 3 Monate alten missbildeten Embryo.
Reuchlin Hermann: Zur Kasuistik des doppelseitigen pul¬
sierenden Exophthalmus.
Roeger Hermann: Sarkom der Nase mit hyaliner und auiy-
loider Degeneration. ,
Wa Icker Otto: Ein Beitrag zu den sarkomatosen Ge¬
schwülsten des Mesenteriums.
Schmidt lein Adolf: Beitrag zur Lehre von der hoch¬
gradigen Myopie.
Universität Würzburg. Mai und Juni 1902.
Armand Ernst: Die Entstehung und das Wachstum des
Drüsenkarzinoms. .
Hirsch Alfred: Die Geschwülste der Nebennieren und
Nebenniierengeschwülste der Niere. .......
K irchgessne r Philipp: Uebor mehrfache Tiibargraviuiiat.
Marggraff Fritz: Ueber Spätrezidive bei Mammakarzi¬
II ii ii 1 e Albert: Neue experimentelle Beitrage über die \ or-
gänge bei der Fremdkörpereinheilung.
Tapp es er Johann: Beitrag zur Kasuistik der Gliome des
Gross- und Kleinhirnes, des Rückenmarkes und der Retina.
1236
MUEN CIIENER MEDICINISCTTE WOCHENSCHRIFT.
No. 20.
I’ oplio v e n Friedrich: Hoher Kystadenom der
34. \V e i 1 a nd Georg: Bericht über 100 in der
Frauenklinik ausgcfiilirte Ovariotomien.
Prostata.
Würzburger
Vereins- und Kongressberichte.
30. Deutscher Aerztetag.
in Königsberg, am 4. und 5. Juli 1902.
(Eigener Bericht.)
(Schluss.)
d) Bericht der Kommission zur Bekämpfung' der Kur¬
pfuscherei.
T. Antrag: Der XXX. deutsche Aerztetag empfiehlt den Ver¬
einen, durch Aufklärung des Publikums in Wort, und Schrift
nach den in der Denkschrift (Beilage 3) mitgeteilten Gesichts¬
punkten (Abhalten von Vorträgen, Benutzung der Tagespresse,
Verbreitung von Zeitschriften, Broschüren oder Flugblättern,
Mitwirkung bei Vereinen für öffentliche Gesundheitspflege,
Rettungs- und Samariterwesen u. dergl.) oder in sonst geeigneter
Weise die Kurpfuscherei zu bekämpfen.
Herr Reissig- Hamburg als Referent verweist auf die von
ilmi verfasste Denkschrift, welche hauptsächlich für die Aerztie be¬
stimmt ist. Es ist notwendig bei dem herrschenden Aberglauben
und Mystizismus, das Volk mehr über den Verlauf von Krank¬
heiten und das Wesen der Heilkunde aufzuklären. Das Verlangen
nach solcher Aufklärung ist gross und dasselbe machen sich die
Pfuscher für ihre Interessen zu nutze. Ihre Schriften sind ent¬
sprechend ausgestattet und durch breite Erörterung sexueller
Dinge darauf berechnet, die Sinnlichkeit zu erregen und Leser an¬
zuziehen; sie finden lebhafte Verbreitung. Dagegen gibt es wenige
empfehlenswerte ärztliche Aufklärungsschriften, man muss solche
schaffen und mit der Sprache des Volkes unter das Volk gehen;
man muss dem Volke gute Schriften empfehlen, Vorträge halten,
die Presse benutzen. Solche Arbeit kann freilich nicht rasch, son¬
dern nur schrittweise wirken.
DE Kor XXX. Aerztetag beauftragt den Geschäftsausschuss,
beim Bundesrat dahin vorstellig zu werden;
1. Dass die Ausnützung der Heilkunde durch nicht appro¬
bierte Personen zu untersagen ist, wenn Tatsachen vorliegen,
welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf
diesen Gewerbebetrieb dartun *), und dass Personen, welche dieses
Gewerbe beginnen, hiervon der zuständigen Behörde Anzeige zu
erstatten haben (siehe §§ 35 und 148 Ziff. 4 der Reichsgewerbe¬
ordnung).
2. Dass mit Geltung- für das Reich eine Verordnung erlassen
werde, welche sich an die vom Staate Hamburg unterm 1. Juli
1900 erlassene Verordnung anschliesst und vor allem die prahle-
i isthen Ankündigungen von Geheimmitteln und Heilmethoden
unter Strafe stellt.
3. Dass seitens der Behörden öffentliche Warnungen gegen
Schwindelmittel und Kurpfuscher erlassen werden.
4-_ Dass Rezepte von Kurpfuschern in Apotheken nicht an¬
gefertigt werden dürfen.
Dci Referent, Herr L i n d m a n n - Mannheim, berichtet dass
von den Vereinen Berichte über ihre Tätigkeit gegen die’ Kur¬
pfuscherei eingefordert wurden, aber von 302 nur 21 dem ent¬
sprochen und von diesen nur wenige überhaupt etwas getan haben.
Der von Borgen t für den Pressausschuss des ärztlichen Be¬
zirksvereins München erstattete Bericht ist der Tagesordnung bei¬
gegeben. &
ad 1. Ohne Aenderung der Gewerbeordnung sind die Be¬
mühungen der Aerzte vergebens. Der Staat war so vorsichtig
Bestimmungen zu treffen, dass Tanz- und Schwimmlehrern, Rechts-
konsulenten. sogar Trödelhändlern aus Gründen der öffentlichen
Gesundheit, Sicherheit oder Moral der Gewerbebetrieb untersagt
werden kann, daher besteht auch eine Anzeigepflicht für diese
Gewerbe. Für den gewerbsmässigen Betrieb der Heilkunde sind
gleiche Bestimmungen notwendig, damit man wenigstens anrüchige
Personen mit Gefängnis- und Zuchthausstrafen abhalten oder aus-
schliessen kann.
ad 2. Der Regierungspräsident von Schleswig hat bereits die
Verordnung des Senates zu Hamburg zur Einführung gebracht
Der Misstand in der Presse ist gross, selbst die angesehendsten
Blätter nehmen grob betrügerische Annoncen auf. Wenigstens
ein Teil des Unfuges kann inhibiert werden.
ad 3. Wenn Graf Posadows k y gesagt hat, der Staat
könne nicht überall die Kinderfrau spielen, so ist der Staat sonst
keineswegs prüde und beaufsichtigt uns nach allen Regeln der
Kunst. Die sporadisch getroffenen Einrichtungen, wie der Gesund¬
heitsrat Karlsruhe, genügen nicht dem Bedürfnis.
*) Dieso Bestimmung enthält der in der vorigen Nummer
dieser V ochenschrift abgedruckte Erlass des preussischen Kultus¬
ministers nicht: durch sie wird die den Pfuschern auferlegte An¬
meldepflicht erst ihre volle Bedeutung erlangen. Ref.
ad 4. Tn den Berichten wiederholt sich oft die Klage über die
Kurpfuscherei in den Apotheken, der Staat wahrt überall die Inter¬
essen der Apotheker, damit die Rentabilität erhalten bleibt, selbst
Gifte werden auf Rezepte von Pfuschern abgegeben. Die Aus¬
rede ist gewöhnlich, dass das Pfusehierrezept nicht als solches er¬
kannt worden sei. Das Ziel muss die Wiedereinführung des
Pfuscherei Verbotes bleiben, nicht im Interesse der Aerzte, sondern
wegen der vielfachen Schädigungen der öffentlichen und privaten
Gesundheit und Moral durch die Pfuscher.
Der dritte Referent, Herr Hecker- München, verzichtet auf
das Wort.
ad I. Herr M ü 1 1 e r - Zittau empfiehlt aufs wärmste den
..Gesundheitslehrer“, herausgegeben von Dr. Cantor in Warns¬
dorf (Böhmen).
Herr Becher I- Berlin: Die Kommission zur Bekämpfung
der Pfuscherei muss eine ständige Einrichtung bleiben. Der Stand¬
punkt, in der Heilkunde alle Kräfte frei walten zu lassen, war ein
irriger, alle Kulturstaaten haben das Pfuschereiverbot. Die Auf¬
klärung ist eine undankbare Aufgabe, für einen Dummen, der
stirbt, werden hundert andere geboren. Das Wirksamste ist die
gerichtliche Verfolgung der Pfuscher wegen unlauteren Wett¬
bewerbs, -wie sie in Berlin ausgeführt wird, wo der Staatsanwalt
bereits sich spontan in jedem Fall an die Pfuschereikommission
wendet.
Herr G ö t z - Leipzig: Man soll in die von Pfuschern ver¬
anstalteten Versammlungen hingehen: die Kollegen wollen das aus
Bequemlichkeit nicht tun. Redner selbst hatte damit Erfolge,
z. B. in einem Falle, wo er in einem gegen das Diphtherieheilserum
gerichteten Vortrage, eine Anzahl geheilter Fälle vorführte, die
selbst den Vortragenden — einen Arzt — zum Schweigen brachten.
Bei der Diskussion dazubleiben und sich daran zu beteiligen hat
keinen Zweck.
Herr B 1 a u - Görlitz: Die Pfuscher drucken Aeusserungeu
ärztlicher Autoritäten ausserhalb des Zusammenhanges ab und
beuten sie in gehässiger Weise aus. Die verläumderische Aus¬
beulung solcher Zitate solle verfolgt und bestraft werden.
These I wird einstimmig angenommen.
Zu These II, 3 beantragt mit dem Einverständnis des Re¬
ferenten Herr K o r m a n n - Leipzig, die Warnungen auf
schwindelhafte Heilmethoden auszudehnen und Herr Magen-
Breslau den Zusatz : „Die Regierungen müssen dafür Mittel
bereitstellen“.
Herrn P f a 1 z - Düsseldorf ist These II nicht sympathisch, da
sie als Anleitung zur definitiven Regelung der ganzen Pfuselier-
fiage aufgefasst werden könnte. Die polizeiliche Anmeldung
v ird von den Pfuschern als eine Art Konzession ausgebeutet wer¬
den. Durch Warnungen setzt sich dann der Staat in Widerspruch
mit dieser Konzession. Je grösser der Unfug der Pfuscher wird
desto besser ist es. Um den Apothekern jeden Zweifel an der Her¬
kunft des Rezeptes und jeden Vorwand zu nehmen, müssen Re¬
zepte mit Vordruck gebraucht werden und die Unterschriften deut¬
lich sein.
Herr Becher I- Berlin: Die Befürchtung einer derartigen
scheinbaren Konzession ist unbegründet. Neuerdings hat der
preussische Medizinalminister eine Verfügung erlassen, wonach
alle nichtapprobierten Heilpersonen ihren Betrieb bei dem Kreis¬
arzt anzumelden haben.
Herr B e c k e r - München: Wir können nicht zuwarten, bis
die Reichsregierung aus eigenem Antrieb vorgeht. Die Befürch¬
tung, dass durch die Anmeldung eine Sanktion erteilt wird, ist ge¬
ring. Es ist schon viel (erreicht, wenn die Leute sich melden
müssen, man erfährt dann erst, wie viele ihrer sind. Die Möglich¬
keit, den Betrieb zu untersagen, ist fast so viel wert, wie ein Verbot
Der Fortschritt liegt auch darin, dass künftig die Verwaltungs¬
behörden zu entscheiden haben, bisher stand lediglich der gericht¬
liche Weg offen, der sehr schwer zum Ziele führt.
Nach dem Schlusswort des Referenten werden die Punkte II,
1 mit grosser Majorität, II, 2 — 4 einstimmig angenommen.
Es liegen noch folgende Anträge vor:
Herr Kormann - Leipzig wünscht, dass nicht unter ärzt¬
licher Leitung stehende Kuranstalten verboten werden sollen,
und begründet das damit, dass in denselben die notwendigen
hygienischen Massnahmen nicht eingehalten werden, wie z. R.
in der Anstalt Kühnes 14 Jahr hindurch ein Leprakrankei'
verkehren konnte.
len Becher I- Berlin: Diesem gewiss wünschenswerten
\ erbot steht die Gewerbeordnung entgegen, welche jeder un¬
bescholtenen Person den Betrieb einer solchen Krankenanstalt ge-
stattet.
Der Antrag wird mit 58 gegen 50 Stimmen abgelehnt,
Herr K o r m a n n - Leipzig beantragt Aufhebung des Selbst¬
dispensierrechtes der Homöopathen.
nun* n e e K e r
. ... lYiuiK'iien: Mit der ra#e der Kurpfuscherei
hat der im übrigen sympathische Antrag nichts zu tun.
Herr Korman n zieht den Antrag zurück, derselbe wird
wie ein Antrag Magen- Breslau, der die Führung auslän¬
discher akademischer I itel von der Genehmigung der Regie¬
rungen abhängig machen will (nach dem Beispiel der von der
22. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1237
kgl. bayer. Regierung im vorigen Sommer erlassenen Verfügung),
auf den nächsten Aerztetag vertagt und dem Geschäftsausschuss
überwiesen.
Herr Magen- Breslau beantragt, dass die briefliche Be¬
handlung durch Pfuscher verboten werden solle und weist da¬
rauf hin, dass das Verbot in Sachsen schon bestehe und seine
Aufhebung von den Bilz- Vereinen beantragt werde.
Herr Becker- München beantragt Ablehnung, da der An¬
trag 1 hierfür ausreiche, die briefliche Behandlung füllt unter den
Begriff der Unverlässigkeit.
Herr Bach- Leipzig: Der Antrag ist nicht unnötig, man kann
sich nicht darauf verlassen, dass andere aus unseren Anträgen
alles herauslesen, was wir hineinlegen.
Der Antrag wird angenommen.
Herr L ö b k e r : Zu den Punkten 1 — 4 hat der Geschäfts¬
ausschuss noch folgende Erklärung beantragt :
Die hier vorgeschlagenen Massnahmen sind selbstverständlich
nur als interimistische Hilfsmittel zu betrachten, bis die vom
25. Aerztetage 1897 festgelegte Forderung der Wiedereinführung
des Kurpfuschereiverbotes erfüllt sein wird, sollen also an dieser
Forderung nicht rütteln.
Diese Erklärung wird mit allen gegen eine Stimme an¬
genommen.
8. Der gegenwärtige Stand des ärztlichen Unterstützungs¬
wesens in Deutschland.
Dieser Punkt der Tagesordnung kann wegen vorgerückter
Zeit bezw. mit Rücksicht auf das festgelegte Vergnügungs¬
programm nicht mehr erledigt werden und wird auf Antrag der
Herren Selberg, Dörfler und J arislowsky als erster
Punkt auf die Tagesordnung des nächsten Aerztetages gesetzt
werden.
9. Der Bericht über den gegenwärtigen Stand der Ver¬
sicherungskasse für die Aerzte Deutschlands wird im Vereins¬
blatte abgedruckt werden.
Die Anträge des ärztlichen Bezirksvereins Leipzig-Land:
10. Der deutsche Aerztevereinsbund möge die genossenschaft¬
liche Organisation der deutschen Aerzte für Haftpflicht und
Unfallversicherung in die Hand nehmen;
11. Hoher Bundesrat wolle darauf hinwirken, dass die laut
§ 80 der Gewerbeordnung von den Zentralbehörden zu erlassenden
Arzneitaxen unter Vermittelung des Reichsgesundheitsamtes für
alle Bundesstaaten gleichlautend festgestellt werden,
werden dem Geschäftsausschuss für den nächsten Aerztetag
überwiesen.
,12. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins Stuttgart:
Der Deutsche Aerztetag möge künftig an einem ein für
allemal zu bestimmenden Orte im Zentrum .des deutschen
Reiches abgehalten werden.
Dazu stellt Herr Königshöfe r - Stuttgart den Eventual¬
antrag, im Falle der Ablehnung soll der Aerztetag künftig inner¬
halb der durch die Städte Berlin, Nürnberg, Kassel, Dresden
bestimmten Zone tagen.
Herr Pfalz beantragt Uebergang zur Tagesordnung. Dieser
wird mit allen gegen 6 Stimmen beschlossen.
Hiermit ist die Tagesordnung erschöpft und der Aerztetag
wird durch den Vorsitzenden geschlossen.
Mit Recht konnte Prof. Löbker in seinem Schlussworte
der hohen Befriedigung über den Verlauf des Aerztetages Aus¬
druck geben, mit Recht selbst in dem herrlichen Sitzungssaale
des ostpreussischen Landeshauses den lebhaften Dank der Ver¬
sammlung in Empfang nehmen. Unter seiner klaren, straffen
Geschäftsleitung, welche in keinem Moment die kräftige Hand
des Chirurgen verleugnet, ist der Aerztetag — Dank allerdings
auch den trefflichen Referenten — zu hochwichtigen Beschlüssen
gelangt, die an Bedeutsamkeit nicht dadurch verlieren, dass sie
von den massgebenden Stellen trotz aller Erfahrungen der letzten
Jahre vielleicht immer noch nicht die entsprechende Würdigung
finden werden. Der deutsche Aerztestand hat nicht versäumt,
seine dringenden, aber durchaus gemässigten und erfüllbaren
Wünsche kundzugeben. Weit entfernt, für sich Liebesgaben zu
heischen, hat er lediglich soziale Notwendigkeiten vertreten, die
erfüllt werden müssen, wenn nicht, je länger, je mehr weitere
schwere Einbussen unseren Stand betreffen, aber auch bei dem
gegenseitigen Verhältnis, in dem die Aerzte zum Staate stehen,
letzterer selbst in empfindliche Mitleidenschaft gezogen werden
soll. Das gilt für die Pfuscherfrage ebensowohl, wie namentlich
für die Krankenversicherungsgesetze. Wem irgend der ge¬
sunde Ausbau der sozialen Gesetzgebung und dabei das fried¬
liche Zusammenwirken aller Faktoren am Herzen liegt, der
darf die Königsberger Beschlüsse nicht als eine reine Inter¬
essenfrage eines politisch minder einflussi*eichen Standes abtun.
Sie sind das wahrlich nicht!
Einige wichtige Punkte der Tagesordnung mussten leider
den von unverfälschter ostpreussischer Gastfreundschaft fast im
Uebermass dargebotenen Genüssen und Vergnügungen zum
Opfer gebracht werden. Aber auch über diesen stand ein guter
Stern. Staatliche und städtische Behörden, die Einwohnerschaft
und vor allem die Kollegen von Königsberg und Ostpreussen ver¬
banden sich im Entgegenkommen und hatten ihre helle Freude
an der fortgesetzten angenehmen — man braucht es nicht zu
leugnen — Enttäuschung ihrer Gäste. An den Ufern des
strahlend beleuchteten, von frohen Menschen belebten, einzig
schönen Schlossteiches, beim Klange unvergleichlich vorgetragener
deutscher Lieder verbrachten wir die beiden wunderbaren
Sommerabende. Bei dem Festmahle wurde die gewaltige erlesene
Teilnehmerschar von beredten Männern durch alle Höhen und
Tiefen der Poesie und Prosa zu der angeregtesten Stimmung
geführt, auf den Gipfelpunkt durch Di pp es köstliche humor¬
sprühende Damenrede, welcher nicht zu gedenken 1 ndank
wäre. Am 5. Juli endlich führte uns ein nach einem Strichregen
prächtig aufklarender Nachmittag nach Wanlicken und Rauschen
durch eine der grossartigsten Küstenlandschaften unseres schönen
deutschen Vaterlandes und zu neuen Lafelfreuden. Wer dann
noch den dreitägigen Ausflug nach Memel mitmachen und seinen
Fuss über die Schwelle des russischen Reiches setzen, oder wer
nur der alten behaglichen Hansastadt Danzig und der trotzigen
Marienburg seinen Besuch machen konnte — sie alle vergessen
gewiss nie die eindrucksreiche Fahrt zu dem ernsten und doch
frohen XXX. Aerztetag in Königsberg!
Es erübrigt noch ein kurzer Bericht über die am 3. Juli
in Königsberg stattgehabte II. Hauptversammlung- des Leip¬
ziger Verbandes, an der sich 55 Aerzte beteiligten.
Herr Hartmann - Leipzig gibt einen eingehenden Bericht
über die Weiterentwicklung des Verbandes und die zu seiner Aus¬
breitung unternommenen Massnahmen. Die 1 1 nterstützungskassc
wurde in drei Fällen mit ganz mässigen Beträgen in Anspruch
genommen ; die Mitgliederzahl ist zur Zeit 289o,
davon 90 Proz. Kassenärzte, 72 Universitätslehrer, viele Militär¬
ärzte; eine Reihe von Vereinen ist in corpore beigetreten. Die
grösste Sektion ist München.
Die von dem Verband veranstaltete Enquete (Berichterstatter
Herr Donalis) wurde von 768 Aerzten beantwortet. Die Re¬
sultate, an sich interessant genug, sind zu allgemeinen Schluss¬
folgerungen nicht ausreichend. Bezüglich der Krankenkassen¬
verhältnisse liegen die leider üblichen, zum Teil recht gravieren¬
den Klagen vor.
Der von Herrn Hirschfeld erstattete Kassenbericht
weist bei 46 143.11 M. Einnahmen (43 225 M. Mitgliederbeiträge)
9297.11 M. Ausgaben, somit einen Vermögensstand von
36 846 M. aus.
Die weitere Besprechung betrifft Einzelheiten der Geschäfts¬
führung und Agitation, für deren lebhafte Betätigung nament¬
lich der eifrige Förderer des Verbandes, Herr Kr ecke -Mün¬
chen, eintritt, welcher für das gesicherte Bestehen des Verbandes
,1,-n PalrHo-P Evreiehnmr der mindestens doppelten Mitgliederzahl
durchaus erforderlich erklärt.
Ein Antrag der Sektion Hamburg, betr. die Abschaffung der
„Korrespondenz“, wird abgelehnt unter Betonung der Unentbehr¬
lichkeit derselben für die Agitation in der Presse. W eitere An¬
träge werden bei der Untunlichkeit, die Statuten bereits jetzt
wieder zu ändern, fallen gelassen. Es folgt ein Vortrag des als
Gast anwesenden Herrn Eli m a n n - Wien über Krankenkassen
und Aerzte in Oesterreich. Derselbe gibt ein anschauliches Bi <
von dem Entwicklungsgang und derzeitigen Stand der Verhält¬
nisse in Oesterreich. Bei manchem Unterschied in der Organi¬
sation besteht eine fatale Uebereinstimmung in beiden Ländern
bezüglich der Unzulänglichkeit der Honorare, der Unwürdigkeit
der Stellung der Aerzte gegenüber der hochmütigen Ueberhebung
vieler Kassenvorstände. Die. Bezahlungsverhältnisse scheinen im
allgemeinen noch dürftiger zu sein als in Deutschland. Audi in
Oesterreich hat eine Gegenbewegung unter den Aerzten, stellen¬
weise mit Erfolg, eingesetzt, der Widerstand der Kassen ist dort
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
1238
derselbe wie hier zu Lande. Für die Weiterverbreitung des sehr
beifällig aufgenonimenen Vortrages soll Sorge getragen werden.
Aus der Neuwahl ging die Vorstandschaft unverändert her¬
vor; den Aufsichtsrath werden die Herren Pfeiffer - Weimar,
M u g d a n - Berlin, Nauwerck - Chemnitz bilden. Weitere
Anregungen betreffen u. a. die Aufrechterhaltung der den
Aerzten von den deutschen Badeverwaltungen bisher gewährten
\ crgünstigungen, deren Aufhebung geplant sein soll (Herr
L e w y - Berlin), und die Zentralisierung des ärztlichen Stellen¬
nachweises durch den Leipziger Verband (Herr Bauer- Stutt¬
gart). — Nunmehr ergreift Herr H a r t m a n n das Wort zu einer
längeren glänzenden Rede, in der er die Gedanken entwickelt, wie
sie bei der Diskussion des Aerztetages zu den Anträgen der Kom¬
mission für das Krankenversicherungsgesetz skizziert sind. Die
Rede führt aus, wie sehr und aus welchen Gründen die Arbeiter¬
und Arbeitgeberverbände, Kassenvorstände und Kassenbeamten
gegen die ärztlichen Forderungen agitieren und wie wenig zu er¬
warten steht, dass die Regierungen den von den ärztlichen
Standesvertretungen ei ngebr achten Anträgen Gehör schenken
werden. Das Wirksamste ist und bleibt die Selbsthilfe. In der
anschliessenden Diskussion tritt begreiflicherweise schärfer wie
auf dem Aerztetage selbst der Standpunkt der „Wirtschaftler“
hervor, welche einzig und allein von der Selbsthilfe durch freie
Organisationen irgend etwas Erspriessliches erwarten (Kir¬
be r g e r - Frankfurt, M u g d a n - Berlin, Königshöfer und
Bauer- Stuttgart), während Pfeiffer- Weimar, M a y e r -
Fürth, B e c k e r - München dem langsamen Vorgehen unter
M itwirkung der Standesvereine das Wort reden. Der Forderung
der Minimaltaxe, welche Herr Magen- Breslau vertritt, wider¬
spricht die Mehrzahl der Redner.
Zum Schlüsse erklärten die Anwesenden mit grosser Mehr¬
heit ihre vorläufige Zustimmung zu den von der deutschen Zen¬
trale für freie Arztwahl aufgestellten Anträgen zum Kranken¬
versicherungsgesetz. Dieselben sind (vergl. Bericht) von Kir¬
be r g e r u. Gen. als Antrag C beim Aerztetag eingebracht
worden, jedoch nach Annahme des Antrages Herzau, welcher
als gleichbedeutend aufgefasst wurde, entfallen.
Der Verlauf der Versammlung hat gezeigt, dass der Leip¬
ziger Verband unter seiner derzeitigen eifrigen und opferwilligen
Leitung seinen Zielen, freilich vorerst noch mit sehr mässigen
Mitteln frisch entgegenstrebt und zwar auf Wegen, die gewiss
gut zu heissen sind. Seine Mittel durch Sparsamkeit und durch
eine erfolgreiche Propaganda (besonders in Norddeutschland) zu
vermehren, ist wohl die nächste, wenn auch nüchterne Aufgabe
des Verbandes, dem wir für das kommende Jahr aufrichtig
reichen Zuwachs und Gedeihen wünschen.
Dr. Bergeat - München.
Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 10. Juli 1902.
1. Herr N eubeck: Vorstellung a) eines 22 jährigen Mannes
mit tertiären Hautsyphiliden, die in 11 Monaten zu serpiginös be¬
grenzten und über handtelleirgrossen Flecken sich entwickelt
hatten, und b) eines 00 jährigen Mannes mit einem Lupus ex-
ulcerans serpiginosus, der in 20 .Jahren zu der gleichen Aus¬
dehnung gekommen war.
2. Herr besser: Vorstellung a) einer 24jährigen Frau mit
diffuser Sklerodermie. Beginn vor 3 Jahren mit braunen harten
Flecken am Vorderarm, zurzeit nur noch das Gesicht freigeblieben.
Infolge der starken Hautschrumpfungen die Gelenke der Arme
und Beine unbeweglich; Ausfall der Haare und Nägel; über den
Druckstellen torpide Geschwüre; die Schweissekretion aufgehoben,
das Gefühl erhalten.
b) eines 20 jährigen Mannes mit Conjunctivitis duplex rheu-
matica nach Gonorrhoe. Erkrankung vor 3 Monaten mit Epi-
(lydimitis; vor 1 Monat Gelen kentz ii n d u n g e n an den
Knieen und Füssen. Die Bindehautentzündung nach Tripper ist
metastatisch gleichwie die Gelenkentzündungen und ist ausgezeich¬
net durch die geringe, nicht besonders eitrige Absonderung ohne
Gonokokkenbefund, das gleichzeitig doppelseitige Auftreten und
den raschen gutartigen Verlauf.
Herr Mosse: \ orstellung eines Knaben mit ausgebreiteter
Ichthyosis an beiden Beinen.
4. Herr Keckzeh: Vorstellung eines Knaben mit einem
Herpes zoster-ähnlichen Naevus.
r>. Herr Hoffman n: Ueber Dermatitis mercurialis. Vor¬
tragender stellt eine Frau vor, bei der nach Beendigung einer
Schmierkur wegen Lues eine ekzemartige Dermatitis
des ganzen Körpers aufgetreten ist mit starker lamellöser Ab-
stossung der Hornschichten, besonders an den Händen und Füssen,
Schwellung der Mundschleimhaut und der Zungenpapillen, und ein
13 jähriges Mädchen mit einer Dermatitis exfoliativa,
die ß \\ oclien nach Einreibungen des Kopfes mit grauer Salbe
wegen Kopfekzems entstanden ist ohne Nässung mit starker Schup¬
pung der Haut und Ausfall der Kopfhaare, der Augenbrauen und
des Lanugo; gleichzeitig tachykardische Zustände; im Urin Queck¬
silber nachgewiesen. Vortr. berichtet über ein m a sern ii li n -
liebes Ex a n t h e m des ganzen Körpers nach 3 Injektionen
von 0,01 Sublimat, mit hohem Fieber unter Freibleiben der Stellen
der syphilitischen Effioreszenzen, und über ein Scharlach-
ii hnliches Erythe m nebst Stomatitis und hohem Fieber in¬
folge Einreibung einer Quecksilberpräzipitatsalbe bei einem
Kranken mit Psoriasis, bei dem einige Tage vorher Ghrysarobin
gleichfalls eine fieberhafte Dermatitis verursacht hatte.
Die Hautentzündungen nach Quecksilber sind sehr mannig¬
faltig. stellen sich zuweilen erst längere Zeit nach der äusseren
oder inneren Anwendung ein, sind meist stark schuppend. Im
Urin wurde gewöhnlich kein Eiweiss, niemals Zylinder gefunden.
Die histologischen V e r ä n d e r u n ge n werden durch
mikroskopische Bilder von ausgeschnittenen Hautstückchen er¬
läutert. Sie sind nach der Art der Dermatitis verschieden. Bei
den ekzemartigen Fällen eine starke Verlängerung der Retezapfen
und zahlreiche Kernteilungen im Epithel. Auffallend war die
IM enge der eosinophilen Zellen nicht nur in den erwei¬
terten Gefässen, sondern auch in dem Rete und in den Horn¬
schichten. Im Blut mässige Vermehrung der farblosen Zellen,
von denen fast die Hälfte eosinophile Zellen.
ß. Herr Bruhns: Vorstellung eines Falles von idiopathi¬
scher Hautatrophie, die sich bei dem 57 jährigen Kranken seit
32 Jahren entwickelt hat. Ueber der ganzen unteren Körperhälfte
ist die Haut verdünnt, in der Gesässgegend fein gefältelt, an den
Beinen glattgespannt. Die mikroskopische Untersuchung zeigt das
Verstrichensein der Papillarlinie und eine Zellinfiltration im
Koriurn. K. Brandenburg,- Berlin.
Altonaer Aerztlicher Verein.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 26. März 1902.
Herr du Mesnil spricht: Ueber die Heilserumbehand-
lung- des Typhus abdominalis.
Die Antitoxinbehandlung soll nur angewandt werden in
Fällen, wo die Diagnose des Typhus absolut sicher ist; zur Sicher¬
stellung der Diagnose soll verwandt werden und ist in den de¬
monstrierten Fällen angewandt worden die Gruber-Widal-
sclie Serumdiagnose, die bei positivem Ausfall in hoher Ver¬
dünnung (1 : 80 bis 1 : 100) als beweisend aufgefasst wird ; sehr
vereinfacht wird die Gewinnung- des nötigen Serums durch Ap¬
plikation eines Kantharidenpflasters auf die Haut, das, mit einer
Wundschutzkapsel bedeckt, nach 24 Stunden eine Blase zieht,
aus der das Serum entnommen wird. Noch einwandfreier wird
die Diagnose durch die Kultur des Typhusbazillus aus dem mit
steriler Spritze aus der Armvene durch Punktion gewonnenen
Blut, das, im Verhältnis von 1 : 1 bis 1 : 5 mit Agar vermischt,
im Brutschrank aufbewahrt schon nach 24 Stunden die charak¬
teristischen Kolonien zeigt und uns in der Hälfte unserer
Typhusfälle schon ziemlich frühzeitig ein positives Resultat er¬
geben hat. Vir wissen nun bekanntlich aus den Untersuchungen
von Pfeiffer, dass das Serum von gegen Typhus immuni¬
sierten Tieren die Fähigkeit besitzt, eine Infektion mit Typhus¬
bazillen zu verhindern. Wenn man in die Peritonealhöhle von
Meerschweinchen die tödtliche Dosis Typhusbazillen resp. die
Zahl der Bazillen, die zur Entstehung einer Infektion nötig ist,
impft und zu gleicher Zeit oder kurz nachher eine grössere Quan¬
tität Serum injiziert, so wird die Infektion hintangehalten und
das Tier bleibt gesund. Von diesen LTeberlegungen ausgehend,
hat Prof. T a v e 1 nach einer Immunisierungsdauer von 1 bis
2 J ahren bei Pferden sein hochwirksames Serum dargestellt, das
bezüglich der W i d a 1 sehen Reaktion eine Wirksamkeit von
1:10 000 besitzt. Mit diesem Serum, das von dem unter staat¬
licher Kontrolle stehenden schweizerischen Serum- und Impf¬
institut in Bern im Grossen produziert wird, wurden im Altonaer
Krankenhause eine Reihe von Typhusfällen behandelt, deren
Krankengeschichten und Temperaturtabellen demonstriert wer¬
den. Die Fälle sind folgende:
B.. 35 Jahre, Laboratoriumsdiener, gibt an, bei Anstellung
der V idalreaktion öfter etwas von den Bouillonkulturen dar
Typhusbazillen in den Muijd bekommen zu haben, erkrankte unter
den klinischen Erscheinungen eines schweren Typhus. Als am
48 Krankheitstag sich das Fieber immer noch zwischen 39 0 und
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1239
22. Juli 1902.
40° bewegte, wurde die erste Seruminjektion gemacht, der in den
folgenden Tagen zwei weitere folgten, mit dem Erfolge, dass das
Fieber staffelförmig auf 37, 8° abfiel, sich dann aber wieder hob;
am 57. Krankheitstag wieder 40 °, auf erneute Injektion wieder
staffelförmiger Abfall, wiederum Anstieg bis 3!) auf eine weitere
Injektion wiederum Abfall bis 37,5, erneutes Ansteigen bis 40 °,
nach einer weiteren Injektion am 08. Tage wiederum staffel¬
förmiger Abfall, wiederum Anstieg und Abfall nach erneuter In¬
jektion auf 37.8°, dann nochmaliges Ansteigen auf 30,7°, bedingt
durch Hypostase der Lunge, Periostitis des linken Femur und der
linken Tibia, Dekubitus der rechten Ferse, und Abfall zur Norm
(cfr. Kurve No. I).
IT., 20 Jahre, Dienstmädchen, wurde wegen Chlorose ins
Krankenhaus aufgenommen und erkrankte nach 11 Tagen an
einem Typhus, erhielt am 14. Krankheitstag, nachdem eine Tem¬
peratur von 40,8° vorausgegangen war, die erste Seruminjektion,
der nach 2 Tagen eine weitere folgte. Die Kontinua ging nach
den Injektionen in das Stadium der steilen Kurven über und Pat.
war nach 8 Tagen fieberfrei (cfr. Kurve II).
M., 25 Jahre, Arbeiter, erkrankte mit. Durchfall und den
übrigen Zeichen des Typhus; die Diazoreaktion des Urins positiv,
ebenso die Gruber-Widalreaktion; die Temperaturen "bewegten sich
am 9. bis 12. Krankheitstag um 40 0 und darüber, am letzteren Tage
erste Injektion, in den folgenden Tagen staffelförmiger Abfall der
Temperatur bis 37,6°, erneuter Anstieg am 15. und 10. Krank¬
heitstag auf 39,8° resp. 39, 6°, erneute Injektion am anderen Mor¬
gen, staffelförmiger Abfall der Temperatur bis zur Norm in den
nächsten 8 Tagen (cfr. Kurve III).
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Kurve III.
K., 35 Jahre, Schneiderin. Ty¬
pischer Abdominaltyphus. Roseolen,
palpable Milz Diazo positiv. Gruber-
Widal Reaktion positiv. Daneben
schwere hämorrhagische Nephritis.
Kontinua um 40°, am 9. Tage Se-
ruminjektion. Abfall auf 38,4°, er¬
neuter Anstieg auf 39,4°, auf eine
zweite Injektion Btaffelförmiger Ab¬
fall zur Norm; Patientin erlag der
hämorrhagischen Nephritis, die eben¬
so wie die in Abheilung begriffenen
Typhusgeschwüre durch die Obduk¬
tion bestätigt wurde (cfr. Kurve IV).
Kurve V.
Fr., 17 Jahre, Arbeiter. Typischer Abdominaltyphus. Vom
8. bis 10. Krankheitstag -Kontinua um 40", die durch Bäder in den
letzten Tagen nur unerheblich beeinflusst wurde. Am 17., 18. und
21. Tag werden je 10 ccm Heilserum injiziert, staffelförmiger Ab¬
fall, bis am 25. Tag Höchsttemperatur 37,0° beträgt, erneutes
staffelförmiges Ansteigen der Temperatur am 20., 27. bis 30. Tag
auf 40,5 °, am 29., 30., 31., 32. Tag je eine Injektion von 10 ccm
Heilserum, staffelförmiger Abfall in den nächsten 10 Tagen bis
zur Norm und Heilung.
Aras diesen 5 Typhusfällen, denen noch ein 6. sich anreiht,
bei dem nach der Seruminjektion von 20 ccm ebenfalls ein staffel¬
förmiger Abfall am 21. Tage von 40,8 0 bis zum 25. Tag von
38,6 " beobachtet wurde, wo aber die antitoxische Behandlung
aus äusseren Gründen abgebrochen werden musste, auf eine spe¬
zifische Heilwirkung des Serums weitgehende Schlüsse zu ziehen,
liegt mir fern, weitere ausgedehnte Versuche müssen die Sach¬
lage klären, es kam mir nur darauf an, die auffallenden Be¬
obachtungen, die ich übereinstimmend an den 6 Fällen machen
konnte, zu registrieren und zur Nachprüfung anzuregen.
Die Injektionen waren bei den Typhuskranken schmerzlos
oder nahezu schmerzlos, machten keine lokale Reaktion und ver¬
ursachten keinerlei Störung des Allgemeinbefindens, abgesehen
von einem Erythem in einem Falle, das aber nach 24 Stunden
schon wieder verschwunden war.
Bei ausreichender Dosis, 10 bis 40 ccm, wurde konstant ein
staffelförmiger Temperaturabfall beobachtet, auch schon in den
ersten Wochen des Typhus, so dass es möglich war, die Continua
in das Stadium der steilen Kurven und der Rekonvaleszenz durch
die Injektionen überzuführen; entsprechend dem Temperatur¬
abfall besserte sich das Allgemeinbefinden und es trat Hunger¬
gefühl auf. In einzelnen Fällen trat bei Aussetzen der In¬
jektionen erneutes Ansteigen der Temperatur mit allen An¬
zeichen des Rezidivs auf, das durch erneute Injektionen wieder
in der geschilderten Weise bekämpft werden konnte.
Demonstrationen :
Herr du Mesnil demonstriert:
1. Fall von Meningitis cerebrospinalis.
18 jähriger Nieter auf der Blohm & Voss sehen Werft er¬
krankte plötzlich am Nachmittag des 17. Juni mit Kopfschmerzen,
wird am 18. mit stark benommenem Sensorium ins Krankenhaus
eingeliefert. Ausgesprochene Nackenstarre, allgemeine Hyper¬
ästhesie, starker Opisthotonus, krampfhaft angezogene untere
Extremitäten. Temperatur schwankt zwischen 37,8 0 und 39,6 °.
Lumbalpunktion ei-gibt ca. 30 ccm stark getrübten Liquor cerebro¬
spinalis, der mikroskopisch reichliche Eiterkörperchen und den
Meningococcus intracellularis (Jaeger - Weichselbaum)
enthält (Demonstration), der auf Blutserum in Reinkultur ge¬
züchtet wurde. Patient erhält täglich 12 g Natrium salicylicum.
Am 4. Tage Sensorium frei, untere Extremitäten frei beweglich,
am 6. Tage keine Kopfschmerzen mehr, noch ausgesprochene
Nackenstarre, Muskelzuckungen in den Extremitäten, Hyper¬
ästhesie, Fieber 39,0 °. Vom 10. Tage an lässt die Nackenstaive
nach, Patient wird fieberfrei, alle anderen Symptome verschwin¬
den. Die Wirkung der grossen Dosen Salicyl war bei diesem
schweren Krankheitsbilde eine so eklatante, dass man den Ein¬
druck gewinnt, dass die Heilung des Patienten dieser Behandlung
zuzuschreiben ist.
2. Fall von Solitärtuberkel des Kleinhirns (Unterwurm) und
der Rautengrube.
38 jähriger Bahndiener bemerkte anfangs Dezember, dass er
doppelt sah, gleichzeitig stellte sich schlechter Geschmack im
Munde ein und ein Gefühl des Geschwollenseins des Zahnfleisches
und der Wangenschleimhaut, dazu kam eine Schwäche im rechten
Arm und pelziges Gefühl in der rechten Hand, taumelnder Gang,
starkes Schwindelgefühl, Reitbahnbewegung nach links. An den
Augen fällt eine gewisse Starrheit des Blicks auf; will Patient
scharf sehen, so werden die Augen leicht zugekniffen und der Kopf
wird nach der Richtung des Gegenstandes hingedreht, ein vor¬
gehaltener Finger nach rechts und links hin bewegt, wird bei
1240
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
ruhiger Haltung des Kopfes nicht verfolgt; bei Annäherung des
Fingers bleibt die Konvergenz der Bulbi aus, nach oben und unten
folgen die Augen gut. Augenhintergrund normal. Im Laufe der
Beobachtung kam hinzu ein vertikaler Nystagmus beider Augen,
Fazialislähmung rechts, motorische Sprachstörung (breiige
Sprache), ausserdem besteht eine linksseitige tuberkulöse Spitzen¬
infiltration der Lunge.
3. Fall von Diabetes insipidus auf nervöser Basis.
36 jährige Frau leidet seit einem Jahre an grossem Durst und
Trockenheit im Munde, in den ersten Tagen ihres Krankenhaus¬
aufenthaltes Urinmengen von 11 Litern pro die und darüber; durch
die übliche Suggestions- und Abhärtungstherapie wurde erzielt,
dass die Urinmenge stetig abnahm und nach Verlauf von einem
Monat zwischen 3000 und 4000 ccm pro die betrug, wobei das spe¬
zifische Gewicht sich von 1002 auf 1012 g vermehrte.
Herr Goetzcke stellt einige Fälle aus der psychiatrischen
Abtheilung des städtischen Krankenhauses vor.
1. Fall von Porenkephalie.
Patient hat in den ersten Lebensjahren nach Angaben der
Mutter und Schwester an epileptischen Krämpfen gelitten, später
nicht mehr. Er ist bis zum 14. Lebensjahre zur Schule gegangen,
hat aber nicht alle Klassen der Volksschule durchmachen können.
Weiterhin fiel, wie auch jetzt, hauptsächlich eine starke Herab¬
setzung der Urteilsfähigkeit auf. Aeusserlich war Patient dauernd
ruhig und geordnet, nur nach reichlichem Alkoholgenuss erregt.
Es handelt sich in unserem Falle also um Epilepsie und an¬
geborenen Schwachsinn. Dass diese nervösen und psychischen
Störungen auf eine grobe organische Gehimerkrankung, und zwar
auf einen völligen Verlust bestimmter Stellen der Himsubstanz
(also eine Porenkephalie) zurückzuführen sind, schliesst Referent
aus dem gleichzeitigen Bestehen einer Entwicklungshemmung der
linken Körperhälfte und spastischen Lähmungen der linken Ex¬
tremitäten, hauptsächlich der oberen.
Die aktive Bewegungsfähigkeit der linken oberen Extremität,
zumal des Untei'amxes und der Hand fehlt fast xöllig, passix
können Bewegungen mit Anxvendung einiger Kraft schmerzlos
ausgeführt werden; nach Aussetzen der Krafteinwirkung so¬
fortiges Zurückkehren in krampfhafte Kontrakturstellung (etwa
wie das Einschnappen eines Taschenmessers).
Beide Extremitäten der linken Seite sind in allen ihren
Massen kleiner als die rechtsseitigen; es handelt sich also nicht um
eine Lähmung, die das ausgewachsene Individuum betroffen hat,
sondern um eine im frühen Kindesalter bezw. im I ötalleben ent¬
standene Lähmung. (Nach Angaben der Mutter ist Pat. mit den
Lähmungserscheinungen geboren.)
Da die Lähmungserscheinungen die linke Körperhälfte be¬
treffen, wird auf einen Defekt in der rechten Hirnhälfte ge¬
schlossen, da erxviesenermassen bei einseitiger Porenkephalie fast
durchweg die Missbildungen auf der anderen Seite bestanden
haben.
2. 4 Fälle von vorgeschrittener Dementia paralytica.
Alle 4 sind schon in das Stadium der Verblödung eingetreten
und verschieden xveit vorgeschritten.
a) Noch leidlich orientirt, gibt noch sachgemässe Antxvorten;
auch Gedächtnis und Merkfälligkeit noch zum Teil erhalten. Zur
Produktion seiner anfangs blühenden Grössenideen ist er dagegen
nicht mehr zu bringen. Aeusserlich leidlich geordnet. Sprach-
störungen nur bei den schwierigen Paradigmen.
b) Wie a, nur sind Gedächtnis und Merkfähigkeit bei ihm viel
schlechter. Auffallendere Sprachstörungen schon beim gexvöhn-
lichen Sprechen.
c) Aeusserlich nur noch wenig geordnet, vermag keine richtige
und sachgemässe Antwort mehr zu geben, nicht mehr zu schreiben.
Völlige Interesselosigkeit, kindisch sorglos-heiteres Benehmen,
tierische Fresslust. Schmierende, undeutliche Sprache mit starkem
Silbenstolpern.
d) Völlige Verblödung. I fegt apathisch im Bett, hört kaum
eine Anrede, lallt nur noch unverständliche Silben, lässt dauernd
Kot und Urin unter sich. Verschiedene paralytische Anfälle mit
verhältnismässig rasch zurückgehenden Lähmungen.
Bei allen 4 Fällen reflektorische Pupillenstarre und Verände¬
rungen der Sehnen- und Muskelreflexe. (Bei 1 und 3 Patellarreflex
gesteigert, bei 2 und 4 aufgehoben.)
3. Fall von Dementia praecox.
Auftreten der Erkrankung während der Militärzeit. Früher
soll Pat. stets normal gewesen sein, auch gut veranlagt. Die An¬
fangssymptome der Erkrankung zeigten deutliche Aehnliclikeit
mit der Paranoia und führten dann ausserordentlich rasch zum
Schwachsinn mit Uebergang in völlige Verwirrtheit. Starke Ab¬
lenkbarkeit. Ab und zu leichte Erregungsperioden, dauernd
äusserlich völlig ungeordnet. Einzelne leichte Anfälle von Ohn¬
macht.
Prognose: Fortschreiten des Prozesses bis zur völligen Ver¬
blödung.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 26. April 1902.
Herr Stölzner: Statistische Mitteilungen aus dem
Krankenhause der Diakonissenanstalt, betr. die Dauerheil¬
erfolge bei Mammakarzinomoperationen der letzten 10 Jahre.
M. IL! Angeregt durch eine Aufforderung des Komitees für
Krebsforschung in Berlin und auf \ eranlassung des Herrn Ober¬
medizinalrates Kupp recht habe ich die in den letzten 10 Jahren
im Krankenhause der Diakonissenanstalt operierten Fälle von
Mammakarzinomen zusammengestellt und bezüglich der Aus¬
sichten auf Dauerheilungen statistisch zu verarbeiten gesucht. Im
folgenden möchte ich Ihnen kurz das Resultat dieser Statistik mit-
teilen. Zuvor erwähne ich, dass in jedem als Karzinom geführten
Falle die Diagnose durch aufbewahrte mikroskopische Präparate
sichergestellt worden ist. Was die Technik der Operation betrifft,
so wurde im 1. und 2. Jahre der Berichtszeit noch teilweise kon-
servativ verfahren, indem nur der Pect. maj. entfernt, der minor
aber oft geschont xvurde. In den letzten 8 Jahren ist aber in
jedem Fall grundsätzlich so operiert worden, dass beide Pectorales
radikal entfernt und die Mohrenheim sehe Grube und Achsel¬
höhle peinlich von Drüsen- und Zellgewrebe gesäubert wurden; ott
xvurde temporäre Resektion der Klavikel ausgeführt zur Ent¬
fernung verdächtiger supraklavikulärer Drüsen; in Fällen, wo die
Achselvene mit den krebsigeu Drüsen verwachsen war, wurde
diese xveithin reseziert. Durch ausgedehnte briefliche Umfrage
und in vielen Fällen durch persönliche Nachuntersuchung habe ich
mich über das weitere Schicksal bezw. jetzige Befinden der Ope¬
rierten informiert.
In der Zeit vom 1. Juli 1S92 bis Ende' Dezember 1901 xvurden
insgesamt 155 Patienten xvegen Brustkrebs operiert und zwar
154 Frauen und 1 Mann. Bei 30 derselben war es mir nicht mög¬
lich, etxvas über das xv eitere Schicksal zu erfahren; die aus-
gesandten Fragebogen kamen entweder überhaupt nicht zurück
oder nur so mangelhaft beantxvortet, dass sie für eine statistische
Verarbeitung absolut ungeeignet waren. Ich kann daher nur über
125 Operationen berichten. Von diesen sind gestorben 70 = 56 Proz.
und zwar an Rezidiv und Metastasen 51 = 40,8 Proz., an anderen
Krankheiten, frei von Karzinom 19 = 15,2 Proz.
Die Mortalität an Rezidiv oder Metastasen war am grössten
im 1. Jahre nach der Operation, annähernd gleich gross im 2., um
dann rasch abzufallen und mit dem 7. Jahre nach der Operation
aufzuhören. Es starben an Rezidiv oder Metastasen
im 1. Jahre
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Unterscheidet man Rezidiv und Metastasen als Todesursache,
so ergibt sich, dass am örtlichen Rezidiv im 1. und 2. Jahre 10,
bezw. 12 Pat. xmrstorben sind, im 3. und 4. je 1 und dann über¬
haupt keine mehr; anders ist es bei den Metastasen; diesen er¬
lagen ebenfalls die meisten Operierten im 1. Jahre nach der Opera¬
tion, nämlich 11. während im 2. bis 7. Jahre je 2, 3 oder 4 Pat.
gestorben sind. Das heisst also: An örtlichem Rezidiv starben die
Pat. im 1. und 2. Jahre nach der Operation, in den xveiteren Jahren
fehlt die Mortalität infolge Rezidivs fast vollständig, während die
Todesfälle infolge der Metastasen im 1. Jahre am häufigsten sind,
um dann auf eine Reihe von Jahren noch vereinzelt vorzukommen.
Nach Ablauf des 2. Jahres sind von unseren Operierten im ganzen
nur 13 an Rezidiv oder Metastase gestorben, das sind 10,4 Proz.,
davon 1,6 Proz. an örtlichen Rezidiven und 8,8 Proz. an Meta¬
stasen; oder mit anderen Worten: die Operierten, die 2 Jahre
nach der Operation noch frei von Rezidiv und Metastasen ge¬
blieben sind, haben eine Chance von 82,5 zu 100, dauernd gesund
zu bleiben.
Am Leben sind von den 125 Operierten noch 55 = 44 Proz., und
zwar frei von Rezidiv oder Metastasen 41,6 Proz., erkrankt
an Rezidiv oder Metastasen 2,4 Proz. Von den 52 Ope¬
rierten, die seit der Operation rezidivfrei geblieben sind,
haben 35 mehr als 2 Jahre seit der Operation hinter sich; das sind
28 Proz. Von den an interkurrenten Krankheiten, frei von Re¬
zidiv und Metastasen, verstorbenen 19 Operierten xvaren 5 länger
als 2 Jahre von ihrem Karzinom geheilt. Rechnet man diese 5
zu den 35 noch lebenden und mehr als 2 Jahre vom Karzinom
geheilten Operierten hinzu, so ergibt sich, dass in Summa 40 Ope¬
rierte länger als 2 Jahre frei von Rezidiv oder Metastasen ge¬
blieben sind, das sind 32 Proz. aller Operierten. Vor 10 Jahren
schon hat Herr Obermedizinalrat R u p preclit eine statistische
Zusammenstellung über Dauerheilungen bei Mammakarzinom ver¬
öffentlicht, er gab damals 21,4 Proz. Dauerheilungen an. Aelm-
liche Zahlen finden sich bis vor 10 Jahren bei den übrigen Ope¬
rateuren: 11 Proz. nach V olkmann, 16 nach L ii c li e, 22 nach
K ö n i g, ebensoviel nach Czerny. Die wesentlich günstigeren
Resultate, die unsere heutige Statistik aufweist, beruhen un¬
zweifelhaft darauf, dass jetzt nach II e i d e n h a i n s Vorgehen
22. Juli 1902.
1241
MÜENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
jeder Fall möglichst radikal operiert wird, dass weder Pektomles,
noch Klavikel, noch Achselvene, noch Serratus, noch Latissimus
geschont werden, um das Karzinom möglichst gründlich mit allen
Drüsenmetastasen ausrotten zu können. Und noch besser werden
sicherlich die Aussichten auf Dauerheiluugen werden, wenn wir
mehr und mehr in die Lage gesetzt werden, Frühoperationeil aus¬
zuführen. d. h. in einem Stadium, wo das Karzinom noch nicht
mit Haut. Pektoralfaszie oder gar -Vene verwachsen ist und wir
also mit grösster Wahrscheinlichkeit mit der Heid enli ari¬
schen Operation das Karzinom radikal zu entfernen im Stande
sind.
Auf Grund der gefundenen Zahlen, glaube ich. sind wir be¬
rechtigt. das von i o 1 k m a n n gegebene Schema dahin umzu¬
ändern, dass wir nicht erst nach 3, sondern schon nach Verlauf
von 2 Jahren nach der Operation von Dauerheilungen sprechen.
Ich möchte das zweite Jahr nach der Operation als das kritische
Jahr für unsere Operierten bezeichnen; haben sie dieses frei von
Rezidiv oder Metastasen hinter sich, so haben sie eine Chance
von 82,5 zu 100, überhaupt dauernd von ihrem Karzinom geheilt
zu sein, oder: von je 5 Frauen, die 2 Jahre nach der Operation noch
frei von Rezidiv oder Metastasen sind, bleiben 4 dauernd geheilt.
Herr Gmelin (a. G.): Demonstration des Phonendoskops.
Herr G m e 1 i n hat kürzlich bei S m i t li in Schloss Marbach
dasselbe näher kennen zu lernen Gelegenheit gehabt. Er berichtet
zunächst iilier die Methode, wie sie von dem Erlinder des Instru¬
mentes. B i a n c li i, angegeben wurde, und weiter, in welcher
Weise die Nutzbarmachung des Instrumentes an Stelle der Per¬
kussion durch Smith- Marbach vervollkommnet worden ist.
Diskussion: Herr Albin B u r k li a r d t bestreitet die Zu¬
verlässigkeit der von Smith mit dem Phonendoskop gemachten
Grenzbestimmungen. Eine Arbeit aus der Riegel scheu Klinik
von G rote bestätigt ebenfalls diese seine Einwände.
Herr F orstma n n hebt hervor, dass namentlich die Schwie¬
rigkeiten im Gebrauch des Phonendoskops gegen seine Verwen¬
dung sprächen, warnt aber ebenfalls vor einem zu optimistischen
Urteil über die Genauigkeit der gewonnenen Resultate.
Herr Gmelin referiert noch über verschiedene Methoden,
welche zur Grenzbestimmung des Herzens Verwendung finden
(Röntgenbild, Stimmgabel, Stethoskopuntersuchung). Er glaubt
doch, dass die S m i t h sehen Resultate einwandfrei sind, die
Schwierigkeit der Methode gesteht er zu.
Herr His erwähnt, dass neben der Arbeit von Grote auch
noch andere von S a li 1 i u. a. vorliegen, die gegen den Wert der
angezogenen Methode sprechen. Jedenfalls ist dieselbe so schwie¬
rig, dass sie nicht jeder Praktiker sich aneignen kann, und die
Fehlerquellen gar nicht zu übersehen, bis nicht weitere genaue
Prüfungen nach dieser Richtung vorliegen.
(Schluss folgt.)
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 5. M ä r z 1902.
Vorsitzender: Herr C. Fraenkel. *
Vor der Tagesordnung:
Herr Schmidt-Rimpler spricht unter Vorlegung eines
Präparates über die Diagnose der Chorioidealsarkome. Das Prä¬
parat stammt von einem älteren Manne, der zuerst vor einem
halben Jahre eine Verschlimmerung im Sehen des rechten Auges
bemerkt hatte. Bei der Aufnahme wurde etwas unter der Macula
eine fast kreisförmige Netzhautablösung konstatiert, die eine ge¬
wisse Aehnlichkeit mit einer subretinalen Cysticercusblase hatte.
Der Mangel an Beweglichkeit, eine etwas unregelmässige Be¬
schaffenheit des Randes an einer Stelle — es fanden sich hier Kon¬
turen, die einzelnen kleineren Knötchen zu entsprechen schienen —
und der ganz leicht ins rötliche schlagende Farbenton der abge¬
lösten mittleren Netzhautpartie sprach für eine subretinale Ge¬
schwulst. Dieselbe — ein Leukosarkom — hatte etwa Erbsen¬
grösse, war ziemlich rund und ragte 2 mm über der Chorioidea
hervor, wie auch das Präparat zeigte.
In Obigem sind bereits die differentiellen Momente angegeben,
welche uns in einzelnen Fällen die Diagnose zwischen einfacher
und einer durch Chorioidealsarkome bedingten Netzhautabhebung
stellen lassen. Besonders wichtig halte ich die Randdurchmuste-
rung, wobei man am ehesten kleine periphere, knotenartige Partien
im Gegensatz zur einfachen Netzhautablösung erkennt. Auch die
Straffheit der blasenförmigen Abhebung sowie die oft rundliche
Form erregen den Verdacht auf Chorioidealturnoren, wenn ein sub
retinaler Cysticercus, der bei längerer Beobachtung sich durch
Bewegungen und Ortsveränderungen kenntlich machen wird, aus¬
geschlossen ist. Auf den eigentümlichen schillernden Rand der
Peripherie, auf den zur Diagnose des Cysticercus hingewiesen
wird, möchte ich nicht allzuviel Gewicht legen, da man ihn ge¬
legentlich ähnlich auch bei straffen Ablösungen aus anderer Ur¬
sache sieht. Aber es kommen auch Exsudationen bei um¬
schriebenen Cliorioiditcn vor, die eine pralle rundliche Netzhaut¬
ablösung herbeifuhren. Ist nun gar bei einer Cliorioidealgeschwulst
die Netzhautablösung grösser und schlaffer geworden und über¬
deckt das Exsudat die Geschwulst, so wird die Diagnose besonders
schwierig. Auch hier wird die genaue Untersuchung der Rand¬
partien, wo man öfter kleine Knötchen sieht, von Bedeutung sein.
Sonst sind von A\ ichtigkeit die Tensionszunahme, Erschei¬
nungen von Sekundärglaukom und Schmerzhaftigkeit: all dies
spricht ebenso wie das Auftreten ausgedehnter episkleraler
Gebisse für iumorbildung. Aber diese gewöhnlich angegebenen
Symptome fehlen auch nicht selten, besonders im Beginn. Man hat
dann versucht, sich durch die Skleralpunktion, ähnlich wie wir sie
bei Netzhautablösungen therapeutisch anwenden, Auskunft zu
schaffen. Eine mikroskopische Untersuchung des entleerten
Sekrets und das nach der Entleerung veränderte ophthalmo¬
skopische Bild wird bisweilen die Diagnosenstellung ermöglichen.
Aber einmal kann der Sitz der Ablösung am hinteren Aug npol den
operativen Eingriff sehr erschweren und dann liegt in ihm die Ge¬
fahr, dass beim Vorhandensein einer Geschwulst eine Propagation
ihrer Keime durch die Punktionsöffnung nach aussen hin ermög¬
licht wird. Ich möchte daher auf eine weitere Untersucshungs-
methode die Aufmerksamkeit lenken, die von mir besonders in
letzter Zeit geübt worden ist, nämlich die lokale So n d e n -
palpation des Augapfels. Man kann nämlich durch
Betasten der Sklera bei Tumoren an der betreffenden Stelle häufig
eine Erhöhung der Resistenz konstatieren; man bedient sich hierzu
am besten des nicht zu kleinen Knopfes einer Sonde, der senkrecht
aul die Bulbuswand gesetzt wird. Beispielsweise gelang es bei dem
oben beschriebenen Augapfel gleich nach der Enukleation durch die
lokale Betastung die umschriebene Resistenz ganz exakt abzu¬
grenzen: die darauf gemachte Sektion bestätigte den Sitz der Ge¬
schwulst. Mit einer gebogenen Sonde würde man auch bei
Tumoren, die in der Nähe des hinteren I’oles ihren Sitz haben,
nach einer Konjunktivalinzision leicht zu der verdächtigen Stelle
dringen und sie betasten können. Die Diagnose von Ghorioideal-
verknöcherungen in phthisischen Bulbi stellen wir bekanntlich
schon lange durch Betastung; sie soll aber auch, wie erwähnt,
bei Tumoren und bei manchen anderen Prozessen eine mehr
m ethodisehe V e r w e n d u n g finden. So gab bei einem
zur Enukleation gekommenen Bulbus beispielsweise eine Glas¬
körperschwarte deutlich bei der lokalen Betastung eine um¬
schriebene Resistenzvermehrung, die sich fühlbar machte, trotz¬
dem zwischen der Schwarte und der Retina ein Exsudat lag.
Herr Nebelt ha 11 gibt einen Bericht über die Er¬
fahrungen, welche bisher mit den verschiedenen Ag’g’lutinations-
verfahren bei Tuberkulose gemacht wurden. Er demonstriert die
Agglutination einer Tuberkolbazillenemulsion, welche ihm von
Herrn Geheimrat v. Behring giitigst zur Verfügung gestellt
wurde, und welche nach den von R o m b e r g in der Deutsch,
rned. Wochensohr, gegebenen Vorschriften bereitet war. Als
feststehend darf betrachtet werden, dass in einer Reihe von kli¬
nisch sicher nachweisbarer Tuberkulose die Reaktion versagte.
Die Serumdiagnose ist also, wie bereits R o m b e r g und Ivoch
hei Verwendung der Emulsion, Fraenkel, Neisse. r,
D ieud o n n e, B e c k und Rabi nowitsch bei Verwendung
der Arloing-Cour m ont sehen Aufschwemmung hervor¬
gehoben haben, für die Stellung der Frühdiagnose der Tuber¬
kulose nicht brauchbar. Wie der positive Ausfall der Probe zu
verwerten ist, dürfte zur Zeit noch nicht definitiv zu ent¬
scheiden sein, da die letzte Ursache der Agglutination noch nicht
erkannt ist.
Besprecli u n g: Herr F r a e n k el bemerkt, dass er nach
seinen Versuchen mit den Kulturen von A r 1 o i n g und C o u r -
mont der ganzen Methode wenigstens einen praktischen
Wert für die Erkennung der Tuberkulose n i c h t beizumessen ver¬
möge und in dieser Auffassung auch durch die neueren Mit¬
teilungen von Romberg und Koch nicht erschüttert sei. Es
sei ja schliesslich möglich, dass, wie Romberg behaupte, eine
positive Reaktion bei Abwesenheit aller sonstigen Zeichen der
Erkrankung und bei ganz gesunden Menschen doch auf einen ver¬
steckten Herd hindeute und umgekehrt ein Fehlen der Aggluti-
nierung in ausgesprochenen Fällen durch die mangelnde Reaktions¬
fähigkeit des Körpers bedingt sei. aber eben wahrscheinlich sei
das nach den Beobachtungen von Beck und Rabi no¬
witsch an Rindern nicht, bei denen Temperatursteigerung nach
Injektion von Tuberkulin und positive Agglutinierung sich keines¬
wegs gedeckt hätten. Auch die Annahme von Koch, dass die1
Höhe des Agglutinationsvermögens einen Rückschluss gestatte
auf die Stärke der Abwehrkräfte des Körpers, finde in unseren
sonstigen bisherigen Kenntnissen keine Stütze, da ein solcher Zu¬
sammenhang zwischen Immunität, zwischen Bildung von Schutz
stoffen und agglutinierenden Substanzen, wie namentlich Pfeiffer
gezeigt, eben nicht bestehe.
Herr Aschaffen bürg1: Das ärztliche Berufsgeheimnis.
Vortragender bespricht eingehend die Schwierigkeiten, die
dem Arzte aus der Verpflichtung zur Wahrung des Berufsgeheim¬
nisses (§ 300 St.-G.-B.) erwachsen. Sie werden nicht gerade ver¬
ringert durch die Tatsache, dass die Juristen über die einzelnen
Bestimmungen und Paragraphen teilweise sehr verschiedener
Ansicht sind. So legt das Reichsgericht und der gebräuchlichste
Kommentar von Olshausen bei dem Ausdrucke „Privat¬
geheimnis“ den Hauptwert auf das erkennbare Interesse an der
No. 29.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1242
Geheimhaltung? während andere mit Recht das Hineinziehen
des Interesses, als eines subjektiven Elementes, für bedenklich
halten.
„Anvertraut“ ist alles, was in der Ausübung des Berufes
wahrgenommen wird, ohne dass es des ausdrücklichen Wunsches
der Geheimhaltung oder überhaupt einer mündlichen Mitteilung
bedarf. Zum „Offenbaren“ genügt schon die Mitteilung an eine
2. Person ; auch etwas allgemein Bekanntes kann im Sinne des
5$ 300 offenbart werden.
Zur „unbefugten Offenbarung“ bedarf es nicht der Absicht,
zu schaden. „Befugt“ zur Offenbarung sind die Aerzte bei aus¬
drücklicher Erlaubnis des Anvertrauenden; „gezwungen“ bei
$ 139 St.-G.-B. (Kenntnis von einem bevorstehenden schweren
Verbrechen, das verhindert werden kann).
Die Abgabe eines Zeugnisses (und ebenso eines Sachver¬
ständigengutachtens) im Strafverfahren und im bürgerlichen
Rechtsstreit kann verweigert werden ; dazu berechtigt sowohl die
Straf- als die Zivilprozessordnung. Macht der Arzt von diesem
Rechte keinen Gebrauch, so ist die Aussage, nach Ansicht der
meisten, aber nicht aller Autoren, doch keine „unbefugte“.
Im Gegensätze zu dieser gesetzlich festgelegten Wert¬
schätzung des Berufsgeheimnisses in den schwierigsten Rechts¬
fällen, stehen zahlreiche Landes- und Polizeigesetze (Anzeige¬
pflicht bei ansteckenden Krankheiten, bei der Aufnahme in
Irrenanstalten, in einzelnen Ländern bei der Entdeckung von
Verbrechen, in Baden sogar schon bei der „Möglichkeit“, dass
ein Verbrechen vorliegt).
Den Antrag zur Strafverfolgung kann nach der Ansicht des
Reichsgerichtes nur der stellen, dessen Vertrauen getäuscht
wurde, während v. Liszt u. a. den für berechtigt halten, dessen
Interessen verletzt worden sind.
Im Anschluss an diese Ausführungen erörtert der Vor¬
tragende noch einige weitere Fragen (Recht zu klinischen Vor¬
stellungen, zur Veröffentlichung von Krankengeschichten, Be¬
gutachtung Verstorbener, Einklagen von Forderungen) und zeigt
an Beispielen, wie schwierig sich praktisch die Wahrung des Be¬
rufsgeheimnisses (Eheschliessung Geisteskranker, Luetischer,
Ehescheidungen, Feststellung von Paralyse bei Leuten in verant¬
wortlicher Stellung) oft gestaltet. Unter Umständen bleibt dem
Arzte oft nichts übrig, wie bewusst gegen den § 300 zu verstossen,
um grösseres Unheil zu verhüten.
Besprecli u n g: Herr F i e 1 i t z weist auf mehrere Mög¬
lichkeiten hin. in denen der Arzt das Berufsgeheimnis gar nicht
wahren könne. Wolle er z. B. auf den Krankenscheinen der
Kassen mit Rücksicht auf den Patienten nicht die richtige Dia¬
gnose angeben, sondern diese verschleiern, so mache er sieh unter
Umstanden geradezu einer Urkundenfälschung schuldig. Kein
Angehöriger einer Krankenkasse könne auch auf Grund des §300
Klage erheben. Selbstmord müsse nach den bestehenden Vor¬
schriften stets angezeigt werden, ebenso Delirium tremens.
Herr Fr aenkel: Es handele sich hier jedenfalls um ein
recht schwieriges und heikles Gebiet; zuweilen verlangen gewiss
andere und wichtigere Interessen den Vorrang vor dem Berufs¬
geheimnis, wie bei der Entdeckung eines Mordes u. s. w. Immer¬
hin lasse sich nicht verkennen, dass oft von Aerzten gegen das
Berufsgeheimnis gefehlt werde, wo das gar nicht nötig sei und
siel i leicht vermeiden lasse. So sei es neuerdings in den medi¬
zinischen Veröffentlichungen Sitte geworden, die Patienten völlig
nackt von hinten und vorn, von rechts und links im photo¬
graphischen Bilde wiederzugeben; mindestens sollte man da das
Gesicht unkenntlich machen.
Herr Hessler bemerkt, dass man dem künftigen Schwieger¬
vater eines Patienten sicher nicht mitteilen dürfe, sein Schwieger¬
sohn sei syphilitisch; der Arzt könne dadurch in die grösste Un¬
gelegenheit kommen. Die Polizei könne aber doch Verordnungen
treffen, durch die auch der Arzt zur Anzeige gezwungen werde.
Herr Aschaffe n b u r g weist in seinem Schlusswort
darauf hin, dass er die ganze Frage zunächst nur vom theoretischen
Standpunkte habe beleuchten wollen, um namentlich zu zeigen,
dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen vielfach unklar
und widerspruchsvoll sind. Im konkreten Palle würde er sich ge-
Aviss häutig auch gar keinen Augenblick besinnen, das Berufs¬
geheimnis zu verletzen, wenn höhere Interessen auf dem Spiele
ständen.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 24. März 1902.
Vorsitzender: Herr Hochhaus. Schrift!’. : Herr Schulte.
Vor der Tagesordnung stellt Herr Dreyer einen Fall von
Primäraffekt der Wange vor.
Der 44 jährige Patient, Anstreicher von Beruf, den ich Ihnen
vorzustellen die Ehre habe, leidet an Lues, die mit einem Schanker
der Wange begonnen hat. Auf der rechten Wange, dicht neben
der Nase, in der Mitte zwischen Auge und Oberlippe, findet sich
jetzt eine eingezogene, senkrecht gestellte, etwa 1 cm lauge Narbe,
die von einem knorpelharten, geröteten, stark erhobenen, oval
gebildeten Itand umgeben ist. Eine Rötung mit geringer In¬
filtration hat die Hälfte der rechten Wange und beide Nasenflügel
ergriffen und erstreckt sich bis zum Septum narium, das vorn eine
Erosion von Bohnengrösse zeigt. Charakteristische, indolente,
kastaniengrosse Drüsentumoren in beiden Submaxillargruber«
sichern zusammen mit der zirkumskripten, schmerzlosen Indura¬
tion die Diagnose. Ein derbes, grosspapulöses Exanthem hat den
gesamten Rumpf, Nacken, Hinterkopf, Hals, Stirn, Beuge- und
Streckseiten der Extremitäten befallen, während Hände und Füsse
frei geblieben sind. Am Penis finden sich einige Papeln links
neben dem Frenulum. Eine haselnussgrosse Drüse findet sieh
noch hinter dem linken Sternokleidomastoideus, sonst sind keine
Drüsen fühlbar, auch in den Leisten nicht. Die Milz ist nicht ver-
grössert. Der Pharynx ist leicht gerötet.
Die Erkrankung begann mit einer Schwellung des Gesichts
vor 8 Wochen ohne nachweisbare Ursache. Seit 4 Wochen besteht
das Exanthem. Vor 8 Tagen traten heftige Kopfschmerzen auf.
Patient ist seit 6 Jahren verheirathet, hat 4 gesunde Kinder,
deren jüngstes 5 Monate alt ist.
Wegen der grossen sozialen Bedeutung der ex trageni taten
Schanker glaubte ich den Patienten hier zeigen zu sollen. Die
Schanker der Wange sind sehr selten. Duncan Bulklay be¬
richtet in seiner grossen Statistik nur über 12 Fälle aus Deutsch¬
land, Holland und der SchAveiz. Fournier hat 40 Fälle ge¬
sehen, während er 328 Lippenschanker und 53 Schanker der
Zunge unter seiner Klientel, verzeichnet. Die Infektion erfolgt
auf Avideruatiirlichem Weg von den Geschleelitstheilen aus, durch
Kuss, Biss, Anspeien, Aussaugen von Wunden, indirekt durch
Finger, Handtücher. Taschentücher. Kompressen, Schwämme und
Rasiermesser. Häufig kann der Modus der Infektion, wie in
unserin Fall, nicht eruiert werden. Die Gesichtsschanker kommen
im Gegensatz zu den sonstigen extragenitalen Primäraffekten mehr
bei Männern als bei Frauen vor. Sie sind die häufigsten Schanker
der Kinder. Fournier unterscheidet zAvei Formen: 1. die ero-
siven Schanker, von denen ich eine Abbildung herumreiche, 2. die
geschAviirigen Schanker, zu denen der vorgestellte Fall zählt, der
wegen seiner Avallartig erhöhten Ränder von F ournie r als
Cliancre en lampion bezeichnet wird. Mehr als bei irgend einer
anderen Lokalisation und mit grösserer Möglichkeit ist die In¬
duration bei den Gesichtssckankern ausgesprochen. Von den
vielen Varietäten Avill ich nur die massigen Schanker hervorheben,
die auch bei tiefer Ulzeration erfahrungsgemiiss mit kleiner Narbe
heilen. In unserm Fall ist der Schanker mit einem Infiltrat der
Umgebung kompliziert — das ist eine Ausnahme, meist ist der Ver¬
lauf Avie der Beginn indolent. Die Heilungsdauer schwankt zwi¬
schen 4 und 8 Wochen. Die Drüsenschwellungen pflegen, wenn
die unteren zAA'ei Drittel des Gesichts befallen sind, die Sub¬
maxi 11a rdriisen zu betreffen. Trotz der Leichtigkeit der Diagnose,
Avenn man an einen Schanker denkt, sind Verwechslungen mit Im¬
petigo, Ekzem. Herpes, Akne, Frostknoten, Wunden, Furunkeln,
tertiären Syphiliden, Karzinomen und gewissen Sykosisformen vor¬
gekommen.
Herr D r e e s m a n n spricht sodann über Rhinoplastik.
Nach kurzer Charakterisierung der verschiedenen Methoden der
Rhinoplastik stellt Redner ein IG jähriges Mädchen vor, bei
welchem er nach Ausheilung eines Lupus eine totale Rhinoplastik
aus dem Vorderarm vorgenommen hatte. Am 5. IX. 99 wurde an
der Radialseite des Vorderarms (ähnlich Avie Israel, der indessen
die Ulnarseite benützte) ein Lappen gebildet, mit der Basis nach
der Hand zu. Dieser Lappen enthielt in seiner ganzen Länge
Periost und einen etwa 94 cm breiten Streifen des Radius. An
der Basis wurde der Knochenlappen vorläufig noch mit dem
Radius in Verbindung gelassen und durch untergeschobene Jodo¬
formgaze ein Wiederamvachsen verhindert. Ein Monat später
Avurde diese Knochenbrücke durchtrennt, der Lappen neugelegt
und auf der Wundseite durchTransplantationen gedeckt. Erst am
9. I. 1900, nach völliger Ueberhäutung der Wundfläche, Avurde der
Lappen in den vorher angefrischten Defekt eingenäht und nach
17 Tagen vom Arm abgetrennt. Die Fixierung des Armes geschah
nur durch Cambric- und appretierte Binden. Patientin wurde
keineswegs hierdurch besonders belästigt. Das Resultat ist auch
heute noch nach 2 Jahren auf jeden Fall ein sehr befriedigendes,
insbesondere auch was die Profilhöhe anbelangt, obschon der über¬
pflanzte Knochen nicht deutlich nachweisbar ist. Von der Bildung
eines Septum wurde Abstand genommen.
22. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1243
Zu demselben Kapitel demonstriert Redner eine stereoskopische
Aufnahme von einer 55 Jahre alten Frau, bei welcher er einen nach
Exzision eines Kankroids entstandenen Defekt des linken Nasen¬
flügels nach einer neuen Methode gedeckt hat. Redner verwandte
hiezu einen gestielten Lappen der Oberlippe, so dass der frühere
Lippensaum nunmehr die Umrandung des Nasenloches bildete.
Der Defekt in der Oberlippe konnte leicht vernäht werden und
hiuterliess eine kaum sichtbare Narbe in der Mittellinie. Das Re¬
sultat war nach jeder Richtung hin sehr zufriedenstellend.
2. stellt Redner einen Patienten vor, den er am 9. VII. 90
wegen Gehirnabszess operiert hat und den er am 22. II. 97 im
Allgemeinen ärztlichen Verein als geheilt vorstellen konnte. Seit
der Entlassung aus dem Krankenhaus war Patient ganz wohl, bis
sich im November 1900 hin und wieder Kopfschmerzen und epi-
leptiforme Anfälle einstellten. Die in letzter Zeit häutiger (mehr¬
mals am Tage) eintretenden Anfälle bestanden darin, dass Patient
plötzlich wie geistesabwesend stehen blieb oder auch einige
Schritte voran machte, dann einen lauten Schrei ausstiess, womit
der Anfall sein Ende hatte. Bei der Aufnahme am 20. III. 01
war über dem linken Ohransatz ein Defekt im Schädelknochen
fühlbar, der sich etwas vorwölbte und druckempfindlich war. Die
Augenuntersuchung ergab atrophische Verfärbung der Pupillen,
rechtsseitige gleichseitige Hemianopsie im oberen Quadranten;
Sehschärfe rechts = 1, links = %. Am linken Auge träge Pupillen¬
reaktion und Schwächung der Akkommodation. Geringe Ab¬
schwächung des Hörvermögens links. Puls 90. Bei der am 9. V.
vorgenommenen Operation wird ein 10 Pfennigstück grosser De¬
fekt in der Schädelkapsel freigelegt, aus dem sich eine weiche,
pulsierende Masse vordrängt. Letztere wird punktiert und ent¬
leeren sich hierbei 30 — 40 g klare Flüssigkeit. Die Sonde dringt
durch die Punktionsöffnung etwa 5 cm tief ein. Es wird ein sil¬
bernes Drain eingelegt und darüber der Defekt durch Plastik nach
M üller - König gedeckt. Wegen starker Durchtränkung musste
der Verband in den ersten Tagen 2 mal täglich erneuert werden.
Es trat hin und wieder leichte Temperatursteigerung, einmal
sogar bis 40 0 (am 6. Tag nach der Operation), Schläfrigkeit und
Erbrechen ein. Vom 22. Mai ab erfolgt ungestörte Rekonvaleszenz.
Die Anfälle sind bis heute, also beinahe 1 Jahr nach der Operation,
nicht wieder eingetreten.
3. demonstriert Redner ein flaches, 0 — 7 cm im Durchmesser
messendes karzinomatöses Ulcus der hinteren Magenwand,
welches ausser Schmerzen keinerlei Symptome bei dem 45 Jahre
alten Manne gemacht hatte. Die Probelaparotomie ergab ein
Karzinom, das durch Entfernung fast des ganzen Magens beseitigt
wurde. Das Duodenum wurde direkt an den Rest des Magens
mittels Murphyknopf angeheftet. Letzterer ging am 23. Tage ab.
Wegen der Spannung war ein Streifen Jodoformgaze an die hintere
Magenwand gelegt worden und entleerte sich in der ersten Zeit
nach der Operation zeitweise aus der Wunde etwas Mageninhalt.
Tatient hat inzwischen 14 Pfund zugenommen, muss sich aber
noch auf leichte Kost und geringe Quantitäten beschränken.
4. Demonstration eines Proc. vermiformis, der bei einer
33 jährigen Patientin zu einer gangränösen Schenkelhernie Ver¬
anlassung gegeben hatte. Bei der Operation des Abszesses wurde,
da Allgemeinerscheinungen keine vorhanden waren, an ‘eine Darm¬
wandhernie gedacht, und als sich der Bruchsack leer, aber gan¬
gränös erwies, die Bauchwand nach oben zu durch Vertikalschnitt
unter Spaltung des Lig. Poupartii eröffnet. Hierbei fand sich, dass
der Proc. vermiformis etwa in der Mitte spitzwinklig abgeknickt
war; nur die Spitze dieses Winkels lag in der Bruchpforte und
war gangränös. An der Spitze befand sich eine Perforation. Der
Wurmfortsatz wurde reseziert und die Wunde tlieilweise genäht.
Die Heilung erfolgte ungestört per secundam.
5. Demonstration eines Uterus mit verjauchtem, herzförmigem
submukösen Myom. Dasselbe stammte von einer 48 jährigen
Patientin und wurde mit gutem Erfolg per laparotomiam entfernt.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung- vom 22. April 1902.
Vorsitzender : Herr B a h r d t.
Schriftführer ; Herr Brau n.
Herr ßiecke demonstriert;
1. einen Fall von Lichen scrophulosorum in typischer Aus¬
breitung und Anordnung der Effloreszenzen.
2. ein Mädchen mit Xeroderma pigmentosum. Es ist derselbe
Fall, welchen Prof. Riehl am 29. I. 1901 in der Gesellschaft
demonstrierte. Während die Xerose der Haut, die ephelidenartigen
Pigmentflecke und die weisslichen, narbig-atrophischen Flecke
keine wesentliche Modifikation erfahren haben, ist die Tumoren-
hildung erheblich verändert. Eine Anzahl der Tumoren, welche
damals exkochleiert oder exstirpiert wurden, ist definitiv beseitigt;
ein Tumor, der damals ca. zehnpfennigstückgross in der hinteren
Nackengegend sass, hat die Grösse eines Thalers erreicht. Am
auffälligsten ist das Wachstum eines damals ldrschkemgrossen
Tumors an der linken Wange: derselbe hat jetzt eine Breite von
7 cm und eine Höhe von 8 cm erreicht und stellt ein speckig be¬
legtes, kraterförmig vertieftes, stark jauchendes, krebsiges Ge¬
schwür dar mit aufgeworfenen Rändern. Dasselbe hat die Mund¬
schleimhaut perforiert. Das Allgemeinbefinden ist gut. Prognose:
infaust. Therapie: chirurgisch.
Herr P ä s s 1 e r berichtete im November v. J. über 2 Fälle
von postapoplektischen Konvulsionen. Beide Patienten sind in¬
zwischen gestorben. Nur der 2. Fall wurde seziert. Es handelte
sich um einen Pat. mit chronischer interstitieller Nephritis, der im
Mai eine Apoplexie mit passagerer Hemianopsie, linksseitiger
motorischer und sensibler Hemiplegie erlitt, die sich bald wieder
fast vollständig zurückbildete.
Seit dieser Zeit waren bei dem Kranken häufig Krampf¬
anfälle aufgetreten, die stets den charakteristi¬
schen Verlauf von Rindenkonvulsionen zeigten.
Das Bewusstsein war bald erhalten, bald erloschen. In allen
schwereren Anfällen bestand eine Deviation conjugee
n a c lx der g e 1 ä li m ten resp. krampfenden Seite
hin. Nach jedem dieser Anfälle zeigte Motilität und Sensibilität
der gelähmten Seite eine vorübergehende stärkere Schädigung.
Das Besondere des Krankheitsfalles bestand darin, dass die
Rindenkonvulsionen n ach einer Apoplexie . aufgetreten
waren. Derartige Fälle sind um deswillen im Vergleich zu der
grossen Zahl von Hemiplegien ohne Krämpfe so selten, weil Hirn¬
blutungen bei Erwachsenen meist dann nur die Rinde lädieren,
wenn sie ausserordentlich umfangreich sind und so unmittelbar
zum Tode führen.
Anfang Februar 1902 traten bei dem Kranken ohne Ver¬
änderungen der Harnsekretion und Eiweissabscheidung allgemeine
nervöse Symptome auf, die als Erscheinungen einer beginnenden
Urämie gedeutet werden konnten. Nach einigen Tagen traten
2 Stunden lang dauernde Krämpfe in der bisher gesunden rech¬
ten Körperhälfte auf, verbunden mit Deviation conjugee nach
rechts, also wiederum nach der krampfenden Seite hin. In dem
darauffolgenden Koma waren alle Extremitäten vollkommen
schlaff, die Patella rreflexe beiderseits erhalten, gleich. Die Pu¬
pillen reagierten nicht auf Licht, e> r. Nach 2 Tagen erfolgte
im Koma der Tod, ohne dass sich die Krämpfe vorher wiederholt
hatten. — Bei der Sektion fanden sich 2 alte apoplek-
tische Herde in der Rind e, und zwar ein kleiner, etwa
pfennigstückgrosser im untersten Abschnitt der rech¬
ten hinteren Zent r alwindun g, der andere, etwas
grösser, auch mehr flächenhaft ausgebreitet im rechten Gyrus
fornicatus. Der Herd in der Zentralwindung entspricht der
motorischen Zone für den Fazialis, dürfte also den Reiz für die
häufigen, im Gesicht beginnenden linksseitigen Konvulsionen ab¬
gegeben haben. Ueber die Ursache der zeitweise stark im Vorder¬
gründe stehenden halbseitigen Sensibilitätsstörung liess sich aus
dem Obduktionsbefund keine Klarheit gewinnen, weil hier neben
dem Herd in der hinteren Zentralwindung auch derjenige im
Gyrus fornicatus in Betracht kam.
Die vor dem Tode auf getretenen Krämpfe
der rechten Kör per hälfte kamen auf Rechnung einer
frischen, mandelgrossen Blutung im linken
Centrum semiovale, die bis dicht unter die
Hirnrinde reichte.
Herr P ä s s 1 e r spricht über : Einig-e seltÄne Fälle von
Migräne. (Der Vortrag ist in No. 26 dieser Wochen scln-i ft ab¬
gedruckt.)
(Schluss folgt.)
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 15. Mai 1902.
Vorsitzender : Herr Unverricht.
Herr Reichard stellt einen 20 jährigen Mann vor mit
einem Kiemengangshautauswuchs. Hauttumor mit Knorpelkern
von der Grösse eines kleinen Fingergliedes auf der linken Hals¬
seite am vorderen Rand des Kopfnickers aufsitzend, steif heraus¬
ragend. Der Knorpelstrang geht ziemlich weit in die Tiefe hinein.
Diese Tumoren sind entwicklungsgeschichtlich nahe verwandt mit
der seitlichen angeborenen Halsfistel, entstammen wohl verspreng¬
ten Resten des zweiten Kiemenbogens, wie die Fistula colli dem
mangelnden Verschluss der zweiten Kiemenspalte. Dafür spricht
ihr gemeinsamer Sitz und der Befund des Knorpels als Netz¬
knorpel. Exstirpation des Tumors angezeigt wegen der durch die
Steifheit hervorgerufenen Unbequemlichkeiten und wegen der Ge¬
fahr maligner Entartung. Während die Operation der Fistula colli
congenita technisch sehr schwierig ist, besonders wenn ein Re¬
zidiv sicher verhindert werden soll, pflegen diese Tumoren meist
nicht in der Tiefe im Zusammenhang mit anderen Gebilden zu
stehen; hier lässt sich allerdings die Wurzel dieses „Visceral¬
knochens“ etwa 3 cm weit hinein fühlen. Derselbe Mann hat auch
eine Entwicklungshemmung im Bereiche des 1. Kiemenbogens,
nämlich eine leichte Hasenscharte.
Herr Krug: Bruch der Patella.
82 jähriger alter Herr rutschte in seiner Wohnung aus und zog
sicli einen Querbruch der linken Patella mit Zerreissung der apo-
neuritischen Bänder beiderseits zu, so dass die beiden Patellar-
fragmente ca. 9 cm klafften.
1244
MÜENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29.
Fixiert am 28.1.02. Knie gestreckt, Verband in Volk-
m a n n scher Schiene mit Hochlagerung (Entspannung des Quadi'i
zeps).
Am 30. I. 02 durch Punktion des Kniegelenks ca. 30 cm dickes
Blut entleert.
Quadrizeps von Anfang au mit leichter Massage behandelt.
Am 22. II. 02. Bein in Gipskniekappe gebracht, die aber nach
14 Tagen Dekubitus verursachte und wieder abgenommen werden
musste.
Auf weitere 14 Tage wieder Volk m a n n sehe Schiene.
Die beiden Bruchenden waren knorpelig vereinigt, so dass vor¬
läufig eine Kniekappe aus Zink-Leimverband genügte.
Seit 1. April geht Patient wieder. Die Bruchenden sind jetzt
verknöchert und die Patella ist in ihrer Gebrauchsfähigkeit nicht
im geringsten gehindert.
1*H skussion: Herr lt e i c h a r d: Der schöne funktionelle
Erfolg in dem vorgestellten Falle beweist wieder, dass man die
frischen Patellarfrakturen durchaus nicht zu nähen braucht. Punk¬
tion des Gelenkergusses, Heftpflasterfixierung der Fragmente mit
Gipsverband auf etwa 3 Wochen, dann Massage und Uebuugeii,
damit haben wir während meiner Assistententätigkeit in Berlin
stets tadellose funktionelle Erfolge erreicht.
Herr Pur r ucker widerspricht der Annahme einer
knöchernen Heilung der Patella, da sich die beiden Fragmente
deutlich gegeneinander verschieben lassen; es ist also nur eine
fibröse Verbindung zustande gekommen. Bei dem Alter des Ver¬
letzten sei das erreichte Resultat ein gutes zu nennen.
Herr Unver rieht zeigt das Rückenmark des Kranken
vor, welchen er in einer der früheren Sitzungen als einen Fall von
Syringomyelie vorgestellt hat. Der Patient ist inzwischen an
einer schnell fortschreitenden Lungentuberkulose gestorben. Die
Sektion bestätigte die Diagnose und ergab das Bestehen einer un¬
regelmässigen Höhlenbildung, welche fast das ganze Rückenmark
durchzog. Der 4. Ventrikel war stark erweitert. Daneben be¬
standen die charakteristischen Wucherungen der Glia.
U. geht noch einmal ausführlich auf die charakteristischen
Züge der klinischen Bilder ein, welche es ermöglichen, die Diagnose
zu stellen, und bespricht dann die anatomischen Eigentliümlich-
keilen der eigenartigen Erkrankung.
Herr Siedentopf demonstriert einen am Ende der Gra¬
vidität wegen Portiokarzinoms abdominal exstirpierten Uterus.
Die 35 jährige Fatientin hatte während der ganzen Schwanger¬
schaft Blutungen und Schmerzen gehabt, wandte sich aber trotz¬
dem erst nach Eintritt der Wehentätigkeit auf Rat der Hebamme
an einen Arzt, der ein ausgedehntes Portiokarzinom feststellte
und die Kreissende in S.’s Klinik schickte.
Die Untersuchung ergab eine Gravidität im letzten Monat,
kräftige Wehentätigkeit, vorgeschrittene Dehnung des unteren
Uterinsegments, einen für 2 Finger durchgängigen Muttermund
und eine ringförmige karzinomatöse Erkrankung der Portio, die
sich hinten auf die Scheidenwand fortsetzte. Die Parametrien
waren frei, das Rektum dagegen am Tumor nicht frei verschieblich.
Da eine genügende Dehnung der Weichteile zur Entbindung per
vias naturales ausgeschlossen war, so machte S. die Laparotomie,
eröffnete den Uterus mittels queren Fundalschnitts und entwickelte
leicht einen kräftigen, lebenden Knaben. Die Blutung aus der
Kaiserschnittwunde war gering, der Uterus kontrahierte sich gut.
Nach Entfernung der Plazenta und Eiliiiute wurde die Wunde
zwecks völliger Blutstillung mit einigen durchgreifenden Nähten
geschlossen und dann die abdominale Exstirpation des Uterus aus¬
geführt. S. verfuhr hierbei in Anlehnung an die W e r t h e i ru¬
sche Methode so, dass er nach Spaltung der Ligamenta lata die
Blase mit den Ureteren nach vorn ziehen liess, sodann die Liga¬
menta und ihre Basis möglichst weit nach aussen bis zum zweiten
Scheidendrittel unterband, die Scheide unterhalb des Karzinoms
mit 2 Klammern verschloss und darunter durchtrennte. Die Liga¬
turen wurden kurz abgeschnitten und die Scheidenwände mit eini¬
gen Nähten aneinander gelegt. Die Ablösung des mit der hinteren
Uteruswand verklebten Rektums gelang leicht, die besonders hier
befindlichen zahlreichen infiltrierten Drüsen wurden soweit mög¬
lich entfernt. Der Verlauf war für Mutter und Kind gut.
Herr Böhnke: Ueber neuere Gesichtspunkte in der
Nierendiagnostik.
Nach einigen einleitenden Worten über die Bedeutung des
Ausdruckes „Niereninsuffizienz“ gellt Vortragender auf die Er¬
kennung derselben mittels der Bestimmung des Gefrierpunktes
von Ilam und Blut näher ein. . Die Ausführung dieser Methode,
die zuerst von A. v. Koran yi - Ofen-Pest in die Praxis ein¬
geführt ist, geschieht am zweckmässigsten mittels des Beck-
m a n n sehen Gefrierapparates, dessen Thermometer mit einem
fixierten Nullpunkt versehen ist. Der Gefrierpunkt des mensch¬
lichen Blutes stellt nach Koranyi u. a. unter physiologischen
Bedingungen eine konstante Grösse dar, nämlich — 0,56 0 C.,
d. h. eine Erniedrigung des Gefrierpunkts von 0,56 0 unter dem
des destillierten Wassers, wobei Schwankungen von — 0,55 0 bis
— 0,57 0 noch als normal zu betrachten sind. Eine Zunahme
der Gefrierpunktserniedrigung des Blutes (cf) auf — 0,58° und
— 0,60 " und darüber zeigt an, dass eine Niereninsuffizienz vor¬
handen ist.
Die normale Gefrierpunktserniedrigung des Harns (J)
schwankt zwischen 1,3 0 und 2,3 ü C. nach K o r a n y i, zwischen
0,9 0 und 2,7 0 nach Linde m a n n. Gefrierpunktserniedri¬
gungen, die kleiner sind als 0,9 " C., deuten auf eine Erkrankung
der Nieren hin.
Bei der Bestimmung von j ist nur frischer Harn zu ge¬
brauchen; die Menge des Eiweisses spielt dabei keine Rolle.
Bei jeder Blutuntersuchung braucht man etwa 15 — 20 ccm
Blut; es ist dabei nach vielen Untersuchungen als erwiesen zu
betrachten, dass Gesamtblut und Serum den gleichen osmotischen
Druck, d. h. denselben Gefrierpunktswert haben.
Da der Kohlensäuregehalt den Gefrierpunkt <f meist um
0,02 — 0,03 herabsetzt (Koranyi, K o v ä c s), ist vor jeder
Bestimmung von d festzustellen, inwieweit sich der Gefrierpunkt
des Blutes durch Sauerstoffeinwirkung — also eventuell durch
Schütteln mit Luft — beeinflussen lässt. Eine Zunahme von <f,
welche der Sauerstoffbehandlung nicht weicht, bedeutet eine
Niereninsuffizienz. Ferner erfordert die Diät der Kranken bei
jeder Untersuchung eine Berücksichtigung. Ausserdem kann
eine Niereninsuffizienz vorgetäuscht werden durch gleichzeitig
bestehende Anämien und Kachexien, ferner bei grossen Tumoren
in der Bauchhöhle, bei einseitigem Nierenschmerz und sehr
grosser einseitiger Nierengeschwulst.
Beim Unterleibstyphus ist entgegengesetzt den Ausfüh¬
rungen W aldvogels d normal (Koranyi, R u m p e lj,
ebenso // beim Diabetes mellitus; bei Diabetes insipidus ist der
Gefrierpunkt des Harns und Blutes abnorm gering (M. Se¬
nator). Bei inkompensierten Herzfehlern ist d abnorm gross.
Die Gefrierpunktserniedrigung des Harns lässt nach
Lindemann parenchymatöse und interstitielle Nephritis
durch die Höhe der Gefrierpunktserniedrigung von einander
unterscheiden, nach K ö vesi und Roth-Schu l.z durch die
verschied eine Veränderlichkeit derselben bei der Wasserzufuhr.
K o r a n y i selbst ist der Ansicht, dass die Gefrierpunktsemie-
dri'^ng des Harns bei den verschiedensten Nephritiden abnorm
gering ist und dass sich diese Verringerung nach der Schwere
des Falles richtet, dass sich aber keine charakteristischen Ver¬
schiedenheiten zwischen den anatomisch und klinisch unter¬
scheidbaren Formen der Nephritiden durch die Gefrierpunkts¬
bestimmung ausfindig machen lassen. Bei der Urämie ist die
Gefrierpunktserniedrigung des Blutes meist, aber nicht in der
Regel erhöht. Die Untersuchungen des Vortragenden haben
diese Anschauungen bestätigt. Vortragender geht dann noch
auf die Untersuchung des Urins jeder einzelnen Niere vermittels
des Ureterenkatheterismus ein und hebt als besonders geeignete
Methode zur Feststellung der Funktionsfähigkeit jeder einzelnen
Niere die von Casper und Richter erprobte Phloridzin¬
methode hervor. Die erkrankten Nieren ergaben nach subkutaner
Injektion von 0,005 Phloridzin je nach dem vorgeschrittenen
Stadium eine wesentlich geringere oder gar keine Zuckeraus¬
scheidung. Diese Methode im Verein mit der Gefrierpunkts¬
bestimmung des Harns und Blutes ist geeignet, ein klares Bild
von der Arbeitsleistung jeder Niere zu verschaffen.
Diskussion: Herr U n v erricht bespricht im Anschluss
an den Vortrag des Herrn Böhnke die Bestrebungen, über die
funktionellen Leistungen der Nieren Aufschluss zu bekommen, wo
Albuminurie oder andere Zeichen einer gröberen anatomischen Ver¬
änderung vermisst werden. Hierher gehören die Ausscheidungs¬
verhältnisse gewisser im Urin leicht nachweisbarer Stoffe, wie .Tod¬
kalium, Anilinfarbstoffe etc. die Glykosurie nach Phloridzin und
die von dem Vortragenden des Näheren erörterten Veränderungen
des Gefrierpunktes von Blut und Urin.
U. selbst hat sich seit seiner Dorpater Zeit lebhaft an der¬
artigen Versuchen beteiligt, exaktere Ergebnisse sind aber wohl
nur mit den Gefrierpunktsbestimmungen zu erreichen, welche uns
den Zutritt zu einem noch unübersehbaren Gebiete klinischer Er¬
kenntnis eröffnen. ^
Wenn auch die Verhältnisse hier zunächst noch kompliziert
und nicht immer leicht zu übersehen sind, so liegen doch jetzt be¬
reits eine Reihe von Mitteilungen vor, welche beweisen, von wel¬
cher einschneidenden Bedeutung die Gefrierpunktsbestimmung
für das ärztliche Handeln, insbesondere für die Vornahme wich¬
tiger Operationen sein kann.
22. Juli 1902.
MHENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHEIET.
1245
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Societe de Chirurgie.
Sitzung vom 7. M a i 1902.
Indikationen der verschiedenen Arten von Anästhesie.
(Hi a put hält die lokale Anästhesie mit Kokain oder Clilor-
ätliyl für indiziert bei: kleineren Operationen, bei Kranken,
welche grosse Furcht vor der allgemeinen Anästhesie haben, bei
Diabetikern, ferner bei oberflächlichen Laparotomien und Hernien;
sie ist kontraindiziert bei Kindern, bei sehr aufgeregten Leuten
und bei irgendwie komplizierten Laparotomien.
Die Rhacliikokainisation ist die Anästhesie der Wahl bei Ope¬
rationen an den Unterextremitäten, am Anus, Itektuin, am Uro¬
genitalapparat; sie kann bei oberflächlichen Laparotomien und bei
Hernien angewandt werden und ist indiziert für die Operationen
am Thorax und schwierige Laparotomien, wenn die allgemeine
Anästhesie gefährlich scheint.
Die letztere ist immer anzuwenden bei Kindern, aufgeregten
1 .enteil und für komplizierte Operationen, sie ist kontraindiziert
bei furchtsamen Patienten und bei schlechtem Allgemeinbefinden.
Societe medicale des hopitaux.
Sitzung vom 30. Mai und 6. Juni 1902.
Zur Behandlung der Chorea.
C o m b y behandelt die Chorea durch absolute Bettruhe
fwährend 14 Tage), Milchdiät und feuchte Wicklungen, welche
jeden Morgen % — 1 Stunde lang den kleinen Patienten appliziert
werden. In mittelschweren und schweren Fällen gibt er noch
Antipyrin (0,5 pro Tag und Lebensjahr) und Arsenik, Anfangs in
starken, aber sehr verdünnten Dosen. C. hält Arsenik für erfolg¬
bringender wie Antipyrin, bedient sich der B o u d i n’schen Lösung
(1:1000) und gibt 10 g dieser Lösung in irgend einem wohl¬
schmeckenden Getränke einem Kinde von 8 Jahren, 2 stündlich
1 Esslöffel, etwas Milch nachzutrinken. Alle Tage wird die Menge
dieser Lösung um 5 g bis auf 30 g vermehrt und dann allmählich
wieder heruntergegangen. Bei schweren Fällen von Chorea ist
ausserdem relative Isolierung der Kranken, kein gemeinsames
Spiel, keine geistige Arbeit, also ebenso geistige wie körperliche
Ruhe geboten.
Mery hat mit Na cacodyl. keinen Erfolg, aber sehr gute Re¬
sultate mit Tartar, stib. gehabt (0,4 — 0,6 pro die in schweren
Fällen), von diesen berichtet auch Tr iboulet, dessen Vater mit
erschreckend hohen Dosen Weinsteins ausserordentliche Erfolge
bei Chorea gehabt habe.
Moizard wendet nur mehr den Arsenik an, und zwar in
vorsichtig steigenden Dosen und in Verbindung mit Bettruhe.
Sevestre konstatiert im Gegensatz zu M o i z a r d die
günstigen Erfolge mit Antipyrin (in stets steigender Dosis),
Na cacodyl. und mit Arrhenal bei der Behandlung der Chorea,
V a r i o t bestätigt die günstige Wirkung des Arrhenals, welches
darin das Na cacodyl. noch übertreffe.
XIV. internationaler medizinischer Kongress
z u M a d r i d v o m 23. — 30. A p r i 1 1903.
(Vorläufiges Progra m m.)
Vorsitzender des Deutschen Komitees: Professor Rudolf Virchow,
Schriftführer: Professor C. Posner in Berlin.
Angemeldete Referate und Vorträge.
I. Anatomie. Referate: 1. Welches ist die beste Methode
der didaktischen Darstellung des Nervensystems? Ref. *) —
2. Positiver Wert anatomischer Messungen für die ethnische Be¬
stimmung der Individuen. lief. Sergi-Rom, Live- ßom,
M a n o u vrier - Paris. — 3. Struktur der Nervenzelle. Ref.
G o 1 g i - Tavia, Fusari - Turin, Holmgren - Stockholm. — -
4. Ursprung der Fibroblasten in normalen und pathologischen ver¬
bindenden Neuformationen. Ref. *). Vorträge: Waldeyer-
Berlin: Die Struktur des Sperma.
II. Physiologie, biologische Physik und Che¬
mie. Referate: 1. Physiologische Wirkung des Saccharins. Ist
dasselbe aus Nahrungsmitteln und Getränken zu entfernen und
lediglich als therapeutisches Mittel anzuwenden?' Ref. Puerta
y R o d e n a s. — 2. Einfluss der Drüsengifte auf die Muskel¬
kontraktion. lief. Zuniga, Christiani - Genf. — 3. Bio¬
chemische Studie über organometalloide und metallische Ver¬
bindungen. Ref. M u r u a y Vale r d i. — 4. Experimentelle
pankreatisehe Glykosurie. Ref. Diaz del Villar, Alber¬
to u i - Bologna, Bott a z z i - Florenz.
III. Allgemeine Pathologie, pathologische
Anatomie und Bakteriologie. Referate: 1. Parasitis¬
mus in den Neubildungen. lief. Marchiaf ava-Rom. — 2. Genesis
des Sarkoms. Ref. *). — Blastomycetisclie Läsionen, lief. *). —
4. Uebereinkunft über eine Revision der Klassifikation und Be¬
schreibung der bekannten Bakterien. Ref. Mendoz a, G o s i o -
Rom. — 5. Impfungen mit kulturellen und chemischen Flüssig¬
keiten. Ref. Lustig- Florenz.
*) Referent noch nicht bestimmt.
IV. Therapeut ik und Pharmazie, a) Thera¬
peut i k. Referate: 1. Beziehungen zwischen der chemischen Zu¬
sammensetzung und der physiologischen Wirkung der Arzneimittel.
Ref. Noguer a, Brunto-n - London , Cervello - Palermo,
B a r d e t und R obin - Paris. — 2. Gefahren und Erfordernisse
der sogen, intensiven Behandlung der chronischen Krankheiten,
spez. der Tuberkulose. Ref. E s p i n a y Cap o, Hayem - Paris.
— 3. Nutzen und Gefahren der Kokainisirung des Rückenmarks
in der Medizin und Chirurgie. Ref. Ti y Suner - Barcelona,
T u f f i e r - Paris, Postempski - Rom. — 4. Mechanismus der
physiologischen und therapeutischen Wirkung der llypnotika und
Narkotika. Ref. Peset y C e r v e r a - Valencia, Chirone-
Neapel. _ - 5. Die endoveuöse Therapie. Referent Rossoni -Rom,
R u m m o - Palermo. — G. Die Therapie des Tetanus. Methode von
B accell i. Ref. Z e r i - Itom. — 7. Die Therapie der Maul- und
Klauenseuche, Methode von Baccelli. Ref. Loriga-Rom.
_ Mitteilung: P e g u r i e r - Nizza : Die klinischen Formen der
Lungentuberkulose und ihre therapeutischen Indikationen.
b) M edizl-nische II y drol o g i e. 1. Physikalisch-che¬
mische Studie über die neuen gasförmigen Elemente Argon und
Helium in den Mineralwässern. Ref. Llo-rd y Oamboa,
p o s k i n - Spa, D u r a n d - F ardel - Paris, Vinaj- Turin. —
2. Die Syphilis und ihre baineotherapeutische Behandlung. Ref.
T a boa'd a. Soffiantini - Acquarossa, Keller- Rheinf olden.
_ 3. Die Tuberkulose und ihre baineotherapeutische Behandlung.
Ref. Lacort, Cazanz - Eaux-Bonnes. — Vortrag: Qualitative
und quantitative Bestimmung des Fluor in" den Mineralwässern.
o) p h a r m a z i e. Referate: 1. Therapeutische Bewertung
der antitoxischen Sera. Ref. de Castro y rase nah -
2. Wichtigkeit und Uebcrlegenlieit des Kolloidzustandes des Stoffes
bei der Präparation und der pharmakologischen Wirkung der
Arzneimittel. Ref. Capdepon. — 3. Die subkutanen Injektio¬
nen. ihre pharmazeutische Bezeichnung und Uebereinkunft über
die Redaktion einer einheitlichen Pharmakopoe dieser Präparate.
Ref. A 1 c o b i 1 1 a, Buf alini- Florenz. — 4. Notwendigkeit und
Nutzen der Arzneimittel von bestimmter therapeutischer Kraft;
Annahme eines allgemeinen Verfahrens ihrer Gewinnung, Pai-
stellung und Würdigung. Ref. U de.
V. Interne Pathologie. Referate: 1. Zerebrales, kar¬
diales und renales üebergewicht der Infektionen. Ref. Castel-
1 o i — ° Aetiologie und Prophylaxe des Sumpffiebers. Ref.
Barrero, C e 1 1 r- Rom, As coli -Rom. — 3. Pathogenese der
Herzarrhythmie. Ref. Espinay C a p o, Castellino - Neapel.
— 4 Anwendung der neuen Forschungen über die physikalischen
und chemischen Eigenschaften des Blutserums auf die medizinische
Klinik Ref. L u ca. t e 1 1 o - Padua. -- 5. Aetiologie und Therapie
der Pellagra. Ref. Devoto- Pavia. — 6. Die Diät beim Typhus.
Ref. Queirnlo - Florenz. — Mitteilungen: Hassan M ah m u d
Pasch a - Kairo: Zitronensaft bei Angina. - Ballota Taylor-
Santander: Pathogenese und Nosographie der Tuberkulose.
VI Nerven- und Geisteskrankheiten, krimi¬
nelle Anthropologie. Referate: 1 . Toxische und infektiöse
Geistesstörungen. Ref. Galiana. - 2. Psychische Aetiologie
und Therapeutik. Ref. II erre r o. — 3. Zentrum der Projektion
und Assoziation im Gehirn nach den Bestimmungen der gegen¬
wärtigen pathologischen Anatomie. Ref. B i a n c h i -Neapel. —
4. Klinische Studie über Agnoscie und Msymbolie. Ref Si marro
v Lacabra _ 5 Abgrenzung der pathologischen Natur des \ ei
brechens. Ref. S a 1 i 1 1 a s, M o r s e 1 1 i - Genua. - 6. Ueber das
Eingreifen der Psychiatrie in der verbesserten Behandlung du
Verbrecher. Ref. Martinez, L o m broso- Turin. —
teilung: Skaiski- Vouvant: Wirkung des tierischen Elektromag-
ne lsnuis. pädiatrie. Referate: 1. Therapeutischer Wert der
Scrumbeliandlung der Diphtherie. Ref. Llorente j Males,
C o m b v - Paris, Cervesato - Bologna, Concetti - Rom.
2. Behandlung des Klumpfusses. Ref. Angel, Broca-Ians,
Lorenz -Wien, G li i 1 1 i n i - Bologna. — 3. Behandlung der Ge-
lenktuberkulose. Ref. Ribera y Sans L a n nel° n: S« e-
Paris, H o f f a - Berlin. — 4. Säuglmgsernahrung. Ref. Cala
traveno, Rousseau - Saint - P h i 1 i p p e - Bordeaux, G u -
a i t a - Mailand. _ , . . . . . „ t».,
VITI. Dermatologie und Sy.philijtra.ph . v„
ferate- 1 Der Tripper vom sozial-medizinischen Standpunkt liei.
Men d o z a F in g e r - Wien. Bertarelli- Mailand, H -
f e t a - Oienmi, M i 1. c 1 li - Parma. - 2 Parasyphmtisehe Krank-
beiten. Retrospektive Diagnostik der Syphilis. Ri • 1 '
D ucrev- Fisa. — 3. Behandlung des 1 ruritus. Ref. A z u a
4 Die Purpura. Ref. A z ü a. — Mitteilungen: R a v o g -
Cincinnati: Die histopathologischen Veränderungen dei Blut- und
Lvmphgefässe bei der Syphilis. — Alpni AI,.. . ' «
Iv'iltnis der Rassen zur Syphilis, b) Studien zur tropische >
diilis.’ _ B a r 1 1, e 1 e m y - Paris: Die Behandlung der Syphilis mit
intrafasziären Injektionen unlöslicher Quecksillierprapaiate.
IX. A'l 1 g e m e i n e C h i r u r g i e. a) C li i r u r g i e u n d
c h i rVr tische O p e r atione n. Referate: 1. Postoperativer
Tod lief II i b e r a, G iord a n o - Venedig, Biondi - Siena.
- 2. Indikationen des chirurgischen Eingreifens i,el ,^3“ C Sc¬
heiten. Ref. Cardenal- Barcelona No v a 1 a - Genua
., herelli - Parma, II a r t m a n n - Paris. — _ M itteilungen .
gpre a f i c o- Almeria: Chirurgische Anästhesie mittels der Racln-
1246
MUENCIIENER MEDICIN1SCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
kokainisation. — H a r v e y lt e e d - Rock Springs: Eine neue
wirksame Methode der Fixation der Niere.
1») 1, r o 1 o g i e. Referate: 1. Dauerresultate der chirurgischen
Behandlung maligner Nierentumoren. Ref. M o 1 1 ä - Valencia,
A z c a r r e t a - Barcelona, Pousson - Bordeaux, Mariani-
Genua. — 2. A ergleichende Beurteilung der gegenwärtig verfüg¬
baren Mittel zur Funkt ionspriifung der Niere. Ref. Bravo,
R e g i d o r, A 1 b a r r a n - Paris, M y a - Florenz, Casper und
Richter- Berlin. — Mitteilung: Har v e y R e e d: Einpflanzung
des Dieters in das Rektum.
X. O p li t li a 1 m o 1 o g i e. Referate: 1. Chirurgische Be¬
handlung der Erkrankungen der Tliränenwege. Ref. Castre-
s a n a y G o i e o e c h e a, R e y m o n d - Turin, T a rtuf eri-
Bologna, L aperso n n e und R o e h o n - D u v i g n a u d - Paris.
- 2. Notwendigkeit der Yergleiehheitliehung der optometrisclien
Masstiibe. Ref. Cuevag y P u 1 i d o, L a n d o 1 1 - Paris. _
Neuritis optica im Verlaufe akuter Krankheiten. Ref. Sanz y
B 1 a n c o, V i n e e n t i - Neapel. A n t o n e 1 1 i - Paris. — 4. For¬
schungen über die Wirkungen von Arzneimitteln auf die rupille,
die Akkommodation und die intraokuläre Spannung. Ref. Alär-
q u e z R o d r i g u -e z.
XI. O t o - R li i n o - L a r y n g o 1 o g i e. a) O t o 1 o g i e. Re¬
ferate: 1. Ursachen der Taubstummheit. Ref. Y e r d 6 s - Barce¬
lona, Cast o x - Paris, Schmiegelow - Kopenhagen. — 2. Ana¬
tomische und klinische Studie über das Cholesteatom. Ref. Bara¬
jas, S c h w a r t z e - Halle, C o z z o 1 i n o - Neapel. — 3. Nach¬
behandlung chirurgischer Eingriffe am Ohr. Ref. Bot ey- Bar¬
celona, L e r m oyez - Paris, v. Stein- Moskau.
b) Rhino-Laryngologi e. 1. Ist die chirurgische Be¬
handlung des Kehlkopfkrebses jeder Art und in allen seinen
Phasen oder Perioden vom sozial-medizinischen Standpunkt aus
angezeigt.'1 Ref. Sota y L a s t r a - Sevilla. — 2. Würdigung der
lokalen Behandlungsmethoden der Larynxtuberkulose. Ref. C a -
s a d e s u s - Barcelona, K r a use - Berlin, G razzi - Florenz,
M a s i n i - Genua. — 3. Ist die atrophische Rhinitis immer auto-
chthouer Natur? Notwendigkeit genauer Diagnostik zur Bestim¬
mung der Behandlung. Ref. PelÄez - Granada, Moure-
Rourdeaux, F r e u d e n t h a 1 - New-York. — Mitteilung: Her¬
rn o y e z und Maliu: Heissluftbeliandlung in der Rhino-Laryngo-
logie.
XII. Zahnheilkunde und Stomatolo g i e. Referate:
1. Behandlung und Verschluss von Zähnen mit kranker Pulpa.
Ref. Ha r d an - Chicago, Losa d a. — 2. Zahnärztliche .Mikro¬
skopie. Ref. W i 1 1 i a m s - London, C li o q u e t - Faris. _ 3. Buceo-
faziale Prothesen. IUf. AI a r t i u - Lyon, Guerini - Neapel,
D e 1 a i r - Paris. — 4. Die zur Ausübung der Zahnheilkunde nö¬
tigen Kenntnisse und der Unterricht darin. Ref. G o d o n - Paris,
A gu i 1 a r. — 5. Wesen und Behandlung der alveolaren Pyorrhoe.
Ref. H o p e w e 1 1 S m i t h - London, Younger - Chicago, D a -
m i a n s -Barcelona. — 6. Lokalanästhesie in der Zahnheilkunde.
Ref. A in o e d o - Paris, G i u r i a - Genua.
XIII. Geburtshilfe und Gynäkologie. Referate :
1. Indikationen der Hysterektomie bei akuter Puerperalinfektion.
Ref. C o r t i g u e r a - Santander, I' i n a r d - Paris. — 2. Behand¬
lung der Placenta praevia. Ref. C a n d e 1 a - Valencia, Pesta-
1 o z z a - Florenz, L e o p o 1 d - Dresden. — 3. Pathogenese und
Behandlung der chronischen zellulären und peritonealen Ent¬
zündungen des Beckens. Ref. G i 1 - Malaga, I) o 1 e r i s - Paris.
— 4. Indikationen und Resultate der Opotherapie in der Gynäko¬
logie. Ref. J a y 1 e - Paris. — 5. Konservative Chirurgie der
Adnexerkrankungen. Ref. F a r g a s - Barcelona, T r e u b- Amster¬
dam, P a 1 m e r D u d 1 e y - New-Ifork, Mangiagalli - Pavia.
Mitteilung: Salcedo y Gi liest al: Der künstliche Abort
und die künstliche Frühgeburt in ihren Beziehungen zum natür¬
lichen Recht, zur Theologie, zur Medizin und zum Strafrecht.
XI V. Militär- und F 1 o 1 1 e n - AI e d i z i n und -Hy¬
giene. Referate: 1. Lösung des Problems der Tuberkulose im
Heer. Ref. T r alle r. — 2. A'orteile und Nachteile der kom¬
primierten Arzneimittel in der Sanitätsausrüstung im Felde. Ref.
l'bed a y Cor r e a 1, AI a z z o n i - Rom. — 3. Einfluss des Sol-
datenlebens auf die Entwicklung von Nervenkrankheiten, speziell
von Psychosen. Ref. S a 1 i n a s. — 4. Hygiene der Land- und See¬
truppen an der Westküste von Afrika. Ref. Fernändez-
Caro. — 8. Prophylaxe der venerischen Krankheiten in der
Armee. Ref. A asque z, F a vre- Rom. — (!. Feldlazarette in mo¬
dernen Schlachtschiften. Ref. R e d ondo, C o 1 e 1 1 i - Rom. _
Mitteilungen: de Larra y Cerezo: Hygienische Probleme der
Ernährung in belagerten Plätzen. - T o m ä s del A'alle: Not¬
wendigkeit militärischer Sanatorien in Spanien.
NA'. H y g i e n e, E p i d e m i o 1 o g i e u n d medizinis c li e
1 e c li n o 1 o g i e. Referate: 1. Notwendigkeit der Bestimmung
des prophylaktischen AYertes der Desinfektion und Kriterien der
allgemein angewendeten AT erfahren. — 2. Praktische individuelle
und allgemeine Alittel zur Verhinderung der Ausbreitung der Dys¬
enterie. Ref. La rra y Cerezo. 3. Errichtung von Gesund¬
heitswachen an den Landesgrenzen. Ref. A n d r e s, Pagliani-
Turin. — 4. Nützlichkeit antituberkulöser Dispensatorien als Alittel
der A'ermehrung der Widerstandsfähigkeit der unteren Klassen.
Ref. Per 0, S c 1 a v o - Siena. — 5. Die Hygiene und die Abflüsse.
Ref. N o v o, B e n t i v e g n a - Rom.
X Al. Gerichtliche AI e d i z i n u n d Toxikologie.
Referate: 1. Rechtliche Bedeutung von Wunden nach Ursache.
Lage und Charakter. Ref. P e r r a n d o - Sassari. — 2. Gerichtlich-
medizinischer Begriff der Deformität. Ref. AI a e s t r e. — 3. Unter¬
scheidungskraft und frühzeitige Kriminalität. Ref. Fuentes,
T a m a s s i a - Padua. — L Fähigkeit und A'erautwortlichkeit der
Degenerierten. Ref. Martinez, S e v e r i - Genua. — f>. Ueber
die Lokalisation der Gifte. Ref. Mariseal.
Deutscher Medizinalbeamten-Verein
1. Hauptversammlung zu München, 13. bis 10. September 11)02.
Tagesord n ung:
Sonntag den 14. September, 8 Uhr Abends: Begriissung im
„Bayerischen Hof“ (mit Damen).
Montag den 15. September, 9 Uhr Vormittags: Erste Sitzung
im Festsaal des ..Bayerischen Hofes“. 1. Eröffnung der Versamm¬
lung. 2. Geschäfts- und Kassenbericht. 3. Beratung und Satz¬
ungen. 4. Ueber die Notwendigkeit der Einwilligung der Kranken
zu operativen Eingriffen. Referent: Geh. Med.-Rat Prof. Dr.
Fritsch in Bonn. 5. Normaler und pathologischer Rausch.
Referent: Prof. Dr. Cramer, Direktor der Prov. -Irrenanstalt und
der psychiatrischen Klinik in Göttingen. 0. Ueber den jetzigen
Stand des serodiagnostischen Verfahrens zur Unterscheidung der
verschiedenen Arten von Blut, Alilcli u. s. w. (Mit Demonstra¬
tionen.) Referent: Dr. \A' o 1 f f , Assistent, am hygienischen Institut
zu Hamburg. — 3l/2 Uhr Nachmittags: Festessen (mit Damen). —
9 Uhr Abends: Gesellige Vereinigung im „Löwenbräukeller“ (mit
Damen).
Dienstag den 16. September. 9 Uhr Vormittags: Zweite Sitzung
im Festsaal des ..Bayerischen Hofes“. 1. Wissenschaftliche und
praktische Hygiene. Referent: Prof. Dr. Fränkel in Halle a. S.
2. Aorstandswalil. 3. Die Beteiligung der Aledizinalbeamten bei
der AA'ohnungsbeaufsichtigung. Referent: Aled.-Rat Dr. Pfann-
ni ii 1 1 e r, Kreisarzt in Offenbach a. M. 4. Einrichtung einer Zen-
tralauskuuftsstelle über Kurpfuscher. (Diskussionsgegenstand.)
Referent: Kreisarzt Dr. Steinmetz in Strassburg i. E. Nach
Schluss der Sitzung: Mittagessen nach freier Wahl; hierauf Be¬
sichtigung*). — 8'/o Uhr Abends: Teilnahme am Begriissungsabend
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege.
Zur Entgegennahme von Bestellungen auf Wohnungen hat
sich Herr Laudgerichtsarzt Dr. AAr e t z e 1, Barerstrass, e No. 60/1,
bereit erklärt. Etwaige Wünsche und Anmeldungen sind recht¬
zeitig' an dessen Adresse zu richten.
Indem der Unterzeichnete Vorstand auf eine recht zahlreiche
Beteiligung der A'ereinsmitglieder, sowie auch derjenigen Kollegen
hofft, die dem Verein bisher noch nicht beigetreten sind, bittet er,
etwaige Beitrittserklärungen. Anmeldungen zur Teilnahme an der
Ansammlung oder sonstige Wünsche demnnäehst dem An¬
sitzenden des Vereins gefälligst mitteilen zu wollen.
AI ü neben, den 30. Juni 1902.
Der einstweilige Vorstand des Deutschen Aledi-
zinalbea m t e n - \r ereins:
Dr. R a p m u n d, A'orsitzender. Reg.- und Geh. Med.-Rat in
Alinden i. W. Dr. E ngel b r e c li t, Aled.-Rat. Mitglied des Ober-
! sanitätskollegiums in Braunschweig. Dr. F linze r, Bezirksarzt
I in Plauen i. Voigtl. Prof. Dr. Gaffk y, Geh. Aled.-Rat in Giessen.
Dr. II ecke r, Aled.-Rat, Kreisarzt in AVeissenburg i. E. Dr. Iv o e s t-
1 i i). Aled.-Rat, Stadtdirektionsarzt in Stuttgart. Dr. K ii r z, Aled.-
Rat. Bezirksarzt in Heidelberg. Dr. L e li r, Aled.-Rat Kreisarzt in
Rat, Bezirksarzt in Heidelberg. Dr. Lehr, Aled.-Rat. Kreisarzt in
Rostock. Dr. Philipp, Geh. Reg.- und Ober-AIed.-Rat in Gotha.
Dr. Richter, Med.-Rat, Kreispliysikus in Dessau. Dr. Sie¬
mens, Geh. Aled.-Rat, Alitglied des Aledizinalkollegiums für die
Provinz Pommern und Direktor der Provinzial-Irrenanstalt in
Luuenburg i. P. Prof. Dr. Strass m a n n, Gerichtsarzt in Berlin.
Dr. Wahncau, Physikus in Hamburg. Dr. AVaibel, Bezirks¬
arzt in Kempten (Bayern).
Preussischer Medizinalbeamten-Verein
XIX. Hauptversammlung zu Cassel am 12. September 1902.
Tagesord n u n g :
Donnerstag den 11. September, 8. Uhr Abends: Begriissung
im „Hotel Schirmer“ (mit Damen).
Freitag den 12. September, 9 Uhr A’ormittags: Sitzung im Fest¬
saal des „Hotel Schirmer“. Eröffnung der Versammlung. 1. Ge¬
schäfts- und Kassenbericht; AValil der Kassenrevisoren. 2. Der
notwendige Ausbau der preussi sehen Gesundheitsigesetzgebung
auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung. Referent: Reg.- und
Alt d-Rat Di. \A odtke in Köslin. 3. Die Tätigkeit des Kreisarztes
aul dem Gebiete der Schulhygiene und seine Stellung zu den Schul¬
ärzten. Referent: Kreisarzt Dr. Gleitsmann in AViesbaden.
4. Ueber postmortale A'erdauung. Referent: Gerichtsarzt Dr.
II o 1 l m a n n in Elberfeld. 3. Aorstandswalil; Bericht der Kassen-
i t^ iso re u. Nach Schluss der Sitzung Besichtigungen *). 5 Uhr
Nachmittags: Festessen (mit Damen).
Am Sonnabend den 13 September, Vormittags ist ein Ausflug
nach AA ilhelmshöhe (mit Damen) in Aussicht genommen.
Das Nähere wird spätestens am Sitzungstage mitgeteilt
werden. ° °
22. Juli 1902,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1247
Verschiedenes.
Frequenz der deutschen medizinischen Fakultäten
Sommer-Semester 1902. ')
Sommer 1901
Winter 1901/1902
Son
uner 1902
In¬
länder
Ans-3) j
lnmler |
Summa
In- Ans-3) |
1 iinder liinderi
Sumuin
ln- | Aus-')
1 (Inder' liinder
Summa
Berlin3)
702
364
1066
778
476
1234
632
3C 6
1018
Bonn
255
23
278
213
20
233
213
19
262
Breslau
244
15
259
215
14
229
2 9
P.i
228
Erlangen
125
119
244
126
124
250
116
124
240
Freiburg
75
329
404
74
266
340
74
336
410
Giessen
61
88
152
68
103
171
54
92
146
Göttingen
144
45
189
121
41
162
114
48
162
Greifswald
208
30
236
192
24
216
216
2 1
237
Halle
U0
42
192
151
41
192
154
44
198
Heidelberg
78
215
293
73
175
2 8
73
215
288
Jena
47
111
158
49
88
137
41
87
128
Kiel
313
118
431
266
81
347
327
112
439
Königsberg
203
23
226
178
29
207
171
30
201
Leipzig
259
263
522
253
295
548
247
253
500
Marburg
171
45
216
161
42
203
161
49
210
München
420
692
1112
410
635
1045
373
671
1044
Rostock
50
77
127
51
88
139
34
99
133
Strassburg
139
128
267
149
143
292
116
140
286
Tübingen
136
123
259
140
102
242
123
100
223
Würzburg
145
266
411
145
272
417
138
258
396
Zusammen
3928
3116
7014
3813
3059
6872
3646
3 103
6749
Frauen sind nicht nach Fakultäten ausgeschieden
’) Nach amtlichen Verzeichnissen. Vergl d. W. 1902, No. 1.
*) Unter Ausländern sind hier Angehörige anderer deutscher
Bundesstaaten verstanden.
3 ) Dazu die Studierenden des Kaiser-Wilhelm Instituts.
F r e queuz der sclnveize r m edizinischen
Fakultäten im Sommersemester 1002: Basel 144 m., 4 \v. ;
Bern 101 m., 208 w.; Genf 108 in., 183 w. ; Lausanne 103 m., 106 w. ;
Zürich 224 m., 07 w.; in Summa 1488 Studierende (darunter
0Ö8 Damen), worunter 017 (593 -(- 24) Schweizer.
Therapeutische Notizen.
Ueber die Anwendung des A d renalin i n d e r A u g e n
li e i 1 k u n d e berichtet K irebner - Bamberg (Ueber Adrenalin,
das wirksame Prinzip der Nebennieren in haltbarer Form. Die
oplithalmologische Klinik 1002, No. 12). K. verwendete seit fast
2 Jahren das Extrait de capsules surrenales (von Dr. L. J ac q u e t
in Lyon) im täglichen praktischen Gebrauch und ersetzte dieses
als das beste aller bisherigen Nebennierenpräparate zu be¬
zeichnende Mittel seit 5 Monaten durch das Adrenalin der Lon¬
doner Firma I* a r k e, Davis & C o. Für augenärztliche Zwecke
eignet sich am besten die Solutio Adrenalini hydrochlorici (eine
Lösung von 1 Adrenalin auf 1000 physiologische Kochsalzlösung),
dann das Suprarenal Liquid witli Chloretone. (Chloretone-Aceton-
eliloroform (Merck) gehört in die Leihe der Fettsäuren, ist das
Reaktionsprodukt von Chloroform, Aceton und Alkali und soll sich
als äusserlicli angewandtes Anästhetikmn und Antiseptikum be¬
währt haben. Es wird den Adrenalinlösungen zu 0,5 I’roz. behufs
Erhöhung der Haltbarkeit zugesetzt.) Die Lösung 1:1000 ruft
noch in 10 faclier Verdünnung ganz prompt die rasche und ener¬
gische Anämisirung der normalen und der kranken Schleimhaut
und auch der tiefer liegenden Gewebe hervor. Der Preis ist bei
direktem Bezug für 1 oz. -Flasche der Solut. Adrenal. hyclrochlor.
= ca. 30,0 Inhalt mit Porto 4 Sh. 1 y2 P., das reine Adrenalin
(Takamine) kostet 1,0 — 4 Sh. Ausser bei katarrhalischen Rand-
geseliwiiren (n i c li t bei Ule. serpens eorn.) und Bindehautent¬
zündungen aller Arten erzielte K. sehr gute Erfolge bei
G 1 a u k o m. R. S.
Das kakodyls a u r e Natro n ist von M ende 1- Essen
mit grossem Erfolg i n t r a v e n ö s eingespritzt worden (Therap.
Monatshefte 4, 1902). Die Injektion geschieht am besten mit einer
ausgekochten Glasspritze. Verfasser hat an 30 Patienten über
400 Injektionen gemacht. Benutzt wurde eine 5 proz. Lösung, die
tägliche Dosis betrug bis 0,2. Behandelt wurden Anämie, Chlorose,
Tuberkulose, Kropf, Nervenkrankheiten, Hautkrankheiten, Kar¬
zinom. Kr.
Gegen die Gallensteinerkrankung ist bekanntlich
auf Grund der Tatsache, dass Fett den Gallenfluss fördert, das
ölsaure Natron empfohlen worden. C 1 e m m verwandte dasselbe
in Form von Emulsion, die 10 g Eunatrol, 5,0 Tinctura Valerianae,
20 Tropfen Ananasessenz auf 150 g Aqua Menthae pip. enthält
(Therap. Monatshefte 4, 1902). Von dieser Emulsion gibt man
3 mal täglich einen Esslöffel voll. CI. hält alle Fälle von reiner
Cholelitliiasis für heilbar. Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ii n c li e n, 22. Juli 1902.
— Der Pensionsverein für W i t w c n u n d W aisen
b a. y e r i s c li e r A e r z 1 e hat nach seinem soeben veröffentlichten
Rechenschaftsberichte für das Jahr 1901 in seinem 49. Ver-
waitungsjalire an Pensionen die Summe von 55 504 M. ausbezahlt.
Das Vermögen des Vereins hat sich im Laufe des Berichtsjahres
um 45 450 M. vermehrt, was hauptsächlich auf den Anfall des
Legates der Oberstabsarztensgatten Depp ist: li im Reinbeträge
von nahezu 35 000 M. zurückzuführen ist; das Vermögen beträgt
nunmehr 1280 828 M. Trotz dieses bedeutenden, den Versicherten
ausschliesslich zu Gute kommenden Kapitals, lässt die Beteiligung
an dem Verein seitens der bayerischen Aerzte noch immer zu
wünschen übrig; der Mitgliederstand hat sich zwar infolge etwas
zahlreicherer Zugänge (19) auf seiner Höhe gehalten, während
er in den vorausgehenden Jahren im Rückgang begriffen war, doch
stellt die Zahl der Mitglieder des Vereins zur Gesamtzahl der
bayerischen Aerzte durchaus nicht im wünschenswerten Verhält¬
nis. Nachdem durch die jüngsten Aenderungen der Satzungen die
Beitrittsbedingungen wesentlich erleichtert wurden, sollte kein
verheirateter bayerischer Arzt dem so ausserordentlich segens¬
reich wirkenden Vereine mehr fern bleiben. Geschäftsführer ist
Herr Hofrat Dr. Martins, München, Sophienstr. 5 c/II, der
über alles Nähere Auskunft erteilt.
— Der preussische Landtag hat folgenden Antrag des Grafen
D o u g 1 a s, M ass regeln g e g e n den A 1 k o h o 1 i s m u s
betreffend, angenommm: Die k. Staatsregierung wird aufgefordert:
1. Nach dem Vorgänge der Gesetzgebung süddeutscher Bundes¬
staaten schon in nächst, r Tagung einen Gesetzentwurf zur Ver¬
hütung und Einschränkung des schädlichen Genusses alkohol¬
artiger Getränke vorzulegen, durch welchen insbesondere Gest¬
und Schankwirten, sowie Kleinhändlern untersagt wird, Brannt¬
wein an Kinder unter 14 Jahren überhaupt, an Personen vom
14. — 10. Lebensjahr zum eigenen Verbrauch, sowie geistige Ge¬
tränke zu verabreichen an Betrunkene und solche Personen, die
von der Polizeibehörde den Gast- und Schankwirten als Trunken¬
bolde bezeichnet sind: 2. durch geeignete Veröffentlichungen den
weitesten Kreisen des Volkes zum Bewusstsein zu bringen, welche
schädlichen Wirkungen der übertriebene Alkoholgenuss auf die
körperliche und geistige Gesundheit, die Nachkommenschaft, die
Erwerbstätigkeit, das Anwachsen der Verbrechen hat; 3. Er¬
hebungen über die für Trinker bestehenden Heilanstalten und
sonstigen Einrichtungen anzustellen und die Unterbringung von
Trinkern in geeignete Anstalten, sowie die Fürsorge für sie zu
fördern, insbesondere auf Einrichtung öffentlicher Anstalten zur
Unterbringung der wegen Trunksucht Entmündigten Bedacht zu
nehmen, und zwar bei unbemittelten Trunksüchtigen nach Mass-
gabe des Gesetzes vom 2. Juli 1900; 4. in Wartesälen, Warte¬
zimmern der Behörden und sonstigen öffentlichen Räumen, in
welchen das Publikum zu verweilen pflegt, durch bildliche Dar¬
stellungen und geeignete Belehrungen die schädlichen Folgen des
übertriebenen Alkoholgenusses, insbesondere auch auf die Or¬
gane des menschlichen Körpers, zu veranschaulichen; 5. darauf
zu halten, dass die Jugend in der Schule über die schädlichen
Folgen des übertriebenen Alkoholgenusses aufgeklärt wird, und
zwar in den höheren Klassen der oberen Lehranstalten durch
Aerzte; 0. in allen staatlichen und der staatlichen Aufsicht unter¬
stellten Betrieben mustergiltige Einrichtungen zur Verhütung des
Alkoholmissbrauches zu schaffen, die Bestrebungen der Privaten
und der Vereine zur Bekämpfung der Trunksucht zu
fördern und ebenso in erhöhtem Masse die Einrichtung
von Volksbibliotheken, Lesehallen und anderen Aufenthaltsräumen
oliue Trinkzwang, sowie Spielplätzen zu fördern; 7. ferner auf
den Erlass von Polizeiverordnungen hinzuwirken, durch welche
nach Lage der örtlichen Verhältnisse der Ausschank und Verkauf
von geistigen Getränken in den späten Abendstunden und frühen
Morgenstunden, sowie während des Hauptgottesdienstes an Sonn-
und Festtagen verboten wird, und zwar tunlichst durch Fest¬
setzung von Polizeistunden für Schänken; 8. bei dem Bundesrate
dahin vorstellig zu werden, dass eine Verordnung erlassen wird,
nach welcher es den Gast- und Schankwirten, sowie den Klein¬
händlern untersagt wird, Branntwein in anderem als reinem, von
gesundheitsschädlichen Stoffen freiem Zustande zu verabreichen;
9. beim Bundesrate eine Novelle zum Strafgesetzbuch einzubringen,
die bestimmt, dass Trunkenheit nur dann, wenn sie unter starkem
äusseren Zwange entstanden ist, als strafmildernd und strafmin¬
dernd angesehen werden darf; 10. bei den verbündeten Regierungen
auf den Erlass eines Gesetzes zur Bekämpfung der Trunksucht
hinzuwirken, welches die Konzessionspflicht im Sinne des Gesetz¬
entwurfs zur Bekämpfung der Trunksucht vpm 15. Januar 1892
regelt, ferner auch die Vorschriften der §§ 2, 3 und 10 des Gesetz¬
entwurfs enthält; 11. bei den verbündeten Regierungen auf Erlass
eines Gesetzes hinzu wirken, nach welchem Bier unter 2 Proz.
Alkoholgehalt steuerfrei ist; 12. nach Analogie der Kommission
zur Bekämpfung der Krebskrankheiten und Tuberkulose eine
Landeskommission zur Bekämpfung der Trunksucht einzusetzen.
— Auf Veranlassung des Apothekervereins zu Leipzig hat der
ärztliche Bezirksverein Leipzig-Land seinen Mitgliedern Mitteilung
davon gemacht, dass er es als standesunwürdig anselien werde,
dass Aerzte Rezeptblätter mit Vordruck von Apotheken für ihre
Verordnungen benutzen. Er begründet sein Vorgehen damit, dass
durch derartige Gebräuche bei Laien die irrige Ansicht bestärkt
werden müsse, dass die Aerzte an dem von den Apothekern zu er¬
wartenden Mehrgewinn Anteil hätten.
1248 MTJENCHEtfER MEDICiNISCilE WOCHENSCHRIFT. Ko. 29.
— Die Grossherzogliche Badeanstalten-Kom-
m i s s i o n zu Baden- 1» a d e n wird auch in diesem Jahre theo¬
retisch-praktische Kurse der physikalisch-diätetischen Heilmetho¬
den und der Balneotherapie für Aerzte und Studierende der
Medizin abhalten lassen. Der Beginn der auf S Tage berechneten
Kurse ist auf den 13. Oktober gelegt. Die Bekanntgabe aller
Einzelheiten erfolgt durch spätere Veröffentlichungen.
Das Sanatorium der Ortskrankenkasse VIII Mün¬
chen inKirchseeon ist nunmehr eröffnet. Aufgenommen werden alle
Kranke, welche ohne Begleiter transportfähig sind. Die Anstalt
bietet bequem für 150 Patienten Kaum und ist bereits mit
100 Betten in Betrieb genommen. Es können deshalb auch Mit¬
glieder anderer Kassen und solche, für welche die Versicherungs¬
anstalt für Oberbayern das Heilverfahren übernimmt, dorthin
überwiesen werden. Das Sanatorium ist im Barokstil erbaut und
mit allem Luxus und Komfort einer modernen Genesungsanstalt
ausgestattet. Die Baukosten betragen, ohne den 50 Tagwerk
umfassenden Grundkomplex, 500 000 Mark. Ihren Aerzte n
kann die Kasse mit Rücksicht auf ihre missliche finanzielle Lage
nur etwa 29 Pfennige für die Konsultation und 57 Pfennige fin¬
den Besuch bezahlen. Das ist typisch.
— Der Vorsitzende der Ortskrankenkasse für Leipzig und
Umgegend, Kommerzienrath Dr. Willmar Schwabe, hatte ein
Preisausschreiben über das Thema: „W omit sind die an¬
steckenden Geschlechtskrankheiten als Volks¬
seuche im Deutschen Reiche wirksam zu b e -
k ä m p f e n?“ erlassen. Die Arbeit mit dem Motto „Es ist Arznei,
nicht Gift, was ich dir reiche“ hat den Preis (M. 000) davon¬
getragen. Als Verfasser ergab sich Dr. med. Max Silber-
Breslau.
— Der 15. französische Chirurgenkongress wird
am 20. Oktober zu Paris eröffnet. Auf der Tagesordnung stehen:
Chirurgie des Herzens und des Perikardiums; Behandlung des
Tjetanus,
— Pest. Aegypten. Vom 27. Juni bis 3. Juli 10 Erkran¬
kungen und 10 Todesfälle. — Britisch-Ostindien. In der Präsident¬
schaft Bombay während der am 13. (20.) Juni endenden Woche
391 (443) Erkrankungen und 2S0 (298) Todesfälle. — Hongkong.
In der Zeit vom 10. bis 31. Mai 110 Pesterkrankungen, davon 114
mit tödlichem Verlaufe. — Japan. Auf Formosa ist die Pest noch
nicht in der Abnahme begriffen. Seit Anfang des Jahres bis zum
22. Mai zählte man nach einer Veröffentlichung in einem amtlichen
Blatte 1322 Erkrankungen (darunter 950 mit tödlichem Ausgange),
in der letzten Woche 141 (101). — - Kapland. In Port Elizabeth in
der Zeit vom 1. bis 14. Juni 3 Pestfälle, darunter 1 mit tödlichem
Ausgange. V. d. K. G.-A.
- In der 27. Jahreswoche, vom 29. Juni bis 5. Juli 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit. Liegnitz mit 30,7, die geringste Kaiserslautern mit 8,2
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Scharlach in Remscheid, Oberhausen.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Dr. O. Vogt wurde zum Abteilungsvorstand am
physiologischen Institut der Universität ernannt; derselbe wird
das dem Institut neuerdings angegliederte neurobiologisclie Labora¬
torium leiten.
B r e s 1 a u. An Stelle des am 1. Oktober in den Ruhestand
tretenden Direktors des pharmazeutischen Instituts hiesiger
Universität, Geh. Regierungsrates Prof. Dr. P o 1 e c k *) ist der
Privatdozent Dr. Gadamer in Marburg i. H. unter Ernennung
zum ordentlichen Professor nach Breslau berufen worden. Der¬
selbe hat die Berufung angenommen.
F reib u r g i. B. Der Privatdozent für Psychiatrie Dr. Her¬
mann Pfister wurde zum ausserordentlichen Professor be¬
fördert. Prof. Dr. Alfred H e g a r feierte sein 50 jähriges Doktor¬
jubiläum.
Marburg. Habilitiert: Der Assistenzarzt an der medi¬
zinischen Klinik Dr. Otto Hess mit einer Antrittsvorlesung „über
die Frühdiagnose der Tuberkulose“.
M ü n c h e n. Prof. Max Gruber - Wien hat die Berufung
auf den Lehrstuhl der Hygiene als Nachfolger Büchners an¬
genommen.
(Todesfälle.)
Der Oberstabsarzt Dr. Paul K übler von der Medizinal¬
abteilung des preuss. Kriegsministeriums ist am 13. ds. in
Gnschurn im Montafoner Tale an einem Herzschlag gestorben.
Dr. .1. Mai zu er, früher Professor der Geburtshilfe zu
Ivla usenburg.
I >r. J. C u r n o w, Professor der medizinischen Klinik an Kings
College zu London.
I )r. Wyatt J olinsto n, Professor der Hygiene an der Mc Gill-
Universität zu Montreal.
Dr. J. Eastman, Professor der Gynäkologie zu Indianopolis.
Dr. C. W. Gleason, früher Professor der Anatomie und
Physiologie am Womans Medical College of Pennsylvania zu
Philadelphia.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Richard Störkla und A. Imhof,
approl). 1902, als Assistenzärzte an der Kreis-Irrenanstalt Werneck!
*) Irrtümlicher Weise ist in der Notiz unter I-Iochschulnach-
richten letzter Nummer von ihm als „verstorben“ die Rede.
Paul R. Christ. Thurmann, approb. 1891, zu Bad Sodenthal
(für den Sommer).
Verzogen: Wilhelm N i e v e 1 i n g, Assistenzarzt in Werneck,
unbekannt wohin.
Erledigt: Die Bezirksarztsstelle I. Klasse in Stadtsteinach ist
in Erledigung gekommen. Bewerber um dieselbe haben ihre vor-
schriftsmässig belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten
k. Regierung, Kammer des Innern, bis zum 31. Juli 1. .1. einzu¬
reichen.
Auszeichnung: Dem Oberarzt Dr. Paul Leverkühn der
Reserve (I. München) wurde für den Königlich Preussischen
Kronenorden 3. Klasse die Erlaubnis zum Tragen Allergnädigst
erteilt.
Korrespondenz.
Institute für elektromagnetische Therapie.
Unter dieser Ueberschrift wurde in No. 25 der Münch, med.
Wochenschr. in der Rubrik „Korrespondenz“ ein „Dr. Löwen-
f e 1 d“ gezeichneter Artikel abgedruckt, auf welche Herr I )r. P o 1 -
laczek durch seinen Rechtsanwalt uns nachfolgende Berichti¬
gung zugehen lässt.
Herr Dr. Pollaczek erklärt:
Unwahr ist: 1. dass Dr. Löwenfeld eine ihm von mir
für das hier zu errichtende Institut „System Eugen Kohr ad“
eventuell angebotene Stellung abgelehnt hat; 2. dass er gelegent¬
lich der mit mir gepflogenen Unterredungen erklärte, er halte ein
Institut „System Eugen Konrad“ wissenschaftlich für ein Un¬
ding und praktisch in München für aussichtslos; 3. dass er mir
gegenüber über ein derartiges Institut als von einer laienhaften und
unhaltbaren Idee gesprochen hat; 4. dass er mir erklärte, ein Arzt,
der einiges Gewicht auf seinen Ruf lege, könne sich daher an
einem derartigen Unternehmen nicht beteiligen.
D a g e g e n hat Herr Dr. L ö wenfel d gelegentlich jener
Unterredungen 1. grosses Interesse für das „System Eugen Kon¬
rad“ gezeigt; 2. seiner Meinung Ausdruck gegeben, dass durch
die Einrichtung eines solchen Institutes ihm ein grosser Teil seiner
Klientel entzogen würde, wie solches bereits das kurz vorher in
München eingerichtete Institut „Elektra“ gethan habe; 3. sich
bereit erklärt, die Leitung eines hier zu errichtenden derartigen
Instituts zu übernehmen, mit dem Beifügen, dass er dafür einen
dem mutmasslichen Ausfälle in seiner Privatpraxis angemessen
deckenden Ersatz haben müsse; 4. erklärt, von der neuen Therapie
zwar schon gelesen zu haben, aber in Einzelheiten nicht ein¬
gedrungen zu sein; 5. habe ich mit Herrn Dr. Löwenfeld die
Verhandlungen abgebrochen, worauf 6. Herr Dr. Löwenfeld
gege n mich bezw. das „System Eugen Konrad“ aufzutreten
begann.
Sein Auftreten gegen mich wird den Gegegenstand einer von
mir gegen Herrn Dr. L ö w enf eld nächster Tage einzureichenden
und alsbald zur Verhandlung kommenden Beleidigungsklage bilden.
Obiger Berichtigung gegenüber, die von uns auf Grund des
§11 des Pressgesetzes verlangt wird, hält Herr Dr. Löwenfeld
seine Angaben in No. 25 völlig aufrecht und erklärt die
Behauptungen des Herrn Pollaczek, mit Ausnahme des 1. und
4. Punktes, teils für völlig a u s der Luft g e g r i f f e n,
teils für Entstellungen einzelner seiner Aeusserungen. Da
Herr Pollaczek also die Wahrheit seiner Behauptungen in dem
in Aussicht gestellten gerichtlichen Verfahren erst zu beweisen
haben wird, bitten wir unsere Leser mit ihrem Urteile in der
Sache bis dahin zurückzuhalten.
Morbiditätsstatistikd.InfektionskrankheitenfürMünchen.
in der 27. Jahreswoche vom 29. Juni bis 5 Juli 1902.
Beteiligte Aerzte 140. — Brechdurchfall 13 (12*), Diphtherie u.
Kroup 4 (8), Erysipelas 3 (7), intermittens, Neuralgia interm.
— ( — ); Kindbettfieber — (3), Meningitis cerebrospin. — (— ),
Morbilli 24 (39), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 1 (1), Parotitis
epidem. 4 (3), Pneumonia crouposa 4 (6), Pyämie, Septikämie
— (1),. Rheumatismus art. ac. 14 (14), Ruhr (Dysenteria) — (— ),
Scarlatina 5 (6), Tussis convulsiva 41 (44), Typhus abdominalis 2
(2), Varicellen 3 (I2\ Variola, Variolois — ( — ), Influenza 1 (2).
Summa 118 (158). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 27. Jahreswoche vom 29. Juni bis 5. Juli 1902.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 3 (4*), Scharlach —(2) Diphtherie
u Kroup 4 (3), Rotlauf — (2), Kindbettfieber — (2), Blutvergiftung
(Byämie u. s. w.) 2 (3), Brechdurchfall 3 (2), Unterleib-Typhus 2
( — )> Keuchhusten 5 (5), Kruppöse Lungenentzündung 1 (5), Tuber¬
kulose a) der Lunge 22 (32), b) der übrigen Organe 7 (10), Akuter
Gelenkrheumatismus 1 ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
( )> Unglücksfälle 2 (3), Selbstmord 2 (3), Tod durch fremde
Hand — (I).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 214 (193), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 22,0 (19,8), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 14,3 (14,3).
*) Hie eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle derVorwoclie.
Verlag vou J. F. Lehmann in München. — Druck von K. Mühlthaler’s liuch- und KunstUruckcrci A.O., München.
Die Münch. Med. Wochenschr. erscheint wöohentl.
ln Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen.
Preis in Deutschi, u Oest. -Ungarn vierteljährl. 6 M,
ins Ausland 8.— Jt. Einzelne No. 80
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressiren : Für die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
0. v. Angerer, Ch. Bäumler, 0. Bollinger, H. Curschmann,
München. Freiburg i. B. München. Leipzig
Herausgegeben von
C. Gerhardt, W. v, Leube, G. Merkel, J. v. Michel, F, Penzoldt, II. v. Ranke, F. v. Winckel,
Berlin. Wiirzburg. Nürnberg Berlin Frlangen. München. München.
No. 30. 29. Juli 1902.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, lleustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
(Aus der medizinischen Klinik in Basel.)
Ueber die Autolyse des puerperalen Uterus.
Von Dr. Leo Längste in und Dr. Otto Neubauer.
Die Forschungen der letzten Jahre haben gelehrt, dass fast
alle Organe, wenn man sie nach dem Tode aseptisch aufbewahrt,
einer chemischen Veränderung unterliegen, welche sich vor allem
in einem Abbau der koagulablen Eiweisskörper zu nicht mehr
koagulablen stickstoffhaltigen Substanzen (Albumosen, Amino¬
säuren, Diaminosäuren etc.) äussert [Autodigestion (Sal¬
ix o w s k i), Autolyse (H ofmeister)].
Die wichtige Frage, ob diese am isolierten toten Organ
beobachteten Prozesse eine wesentliche Rolle beim physiologischen
Abbau des Eiweisses im lebenden Körper spielen, muss der¬
zeit noch als offen bezeichnet werden.
Eine Entscheidung ist vielleicht auf Grund folgender Er¬
wägung möglich. Wenn der intravitale und der postmortale
Abbau des Eiweisses in der Tat identisch sind, so ist zu erwarten,
dass Organe, in welchen während des Lebens zeitweise ein stär¬
kerer Abbau stattfindet (wie z. B. im Uterus zur Zeit des Puer¬
periums), in diesem Zeitpunkt dem Organismus entnommen,
erhöhte autolytische Fähigkeit zeigen. Unter diesem Ge¬
sichtspunkt haben wir die Autolyse des normalen und des puer¬
peralen menschlichen Uterus miteinander verglichen.
Die Abbauvorgänge im puerperalen Uterus sind ja offenbar
sehr hochgradig. Während er unmittelbar nach Ausstossung der
Frucht und der Nachgeburt ungefähr 1000 Gramm wiegt, sinkt
sein Gewicht nach 5 bis 6 Wochen wieder nahezu bis auf eine
normale Grösse von ca. 60 Gramm. Dieser Schwund des puer¬
peralen Uterus geht unter den Erscheinungen hochgradiger fet¬
tiger Degeneration einher.
Der von uns untersuchte puerperale Uterus stammte von
einer Patientin mit Insufficientia et Stenosis valvulae mitralis,
die auf der hiesigen Klinik eine Frühgeburt im 7. Monat durch¬
machte und 2 Tage nach der Entbindung unter den Erschei¬
nungen der Herzinsuffizienz zu Grunde ging.
Das Organ wurde sofort nach der Entnahme aus der Leiche
zerkleinert, die eine Hälfte sofort, die andere nach dem Auf¬
kochen, mit Wasser und Toluol versetzt und im Brutschrank bei
40" durch 6 Wochen sich selbst überlassen.
Tabelle.
Puerperaler Uterus
gekocht
g
autolysiert
g
Nicht koagulabler Stickstoff .
Durch Magnesia austreibbarer Stickstoff
0,717
1,357
(Amidstickstoff) .
Durch Phosphorwolframsäure nicht fällbarer
0,031
0,085
Stickstoff (Aminosäurenstickstoff) . . .
Durch Phosphorwolframsäure fällbarer Stick¬
stoff
a) durch Sättigung mit Zinksulfat aus-
0,119
0,503
salzbar (Albumosenstickstoff) . . .
b) durch Sättigung mit Zinksulfat nicht
0,285
0,164
aussalzbar (Diaminosäurenstickstoff)
No. 30.
0,300
0,610
Ueber die Ergebnisse der nach dieser Zeit ausgeführten
Untersuchung gibt vorstehende Tabelle Aufschluss. Die Zahlen
beziehen sich auf 100 g frischen Uterus.
Zum Vergleich wurde ein normaler Uterus einer Multipara
in gleicher Weise behandelt.
Tabelle.
Normaler Uterus
gekocht : autolysiert
g ! g
Nicht koagulabler Stickstoff
0,500 0,U41
Sowohl im normalen als auch im puerperalen Uterus haben
demnach Veränderungen stattgefunden, wie sie für die Autolyse
charakteristisch sind, nämlich eine Zunahme der nicht ko¬
agulablen stickstoffhaltigen Substanzen. Die Zunahme an
„nicht koagulablem Stickstoff“ war beim puerperalen Uterus
deutlich grösser als beim normalen (0,640 Proz. gegen 0,441 Proz.
bezogen sich auf 100 g Ausgangsmaterial).
Legt man der Berechnung hingegen den Wert zu Grunde,
um welchen der „nicht koagulable Stickstoff“ im Vergleich zum
ursprünglichen gestiegen ist, so findet man, dass die Vermehrung
in beiden Fällen fast gleich war (89,2 Proz. beim puerperalen gegen¬
über 88,2 Proz. beim normalen Uterus). Geht also aus unserem
Versuch auch mit Sicherheit hervor, dass dem normalen
und puerperalen Uterus autolytische Fähig¬
keit innewohnt, so liefert doch ein Vergleich dieser beiden
kein eindeutiges Resultat und gestattet somit keine sichere Be¬
antwortung der eingangs gestellten Frage.
Da die Muskulatur des von uns untersuchten Uterus nicht
die charakteristische weiche Beschaffenheit darbot und auch die
Erscheinungen der fettigen Degeneration fehlten, wird man an
die Möglichkeit denken müssen, dass er kein für diese Unter¬
suchung geeignetes Objekt darstellte. Vielleicht ist der Umstand
von Bedeutung, dass as sich nicht um eine Geburt am normalen
Ende der Schwangerschaft handelte, sondern um eine Frühgeburt
im 7. Monat und noch dazu um eine solche bei einer schwer
herzleidenden und fiebernden Kranken.
Da sich nur sehr selten Gelegenheit bietet, einen normalen
puerperalen Uterus kurz nach der Geburt zur chemischen Unter¬
suchung zu erhalten, so haben wir uns zu einer vorläufigen Mit¬
teilung unserer Resultate entschlossen.
Wir beabsichtigen, diese Untersuchungen weiter zu ver¬
folgen, um auf Grund eines grösseren Materials zu binden¬
den Schlussfolgerungen zu kommen. Gleichzeitig wollen wir
dann auch dem Auftreten von Fett in den Muskelfasern des
Ruerperalen Uterus unser Augenmerk zuwenden. Speziell soll
dabei die von Herrn Prof. E. Müller aufgeworfene Frage der
Entstehung von Fett aus Lecithin studiert werden.
1
1250
YtUEXCHENER MEDlClNlSCftE WOCHENSCHRIFT.
Aus der Baseler chirurgischen Klinik (Prof. Hildebrand).
lieber Stenose bei Amyloiddegeneration im Kehlkopf.
Von Dr. W. Courvoisier, Assistenzarzt.
Ini Laufe des Sommers 1901 wurde uns Gelegenheit ge¬
boten, einen lall von Amyloiddegeneration im Larynx zu bc
ohachten. Ist die Natur der Kehlkopf stenose — wie in allen bis¬
her veröffentlichten ähnlichen Fällen — auch erst post mortem
genauer erkannt worden, so dürften doch die klinischen Erschei¬
nungen, welche durch das Vorhandensein dieser in den Luftwegen
extrem seltenen Geschwulstbildung hervorgebracht worden sind,
einer kurzen Beschreibung wert sein.
Es handelt sich um eine CG jährige, ledige Patientin (Gou¬
vernante). welche 1889 eine Pneumonie durchgemaeht hatte, sonst
ausser zeitweisen, auf einen Unfall zurüekdatierten neuialgisclien
Kopfschmerzen sich bis zum März 1900 wohl gefühlt hatte.
Nach einer Erkältung in genannter Jahreszeit blieb Patientin
stets etwas heiser, wurde auch zeitweise von Husten geplagt,
Heiserkeit und Hustenanfälle steigerten sich nach einer zweiten
Erkältung im April 1901, nach der sich Patientin auch von all¬
gemeinem Schwächegefühl nicht erholte. Sie magerte ab, ihr
Appetit war schlecht. Stuhl regelmässig. Diurese ohne Verände¬
rungen. „
In der Nacht vom 9./10. Juni trat ganz plötzlich ein Er¬
stickungsanfall auf, der 3—4 Stunden andauerte. Die hochgradig
nervöse Patientin wurde uns deshalb zur Beobachtung und even¬
tuellen Tracheotomie geschickt.
Beim Eintritt (10. Juni) fielen uns die starke Cyanose des
Gesichtes, der ängstliche, etwas starre Blick, die Schwellung der
llalsvenen, die deutlich erschwerte Atmung auf, während Patientin
a febril war und ihr Puls regelmässig, mittelkräftig, ruhig (ca. 80)
Der Hals war breit dem Rumpf aufgesetzt; über dem Jugulum
hur ein wenig beweglicher, ziemlich derber kirschgrosser Struma¬
knoten; die seitlichen Schilddrüsenlappen waren etwas yargrössert,
weich. Larynx und oberer Teil der Trachea Hessen sich gut ab¬
tasten, waren auffallend breit, wenig verschieblich und starr an¬
zufühlen. . .
Die Atmung war bei sonorem Lungenschall beiderseits in den
hinteren unteren Partien scharf vesikulär; vereinzelte Rassel¬
geräusche und Giemen waren beiderseits hörbar.
Bei Untersuchung des Pharynx und Larynx erwies sich er-
stercr als völlig normal. Die Epiglottis war an ihrer Basis leicht
gerötet; die I’lieae aryepiglotticae röteten sich gegen die Ary-
knorpel hin und waren etwas angeschwollen. Unterhalb der weiss-
lichen Stimmbänder sah man von beiden Seiten her rote, ober¬
flächlich uneben höckrige Wülste vortreten, die sich an ihren
Kuppen berührten; von der hinteren Wand sprang zwischen sie
ein kleinerer, gleich aussehender Tumor vor. Die Stimme klang
schwach, heiser, die Atmung blieb angestrengt, stridorös. Häufig
trat trockener Husten auf, der nach Einatmen heisser Dämpfe und
Morphiuminjektionen sich legte.
Am folgenden Tag fühlte sich Patientin sehr erleichtert, at¬
mete ruhiger, warf ohne grosse Anstrengung zähen Schleim aus.
Sie blieb afebril, ihr Puls hielt sich um 80.
Da sich jedoch bald wieder Zeichen von stärkerer Larynx-
stenose kuudgaben, wurde am 13. Juni bei Aetherhalbuarkose und
gleichzeitiger Lokalanästhesie mit Kokain die Tracheotomie in¬
ferior ausgeführt. Die kleine mediale, blutreiche Struma legte
wenig Hindernis in den Weg und nach Eröffnung der Trachea
konnte man sich davon überzeugen, dass die untere Grenze der
Neubildung das Krikoid jedenfalls nicht überschritten hatte. Nach
Auswurf zäher, blutiger Schleimmassen blieb die Atmung tief und
ruhig.
Schon nach 2 Tagen begannen aufs neue Klagen über Atem¬
not. die im wesentlichen auf einer akut aufgetretenen Bronchitis
beruhen mussten. Patientin hustete wieder häufiger, warf viel
dicken, zähen Schleim aus, ihr Appetit wurde mangelhaft, all¬
gemeine Schwäche und Müdigkeit traten auf, wahrend Temperatur
und Puls keine Abweichungen von der Norm zeigten.
Am 28. Juni stieg Abends die Temperatur auf 39,6, der Puls
auf 108. Patientin hustete auffallend wenig, klagte aber Schmer¬
zen stechender Art in der Gegend der rechten Skapula. LTn-
bestimmtes Atmen, hie und da leises Giemen waren die einzigen
wahrnehmbaren Veränderungen. Beim Vorhandensein einiger
Varicen am rechten Unterschenkel war Verdacht auf Embolie.
Der Gedanke an eine — ursprünglich wegen Verdacht auf
maligne Neubildung geplante — Larynxexstirpation musste bei
dem febrilen Zustand der Kranken aufgegeben werden.
Am folgenden Tag war Patientin äusserst schwach und elend.
Temperatur Morgens 37.4 (Puls 108), Abends 37,9 (Puls 120).
Temperatur am 30. Juni Morgens 36,6 (Puls 106), Abends 37,9
(Puls 100). Lungenbefund unverändert.
Am 1. Juli Temperatur Morgens 39.0 (Puls 88), Abends 39,7
(Puls 8(0. ln der Gegend der rechten Skapula leichte Dämpfung,
Atmung fast aufgehoben, keine Rasselgeräusche, hie und da
Giemen. Patientin ist sehr hinfällig, geniesst wenig, erbricht
mehrmals, klagt über Schmerzen im linken Unterschenkel an ver¬
dickter Stelle der Vena saphena major. Hochlagerung und Bor-
priessnitz erleichtern den Schmerz nur wenig.
ln der Nacht und während des folgenden Tages ist Patientin
zeitweise benommen; sie ist sehr schwach gewoideu, schluinineit
viel, hustet wenig, erbricht nicht mehr. Herzaktion etwas unregel¬
mässig, Töne dumpf. Bewegungen der Arme unsicher; Patientin
muss mehrmals ansetzen, um nach einem bestimmten Gegenstände
zu greifen; starker Finger- und Zungentremor. Zunge trocken,
belegt, trotz massenhafter Schleim- und Speichelproduktion.
Pupillen gleich weit, reagiren prompt. Blick starr. Temperatur
Morgens 38,1 (Puls ca. 100), Abends 39,6 (Puls ca. 120, unregel¬
mässig, aussetzend). . , ^ ^ .
3. Juli. Patientin soporös, Blässe des Gesichtes, C yanose der
Lippen, Kühle der Extremitäten. Gegen 4 Uhr Nachmittags
Exitus. ... , ,
Aus dem Sektionsprotokoll wäre hervorzuheben:
Braune Atrophie und fettige Degeneration des Herzens. Sklero¬
tischer Herd in der Medulla oblongata. Bronchitis duplex.
Die hintere Wand des Larynx, entsprechend der Platte des
Krikoidluiorpels ist bis auf 1 cm verdickt, von gelbbraunrötlicher
Farbe, körnig, etwas transparent. Schleimhaut der Trachea ge¬
rötet. Auf der linken Tonsille ha nf korngrosse, gelbrötliche Ver¬
dickung der Schleimhaut. Papillae circumvallatae gelbrot.
Es liegt nicht in meiner Absicht, mich über den pathologisch-
anatomischen Befund in unserem balle auszusprechen, da in
Bälde eine Publikation aus dem hiesigen pathologischen Institut
(von J o li a n n i) erscheinen soll, in welcher eingehend unsere
Beobachtung behandelt wird.
Die Zahl der bis jetzt veröffentlichten Befunde von amyloider
Degeneration und eigentlicher Amyloidtumorentwicklung ist eine
sehr kleine und in der von Wich mann (Zieglers- Beiträge
Bd. XIII), Hildebrand (Vircliows Archiv Bd. 140) und
G 1 o c k n e r (Yirchows Archiv Bd. 160) gesichteten Literatur
sind meist nur spärliche Notizen über klinischen \ erlauf neben
ausführlichen Deskriptionen der pathologisch-anatomischen Be¬
funde auf gezeichnet.
G lockue r batte Gelegenheit, den Larynx und die absteigen¬
den Luftwege zu untersuchen, welche von einem unter den Er¬
scheinungen schwerer Pyelonephritis verstorbenen 76 jährigen
Manne aus der Genfer chirurgischen Klinik stammten. Per
Kranke hatte Anzeichen von Larynxstenose.
Dem pathologisch-anatomischen Befunde nach ähneln die
Fälle Baiser (Vircliows Archiv Bd. 91) und Sehr öfter (Ver-
handl. d. deutsch, pathol. Gesellsch., Düsseldorf 1S98) dem unseren.
In Schrötters Fall sollen ausser leichter Heiserkeit
keinerlei Beschwerden existiert haben. Die Neubildung wurde
mit der galvanokaustischen Schlinge entfernt. Sie hatte sich als
leicht höckerige, hart anzufühlemle, die Schleimhaut infiltrierende,
goldgelbe Geschwulst über den aryepiglottischen Falten und dem
linken Aryknorpel entwickelt.
B a 1 s e r beschreibt den Befund in den Luftwegen eines
64 jährigen Forstmeisters, der 19 Jahre vor seinem Tode die ersten
Zeichen einer Erkrankung aufwies. Damals fand sich eine nicht
unbeträchtliche Verdichtung der oberen Partien der rechten Lunge,
besonders vorne. 1 Jahr später begann stärkere Bronchitis.
5 Jahre darauf traten asthmatische Beschwerden auf; beides be¬
hielt Patient bis zum Tode, ln den letzten Jahren stellten sich
Zeichen von Broneliostenose ein, die sich 2 Jahre vor dem Tode
bedeutend gesteigert hatten und im letzten halben Jahre ihren
Höhepunkt erreichten; eine plötzliche Verschlimmerung wurde
nie beobachtet. Die Stimme blieb bis zum letzten Jahre selten
unbedeutend belegt, im Verlaufe dieses Jahres aber häufiger und
zumeist nach heftigen Hustenanfällen. Völlige Heiserkeit war
nie- beobachtet. Unter weiterem Fortschreiten der chronisch¬
pneumonischen Erscheinungen und Verstärkung der Stenose ging
Patient bei zunehmender Abmagerung und Anaemie marantisch zu
Grunde.
Ziegler (Vircliows Archiv Bd. 65) konnte über den Verlauf
der Erkrankung (Larynxamyloid) keine genaueren Angaben er¬
halten. Der Patient kam moribund in das Spital und starb unter
den Erscheinungen eines Larynxödems. Nebenbei waren Emphy¬
sem und Bronchitis diagnostiziert.
Der Vollständigkeit halber sei der von Burrow-Neu-
m a n n (Archiv f. klin. Cliir. 1875, Bd. 18, p. 228) publizierte Fall
erwähnt, wenn es sich auch nicht um Amyloiderkrankung im
Sinne unseres Falles, sondern um amyloide Degeneration bestehen¬
der Fibrome handelte.
Ein 50 jähriger Arbeiter klagte über Atembeängstigung und
Heiserkeit, welche seit 3 Jahren langsam Zunahmen. Patient war
früher stets gesund, klagte auch jetzt nicht über sonstige Be¬
schwerden.
Die lnspektion der Fauces zeigte am unteren Rand des linken
Arcus palato-pharyngeus 2 erbsengrosse, derbe Tumoren, von
normaler Schleimhaut überzogen; die linke Tonsille war etwas
hypertrophisch. Laryngoskopisch war nur die linke Hälfte der
Epiglottis sichtbar. Rechts lagen über ihr 2 rundliche Tumoren
von normaler Schleimhaut überzogen; sie sassen breitbasig in der
Gegend des Lig. glosso-epiglott. laterale dextrum auf und über¬
deckten zur Hälfte den Aditus. Die Epiglottis selbst sass links
auf einem breitbasigen Tumor fest, der liaseluussgross, beweglich
| war und sich in die Tiefe der Larynxhöhle fortzusetzen schien.
29. Juli 1902.
MUEN CIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1251
Wegen Stenosenersclieimuigen wurde nach wenig Tagen
traclieotomiit. Nach durch fortgesetzte Explorationen gewonnener
Orienti rung wurden die am Gaumenbogen sitzenden Tumoren ex-
zidiert. Sie erwiesen sich als reine Fibroide. Der später abge¬
tragene, rechts oberhalb des Lar.vnx sitzende Tumor war ebenfalls
libroider Natur. Zwei nun deutlich erkennbare Tumoren, die statt
der Ary Knorpel und der aryepiglottischen Falten sichtbar wurden,
die kugelig gewölbt waren und bei forcierter Inspiration etwas
auseinander wichen, wollte sich ihr Träger nicht entfernen lassen.
Er blieb 1 Jahr in gutem Zustand; dann trat Dysphagie auf. Erst
nach 5 Jahren kam trotz Kanüle Atombehinderung hinzu und nach
weiteren 2 Jahren erlag der Kranke einer Bronchitis. Die Fibroide
waren amyloid degeneriert.
Wir ersehen aus den angeführten klinischen Befunden, dass
die amyloide Degeneration im Larynx, ganz abgesehen von der
eigentlichen Amyloidtumorbildung und der wohl ganz seltenen
amyloiden Umwandlung schon vorhandener, die Stenose be¬
günstigender Geschwulstbildungen, unter Umständen gefahr¬
bringende Atembehinderung- zu erzeugen imstande ist. Inwie¬
weit ein die Stenose vermehrendes Glottisödem mit beschuldigt
werden muss, ist auch aus unserem Fall nicht ersichtlich, da
durch die Tracheotomie einer Erstickung konnte vorgebeugt
werden.
Meinem verehrten Chef, Herrn Prof. H i 1 d e b r a n d, ver¬
danke ich die Ueberlassung unseres Falles zur Publikation.
Zur Frage der Händedesinfektion.*)
Von Dr. Carl Lauenstein, Oberarzt des Hafenkranken¬
hauses und der chirurg. Abteilung der Diakonissen- und Heil¬
anstalt Bethesda zu Hamburg.
M. II.! Es gibt kaum eine praktische Frage unserer Wissen¬
schaft, die so vielfältig diskutiert, geprüft und ventiliert, so ein¬
gehend wissenschaftlich bearbeitet worden ist, wie die Frage der
Händedesinfektion. Da aus diesem Grunde den Aerzten kaum
ein Gebiet geläufiger ist, wie gerade dieses, so muss ich uni
Entschuldigung bitten, wenn ich hier Dinge berühre, die Ihnen
allen beaknnt sind.
Um von vornherein die Richtung zu kennzeichnen, in der
sich meine Ausführungen bewegen, so halte ich die Desinfektion
der Hand des Chi rurgen für ein vollberechtigtes Glied in der
Kette der Maassnahmen der A- und Antisepsis, wie wir sie für
die Ausführung einer Operation für nötig erachten. Die Des¬
infektion der Hand hat mutatis mutandis dieselbe Bedeutung,
wie die Sorge für ein möglichst reines Operationsfeld, für Schaf¬
fung reiner Luft, für Keimfreiheit der Instrumente, der Tupfer,
Verbandsachen, des ünterbindungs- und Nahtmaterials, der
Schürzen, Laken, Handtücher und aller übrigen Requisiten, die
mit dem Operateur oder dem zu Operierenden in Berührung
kommen.
Der jetzige Stand der Frage der chirurgischen Händedes¬
infektion lässt sich kurz etwa folgendermassen präzisieren :
1. Mit der Asepsis allein, also mit Wasser und Seife, unter
Zuhilfenahme mechanischer Reinigungsmittel, Bürste, Pflanzen¬
faser, Bimstein, Sand, Marmor etc., lässt sich eine genügende
Händereinigung nicht erzielen.
Die Hinzufügung eines Desinfiziens zu den Massnahmen der
Asepsis und der mechanischen Reinigung erscheint nach den
bisherigen Erfahrungen unerlässlich.
2. Aber auch bei Anwendung eines oder mehrerer nachfolgen¬
den Desinfizientien ist es bisher nicht gelungen, regelmässig die
Hände im bakteriologischen Sinne keimfrei zu machen.
3. Es liegen jedoch bestimmte Erfahrungen darüber vor,
welche Rücksichten und Massnahmen die Herabsetzung des Iveim-
gehaltes unserer Hände begünstigen.
Dahin gehört vor allem eine gewissenhafte prophylaktische
Asepsis, d. h. die Vermeidung einer Verunreinigung der Hände
mit infektiösem Material und eine sofortige gründliche Des¬
infektion der Hände nach geschehener Verunreinigung. Sodann
eine sorgfältige Pflege der Hände. Denn eine glatte, wohl-
gepflegte Haut lässt sich besser reinigen als eine grobe, rauhe
Hand mit Rissen und Schrunden.
Wenn Haegier auf Grund seiner eingehenden und viel¬
seitigen bakteriologischen Untersuchungen über die Erreichung
der Keimfreiheit oder Keimarmut der Hand den Ausspruch tut:
*) Vortrag, gehalten in der Biologischen Abteilung des ärzt¬
lichen Vereins am 20. Mai 1902.
„Die Kosmetik der Hände ist für den Chirurgen ebenso wichtig,
wie das Aufziehen seiner Taschenuhr“, so kann man ihm auf
Grund dci praktischen, klinischen Erfahrung nur durchaus bei¬
stimmen.
Ferner wissen wir, dass Uebung, Intelligenz und das Gefühl
der Verantwortlichkeit bei der Händedesinfektion eine wichtige
Rolle spielen. Geschultes Pflegepersonal desinfiziert seine Hände
besser und erfolgreicher als ungeübtes, und Aerzte erzielen ein
weit besseres Ergebnis der Händedesinfektion als das Pflege¬
personal. Es hängt dies überlegene Resultat der Aerzte, ab¬
gesehen von dem Gefühl der auf ihnen lastenden Verantwortung
ohne Zweifel einerseits mit der Kenntnis der Ursachen und
Quellen der Infektion, sowie der Lebensbedingungen der Mikro¬
organismen und der Mittel und Wege, diese zu schädigen, zu¬
sammen; andererseits ist hier gewiss nicht ohne Einfluss die
Kenntnis, sowie dieWürdigung der anatomischen Verhältnisse der
Hand, die dem Arzte gegenüber dem Laien ein zielbewussteres
Vorgehen ermöglicht.
4. Die „Handschuhfrage“, die seit einigen Jahren unter Chi¬
rurgen und Gynäkologen lebhaft diskutiert wird, ist bisher zu
einem definitiven Abschlüsse nicht gelangt. Nur soviel hat sich
bislang ergeben :
Die undurchlässigen Handschuhe (Leder, Gummi) dürfen als
ein schätzenswertes Rüstzeug der prophylaktischen Asepsis gelten.
Die „durchlässigen“ Handschuhe aus Zwirn, Seide etc. ver¬
hindern den Uebergang der Keime von der Hand des Operateurs
auf die Wunde desto mehr, je dichter ihr Gewebe ist.
Bei der Beurteilung der Resultate der „operativen Hand¬
schuhchirurgie“ darf man nicht ausser Acht lassen, dass da,
wo man Handschuhe verwandte, man dies in der Absicht tat,
nicht ganz befriedigende Resultate zu verbessern, und dass man
neben der Verwendung der Handschuhe in der Regel die Mass¬
nahmen der A- und Antisepsis überhaupt gleiclnnässig ver¬
schärfte.
Wo also mit dem Gebrauch der durchlässigen Handschuhe
die Misserfolge von 10 auf 5 Proz. gesunken sind, da kann man
nicht ohne weiteres sagen, dass die Handschuhe allein dies be¬
wirkt haben.
Wenn an den chirurgischen Kliniken, wo mit durchlässigen
Handschuhen gearbeitet wird, Operateur und Assistenten bei
grösseren Operationen 10 — 12 mal die Handschuhe wechseln, um
der Wohltaten des Handsehuhgebrauches teilhaftig zu werden,
so fragt es sich meiner Auffassung nach doch noch, ob der Er¬
folg im richtigen Verhältnis steht zu der Umständlichkeit des
Verfahrens, dem doch auch manche Nachteile, wie z. B. die not¬
wendige Verlängerung der Operation, anhaften.
Aber, wie gesagt, die Meinungen in der Handschuhfrage
gehen auch unter den Autoritäten der heutigen Chirurgie noch
weit auseinander. Originell und rationell zugleich erscheint
jedenfalls der Standpunkt, den kein geringerer als Kocher in
dieser Beziehung einnimmt, wenn er auf Grund des jetzigen Stan¬
des der Frage rät, der Chirurg solle nach Möglichkeit immer
Handschuhe tragen und sich derselben nur zum Zwecke der
Operation entledigen.
5. Eng mit der Frage der Händedesinfektion hängt auch
der sehr beherzigenswerte Standpunkt zusammen, den der Eng¬
länder kurzweg mit „Hands off!“ bezeichnen würde, und der in
dem Rate gipfelt, nicht unnötig die Wunde mit Hand und Fin¬
ger zu berühren und statt ihrer, wo es irgend geht, die sicher zu-
sterilisirenden Instrumente zu verwenden.
Auch müssen wir zugeben, dass die Frage der Händedesinfek¬
tion indirekt auf das engste mit der Durchführung aller übrigen
Massnahmen der A- und Antisepsis zusammenhängt. Aus der
Reihe der Autoren, die zu der Frage der Händedesinfektion in
neuerer Zeit noch Vorschläge geliefert haben, deren Prüfung
teilweise schon begonnen hat, teilweise aber noch aussteht, seien
hier noch erwähnt: 1. v. Mikulicz, der offenbar wegen der
günstigen Erfahrungen mit dem Alkohol die Verwendung des
Seifen spiritus als kompendiöses Verfahren empfohlen hat,
wohl hauptsächlich für Kriegszwecke, um bei etwaigem Wasser¬
mangel eine möglichst zuverlässige Desinfektionsmethode bereit
zu haben; 2. Unna, der rät, die Chirurgenhände Nachts mit
einem „Alkohol-Dunstumschlag'e“ zu versehen und am anderen
Morgen mit einer antiseptischen überfetteten Seife zu behandeln,
so dass alle Risse und Spalten der Epidermis und alle Poren vor
1*
No. 30.
1252
MUENCI1ENER
MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
dem Eindringen von Schmutz und Staub geschützt werden, ein
Rat, der wesentlich vom Gesichtspunkte einer rationellen Ilände-
kosmetik ausgeht und sehr beherzigenswert erscheint; 3. Weir,
der Chlor in statu nascendi auf die Hände einwirken lassen will;
4. Maylard, der neben einer gründlichen aseptischen Vor¬
bereitung der Hände zu der alten 2'/2 proz. Karbolsäurelösung
zurückzukehren rät und zu häufigen Ausspülungen mit derselben
während der Operation. Die Haut des Patienten will dieser
Autor dadurch keimfrei machen, dass er dieselbe mit 10 proz. Ilg-
Lanoliii einreibt, um so die ihr innewohnenden Mikrobien direkt
zu töten. Ob sich viele Chirurgenhände finden werden, die dies
Desinfektionsverfahren auf die Dauer ertragen, ist nach den aus¬
reichenden Erfahrungen, die uns mit der Karbolsäure zur Bei¬
fügung stehen, zu bezweifeln. Als 5. und letzter der neueren \ or-
sehläge sei hier noch erwähnt die Anwendung der 3 prom. Lösung
von Hg-Citrat-Aethylen-Diamin, die von K r ö n i g und B l u m -
b erg nach der Heisswasser- Alkoholdesinfektion zur Einwirkung
empfohlen wird. So viel ich aus der Literatur ersehe, hat nui
Sch äff er ausser den Autoren selbst dieses Verfahren nach¬
geprüft, ist aber nicht zu befriedigenden bakteriologischen Er¬
gebnissen gelangt. _ ...
Was nun meinen persönlichen Standpunkt betrifft., so bin ich
nach der Aera der Karbolsäure, unter der unsere Hände Ende der
70 er und Anfang der 80 er Jahre schwer litten, um das Jahr 1888
herum, wo Fürbringer den Alkohol in die Händedesinfektion
einführte, zu dessen Heisswasser- Alkohol-Sublimatdesinfektions-
methode übergegangen und ihr bis zum J alire 1896 treu ge¬
blieben. Dann sind wir, weil auch das Sublimat die Hände an-
g reift, zu der Ah lfeld sehen Heisswasser- Alkoholhändedes-
iitfektion übergegangen. Unter ihr haben sich sowohl unsere
Hände wie unsere Operirten vortrefflich befunden, und ich habe
bei aufmerksamer Beachtung der Resultate meiner Operationen,
unter denen sich in diesem Zeiträume ca. 350 Laparotomien be¬
finden, keinen Fall mehr gefunden, in dein ich die Störung des
Wundverlaufes einer mangelhaften Händedesinfektion mit Grund
hätte zur Last legen können. Mit unter dem Einflüsse der guten
Ergebnisse der A li 1 f e 1 d sehen Händedesinfektion hat sich z. B.
unsere Stellung zu der Frage der Katguteiterung im wesentlichen
dahin geändert, dass wir zu der Ueberzeugung gelangt sind, dass
die Fälle von „Katguteiterung“, die uns' früher beunruhigten,
ausnahmlos durch sekundäre Verunreinigung des an sich ein¬
wandfreien Katgut durch Hände, Luft oder Haut des Operierten
verursacht worden sind.
Doch diese günstigen Erfahrungen im allgemeinen würden
mich nicht veranlasst haben, das Thema der Händedesinfektion
hier vor Ihnen zu besprechen. Was mich dazu angeregt hat,
ist vielmehr eine interessante Erfahrung am Operationstische,
die mir zu denken gegeben hat und die mir eine erfreuliche Be¬
stätigung der durch 6 Jahre erprobten Leistungsfähigkeit des
A h 1 f e 1 d sehen Verfahrens der Heisswasser- Alkoholhändedes-
infektion für den Chirurgen gewesen ist.
Gestatten Sie, Ihnen dieselbe hier kurz zu skizzieren:
Am 28. Januar d. .T. Nachmittags sah ich in der Privatpraxis
mit dem Hausarzte zusammen einen älteren Herrn, den ich wäh¬
rend der letzten .Jahre mehrfach wegen diabetischer Phlegmone
und Gangrän an Fuss und Zehen behandelt hatte. Er war vor
3 Tagen unter hohem Fieber und schwerer Störung des Allgemein¬
betindens erkrankt. Ich fand eine Phlegmone der Vorderfläche
des Unterschenkels, an der Innenseite von Knie und Oberschenkel
.lyiupliangitiscke Streifen und eine empfindliche Schwellung der
Sehenkoldriist n. Ich riet zu einer Spaltung und setzte die Ope¬
ration auf r>Vo Ehr desselben Nachmittags an, so rasch, wie es
überhaupt wegen der zu treff enden Vorbereitungen möglich war. Als
ich kurz vor 5 Uhr in meiner Wohnung ankam, um die Instrumente
auszukochen, hatte gerade vorher ein Kollege telephonisch ge¬
beten, ich möchte mit ihm eine Ileuskranke untersuchen. Da der
Kollege bei der Patientin auf mich wartete, so fuhr ich noch vor
,1er Plilegmouenoperation hin, untersuchte die Kranke, die seit
12 Stunden an akut aufgetretenem Ileus litt, zu dem noch ein Abort
im 3. Monate hinzugetreten war. Als ich per vaginam untersuchte,
lag der Embryo bereits in der Scheide. Da der Leib sich in den
letzten Stunden zusehends aufgetrieben hatte, so riet ich, die
Kranke inzwischen nach Bethesda bringen zu lassen, und ver¬
sprach, dieselbe noch denselben Abend zu operieren. Dann fuhr
ich zu dem Kranken mit der diabetischen Phlegmone. Diese prä¬
sentierte sich bei der Spaltung als ein „akut purulentes Oedem
Pirogoff", aus dem, wie ich vorausbemerken möchte, der Strepto¬
kokkus in Reinkultur aufging. Bei der Spaltung der Phlegmone
musste ich mich mit Assistenz etwas behelfen, wenigstens hatte
ich weniger Hilfe, als im Hospitale. Ein Kollege narkotisierte,
während ein Wärter und der Sohn des Patienten mir an der Wunde
zur Hand gingen. Ich war wiederholt genötigt, mit Daumen und
Zeigefinger der linken Hand die Hautlappen zu spannen. Ich
bemerke ausdrücklich, dass ich vor der Phlegmonenspaltung mir
nicht bewusst war, irgend welche wunde Stellen an meinen lun¬
gern zu haben. . _ • . . ..
Denselben Abend, 7 y3 Uhr. operierte ich in Bethesda die
Ileuskranke. Wir desinfizierten uns in gewohnter Weise, und zwar
sehr eingehend, nach Ah lfeld. Es ergab sich ein Strangu-
lationsileus, dadurch bedingt, dass ein straffer, von links unten
„ach rechts oben durch die Bauchhöhle gespannter Netzstrang (len
Dünndarm in der Mitte seines Verlaufes abgeschnurt hatte. Ehe
ich die Ursache des Ileus fand, musste ich einen grossen Teil der
Därme aus der Bauchhöhle herauslagern. Die Serosa des oberen,
sehr geblähten Dünndarmabschnittes sowie des ebenfalls stark
meteoristiscli aufgetriebenen Querkolon war bereits stark injiziert,
sowie hie und da von Fibrinbeschlägen bedeckt. Das Wiederem-
packcn der Därme war wegen des starken Meteorismus recht er¬
schwert und ich war genötigt, meine Hände tüchtig mit den Där¬
men in Berührung zu bringen. Das Zurückbringen der Därme ge¬
lang uns erst durch Anwendung des seiner Zeit von Kummeil
empfohlenen praktischen Auskunftsmittels, das darin besteht, dass
man eine Kompresse über die Därme deckt, deren Ränder man
unter die Bauchdecken stopft, um dann einen gleiclimässig wirken¬
den Druck auf die unter dem Tuch liegenden Darmschlingen aus¬
zuüben. ,, .Cll ...
Die Patientin machte eine günstige, vollkommen fieberlose
Rekonvaleszenz durch. Auch der Schnitt durch die Bauchdecken
heilte in ganzer Ausdehnung per primam, ohne einen Tropfen
Eiter. Nur trat, nachdem am 10. Tage die Nähte fortgenommen
waren aus dem obersten Stichkanal eine Absonderung von Dünn¬
darminhalt ein. die aber nach Verlauf von 4—5 Tagen spurlos
aufhörte *). _ . „ , r. . A
Am Abend spät spürte ich in der Spitze meines linken Zeigt -
tingers Schmerzen. Hier fanden sich zwei lebhaft gerötete kleine
Stellen, über die ich einen „Priessnitz“ legte. Am anderen Mittag
klopfte es in der Zeigefingerspitze. Ein Einschnitt entleerte einigt*
Tropfen blutigen Serums, aus dem der Streptokokkus in Reinkultur
auf ging. Es bedurfte noch zweier Einschnitte, bis der Prozess
zum Stillstände gelangte. , , „ , „ ,
Ich füge hinzu, dass bei dem Diabetiker noch mehrfache Spal¬
tungen erforderlich wurden, dass aber trotzdem nach etwa
3 Wochen der Exitus eintrat. Der Sohn, der mir bei der Plileg-
monenspaltung geholfen hatte, erkrankte wenige Tage später an
einer foudroyauten Streptokokkenphlegmone des Unterschenkels,
ausgehend von mehreren wunden, vom Footballspielen herriihren-
den Stellen, an denen er sich gekratzt hatte. Die Erkrankung trug
wieder ausser Bett ist.
Ein Kommentar zu diesem Erlebnis ist fast unnötig.
Ich infizierte mich bei der Phlegmonenspaltung am linken
Zeigefinger mit Streptokokken. Ohne dies zu wissen, operierte
ich die Ileuskranke und brachte meine Hände in die innigste
Berührung mit dem Inhalte der Bauchhöhle, lrotzdem verlief
die Ileusoperation aseptisch.
Ein glänzenderes praktisches Zeugnis kann der Alilfeld-
sclien Heisswasser- Alkoholdesinfektionsmethode nicht ausgestellt
werden. Die oberflächlichen in der Haut sitzenden Strepto¬
kokken waren unschädlich gemacht worden, während die bereits
tiefer eingewanderten sich später noch entwickelten. V ir sehen
wieder aus diesem Beispiel, welche Gefahren unser Beruf birgt,
nicht bloss für uns — das ist ja zur Genüge bekannt sondern
vor allem für unsere Kranken, und wie es uns durch die Zwangs¬
lage, sofort handeln zu müssen, wenn der Ruf an uns ergeht, er¬
schwert wird, die von uns selbst als so notwendig erkannte „pro
pbylaktische Asepsis“ einzuhalten.
Die von uns seit 6 J ahren zu unserer und unserer Kränken
Zufriedenheit geübte Iländedesinfektion hat sich, um es kurz zu
sagen, so ausgezeichnet bewährt, dass wir berechtigt sind, zu
sagen : „Mehr als die Ahl f el d sehe Methode in diesem ekla¬
tanten Beispiele geleistet hat, kann der Chirurg nicht wohl von
einer Methode der Händedesinfektion verlangen“.
Mir wurde dies Erlebnis eine willkommene Anregung, mich
auf Grund des augenblicklichen Standes der Frage von neuem
darüber zu orientieren, ob und wie die theoretischen wissenschai t-
lich-bakteriologischen Forschungs- und Prüfungsresultate der
A h 1 f e 1 d sehen Iländedesinfektion mit unseren Erfahrungen in
Einklang zu bringen sind, und welche Kräfte cs nach dem heuti¬
gen Stande unserer Erkenntnis und Erfahrungen sind, die diese
Leistungsfähigkeit der Methode bedingen.
’) Ich muss es dahingestellt sein lassen, ob dies Ereignis die
Folge einer unabsichtlichen Nadelverletzung einer geblähten
Darmschlinge gewesen ist. Für die sonstige Beurteilung ist dieser
Zwischenfall ohne Belang.
29. Juli 1902.
Hier interessiert uns nun besonders, dass es Ahlfeld
durch sein Verfahren unter 75 Fällen 40 mal gelungen ist, die mit
Tagesschmutz versehenen Hände so tiefgehend zu desinfiziex'en,
dass er sie noch nach \ erlauf von einer Stunde keimfrei fand,
ln den 35 nicht keimfrei befundenen Fällen waren es meist
Spaltpilze aus der Reihe der widerstandsfähigen Kartoffelbazillen,
die nachgewiesen wurden. 2 mal infizierte er Hände mit dem
Locliialsekret einer Wöchnerin mit S trep tokokken-P uerperal-
fieber; trotzdem gelang es ihm in beiden Fällen, die Hände keim¬
frei zu machen.
Ob man nun das Resultat dieser Desinfektion eine „Schein¬
desinfektion“ nennt, oder ob man eine wirkliche Desinfektion an¬
erkennt, das ist meiner Ueberzeugung nach vom praktisch¬
chirurgischen Standpunkte gleichgiltig. Mit keiner der ge¬
bräuchlichen Desinfektionsmethoden wird man Hände wie Haut
länger als für eine bestimmte Spanne Zeit keimfrei resp. keim¬
arm machen können — eben weil es sich um lebende Gewebe
handelt. So werden wir auch bei allen unseren Operationen
niemals über eine bestimmte Zeit hinaus dem Resultat unserer
ersten Desinfektion vertrauen können, da in vielen Fällen durch
die Operation selbst unsere Hände ihren aseptischen Charakter
sehr bald wieder verlieren und wir schon dadurch zu einer
Wiederholung der Desinfektion veranlasst werden.
Die exakten Untersuchungen von Paul und Sarwey, die
von manchen Seiten und von den Autoren selbst als für die
Ahlfeld sehe Desinfektion ungünstig angesehen werden, lassen
sich verschieden interpretieren. Wenn die Untersucher nach
5 Minuten langem Bearbeiten mit Wasser und Seife und Bürste
mehr Keime entnehmen konnten, als von der undesinfizierten,
mit Tagesschmutz behafteten Hand, und wenn dann nach einer
5 Minuten währenden Alkoholbehandlung unter 12 Versuchen
3 mal keine Keime aufgingen und 9 mal wenig Keime, so ist dies
nach meiner Auffassung eine entschieden günstige Einwirkung
des Alkohols, zumal wenn man der Tatsache eingedenk bleibt,
dass es überhaupt nicht gelingt, Hände im bakteriologischen
Sinne regelmässig keimfrei zu machen. Der dann folgende Ver¬
such, in dem die Hände 10 Minuten in warmem Wasser von 42 u
aufgeweicht wurden, und wo das Wasser 2 mal steril befunden
wurde, während 10 mal wenig Keime und 3 mal viel Keime
wuchsen, entspricht in der Tat nicht ganz den Verhältnissen,
denen die Hände bei den meisten Operationen ausgesetzt sind.
So lange und bei derartig erhöhter Temperatur werden doch die
Hände in der Regel nicht „eingeweicht“.
Dass am Schlüsse der Prozeduren noch unter 10 Proben, die
mit dem „scharfen Löffel“ entnommen wurden, alle Proben Keime
enthielten, und zwar 6 wenig und 4 viel, möchte schliesslich wohl
bei allen Methoden der Händedesinfektion herauskommen. Dies
Ergebnis der Bearbeitung der Haut mit dem scharfen Löffel
beweist meiner Ansicht nach nichts weiter, als dass in die
tiefsten Schichten der Oberhaut überhaupt kein Desinfizienz
mehr eindringen kann.
Die neuesten bakteriologischen Untersuchungen verschiedener
Methoden der Händedesinfektion hat Schäffer ausgeführt.
Es gingen nach Verwendung der Marmorseife auf: 20 000
Keime, nach Benutzung von Lysoform 3% Proz. = 1500,
von Ühinosol 6 Prom. = 500, von Hg-Aethylen-Diamin 3 Prom.
= 145, von Sublimat 1 Prom. = 150, von Lysol 76, von Seifen¬
spiritus 25, nach der Ileisswasser-Alkoholdesinfektion 3. Somit
ergeben auch diese Versuche eine volle Bestätigung der von
Ahlfeld selbst angestellten vielfältigen vergleichenden Unter¬
suchungen.
Fragen wir nun noch zum Schluss, wie der Alkohol einwirkt,
so hat man trotz aller Bemühungen bisher noch keine völlig aus¬
reichende Antwort geben können. Bekanntlich hat Koch seiner
Zeit die antiseptische Kraft des Alkohols verneint, ja sogar be¬
hauptet, dass kräftige Antiseptika durch Zusatz von Alkohol,
sowie von Oel in ihrer Wirksamkeit abgeschwächt würden.
Diese Untersuchungen sind seiner Zeit angeregt worden durch
die ursprüngliche L i s t e r sehe Katgutzubereitung. Ob hier
Praxis und Theorie miteinander übereinstimmen, muss nach den
klinischen Erfahrungen zum mindesten zweifelhaft bleiben.
Man hat aber später doch gewisse antiseptische Eigenschaften
des Alkohols festgestellt, soBuchholtz in Dorpat, ferner
Unna gegenüber TIautparasiten der Trichophytie und des
Favus; auch hatte die Einschaltung des Alkohols in die Hände- |
No. 30.
1253
desinf ektion durch F ü r b r i n g e r entschieden eine Besserung
der Resultate herbeigeführt, die man nicht wohl anders als auf
den Alkohol beziehen konnte.
Es scheint auch in der lat, dass der Alkohol entwicklungs¬
hemmende V irkungen auf Bakterien besitzt, aber mehr auf vege¬
tative als auf Dauerformen. W ahrscheinlich spielt seine gewebe¬
härtende Eigenschaft auch eine gewisse Rolle, ebenso seine Wir¬
kung auf Fette, wenn auch erwiesen ist, dass es die fettlösende
Kraft allein nicht sein kann, da der Aether nicht dieselbe keim¬
tötende Wirkung entfaltet. Wahrscheinlich ist eine ei weiss¬
fällende Kraft mit im Spiele und eine dadurch bedingte Ein¬
wirkung auf das Protoplasma der Bakterien.
Erwiesen ist auch durch vielfältige Untersuchung, dass, je
konzentrierter der Alkohol, desto besser seine Wirkung ist, dass
aber Vorbedingung dazu die gründliche Durchfeuchtung der
Oberhaut mit warmem Wasser ist. Ohne diese ist die Wirkung
wesentlich schwächer. Diese grosse Durchdringungsfähigkeit
gegenüber durchfeuchtetem Material hängt aber wohl mit der
wasserentziehenden Kraft des Alkohols zusammen. Es gibt kein
sichereres Mittel, um Aufschluss zu bekommen, ob die Hände heil
sind, als die Anfeuchtung derselben im wasserfeuchten Zustande
mit Alkohol. Auf noch so kleine wunde Stellen wird man sofort
durch das eintretende intensive Brennen aufmerksam gemacht.
Ahlfeld und Rieländer haben diese Fähigkeit des Alko¬
hols, in die Oberhaut einzudringen, experimentell geprüft mit
Hilfe von Ferro-Cyan-Kupfer, das sie dem Alkohol beimengten.
Sie haben diesen Farbstoff an Schnitten bis in die Ausführungs-
gäuge der Talg- und Schweissdrüsen nachweisen können.
Es scheint nach alledem, als ob bei der Alkoholfrage die
Empirie der wissenschaftlich exakten Forschung vorausgeeilt
wäre. Genau so, wie wir es in den ersten Anfängen der bahn¬
brechenden Entdeckungen L i s t e r s erlebt haben.
Mach den klinischen Erfahrungen am Operationstische, die
durch das eine interessante Beispiel von Wirksamkeit des Ver¬
fahrens gegenüber der Streptokokkeninfektion noch eine wert¬
volle Bestätigung gefunden haben, möchte ich die Ahlfeld sehe
Heisswasser- Alkoholdesinfektionsmethode als äusserst brauchbar
für unsere chirurgischen Zwecke bezeichnen. Auf Grund dieser
eigenen Erfahrungen und der eingehenden Untersuchungen und
Prüfungen Ahlfelds fühle ich mich berechtigt, an dem Ver¬
fahren bis auf weiteres festzuhalten, solange, bis vielleicht im
Laufe der Weiterentwicklung der Wissenschaft neue Gesichts¬
punkte auf treten, die uns zwingen, etwas noch Wirksameres an
seine Stelle zu setzen.
Wenn ich jetzt eine neue, einstweilen für unsere Hospital¬
zwecke gütige Vorschrift zur chirurgischen Händedesinfektion
redigieren sollte, so würde ich eine kleine Modifikation der
A li 1 f e 1 d sehen Vorschrift eintreten lassen. Ich würde raten,
grundsätzlich die Bürste erst ganz zuletzt, wenn das Wasser über¬
haupt nicht mehr schmutzig wird, anzuwenden. Den Gebrauch
der Bürste halte ich aus verschiedenen Gründen, solange den
Händen noch Tagesschmutz anhaftet, nicht für rationell und
auch sonst nicht für gleichgültig im Sinne der „Händekosmetik“.
Das Hauptgewicht der Vorbereitung für die nachfolgende
Alkoholbehandlung möchte ich auf das voraufgehende Seifen und
Einweichen der Hände ohne mechanisch angreifende Ein¬
wirkungen legen, mit h ä u f i g e r Erneuerung des warmen
Wassers oder unter fliessendem Wasser.
Stillschweigende Voraussetzung bei der Händedesinfektion
ist aber, was zu erwähnen ich fast für überflüssig halte, dass
auch der ganze übrige Körper nebst Kleidung bei der Vorberei¬
tung zur Operation entsprechend berücksichtigt wird. So vor
allem der Kopf. Die Bart- und Kopfhaare wirken meiner Er¬
fahrung und Ueberzeugung nach wie ein „Makartstrauss“, indem
sie aus allen Räumen, die der Arzt betritt, den Luftstaub und
die in ilmi enthaltenen Bakterien mitnehmen.
Regelmässiges Seifen des Kopfes vor allen grösseren und
wichtigen Operationen und ausserdem noch eine regelmässige
Pflege des Kopfes halte ich für eine unerlässliche Bedingung.
Wer an „Schweisstriefen“ leidet, tut wohl daran, sterile Opera¬
tionsmützen oder „Schleier“ nach W i t z e 1 zu tragen. Des¬
gleichen soll man sich den Gesichtspunkt der vom Munde aus¬
gehenden Speichelinfektion (v. M i k u 1 i c z) immer gegenwärtig
halten. Wer viel spricht oder sprechen muss, oder wer an
Schnupfen leidet, bediene sich im Interesse seiner Patienten dev
2
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1254
MI] EN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
„Mundbinde“. Auch würde ich trotz des grossen Vertrauens
in die A h 1 f e 1 d sehe Desinfektion unbedingt auf Königs
Seite stehen, der davor warnt, durch Einführung des Fingers den
Zustand eines eröffneten Gelenkes zu ergründen. Wo eine ge¬
naue Untersuchung des Gelenkinnern dringend geboten ist, würde
ich vielmehr dazu raten, das Gelenk durch weite Eröffnung dem
Auge frei zu legen.
Je mehr wir alle hierher gehörenden Gesichtspunkte berück¬
sichtigen, desto weniger werden wir in unserer guten Absicht,
unseren Kranken zu nützen, gehindert werden.
Aus der k. dermatologischen Klinik des Herrn Prof. Dr. Posselt
zu München.
Die Modifikation der subkutanen Arseniktherapie nach
Ziemssen-Speth.
Von Privatdozent Dr. Jesionek, Assistent der Klinik.
Auf der letzten Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte zu München habe ich (Autoreferat, Arcli. f. Denn. u. Sypli.
1900, Bd. 51) gelegentlich der Demonstration eines Falles von
Dermatitis herpetiformis in der Sektion für Dermatologie und
Syphilis über die an der P o s s e 1 1 sehen Klinik übliche F orm
der subkutanen Arsenikmedikation Mitteilung gemacht. Ich
habe darauf hingewiesen, dass die von uns in Gebrauch gezogene
Lösung nach den Angaben, die Ziemssen im Deutsch. Arcli.
f. klin. Med. 1896, Pd. 56, gegeben hat, hergestellt und verwendet
wird.
Es handelt sich bei dieser Methode um die Injektion einer
eigenartigen Lösung des Natriumsalzes der arsenigen Säure.
Diese Lösung wird nicht in der Weise zubereitet, dass arsenig-
saures Natrium in bestimmtem Prozentverhältnisse in Wasser
gelöst wird, sondern die Darstellung ist eine kompliziertere; in
meinem Autoreferate habe ich ausdrücklich die F orniel wieder¬
gegeben, nach welcher Ziemssen die Lösung hat bereiten
lassen.
Die Angabe Ziemssens lautet : „1 g Acidum arsenicum
(am besten von der glasigen Form) wird mit 5 ccm Normal¬
natronlauge in einem Reagensrohr gekocht, bis vollständige
Lösung erfolgt; hierauf wird die Flüssigkeit in einen Mess¬
kolben gespült, auf 100 g verdünnt und filtriert. Zum Gebrauche
füllt man den Liquor in kleine Gläschen von 2 ccm, welche,
mit Wattepropfen versehen, im Dampfstrom sterilisiert werden.“
Ziemssen hat also nicht schlechtweg den Gebrauch von
Natrium arsenicosum-Lösungen empfohlen, sondern was er Neues
damals angegeben hat, ist die Art und Weise der Dar¬
stellung einer dem Zwecke der subkutanen Injektion ent¬
sprechenden Lösung.
Auch in meinem Referate findet sich meines Erachtens
nichts, was einer anderweitigen Auffassung der Beziehungen
Ziemssens zu der therapeutischen Verwendung des Natrium
arsenicosum hätte entsprungen sein können.
Herr Geheimrat Professor Dr. Ivöbner ersucht mich nun,
in Pezug auf mein Referat im Archiv für Dermatologie und
Syphilis eine Perichtigung dahin zu bringen, dass nicht
Ziemssen es ist, sondern er, Iv ö b n e r, welcher die Natrium
arsenicosum-Injektionen eingeführt und empfohlen habe. Herr
Geheimrat v. Ziemssen habe ihm gelegentlich eines zu¬
fälligen persönlichen Zusammentreffens hinsichtlich seiner Publi¬
kation im Deutsch. Arch. f. klin. Med. eine Perichtigung in
Aussicht gestellt; die Köbn er sehen Veröffentlichungen zu
dieser Frage seien ihm völlig entgangen.
Nachdem mir nun von jeher bekannt gewesen war, dass
es in erster Linie Köbner ist, dem wir die Methode der
subkutanen Verwertung des Arsenik verdanken
— siehe Deutsch, med. Wochensclir. 1881, No. 1: Köbner:
Peschleunigte Heilung des Lichen ruber exsudativus durch sub¬
kutane Arsenikinjektionen — , bin ich meinerseits gerne bereit,
auch die Tatsache hier ausdrücklich hervorzuheben, dass
K ö b n e r bereits 1886 als erster die Einspritzungen des Na¬
trium arsenicosu m empfohlen hat — und zwar tue ich
das um so lieber, als ich nirgends eine gegenteilige Behauptung
aufgestellt habe. Pei Gelegenheit der Vorstellung eines Falles
von multiplen Hautsarkomen der Extremitäten in der Berliner
medizinischen Gesellschaft (10. Februar 1886) hat Köbner )
ausgeführt, dass er die subkutane Arseninjektion schon seit
einigen Jahren etwas anders als früher verordne; es sei sicherer,
statt der Solutio Fowleri recenter parata folgendennassen zu re-
zeptieren :
Rp. Natr. arsen. 0,1,
coque c. aqua bis dest. 10,0.
Einer brieflichen Mitteilung des Herrn Geheimrat Köbner
an mich vom 8. II. 1902 verdanke ich auch die Kenntnis, dass
Köbner die Formel weiterhin also ausgedrückt habe:
lip. Natr. arsen. 0,1
solve in aqua dest. ebullient. 10,0,
anfangs mit dem Zusatze:
refrigera, adde acid. carbol. 0,1,
später ohne denselben
D. in vitro c. epist. vitreo.
Was endlich die von mir angegebene Modifikation der
intramuskulären Injektion an Stelle der subkutanen be¬
trifft, so muss ich wiederum auf Köbner zurückverweisen
und zwar auf seine zweite Aeusserung und Mitteilung iiboi die
subkutane Applikation des Arsenik.
Gelegentlich der Demonstration und Besprechung der Hei¬
lung eines Falles von allgemeiner Sarkomatose der Haut durch
subkutane Arseninjektionen in der Berl. med. Gesellscli. vom
25. 1. 1882 erwähnt Köbner “), dass er bei sehr empfindlichen
Patienten die Injektionen der F o w 1 e r sehen Lösung nicht
subkutan, sondern intramuskulär in die Glutäen gemacht habe,
„wo sie sehr gut vertragen wurden“.
Köbner hat also alles Recht, Anspruch darauf zu erheben,
dass er als derjenige bezeichnet werde, welcher die subkutane
Applikation der Fowlerschen Lösung sowohl wie
des Natrium arsenicosum in die Therapie eingeführt
hat; er hat auch als erster die intramuskuläre Injek¬
tion des Liquor Fowleri empfohlen. Ziemssen aber kommt
das Verdienst zu, eine neue Methode der Darstellung
einer Arseniklösung gegeben zu haben, welche dem
Zwecke der subkutanen resp. intramuskulären Einverleibung in
einem noch weit höheren Grade entspricht.
Der Priorität Köbners dürfte durch diese Modifikation
kein Eintrag getlian sein.
Die von uns in Anwendung gezogenen Lösungen, wie sie
Ziemssen angegeben hat, die wir in letzter Linie dem Ober¬
apotheker an unserem Krankenhause, Herrn Spetli, verdanken,
unterscheiden sich in einigen sehr wesentlichen Punkten von
den einfachen Lösungen des Natronsalzes, wie sie Köbner
empfohlen hat.
Beim Kochen von arseniger Säure mit äquivalenten Mengen
von Natronlauge entsteht eine Lösung von Natriummetarsenit,
As 0„ Na, nach der Formel
As2 03 + 2 NaOII = 2 (As02 Na) + H2 O.
Vergleicht man in dieser Formel die ^tomgewiclitsvorhältnisse,
so ergibt sich, dass auf 1,0 Acidum arsenicosum 0,4 Natrium¬
hydroxyd treffen, nach der Gleichung
198 : 80 = 1,0 : X
X = 0,404
0,4 Natriumhydroxyd sind in 10 ccm der Normalnatronlaugc
enthalten. Um die Alkaleszenz der Salzlösung herabzusetzen, hat
nun Herr Oberapotheker Speth zur Herstellung der Lösung
nur die halbe Menge NaOH benützt. Nimmt man nämlich die
Hälfte der äquivalenten Menge NaOIT in 1 ccm II2 O gelöst, so
entsteht eine Verbindung, die sich auf Zusatz von absolutem
Alkohol als weisser feinpulveriger Niederschlag abscheidet, ana¬
log der Verbindung, die durch Auflösen von arseniger Säure in
der möglichst geringen Menge Kalilauge gewonnen wird; siehe
S c h m i d t, pharmazeut. Chemie Bd. I. Die wahrscheinliche
Zusammensetzung des Niederschlages in unserem Falle ist also
[Na As 02 + H As 02 + FL O] .
Dieses ist das Salz, das in der Ziemssen-Speth sehen
Flüssigkeit gelöst ist. Es zeichnet sich somit dieser Liquor durch
eine sehr geringe Menge Alkalis aus, er reagirt wesentlich wem
’) Berl. klin. Woclienschr.*188(>, No. 12.
2) Berl. klin. WochensclirflSö3, No. 2.
29. Juli 1902.
MÜENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1255
gor stark alkalisch als eine gleichviel arsenige Säure enthaltende
Lösung von Natrium arsenicosum.
Geht man bei der Herstellung der Lösung vom arsenig¬
saueren Natron des Handels aus, so kann man auf richtigen Ge¬
halt an arseniger Säure und Alkali nicht rechnen, da das Salz
fast immer von ungleichmässiger Zusammensetzung ist. Unter¬
suchungen von Proben ergaben das Vorhandensein von kohlen¬
sauerem Alkali. Bei einer Probe, die als Natrium arsenicosum
purissimum bezeichnet war, betrug der Gehalt an Asi, 03 nur
0,675 in 1 Gramm, woraus sich ein beträchtlicher Ueberschuss
an Alkali ergibt. Aber selbst bei richtiger Zusammensetzung
des zur Herstellung der Lösung verwendeten Natrium arseni¬
cosum würde diese einen doppelt so grossen Gehalt an Alkali
haben wie unsere Lösung, da erstere normales Natrium-
metarsenit, letztere aber ein saueres Salz der metarsenigen Säure
enthält.
An dieser Stelle muss noch ein anderer wesentlicher Unter¬
schied zwischen beiden Lösungen hervorgehoben werden. Nach
Köbners Vorschrift wird eine 1 proz. Lösung von arsenig¬
sauerem Natron gewonnen, welche — - richtige Zusammensetzung
des Salzes vorausgesetzt — 0,762 Proz, As, O, enthält; bei der
Ziemssen-Speth sehen Lösung aber werden die Mengen¬
verhältnisse so eingerichtet, dass 100 ccm genau 1 g arseniger
Säure entsprechen!
Was die Pearson sehe Flüssigkeit betrifft, so sei daran
erinnert, dass dieselbe nicht die Lösung des arsenigsauren
Natronsalzes, sondern des arsensaueren Natron darstellt und
von stark alkalischer Beschaffenheit ist.
Die chemischen Eigenschaften unserer Lösung sind also
wesentlich andere als die der einfachen Salzlösung Köbners,
und dementsprechend macht sich hinsichtlich der lokalen Ein¬
wirkung auf das Gewebe ein nicht zu verkennender Unterschied
geltend. Bei der subkutanen Applikation des gelösten Natrium
arsenicosum sind entzündliche Rötung der Haut, entzündliche
Schwellung des Unterhautbindegewebes, oft recht beträchtliche
Schmerzhaftigkeit an der Injektionsstelle nicht gerade sielten zu
verzeichnen; die schmerzhaften Knoten in der Subcutis können
oft recht lange bestehen bleiben. Wir selbst haben unter ca. 220
Injektionen (bei Psoriasis- und Ekzemkranken) 2 mal solche
Knoten zur Erweichung kommen sehen. Technische Fehler ge¬
legentlich der Injektion konnten unserer Anschauung nach da¬
mals mit Sicherheit nicht verantwortlich gemacht werden. D.as
eine Mal kam es zur Abszedierung der Injektionsstelle an der
Aussenfläche des rechten Oberschenkels bei einer, etwas chloro-
tischen Psoriasiskranken, die im übrigen bester Gesundheit sich
erfreute; der Abszess erreichte den Umfang einer Faust, ohne
dass die Oberhaut in Mitleidenschaft gezogen worden wäre; unter
derselben ging der Erweichungsprozess unter beträchtlicher
Schmerzhaftigkeit und Druckempfindlichkeit der Peripherie des
Infiltrates ständig weiter. Die Punktion ergab sterilen Eiter
oder vielmehr sterile Beschaffenheit des grauweisslichen krüme¬
ligen Inhaltes der Abszesshöhle. Nach der Inzision erfolgte unter
Tamponade mit Xeroformgaze die Heilung ungemein langsam.
Das andere Mal handelte es sich um ein talerstückgrosses In¬
filtrat in der rechten Lendengegend eines kräftigen jungen
Mannes, der an Lichen ruber planus litt; innerhalb des Infiltrates
entwickelte sich ein nussgrosser Abszess, der gleichfalls nach
seiner Eröffnung nur sehr geringe Tendenz zur Rückbildung auf¬
wies, obwohl der Kranke wegen des heftigen Pruritus und der
nahezu universellen Ausbreitung der Lichenerkrankung damals
ständig im permanenten Bado gehalten worden war. Gerade
dieser Kranke war uns auch noch nach einer anderen Seite hin
recht lehrreich. Wir machten eine Zeitlang abwechselnd Ein¬
spritzungen mit der gewöhnlichen Salzlösung und mit der von
Herrn Oberapotheker S p e t h hergestellten „Z iemssen sehen
Lösung“. Auf Grund seiner subjektiven Empfindungen war der
Kranke jedesmal in der Lage anzugeben, ob er eine Injektion
von der „schmerzhaften“ oder von der „nicht schmerzhaften
Arsieniklösung“ erhalten hatte. Auch Herr Geheimrat
v. Ziemssen hatte, wie ich aus seinen eigenen Mitteilungen
und solchen des Herrn Oberapotheker S p e t h weiss, vor der Ein¬
führung der neuen Arseniklösung ausgedehnte Versuche mit der
subkutanen Applikation der gewöhnlichen Natronsalzlösung an¬
gestellt und gerade die ungünstigen Erfahrungen, welche er hin¬
sichtlich der lokalen Reizwirkung gemacht hat, haben ihn ver¬
anlasst, nach einer Verbesserung der Methode zu suchen und
„die subkutane Applikation des Arsen von der fatalen Rciz-
wirkung zu befreien, welche die Durchführung einer länger
dauernden Injektionskur mit den bisher gangbaren
Präparaten in vielen Fällen unmöglich machte“ 3).
Die minimale Irritation des Gewebes durch die von
Ziemssen angegebene Arseniklösung ist, wie ich schon be¬
tont habe, in erster Linie durch ihre Eigenschaft, nur in ge¬
ringem Grade alkalisch zu sein, bedingt. Aber noch ein zweiter
Faktor ist es, der hier eine grosse Rolle spielt, das ist der Um¬
stand, dass die ins Gewebe verbrachte Flüssigkeitsmenge steril
ist. Ziemssen und S p e t h haben ausdrücklich hervor¬
gehoben, dass die Flüssigkeit erst nach ihrer Abfüllung in die
kleinen, 2 ccm haltenden Gläschen sterilisiert werden soll. Die
Sterilisation der ganzen zubereiteten Menge in toto ist gegen¬
standslos; nach der Entnahme der ersten Dosis für die Injektion
ist der Rest, nicht mehr steril; die Zersetzung der Arsenik¬
lösungen unter der Einwirkung der Luft, die Ansiedelung von
Pilzen erfolgt ungemein rasch. Der Umstand, dass jede ein¬
zelne kleinste zur Verwendung gelangende Portion vollkommen
keimfrei ist, ist wiederum ein Moment, welches die Ziemssen-
sclie Methode von den Köbner sehen Injektionen unterscheidet
und vor ihnen auszeichnet.
Wie ich schon bei früherer Gelegenheit mitgetheilt habe,
sind die von uns erzielten Resultate mittels der Applikation der
nach Ziemssen hergestellten As-Lösungen ganz ausge¬
zeichnet. Wir verabreichen die Injektionen intramuskulär in
die M. glutaei, und beginnen die Kur für gewöhnlich mit 0,5 ccm,
gehen aber sehr bald zu einer ganzen Spritze über (=0,01 Na
arsenicos.) und verbleiben bei dieser Tagesdosis meistens während
der ganzen Behandlung. Nahezu in allen Fällen wiederholen
wir die Einspritzungen nicht jeden Tag, sondern jeden zweiten
Tag. Wie viele Injektionen verabreicht werden sollen, lässt sich
natürlich nicht vorausbestimmen ; es hängt die Menge des not¬
wendigen Arsenik in erster Linie ab von der Natur des Leidens.
Bei Lichen ruber, bei Dermatitis herpetiformis, denjenigen Affek¬
tionen, die die energischste und ausgiebigste As-Medikation er¬
heischen, genügen uns für gewöhnlich 25 — 30 ccm der Lösung4)
— eine geringe Menge von Arsenik, wenn man die gewaltigen
Massen damit vergleicht, die man anderwärts in Hunderten und
Tausenden von Pillen dem Organismus einverleibt! Allerdings
haben Untersuchungen der Fäzes solcher mit asiatischen Pillen
auf unserer Klinik gefütterten Patienten mich belehrt, dass diese
Pillen häufig genug vollkommen unverdaut den Darm wieder
verlassen. Nur durch einen solchen Befund lässt sich die kolos¬
sale Differenz der notwendigen absoluten Arsenikmengen bei den
einzelnen Formen der Medikation erklären. Wo es sich darum
handelt, r a s c h eine k r ä f t i g e As-Wirkung zu erzielen, haben
sich uns unsere Injektionen in hervorragendem Masse bewährt.
Toxische Nebenerscheinungen haben wir bei den mehr als tausend
im Laufe der letzten Jahre auf unserer Klinik verabreichten Ein¬
spritzungen so gut wie niemals beobachtet, insbesondere. sind uns
einigermassien bedeutendere Störungen seitens des Magendarm¬
kanals oder seitens des Nervensystems nicht vorgekommen. Bei
dem reichlichen Gebrauche, den wir in den geeigneten Fällen
vom Arsenik machen, erscheint es mir geradezu auffallend, dass
wir so gar nicht in die Lage uns versetzt sehen, bei dem einen
oder anderen Falle eine Idiosynkrasie gegen den Arsenik
feststellen zu können. Es gibt nach meinem Dafürhalten in dem
ganzen dermatologischen Arzneischatze nicht ein Mittel, das,
nach unseren Erfahrungen auf der Klinik wenigstens, in solcher
Allgemeinheit gut ertragen wird, wie die von uns. in Verwendung
gezogene Arseniklösung. Es müsste denn sein, dass man mit
Hilfe der Annahme einer idiosynkrasischen Disposition das Zu¬
standekommen der bräunlichen Verfärbung erklären sollte, die
sich l>ei Lichen- und Psoriasiskranken, auch bei Dermatitis
herpetiformis und bei gewissen chronischen Ekzemen an Stelle
der ursprünglichen Krankheitsherde oft geltend macht. Mit der
8) 1. c.
4) Bei einem einzigen Falle (psoriasisartiges, nahezu univer¬
selles Exanthem, welches dexx Verdacht auf Mycosis fungoides
„im prämykotischen Stadium“ nahelegte) sind wir zu 50 ccm ge¬
gangen.
2*
1256
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
eigentlichen Arsenmelanose haben diese zirkumskripten Eiecken
nichts zu tun. und ob man diese täches arsenicales der Franzosen
wirklich der Arsenik Wirkung zuschreiben darf, ist doch noch die
Frage. Tn sehr vielen Fällen wenigstens handelt es sich nach
meiner Beurteilung um nichts anderes, als um diejenige ge¬
wöhnliche Form der Pigmenthypertrophie, die an Stelle eines
jeden Infiltrates bei disponierten Individuen Zurückbleiben kann,
mag nun eine As-Therapie stattgefunden haben oder nicht.
Was anderweitige toxische Hautaffektionen betrifft, so haben
wir nur die Proruption von zirkumskripten Bläschengruppen be¬
obachtet, die als atypische und zum Teil abortiv verlaufende
Z oste reu zur Arsenikbehandlung in Beziehung gebracht
werden können, und zwar sahen wir während des Ver¬
laufes der Therapie eine derartige Bläschenerkrankung
bei drei Kranken, nach Abschluss derselben bei einer
Kranken. Von den orsteren hatten zwei an Psoriasis, eine an
Eczema chronicum circumscriptum und Chlorose gelitten; die
letztere, gleichfalls eine Psoriasiskranke, hatte eine Kur von
12 Injektionen ohne Störungen ertragen; nach Abheilung der
Flecke war die Kranke späterhin neuerdings auf der Klinik zur
Beobachtung gekommen und zwar wegen Gonorrhoe. Während
diese Erkrankung in gewöhnlicher Weise mit Protarg-ol und
hydrotherapeutischen Massnahmen behandelt wurde, entstand
plötzlich nach kurz voraufgegangenen Schmerzen „auf der linken
Brust und in der Achsel“ in der 8. Woche nach der letzten intra¬
muskulären Injektion auf dem äusseren Anteile des linken
M. pectoralis, entsprechend dem ITT. Interkostal nerven, eine
ziemlich umfangreiche Knötchengruppe auf lebhaft geröteter
Basis. Ohne dass es zur Entwicklung charakteristischer Bläs¬
chen gekommen wäre, nahm dieser Ausschlag einen abortiven
Verlauf, war nach keiner Seite hin von besonderer Bedeutung.
Man kann die Frage stellen, ob dieser abortive Zoster mit der
2 ‘Monate vorher zum Abschluss gebrachten Arseniktherapio in
pathogenetischem Zusammenhänge stehe.
Die Pharmakologen sind geneigt, gewisse durch den Ar¬
senik bedingte Intoxikationserscheinungen mit Eigentümlich¬
keiten chronischer Infektionskrankheiten, z. B. der Lues, in Pa¬
rallele zu stellen. Sie machen darauf aufmerksam, dass nach ein¬
maliger Zuführung des Giftes ein eigenartiger TTe be r -
gang der akuten Vergiftung in die chroni sWi e
Form konstatiert werden kann. Zur Erklärung dieser
Tatsache, führt Harnack5 6) aus, könne man sich vorstellen,
dass das Gift irgendwo im Körper deponiert werde und dann
nur sehr allmählich in die Zirkulation übergehe, oder dass durch
das Gift der Chemismus gewisser Zellen derart verändert werde,
dass sie dauernd Toxine produzieren, oder dass das Gift be¬
stimmte Zellen derart verändere, dass sie durch die gewöhn¬
lichen Lebensreize leicht zu einer bestimmten Erkrankung oder
Degeneration gebracht werden können. Die Art und Weise, wie
der Arsenik seine Wirkung auf den Organismus entfaltet, ist
noch so sehr ins dunkle gehüllt, andrerseits die Tatsache, dass
As, wie manche andere Giftstoffe, eine periphere Neuritis aus¬
zulösen vermag, eine so unbezweifelbare, dass obenstehende Hypo¬
thesen sehr wohl erlauben, in unserem Falle die atypische Zoster¬
erkrankung, die erst 2 Monate nach Abschluss der Arsenikkur
sich geltend gemacht hat, mit dieser in Verbindung zu bringen.
Gerade die von pharmakologischer Seite immer wieder in den
Vordergrund gestellte eminente Giftigkeit aller Arsenikverbin¬
dungen ist es, welche uns veranlasst hat, von jeher bei der As-
Therapie die grösstmögliche Vorsicht walten zu lassen und alle
„Nebenerscheinungen“ während und nach der Kur kritisch ins
Auge zu fassen. Und darin ist für mich die Berechtigung ge¬
geben, neuerdings auf die ausserordentlichen Vorzüge hinzu¬
weisen, welche die Ziemssen sehe Arsenmedikation vor allen
anderen Formen und Methoden der Arseniktherapie auszeichnen
und ihr den spezifischen Charakter verleihen. Wir gebrauchen
die Ziemssen-Spetli sehen Arsenikinjektionen nunmehr
in nahezu allen Fällen, in denen der Arsenik uns indiziert er¬
scheint; infolgedessen ist die Erfahrung, die wir zu diesem
Punkte gewonnen haben, eine sehr grosse, so dass der Umstand,
dass wir ausser den geringfügigen, ausdrücklich angeführten
5) Die Arsen Vergiftung, zusammenfassend dargestellt. Deutsche
Aerztezeitg. 1899, Einführungsheft 1.
„Nebenerscheinungen“ keinerlei anderweitige Störungen beob¬
achtet haben, von allgemeinerem Interesse sein dürfte.
Herrn Oberapotheker S p e tli bin ich für die liebenswürdige
Unterstützung hinsichtlich der chemisch-pharmakologischen Fra¬
gen zu grossem Danke verpflichtet.
Diagnostisch -therapeutische Bemerkungen zum
Magengeschwür.
Von I)r. Ageron in Hamburg.
Unter den Erkrankungen des Magens nimmt zweifellos das
Magengeschwür ein erhöhtes Interesse für sich in Anspruch,
da die differentialdiagnostischen Schwierigkeiten erheblicher sind
als bei Erkrankungen anderer Höhlenorgane, und ausserdem die
Behandlung des Magengeschwüres sehr oft allen therapeutischen
Maassnahmen zum Trotz nicht zu einer restitutio ad integrum
in anatomischer und physiologischer Hinsicht führt.
Es ist sattsam bekannt, dass gewisse subjektive Symptome
fast typisch sind für das Vorhandensein ulzeröser Prozesse im
Magen. Obenan stehen die konstanten Sehmerzempfindungen,
welche vom einfachsten Druckschmerz bis zum Krampf graduelle
Unterschiede zeigen, in der Regel bald nach der Nahrungsauf¬
nahme, zeitlich zusammenfallend mit der Absonderung des sauren
Magensaftes, auftreten, je nach der Lagerung und Stellung de?
Kranken sich vermindern oder verstärken, durch Narkotica in
den üblichen Gaben nur unwesentlich oder fast gar nicht be¬
einflusst werden, sehr häufig auf der Höhe eines Schmerz-
paroxysmus durch Erbrechen schwinden oder auch durch neue
Zufuhr von Nahrung gelindert werden.
Je nach dem Sitz, der Grösse und der Tiefe des Ulcus
werden die weiteren Symptome, das Uebelkeitsgefiihl und Er¬
brechen sich in entsprechendem Maasse geltend machen.
So lange nun diese Symptome, die ja auch Gemeingut
anderer Erkrankungen des Magens, besonders reflektorischer Art,
sein können, für sich allein bestehen, ohne dass das für den Arzt
werthvollste Symptom, das Blutbrechen oder der Abgang von
Blut per anum, eingetreten ist, wird ein Magenkranker immer
ein nicht uninteressantes Objekt bleiben für den Widerstreit der
ärztlichen Ansichten in Bezug auf die Natur des Magenleidens.
Am beliebtesten und auch am bequemsten ist es heute, wo die
Aerzte als die Vertreter der medizinischen Wissenschaft viel-
'ctefctige Symptome im Allgemeinen auf „Nervosität“ zurüok-
f obren, zum Unterschied von den sogen. Naturheilkundigen,
welche Alles auf „verdorbene Säfte und verkehrte Blut¬
mischung“ schieben, diese Erscheinungen einer gestörten Ver¬
dauung als „nervös“ zu bezeichnen, oder in Anlehnung an
englisch-amerikanische Aerzte dieselben mit dem viel- und nichts¬
sagenden Wort „Dyspepsie“ zu belegen. Ich glaube nicht, dass
diese Art diagnostischer Nonchalance auf die Dauer dem An¬
sehen der deutschen ärztlichen Wissenschaft und nicht zum
wenigsten demjenigen des in der ganzen Welt ob seiner Gründ¬
lichkeit und tiefen Durchbildung geachteten Aerztestandes von
Vorth eil sein wird. Dass die geschworenen Feinde der Aerzte,
die Kurpfuscher der verschiedensten Observanz, sich solche ein¬
seitige Auffassung von dem Wesen der Krankheiten bereits in
der ausgiebigsten Weise zu Nutze machen und für sich und ihre
Irrlehren ausbeuten, ist bekannt. Ich erinnere nur daran, dass
gerade das Gebiet der Verdauungskrankheiten von den Kur¬
pfuschern mit Vorliebe beackert wird. Man vergleiche nur die
Annoncen und die Unzahl von Heilmitteln, welche empfohlen
werden.
Aber abgesehen davon sollte doch das Wohl und Wehe der
Kranken in erster Linie uns Aerzte bestimmen, dass wir wieder
möglichst rasch von den diagnostischen Irrwegen abkehren und
uns auf den allein richtigen Pfad begeben, welcher zur Er¬
forschung der Wahrheit führt, auf den Weg objektiver kli¬
nischer Beobachtung, unter ausgiebigster Benutzung der uns zur
Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden; je frühzeitiger
der Arzt erkennt, dass anatomische Läsionen der Magenschleim¬
haut vorhanden sind, desto rascher wird es gelingen, dieselben
in ihrer Neigung, tiefere Gewebszerstörungen zu setzen, auf¬
zuhalten und die schweren Komplikationen zu verhindern, die
unerbittlich eintreten. Ich werde durch ein paar drastische Bei-
29. Juli 1202.
MUENCIIENER MEDICINiSCllE WOCHENSCHRIFT.
1257
spiele weiter unten zeigen, wohin es führt, wenn der Arzt monate¬
lang anhaltende Magensehmerzen einfach für „nervös“ erklärt.
Sieht man die neuen Lehrbücher über Magenkrankheiten
durch, so bildet man, dass unter den objektiven Symptomen
des I lcus ventr. obenan die Hyperazidität steht. Der hohe
Werth, der diesem chemischen Befund in diagnostischer Be¬
ziehung- beigelegt wird, stammt aus der Zeit, wo man die Magen¬
krankheiten fast ausschliesslich nach dem Verhalten der Salz¬
säureausscheidung klassifizirte. Dass man dabei allmählich über
das Ziel hinausschoss und auf einen todten Punkt gelangte, be¬
weisen die Mahnrufe, welche gegen die einseitige Ausbeute dieser
medizinischen Forschung laut wurden.
Ich habe in einem Vortrag „diagnostische und therapeutische
Bemerkungen zum Ulcus ventr.“ ') in ausführlicher Weise dar-
zuthun versucht, dass Hyperazidität und Hypersekretion weiter
nichts sind als diagnostische Schlagworte, welche absolut, nicht
vermögen, ein Krankheitsbild sui generis darzustellen, wohl aber
geeignet sind, nur Verwirrung in die klinische Bewerthung der
Magenkrankheiten zu bringen.
Für denjenigen Arzt, welcher ohne Voreingenommenheit
und ohne vorgefasste Meinung die Magenkranken untersucht
und beobachtet, steht es unzweifelhaft fest, dass ein richtiges
Bild von der Art, dem Verlauf und dem Ausgang einer Magen¬
erkrankung nur dann zu bekommen ist, wenn man den patho¬
logischen Maassstab an die Hauptfunktion des Magens, an das
Verhalten der motorischen, anlegt.
Die Sondenuntersuchung behufs Erforschung der sekre¬
torischen Funktion, wo der Verdacht auf ein Ulcus vorliegt, ist
jedenfalls werthvoll ; denn die Erfahrung hat gezeigt, dass Hyper¬
azidität in dem Sinne einer prozentualen Erhöhung der nor¬
malen Salzsäurewerthe in vielen Fällen als ein Symptom der¬
selben betrachtet werden kann. Dass es, Ausnahmen gibt, be¬
weisen die zahlreichen in den letzten Jahren veröffentlichten
Fälle. Ich selbst habe unter 35 Fällen von Ulcus 5 beobachtet,
wo Salzsäure vollständig fehlte; ebenso im letzten Jahre einen
Fall, wo überhaupt totale Anazidität bestand und auch die
Enzyme vollständig fehlten. (Die Existenz eines alten Ulcus
wurde durch die nothwendig- gewordene Gastroenterostomie
nachgewiesen.) Nach Boas ist bislang nur ein solcher Fall ein¬
mal in der Literatur beschrieben von L e n h a r t z !).
Es ist nun jedenfalls auffällig, dass bislang der Prüfung
der motorischen Funktion beim Ulcus ventr. nicht .die Aufmerk¬
samkeit geschenkt wurde, welche ihr zukommt. Alle neueren
Lehrbücher über Magenkrankheiten (Leube, Ewald, Flei¬
scher, Riegel, Boas, Eosenheim u. A.) erwähnen nichts
von dem Verhalten der motorischen Funktion. Ich glaube, dies
auf die noch immer vorherrschende Anschauung zurückfuhren
zu können, dass das Ulcus nur dann erhebliche Abweichungen in
der Motilität des Magens zeitigt, wenn es zur Stenosenbildung
am Pylorustheil des Magens geführt hat und damit zur Ectasia
ventr. In diesem Sinne sprechen sich denn auch die genannten
Autoren unter den Kapiteln über die Magenerweiterung aus.
Darüber sind ja allerdings heute die Meinungen nicht mehr ge-
theilt, dass der Begriff Ektasie nur als Folgezustand einer ana¬
tomischen Läsion entweder am Pylorus des Magens, oder weiter
abwärts am Duodenum, oder auch als Stauungsphänomen in
Folge von Verwachsungen mit der Gallenblase, dem Coekum und
anderen Nachbarorganen des Magens aufzufassen ist.
Des Ferneren darf als feststehendes Axiom betrachtet werden,
dass die auf einer primären Atonie basirenden oder als Folge¬
zustand chronisch-katarrhalischer Zustände der Schleimhaut sich
herausbildende physiologische Ektasie scharf zu trennen ist von
der anatomischen. Die diflferentialdiagnostischen Kennzeichen
beider Formen lassen sich nur durch die Sondenuntersuchungen
endresultatlich feststellen. Es genügt, hier zu bemerken, dass
der bemerkenswerthe Unterschied zwischen der anatomischen und
der physiologischen Magenerweiterung darin besteht, dass bei
letzterer die motorische Leistungsfähigkeit nur herabgesetzt ist,
bei der ersteren dagegen der Zeitpunkt für die Entleerung des
Mageninhaltes nach dem Darm soweit von dem physiologischen
abgerückt ist, dass von einer Totalentleerung überhaupt nicht
mehr gesprochen werden kann.
Zu diesen fundamentalen Sätzen ist übrigens auch in einer
sehr verdienstvollen und bemerkenswerthen Arbeit aus der Poli¬
klinik von Boas P. Cohn heim') gekommen, welche, wie es
scheint, in der Literatur nicht genügend gewürdigt worden ist.
Die Auffassung, dass das Ulcus ventr. nur dann, wenn es
bereits zur Stenosenbildung und Ektasie geführt hat, die mo¬
torische Funktion schwer beeinträchtigt, ist aber nicht richtig,
denn sie steht im Widerspruch zu den Thatsachen und Befunden,
welche ich an einer grossen Reihe von Kranken mit Ulcus zu
erheben Gelegenheit hatte. Ich bemerke, dass es sich nur um
solche Kranke handelt, bei denen das Ulcus entweder durch auf¬
tretende schwere Blutungen manifest geworden ist, oder bei
denen in Folge der nothwendig gewordenen Operation (Gastro¬
enterostomie) die Existenz derselben festgestellt wurde.
Es gibt eine g-rosse Zahl von Magenkranken, bei welchen
ausser den konstanten Klagen über Schmerzempfindungen, Uebel-
keit und gelegentlichem Erbrechen kleiner Mengen Mageninhaltes
objektiv am Magen wenig nachzuweisen ist. Man findet dann
nur die Magengegend druckempfindlich, mehr oder minder
Plätschergeräusche, und die untere Grenze des Magens höchstens
bis zur horizontalen Nabellinie reichend, niemals jene sackartige
Ausbuchtung des Magens, wie. sie eben nur als Folgezustand einer
bereits bestehenden Stenose am Pylorus vorkommt. Spült man
dann aber mehrere Male den Magen aus, so findet man neben der
meist bestehenden Hyperazidität und Vermehrung der Flüssig¬
keitsmenge den Mageninhalt noch viele Stunden nach der Mahl¬
zeit vor. In diesen Fällen, wo das Ulcus wegen seines Sitzes
entweder an der kleinen Kurvatur oder an der hinteren Magen¬
wand Stenosen überhaupt nicht setzen kann, sind also die moto¬
rischen Störungen fast ebenso gross, als wenn dieselben vor¬
handen wären.
Ich wäre auf diese Betonimg- des diagnostischen Wertlies
einer wiederholten Prüfung der Motilität des Magens beim Ulcus-
verdacht nicht wieder zurückgekommen, wenn nicht seinerzeit bei
der Besprechung meines Vortrages im Archiv für Verdauungs¬
krankheiten rundweg die Behauptung aufgestellt worden wäre,
dass das Ulcus überhaupt nicht motorische Störungen im Ge¬
folge hätte. Abgesehen davon, dass ich in der Lage bin, den
Gegenbeweis zu liefern, indem sich bei einigen operirten Fällen
von Ulcus zeigte, dass der Sitz derselben jeweilig nicht am
Pylorus selbst, sondern entfernt davon war, und der Pylorus
selbst anatomisch vollständig intakt war, wobei ich gerade auf
Grund der wiederholten Probespülungen hochgradige Motilitäts¬
störungen nachwies, sind es aber auch noch andere Erwägungen,
die die theoretische Annahme der Beeinflussung- der Motilität
durch ein Ulcus auch ohne Stenosenbildung zu erhärten geeignet
erscheinen.
Jeder in seiner anatomischen Struktur beeinträchtigte
Magen antwortet darauf mit einer Verminderung seiner moto-
torischen Leistungsfähigkeit. Alle die zahlreichen abgestuften
Beschwerden der sogen. Dyspeptiker, unter allen hervorragend
die Irregularität der Stuhlentleerung-, resultiren in letzter Linie
daraus, dass die eingenommene Nahrung- über die physiologische
Grenze hinaus im Magen zurückgehalten wird. Während bei der
chronisehen Gastritis glandularis mit der Zeit die Muskularis
in den Prozess einbezogen wird, und zur Verringerung ihrer
Aktivität führt, wirkt das Ulcus indirekt, indem seine Anwesen¬
heit im Hohlraum des Magens gleichsam als Fremdkörper wirkt,
dauernd die Saftsekretion in Thätigkeit hält, wodurch es zur
Ilyperazidität und dadurch bedingtem reflektorischem Spasmus
des Pylorus kommt. Auf andere Weise lässt sich wohl zur Zeit
die Thatsache der Herabsetzung der motorischen Leistungsfähig¬
keit beim PTlcus ventr. ohne Stenosenbildung befriedigend nicht
erklären.
Zu dieser Auffassung ist auch Cohnheim nach dem Ein¬
druck, den ich nach aufmerksamen Lesen seiner Arbeit gewonnen
habe, gekommen., Denn er spricht von Ektasien, welche in Folge
spastischer Pylorusstenose als Reflex eines Ulcus zu Stande
kommen, und nennt solche Ektasien transitorische oder ephemere.
9 XVIII. Kongress für innere Medizin.
2) Deutsche med. Woehenschr. 1890, No. G u. 7.
No. 30.
2) Heber Gastrektasie nach Traumen etc. Arcli. f. Verdauungs-
kranklieiten, V. Bd., 4. lieft.
3
1258
Da aber nach ihm der Begriff der Ektasie überhaupt nur gegeben
ist, wenn eine hochgradig gestörte Motilität des Magens vorliegt,
und das Ulcus auch reflektorisch eine Ektasie bewirken kann, so
ist gegebenen Falles das Ulcus die Ursache der motorischen In¬
suffizienz des Magens.
Sehr treffend sagt Cohnlieim: „Die Beobachtung zeigt
ferner den Grund, warum so viele Fälle von Ektasie nach Pyloro-
spasmus heilen, sobald die Patienten zu einer rationellen Diät über¬
gehen, warum schliesslich so viele Fälle rezidivirenden Charakter
zeigen, monatelang beschwerdefrei sind, monatelang aber auch
typische Symptome der Ektasie aufweisen.“ Und weiter:
„Der springende Punkt bei der Beurtheilung einer Magenektasie
ist heute nicht mehr die Frage, Avie gross der Magen ist, sondern
wie gross die motorische Leistung desselben ist.“
Es kommt nur darauf an, auf welchen Standpunkt man sich
stellt bezüglich der physiologischen Grenze für die Totalent¬
leerung des Mageninhaltes. Boas erkennt den Begriff „Ek¬
tasie“ nur dann an, wenn das Symptom „Anwesenheit stag-
nirender Speisereste mit Sarcine im nüchternen Magen“ gegeben
ist. Ich gehe weiter und sage: Wenn man bei wiederholten
Probespülungen an Magenkranken, welche wegen gewisser sub¬
jektiver Symptome starken Verdacht auf Ulcus erwecken, findet,
dass eines der bekannten Probefrühstücke (nach E w ald, Boas,
Fleiner, Riegel u. A.) länger als 2 Stunden, und zwar unter
meist gleichzeitiger Vermehrung der Elüssigkeitsmenge des
Mageninhaltes, im Magen verweilt oder wenn von einer grösseren
Mahlzeit, aus Fleisch, Brod und Gemüse oder Kompot bestehend,
noch bedeutende Rückstände nach 8 — 9 Stunden vorgefunden
werden, dann kann man nicht mehr von einem anatomisch in¬
takten Magen sprechen.
Es gibt keine Erkrankung des Magens, bei welcher der¬
artige Verzögerungen in der Entleerung des Magens auf die
Dauer Vorkommen.
Differentialdiagnostisch könnte höchstens die Gastroptose in
Betracht kommen, denn bei dieser „Erkrankung“ können ge¬
legentlich auch hochgradige motorische Insuffizienzen konstatirt
werden, wie ich in einer Arbeit4) nachgewiesen habe, was von
McPhendran 5) bestätigt wird, da er zu ähnlichen Schluss¬
folgerungen gelangt, wogegen Hans Elsner (Arch. f. Ver-
dauungskrankh., Bd. VII, IT. 6) behauptet, dass nach seiner Er¬
fahrung Gastroptose fast niemals von Retention und Zersetzung
des Mageninhaltes begleitet ist.
Die Gastroenteroptose weist aber doch ganz andere, beson¬
ders allgemeine, charakteristische Symptome auf als das Ulcus
ventr., so dass sie wohl schwer mit letzterem verwechselt werden
dürfte.
Ich resümire also: Wenn bei Magenkranken auf Grund ge¬
wisser Symptome der Verdacht auf Ulcus vorliegt, so können wir,
besonders in dem Stadium, avo dasselbe noch nicht zur Stenosen¬
bildung geführt hat und somit objektiv nachweisbare Grössen¬
veränderungen des Magens noch nicht stattgefunden haben,
oder auch dort, avo es Avegen seines Sitzes fern ab vom Pylorus
solche überhaupt nicht erzeugen kann, gerade durch die Prü¬
fung der motorischen Leistungsfähigkeit des Magens die Dia¬
gnose auf Ulcus vervollständigen. Dieselbe ist daher auch der
wichtigste differentialdiagnostische Faktor gegenüber einer sog.
„nervösen“ Magenaffektion.
Ich will hier nur kurz 2 Fälle erwähnen, welche wegen ihres
tragischen Ausganges beweisen, wie wichtig es sein kann, früh¬
zeitig die Diagnose auf Ulcus zu stellen und mit dem Wort
„nerA'ös“ Arorsichtig zu sein.
ln dem einen Fall handelte es sich um ein junges Mädchen,
Avelches seit Monaten über periodisch sich steigernde Magen¬
schmerzen klagte, Aviederliolt starkes Erbrechen hatte. Diagnose:
nervöses Erbrechen auf chlorotischer Basis. Karlsbader Salz,
Eisen, Diät. Eines Abends Avurden die Magenschmerzen wieder
so heftig, dass die Dame des Hauses das Mädchen frühzeitig zu
Bett schickte, um Kompressen auf die Magengegend zu legen. Als
am nächsten Morgen das Mädchen nicht zu gewohnter Zeit auf-
stand, Avurde man besorgt, man erbrach die abgeschlossene Thür
und fand das Mädchen als Leiche vor. Eine heftige Magenblutung
Avurde als Todesursache festgestellt.
In dem zweiten Fall handelte es sich um eine Dame Mitte der
Dreissig, welche ebenfalls seit Jahren an periodischen heftigen
Magenschmerzen litt. Da dieselbe sich in sehr guten Verhältnissen
T Agüron: Gastroptosen und anämische Zustände. XIV.
Kongress für innere Medizin.
°) Phendrnn: Gastroptosis. Americ. Medic., 27. Apr. 1900.
Ko. 2Ö.
befand, Avurde natürlich die Erkrankung auf nervös-hysterischer
Grundlage angenommen, und darin liess man sich bestärken, weil
ja auch ein guter allgemeiner Ernährungszustand vorhanden war.
Auch diese Kranke endete in Avenigen Tagen an den Folgen einer
sch AVer en Magenblutung.
Man wird nun eimvenden : Gerade die Gefahr unvorher¬
gesehener Blutungen beim Ulcus ventr. kontraindizirt die An-
wendung der Magensonde zu diagnostischen Zwecken. Dem¬
gegenüber muss bemerkt iverden, dass unter den entsprechenden
Kautelen, Avie Kokainisirung des Rachens, Venvendung ganz
weicher und biegsamer Sonden, die Einführung derselben von der
Hand eines technisch geübten Arztes absolut gefahrlos ist und
die Möglichkeit, dadurch eine Blutung hervorzurufen, jedenfalls
in gar keinem Verhältniss steht zu der Wahrscheinlichkeit des
Eintretens einer solchen in Folge des Brechaktes, Avie er bei
Ulcuskranken so oft natürlich, und künstlich erzeugt, erfolgt.
Da gibt es denn doch noch ganz andere diagnostische Ex¬
perimente, welche Gefahren für Gesundheit und Leben involviren,
und schliesslich dürfte man ja auch so manche therapeutische
Maassnahmen nicht anwenden; ich erinnere nur an das Trinken
grosser Mengen kohlensäurehaltiger Eisenwässer, welche den
Ulcuskranken doch so viel verordnet werden und die den Magen
enorm expandiren. Ich erinnere an die gymnastischen Heb¬
ungen, welche „nervösen“ Herzkranken verordnet werden! Wie
oft verbirgt sich hinter dem nervösen Herzklopfen eine Myo-
degeneratio cordis, ein Aneurysma aortae!
Wenn wir bei dem Verdacht auf Ulcus ventr. die Sonde
nicht mehr anwenden sollen, dann kann man sich ebenso gut
zu dem Standpunkt einer grossen Zahl von Aerzten bekehren,
Avelche dieselbe überhaupt verwerfen und behaupten, auch ohne
sie eine richtige Diagnose stellen zu können.
Was nun die Behandlung das Magengeschwüres anlangt, so
ist im Allgemeinen bei der Mehrzahl der Aerzte über gewisse
Gesichtspunkte eine Einigung erzielt, namentlich in Bezug auf
die Maassnahmen diätetischer und medikamentöser Art. Ich will
hier nicht näher darauf eingehen, da ich auf meinen Vortrag
verweisen kann. Ich möchte nur auf zwei Punkte hinweisen,
die mir geeignet erscheinen, eine grössere Beachtung zu ver¬
dienen.
Da unserer heutigen Auffassung nach, und zivar auf Grund
der hundertfältigen Probeausspülungen, Kranke mit Magen-
geschwür fast ausschliesslich mit flüssig-breiiger Kost wochen¬
lang ernährt werden müssen, wobei unter anderem der Zucker,
Avie schon früher betont, eine grosse Rolle spielen muss, weil
eben entweder in Folge bereits eingetretener Verengerung und
Zerrungen am Pylorus oder wegen der Herabsetzung der motori¬
schen Kraft feste Speisen überhaupt, besonders schlecht gekautes
Fleisch, Gemüse, Kompot, auch mit Vorliebe der so viel als
leicht verdaulich geltende Reis, den Magen nicht verlassen, so
müssen wir darnach streben, die durch die grossen Flüssigkeits¬
mengen bedingten Belastungs- und Druckverhältnisse am Magen
zu kompensiren. Und zwar vermögen wir dies durch die Lage¬
rung der Kranken. Bei der absoluten Rückenlage resp. halb-
rechten Seitenlage mit Erhöhung des Beckens erreichen wir die
Entlastung der grossen Kurvatur und verhüten die faltenartige
Zerrung, Avelche der Druck der Flüssigkeitszone bei der auf¬
rechten Stellung des Körpers am Magen erzeugen muss. Der
Mageninhalt ruht demnach auf der hinteren Magemvand ; inFolge
dessen können wir die Flüssigkeitszufuhr steigern, weil der Ab¬
fluss der flüssigen Nahrung durch die Lagerung begünstigt und
erleichtert wird — daher die rasche Gewichtszunahme eines
Ulcuskranken bei Ruhekuren.
Gerade diese Thatsache der manchmal oft bedeutenden Ver¬
mehrung des KörpergeAvichtes wird als Beweis erbracht für die
Auffassung, dass in einem gegebenen Fall nicht ein Ulcus vor¬
liegt, sondern ein „nervöses“ Magenleiden.
Dass für die Gewichtszunahme und damit für die Hebung
des Allgemeinbefindens einzig und allein die durch die Rücken¬
lage günstig veränderten Verhältnisse der Mechanik des Magens
und die Verringerung des Abstandes des Flüssigkeitsniveaus vom
Abflusspunkt, dem Pylorus, verantwortlich zu machen sind, das
beweisen am besten die Fälle von Ulcuskranken mit hochgradig
gestörter motorischer Funktion, welche während der zweiten
Hälfte einer Schwangerschaft ein ganz verändertes Bild ihres
Zustandes zeigen. Zunahme des Körpergewichts, Nachlassen der
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
29. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1259
subjektiven Beschwerden, besonders der Uebelkeit und auch der
Schmerzen und des lästigen Volllieitsgefühles, Steigerung des
Appetits. 1 ost partum dann allmähliches Wiedereintreten der
alten Beschwerden. Der hochwachsende Uterus übernimmt in
solchen Fällen die Rolle eines sich allmählich unter den Magen
schiebenden breiten Kissens, wodurch die grosse Kurvatur ge¬
hoben, entlastet wird und dieselben mechanischen Verhältnisse
geschaffen werden wie bei der Rückenlage mit Beckenerhöhung.
^ L ebrigens kann man die gleiche Beobachtung auch bei der
Oastroptose machen; ich habe darauf bereits hingewiesen in der
erwähnten Arbeit. In jüngster Zeit hat M a i 1 1 a r t 6) in ähn¬
lichem Sinne 'nie ich auf diese Thatsachen wieder aufmerksam
gemacht.
Der zweite Punkt bei der Behandlung des chronischen
Magengeschwürs ist die von mir empfohlene Eingiessung
von grossen Dosen Bismut. subgall. (Dermatol) in Oel
suspendirt. Ich pflege jedesmal nach voraufgegangener
Auswaschung des Magens mit warmen Borsäurelösungen
ca. 200 g feinsten Leinöles oder Mohnöles mit 10 g
Dermatol stark geschüttelt einzugiessen und darnach die
Rücken- resp. Bauchlage einnehmen zu lassen. Bei noch nicht
zu weit vorgeschrittenen Fällen von chronischem Ulcus, d. h. avo
noch nicht die Stenose und die dadurch bedingte sackartige Er-
weiterung des Magens sich herausgebildet haben, besteht der Er¬
folg darin, dass die Schmerzen bedeutend nachlassen, die mo¬
torischen \ erhältnisse sich bessern, so dass viel früher schon mit
der Zuführung konsistenterer Speisen begonnen werden kann.
Nach den Angaben von Cohn heim scheint die An¬
wendung- von Oel bei Magenleiden auf medizinische Volks¬
instinkte zurückzuführen zu sein. Ich habe auf die warme Em¬
pfehlung desselben, grosse Mengen Oel auf alle Fälle dort, wo
Pylorusstenose vorliegt, zur Anwendung zu bringen, ebenfalls
eine grössere Versuchsreihe angestellt, ohne indessen so günstige
Resultate gesehen zu haben, und bin wieder zu meiner Dermatol¬
oder Bismuth-Oel-Suspension zurückgekehrt. Es dürfte doch
mehr das Medikament als das Oel die Heil- und kalmirende Wir¬
kung erzielen. Der Vortheil, den die Applikation des Medika¬
mentes mit Oel bietet, beruht sicherlich darauf, dass es gleicli-
mässiger auf die Schleimhaut vertheilt wird, länger auf dem Ge¬
schwürsgrund haftet, als Avenn es mit Wasser eingegossen wird,
das bei jeder BeAvegung des Magens in Folge seiner Labilität
das Pulver wieder Avegspült. Dass die Konfiguration des Magens
beim Ulcus ventr. von Einfluss auf den Erfolg einer Bismuthkur
mit oder ohne Oel ist, beweisen mir 4 Fälle, bei denen schliess¬
lich wegen der unerträglichen Schmerzen die Gastroenterostomie
gemacht Avurde, wobei sich herausstellte, dass alte Ulzera direkt
am Pylorus sassen und narbige Verwachsungen des Pylorus mit
der Nachba rscha f t und bedeutende Stenosirung desselben zur
folge hatten. Schon bei der ersten Untersuchung (Frühjahr
1901) fiel mir die enorme Vergrösserung des Magens auf, mit der
charakteristischen Ausbuchtung. Die oft wiederholten Ein¬
giessungen von Dermatol-Oel-Suspensionen hatten in keinem der
Fälle auch nur Linderung gebracht, was dadurch erklärlich ist,
dass dieselben an den tiefsten Punkt des Magens, jener Aus¬
buchtung, zu liegen kamen.
Es eignen sich demnach zu solcher medikamentösen Behand¬
lung des Magengeschwüres nur jene Fälle, bei denen die Ste¬
nosenbildung noch nicht so weit fortgeschritten ist, sondern wo
das Ulcus weiter ab vom Pylorus sitzt und der Tonus der Mag'en-
muskulatur noch nicht so weit gesunken ist, dass in Folge des
Missverhältnisses zwischen Leistungsfähigkeit und Belastung des
Magens sackartige Erweiterungen entstehen.
Nachschrift: Während der Drucklegung dieser Arbeit
hat der 20. Kongress für innere Medizin stattgefunden, auf dem
Ms ein Ilauptthema „Diagnose und Therapie des Magen¬
geschwürs“ zur Verhandlung stand. Leider wurde die wichtige
frage, inwieweit die Prüfung der Motilität des Magens beim
Ulcus als diagnostischer und besonders als differentialdiagnosti¬
scher Faktor gegenüber der sog. nervösen Dyspepsie anzusehen
ist, überhaupt nicht behandelt, und bei der Hast, mit der das
ganze Thema durchgepeitscht wurde, und bei der Kürze der den
9 Ueber den günstigen Einfluss der ScliAvangerschaft auf die
Enteroptose. Centralbl. f. Gynäkol. 50.
Diskussionsrednern zugemessenen Zeit konnte ich auch nur auf
die Wichtigkeit dieser Frage hinweisen. Nach dem Gang der
Verhandlungen zu urtheilen, lautet der Spruch, den der medi¬
zinische Kongress, gleichsam als eine Art „Reichs-Medizin-
Gerichtshof“, über Diagnose und Therapie des Magengeschwürs
gefällt hat : „Es bleibt Alles beim Alten“.
Die spinalen Reflexe in der Hysterie.
Von Prof. Dr. Steiner in Köln.
Die landläufigen spinalen Reflexe, Avie der Bauch-, Hoden-
und Plantarreflex, sowie der Ellenbogen-, Knie- und Achilles¬
sehnenreflex laufen in einem Bogen, dessen zentrales Stück im
Rückenmark liegt. Die Folge davon ist, dass bei Erkrankungen
des Rückenmarkes naturgemäss Störungen der Reflexe auftreten,
Avenn der Reflexbogen im Bereiche der Erkrankung liegt.
Der Reflex Avird aber auch eine Störung erleiden, wenn das
zentrifugale Stück seines Bogens beeinträchtigt ist und ebenso
bei Schädigung seines zentripetalen Anteiles.
Dieses letztere Vorkommnis interessiert uns für die Fälle
von Hysterie, welche mit totaler Anästhesie der Haut der einen
oder beider Seiten einhergehen, und die so liegt, dass der zentri¬
petale Ausbreitungsbezirk, den man auch als den Fuss des Re¬
flexes bezeichnen kann, in den Bereich der Anästhesie fällt.
Dabei erhebt sich die Frage, ob und inwieweit die betreffenden
Reflexe eine Beeinträchtigung erfahren haben.
Der Einfachheit halber wollen wir nur vom Kremaster- und
Plantarreflex, soAvie dem Kniereflex sprechen, von denen man
die beiden ersten als Hautreflexe gegenüberstellt dem Kniereflex
als einem Sehnenreflex.
Die Klassiker der Hysterie, ich meine C h a r c o t und seine
Schule, lehren ), dass die Reflexe, welche auf Kitzeln (chatouille-
ment) eintreten und deren Fuss im Bereiche der Anästhesie liegt,
vernichtet sind ; so z. B. der Plantarreflex auf der anästhetischen
Seite fehlt gegenüber der gesunden, wo er vorhanden ist. Aber
schon der Bauchreflex verhält sich anders, denn er soll nach
Rosen bach auf der kranken Seite erhalten sein, während
dieser Angabe gegenüber dieselbe Stelle (Pit res) behauptet,
dass er, wenn auch nicht A'emiclitet, so doch herabgesetzt sei.
lieber das Verhalten des Hodenreflexes, der nach der allgemeinen
Regel ebenfalls ausfallen müsste, habe ich eine besondere An¬
gabe nicht finden können.
Prinzipiell anders sollen sich die Sehnenreflexe verhalten,
da sie weder eine Steigerung noch eine Abschwächung auf¬
weisen * 2).
Bei G o w e r s finden wir die Angabe, dass im Gebiete der
hysterischen Anästhesie die Reflexe nicht verändert sind3).
Löwenfeld schreibt: „Wichtiger scheint mir bei Hysterie
(Anästhesie vorausgesetzt) das Verhalten des Kniephänomens;
dasselbe fehlt bei Hysterie sehr selten. Mangel desselben weist
daher primo loco auf eine organische Affektion des Nerven¬
systems hin“ 4). Sternberg berichtet: „Bei hysterischer
Monoplegie oder Hemiplegie findet sich häufig ein Unterschied
in den Sehnenreflexen der beiden Seiten, wiewohl Althaus das
bestritten hat. Meist sind auf der sensorisch oder motorisch ge¬
lähmten Seite die Sehnenreflexe gesteigert, doch kommt auch
Herabsetzung vor“5). Im Falle von Dejerine: Hemiplegie
mit Hemianästhesie fehlte beiderseits der Patellarreflex. Meine
eigenen Erfahrungen stimmen mit denen der Pariser überein : Ich
beobachte zur Zeit ein junges Mädchen mit schAverer Hysterie,
bei welcher eine totale Anästhesie der unteren Extremitäten be¬
steht, avo der Plantarreflex fehlt, während die Kniereflexe ganz
regelrecht und leicht auslösbar sind.
Als allgemeine Regel würde sich demnach ergeben, dass
innerhalb der hysterischen Anästhesie die Sehnenreflexe erhalten,
die Hautreflexe vernichtet oder herabgesetzt sind. Der IJoden-
9 Gilles de laTourette: Traite clinique et therapeutique
de l’hysterie etc.. Bd. I, 1891, p. 16G. — Pit res: Legons cliniques
sur l’hysterie et l’hypnotisme. Paris 1891.
2) 1. c., Bd. II b, 1895, p. 70.
3) Gowers: Handbuch der Nervenkrankheiten, Bd. III, 1892,
S. 301.
4) LÖAvenfeld: Path. u. Ther. d. Neurasthenie u. Hysterie.
Wiesbaden 1894. S. 373.
5) Sternberg: Die Sehnenreflexe und ihre Bedeutung für
die Pathologie des Nervensystems. Wien 1893. S. 254.
3*
1260
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
reflex, über den ich weder aus eigener Erfahrung noch aus der
Literatur berichten kann, würde sich als Hautreflex dem 'S er¬
halten derselben anzuschliessen haben.
Unter Umständen kann das aber auch anders sein, wie es
sich in einem Falle von Hysterie ereignete, den ich seit mehreren
Jahren zu beobachten Gelegenheit habe und dessen besonderes
Interesse darin liegt, dass mit Eintritt der Anästhesie sich untei
meinen Augen ein umgekehrtes Verhalten der Reflexe einge¬
stellt hat. .
Es handelt sich um einen sehr kräftigen jungen Mann, i±. x.,
von 27 Jahren, welcher als Wagenwärter der Staatshahn am 2. No¬
vember 1898 bei der Entgleisung eines Schnellzuges einen Lntail
erlitten hatte, dessen Folgen eine Gehirnerschütterung mit Be¬
wusstseinsverlust und eine Kontusion des Rückens waren. Nach
Wiederkehr des Bewusstseins soll er reichliches Nasenbluten ge¬
habt haben. Da der Mann weiterhin arbeitsunfähig geblieben war,
wurde er mir zur Begutachtung und Hospitalbehandlung über¬
leben C *•
Er trat am 1. April 1899 in das Hospital ein mit vorwiegenden
Klagen über ständige Kopfschmerzen, Rückensclimerzen, allge¬
meine Müdigkeit und Gedächtnisschwäche. T. war Soldat, sehr
untersetzter und gedrungener Figur, sowie blühender Gesichts¬
farbe. Trotz des glänzenden Aussehens ist er erregt und leicht
weinerlich. Seine Bewegungen sind völlig frei; nirgends sind
Muskelatrophien vorhanden und ebensowenig Störungen in den
Sinnesapparaten inkl. der Haut, welche überall deutlich tulilt.
Dagegen ist die ganze Schädeldecke auf Druck empfindlich, ebenso
die ganze Wirbelsäule bis hinunter zum Kreuzbein.
Die Ellenbogenreflexe sind vorhanden; Bauch- und Hoden¬
reflex in normaler Stärke nachweisbar; ebenso die Kniereflexe,
aber es ist deutlich der linke stärker als der rechte; Plantarreflex
lebhaft und linkerseits etwas Fussklonus angedeutet.
Alle übrigen Funktionen sind normal; der Puls 04 — 08; der
Harn frei von Eiweiss und Zucker.
Bei der Schwere des Unfalles und bei dem guten Leuniunds-
zeugnis, das die Akten dem Manne ausstellten, bestand kein
Zweifel über die Richtigkeit seiner Angaben, die übrigens auch
bei dem mehrwöchentlichen Aufenthalte im Hospitale konstatiert
werden konnten.
Auf seinen Wunsch wurde T. am 28. April 1899 nach
4 wöchentlicher Behandlung ungeliebt entlassen: Die Riicken-
schmerzen sind verschwunden, ebenso der Fussklonus, während
die übrigen Beschwerden dieselben geblieben sind und der ob¬
jektive Befund eine Aenderung nicht erfahren hat. Von der Ge¬
dächtnisschwäche konnten wir uns nicht überzeugen, da der Mann
alle Daten aus seiner Umgebung und aus den letzten Tagen richtig
angab, auch ganz richtig rechnete. Er meinte nur, dass ihm ver¬
winkeltere Rechnungen nicht mehr so gelängen, wie früher.
Uebrigens ist die Klage über diesen Mangel später ernstlich nicht
mehr wiederholt worden. Nach etwa 1 y2 Jahren, Ende November
1900, konnte ich den Mann wieder untersuchen: Seine Klagen
waren dieselben, aber seine Stimmung sehr viel schlechter, denn
er lebte mit Frau und Kindern in kümmerlichen Verhältnissen,
da er trotz wiederholter Versuche dauernd nicht zu «arbeiten ver¬
mochte und die ihm zugefallene Rente nur für das Notwendigste
reichte.
Eine erhebliche Veränderung war in dem objektiven Befunde
eing’ttreten, die (der Kürze wegen) allein hier angeführt werden
soll. Die eine Veränderung betraf das Gefühlsvermögen der Haut:
Beide Beine sind völlig unempfindlich gegen Pinselstrich und
Nadelspitze bis auf die Fussohlen. welche lebhaft empfinden; un¬
empfindlich sind beide Anne und Hände; die Vorder fläche des
Rumpfes ist überempfindlich; seine Rückenfläche, sowie Gesicht
und Kopf sind normal empfindlich. Die zweite Veränderung be¬
trifft die Reflexe, von denen die beiden Sehnenreflexe, nämlich der
Ellenbogen- und Kniereflex, v ö 1 1 i g versc li w u n d e n u n d
mit keine m d er he k a nuten Hilfsmittel ausl ö s -
b a r s i n d, während der Hodenreflex normal und recht lebhaft
erscheint. Bauch- und Plantarreflex sind unverändert; ihr Er¬
regungsbezirk hat ja auch keine Veränderung erfahren.
Dass die Anästhesien der Haut keine Vorspiegelung sind, geht
aus der Tatsache hervor, dass ein rein objektives Symptom, wie
der Kniereflex, verschwunden ist, d. li. es ist sicher, dass in dem
Organismus wesentliche Veränderungen vorgehen, also auch jene
Aendernngen glaubwürdig erscheinen. Dazu kommt weiter die
allgemeine Zuverlässigkeit des Mannes.
Neun M onate später, Ende August 1901 . habe ich den Mann wieder
untersucht und gefunden, dass die Reflexe, vor allem djr Hoden-
und Kniereflex, sich in gleichem Zustande befanden wie früher,
während die Ilautempfindungen folgende Armierungen erfahren
haben: Die Beine sind bis auf die Sohlenflächen völlig unempfind¬
lich: die Arme sind nicht mehr ganz unempfindlich, sondern nur
erheblich herabgesetzt: die Vorderfliiche des Rumpfes ist eben¬
falls herabgesetzt, während die Rückenfläche ganz unempfindlich
ist bis auf zwei seitliche Streifen an den Lenden. Gesicht und
Kopf fühlen normal.
Eine neue Untersuchung, am 21. Oktober v. J., zeigte die Sen¬
sibilität der Haut von neuem verändert: Das Gesicht und der Kopf
sind intakt, hingegen waren der Schultergürtel bis zum Halse und
bis unterhalb der Brustdrüsen, sowie die Arme und Hände total
unempfindlich; die Bauchgegend von jener Linie bis nahe der
Spinalgegend (aber immer in zum Körper senkrechten Linien)
herabgesetzt; die Beine total unempfindlich mit Ausnahme dei
Fussohlen. Der Rücken ebenso mit Ausnahme zweier . seitlicher
Streifen an den Lenden, die bis an die Skapularlinie reichen und
sich der Mittelbauchgegend ansehliessen, sowohl örtlich als ihren
Empfindungen nach.
Das Verhalten der Reflexe bleibt unverändert: der Hodenreflex
ist recht lebhaft, der Kniereflex ausgelöscht.
Die ganze Art und Entwicklung der Hautanästhesie macht
cs gewiss, dass es sich um eine Hysterie und nicht um eine-
organische Erkrankung des Nervensystems handelt, zu deren
Gunsten das Verschwinden des Kniereflexes sonst sehr eindring¬
lich zeugen würde.
Dass es sich um eine traumatische Hysterie handelt, macht
für die folgenden Betrachtungen nichts aus, da nach allgemeiner
Auffassung ein wesentlicher Unterschied zwischen einer trau¬
matischen und einer aus anderen Gründen sich entwickelnden
Hysterie nicht besteht; ganz abgesehen davon, dass hier das
Trauma nicht die direkte, sondern die indirekte Ursache für die
Entwicklung der Hysterie zu sein braucht.
Jedenfalls sehen wir an diesem Beispiele — und darauf läuft
die ganze Betrachtung hinaus — , dass die Reflexe in der mit An¬
ästhesie der Haut einhergehenden Hysterie sich gerade umge¬
kehrt verhalten können, wie die- Schulfälle vorschreiben: Der
Haut reflex, speziell der Hodenreflex, bleibt
erhalten, der Kniereflex aber verschwindet.
Das besondere aktuelle Interesse an diesem Falle liegt darin,
dass der Eintritt der Hautanästhesie und das Schwinden des
Kniereflexes unter meinen Augen vor sich gehen; man also nicht
sagen kann, dass der Kniereflex dem Individuum auch schon
vorher gefehlt habe, was durchaus nicht ausgeschlossen ist. Das
lehrt direkt der oben erwähnte Fall von De j er ine, wo der
Kniereflex fehlt auf der gesunden und der a n ä s t h e -
t i s ehen Seite, d. h. wo die Anästhesie auf das Verhalten des
Reflexes einen Einfluss überhaupt nicht ausgeübt hat. Für den
I-Iodenreflex trifft ein gleicher Einwurf nicht zu, da er bei der
Umkehr der Regel eben erhalten bleiben muss, unabhängig von
seinem vorherigen Verhalten.
Ist es gestattet, aus dieser einen, allerdings wohl selten vor¬
kommenden Beobachtung, einen Schluss zu ziehen, so wäre der¬
selbe in folgender Weise zu fassen : U nter sonst gleichen
IT matänden spricht das Verschwinden des
Kniereflexes nicht gegen die Hysterie, wenn
der Ho den reflex erhalten i s t.
Die Unversehrtheit des Kniereflexes in der hysterischen An¬
ästhesie' dient bekanntlich als Beweis dafür, dass dieselbe zere¬
bralen Ursprunges ist; indes reicht die einfache Erklärung nicht
mehr aus, um das Fehlen der Hautreflexe verständlich zu machen,
für welche die Anästhesie natürlich ebenso im Gehirn gesucht
werden müsste. Und wenn diese Formel für die Reflexe sich um¬
kehrt, wie es liier geschehen ist, wie stellt sich dann die Er¬
klärung?
Man wird vorläufig die Antwort auf diese Fragen schuldig
bleiben müssen.
Ueber Verletzungen der Brust, speziell des Herzens.
Von Landgerichtsarzt Dr. W e t z e 1 in München.
Die Vielseitigkeit dieser Zeitschrift bringt es mit sich, dass
Schreiber dieses sich gestatten darf, über eine Reihe durch ge¬
richtliche Sektionen erhobener Befunde zu berichten, die sich bei
Leuten ergaben, welche an Brustverletzungen verstorben waren.
Das zu Grunde liegende Material, zum grössten Teil aus den
Folgezuständen von Stich-Schnittwunden bestehend, wurde ge¬
liefert durch Raufexzesse, bei denen ganz gewöhnlich der Dämon
Alkohol die ausschlaggebende Rolle spielte. Man muss cs sehr
bedauern, dass alljährlich so viele blühende Menschenleben aus
nichtigen Anlässen zu Grunde gehen und möchte oft eine
strengere Sühne für solche Delikte wünschen, welche einer frevel¬
haften Unterschätzung des Lebens anderer entspringen. Zum
Glück nehmen ja nicht alle Fälle einen tragischen Ausgang, weil
entweder der Stich daneben geht oder die Verletzung in Genesung
endet. Dass solche Heilungen bei Eröffnung der Brusthöhle,
bei Verletzungen der Lunge, des Herzbeutels, ja des Herzens
selbst Vorkommen, lehrt sowohl die klinische Erfahrung, als auch
so mancher Sektionsbefund. Zwar wird nicht leicht ein Gerichts
arzt in die Lage kommen, geheilte Herzwunden zu konstatieren
29. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1261
— wie es andrerseits Berichterstatter schon zweimal erlebte,
dass bei aus anderer Ursache Getöteten in die Schädelknochen
eingeheilte Messerspitzen und Gehirnnarben gefunden wurden _ ,
aber man sieht doch nicht selten, dass eine Verletzung in Wirk¬
lichkeit eigentlich nicht so schlimm war, dass dadurch bei Aus¬
schluss anderer Umstände der Tod hätte bedingt werden müssen.
So ist z. B. die einseitige Eröffnung der Brusthöhle an sich —
wenn sie doppelseitig vorkommt, ist sie nach Landois un¬
bedingt tödlich — , wenn der Verletzte einmal den ersten Schock
überwunden hat, doch nicht als ein direkt das Beben gefährdendes
Ereignis aufzufassen, denn einerseits findet man in solchen
Fällen, dass die Luft nie ganz aus der kollabierten Lunge ent¬
weicht, wenn diese nicht etwa nach provisorischem Verschluss
der 1 horaxwunde durch einen Ilämothorax komprimiert wird,
andrerseits kann man ja ab und zu an solchen Fällen, in denen
gelegentlich der Punktion eines Pleuraexsudates aus Versehen
Luft in die Brusthöhle eindringt, sehen, dass die Bildung eines
Pneumothorax gar oft ohne üble Folgen vorübergeht. Auch
Lungenwunden heilen nicht selten; aus solchen Wunden kann
aber, auch wenn sie nicht sehr ausgedehnt sind, eine bedenkliche
und das Leben gefährdende Blutung in den Brustfellraum ein-
treten. Bei nicht penetrierenden Herzwunden kann die Wunde
sich verkleben und die Blutung in den Herzbeutel vollständig
resorbiert werden, und auch bei penetrierenden kann man beide
Erscheinungen als Ausdruck der vis medicatrix naturae be¬
obachten. Nachstehende Fälle mögen das Gesagte illustrieren:
Fall E. Der linke Oberlappen zeigt nabe an seinem unteren
Rande eine penetrierende Wunde von 1,1 cm Länge. Die linke
Brusthöhle enthält massenhaft flüssiges und geronnenes Blut. Im
linken Ventrikel befindet sich eine 1,5 cm tiefe, sehr fest verklebte
Stichverletzung, die deshalb nicht penetrierte, weil sie sich gerade
am Ursprung des vorderen Papillarmuskels befand. Der Herz¬
beutel enthielt nur etwas blutige Flüssigkeit
in Folge von Perikarditis.
Fall St. Querverlaufende, penetrierende Wunde des linken
Ventrikels, sehr fest verklebt. Der Herzbeutel enthält
nur einige Tropfen flüssiges Blut.
Für den Ausgang von Herzverletzungen spielen natürlich
Sitz und Beschaffenheit der Wunden eine massgebende Rolle.
Vorhofwunden töten immer, an Gefährlichkeit diesen am nächsten
stehen Wunden beider Ventrikel, dann die des linken, endlich
des rechten Ventrikels. Immerhin berechnet Fischer in
seiner Monographie über Herzwunden, dass man 10 Proz. Hei¬
lungen — allerdings die relativen mitgerechnet — annehmen
dürfe, bei Stich-Schnittwunden 8 Proz.
Das Verhältnis wird sich ja wohl seit der Einführung der
Herznaht (R e li n) noch etwas gebessert haben. Ob solche bei
Schusswunden je von Erfolg sein wird, dürfte zu bezweifeln sein,
da ja die Wunden gequetscht sind, eine Glättung der Ränder
wohl kaum im Bereich der Möglichkeit liegt, und somit die Aus¬
sichten auf eine prima reunio minimale sind.
Wie eine Heilung überhaupt zu Stande kommen kann, da¬
rüber gab der vorerwähnte Fall St. ein recht instruktives Bild:
Die feste Verklebung der 1,1 cm langen Querwunde war da¬
durch mächtig begünstigt, dass der Wundkanal, wie ein Längs¬
schnitt durch die Stelle der Wunde ergab, einen mehrfach ge¬
wundenen Verlauf hatte.
Dieses wird leicht verständlich durch den Umstand, dass die
Herzmuskulatur aus verschieden verlaufenden Faserschichten,
nämlich je einer äusseren und inneren Längsschichte und einer
mächtigen Querschichte besteht, die durch schräge Faserzüge
mit einander verbunden sind. Der obige Befund wurde an einem
ziemlich erschlafften Herzen aufgenommen, es ist also wohl an¬
zunehmen, dass der Stich im Momente der stärksten Zusammen¬
ziehung des Herzens zugefügt wurde.
Wenn solche Fälle, oder auch harmlosere, die nach ihrer Be¬
schaffenheit oder nach dem anfänglichen Verlauf Anwartschaft
auf Heilung gehabt hätten, doch letal endigten, so liegt eben
6er Grund in einer Infektion der Wunde, welche um so
leichter erfolgen kann, als ja die verletzenden Instrumente, die
zu durchdringenden Kleidungsstücke der Verletzten, und nicht
zuletzt die Hautoberfläche derselben in bakteriologischer Hin¬
sicht oft von recht bedenklicher Beschaffenheit sind. Zu unserem
Leidwesen sehen wir daher gelegentlich auch Fälle zu Grunde
gehen, in denen die Brusthöhle nicht einmal eröffnet, ein wich¬
tiges Blutgefäss nicht getroffen ist und doch eine fortschreitende
Entzündung verhängnisvoll wird, so im
'o. 30
ran H. Ls war nur der 2. rechte Rippenknorpel durch¬
schnitten. lod am 5. Tage an eitriger Mediastinitis, Perikarditis
doppelseitiger septischer Pleuritis.
Auch die zwei bereits erwähnten Fälle gingen an Infektion
zu Grunde, welche in der Herzwunde ihren Anfang nahm.
Fall E. Nicht penetrierender Herzstich. Eitrige Infiltration
(loi Heiz wunde, Perikarditis mit 1 cm dicken Exsudatmassen
hämorrhagischer Infarkt der rechten Niere. Tod nach 7 Tagen
Fall St. Penetrierender Herzstich. Infiltration der Herz¬
muskulatur in der Umgebung der Wunde. Bildung eines Herz¬
thrombus an der Ventrikelwunde, hämorrhagischer Infarkt beider
Nieren, Embolie der rechten Art. fossae Sylvii, Tod nach 9 Tagen.
Zuweilen spielen ganz besondere Verhältnisse eine ominöse,
den Tod herbeiführende Rolle, so in einem von Beckert im
Verein deutscher Aerzte zu Prag mitgeteilten Falle (Münch, med.
Woclienschr. 1901, No. 21):
Einige Tage nach einer Brustverwundung war der Verletzte
wieder arbeitsfähig, starb aber 14 Tage später plötzlich bei der
Defäkation. Es ergab sich eine Blutung in den Herzbeutel
aus einer kleinen Oeffnung in einem Aste der A. coronar.
dextr., und es wurde angenommen, dass das Gefäss primär nur
oberflächlich verletzt gewesen, dann aber durch den vermehrten
Blutdruck nachträglich geplatzt sei.
So ist der Ausgang einer Brustverletzung von gar manchen
Zufälligkeiten abhängig.
Bei der Untersuchung von Brustverletzungen
sieht man an der äusseren W unde gewöhnlich
gar nichts Charakteristisches. Die beiden Enden unter¬
scheiden sich nicht von einander. Zuweilen sieht man
aber eine Konfiguration der Hautwunde, die einen Schluss
gestattet, nach welcher Richtung die Schneide des Messers ge¬
richtet war. Die Wunde bildet da nämlich ein meist liegendes,
sehr langgestrecktes, spitzwinkliges Dreieck, dessen Grundlinie
sehr kurz, meist nur millimeterläng ist. Auf den ersten Blick
sollte man meinen, die Grundlinie entspräche dem Rücken des
Messers, es ist jedoch gerade umgekehrt und anzunehmen, dass
diese Figuren bei dem Herausziehen des Messers aus der Wunde
durch eine unwillkürliche Drehung entstehen. Dies geht daraus
hervor, dass man gelegentlich an der Grundlinie ein kleines, nach
innen vorspringendes Hautläppchen beobachten kann und wird
bewiesen durch den Befund im
Fall Bl. Hier war die Spitze des Messers unter der Haut
nach aussen in die Axillargefässe vorgedrungen; die Hautwunde
bildete ein liegendes Dreieck mit der Grundlinie nach aussen.
Die hier stattgehabte Art der Messerführung mit pronierter
Faust und mehr weniger nach auswärts gerichteter Schneide
ist die gewöhnliche, und es können dabei sehr bedeutende Auf-
schlitzungen der Interkostalräume hervorgebracht werden:
Fall R. Schnitt am unteren Rand der V. linken Rippe,
Weichteilwunde 12 y2 cm lang, Eröffnung des Pleuraraums auf
8 cm, Herzbeutehvunde 5 cm, quere Herzwunde 4 cm laug.
In anderen Fällen wird in Supinationsstellung, gestochen;
alsdann kann aus der Lage der äusseren Wunde allein auf eine
Herzverletzung oft nicht geschlossen werden.
Fall E. und Fall Sch. Wunde in der vorderen Axillarlinie,
Stichverletzung des linken, bezw. rechten Ventrikels.
Rippen können glatt durchstochen werden :
Fall Au. Die linke V. Rippe zeigte einen halb dem knorpe¬
ligen, halb dem knöchernen Teil ungehörigen, 2 cm langen, dem
Verlauf der Rippe entsprechenden, festgeschlossenen Spalt. Das
Messer war hier durchgedrungen und hatte das Herz getroffen.
Auf ein Vorkommnis wird man gelegentlich nicht selten
aufmerksam, das ist das Vorhandensein kleinerer und weniger
tief dringender Verletzungen in der Tiefe der Organe neben der
Ilauptwunde.
Fall Sch. Ausser der Herzverletzung war eine Durchstechung
des linken Oberlappens vorhanden. Neben der Ausstichwunde
desselben befand sich eine kleine, einige Millimeter lange parallele
Wunde.
Fall Tr. Der Stich drang in den rechten Vorhof, durchsetzte
das vordere Segel der Tricuspidalis und verletzte noch die Hinter-
waud des r. Ventrikels. Parallel mit der Wunde des Klappensegels
verlief eine kleinere zweite.
Die Beschaffenheit dieser Wunden weist auf zwei Tempos
hin, es ist aber wohl nicht nötig, diese Zweizeitigkeit dem Täter
auf Rechnung zu setzen und anzunehmen, dass zweimal gestochen
wurde; auch Faltenbildung der Organteile, die wohl Vorkommen
mag, ist da nicht wahrscheinlich, wo eine Inkongruenz der neben
einander liegenden Stiche besteht und die eine Wunde weiter in die
Tiefe dringt. Der Grund dürfte unseres Erachtens vielmehr in der
Reaktion des Gestochenen gegen die Verwundung zu suchen sein.
Da Messer dringt mit einer gewissen Geschwindigkeit ein, der
4
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
1262
Verletzte macht eine unwillkürliche Bewegung nach rückwärts,
und dabei können sich die eben von der Messerspitze erreichten
Teile wieder etwas aus deren Bereich entfernen; im nächsten
Moment dringt aber das Messer wieder vor und vollendet seinen
Lauf.
Häufig werden die dem Brustraum angrenzenden Arterien
verletzt, teils isoliert, teils im Verein mit den Organen der Brust¬
höhle.
Eine Füllung des Brustraums mit Blut braucht daher nicht
immer von einer Verletzung des Herzens und seiner Gefässe oder
der Lunge herrühren. Auch die Intercostalis kann ver¬
hängnisvoll werden.
Fall H. Alter Mann, erhält einen kleinen Stich in die hintere
Axillarlinie nahe der Axilla, ohne äussere Blutung, dei' anfangs
ohne Bedenken erscheint und vom Arzt mit 2 Nähten vereinigt
wird. Nach 2 Tagen Tod durch Verblutung in den Brustfellraum
aus der quer durchtrennten A. intercostalis. #
Verletzungen der A. mammaria interna sind sehr
häufig, Dank ihrer anatomischen Lage, mit Herzverletzungen ver¬
bunden und beschleunigen, da diese Arterie ein ziemliches Kaliber
hat, den Eintritt des Todes. Anatomisch wäre ihre isolierte Ver-
Verletzung nur im 1. oder 2. rechten Interkostalraum wahr¬
scheinlich, da sie hier nach aussen von der V. cava sup. liegt.
In einem Fall wurde die M. int. durchschnitten und die Lunge
verletzt, die Arterie nach Resektion eines Knorpelstückes unter¬
bunden, die Lungenwunde genäht. Der Tod erfolgte aber doch
an septischer Pleuritis, die auch durch die Empyemoperation nicht
aufgehalten werden konnte. Bei der Sektion zeigte sich eine
zweite, tiefere Lungenwunde, die bei der Operation nicht gesehen
werden konnte.
In seltenen Fällen kommt die Blutung zum Stehen.
Sehr bemerkenswert ist hier der mehrfach zitierte Fall St.
Bei gleichzeitigem Herzstich zog sich die durchschnittene Arterie
zurück und verstopfte sich durch einen festen Thrombus. Infolge
der durch den starken Blutverlust gesunkenen Herzkraft erfolgte
auch bis zu dem nach 9 Tagen eintretenden Tod keine Nach¬
blutung.
Endlich kommen auch die Axillar gefässe in Betracht.
Fall Bl. Der Stich wurde mit grosser Wucht horizontal von
innen nach aussen geführt. Das Messer schlitzte den 2. Inter¬
kostalraum auf, schnitt die Lunge an, verliess die Brusthöhle
■wieder, und seine Spitze drang unter der Haut nach aussen und
verletzte die Vena axillaris und die A. thoracico-akromialis dicht,
an ihrem Ursprung. Die äussere Blutung war zunächst gering,
da alles Blut sich in den breit eröffneten Pleuraraum ergoss.
Zweimal entleerte sich dann das Blut im Schwall aus der voll¬
gefüllten Brusthöhle, der Tod erfolgte nach % Stunden.
Alle diese Eventualitäten treten aber natürlich in den
Hintergrund gegenüber der Bedeutung einer Verletzung des
Herzens selbst. Die Untersuchung solcher Herzen erregt
das Interesse nicht nur wegen der dort aufzufindenden Ver¬
wundung, man trifft auch gelegentlich recht interessante Neben¬
befunde, besonders auch in Beziehung auf die Beschaffenheit
einzelner Teile des Herzens oder der Lagerungsverhältnisse des
ganzen Organes.
"Wer häufig Sektionen zu machen Gelegenheit hat, der wird
die Beobachtung machen, dass man bei Personen, die aus an¬
scheinend völliger Gesundheit heraus gewaltsam zu Grunde
gingen, gar häufig pathologische Befunde verschiedener Dignität
am Herzen trifft. Abgesehen von Residuen entzündlicher Pro¬
zesse, Trübungen der Endokards, Klappenverdickungen mässigen
Grades, teilweiser oder gänzlicher Verwachsung des Herzens mit
dem Herzbeutel, Sehnenflecken u. a. trifft man, wohl als Folge
einer Endarteriitis, Trübungen oder plattenförmige Verdickungen,
sowie Rigidität der Aorta mit konsekutiver Herzhypertrophie,
vorzeitige Schlängelung der Arterien — die letzteren Erschei¬
nungen sogar bei Kindern — , sowie besonders oft Eettauflage-
rungen auf dem Herzen, welche die Muskulatur des rechten Ven¬
trikels häufig zum grössten Teil ersetzen, so dass fast der ganze
Ventrikel mcmbranöse Wandungen erhält, oder welche sich keil¬
förmig in dieselben hinein erstrecken. Offenbar spielt hier
das I’otatorium eine grosse Rolle, ebenso die starke Er¬
höhung des Blutdrucks bei nicht selten schon im jugendlichen
Alter begonnener schwerer Arbeit, bei Kindern gewiss auch
Rhachitis, Skrofulöse und hereditäre Lues. Das letztere ist ja
auch nicht zu verwundern. Der junge Bauer akquiriert einen
Schanker, macht wohl auch eine erste spezifische Kur durch;
was — vielleicht erst nach vielen Jahren — nachkommt, wird
nicht mehr mit dem jugendlichen Malheur in Verbindung ge¬
bracht und vernachlässigt.
Auch angeborene Abnormitäten sind hier zu er¬
wähnen :
Fall E. Herzstich. Die freipräparierte A. subclavia, die auf
ihre Intaktheit untersucht wurde, -war auffallend kleinkalibrig,
die aufgeschnittene Aorta mass nur 5,5 cm in der Quere — normal
S cm — , das Herz war 12 cm lang und nur 9 cm breit — normal
10 bezwr. 11 cm — , seine Höhlen waren eng, die rechte Ventrikel-
wand war bis zu 5 mm, die linke 1,6 cm dick.
Es handelte sich also um angeborene Enge des ganzen
arteriellen Gefässystems bei einem kräftigen und gesunden
Menschen. Das Herz war in die Länge gezogen und hyper¬
trophisch.
Im Fall E. wurde eine Aorta mit nur zwei Semilunarklappen
gefunden, während die Pulmonalis normal war. Solche Klappen
können ja schlussfähig sein, im vorliegenden lalle waren sie dies
nicht ganz, denn die medialen, einander zugekehrten Enden der
Klappen waren kolbig verdickt und Hessen einen kleinen Zwi¬
schenraum zwischen sich.
In einem Palle hatte eine angeborne Anomalie zu einei
falschen Lokalisation eines Herzstiches geführt.
Fall Fl. Die äussere Wunde befand sich am Ansatz der links¬
seitigen 5. Rippe, der Knorpel der 6. und 7. Rippe aa ar quer duich-
trennt und auch das Brustbein angeschnitten. In der Mitte des linken
Herzrandes war eine schrägverlaufende, penetrierende Wunde.
Und dennoch handelte es sich nicht um eine Wunde des linken
sondern um eine solche des i'echten V entrikels, denn es lag eiu
Situs transversus viscerum vor.
Bei der seltsamen Kombination der beiden Vorkommnisse
gestatte ich mir über den Fall einige nähere Mitteilungen.
Einiges musste leider durch die aussergewöhnliche Ungunst der
äusseren Verhältnisse ununtersucht bleiben.
Gleich nach Eröffnung des Herzbeutels erregte die starke
Kontraktion der rechten Herzhälfte die Vermutung auf Situs
transversus. Die Herzspitze sah aber nach links und die grossen
Gefässe Avaren nicht transponiert, die Aorta lag rechts, die Pul¬
monalis liuks. Dagegen Avar das Herz, Avie es häufig bei Situs
transversus der Fall ist, tief und, wie ein Vergleich der Brustwand-
und Herzwunde ergab, ziemlich medial gelagert, auch waren von
beiden Herzhälften etw'a gleichgrosse Partien sichtbar und die
Pulmonalis entsprang etwas weiter nach \-orne als die Aorta, das
Herz war also auch in der Längsachse etwas von links nach rechts
gedreht. Die grossen Herzgefässe entsprangen je dem ihrer Lage
entsprechenden Ventrikel direkt, ohne die normale Kreuzung, die
Vena cava lag links hinter dem Herzen; die ihrer Funktion nach
als Valv. tricuspidalis zu bezeichnende, aber links gelegene Klappe
hatte nur zwrei Papillarmuskeln, Avährend der hintere Papillar-
muskel der rechtsgelagerten Mitralis einen doppelten, mit einigen
Querbälkchen verbundenen Kegel darstellte, wie wenn an dieser
Stelle primär doch die Bildung einer dreizipfeligen Klappe an¬
gebahnt gewesen wäre.
Konsequenter Avar die Transposition der übrigen Eingeweide,
der Lunge, Leber, Milz, des Magens, Duodenums und Blinddarms
durchgeführt, deren Lage vollständig einem Spiegelbild des Nor¬
malen entsprach.
Die Entstehungs weise des totalen Situs transversus lässt
sich (Rosenbach) am besten bei Berücksichtigung des Ver¬
haltens von Doppelmissgeburten erklären, bei denen stets das
linksgelagerte Individuum normale, das rechtsgelagerte die ab¬
norme Stellung der Eingeweide zeigt.. Daraus folgt, dass nur
bei dem Embryo, der eine bestimmte seitliche Lage zur Nabel¬
blase einnimmt, eine richtige Anordnung der Eingeweide zu
stände kommt, und dass das Individuum, welches an der rechten
Seite der Nabel blase liegt, eine fehlerhafte Lagerung hat. Es
würde also die Inversio viscerum dann auftreten, wenn der Em¬
bryo aus unbekannten Gründen sich nicht zur rechten Zeit von
rechts nach links hinüberwendet, um an die linke Seite der
Keimblase zu gelangen. Später, wenn das Herz sich auszubilden
beginnt, spielt dann die Richtung der Blutspirale im primitiven
Herzschlauch eine grosse Rolle, indem durch ihre normalerweise
von links nach rechts gehende Richtung die gewöhnliche Krüm¬
mung des Herzsehlauchs und damit die Linkslagerung des Her¬
zens, soAvie die davon abhängige normale Lagerung der inneren
Organe bewirkt wird. Liegt die Frucht an der rechten Seite
der Keimblase, dreht sich die Blutspirale von rechts nach links,
entsteht Rechtslagerung des Herzens, so sind damit die Be¬
dingungen zur Inversio viscerum gegeben, „denn die Asymmetrie
des Herzens ist für alles Unsymmetrische im Tierleib verant¬
wortlich“ (Rindfleisch). Auch Virchow legt Gewicht
auf das Verhalten des Blutstroms und weist auf die vom ge¬
wöhnlichen Verhalten abweichende — hier rechtsgewundene
Drehung der Nabelschnurgefässe bei Situs transversus hin.
29. Juli 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1263
Einen anderen Grund des Situs transversus sieht Küchen¬
meister darin, dass sich die Frucht statt von oben nach unten
in umgekehrter Richtung entwickle. Das Zustandekommen der
partiellen Transpositionen ist noch nicht genügend aufgeklärt.
Bemerkenswert dürfte noch sein, dass in 90 Proz. der Fälle
die Transposition sich auf Brust- und Bauchorgane erstreckt,
in 10 Proz. auf die Bauchorgane allein (Guttmann), dass
beim männlichen Geschlecht 2% mal mehr Fälle von Situs trans¬
versus beobachtet wurden als beim weiblichen und dass diese
Anomalie nicht so sehr selten ist, da Tiburtius unter
20 000 ausgehobenen Rekruten 2 solche Fälle fand.
Interessant dürfte auch die Linkshändigkeit der Getöteten
sein. Die normale Rechtshändigkeit wird bekanntlich zwei Ur¬
sachen zugeschrieben, erstens der uns von den Urvätern über¬
kommenen Gewöhnung, zweitens dem normalen Gefässverlauf,
demgemäss die linke Karotis als direkt in der Gefässrichtung
der Aorta gelegene Arterie in der Lage ist, der linken Gehirn¬
hälfte mehr Blut zuzuführen (H y r 1 1). Folge dieser beiden
Zustände ist nach B r o c a eine mess- und wägbare Vergrösserung
der linken Hemisphäre. Rechtshändige Individuen sind daher
linkshirnig. Man sollte nun annehmen, dass mit Situs trans-
versus behaftete Menschen alle linkshändig seien; dies trifft aber
nur prozentualiter, nicht absolut zu, denn die grosse Mehrzahl
derselben ist rechtshändig, der Einfluss der Gewöhnung von
J ugend auf und des Atavismus prävaliert also. Im vorliegenden
Falle war die Transposition der Gefässe nicht vorhanden, man
muss also eine Transposition der Hemisphären in funktioneller
Hinsicht annehmen.
In topographischer Hinsicht sind die Bezieh¬
ungen der Brustwunde zu der des Herzens im ganzen
ausserordentlich variabel , wie auch aus den ausführlichen
dieses Verhältnis behandelnden Tabellen Fischers her¬
vorgeht. Im Falle Fl. entspräche die Stelle der Herzwunde,
normale Lage des Herzens angenommen, etwa dem 4. linken
Interkostalraum und ein Stich durch den 6. und 7. Rippen¬
knorpel hätte etwa den rechten Herzrand in seiner Mitte treffen
können. Es brauchen aber keineswegs so seltene Abnormitäten
vorhanden zu sein, um eine Inkongruenz der Herzwunde mit
der Brustwunde zu stände zu bringen. Abgesehen von patho¬
logischen Verhältnissen, z. B. Emphysem, Herzfehler, überstan¬
dene Pleuritis u. a., kommt hier natürlich die Richtung des ver¬
letzenden Instrumentes, die Stellung des Getroffenen und die
Phase der Herzkontraktion, in welcher der Stich geführt wird,
in Betracht. Denn mit der Ventrikelsystole und der damit zu¬
sammenfallenden Vorhofdiastole geht eine nicht unbedeutende,
wenn auch nur kurzdauernde Gestaltveränderung des Herzens
einher und ebenso umgekehrt; auch ist das Tiefertreten des
Herzens bei der Systole infolge des Gegendrucks der Blutsäule
im Momente des Klappenschlusses, sowie bei tiefsten Inspira¬
tionen, wie sie ja bei Raufexzessen anzunehmen sind, von Wich¬
tigkeit. Nach F i s c h e r steigt das Plerz bei der Systole nach
links unten herab und kann bei der Inspiration um 1,2 — 2,4 cm
tiefer treten.
Aus seinen genauen topographisch-anatomischen Unter¬
suchungen lassen sich aber folgende Anhaltspunkte geben: Der
rechte Vorhof liegt rechts vom Sternum von der Mitte des
2. Interkostalraums bis zum 5. Rippenknorpel, der rechte Ven¬
trikel liegt unter den linksseitigen Rippenknorpeln vom oberen
Rande des 1. 3. Rippenknorpels bis zum unteren Rande des
6. Rippenknorpels, die äussere linke Grenze des linken Ventrikels
entspricht ungefähr der Knochenknorpelgrenze der Rippen,
dieser selbst liegt nach aussen vom rechten Ventrikel von der
Mitte des 2. bis zum 5. linken Interkostalraum. Auch H y r 1 1
macht sehr genaue topographische Angaben (Seite 676); dazu
fügt aber der grosse Praktiker bei: „Derartige Angaben sind
schwer im Kopfe zu behalten — und wenn man sie behält, was
nützen sie? Auch die Exaktheit der topographischen Anatomie
hat gewisse Grenzen, über welche hinaus ihre sonst bewährte
Nützlichkeit ein Ende findet!“
Die Wahrheit dieses Satzes zeigte sich im Fall Tr. Wunde
am unteren Rand der linken 5. Rippe, durchschnitten war der
6. Rippenknorpel, das Sternum war angeschnitten; getroffen war
die rechte Vorkammer 2 cm oberhalb der Kammergrenze.
Der Mann litt allerdings an Emphysem und einem Mitralfehler, der
jedoch eine bedeutende Herzvergrösserung nicht zur Folge hatte.
Einen merkwürdigen Weg bei normaler Lage des Herzens
nahm das Messer in folgendem
Fall W. Ziemlich gerade von oben nach unten verlaufende
Hautwunde auf der rechten VII. Rippe, 3 yz cm von der Mittellinie,
Trennung der Fasern des M. intercostal. int. oberhalb der VI. Rippe,
Herzbeutelwunde am unteren Ende des rechten Randes, quere Vor¬
hofwunde in der Hinterwand unmittelbar oberhalb der Mitte
der Kammergrenze.
Der Stich war offenbar im Moment der Ventrikelsystole zu¬
gefügt, wo die Herzspitze vorne an den Rippen anscliliigt und die
Vorhöfe prall gefüllt sind. Der anscheinende Kontrast in der Ver¬
laufsrichtung der äusseren und Herzwunde entspricht der nor¬
malen Lage der Vorhofkammergrenze.
Auch die Beschaffenheit der Herzwunden
selbst zeigt manches Eigentümliche.
Auf das Vorkommen eines stark gewundenen Stichkanals
wurde bereits hingewiesen. Eine eigentümliche Verletzung ent¬
steht, wenn das Herz an seiner Kante getroffen wird.
In einem Fall entstanden durch Ein- und Ausstich zwei
parallel stehende Längswunden von über 1 cm Länge am rechten
Ventrikel. Bei Betrachtung des Ventrikelinnern konnte eine
Wunde zunächst nicht gesehen werden, es zeigte sich aber, dass
der Grund einer von Trabekeln begrenzten, etwa linsengrossen
Vertiefung getroffen war, wodurch ein rundes Loch in die Herz¬
wand entstand.
Eine derartige Verletzung mag wohl der Herznaht günstige
Chancen bieten, soferne die Naht hält, da breite Wundflächen
miteinander verkleben können, nur dürfte die weiter hinten ge¬
legene Wunde nicht übersehen werden. Aehnlich.es wurde in
einem zweiten Falle beobachtet.
Der Stich traf das Septum hart an der Grenze der rechten
Kammer, eröffnete daselbst eine zwischen den Trabekeln gelegene
Tasche, durchsetzte das Septum in schräger Richtung und endete
breit im linken Ventrikel.
Meist beschränken sich die Herzwunden auf die vordere
W and, zuweilen werden Klappen durchbohrt und es dringt wohl
auch die Messerspitze, wie mehrfach beobachtet wurde, in das
Endokard der Hinterwand etwas ein. Einer Durchbohrung der
vorderen und hinteren Wand des Herzens steht in den meisten
Fällen die beträchtliche Tiefe der dazu erforderlichen Wunde
entgegen, denn das Herz ist etwa 3,5 cm dick, und um nur die
Vorderwand zu durchbohren, muss die Wunde im Durchschnitt
etwa 3,6 cm tief sein (Fische r), das Messer hat aber nicht
selten bereits einen ziemlich langen Weg zurückgelegt, bevor es
an das Herz gelangte.
Wenn bisher nur von Stich-Schnittwunden die Rede war, so
mag das ein Beweis sein für ihr relativ häufiges Vorkommen.
Nachstehend sei ein Fall von Schussverletzung ge¬
schildert, der sich dadurch auszeichnet, dass nach schwersten
Organverletzungen das Leben relativ lang gewährt hatte und
verhältnismässig komplizierte Handlungen noch ermöglicht
waren, was in gerichtlich-medizinischer Hinsicht von Wichtig¬
keit ist.
M. P. wurde, in seinem Bette liegend, mit einer Schusswunde
in der Brust tot aufgefunden und der abgeschossene, einem Mit¬
knecht gehörige Revolver an dem anderen Ende des Zimmers auf
dem Fensterbrett unter einem Kleiderbündel liegend entdeckt. Die
Obduktion ergab Durchschiessung des vorderen Teils des rechten
Oberlappens, des Herzbeutels, der vorderen und hinteren Wand
der rechten Vorkammer und des ganzen rechten Unterlappens.
Die Kugel war noch in die hintere Brustwand eingedrungen und
wurde am rechten unteren Schulterblattwinkel unter der Haut
liegend gefunden.
Die Erhebungen ergaben, dass Selbstmord vorlag, der ver¬
mutlich Nachmittags gegen 5 Uhr begangen wurde. Kurz dar¬
nach wurde der Verletzte im Bett sich unruhig hin- und her¬
wälzend angetroffen und zum Aufstehen aufgefordert, worauf
er erwiderte: „Ich steh’ schon auf“, sich erhob und von der
Türe des Häuschens, in dem sich die Schlafkammer befand,
12 Schritt weit gegen den Stall zuging, dann drehte er sich
wieder um, tastete sich an der Hauswand entlang zurück in sein
Schlafgemach und legte sich wieder nieder; er wurde für be¬
trunken gehalten. Um 5% Uhr wieder zum Aufstehen auf¬
gefordert, erklärte er sich für krank. Etwas später kam eine
Magd in’s Zimmer, der Mann stöhnte und röchelte, wälzte sieh
umher und murmelte: „Erschlag’ mich“. Kurze Zeit darauf,
gegen 6 Uhr, verschied er. Der Mann hatte also trotz der
schweren Verwundung noch etwa % Stunden gelebt.
Von Schusswunden, welche beide Herzwände durchdrangen,
sind nur 2 Fälle angeblicher Heilung bekannt (cf. Fischer:
4*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
1264
Fall von J. H. G a u t [Charleston Journal, Mai 1857] und H o f -
m a n n : Fall von Conor [referiert Virchows J ahresbericht
1877, II, 295]), aber in ersterem Falle waren die Wunden nur
im Verheilen begriffen und man fand in denselben 2 Haare und
1 Leinwandfaser, als der Kranke angeblich an Merkurialdiarrhoe
starb, im andern blieb eine Kommunikation beider Ventrikel
zurück. Es sind also diese Heilungen doch nur als sehr relative
anzusehen.
Ein schlimmer Ausgang einer anfangs harmlos erscheinen¬
den Kontusion der Herzgegend war folgender :
F. F., Wagenwärter, zog sich am 25. IV. 1895 im Dienst durch
Sturz auf einen sogen. Kreuzungspflock eine starke Kontusion der
Gegend der linken 3. Rippe zu. Hartnäckige Schmerzen der linken
Brusthälfte waren die Folge, für die zunächst kein genügender
Grund aufgefunden werden konnte. Später fand man ab und zu
in der linken Axillargegend etwas Reiben. Der Dienst, der am
1. VIII. wieder auf genommen worden war, musste vom 18. IX. bis
3. X. und dann endgültig vom 25. X. an unterbrochen werden,
und nun fand man neben einer sehr aufgeregten Herztätigkeit
unregelmässigen und aussetzenden Puls und Verbreiterung der
Herzdämpfung nach links, und erst am 27. I. 1896 ein blasendes
Geräusch an der Herzspitze, sodann lange Zeit später, obwohl von
Anfang an darauf geachtet wurde, einen ab und zu sieh ein¬
stellenden geringen Eiweissgehalt des Urins. Der Mann wurde im
Sommer 1896 in ein Bad geschickt, aus dem er in demselben Zu¬
stande wiederkehrte. Er sah keine Besserung seines Leidens,
sah sich der Not gegenübergestellt und verfiel daher in einen
melancholischen Zustand, in welchem er sich am 23. VII. 1896
von der Eisenbahn überfahren liess. Bei der Sektion zeigten sich
linksseitige pleuritische Verwachsungen, sowie deutliche Spuren
einer in einen Klappenfehler übergegangenen Endocarditis mitralis.
Die Nieren waren gross und fettig entartet, wie im zweiten Stadium
der B r i g li t sehen Krankheit. Durch den Stoss der Lokomotive
war ausser anderen schweren Verletzungen eine vollständige Ab-
reissung des Herzens von den grossen Gefässen zu Stande ge¬
kommen, welches daher ganz frei, mit der Spitze nach oben, im 1
Herzbeutel lag. j
Bei dem Umstand, dass der Mann vor dem Unfall zweifellos |
völlig gesund, darnach aber niemals frei von Beschwerden war |
und dass von einer primären Schrumpfniere hier keine Rede war,
unterliegt es wohl kaum einem Zweifel, dass infolge der Ver¬
letzung zunächst eine traumatische Pleuritis und sodann, oder
vielleicht auch gleichzeitig, eine sehr schleichend verlaufende
Endokarditis aufgetreten war. Für das Auftreten der chronischen
Nephritis wäre wohl die allgemeine Ernährungsstörung infolge
des langen Leidens, sowie das Vorhandensein deprimierender Ge¬
mütsaffekte verantwortlich zu machen. Der letzteren ätiologische
Bedeutung wird von A 1 b u 1 1 anerkannt (cf. E i c h h o r s t, II,
S. 548).
Was die Endokarditis anlangt, so wird wohl die Annahme
richtig sein, dass sich dieselbe erst sekundär an eine Myokarditis,
die allerdings zur Zeit der Sektion nicht mehr nachweisbar war,
angeschlossen hatte. Ueber ein wochen-, ja monatelanges In¬
kubationsstadium der chronischen traumatischen Endokarditis
wird von Leyden und von Stern wiederholt berichtet; es ist die
lange Dauer der Latenz nach diesen Autoren durch den schlei¬
chenden Verlauf einer Endokarditis erklärlich, deren Existenz
erst später durch den Klappenfehler bekannt werden kann. Herz¬
muskelerkrankung und Klappenfehler wurde in einem von
Stern (S. 46) mitgeteilten Fall erst 11 Monate nach der Ver¬
letzung festgestellt.
Die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang des Selbst¬
mordes mit der erlittenen Verletzung wurde bejaht.
Die in obigem beschriebenen und in einem relativ kurzen
Zeitraum selbst beobachteten Fälle dürften die grosse Mannig¬
faltigkeit der Herzverletzungen dartun, und wenn der Bericht¬
erstatter sich zur Zusammenstellung und Veröffentlichung der¬
selben entschloss, so geschah dies einerseits aus eigenem Inter¬
esse an der Sache, andrerseits weil er glaubt, dass dasselbe auch
seitens derjenigen Kollegen, welche nicht direkt mit solchen
Dingen zu tun haben, einigermassen geteilt werden kann.
Literatur:
a) Ueber Herzverletzungen.
1. Fischer: Ueber Herzwunden. Langenbecks Arch. f.
kl in. Clür. IX. Bd., 1868. — 2. H ofman n: Lehrbuch der gerichtl.
Medizin 1895. — 3. Ster n: Ueber traumatische Entstehung innerer
Krankheiten. 1900.
b) Ueber Topographie und Situs transversus.
4. Rüdinger: Atlas der topographisch-chirurgischen Ana¬
tomie 187S. — 5. Hyrtl: Topographische Anatomie 1882. —
6. Tossel t: Deutsch. Arch. f. klin. Med. 56. Bd. — 7. Karl
Mayer: Deutsche Medizinalztg. 1892. — 8. Guttmann: Berl.
klin.' Wochenschr. 1876. — 9. Heidemann: Berlin, klin. Wochen¬
sehr. 1897. _ 10. Bnrgl: Münch, med. Wochenschr. 1876. — *
11. Eulen b u r g s Real enzyklopä die, II. Aufl. — 12. V i 1 1 a r e t:
Handwörterbuch der gesamten Medizin 1888. — 13. K ü c he n -
meisten Die vollständige Verlagerung der Eingeweide. 1S83. —
14. E i c h hors t: Pathologie u. Therapie, IV. Aufl. — 15. II ind-
fleisch: Gewebelehre. 1873.
Zur klinischen Bedeutung der Retroflexio uteri mobilis.
Von Dr. A. Theilhaber.
Die in dieser Wochenschrift 1902, No. 26 und 27 unter
diesem Titel erschienene Arbeit Wormsers veranlasst mich
zu einigen Bemerkungen.
Wenn eine Frau mit Retroflexio uteri schwanger wird, will
W ormser den Uterus im zweiten oder dritten Schwanger¬
schaftsmonat manuell aufrichten und durch ein Pessar für einige
Monate fixieren. Ich meine, dass dies nicht nothwendig ist und
zwar aus folgenden Gründen. Die Incarceratio uteri retroflexi
gravidi ist ein sehr seltenes Vorkommnis. Während ich z. B. in
den letzten 9 Jahren bei über 1000 der mich konsultierenden
nichtschwangeren kranken Frauen Retroflexio uteri konstatierte,
habe ich in dieser ganzen Zeit nur zweimal Incarceratio uteri
retroflexi gravidi gesehen. Es richtet sich eben der retroflektierte
Uterus in weitaus den meisten Fällen im dritten Schwanger¬
schaftsmonat von selbst auf und legt sich in Anteflexion. Ich
habe diesen Vorgang nicht bloss bei der mobilen Retroflexion,
sondern des öfteren auch bei der fixierten beobachtet. Die Bänder,
die das Corpus uteri nach hinten fixieren, lockern sich dann in
der Schwangerschaft. Es bleibt zunächst noch eine Retroflexio
partialis bestehen, allmählich rückt auch das letzte Segment des
Uterus aus dem Becken heraus. In den sehr seltenen Fällen,
in denen es zur Inkarzeration des Uterus kommt, ist es noch
zweifelhaft, ob hier schon vor der Schwangerschaft eine Retro¬
flexio bestanden hat: Ich habe nicht selten Frauen im Beginn
der Schwangerschaft untersucht, bei denen der Uterus ret.ro-
flektiert lag, während ich ihn im nichtschwangeren Zustand bei
denselben Frauen stets anteflektiert gefunden hatte. Infolge
der durch die Schwangerschaft bedingten Erschlaffung der Ge¬
bärmutterbänder sinkt auch der vorher anteflektierte Uterus
manchmal im Beginn der Schwangerschaft in Retroflexion und
bleibt einige Wochen in dieser Lage liegen. Meist richtet er sich
später wieder spontan auf und kehrt wieder in die Anteflexions-
stellung zurück.
Entsteht eine Inkarzeration, so stellen sich sehr bald ausser¬
ordentlich quälende Harnblasenbeschwerden ein, die die Patientin
ohnedies bald veranlassen, zum Arzt zu gehen. Es gehört schon
ein grosser Stumpfsinn dazu, bei derartig heftigen Beschwerden
nicht ärztliche Hilfe aufzusuchen. In den Fällen von Inkarzera-
tion des retroflektierten Uterus, die ich behandelte, war es dann
immer leicht, den Uterus zu reponieren und durch ein Pessar
einige Zeit zu fixieren. Schwierigkeiten bei der Reposition ent¬
stehen nur bei lange verbummelten Fällen. Eine prophylaktische
Reposition des retroflektierten Uterus beim Eintritt der
Schwangerschaft halte ich nach dem Angeführten nicht für not¬
wendig.
Aus der Arbeit Wormsers, wie aus mehreren anderen
in der letzten Zeit erschienenen, die das gleiche Thema wie
Wormser im gleichen Sinne behandeln, geht ferner hervor,
dass viele Gynäkologen die Geschichte der Entstehung der neuen
Lehre über die klinische Bedeutung der Retroflexio nicht kennen,
manche auch nicht kennen wollen. Es ist deshalb wohl
nicht überflüssig, diese Geschichte kurz zu schildern: In den
letzten Jahrzehnten des verflossenen Jahrhunderts herrschte bis
zum Erscheinen meiner Arbeiten nahezu vollständige Ueberein-
Stimmung unter den Aerzten, dass auch die unkomplizierte Retro¬
flexio uteri in den meisten Fällen ernste, häufig sogar sehr schwere
Erscheinungen macht; allerdings hatten sich schon vor mir
cinzehie Autoren skeptisch diesbezüglich geäussert. Wie überall,
gilt auch hier der Satz Goethes: „Wer kann was Dummes, wer
was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht.“ So
hatte Scanzoni schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
die Anschauung geäussert, dass die Retroflexio besser sei als ihr
Ruf, doch war Scanzoni lange nicht so radikal wie ich, er
legte nicht selten bei Retroflexionen Ringe ein; es gelang ihm
29. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
auch nicht, für seine Anschauung Gründe ins Feld zu führen
die die übrigen Gynäkologen überzeugt hätten. So kam es dass
trotz der grossen Autorität Scanzonis die Lehre von den
schweren Folgen der Retroflexion durchdrang. Dann schrieb vor
lo Jahren V edel er (Arch. f. Gynäkol. Bd. 28, H. 2) eine
kurze Abhandlung über die Bedeutungslosigkeit der Retroflexio
Uteri; auch ihm gelang es nicht, sich Anhänger zu verschaffen
seine Arbeit war bald von den Gynäkologen, auch von mir, ver¬
gessen.
Lin Aufsatz von S a 1 i n über das gleiche Thema im
gleichen Sinne, der in der „ITygiea“ erschienen war, wurde wohl
von niemanden in Deutschland, auch von mir nicht gelesen, da
er in schwedischer Sprache verfasst war, eine Sprache, die weit¬
aus den meisten von uns (auch mir) unbekannt ist. Ein ganz
kurzes, von J osephsohn verfasstes Referat über die S a 1 i n -
sehe Arbeit erschien im Oktober 1895 in der Monatsschr. f. Ge-
burtsh. u. Gynäkol., 5 Monate nachdem ich auf dem 6. Kongress
der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie meinen Vortrag über
„die Therapie der Retroflexio Uteri“ gehalten hatte. In diesem
habe ich geschildert, dass ich auf Grund meiner Zweifel an der
Richtigkeit der bestehenden Dogmen 2 Jahre lang die meisten
Fälle von Retroflexio ohne Reposition behandelt, dass ich mit
gutem Erfolge nur die komplizierenden Symptome in Behandlung
genommen habe. Mit zahlreichen neuen, bis jetzt nicht wider¬
legten Giünden glaubte ich zu beweisen, dass die Symptome, die
man bisher der Retroflexion zugeschrieben hatte, verursacht seien
durch zufällige Komplikationen derselben, wie Hysterie, Neur¬
asthenie, Darmatonie, Endometritis u. s. w., dass die Retro¬
flexion selbst dagegen im nicht schwangeren Zustand in der
Regel gar keine Beschwerden hervorrufe. Dieser Vortrag hatte
zunächst scharfe Angriffe gegen mich zur Folge, (siehe u. a.
Schnitze: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 3, H. 1:
v. W i n ekel: Sitzungsberichte der Münchener Gesellsch. f.
Gyn., in Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 5. Er-
gänzungsh. S. 21t). Ich erwiderte auf diese Angriffe in der
Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 3, H. 2 und in der
Münch, med. Wochenschr. 1896, No. 22 u. 23, ferner bei den Ver¬
handlungen des 7. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie. Nun wurden bald von einer grösseren Anzahl her-
vorragender Autoren meine Thesen geprüft und zwar zunächst
von Jenkin (Glasgow med. Journal, Febr. 1896), dann von
Landau und Freudenberg (siehe die Arbeit von
Freudenberg in der Deutsch, med. Wochenschr. 1897), ferner
von W i n t e r (Verhandlungen des 7. Kongresses der Deutsch.
Gesellsch. f. Geburtsh. u. Gynäkol.), von K r ö n i g und Feucht-
wanger (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 10) und
anderen.
Alle Untersucher kamen zu dem gleichen Resultat wie ich,
dass nahezu alle Retroflexionen keine Beschwerden machen und
dass die vorhandenen Beschwerden zurückzuführen seien auf zu-
f rillige Komplikationen, wie Endometritis, Hysterie, Ivoprostase,
Adnexerkrankungen u. s. f.
Schopenhauer sagt: „Nicht derjenige ist als der Vater
eines Gedankens anzusehen, der diesen zufällig gefasst und ge-
äussert hat, sondern nur derjenige, der ihn genau und wissen¬
schaftlich durchgearbeitet, populär gemacht, für seine Ver¬
breitung gesorgt und bewirkt hat, dass er niemals in Vergessen¬
heit gerät.“ Ist dieser Satz richtig, dann kann ich wohl mit
Recht die Vaterschaft für die neue Lehre von der klinischen
Bedeutung der Retroflexio uteri beanspruchen.
1265
Zum Artikel „Ueber den Intentionskrampf der Sprache,
die sog. Aphtongie“
in No. 27 dieser Wochenschrift.
Von Dr. W i 1 h. Becker in Bremen.
In No. 27 dieser Wochenschr. 1902 hat Steine rt aus
der Leipziger med. Klinik einen Fall von Sprachkrampf veröffent-
helit, den er vom Stottern scharf abgrenzen und dem er einen be¬
sonderen Namen beilegen zu müssen glaubt. Durchaus mit Un¬
recht! Die Argumente, die nach des Autors Ansicht seinen Fall
vom gewöhnlichen Stottern unterscheiden, sind durchaus irrtüm¬
lich und nur dadurch zu erklären, dass der Kollege wohl nur
wenige Stotterer zu sehen Gelegenheit hatte.
Schreiber dieses ist in der unangenehmen Lage, selbst hoch¬
gradiger Stotterer zu sein und hat in 5 Sprachheilanstalten, die er
No. XO
gesehen, die
im Laufe der Zeit besucht hat, nicht wenig Fälle
genau dasselbe Symptomen! >ild darboten.
t- ^^kteristilium hebt Steine rt hervor dass der
Kramp anhebe, bevor in die Bildung des ersten Lautes eiimetreten
A?4nbe,T St<\tteir (la^ea erst der Krampf,^ ^ wenn die
Artikulation des Lautes bereits begonnen habe und es werde nicht
rftoe® en' S0U"<“'“ '’le Ä S
. Der Irrtu'n Steinerts liegt klar auf der Hand: was er als
emen w e s e n 1 1 i c li e n Unterschied aufgefasst hat, ist weiter
nichts als ein g raduelle r. I )er S t e in e r t sehe Patient ist
edeUseir n h(K:1‘gra(Tif? StottereL dass der Intentionskrampf 1
jedes Stottern ist im letzten Grunde Intentionskrampf — bereits
Sei \Hüe,dS’-PaVent Überl?aupt clazu gekommen ist. den Beginn
semer Aitikulation lierauszustossen und dass dieser überhaupt erst
Ä1CS fWlrvd’ T111 der 1Krampf seinen Inhaber er'
^bopft; hat; N °" diesen schwersten Fällen, wo der Patient tat-
Buchstaben ausstossen kann, habe ich noch viel
hochgradigere gesehen, wo die Betreffenden in starker Cvanose
nac i Luft schnappten, mit Armen und Beinen um sich schlugen
und niemand ahnte, welcher Buchstabe jetzt geboren werden
sollte, yoiieiner Artikulationais o g a r k eine II e <1 e
sein konnte Man kann praktisch das Stottern einteilen je
nach dem Auftreten des Intentionskrampfes:
,, -1' Der Intentionskrampf tritt allein schon durch die blosse
Absicht, sprechen zu wollen, auf:
1. vor dem ersten Artikulationsbeginn,
2. bei demselben.
„i Der Intentionskrampf tritt auf durch die Absicht, irgend
im schwer fallendes Wort auszusprechen und zwar
1. bereits am Anfang des Sprechens, nur ans Furcht vor
dem spater folgenden Wort,
a , 2- fler Anfang geht glatt von statten und der Krampf be¬
sohl ankt sich auf das betreffende WTort.
^ ir sel!pl! so, Ans« der Grad des Intentionskrampfes sehr ver-
selbe^ist Sem kanU’ dass aber Aas Grundübel selbst stets das-
- Au.ch _die Ansicht, dass den meisten Stotterern das p leichter
Lille als das b beruht auf einem Irrtum; das ist. ich möchte
sagen, eine Liebhaberei eines jeden einzelnen.
FffplStCbiieS?hCh f !ul. Axiologie und vor allem der therapeutische
Effekt so charakteristisch für das Stottern, dass der Versuch,
diesen fall vom gewöhnlichen Stottern zu trennen, für jeden der
das Wesen dieses Leidens kennt, als unbegründet erscheinen muss
Dm hysterischen Stigmata, die ausserdem noch bestehen, kommen
tm diese f rage gar nicht in Betracht.
Wann lebte Aretaeus von Cappadocien?
Von R. Kossman n in Berlin.
Beschäftigt mit der Abfassung eines Abrisses der Geschichte
meines Spezialfaches für ein Lehrbuch der allgemeinen Gynäko¬
logie, das ich zu veröffentlichen im Begriffe stehe, sah ich mich
veranlasst, dem Aretaeus Cappadox eine Aufmerksamkeit
zu widmen, die mich bald mit dem lebhaftesten Interesse für diesen
ganz hei wnragenflen Klassiker der Medizin und insbesondere aucli
rm* die Kontroverse über seine Lebenszeit erfüllte.
Ich bin in letzterer Hinsicht nun zu einer Meinung gelangt,
die ich der Kritik meiner Fachgenossen zu unterbreiten wünsche,'
weil sie völlig von den bisher geäusserten Ansichten abweicht.
Ieli > ermutlie, dass Aretaeus als ein Schüler Nie a n d e r’s
von Coloplion schon im 2. Jahrhundert vor Chr. oder doch
wenig später zu Alexandria gelebt und gewirkt hat.
Bekanntlich setzen die Fachgenossen ihn wesentlich später
au: Die Einen, die die Euporista des Dioscorides — in denen
Ai.et.äeus zitirt ist — für echt halten, in den Beginn der
christlichen Zeitrechnung; die Anderen, die jenes Werk für unecht
halten, vor die Lebenszeit des Philagrius (Anfang des
4. Jahrhunderts n. Chr.) und — als vermeintlichen Plagiator des
A i i li i g e n e s — nach dessen Lebenszeit, nlso1 frühestens in
das Ende des 1. Jahrhunderts.
W as die Euporista des Dioscorides anbetrifft, so hat
schon Klose1) die Eimvände Sprenge l’s gegen die Echtheit
des Werkes sehr gründlich bekämpft. Ich will seine Gründe hier
nicht wiederholen, trete ihnen aber bei und schliesse daraus nicht,
wie Klose (S. 121), dass Aretaeus ein Zeitgenosse des
Dioscorides gewesen sein müsste, wohl aber, dass er nicht
nach diesem gelebt haben könne.
Einen weiteren Grund, Aretaeus vor die römische Kaiser¬
zeit zu setzen, finde ich in eben derjenigen Stelle, in welcher An¬
dere einen Beweis für das Gegentheil finden. Sie steht im 5. Ka¬
pitel des 2. Buches von der Therapie der akuten Krank¬
heiten, wo vom Uejis gehandelt wird, und lautet: snsi xai ro
&vt)<ixbiv tois fxsu löife nysovai Bv&uifxovi^ , raJ (cQxtqzpio de ov
’ 9-sfu; nq^aastv (wiewohl selbst der Tod fiir ‘ ‘‘
so leben, ein Glück ist, so ist es doch für einen
statthaft, einzugreifen). Es ist m. E. absolut uuu™,««,
diesen Satz Jemand zu einer Zeit geschrieben haben könnte, als
das Wort arcliiatros bereits (wie in der Kaiserzeit) irgend eine
Diejenigen, die
Arcliiatros nicht
undenkbar, dass
J an us, Bd. I, Gothn. 1851, S. 116.
5
1266
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
offizielle Sonderbedeutung hatte, einen Titel darstellte oder eine
Rangklasse bezeiehnete. Man denke nur, welch’ ein Unsinn sich
ergibt, wenn inan jene Stelle etwa übersetzt: „Wiewohl es beim
Ileus ein Glück für den Leidenden ist, wenn der Tod seine
Schmerzen endigt, so ist es für einen Samtatsrath doch nicht
statthaft diesen herbeizuführen“. Ich halte diese Stelle allein
schon — da von einer Entstellung des Originals nicht die Rede
sein kann — für einen absolut sicheren Beweis, dass Aretaeus
v o r der Kaiserzeit gelebt haben muss.
Ein weiterer Beweis liegt in der Mundart, in der Aietaeus
geschrieben hat.
Nach Nicander von Colophon, der etwa 130 odei Uo
v. (’lir. gestorben ist, kennen wir ausser Aretaeus kernen . ,
mehr der ein medizinisches Werk in jonischem Dialekte v
hätte. Man beruft sich darauf, dass Cephalion seine nayio.
0 unui iaiofjiu und Arrianus zu Nero s Zeit seine Inchca
noch jonisch geschrieben habe. Aber was will das sagen. 1
waren Geschichtswerke und zwar solche, die in erster Linie dem
Unterhaltungsbedürfnisse dienen sollten. Das des Cephalion
ist uns nicht erhalten. Das des A r r i a n u s schildert das ferne
Wunderland Indien und die abenteuerliche beetahrt der riotte
A lexander’s des Grossen; dazu sind m giosstem Ui
l'an»e der alte Originalbericht des Nearchus und die Ge
scldclitswerke des Megasthenes und des E r a t o s t h e n e^
verwendet worden, die vielleicht, ja wahrscheinlich, in jonischem
Dialekte geschrieben waren. Da kann es als eine immei hm be¬
greifliche Schrulle — vielleicht ist das schon ein zu harten Aus¬
druck — A r r i a n’s erscheinen, dass er, der sonst alle seine Schrit-
t™ in attischem Dialekte verfasst hat, diese eine m den
archaistischen Jonisch durchzuführen versucht hat Wer aber
würde heute desslialb, weil Gustav Frey tag sich in den eiste
Bänden seiner „Ahnen“ einer ähnlich archaisirenden deutschen
Redeweise bedient hat, auf den Gedanken kommen dieselbe m
einem Lehrbuche der Pathologie und Therapie anzuwenden . Der
blosse Gedanke schon erscheint unmöglich.
Well m a n n zwar behauptet -), Lucian gebe an, dass
seine Zeit „jonisch schreibe, ohne es zu verstehen“, und dass
Aerzte damals mit Vorliebe jonisch schrieben . Beides ist
L u c i a u au der von Wellmann angeführten Stelle (quomodo
liistoria sit conscribenda, cap. 16) — und ich wüsste auch nicht, wo
sonst — gar nicht eingefallen. Lucian fuhrt es lediglich als
eine lächerliche Manier der Geschichtsschreibung an, wenn z. B
der Verfasser eines historischen Werkes in tragödenmassigem Stil
jedem Kapitel etwa die Ueberschrift gebe: „Kallimorplius, Arzt
bei der sechsten Kompagnie der Hastaten, Parthisclie Geschichte,
Kapitel so und soviel“; wenn er dann in einem ganz nüchternen
Vorwort seinen Beruf zur Geschichtschreibung davon herleite, dass
Aeskulap ein Sohn des Apollo, Apollo aber der Führer der Musen
sei und über der gesummten höheren Bildung walte; wenn er en -
lieh ohne ersichtlichen Grund mit ein paar jonischen Brocken be¬
ginne, um dann sofort in die Koty>j, die moderne Ausdrucksweise,
zurückzufallen und sich nicht nur der landläufigen, sondern ge¬
radezu trivialer Redewendungen zu bedienen.
Abgesehen davon, dass die satirische Absicht Lucians
hier die Unterschiebung nicht nur eines fingirten Namens, sondern
auch eines fingirten Berufsstandes statt der wirklichen desjenigen
Historikers, dem der Hieb galt (vielleicht gar Arrians selbst d,
wahrscheinlich macht, würden diese Sätze sogar, wenn sie wirk¬
lich einen Arzt treffen sollten, weder auf eine Vorliebe der da¬
maligen Aerzte überhaupt für den jonischen Dialekt, noch für
dessen Anwendung in medizinischen Schriften sprechen,
vielmehr dafür, dass, selbst wenn zu L ucia n’s Zeiten Jemand
in Darstellung eines historischen Gegenstandes, um ihr eine
archaistische Färbung zu geben, den jonischen Dialekt anzuwen¬
den versuchte, er über einzelne jonische Worte nicht mehr hinaus-
zukommen und seinen Versuch nicht durchzuführen vermochte.
Dieser Vorwurf passt aber gewiss nicht auf Aretaeus, dessen
tolles“ Jonisch, wie Wellmaunes (1. c. S. 24) — wesshalb,
weiss ich nicht — nennt, ganz konsequent durchgeführt ist.
Ein paar andere Behauptungen der Autoren, die eine spätere
Abfassung der Werke des Aretaeus beweisen sollen, haben
auch keinen grösseren Werth. Dass die \ on A i e t a e u s ange¬
führten Heilmittel aus Schlangenfleisch erst von Andro-
m ;l c h u s (der unter Nero lebte) eingeführt seien, ist nicht rich-
, i„. Nicander beschreibt solche bereits, und Galen u s, dem
nian diese Behauptung unterschiebt, nennt die vonAndro-
mac lins herrührende Vorschrift nur die bei Weitem beste. Die
Bezeichnung des uujXv (allium nigrum () mit dem syiisclieu IVortc
Uiacco« die bei Aretaeus vorkommt, soll angeblich nach
' v e t i n s von A n d r o m a chus zuerst angewendet worden sein,
ich habe eine solche Behauptung bei Aetius, wo er den Namen
irt,u«u~< nennt (Tetrabibiion, 1, 1, unter fu u>/v ) nicht finden können;
übrigens würde es auch nichts beweisen, da Aetius das Oiiginal
des Aretaeus nicht gekannt zu haben scheint. Wenn endlich
( ’ a ("lins A u r e 1 i a n u s behauptet, vor Themis o habe Nie¬
mand über die Heilung chronischer Krankheiten geschrieben, so
-) Max Wellmann: Die Pneumatische Schule bis auf
A r eiligen es in ihrer Entwicklung dargestellt, in: Philologische
Untersuchungen, lierausgeg. v. A. Kiessling und U. v. Wilamo-
witz-Müllendorf, Bd. XIV, Berlin 1S95, S. 64.
kann man daraus auch nicht schlossen, A r e ta e u s habe nach
T hemiso gelebt, denn Caelius Aurelianus hat den
A reta e u s gar nicht gekannt.
Für nahe Beziehungen zwischen Aretaeus und Nica n
der dagegen spricht zunächst ihre, auch von Wellmann aus¬
drücklich betonte Geistesverwandtschaft; und dass sie zeitlich
nicht weit auseinander gehören, beweist der, insbesondere in medi¬
zinischen Kunstausdrücken, auffällig übereinstimmende Sprach¬
gebrauch. So sind z.B. Nicander und Aretaeus die beiden
einzigen uns bekannten Schriftsteller, auch unter den jonisch
schreibenden, bei denen das Wort ^eUcyua für „Arznei voi-
kommt; nur fügt Nicander noch an einer Stelle poi ,iu>p („Be¬
sänftigungsmittel der Krankheiten“) hinzu, während A r et a e u s,
den ich desslialb für jünger halte, diesen Zusatz schon für über¬
flüssig erachtet.
Wenn also Well m a n n (1. c. S. 23) aus der, auch schon von
Klose an manchen Beispielen nachgewiesenen, oft fast wört¬
lichen Uebereinstimmung zwischen Aretaeus und Are ii-
o- enes den richtigen Schluss zieht, „entweder sei Arclu-
genes die Quelle des Aretaeus oder umgekehrt“, so ist es
mir nicht zweifelhaft, dass wider W ellmann’s Meinung eben
das umgekehrte zutrifft, d. h. dass Aretaeus die Quelle
des A r chigenes ist. Was Wellma n n für seine Meinung
anführt, ist ohne Gewicht. Die grössere Berühmtheit des A r chi¬
genes in der Kaiserzeit erklärt sich zur Genüge daraus, dass er
zur Zeit der höchsten Machtentfaltung des Reiches als ge¬
suchtester Modearzt in Rom wirkte, während Aretaeus (me
schon Klose überzeugend nachgewiesen hat) in Alexa n drie n
und zudem, wie ich annehme, zu einer Zeit lebte, da Aegypten
noch selbständig war und keine sehr nahen Beziehungen zu Rom
unterhielt; überdies daraus, dass Aretaeus in einem spater
weniger leicht verständlichen Dialekt geschrieben hatte, wahrend
Ar chigenes diesen in Vergessenheit gerathenen Vorgängei
unentdeckt hat plündern und sich mit seinem Verdienst hat
schmücken können. Dass A rchigene s meist ausführlicher in
der Darstellung ist, beweist auch nichts für seine Selbständigkeit,
denn an sich ist es gewiss ebenso möglich, dass ein Plagiator sein
Original durch eigene oder anderwärts entlehnte Zusätze erweitert
als dass er es kürzt. Wenn endlich Wellman n (1. c. §5. 24)
die Tliatsache, dass ein so hervorragender Schriftsteller, wie
A retaeu s. von so wenig Aerzten des Alterthums zitirt worden
ist, mit seiner Unselbständigkeit zu erklären sucht, dabei abei
an eben derselben Stelle darauf hinweist, dass Aretaeus
hierin das Schicksal des geistesverwandten Nicander theile, so
darf man füglich fragen, wessen Plagiator denn nun also Ni¬
cander gewesen sein soll? Viel natürlicher erklärt sich doch
die geringe Verbreitung der Schriften Beider aus ihrem Wohnort,
ihrer Lebenszeit und ihrem Dialekt.
Nun ist es zwar auch nicht richtig, was Well mann von
Galenns behauptet, dass dieser nämlich (ed. Kühn, tom. XII,
p. 534) das dem A r e h i g e n e s gespendete Lob durch den Hin¬
weis auf dessen Abhängigkeit von den Vorgängern wieder ein¬
schränke. G a 1 e n u s sagt dort nur (mit Hinweis auf den
Empiriker Her acl i (le s): ’fi n e(?i r^V \l(>Xcy srois emue/.e.u
7io6ox€'( fit xcci 70 usi ixeivuv ysyovivut (^zu des A.. 6i^6n6ii Bg
m Übungen um die Wissenschaft kommt der Umstand, dass er nach
Jenem geboren ist). In diesen Worten kann ich keinen Vorwurf,
sondern nur die allgemeine Betrachtung finden, dass eben jed.r
Forscher auf den Schultern seiner Vorgänger stehe.
Viel schärfer aber dürfte sich wohl Galen us ausgedrückt
haben, wenn ihm des Aretaeus Schriften bekannt gewesen
wären. Denn dass diese die Quellen des A r e li i g e n e s gewesen
sind, zeigt die oberflächlichste Betrachtung. Ich schreibe keine
philologische Abhandlung und daher will ich die Vergleichung
nicht Zeile für Zeile durchführen. Es genügt vollkommen, wenn
ich die ersten Sätze, die Well m a n n selbst (S. 28) einander
gegenüberstellt, mit einander vergleiche. Es handelt sich um den
A u s s a t z (heute fälschlich Lepra genannt), von dem A r e_t a e u s
(in der Aetiologie der chronischen Krankheiten II, 13, 178) und
Ar chigenes in dem von Aetius (Tetrabibliou XIII, 120)
wiedergegebenen Abschnitt schreiben. Hier sehen wir erstens,
dass nach Aretaeus die Krankheit auch Xkw genannt wurde,
während Ar chigenes den davon abgeleiteten Ausdruck
Atoviiu uc gebrauch''. Kerner sagt Ar e t aeus, diese Krankheit sei:
nuip xui /(fioVcu w'oxqov x«i () (richtiger wohl dsQ^u-
AäHf?3) rd ncii'ut, wc ü.icpccz ro Jyyi'ov (der ganze Körper sei
schmutzig und dickhäutig anzusehen, wie das Elepliant genannte
wilde Thier); daraus hat aber Archigenes bereits den Namen
ilscpuviiatus gemacht und meint merkwürdiger Weise, so heisse
das Leiden auch wegen seiner Grösse und seiner langen Dauer
(übrigens gebraucht schon Dioscorides das Verbum fAr-
(cuvuüui für am Aussatz leiden, was ebenfalls dafür spricht, dass
Aretaeus vor Dioscorides gelebt hat). Endlich schreibt
Aretaeus, man nenne den Aussatz auch occivoitjok; wegen
der entzündlichen Rötliung der Wangen und des unbezwingli lr. n,
schamlosen Geschlechtstriebes. Archigenes dagegen (abge¬
sehen davon, dass er den ungewöhnlichen Ausdruck u^Xn für die
Wangen durch den Zusatz jov npomüno v seinen Zeitgenossen ver¬
ständlich zu machen sucht) erweitert nicht nur diese beiden An-
*) Jeilucuu)(f->is findet sich nur bei dem Lexikographen Hesychius.
29. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1267
jzabon in umständlicher und dabei ganz nichtssagender Weise son¬
dern fügt noch eine dritte, ganz alberne Erklärung hinzu, indem er
sagt, bei den Aussätzigen verbreitere sich das Kinn wie Ird
Leuten, die über eine satirische Schrift unbändig lachen.
Ith denke, das genügt, um jedem nicht Voreingenommenen den
Beweis zu liefern, dass Aretaeus nicht der Plagiator des
Arclii genes gewesen sein kann; hat aber Archigenes
im ersten Jahrhundert n. Chr. den Aretaeus ohne Furcht, sich
zu blamiren, ausschreiben können, so muss doch wohl dieser zu
des A l c li i g e n e s Zeit nicht nur bereits verstorben, sondern
sogar einigermaasseu vergessen gewesen sein. Auch hieraus
würde sich also ein viel höheres Alter für ihn ergeben, als bisher
angenommen worden ist.
Aus den preussischen Aerztekammern.
Von Dr. J. Neuberger in Nürnberg.
Die preussischen Aerztekammern entfalteten im vergangenen
Jahre eine rege Tätigkeit. Die meisten Kammern hielten 2 Sitz¬
ungen im Jahre 11101 ab, die Kammer von Hannover 3, die von
Berlin-Brandenburg sogar 4. Der Aerztekammerausschuss versam¬
melte sich am 3. Februar, 19. Mai und 30 November. Da an diesen
3 \ ersammlungstagen das in den einzelnen Aerztekammern be¬
ratene Material zum Teil gesichtet und zum definitiven Abschluss
gebracht wurde, so mögen diese Resultate zunächst Erörterung
finden.
Einzelne Verhandlungsgegenstände sind schon im vorjährigen
Berichte berührt worden, weil über sie ein Teil der Kammern in
Beratung getreten war. Von der Weiterverfolgung des Antrags
der westpreussisclien Kammer bezüglich des Schutzes der
Schulkinder gegen tuberkulöse Lehrer, gegen den
die Aerztekammern zunächst eine ablehnende Stellung eingenom¬
men hatten, wurde Abstand genommen, da von seiten des Mini-
sterialkommissärs diesbezüglich Massnahmen von der Regierung
in Aussicht gestellt wurden.
Der Antrag der sächsischen Kammer: „S onntagsr u h e
der Kassenärzt e“ wurde von der Antragstellerin zurück¬
gezogen, der Antrag derselben Kammer: „Neuorganisation
des Heb a m m enwese n s“ verdichtete sich unter Hinüber¬
gabe des Kammermaterials zu einer Bitte an den Minister, die
erweiterte wissenschaftliche Deputation in dieser Frage in Ver¬
handlung treten zu lassen.
Der Antrag der Aerztekammer Berlin-Brandenburg hinsicht¬
lich der Führung des A r z 1 1 i t e 1 s von im Ausland
approbierten Aerzten sollte, nachdem sich fast alle Kam¬
mern dem Anträge geneigt zeigten, ein Gesuch an den Medizinal-
mildster herbeiführen, durch den Reichskanzler veranlassen zu
wollen, dass Titel: wie „Arzt“, „prakt. Arzt“, „prakt. Aerztin“
nur in Deutschland approbierten Personen gestattet, der Titel:
..im Ausland approbiert“ überhaupt nicht erlaubt sei. Die Aus¬
führung dieses Beschlusses wurde aber infolge eines die Sachlage
klärenden, d. h. die unberechtigte Führung solcher Titel unter
Strafe stellenden Erkenntnisses des Kammergerichts inhibiert, das
durch ein Ersuchen des Ministers den preussischen Behörden zur
geeigneten Handhabung zugehen soll.
Dem Anträge der schlesischen Kammer auf Erlass eines
Verbotes der Ankündigung einer Fernbeliand-
1 u n g d u r cli Kurpfusche r, dem — abgesehen von West-
lalen — die meisten Kammern sympathisch gegenüberstanden
und mit dem sich auf Veranlassung des Ministers, an den sich
das sächsische Medizinalkollegium gewandt hatte, auch der Aus¬
schuss befassen sollte, wurde zugestimmt, das polizeiliche Ver¬
bieten der Fernbehandlung selbst hingegen der
grossen Schwierigkeiten der Durchführbarkeit halber abgelehnt.
Den Wunsch des Vereins deutscher Zahnärzte, dass die Aerzte
grundsätzlich bei Zahntechnikern das U e b e r n e h m e n
von Narkosen ablehnen möchten, erklärte der Kammeraus¬
schuss auf Grund der gegenwärtigen zahnärztlichen Verhältnisse
für unausführbar. Es entsprach dieser Beschluss den Anschau¬
ungen der meisten Kammern; speziell hatten die Kammern
'°i| Ostpreussen und Posen auf den in ihren Provinzen stellen¬
weise vorhandenen Mangel an approbierten Zahnärzten hinge¬
wiesen.
Schliesslich hat auch betreffs der Zulassung der Real-
.gymnasialabit urienten zum Studium der Me¬
dizin der Kammerausschuss unterm 18. März 1901 eine Petition
an den Bundesrat gerichtet, der mehrere Kammern (Westpreussen,
Rheinprovinz etc.) sich späterhin anschlossen.
Ausser diesen, wie bereits erwähnt, schon teilweise im
Jahre 1900 in vereinzelten Kammern verhandelten Anträgen
kamen auch eine Reihe neuer Verha n dlunso b j ekte
zur Beratschlagung, die eine summarische Zusammenstellung
finden sollen.
Die Anfrage der Posener Kammer, ob der im § 75 A b s. 3
des Unfallversicherungsgesetzes für Land-
und Forstwirtschaft und § 69, 3 des Ge w erbe-
unfallgesetzes gebrauchte Ausdruck : „d e r b e li a n -
dein de Arzt ist zu hören“ etc. gleichbedeutend ist mit:
„muss gehört werden“, wird vom Kammerausschusse, analog der
Auffassung fast aller Kammern, in diesem ginne beantwortet,
so dass also bei der ersten Rentenfestsetzung und bei jeder Renten-
Aeusserung des behandelnden
Veränderung eine gutachtliche
Arztes ein geholt werden muss.
. d?i‘ Rheinischen Kammer, dass jedes Kamrner-
nntglied einen Beitrag von 3 M. für einen Agitation«.
1 o n d beisteuern solle, wird von den meisten Kammern nicht
befürwortet, teils wird diese negative Haltung damit motiviert
dass dieses eine Tätigkeit der lokalen Vereine und privaten Aerzte-
vereinigungen sei teils wird die Höhe des Beitrags beanstandet.
Lei den Verhandlungen im Kammerausschuss zog daher die An¬
tragstellerin den Antrag zurück.
mi. 1 1
ucnm-Dnuiueiuuirger Kammer, dass die
Anerkennung eines in der Schweiz erworbenen
Maturitätszeugnisses zur Zulassung zu den
medizinischen Prüfungen nicht ausreielie n d sei.
führt zunächst zu der Einholung einer amtlichen Auskunft über
den Wert dieser Maturitätszeugnisse.
Dieselbe Kammer hatte zur Bildung von Kommis¬
sionen behufs Prüfung von Verträgen zwischen
Ae rzten u n d Krankenkassen oder privaten Ver¬
einigungen Anregung ergehen lassen. Die meisten Kammern
haben diesem Vorschlag zugestimmt, die Kammern von Pommern
und Westfalen beanspruchten diese Tätigkeit für die lokalen
Bezirks-, Kreis- oder Ortsvereine; der Kammerausschuss stellte
sich auf den vermittelnden Standpunkt, dass nur dort diese Kom¬
missionen in obigem Sinne in Wirksamkeit treten sollen, woselbst
die ärztlichen Vereine dazu nicht geeignet oder ausser stände seien.
Die Beiträge zur Aerztekamme r, die sog. LT m -
lagepflicht, waren mehrfach Gegenstand der Kammerausschuss¬
beratung. Zunächst herrschte völlige Uebereinstimmung. dass
die Befreiung von den Beiträgen stets im einzelnen Falle und
nicht kategorienweise durch den Kammervorstand zu erfolgen
habe und dass grundsätzlich jeder Arzt, ob Praxis ausübend oder
nicht, zur Steuer heranzuziehen sei. Späterhin ventilierte der Aus¬
schuss von neuem diese Frage, nachdem in einzelnen Kammern
divergente Beschlüsse gefasst waren. So hatte Ostpreussen
fixieit, dass auf nicht mehr Praxis ausübende oder auf Assistenz-,
Volontär- oder überhaupt noch nicht praktizierende Aerzte kein
Beitragszwang auszuüben sei. dann Schleswig-Holstein, dass
eine Befreiung solcher Aerzte einzutreten habe, deren Ein¬
kommen 1200 M. nicht übersteige, schliesslich schlug die Rheini¬
sche Kammer, welche die jährliche Umlagepflicht auf 20 M. fest¬
setzte. Befreiung bei noch nicht 3 Jahre praktizierenden und
Herabsetzung auf 15 M. bei den beamteten und an den Kosten
der Ehrengerichte nicht beteiligten Aerzten vor. Trotzdem beharrte
der Kammerausschuss bei seinem früheren Beschlüsse der gleich-
mässigen Besteuerung aller Aerzte.
Die Gründe basieren auf folgender Anschauung: Die Z u -
gehörigkeit zum ärztlichen Stand und nicht der
E r w e r b sind ausschlaggebend, daher sind Assistenzärzte und
überhaupt junge Aerzte in gleichem Masse umlagepflichtig. Dieses
hat auch Geltung für die beamteten Aerzte, für die der Aerzte-
kammerbeitrag geradezu eine Ehrenpflicht ist. und für die
theoretische Lehrfächer vertretenden Universitätslehrer, zumal bei
letzteren die Grenze zwischen theoretischen und praktischen
Fächern oft schwierig, auch manche aus praktischer Tätigkeit
nebenbei hohe Erwerbsquellen beziehen. Auch nicht mehr prak¬
tizierende Aerzte sind beitragspflichtig aus obigen Gründen, zu¬
mal sie ihre Tätigkeit zu jeder Zeit wieder beginnen können etc.
Zu dieser Enunziation sah der Aerztekammerausschuss sich
veranlasst, weil in den verschiedensten Kammern Proteste gegen
die Heranziehung zur Besteuerung (Berlin, Bonn, Breslau, Göt¬
tingen, Königsberg etc.) laut wurden. Immerhin gab der Aus¬
schuss zu, dass in vereinzelten Fällen leicht in der Ausführung
obiger Grundsätze Härten entstehen könnten, die eben durch die
Entscheidung im einzelnen Falle eine Milderung erfahren müssten.
Eine weitere die Aerztekammerbeiträge betreffende Frage,
wann beim Wegzuge aus einem Kammerbezirke in
eine n a n d e r n die Umlagen einzuziehen seien, ob am 1. Januar
jeden Jahres oder an dem Tage der Beitragsgenehmigung durch
den Oberpräsidenten, führte zu keiner generellen Entscheidung,
überliess die Ausführung vielmehr zunächst dem Gutdünken der
einzelnen Kammern.
Für die Führung der Personalverzeichnisse
und Ausübung der Kassengeschäfte wurde vom
Ausschuss die allgemeine einheitliche Einführung des I{ arten-
a. p p a, r a t e s (Zettelkatalog) in allen Aerztekammern (West¬
falen und Hannover hatten sieh dagegen ausgesprochen) em¬
pfohlen und das Ersuchen an den Minister gestellt, die Aerzte
verpflichten zu lassen, bei Niederlassung oder Wohnungswechsel
der zuständigen Aerztekammer Anzeige zu erstatten.
Von erheblichem Interesse war die infolge eines Ministerial-
schreibens vom 23. Mai 1901 an den Ausschuss gelangte Frage,
ob nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, betreffend die ärztlichen
Ehrengerichte vom 25. November 1899 ehrengerichtliche
Sond-erbesti m mungen in den Satzungen mancher Aerzte-
vereine überhaupt oder wenigstens bezüglich der
beamteten Aerzte in Fortfall zu kommen hätten. Durch¬
aus im Einklang mit den Beschlussfassungen der meisten Kam¬
mern hielt der Ausschuss eine Aenderung des bisherigen Zustandes
für nicht erforderlich, da aus den bisherigen Bestimmungen für
die beamteten Aerzte keine Misstände sich ergeben hätten, auch
1268
M (JENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nu. 30.
( '1 11t 111 lilllrllL'lieU YirilUlL \uil v»v/vr UX1U . -
Führuug der Sitzungsprotokolle, der Vorbereitung der Referate,
der Formulierung der Beschlüsse des Ehrengerichtshofes f ii r
die bisherigen Vereinsehrengerichte nicht als Spruch-, sondern
als S c h i e d s gericlite aufzufassen seien.
Von grosser Tragweite sind einige die staatlichen Ehren¬
gerichte betr. Beschlüsse des Ausschusses, dass dieselben als voll¬
kommen selbständige Gerichte aufzufassen und dass sie
nicht an ein früheres straf gerichtliches Urteil ge¬
lt u n d e n sind, dass die Veröf f entlichu n g der N a m e n
der verurteilten Aerzte in den Kammersitzungsberichten als
strafversc li ii r f e n d aufzufassen ist. dass Anfragen von
Behörden bezüglich der Urteile anstandslos zu beantworten, an
private Ankläger hingegen die Mitteilungen des Urteils im Er-
keuntniss festzulegen sind, dass zum Verlust des AN ahlreelits ver¬
urteilte Aerzte trotzdem beitragspflichtig sind. Ferner sollen be¬
züglich der Einberufung der Stellvertreter zu den NN alilen
f ii r das ärztliche Ehr enge ric h t, und zu den S i t z -
u n g e u d e r Iv a m in e r einheitliche Grundsätze durch eine
Entscheidung des Ministers bewirkt, werden; auch wird ein
juristisch v o r g e b i 1 d e t e r Protoltollf ii h r e r mit
einem jährlichen Gehalt von M. 000 und der Tätigkeit der
I
d
letzte r c n aufgestellt.
Von sonstigen Ausschussverhandlungsgegenständen erübrigt
noch zu erwähnen, dass durch den Ausschussvorsitzenden eine
Z u s a m menstell u u g der A b k o m m e n der einzelnen
Kammern mit den Alters- und Invaliditäts-An¬
stalten behufs Zustellung für die Ausschussmitglieder ver¬
fertigt, dass von in auswärtigen Blättern erscheinenden ärztlichen
Beklaun annoucen dem Vorsitzenden der betreffenden Kammer
Kenntniss gegeben werden, dass von Misständen, die sich bei der
Erteilung der kleinen Matrikel ergeben haben — in Bonn war ein
Kurpfuscher zum Medizinstudium zugelassen worden — dem
Minister Mitteilung gemacht werden soll. Auch wurden
dem ärztlichen Fortbildungswesen — von einem
ursprünglich beabsichtigten Kammerbeitrag hatte das Zentral¬
komitee wieder Abstand genommen — und der Syphilis¬
statistik, die fortgesetzt wird und zu der A7erbesserungs Vor¬
schläge entgegengenommen werden sollen, kurze Besprechungen
gewidmet.
Die bisherige Besprechung enthält schon zugleich das
AVesentliclie der einzelnen Kammerverhandlungen , so dass
die weiteren Anträge, Vorschläge und Besprechungen, wie sie
in den einzelnen Kammern gepflogen wurden, nur kurz zu be¬
richten sind, umsomehr, als einzelne derselben im nächsten Jahre
auch den Kammerausschuss beschäftigen werden.
In sämtlichen Kammern wurde der Antrag der schlesischen
Kammer: „Die Staatsregierung zu e r s u c h e n, d a -
für Sorge t. rage n z u wollen, dass die Aerzte bei
(i er Beratung aller den ärztlichen Stau d u n d
B e r u f u n d die öffentliche Ges u n d li e i t. s pflege
betr e f f ende n Fragen und der sozialpolitische n
Gesetze mehr als bisher gehör t u n d b e r ii c k s i c li -
t i g t werde n“, akzeptiert.
Ueber die Tätigkeit der Ehrengerichte erstatteten
mehrere Kammern Berichte, die ergaben, dass die Zahl der An¬
zeigen und der dadurch bedingten Sitzungen in den einzelnen
Kammern sehr verschieden waren. AVährend z. B. in Pommern
7 Anzeigen eine einzige Sitzung hervorriefen, hielt das Ehren¬
gericht der Berlin-Brandenburger Aerztekammer bei 65 Anzeigen
i; Sitzungen ab. Die meisten Anzeigen in der letzteren Kammer
bezogen sich auf „gewerbsmässiges Annonciere n“,
das in mehreren Urteilen des Ehrengerichtshofes als
s tandes u n w ii r d i g verurteilt wurde.
Eingehende Erörterungen riefen auch in den Kammern, eben¬
so. wie bereits erwähnt, im Kammern ussehusse, die Kammer-
v m 1 a g e n hervor. Hiebei ist erwähnenswert, dass in Berlin-
Brandenburg von jedem Arzte eine Grundgebühr von Kt AI. und
von denjenigen, die über mindestens 5000 AI. Einkommen ver-
fügen. 5 Proz. des Staatseinkommensteuerbetrags erhoben werden
soll, während in Schleswig-Holstein die Steuern sich nur auf die
aus der Praxis herrührenden Einkünfte, die selbst einzuschätzen
sind, unter Nichtberücksichtigung des Privatvermögens beziehen
sollen.
Da der Hauptzweck der Umlagen in der G r ii n d u n g v o n
ii r z 1 1 i c li e n Unters t ützungskasse n besteht, wurden
hierüber in einzelnen Kammern eingehende Diskussionen ver¬
anstaltet. die zumeist zur Bildung von Kommissionen führten,
die eine Verschmelzung der bereits bestehenden provinzialen
Kassen mit der neuen Kasse herbeiführen sollten. Dabei wurde
betont, dass, wenn auch zunächst diese Kassen nur
Unterstützungskassen seien, das Endziel das einer
Pensionskasse sein solle. Besonders anerkennenswert ist,
dass von einzelnen Kammern statuiert wurde, dass versicherten
und in Zahlungsnot geratenen Aerzteu die Zahlung der Prämien
gewährt werden soll (Itheinprovinz, AVestfalen). In Berlin-Bran¬
denburg und in Schlesien wurde bereits eine Vereinigung der be¬
stehenden Kassen mit der Hilfskasse der Kammer vollzogen.
Auf diese AA’eise konnte die ersten* Kammer als Etat für Unter¬
stützungen im Jahre 1902 50 000 AI. aussetzen.
Das bereits vorhandene A'ermögen einzelner Kammern wurde
Stützungsfonds (z. B. AVestfalen) bereits dort festgelegt, woselbst
die Unterstützungskasse noch nicht zum Abschluss gebracht war.
Zur Verbesserung der durch die Kurpfuscherei be¬
dingten Schäden ergriff besonders die Berlin-Brandenburgsche
Kammer die Initiative. Der Kurpfuschereikommission wurden
2000 AI. bewilligt und dem A'orsitzeuden und Schriftführer der¬
selben gestattet, Strafant r ä. ge wegen unlaute r e n
AVettbewerbs gegen Kurpfuscher zu stellen. (In letzterem
Sinne verfuhr auch die Kammer von Hannover.) Die Kammer
erwirkte auch eine A'erfüguug des Oberstaatsanwalts, dass der
Kammer von wichtigeren Hauptverhandlungen gegen Kurpfuscher
Kenntniss gegeben würde, um die Anwesenheit eines Mitgliedes
der Kommission bei der Verhandlung zu ermöglichen.
Auf Grund von Vorkommnissen in Spandau erklärte die
Kammer, dass das Zusammenwirken von Aerzten mit nichtappro
liierten Personen das Ansehen des ärztlichen Standes schädige, und
dass der Abschluss oder die Verlängerung von Verträgen von
Aerzten mit Krankenkassen, an denen auch nicht approbierte
Aerzte als Kassenärzte zugelassen werden, standesunwürdig sei.
Die Kammer von Schleswig-Holstein will ferner zur Verwertung
eines brauchbaren Alaterials Fragebogen an alle Aerzte des
Kammerbezirks in Kurpfuschereiangelegenheiten versenden.
Bezüglich der Abänderungsvorschläge^ zum
K r a n k e n v e r s i c li e r u n g s g e s e t z haben die Kammern
_ die Kammer der Itheinprovinz und Ostpreussen sprachen sich
darüber aus — nur wenig aktive Tätigkeit der Aerzte verzeichnen
können. ,
In Honora r f rage n m i t Kr a nkenkassen fixierte
die Kammer von Hannover, dass bei Neuabschlüssen von A er¬
trügen ein Honorar von 3 AI. pro Kopf und Jahr und 9 AI. für die
Familie als Alindesthonorar anzusehen sei. Die Kammer von
Schlesien erklärte es für standesunwürdig, den Ansprüchen von
Krankenkassen, die Angehörigen der Alitglieder unter den Sätzen
der Aiinimaltaxe zu behandeln, zu entsprechen.
Die Beziehungen der Kammern zu den Landes ver-
s iche r ungsanstalte n gestalteten sich verschiedenartig.
NA’iihrend die ostpreussisclie und schlesische Kammer ein Ent¬
gegenkommen zu verzeichnen hatte, waren die A erhandlungen
der Kammern von Hannover und Pommern bezüglich der Honorar-
mid der Vertrauensarzt fragen von negativem Erfolge.
Eine lieihe von Einzelberatungen fand in einzelnen Kammern
statt, die hier zum Teil folgen mögen:
Die Kammer von Hessen-Nassau beriet den Entwurf einei
S t a n d e s o r <1 n u n g und gab Kenntnis von dem Protest des
AViesbadener ärztlichen A'ereins gegen einen die Aerzte beleidigen¬
den Passus im Bericht der Handelskammer.
Die Kammer von Hannover beriet über Massregeln behufs
Steuerung der Zunahme der Geschlechtskrankheiten und
beschloss, den Oberpräsidenten zu ersuchen, möglichst viele
Krankenhäuser geschlechtlich erkrankten Personen zugänglich zu
machen. Dieselbe Kammer befürwortete ein Gesuch an die Re¬
gierung . dass behördlicherseits zu v e l g e b e. n d t
Stell en, wie Bahn-, Gefängnis-, Impfärzte, a u c la de n n i c li t
beamteten Aerzten teilhaftig werden könnten.
Die selbes wig-holsteinsche Kammer bemängelte, dass
A t fest e v o n I* r i v a t ii r z t e n bei Gesuchen u m B e -
frei u n g v o n m i 1 i t ii rische n TJ e b u ngen von den
Alilitiirärzten nicht berücksichtigt würden. Verhandlungen nach
dieser Richtung hin sollten eingeleitet werden.
Die Kammer von AVestfalen erörterte den Antrag, durch
den Justizminister den Gerichten nahezulegen, die fest¬
gesetzte Zeit und Stunde von gprichtlic lie n
T e r m inen ei n halt e n z u lasse n, hielt aber das Vor¬
bringen eines solchen AA unsclies bei dem Gerichtsvorsitzenden des
betreffenden Bezirkes für opportuner.
Die schlesische Kammer wird beim Aorztekammerausschuss
um E r h ö li u n g d e r T a x e für gutachtliche T ä t i g -
k e i t de r A e rate ei n k o m m e n.
Bemerkenswert ist ferner, dass in den Kammern von
Schleswig-Holstein und Ostpreussen dem ärztlichen Fort-
b i 1 d u n g s w e s e n nicht das erwartete Interesse entgegen-
gebracht wurde.
Die Kammer von Berlin-Brandenburg trat lebhaft für die
V e r b r e n n u n g d e r I’ e s 1 1 e i e li e n ein.
Dii* Kammern von. Posen und Sachsen unterstützten den An¬
trag des Aerztevereins Cottbus, dass durch die geplante
Schulreform (Vermehrung der Stunden in Tertia, etc.) die
Gesundheit der Schüler gef ii li rdet w ii r d e.
Einige weitere A’e rtian dl ungsgegen stände können unberück¬
sichtigt. bleiben; das AVesentlichste ist im A’orhergehenden zu¬
sammengefasst.
10s ist fraglos, dass, wie eingangs hervorgehoben wurde, die
Tätigkeit der Kammern und des Kammerausschusses eine sehr- er-
spriessliche war; möge sie dem ärztlichen Stande den erhofften
Nutzen bringen.
der zu
•ründenden Kasse überwiesen, auch wurde ein Unter-
29. Juli 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCI1E WOCHENSCHRIFT.
1269
Referate und Bücheranzeigen.
Vaubel: Die physikalischen und chemischen Methoden
der quantitativen Bestimmung organischer Verbindungen.
I. Bd. : Die physikalischen Methoden. II. Bd.: Die chemischen
Methoden. 593 und 530 S., geh. 24 M., geh. 26,40 M. Jul.
Springe r, Berlin 1902.
für die quantitative Analyse der organischen Verbindungen
existiert keine so allseitig durchgearbeitete Methodik, wie für
die anorganischen Verbindungen. Es besteht hier eine Unzahl
spezieller Methoden für die Bestimmung einzelner Körper, neben
allgemeinen Nachweisen spezieller (substituierender) Gruppen
und Reihen. Die Beschreibung dieser Methoden ist an den ver¬
schiedensten Stellen in der chemischen Literatur verstreut. Es
ist daher ein sehr dankenswertes Unternehmen, dass Vaubel
diese verstreuten Methoden gesammelt und unter einheitlichen
Gesichtspunkten zusammengefasst hat. Welch grosse Bedeutung
auch für die organische, nicht nur für die anorganische Chemie
die physikalische Chemie erreicht hat, ersehen wir daraus, dass
die Darstellung der physikalischen Bestimmungsmethoden den
ganzen ersten Band einnimmt, ln demselben werden besprochen :
Bestimmung des Schmelz- und Erstarrungspunktes, — des Siede¬
punktes bzw. Dampfdruckes, — des spezifischen Gewichtes, — der
Lösung und Extraktion, — der Fällung, — der Kapillaranalyse,
— der Viskosität, — der elektrischen Leitfähigkeit, — des Bre¬
chungsexponenten, — der Kolorimetrie, — der Spektrokolori-
metrie, — der Probefärbung, — der optischen Aktivität, - — der
Verbrennungswärme, — der Reaktionswärme, — - der Entflam¬
mungstemperatur. Band II enthält die Methoden der Kohlen¬
stoff- und Wasserstoffbestimmung, — der Stickstoffbestimmung,
— der Halogenbestimmung, — der Schwefel- und Phosphor¬
bestimmung, — der Verdampfung und Veraschung, — der
Azidimetrie, — Alkalimetrie, — Verseifung, — Azetylierung,
Benzoylierung, — Bromierung, — Jodierung, — Diazotierung,
— der Bildung von Azofarbstoffen, — der Bestimmung durch
Kondensation mit Phenylhydrazin, — der Kondensation von
Aldehyden mit Phenolen, — von Aldehyden mit Aminen, — der
Zersetzung durch Säuren, - — der Nitrosierung, — der Einwirkung
von Salpetersäure, — der Oxydation mit Arsensäure, — mit
konz. Schwefelsäure, — mit Halogenen und Halogensauerstoff ■
Verbindungen, — mit Chromsäure, — mit Permanganat, — mit
Kupferoxydverbindungen, — mit AI erkuri Verbindungen, - — der
Bestimmung mit Silbernitrat, — der Oxydation durch Gold-
bezw. Platinverbindungen, — der Reduktion mit schwefeliger
bezw. hydroschwefeliger Säure, — der Reduktion mit Zinn-
chlorür, der Bestimmung durch Enzym- oder Fermentwirkung,
— der Bestimmung der Antitoxine. Das Vaubel sehe Buch
wird auch dem Mediziner als Nachschlagewerk sehr willkommen
sein- Heinz- Erlangen.
Wilhelm Weinberg - Stuttgart : Beiträge zur Physio¬
logie und Pathologie der Mehrlingsgeburten beim Menschen.
(Archiv für die ges. Physiologie Bd. 88.)
Kaum je dürfte die Lehre von den Mehrlingsgeburten beim
Menschen von ärztlicher Seite einerseits mit solcher mathe¬
matisch-statistischer Exaktheit, andererseits unter Zugrunde¬
legung so geeigneten, reichen Materiales behandelt worden sein,
als in der vorliegenden Arbeit.
Neben der zahlreichen Literatur und einer grossen Zahl
eigener Beobachtungen standen dem Verfasser die wertvollen
Aufzeichnungen des württembergischen statistischen Landes¬
amtes und vor allem das in Württemberg seit fast 100 Jahren
neben Kirchen- und Standesregister geführte Familien-
r eg i ster zur Verfügung, das einen äusserst wertvollen Ueber-
blick über die Fruchtbarkeitsverhältnisse der einzelnen Familien
durch mehrere Generationen gestattet.
Die Resultate des Verf. weichen denn auch in einer Reihe
von Punkten von den auf einseitig kasuistischer Grundlage ge¬
wonnenen anderer Autoren wesentlich ab.
Im 1. Kapitel werden die Geschlechtsverhältnisse der Zwil¬
linge untersucht und zwar sowohl bezüglich des Verhältnisses
der Zwillingsknaben zu den Zwillingsmädchen (Sexualproportion),
als auch bezüglich des Geschlechts der Zwillingspaare (Sexual¬
kombination). Dabei wird wie in allen Fragen eine getrennte
der ein - und mehr ei igen Zwillinge dureh-
Untersuehung
geführt.
Das in allen Statistiken beobachtete Zurücktreten des
Knaben Überschusses im \ ergleich zu den Einzelg'eburten wird
auf die erhöhte intrauterine Sterblichkeit der zweieiigen und
in noch höherem Masse der eineiigen Zwillinge zurüdkgeführt.
Dabei erscheint die Sterblichkeit der männlichein Früchte, wie
auch allgemein im extrauterinen Leben, erheblich grösser. Das
Geschlechtsverhältnis der Zwillings g e b u r t e n entspricht also
nicht dem der Zwillings z e u g u n g e n. Deshalb erscheinen
auch die auf dieses Geschlechtsverhältnis gegründeten Theorien
zur Geschlechtsbildung hinfällig: das Geschlechtsverhältnis weist
im Gegenteil auf eine Geschlechtsbestimmung im Ovarium vor
der Befruchtung hin.
Im 2. Kapitel begründet der Verf. eine rechnerische Me¬
thode zur Bestimmung der eineiigen Zwillinge aus der Gesamt¬
zahl. Er berechnet, dass von den zweieiigen Zwillingen ziemlich
genau die Hälfte „Pärchen“ sind, so dass der Ueberschuss der
doppelten Pärchenzahl aus der Gesamtzahl als eineiige Zwillinge
erscheinen. Vermittels dieser „Differenzmethode“ kommt Verf.
zu dem Ergebnis, dass über 20 Proz. aller Zwillinge eineiig sind,
eine Zahl, die die klinischen Angaben z. T. um das doppelte
übertrifft. Dadurch wird vor allem der Theorie, die die Ent¬
stehung eineiiger Zwillinge auf die so seltenen Eier mit zwei
Keimbläschen zurückführt, der Boden entzogen.
Im 3. Kapitel wird das Verhältnis der eineiigen zu den zwei¬
eiigen Zwillingen in Beziehung auf Schwangerschafts- und Ge-
burtsverlauf und die Häufigkeit von Tod- und Frühgeburt bezw.
Abort untersucht.
Das Ueberwiegen zweieiiger Zwillinge in klinischen An¬
stalten wird auf den schwereren Schwangerschafts- und Ge¬
burtsverlauf zurückgeführt.
Totgeburten sind bei eineiigen Zwillingen doppelt so häufig
als bei zweieiigen, was ebenso wie der geringere Knabenüber¬
schuss auf häufigere Frühgeburten und Aborte bei dieser Kate¬
gorie hindeutet'. Der intrauterine Fruchttod gefährdet die
zweite Frucht bei eineiigen Zwillingen weit mehr als bei zwei¬
eiigen. i 1 - F
Während die Zwillingsschwangerschaft häufiger mit Früh¬
geburt als mit Abort endet, erkennt im übrigen der Verf. die von
anderer Seite beobachtete Neigung der Zwillingsmutter zu Fehl¬
geburten nicht an.
Was die im 4. Kapitel behandelten Eigenschaften der Zwil¬
linge betrifft, so konnte Verf. weder zwischen ein- und zwei¬
eiigen, noch bei letzteren zwischen solchen mit einer und solchen
mit zwei Plazenten einen zahlenmässigen Unterschied bezüglich
Körpergewicht und Lebensfähigkeit nachweisen. Auch die viel¬
fach behauptete grössere Aehnlichkeit eineiiger Zwillinge in Ge¬
stalt, Lebensäusserungen und Lebensdauer scheint der statisti¬
schen Grunmage zu entbehren, ebenso wie die behauptete Un¬
fruchtbarkeit der Zwillinge, die namentlich von Züchtern bei
Tieren beobachtet wurde.
Das 5. Kapitel endlich handelt von den Ursachen der Mehr¬
lingsschwangerschaften, die nach des Verfassers Meinung nur
durch eine statistische bezw. anatomisch-physiologische Be¬
arbeitung klargelegt werden können, nie durch Kasuistik.
Einfluss des Keimes wird negiert, dagegen lässt sich für
zweieiige Zwillinge ein Einfluss von Rasse, Wohnort, Zivilstand,
Alter und Geburtenzahl der Mutter, auch der Jahreszeiten und
ebenso eine direkte und seitliche Vererbung auf weibliche Nach¬
kommen (nicht auf männliche) erkennen.
Keiner von allen diesen Faktoren kommt für die ein¬
eiigen Zwillinge in Betracht; die Ursache der Teilung der
Keimanlage ist unbekannt. Die eineiigen Zwillinge sind wie
die Doppelmonstra pathologische Erscheinungen, wäh¬
rend für die zweieiigen der atavistischen Auffassung eine
gewisse Berechtigung zuerkannt wird.
Alle Schlussfolgerungen der Arbeit sind unter äusserst
scharfsinniger und vorsichtiger Anwendung statistischer und
rechnerischer Methoden gezogen; die Arbeit, erscheint deshalb
für jeden, der sich mit diesen Fragen der Bevölkerungslehre be¬
schäftigt, in erster Linie nach der methodologischen
Seite hin sehr lehrreich. Dr. Sigm. Mirabeau.
1270
Dr. A. S m i t h - Schloss Marbach: Ueber den heutigen
Stand der funktionellen Herzdiagnostik und Herztherapie.
Hcrliner Klinik. Sammlung klinischer Vorträge. Doppel¬
heft 160. S. Karge r, 1902.
Ausser den anatomischen Herzfehlern gibt es noch ver¬
schiedene Arten von Ilerzmuskelinsuffizienz, die gar nicht ent¬
sprechend ihrer Wichtigkeit bekannt sind. Die Puls-
abweichungen sind aber hiefür aus verschiedenen Gründen ein
ganz ungenügender Index; um so zuverlässiger lassen die Ver¬
änderungen der Herzgrösse auf die Funktion des Myokards
schl i essen. Das Herzvolumen kann man am besten bestimmen
mit dem Phonendoskop, nach der von Smith modifizierten
(P i a n e h i sehen) Methode, deren Technik mit Hilfe einiger
Figuren in der Arbeit genau beschrieben wird. Die Kontrolle
der Resultate mit der Orthodiagraphie und an der Leiche ergibt
deren absolute Zuverlässigkeit. Auch die Vergrösserung des
Herzens durch Erhöhung des intrakardialen Druckes hat
S m i t h an der Leiche nachgewiesen.
Bei unseren heutigen Kulturvölkern kann man nur aus¬
nahmsweise ein normales Herz finden; es ist meistens durch ver¬
schiedene Einflüsse (vor allem Alkohol und nervöse Störungen)
erweitert, wobei es unter mechanisch ungünstigeren Verhält¬
nissen arbeitet. Ein gesundes Herz nun, das mit minimalen Herz¬
höhlen arbeitet, soll bei nicht übertriebener Anstrengung keine
Erweiterung zeigen.
Erweiternd wirken nun eine Menge Gifte, voraus der Al¬
kohol (nachweislich nicht die Flüssigkeitsmenge), dann
auch der Hunger, psychische Erregungen (bei ITnfallneurosen
hat Smith in jedem Falle Herzerweiterung gefunden). Bei
labilem Nervensystem (wie es z. B. Künstler oft haben) oder
immer wiederholten erweiternden Einflüssen wird die Dilatation
oft eine bleibende.
Herzverengernde Wirkung haben u. a. die Digitalis (oft
schon nach 20 Minuten), Strophanthus, Kampher und andere
Gifte, dann aber vor allem elektrische, namentlich faradische
Ströme, die von der Herzgegend durch den Körper geleitet
werden, Körperbewegung in richtiger Dosierung, und am
wirksamsten das elektrische Bad.
Diese Mittel, richtig und anhaltend angewendet, können dann
auch in einer Grosszahl von Fällen den Patienten heilen. Es
bedarf natürlich vieler Erfahrung, um die Methode zu be¬
herrschen. Immerhin gibt Verfasser in einem besonderen Ab¬
schnitte gute therapeutische Winke.
‘ Dies die Grundzüge der Arbeit. Daneben enthält sie wieder
Winke für Theorie und Praxis und regt zu weiteren Unter¬
suchungen und Nachprüfungen an. Manches ist gewiss richtig
— ein sehr guter Beobachter, dessen Einwilligung zur Publi¬
kation seines Namens ich momentan nicht einholen kann, be¬
stätigt mir z. B. den herzerweiternden Einfluss des Alkohols — ,
einzelne Details erscheinen dem Referenten zweifelhaft oder un¬
richtig. Sicher aber sind die praktisch eminent wichtigen,
von einem grossen Material deduzierten Anschauungen des Ver¬
fassers einer gründlichen Nachprüfung wert, und man begreift
seine, vielleicht etwas zu herbe Kritik bestehender Ansichten,
wenn man gesehen hat, mit welcher Oberflächlichkeit von ver¬
schiedenen Seiten aus versucht worden ist, seine Arbeiten ab¬
zutun. Bleuler- Burghölzli.
Dr. med. H. Donner, Arzt in Stuttgart: Ueber Arterio¬
sklerose, Verkalkung1 der Arterien. Verlag von Zahn
& S e e g e r Nachf., Stuttgart. Preis 3 M.
Verfasser hat seit einer Reihe von Jahren die Literatur über
Arteriosklerose eingehend verfolgt und auch persönlich grosse
Erfahrung über die so wichtige und nunmehr in ihrer Bedeutung
zusehends immer höher geschätzte Krankheit gesammelt, so dass
er in der Lage ist, eine Reihe selbständiger Beobachtungen in
der Schilderung zu verwerten. Die Klage, dass in der Literatur
fast noch keine umfassende Beschreibung der Arteriosklerose vor¬
handen sei und D. es deshalb für angezeigt gefunden habe, die
Krankheit einmal eingehend zu schildern, dürfte jetzt nach Er¬
scheinen des S c li r o e t te r ächen Werkes, sowie der zwar kur¬
zen, aber alles wesentliche bringenden Bäumler sehen Dar¬
stellung nicht mehr so berechtigt sein, wie noch vor wenigen
Jahren. Den Schwerpunkt seiner Beschreibung hat D. auf den
No. 30.
klinischen Teil der ganzen 1- rage, viel weniger auf den ana¬
tomisch-histologischen verlegt. Er unterscheidet eine physio¬
logische, eine Herz-, eine Nieren-, eine Gehirn form der Arterio¬
sklerose. Von mannigfachen Spekulationen und Widersprüchen
sind die Darlegungen des Autors nicht freizusprechen, ln das
Kapitel über die Behandlung der Arteriosklerose vermögen wil¬
dem Autor nicht zu folgen, da er sich liier plötzlich als Homöo¬
path entpuppt. Wenn man Sätze liest, wie den: „Auch Aurum
bringt Veränderungen in den Arterien hervor, es scheint eine
ganz besondere Affinität zur Hauptschlagader zu haben und
fand ich es dann ganz besonders angezeigt, wenn der Aortenton
metallisch klingend und hart war“, und wenn dann die Sprache
der Potenzen beginnt, so hört bei Referent der gemeinsame Boden
des Sichverstehens auf. Schliesslich ist noch zu bemerken, dass
es nicht leicht sein wird, ein im Uebrigen auf Wissenschaftlich¬
keit anspruchmachendes medizinisches Buch zu finden, das so-
viele und so — — komische Druckfehler enthält, wie das
Donner sehe. Grass mann - München.
Dr. Demetrio Galatti: Das Intubationsgeschwür und
seine Folgen. Wien, Josef Safär, 1902. 128 Seiten. Preis
3 M.
Eine vorzügliche Arbeit, die jeder lesen sollte, der sich mit
der Intubation befasst. Bemerkenswert sind die (übrigens nicht
durchgehends unanfechtbaren) Angaben über die Anatomie des
kindlichen Kehlkopfes, ein Gebiet, auf welchem G. schon viel
gearbeitet hat. Nur genaue Kenntnis dieser anatomischen Ver¬
hältnisse, die vielfach sehr verschieden von den Verhältnissen
beim Erwachsenen sind, ermöglicht das Verständnis der Entsteh¬
ung und Folgen des Intubationstraumas. Leider harren immer
noch verschiedene wichtige Fragen ihrer Lösung. In dem Ka¬
pitel über Intubationstechnik finden wir fast ausschliesslich schon
Bekanntes referiert. Auszusetzen wäre, dass der Autor dem
Tuben - M a t e r i a 1 zu wenig Bedeutung beimisst ; die Reform
der Intubationstechnik wird aber gerade hier einzusetzen haben.
Im zweiten Abschnitt wird die Aetiologie, pathologische
Anatomie, Diagnose, Prophylaxe und Therapie des Dekubitus
besprochen. G. kritisiert mit Recht die fälschliche Verwendung
des Wortes Dekubitus für jedes p. m. in den oberen Luftwegen
Vorgefundene Geschwür und weist darauf hin, dass u.a. dekubitus¬
ähnliche ITlzerationen im Kehlkopf inner n bei Typhus, nach
Blattern, Masern, Scharlach auftreten können, ebenso bei Di¬
phtheriekranken, die weder tracbeotomiert noch intubiert waren.
Hervorgehoben wird, dass die Entsteh ungsur Sachen des Dekubitus
sehr mannigfache sein können, dass die Intubationsdauer sicher
nicht allein das entscheidende Moment ist und deshalb auch nicht
ausschliesslich unser Handeln beeinflussen darf, wie das bisher
vielfach in der Anwendung der intermittierenden Intubation und
der schematischen Ausführung der sekundären Tracheotomie
nach 100 — 125 ständiger Intubationsdauer zum Ausdruck kam.
Der dritte Abschnitt behandelt die Narbenstrikturen bezw.
Narben Verschlüsse, ihre Symptomatologie, Diagnose, Prophylaxe
und Therapie. Wichtig ist, dass die im Anschlüsse an die In¬
tubation sich entwickelnden narbigen Strikturen ihre Entsteh¬
ung gerade einer Sistierung oder doch hinreichend langen Unter¬
brechung der Tntubationsbehandlung verdanken. Wird also mit
Rücksicht auf die Gefahr eines Dekubitus die sekundäre Tracheo¬
tomie ausgeführt, so sollte schon vom 1. Tage an immer wieder
probeweise intubiert werden, um die Entstehung von Narben¬
strikturen zu verhüten. Interessant sind die Ausführungen über
jene Strikturbildungen, die unabhängig von der Intubation durch
chronische Schwellung (Infiltration der subglottischen Schleim¬
haut) bedingt sind. Ueber die (nach Meinung des Ref. noch zu
wenig ausgebildete) Therapie der Strikturen geben hauptsächlich
die zahlreichen beigefügten Krankengeschichten Aufschluss.
Die in der Arbeit enthaltenen Abbildungen sind gut und sehr
instruktiv, die Ausstattung des Buches lobenswert.
Trumpp - München.
1
j . i
Neueste Journalliteratur.
Archiv für klinische Chirurgie. Bd., 67. 4. Heft, Berlin,
Hirschwald, 1902.
34) J aussen: Zur Lehre von der Dupuytren sehen
Fingerkontraktur, mit besonderer Berücksichtigung der opera-
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
29. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tiven Beseitigung und der pathologischen Anatomie des Leidens.
(Chirurgische Universitätsklinik von B e r g m a n n - Berlin.)
J. betont, dass durch alle bisher benutzten Methoden, auch
durch die am meisten gebräuchliche Ko eher sehe Operation,
eine Heilung der Dupuytre n sehen Kontraktur entweder gar
nicht zu erzielen oder doch das Auftreten von Rezidiven nicht zu
verhüten ist. So waren auch die früher auf der v. Bergmann-
schen Klinik operierten Fälle fast alle rezidiviert, wenn auch ge¬
bessert; es hatte sich gezeigt, dass nach Fortnahine der erkrankten
Partien der Palmaraponeurose nach Kocher die pathologischen
Vorgänge in den stehen gebliebenen Teilen ruhig weitergehen und
Rezidive hervorrufen. Eine dauernde Heilung der Deformität ist
nur zu erzielen durch radikale Entfernung der ganzen Palmar¬
aponeurose einschliesslich ihrer Ausläufer, eine Operation, die
L e x e r in 8 Fällen vorgenommen hat.
Lex er operiert jetzt folgendermassen: Längsinzision vom
Ansatz der Palmaraponeurose in der Richtung auf den am meisten
ergriffenen Finger bis auf die Volarfläche der II. Phalanx; senk¬
recht darauf ein Querschnitt durch die Vola. Die so entstehenden
4 Hautlappen werden zurückpräpariert; nur die ganz fest mit der
Aponeurose verwachsenen Hautpartien werden mit dieser im Zu¬
sammenhang gelassen. Nun wird, vom proximalen Ende be¬
ginnend, die Faszie entfernt, wobei namentlich auf die vollkom¬
mene Herausnahme der Ausläufer zwischen den Sehnenscheiden
und peinliche Entfernung des Aponeurosengewebes an den Pha¬
langen Rücksicht zu nehmen ist. Defekte der Haut werden durch
ungestielte Cutislappen gedeckt. Nach 2y3— 3 Wochen Handbäder
und Massage. Die so erzielten Erfolge waren sehr gute.
Die mikroskopische Untersuchung zeigte fleck weise Hyper¬
plasie des Bindegewebes der Aponeurose; diese ist anfangs gekenn¬
zeichnet durch zahlreiche in der Aponeurose zerstreute Herde eines
sehr zellreichen fibromatösen Gewebes, das später der Schrumpfung
anheimfällt; die Kontraktur der Finger ist die Folge der durch
die Schrumpfungsvorgänge in der Aponeurose und ihren Aus¬
läufern bedingten Verkürzung der Faszie. Der Ausgangspunkt
des Prozesses sind die Wandungen der kleinsten Gefässe, deren
Adventitia J. enorm verdickt fand; es war nachzuweisen, dass das
erste Entstehen der neuen zellreichen Bindegewebspartien von
den neuen adventitiellen Scheiden ausging.
Die Aetiologie des Leidens bleibt unklar; auf jeden Fall spielt
aber das Trauma keine ursächliche Rolle.
37) W i n t e r: Beiträge zur operativen Behandlung der
Epilepsie. Totale und beiderseitige Resektion des Halssym¬
pathikus bei der essentiellen Epilepsie nebst 9 eigenen Fällen.
(Allgemeines Krankenhaus in Sortavala, Finnland.)
Von 213 Fällen von Sympathikusresektion aus der Literatur
sind 122 nachbeobachtet worden. Von diesen sind 8 = G,G Proz.
über 3 Jahre geheilt, 17 = 13,9 Proz. vorläufig, d. h. seit 1—2 Jahren
geheilt, 23 = 18,9 Proz. gebessert, G7 = 54,9 Proz. ungeheilt. Die
Resultate sind demnach kaum besser als die der Brombehandlung.
Ueber den Werth der Operation kann noch kein endgültiges Urteil
abgegeben werden.
39) Tansini: Die Splenektomie und die Talma sehe
Operation bei der B a n t i sehen Krankheit. (Chirurg. Universi-
tätsklinik Palermo.)
Kasuistische Mitteilung eines durch Splenektomie geheilten
Falles von Bantischer Krankheit (Splenomegalie mit Leber-
cirrhose). Die T a 1 m a sehe Operation wurde angeschlossen in
der Annahme, dass die Entfernung der Milz wohl ein Fortschreiten
der Leberveränderung verhüten, aber keine Restitutio ad integrum
herbeiführen könne. Der Aszites musste . 4 Wochen post oper.
nochmals punktiert werden und verschwand dann dauernd.
43) S n e g u i r e f f - Moskau: Ueber einen Fall von Hydro-
nephrocystoneostomie.
S. konnte durch Laparotomie einen grossen Hydroneplirosen-
sack direkt mit der Harnblase in Verbindung bringen, nachdem
die letztere nach Durchtrennung der Ligg. lata und Ablösung des
Bauchfells sich leicht hatte nach oben ziehen lassen. Die Ver¬
bindungsstelle wurde durch Vernähung des Peritoneums extra¬
peritoneal gelagert. Grundbedingung für den glatten Verlauf der
Operation ist normale Beschaffenheit des Harnes; aus diesem
Grunde hält S. die vorherige Anlegung einer Lumbaltistel, die auch
im beschriebenen Falle vorausgegangen war, für unumgänglich.
Der Fall ist vollkommen geheilt.
31) H e u s n e r - Barmen: Ueber die Dauerresultate der
Sehnenüberpflanzung bei arthrogener Kniekontraktur.
33) v. E i s e 1 s b e r g - Wien: Zur operativen Behandlung
grosser Rektumprolapse.
35) Ii e h n - Frankfurt a. M. : Ueber die Behandlung in¬
fektiöseitriger Prozesse im Peritoneum.
3G) B r u n n e r - Münsterlingen : Experimentelle Untersuch¬
ungen über die durch Mageninhalt bewirkte Peritonitis.
38) Hildebrandt - Berlin: Ueber die Bauchverletzungen
durch Kleinkalibergeschosse und ihre Behandlung im Felde.
40) K e h r - Halberstadt: Ueber den plastischen Verschluss
von Defekten der Choledochuswand durch Netzstücke und durch
Serosamuskularislappen aus Magen oder Gallenblase.
41) Engels- Hamburg: Eine neue Oberschenkelprothese.
42) Ledderhose - Strassburg: Zur Behandlung der intra¬
peritonealen Blasenzerreissung.
44) Franke- Braunschweig: Ueber operative Behandlung
der chronischen Obstipation.
1271
45) Heidenhain - Worms: Ueber Darmverschluss und
Enterostomie bei Peritonitis.
4G) Bertelsmann: Ueber bakteriologische Blutunter¬
suchungen bei chirurgischen Eiterungen, mit besonderer Be¬
rücksichtigung des Beginns der Allgemeininfektion. (Allgem
Krankenhaus Hamburg-St. Georg.)
47) Noesske: Zur Frage der Krebsparasiten. (Patliolog.
Institut zu Leipzig.)
48) 1* rutz und Ellinger: Ueber die Folgen der Darm-
g'egenschaltung. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Indi-
kanuiie. (Unii ersit. -Laboratorium für mediz. Chemie und experi¬
mentelle Pharmakologie in Königsberg.)
49) i a y l . Ueber Darmdivertikel und durch sie erzeugte
seltene Krankheitsbilder. (Chirurgische Universitätsklinik Graz.)
50) K ü s t e r- Marburg: Ueber Bursitis subacromialis (Peri¬
arthritis humero-scapularis.)
Vorträge auf dem 31. Chirurgenkongress. Referate siehe
No. 15—17 d. Wochenschi-. H ei neke- Leipzig.
Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P.v, Bruns.
Tübingen, Lau pp. 1M)2. 33. Bd. 3. Heft.
Das Schlussheft des 33. Bandes der Beitr. z. klin. Chir. er¬
öffnet eine Arbeit von Alfr. Lab har d: Zur Frage der Dauer¬
heilungen des Krebses, sie behandelt speziell die sogen. Spätrezi¬
dive und berücksichtigt Brust-, Mastdarm-, Zungenkarzinome zu¬
nächst nach den in der Literatur vorliegenden Mitteilungen und
dann nach den Erfahrungen in der Rostocker und Königsberger
Klinik (.zusammen 112 Spätrezidive, deren überwiegende Anzahl
in das 4. bis G. Jahr nach der Operation fällt), er kommt zu einem
die Ansicht D u p 1 a y s, dass die Zeit, in der ein Rezidiv auftreteu
kann, unbegrenzt ist, bestätigenden Schluss, und hält die Ansicht
Volkmanns, dass man einen Patienten, der 3 J ahre nach einer
Karzinomoperation noch rezidivfrei ist, als definitiv geheilt ansehen
könne, als unhaltbar.
Auf 2107 Mammakarzinome verzeichnet L. 2,3 Proz., auf 491
Mastdarmkarzinome 4,4 Proz. erst nach dem 3. Jahr aufgetretene
Rezidive, auf 1300 Lippen- und Gesichtskarzinome 2,5 Proz., und
betont das überwiegende Auftreten der Spätrezidive (75 Proz.) in
der Narbe oder nächsten Umgebung, sowie das Vorwiegen der
Skirrhen bei den Späterkrankungen, die Spätrezidive verdanken ihre
Entstehung Teilen der Geschwulst, die bei der ersten Operation
zurückgelassen wurden. Nach L. bleibt ein an Karzinom Operierter
für die Dauer seines Lebens in Gefahr, ein Rezidiv zu bekommen,
allerdings nimmt die Wahrscheinlichkeit mit den Jahren immer
mehr ab.
Aus der gleichen Klinik berichtet Kurpjuweit über die
Dekortikation der Lunge bei chronischem Empyem und kommt
unter Besprechung der Fälle von Delorme, F o w 1 e r, Laa-
dry, Corel, T avel und eigener Fälle (zusammen 5G Fällen) zu
dem Schluss, dass diese Methode mit 35,7 Proz. Heilungen,
19,7 Proz. Besserungen, 10,7 Proz. Todesfällen den Vergleich mit
den Resultaten ausgedehnter Rippenresektionen (mit 5G Proz. Hei¬
lungen, 20 Proz. Besserungen, 20 Proz. Todesfällen) nicht aushält,
wenn auch der Vorteil der Dekortikation, dass sie wieder die
Lunge aktionsfähig macht, zuzugeben ist. K. formuliert darnach
die Forderung: bei chronischem Empyem in jedem Fall die De¬
kortikation zu versuchen, d. h. zunächst 2 Rijipen zu resezieren
und von dieser Oeffnung aus die Pleura pulmonalis abzuschälen;
gelingt dies, so sei es angebracht, temporär einen Thoraxlappen,
der Grösse der Empyemhöhle entsprechend, zu bilden und ihn nach
Exstirpation der ganzen Schwarte zu reponieren (wobei die Lunge
(nach Lambotte) durch Nähte an die Resektionsstelle fixiert
werden kann); gelingt die Dekortikation nicht oder dehnt sich die
Lunge nicht aus, so sei ausgedehnte Rippenresektion vorzunehmen.
Bei tuberkulösen Empyemen ist die Dekortikation nicht an¬
zuraten, da die Resultate sehr schlecht sind.
Aus der Heidelberger Klinik bespricht E. J o s e p li die Mor¬
phologie des Blutes bei der akuten und chronischen Osteomyeli¬
tis und berichtet dann über die Resultate klinischer Unter¬
suchungen (nach der Ehrlich sehen Trockenmethode), die dazu
bestimmt sein sollen, die einzelnen Etappen des osteomyelitischen
Prozesses in dem mikroskopischen Blutbild gewissermassen pro¬
jiziert darzustellen. Danach nimmt die akute Osteomyelitis (so¬
fern sie nicht von schweren septischen Symptomen begleitet ist)
eine Sonderstellung vor anderen Infektionskrankheiten insofern
ein, als sie sich im Blut bei frühzeitiger Untersuchung durch einen
bedeutenden Reichtum an « -Zellen, gelegentlich unter Begleitung
von anderen Markelementen (wie Myelocyten) manifestiert,
während bei chronischer Osteomyelitis eine Verminderung oder
Fehlen der a -Zellen, Degenerationserscheinungen derselben zu er¬
kennen sind und im Verlaufe der Osteomyelitis eine Eosinophilie des
Blutes auf tritt. J. empfiehlt dem Praktiker, die Blutuntersuchung
im Verlaufe der eitrigen Osteomyelitis an zwei Zeitpunkten zur
Unterstützung des chirurgischen Handelns heranzuziehen: 1. gleich
nach der Einlieferung des akut erkrankten Patienten (bei dem ein
reichlicher Befund an eosinophilen Zellen von prognostisch gün¬
stiger Bedeutung, indem er die Infektion als eine leichte, nicht
mit toxischer Schädigung des Organismus komplizierte anseheu
lässt); 2. vor Entlassung des Patienten, wobei negativer Befund
an «-Zellen den Chirurgen warnen und veranlassen soll, den Pa¬
tienten noch einige Zeit in klinischer Beobachtung zu behalten, um
ihn vor akuter Exazerbation zu bewahren, während reichlicher Be¬
fund an eosinophilen Zellen (als Anzeichen bereits sich vollziehen-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
1272
der Knoehenmarkrestitution) die Heilung als dauernde anzusehen
erlaubt.
Aus der Züricher Klinik bespricht H. Zuppinger trau¬
matische Tarsusverschiebungen und betont darin speziell die
röntgenographiscli nachweisbare Störung, dass das Caput tali im
Profil des Ibisses über das navieulare vorragt, Sulc. tali und Sulc.
caleanei sich nicht vollständig decken, wie dies speziell bei Fract.
proc. postici tali verkommt, und so häufig nach Distorsionen des
Fusses. Knöchelbrüchen etc. Funktionsstörungen des Fusses ver¬
anlassen (und zwar sowohl bei normalen hochgewölbten, als bei
platten Füssen). .T. studiert die mechanische Entstehung resp.
Erklärung dieser Tarsusverschiebung näher und zeigt spez. den
Einfluss der Belastung des Fusses hiebei.
Aus der Tübinger Klinik berichtet B. Honsel 1 über Pasten
und Salben verbände und empfiehlt speziell die Xeroform- und
Yioformpasten, da letztere nicht, wie die Airolpaste, eine Auf¬
bewahrung in den für die Praxis so brauchbaren Xinn-
tuben (wegen chemischer \ erbindung mit dem Zinn) aus-
schliessen, sondern darin wochenlang unverändert und bakterien¬
frei bleiben. Der Lanolin verband ist nach H. ein feuchter Ver¬
band, bei dem Sekret nicht unter der abschliessenden Decke zu¬
rückgehalten werden kann, das schmerzhafte Ankleben der Gaze
verhütet wird und nur ausnahmsweise Ekzem vorkommt; im ver¬
schlossen aufbewahrten Lanolin fanden sich auch keine Keime und
ist das Lanolin auch nicht im Stande, einen Nährboden für Bak¬
terien abzugeben. Nach eingehenden bakteriologischen Unter¬
suchungen empfiehlt H. das 1 prom. Sublimatlanolin als brauch¬
bare antiseptische Salbe, die eine gewisse Dauerwirkung verspricht.
Aus der Prager chirurgischen Klinik berichtet II. Hilgen¬
rein e r über Darmverschluss durch das Meckel sehe Diver¬
tikel und berichtet dabei über 183 Fälle der Literatur, 3 der
Wölf ler sehen Klinik, von denen besonders einer durch die Art
der Inkarzeration und günstigen Ausgang hervorzuheben, einer
durch das gleichzeitige Bestehen einer Wurmfortsatzerkrankung
zur Verkennung der eigentlichen Ursache führte. Als durchschnitt¬
liche Entfernung des Divertikels von der Yalvul. ileocoecalis fand
sich 05 cm. Das Verhalten des Lig. terminale, der Inhalt des
Darmes, der verschiedene Mechanismus des Darm Verschlusses
(Umschnürung, Kompression, Achsendrehung, Abknickung durch
Zug) werden entsprechend gewürdigt, am häufigsten findet sich
Einklemmung des Darmes unter das fixierte Divertikel (90 Fälle)
und Alvknickung des Darmes (19 Fälle), Achsendrehung (14 Fälle).
Eine Besserung der bisher 71 resp. 04 Proz. betragenden Mortalität
verspricht sich II. nur dadurch, dass jeder Fall von Darmver¬
schluss als chirurgische Affektion angesehen und laparotomiert
wird. Am Schluss des Bandes teilt H. noch einige Fälle mit, die
die Zahl der betreffenden Fälle auf 195 (111 Operationen mit
32 Heilungen) vermehren.
Aus der Heidelberger Klinik gibt ferner H. W i 1 1 m e r einen
Beitrag zur Kenntnis der Beziehungen der akuten Miliartuber¬
kulose zur Operation tuberkulöser Lymphomata colli, bespricht
u. a. die Bedeutung der tuberkulösen Erkrankung der Blutgefässe
und die Bedeutung der Lymphgefiissbahnen für die Miliartuber¬
kulose (ronfick) und die operative Impftuberkulose (König,
W a r t m a n u), für die merkwürdigerweise für die Lymphom¬
operationen kein Beispiel aus der Literatur anzuführen ist.
Während auch in der Heidelberger Klinik von 1877 — 1898 kein
solcher Fall sich finden lässt, teilt W. aus der neueren Zeit. 3 be¬
zügliche typische Fälle mit, für die der B u h 1 sehe Vergleich —
die Miliartuberkulose verhält sich zum Operationsherd wie die
Pyämie zum Jaucheherd — zutrifft; immerhin scliliesst sich W.
der betr. Operation tuberkulöser Halslymphome (besonders bei
Kindern) skeptischen Anschauung vieler Chirurgen nicht an, son¬
dern sieht (wie Schüller und W o h 1 g e m u t li in der Exstir¬
pation die wirksamste und empfehlenswerteste Behandlungs¬
methode der Lymphomata colli, da sie 54 Proz. Dauerheilungen
geben und glaubt, dass betr. Verhütung der Lungentuberkulose
der Operation eine Bedeutung zukommt, allerdings will er eine
prophylaktische antituberkulöse Vorbereitungskur auch nicht
unterschätzen.
Amberger schildert aus dem Frankfurter städtischen
Krankenhaus einen Fall von Luxation des Radius nach innen
hinten, eine bei einem 5 monatlichen Kinde beobachtete (wohl
durch Sturzgeburt entstandene), bisher nicht beschriebene isolierte
Luxation des Radius, die wohl durch Ueberpronation entstanden
und als Steigerung der Luxation nach vorn anzusehen ist. Die
durch Itöntgeubilder erläuterte Luxationsform führte zur be¬
trächtlichen Störung der Pro- und Supination. Der obere Teil des
Radius kreuzte sich mit der Ulna; das obere Ende des Radius
stand nach innen von der Ulna. Die Reposition erwies sich un¬
möglich und gelang erst auf blutigem Wege (wobei es zur In¬
fraktion der Ulna kam). Das Radiusköpfchen wurde durch Katgut-
fiiden an normaler Stelle befestigt und sehr gutes Resultat erzielt..
Sch r.
Centralblatt für Chirurgie. 1902. No. 27 u. 28.
No. 27. W i 1 m s - Leipzig: Tragfähiger Amputationsstumpf.
Bedeckung mit der Achillessehne.
W. empfiehlt bei tiefen Amputationen des Unterschenkels die
Deckung der Tibiaamputationsfläche mit der Achillessehne (die an
der Vordertiäclie der Tibia angenäht wird) und hat dies Prinzip,
durch ein elastisches Polster zwischen Knochenstumpf und Haut
die Schädigung der Haut durch den Druck zu umgehen, in einem
Fall sehr bewährt gefunden.
Bett mann: Zur Technik der Fusssohlenahdrücke.
B. empfiehlt anstatt der bekannten auf berusstem Glanzpapier
hergestellten Fussohlenabdrücke solche auf einfachem photo¬
graphischem Zelluloidinpapier; man bestreicht die Fussohle am
besten mit etwas Natronlösung (wie zum Fixierbad) und lässt dann
den Patienten auf das Papier treten, setzt man dieses dem hellen
Tageslicht aus, so erscheint schon nach einigen Sekunden der Ab¬
druck ausserordentlich scharf, man legt das Bild dann ins Ton¬
fixierbad und behandelt es wie jede Kopie. Ein solcher Abdruck
ist rascher und bequemer herzustellen als der Russabdruck und
übertrifft diesen bei weitem an Schärfe und Sauberkeit. Bei
Sehweissfuss ist ein Bestreichen gar nicht nötig, da der Sohweiss
allein die Bromsilberschicht zersetzt. Auch das billigere Eisen¬
blaupapier ist verwendbar, man bestreicht dann den Fuss mit
Essiglösung und legt nach dem Auftreten das Papier gleich in
Wasser und lässt es trocknen, diese Abdrücke sind jedoch nicht so
scharf, wenn sie auch z. B. zur Herstellung eines Fussabdruckex
für den orthopädischen Schuhmacher etc. sich sehr gut eignen, da
gleich die Konturzeichnung mit Bleistift darauf vorgenommen
werden kann.
II. Schüssler- Bremen: Zur Gastroenterostomie bei un¬
stillbarer Magenblutung.
Mitteilung eines nach der Operation durch Arrosionsblutung
letal verlaufenen Falles, nach dem S c li ii s s 1 e r die Indikations¬
stellung aufstellt: Wenn an einer bereits narbigen Pylorusstenose,
welche bei zweckmässigem Verhalten die Ernährung noch nicht
beeinträchtigt, bei gleichzeitig hochstehendem Magen ein Ulcus-
rtzidiv auftritt, so ist allein die Gastroenterostomie indiziert, so¬
lange das Ulcus noch nicht blutet; ist bereits Blutung eingetreten,
so genügt die Gastroenterostomie nicht mehr. Für das Ulcus
pept. duodeni gilt ceteris paribus dasselbe.
No. 2S. K a r ewski - Berlin: Die Behandlung des Pro¬
lapsus ani der Kinder mit Paraffininjektionen.
K. hat bei veralteten Darmprolapsen in der Poliklinik des
jüdischen Krankenhauses nach entsprechender Vorbereitung mit
Abführmitteln und folgender Verabreichung von 1 — 2 g Wismut
den Prolaps desinfiziert und reponiert und unter Leitung des ein¬
geführten Fingers oberhalb des Anus zwischen äusserer Haut und
Schleimhaut, von einer Einstichstelle her, einen Ring von Hart¬
paraffin (56 — 58 11 Schmelzpunkt) hergestellt und unter 8 Fällen
nur einen Misserfolg zu verzeichnen.
O. Wo 1 f f - Essen a/Ruhr: Wie erzielt man vollkommene
Kontinenz nach totaler Mastdarmexstirpation?
Da die Gersun y sehe Drehungsmethode bei ausgiebiger
Loslösung des Darms zweifellos die Gangrän des unteren Darm¬
abschnittes begünstigt, bei ungenügender Loslösung der Darm sich
aber leicht wieder zurückdreht, so hat W. in 12 Fällen sekundär
eine Paraffinprothese gemacht (am besten 14 Tage nach der
Operation) und vollkommene Kontinenz für Stuhl erzielt; ob die
Resultate von Dauer, ist abzuwarten.
K a r ewski: Spritze zu Hartparaffininjektionen.
Beschreibung einer mit entsprechender Zuleitung von Wärme¬
flüssigkeit hergestellten Metallspritze, mit der sich das leichte Er¬
starren des Paraffins in Spritze und Nadel leicht verhüten lässt,
und die das Arbeiten mit sehr feinen Nadeln gestattet (s. Ab¬
bildung). (Bei Robert Paalzow, Berlin, Kaiserstr. 30, erhältlich.)
Sehr.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Bd. XV, 4. Heft. 1902.
1) J. Tandler und J. LI alb an -Wien: Die Topographie
des weiblichen. Ureters bei normalen und abnormen Verhält¬
nissen.
Die Arbeit, die gleichsam einen ergänzenden Text zu dem von
den Verfassern herausgegebenen Atlas darstellt, bezweckt neben
einer kurzen, klaren Darstellung der normalen topographischen
Verhältnisse des pelvinen Ureterenabschnittes besonders die Topo¬
graphie des Ureters bei abnormen oder pathologischen Zuständen
darzustellen. Y'erfasser untersuchten die Lageveränderung des
Ureters an der Leiche und zwar bei artifiziell herabgezogenem
Uterus, bei abgeschobener Blase, Prolaps der vorderen Vaginal¬
wand mit Cystocele, gravidem Uterus und bei Inversion des puer¬
peralen Uterus,
Der letzte Teil der Arbeit bringt eine Darstellung der ana¬
tomisch-topographischen Verhältnisse des Ureters, wie sie sich für
die Aufsuchung des Ureters bei transperitonealen, retro- und prä¬
peritonealen, vaginalen und sakralen Operationen ergeben.
Die Ergebnisse dieser wertvollen Untersuchungen müssen im
Original nachgesehen werden.
2) G. Iv i e n - Strassburg: Ueber die Entstehungsweise der
Rektovaginali'upturen bei spontaner Geburt.
Beobachtung schrittweiser Entstehung einer Rektovaginal-
ruptur unter der Geburt einer 40 jährigen I. Para. Damm stark
gespannt, ebenso Schleimhaut des Rektums an der vorderen Wand,
die 4 — 5 cm weit vorgedrängt war. Nach Episiotomie keine Ent¬
spannung der Rektalschleimhaut, die plötzlich 4 cm weit einriss
und klaffte, so dass die Muskulatur breit freilag. In der nächsten
Wehe Zerreissung der Muskulatur. Nach der Geburt zeigte sich,
dass der Riss bis in Scheide ging, für 3 Finger bequem durch¬
gängig, während der Damm in der Medianlinie völlig intakt war.
29. Juli 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
In einem anderen Fall riss nur die Rektalschleimhaut und die Haut
des Dammes in dessen hinterer Partie ein.
Die gleiche Entstehungsart der Ruptur von aussen nach innen
beobachtete I' r e u n d, indem zuerst die Schleimhaut des Mast¬
darms. dann die Muskelbündel der Darmwand auseinanderrissen.
Der Riss setzte sich auch in die Vagina fort.
. 8)F> ? e b i u s - Mombaeh-Mainz: Beitrag zur Kasuistik
c ei E,X J f.a,V * e r \n g11' a V1 di t at bei lebender und lebensfähiger Frucht.
, • , a;le* ?m ersten handelt es sich um eine intraligamentär
entwickelte Schwangerschaft bei einer in 10 jähriger steriler Ehe
36 jährigen I. Para. Die Gravidität kam in der zweiten
Hälfte der Zeit zur Beobachtung, wurde ausgetragen und gegen
Ende der Schwangerschaft operiert. Lebendes Kind. Bet der
Losschalung der Plazenta starke Blutung. Tiefe Umstechung die
den Ureter mitfasste. Tamponade der Bauchhöhle. Ureteren-
flstel Exstirpation der Niere. Ursache der Einbettung des Eies
in der Tube eine vor 3 Jahren bestehende Perimetritis Im
zweiten bau handelt es sich um eine abgelaufene Tubargravidität
im IV. Monat mit Hämatocelenbildung.
Unirt! lhn j 1 11 j 11 Vx a 1 i ^ ien: Ein Reitrag zur Kenntnis des
bullösen Oedems der Harnblase.
Bullöses Oedem, das nach Reposition eines Prolapses und Ein¬
legen eines Ringes entstand.
Infolge des Druckes hatte sich unter Beschwerden das lokale
Oedem m wenigen Tagen in der dem Ring anliegenden Schleim¬
hautpartie der Harnblase entwickelt. Nach Entfernung des
Ringes schwanden die Schmerzen und das Oedem, kehrten aber
mich wiederholtem Einlegen des Pessars wieder. Beim längeren
I ragen des Ringes entstanden partielle Nekrosen der Blasen¬
schleimhaut, die nach Operation des Prolapses durch Narben¬
bildung heilten.
1273
-0,13
des
Das letztere Mittel wirkte bei Menschen in Dosen von 0 1-
schlaferzeugend ohne unangenehme Nebenwirkungen ’
t aJV- A ' .Stepanow- Moskau: Ueber die Zersetzung
Jodkaliums im Organismus durch Nitrite. ö
x, Es Stepanow der Nachweis von Nitriten in einer
Reihe von inneren Organen und er schliesst daraus, dass diese
zugleich mit der Kohlensäure, an der Zersetzung des Jodkaliums
teilnehmen, wobei die Existenz noch anderer Agentien nicht aus¬
geschlossen wird. mcuc aus
. 2a) y- Alfthan-Helsingfors: Eine Methode zum quali-
GlykSonsäCiTn!S ^ Pent°Sen im Harne untei’ Ausschluß der
Verf. empfiehlt folgendes Verfahren: Aus etwa 500 ccm Harn
werden die Benzoylester dargestellt, diese sodann mit Natrium-
atliylat verseift und filtriert. Wenn im Filtrate mit Phloroglucin-
sa zsaure oder mit Orcinsalzsäure die Pentosenreaktion positiv aus¬
fallt, dann ist sie auf Pentosen unter Ausschluss der Glykuron-
sauren zuruckzuführen.
-6) H. M e y e r - Marburg: Zwei neue Laboratoriumsapparate.
. Beschreibung eines Apparates für künstliche Respiration und
fnlei Organsaftpresse. Anschliessend bringt M. eine Berichtigung
betreffend seine Mitteilung zur Theorie der Alkoholnarkose (dies!
Aren. XIj v I).
• 27) A Sc.hi.ttenhelm- Breslau: Das Verhalten von Ade-
nin und Guanin im tierischen Organismus.
Die Verfasser fanden, dass das für den Hund giftige Adenin
i om Kaninchen ohne schädliche Wirkung ertragen wird. Bei
grossen Gaben kommt es zu Ablagerungen von harnsaurem Am¬
moniak in der Kaninchenniere. Guanin wirkt auf Kaninchen nicht
oy lsch und verursacht auch keine Nierenveränderungen.
J. M ü 1 1 e r - W ürzburg.
Um-
m L. S t o 1 p e r - Wien: Ein Beitrag zur dezidualen
Wandlung von Polypen während der Gravidität.
Verfasser beschreibt einen Fall von decidualer Umwandlung
emes bohnengrossen Polypen, der in der 6. Woche der Schwanger
scliaft entfernt wurde und wahrscheinlich vom Corpus ausging
6) L. Austerlitz- Prag: Beitrag zur Kasuistik des „Deoi-
duoma malignum“.
Genaue Beschreibung eines Deciduoms. Uebergangsbilder des
byncytiums und der Langhaus sehen Zellschicht in die Ge¬
schwulst. Weinbrenner - Erlangen.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie,
47. Bd., 5. u. 6. Heft. 5
-1) J. T h e s e n - Christiania: Studien über die paralytische
Form von Vergiftung durch Muscheln (Mytilus edulis L.).
Nach einer einleitenden Literaturbesprechung bringt Verfasser
memh-rei^n?.-VOn 8 FUllen von Muschelvergiftung, die im
,;ai > , A Chnstiania zur Beobachtung gekommen waren. Das
Krankheitsbild verlief unter der paralytischen Form der Muschel-
lergittung, indem rapid sich periphere Lähmungserscheinungen
entwickelten, die bei zwei Patienten im Verlaufe einiger Stunden
durch Lähmung der Atmung den Tod herbeiführten, "während die
übrigen sich rasch wieder erholten. Zum Nachweis des Giftes
m den Muscheln stellte Verfasser eine Reihe von Tierversuchen
mit subkutanen Injektionen der Extrakte der Muscheln an. Dabei
ergab sich, dass zur Zeit des Unglücksfalles alle dem inneren
a.®sin entnommeuen Muscheln eine ausserordentlich starke
Gitügkeit besassen, während die Muscheln anderer benachbarter
I latze eine geringere Giftigkeit aufwiesen. Einige Wochen später
änderten sich die Giftigkeitsbefunde wesentlich und zwar nahm
aie, loxizitat an den meisten Plätzen rasch ab, um sich ca. 2 Mo¬
nate später überall vollkommen zu verlieren. Weitere Versuche
AT-,SÜh1afitJgte.1i,- sich mit den Bedingungen, unter welchen die
Muscheln giftig, werden, und es gelang dem Verfasser der inter-
e, saute Nachweis, dass Muscheln in Aquarien nicht allein Kurare
und Strychnin aus dem umgebenden Wasser aufnehmen können
sondern auch das paralysierende Muschelgift, und dass sie auf
diese Weise sehr giftig werden, ohne selbst ein äusseres Zeichen
der \ ergiftung darzubieten. Verfasser schliesst aus diesen Ver¬
suchen, dass auch die giftigen Muscheln Christianias, welche kein
äusseres Zeichen von krankhaften Verhältnissen aufwiesen und
keine bakterielle Infektion nachweissen Hessen, ihr Gift in ähn¬
licher Weise aus dem umgebenden Hafenwasser aufgenommen
nahen. Weitere Untersuchungen beschäftigen sich mit der che¬
mischen Natur des Giftes.
Q-Benedicenti - Strassburg: Ueber die Wirkung der
Motte der Digitalisgruppe bei exokardialer Applikation.
. Schlussätze: Die Wirkung der Stoffe aus der Digitalisgruppe
. 1 endokardialer Applikation eine andere wie bei der exo-
kardialen. Die Wirkung bei exokardialer Applikation ist keine
ilommungswirkung. Die Erscheinungen sprechen für gewisse
unterschiede in der Anordnung der inneren und äusseren Muskel¬
fasern des Herzens.
vr *7’! E: Ta*len- Halle: Die chemische Konstitution des
Morphins in ihrer Beziehung zur Wirkung.
, ^ a 11 1 e n ging von der Vermutung aus, dass der Träger der
v\ irkung des Morphins der in ihm enthaltene Phenanthrenkern sei,
mm auf der Suche nach einem stickstoffhaltigen Derivat dieser
bubstanz gelang es ihm, Körper mit morphiumähnlicher Wirkung
zu finden, welche er M o r p h i g e n i n und E p i o s i n nennt.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 28 u 29.
._ U H 11 b e r und Lichtenstein- Berlin: Ueber Gicht und
ihre Behandlung mit Chinasäure.
Die "V Erfasser haben über die Beeinflussung der Harnsäure-
ausscheidung durch Neu-Sidonal (chinasaures Piperazin) an
mehreren Kranken Untersuchungen angestellt und fanden, dass
die Chinasäure unbedingt eine die Harnsäureausscheidung ver¬
ringernde 'Wirkung hat. Damit ist die Anwendung des Mittels bei
Gicht indiziert. Was die Erklärung der Wirkung der Chinasäure
anlangt, so steht eine solche noch nicht ganz fest; die Verfasser
vertreten ihrerseits die Anschauung, dass die Chinasäure den Stoff¬
wechsel derart beeinflusst, dass beim Abbau der Nukleine gegen¬
über der Norm ein geringer Teil der Purinkörper zu Harnsäure
verarbeitet wird, vielmehr ein grösserer Teil zerstört wird. Da
die Bildung der Harnsäure besonders an die Funktion der Leber
gebunden zu sein scheint, so darf vielleicht eine spezifische Wir¬
kung der Chinasäure auf die harnsäurebildenden Organe ange¬
nommen werden. Zur praktischen Anwendung der Chinasäure
eignet sich am besten ihr Anhydrit, das Neu-Sidonal.
2) F. U m b e r - Berlin: Zur Chemie und Biologie der Ei¬
weisskörper.
Vergl. hierzu das Referat S. 1158 der Münch, med. Wochen¬
sehr. 1902.
3) H. N o t h n a g e 1 - Wien: Bemerkung zu dem Auf satze
von A. Adamkiewicz: „Neue Erfolge des Kankroin beim
Krebs der Zunge, des Kehlkopfes, der Speiseröhre, des Magens
und der Brustdrüse“.
N. konstatiert aus dem Protokoll der Patientin, deren Heilung
durch das Kankroin A. behauptet, dass die Diagnose der N. sehen
Klinik bei der Kranken auf Cystopyelitis und Anaciditas gelautet
habe, während die Möglichkeit eines Magenkrebses nur nebenbei
in Erwägung gekommen war. Aus einem Briefe der Patientin
geht, übrigens deutlich hervor, dass die Kranke in der Zeit, für
Avelche sie A. als geheilt erklärt hatte, durchaus nicht geheilt war.
4) v. Bi s e 1 s b erg- Wien: Bemerkungen zu der Arbeit des
Piofessors Adamkiewicz: „Neue Erfolge des Kankroin bei
Krebs der Zunge, des Kehlkopfes, der Speiseröhre, des Magens
und der Brustdrüse“.
^ erfasser konstatiert, dass er allerdings in dem von A. an¬
geblich geheilten Falle von Speiseröhrenkrebs diese Diagnose ge¬
stellt habe, dass ihm aber die betreffende Kranke seit ihrer angeb¬
lichen Besserung nicht mehr zu Gesicht gekommen sei, die Besse¬
rung durch Abstossung eines Stückes des Tumors, wie nicht so
selten, spontan eingetreten sein könne, hinsichtlich der Besse¬
rungen und Heilungen aber dem Prof. A. eine objektive Kritik
überhaupt abgesprochen werden müsse.
5) P o t e n - Hannover: Zur Krebsbehandlung mit Kankroin
Adamkiewicz.
Verfasser hat bei einem Krebs der Beckenorgane, sowie bei
einem Mammakarzinom das Kankroin in Anwendung gezogen,
kann aber nur konstatieren, dass die Anwendung des Mittels weder
den Fortgang der Krebserkrankung aufhalten kann, noch irgend
einen klinisch oder histologisch erkennbaren Einfluss auf das
Krebsgewebe auszuüben im stände ist. Kein Urteil über das Kan¬
kroin hat Anspruch auf Beachtung, welches nicht auf dem exakten
mikroskopischen Nachweis der behandelten Affektion als Krebs
basiert.
6) Schultz-Schultzenstein- Steglitz bei Berlin: Ein
grosses karzinomatös entartetes Uterusmyom mit Kankroin
Adamkiewicz erfolglos behandelt.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
1274
Eine Heilkraft des Mittels konnte auch bei diesem Falle, der
eine 53 jährige, gnt genährte Frau betraf, nicht wahrgenommen
werden. Sichtbar wurde nur während der Injektionen eine Ver¬
kleinerung einer vergrösserten Inguinaldrüse. Das Zusammen¬
treffen von Myom und Krebs ist übrigens ein sehr seltenes Er¬
eignis. Verfasser weiss noch 2 Fälle von Karzinom, wo das Kan-
kroin ganz erfolglos angewendet wurde.
7) W. v. O e 1 1 i n g e n - Berlin: Die Behandlung des an¬
geborenen Klumpfusses beim Säugling.
In seiner sehr eingehend gehaltenen, auf die vorliegende
Literatur überall Rücksicht nehmenden Arbeit bespricht Verfasser
zunächst die verschiedenen, bisher für die Behandlung des Leidens
in Anwendung gezogenen Hilfsmittel und gibt sodann eine Analyse
der Achsenverhältnisse des Klumpfusses. Eine Tenotomie wendet
Verfasser bei Kindern in den ersten 9 Monaten des Lebens nie a.n,
sondern vollführt das Redressement ohne eine solche. Zur Fixie¬
rung des redressierten Fusses (vergl. hiezu die zahlreichen Ab¬
bildungen in der Arbeit!) verwendet Oe. die Fink sehe Klebe¬
masse und gewöhnlichen Köperstoff zu einem vollständigen Klump-
fussverbande. Die Einzelheiten der Behandlung sind im Originale
einzusehen. Von 26 Kindern hat Verfasser bei allen eine gute
Stellung des Fusses erzielen können.
No. 29. 1) P. K rau s e- Breslau: Ueber die Gefahr der
Tetanusinfektion bei subkutaner Anwendung der Gelatine zu
therapeutischen Zwecken und ihre Vermeidung.
Zweifellos sind im Anschluss an subkutane Gelatineinjek¬
tionen eine Anzahl von Tetanusinfektionen vorgekommen, welche
den Tod der Kranken verursacht haben. Es hat sich nun gezeigt,
dass eine Anzahl der käuflichen Gelatinescheiben Tetanusbazillen
enthält. Verfasser hat aus seinen eigenen Beobachtungen den
Eindruck gewonnen, dass wir in den Gelatineinjektionen ein für
die Kranken bei vorsichtiger Anwendung völlig unschädliches und
auch noch bei schweren Blutungen wirksames Mittel haben, dessen
weitere praktische und theoretische Prüfung sich dringend em¬
pfiehlt. Offenbar hat es sich bei den vorgekommenen Unglücks¬
fällen um ungenügende Sterilisierung der verwendeten Gelatine
gehandelt. Nach Ansicht von K. muss bei der Sterilisierung der
Gelatine streng nach bakteriologischen Grundsätzen verfahren
werden und zwar ist die Sterilisierung in der Weise vorzunehmen,
dass sie an 5 aufeinanderfolgenden Tagen je y2 Stunde in strömen¬
dem Dampf bei 100° C. vorgenommen wird, wodurch sicher Keim¬
freiheit erzielt wird. Die so bereiteten Lösungen halten sich dann
monatelang.
2) Iv. G 1 a e s s n e r - Berlin: Zur topischen Diagnostik der
Magengeschwülste.
Verfasser hat schon früher nachgewiesen, dass sich der
Fundus- und Pylorusteil des Magens hinsichtlich der Ferment¬
bildung ganz verschieden verhalten, indem dem Pylorusteil nur
die Pepsinbildung zukommt, während er an der Labbildung gänz¬
lich unbeteiligt ist. Diesen Umstand schlägt Verfasser vor, zur
topischen Diagnostik zu benützen, wie er bereits an 13 Fällen ge¬
tan hat. Es war hiebei zwischen Fundus- und Pylorustumoren ein
auffälliger Unterschied in der Fermentbildung nicht zu verkennen.
Bei ersteren fand sich die Lab- und Pepsinbildung wesentlich ein¬
geschränkt, ja häufig verschwunden, bei letzteren war normaler
Lab- und Pepsingehalt vorhanden. Dieser Befund kann für die
Lokalisierung des sonst nicht zu tastenden Tumors verwertet
werden, wie sich auch durch die Autopsien erhärten liess.
3) E. Neisser und U. F ri e d e m an n - Stettin: lieber
Amboceptoroidbildung in einem menschlichen Serum.
Der Artikel eignet sich nicht zu kurzem Auszug.
4) P. Reckzeh - Berlin: Ueber perniziöse Anämien. (Schluss
folgt.)
5) Stur mann -Berlin: Zur Behandlung der Oberkiefer¬
höhleneiterungen.
Unter dem Namen der Oberkieferhöhleneiterungen werden
mindestens 3 verschiedene Prozesse zusammengefasst, nämlich der
Katarrh, ferner hyperplastische Vorgänge und Neubildungen, end¬
lich destruktive Vorgänge. Verfasser bespricht die pathologisch-
anatomischen Merkmale dieser Affektionen und betont besonders,
dass in Bezug auf die Häufigkeit destruktiver Prozesse im Antrum
jene Fälle, wo die Diagnose nur mit Hilfe der Sonde gestellt
wurde, nicht beweiskräftig sind. Karies kommt tatsächlich selten
vor und wird vornehmlich an der dünneren nasalen Wand und am
unteren Teil des Antrum gefunden. Hinsichtlich der Wahl der Be¬
handlung, ob schonende oder operative, kann weder die Dauer der
Erkrankung, noch die Art des Sekretes massgebend sein. Es
können Empyeme von langer Dauer, fötide eitrige und nichtfötide
schleimige, mit ei'heblicher Erkrankung der Nasenschleimhaut,
mit gesunden und schlechten Zähnen durch einfache Ausspülungen
geheilt werden und andere mit scheinbar günstigeren Verhält¬
nissen die Aufmeisselung erfordern. Beim einfachen Katarrh soll
letzteres Verfahren nicht gewählt werden, eine Entfernung der
Schleimhaut ist jedenfalls zu vermeiden. Anders bei Neubildungen
und Ulzerationen, sowie bei Knochenkaries. Erst der Charakter
der Gefahr oder dauernde schwere Belästigung indiziert streng
die operative Behandlung. Aber in jedem Fall von Kieferhöhlen¬
eiterung soll zuerst das Spülverfahren versucht werden. Hat man
etwa 4 — 6 Wochen ohne ersichtlichen Fortschritt behandelt, so ist
der Fall für die schonende Behandlung unzugänglich. Nur in
einem Drittel seiner Fälle hat Verfasser die breite Eröffnung
machen müssen. Die Spülungen sind mit ziemlichem Druck vor¬
zunehmen, am zweckmässigsten mit indifferenten Flüssigkeiten,
da eine wirksame Desinfektion doch nicht erzielt werden kann.
Die Oeffnung ist möglichst weit anzulegen. Bei der Eröffnung
der Höhle ist von der Schleimhaut soviel als möglich zu erhalten;
denn die totale Ausräumung gibt die relativ schlechtesten Re¬
sultate. Das Offenhalten der Oeffnung geschieht durch Tam¬
ponade, möglichst bald aber durch einen Obturator.
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 27.
1) L. Brieger - Berlin: Ueber die Darstellung einer spe¬
zifisch wirkenden Substanz aus Typhusbakterien.
Die Lösung der gegenwärtig aktuellen Frage, ob aggluti¬
nierende und immunisierende Substanzen identisch sind, glaubte
Verf. am ehesten dadurch erledigen zu können, dass er durch all¬
mählichen, äusserst vorsichtig und schonend geleiteten Abbau der
Bakterienkörper selbst zu ermitteln versuchte, ob in ihnen die
gleichen oder verschiedene Muttersubstanzen für diese biologischen
Prinzipien vorhanden sind. ... .
Die Versuche erstreckten sich vorläufig auf Typhusbaktenen,
aus deren Leibern er zunächst eine spezifisch wirkende Sub¬
stanz abscheiden konnte, welche im Blute der V ersuchstiere ein
für Typhusbazillen spezifisches Agglutinin erzeugt, ohne ihm aber
schützende Eigenschaften zu verleihen. Nach Zusatz des spezifisch
agglutinierenden Serums vom Kaninchen zu der Agglutinin bil¬
denden Flüssigkeit beobachtete B. deutliche Präzipitinbildung.
Die hiefür massgebenden Einzelversuche, der besseren Ueber-
sicht halber ln tabellarischer Zusammenstellung angeordnet,
werden in nachfolgendem A rtikel mitgeteilt.
Auf die näheren Details bezüglich der Bereitung des Aus¬
gangsmaterials für die Untersuchungen muss auf den Oiiginal-
artikel verwiesen werden.
2) A. Schütze-Berlin: Ueber die spezifische Wirkung
einer aus Typhusbakterien gewonnenen Substanz im tierischen
Organismus.
Als Ergebnis dieser experimentellen Untersuchung lasst sich
die wenigstens theoretisch interessante Tatsache feststelleu, dass
1. es gelingt, nach mehrfach wiederholten Injektionen einer
auf chemischem Wege aus Typhusmassenkulturen steril gewon¬
nenen Flüssigkeit, welche an sich keine typhusagglutinierende
Eigenschaft besitzt, in dem Serum von MeerscliAveinchen und
Kaninchen Substanzen zu erzeugen, Avelche in spezifischer Weise
Typhusbazillen im Reagensglase stark zu agglutinieren vermögen;
2. das die Typliusagglutinine enthaltende Senim besitzt
keine typhusimmunisierenden Eigenschaften, es be¬
steht mithin zwischen den Typhusagglutininen und Immunkörpern
kein Zusammenhang.
3) A. Oppenheim -Berlin: Das Verschwinden der Leber¬
dämpfung bei Meteorismus.
Aus den unter Oestreichs Kontrolle von Rosenfeld
in v. Leydens Festschrift April 1902 veröffentlichten Sektions¬
ergebnissen, soAvie aus seinen eigenen Beobachtungen hält O. es
für sicher bewiesen, dass das Verschwinden der Leberdämpfung
nicht durch Ueberlagerung von Darm verursacht wird, sondern
dass durch den aufgeblähten Dickdarm eine Verdrängung des
Organs zu stände kommt. Diese kann aber bei Berücksichtigung
der Fixationsverhältnisse der Leber nur in Form einer Drehung
um eine frontale Achse nach oben und hinten stattfinden. Dass
der meteoristisch aufgeblähte Dünndarm auf die Lage der Leber
keinen Einfluss besitzt, sucht er durch einen Versuch an der
Leiche zu beweisen.
4) Gerber- Königsberg i. Pr. : Meine Operationsmethode
der chronischen Kieferhöhlenempyeme.
Auf den von Sieben mann auf der 6. Versammlung des
Vereins süddeutscher Laryngologen (Münch, med. Wochensehr.
1900, No. 1) gehaltenen Vortrag über die Behandlung der chro¬
nischen Eiterung der Highmorshöhle etc. teilt Verf. nochmals die
von ihm angegebene Methode mit: Breite Eröffnung der Kiefer¬
höhle von der Fossa canina aus, totale Ausräumung derselben,
Resektion der nasalen Kieferhöhlenwand im mittleren Nasengange
von der eröffneten Höhle aus, Drainage dieser Oeffnung, die ja
nicht anderes als das erweiterte natürliche Ostium ist, und
Schleimhautnaht in der Fossa canina.
5) Palano- Giessen: Zur Technik der Darstellung von
Lymphbahnen. (Nach einem in der Giessener medizinischen Ge¬
sellschaft am 14. Januar 1902 gehaltenen Vortrag.)
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
G) A. W a s s e r m a n n und A. Schütze - Berlin: Ueber die
Entwickelung der biologischen Methode zur Unterscheidung
von menschlichem und tierischem Eiweiss mittels Präzipitine.
Die Verf. sahen sich veranlasst, da in den meisten Publi¬
kationen über diesen Gegenstand die Namen der Autoren, durch
deren Arbeiten dieses Gebiet erschlossen wurde, seitens der spä¬
teren Nacharbeiter entweder gar nicht oder nur teilweise erwähnt
wurden, den nachfolgenden Literaturhinweis zu geben:
1. Die Tatsache, dass das Serum von immunisierten Tieren
in den Lösungen der zur Immunisierung verwendeten Stoffe
Niederschläge gibt, wurde für Bakterienprodukte von Kraus
entdeckt.
2. Die Tatsache, dass das Serum von vmrbehandelten Tieren
auch in den zur Vorbehandlung verwendeten Ehv'eisslösungen
29. Juli 1902.
MÜENCBENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
einer fremden Tierart Niederschläge gibt, wurde von Tschisto-
witch und Bowet entdeckt.
tr „3’rDi? Fra^’ diese Ietzteren Niederschläge (Präzipitine,
Koagulme) spezifisch sind, wurde von Bowet, Nolf Ehr-
{} c,h.."nd Morgenrot h, Fish und A. Wasserma’n n und
Schutze zuerst studiert.
4. Die Anwendung der Präzipitine als Methode, um mittels
derselben verschiedene Eiweisskörper und insbesondere das Ei-
weiss verschiedener Tierarten und des Menschen differential-
diagnostisch zu unterscheiden, wurde auf Grund von Experi¬
menten zuerst v on A. W a s s e r in a n n angegeben.
Alle diese genannten Arbeiten waren im April 1900 abge¬
schlossen und veröffentlicht. ö
J) A- Moeller - Belzig: Ueber säurefeste Bakterien.
(Schluss aus No. 2G.)
Referat hierüber siehe diese Wochenschrift 1902, No. 0, p. 255.
B o 1 d t - Berlin: Noch, ein Fall von Lues insontium.
Kasuistische Mitteilung im Anschluss an den von Schnabel
LU 18 der Wochenschrift mitgeteilten Fall von extragenitaler
Syphilisinfektion.
Hirsch- Halberstadt: Zur Symptomatologie der Kopf¬
schmerzen.
G. Sonntag-Berlin: Borsäure und Borat als Konser¬
vierungsmittel.
M. H a r z u - Bukarest: Ueber die Verbreitung des Kretinis¬
mus m Rumänien.
. ?• Kr°nheim - Berlin: Perdynamin — animalisches Eisen-
eiweiss.
Verwendbar bei allen Schwächezuständen und in den Fällen,
wo man den Ernährungszustand und die Blutbildung heben will,
also bei Chlorose, Anämie, Skrofulöse, Ththise und Rekonvales¬
zenz, besonders bei Appetitlosigkeit der Patienten; auch das Er¬
brechen der Schwangeren soll günstig beeinflusst werden.
F. Deus- Berlin: Das Elektrobulboskop.
S. Tr e g u b o w - Charkow (Russland): Ueber eine Methode
der Erysipelbehandlung. ]\/[ Lacher
1275
SrTeftofumS S V0" ArbeitsI>läte<® ™ Schulzimmern und
Eignet sich mcht zu weiterer Inhaltsangabe an dieser Stelle.
H "-Tele k y - Wien: Pankreasdiabetes und Ikterus gravis
Verfasser veröffentlicht hiemit die Krankengeschichten zweier
Beobachtungen, die er an Männern in mittlerem Lebensalter
difder MeP f' ^ "T die ersten Krankheitssymptome
die der MeHitune, welche auf antidiabetische Diät nicht "völli"
zuruckgmg Bei beiden trat einige Wochen nach Entdeckung de!
Diabetes Ikterus auf. In diesem Zeitpunkte verschwand der
micker aus dem Harne vollständig und erschien nicht wieder,
üotz fast ausschliesslicher Ernährung mit Kohlehydraten und
ketten Bei beiden war die Ausnützung des Nahrungsfettes sehr
mangelhaft und bei beiden persistierte der Ikterus bis zum Tode
Die Nekropsie zeigte tiefgehende Veränderungen des Pankreas bei
fast normaler Beschaffenheit der anderen Organe \ls Ursache
des schweren Ikterus fand sich beidesmal eine Verengerung* des
Ductus choledochus durch die pathologische Veränderung der
Bauchspeicheldrüse. Zur Erklärung scheint angenommen werden
zu müssen, dass die den Ikterus begleitende Veränderung der
Leberfunktion im stände ist, die diabeteserzeugende Affektion des
Pankreas in diesem Effekte zu paralysieren. Eine gleichzeitige
Eikiankung des Darmes war nicht naclizu weisen.
3) A. Kl ein- Wien: Zur Frage der Antikörperbildung.
An Kaninchen wurden Immiinisierungsversuche mit ver-
schiedenen Substanzen und zwar mit Stärke, Glykogen, Traubeu-
zucker, Gummi, Leim vorgenommen; es zeigte sich hierbei, dass
alle diese Substanzen zur Antikörperbildung nicht geeignet sind
auch nicht nach lange fortgesetzter Vorbehandlung und Einver-
ei bimg betnichtlicher Quantitäten. Es ist aber nachgewiesen, dass
die immunisierenden Substanzen nicht immer Eiweisskörper zu
sein biauchen. ~S\ ir kennen bis heute die chemisch-physikalischen
Bedingungen nicht, welche eine Substanz als antikörperbildungs¬
fähig charakterisieren.
Oesterreichisclie Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 28. 1) W. Türk -Wien: Ueber Leukocytenzählung.
(Schluss folgt.)
2) ,h. Wechsberg - Wien: Weitere Untersuchungen über
die Wirkung bakterizider Immunsera.
Im eisten leile seiner Arbeit führt Verfasser den Nachweis,
dass die von Gruber gegen seine Resultate erhobenen Ein wände
nicht berechtigt sind. In dem Abschnitt „über Ambozeptoide“
fuhrt W. als Resultat seiner Versuche an, dass ein frisches bakteri¬
zides Serum keine Hemmung der Hämolyse bewirkt, längere Zeit
aufbewahrtes Serum aber in kleinen Dosen noch deutliche Hem¬
mung zeigt. Näher kann auf den Inhalt der Arbeit hier nicht ein¬
gegangen werden.
3) J. Fein: Lymphangioma cavernosum eines Stimm¬
bandes.
Bei dem 28 jährigen Patienten, der seit Monaten* heiser war
und an Husten litt, zeigte sich im vordersten Teile des rechten
Stimmbandes eine kleine, gelbliche, durchscbeinende, glatte Ge¬
schwulst, welche Verfasser mit der S c h r ö 1 1 e r’schen Kehlkopf¬
pinzette beim ersten Eingehen leicht entfernen konnte. Nach ganz
kurzer Zeit erfolgte vollständige Heilung. Histologisch erwies sich
das Geschwülstchen als ein Lymphangiom, bestehend aus weiten
Lyinphräumen mit wenig Bindegewebe. Verfasser glaubt, dass
Geschwülste dieser Natur viel öfter gefunden werden könnten,
wenn die Kehlkopftumoren öfter mikroskopisch untersucht wür¬
den. Vor kurzer Zeit konnte F. übrigens einen 2. Fall dieser Art
bei einem 48 jährigen Kranken beobachten. Auch hier trat nach
der Operation rasch Heilung ein.
. 4) G. Gärtner - Wien: Ueber intravenöse Sauerstoff¬
infusionen.
Der erste Teil der Arbeit wurde bereits in voriger Nummer
besprochen. Hier erörtert Verfasser die Erklärungen des Zu¬
sammenhangs zwischen Lufteintritt in das Venensystem und Tod
des betreffenden Tieres und weist besonders auf die von Bert ge¬
fundene Tatsache hin, dass bei tödlichem Lufteintritt im Herzen
der Versuchstiere fast reiner Stickstoff gefunden wurde. Das
Gas im rechten Herzen, wenn in etwas grösserer Menge vor¬
handen, kann durch Luftembolien in die Lungen töten. Bei Sauer¬
stoff ist das, wie schon erwähnt wurde, nicht der Fall, wenn die
Einleitung kontinuirlich und in nicht gar zu grossen Mengen vor¬
genommen wird. G. erörtert nun die Möglichkeit, seine an Hun¬
den vorgenommenen Versuche therapeutisch beim Menschen zu
\ei werten. In Betracht käme eine solche Sauerstoffinfusion bei
akuten Erstickungszuständen auf mechanischer Grundlage, ferner
bei Vergiftungen mit Kohlenoxydgas, wo die Sauerstoffinfusion die
günstigsten Bedingungen für die Eliminierung des Kohlenoxyds
schaffen würde, endlich aber bei der Asphyxie der Neugeborenen.
Hier könnte die Zufuhr des Sauerstoffs direkt durch die Vena
umbilicalis vorgenommen werden. Ueber praktische Versuche der
Art verfügt G. nicht. Unter gewissen Kautelen, unter welchen die
chemische Reinheit des zu infundierenden Gases und eine richtige
Zufuhrvorrichtung die wichtigsten sind, könnte hier auch beim
Menschen die Infundierung des Sauerstoffes mit Erfolg versucht
werden.
4) W. T u e r k - Wien: Ueber Leukocytenzählung.
Für die Leukocytenzählung hält T. die allgemeine Verwen¬
dung einer grossen. 9 qmm Fläche umfassenden Kammer deren
praktischste Einteilung im Original mitgeteilt ist, für sehr er¬
strebenswert. Weiter empfiehlt er für die Zählung die Anwendung
einer mit Gentianayiolett passend gefärbten 1 proz. Essigsäure¬
losung, weil man bei deren Gebrauch die diagnostisch wichtigsten
Zellarten von einander unterscheiden kann. So kann man wesent¬
lich rascher und leichter als im gefärbten Präparate verlässliche
relative und absolute Werte einzelner Leukocytenarten gewinnen,
z. B. der Lymphocyten, der Mastzellen. Mit einem Nativ- und
einem Leukocytenzählpräparat kann man sich so über ein Blut
in kurzer Zeit klinisch hinreichend orientieren. Die Methode
empfiehlt sich besonders zur raschen Diagnose der Malaria.
Grassmann - München.
Wiener medicinische Presse.
No. 23—26. L. R. v. Korczynski - Krakau: Zur Kenntnis
des Stoffwechsels bei Osteomalacie.
Wir beschränken uns auf die teilweise Wiedergabe der
Schlussfolgerungen aus den an 2 Kranken gewonnenen Versuchs¬
resultaten: Die durchschnittlich ausgeschiedenen Harnsäure¬
mengen liegen innerhalb physiologischer Grenzen, an einzelnen
Tagen zeigten sie erhebliche Steigerung. Die Stickstoffbilanz er¬
wies sich wechselnd positiv und negativ. In nicht allzuweit vor¬
geschrittenen Fällen hält der Organismus die Phosphorsäure
zurück. Die Phosphorsäureausscheidung erfolgt insoferne nicht
normal, als im Kot verhältnismässig grössere, im Harn kleinere
P205-Mengen ausgeschieden werden. Die Kalkausscheidung ist
sehr oft vermehrt, die Zufuhr übersteigend. Dann findet man
zumeist die Ausscheidung des Kalkes durch den Kot vermehrt,
im Harn vermindert. Das längere Fortbestehen der genannten
Anomalien ist prognostisch ungünstig, die Rückkehr zu normalen
Ausscheidungsverhältnissen lässt dagegen eine Neigung zur Besse¬
rung oder Heilung annehmen.
No. 26. Nothnagel - Wien: Zur meningealen Apoplexie.
N. gibt die schrittweise Analyse eines Krankheitsfalles, der
einen luetischen Tabiker betrifft. Im Anschluss an eine Hernio-
tomie, bald nach der Narkose trat ein epileptiformer Anfall auf
und des weiteren Symptome, welche, obwohl nicht ganz typisch,
auf eine Meningitis zurückgeführt wurden. Es fehlte auffallender¬
weise als wichtiges Spinalsymptom die Hauthyperalgesie der un¬
teren Extremitäten. Die Lumbalpunktion ergab nun wiederholt
blutige Zerebrospinalflüssigkeit; dadurch wurde die Diagnose auf
eine meningeale Apoplexie gestellt und bei Zusammenfassung-
aller Erscheinungen auf die Annahme der Ruptur eines basalen
Aneurysmas, wobei es weitaus am häufigsten im Beginn zu epi-
leptiformen Anfällen kommt.
Die Obduktion ergab eine Endarteriitis syphilitica der basalen
Hirnarterien mit Bildung von 3 Aneurysmen, von denen 2 ge¬
borsten waren, und. eine ältere intrameningeale Ilämorrhagie an
der Hirnbasis. An einigen weiteren Beispielen weist N. auf die
Schwierigkeiten hin, ohne Lumbalpunktion in solchen Fällen zu
einer sicheren Diagnose zu gelangen.
No. 27. L. C li a s s e 1 - Wien: Ueber am Lebenden beob¬
achtete retrograde Durchgängigkeit der Ileocoekalklappe.
1276
MUENCHENDR MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET
No. 30.
Gelegentlich einer Laparotomie hei einem 11 jährigen Knaben
konnte sich Verf. durch den unmittelbaren Augenschein über¬
zeugen, wie eine per rectum unter massigem Druck eingebrachte
Wassermenge über die Ileocoekalklappe hinauf vordrang.
No. 27 u. 28. J. Donath- Ofen-Pest: Ueber traumatische
Läsionen der inneren Kapsel nebst einem Beitrag zu den akuten
Insolationspsychosen.
Ausführliche Krankengeschichte zweier Fälle, von denen der
eine an Hirnabszess starb. Bei demselben war die \ erletzung
durch einen Revolverschuss erfolgt, den der Mann sich selbst bei¬
brachte, ohne dass er, zum Bewusstsein zurückgekehrt, sich dieser
Handlung erinnerte oder auch nur ein Motiv dafür finden konnte.
Verf. hat Grund zur Annahme, dass infolge Sonnenstichs ein
epilepsieartiger Dämmerzustand eintrat, in dem der Selbstmord¬
versuch ausgeführt wurde.
Wiener medicmische Wochenschrift.
No. 20—27. A. Hub er- Ofen-Pest: Der heutige Stand der
F i n s e n - Therapie.
Eingehendes Referat über die in Kopenhagen bei F i u s e n
selbst gesammelten Erfahrungen. Die Finsen sehe, mit Medi¬
kamenten und Kauterisation kombinierte Lichttherapie ist füi
Lupus vulgaris die beste und sicherste, kosmetisch idealste Heil¬
methode. Mit ihr kann sich nur die radikale Exstirpation messen,
die aber nur für kleine umschriebene Flächen anwendbar ist. Mit
Rücksicht auf die weite Verbreitung des Lupus und ferner auf
die Kostspieligkeit der F i n s e n sehen Einrichtungen fordert
Verf. für Ungarn die Errichtung einer Finsenanstalt von Staats
wegen.
No. 26. J. Flesch-Wien: Zur Diagnostik des „Syndrome
de Benedikt“.
Neben einer Anführung der bisher bekannten Falle gibt b.
einen weiteren solchen, durch die Obduktion bestätigten bekannt.
No. 27 u. 28. K. v. H e r z f e 1 d - Wien: Zur operativen Be¬
handlung der Uterusmyome.
Für die vaginale Operation bei Adnexerkrankungen, soweit
nicht überhaupt eine konservative Behandlung zum Ziel führt,
ist Verf. nicht eingenommen, besonders wegen der häufigen Not¬
wendigkeit, entgegen dem Operationsplan den Uterus zu opfern
und bei rechtsseitigen Adnexerkrankungen wegen der häufigen
Beteiligung des Processus vermiformis. Dagegen ist es für ihn
Grundsatz bei Myomen, alle Fälle vaginal zu operieren, die auf
diesem Wege angegangen werden können, trotz der oft gestei¬
gerten technischen Schwierigkeiten. In der Regel handelt es sich
um die vaginale Totalexstirpation mit Enukleation oder Morcelle¬
ment der Myome. Nur 2 mal unter 116 solchen Operationen
musste die Operationsmethode unterbrochen und die Laparotomie
vorgenommen werden. Es ging nur 1 Kranke zu Grunde gegen¬
über 5 Todesfällen auf 54 Laparomyotomien. Die Länge der
Narkose bei den häufig herzleidenden Kranken, die unverhältnis¬
mässig stärkere Mitleidenschaft des Peritoneums und die un¬
günstigen Abflussbedingungen für die Wundsekrete fallen der
Laparotomie zur Last. Auf die Technik der Operationen kann hier
nicht eingegangen werden. Im allgemeinen empfiehlt H. bei
schweren Fällen nicht allzulang mit der Operation zuzusehen,
deren Chancen durch Herzerkrankungen und Anämie leiden.
No. 27 _ 29. H. v. S c h r ö 1 1 e r - Wien: Ueber Höhenkrank¬
heit, mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im
Luftballon.
Die aeronautisch-medizinischen — für Laien bestimmten —
Erörterungen bieten auch für den Arzt Interessantes, namentlich
bezüglich der Anoxyhämie und ihrer Bekämpfung durch künst¬
liche Sauerstoffzuführung, welche die bedrohlichen Erscheinungen
auf hebt bezw. ihnen vorbeugt; 5000 m sind etwa die kritische
Grenze, bei welcher wenigstens zeitweise schon zu dem Hilfsmittel
gegriffen werden soll. Bei seinen Versuchen mit Gasverdünnung
im pneumatischen Raum hat Verf. an sich selbst den unan¬
genehmen Symptomenkomplex der Gasstauung im Blut durch
gleichzeitiges Freiwerden zu grosser Mengen des im Blute ab¬
sorbierten Stickstoffes kennen gelernt.
No. 29. G. Engel mann -Wien: Zur Vereinfachung der
Intubationstechnik.
Die Vereinfachung besteht in der Konstruktion eines In¬
strumentes, welches zugleich als Introduktor und Extraktor
dient. Näheres vergl. Original.
No. 28 _ 29. Neumann-Wien: Beiträge zur Lehre vom
Syphilisrezidiv.
Auf Grund näher mitgeteilter klinischer und histologischer
Befunde spricht sich N. dahin aus, dass an Stelle des syphilitischen
Primäraffektes in den oberen und tieferen Schichten der Haut
und Schleimhaut, besonders um und in den Gefässwandungen,
charakteristische Residuen mehrere Monate bis 34 Jahre per-
sistieren, auf deren Basis sich durch äussere Reize und andere,
unbekannte Ursachen das Rezidiv in situ ausbildet. Von
diesen Residuen können auch zellige Elemente in den Lympli-
strorn geraten und an entfernten Stellen Rezidive erzeugen. Die
progressive Entwicklung des Rezidivs in situ an Stelle des pri¬
mären Affektes, z. B. einer Roseola oder Papel, auf deren Grund
eine Impetigo und am Boden wiederum welcher ein Gumma ent¬
steht, lässt annehmen, dass die persistierenden Gewebselemente
Träger des spezifischen Krankheitserregers sind.
No. 29. Thaussig- Wien: Zur Kenntnis der Gefäss-
wirkung des Jod (Jodipin).
Auf der Pal sehen Abteilung wurde Jodipin bei einer Reihe
von Fällen angewendet, wo eine Jodwirkung auf die (»efässe ei¬
wünscht schien, und zwar erwies sich als die zweckmässigste Ein¬
führung die subkutane Injektion des 25 proz. Präparates in einei
Einzeldosis von 20 ccm etwa an jedem 4. Tag, wenn sich ein
Sinken in der ausgeschiedenen Jodmenge wahrnehmen liess.
Es kamen zur Behandlung Fälle von Asthma bronchiale,
Arteriosklerose, luetische Endarteriitis und Bleikolik. Der Er¬
folg, namentlich auch in Bezug auf das subjektive Befinden und
den Ernährungszustand, war regelmässig zufriedenstellend, da¬
gegen scheint bei Struma besondere Vorsicht geboten zu sein.
Die günstige Beeinflussung bei Bleikolik führt Th. auf eine vaso-
dilatatorische Wirkung des Jodipins zurück; am 3.-4. Tag nach
der Injektion pflegt der Blutdruck zu sinken. Es dürfte sich bei
Bleikoiik hauptsächlich um einen Gefässkrampf und einen Gefiiss-
schmerz handeln. Bei der Arteriosklerose soll, wie auch J o d 1 -
b a u e r annimmt, gleichfalls eine günstige Gefässerweiterung
das Wirksame sein. B e r g e a t - München.
> . ' . * J
Unfallheilkunde.
F. d e Q uervain - La Chaux-de-Fonds: Beitrag zur Kennt¬
nis der kombinierten Frakturen und Luxationen der Hand¬
wurzelknochen. Mit 11 Abbildungen. (Monatsschr. f. Unfallheilk.
1902, No. 3.) , „ .
Wie aus der Kasuistik hervorgeht, kommen bestimmte liak-
turen oder Luxationen einzelner Knochen im Bereich der
Handwurzel mit besonderer Häufigkeit vor. Ebenso bieten auch
einige kombinierte Verletzungen des Handwurzelskelets eine
gewisse Gesetzmässigkeit dar.
Bericht über einen Unfall (16 m tiefer Fall), bei dem das
Radiogramm ergab, dass in beiden Handgelenken in genau
gleicher Weise das Navieulare an gewohnter Stelle quer durch-
brochen war, rechts mit einem kleineren dritten E rag ment, und
dass das Lunatum den Kopf des Kapitatum verlassen hatte und
mit seiner konkaven Fläche nach vorne unten sah, während der
Kopf des Kapitatum nach dem Dorsurn hin luxiert war. Operation
zur Vermeidung der Steifheit der Handgelenke: Entfernung des
gebrochenen Navieulare und des luxierten Lunatum, zuerst links,
dann rechts. Guter Erfolg.
In der Literatur fanden sich noch 6 ähnliche Beobachtungen,
so dass bei der Zahl der bisher veröffentlichten Luxationen und
Subluxationen des Mondbeins (ca. 30) der gleichzeitige Bruch des
Navieulare in etwa ein Fünftel der I alle vorkäme und also eine
Komplikation von nicht zu unterschätzender Bedeutung darstellte.
Die am nächsten stehende Mitverletzung der Mondbemluxation
ist die Mitluxation des intakten Navieulare; ferner das nicht selten
gleichzeitige Vorkommen von Radiusfraktur (6 Beobachtungen),
ln 2 Beobachtungen endlich war die Luxation des Mondbeins mit
Abriss des Proc. styloideus ulnae verbunden.
Es ergibt sich also, dass die Radiusfraktur bezw. der Abriss
des Proc. styl, radii in Bezug auf die Häufigkeit beinahe auf
gleicher Linie steht wie die Fraktur des Navieulare. Ferner geht
aus dem gesagten hervor, dass sich die Komplikationen der Mond¬
beinluxation in der grossen Mehrzahl der Fälle auf der Radial¬
seite der Handwurzel abspielen, was begreiflich ist, da der Stoss
im wesentlichen den Daumenballen und den Radius betrifft,
während die Ulnarseite des Gelenks sich aus anatomischen Grün
den viel passiver verhält.
Hieran schliesst sich eine genaue Besprechung des Mechanis¬
mus, der Diagnose, Prognose und (operativen) Therapie, welch
letztere günstige funktionelle Resultate ergibt.
O. Thilo- Riga: Passive Bewegungen. Mit 3 Abbildungen
und 2 Tafeln. (Ibid.) , . ,. „
Ausführliche Abhandlung, die u. a. nachweist, dass die Be¬
wegungen gerade bei frischen Gelenksentzündungen angewandt
werden können, und dass das Vorurteil gegen Bewegungen bei
gewissen Gelenkerkrankungen hauptsächlich durch eine zu gewalt¬
same Ausführung der Bewegungen entstanden ist. Eine detail¬
lierte Besprechung der einzelnen Gelenksbewegungskuren und der
hierzu vom Verfasser angegebenen Apparate gibt dem Praktiker
die Indikation und Anleitung zur Ausführung sämtlicher in Be¬
tracht kommenden Manipulationen.
M. Karch: Trauma und Plattfuss. Mit 2 Abbildungen.
(Orthopäd. Heilanstalt des Dr. med. A. Schanz- Dresden.)
(Monatsschr. f. Unfallheilk. 1902, No. 4.)
Ein bedeutendes Kontingent zur Gruppe von Patienten, bei
welchen die Gegenüberstellung der Klagen und angeblichen Grösse
subjektiver Beschwerden einerseits, der Geringfügigkeit oder des
Mangels der diesen Klagen zu gründe liegenden, objektiv nachweis¬
baren krankhaften Veränderungen andererseits den Verdacht der
Simulation erweckt, stellen jene Fuss- und Unterschenkelverletz-
ten bei denen im Anschluss an eine Verstauchung, Quetschung
oder einen Bruch die typischen Plattfussbescliwerden mehr
weniger rasch und deutlich in Erscheinung treten.
Der Zusammenhang des Leidens mit einem Trauma wird nui
dann unanfechtbar sein, wenn sich das Bild des fertigen anato¬
mischen Plattfusses entwickelt hat. Schwieriger wird die Beurtei¬
lung, wenn uns die anatomischen Veränderungen des Fusskelets
im Stiche lassen; doch zeichnet der Symptomenkomplex des trau¬
matischen Plattfusses ein so charakteristisches Bild, dass schon die
ersten Linien, d. h. die Angaben des Patienten und seine Ant¬
worten auf die (geschickt gestellten!) Fragen des Arztes letzteren
erkennen lassen, ob er es mit einem Simulanten zu tun hat odei
29. Juli 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1277
nicht, so dass die Anamnese im Verein mit dem objektiven Befund
und dem meist momentan einsetzenden Erfolg der Therapie stets
die Möglichkeit gibt, den betreffenden Fall als traumatischen Platt-
l’uss zu erkennen.
Sehr charakteristisch ist schon die Schilderung der Art der
Schmerzen und des Unterschiedes zwischen dem jetzigen Zustand
und dem Status vor der Verletzung. In Bezug auf objektiv nach¬
weisbare Veränderungen ist fast ausnahmslos die Erscheinung
vorhanden, dass passive starke Supination einen anhaltenden,
stechenden Schmerz am inneren Knöchel hervorruft. Ein greif¬
bares Zeichen für den Nachweis des traumatischen Plattfusses
ist der Vergleich der Elastizitätsgrenzen beider Füsse eines Ver¬
letzten bei gleiclimässiger Belastung desselben: das in seiner
Festigkeit geschädigte Fussgewölbe sinkt bei erheblicher, plötzlich
aufgebürdeter Mehrbelastung ein und die Wölbung der Fussohle
liacht sich ab, durch Russ-Solilenabdru c k ersichtlich zu
einer Zeit, wo Inspektion und Palpation eine Diagnose absolut
nicht zulassen.
Trotzdem die mit „Plattfussbeschwerden“ behafteten Patien¬
ten duicliaus nicht immer einen Plattfuss im anatomischen Sinne
zeigen, lind andererseits oftmals bei ausgesprochenen anatomischen
Plattfüssen keinerlei Beschwerden vorhanden sind, ist die Be¬
zeichnung „Plattfussbeschwerden“ berechtigt, weil die letzteren
das sicherste Zeichen des den Plattfuss bildenden oder ver¬
schlimmernden Zustandes sind. Und da beim „traumatischen
Plattfuss“ zwar das gleiche Missverhältnis zwischen statischer
Leistungsfähigkeit und statischer Inanspruchnahme des Fuss-
gewölbes wie beim statischen Plattfuss existiert, dieses Missver¬
hältnis aber durch eine Schwächung des Unterschenkels bezw.
Fusses, letztere aber wiederum durch ein T r a u m a geschaffen
wurde, so resultiert hieraus die Berechtigung der Bezeichnung:
„traumatischer Platt f u s s“.
Therapie: Dieses Missverhältnis zwischen Leistungsfähig¬
keit und Inanspruchnahme wird sofort und dauernd ausgeglichen
durch eine richtig sitzende Einlage, bei der die Wahl des Materials
von grösster Wichtigkeit ist. Wegen der geringen Haltbarkeit des
Zelluloids, das im übrigen das vorzüglichste Material zur Anferti¬
gung von Einlagen bildet, befürwortet K. das Metall Durana.
welches einen grossen Teil der Vorzüge des Zelluloids besitzt und
daneben noch den Vorteil grösserer Haltbarkeit aufweist.
Zur Prophylaxe empfiehlt Iv., es sich zum Grundsätze zu
machen, nach Abschluss der Behandlung jedes Unterschenkel¬
bruches, jeder schweren Distorsion und Kontusion dem Verletzten
eine Einlage zu fertigen, um die Frequenz des traumatischen Platt¬
fusses sehr herabzudrücken. (Eine Empfehlung, mit der die prak¬
tischen Erfahrungen der Unfallärzte vollständig übereinstimmen;
ob jedoch der nach solchen Verletzungen vorhandene Plattfuss
nicht in ebenso hohem Masse vor dem Unfall schon bestanden hat,
ist eine Frage, die doch manchmal sich aufdrängen, nicht immer
aber eine sichere Entscheidung finden wird, lief.)
H. K o r n f e 1 d - Gleiwitz: Berechtigt Hysterie nach uner¬
heblichen Verletzungen bei der Arbeit zur Unfallrente? (Ibid.)
Verfasser verneint unter Anführung zweier Fälle die Frage
mit der Begründung, dass, wenn jemand so hochgradig zur
Hysterie disponiert ist wie die beiden Arbeiterinnen in den geschil¬
derten Fällen, eine unbedeutende örtliche Schädigung, z. B. ein
leichter Stoss, die von keinen oder ganz unerheblichen örtlichen
Veränderungen, aber von hochgradiger Hysterie gefolgt ist, dies
einen unglücklichen Zufall, ein Malheur därstellt, aber kein Akzi-
dent. Der Umstand, dass die Krankheit plötzlich und nach einer
bestimmten äusseren Einwirkung, sowie im Betriebe entstanden sei,
kennzeichne sie noch nicht genügend als Unfall. Wenn eine leichte,
plötzliche, äussere Einwirkung im Betriebe entschädigungspflich¬
tige Folgen haben solle, so müsse sie wenigstens von örtlichen Ver¬
änderungen gefolgt sein, die den schweren Verlauf erklären könn¬
ten. Bei der Hysterie aber spiele das psychische Moment: Ueber-
treibung, Willenslosigkeit, Begehrlichkeit nach Rente, Einwirkung
(Kr Angehörigen etc. eine zu grosse Rolle, um in ähnlichen Fällen
(>ine geringfügige äussere Veranlassung als wesentlich von Einfluss
auf die Erwerbsunfähigkeit anzusehen.
F. A p e 1 1: Ueber die Beziehungen zwischen Morbus Base-
dowii und Trauma. („Hermann-Haus“, Unfallnervenklinilc der
Sächsischen Baugewerks-Berufsgenossenscliaft, Stötteritz-Leipzig.)
(Aerztl. Saehverständigenztg. 1902, No. 7.)
Zwei interessante Fälle, in denen leichter Morbus Basedowii
schon vor dem Unfälle bestanden hatte. Durch letzteren wurde
beide nmle Hysterie hervorgerufen, die in dem einen Fall eine
rapide Verschlimmerung der Basedowsymptome bewirkte, während
im zweiten Fall der auch hier geringe Basedow eine Steigerung
seiner Symptome durch die Hysterie nicht erfuhr.
H. Stursberg: Zur Beurteilung des Zusammenhangs
zwischen multipler Sklerose und Trauma. (Med. Univ.-Klinik zu
Bonn; Dir. Geh. -Rat Prof. Dr. Schnitze.) (Aerztl. Sacliver-
ständigenztg. 1902, No. 8.)
Drei Beobachtungen, die den Verfasser hinsichtlich der An¬
nahme eines traumatischen Ursprungs der multiplen Sklerose zur
' orsicht mahnen und ihn wesentlich in der Anschauung bestärken,
(lass manche, angeblich auf Verletzungen zurückzuführende Fälle
durch eine genaue Erforschung der Vorgeschichte als bereits
früher bestehend erwiesen werden können, und dass deswegen die
Anamnese sich ebenso wie bei Rentenbewerbern auch bei anderen
Kranken nicht nur auf subjektive Angaben stützen darf, die ja
auch manchmal aus irgend welchen Gründen, z. B. infolge Ge¬
dächtnisschwäche in späteren Stadien der Erkrankung unzuver¬
lässig sein können.
Vielmehr hält St. besondere Erhebungen in jedem Falle für
unbedingt notwendig und glaubt, dass bei Berücksichtigung dieser
Forderung die Zahl der auf äussere Gew altein Wirkung zurückzu¬
führenden Sklerosen erheblich geringer werden wird.
Allerdings wird noch eine Reihe von Kranken übrig bleiben,
bei denen eine Verschli m m e r u n g durch einen Unfall z u z u -
geben ist. Eine solche darf nur dann angenommen werden,
•wenn das ganze zentrale Nervensystem von einer erheb¬
lichen Erschütterung betroffen wurde. Dagegen glaubt Ver¬
fasser nicht, dass z. B. eine lokale Einwirkung auf den Kopf
einen wesentlichen Einfluss auf Rückenmarksherde haben oder gar
die Entstehung von solchen veranlassen kann. Auch die Hypo¬
these Güssen b a u e r s, welcher eine Fortleitung der Erschütte¬
rung durch die Zerebrospinalflüssigkeit annimmt, vermöge einen
derartigen Zusammenhang nicht wahrscheinlich zu machen.
.T. Knotz: Zur Frage der traumatischen Neurose. (Stadt¬
spital zu Banjaluka in Bosnien.) (Ibid.)
Der Frage, welchen Anteil Simulation und Uebertreibung an
dem Krankheitsbild haben, das nach Verletzungen oder Erschütte¬
rungen des Körpers, manchmal nach einem überstandenen
Schrecken oder grosser Angst, also einer seelischen Erschütte¬
rung, meist aber durch beide Faktoren gleichzeitig, unter dem
Bilde der Hysterie, der Hypochondrie, Neurasthenie oder einer
einfachen Psychose, am häufigsten aber einer Mischform dieser
Leiden auftritt und trotz allen Einwürfen auch heute noch als
„traumatische Neurose“ (O p penhei m) bezeichnet wird, wird
auch in den neuesten Arbeiten übler dieses Thema ein breiter Raum
gewidmet.
Dem gegenüber dürften drei Fälle von traumatischer Neurose
bei bosnischen Bauern Veranlassung geben, mit dem Verdachte
von Simulation und Aggravation von Unfallneurosen zurück¬
haltender, als dies manchmal zu geschehen pflegt, zu sein.
In Bosnien gibt es keine allgemeinen Unfall versieh e-
rungsgesetze, keine Renten, daher auch keine Kämpfe um die¬
selben, auch sind die Schadenersatzansprüche nach Verletzungen
meist lächerlich gering und werden selten angestrebt, so dass „Be¬
gehrungsvorstellungen“ im Sinne S t r ü m p e 1 1 s auszuschlisssen
i sind. Die Beschädigten haben zudem meist gar keine Ahnung
von der in Frage kommenden Symptomengruppe und könnten sie
unmöglich in ihrer Gesamtheit Vortäuschen. Ferner ist der bos¬
nischen Landbevölkerung eine ziemliche Widerstandsfähigkeit
gegen Erkrankungen des Nervensystems, namentick nach Trau¬
men, nicht abzusprechen, so dass unter solchen Verhältnissen einer
„Züchtung der traumatischen Neurose“ alle Vorbedingungen
fehlen.
Die 3 Fälle K.s haben sich wenigstens „jenseits von Gut und
Böse“ der modernen Entschädigungs- und Unfallversicherungs¬
gesetze entwickelt, auch kam es keineswegs den Beschädigten in
den Sinn, die längere Fortdauer ihrer nervösen Störungen zur Er¬
reichung höheren Schadensersatzes zu verwerten, obwohl der un¬
zweifelhafte Zusammenhang des Leidens mit den Verletzungen bei
der gerichtsärztlichen Beurteilung entsprechend hervorgehoben
wurde.
(Die Frage, ob veritable traumatische Neurose u. dergl. vor¬
liegt oder Simulation, wird von den praktischen Aerzten manchmal
etwas zu sehr nach der bejahenden, von den Vertrauensärzten
nach der negierenden Seite hin, ohne Innehaltung des goldenen
Mittelweges, entschieden: Wahre Simulation und bewusste Ueber¬
treibung sind relativ sehr selten und sollten ohne positiven Beweis
nie angenommen werden; mehr oder minder unbewusste Aggra¬
vation ist häufig und muss bei der Beurteilung der Schwere des
Falles berücksichtigt, darf aber nicht als Betrug aufgefasst wer¬
den und aus diesem Grund zu einer Herabsetzung oder
Streichung der Rente führen. lief.)
(Schluss folgt.)
Vereins- und Kongressberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 16. Juli 1902.
Demonstrationen :
Herr Ewald: Fall von perniziöser Anämie — geheilt durch
Bluttransfusion; Fall von Leukämie.
Diskussion: Herr v. Bergmann erklärt, dass er von
der Bluttransfusion vollständig zurückgekommen sei.
Herr Stürz: Patient mit Eustrongylus gigas.
Der Kranke ist vor einiger Zeit aus Queensland in Australien
zurückgekommen und hat hier wegen milchige n U r i u s,
woran er seit langer Zeit leidet, die Gerhardt sehe Klinik auf-
gesucht. Im Urin fanden sich Leukocyten, Epitlielien, Blutgerinn¬
sel. Filaria sanguinis, worauf zuerst gefahndet wurde, fand sich
ebensowenig, wie Bilkarzia liaematobia. Der mit Hilfe des
Ureterenkatlieters getrennt aufgefangene Urin zeigte, dass aus
dem linken Ureter chylöser, aus dem rechten klarer Urin kam. Nach
längerer Beobachtung fand Vortragender im Urin ein Ei, das er
sogleich als von dem Eustrongylus gigas stammend er¬
kannte1, eine Diagnose, die Herr Eilliardt Schulze bestätigte.
Somit darf angenommen werden, dass der Kranke in seinem
linken Nierenbecken einen Eustrongylus gigas beherbergt, jenen
Wurm, der bis zu 1 m Länge auswachsen und das Nierenbecken
zum Platzen bringen kann. Es liegen nach Vortragendem 5 Be¬
obachtungen am Menschen vor, welche jedoch sämtlich Sektions-
1278
befuude waren; in diesem Falle läge die erste Beobachtung am
lebenden Menschen vor.
Die Durchleuchtung ergab, dass sich in der rechten Zwerch-
fellsliiilfte eine Vorwölbung fand; es ist möglich, dass hier ein
zweiter Tarasit sitzt.
Endlich fanden sich im Urin noch Eier unbekannter Natur.
Patient soll durch Operation von seinem Leiden befreit
werden. Herr Koenig wird dieselbe demnächst vornehmen.
Herr Milchner: Frau mit Sympathikus- und doppel¬
seitiger Postikuslähmung infolge eines Tumors an der r. Klavikula.
Herr J oachimsthal: Kind von 3 Monaten mit schwerer
Deformation der Knochen, welche Vortragender als Osteogenesis
imperfecta auffasst, da für Lues keine Anhaltspunkte vorhanden
und bei Rhachitis und Chondrodystrophia foetalis Veränderungen
an der Knorpelknochengrenze zu erwarten wären, die hier fehlen.
Tagesordnung ;
Herr Aronson: Untersuchungen über Streptokokken
und Antistreptokokkenserum.
Auf Grund jahrelanger Arbeiten gelang es Vortragendem
ein Serum lierzustellen, welches Mäuse gegen Streptokokken¬
infektion mit Sicherheit schützt und die schon erkrankten
Mäuse in der Mehrzahl der Fälle, je nach der Zeit der Anwendung
des Serums, heilt.
Versuche am Menschen sind ebenfalls schon angestellt, je¬
doch noch nicht zum Abschluss gebracht.
Endlich konnte mit Hilfe dieses Serums und der Agglu¬
tinationsreaktion gezeigt werden, dass sämtliche
Streptokokkenarten und auch diejenigen der Pferde¬
druse (wenigstens nach Passage des Mäusekörpers) identisch
sind.
Die von verschiedensten Krankheiten (Angina, Scharlach,
Erysipel etc.) gewonnenen Streptokokken verhielten sich gegen
das Serum völlig gleich ; ebenso aber auch gelang es mit allen
die gleichen Erkrankungen im Experiment zu erzeugen (lokale
Entzündung bezw. Eiterung bei subkutaner Einführung, mul¬
tiple Gelenkschwellung ganz wie beim akuten Rheumatismus
und selbst Endokarditis bei intravenöser). Das Serum schützt
am besten Mäuse, 0,01 ccm genügt, um Tiere gegen die 10 fache
tödliche Dosis zu schützen ; Kaninchen brauchen grössere
Mengen.
Eine weitere Beobachtung zeigte, dass die Streptokokken
blutkörperchenauf lösende Eigenschaften haben, aber nur im
lebenden Zustand.
Das Serum von Marmorec k und ebenso das von T a v e 1
hat sich dem Vortragenden im Thierexperiment völlig wirkungs¬
los gezeigt.
Diskussion: Herr Menzer bemängelt, dass Vortragen¬
der nur von Mäusen gesprochen, während man ein Serum für den
Menschen erwartet habe. Der von A. gegen das Serum Tavels
erhobene Vorwurf sei hinfällig, da Tavel nicht Tiere, sondern
Menschen schützen wollte, und darum die Wirkungslosigkeit dieses
Serums für Mäuse als gleichgültig zu betrachten sei.
Schliesslich erwähnt Vortragender sein eigenes Serum, mit
welchem er jetzt über 40 Fälle von Gelenkrheumatismus mit Er¬
folg behandelt habe.
Herr W a s s e r in a n n: Er habe sich im Tierversuch von der
Wirksamkeit des Aronson sehen Serums überzeugt. Dasselbe
stehe auf einer sicheren wissenschaftlichen und experimentellen
Basis, was von den anderen Streptokokkensera nicht gesagt werden
könne blas M e n z e r sehe habe ihm nicht Vorgelegen). Er ver¬
mute, dass bei der grossen Zahl von Sera aller Art, die in den
letzten Jahren empfohlen wurden und rasch wieder verschwanden,
ein gewisses Misstrauen gegen derartige Neuheiten existiert; dem
A ronson sehen gegenüber sei dies nicht am Platze und seine
Prüfung am Menschen A'oll berechtigt.
Herr Blumberg: In der Leipziger gynäkologischen Klinik
sei das M a r m o r e c k sehe Serum mehrfach versucht worden,
in einigen Fällen anscheinend mit Erfolg.
Herr Aronson: Er habe absichtlich sein Thema auf die
Streptokokken und die Resultate am Tiere beschränkt, die Re¬
sultate am Menschen seien teils noch zu gering, teils liege deren
Prüfung in anderen Händen.
Herr Wilhelm Dorquet Ma nasse: Bemerkungen zur
Konservierung des Fleisches und der Fleischpräparate.
Vortragender tritt für das neue gesetzliche Verbot der
Priiservesalze ein; dieselben seien schädlich und begünstigen die
Täuschung des Publikums. Es sei auch gar nicht nötig, solche
Mittel (Borsäure, Borax, unterschwefligsaures Natron) anzu¬
wenden, sondern es gelinge sehr wohl, Fleisch ohne jedes che¬
mische Mittel zu konservieren, man müsse nur die Grundsätze
der Anti- und Asepsis auf die Fleischgewinnung übertragen.
Reinlichkeit vom ersten Moment an sei die Hauptsache. Dies
No. 30.
sein Verfahren, das er seit 3 Jahren im Grossbetrieb anwende,
erläutert aber Vortragender nicht näher.
Diskussion: Herr Liebreich tritt der Ansicht des
Vortragenden betr. der Präservesalze mit Entschiedenheit ent¬
gegen. Die Begründung der Gesetzesvorlage von Seiten des Ge¬
sundheitsamtes sei durchaus unzuverlässig. In England hätten
sich die medizinischen Sachverständigenkollegien ganz im ent¬
gegengesetzten Sinne geäussert, wie das Reichsgesundheitsamt. Ent¬
gegen Herrn Malusse betont er, dass er für sich durchaus nicht
die Unfehlbarkeit in Anspruch nehme; was er verlange, sei nur,
dass das Reichsgesundheitsamt seine Ansichten, ehe sie zur Grund¬
lage für ein so einschneidendes Gesetz werden, veröffentliche und
zur wissenschaftlichen Diskussion stelle. So sei es
auch mit dem englischen Gutachten gehalten worden und sei es
auch bei uns auf anderen Gebieten üblich. Haus K o h n.
Verein für innere Medizin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 14. Juli 1902.
Demonstrationen :
Herr Martini demonstriert frisches und gefärbtes Blut
eines Tongo-Pony-Paares aus dem hiesigen zoologischen Garten,
welches an der in Afrika so häufigen Tsetsekrankheit leidet.
Im Bhde des Hengstes, der noch fieberte, konnte mit Leichtigkeit
das Trypanosoma brucei nachgewiesen werden, jener
Parasit, der durch den Stich der Tsetsefliege übertragen
wird und die gefährliche Krankheit der Pferde und anderer
Säuger erzeugt. Auch in Spiritus konservierte Tsetsefliegen konnte
Vortragender zeigen. Eine Gefahr der Verschleppung dieser
Seuche von dem erst vor kurzem aus Afrika gekommenen Pony¬
paar auf unsere einheimischen Pferde ist nicht zu befürch-
t e n, da die Ueberträgerin, die Tsetsefliege, bei uns nicht vor¬
kommt.
Herr Lassai demonstriert 7 Leute aus dem städtischen
Schlachthofe, welche sich durch Beschäftigung mit tuberkulösem
Fleisch eine Tuberculosis verrucosa cutis zugezogen hatten. Unter
365 untersuchten Personen fanden sich diese 7.
Tagesordnung :
Herr Max W o 1 f f : Beziehungen der Perlsucht zur
menschlichen Tuberkulose.
Zu der von R. K o c h neuerdings (Londoner Kongress) wieder
aufgeworfenen Frage der Identität der menschlichen und Rinder¬
tuberkulose bringt Vortragender folgenden Beitrag:
Ein auf der Leyden sehen Klinik verstorbener Mann bot
hei gesunden Lungen tuberkulöse Darmgeschwüre und Miliar¬
tuberkulose des Peritoneums und der Milz. Aus der Milz impfte
Vortragender auf ei n Meerschweinchen, welches nach 8 Wochen
an Tuberkulose einging und davon wurde wieder um auf ein Kalb
weitergeimpft, das vorher auf Tuberkulin nicht reagiert hatte
und von der Impfstelle aus tuberkulös allgemein erkrankte, und
zwar bot es die knotige, käsige, kalkige Form dai*, die für Perl¬
sucht charakteristisch ist.
Daraus schliesst Vortragender, dass es gelungen sei, einen
Fall von Perlsucht! beim Menschen nachzu¬
weisen und diese Perlsucht auf das Rind zu übertragen. Da
es ihm hingegen nicht gelungen sei, in einem zweiten Falle, wo
er Sputum von Phthisikern auf ein Kalb direkt übertrug,
eine allgemeine Perlsucht zu erzielen, sondern nur einen
lokalen Abszess mit zahlreichen Bazillen im Eiter und Ver¬
käsung einzelner benachbarter Drüsen, so schliesst Vortragender,
dass es nicht gelinge, menschliche Tuberkulose auf
Rinder zu übertragen, wie dies Koch bereits angegeben habe.
Diskussion: Herr Stadel m an n: Er könne nicht ein-
selien, mit 'welchem Rechte Wolff seinen Fall von Darmtuber¬
kulose eine Perlsu c h t nenne. Es sei ein einfacher Fall von
Darmtuberkulose; auch die anatomischen Läsionen des Meer¬
schweinchens hätten nichts perlsuchtartiges, sondern die gewöhn¬
lichen Zeichen der Tuberkulose geboten. Es lässt sich aus dem
Versuche W o 1 f f s nur schliessen, dass es gelang, eine m e n sch¬
liche Tuberkulose auf das Tier zu übertragen.
Herr M. Wolff: Da R. Koch erklärt habe, dass mensch¬
liche Tuberkulose nicht auf das Rind zu übertragen sei, so müsse
wegen des positiven Ausfalls des Experiments angenommen wer¬
den, dass es sich in seinem Fall von Darmtuberkulose um eine
mit der Nahrungsaufnahme auf den Menschen übertragene Perl¬
sucht gehandelt habe.
Herr Stadelmann: Die zitierte Behauptung Kochs sei
doch noch keine anerkannte Tatsache. (Was Wolff als de-
monstratum annimmt, ist ja eben erst demonstrandum und
W o 1 f f macht auf diese Weise einen Zirkelschluss. Ref.)
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
29. Juli 1902.
Af UÜ N (MIENKR MEDICMSCRE WOCHENSCHRIFT.
1279
Herr F. Meyer: Mau dürfe doch die in dem einen Falle vor¬
handene, in den anderen fehlende Passage durch den Meerschwein¬
chenkörper nicht unterschätzen.
Ferner die Herren Moeller und A. Baginsky.
Hans K o h n.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung- vom 26. April 1902.
(Schluss.)
Herr Meinert: a) Zur Behandlung- inoperabler Uterus-
und Vaginalkarzinome. (Mit Demonstrationen.)
Es ist Ihnen allen bekannt, dass sich bei inoperablen Krebsen
die Jauchung, die Blutung und die Schmerzen oft für längere
Zeit beseitigen lassen durch die kombinierte Methode der Aus¬
schabung und Aetzung, sei es, dass die letztere durch Glühhitze
oder durch ein chemisches Agens bewirkt werde. Czerny hat
auf dem 29. Chirurgenkongress (1900) über 95 Fälle berichtet, in
denen er sich des Chlorzinks bediente. Darunter befanden sich
48 Uteruskarzinome. Wenn er auch selbst keine Dauerheilung
erzielte, so hat er doch eine solche gesehen nach der von einem
anderen Arzte vorgenommenen Aetzung mit Chi orzin k -
p ast. e.
Diese Art der Aetzung ist es, zu der auch ich des öfteren
meine Zuflucht nahm und zwar bediente ich mich der Can-
q u o i n sehen Mischung von gleichen Teilen Zincum chloratum
und Amylum. Einen Dauererfolg habe ich weder beabsichtigt,
noch erzielt, aber ich gelangte — zunächst gelegentlich, späterhin
systematisch zu Ergebnissen, welche mich nach einer anderen,
meines Wissens mit dem Verfahren noch nicht verfolgten Rich¬
tung befriedigten. Ich erreichte nämlich in 6 Fällen das, was
andere etwa durch Kolpokleisis mit künstlicher Rektovaginal¬
fistel erstreben: eine völlige Abschliessung des nur temporär ver¬
ödeten Karzinoms gegen die Aussenwelt durch eine derbe und
breite Scheidennarbe. Das gelingt gewöhnlich, wenn man die
frisch bereitete, in Gazesäckchen verteilte und durch einen
feuchten alkalischen Tampon fixierte Paste so lange liegen lässt,
bis sich nach 7 — 12 Tagen ein derber, Strumpf förmiger Aetz-
schorf herausziehen lässt. Die in toto exkoriierte Scheide atresiert
unter täglichen Ausspülungen von innen her.
Natürlich darf man in dieser Weise nur bei Kranken Vor¬
gehen, welche nicht mehr menstruieren. Man muss die nicht
unerheblichen Schmerzen mit Morphium niederhalten und auf ein
mehrtägigesFieber gefasst sein, ja sogar auf einen üblen Ausgang,
der bei einer meiner Kranken auch wirklich (an Peritonitis) er¬
folgte. Aber das darf nicht abschrecken. Denn die Wohltat, die
denjenigen erwiesen wird, welche den Eingriff überstehen, ist
eine zu verlockende.
Die Fälle, von denen die beiden Ihnen herumgereichten
Schorfe stammen, sind bereits abgelaufen. In dem einen bildeten
sich Ovarialkystome, die sich bei der Exstirpation als karzinoma-
tös erwiesen. Die Patientin starb etwa 2 Jahre nach der Aetzung
an schmerzhafter Mesenterialdrüsen- und Peritonealkarzinose. —
In dem anderen Fall brach das abgedämmte Karzinomrezidiv
nach dem Rektum durch. Diese Patientin, welche sich geheilt
hielt und noch 1 Jahr lang den einstündigen Weg zu mir zurück -
legte, ging- etwa 114 J ahr nach der Aetzung marantisch und
schmerzlos zu Grunde.
Diskussion: Herr Klotz betont, dass die unbereclien-
baie liefenwirkung des Chlorzinks gegen seine allgemeinere Ver¬
wendung spreche. Er behandelt derartige Karzinome durch Aus¬
kratzung und Verschorfung mit dem Paquelin. Im ganzen hat
ei 21 Fälle so behandelt, davon 3 Fälle seit 7 Jahren rezidivfrei.
Herr Plettner hat den einen Fall des Herrn Klotz ge¬
sehen, ist aber augenblicklich nicht in der Lage, ein Urteil in dia¬
gnostischer und prognostischer Richtung über denselben abzu-
gebeu, da er den Namen der Kranken nicht kennt (Herr Klotz
nennt denselben). Die guten Erfolge mit Auskratzung und Ver¬
schorfung kann er nach seiner Erfahrung für inoperable Mast¬
darmkarzinome bestätigen.
Herr Peters äussert sich in gleichem Sinne, aber er ver¬
wendet das alte Glüheisen, nicht den Paquelin.
Herr II ü b e n e r spricht sich gegen die Auskratzung eines
Rektumkarzinoms aus, da Perforationen sehr leicht erfolgen
können.
Herr Plettner hebt demgegenüber hervor, dass er nur die
Analgegend ausschabe und deshalb eine Eröffnung der Peritoneal¬
höhle bei diesem Eingriffe ausgeschlossen sei.
b) Zui Naturgeschichte und Behandlung- der Uterus-
myome. (Mit Demonstrationen.)
Die _ Myomfrage berührt wegen der ausserordentlichen
Häufigkeit der Myome auch den allgemeinen Praktiker nicht
wenig-. Aber er kann sieh schwer in ihr zureehtfinden, weil die
Ansichten ihrer besten Kenner noch erheblich auseinandergehen.
So beginnt beispielsweise die Reihe der Abschnitte über Myom
in der Enzyklopädie der Geburtshilfe und Gynäkologie von
M. S ä n ge r und O. v. H e r f f gleich mit einem solchen Wider¬
spruch. „Das Myom befällt nur den menstruierenden Uterus“,
schreibt Strassmann sub I (Allgemeines), während Eckard t
sub II (Anatomie) uns belehrt: „Nicht richtig ist die vielfach
verbreitete Ansicht, dass Myome sich nur während der Ge¬
schlechtsreife, also sich nur im noch menstruierenden Uterus
bilden könnten. Im Gegenteil etc.“
Wer die Myomkrankheit durch die Brille des Familien¬
arztes betrachtet, , der bekommt ein ganz anderes Bild von ihr,
als es sich vor dem operierenden Gynäkologen aufrollt. Dort
harmlose, wenn auch manchmal etwas alarmierende Vorgänge,
hier gar nicht selten Erscheinungen, welche das Schlimmste be¬
fürchten lassen und zum Eingreifen drängen.
Lieber die Myommortalität eine Meinung zu äussern,
ist sehr misslich.
Statistische Angaben, wie die von C h a m pneys und
Williams (zitiert nach Deutsch, med. Wochenschr. 1900,
No. 47, pag-. 760), dass von der in England lebenden Million
myomleidender Frauen jährlich 500 an ihren Myomen zu Grunde
gehen, was einer Mortalität von 1:2000 entspräche, sind gewiss
höchst fragwürdig. Aber noch fragwürdiger ist die aus ihnen
abgeleitete Schlussfolgerung, dass, wenn man alle Myomfälle ope¬
rierte, bei der behaupteten Operationsmortalität von 10 Proz.
jährlich 100 000 1 rauen durch die Operation geopfert würden.
Ich habe in meiner 30jälirigen Familienpraxis es nur einmal
erlebt, dass eine Kranke an ihrem Myom direkt (sarkomatöse
Entartung mit Metastasen) zu Grunde ging. Auf der anderen
Seite fehlt mir aber jeder Masstab für die Bezifferung derjenigen
I älle, in welchen ein Myom die indirekte Ursache vorzeitigen
Todes abgab.
Keinesfalls kann der natürliche Verlauf der Myome so
häufig zum Tode führen, als es die Häufigkeit der bei den Myorno-
tomien gefundenen Veränderungen anscheinend bedenklicher Art
erwarten Hesse. Vielmehr glaube ich, dass nicht nur die Atrophie
und die fettige Degeneration des Myomgewebes, sondern auch
die Nekrose, die zentrale Erweichung, die zystische Umwandlung,
die Verkalkung und Verknöcherung, ja sogar die myxomatöse
Degeneration zu den die Prognose sich zurückbildender Myome
nicht wesentlich verschlechternden Metamorphosen gehören.
Lieber die Aetiologie der Myome wissen wir, trotz des
von den Autoren mühsam zusammengetragenen Materials, meines
Erachtens noch nichts. Ich möchte an dieser Stelle bemerken,
dass die statistischen Angaben über Disposition der verschiedenen
Rassen, Stände, Konstitutionen etc. wegen erheblicher Fehler¬
quellen noch längst nicht als endgültig betrachtet werden dürfen.
Die von v. Winckel (Lehrbuch) und Olshausen (Verhand¬
lungen der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie, Mün¬
chen 1886, p. 304) beschriebenen Anfangssymptome der Myome
sind mir häufig und namentlich bei retroflektiertem Uterus be¬
gegnet. Aehnliches bekommt man aber auch zu sehen bei plötz¬
lich zunehmender Wachstumsenergie schon älterer und grösserer
Knoten.
Meiner familienärztlichen Erfahrung nach macht die grosse
Mehrzahl dieser Neubildungen so minimale bezw. so ephemere
Symptome, dass die Kranken gar nicht erst auf den Gedanken
kommen, sich ihrethalben an den Arzt zu wenden. Ich habe aber
den Eindruck gewonnen, dass auch in solchen mildest verlaufen¬
den Fällen die Myome gar nicht selten zur Ursache von Fehl¬
geburten werden.
In der Behandlung der Mjmme habe ich mich von den
medikamentösen Methoden immer mehr ab- und den hygienischen
immer mehr zugewendet. Namentlich das Mutterkorn wage ich
nicht mehr durch längere Zeit anzuwenden, weil ich seinen nach¬
teiligen Einfluss auf das Gefässystem und besonders auf das Herz
fürchte. Von Stypticin und Hydrastinin sah ich bisweilen gute
Erfolge gegen die Blutungen. Treten dieselben hochgradig auf,
1280
so gehe ich gewöhnlich schon vom 3. Tage an mit der selten im
Stiche lassenden Tamponade vor. Bettruhe verordne ich der¬
artigen Patienten nur in Fällen von äusserster Entkräftung. Ich
finde, dass die ambulando Behandelten meist viel weniger Blut
verlieren. Ueberhaupt rate ich meinen Kranken zu vieler Be¬
wegung im Freien, insonderheit zum Bergsteigen, Schwimmen
und allerhand vernünftigem Sport, mache aber zur Vorbedingung,
dass sie das Korset definitiv ablegen und dafür eine sehr bequeme
Untertaille tragen, an welche die Röcke angeknüpft werden.
Gegenüber dem Kaffee, Tee, der Fleischbrühe sowie anderen, die
Herztätigkeit stark anregenden Genussmitteln mahne ich zum
Masshalten, alkoholische Getränke untersage ich ganz.
Operiert habe ich früher, als die Myomoperationen noch
schlechte Resultate lieferten — abgesehen von der Abrasio
mucosae uteri — nur sehr wenig. Angeregt durch Lawson T a i t,
den ich im Jahre 1885 besuchte (vergl. Berl. klin. Wochenschr.
1886, Ko. 23), kastrierte ich wohl 6 mal mit in jeder Beziehung
gutem Erfolg und amputierte 4 mal supravaginal mit extra¬
peritonealer Stielversorgung (mit 1 Todesfall in¬
folge Mitabschnürung des rechten Ureters). Später verlockten
mich die guten Resultate Leopolds zu einigen Versuchen mit
der intraperitonealen Stielversorgung. Meine
Erfolge blieben aber zu weit hinter den seinen zurück, als dass
ich diese Versuche fortzusetzen gewagt hätte.
Als die vaginale Exstirpation des myomatösen
Uterus aufkam, wandte ich mich ihr zu und blieb ihr treu. Von
den Frauen, an denen ich sie ausführte, verlor ich keine. Es
werden aber kaum mehr als 6 Fälle gewesen sein, um die es sich
handelte. Für grössere Tumoren, die sich vaginal nur durch das
Morcellement hätten entwickeln lassen, zog ich den abdominalen
Weg vor, während es bei kleineren mir meist gelang, mit milderen
Mitteln (unter diesen last not least mit — Geduld) deren Sturm¬
und Drangperiode zu überwinden.
Die intraperitoneale Enukleation nahm ich 2 mal (mit
1 Todesfall) vor; vaginal habe ich niemals enukleiert.
An die grösseren, nur ventral angreifbaren Tumoren machte
ich mich erst wieder im Jahre 1894, als das moderne Verfahren
der abdominalen Totalexstirpation aufkam. Durch
dasselbe habe ich die Uteri gewonnen, die ich Ihnen vorzeige.
Wie Sie sehen, handelt es sich meist um grössere, bis über den
Kabel reichende Geschwülste.
In einigen dieser Fälle fehlt die \ aginalportion, weil ich es
bequemer fand, sic dicht über dem Ansatz der Scheide abzu-
sclmeiden. Die Operateure, welche den myomatösen Uterus ganz
oder mit Zurücklassung eines möglichst kleinen Kollumrestes
durch Laparotomie entfernen, gehen, soweit es mir möglich war,
mich hierüber zu orientiren, noch recht verschieden vor.
Ich eröffne das Ligamentum latum beiderseits durch je einen
nach der Vagina gerichteten ergiebigen Scherenschnitt, fasse
und unterbinde die spritzenden Gefässe (Spermatika), löse durch
einen beide Wunden verbindenden Querschnitt über die vordere
Fläche des Uterus einen möglichst dicken Serosalappen gleich¬
zeitig mit der Blase bis auf das vordere Scheidengewölbe ab und
gehe erst dann an die Unterbindung der Uterinae. Ist dies erst
beiderseits, möglichst nahe an der Stelle, wo die Arterie den
Ureter kreuzt, gelungen, so verläuft der zweite Teil der Opera¬
tion nahezu blutlos. Er besteht in Ablösung eines hinteren
Serosalappens bis zum Scheidenansatz, Einschneiden der Scheide
auf einem von dieser aus dem Messer entgegengedrängten Instru¬
ment und Absetzung der Scheide mit der sich dicht an das
Kollum haltenden C o o p e r sehen Schere. Ueber dem durch
einige Katgutnähte geschlossenen Scheidenlumen werden die bei¬
den Blätter des Ligamentum latum durch eine fortlaufende Kat-
gut naht vereinigt. Schluss der Bauchwunde mit Etagennaht.
Der Ueilungsverlauf pflegte sich ebenso glatt zu gestalten, wie
nach einer normalen Entbindung.
Nach diesem Verfahren habe ich die abdominale
Totalexstirpation 26 mal ausgeführt mit 1 Todesfall.
Die in Frankreich übliche, den letzten Akt der eigentlichen
Operation abkürzende, Verwendung von Doyens Ilebel-
klemme zur Versorgung des Scheidengewölbes, wie es dieser ge¬
wandte Operateur auf dem Chirurgenkongress durch seinen Kine-
matographen bewundernswert demonstrierte, habe ich noch nicht
No. 30.
zu versuchen gewagt. Doyens eigene Resultate. (28 fälle mit
4 Todesfällen) sind nicht besonders hervorragend.
Einen wesentlichen Anteil an meinen befriedigenden Er¬
folgen messe ich der Vor- und Nachbehandlung bei,
wenn es auch nur ein einziger Punkt ist, in welchem ich mich von
dem Hergebrachten emanzipierte.
Ich glaube nicht an die Besonderheit und an die hervor¬
ragende Bedenklichkeit der, bei unglücklichen Myomoperationen
gewöhnlich als Todesursache figurierenden Herzatrophie.
Es handelt sich bei derselben um eine Beschaffenheit des Flerz-
muskels, wie wir sie bei Frauen, und wohl namentlich bei solchen,
die früher chlorotisclT waren, ganz gewöhnlich antreffen, um eine
Herzbeschaffenheit, mit welcher die Frauen durchschnittlich viel
älter werden, als die Männer mit ihrer alkoholischen Herzhyper¬
trophie. Im Königreich Sachsen leben in den höchsten Alters¬
klassen doppelt so viele Frauen, wie Männer. Aber allerdings
versagen die atrophischen Frauenherzen leicht den Dienst, wenn
man ihnen die Conditio sine qua non ihrer normalen Funktion
abgräbt. Das schlaffe, schlechtgenährte Herz vermag weniger
wie jedes andere bei ungenügendem Füllungszustande seinen
Tonus zu bewahren. Wir dürfen die Myomotomierte
nicht dursten lassen. Wir müssen bei ihr ä tout prix
ein Missverhältnis zwischen Weite und Inhalt des Gefässystems
vermeiden. Ich lasse deshalb diese Kranken prophylaktisch be¬
reits einige Tage vor der Operation physiologische Kochsalz¬
lösung trinken und reiche ihnen nach der Operation, wie allen
Laparolomierten, Wasser oder schwache Teeaufgüsse so bald, so
oft und so reichlich, als sie es begehren. Das Erbrechen
hört viel schneller auf, wenn man sich durch dasselbe in der
Wasserzufuhr per os nicht beirren lässt, sondern es vielmehr als
heilsame Magenausspülung betrachtet.
Wohl weiss ich, weshalb man es gerade nach dieser Opera¬
tion besonders fürchtet. Die Embolie ist jedoch keine Ge¬
fahr der ersten Tage, da in denselben die etwaigen postopera-
torischen Thromben zur Loslösung noch nicht reif sind. Beim
Durstenlassen aber kommt es viel leichter zu Kreislaufstörungen
und Thrombenbildung in den ektatischen Venenplexus, als bei
einem durch reichliche Flüssigkeitsaufnahme gutgefüllten Ge-
fässystem.
Eine Operation, bei der man aus anderen Gründen das Er¬
brechen durch Durstenlassen besonders vermeiden zu müssen
glaubt und eben deshalb die Gefahr der Embolie herauf beschwört,
ist die Operation der Perityphlitis (vergl. den V ortrag Sonnen-
b u r g s auf dem letzten Chirurgenkongress.).
Dass nicht die Myome an sich es sind, mit welchen sich die
Gefahr der Lungenembolie verknüpft, lehrt die Erfahrung, dass
bei Myomleidenden, ausser wenn sie sich operiren lassen, der
Tod durch Lungenembolie zu den seltensten Ereignissen gehört
(vergl. Staude in Enzyklopädie für Geburtshilfe und Gynäko¬
logie Bd. II, p. 67). So darf man hoffen, dass er sich auch bei
den Operierten vermeiden lässt. Ich war bis jetzt so glücklich,
noch niemals einen Fall von Lungenembolie nach Hysterektomie
zu erleben.
Diskussion: Herr Leopold ist nicht so glücklich ge¬
wesen, keine Todesfälle an Thrombose und Embolie nach Myom¬
operationen erlebt zu haben (er sah solche vom 6. Tag an bis in
die 4. Woche). Die Wasserverarmung des Körpers hält er eben¬
falls für bedeutungsvoll, glaubt aber doch nicht, dass man durch
Kochsalzinfusionen und Flüssigkeitszufuhr per rectum und per os
in allen Fällen den Eintritt von Thrombose und Embolie verhüten
könne. Er redet das Wort der abdominellen Methode, und zwar
lässt er dabei einen kleinen Stiel der Vaginalportion zurück. Auch
die vaginale Totalexstirpation wendet er an, aber nur bei Myomen
bis Kindskopf grosse; dieselbe lässt sich auch bei schwer aus¬
gebluteten Patientinnen ausführen im Gegensatz zur Laparotomie.
Herr Klotz stimmt bei, dass das Liegen die Blutung bei
Myom kranken vermehre, während die Kräfte durch dasselbe ab¬
nehmen; es bringe deshalb eher Schaden, nicht Nutzen.
Herr M einert hebt hervor, dass er auch schwer Anämische
(bis zu 30 Proz. Hbgl. Fleisch 1) laparotomiert habe. Das sog.
„Myomherz“ würde ebensowohl bei schwer Bleichsüchtigen ge¬
funden.
Herr Klotz bestätigt den Wert der Flüssigkeitszufuhr für
die Prognose der Operationen.
Herr L e o p o 1 d ergänzt seine Ausführungen dahin, dass er
bei Anämischen stets individualisiere, also die Laparotomie eben¬
falls in einzelnen Fällen anwende.
Herr Peters entscheidet, über die Methode, ob vaginal, ob
HUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
29. Juli 1902.
MUENCHEN Elt MEDIC [NISC HE W O CHEN SCIIR I FT.
1281
abdomiiioll, im einzelnen Fall, auch je nach dem Sitze, nicht allein
nach der Grosse des Myoms.
Herr Meiner t betont nochmals, dass er die Blutung- nicht
allzusehr fürchte, wenn er den früheren Füllungszustand der Ge-
fässe wieder herzustellen Gelegenheit hat; die Hämoglobinarmut
entscheide nicht allein, ob operationsfähig oder nicht
Der Vorsitzende, Herr Schmorl, schlieret die’ Sitzung mit
einem kurzen statistischen Rückblick auf die abgelaufene
Sitzungsperiode.
Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offlcielles Protokoll.)
Sitzung vom 20. Mai 1902.
Vorsitzender : Herr E. F r a e n k e 1.
Schriftführer: Herr Molt recht.
(Schluss.)
1 r. Vortrag des Herrn C. lauenstein: Zur Frage der
Händedesinfektion. (Erscheint unter den Originalien dieser
Nummer.)
Diskussion: Herr J u s t fragt, ob man nicht in einer
Zwangslage, wie Herr Lauenstein sie geschildert habe
Gummihandschuhe verwenden solle.
Herr Procliownik: Der Gynäkologe ist, schon bei wenig
ausgedehnter Tätigkeit, noch mehr in Gefahr als der Chirurg, seine
Hände mit virulenten Keimen zu infizieren, hat man doch oft
Streptokokken aus Scheiden gezüchtet, an denen sich sonst nichts
nachweisen liess. Nun kann man aber nicht stets mit Hand¬
schuhen arbeiten, da durch dieselben auch die Hände sehr leiden,
sondern man kann sich höchstens nach jeder Untersuchung
waschen oder leicht desinfizieren. Die Hauptsache bleibt das
Sterilisieren der Hände vor der Operation, und da ist die Alil-
fel dsche Methode nahezu die beste, die wir besitzen. Nur em¬
pfiehlt, es sich, ihr noch die Waschung mit einem Desinfiziens
hinzuzufügen, welches individuell ausgewählt werden muss. Da
man nun aber wohl seine Hände so ziemlich keimfrei machen,
nicht aber längere Zeit keimfrei erhalten kann, so ist Schnelligkeit
bei der Operation die Hauptsache, sowie Vermeidung allzu inniger
Berührung des Operationsfeldes mit den Fingern.
Herr Bertelsmann: Die Prophylaxe sei sehr wichtig.
Bei Vaginal- und Rektaluntersuchungen, bei der Berührung von
Liter sei ein Gummifingerling überzuziehen. Auch bei grösseren
Operationen in infiziertem Gewebe sei das Tragen von Gummi¬
handschuhen theoretisch wünschens werth; jedoch sei der Ge¬
brauch derselben recht unbequem, Aveil die' Hände unter dem
Gummi warm würden und mazerierten; der Gummi selbst leicht
zerrisse.
Die Desinfektion der Hände erfolge im Allg. Krankenhaus
st. Georg seit 3 Jahren nach einer Methode, welche soAvohl die
mechanische Reinigung berücksichtige, Avie dafür sorge, dass das
angeAvandte Desinfiziens auf der Haut auch zur vollen Einwirkung
käme.
Nachdem die Hände und die Unterarme 2 — 3 Minuten lang
in heissem Wasser gewaschen sind, werden die Nägel etc. mit
geeigneten Instrumenten gereinigt, sodann wird 5 Minuten lang
vueder mit heissem Wasser und Seife gewaschen. Darauf folgt
eine Waschung mit Alkohol, worauf die Hände noch sorgfältig mit
Aether abgerieben werden. Dann erst wird Sublimat oder Lysol,
je nach Belieben des einzelnen, angewendet. Es sind mit dieser
Methode sehr gute praktische Resultate erzielt worden. Aller¬
dings dauert diese Desinfektion mindestens 10 Minuten.
,. -?Lerr P 1 <a u t h stimmt Herrn Lauenstein zu, wenn er
die Bürste bei der Händedesinfektion fortgelassen sehen will.
Durch die Bürste werden nur Keime in die Haut hineingebracht,
t. hat nach Krönig’s Angaben Leichenhaut mit Milzbrand in¬
fiziert, dann desinfiziert und Mäusen Stückchen unter die Haut
gebracht. Alle Tiere starben ,Avie auch Krönig gefunden hatte,
biess P. bei der Desinfektion nun die Bürste weg, so blieben die
Versuchstiere am Leben. Allerdings ist der Versuch nicht be¬
weisend, da auch die Kontrolltiere nicht starben, die Kultur also
wohl wenig virulent war.
r, fL aiiensteins Beobachtung beweist, dass der Alkohol die
Bakterien am Hinaufdringen in die oberflächlichen Hautschichten
verhindert, gleichzeitig zeigt er aber, welche Kraft das Peritoneum
ui- fl S1°?1 ein^edru eigener Keime zu entledigen. Absoluter
Alkohol desinfiziert übrigens schlechter als verdünnter. P. schlägt
zui lesinfektion der Hände atoi\ erst ein Desinfiziens anzuwenden,
dann erst die Waschung vorzunehmen, zuletzt Alkohol, um die
venne am Herauftreten aus der Tiefe zu verhindern,
p ,..T n.nas von Herrn Lauenstein erwähnte Versuche sind
1 • V11' <lie Desinfektionskraft des Alkohols nicht beweisend. Seiner
•vnsmht nach komme da hauptsächlich die mechanische Wirkung
des Abwaschens durch Alkohol zur Geltung.
Herr Wiesinger fügt Herrn Bertelsmanns Worten
loch hinzu, dass er selbst gar keine Bürste benutze. Nach Ein-
p 1Cler Hande in heissem Wasser reibe er sich mit sterilem
nano tuen die Haut stark ab, Avodurch die oberflächlichsten
npidermisscliichten entfernt Aviirdeu, dann folge Reinigung der
Nagel, dann Seife und Holzwolle, dann wieder Abreib im«- mit
aseptischem Handtuch, endlich Alkohol und Sublimat.
Herr Lauen stein (Schlusswort): Eine prinzipielle Er-
übeHonmf I ia^ ^ ei,' nicht anre^en wollen, da Avold niemand
überhaupt eine ablehnende Haltung einnähme. Jeder China-
ln de sich sein eigenes Verfahren heraus auf Grund seiner Er-
tahrung und seiner wissenschaftlichen Stellung. Es sei ihm ver¬
ständlich, dass Herr Wie Singer, sowie Herr Plauth eben¬
falls der scharfen mechanischen Bearbeitung der Hände abgcneigl
seien Die Bürste, im Beginn angewandt, sei sofort mit Schmutz
resp Bakterien beladen und reibe sie in die Haut hinein. Das
milde Einweichen und Seifen der Hände ohne schärfere mecha¬
nische Einwirkung befreie die Haut von Schädlichkeiten und
schone sie zugleich. Der schwierigste und Aviclitigste Punkt in
der Ausbildung des Pflegepersonals sei die Händereinigung. Die
A erantAvortung für den Verlauf der Operation liege immer auf
dem Operateur. Mit Herrn ProchoAvnic lc wolle er nicht dis¬
kutieren, welche Arbeit die „infektiösere“ sei. die gynäkologische
oder die chirurgische. Die Untersuchungen von D oe d e rl ei n
I* a u 1 und Sarwey seien ihm bekannt. Alilfelds For¬
schungen gründeten sich keineswegs auf das Reagensglas. A h 1 -
feld sei wohl der tüchtigste praktische „Desinfektor“, den wir
hatten. Herrn Just stimme er in Bezug auf die impermeablen
Handschuhe bei, vorausgesetzt, dass sie. Avie auch Herr Ber¬
telsmann fordere, aus haltbarem Material verfertigt seien.
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 29. M a i 1902.
Vorsitzender: Herr Stühmer.
Vor der Tagesordnung demonstriert Herr Reichard den
Kiemenganghautauswuchs, den er durch Operation des in voriger
Sitzung gezeigten Patienten geAvonnen hat.
Tagesordnung :
Herr Siedentopf: Mitteilungen über Tuben-
schwangerschaft.
Bevor S. über die von ihm in seiner Privatpraxis beobachte¬
ten Fälle von t.ubarer Gravidität berichtet, bespricht er den
heutigen Stand der ätiologischen und der anatomischen For¬
schung. Trotz des grossen Beobachtungsmaterials in den letz¬
ten Jahren ist die Frage der Aetiologie noch immer ungelöst.
V eder haben diejenigen überzeugen können, die in Verände¬
rungen der Tube die Ursache für den ektopischen Sitz des Eies
in allen Fällen suchten, noch die, welche Veränderungen des
Eies vor seinem Eintritt in das Cavum uteri als die causa
peccans ansehen. Nach Besprechung der von den einzelnen For¬
schern aufgestellten Theorien teilt S. die Beobachtungen bezüg¬
lich der Aetiologie mit, die er bei seinem Material machen konnte.
In einem Falle verlief die Tube in fast kreisförmiger Krüm¬
mung um eine ParoArarialcyste, ihr Lumen war durch die Ge¬
schwulst fest komprimiert, dort, wo die Kompression aufhörte,
unmittelbar vor der abdominalen Oeffnung sass das Ei. Das
Präparat wird demonstriert. In einem zweiten Falle bestand eine
doppelseitige Ovarialcyste, beide Cysten waren innig mit ihrer
Umgebung durch peritonitische Stränge verwachsen, so dass auch
die Tuben fest mit den Geschwülsten der Ovarien verklebt waren
und somit sowohl in ihrem Verlaufe Avie in der Entfaltung ihres
Lumens Modifikationen erlitten hatten. Nur in 2 Fällen fand S.
die Lube der anderen Seite so verändert, dass er eine vor dem
Eintritt der Gravidität bereits vorhandene Erkrankung annahm
und auch diese Tube mit entfernte, in den übrigen Fällen führte
er die entzündlichen Veränderungen der anderen Seite auf den
Reiz der Schwangerschaft zurück, exstirpierte die betreffenden
Organe nicht und beobachtete in keinem Falle, dass sich später
eine nachweisbare Adnexerkrankung entwickelte, sondern konnte
ein Zurückgehen der entzündlichen Veränderungen feststellen.
S. glaubt daher, dass in seinen Fällen die Gonorrhoe, die wohl
stets beide Adnexe befällt, wenn sie über den Uterus hinausgehe,
höchstens in 2 Fällen als ätiologisches Moment in Frage kommen
kann.
Die anatomische Forschung hat in den Arbeiten von Fü th,
A s c h o f f, Heinsius und Lange den Befund K ii h n e s
bestätigt, dass die Einbettung des Eies in der Tube nicht, wie
man früher allgemein annahm, in einer zur Dezidua gewordenen
Schleimhaut stattfindet, die dann mittels einer Reflexa das Ei
einscldiesst, sondern dass das mit einer aktiven vitalen Kraft
begabte Ei in die Tubemvand eindringt und sich dort zu seiner
Entwicklung einen Nährboden sucht. Dabei dringen die Zell¬
säulen der La nghans sehen Zellschicht tief in die Muskulatur
1282
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 30.
ein, drängen die Muskelbündel auseinander, eröffnen Blutgefässe
und können selbst den serösen Ueberzug der Tube zerstören. Sind
die anatomischen Vorgänge bei der Entwicklung des Eies in der
Tube dieser Art, so müssen wir unsere Anschauung von der Ent¬
stehung der meistens in den ersten Monaten eintretenden Ent¬
wicklungsstörungen wesentlich modifizieren. Die meisten For¬
scher waren bisher der Ueberzeugung, dass die Tubenwand kein
guter Nährboden für das Ei sei, es gehe aus Mangel an genügen¬
der Ernährung zu Grunde, die Tube versuche dann das tote Ei
auszustossen, dadurch komme es zur Ablösung desselben mit Blu¬
tungen. Das Blut finde entweder seinen Weg durch das Tuben¬
lumen und die abdominale Tubenöffnung in die Bauchhöhle und
bereite so dem Ei den Weg, welchen es bei dem tubaren Aboit
geht, oder aber, wenn dieser Weg durch Hindernisse verlegt sei,
sammle sich das Blut zwischen Tubenwand und Ei an und könne
durch Steigerung des intratubaren Druckes die I\ and zum Zer¬
reissen bringen, es komme zur Ruptur. Nach den neuesten und
jetzt doch schon vielfach bestätigten Forschungen müssen wir
jedoch annehmen, dass die Blutung aus arrodierten Gefässen der
primäre Vorgang ist, dadurch kommt es zur Ablösung- und zum
Absterben des Eies. Der Vorgang des Aborts wird dann derselbe
sein, wie eben geschildert. Die Ruptur dagegen kommt in erster
Binie nicht durch die Erhöhung des Druckes zu Stande, sondern
durch die von den fötalen Elementen herbeigeführte Zerstörung
der Tuben wand und diese kann a priori auch noch stattfinden,
nachdem das Ei abgestorben, ja selbst ausgestossen ist, wenn nur
noch Zottenreste in der Tubenwand zurückgeblieben sind.
Die Therapie steht nun vor der Frage, wie weit sie diesen
neuen Resultaten der anatomischen Forschung Rechnung zu
tragen hat. Soll sie in allen Fällen die konservative Behandlung
verlassen, da es sich doch niemals ausscliliessen lässt, dass noch
Zottenbestandteile in der Tubenwand zurückgeblieben sind, oder
kann sie wie bisher nach Ausbildung einer Ilämatocele oder eines
intraligamentären Hämatoms eine abwartende bleiben? S. glaubt,
dass auf Grund des grossen, von vielen gesammelten Beobach¬
tungsmaterials die heute fast allgemein gültige Therapie, die das
Ei, welches sich noch im Fruchthalter befindet, ob lebend oder
tot entfernt, die aber die solitäre und diffuse Ilämatocele und
das intraligamentäre Hämatom nur bei ganz besonderer In¬
dikation .angreift, gewöhnlich jedoch der Resorption überlässt,
auch jetzt noch voll und ganz ihre Berechtigung hat. Die kli¬
nische Beobachtung muss zeigen, ob nach diesen Ausgängen, die
wir bisher als einen Abschluss der I ubengravidität betrachteten,
doch noch Durchbrüche der Tubenwand durch zurückgebliebene
fötale Elemente mit Blutungen zu stände kommen können, dann
wird die abwartende Behandlung eventuell noch weiter einge¬
schränkt werden müssen.
S. hat nach den oben angeführten Grundsätzen die Fälle in
seiner Praxis behandelt und seit dem Jahre 1895 unter seinen
Privatkranken 15 wegen ektopischer Schwangerschaft operiert
und zwar in den beiden ersten Jahren keine,
1897 unter
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gvnäkologischen Krank
en 1 Fall
1898 „
381
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zusammen
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durchschnittlich
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yy
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10 mal sass das Ei in der Ampulle, 2 mal im Isthmus, 2 mal
im Fimbrienende; in einem Falle wurde wegen starker Druck¬
beschwerden eine Ilämatocele von der Vagina aus gespalten.
10 mal war die rechte Tube der Fruchtlialter, 5 mal die linke.
In 5 Fällen hatten dio Fat. noch nicht geboren
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Nur eine Patientin hat, soweit S. bekannt geworden ist,
wieder konzipiert und zwar 2 mal, die erste Gravidität erreichte
ihr normales Ende, die zweite führte zum Abort.
Entfernt wurde stets Frucht und Fruchthalter mittels La¬
parotomie. Die sonst von S. vielgeübte vaginale Operation ver¬
wirft er bei Extrauteringravidität vollständig und wendet sic
mit Erhaltung des Uterus nur noch bei frei beweglichen, höch¬
stens faustgrossen Ovarialcysten an.
Von den 15 operierten Kranken ist keine gestorben.
Diskussion: Herr Wegr a d: Hinsichtlich der Indikation
zur Exstirpation tubarer Fruchtsäcke stehe ich nicht auf so radi¬
kalem Standpunkte wie Herr S. Die Indikation zur Exstirpation
liegt in der Grösse des Fruchtsackes, was auch von klinischen
Autoritäten (Hegarsche Schule) mit Hecht betont worden ist.
Während vom ca. 4. Monat der Gravidität an der zunehmende
Gefässreichtum der Plazentarstelle und überhaupt die starke. Ent¬
wicklung der Gefässe bei der Ruptur eine Lebensgefahr bilden,
und bei der Operation eine exakte Blutstillung unmöglich werden
kann, also möglichst früh operiert werden muss, liegt in den ersten
Monaten der Tubarschwangerschaft die Indikation zur Operation
wesentlich anders. Erstens tritt in einer grossen Anzahl von
Tuba rschwangerschaf ten spontane Heilung durch Fruchtod und
nachfolgende Schrumpfung ein. andererseits ist vielfach die Blu¬
tung bei der Huptur gering, namentlich in den Fällen, wo der
Fruchtsack eine ausgedehnte Verklebung mit den Nachbarorganen
eingegangen ist, also gerade in den für die Operation schwierigen
Fällen, hier blutet es in einen durch Abkapselung und durch die
Ligamente prä formierten Haum. Ich möchte die Indikation zur
Operation so stellen: Bei grösserem Fruchtsack (ca. 4. Monat)
operiere ich sofort, in den ersten Monaten warte ich für gewöhn-
lieh ab, wenn der Fruchtsack intraligamentär sich entwickelt hat.
oder wenn durch starke Verwachsungen die Operation voraussicht¬
lich erschwert ist, die Blutung bei event. Ruptur aber jedenfalls
eine begrenzte bleibt. Ich operiere, wenn der Fruchtsnck relativ
beweglich, die Operation sich also technisch der einfachen
Salpingektomie anscliliesst. Die Gefahr einer malignen Degene¬
ration der Chorionzotten event. Entstehung eines Chorion¬
epithelioms, wie sie von Herrn S. betont wurde, kann bei ihrer
grossen Seltenheit keine strikte Indikation zur Exstirpation eines
geplatzten tubaren Fruchtsackes abgeben, zumal wenn durch Bil¬
dung einer intra peritonealen Ilämatocele auch die Blutung keine
Gefahr mehr involviert. Die Indikation zur Operation wird hier
wohl meist sich aus dem subjektiven Befinden der Tat. ergeben.
Herr T h o r n: Die Ausführungen des Herrn Siedentopf
gaben in Kürze einen IJeberblick über den augenblicklichen Stand
unseres Wissens in den wichtigeren Funkten auf dem Gebiet der
ektopischen Gravidität; sie gipfelten in einem Bericht
über 15 operierte Fälle, die wie das heutzutage gewöhnlich bei
frischen Fällen zu sein pflegt, ein gutes primäres Resultat auf¬
weisen.
I) en rraktilcer interessiert vorne li m 1 i c h hie r
die Frage: „Wann muss operiert werden und
w a n n d a r f in a n ab w a r t e n?“ Die Meinungen der Gynäko¬
logen gehen noch immer über diesen Funkt stark auseinandei
und schwanken fortwährend; es ist, zu hoffen, dass der nächste
Gynäkologenkongress, der sich mit diesem Thema zu befassen
haben wird, etwas mehr Uebereinstimmung und Festigkeit schafft.
Herr Siedentopf hat dafür plädiert, die Hämatocelen und
Hämatome im Prinzip in Hube zu lassen, er hat aber das exspek-
tativ behandelte Material nicht mitgeteilt und glaubt, darin dem
Beispiel der Mehrheit nachzuahmen. Er meint, dass man der
Fnsicherlieit der Diagnose wegen im allgemeinen die exspektativ
behandelten Fälle mit Recht ausser Acht gelassen habe und ausser
Acht lassen müsse; beides trifft in keiner Weise zu. Allerdings
ist das Verhältnis der operativ zu den exspektativ behandelten
Fällen bei den verschiedenen Operateuren ein ausserordentlich
verschiedenes, einzelne, wie z. B. Schwa r z, Iv ii stne r etc.,
wollen jeden Fall operieren: publiziert aber sind zumeist doch
auch die exspektativ behandelten Fälle, so gering manchmal ihre
Zahl gegenüber den operierten war. Das Material solcher Autoren,
die also prinzipiell bei allen Stadien der Extrauterinschwanger¬
schaft operieren und nur etwa das der Exspectatio überlassen,
was im Augenblick die Operation nicht vertragen würde —
man vergleiche z. B. das Material A. Martins — kann zur
Beantwortung der obigen, für den Praktiker so wichtigen
Frage nur bedingt herangezogen worden. Die aus der Literatur
geschöpften Statistiken, so namentlich auch die von Zweifel,
v. Sch renk und Schau ta gelieferten, sind so ziemlich wert¬
los und können absolut keinen genügenden Aufschluss über das
Verhältnis der exspektativen zur operativen Behandlung geben.
Ich habe schon auf der Naturforscherversammlung in W i e n
und später auf der in Düsseldorf bei meinen Bestrebungen,
die operative Therapie der ektopischen Gravidität einzuschränken
und zugleich die Diagnose und die Indikationen zu verfeinern,
Bestrebungen, die insbesondere auch J. Veit und Fehling
verfolgen, dafür plädiert, dass man zu Vergleichen nur das nach
einheitlichen Gesichtspunkten behandelte Material solcher Autoren,
die über erheblichere Zahlen verfügen, in seiner Gesamtheit heran¬
ziehen, auf Statistiken, aus der Literatur zusammengelesen, aber
ganz verzichten möge. Derlei Materialien besitzen wir jetzt genug,
um behaupten zu dürfen, dass ein sehr grosser Prozentsatz ek¬
topischer Graviditäten, wenn sie nur in Ruhe gelassen werden
und sich in guter TTeberwachung und Pflege befinden, spontan ohne
allen Nachteil ausheilt. Es wird die Aufgabe der Zukunft sein,
die Diagnose so zu verfeinern, dass man mit einiger Sicherheit
entscheiden lernt, welche Fälle sofort operiert, welche zunächst
exspektativ behandelt werden müssen; im Prinzip wird man aber
stets jeden Fall, wenn irgend angängig, in Krankenhausbehand¬
lung überführen, um gegen alle Eventualitäten gewappnet zu sein.
Für die älteren unter Ihnen, m. IT., sind diese Dinge ja nichts
Neues. Sie alle erinnern sich noch der Zeiten, wo die Hämatocelen
29. Juli 1902.
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
und Hamatome und speziell die klassische Form der llümatocele
retrouterma als Krankheiten sui generis einen breiten Kaum in der
Klinik und in den Lehrbüchern eiunalimen. Damals wurden alle
diese lalle exspektativ behandelt, nur wenn Verjauchung eintrat
wurde operiert. Wenn auch die alte G all ard sehe Lehre dass
alle diese Hamatocelen, peritubaren Hämatome etc. ausnahmslos
von tubaren Graviditäten herstammen, nicht völlig zu trifft so
sind doch gut 90 Proz. dieser Aetiologie. Wenn Sie nun die Un¬
summe von ektopischen Graviditäten übersehen, die seit J. Veits
mul W e r t h s bahnbrechenden Arbeiten operiert worden sind,’ so
könnten Sie leicht auf den Gedanken kommen, die Extrauterin¬
schwangerschaft sei heute um vieles häufiger, als früher Das
trifft aber nur in einem geringen Grade zu. So ist nicht zu
leugnen, dass in den grossen Zentren des Verkehrs nicht nur
absolut, sondern auch relativ häufiger ektopische Schwanger¬
schaften zur Beobachtung kommen, als in kleineren Städten und
auf dem Lande. Dass die Gonorrhoe hier von einer gewissen Be¬
deutung ist, halte ich für sehr wahrscheinlich und wenn man da¬
gegen einwendet, dass gerade die gonorrhoisch erkrankt gewesene
Tube die ungünstigsten Verhältnisse für die Einnistung des be¬
fruchteten Eies bieten müsse, so trifft das nicht zu; manche er
krankt gewesene Tube heilt völlig aus oder weist docli häufig ein¬
zelne gesunde Schleimhautpartien, die zur Einbettung geeignet
sind, auf. Dass Katarrhe, Abknickungen der Tube etc. nicht un¬
erlässliche Vorbedingungen der ektopischen Einnistung sind, ist
selbstverständlich, denn sie kommt vielleicht ebenso oft in schein¬
bar ganz gesunden Tuben vor; dass jene aber eine bestimmte Dis¬
position schaffen, scheint mir durch die so grossen Unterschiede
in der Frequenz, wie sie z. B. aus den Beobachtungen II e g a r s
füi Fieiburg, Alilfelds für Marburg auf der einen Seite, auf der
anderen Fe Illings für Basel und Halle a. S. und aus den
meinigen füi Hallen. S., Berlin und unsere Stadt hervorgehen
sehr glaubhaft gemacht. Dies nur nebenbei zur Aetiologie
der ektopischen Gravidität, von der wir auch heute
noch nichts Sicheres wissen, denn weder mit der supponierten
Eiirritation oder -erkrankung Kossmanns, noch mit dem iiber-
wanderden Ei.Sippels ist viel anzufangeu.
Die Frequenz der ektopischen Gravidität ist also zweifellos
in den Zentren des Verkehrs auch relativ höher und sie steigt hier
wie das ausser mir auch z. B. Fehling auf Grund seines Ma¬
teriales in Halle a. S. bewiesen hat. Aber diese ganze Zunahme
reicht doch bei weitem nicht aus, eine Erklärung für die Abuudanz
an Beobachtungen ektopischer Graviditäten in den letzten ly, De¬
zennien zu geben. Diese resultiert allein daraus, dass viele Gynä¬
kologen nicht die Trage stellten: „muss man operieren, sondern
kann man operieren“ und dass man den Werth sehen Satz
von der Gleichwertigkeit des extrauterin implantierten Ovulums
mit einer malignen Neubildung ohne Einschränkung anerkannte;
demgemäss operierten viele prinzipiell jeden Fall in jeglichem
Stadium. Die Reaktion dagegen, die hauptsächlich von J. v e i t,
Fehling und mir ausging, hatte anfangs einen schweren Stand;
allmählich aber hat sich doch die Ansicht wieder durchgerungen,
dass gewisse Stadien der ektopischen Gravidität, insonderheit die
Hamatocelen, in Ruhe gelassen werden sollen, weil sie den Beginn
einer Naturheilung darstellen, der ohne zwingende Not, wie Ver¬
eiterung, Verjauchung, Nachblutung etc., nicht unterbrochen wer¬
den darf.
Dieser Ausgang der ektopischen Gravidität, die Bildung einer
Hämatocele oder eines Hämatoms durch Abort oder Ruptur der
Tube, ist der bei weitem häufigste und für den Praktiker deshalb
auch wichtigste. Von 1U0 Extrauterinschwangerschaften kommen
höchstens 5 über den 3. Monat hinaus; der Beginn der Plazentar-
bildung bedeutet für die grosse Mehrzahl der extrauterin im¬
plantierten Eier den Tod. Ganz frühe Stadien werden ohne alle
Reaktion in der Tube resorbiert; dieser Vorgang ist wahrschein¬
lich ein weit häufigerer, als man gewöhnlich annimmt; praktisch
ist er von geringer Bedeutung. Steckt das Ei noch in der Tube,
einerlei ob lebend oder abgestorben, so ist die Operation indiziert!
Einzelne Autoren, wie v. Winckel, Hegar u. a., wollen bei
sehr jungem, abgestorbenen Ovulum und beim Fehlen bedrohlicher
Erscheinungen auch hier abwarten. Es ist ganz zweifellos, dass
auch viele solche Fälle spontan heilen, was man ja leicht bei
durch Morphium getöteten Eiern und bei Patienten, die auf die
vorgeschlagene Operation nicht eingingen, beobachten konnte.
Trotzdem ist es im Prinzip richtiger, bei Retention des ganzen
Eies oder beträchtlicher Teile desselben zu operieren, weil die
grosse Mehrzahl dieser Fälle, zumal dann, wenn die Plazentar-
mldung bereits begonnen hatte, nicht zur Ruhe kommen und mit
dauernden Beschwerden und Gefahren für die Trägerin verknüpft
smd. Ist das Ei dagegen mehr oder weniger vollkommen durch
Ruptur oder Abort ausgestossen worden und hat sich um die er¬
krankte Tube ein festerer Bluttumor gebildet, dessen Kruste
immer mehr erstarrt, so ist die Gefahr zunächst vorüber und
es muss abgewartet werden; sekundäre Rupturen der Blut¬
geschwulst durch neuerliche zentrale Blutungen, Vereiterung,
Verjauchung, Organisation, spätere Cystenbildung etc. sind nicht
so häufig und wenn sie eintreten, so ist es immer noch Zeit zum
Operieren. Bei bedrohlichen, akuten, andauernden oder mehr
subakuten, intermittierenden Blutungen in die freie Bauchhöhle,
wie sie namentlich der akuten Ruptur und andrerseits dem in¬
kompletten Abort eigen sind, soll sofort operiert werden, weil hier
der Ausgang ein zweifelhafter ist und die Hoffnung auf Bildung
1283
„i!l Tw fai?‘ Hamatoms oft getäuscht wird; eventuell muss
umr.rnn U‘Slüln v?r‘lusSehen- eventuell muss in loco operiert
, ! ^ soll jedes Ei, von dem man annehmen muss,
woivion wiu äen d\ M,°?iat gol;llla'1 wai‘> prinzipiell entfernt
w ndcii, weil die Plazentarbildung so häufig die spontane Aus¬
heilung unmöglich macht.
So wenig ich die Richtigkeit der Untersuchungen K ii li n e s
A s c h o f f s u. a. hinsichtlich der vitalen Energie des lebenden
Ovulums und speziell der geradezu deletären Wirkung der L a n g
bans sehen Zellschicht in der Tube bezweifle, so wenig bin ich
doch davon überzeugt, dass nach dem Fruchttod den retinierten
Ei teilen ein Weiterwuchern in die Umgebung mit destruierendem
Charakter möglich ist; sie können höchstens eine Weile weiter er-
nalirt werden. Nun hat man neuerlich gerade mit dieser an¬
geblich zerstörenden Eigenschaft des in der Tube implantierten
ja sogar des abgestorbenen Eies wieder die aktive Therapie recht!
fertigen und begründen wollen, meines Erachtens sehr mit Un-
lecht. Die Plazentarbildung an sich und die Retention von Pla¬
zentarteilen resp. des ganzen Ovulums in der Tube bedingen die
Gefahr, nicht aber das vermeintliche Weiterwachsen retinierter Ei¬
teile mit destruierender Tendenz. Die destruierende Eigenschaft
der lebenden Chorionzöttchen war ja übrigens von den sog, loch¬
förmigen Perforationen her, wo die Tubenwand gleichsam wie mit
einem Locheisen durch ein durchgewachsenes Zöttchen durch¬
stanzt war, bekannt. Einen wesentlichen Einfluss auf die The¬
rapie im Sinne grösserer Aktivität werden meines Erachtens jene
Arbeiten Kühnes u. a. nicht ausüben dürfen und ich kann des¬
halb den Standpunkt Krönigs, den er auf der Naturforscher-
Versammlung in II a, m b u r g einnahm und der gerade auf Grund
jener Arbeiten auf ein möglichst aktives Vorgehen hinzielte durch¬
aus nicht teilen.
Zweifel, der mit zuerst die operative Therapie der Hämato-
celen durch seine Elytrotomie inaugurierte und der vortreffliche
operative Erfolge auch auf dem Gebiet der Extrauterinschwanger¬
schaft aufzuweisen hat, rechne ich es hoch an, dass er sein
giosses Material zu ausgedehnten und völlig einwandfreien Ver¬
suchen mit der exspektativen Therapie hergab. K. v. Scanzoni
hat darüber ausführlich berichtet und wiederum den Beweis er¬
bracht, dass eine sehr grosse Zahl aller ektopischen Graviditäten
spontan heilt und dass auch den vielfach zur Motivierung der
operativen Therapie ins Feld geführten Nachkrankheiten der
Spontanheilung keineswegs die Wichtigkeit beizumessen ist,
welche viele Gynäkologen sehen wollten. Es scheint nun schwer
verständlich, wie das gleiche Material von K r ö n i g zur Em¬
pfehlung der operativen, von v. Scanzoni dagegen zu einer
Verteidigung der exspektativen Therapie benutzt werden konnte,
lin Grunde stützt sich auch K röni g mehr auf das Material
Prochownik s, das auffällig nicht nur gegen das von Feh¬
ling und mir gelieferte Material, sondern auch gegen das
Zweifel sehe kontrastiert. H a in bürg hat bezüglich der
Gonorrhoe wohl ganz besonders ungünstige Verhältnisse und es
ist natürlich für die Spontanheilung nicht gleichgültig, ob ein
Material ektopischer Graviditäten viel durch vorausgegangene
oder noch bestehende Adnexerkrankungen kompliziert ist oder
nicht.
Aber selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen
könnte, dass die guten primären operativen Erfolge in der
Klinik das Prinzip, alle Phasen der ektopischen Gravidität so¬
fort zu operieren, rechtfertigten, so liegen doch in der Praxis
die Dinge völlig anders und zu guter Letzt soll doch die Klinik
nur diejenigen Maximen aufstellen, nach denen auch in der
Praxis gehandelt werden kann. Der Praktiker kommt höchst
selten zu einem lebenden ektopischen Ei, zumeist kommt er nach
der Katastrophe oder gar erst, wenn das Hämatom sich bereits
gebildet hat. Liegt der letztere Fall vor, kommt der Arzt zu
einem Fall, wo Anamnese und augenblicklicher Status auf innere
Blutung, von einem extrauterinen Ovulum voraussichtlich her¬
rührend, schliessen lassen, so muss er mit allergrösster Vorsicht
intern explorieren. Findet er dann hinter oder neben oder auch
vor dem Uterus einen Tumor von den bekannten Qualitäten eines
Hämatoms und ergibt sich bei weiterer Beobachtung, dass die
Blutung steht, so ist im allgemeinen keine Gefahr im Verzug und
Eile nicht dringend. Das zu wissen, ist für den Praktiker sehr
wichtig, wenn die äusseren Verhältnisse einen Transport un¬
möglich resp. wegen Gefahr erneuter Blutung nicht ratsam
machen. In kurzer Zeit erstarrt das Hämatom und auch die
Kranke erholt sich von der akuten Anämie so, dass die Ueber-
führung in eine Krankenanstalt, die stets zu empfehlen ist, ohne
Besorgnis bewirkt werden kann. Ganz anders bei noch andauern¬
der oder attackenweise unter wehenartigen Schmerzen wieder
auftretender innerer Blutung; hier tut baldigste Hilfe not, einerlei
ob man einen Tumor nachweisen kann oder nicht; hier ist ent¬
weder das Ei noch nicht eliminiert oder es blutet trotz totaler
oder partieller Elimination weiter; je nach dem Zustande der
Kranken und je nach den äusseren Verhältnissen ist dann der
Transport zu wagen oder es muss an Ort und Stelle operiert
werden.
So sehr aber dem Praktiker die grösste Vorsicht und Auf¬
merksamkeit bei der Behandlung dieser Ausgänge der Extrauterin¬
schwangerschaft anzuraten ist, so darf man ihm doch zur Be¬
ruhigung in ungünstiger äusserer Situation sagen, dass der akute
Verblutungstod bei der ektopischen Gravidität der ersten Monate
1284
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
ein relativ seltenes Ereignis ist, dass die Gefahr durch das. 'Viel¬
operieren überhaupt grösser erscheint, als sie in \\ irklichkeit ist,
und dass man den Ausgang mit Bildung einer Blutgescliwulst mit
vollem Recht als den Beginn einer Naturheilung ansehen darf. ^
Ich bin eben dabei, zur Verteidigung der exspektativen The¬
rapie auf verschiedene neuere Arbeiten zu antworten und habe
bei der dazu nötigen neuerlichen Durchsicht meines Materiales
meine früheren Erfahrungen nur durchaus bestätigt gefunden.
Von über 200 Fällen habe ich nur ca. 70 operieren müssen. Wenn
man immer wieder Einwendungen und Zweifel bezüglich der
Richtigkeit der Diagnose der nichtoperierten Fälle erhebt, so hat
das eigentlich etwas Beschämendes, dass man die Kunst des er¬
fahrenen Gynäkologen so niedrig bewertet; zweifelhafte Falle
lassen sicli zudem doch stets durch eine Punktion vom Scheiden-
gewölbe aus aufklären. Die Probekürettage ist als unsicher und
gefährlich zu diesem Zweck zu widerraten, aber auch \on dei
Punktion darf nur unter grössten Kautelen eine geübte Hand
Gebrauch machen; es sind das also Encheiresen, die. man füi die
Praxis nicht empfehlen darf. Wenn es nun Fehling und mit
gelang, in über 00 Proz. der Fälle das exspektative Verfahren,
ohne eine einzige Kranke zu verlieren, durchzuführen, wenn \\ eitel
diese Erfahrungen durch Versuche an anderen grösseren Kli¬
niken, so neuerdings der Leipziger, auch der K ö n i g s -
berger, ihre Bestätigung fanden, so wird die Berechtigung des
Standpunkts, prinzipiell die ektopische Gravidität in allen Sta-
dien zu operieren, auch für die klinische Therapie tiotz allei
günstigen primären Erfolge hinfort nicht mehr anerkannt werden
können. Alle Gründe, welche man sonst noch gegen die ex¬
spektative Behandlung angeführt hat, wie die längere Heilungs¬
dauer, die Nachkrankheiten etc., sind hinfällig; man kann es einer
Hämatocele nicht von vornherein ansehen, wie lange Zeit zur Re¬
sorption vergehen wird, und ebensowenig lassen sich Nachkrank¬
heiten bei einer sonst Gesunden voraussehen. Es ist zu
hoffen, dass das Vieloperieren auf diesem Gebiete die nötige Ein¬
schränkung erfährt, zumal der scheinbar unschuldigere vaginale
Weg vielfach versagt und zu sehr radikalen Operationen (Ent¬
fernung des gesunden Uterus etc.) gezwungen hat. Die Laparo¬
tomie aber, die also für die grosse Mehrzahl der 1 alle v on
ektopischer Gravidität notwendig ist, hat in ihren Konsequenzen,
so gut die primären Erfolge sein mögen, so viel Bedenkliches,
dass man sie da unterlassen resp. aufschieben wird, wo das ohne
Risiko geschehen kann, und das ist bei den meisten peritubaren
Hämatomen, Ligamenthämatomen und Hämatocelen der Fall.
Hat man den Fall in der Klinik, so kann man alle weiteren Even¬
tualitäten (der neuerlichen Blutung, der Verjauchung etc.) mit
Ruhe entgegensehen und stets rechtzeitig intervenieren, kommt es
aber in angemessener Zeit nicht zur Resorption, fehlen jedoch
alle bedrohlichen Erscheinungen, so steht der Kranken allein die
Entscheidung zu, ob sie operiert werden soll; der Aizt hat heut¬
zutage, wo auch für den Aermsten eine gute Krankenhauspflege
erwirkt werden kann, jedenfalls nicht das Recht, lediglich aus
Rücksicht auf die soziale Lage und möglichste Sparsamkeit einer
solchen Kranken die Laparotomie als ein unabwendbares M u s s
hinzustellen. .
Herr Siedentopf entgegnet Herrn W egr a d, der in den
ersten Monaten nur bei lebender Frucht operieren will, dass dieser
Standpunkt wohl allgemein verlassen sei. Zunächst sei es sehr
schwer, mit Sicherheit den Tod der Frucht festzustellen, da ja die
uterine Blutung kein zuverlässiges Symptom dafür sei, und sodann
habe ja F. ausgeführt, dass die Gefahr der Ruptur mit dem Tode
der Frucht nicht aufhöre, sondern vielmehr mit der bei der Aus-
stossung der toten Frucht eintretenden Blutung erst ihren Höhe¬
punkt erreiche. Die Fälle, in denen wir in den ersten Monaten
noch eine lebende Frucht bei unseren Operationen vorfinden, ge¬
hören zu den grössten Seltenheiten, die Rupturen, welche wir je¬
doch zu dieser Zeit beobachten, sind recht zahlreich. Sch a u t a
stellte aus der Literatur 626 Fälle von Extrauteringravidität zu¬
sammen mit einer Gesamtmortalität von 41 Proz. ln 241 Fällen
wurde nicht operiert und die Mortalität betrug GS Proz., in 385
Fällen wurde operiert und die Mortalität betrug 23,6 Proz. Es
ist mithin falsch, bei der geringen Gefahr, die heute der operative
Eingriff bei einem noch in der Tube legenden Ei in sich birgt, ab¬
zuwarten, ob eine Ruptur eintritt oder nicht. Der Ausspruch
W e r t h s, dass jeder ektopische Fruchtsack der ersten Monate
wie eine bösartige Geschwulst zu behandeln sei und ohne Rück¬
sicht: auf das Leben der Frucht entfernt werden müsse, besteht
auch heute noch zu Recht.
Herrn T li o r n gibt S. zu, dass es in vielen Fällen leicht sei,
zumal wenn man die Punktionsnadel zu Hilfe nehme, eine Hämato¬
cele oder ein Hämatom zu diagnostizieren, da man aber bei den
solitären Hämatocelen um das abdominale Tubenostium herum
dieses Hilfsmittel nicht anwenden könne und, da in diesen Fällen
diagnostische Irrtümer sehr häufig Vorkommen, so müsse eine
ganz strenge Statistik nur die Fälle als Extrauteringravidität auf¬
zählen, in denen die Operation oder die Sektion die Diagnose be¬
stätigt hat.
Herr H i 1 g’ e r erstattet Bericht über Studien, welche er
in Gemeinschaft mit van der B r i e 1 e auf der chirurgischen
Station der Krankenanstalt Sudenburg (Oberarzt Dr. Habs)
über die Nachempfindung-en nach Amputationen gemacht hat.
Vorir. versteht darunter die nach der Amputation fortbestehende
Empfindung des Patienten, die amputierte Extremität noch in
takt zu haben. — Während man bisher wohl allgemein diese Nach-
emphndungen auf Reizungen zurückgeführt hat, welche von den
abgeschnittenen Nervenstümpfen ausgehen und nach dem Gesetze
der spezifischen Sinnesenergie von dem Patienten falsch projiziert
werden, fanden die Beobachter, dass bei einer Anzahl von Patien¬
ten keinerlei Reizerscheinungen seitens der Nervenstümpfe be¬
standen und doch die Nachempfindungen deutlich hervortraten.
Die Patienten gaben an, ihre fehlende Extremität als völlig ge¬
sunden. normalen Körperteil zu empfinden, z. B. gab ein Patient
an, dass sich sein fehlender I uss nur dadurch von dem gesunden
Fuss der andern Seite unterscheide, dass er sich „molliger“ an-
fühle, weil er „unbekleidet“ sei. In solchen Fällen ist doch die
Annahme eines Reizzustandes gänzlich auszuschliessen. Ein
Patient, welcher wegen mangelhafter Stumpfbildung an quä¬
lenden Schmerzen litt, wurde reamputiert. Er hatte nach der
Reamputation die Empfindung des alten Stumpfes mit seinen
Schmerzen noch so lebhaft, dass er vor dem Verbandwechsel zu¬
nächst bezweifelte, dass überhaupt eine Operation bei ihm vor¬
genommen sei. Es wurden noch mehrere Fälle beobachtet, wo
Schmerzen, welche vor der Amputation von dem Patienten em¬
pfunden waren, nach der Amputation noch genau ebenso lästig
und unangenehm perzipiert wurden. Die Beobachter geben fol
gende Erklärung: Bei jedem Menschen erzeugt der Reiz (Tast-,
Druck-, Wärme-, etc., eventuell Schmerzempfindung), den die
Extremität in dem Lebensabschnitt vor der Amputation auf die
Grosshirnrinde ausübt, dort ein Erinnerungsbild, welches auch
nach der Amputation fortlebt und bei seiner grossen Intensität
dann als Empfindung perzipiert wird. Diese Täuschung kann
wohl nicht anders wie als Halluzination bezeichnet werden, deren
Vorkommen bei geistig durchaus normalen, im vollen Wach¬
zustände befindlichen Menschen hohes theoretisches und prak¬
tisches Interesse hat. — Werden am Amputationsstumpfe die
Nervenstämme (mechanisch oder faradisch) gereizt, so empfindet
der Patient in manchen Fällen diesen Reiz in der fehlenden Ex¬
tremität. In anderen Fällen wird der künstliche Reiz richtig in
den Stumpf lokalisiert; letzteres kommt namentlich vor, wenn
seit der Amputation eine längere Zeit verflossen ist. Die
Psyche des Patienten verhält sich verschieden zu den Halluzina¬
tionen. In manchen Fällen klagen die Patienten über das Be¬
fremdende dieser Nachempfindungen, können dieselben aber nicht
ignorieren. In einem Falle dagegen verschwand die Nachempfin¬
dung sofort, als Pat. sich beim ersten V erbandweehsel iibeizeugtr,
dass er das Opfer einer Täuschung gewesen sei. — Vortragender
beleuchtet die Tragweite dieser Beobachtungen für die Beur¬
teilung der traumatischen Neurose, des halluzinatorisch fort¬
bestehenden, ursprünglich organisch bedingten Schmerzes und
namentlich für die Beurteilung der Heilung solcher Zustände.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass diese Zustände nicht
durch eine somatische, sondern nur durch eine psychische The¬
rapie (Aufklärung über den Sachverhalt event. Suggestion) ge¬
heilt werden können.
Der Vortrag wird in extenso in der „Deutschen Zeitschrift
für Chirurgie“ veröffentlicht werden. — Es wird beabsichtigt,
I m torsm-lmmren fortzusetzen.
Unterelsässischer Aerzteverein.
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o m 21. J uni 1902.
Herr Naunyn: Nachruf für Kussmaul.
Vortragender beleuchtet in seinen Ausführungen besonders
die Wirkung des berühmten Strassburger Klinikers auf seine
Umgebung, wie sie nur aus einem Eingehen auf die Eigenart der
Persönlichkeit K ussniauls ganz verständlich wird. Was K.
heraushob aus der Schaar seiner Fachgenossen war, das er es vor¬
zog, mit Leib und Seele Arzt zu sein, statt die Führung an der
Spitze der medizinischen Welt zu nehmen. Auf den Gebieten der
Ophthalmologie, der Neurologie, der Gynäkologie war Iv. nicht
weniger zu Hause, wie auf seinem eigendsten, der inneren Medi-
zin. Unvergängliche Meisterwerke zeugen davon. Ueberall aber,
in seinen Lehren, sei’s im Hörsaal, sei’s am Krankenbett, sei s
in den zahlreichen Forschungsergebnissen sehen wir K. stolz sich
in erster Linie als Arzt fühlen. Aber er gehörte zu den gott¬
begnadeten Aerzten, die der Diagnostik, der Symptomatologie
29. Juli 1902.
MHENOIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
das gleiche Interesse, die gleiche Meisterschaft eu tgegenbrach teil ,
wie der Therapie. Und in gleicher Weise hat er befruchtend ge¬
wirkt auf allen Gebieten seiner Tätigkeit. Man gedenke nur
seiner Arbeiten über die Thoracocenthese, über das Coma dia-
beticum, die Behandlung der Gastrektasie mit der Magenpumpe,
und der zahlreichen Arbeiten, wie sie Heiner vollzählig zu-
sammenstellte. Vor allem aber war Iv. ein Meister in der Kran¬
kenbeobachtung und tonangebend in der Kasuistik, wie sie heute
zu der gründlichen Kenntnis der schwierigsten Svmptomen-
komplexe geführt hat, ohne welche der Kliniker zum vollen
Können nicht gelangt. „K u s s m a u 1 s kasuistische Arbeiten
sind mustergültig, gehaltreich, klar und zuverlässig, wie er
selber !“ Ohne je im geringsten die Bedeutung der Anatomie und
Physiologie für die Erkenntnis des Krankheitsbildes zu ver¬
kennen, in bewundernswerter Beherrschung der Literatur des In-
und Auslandes hisst er die Entscheidung über den Einzelfall
iininei dem Fazit der Krankenbeobachtung'. Er, wie kein anderer
lieferte den glänzenden Beweis, dass mit höchstem Erfolg der
hochstehende Kliniker zugleich auch der beste Arzt sein kann.
Herr Paul Asch spricht über : Die cystoskopische Dia¬
gnose der Blasengonorrhoe. Nachdem er die Cystoskopie bei
der akuten Blasengonorrhoe für unstatthaft erklärt, weist er auf
deren Bedeutung für die Diagnose der chronischen Blasen-
gonoiihoe hin, die oft jahrelang nach dem akuten Tripper auf-
tictend, bei oft fehlendem Ai ach weis der Gonokokken nur durch
das Cystoskop nachweisbar ist. Zwei mitgeteilte Beobachtungen
dienen zur Illustration dieser Tatsache. Charakteristisch sind
die inselförmigen Entzündungszonen, wie sie hier und in den
Beobachtungen von N i t z e, Kolischer, Kutner u. a.
festgestellt wurden. Bei der Blasentuberkulose ergibt die Cysto¬
skopie statt ihrer lokalisierte Blutextravasate resp. Geschwüre.
Auch der Erfolg der Arg. nitricum-Spülungen, welche den In¬
stillationen vorzuziehen sind, spricht gegen die Diagnose der
Blasentuberkulose.
Herr W o 1 f f demonstriert verschiedene Arten der Alopezie
im Kindelalter.
Herr Albert Brian zeigt sehr interessante Verkleinerungen
von Radiogrammen; z. P,. von einseitiger Zwerchfellslähmung bei
traumatischer Lähmung der 0. Zervikalwurzel — Typus Erb-
Klump ke — , von Pleuraschwarten, Pyopneumothorax, Lungen-
plithise, Steinhauerlunge. Bedeutungsvoll für die Erklärung von
Anomalien des. Herz-Sternum-Schattens sind Radiogramme von
1 enkarditis, idiopathischer Herzhypertrophie, Aortenaneurysmen,
suhstemaler Struma, beginnender Senkungsabszesse bei Spon¬
dylitis dorsalis. Daran reihen sich Bilder von Coxa vara, kon¬
genitaler Hüftgelenksluxation. Spontanfraktur des Oberschenkels
Jj'Ä -Gibes dorsalis, einer Schraube in der Regio ileo-öoecalis eines
-jährigen Kindes. Zum Schluss demonstriert er Bilder von
Gallensteinen, welche am Lebenden mittels der Albers-
S c li ö n b e r g sehen Blende erzielt wurden.
Herr Kien spricht über: Die paroxysmale Tachykardie.
Vortragender konnte auf Grund seiner Erfahrungen in
seinen Fällen nur eine Neurose des Vagus auf neurasthenischem
Boden (D e b o v e) oder das Aequi valent eines epileptischen An¬
falles im tachykarditischen Anfall zur Erklärung der Aetiologie
gelten lassen (T a 1 a m o n und Leeorche). Von Digitalis¬
behandlung kann hier keine Rede sein, eine Herz- oder Gefäss-
läsion besteht nicht, die Therapie muss der Verwandtschaft des
Krankheitsprozesses mit der Neurasthenie resp. Epilepsie Rech¬
nung tragen.
1285
Aus den englischen medicinischen Gesellschaften.
Royal Medical and Chirurgical Society.
Sitzung V o m 27. M a i u n d 10. .7 u n i 1902.
Lepra.
J. Ton k in sprach über die Entstehungsweise der Lepra
"" ►Sudan, wobei er namentlich auf die Uebertragung des Leidens
mircli gebrauchte Kleidungsstücke hinwies. Die ärmeren Klassen
dort nehmen und gebrauchen Zeug von notorischen Lepra kranken
last ohne alle Vorsichtsmassregelu. Diese Bekleidungsstücke be¬
stellen oft nur aus einem einfachen Lendentuch, das bei Tag und
j getragen wird, und da die Eingeborenen meist auf sehr
i.iiter Unterlage schlafen, so kann sehr leicht ein Eindrücken in-
tektioser Stoffe in etwaige Erosionen stattfinden. Nament¬
lich sieht man oft im Sudan den ersten Anfang des Leidens an
den durch die knöcherne Unterlage prominenteren Teilen. Dabei
kommt hinzu ein Manko in Bezug auf stickstoffhaltige Nahrung,
sowie eine geringere Vitalität der peripheren Gewebe,, wie dies
hei tropischen Völkern die Regel ist, und die ihrerseits zu der
(z B. bei den Hindus so häutigen) grossen Neigung zur Geselnvürs-
bildung bei geringfügigen Verletzungen führt.
.7. Hutchinson sen. sprach über seine Beobachtungen
i V !’ me,r g"te“ Hoftmiu- lmd i» Natal und begründete seine
bekannte Theorie dass die Verwendung von Fischen als Nahrungs¬
mittel eine Hauptrolle m der Aetiologie der Lepra spiele Er unter-
rin-me I- ‘Vw*-1', ,ZWei ,Arteu der Entstehung der Lepra, einmal
dnedvt die Entwicklung des Leidens de novo durch dieses Nalirungs-
nnttel und zweitens die „kommensale Uebertragung“ durch Genuss
von gesalzenen Fischen, welche durch Lepröse durch Berührung
bazillär infiziert seien. In der Kapkolonie glaubt er die erstere,
direkte Entstehung nachgewiesen zu haben, im Natalgebiet sei die
zweite Entstehungsart wohl anzunehmen.
G. A. Ha n sen- Bergen erklärt Lepra klipp und klar für ein
kontagioses Leiden. In Norwegen wird heutzutage ebensoviel
I' ischnahrung verzehrt wie jemals, und doch ist die Krankheit in
der Abnahme begriffen. Dies sei auf die zwangsweise Durch
fuhrung der Isolierung zurückzuführen. Die Zahl der Kranken
sei auf ein I iinftel des früheren Bestandes zurückgegangen.
G. Th in weist auf einen in Dublin vorgekommenen Fall
hin. Der Patient war offenbar von seinem Bruder, der die Krank¬
heit hi Westindien akquiriert hatte, infolge engsten Zusammen¬
lebens mit ihm infiziert worden. Ausser diesem Fall führte er
noch verschiedene analoge Beobachtungen an. Die Nahrung spricht
sehr wenig mit. T. hat vergeblich versucht, durch stickstoffreiche
Nahrung eine Besserung des Leidens zu erzielen.
H a n s e n glaubt, dass die Infektion in der Regel durch die
Haut hindurch stattfindet.
!’• V a n s o n erkennt auch die Ivontagiositiit an.
V . R. Iv ynse y berichtet, dass getrocknete Fische in enor¬
men Mengen auf Ceylon gegessen werden, dass aber Lepra dort
fast unbekannt sei. An der Küste komme die Affekt ion häufiger
vor. In manchen Fällen scheine das Impfen mit der Lepra in
Beziehung zu stehen. Vielleicht gehen die Bazillen auch in die
Milch über.
Hansen: Für diese beiden letzten Vermutungen findet man
in Norwegen durchaus keine Bestätigung.
L. Brunto n weist auf U n n a s Beobachtung hin, dass eine
Verminderung der Alkaleszenz des Blutes der Ausbreitung der
leprösen Geschwüre entgegen wirkt. Es sei demnach möglich, dass
die Fischnahrung die Entstehung der Krankheit fördere, da sie
weniger N-lialtig sei oder weil sie vielleicht Substanzen enthalte
(wie das Trimethylamin der Heringslake), welche das Wachsen der
Bazillen begünstigen.
G. A. Heron hat als Mitglied eines Untersuchungskomites
in Indien gefunden, dass die meisten dortigen Patienten niemals
Fische gegessen hatten. Philippi-Bad Salzschlirf.
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Bayerischer Landtag.
Das Plenum der Abgeordnetenkammer hat den Kultusetat,
soweit er die Landesuniversitäten betrifft, durchberaten und ohne
wesentliche Debatte folgende von der Regierung gestellten Neu¬
forderungen für je ein Etatsjahr bewilligt.
a) Bei der Universität München:
Für die Polikliniken im Reisingerianum: im ordentlichen
Etat GS00 M., im ausserordentlichen Etat pro Jahr 4400 M.; zur
Erhöhung des Realetats des hygienischen Instituts 3000 M.; für
physiologische Kurse infolge der neuen Prüfungsordnung, im ausser¬
ordentlichen Etat 3000 M.; zur Erhöhung des Realetats des patho¬
logischen Instituts 3000 M. ; zur Erhöhung des Realetats für die
otiatrische Klinik 3000 M.; zur Erhöhung des Realetats der Ana¬
tomie 2000 M. ; zur Gewährung des Gehalts eines ausserordent¬
lichen Professors an den Leiter der pädiatrischen Poliklinik
2400 M. ; für Vorlesungen über gewerbliche Hygiene 1200 M. ; zur
Erhöhung des Realetats der Frauenklinik 7 500 M.
Ferner für Errichtung einer Irrenklinik an der Universität
München 1200 000 M. als erste Rate, der noch eine weitere von
300 000 bis 400 000 M. für den Bau selbst, die innere Einrichtung
und die wissenschaftlichen Apparate in der nächsten Session folgen
wird.
b) Bei der Universität W ii r z b u r g:
Zur Erhöhung der Realexigenz des hygienischen Institutes
1000 51.; zur Erhöhung der Realexigenz des pathologischen In¬
stitutes 500 51. : für die Augenklinik: a) zur Erhöhung der Real¬
exigenz 14 000 M. ; b) Anstellung eines Heizers 1020 51.; zur Auf¬
stellung eines weiteren Assistenten an der chirurgischen Klinik
G50 51.; zur Aufstellung eines weiteren Assistenten an der medi¬
zinischen Klinik 650 51.; zur Erhöhung des Realetats der otiatri-
selien Klinik 1000 51.; zur elektrischen Ausstattung des physio¬
logischen Instituts durch Anschluss an die städtische Elektrizitäts¬
anlage, im ausserordentlichen Etat 4600 51.; zur Vorbereitung eines
Neubauprojektes für die Kliniken im Juliusspital, im ausserordent¬
lichen Etat 5000 M.
(Die Entwicklung der schwierigen rechtlichen Verhältnisse —
siehe 1902, No. 15 — , die Frage des Bauplatzes und der künftigen
Organisation der Kliniken, speziell auch die Errichtung von Doppel¬
kliniken, werden durch diese Beschlussfassung nicht berührt.)
No. 30.
12S6
MUEN CIIENER MEDIC1N1SCIIE WOCHENSCHRIFT.
c) Bei <1 e r Universit ä t Erlange n:
Zur Erhöhung des Realetats für das Krankenhaus 4010 M.;
für einen dritten Assistenten bei der medizinischen Klinik 1080 M.;
y.uv Erhöhung des Realetats für die Frauenklinik 12 000 M.; zur
Erhöhung des Realetats für das anatomische Institut 500 M.; zur
Erhöhung des Realetats für die chirurgische Klinik 15 800 M.; für
einen Assistenten bei der Chirurg. Klinik 1500 M.; zur Umwand¬
lung einer ausserordentl. Professur (für Hygiene) in der medizin.
Fakultät in eine ordentliche Professur 1380 M. ; für die psych¬
iatrische Klinik: a) zur Trennung der Professur für Psychiatrie
von der Stelle des Oberarztes an der Kreisirrenanstalt 3000 M.,
b) für einen Assistenten 1140 M.. c) für sachliche Bedürfnisse
500 M. Für einen Aufzug in der Frauenklinik 10 000 M.: für An¬
schluss der ITuiversität Erlangen an das städtische Elektrizitäts¬
werk 14 850 M. Ferner zum Neubau eines pathologischen Institutes
323 000 M. und zur Adaptur der alten Anatomie für Zwecke des
physiologischen Institutes 30 000 M.
Für die laufende Session steht noch ein grösseres Projekt
aus, der Neuhau der Augenklinik, des Iteisiugerianums und der
Anatomie in München. Im Finanzausschüsse wurden bis jetzt
nur die Missstände in diesen drei Instituten besprochen und an¬
erkannt. ein definitiver Beschluss aber noch nicht gefasst. AI it
dem Neubau einer Anatomie müsste jedenfalls auch die Errichtung
eines gerichtlich - medizinischen Institutes ver¬
bunden werden. Nach der neuen Prüfungsordnung muss jeder
Mediziner eine Vorlesung über gerichtliche Medizin hören, während
der Vorbereitung zur Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst
sollen theoretische und praktische Kurse gehalten werden: es
müssten daher auch die nötigen Räume und Unterrichtsmaterialien
beschafft werden, um den künftigen Aerzten. insbesondere den
Amtsärzten, die unbedingt notwendige praktische Ausbildung in
weiterem Umfange als bisher ermöglichen zu können.
lieber die Zwangspensionierung von Professoren, Lehrern und
Leitern von Anstalten wurden im Plenum keine neuen Gesichts¬
punkte mehr vorgebracht. Auch der Streit, ob die humanistische
oder realistische Vorbildung vorzuziehen sei, führte' zu keiner
Einigung; die erweiterte Zulassung der Frauen zum akademischen
Studium wurde von den Abgeordneten Dr. Casselmann und
Dr. Siben warm befürwortet.
Der Abgeordnete v. Land mann nahm, wie schon in früheren
■Jahren. Stellung gegen die Vivisektion und stützte sieh zum
Teil auf eine Petition des „Vereins gegen Vivisektion und sonstige
Tierquälerei“, die, wie aus Abgeordnetenkreisen bemerkt wurde,
absichtliche Entstellung von Tatsachen enthält und als ein Pam¬
phlet sich darstellt. Dass eventuelle Missbrauche des Tierexperi¬
ments von den Aerzten selbst entschieden missbilligt und ver¬
urteilt. werden, ist ebenso bekannt, wie dass in Bayern und gerade
in München die von der Staatsregierung erlassenen Vorschriften
auf das Allerpeinlichste und Gewissenhafteste eingehalten werden.
Auch dem Kultusminister war etwas Gegenteiliges nicht bekannt.
Uebrigens sollen die Fakultäten über die in der Petition be¬
haupteten Tatsachen einvernommen werden; bis zum Abschluss
dieser Erhebungen unterbleibt nach Beschluss des Petitionsaus¬
schusses eine Erörterung im Plenum. Während der Kultusminister
der Ansicht war, dass Vivisektionen zum Zwecke von Demonstra¬
tionen unnötige Tierquälereien wären und solche nur zu For¬
schungszwecken vorgenommen werden sollten, betonten die Ab¬
geordneten Casselm a n n und Dr. II au b e r die Notwendigkeit
solcher Experimente; auch der Physiker und der Chemiker müssen
wissenschaftlich feststehende Tatsachen immer wieder ihren
Hörern experimentell vorführen; was man nur aus Büchern weiss,
haftet nicht so fest und sicher, als was man mit eigenen Augen
schaute. Es liiesse der Wissenschaft Fesseln anlegen, wenn nach
dem Vorschläge des Abgeordneten v. L a n d m a n n eine „nicht
einseitig gebildete“ Kommission darüber zu befinden hätte, welche
Experimente zulässig wären und „unter den nötigen Kautelen auf
der Universität im Interesse der Wissenschaft und ohne Beiziehung
von jungen Studenten ausgeführt werden dürften.“
Aus Bamberg war eine Petition eingelaufen, auf sämtlichen
Universitäten des Königreiches L ehrs t ü h l.e für Hydro¬
therapie und die übrigen physikalischen Heil-
m ethoden — das sogen. Naturheilverfahren — einzurichten,
und damit begründet, dass die Vorbildung der Aerzte in fast allen
Zweigen der Naturheilmethode eine durchaus ungenügende sei,
das Publikum jedoch eine grosse Vorliebe für und ein grosses Ver¬
trauen zu diesen Heilfaktoren habe und vielfach nur auf Laien¬
praktiker angewiesen sei. Seitens des k. Staatsministeriums wurde
bemerkt, dass in München und Würzburg bereits eigene Pro¬
fessuren für Hydrotherapie bestehen, in München ausserdem im
Krankenhause links der Isar eine musterhafte Heilanstalt sei. im
Neubau der medizinischen Klinik zu Erlangen ein besonderer
Raum für die modernen Arten aller Duschen und Bäder nebst einer
Einrichtung für Elektrotherapie vorgesehen sei und in Wtirzburg
im Zusammenhänge mit dem Klinikneubau die erforderlichen Ein¬
richtungen noch getroffen werden würden. Auf Grund dieser Er¬
klärung ward die Petition als erledigt erachtet.
Auf Antrag des Abgeordneten v. Land mann beschloss die
Abgeordnetenkammer: „Es sei die k. Staatsregierung zu ersuchen,
in dem nächsten Etat eine Position für Errichtung eines Lehr¬
stuhles für Homöopathie an der Universität München
oder an einer anderen bayerischen Universität vorzusehen.“ Hier¬
über soll das nächstemal näher berichtet werden.
Dr. Carl Becker.
Gerichtliche Entscheidungen.
Kurpfuscherannoncen in der Tagespresse.
Von der Strafkammer des k. Landgerichtes Berlin waren
wegen Verstosses gegen § 4 des Gesetzes zur Bekämpfung des un¬
lauteren Wettbewerbes der Kurpfuscher Max Sonne m a n n. der
unter Garantie alle Haut-, Harn-, Blasen-, Nieren-, Unterleibs¬
und Frauenleiden sicher zu heilen versprach, zu 50 M„ die Redak¬
teure G. S. (der Berliner Morgenpost) und A. P. (des Berliner
Lokalanzeiger) zu je 5 M. Geldstrafe verurteilt worden. Die beiden
Redakteure legten Revision ein, welche vom Kammergericht zu
Berlin am 1. Mai d. .T. verworfen wurde. Aus den Gründen ist
hervorzuheben: In den in Frage kommenden Annoncen der ge¬
nannten Blätter ist zweifellos der Tatbestand einer strafbaren
Handlung, nämlich eines Verstosses gegen § 4 des Gesetzes zur
Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes, gegeben; die Angaben
in den betreffenden Anzeigen waren zur Irreführung geeignet.
Sonach waren die Angeklagten S. und P. auf Grund des § 20 des
Pressgesetzes, und zwar als Täter (nicht wie das Landgericht an¬
genommen hatte, als Gehilfen) zu bestrafen, da die Annahme, dass
sie die Anzeigen mit Kenntnis und Verständnis des Inhaltes ver¬
öffentlichten. nicht durch besondere Umstände ausgeschlossen ist.
Es machen sich also Redaktionen von Zeitungen, welche schwindel¬
hafte Kurpfuscherannoncen aufnehmen, dadurch strafbar. R. S.
Der frühere Schlosser, jetzt „homöopathischer Krankenheiler“
Heinrich R o g g e, wegen Führung falscher Ausweispapiere, sowie
wegen Diebstahls und Unterschlagung vorbestraft, stand wegen
fahrlässiger Körperverletzung vor der Strafkammer in Brauu-
seliweig. Er hatte ein Kind, welches auf der Backe sowie im
Munde „braune Flecke“ hatte, von denen einer im Munde schon
aufgebrochen war. zuerst als sehr erkältet, dann als skrophulös
mit homöopathischen Mitteln und Spülungen mit warmem Wasser
behandelt. Als nach 1(4 jähriger Behandlung der Zustand des un¬
glücklichen Patienten sich immer mehr verschlimmert hatte und
harter Gaumen und Nase teilweise zerstört waren, wurde endlich
ein Arzt zugezogen, der das Leiden als Syphilis erkannte und zum
Stillstand brachte.
Die sachverständigen Aerzte betonten, dass durch eine früh¬
zeitige Diagnose mit fast absoluter Sicherheit der ganze Zer¬
störungsprozess des Knochens und damit die dauernde Entstellung
und die schwere gesundheitliche Schädigung des Kindes durch die
Defekte in Nase und Gaumen hätten vermieden werden können.
Das Urteil lautete auf 1 Jahr Gefängnis; als erschwerend sah
der Gerichtshof bei Ausmessung des Strafmasses an, dass llogge
vorbestraft ist, und dass er die ihm vermöge seiner Gewerbes als
„Krankenheiler“ obliegende besondere Aufmerksamkeit ausser
Acht gelassen habe; mit Rücksicht auf die Schwere der ein¬
getretenen Folgen war eine harte Bestrafung angezeigt. R. S.
Therapeutische Notizen.
Soxhlets N ä h r z ucke r hat Klautsch - Halle sowohl
im Krankenhaus wie in der Privatpraxis längere Zeit mit bestem
Erfolg angewendet. Gesunde Kinder zeigten bei Nährzucker- statt
Milchzuckerzusatz zur Nahrung stetig fortschreitende Entwicklung
und gutes Gedeihen, tadellose Magen- und Darmfunktion und
stetige Gewichtszunahme. Bei 2 Kindern, bei denen unter Er¬
nährung mit Milch und Wasser bezw. Quäcker-Oatsabkochung
plötzlich Krämpfe auftraten, verschwanden dieselben bei Ver¬
abreichung von Milch- und Nährzuckerlösung zu gleichen Teilen,
traten aber beim Aussetzen des Nährzuckers wieder auf.
Soxhlets Nährzucker, eint- Dextrin-Maltose-M ilclizucker-
mischung mit Zusatz von löslichen Kalksalzen, ist ein weisses.
feines, hygroskopisches Pulver, löst sich in Wasser sehr leicht
und ist etwas süsser als Milchzucker, aber nur so süss wie
Rohrzucker. Zur Herstellung der Säuglingsmilch wird für die
ersten Monate des Kindes die Kuhmilch mit 2 Teilen einer 10 proz.
Nährzuekerlösung versetzt; allmählich wird die Nährzuckermenge
bis auf das Doppelte gesteigert, die Wassermenge verringert. Die
Milch-Nährzuckermischung wird in üblicher Weise im Soxhlet-
apparat sterilisiert. (Centralbl. f. Kinderheillt. 1902, H. 7.) R. S.
Auf der I. med. Abteilung des Allgem. Krankenhauses in
Hamburg-Eppendorf (Prof. L e u hart z) wurden Versuche mit
A guri n angestellt, über welche R u g e berichtet (Die Heilkunde,
Juni 1902). Das Mittel leistete bei einzelnen Fällen von Herz¬
fehlern, sowie chronischer interstitieller Nephritis gutes und ist
dem Diuretin in manchen Fällen vorzuziehen. Es wurde in Pulver¬
form in Dosen zu 0.5 in der "Weise verwendet, dass an 2, eventuell
3 oder mehr aufeinander folgenden Tagen je 5 mal 0.5 pro die
in Oblaten gegeben wurden. Die Resultate der Versuche ermutigen
zu weiteren Versuchen und zur Anwendung des Agurin auch bei
anscheinend hoffnungslosen Fällen. B- 8.
Die Merkurkolloidpräparate werden von W e r 1 e r-
Berlin angelegentlich empfohlen (Therap. Monatshefte 4, 1902).
Zur Einreibungskur eignet sich am besten die 10 proz. Merkur¬
kolloidsalbe. Daneben ist die innerliche Darreichung der Merkur¬
kolloidpillen von hoher Wirksamkeit. Der Preis der Merkurkolloid¬
salbe ist nicht höher wie der der offizinellen grauen Salbe. Kr.
29. Juli 1902.
MÜENCHENER MEDtClKISCHE WOCHENSCHRIFT.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ii n c li e n, 29. Juli 1902.
— Nach Beschluss des Bundesrates vom 12. Dezember 1991
sollen die alljährlich stattfindenden statistischen Aufnahmen über
die Heilanstalten künftighin auf einen grösseren Kreis von An¬
stalten erstreckt und unter Verwendung neuer Formulare durch¬
geführt werden. Nach Erlass des bayer. Staatsministeriums des
Innern vom 4. ds. wurde die Versendung dieser neuen Formulare
an die Heilanstalten dem k. statistischen Bureau übertragen.
Jede üistriktsverwaltungsbeliörde hat deshalb ungesäumt im Be¬
nehmen mit dem k. Bezirksarzte ein Verzeichnis der in ihrem Be¬
zirke befindlichen Heilanstalten anzufertigen und das Verzeich¬
nis bis zum 1. September 1902 dem k. Statistischen Bureau zu
übermitteln.
— Wie der Verband der Aerzte Deutschlands zur Wahrung ihrer
wirtschaftlichen Interessen bekannt macht, besteht der Vorstand
für das Geschäftsjahr 1902/03 aus den Herren Dr. Hart m a n n,
Leipzig-Connewitz, Vorsitzender; Dr. Max G o e t z, Leipzig-Plag-
witz, stellvertretender Vorsitzender; Dr. Hirschfeld, Leipzig-
Neustadt, Eisenbahnstr. 31, Kassierer; Dr. D o n a 1 i e s, Leipzig,
Gellertstr. 4, stellvertretender Kassierer; Dr. G ö h 1 e r. Leipzig’
Ilainstr. 2, stellvertretender Schriftführer; Dr. Bach, Dr!
Dippe, Dr. Mejer, Prof. Dr. Schwarz. Der Aufsichtsrat
besteht aus den Herren Dr. Mugdan, Berlin; Prof. Dr. Nau-
w erc k, Chemnitz; Geh. Med.-Rat Dr. P f e i f f e r, Weimar.
— Die Apothekerkammer für Berlin-Brandenburg hat sich
gegen eine ermässigte staatliche Arzneitaxe zu Gunsten der
Krankenkassen ausgesprochen. (Vergl. d. Wochensclir No *>7
S. 11G7.) . . - ,
— Dem nunmehr vorliegenden Programm des vom lü. bis
21. September d. J. zu Rom stattfiudenden inte r na t i o n a 1 e n
Kongresses für Geburtshilfe und G y n ii k o 1 o g i e
entnehmen wir im Nachtrag zu der in No. 10, S. 427 mitgeteilten
Tagesordnung nachstehende Mitteilungen. Referenten zu
Thema 1 „üeber die medizinischen Indikationen
zur E i n 1 e i t u n g der Geb u r t" sind die Herren DDr. B a r -
ton Cook H i r s t - Philadelphia, H o f m e i e r - Wiirzburg, P i -
n a r d - Paris, Rein- St. Petersburg, S c li a uta - Wien, S i m p -
s o n - Edinburgh; zu Thema II „Die Hysterektomie in
der Behandlung des W ochenbettfiebers“ die Herren
F e h 1 i n g - Strassburg, Leopold- Dresden, T reub- Amster¬
dam, T u f f i e r - Paris; zu Thema III „Die Genitaltnber-
k u lose“ die Herren A m a n n - München, M art in- Greifswald,
Veit- Leyden; zu Thema IV „D ie chirurgische Behand¬
lung des Ute r u s krebse s“ die Herren C uller- Balti¬
more, F r e u n d - Berlin, J on ne sc o- Bukarest, P o z z i - Paris,
\\ e r t h e i m - Wien. . — Unter den sonstigen angemeldeten Vor¬
trägen erwähnen wir: Seilheim- Freiburg: lieber Diagnose und
Behandlung der Genitaltuberkulose; L a s e r s t e i n - Berlin:
Neues Blutstillungsverfahren bei Hämorrliagie post partum; Pin-
c u s - Danzig: Die Atmokausis in der Therapie der puerperalen
Streptokokkenendometritis; T lieillia b e r - München: Der Ein¬
fluss der Nervosität auf Menorrhagie und Leukorrhoe'; A m a n n -
München: Transperitoneale Exstirpation des krebsigen Uterus
mit. Drüsen und Beckenbindegewebe; I* fannenstiel - Giessen:
Behandlung der Verlagerungen des Uterus und der Vagina.
— Den Kongressteilnehmern wird auf den italienischen
Bahnen, sowie für die Seereisen eine Preisermässigung von 40 bis
00 I'roz. gewährt; auf dem Bahnhof zu Rom vermittelt ein Woh-
nungshureau Quartiere iu Hotels 1. und II. Ranges zu ermässigten
Preisen.
— Cholera,
aufgetreten.
~7 Pest- Italien. Der Dampfer „Duc-a de Galliera“ ist nach
I- tägiger Quarantäne auf der Insel Asiuara am 9. Juli nach Genua
zuruckgekehrt und hat die an Bord befindlichen Passagiere aus-
geschifft. Die beiden pestverdächtigen Kranken sind in der
Quarantänestation zurückgeblieben, wo sie sich in der Besserung
befinden. — Russland. In Odessa am 13. Juli eine pestverdächtige
Erkrankung. _ Aegypten. Vom 4. bis 10. Juli 0 Erkrankungen
(und .) Todesfälle). — Mauritius. Vom 30. Mai bis 5. Juni 1 Pest-
lau (imt tödlichem Verlaufe). — Madagaskar. In Majunga betrug
!,ie10Mitte (les Monats Juni die Zahl der täglichen ’ Pestfälle
. .. , s 12 > (Iie Seuche war jedoch auf diesen Platz beschränkt ge¬
blieben. — Britisck-Ostindien. In Kalkutta sind vom 8. bis 14. Juni
o-> Personen an der. Pest gestorben.
— Pocken. Marokko. In Casablanca sind einer Mitteilung
\om .». Juh zufolge die Pocken ungewöhnlich heftig ausgebrochen;
oer Krankheit sind bereits mehrere Europäer zum Opfer gefallen.
— In der 28. Jahreswoche, vom 6. bis 12. Juli 1902, hatten
on deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb-
rUlikeit Freiburg i/B. mit 33,2, die geringste Schöneberg mit 4,4
i odestallen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
■ her Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp in Mül¬
heim a/R.
( H o c h s c li ulnach richte n.)
Berlin. Der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schweninger
ist von der Leitung der Abteilung für Hautkrankheiten in der
1287
ln Kairo ist die Cholera mii grosser Heftigkeit
Charite vom Ministerium entbunden worden und hat dafür einen
£aie und (iesc|11<:1+lte der Medizin und allgemeinen Patlio-
lo^iL und l.uiapie erhalten. (So erfreulich der erste Teil dieser
“eldung ist, so überraschend ist der zweite. Herr S c h. erfüllt, die
Vorbedingungen für einen Lehrauftrag der Geschichte der Medizin
genau ebensowenig, wie für den der Hautkrankheiten. Die Er¬
nennung beweist, wie wenig Bedeutung man in massgebenden
Kreisen dem hach der Geschichte der Medizin beilegt.)
B resl a. u. Dr. med. Viktor K 1 i n g m ü 1 1 e r Oberarzt der
derma to logische n Universitätsklinik, habilitierte sich mit ’ einer
Studie „Zur Pathologie der Lepra (macula anaeethetica)“ an hie¬
siger Universität ’
Greifswald. Die Frequenz der Universität beträgt in
iomema?>enie ei' darimter 237 Mediziner. Im Wintersemester
1J01/1902 waren <1< Studenten, darunter 215 Mediziner hier und
im Sommersemester 1901 waren die entsprechenden Zahlen 802
u, ~37, ~ Zur grossen Freude der gesamten Universität Greif s-
uald bleibt Prof. Bonnet, Direktor des anatomischen Instituts
der an erster Stelle für die frei ge wordene Professur in München
Aon der dortigen Fakultät vorgeschlagen war, durch die letzte
lat des abgetretenen Kultusministers v. Land mann der Uni¬
versität bis auf weiteres noch erhalten. — Als Privatdozent für
Chirurgie habilitierte sich Dr. Rudolf Klapp, Assistenzarzt der
chirurgischen Poliklinik. Seine Antrittsvorlesung handelte über:
„Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Chirurgie“ —
Der Oberarzt der medizinischen Klinik, Privatdozent Di“ Hugo
Lutlije, folgt am 1. Oktober d. .1. seinem nach Tübingen be¬
rufenen früheren Chef, Prof. K r e h 1, nach dorthin nach.
.... .Müi1 ehern Zum Rektor der Ludwig-Maximilians-Uni versi-
tat für 1902/03 wurde Geheimrat Prof. v. Winckel einstimmig
gewählt. — - Der I. Assistent am hygienischen Institut der Universi-
tat, Dr. \\ i 1 d e, hat sich mit einer Habilitationsschrift: „lieber
die Beeinflussung der Alexinwirkung durch Absorption“ als Privat -
dozeut für Hygiene habilitiert.
Y\ ii r z b u r g. Zum Rektor für das nächste Jahr wurde Prof.
Dr. Me u re r (juristische Fakultät) gewählt. — Habilitiert: Dr
-Ludwig K u r k li a r d t, I. Assistent an der chirurgischen Klinik
mit einer Probevorlesung über: „Die chirurgischen Eingriffe am'
Magen, ihre Indikation und Prognose“. Die Habilitationsschrift
ist betitelt: „Sarkom und Endotlieliom nach ihrem pathologisch¬
anatomischen und klinischen Verhalten“.
Bahia. Der Professor der internen Pathologie Dr. A. Cir-
cundes d e C a r v a 1 li o wurde zum Professor der medizinischen
Klinik, Professor Dr. A. R. Vianna zum Professor der internen
Pathologie ernannt.
Barcelona. Dr. A. G. Prats wurde zum Professor der
medizinischen Pathologie ernannt.
(T o d e s f ä 1 1 e.)
Geheimrat Karl Gerhardt, Direktor der 2. medizinischen
Klinik der Charite in Berlin, ist auf seiner Besitzung Hamburg
in Baden nach längerem Leiden, 09 Jahre alt, gestorben. Mit
G e r li a r d t verliert die deutsche Medizin einen ihrer vornehmsten
Vertreter. Er war das Haupt jener von 8 c li ö n 1 e i n begründeten
Schule, deren Arbeiten die deutsche Klinik vor allem ihre ge¬
achtete Stellung in der Welt verdankt, deren grosse Erfolge in der
Förderung unserer Kenntnisse durch sorgfältige Beobachtung und
Untersuchung am Krankenbette und im Ausbau der klinischen
Untersuchungsmethoden beruhen. Nach dem Verlust von
Ziemssen und Kuss m a u 1 trifft der Tod G e r h a r d t s
die deutsche Medizin als ein doppelt schwerer Schlag. Dem Heraus¬
geberkollegium der Münch, med. Wochensclir. gehörte Ger li a r d t
seit dem Jahre 1893 an. Ein ausführlicher Nekrolog wird folgen.
Als Opfer seines Berufes starb am 19. Juni d. J. an einer
schweren septischen Angina der Assistenzarzt der Kinderklinik
zu Greifswald Dr. Otto Krem er. Die Infektion hatte er sich
bei der Behandlung eines Kindes mit Scharlachangina zugezogen.
Prof. Dr. E. Porro, Direktor der Maternitä zu Mailand und
Senator des Königreichs Italien.
Dr. M. Nieto y Serrano, Marquis de Guadalerzas, Präsident
der k. medizinischen Akademie zu Madrid.
Dr. C. Reisz, früher Professor der inneren Medizin zu
Kopenhagen.
Dr. J. Th. Jelks, früher Professor der Krankheiten der
Harn- und Geschlechtsorgane am College of Physicians and Sur-
geons zu Chicago.
Cesare 1 a r u f f i, ordentlicher Professor der pathologischen
Anatomie zu Bologna.
Dr. John Curnow, Professor der klinischen Medizin an
King’s College, London, 50 Jahre alt.
(Berichtigung.) In dem Sitzungsreferat der Berliner
med. Gesellschaft vom 25. Juni 02, No. 27 d. Wochensclir., S. 1150
soll es bezüglich der Demonstration des Herrn de la Camp
„familiäres Vorkommen von angeborenen Herzfehlern“ heissen:
6 statt 3 Geschwister. Vater, Potator strenuus, verunglückte;
Mutter hochgradig anämisch, Herz gesund. Als Paradigma des
reinen offenen Ductus Botalli demonstrierte Vortragender eine
andere schon vor 4 Jahren von Zinn gezeigte Patientin, bei der
eine weite Kommunikation zwischen Aorta und Pulmoualis an¬
genommen wurde. Demonstration und Besprechung von 7 Röntgen¬
schirm- und -plattenbildern.
MUENCHENER MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
1288
In der *) Anmerkung unter dem Strich zu Straus: Unter¬
suchung über Physiologie und Pathologie der Ureteren- und
Nierenfunktion, S. 1217, No. 2b dieser Wochenschrift, ist zu lesen
statt XXX. Kongress XXXI. Kongress.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
In den dauernden Ruhestand versetzt: Der im zeitlichen
Ruhestand befindliche Bezirksarzt I. Klasse Pr. Josef Schmidt
in Kitzingen unter Anerkennung seiner langjährigen, treuen und
erspriesslichen Dienstleistung.
Korrespondenzen.
Institute für elektromagnetische Therapie.
Die Art, in welcher Herr Pollaczek in seiner in der
letzten Nummer dieser Wochenschrift veröffentlichten Erklärung
sich gestattete, den wahren Tatbestand in Betreff der mit mir
im April dieses Jahres gepflogenen Verhandlungen zu „berich¬
tigen", zwingt mich, auf diese hier noch einmal zurückzukommen,
um so mehr als die angeblich in Aussicht stehende Gerichtsver¬
handlung sich mit dieser Angelegenheit nicht beschäftigen dürfte.
Ich hatte mit Herrn P. im ganzen 3 Besprechungen. Die erste war
für mich wesentlich informatorischen Charakters. Auf Herrn P.s
Proposition, die Eeitung des für München in Aussicht genommenen
Institutes zu übernehmen, gab ich in derselben keinen bestimmten
Bescheid. Herr P. verlangte solchen auch nicht sofort. Ich war
über die Angelegenheit zu wenig orientiert und beabsichtigte, zu¬
nächst Erkundigungen über das Eugen Konradsche Verfahren
bei mehreren auswärtigen Spezialkollegen einzuziehen. Mein Ent¬
schluss, den Antrag des Herrn P. abzulelmen, stand jedoch schon
fest, bevor die Auskünfte der Herren Dr. Sänger- Hamburg,
Prof. S c h a f fer- Ofen-Pest, Prof. Dr. Oppenheim- Berlin
mir zugingen, Auskünfte, welche nur geeignet waren, mich in
meinem Entschlüsse zu bestärken. Ich erklärte daher Herrn P.
bei unserer zweiten Besprechung, 2 Tage später, mit aller Be¬
stimmtheit, dass ich die Uebernalune der mir zugedachten Stel¬
lung ablehnen müsse, und begründete diesen Bescheid genau in
der Weise, wie in meiner ersten Erklärung angegeben ist. Spe¬
ziell betonte ich, dass die Gründung der Institute „Eugen Konrad"
von einer ganz laienhaften, wissenschaftlich unhaltbaren Idee
ausgehe. Der Gedanke, Institute zu errichten, in welchen Kranke
ausschliesslich mit einem Heilverfahren von noch unaufgeklärtem
Werte für teures Geld behandelt werden sollten, möge wohl von
einem Iv a u f m a n n, aber nicht von einem Arzt herrühren. Eben¬
so betonte ich, dass ein Arzt, der einen Ruf besitzt und auf dessen
Erhaltung bedacht sei, eine Stellung an einem Institute „Eugen
Konrad" nicht annehmen könne. Speziell für München erklärte
ich auch die Aussichten für das Prosperieren eines derartigen In¬
stitutes für äusserst ungünstig, einerseits wegen der hohen Preise,
welche in den Instituten „System Eugen Konrad“ für die Behand¬
lung der Patienten beansprucht werden, andererseits wegen der
Konkurrenz der vor Kurzem hier errichteten und sehr energisch
betriebenen Anstalt „Elektron".
Dass ich von einer Schmälerung meiner eigenen Praxis durch
genannte Anstalt gesprochen hätte, ist, wie ich hier nebenbei be¬
merken muss, eine Erfindung des Herrn P., zu einer solchen
Aeusserung bestand für mich nicht die geringste Veranlassung.
Ich verhehlte auch Herrn P. keineswegs meine Meinung, dass
sämtliche Institute „System Eugen Konrad“ sich auf die Dauer
nicht würden halten können.
Herr P. erklärte am Schlüsse dieser zweiten Besprechung,
dass er der von mir geschilderten Sachlage gegenüber von der
Gründung eines Institutes in München abselien und sich auf
die Errichtung einer Versuchsstation beschränken werde.
Obwohl die Sache für mich hiermit erledigt war, hatte ich
mit Herrn P. auf dessen Wunsch noch eine dritte Besprechung,
in welcher die Institutsangelegenheit nur kürz berührt wurde, und
den Hauptgegenstand das Gespräches ein anderes Projekt des
Herrn P., die Erwerbung eines bekannten oberbayerischen Bades
durch eine Aktiengesellschaft, bildete. Ich erteilte Herrn P. be¬
reitwilligst Auskünfte über das fragliche Bad, und Herr P. sah
sich durch meine Gefälligkeit sogar veranlasst, mir eine Aufsichts¬
ratstelle bei dem projektierten Aktienunternehmen in Aussicht zu
stellen!
Herr P. hätte seine „Berichtigung" wohl nicht unternommen,
wäre er nicht der Meinung gewesen, dass mir kein Beweismaterial
zu Gebote stehe. Damit dürfte er sich in einem schweren Irr¬
tum befinden.
Den wichtigsten Punkt in meiner ersten Erklärung hat übri¬
gens Dr. P. in seiner Berichtigung nicht berührt, nämlich die Tat¬
sache, dass er unmittelbar, nachdem er mir erklärt hatte, dass
er hier auf eine Institutsgründung verzichten werde, an Kollega
Dr. Sänger- Hamburg schreiben liess, dass hier ein Institut
„System Eugen Konrad“ im Entstehen begriffen sei. Dies führte
zu Konsequenzen, die Herrn P. offenbar recht unangenehm waren.
Da sich an die Erklärung der Hamburger Spezialkollegen noch
weitere, den P.sehen Unternehmungen ungünstige Vorgänge in
ärztlichen Kreisen, speziell in Berlin, anschlossen, hat wohl Herr
P. den Versuch unternommen, um jeden Preis meine erste Er¬
klärung zu entkräften und den Anschein zu erwecken, als ob ich
aus egoistischen Motiven gegen das „System Enge n K o n -
r ad" aufgetreten sei. Ich bin aber, wie ich hier ausdrücklich be¬
merke, durchaus kein Gegner dieses therapeutischen Verfahrens.
Meine Gegnerschaft betrifft, wie aus meiner ersten Erklärung un¬
zweifelhaft erhellt, lediglich das an dieser Stelle nicht weiter zu
qualifizierende System, durch welches Herr P. und sein Kon¬
sortium das genannte Verfahren zu monopolisieren und finanziell
auszubeuten versucht. In dieser Gegnerschaft
s c h meichle i c li mir nicht nur das Gros meine r
Spezialkollegen, sondern der deutsch e-n Aerzte
a uf meiner Seite zu h a b e n. Auf Belege hierfür muss ich
wegen Raummangel verzichten.
In Betreff der mir in Aussicht gestellten Beleidigungsklage
bemerke ich schliesslich, dass Herr Dr. P. bereits vor mehreren
Wochen in einer an mich gerichteten Zuschrift binnen wenigen
Tagen ..Satisfaktion“ wegen mehrerer, angeblich von mir her-
rührender Aeusserungen verlangte. Ich habe dieses Schreiben
keiner Antwort gewürdigt. Dr. Loewe n.f e 1 d.
Vorschriften zur sparsamen Verordnung für Krankenkassen.
Zu der in No. 28 d. W. enthaltenen Entgegnung des Herrn
Apotheker Dr. C. B e d a 1 1 auf meine Ausführungen in No. 25 habe
ich folgendes zu bemerken:
Welchen Vorwurf in No. 22 der süddeutschen Apotheker¬
zeitung Herr B e d a 1 1 gegen unsere Arzneiverordnungsvor¬
schriften erhoben lqit, weiss ich nicht, da ich natürlich nicht zu
den regelmässigen Lesern dieses Blattes gehöre. Meine Be¬
sprechung, welche im Auftrag des ärztlichen Bezirksvereins Nürn¬
berg erfolgt ist. beschäftigte sich lediglich mit dem in No. 80 vom
25. X. 01 der stidd. Apothekerztg. erhobenen Vorwurfe, auf Grund
dessen allein von der k. Regierung Bericht eingefordert war.
Dieser jetzt widerlegte Vorwurf, es sei von uns den Apothekern
eine Zuwiderhandlung gegen § 17 Ziff. 2 der Verordnung vom
29. XII. 01 angesonnen, war weder von uns noch von der k. Re¬
gierung aus irrtümlicher Voraussetzung so aufgefasst, sondern
f i n d e t sic h w örtlich unter Zitierung des §17
Z i f f. 2 i n d e m g e n a n nten A r t i k e 1. V o m § 307
Z i f f. 5 d e s R.-St.-G.-B. ist darin mit keine m W orte
d i e R e d e.
Darüber hat auch die k. Regierung sich nicht geäussert; es
war dies auch unnötig, da dieselbe aus dem von Herrn Beda.ll
beanstandeten Rundschreiben nur das herausgelesen hat, was deut¬
lich herauszulesen war, dass nämlich die Pflicht zur Zurück¬
weisung von Rezepten seitens der Apotheker sich lediglich auf
solche bezog, in welchen nicht in das Arzneibuch aufgenommene
Mittel und chemisch-pharmazeutische Präparate verordnet würden,
während die sparsame Verordnungsweise für im Arzneibuch ent¬
haltene Mittel betreffenden Vorschriften über Verordnungsformen
und Preise lediglich Anweisungen für die Kassen¬
ärzte waren, welche gleichzeitig in demselben Rundschreiben
den Apothekern zur Kenntnis gebracht waren.
A. F r ankenb u r g e r.
Morbiditätsstatistikd. InfektionskrankheitenfürIVlünchen.
in der 28. Jahreswoche vom 6. bis 12. Juli 1902.
Beteiligte Aerzte 133. — Brechdurchfall 24 (13*), Diphtherie u.
Kroup 8 (8), Erysipelas 11 (3), Intermittens, Neuralgia interm.
— (— ). Kindbettfieber 1 (— ), Meningitis cerebrospin. 1 (-),
Morbilli 23 (24), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 3 (l), Parotitis
epidem. 3 (4), Pneumonia crouposa 8 (4), Pyämie, Septikämie
— (— ), Rheumatismus art. ac. 17 (14), Ruhr (Dysenteria) — ( — ■),
Scarlatina 3 (5), Tussis convulsiva 44 (41), Typhus abdominalis 1
(2), Varicellen 8 (3), Variola, Variolois — ( — ), Influenza 2 (1).
Summa 155 (118). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 28. Jahreswoche vom 6. bis 12. Juli 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen : Masern 2 (3*) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u. Kroup — (4), Rotlauf 1 (—), Kindbettfieber 1 ( — ), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w-) 1 (2), Brechdurchfall 8 (3), Unterleib-Typhus —
(2), Keuchhusten 2 (5), Kruppöse Lur.genentzündung 3 (1), Tuber¬
kulose a) der Lunge 24 (22), b) der übrigen Organe 10 (7), Akuter
Gelenkrheumatismus — (1), Andere übertragbare Krankheiten
4 ( — ), Unglücksfälle 1 (2), Selbstmord 3 (2), Tod durch fremde
* Hand — (— ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 216 (214), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 22,2 (19,8), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 14,0 (14,3).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühltlialer's huch- und Kunstdruckerei A.G., München.
Die Munch Med. Wochensehr, erscheint wÄchentl.
In Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen.
Preis in Deutschi, u Oest. -Ungarn viertel] ährl. 6 Jl
ins Ausland 8.— Ji. Einzelne No. 80
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressiren: Für die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
°Äer’ SÄ °Är> l W;-':Leube' ^Merkel, F.Penzoldt, H. v. Ranke, F. v. Wlnckel,
Würzburg. Nürnberg.
Erlangen. München.
München.
No. 31. 5. August 1902.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus der Universitäts-Augenklinik in Freiburg.
Die Prophylaxe der septischen Infektion des Auges,
besonders seiner Berufsverletzungen.*)
Ein Beitrag zur Exstirpation des Tränens a c k e s.
Von Th. Axenf el d.
I.
Die Prophylaxe septischer Infektionen wird in der
Ophthalmologie natürlich denselben allgemeinen Gesichts¬
punkten unterliegen, wie in der Chirurgie überhaupt. Wir
lassen desshalb die Gefahren, welche von einer Verunreini¬
gung des verletzenden Gegenstandes, von der Hand des Opera¬
teurs, von dem Allgemeinbefinden (Diabetes etc.) herrühren
könnten, ausser Betracht und beschränken uns auf die vom Ope¬
rationsgebiet, d. li. den Lidern, der Bindehaut und den Tränen¬
organen, herrührenden Komplikationen, die infolge der eigen¬
artigen örtlichen Verhältnisse manche Eigentümlichkeiten dar¬
bieten.
Schon die Erfahrungen der vorantiseptischen Zeit sprachen
für solche Besonderheiten. Denn im Vergleich zur Häufigkeit
der Sekundärheilung an anderen Körperstellen waren die Wund¬
eiterungen am Auge schon damals auffallend selten. Die Ver¬
lustziffer geschickter Staroperateure betrug zur Zeit des Lappen¬
schnitts etwa 10 Proz. und wurde durch A. v. G r a e f e s .Linear¬
schnitt noch erheblich reduziert. Die relative Kleinheit der
V unden, die kurze Dauer der Bulbusoperationen, Umstände,
welche die Infektionsgefahr an sich herabzumindern vermochten,
konnten für dieses relativ günstige Verhältnis nicht die volle
Erklärung abgeben, weil ihnen die Verletzlichkeit des Sehorgans,
die gelinge Reaktionskraft seiner zum Teil ja gefässlosen Ge¬
webe gegenüberstand ; sondern die nach unseren heutigen Kennt¬
nissen richtige Erklärung liegt darin, dass die LTmgebung des
Auges, wenn anders sie in gesundem Zustand sich befindet, über¬
haupt eine relativ geringere Infektiosität besitzt als andere
Körperstellen. Der Bindehautsack, obwohl er die fortgesetzten
Verunreinigungen aus de’- Umgebung, der Luft u. s. w. wegen
seiner I euchtigkeit leicht annimmt, muss doch als relativ wenig
septisch gelten, weil er in der Absonderung und der durch den
Lidschlag unterstützten Ableitung der Tränen eine konstante
aseptische Irrigation besitzt. Ist dieselbe auch keineswegs im
stände, den Kon j unk ti valsack keimfrei zu machen, so verringert
sie die Zahl der Keime doch beträchtlich und schafft ausserdem
für eine etwaige Vermehrung derselben . schlechte Ernährungs¬
bedingungen. Die den Tränen oft zugesprochene direkt bak¬
terizide Eigenschaft tritt diesen mechanischen Faktoren gegen¬
über in den Hintergrund und ist jedenfalls nur in sehr geringem
Umfang an der Selbstreinigung beteiligt.
Die Prophylaxe septischer Infektionen kann sich deshalb,
soweit solche vom gesunden Konjunkti valsack drohen könnten,
au! einfache und milde Massnahmen beschränken, und dass sie
das darf, ist unser Glück. Denn die sonst in der Chirurgie iib-
hehe energische Anwendung von Seife, Alkohol und Desinfizien-
tien zur vorbereitenden Reinigung ist natürlich für die Binde¬
*) Nacli einem im ärztlichen Verein gehaltenen Vortrage.
No. 31.
haut ausgeschlossen, nur die äussere Lidhaut darf so behandelt
werden. Sanftes Ausputzen mit einem sterilisierten Tupfer, der
mit, einer nicht reizenden sterilen oder desinfizierenden Flüssig¬
keit getränkt ist, ist das einzige, was geschehen darf. Alle stärker
desinfizierenden und reizenden Mittel erzeugen Katarrh und
können dadurch eine nachträgliche Infektion begünstigen. Wir
benutzen eine Lösung von Hydrargyrum oxycyanatum 1:3000,
andere Kollegen begnügen sieh mit Ausputzen mit physiologischer
Kochsalzlösung und erreichen damit gute Resultate.
W io ersichtlich, ist also die vorbereitende Reinigung der
Bindehaut sehr wenig energisch; sie geht in dieser Hinsicht
über das an anderen Körperstellen übliche chirurgische Ver¬
fahren hinaus. Die Augenheilkunde treibt auch in der Vor¬
bereitung zur Operation „Asepsis“ oder doch nur ganz
schwache Antisepsis, und zwar mit Recht.
Es drohen also der angelegten Wunde von der gesunden,
Rv i einigten Bindehaut zunächst keine besonderen Gefahren. Ist
eine Verklebung der V undränder, eine Vereinigung des Epithels
erreicht, so erscheint die primäre Heilung gesichert; wir haben
also diesen primären Wundschluss möglichst zu beschleunigen
und anzustreben.
Nach allgemeiner chirurgischer Regel ist dazu zunächst
Ruhe erwünscht. Es unterliegt gar keinem Zweifel, dass alle
Bewegungen, Verschiebungen, welche an Wundrändern ziehen,
deren Schluss verzögern oder zu erneuter Sprengung führen
können. Auch experimentell am Auge kann man sich davon
leicht, überzeugen. Legt man bei Kaninchen grössere Homhaut-
i schnitte an, so erfolgt Wund Verschluss und Wiederherstellung
der \ orderkammer bei Tieren, welche in Narkose gehalten
werden, schon nach wenigen Stunden, bei solchen aber, die sich
bewegen dürfen, wesentlich später (C 1 a r k e).
Sie wissen, dass zu dieser Ruhigstellung des Organs früher
ein tagelang liegender Okklusivverband, Rückenlage, Verdunke¬
lung des Zimmers in Anwendung kamen. Aber, wenn wir zu¬
nächst von den dem Patienten so entstehenden Unbehaglichkeiten
absehen, so sind gegen den längeren Verband besonders bakterio¬
logische Bedenken erhoben worden, die bei manchen Ophthalmo¬
logen dazu beigetragen haben, dass sie den Verband ganz ver¬
warfen: Der Verband hebe ja den Lidschlag auf und damit einen
gewichtigen Teil der physiologischen Selbstreinigung. Dadurch
und durch die temperaturerhöhende Wirkung muss es trotz der
vorausgeschickten Reinigung wieder zur Keimvermehrung’ in
der Bindehaut kommen. Zahlreiche experimentelle und bakterio¬
logische Untersuchungen haben in der Tat ergeben, dass ein
24 stündiger V erband die Keimzahl in der Bindehaut beträchtlich
vermehrt (Marthen, M o r a x, Bach, Dalen etc.). Die
Furcht vor dieser Keimzahlvermehrung hat manche zur ganz
„offenen Wundbehandlung“, d. h. dem Fortlassen jeder Be¬
deckung geführt; ja manche Operateure z. B. Hjort in
Christiania, der allerdings unverhältnismässig viel Wundinfek¬
tionen hatte, waren damit einverstanden, dass selbst nach Star¬
operationen die Lider beliebig bewegt wurden. Also lieber Ver¬
zicht auf Ruhe und Schutz als eine Keimvermehrung.
Allein bei kritischer Prüfung erweist sich diese anscheinend
exakt bakteriologisch deduzierende Auffassung doch sehr an¬
fechtbar. Untersuchte nämlich Dalen die Keim Vermehrung
im Bindehautsaok nicht nach 24 stündigem Liegen eines Ver-
1
1290
bandes, sondern schon nach 8 — 12 Stunden, so zeigte sich, dass
|>U dahin die Keimzahl noch eine geringe ist. Andrerseits lehrt
die Erfahrung, dass bei genügender Kulie Schnitte in der Horn¬
haut, besonders wenn sic den gefässhaltigen Bindehautlimbus
berühren, in dieser Zeit schon verklebt zu sein pflegen. E s i s t
deshalb eine Bedeckung der Augen, welche den
Eid sch lag für die erste Zeit ausschliesst,
nicht unrationell und etwa unmodern. Denn die
Lehre von den Infektionen hat sich nicht nur mit der Anwesen¬
heit und Zahl von Bakterien, sondern auch mit der Beschaffen¬
heit des Terrains und der Infektionsbedingungen zu befassen.
Es ist nun freilich die Frage, ob die anfängliche Ruhig -
stellung mit einem Verbände geschehen muss und wie ein sol¬
cher beschaffen sein soll. Zur ersten Frage ist zu sagen, dass
auch ein undurchsichtiges oder mit Mull ausgelegtes Schutz¬
gitter Kuhigstellung zu bringen pflegt, da im Dunkeln Augen¬
bewegungen zu unterbleiben pflegen. Ein gut sitzender V erband
leistet aber wenigstens ebensogutes, scheint mir psychisch auch
noch mehr dem Kranken die Pflicht der Ruhe nahezulegen und ist
jedenfalls nicht unrationell. Zur Zeit der Verbandmethode hat
man nicht weniger gute aseptische Erfolge erzielt als jetzt mit
dem offeneren Verfahren. Freilich hat man gelernt, dass ein
eigentlicher D r u c k verband für Operierte nicht das richtige
ist, gewisse Fälle (z. B. Blutungen, Netzhautablösungen) ausge¬
schlossen. Wenn die Lider geschlossen sind, ist ein genügender,
dabei zart-elastischer Druck schon vorhanden; ein komprimieren¬
der Verband aber lastet nur zu leicht ungleich auf dem Auge,
führt, wie besonders die Erfahrungen der Wiener Schule gezeigt
haben (Czermak, Euch s), leichter Sprengungen der schon
verklebten Wunde herbei. Deshalb ist ein Verband nur als ein
lose gepolsterter Schlussverband am Platze oder an seiner Stelle
ist ein bedeckendes, mit Mull ausgelegtes Gitter oder dergl. zu
legen. Diese Methode der anfänglichen losen Bedeckung ver¬
danken wir den obigen Wiener Kollegen; sie ist die eigentliche
Grundlage der „offeneren Wundbehandlung“ wie sie auch von
Sattler, Fröhlich u.a. lebhaft empfohlen wird, und ist gar nicht
von dem Gedanken ausgegangen, eine Bakterienvermehrung zu ver¬
meiden, sondern siewollte die notwendige Ruhigstellung der Augen
in einer Weise bewerkstelligen, welche die bequemsten physi¬
kalischen Bedingungen darböte, indem sie dem Auge unnötigen
Druck und ungleichmässige Belastung ersparte. Erleben wir
doch oft genug, dass auch nicht operierte Augen einen Druck¬
verband nicht vertragen, dass unter demselben die Pupille sich
verengt, Mydriatica schlechter einwirken, Erscheinungen, welche
durchaus nicht parallel gehen etwa dem Keimgehalt der Binde¬
haut.
Am Tage nach der Operation wird man jedenfalls zum Schutz¬
gitter oder gleichwertigen Vorrichtungen (Aluminium oder Cellu¬
loidkapseln) übergehen, auch in den seltenen Fällen, wo die
Vorderkammer noch nicht wiederhergestellt sein sollte; der
Kranke darf bald aufstehen, das andere Auge wird freigelassen.
Jeder, der diese freiere Nachbehandlung mit der früheren län¬
geren Verbandmethode vergleicht, wird sich von den grossen Vor¬
teilen überzeugen, welche die offenere Nachbehandlung gebracht
hat : die Augen werden viel schneller reizlos, so dass wir manche
Staroperierte schon am 8. bis 10. Tag entlassen können. Natür¬
lich richtet sich dieser Termin nach der Eigenart des Falles und
besonders auch nach der Vorsicht und sozialen Lage des Patien¬
ten. Wundsprengungen sind viel seltener und die gesamten
Strapazen, die dem Kranken eine solche Kur zumutet, sind so¬
viel geringer, dass Störungen im psychischen Verhalten, Unge¬
duld auch bei unseren ältesten Starkranken, kaum mehr zu
beobachten sind. Wir können deshalb mit noch ruhigerem Ge¬
wissen als früher auch den gebrechlichsten alten Leuten eine
Starkur heutzutage zumuten. Besonders deutlich geht der Fort¬
schritt, den diese Nachbehandlung ergibt, daraus hervor, dass die
Erlaubnis, nach kurzer Zeit das andere Auge operieren zu lassen,
uns heutzutage nur ausnahmsweise verweigert wird, während
früher viele sich nicht entschliessen konnten, die nochmalige
Verband- und Dunkelkur durchzumachen.
Es ist also bei gesunder Beschaff enlieit der Bindehaut weni¬
ger die Prophylaxe der Keimvermehrung, welche den Vorzug
der „offeneren Wundbehandlung“ ausmacht — denn auch bei an¬
fänglicher Anwendung eines Verbandes sind durchaus gute
No. 81.
Primärerfolge zu erzielen — , ebensowenig wie diese bakterio¬
logischen Ueberlegungen den Ausgangspunkt dieser Neuerung
darstellen, sondern die allgemeine Bekömmlichkeit einer nicht
komprimierenden Nachbehandlung ist es, welche in der Tat eine
wesentliche Abkürzung der Behandlungszeit und eine erhebliche
Erleichterung für den Kranken bedeutet.
II.
Wenn die geschilderten Vorkehrungen die Infektionsgefahr
bei intakter Bindehaut und normalen Tränenwegen in der Tat
fast vollsommen beseitigen, so genügen sie doch naturgemäss
nicht, wenn entzündliche Veränderungen an Lidern, Bindehaut
oder Tränensack vorliegen.
Dass wir derartige Leiden vor der Ausführung einer Bulbus¬
operation zu beseitigen odeT doch in einen infektionsungefähr¬
lichen Zustand überzuführen haben, ist selbstverständlich und
bedarf keiner Erörterung. Es wird uns das in den allermeisten
Fällen von Blepharitis und Bindehautentzündungen durch die
üblichen therapeutischen Massnahmen gelingen. Es ist nützlich,
sich dabei auch von dem bakteriologischen Sekretbefunde leiten
zu lassen und besonders beim Nachweis von Pneumokokken ab¬
zuwarten. Bei Anwesenheit der Diplobazillen, dieser häufigen
Erreger chronischer Konjunktivitis ist längere Zeit Zink anzu¬
wenden, welches am sichersten diese, auch für die Hornhaut nicht
immer ungefährlichen Mikroben beseitigt. Die wiederholte Se¬
kretuntersuchung wird uns dami angeben können, ob eine aus¬
reichende Keimverminderung erreicht ist. Finden wir z. B. nur
noch die sogen. Xerosebazillen, vielleicht neben vereinzel¬
ten Kokken, so ist die Operation gerechtfertigt, auch dann, wenn
unsere Behandlung eine ganz gesunde Beschaffenheit der Binde¬
haut im klinischen Sinne nicht hat herbeiführen können, wie
das bei ganz veralteten Prozessen (altem Trachom, Madarosis
u. s. w.) ja nicht anders sein kann. Dass in solchen Fällen eine
präparatorische Iridektomie und die Verlegung des Starschnittes
in den konjunkti valbedeckten Teil des Limbus die Infektions¬
gefahr weiter vermindert, wird allgemein anerkannt. Ebenso
erscheint es bei pathologischer Beschaffenheit und abnormer Se¬
kretion notwendig, von vornherein für genügenden Abfluss zu
sorgen und unter allen Umständen die offenere Wundbehandlung
von Anfang an einzuhalten.
Ganz besondere Aufmerksamkeit aber erfordern bekanntlich
Anomalien der Tränen w ege. Da erfahrungsmässig
Stenosen im Ductus nasolacrimalis sich nicht immer durch ein
ausdrückbares vermehrtes Sekret im Tränensack verraten, be¬
sonders dann, wenn eine hohe Crista lacrimalis die Kompression
des Tränensacks erschwert, so ist es zweifellos das Sicherste,
bei allen Patienten, welche einer Bulbusoperation unterworfen
werden, auch bei denen, die noch keine Reizerscheinungen von
Seiten der Bindehaut bieten, eine diagnostische Durchspülung
der Tränenwege mit physiologischer Kochsalzlösung vorzu¬
nehmen.
Belehrt durch einen sehr traurigen Fall von Wundinfektion,
wo eine Dakryostenose sich dem Nachweis durch die gewöhnliche
Methode völlig entzogen hatte, habe ich seit 1898 solche Durch¬
spülungen ausnahmslos vorgenommen. Ich stimme in dieser Hin¬
sicht ganz überein mit dem von Kuh nt auf dem internatio¬
nalen Kongress in Paris (1900) bezeichneten Standpunkt. Mit
guter, feiner Kanüle, eventuell nach vorsichtiger Dilatation des
unteren Tränenpunktes und straffem Anziehen des Unterlides
nach der Schläfe hin, ist diese Durchspülung jederzeit leicht
und ohne alle Reizung zu bewerkstelligen.
Weisen wir dabei eine noch durchgängige Stenose nach, so
lässt sich durch wiederholte Spülung wohl noch eine ausreichende
Reinigung erzielen. Besteht aber Totalstenose, mit oder ohne
eigentliche Dakryocystitis, so ist meines Erachtens die Ex¬
stirpation des Tränensackes die beste Prophylaxe
gegen die drohende Operationsinfektion. Durch die klinische
Erfahrung und durch die auf meine Veranlassung geschehenen
bakteriologischen Untersuchungen von Plaut und v. Ze-
lewski1) wissen wir, dass einige Wochen nach der Exstir¬
pation die Bindehaut eine relativ infektionsungefährliche
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
J) Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1900.
5. August 1902.
MUEN CIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
schaflfenheit angenommen hat, und zur Genüge gereinigt werden
kann.
Es erscheint das zunächst auffallend: Wie oben ausgeführt
wurde, ist die Ableitung der Tränen ein wichtiger Faktor bei
der Selbstreinigung des Auges — hier wird sie dauernd unter¬
brochen") und doch erklären wir uns mit dem Ergebnis bezüg¬
lich der Infektiosität relativ zufrieden ?
Es ist das so zu verstehen, dass der Zustand der Bindehaut
besser ist, als vor der Exstirpation, wo oberhalb des ja bereits
vorhandenen Verschlusses des Ductus nasolaerimalis im Tränen¬
sack eine Stauung und Vermehrung der Mikroorganismen eintrat,
von wo aus sich der infektiöse Stoff rückwärts in den Konjunkti-
valsack fortsetzen konnte. Zwar ist auch nach der Exstirpation eine
Stagnation auf der Bindehaut vorhanden. Es ist aber offenbar
prinzipiell verschieden, ob die Unterbrechung der Leitung erst
unterhalb des Tränensacks oder vor dem letzteren geschieht. Ich
stelle mir vor, dass i m Tränensack für die Vermehrung und
Virulenzzunahme der Mikroorganismen, besonders der häufigsten
und für das Auge gefährlichsten Erreger, der Pneumokokken,
günstigere Bedingungen vorliegen, einerseits wegen seiner etwas
höheren Temperatur, welche diejenige der offenliegenden, der
Verdunstung ausgesetzten Konjunktiva übertreffen wird,
andererseits deshalb, weil die fortgesetzte Benetzung mit den
sterilen Tränen fortfällt, sobald im Duktus eine Totalstenose
besteht. Denn in den einmal gefüllten, nicht entleerten Thränen-
sack wird weitere Tränenflüssigkeit nicht eindringen. Die sich
im Sack bildende Flüssigkeit ist deshalb wohl ein besserer Nähr¬
boden, umsomehr, wenn nunmehr eine katarrhalische Sekretion
mit ihrem vermehrten Gehalt an organischen Substanzen im
Tränensack hinzutritt.
Wie Plaut und v. Zelewski nachgewiesen haben, sind
nach der Exstirpation im Vergleich zu einer normalen Leitung
die Mikroben auf der Bindehaut zwar vermehrt, aber im wesent¬
lichen handelt es sich um Xerosebazillen und wenig virulente
weisse Staphylokokken, gefährliche Eitererreger sind nicht
häufig, während im Stauungssekret des Tränensacks bekanntlich
virulente Eitererreger sehr häufig sind.
Wiewohl die allermeisten Fachkollegen zur Vorbereitung von
Operationen in der Weise verfahren würden, dass sie bei vor¬
handener Dakryostenose oder doch bei Dakryocystitis die Ex¬
stirpation des Sackes vorausschicken, so habe ich diese Aus¬
führungen doch für notwendig gehalten, weil auf einem anderen
Gebiet der Prophylaxe septischer Infektionen des Augapfels diese
Tatsachen noch bei weitem nicht die allgemeine Verwertung
finden, welche sie unbedingt beanspruchen müssen. .Ich meine
das Gebiet der so häufigen Berufsver¬
letzungen des Auges, von denen auch heute
noch, jahraus, jahrein, eine grosse Anzahl
durch hinzutretende Sepsis zum mehr oder
weniger vollständigen Verluste des Sehens
führ t.
Es sind alljährlich viele hunderte von Fällen in
Deutschland, die nach kleinen Verletzungen der Kornea an
ITypopyonkeratitis, besonders an Ulcus corneae serpens er¬
kranken, mit seinen bekannten, so oft verhängnisvollen Erschei-
nungen. Nur ein kleiner Teil bezieht die Infektion durch den
verletzenden Gegenstand, durch Verunreinigung mit den Fin¬
gern, schmutzigen Tüchern u. s. w., oder von der gesunden Binde¬
haut, den Lidern. Bei der grössten Mehrzahl bestand bekannt¬
lich ein Lidbindehautleiden und noch öfter eine Dakryostenose
resp. Dakryocystitis, deren Häufigkeit beim Ulcus corneae ser¬
pens über 60 Proz. zu sein pflegt.
Hier liegt vor uns ein weites, fruchtbares
Gebiet für die Prophylaxe, die Verhütung der
Blindheit und der Erwerbschädigung!
2) Wenn man bei Tränensackexstirpierten in das eine Tränen¬
röhrchen mit der A n e 1 sehen Spritze Flüssigkeit injiziert, so er¬
lebt man nicht selten, dass dieselbe zum andern Röhrchen wieder
herausläuft; es sind also die beiden Röhrchen an ihrem lakriinalen
Ende miteinander in Verbindung getreten. Ein eigentlicher Sack
aber bildet sich nach totaler Exstirpation nicht wieder und eben¬
sowenig habe ich Flüssigkeit in die Nase ablaufen gesehen. Es
kommen also nach der Exstirpation nur Verdunstung resp. Auf¬
saugung der Tränen in Betracht, die von Berlin beschriebene
„Ableitung“ dagegen jedenfalls nur ganz ausnahmsweise.
1291
Die in Betracht kommenden, meist kleinen Verletzungen
wird man nicht aus der Welt schaffen, da Schutzbrillen, Gitter
n. s. w. nur unvollkommen dagegen schützen und zumeist nicht
getragen werden, andererseits die Arbeit der Schlosser, der
Metalldreher, der Land- und Waldarbeiter etc. solche Ver¬
letzungen unvermeidlich macht. Deshalb ist es Pflicht und
Schuldigkeit, ein wachsames Auge zu haben auf Bindehautleiden
und ganz besonders 1 ränensackerkrankungen bei der arbeitenden
Bevölkerung. Ls bedarf hier oft besonderer Anregung durch den
Arzt, da diese Veränderungen von den Leuten dieses Standes
sehr oft nicht gewürdigt werden. Sehen wir uns besonders bei
der Landbevölkerung die Fälle von Dakryocystitis an, die von
selbst unsere Behandlung suchen, so sind dies vorwiegend ent¬
weder Phlegmonen oder sehr oft bereits Fälle von Hypopon-
keratitis; die vorher meist schon Jahre lang bestehende Dakryo¬
cystitis aber hatte sie nicht zu einer Behandlung veranlasst.
Es wird deshalb durchaus nötig sein, dass
die Herren Kollegen aus der Praxis, besonders
die Landärzte und die Kassenärzte, bei ihren
Schutzbefohlenen chronische Bindehaut- und
T ränonlei d e n au f spüren und zur Behandlung
veranlassen, wo sie nur können.
Welche Behandlung ist nun aber für ein Tränenleiden bei
solchen Personen angezeigt?
Es mag manchen radikal klingen, wenn ich darauf antworte,
dass mit seltenen Ausnahmen für den arbei¬
tenden Stand die Exstirpation des kranken
Tränensackes das notwendige Verfahren ist.
Ich will durchaus nicht leugnen, dass an und für sich die
konservative Therapie der Tränenleiden mittels Massage, Durch¬
spülung und Sondierung bei manchen Fällen gute Resultate
geben kann, aber nur dann, wenn keine Totalstenosen bestehen,
wenn mit vollendeter Technik gespült und sondiert wird und
wenn Arzt und Patient eine nicht geringe Ausdauer besitzen.
Dabei ist immer noch die Frage, wieweit die
auf diesem konservativen Wege erreichbare
klinische Besserung der katarrhalischen Er¬
scheinungen und des Tränens auch in aus¬
reichendem Masse eine infektionsungefähr¬
liche Beschaffenheit der Bindehaut herbei-
f ii h r t, besonders ob dies auf die Dauer geschieht. Denn das
ist eine Erfahrung, die wir immer wieder machen, dass nach dem
Aufhö ren jener konservativen Therapie nur zu gern die Striktur
sich allmählich wieder zusammenzieht und damit ein Rezidiv
mit all seinen Uebelständen eingeleitet wird.
Wo das Sondieren nur mit Verletzung der Schleimhaut,
Nasenbluten, Entblössung des Knochens3) geschehen kann, wird
ein Dauererfolg, erst recht zweifelhaft. Wer viele exstirpierte
Tränensäcke anatomisch untersucht hat, wird sich überzeugen,
dass die oft sondierten Säcke die allerschwersten Schrumpfungs¬
erscheinungen darzubieten pflegen. Ich kann in dier Hinsicht
die Angaben von Hertel vollauf bestätigen.
Dass bei veralteter Dakryocystitis mit Ektasie die konser¬
vative Therapie unzulässig ist, wird allgemein zugegeben, ebenso
bei der traehomatösen Form.
Aber für die arbeitende Bevölkerung werden mit wenigen
Ausnahmen jene an sich nicht sehr glänzenden Aussichten der
konservativen Therapie noch ganz wesentlich eingeschränkt durch
die sozialen Verhältnisse. Selbst die städtischen Arbeiter, bei
denen übrigens Tränenleiden bekanntlich relativ seltener sind,
als auf dem Lande, pflegen die für eine erfolgreiche Therapie
nötige Zeit und Geduld nicht zu beseitzen; für die ländliche
Bevölkerung aber ist das fast nie zu erwarten, und dürfte selbst
dann nicht durchzuführen sein, wenn die Kunst des vollendeten
3) In manchen Lehrbüchern und in vielen Kliniken findet sich
die x\nsicht, dass bei der chronischen Dakryocystitis häufig der
Knochen miterkrankt sei, dass eine ,, Karies“ sich oft damit ver¬
binde. die der Heilung besondere Schwierigkeiten bereite. Diese An¬
sicht ist d u r c h a u s unrichti g. Wer viele Tränen sackexstir-
pationen lege artis ausgeführt hat, wird sich überzeugen, dass eine
,.K a r i e s“ in Wirklichkeit fast nie vorkommt, abgesehen von der
seltenen tuberkulösen, sowie der phlegmonösen Dakryocystitis,
sondern es sind fast immer durch die Behandlung
gesetzte Schleimhautperiostverletzungen, die
den Knochen entblössen und veranlassen, dass so oft
die Sonden „rauhen Knochen“ treffen.
1*
MUENCHENEll MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
No. 31.
■121*2
Somlierens allen Kollegen geläufig wäre. Die Leute sind zu¬
meist gegen die geringen Beschwerden ihrer Krankheit gleich¬
gültig oder sie halten nicht aus, und die Rückkehr in ihre alten
Verhältnisse macht eine erreichte Besserung bald wieder rück¬
gängig. Deshalb ist die Exstirpation des Tränensackes indiziert.
Ich befinde mich in dieser Meinung, der ich auf dem Oph¬
thalmologenkongress 1901 bereits Ausdruck gegeben, und die
durch mein in der Dissertation von Michael niedergelegtes
Rostocker Operationsmaterial von 270 Fällen ihre nähere Be¬
gründung erfährt, in TJebereinstimmung mit K uhnt, Evers-
busch, Völckers, Czerma k, Wage n m a n n - Herte 1,
Schi r m e r, B r andenbur g, welch letzterer auch grade der
prophylaktischen Exstirpation das Wort redet. Auf dem er¬
wähnten Kongress sind weiter in der Diskussion dafür ein-
getreten W icherkiewicz, Franke, Schreibe r und
neuerdings bekennen sich auch einige französische Autoren zu
dieser Auffassung (T roussea u, V a 1 u d e).
Aber wohl viel grösser ist die Zahl derjenigen Fachgenossen,
die dieser Indikationsstellung entweder ablehnend gegenüber¬
stehen oder doch in praxi die Exstirpation zu selten ausführen.
Es dürfte das weniger daran liegen, dass etwa die Beseitigung
der Infektionsgefahr durch die Exstirpation bestritten würde;
das muss man ja zugeben. Eher wird ins Feld geführt, der
Eingriff sei zu radikal, die später Testierende Epiphora störend.
Dieser Einwurf ist jedoch gegenstandslos, da die Leute sich be¬
züglich der Epiphora doch mindestens besser befinden, wie vor
der Exstirpation, wo doch auch schon keine Ableitung bestand;
ausserdem wird aber erfahrunggemäss die Feuchtigkeit nach der
Exstirpation geringer.
Der Grund zur Abneigung dürfte aber in erster Linie der
sein, dass die Operation als solche vielfach unbeliebt ist; ihre
vollkommene Ausführung gilt vielen für unsicher, weil in der
relativ tiefen, daher engen Wundhöhle die Uebersicht infolge der
Blutung erschwert sei, so dass der Tränensack bei der Exstir¬
pation leicht zerreisse, Stücke zurückblieben, die zu neuer Epi¬
thelisierung und zum Rezidiv führen könnten.
Ich selbst habe vor Jahren aus den genannten Gründen die
Tränensackexstirpation nur sehr ungern und selten ausgeführt,
mir dann aber mehr und mehr eine bessere Technik ausgebildet,
und habe auf diese Weise alle jene Unannehmlichkeiten mit
Sicherheit vermeiden gelernt.
Der 1 lautschnitt verläuft y> cm nasalwärts vom inneren Lid- -
Winkel, etwas oberhalb des Ligament, cantlii internum beginnend,
bogenförmig vor der Crista lacrimalis nach unten aussen in einer
Länge von ca. 21/» cm. gleich bis auf den Knochen. Ich halte
diesen Schnitt für besser als kleinere Hautinzisionen, so wenig
ich bestreiten will, dass man auf letztere sich einüben kann, weil
alsdann eine wirklich freie Uebersicht leicht erreichbar ist4).
Insbesondere ist man dann im stände, genau zu erkennen, ob die
4) Auch deshalb ist ein grösserer Hautschnitt besser, weil sich
dann klar überblicken lässt, ob die Dakrocystitis zu einer der be¬
nachbarten Nebenhöhlen der Nase in Beziehung steht. Im all¬
gemeinen sind solche Kombinationen nach meiner Erfahrung nicht
häufig: unter 270 Exstirpationen habe ich nur 2 mal gleichzeitiges
Siebbeinzellenempyem, 2 mal ein solches d r Ilighinorslinhle (bei
Tuberkulose des Sackes) gefunden. Natürlich muss man sich
Crista lacrimalis hoch ist, so dass man hinter ihr nach unten prä¬
parieren muss, um nicht die untere Kuppe zurückzulassen; achtet
man darauf, diese untere Kuppe ganz zu entfernen, dann wird
man auch keine Rezidive erleben. Kosmetisch kommt der grös¬
sere Schnitt nicht in Betracht, er vernarbt in der Regel spurlos.
Nach dem Schnitt ist in erster Linie notwendig, eine voll¬
kommene Blutstillung zu erreichen, weil sonst in der Tat
nichts zu erkennen ist. Bei der Engigkeit der Wunde ist mit
Peans, Schiebern u. dgl. nicht viel anzufangen, da diese den relativ
engen Raum zu sehr verdecken. Dagegen erreichen wir durch
eine zweckmässige Hakenkompression der Wundränder schnell
unser Ziel. Mit dem Müller sehen Wundspekulum, an welchem
ich etwas grössere Zähne habe anbringen lassen, ziehen wir hori¬
zontal die Wundränder scharf auseinander, dann setzen wir von
der Nasenseite her das von mir konstruierte Spekulum °) ein und
ziehen die Wundecken nach oben und unten straff an, dann steht
die Blutung. Wenn bei der Ablösung des Periosts in die Fossa
lacrimalis hinein oder später bei der Umschneidung der Kuppen
und der temporalen Wandung noch parenchymatöse Hämorrhagie
stört, -o steht diese schnell auf Kompression, besonders wenn man
die T upf er mit Kokainlösung t r ii n k t. Es ist sehr
selten, dass trotz dieser Vorkehrungen doch eine Blutung z. B. aus
einem Knochengefäss stört, sondern fast immer ist die Operation
glatt und in toto in ca. 10 Minuten beendet, Kratzt man jetzt den
Ductus nasolacrimalis aus und drainiert auf diese Weise nach der
Nase hin, so pflegt die Wunde per primam zu heilen.
Man hat bei der Operation noch darauf zu achten, dass der
Hautschnitt nicht zu nahe an den Lidwinkel gelegt wird. Es
kann sonst, da die Haut sich in die Fossa lacrimalis etwas ein¬
zusenken pflegt, ein massiges Abstehen des Unterlides für die
erste Zeit eintreten, wodurch ein Reizzustand der Bindehaut, an¬
haltenderes Tränen und ein grösserer Keimgehalt bedingt sein
kann. Es ist ferner zu vermeiden, dass bei Umschneidung der
(konjunkiivalwärts gelegenen) temporalen Wandung des Tränen¬
sackes die äussere Haut oder die Bindehaut gefenstert wird. Bei
Benutzung der die Hautränder so straff anspannenden Specula
ist das nicht zu befürchten. Bei sehr ektatischen Säcken zieht
man die Haut mit einem tiefer eingesetzten Haken besonders
stark nach aussen.
Geht man in dieser Weise vor, so ist wenige Wochen nach
der Exstirpation das Tränenträufeln ganz gering, in der Mehr¬
zahl der Fälle tritt es ganz zurück (mit Ausnahme von besonderen
Reizen, wie Wind, Kälte etc.), indem der Absonderungsgrad sich
mehr oder weniger anpasst, nachdem die reflektorische Reizung
durch den Katarrh, das infektiöse Tränensacksekret beseitigt ist.
Nur selten hat man Veranlassung, zur Beseitigung von lästigem
Tränen noch die Exstirpation der gelegentlich hypertrophisch
gewordenen oder übermässig sezernierenden Tränendrüse hinzu¬
zufügen. Am schnellsten und vollkommendsten pflegt die Adaption
einzutreten bei denen, die vor der Exstirpation schon eine Total-
stenose hatten, was bei Dakryoevstitis die Regel ist, während
solche mit noch nicht ganz aufgehobener Leitung öfters ein ge¬
wisses stärkeres Tränen behalten °).
hüten, eine- Eröffnung des Siebbeins durch die Operation mit einer
Kommunikation zu verwechseln.
Peters (Zeitschr. f. Augenheilk. II. 1899. S. 153), der in Ueber-
oinstimmung mit Kuhnt es als ziemlich häufig bezeichnet, dass das
Bild der ektatischen Dakryocystitis durch eine Sinusitis entstehe,
gibt an. dass man dies besonders dann anzunehmen habe, wenn ein
Tumor lacrimalis sich mit dem Finger fortdrücken lasse, ohne dass
dabei sein Inhalt sich nach der Konjunktiva hin entleere. Dann
werde derselbe in die erkrankte Nebenhöhle verlagert. Dieser
Auffassung kann ich jedoch nicht uneingeschränkt beistimmen;
ich habe vielmehr bei 5 Patienten, welche dies klinische Symptom
darboten, mich bei der Operation überzeugen können, dass eine
Sinusitis nicht bestand; vielmehr war Hochstand der Crista lacri¬
malis bei bedeutender, bis in den Duktus reichender Ektasie des
Sackes vorhanden, dessen untere Hälfte demnach nicht von aussen
komprimierbar war. In diese untere, divertikelartige Hälfte war
der von aussen palpable Inhalt der oberen Tränensackhälfte ver¬
schoben worden. Andererseits gibt es gar nicht so selten ektatische
Tränensäcke, welche nach der Bindehaut hin obliteriert sind, nach
der Nase aber auf Druck sich entleeren. Ich muss also hervor¬
beben. dass Erkrankungen von Nebenhöhlen der Nase bei der
Tränensackblennorrhoe keine grosse Bedeutung haben. Natürlich
denke ich dabei nicht an die bekannten Vorwölbungen oberhalb
der Fossa lacrimalis, welche vom Siebbein oder Stirnbein herrühren
und bei genauerer Untersuchung von der Dakryocystitis doch fast,
immer zu unterscheiden sind, wie dies ebenso bei den prä- resp.
sublakrimalen Schwellungen der Fall ist. welche bei Higlimors-
höhlen- und Oberkiefererkrankungen Vorkommen können.
B) Bei II. Windler- Berlin.
B) Die Abnahme der Tränensackabsonderung nach der Ex¬
stirpation liegt in erster Linie an einer Verminderung der die
Tränendrüse treffenden funktionellen Reize, die in dem infektiösen
Sekret und dem katarrhalischen Zustand der Bindehaut, sowie
1293
MÜENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
5. Aug-ust 1902.
Ich habe die bestimmte Hoffnung-, dass die Befolgung solcher
technischen Regeln die Tränensackexstirpation zunächst all¬
gemein zu einer beliebten Operation in technischer Hinsicht
macht. Ist man auf diesem Standpunkt angelangt, dann wird
man auch die Indikation für die arbeitende Klasse mehr und
mehr, und wie ich hoffe, schliesslich allgemein so stellen, dass
man alles daran setzen sollte, in diesen Kreisen jedes Tränen¬
leiden, einzelne Ausnahmen abgerechnet, der Exstirpation zu¬
zuführen.
Han darf natürlich nicht erwarten, dass die ILypopyon-
keratitis dann so gut wie aufhören werde. Die Dakryocystitis
ist zwar die häufigste, nicht aber die einzige Quelle für die In¬
jektion, die auch einmal gleich von der Verletzung herrühren,
durch die Finger, schmutzige Utensilien herbeigeführt werden
kann. In seltenen Fällen kann natürlich auch ein Auge in¬
fiziert werden (von irgend einer anderen Stelle her), welchem der
Tränensack exstirpiert ist. Aber wir dürfen doch sicher er¬
warten, dass durch möglichst zahlreiche Tränen¬
sackexstirpationen Augen in grosser Zahl vor
einer septischen Infektion bewahrt bleiben.
Der statistische Beweis dafür ist einerseits dadurch zu er¬
bringen, dass man bei Tränensackexstirpierten nur sehr selten
eine Hornhautinfektion zu Stande kommen sieht. Andererseits
wird man die Frequenz der Hypopyonkeratitis vor und nach Ein¬
führung dieser Therapie vergleichen. Allein dieser Vergleich
wird nur dann exakt beweisend sein, wenn er sich auf einen sehr
grossen Zeitabschnitt von vielen Jahren bezieht. Ich habe
zwar während der 3 Jahre, in welchen ich in Rostock im ganzen
jene 270 Exstirpationen ausführte, den Eindruck gehabt, dass die
Zahl der septischen Hornhautinfektionen zurückging. Aber
die Freizügigkeit der ländlichen Bevölkerung, sowie die Tat¬
sache, dass eben noch zahlreiche unbehandelte Fälle von Dakryo¬
cystitis im Lande sassen, trotz der anerkennenswerten Beteiligung
der dortigen Kollegen an dieser Frage, lassen es ausgeschlossen
erscheinen, exakte Beweise aus jener Statistik in dieser Hinsicht
zu entnehmen. Eher fällt ins Gewicht, dass ich bei meinen
Tränensackexstirpierten nur 2 mal eine Keratitis nachher noch
habe entstehen sehen: das einemal bei einem sehr schmutzigen
Manne, der ausserdem an Sycosis simplex der behaarten Gesichts¬
haut und auch der Lider litt, das anderemal in Form einer Ent¬
zündung eines alten ektatischen Leuconra adhaerens.
Jenes Rostocker Material, welches in der Dissertation von
Herrn Michael genauer beschrieben wird, ergibt, dass jene
270 Exstirpationen zur Ausführung kamen:
229 mal bei Personen der arbeitenden Klassen,
41 mal bei Angehörigen der besseren Stände.
Es waren von jenen Fällen 92 mit ITomhautleiden kom¬
pliziert, davon allein 71 mit schwerem Ulcus serpens resp. grossen
Leukomen, ein Beweis, wieviel und wie schwere Schädigung an
Arbeitskraft auf diesem Wege zu Stande kommt, und wie gx-oss
die finanzielle Belastung ist, welche auf diese Weise dem Ein¬
zelnen, wie besonders den Berufsgenossenschaften, Kranken¬
kassen und Versicherungsanstalten auf gebürdet wird.
Deshalb dürfen wir nicht rxihen, noch rasten, bis allge¬
mein eine bessere, wirksamere Prophylaxe gegen diese grossen-
teils vermeidbaren septischen Berufsinfektionen geschieht, als
wie sie heutzutage leider noch vielfach üblich ist.
eventuell in der Saugwirkung des Tränenstroms (bei inkompletter
Stenose) bestanden. Dass eine allmähliche Atrophie der Drüse nach
operativer Beseitigung der Nasenleitung einträte, wie Stanc uleanu
und Theophari und jiinst wiederTerson dies behauptet haben, ist
unzutreffend. Die von jenen Autoren beschriebene angebliche
Degeneration beruht vielmehr auf einem Irrtum, indem nach
m einen und B i e 1 1 i s Untei-suchungen die normale und beson¬
ders die sezerniei-ende Drüse schon physiologisch Fett in den
Epithelien enthält und ebensowenig pathologische „Granula“ in
solchen Fällen nachweisbar sind. (Näheres cf. Verhandl. d. opli-
thalmolog. Gesellscli. Heidelberg 1900.) Beim Kaninchen will
allerdings Tscherno-Schwartz expei'imentell durch Ex¬
stirpation des Sackes Atrophie der Drüse erzielt haben; doch sind
die geringen Gewichtsunterschiede und ebenso die histologischen
Befunde noch nicht voll überzeugend.
No. 31.
Aus der medizinischen Klinik in Ei-langen
(Direktor: Prof. A. v. Strümpell).
Bericht über eine Wiederkäuerfamilie.*)
\ oii Di . L. I Mülle r, Privatdozent und Oberarzt an der
medizinischen Klinik.
Im Herbste 1900 suchte ein 50 jähriger Mann wegen eines
schweren Magenleidens die Klinik auf. Bei der Aufnahme der
Anamnese gab der Kranke an, dass er seit seinem 6. Lebensjahre
die genossene Nahrung wiederzukauen pflege. Später stellte sich
heraus, dass auch 2 Söhne dieses Patienten, ohne dass ihr Vater
darum wusste, Wiederkäuer sind. Diese merkwürdige, hier fa¬
miliär auftretende Eigentümlichkeit im Mechanismus der Ver¬
dauung scheint mir einer kurzen Besprechung wert, zuvor aber
möchte ich einen Auszug aus der Krankengeschichte des Vaters
und den Berichten der beiden Söhne bringen :
1. F. S. (in der Klinik vom 10. September bis zu seinem Tode
am 3. Oktober 1900) bat erst seit einem halben Jahre über Magen¬
beschwerden zu klagen. Anfänglich bestanden diese nur in
starkem Magendrücken, seit etwa 4 Monaten gesellte sich dazu
häufiges Erbrechen; in den letzten 4 Wochen muss Patient fast
jedesmal kurze Zeit nach Aufnahme der Nahrung dieselbe wieder
von sich geben. Seit dieser Zeit magei-t er rasch ab. Das Er¬
brochene war nie blutig; es hatte meist die Farbe und Beschaffen¬
heit der kurz vorher gegessenen Speisen. Sonstige Beschwerden,
insbesondere Schmerzen bestehen nicht, nur über quälenden Durst
hat der Kranke noch zu klagen.
Patient erzählt, dass er von seinem 0. Lebensjahre bis zum
Beginu der jetzigen Krankheit „Wiederkäuer“ gewesen war, d.h.
eine Viertelstunde nach der Mahlzeit seien ihm die genossenen
Speisen in einzelnen Portionen wieder in den Mund aufgestiegen,
nun erst wurden sie ordentlich durchgekaut und dann aufs Neue
wieder verschluckt. Er wäre stets ein starker Esser gewesen und
hätte immer rasch und hastig gegessen und das erstemal schlecht
gekaut.
Während Patient jetzt in seiner Krankheit vor dem Erbrechen
stets Unbehagen und Uebliclikeit hat, die sich so lange- steigern,
bis endlich der Brechakt unter Schweissausbruch ausgelöst wird,
war ihm früher das Aufstossen der Speisen durchaus nichts Un¬
angenehmes, ja erst beim Wiederkäuen der Speisen
hatte er einen Genuss von der Nahrung.
Bei der Untersuchung des stark abgemagerten, aus¬
gesprochen kachektisch aussehenden Patienten lässt sich in der
Magengegend bei stossweiser Palpation eine Geschwulst fühlen,
aber nicht deutlich abgi-enzen; die Untersuchung der übrigen Or¬
gane kann, abgesehen von etwas geblähten Lungen, keinen krank¬
haften Befund erheben. Der Harn ist sehr konzentriert, beim Ver¬
setzen mit Eisenchlorid nimmt er eine rotbraune Farbe an (Azet-
essigsäure).
Beim Sondieren des Magens kann man 4G cm weit hinter die
Zahnreihe dringen, dann hat man die Empfindung eines nicht zu
überwindenden Widei-standes. Am Sondenschnabel fand sich
etwas blutiger Schleim. Beim Eingiessen von Flüssigkeit durch
die Sonde wird das Wasser, sobald es eine Menge von 150 ccm
überschreitet, neben dem Schlauch wieder herauserbrochen. Auch
der Versuch der künstlichen Aufblähung des Magens durch ein
Gebläse misslingt, da die Luft neben der Sonde aus der Speise-
röhi-e entweicht, von einer Ausdehnung des Magens lässt sich bei
diesen Vei-suchen, Luft einzupunxpen, nichts erkennen.
Aus dem nüchternen Magen ist mit Mühe eine geringe
Menge milchiger Flüssigkeit zu expi-imieren, Reaktion sauei-, Saiz-
säureprobe negativ, Milchsäureprobe angedeutet positiv.
Das Probefrühstück wird kurze Zeit nach der Zufuhr
fast ganz wieder erbrochen. Der geringe Rest wird nach einer
Stunde wieder ausgepresst. Reaktion sauei-, Salz- und Milch¬
säureproben negativ.
Die Probemahlzeit wird, noch bevor sie ganz einge¬
nommen war, wieder erbrochen.
Nach der Aufnahme von Nahrung oder nach dem Eingiessen
von Flüssigkeit ist links neben der hinteren Medianlinie in der
Höhe vom 5. — 11. Brustwirbel eine dreifingerbreite Dämpfung
nachzuweisen, die nach dem Erbrechen wieder verschwindet und
somit wohl auf den erweiterten und angefüllten Oesophagus
zurückzuführen ist.
Da der Kranke infolge des stetigen Erbrechens der Nah¬
rung fast nichts resorbieren konnte, vei-fällt er rasch. Die
verabreichten Nährklystiere konnten die stetige Abnahme der
Kräfte nicht aufhalten. Bald stellten sich Inanitionsdelirien ein,
es trat sehr starker Azetongeruch ex oi-e auf und 3 Wochen nach¬
dem der Kranke in die Klinik aufgenommen wurde, kam es zum
Exitus letalis.
Bei der Sektion des hochgradig abgemagerten Mannes fand
sich nun, wie vermutet, ein Magenkarzinom. Dasselbe teilte den
*) Nach einem am 7. Juli in der physikalisch-medizinischen
Gesellschaft zu Erlangen gehaltenen Vortrag.
2
MH EN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
1294
Magen, wie aus der Figur ’) zu ersehen ist, in einen linken
grösseren, etwa 120 ccm und einen rechten kleineren, etwa
90 ccm fassenden
Abschnitt. Die ring¬
förmig angeordnete
W uclierung schnürte
den Magen zu einer
sanduhrähnlichen
Form ein. Die cir-
rhotische Infiltration
der Magenwand er¬
reicht eine Dicke bis
zu 12 mm. Die da¬
durch bedingte Ver¬
engung des Magens
zwischen seinen bei¬
den Hälften ist so
stark, dass sie für
einen Finger nicht
durchgängig ist. Die
Magenwand ist an
dieser Stelle in
dicke, starr infil¬
trierte Falten gelegt
(siehe Fig.).
Am Pylorus ist
nichts Krankes
nachzuweisen. Da¬
gegen ist die Kardia
auf den Umfang
Umfang eines Zweimarkstückes erweitert und auch der
Oesophagus ist in seiner ganzen Ausdehnung stark dila-
liert, so dass er am Präparat etwa das Aussehen und den Dicken¬
umfang des Dünndarmes hat. Bei der Sektion fand sich ausser¬
dem noch eine karzinomatöse Infiltration des Netzes und das war
wohl der Tumor, der intra vitam durch die Bauchdecken durch
palpiert werden konnte.
2. Der jüngste Sohn des Patienten, Herr F. S., 22 Jahre,
Beamter in Nürnberg, konsultierte mich am IS. September 1900
gelegentlich eines Besuches bei seinem kranken Vater. Er habe
erfahren, dass sein Vater schwer magenleidend wäre, und wolle
sich nun befragen, oh das Aufstossen der Speisen, an dem er schon
seit vielen Jahren leide, nicht auch schon ein Zeichen einer Magen¬
erkrankung sei. Etwa 15 Minuten nach vollendeter
Mahlzeit steige ihm dieselbe in einzelnen Bis¬
sen wieder zum Mund und erst dann kaue er die
N ahrung ordentlich durch. In e t w a 20 Malen
komme so allmählich das ganze Essen wieder
herauf. Der Vorgang des Wiederkauens brauche
etwa eine Stunde, es dauere so lange, „bis die
M a gensäure ko m m e“. Die aufstossen den Speisen
ekeln ihn nicht an, Herr S. hat im Gegenteil
eine angenehme Empfindung und entschiedenen
Wohlgeschmack beim Wiederdurch kauen der
N a li r u n g. Bier, Wasser, oder Kaffee steigen nie wieder auf,
dagegen kommt Kaffee mit Brot oder Kuchen genossen, wieder
hoch. Nicht alle Speisen werden gleiehmässig wieder gekaut; saure
Fleischspeisen bleiben ruhig im Magen liegen. Besonders stark
tritt das Wiederkauen nach Aufnahme von Mehl- und Eier¬
speisen und nach Gemüse und Obst auf.
Herr S. hat gar keine Beschwerden von seiten des Magens,
er fühlt sich g a n z wohl; er hat sehr guten Appetit, ja er
glaubt, dass er mehr esse wie andere Leute; S. sucht nur, da er
schon einmal in der Klinik ist, den Kat des Arztes nach. Er werde
von seinen Kameraden wegen des Wiederkauens oft ausgelacht
und er befürchtet, dass sich bei ihm ein ähnliches Magenleiden
wie bei seinem Vater entwickeln könne. Herr S. ist seit vielen
Jahren in der Fremde und war sehr erstaunt, zu hören, dass auch
sein \ ater früher die Gewohnheit des Wiederkauens gehabt hätte.
Auf meinen \ erschlag hin kam S. nach einigen Tagen (am
2.J. IX. 1900) in die Sprechstunde der Klinik, um sich eingehender
untersuchen zu lassen. Er ist ein schlank aufgewachsener, frisch
aussehender junger Mann. Am Körper, insbesondere am Leib
und in der Magengegend lässt sich gar nichts Krankhaftes nach-
weisen. Die Magensonde ist ohne Schwierigkeiten einzuführen.
Beim Aufblähen des Magens sind die Begrenzungslinien desselben
durch die ziemlich fettreichen Bauchdecken hindurch nicht zu
erkennen, beim stärkeren Aufblasen entweicht Luft neben der
Sonde. Herr S. bekommt in der Klinik eine Frobemahlzeit, be¬
stehend aus Suppe, Brot, gebratenem Lendenstück und Kartoffel¬
brei. Zu seinem Erstaunen kamen aber die Speisen nicht wieder
hoch. Als S. nach einigen Tagen (am 25. September 1900) die
Klinik wieder aufsuchte, erzählte er, dass fast unmittelbar nach¬
dem er das ärztliche Untersuchungszimmer verlassen habe, sich
das Aufstossen eingestellt hätte und er sich beim Wiederdurch-
J) Die Zeichnung ist von Herrn Dr. S c h r i d d e, Assistenzarzt
am pathologischen Institut, nach dem in Kayserlingscher
Flüssigkeit aufbewahrten Präparat angefertigt worden. Aus der
li i n t e r e n Wand des Magens ist zur Veranschaulichung der
mittleren elrrhotischen Einschnürung und der Verdickung der
Magenwand ein Fenster ausgeschnitten worden. Herrn Dr.
S c h r i d d e möchte ich auch an dieser Stelle für seine freundliche
Hilfe meinen vei’bipd[liQhsten Dank sagen.
kauen der Probemahlzeit des Wohlgeschmackes derselben erfreuen
konnte. In etwa 15 — 20 Portionen wäre die ganze Mahlzeit wieder
„hochgekommen“. In Gegenwart von anderen Personen, besonders
wenn diese ihn beobachten, bleibe die geschilderte Verdauungs¬
eigentümlichkeit meist aus und zwar, wie er vermutet, deshalb,
weil er seit langer Zeit bemüht ist, unter solchen Umständen das
Wiederauf stossen der Speisen zu verhindern. Ist Herr S. aber,
wie z. B. nach Tisch in der Schreibstube, allein, so kommen „ganz
von selbst“ die Speisen in einzelnen Bissen wieder in den Mund
und während der Arbeit kaue er mit Behagen die kurze
Zeit vorher genossene Mahlzeit wieder durch. Heute (25. IX.
1900) Mittags 1 Uhr hat Herr S. reichlich süsse Speise
zu sich genommen und ist jetzt (Nachmittags 2 Uhr), wie
er sagt, im besten Wiederkäuen begriffen; er fühlt sich aber,
seitdem er im Untersuchungszimmer ist, doch wieder in seiner
Gewohnheit gehemmt und erst, nachdem der Arzt für kurze Zeit
das Zimmer verlassen hat, stellt sich das unterbrochene Wieder-
aufstossen der Nahrung ein und hält nun auch, als Herr S. wieder
in Beobachtung genommen wurde, an. Dabei lässt sich erkennen,
dass etwa alle 4 Minuten unter geringer Ein¬
ziehung des Abdomens und kaum merkbarer
Vonvärtsbeugung des Kopfes ein Bissen hoch¬
steigt, der nun unter leicht kauenden Bewe¬
gungen der Kiefer, die aber nur bei scharfer
Beobachtung auffallen, wieder durchgearbeitet
und dann neuerdings verschluckt w i r d. Herrn S.
ist es sichtlich peinlich, dass dieser Vorgang, den er bis jetzt nach
Möglichkeit zu verbergen suchte, jetzt genauer studiert wird.
Nach etwva 20 Minuten erklärt er, dass jetzt die Bissen sauer
werden und dass damit das unwillkürliche Wiederaufstossen der
Nahrung nachlasse.
Daraufhin wird in der Klinik ein Gericht von Rühreiern ver¬
abreicht, auf welche Nahrung hin besonders stark der Zwang zum
Wiederkäuen auftreten soll. 10 Minuten nach vollendeter Mahl¬
zeit stösst. die Speise zum ersten Male auf und in Zwischenräumen
von 3 Minuten kommt immer ein Mundvoll von den eben genos¬
senen Eiern unter einer kaum sichtbaren Würgbewegung wieder
hoch. Herr S. wird aufgefordert, diese nun nicht wieder zu kauen,
sondern in bereitstehende Bechergläser zu entleeren. I n
22 Schüben wird die ganze vorher genossene
Eierspeise im Zeitraum von etwas über y2 Stunde
wieder herauf gewürgt. Die einzelnen Portionen
sind alle gleich gross, immer ein guter Bissen, der einem
gehäuften Esslöffel (4 — 5 g) entspricht. Der filtrierte Saft dieser
Bissen reagiert angedeutet sauer, die Proben auf freie Salzsäure
sind negativ.
Am 14 Oktober 1900 wird Herrn S., der sich zur neuer¬
lichen Untersuchung vorstellt, ein Probefrühstück verabreicht und
1 Stunde darnach ausgehebert. Es ist zu einem feinen Brei ver¬
arbeitet, die Salzsäureproben und Pepsinproben sind deutlich posi¬
tiv, Azidität 55. Beim Nachspülen zeigt sich, dass über 2 Liter in
den Magen eingegossen werden können, dieser also ungewöhnlich
gross ist. Die Röntgenuntersuchung der Speiseröhre und des
Magens während des Schluckens von Oblaten, die mit Bismutum
subnitricum gefüllt sind, ergab keine brauchbaren Resultate. Ein
mit Bleidraht ausgefüllter Magenschlauch lässt sich nach seiner
Einführung in den Magen bei der Durchleuchtung mit Röntgen¬
strahlen auf dem Lichtschirm bis unter das Zwerchfell verfolgen.
Ueber die Konturen des Magens konnte ich aber nichts Zuver¬
lässiges erforschen.
Am 30. Septembe r 1901 kommt Herr S. auf meine Auf¬
forderung hin wieder in die Klinik. Er fühlt sich jetzt ebenso
wie früher körperlich und geistig vollständig wohl, er hat nie
Beschwerden von Seiten des Magens, nie Erbrechen. Die An¬
gewohnheit, die Mahlzeiten heisshungrig rasch hinunter zu essen
und dabei kaum zu kauen, besteht noch wie früher, ebenso die Ge¬
wohnheit des Wiederkäuens. Erst wenn die Speisen wieder
heraufkommen, werden sie ordentlich zerkleinert, dann erst hat
er Genuss von der Nahrung. Ist Herr S. in Folge von äusseren
Umständen (so z. B. in Gesellschaft) nicht in der Lage, dem Drange
zum Aufstossen nachzugeben, so tritt ein drückendes, un¬
angenehmes Gefühl im Magen ein. Nach Aufnahme von sehr reich¬
lichen Mengen tritt der Zwang zum Wiederkäuen so stark auf,
dass er nicht unterdrückt werden kann. Flüssige
Speisen kommen nicht wieder herauf, Fleischspeisen nicht immer,
ganz regelmässig aber steigen Mehl- und Eierspeisen wieder in den
Mund auf.
Von seiten des Darmes bestehen keine Beschwerden, Stuhl
erfolgt regelmässig, täglich. Nervöse Störungen sind nicht nach-
zuweisen, Herr S. macht den Eindruck eines durchaus gesunden,
ruhigen und sehr verständigen Menschen. Er erzählt, dass sein
Bruder, mit dem er nur in den frühen Kinderjahren im Elternhaus
zusammengelebt hat, auch die Gewohnheit habe, die genossenen
Speisen wiederzukauen.
3. Auf eine schriftliche Anfrage teilte mir nun Herr E. S.,
Beamter in D„ mit, dass es sich tatsächlich so verhalte, wie sein
Bruder berichtet habe. Seit seinem 12. Lebensjahre stosse ihm
etwa eine halbe Stunde nach vollendeter Mahlzeit die genossene
Nahrung in einzelnen Bissen wieder in den Mund auf und
werde dort nochmal gekaut. Dieser ganze Vorgang
verursache ihm eine angenehme Empfindung, er versuche
aber, und zwar in der letzten Zeit mit Erfolg, die „üble Angewohn¬
heit“ nach Möglichkeit zu bekämpfen.
5. August 1902.
MUENGJiENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ln den 3 geschilderten Fällen handelt es sich um regel¬
rechtes W i e de r käue n. Kurze Zeit nach vollendeter Mahl¬
zeit (15 30 Minuten) kommt die eingenommene Nahrung in
einzelnen, immer gleich grossen Portionen wieder in den
Mund; der heraufbeförderte Bissen wird hier aufs neue ein-
gespeichelt, gekaut und wieder verschluckt und nach kurzem Zeit¬
abschnitt (3—4 Minuten) steigt ein neuer auf. Dieser Vorgang
dauert je nach der Art der Mahlzeit eine halbe bis eine ganze
Stunde und ist mit der Empfindung erneuten Wohlgeschmackes
und eines gewissen Behagens verbunden. Wird das Wiederkauen
unterdrückt, so verursacht dies, hauptsächlich wenn vorher reich¬
lich Nahrung aufgenommen wurde, ein unangenehmes Gefühl
in der Magengegend. Irgendwelche Beschwerden bestehen bei
den beiden letztgenannten Herren nicht, sie fühlen sich voll¬
ständig wohl und leistungsfähig, die Darmverdauung verläuft
ohne Störung. Ihr Vater, der vom 6. bis zum 50. Lebensjahre
der Gewohnheit des Wiederkäuens mit Genuss nachgekommen
ist, hatte % Jahre vor seinem Tode zum ersten Male Magen-
bescliwerden ; diese verschlimmerten sich aber rasch und schliess¬
lich führte die Unmöglichkeit, Speisen überhaupt im Magen zu
behalten, zu schwerer Kachexie und zum Tode. Bei
der Leichenöffnung fand sich ein ausgesprochener Sanduhr-
m ;i g e n, die Scheidewand zwischen beiden Hälften war durch
kiebsige Wucherung gebildet, die Kardia und die Speiseröhre
waren so stark erweitert, dass ihr Lumen für 3 Finger Durch¬
gang bot.
Ich habe die Angaben des Vaters und seiner beiden Söhne
auf genommen ohne je früher über das Vorkommen von Wieder¬
kauen bei Menschen etwas gehört zu haben und war nun sehr er¬
staunt, als ich durch das Studium der einschlägigen Literatur
erfuhr, dass ähnliche Fälle schon recht häufig beobachtet wurden
und fast immer in gleicher Art und Weise verlaufen 2).
Die Verdauungseigenthümlichkedt betrifft meistens das männ¬
liche Geschlecht und beginnt gewöhnlich in den Knabenj ahren ;
sie wird fast nur bei Leuten beobachtet, die hastig grosse Mengen
von Nahrung verschlingen. Das Wiederkauen verursacht den
Betroffenen, wie in den einzelnen Berichten stets hervorgehoben
wird, eine angenehme Empfindung; muss die Gewohnheit unter¬
drückt werden, so bedingt dies Oppressionsgefühl im Magen. Es
ist wirklich höchst merkwürdig, wie sich die Schilderungen der
einzelnen Fälle bis auf Kleinigkeiten decken. So wird immer be¬
tont, dass vorzüglich amylaceen- und zellulosehaltige Nahrung
wiedergekaut wird, Fleischspeisen dagegen weniger ruminiert
werden, fast immer finden wir bemerkt, dass die auf steigenden
Bissen schliesslich säuerlichen Geschmack haben und dass da¬
mit der Vorgang rasch nachlässt. Die Zeitangaben über die
Pause nach dem Essen bis zum Auftreten des Wiederkauens, über
die regelmässigen Intervalle zwischen dem Aufstossen der ein¬
zelnen Bissen und schliesslich über die Dauer des ganzen Aktes
stimmen fast völlig überein.
Die Ursache der Eumination wird von den ver¬
schiedenen Autoren in verschiedenen Gründen gesucht. Die
einen beschuldigen Verdauungsanomalien des
Magens3) wie Superazidität, Hyperazidität oder Anazidität, und
wissen ihre Theorie dann immer zu begründen, zum Teil ver¬
muten sie, dass sich das Wiederkäuen aus gewohnheitsmässigem
Aufstossen entwickelt hat. Die meisten Forscher konnten aber
bei der Untersuchung der sekretorischen Funktionen des Magens
keine Störung finden. Andere4) glauben, dass nervöse
2) Eine gute Zusammenfassung der Literatur über das Wieder¬
kauen beim Menschen finden wir bei F. Grand: Contribution
a l’etude de Merycisme. These de Paris 18S9. Siehe ferner
Johann escu: Heber das Wiederkäuen beim Menschen. Zeit-
sclirift f. klin. Med. Bd. X, 1886. Derselbe: Zwei neue Fälle von
Wiederkäuen beim Menschen. Zeitsclir. f. klin. Med. Bd. XII, 1887.
3) In dem Fall von Boas (Ein Fall von Rumination beim
Menschen, mit Untersuchung des Magenchemismus. Berl. klin.
W ochenselir. 18S8) lag Subazidität vor, nach Verabreichung von
II CI liess das Wiederkauen nach. Chr. Jiirgensen berichtet
über „Fälle von Euminatio, verbunden mit Fehlen der freien Salz¬
säure im Mageninhalt“ (Berl. klin. Wochenschr. 18S8, p. 927).
A 1 1 (Beitrag zur Lehre vom Merycismus. Berl. klin. Wochenschr.
1888, No. 26 u. 27) fand bei dem von ihm beschriebenen Manne
„hjperacide Beschaffenheit des Magensaftes, einhergehend mit
guter Fleischverdauung und schlechter Amylaceenverdauung“.
4) D e h i o : Ein Fall von Ruminatio humana. St. Peters¬
burger rned. Wochenschr. 1888, No. 1. Zitiert nach A 1 1.
1295
»S t ö i u ngen die Ursachen waren und sprechen von einer
„motorischen Refiexneurose des Magens“. Das häufige Vor¬
kommen der Rumination bei Geisteskrankheiten, insbesondere bei
Idioten, und einige sicher erwiesene Fälle, in denen das Wieder-
kauen auf Nachahmung zurückgeführt werden konnte 5), werden
als Beweisgründe für diese Auffassung angeführt.
. ^.le Vermutung, dass wir in der Rumination ein ata-
v l s t i s c h e s S y m p t o m vor uns haben, hat etwas Abenteuer¬
liches. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass manches dafür zu
sprechen scheint. So vor Allem das hereditäre und familiäre
Vorkommen des Wiederkäuens. Es ist ganz auffällig, wie oft in
der doch immerhin spärlichen Literatur über die Rumination be-
merkt ist, dass die Angewohnheit vererbt wurde oder dass mehrere
I alle in einer I amilie zur Beobachtung kamen °). Am nächsten
liegt es, diese Tatsache durch den Nachahmungstrieb zu erklären;
wiederholt konnte aber erwiesen werden, dass die mulinierenden
Kinder, wie in unseren Fällen, von der Gewohnheit ihres Vaters
oder ihrer Geschwister gar nichts wussten 7). Der Umstand, dass
die Rumination immer und jedesmal vom Vater auf die' Kin¬
der (meist Söhne), nur einmal von der Mutter vererbt wurde,
dann ferner die Gleichartigkeit im Auftreten der Erscheinungen
(in Beziehung auf die zeitlichen Verhältnisse, Auswahl der
Speisen, subjektive Empfindungen) bei den verschiedenen Scliil-
derungen von Ruminanten, scheint mir dafür zu sprechen, dass
es sich nicht um eine schlechte Angewohnheit oder um ein
hysterisches Symptom handelt. Von „nervösen Störungen“ ist
in unseren I allen, wie vielfach auch in denen der Literatur
durchaus nichts nachzuweisen gewesen.
W enfi wir nun tatsächlich in der Rumination einen Atavis¬
mus zu sehen hätten, so läge die Vermutung nahe, dass in solchen
I allen auch die 1 unktion des Magens oder gar die Gestalt des¬
selben eine andere sein müsste, als gewöhnlich. Das Wieder¬
hochkommen der Nahrung in einzelnen, gleich grossen
Bissen, die Formung und Abteilung der Portionen im Magen
geschieht doch so, dass zwar die ganze betreffende Speise all¬
mählich in regelmässigen Zeitabschnitten wieder in den Mund
befördert wird, kein Teil aber zwei Male zum Aufstossen gelangt,
es muss infolgedessen bei Ruminanten der Mechanismus der
Magenperistaltik in anderer Weise vor sich gehen, als sonst bei
Menschen. Der ganze Vorgang des Wiederkäuens verläuft, wie
alle. Autoren hervorheben, in völlig unwillkürlicher, auto¬
matischer Weise.
Nun mag es freilich Zufall sein, dass bei dem von uns an
erster Stelle beschriebenen Patienten, welcher schliesslich einem
Magenkrebs erlegen war, der Magen zweigeteilt gefunden wurde.
Zweifellos hat sich die Verengerung zwischen den beiden Ab¬
schnitten erst in den letzten Monaten vor dem Tode
ausgebildet. Die Anordnung der krebsigen Wucherung ist
aber eine so merkwürdige, dass mir die Vermutung, die¬
selbe hätte sich auf einer schon vorher bestehen¬
den Magenwandverengerung bezw. Kammer- oder Faltenbildung
entwickelt, nicht von der Lland zu weisen scheint. Diese An-
G. Singe r (Die Rumination beim Menschen und ihre Beziehung
zum Brechakt. Archiv f. klin. Med. Bd. 51, 1893) glaubt, dass
„li europathische Disposition“ als Grundlage des gan¬
zen Prozesses angesehen werden müsse.
So wird berichtet, dass 2 Kinder im Alter von 3 und
6 Jahren von einer ruminierenden hysterischen Gouvernante diese
Gewohnheit erlernt hätten, aber nach Entlassung ihrer Erzieherin
bald wieder davon geheilt worden wären.
°) F. Gran d (1. c.) berichtet von einer Familie, in weichender
\ a t e r, eine Tante und vier Kinder Wiederkäuer waren. Er
schreibt in seinen Schlusssätzen: ,,Le merycisme est höreditaire
com me les maladies nerveuses“.
Leva: Zur Lehre vom Merycismus. Münch, med. Wochen¬
schr. 1890, No. 20 u. 21. Die Mutter des an zweiter Stelle be¬
schriebenen Wiederkäuers, eines Idioten, war ebenfalls Rumi-
nantin.
K. Loewe: Ueber Ruminatio humana. Münch, med.
Wochenschr. 1892, No. 27. Der Autor, der selbst Ruminant ist,
beschreibt eine Familie, in welcher der Vater, 2 Kinder und der
Bruder des Vaters Wiederkäuer sind.
Jürgensen (1, c.) erzählt von einem wiederkauenden jungen
Mädchen, dessen Vater (Arzt) und Grossvater Ruminanten waren.
7) So berichtet Koerne r (Beiträge zur Kenntnis der Rumi¬
nation beim Menschen. Deutsch. Archiv f. klin. Med. Bd. XXXIII),
dass der von ihm beschriebene wiederkäuende Sohn erst später
von der Rumination des Vaters erfahren habe. K. seliliesst aus
dieser Tatsache auf eine „erbliche Disposition“ zur Rumination.
2*
1 )
1296
nähme gewinnt dadurch noch an Wahrscheinlichkeit, dass sowohl
aus älterer Zeits) als auch in den jüngsten Veröffentlichungen ')
davon berichtet wird, dass bei der Leichenöffnung von wieder-
kauenden Menschen Ivammerbildung im Magen gefunden wurde.
Die recht kühn klingende Hypothese: „die Ruminatio
huniana ist als eine atavistische Erscheinung aufzufassen“, kann
zwar noch lange nicht als erwiesen gelten, wird aber doch durch
verschiedene Momente, wie dem hereditären und familiären Vor¬
kommen, dem stets gleichartigen klinischen Befund und der bis¬
weilen nachzuweisenden Kammerbildung im Magen, gestützt.
Sie kann somit weit besser begründet werden als die Vermutung,
dass dem menschlichen Wiederkauen primäre Magenerkran¬
kungen oder allgemein nervöse Störungen zu Grunde liegen.
Zur Behandlung der Extrauterinschwangerschaft/)
Von Dr. A. Ri eck, Frauenarzt in Altona.
Die alte Streitfrage, ob jeder Fall von Extrauterinschwanger¬
schaft operiert werden soll, ist auch durch neuere Arbeiten auf
diesem Gebiete noch nicht endgültig entschieden.
Nachdem früher bei manchen Autoren gemäss dem auf-
gestcllten Satze, dass jede ektopische Schwangerschaft wie eine
maligne Neubildung anzusehen sei, die Operation als stets in¬
diziert gegolten hatte, griff in späterer Zeit wieder mehr eine
konservative Richtung Platz. Infolge davon konnten von ein¬
zelnen Gynäkologen und ganzen Kliniken statistisch beide Rich¬
tungen in ihren Resultaten verglichen werden.
Prochowni k, der dieses an dem grossen Material seiner
25 jährigen Praxis versucht hat, ist auf Grund seiner praktischen
Erfahrungen wieder Anhänger der Operation geworden. Krönig,
dem das von v. Scanzoni bearbeitete Material der Leipziger
Universitäts-Frauenklinik zu Gebote stand, ist es geworden, we¬
niger auf Grund dieses Materials, das auch immer noch ein
exspektatives Verfahren zulässt, als auf Grund neuerer theore¬
tischer Erwägungen.
Durch die Arbeiten von Kühne, F ü t h u. a. ist nämlich
bewiesen worden, dass das befruchtete Ei aktiv in die Wandung
der Tube eindringt und diese Wand zerstören, ihre Blutgefässe
erodieren kann. Da nun oft auch nach Tubenabort, also nach
Ausstossung des Eies in die Bauchhöhle, lebensfähige Zotten
in der Tubenwand Zurückbleiben und mit ihren Langhanszellen
ihr zerstörendes Werk fortsetzen können, so ist selbst in diesem
Falle, in dem man sich früher, wenn eine derartige Spezial¬
diagnose gestellt wurde, ziemlich sicher fühlen konnte, die Ge¬
fahr einer erneuten Blutung nicht ausgeschlossen. Nach Tuben¬
ruptur, die also nach dieser Auffassung nicht auf das mecha-
8) F. Arnold (Unters, i. Geb. d. Anat. u. Pliys., Zürich 1838)
teilt unter der Ueberschrift: „Antrum cardiacum an dem Magen
wioderkäuender Menschen“ drei Beobachtungen mit; bei der
Sektion des einen Falles zeigte sich der Magen durch eine starke
Einschnürung in 2 Hälften geteilt, die Einschnürung verschwand,
als der Magen vom Oesophagus aus aufgeblasen wurde, nun aber
zeigte sich ein ausgesprochenes Antrum cardiacum. Ferner war
der innere Ast des Willi s’schen Nerven viel stärker entwickelt
als gewöhnlich, so dass er an Dicke fast dem äusseren Aste gleich¬
kam: „ein ähnliches Verhältnis, wie bei wiederkäuenden Tieren“.
(Zit. nach Berg: Die totale spindelförmige Erweiterung der
Speiseröhre und das Wiederkäuen beim Menschen. Dissertation,
Tübingen 1868.)
v. Lusc li k a beschreibt in Virchows Archiv Bd. 11 ein An-
trum cardiacum vom Magen eines 54 Jahre alten Wiederkäuers.
Die untere Grenze dieses Gebildes war durch ringförmig ver¬
laufende Muskelfasern gebildet, welche ähnlich wie im Sphincter
pylori angeordnet waren und einen leistenartigen Vorsprung in das
Kavum hinein bildeten.
®) O. Züsch berichtet in seiner ausführlichen Arbeit (Ueber
spindelförmige Erweiterung der Speiseröhre im untersten Ab¬
schnitt. Deutsch. Archiv f. klin. Med. 73. Bd.) auch über 2 wieder-
kauende Menschen, im zweiten Fall bestand sicher ein Vormagen
und Z. wirft die Frage auf, ob die als Vormagen oder Antrum car¬
diacum beschriebenen Gebilde nicht dem sogen. Vordermagen der
wiederkäuenden Tiere entsprechen, ob dieselben somit „den
morphologischen Wert atavistischer Bildungen besitzen“.
Koorne r (1. c.) meint zwar, dass das Antrum cardiacum
nicht ohne weiteres für die Entstehung der Rumination ver¬
antwortlich gemacht werden könne, da es auch bei Leuten ge¬
funden werde, die nie ruminiert haben, glaubt aber andererseits,
dass die aufsteigenden kugeligen Speiseballen sehr wohl von einem
Antrum cardiacum gebildet Averden können.
*) Nach einer im Altonaer ärztlichen Verein gehaltenen De¬
monstration.
No. 31.
nische Platzen des Tubensacks, sondern auf direkte Usur zurück¬
zuführen ist, kann selbstverständlich, wie auch früher angenom¬
men wurde, bis der ganze Prozess zum Stillstand gekommen
ist, stets eine neue Blutung eintreten, da ja das Schwanger¬
schaftsprodukt nicht ausgestossen zu werden braucht.
Hieraus ergibt sich, dass kein Zustand der Patientin inner¬
halb einer gewissen Zeit mit Sicherheit, wie man es vordem z. B.
bei der solitären Ilämatocele annahm, die Hauptgefahr der
Extrauterinschwangerschaft, die eventuell tödliche Blutung, aus-
schliessen lässt.
Da nun aber die praktische Erfahrung lehrt, dass der Ver¬
blutungstod sehr selten ist und dass er fast ausnahmslos bei
der ersten Ruptur und bei gewöhnlich vorher nicht diagnostizierter
Schwangerschaft zu stände kommt, dass ferner bei in der
ersten Zeit unterbrochener Tubenschwangerschaft oft eine voll¬
ständige Restitutio in integrum durch Resorption eintreten kann,
so dürfte nur eine Verminderung der Gefahren und Nachteile
der Operation einerseits den Hausarzt bestimmen, mehr als bis-
ner seinen Patientinnen dazu zu raten, andrerseits dem Operateur
die Verantwortlichkeit der Operation erleichtern.
Fraglos verfällt derselben jeder Fall, in dem es sich um
eine schon ausgebildete Frucht handelt, also etwa vom
4. Monat ab.
Man wird so zeitig als möglich operieren und zwar immer
nur mittels abdominaler Eröffnung der Leibeshöhle, da gerade
die Entfernung der Plazenta und die Blutstillung der Plazentar-
stelle oft grosse Schwierigkeiten bereitet und verschiedenes Vor¬
gehen verlangt. Die Operation geschieht rein im Interesse der
Mutter, jedoch kann auch einmal das Leben des Kindes eine
Rolle spielen. So hat mein früherer Chef, Prof. Martin, in
Berlin bei einer Russin die Operation, um ein möglichst reifes
Kind zu bekommen, unter klinischer Beobachtung um einen
Monat hinausgeschoben und dann durch Leibschnitt ein acht¬
monatliches, lebendes Kind, welches sich frei ohne Frucht sack
zwischen den Därmen entwickelt hatte, zu Tage befördert
(cf. v. Both: Monatsschr. f. Geburtsli. u. Gyn., Bd. IX, S. 782).
Diese Fälle, in denen die Schwangerschaft sich über 3 Mo¬
nate erhält, sind im allgemeinen sehr selten und hier kommen
dem ärztlichen Ratgeber kaum Bedenken betreffs des einzusehla-
genden Weges.
Anders ist es bei dem gewöhnlichen Verlauf der ektopischen
Schwangerschaft.
Bei einer Frau, die häufig jahrelang nicht mehr schwanger
gewesen ist, bleibt die Regel 8 — 14 Tage über die Zeit aus. Dann
tritt eine mehr oder weniger starke Blutung auf von verschieden
langer Dauer. Gleichzeitig werden Schmerzen im Unterleib ge¬
klagt, teils wehenartiger, teils allgemein peritonitisclier Natur.
Manchmal geben die Patientinnen auch an, dass sie einen plötz¬
lichen Drang zum Stuhle bekommen hätten und dabei ohn¬
mächtig geworden seien. Bettruhe erzeugt Besserung der Be¬
schwerden, Umherwandeln wieder Verschlimmerung. So schleppen
sich manche Frauen aus dem Arbeiterstande wochenlang hin, bis
sie schliesslich, sei es wegen der unregelmässigen Blutungen,
sei es wegen der Leibschmerzen oder beider Symptome halber,
den Arzt auf suchen.
Man findet dann meistens die Kranken in leidlichem All¬
gemeinzustande. Der Puls ist kräftig, nicht besonders anämisch,
etwas schneller als normal, die Temperatur um einige Striche
über die Norm erhöht. Wenn der Leib nicht gerade durch peri-
tonitisclie Reizungen gespannt und aufgetrieben ist, was häufig
vorkommt, lässt sich durch die bimanuelle Untersuchung eine
leichte Vergrösserung des Uterus und rechts oder links davon
ein apfel- bis apfelsinengrosser Tumor von unregelmässigen
Umrissen und verschiedener Konsistenz feststellen. Ausserdem
fallen im Douglas weiche, dem Finger nachgebende Massen auf.
ln anderen Fällen, und zwar sind das die diagnostisch sichersten,
ist der Uterus durch einen grossen Bluterguss, der als retro-
uteriner Tumor imponiert, in toto nach vorn gegen die Sym¬
physe gedrängt. Oft wird die Diagnose auch durch eine spätere
Untersuchung etwa nach einem neuen Kollaps oder einer neuen
peritonitischen Attacke sichergestellt, indem eine Vergrösserung
des Adnextumors oder eine Anfüllung des vorher leeren Douglas¬
raumes beobachtet wird.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
5. August 1902.
MUEN CHEN ER
M E DT CT NI S CHE WOCHENSCHRIFT.
1297
Hiebei handelt es sich stets um unterbrochene, und zwar
in der 6. 8. Woche unterbrochene, Tubargraviditäten. Ich
möchte sie ambulante Formen der ektopischen Schwangerschaft
nennen zum Unterschiede von denen, in welchen die innere Blu-
tung das ganze Krankheitsbild beherrscht, die augenscheinliche
Anämie die Ivianken plötzlich niederwirft und dem schleunigst
herbeigeholten Arzte im \ erein mit der Anamnese die Diagnose
leicht macht. Die gynäkologische Untersuchung gibt bei starker
freier Blutung in die Bauchhöhle kaum ein sicheres Resultat,
da weder der Uterus noch der etwaige Adnextumor, wenn das
gmize kleine Becken mit Blut gefüllt ist, mit genügender
Schärfe durchgetastet werden kann.
ln diesen letzteren Fällen gibt immer der unmittelbar
drohende Verblutungstod die Indikation zur .Operation ab,
welche, wenn keine Zeit zu verlieren ist, auch an Ort und Stelle
und dann nur mittels des ventralen Leibschnittes auszuführen
sein dürfte. Selbst bei pulsloser Patientin ist ihre Prognose gut,
wenn es die erste derartige Blutung war und noch keine chro¬
nische Anämie bestand.
Zweifelhaft aber, ob er zur Operation raten soll oder
nicht, kann der Praktiker in den übrigen, oben skiz¬
zierten, am häufigsten vorkommenden und vielfach verkannten
lallen sein, in denen nur eine massige innere Blutung statt¬
gefunden hat und längerdauernde uterine Blutungen, sowie peri-
tonitische Beschwerden die hervorstechendsten Symptome sind,
denn er weiss, dass diese auch bei konservativer Behandlun
heilen können.
Wenn er aber bedenkt, dass diese Heilung sich im günstig¬
sten Falle über Monate erstreckt (eine kürzlich erschienene Ar¬
beit aus der Königsberger Frauenklinik berechnet als Durch¬
schnitt 8 Monate Arbeitsunfähigkeit bei konservativer Therapie)
und dass vielleicht infolge der erzeugten Pelveoperitonitis die
Patientinnen dauernd frauenleidend werden, und wenn er sich
die möglichen Komplikationen klar macht (erneute, vielleicht
tödliche Blutung, schwere Darmverwachsungen, die an und für
sich zuweilen später die dann natürlich weit gefährlichere Ope¬
ration notwendig machen könnten, Verjauchung der retro-
uterinen Hämatocele durch Infektion vom Rektum aus, die eben¬
falls stets die Operation verlangt), so kann ihn nur der Ge¬
danke an die Gefährlichkeit und die eventuellen Nachteile der
primären Operation davon zurückhalten, dieselbe stets zu befür¬
worten.
Mit dem abdominalen Eeibschnitt, der noch bis vor wenigen
Jahren allgemein zur Entfernung des Schwangerschaftsprodukts
und der kranken Tube ausgeübt wurde, ist ja noch immer trotz
aller Fortschritte das Gespenst der peritonealen Sepsis, des peri¬
tonealen Schocks, der chronischen, zu Darmverwachsungen even¬
tuell zum Ileus führenden Peritonitis, der Nachteil der immer
noch nicht gänzlich zu vermeidenden Bauchdeckenabszesse, die
Möglichkeit der späteren Bauchbrüche, die Last des Bandagen¬
tragens und das hässliche Aussehen der Bauchnarbe verbunden,
so dass ohne Indicatio vitalis weder der Arzt, noch die Kranken,
die heutzutage schon sehr orientiert über alle diese Verhältnisse
sind, sich leicht dazu verstehen.
Da gibt nun der in den letzten Jahren mehr und mehr auf-
gekommene vaginale Leibschnitt den geeigneten Ausweg;
denn der Zweck der Operation, sichere und rasche Ausheilung
durch Entfernung des Fruchtsackes und der kranken Tube zu
erzielen, wird mittels desselben gerade so gut erreicht, und die
oben geschilderten Nachteile und Gefahren bestehen auch nicht
einmal annähernd.
Diejenigen Autoren, welche wohl unbestritten in der ganzen
Welt die grösste Erfahrung auf dem Gebiete des vaginalen Leib¬
schnittes haben, Martin und D ü h r s s e n, bevorzugen dabei
die Kolpotomia anterior aus hier nicht weiter zu erörternden
Gründen. Wenn auch jeder von ihnen erst über einige 30 Fälle
v°n in dieser Art operierten ektopischen Schwangerschaften
verfügt, so genügt das doch, um im vollsten Masse diese Art des
Vorgehens allgemein zu empfehlen. Von den M a r t i n sehen
Patientinnen ist meines Wissens keine an der Operation oder
deren Folgen gestorben, von den D ü h r s s e n sehen laut seiner
Publikation mir eine nach der Entlassung infolge von trauma¬
tischer Peritonitis.
Ich selbst habe im Verlaufe eines Jahres 7 Tubenschwanger¬
schaften zu operieren Gelegenheit gehabt und nur in einem Falle
den abdominalen Leibschnitt vorgezogen, weil bei dieser Frau
eine früher von anderer Seite gemachte Inzieion in den Douglas
mich besonders schwere Verwachsungen befürchten Hess, eine Be¬
fürchtung, die nach Eröffnung des Bauches als grundlos erkannt
wurde. Die anderen 6 Frauen sind mittels des vorderen Scheiden¬
bauchschnittes operiert und ebenso wie die erste glatt genesen.
Die Operation ist für den, der überhaupt vaginal operiert,
nicht schwer, im Gegenteil durch die Auflockerung der Gewebe
und durch die weiten Verhältnisse der Schwangerschaft, zumal
die Frauen fast immer schon geboren haben, leichter als die
meisten sonstigen Adnexoperationen. Nach Eröffnung der Plicae
vesico-uterinae und vorsichtigem Hinausleiten des Uterus bis
vor die \ ulva wird sofort mit einem Stieltupfer die kranke Tube
von hinten her seitlich gegen die Beckenwand gedrückt und
dann mit Zuhilfenahme des Zeigefingers der anderen Hand,
welcher dem Stieltupfer entgegenarbeitet, zur Bauchhöhle hinaus¬
entwickelt. Darauf wird stets unter Leitung des
Auges die typische Salpingotomie ausgeführt.
In meinen Fällen war die Schwangerschaft entwickelt im
interstitiellen, im isthmischen und ampullären Teil der Tube,
der Fruchtsack war verwachsen im Douglas, seitlich und vorn:
Keine dieser Lokalisationen bot besondere Schwierigkeiten be¬
züglich des Zwecks der Operation, der totalen Entfernung des
Fruchtsackes, dar; dieser wurde vielmehr, wie die demonstrierten
Präparate zeigten, stets erreicht. Die Verwachsungen und
Pseudomembranen lassen sich eben, da sie frisch sind, sehr leicht
stumpf trennen.
Die Dauer der Operation war 35 — 60 Minuten (inkL einer
stets ausgeführten Abrasio und in einigen Fällen einer hinteren
Kolporraphie), also nicht viel länger als die eines abdominalen
Leibschnittes mit der heutzutage geforderten exakten Vernähung
der einzelnen Bauchhautschichten. Man braucht ja gewöhnlich
beim vaginalen Vorgehen etwas mehr Zeit, um an die erkrankte
Stelle heranzukommen, dafür ist der Abschluss der Operation,
Vernähung der Scheidenwunde, ein viel kürzerer. Ein Verband
ist unnötig; Fäden brauchen, da vaginal nur mit Katgut ge¬
näht wird, nie entfernt zu werden. Nach der einen Operation
bleibt die Kranke unberührt bis zur Entlassungsuntersuchung.
Die 1 urcht vor einer nicht zu beherrschenden Blutung, die
vielleicht manchen, der sonst vaginal operirt, bei Tuben-
schwangerschaft davor zurückhält, ist unbegründet, da nach der
Theorie die Blutung weniger durch mechanische Momente, als
durch einen vitalen Prozess hervorgerufen wird, und die in den
Publikationen von Martin und Dührssen niedergelegten
praktischen Erfahrungen direkt dagegen sprechen. Ich selbst
habe als Assistent bei einem grossen Teil der von Martin
operierten Fälle nie eine irgendwie bedeutende frische Blutung
gesehen oder erlebt, dass man zur Blutstillung hätte den ven¬
tralen Leibschnitt hinzufügen oder gar den Uterus hätte exstir-
pieren müssen. Letzteres Ereignis, Exstirpation der Gebärmutter
nur um die Blutung zu stillen, ist überhaupt bei den 1000 Ivolpo-
tomien Martins, über welche ich in meiner Arbeit „Vagini-
fixur und Geburt“ (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gyn. Bd. 14, LI. 1
u. 2.) berichtete, niemals vorgekommen.
Auch in meinen Fällen ist mir auf gef allen, dass selbst, wenn
man den nach der Ruptur wieder geschlossenen und verwachsenen
Fruchtsack losreisst und verletzt, wie das ja meist nötig* ist,
eine neue Blutung nicht eintritt: eine praktische Erfahrung, die
die erwähnte Theorie zu stützen im Stande ist.
Die Rekonvaleszenz ist in den meisten Fällen eine glatte,
gelegentliche Temperatursteigerungen bis 38 0 haben nichts zu
bedeuten. Das Befinden ist schon am 2. Tage ein gutes, Flatus
sind fast immer schon an diesem Tage abgegangen. In 2 bis
3 Wochen stehen die Operierten auf und können nach 2 weiteren
Wochen ihren Arbeiten wieder nachgehen und bleiben dann
dauernd beschwerdefrei. Die Kolpotomiewunde verwächst viel¬
fach so, dass selbst bei der gewöhnlichen gynäkologischen Unter¬
suchung kaum noch erkannt werden kann, ob und was operiert
worden ist.
In meinen beiden letzten Fällen war die Rekonvaleszenz
teils etwas verzögert, teils etwas erschwert, und das kam daher,
dass es sich nicht um die oben skizzirten ambidanten Formen
No. 31.
1298
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
der Extrauterinschwangerschaft mit geringer innerer Blutung
handelte, sondern dass ich hier auch die Ivolpotomie gemacht
hatte, wo man sonst allgemein die Laparotomie macht, näm¬
lich bei akuter Verblutungsgefahr.
Beide Patientinnen waren hochgradig anämisch infolge un-
unmittelbar vorausgegangener innerer Blutungen. Immerhin
war noch so viel Puls da, dass ich ruhig das vielleicht 10 Minuten
länger dauernde, dafür weniger Vorbereitung erfordernde vagi¬
nale Vorgehen einschlug, mit dem Erfolge, dass namentlich die
letzte, am meisten gefährdete Frau (sie war auf dem Transport
direkt pulslos gewesen) schon wenige Stunden nach der Operation
ein vorzügliches Allgemeinbefinden zeigte. Ich schreibe das der
geringeren Schwächung des Gesamtorganismus zu, welche das
vaginale Operieren vor dem ventralen voraus hat. Die kaum zu
umgehende Abkühlung des Leibes wird vermieden, die sicherlich
nicht gleichgiltige Beckenhochlagerung fällt gänzlich weg, vor
allem aber braucht die Narkose nicht so tief zu sein, wie es die
Erschlaffung der Bauchdecken beim Leibschnitt erfordert, und
das ganze Herumarbeiten mit 2 — 3 Händen in der offenen Bauch¬
höhle und an den Därmen, welchem doch wohl eine gewisse
Schockwirkung nicht abgesprochen werden kann, ist gänzlich
ausgeschlossen.
Freilich soll man nur dann bei Verblutungsgefahr so Vor¬
gehen, wenn man die vaginale Technik vollauf beherrscht.
Namentlich dürfen einen nicht die Ströme von altem Blut, die
sich aus der Kolpotomiewunde ergiessen, daran hindern, mög¬
lichst schnell die kranke Tube zu fassen und zu versorgen. Alles
Blut aus der Bauchhöhle zu entfernen, gelingt fast me, selbst
wenn die Bauchhöhle eine halbe Stunde offen ist. Ich habe es
namentlich in dem letzten Falle versucht, da gerade durch die
Resorption von altem Blut in dem ersteren die Rekonvaleszenz
um eine Woche verzögert worden war. Trotzdem durch Aus-
einanderbewegen der Därme mittels Stieltupfer allmählich
1—2 Liter Blut zum Abfluss kamen, traten vom 4. Tage, bei
ganz ruhigem und kräftigem Pulse, nachdem durch ein Abführ¬
mittel die schon vor der Operation durch Opium lange ruhig
gestellten Därme sich entleerten, peritonitische Reizungen ein,
und am 8. Tage brach eine ca. % Liter betragende Menge alten
stinkigen Blutes sich Bahn nach aussen, und zwar durch die
Kolpotomiewunde unterhalb der Uterus, Blase und Scheide ver¬
einigenden Naht. Ich bezweifle auch nach meinen Erfahrungen
bei Marti n, dass es möglich ist, von dem abdominalen Bauch-
sclmitte aus alles Blut aus der Leibeshöhle zu entfernen, da es
überall im Epigastrium und Hypochondrium von den Darm¬
schlingen festgehalten wird. Man wird also auch hierbei, falls
man die Störungen in der Rekonvaleszenz, welche das alte Blut
in der Bauchhöhle verursacht, und die ja schliesslich auch von
selbst vergehen, sicher ausschliessen will, drainieren müssen.
Drainage der Bauchwunde birgt aber fast immer die Gefahr des
späteren Bauchbruches in sich. Diese fällt bei dem vaginalen
Vorgehen völlig weg, und wenn man, wie ich es in Zukunft bei
diesen Fällen beabsichtige, den Douglas offen macht, damit das
Blut, welches sich in den nächsten Tagen dort anzusammeln
pflegt, zum Abfluss kommt, so erzielt man auch hier mit diesem
Vorgehen dieselbe angenehme und glatte Rekonvaleszenz wie in
der grössten Mehrzahl aller geplatzten Tubenschwangerschaften,
für welche der vaginale Weg bedingungslos empfohlen
wird.
Die konservative Kolpokoeliotomie, diese moderne deutsche
Erfindung, hat ja schon vielfach zur Einschränkung des abdomi¬
nalen Bauchschnitts geführt, bei welchem, allzuhäufig der Auf¬
wand an Vorbereitung und Assistenz, der gewaltige Eingriff und
vor allem die Lebensgefährlichkeit und die späteren Nachteile
in keinem Verhältnisse stehen zu dem, was mit der Operation
erreicht wird. Jedoch ist sie noch lange nicht genug gekannt
und wird noch lange nicht genug ausgeführt, um die Würdigung
zu erhalten, die sie verdient, vor allem weil sie lebenssicher ist
(von den 15 Todesfällen, die unter den 1000 vaginalen Leib-
schnitten Martins sich ereigneten, war keiner durch von
aussen kommende Infektion bedingt), dann aber auch, weil sie
dem neuzeitlichen Bestreben, den Zweck einer Operation auf dem
schonendsten und auch kosmetisch bestem Wege zu erreichen
vollauf entspricht und wohl gar zum leil aus diesem Bestreben
hervorgegangen ist.
Aber schon bietet der Umstand, dass gerade die jüngeren
Hochschullehrer, auch ausserhalb der Schulen Martins und
Dührssens, sich der Kolpotomie mehr und mehr zuwenden,
Gewähr dafür, dass die Zeit nicht allzu fern liegt, in welcher
der abdominale Bauchschnitt eine Seltenheit geworden ist, zum
Heile der Frauen, die unterleibsleidend geworden sind.
Ein Fall von Zervixkarzinom als Geburtshindernis
am normalen Schwangerschaftsende.
Von Dr. Bamberger in Kronach.
Geburtsstörungen durch Gebärmutterkrebs gehören zu den
schwersten Komplikationen, die im Verlaufe einer Entbindung
auftreten können, weil damit fast ausnahmslos eine Gefährdung
zweier Menschenleben verbunden ist. Neben frühzeitigem Blasen¬
sprunge bei meist abnorm langer Dauer der Geburt, während
welcher das Kind leicht abstirbt, kommen nach Sarwey ins¬
besondere die erhöhte Infektionsgefahr, Verletzung der Geburts¬
wege und Erschöpfung der Kreissenden in Betracht, abgesehen
davon, dass eine Entbindung per vias naturales m manchen
Fällen unmöglich, und wiederholt Kreissende unentbunden ge¬
storben sind. Zum Glück sind diese Zustände selten, da in der
Regel Abort eintritt, noch häufiger kommt eine Konzeption iiber-
haupt nicht zu Stande; die entgegengesetzte Ansicht Colin-
ste in’s, dass Carcinoma uteri die Konzeption begünstige, ist
jetzt wohl allgemein verlassen. So fand Win ekel unter
20 000 Geburten diese Dystokie nur 10 mal, Straatz an der
Schröder sehen Klinik 7 mal, Sarwey findet aus einer
Statistik von 51 833 Schwangeren und Kreissenden nur 26 Kar¬
zinomkranke = 0.05 Proz. Immerhin konnte T heil h aber
aus den letzten 20 Jahren (1873-93) allein 165 Fälle aus der
Literatur zusammenstellen, Cohnstei n 134 Fälle aus früherer
Zeit. Da aber diese Publikationen fast ausschliesslich aus Kli¬
niken stammen, rechtfertigt sich vielleicht auch eine Mitteilung
über eine einschlägige 'Beobachtung aus der Landpraxis, da
solche nicht vorzuliegen scheinen.
Anamnese: Am 17. XII. 1901 wurde icli Nachts zu Iran
W. in das mehrere Kilometer entfernte H. gerufen, da nach
schriftlicher Mitteilung der Hebamme an mich der Mutterkuchen
vorlag Die Parturiens hatte erst nach langem Strauben mit
Rücksicht auf diese Diagnose in die Zuziehung eines Arztes ge¬
willigt, da sie, 30jälirige VII. Para, bisher stets leicht und wtoe
ärztliche Hilfe entbunden hatte bei normalem Veilaute der
G Wochenbetten; von den G ausgetragenen Kindern sind o noch
am Leben, das jüngste 3 Jahre alt. In der zweiten Hälfte dieser
Schwangerschaft seien nun, was sonst me der Fall war, in un¬
regelmässigen Intervallen mehr weniger starke Genitalblutungen
auf getreten, besondeis nach körperlicher Anstrengung, was ja zui
Diagnose „Placenta praevia“ gut stimmte:. Die Fruchtblase sei
bereits vor 5 Tagen gesprungen; doch habe sie während dieser
Zeit nicht so häufige Wehen gehabt, dass sie sich dauernd gelegt
habe Erst seit 24 Stunden liege sie dauernd zu Bette, seit
12 Stunden seien die Wehen sehr häufig und ungemein schmerz¬
haft, weshalb sie die Hebamme gerufen habe.
Status praesens: Grazile Frau, von unter Mittelgrosse,
stark anaemiscli, mit einem Stich ins gelbe, soweit die schlechte
Beleuchtung ein Urteil zulässt. Puls 120, klein, weich, um quäl;
Temp. 38,1 (Achselhöhle; wegen der Unruhe der Parturiens kann
das Thermometer nur ganz kurz liegen bleiben), beträchtliche
Dvspnoe, auch in der Wehenpause. Nasenflügelatmen. Fundus
stand fingerbreit unterhalb der Herzgrube, rechts oben kleine
Teile, Rücken links, Kopf anscheinend nicht mehr beweglich auf
dem Beckeneingang, Herztöne in der linken Nabelspinallinie,
12: 12: 11, kein Nabelschnurgeräusch. Die Wehen sind kräftig,
ca. alle 3 _ 5 Min., anscheinend sehr schmerzhaft. Während der¬
selben gehen nach der inneren Untersuchung zeitweise gelinge
Blutmengen von deutlich übelriechender Beschaffenheit ab.
Innerer Befund: Vagina ohne Besonderheiten. Die Portio
ist völlig erhalten und auffällig de r b, stellenweise
direkt knotig und zwar beide Lippen; nur nach links ist ein ca.
markstückgrosser Teil der Hinterlippe aufgelockert, leicht ver¬
strichen und dehnbar. Der äussere Muttermund ist für einen
Finger bequem durchgängig, man gelangt sofort auf lockeres,
schwammiges Gewebe, welches sich als durch Lysolspülung
leicht zu entfernende«, grösseres Blutgerinnsel erweist, und nicht
als Placenta praevia1). Direkt dahinter stösst der Finger a :f
’) Diese Fehldiagnose der Hebamme erscheint um so verständ¬
licher, als Cohn st ein (1. c. p. 373) schreibt: „Hat sich nach
wiederholten Metrorrhagien ein Thrombus gebildet, welcher die
Höhle des Kollum verengt, so kann selbst bei einer eingehenden
Untersuchung das vorhandene Leiden übersehen und mit Placenta
praevia verwechselt werden. In keinem der 134 Fälle von Kar¬
zinom hat sich die Plazenta am unteren Gebärmutterabschnitt ent-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1299
5. August 1902.
oinen fast hiilmereigrossen, von der rechten Zervikalwand aus¬
gehenden derben Tumor, der entsprechend dem inneren Mutter¬
munde an einer Stelle deutlich zerfallen und von übelriechendem
Sekret bedeckt ist, bei Berührung leicht blutet. Neben der Geschwulst,
eben noch mit einem Finger vorbeigelangend, kann man am oberen
Ende derselben die kleine Fontanelle und den Anfangsteil der im
rechten schrägen Durchmesser verlaufenden Pfeilnaht erreichen.
Der Kopf, der dem Tumor dicht auf liegt, zeigt an der abtastbaren
Stelle keine Andeutung von Kopfgeschwulst und ist von den Ei¬
lenden entblüsst. Promontorium und rechte Spina sind nicht zu
erreichen. (Die Beckenmasse wurden mit Rücksicht auf die
Schwerkranke nicht genommen, da nach der Anamnese doch nor¬
male Verhältnisse anzunehmen waren.) Es handelte sich also um
ein exulzeriertes, von der rechten Zervikalwand ausgehendes
Karzinom, das den grössten Teil der Portio mitergriffen hatte,
und. wie sieh in Narkose genauer herausstellte, breit in das rechte
Parametrium übergegangen war. Das Kind war zur Zeit nicht ge¬
fährdet. die Mutter dagegen, -wie Temperatur, Puls, Dyspnoe, die
fahle Farbe, das übelriechende Sekret und der unverkennbare
Schwächezustand zeigten, wohl einer von dem jauchenden Zervix¬
karzinom ausgehenden septischen Erkrankung verfallen. Bei
einem Eingriffe kam also zunächst das Leben des Kindes in Be¬
tracht, wobei natürlich die Entbindung auch für die Mutter mög¬
lichst schonend zü gestalten war. Bei exspektativem Verhalten
drohte bei der sehr intensiven Wehentätigkeit die Gefahr einer
Fterusruptur, wozu ja der karzinomatöse Uterus besonders dis¬
poniert ist. Damit hätte sich auch die Prognose für das Kind
wesentlich verschlechtert, da nach Tlieilhaber in allen (12)
Fällen von Ruptura uteri bei Karzinom Mutter und Kind gestorben
sind. An eine spontane Entfaltung der Zervix und Portio im
weiteren Verlaufe der Geburt , konnte bei dem beschriebenen Be¬
funde nicht gedacht werden; war doch das Resultat einer 5 tägigen,
zeitweise sehr kräftigen Wehentätigkeit bei einer VII. Para das,
dass der starre Zervixkanal für einen Finger durchgängig und die
Portio fast nirgends verstrichen war. Ebenso konnte von einem
Ivolpeurynther einem so derben Tumor gegenüber kein Erfolg
erwartet werden.2) Eine Abtragung des Tumors selbst, wenigstens
soweit, dass vielleicht die Zange angelegt werden konnte, war ganz
ausgeschlossen, da das breitbasig auf sitzende Karzinom breit auf
das rechte Parametrium übergegriffen hatte, abgesehen davon,
dass die bei einem solchen Eingriffe zu erwartende stärkere
Blutung eine grosse Gefahr für die ohnehin sehr schwache Pa-
turiens bedeutet hätte. Bei der Extraktion mit der Zange an dem
Tumor vorbei wären wohl schwere Verletzungen unvermeidlich
gewesen, da der enge, starre Zervixring dadurch noch mehr ein¬
geengt worden wäre.
Unter diesen Umständen erschien es mir am schonendsten,
Zervixinzisionen zu machen, die sich ja nach Bedarf noch leicht
dosieren Hessen, und nach entsprechender Erweiterung eine vor¬
sichtige Wendung zu versuchen, wobei allerdings nicht verkannt
wurde, dass dieselbe nach so frühzeitigem Blasensprunge grosse
Schwierigkeiten machen konnte. Auf diese Auffassung einigste ich
mich mit einem zweiten Kollegen, der freundlicher Weise die Nar¬
kose übernahm: bis zu dessen Ankunft vergingen 3 Stunden, ohne
dass sich trotz kräftiger Wehen der Befund irgendwie geändert
hätte. Nach wiederholter Lysolauswaschung der Genitalien wurde
versucht, die Portio mit der Kugelzange herabzuziehen, was aber
fast gar nicht möglich war, da das Karzinom das Parametrium
infiltriert hatte. Nachdem mehrfache, tiefe supra- und infra¬
vaginale Inzisionen linkerseits und eine massige Erweiterung
(Durchgängigkeit für 2 Finger) brachten, wurden unter Vermei¬
dung der ulzerierten Stelle in den Tumor der rechten Zervikalwand
seihst mehrere Inzisionen gemacht, und nach jeder wieder die
Weite des Zervix geprüft, bis endlich ein Eindringen mit der Hand
möglich war. ohne dass bis jetzt eine nennenswerte Blutung auf¬
getreten wäre. Obwohl das Fruchtwasser bereits vor 5 Tagen
abgeflossen war. gelang es doch leicht, eine 2. unvollkommene
Fusslage herzusteilen, besonders leicht liess sich der noch nicht
fixierte Kopf vom Beckeneingang verschieben, und die sofort an¬
geschlossene Extraktion förderte ein ausgetragenes, sogleich
kräftig schreiendes Mädchen zu Tage. Am Kopfe fand sich keine
Andeutung von Kopfgeschwulst, die Ivopfknöchen zeigten keine
Verschiebung, der Kopf war also noch nicht präformiert, da er
eiten nicht in das kleine Becken eingetreten war. Der Tumor
hatte als relativ weiches Polster, als eine Art Glückshaube funk¬
tioniert. Dauer der Narkose 40 Minuten, Chloroformverbrauch
25 g.
Nach der Extraktion erfolgte aus den Zervixinzisionen, die
vor der Wendung nur wenig geblutet hatten, da wohl der dem
Tumor dicht aufsitzende Kopf komprimierte, eine reichlichere
Blutung, weshalb sofort Orede angeschlossen wurde. Der Uterus
ist gut kontrahiert, Tamponade der Inzisionen, wobei sich zeigte,
dass die seharfrandigen. glatten Schnitte nicht weiter gerissen
waren. Noch kurz vor dem Erwachen erbricht Patientin wiederholt
wickelt“. Vgl. jedoch Flöel: Geburt, kompliziert mit Zervix¬
karzinom und Placenta praevia: Winckel p. 300: Aetiologi© der
Placenta praevia.
Fehling schreibt: „In den ersten Monaten vermutet die
Schwangere das Drohen eines Abortes, in späteren Monaten denkt
sie oder die Hebamme an vorliegenden Mutterkuchen“.
2) Nach Tlieilhaber waren die Versuche mit Laminaria,
Presschwamm, Barnes Dilatator ohne jeden Erfolg; nur 1 mal
konnte die Zange angelegt werden, die Patientin starb an Pyämie.
reichliche, grün gefärbte Flüssigkeitsmassen; sie soll während
der letzten Tage viel Flüssigkeit zu sich genommen haben, da sie
„viel Hitze“ gehabt habe.
18. XII. 10 Uhr Vormittags. Puerp. klagt über quälenden
Durst, sowie über die Unmöglichkeit, zu urinieren. Nach Ent¬
fernung der Tamponade kommt eine reichliche Menge ungemein
übelriechender, serös-sanguinolenter Flüssigkeit. P. kann jetzt
spontan urinieren, Abdomen stark druckempfindlich, Puls 120,
klein, aussetzend: Temp. 39.0. grosse Dyspnoe. Ordination: Eis¬
blase auf den Leib, Tinct. Opii, Eisstückchen, grosse Dosen Al¬
kohol, Kampher subkutan, Kochsalzklysma. Abends 5 Uhr: Viel
Aufstossen, zeitweise Erbrechen. Puls sehr elend, Temp. 39, S,
heftige Leibschmerzen.
19. XII. : Exitus an septischer Peritonitis.
Die einschlägige Therapie war natürlich hei der Seltenheit
dieser Komplikation ohne Kenntniss der diesbezüglichen Lite¬
ratur gewählt worden. Allerdings beklagen die Autoren ziemlich
übereinstimmend ein gewisse Unsicherheit in der Wahl der Be¬
handlungsmethode, da sich allgemein gültige Regeln schwer auf¬
stellen lassen. So ist es verständlich, wie Cohn stein und
Theilhaber zeigen, dass je nach Lage des Falles die ver¬
schiedensten Eingriffe zur Anwendung kamen. Für gewisse Fälle
hat G ö n n o r versucht, ein Normalverfahren zu schaffen, indem
er hei 4 relativ gestielten Tumoren mit Glühschlinge und
Kneipzange soviel vom Karzinom abtrug, dass die Zange an¬
gelegt werden konnte. Allerdings betont er in seinen Kranken¬
geschichten, dass die Anlegung der Zange technisch meist recht
schwierig war, und' z. B. in einem Falle quer über Gesicht und
Hinterhaupt erfolgte, dass stets ein grosser Kraftaufwand nötig
war, und in 2 Fällen mit der Zange eine grosse Blasenscheiden¬
fistel gemacht wurde, woran 1 Frau bald darauf starb. Wichtig
ist nach G„ die Wehen einige Zeit wirken zu lassen, um zu sehen,
wie viel sie zur Eröffnung der Geburtswege, d. h. zur Dehnung
der gesunden Teile beitragen ; dann erst soll bestimmt werden,
worin der Eingriff zu bestehen hat, wo exstirpiert und wo nur
inzidiert wrerden soll, wobei auf die Erhaltung des kindlichen
Lebens das Hauptaugenmerk zu richten sei. „Wo es sich mehr
um Infiltration, als um Tumor handelt, genügen wohl Inzisionen,
ausserdem Abtragung; dann soll bei Kopflage die Zange angelegt
werden.“ Da aber trotz 5 tägiger Wehen in meinem Falle der
Muttermund nur für einen Finger durchgängig war, und der
breitbasig auf sitzende Tumor nicht abgetragen werden konnte,
war die Anlegung der Zange nicht möglich, so dass zunächst die
Wendung in Frage kam. Allerdings zählt nach Cohnstein
die Wendung auf den Fuss mit nachfolgender Extraktion zu den
gefährlichsten Eingriffen bei Komplikation von Uteruskarzinom
mit Geburt. Dagegen betont Theilhaber, das Resultat der
Wendung sei deshalb so schlecht, weil in schwierigen Fällen mit
wenig erweitertem Orifizium die Wendung ausgeführt wurde,
während bei weiterem Muttermunde die Zange angelegt werden
konnte. Von den 6 Fällen seiner Statistik starben 3 Mütter in¬
folge des Eingriffes, nur 1 Kind wurde lebend geboren. In der
mir zugänglichen Literatur finde ich dazu noch 1 Fall von
Olshausen (Kind tot, unreif ; Mutter bei inoperablem Kar¬
zinom nach 1 -Tahr mit Blasenscheidenfistel gestorben, siehe
Kaussman n), sowie von P ö h 1 i g (Kind exenteriert, extra¬
hiert, Mutter an Sepsis gestorben) ; die mit neuen Operations-'
methoden und glänzenden Erfolgen behandelten operablen
Karzinomfälle intra partum (z. B. 2 Fälle von Döder-
1 e i n mit vaginalem Kaiserschnitt und günstigem Ausgang für
Mutter und Kind, siehe Sarwey) können hier nicht mit¬
gerechnet werden. Jedenfalls kann Theilhaber auf allge¬
meine Zustimmung rechnen, wenn er glaubt, „es sei absolut kein
Grund ersichtlich, warum eine aseptisch ausgeführte Wendung
und Extraktion gefährlicher sein soll als die Zange, nach gründ¬
licher Desinfektion der Zervix“. Die Inzisionen in das Collum
uteri hält Theilhaber allerdings für recht eingreifend, da bei
dieser Behandlung von 21 Fällen seiner Statistik 11 gestorben
sind. Dagegen rät Fehling, wenn bei Längslagen trotz guter
Wehentätigkeit der starre Ring nicht nachgibt, dreist tiefe In¬
zisionen sowohl des supra- als infragenitalen Teiles der Zervix
zu machen, und sich dabei nur vor Verletzungen der Harnblase
zu hüten. Für eine solche hat sich in meinem Falle kein An¬
haltspunkt geboten, und stimmt derselbe auch zu der Ansicht
Fehlings, dass das Karzinom in der Mehrzahl der Fälle nicht
mehr operabel ist, wenn die Schwangerschaft das richtige Ende
erreicht hat. Nach Thorn zeigt die Statistik, dass es sich am
3*
1300
MUENCIIENER MEDICINISCI1E WOCHENSCHRIFT
No. 31.
Ende der Schwangerschaft fast ausschliesslich um Fälle von
Portiokarzinom handelt. „Es ist ja auch kaum anders zu er¬
warten, da ein Zervixkarzinom in der Schwangerschaft früh¬
zeitig den unteren Eipol freilegen und zu Abort oder Frühgeburt
führen muss, wenn es nicht etwa erst in der allerletzten Zeit,
der Gravidität entsteht.“ Nach dieser Richtung scheint also der
vorliegende Fall zu den Ausnahmen zu gehören; denn bei der
Grösse des Tumors müssen die in der 2. Hälfte der Schwanger¬
schaft auf getretenen Blutungen doch auf das Karzinom bezogen
werden, das eben damals schon ulzeriert, jedenfalls schon längere
Zeit, vielleicht schon vor Eintritt der Konzeption vorhanden war.
Wäre die Wendung nicht gelungen, so wäre die Perforation
des lebenden Kindes oder Sectio caesarea in Frage gekommen.
Nun stimmen die Autoren so ziemlich überein, dass bei in
operablem Karzinom und lebensfähigem Kinde vor allem das
Interesse des Kindes berücksichtigt werden muss.' T horn setzt
auch bei operablem Karzinom das Leben des Kindes dem der
schwerkranken Mutter gleich. Damit scheidet die Perforation
des lebenden Kindes aus, abgesehen davon, dass die Extraktion
des perforierten Kindes ohne vorausgeschickte Inzisionen un¬
möglich gewesen wäre. Der konservative Kaiserschnitt bei
Uteruskarzinom ist, abgesehen von der langen Dauer des Ein¬
griffes, auch unter den aseptischen Kautelen einer Klinik infolge
der grossen Infektionsgefahr durch zerfallene Karzinommassen
eine sehr ernste Operation, wie dies besonders auch Ols-
lia u sen im Anschluss an einen ungünstigen Fall betont. Von
14 klinischen Fällen bei konservativem Kaiserschnitt kamen S
durch, und nach Beckmann sind die Resultate der Laparo¬
tomie für die Mütter bis jetzt schlechter als bei der aut natür¬
lichem Wege beendeten Geburt (umgekehrt für die Kindersterb¬
lichkeit). Abgesehen von dem Schwächezustande der Parturiens
im vorliegenden Falle, der wohl auch unter klinischen Verhält¬
nissen von einer Sectio caesarea hätte absehen lassen, kommt in
der Landpraxis die Schwierigkeit einer aseptischen Behandlung
dazu. Porro konnte nicht in Betracht kommen, weil die In¬
filtration des Parametriums und fast völlige Unbeweglichkeit der
Portio eine extraperitoneale Stielversorgung unmöglich machten.
Nach Durchsicht der mir zugänglichen Literatur erscheint
mir die eingeschlagene Therapie, wenn sie auch nur das ohne
Eingriff sicher verlorene kindliche Leben ) erhalten konnte, noch
am zweckmässigsten, und ich würde mich in einem 2. Falle wohl
ebenso verhalten. Ich würde nur, falls ich einen Thermokauter
zur Verfügung gehabt hätte, die ulzerierte Stelle gehörig ver-
scliorft, die Inzision in das Collum Uteri eventuell mit dem
schneidenden Pacquelin gemacht haben. Denn darüber war ich
mir klar, dass mehrfache Lysolspülungen keine genügende Des¬
infektion eines zerfallenen Karzinoms garantierten, und dass in
die in nächster Nähe derselben angelegten Inzisionen septische
Stoffe leicht gelangen konnten. Durch den Pacquelin hätte sich
wohl auch die nach der Extraktion aus den Inzisionen auf¬
getretene Blutung vermeiden lassen, so dass nur eine ganz lockere
Tamponade zur Ableitung der Lochien nötig gewesen wäre,
während so die zur Blutstillung notwendige straffe Tamponade
der Ausbreitung der Sepsis förderlich war. Wenn ich aber re-
sumire, dass es sich um eine anämische, durch wiederholte Blu¬
tungen in der Schwangerschaft und 5 tägiges Kreissen er¬
schöpfte karzinomkranke Parturiens mit schlechtem Puls und
Fieber (wohl septischer Natur, ausgehend vom zerfallenen Kar¬
zinom) handelte, so erscheint es mir fraglich, dass sich unter
klinischen Verhältnissen die Prognose für die Mutter irgendwie
hätte wesentlich bessern lassen. Die Prognose der Zervixkarzi¬
nome intra partum ist eben überhaupt eine schlechte, wie dies
besonders S t r a a t z betont, nach dessen Zusammenstellung in
allen 6 Fällen von Zervixkarzinomen die Mütter unterlagen; der
< inzige Fall, der durchkam, war ein Portiokarzinom. Eine Besse¬
rung der Prognose solcher Fälle muss in erster Linie wohl von
den indolenten Kranken selbst ausgehen, die sich bei Schwanger¬
schaftblutungen umgehend an den Arzt wenden sollten. Durch
die Vervollkommnung der vaginalen Operationstechnik, besonders
seit Einführung des vaginalen Kaiserschnittes nach I) ü h r s.s e n,
haben die meisten der noch operablen halle von. Uterus¬
karzinom auch am Ende der Schwangerschaft Aussicht auf einen
3) Das Kind ist 2 Monate alt, angeblich an Darmkaturrli, ge¬
storben.
günstigen Ausgang für Mutter und Kind, während bei inope¬
rablen Fällen die Prognose wohl stets schlecht bleibt.
W
Literatu r.
Beckmann: Zeitsclir. f. Geburtsli. u. Gyn., Kd. 34.
ISffG _ Cohnstein: Areli. f. Gyn., Bd. V. — Diilirssen:
( Vntralbl. f. Gyn. 1897, pag. 943. _ Felsenreicli: Wiener med.
Presse 1883, pag. 1130 ff. — H. Fehling: Münch, med. Wochen¬
schrift 1S97. No. 47. — O. Flöel: Centralbl. f. Gyn. 1891. —
A. Gönner: Zeitsclir. f. Geburtsli. u. Gyn., Bd. N, pag. 7. —
A. Kaussmann: lieber Uteruskarzinom bei Gravidität etc.
Dissertation, Berlin 1897. — W. Merkel: Münch, med. Wochen¬
schrift 1899, pag. 305. — 11. Olsliausen: Zeitsclir. f. Geburtsli.
u. Gyn.. Bd. 37, 1897. — W. Pöhlig: Ueber die Bedeutung des
Zervixkarzinoms als Geburtshindernis. Dissertation, Berlin 1890.
— O. Sarwey: Beitr. z. Geburtsli. u. Gyn. von Hegar 1899,
Bd. 11. _ C. Straatz: Zeitsclir. f. Geburtsli. u. Gyn., Bd. XII.
pag. 202 ff. — A. Theilhabe r: Areli. f. Gyn., Bd. 47, 1894. —
W.Thoru: Münch. med. Woclienschr. 1899, No. 21. — F.v.Winckel:
Aus der kgl. chirurgischen Universitätsklinik in München
(Prof. Dr. v. Angere r).
Zur Frage der Wirksamkeit des Collargol.
Von Dr. Richard Trommsdorff, Assistent für Mikro¬
skopie.
Die glänzenden Resultate der Behandlung lokaler Infek¬
tionen durch Antiseptika haben immer wieder zu Versuchen ge¬
führt, solche auch gegen die in das Innere des Körpers ein-
gedrungenen Bakterien anzuwenden. Alle derartigen Versuche
sind im allgemeinen gescheitert, trotzdem aber hat man es nicht
aufgegeben, zur Behandlung von Allgemeininfektionen für den
Organismus unschädliche, bakterienvernichtende oder ihre Ent¬
wicklung hemmende Stoffe aufzufinden und dem Körper auf die
verschiedenste Art — speziell durch intravenöse Injektionen, um
so möglichst direkt auf die im Blute kreisenden Bakterien zu
wirken — einzuverleiben. Von bakteriologischer beite steht man
solchen Versuchen heutzutage immer sehr skeptisch gegenüber
— und wie berechtigt das ist, zeigen wieder in neuester Zeit
die sich allmählich überall einstellenden, völlig negativen Re¬
sultate, ja sogar Schädigungen bei den von Baccelli em¬
pfohlenen intravenösen Injektionen von Sublimat-Kochsalzlösung
zur Behandlung von Maul- und Klauenseuche (und auch anderer
Erkrankungen durch intravenöse Injektion von Karbol etc.).
Und wenn nicht so häufig von Seiten der Praktiker über so viele
glänzende Resultate mit derartigen Mitteln berichtet würde,
würde man gar keine Veranlassung haben, sich experimentell
immer wieder mit diesen Dingen zu beschäftigen.
So tauchen auch immer wieder günstige Berichte auf über
die Behandlung mit colloidalem Silber (Argent. colloid. Crede,
Collargol).
Das Präparat wurde 1897 von Crede in die Therapie ein¬
geführt und speziell bei septischen Erkrankungen geradezu als
Spezifikum empfohlen.
Aus der Tiermedizin liegen die günstigsten Berichte vor¬
über Erfolge bei den verschiedensten Erkrankungen, bei Phleg¬
monen, Morbus maculosus, Rotz, Drüse bei Pferden, bei bös¬
artigem Katarrhalfieber (septische Erkrankung), Sepsis nach
Wundinfektion, Milzbrand beim Rind. Vor ärztlicher Seite sind
viele hundert geheilte oder günstig beeinflusste Fälle von sep¬
tischen Prozessen aller Art (z. B. Sepsis nach Wundinfektion,
puerperaler Sepsis, Phlegmonen, Erysipel, Scharlach u. s. w.) be¬
schrieben, während diesen empfehlenden Stimmen bisher nur
wenig Aeusserungen entgegengesetzter Art gegenüber stehen.
Solche finden sich nur von B a g i n s k i ’), Strohmeyer')
und in neuester Zeit von Hänel3) von ärztlicher Seite, von
Dusehaneck4) und Baldoni5) aus der Veterinärpraxis.
Ein von Fische r ") im November 1901 veröffentlichter Fall
von Milzbrand beim Menschen, dessen „sofortige Besserung vuid
sehr baldige Sistierung der Infektion Fischer durch die anti¬
bakterielle Silberbehandlung als einwandsfrei erreicht“ darstellt,
q Therapie der Gegenwart, Juni 1900.
-) Münch, med. Woclienschr. 1900, No. 31.
3) Münch, med. Wochenschr. 1902. pag. 335.
4) Tierärztl. Centralbl. 1900, No. 10.
B) Clinica veterinaria 1899. .1. 40 — 42.
*) Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 47.
5. August 1902.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1301
gab mir die Veranlassung, Tierversuche über die Wirksamkeit
des Collargol anzustellen.
Das Collargol wird gegen Sepsis im allgemeinen in 2 Formen
zur Anwendung empfohlen, und zwar 1. als Salbe (Unguent.
Crede) zu Einreibungen, ähnlich einer Schmierkur, und 2. als
intravenöse Injektion.
1 1 m exakte Dosen anwenden zu können, war, wie auch
Beyer '), dessen ausführliche Arbeit neuesten Datums (im Fe¬
bruar d. Js. erschienen) ich bei meinen letzten Versuchen berück¬
sichtigen konnte und auf die ich noch weiter unten eingehend zu
sprechen kommen muss, hervorhebt, die zweite Anwendungsweise
die einzig mögliche, da sich bei einer Inunktionstherapie nicht
feststellen lässt, wie viel Silber resorbiert ist.
1> e jv er sagt (pag. 333 1. c.): „Für die Zwecke der experimen¬
tellen Untersuchung war die intravenöse Injektion erforderlich.
Die hierbei gewonnenen Ergebnisse müssen in Einklang stehen
mit den bei anderen Formen der Einführung gewonnenen. Denn
im Grunde genommen übernimmt bei jeder Form der Einverleibung
der Blutstrom die Verbreitung des Silbers.“
Als Versuchstiere wählte ich Kaninchen, bei denen nach der
Literatur bis dahin keine Versuche angastellt waren. Die Ver¬
suche mit Milzbrand beim Kaninchen sind nun äusserst schwer
vergleichbar zu gestalten, da die Tiere auch bei gleichen Dosen
in verschiedenen Zeiten zu sterben pflegen, so dass man, um ein¬
deutige Resultate zu erhalten, die Versuche an sehr grossen Tier¬
mengen ausführen muss.
Aus diesem Grunde wurden zur Infektion zwei andere
typische Septikämien verwandt, der Schweinerothlauf und die
Schweineseuche, bei welchen beiden Erkrankungen es gelingt,
die Dosen so abzustufen, dass mit gleichen Dosen geimpfte Ver¬
suchstiere an gleichen Tagen eingehen. Später sollte dann event
zu \ ei suchen mit Milzbrand, Staphylokokken u. s. w. geschritten
werden.
Es handelte sich nun darum, festzustellen, welche Dosen den
Tieren zu geben seien.
I iir den Menschen wurden zu intravenösen Injektionen
von Crede selbst 5 10 20 ccm einer 1 proz. Lösung pro die
empfohlen; und wenn man die veröffentlichten Kranken¬
geschichten durchsieht, so findet man, dass häufig schon eine ein¬
malige Einspritzung, meist aber 2, 3 oder 4, selten mehr Injek¬
tionen (von meist 5 ccm) genügten, die Heilung herbeizuführen.
(Die Salbendosis war wesentlich grösser.) Um ein Beispiel an¬
zuführen, wurden bei dem oben zitierten Fischer sehen Fall
\ on Milzbrand beim Menschen am 1. und 2. Tag je eine In¬
jektion ä 5 ccm und „zur Sicherheit“ am 3. Tag- nochmals eine
ebensolche gegeben, also in Summa 3X5 ccm einer lproz. Lö¬
sung, das ist 3X0,05 g Collargol.
In der tierärztlichen Praxis waren bei den grösseren Tieren
die Dosen entsprechend höher, so bei Pferden durchschnittlich
0,5 g Collargol pro dosi.
A immt man nun das Gewicht der Menschen als wenigstens
60, das der Kaninchen als 3 kg an — meine Tiere wogen im
urchschnitt 2500 g — , so war es berechtigt, beim Kaninchen,
entsprechend dem mindestens 20 mal geringeren Körpergewicht,
die Dosis 20 mal kleiner als beim Menschen zu nehmen. Das
wären höchstens 0,0025 — 0,005, genauer 0,00166 — 0,0033 g Col¬
largol pro dosi.
Ich gab also bei meinen Versuchen anfänglich jedesmal 2,
spater 3 ccm einer 1 prom. Lösung intravenös. Der Erfolg, so¬
tt old bei mit Rotlauf wie mit Schweineseuche infizierten Tieren,
war nun ein absolut negativer, gleichgültig, ob täglich 1 oder
2 Injektionen gegeben wurden, ob man mit den Injektionen
direkt nach der Infektion oder 6, 12, 24, 36 Stunden darnach
begann; alle mit Collargol behandelten Tiere
starben ebenso prompt, wie die nur mit d er
et re ff enden Bakterien art infizierten Kon¬
frontiere, und umgekehrt vertrugen nichtinfizierte Kontroll-
tiere von der Collargollösung allein 8 Tage fortgesetzte tägliche
ein- oder zweimalige Injektionen der gleichen Dosen. Die In-
tektionsgrössen wurden dabei so variiert, dass die Tiere am 3., 4.
oder 5. Tage der Infektion erlagen.
Diese Versuche wurden im ganzen an 12 Tieren ausgeführt.
Nach dem Erscheinen des Beyer sehen Vortrags sah ich mich
veranlasst, die Dosen zu steigern.
7) Münch, med. Wochenschr. 1901, No S
No. 31.
Denn Beyer, der sich „die Aufgabe gestellt hatte, für die
am Krankenbett gewonnenen Erfahrungstatsachen auch theore¬
tische Grundlagen zu schaffen“, führt nur zwei Tierversuche
an ). Dieselben betreffen mit Staphylokokken infizierte Kanin¬
chen, von denen er dem einen 28 Stunden nach der Infektion
eine einmalige intravenöse Injektion von 0,4 g Collargol
(40 ccm einer lproz. Lösung auf einmal intravenös?!) gab, dem
andern eine einmalige subkutane Collargolinjektion von nicht
angegebener Grösse.
Beyer selbst sag! : „Beim Menschen können unbedenklich
0,05 0,1 in Tonn einer lproz. Lösung gegeben werden“. —
Dass man dann einem Kaninchen (Gewicht ?) das 4 — 8 fache
der für den Menschen vorgesehenen Dosis gibt, ist jedenfalls
als ein ungewöhnliches experimentelles Vorgehen zu bezeichnen.
Immerhin aber versuchte nun auch ich, mit grösseren als
den bisher gewählten Dosen bei mit Rotlauf und Schweineseuche
infizierten Tieren vorzugehen; die Injektionen wurden statt mit
einer 1 prom. jetzt mit einer 1 proz., also 10 mal so starken Lö¬
sung angestellt und zwar mit ähnlichen Variationen betreffs der
Zahl der Injektionen und der Zeit nach der Infektion wie bei
den oben angeführten Versuchen.
Aber auch hier zeigten sich bei 9 Versuchs¬
tieren nur negative Resultate, ob man 2, 4, 5 oder
10 ccm, also die für den Menschen vorgesehenen Dosen, in¬
jizierte. — Zu noch höheren Dosen, wie den von Beyer ge¬
wählten, glaubte ich nicht mehr steigen zu brauchen.
Dass diese Erfolge mich nicht gerade zu weiteren Versuchen
über die Wirksamkeit des Collargol bei Milzbrand u. s. w. er¬
mutigten, wird man begreifen.
Auffallend ist bei den von Beyer angeführten Versuchen
auch, dass er 10 ccm ( ! !) einer „sehr virulenten“ Staphylokokken¬
kultur intravenös zur Infektion gab und dabei nichts über die
minimale tödliche Dosis beim Kontrolltier angibt.
Im übrigen ist es sehr schwer, aus den Beyer sehen Aus¬
einandersetzungen ein klares Bild von Beyers Ansicht be-
ziiglich der Silberausscheidung und von den Motiven, die ihn
bei der Dosierung des Collargols in seinen Tierversuchen ge¬
leitet haben, zu gewinnen. Jedenfalls wird ein unbefangener
Beurteiler aus den Beyer sehen Versuchen nicht eine klare
theoretische Begründung für die praktischen Erfolge bei der An¬
wendung des Collargols in der Menschen- und Tierpraxis ge¬
winnen können.
Diese Erfolge sollen hier keineswegs angezweifelt werden,
tt'ohl aber die Möglichkeit, sie durch Versuche und Auseinander¬
setzungen, wie die von Beyer gegebenen, exakt theoretisch zu
begründen.
Das ist auch der alleinige Grund, aus dem ich meine
negativen Resultate mit Collargol bei Rotlauf und Schweine¬
seuche der Kaninchen veröffentlichen zu müssen glaubte, aus
denen aber nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf die Collargol-
theiapie bei anderen Krankheitsformen gezogen werden sollen.
Es eiübrigt nur noch, über die bei meinen Versuchen ‘ge¬
wonnenen Temperaturkurven einige Worte zu sagen.
Bei dem ausschliesslich mit Collargolinjektionen behandelten
Kaninchen traten stets nur ganz geringe Temperatursteigeruno-en
(bis 39,7) auf.
Bei den infizierten, fiebernden Tieren folgten meist, doch nicht
regelmässig, kurze, nach einigen Stunden wieder vergehende Tem¬
peratursteigerungen (z. B. von 40,9 auf 41,2, von 40,6 auf 41,6),
während bei einigen Tieren auch ein geringer direkter Abfall der
Temperatur in den der Injektion folgenden Stunden beobachtet
wurde (z. B. von 40,0 auf 39,7, von 40,0 auf 39,8).
Die Beobachtungen entsprechen also etvai den von anderen
Untersuchern gemachten.
Die Tierversuche wurden im hiesigen hygienischen Institut
der Universität (Prof. Büchner f ) angestellt und bin ich im
besonderen Herrn Prof. Dr. II a h n für sein liebenswürdiges
Interesse an denselben zu Dank verpflichtet.
N a e h t r a g.
Soeben ist eine Arbeit Serafinis9) erschienen über die
Behandlung zweier typischer Septikämien beim Kaninchen
s) Weitere Versuche glaubte B. „sparen“ zu dürfen, „da
Silber in der Tiermedizin zu therapeutischen Zwecken ziemlich
allgemein angewendet wird“, er also einfach „die in der ein¬
schlägigen Literatur sich findenden Mitteilungen, ein sehr zahl¬
reiches Material, zu ordne»“ hätte.
9) Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 16.
4
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
1302
(Milzbrand und Hühnercholera) nach der B a c c e 1 1 i sehen Me¬
thode. # ,
Ich möchte deshalb bemerken, dass auch ich, angeregt durch
die 13 a c c e 1 1 i sehen Veröffentlichungen, derartige V ersuche an¬
stellte bei mit Rotlauf und Schweineseuche infizierten Kaninchen.
Die Resultate decken sich völlig mit denen Seraf inis; der
Erfolg derartiger Heilversuche ist ein absolut negativer.
Die mit Sublimat-NaCl-Lösung intravenös (in den verschieden¬
sten Dosen und zu den verschiedensten Zeiten nach der Infektion
u. s.w.) behandelten Tiere starben ebenso prompt resp. noch
rascher z. T. als die betr. Ivontrolltiere : ein Resultat, das übrigens
niemand, der mit der älteren bakteriologischen Literatur ver¬
traut ist, überraschen wird.
Zur Aetiologie des Ekzems.
Von Dr. med. He übel in Romrod.
Nachdem auf dem IV. internationalen Kongresse für Der¬
matologie und Syphilis in Paris 1900 ') sich die Ansichten über
das Ekzem insoweit geklärt haben, dass jetzt die überwiegende
Anzahl der kompetenten Beurteiler das primäre Ekzemelement
als parasitenfrei betrachten, kommt J akob I rederic ) in
einem sehr interessanten Aufsatz „Zur Ekzemfrage“ zu dem
Schlüsse, dass es unbedingt notwendig sei, jeden einzelnen Fall
von Ekzem in Bezug auf seine Aetiologie nach zwei Richtungen
hin zu untersuchen, einerseits auf alle möglichen inneien Zu
stände, welche die gewiss oft nur zeitliche Disposition schaffen,
andererseits auf alle äusseren Ursachen, welche bei bestehendei
Disposition ein Ekzem bedingen können.
Eine Beobachtung über Ursache des Ekzems, die ich kürz¬
lich machen konnte und die in gewisser Weise fast einem expeii-
mentellen Versuche gleichkommt, möge die \ eröffentlichung
rechtfertigen.
Mädchen H., geh. den 21. VI. 1899 als 3. Ivind gesundei
Eltern, bekam im Alter von 7 Monaten ein Ekzem, das neben
und über dem rechten Ohr begann und etwa die Grösse eines
Fünfmarkstückes hatte, als mir das Kind zum erstenmale vor¬
gestellt wurde. Das Ekzem nässte und eiterte und belästigte das
Kind durch Jucken sehr. Salbenverbände mit Ung. diachylon
Hebrae büeben ohne jeden Einfluss, das Ekzem vergrösserte sich
trotzdem. Schliesslich verzichtete ich auf jegliche Therapie und
riet nur, einen Wechsel der Kuhmilch vorzunehmen, liotz des
Ekzems hatte sich das Kind vorzüglich entwickelt; die Verdau¬
ung speziell war stets regelmässig. Bis zum 4. Monat v\ ai das
Kind von der eigenen Mutter gestillt worden. Von da ab eikielt
es Milch von einer Kuh, die der Vater eigens für seine Kinder
hielt zu dem Zwecke, immer eine gleichmässig gute Milch, vor
allem durch Trockenfütterung, zu haben.
Zu meinem grossen Erstaunen war schon 14 Tage nach dem
Wechsel der Milch das Ekzem spurlos abgeheilt.
Natürlich lag die Frage nahe, ob irgend ein Zusammenhang
zwischen Milch und Ekzem bestehe. Da es ja bekannt ist, dass
Geruch, Geschmack und Bekömmlichkeit der Kuhmilch in hohem
Grade von der Art des dem Vieh gereichten Futters abhängig ist,
so erkundigte ich mich hiernach. Das Tier war nur trocken ge¬
füttert worden und hatte nichts Ungewöhnliches bekommen mit
Ausnahme davon, dass etliche Wochen lang täglich verschiedene
Hände voll Salz dem Futter beigegeben worden waren.
Diese Salzfütterung wurde aufgegeben und das Kind genoss
nach etlichen Wochen die Milch derselben Kuh ruhig weiter, ohne
dass sich üble Folgen gezeigt hätten. Kurz vor Weihnachten 19U1
bekam dasselbe Mädchen wieder ein Ekzem des Gesichts, welches
in der Furche hinter dem rechten Ohre seinen Ausgang nahm und
sich rasch fast über die ganze rechte Gesichtshälfte ausbreitete.
Am 12. I. 02 konsultierte mich der Vater des Mädchens wieder
deswegen, bei welcher Gelegenheit er mir mitteilte, dass er seit
3 Monaten seine Kuh abgeschafft habe und die Milch für das
kranke Kind direkt von einem Nachbar beziehe. Eine vorsichtige
Nachfrage ergab, dass schon einige Zeit, bevor das Ekzem bei
dem Mädchen abermals erschien, der betreffende Milchlieferant
sehr viel Salz hatte dem Futter beigeben lassen, nach seiner
Schätzung ungefähr alle 8 Tage 50 Pfund an 10 Kühe. Ich riet
ihm, wie früher, weiter nichts als einen abermaligen Milchwechsel.
Nach diesem Wechsel verlor das Ekzem sehr schnell seine Nei¬
gung, sich weiter auszubreiten, und ist jetzt (Ende Februar 1902)
abgeheilt.
Interessant war noch nebenbei, dass der Sohn des Milch¬
lieferanten, ein Junge von 5 Jahren, der noch sehr viel Milch trinkt,
offenbar oder aller Wahrscheinlichkeit nach aus derselben Quelle,
auch ein akutes Ekzem des Gesichts bekam, das aber ebenfalls
nach Aussetzen der Salzfütterung sehr schnell ohne 3ede Therapie
Ob das Ekzem primär bakterienfrei war oder nicht, war
natürlich bei dem nässenden Zustande, in dem ich dasselbe zu¬
erst sah, nicht mehr zu entscheiden. Jedenfalls aber war es
zum Mindesten infektiös geworden, infolge des Juckens und
Kratzens mit den Fingern, die ja bei kleinen Kindern im Punkte
der Reinlichkeit meistens nicht ganz einwandsfrei und sicher
nicht keimlos sind. Die Ansteckungsfähigkeit erwies sich an der
Mutter des Mädchens, die etliche Zeit nach dem zweiten^ Aus¬
bruch des Ekzems ein akutes Ekzem an der einen Hand bekam,
was ja bei den vielfachen Berührungen einer Mutter mit ihrem
Kinde und bei ohnedies rissigen und spröden Händen, denen
keine Arbeit zu rauh gewesen, nicht zu verwundern ist. Dieses
mütterliche Ekzem heilte übrigens sehr schnell durch Auflegen
von Borsalbe ab.
Diese Beobachtungen scheinen mir entschieden dafür zu
sprechen, dass die Ursache des oben geschilderten Ekzems in dem
längeren Genuss der Milch, die von stark mit Salz gefütterten
Kühen herstammte, zu suchen ist. Eine äussere Reizwiikung
hatte nicht stattgefunden und ist somit als Ursache des Ek¬
zems auszuschliessen. Das prompte Abheilen nach Aussetzen dei
Milch spricht doch für diese als Ursache des Reizes, wenn man
das Ekzem als durch einen inneren oder äusseren Reiz im allge¬
meinen verursacht annehmen will. Welche Veränderungen mit
der Milch durch starke Salzfütterung der Kühe Vorgehen, ob sich
der Salzgehalt derselben erhöht, oder ob sonstige Einwirkungen
dadurch verursacht werden, sind Fragen, die ich nicht beant¬
worten kann. Eine Erkundigung bei verschiedenen Landwirten,
welche intensive Milchwirtschaft treiben, nach Grund der Salz¬
fütterung hatte kein Ergebnis, was irgend welchen Aufschluss
hätte geben können. Die meisten antworteten, dass das Vieh
Salz gerne annähme, ob aber das von irgend welchem Einfluss,
z. B. auf die Menge und Güte der Milch sei, konnte ich nicht
erfahren.
Wenn das Ekzem lediglich durch seine eventuelle parasitäre
Natur begründet wäre, so hätte bei den geschilderten Fällen
jedenfalls eine beständige Zunahme stattfinden müssen, da duicli
das Kratzen des Kindes einer weiteren \ erimpfung nichts im
Wege stand, und durch keinerlei Therapie die betreffenden Bak¬
terien vernichtet, oder im Wachstum sonst gehemmt wurden.
Das Kind kratzte sich solange das Jucken anhielt, und solange
noch neue Nachschübe kamen, solange juckte es auch noch. Es
muss also jedenfalls eine primäre innere Veranlassung bestanden
haben, die das Ekzem unterhielt, und mit deren Aufhören das
Ekzem abheilte. Bei der Mutter des Kindes fehlte diese innere
Ursache und deshalb heilte das Impfekzem rasch ab, wie eine
sonstige lokal beschränkte, kleine infizierte Wunde.
Tn dem vorstehenden Falle bildete die Milch die Haupt¬
nahrung des Kindes, so dass ich nicht glaube, dass man irgend
welche anderen Bestandteile der Nahrung für das Ekzem ver¬
antwortlich machen könnte.
Freilich könnte man mir noch entgegnen, dass das Ekzem
vielleicht auch ohne Milchwechsel gerade in der betreffenden
Zeit aufgehört haben könne. Das wäre aber wohl bei dem zwei¬
maligen Auftreten des Ekzems bei dem Mädchen und der gleich¬
zeitigen Erkrankung des 5 jährigen Knaben ein so merkwürdiger
Zufall, dass ich diesen Einwurf als unberechtigt ausschliessen
kann.
Es wäre mir interessant, zu erfahren, ob andere Kollegen
vielleicht ähnliche Beobachtungen gemacht haben. Eine exakte
Ekzemtherapie längere Zeit durchzuführen ist oft, namentlich
auf dem Lande, geradezu eine Unmöglichkeit. Wenn indessen
in manchen Fällen die Therapie sich so einfach erwiese, wie in
den von mir hier beschriebenen, so stünde deren Durchführung
jedenfalls nichts im Wege und wäre damit viel Zeit und Mühe
für Patienten und Arzt gespart.
l) Bef erat in der Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 2.
-) „Zur Ekzemfrage“ (Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 38.
5. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1303
Medizinisch-botanische Streifzüge.
Mitteilungen von Dr. A. Model, k. Bezirksarzt a. D. zu
Weissenburg, Mittelfranken.
III. Menabea venenata (Baill.) rediviva. *)
(Neue französische Arbeiten.)
Seitdem ich in dieser Zeitschrift im Jahre 1900 die Frage
nach der Existenz dieser 1890 von Baillon nach einem mangel¬
haften Exemplare flüchtig beschriebenen und benannten1), dann in
der ganzen Literatur verschwunden gewesenen, angeblich über-
a us giftigen Ordalienpflanze Madagaskars auf gerollt habe und
zur öffentlichen Diskussion zu bringen suchte2) und in meinem
zweiten Artikel über dieses Thema3) nach erhaltenen freundlichen
Mitteilungen berufener Pariser Gelehrter bereits in der Lage war,
positive Ergebnisse im Sinne der früheren Angaben und Diagnose
P. a i 1 1 o n s mitzuteilen, bin ich jetzt so glücklich, im Besitze
der längst ersehnten ersten Habitus - und analytischen
Abbildungen jenes geheimnisvollen Gewächses und einer
neuen, höchst schätzenswerten und nach diermaliger Möglichkeit
genauen Beschreibung des aus Madagaskar frisch be¬
zogene n Materiales zu sein.
Ich verdanke diese neuen Mitteilungen der Güte des Herrn
Dr. Emil Perrot, Charge de cours ä l’Ecole supe-
r i e u r e de Pharmacie de Paris, welchem auch hier mein
verbindlichster Dank ausgesprochen sei.
Herr Dr. Perrot machte über seine neuen, sehr inter¬
essanten Untersuchungen eine erst ganz kürzlich erschienene,
kurzgefasste Mitteilung an die Academie des Sciences4 *).
Das Ganze seiner Untersuchungen erschien dagegen, von instruk¬
tiven (auch mikroskopischen) Abbildungen begleitet, in der Re¬
vue des Cult ur es coloniales6).
Indem ich betreffs der Abbildungen mit Ausnahme der
vier makroskopischen 1 — 4 leider auf das französische
Original verweisen muss, gestatte ich mir dagegen, mit Zustim¬
mung des Autors, über die Geschichte der neuen Menabea-Akqui-
sition sowie über Dr. Perrots Untersuchungen selbst, für die
deutschen Interessenten auszugsweise zu berichten. Wo es
mir indiziert schien, gestatte ich mir die Angaben des Autors und
die die neue Sendung begleitenden Mitteilungen aus Madagaskar
zum Teil wörtlich wiederzugeben; Herr Dr. Per rot schreibt:
„Anfangs Dezember 1901 erhielten wir von unserem Freunde,
Herrn P r u d h o m m e, directeur de l’Agriculture zu Madagascar,
einige Probestücke einer Giftpflanze aus der Nordwestregion der
Insel. Die Sendung war begleitet von einer kurzgefassten Notiz
des Herrn Dr. Lasnet, Kolonialarzt I. Klasse, von dessen
Arbeiten die Leser dieser Revue bereits häufig schätzenswerte
Proben kennen zu lernen Gelegenheit hatten; diese Note enthielt
folgende Angaben:
Anscheinend eine Asclepiadee, ohne eigentlichen Stamm
(tige) ; aus dem Boden spriessen 10 — 20 Zweige, welche bis zu
etwa 1 m Höhe sich erheben. Kleine aschgrau-grünliche, elliptisch-
längliche Blätter, unten weiss (filzig, tomentös, Ref.), oben kahl.
Blüten mit 5 Blumenblättern, rötlich-gelb, etwra 1 cm breit.
Knotige, spindelförmige Wurzeln. Die Pflanze wächst auf
trockenem, kahlen Boden. Früchte spindelförmig, hellgrün, mit
länglichem Same n, der an einer inneren Spindel- dachziegelartig
(imbriquee) aufgereiht und mit feinen Seidenhärchen an der Spitze
bewachsen ist. Die ganze Pflanze ist milchend.
Die Sakalaven nennen die Pflanze „Ksopo“. Sie be¬
haupten, die Pflanze sei ein wirksames Mittel gegen syphi¬
litische Schmerzen. In starker Dose gegeben ist die
Pflanze giftig. Anscheinend genügt ein kleines
Fragment der Wurzel um einen erwachsenen
Menschen innerhalb einer halben Stunde zu
töten. Diese Wurzel ist ausserordentlich bitter und
sind die V ergiftungssymptome folgende: Heftige Magen-
schmerzen, der Patient verliert sehr rasch das Bewusstsein.
Zuckungen, heftige Krämpfe, besonders in den vorderen Glied¬
massen. Der Tod tritt eine halbe Stunde nach der Ein¬
führung ein.“
Soweit Dr. L a s n e t s Begleitbericht aus Madagaskar.
Herr Dr. Perrot fährt fort:
„Die Pflanze befand sich seit einigen Tagen in unserem Be¬
sitze, als Herr Poisson, Assistent am Museum, der zufällig in
tmser Laboratorium kam, uns bat, ihm eine Probe derselben zu
überlassen, da sie ihm unbekannt schien. Einige Tage später be¬
nachrichtigte uns eine schriftliche Mitteilung, dass wir Menabea
v e n e n a t a Bailion vor uns hätten. Im Besitze dieser Angaben
war es uns ein Leichtes, die Arollkommene Uebereinstimmung fest¬
zustellen. Es erübrigt noch die chemische und physio¬
logische Untersuchung und wir envarten hierzu nur die An-
*) Zum Druck eingesandt: I. April 1901.
9 Bull. Soc. Linneenne de Paris, t. II, 1889—97,
No. 104.
2) Münch, med. Wocliensclir. 1900, 47. Jalirg., No. 31.
*) Ebendaselbst, 1901, 48. Jalirg., No. G.
’) „S ur 1 e Ksopo o u Tanghin de Menabe, p o i s o n
des Sakalaves“ (Menabea venenata H. Bn.). Compt. rend.
de l’Acad. des Sc. Paris 1902, t. 34, p. 303—306.
6) „Sur le K s o p o“, Poison des Sakalaves (Menabea
venenata H. Bn.), Revue des Cultures coloniales Paris, 1902,
6.anuee t X.
kunft der Kisten mit Wurzeln, deren Eintreffen wir nach dem
Briefe Herrn P r u d li o m m e s (Tananarivo, 15. November 1901)
von Tag zu Tag entgegensehen können.
Nach den Originalangaben Dr. Lasnet s und nach den
Proben, die wir in Händen haben, sind die Eigenschaften der
Pflanze folgende:
Aeusserer Bau. Die Menabea venenata ist ein
buschähnlicher, xerophytischer Strauch, dessen Strunk bis zu
10-20 wenig verästelte Zweige von ca. 1 m Höhe trägt und dessen
Organe von starken Wollhaaren bedeckt sind. Die Blätter sind
gegenständig, kurz gestielt, einfach, ganz, elliptisch, lederartig, von
2—3 cm Länge. Die am Rande gegen die Innenseite leicht ge¬
krümmte Blattfläche ist auf der Oberseite aschfarbig-grünlich,
unten weisslich, dank der Anwesenheit eines dicken Filzüberzuges,
gebildet aus einreihigen, eingerollten, bis 2 mm langen und stark
ineinander verstrickten Haaren (Fig. I, 1, 2, 3).
1 Zweig mit Blüten. % der natürl. Grösse. 2 Blatt von oben. 3 Filzige Unter¬
seite des Blattes. 4 Blüte, etwa 7mal vergrössert.
Die aus kleinen, blütenarmen, achstelständigen Cymen be¬
stehenden Blütenstände, in den Blattstielwinkeln ange¬
setzt, sind aus in frischem Zustande gelb - rötlichen
Blüten zusammengesetzt und haben bei voller Blüte etwa 1 cm
Durchmesser.
Der stark behaarte Kelch zeigt 5 scharf lanzettliche Lappen;
die Blumenkrone wird gebildet von 5 nur an der Basis ver¬
wachsenen Blumenkronblätteru, die ebenso viele 5 — 6 mm lange, in
der Knospe zusammengedrehte und stark zusammengedrückte
Plättchen bilden. Gynaeceum und Androeceum sind in einer
zentralen Masse (Gynostegium) gruppiert und der Pollen steht
in Tetraden. Die Staubfäden haben am unteren Ende
befestigte Staubkolben mit einer starken, schmalen, blattartigen
Verlängerung des Connectivs. Die 5 Schuppendecken der Neben¬
krone sind gleichfalls mit blattartigen, scharfen und Warzen- oder
haarbesetzten Endfortsätzen versehen.
Die Früchte sind spindelförmige, 6 — 7 cm lange, am Ende
zugespitzte Samenhüllen mit einer papierähnlichen Plazentarplatte
versehen, welche zahlreiche, elliptische, 6 — 7 mm lange Samen¬
körner trägt, an deren dilatiertem Gipfel (Spitze) eine seiden-
a r t i g e, stiellose Feder kröne sitzt, bestehend aus einem
Büschel einzelliger, dünnwandiger, glatter, 20 — 25 mm langer
Haare °).
Die ganze Pflanze ist milchend, und der als
Gift hauptsächlich verwendete Teil ist die Wurzel. Sie
wächst — nach Dr. Lasnet — vornehmlich in den dürren und
kahlen Gegenden der Nordwest reg ion Madagaskars.
Innerer Bau. Wurzel: Zeigt etwas verschiedenen Bau,
je nachdem man wenig entwickelte Teile oder kräftige Stücke vor
sich hat. Sie ist immer parenchymatös, stärkmehlhaltig und
ausserordentlich bitter.
Bei den kleinen Untersuchungsproben zeigt der feste Holz¬
zylinder schon bald breite Risse — nach Art des Holzkörpers
gewisser Lianen, oder wie man es hie und da bei anderen knotigen
(z. B. gewissen Aconit-) Wurzeln beobachten kann.
Die Risse sind erfüllt von weichem Holzparenchym; sie treten
mehr und mehr hervor und man sieht, wrenn man eine Reihe von
Schnitten gegen den Stamm zu macht, aus dem Holzkörper einen
Teil sich loslösen, der inmitten des stark stärkemehlhaltigen Ge-
w'ebes einen selbständigen Zentralzylinder bildet, der seinerseits
anschwillt und sich spaltet; diese Teilung kann sich wiederholen
°) Die während der Reise an den Probestücken stattgefundene
Zersetzung erlaubt es dermalen nicht, die feinere Struktur des
Samens festzustellen.
4*
1S04
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
und so zählt man im dicksten Teile der Wurzel 5—8 verholzte
X ' linder die sich von dem ursprünglichen Holzkorper losgelost
lnihen und in die Masse des Bast- oder Rindenparenchyms ein-
Bei stärkerer Yergrösserung zeigt die Wurzel folgenden Bau:
Sie ist nach aussen geschützt durch eine dicke Korklage, mit ab¬
geplatteten Zellen, deren Wände ziemlich stark mit Korksubstanz
durchsetzt erscheinen. Das Rindenparenchym, dessen weite Zellen
reichlich Stärke zeigen, geht unmerklich in die Bastzone über,
deren Zellen _ und zwar nur in der Cambialregion — m Raüiai-
streifen angeordnet sind.
Das Holz ist sehr kompakt, vollkommen lignifiziert, zeigt,
ziemlich starke, einzelnstehende Gefässe und stark verdicktes,
punktiertes Holzparenchym.
Die Stärke bildet grosse, einzelne rundliche, birnloimige
oder elliptische Körner. Kalziumoxalat in prismatischen
Die M i 1 c li g e f ä s s e wenig zahlreich in der Rindengegend,
aber weit und wenig verästelt Sie sind kleiner und zahlreicher
in den hastigen und holzigen Teilen. Sie gleichen in allen Punkten
den Milchgelassen, die man gewöhnlich bei den Asclepiadeen
und Apocyneen findet. . . ...
Die äussere F a r b e dieser W urzel ist ein ziemlich
helles Braunrot, das Innere ist weisslicli und lässt auf einem
Schnitt mit blossem Auge in der Parenchymmasse verstreute Holz-
streifen unterscheiden.
Stengel. Ist von aschgrau-gelblicher Farbe, wollig, und
trägt in. seinem oberen Teile kleine achselständige Trugdolden
(Cymae). Die Epidermhaare sind zahlreich. Unter der Epidermis
findet man eine Korklage mit sehr grossen, wesentlich in Itadial-
st reifen ungeordneten Zellen. Diese Zone umfasst gegen den
oberen Teil des Stengels 4 — (1 Zelllagen und bietet der Pflanze einen
ausgezeichneten Schutzapparat gegen die Verdunstung.
Das Rindenparenchym, das dann folgt, ist mehr weniger
collencliymatös und endigt im Innern an der perizyklischen Zone.
Der Bast ist dünn. Das sehr stark lignifizierte Holz bildet einen
kompakten Zylinder, in dessen Inneren man Haufen von sieb¬
förmigen perimedullarem Gewebe und ein parenchymatöses Mark
mit weiten rundlichen Zellen erblickt.
Zahlreiche Zellen des Rinden-, Bast- und Medullarparenchyiiis
umschliessen Kalziumoxalatzwillinge oder grosse Prismen.
Die M i 1 c li g e f ä s s e sind besonders reichlich in der inneren
Zone der Rinde, im Bast, und um die siebförmigen, perimedullaren
Inselchen.
Blattstiel. Sehr kurz. Er ist geschützt durch eine dicke,
haartragende Bekleidung, vollkommen analog derjenigen der Blatt-
uuterseite. Auch im Blattstiel Zwillinge von oxalsaurem Kalk.
Blatt. Die Oberhaut — frei von Spaltöffnungen — zeigt
grosse Zellen mit dünner Cuticula, die, von oben gesehen, ziemlich
regelmässig polygonal erscheinen und deren einige sich zu langen,
einreihigen Haaren, ähnlich denen des Stengels, verlängern. Das
Mesophyllum ist entschieden bifazial. Im Innern des Lakunar-
parenchyms sind zahlreiche Nerven Verästelungen.
Das Kalziumoxalat krystallisiert ebenfalls in grossen Zellen
in Form voluminöser Zwillinge. Die Milcligefässe finden sich
wieder längs der Bündel bis in die Umgebung der Gef ässenden hin¬
laufend.
Die haarige Bekleidung der Unterseite des
Blattes gestattet kaum ein Studium der Gewebe bei durchfallendem
Lichte. Sämmtliche Gewebe des Blattes enthalten viele rundliche
Kügelchen, welche öliger Natur zu sein scheinen.
Die Spaltöffnungen sind über die ganze Unterseite verteilt,
deren Zellen etwa 4 mal kleiner als die der Oberseite sind. Sie
verlängern sich fast alle haarförmig, was dem Blatt ein charakte¬
ristisches weissliclies Ansehen gibt. Die Gesamtheit dieser in¬
einander verschlungenen Haare bildet einen dicken Filz, der
die Pflanze höchst erfolgreich gegen exzessive Verdunstung
schützt.
Fruc li t, S a m e. Die beiden freien Ovarien bringen eine
pergamentartige Kapselfrucht hervor — ohne histologisches Inter¬
esse. Sie trägt ebenfalls eine dichte Behaarung. Was den Samen
betrifft, so ist bereits angeführt, dass der Zustand, unserer Proben
nicht erlaubt hat, seine innere Struktur zu untersuchen. Er wird
überragt von einem stiellosen Büschelchen einzelliger Haare,
welche eine bemerkenswerte Vorrichtung für Verbreitung des
Samens durch den Wind bildet.
Es erhellt also aus dieser Untersuchung, dass „K s o p o“ ohne
allen Zweifel der MenabeavenenataBaillons entspricht,
wenngleich in der Beschreibung des letzteren (Bull. Soc. Linn. de
Paris No. 104, 1890) sich die Angabe findet, dass die Blätter eine
Länge von 9 cm besitzen. Hier liegt offenbar ein Druck¬
fehler vor, denn die Probestücke Grandidier s, welche das
Studienmaterial jenes Autors bildeten, entsprechen vollkommen
unserer Beschreibung, wie wir uns im Herbarium des
M xi s e xi m überzeugen konnten.
Gegenwärtig sind Versuche über die pharmako¬
logischen Wirkungen der Pflanze im pharmakologischen La¬
boratorium der Faculte de medecine unter Leitung unseres
Freundes, Herrn Dr. J oani n, im Gange und werden uns bald
über den Giftwert und die Wirkungen der Pflanze ins Klare setzen,
die als Ordaliengift und auch als Heilmittel den Sakalaven
dient.
Sowie genügende Quantitäten der Wurzel eine Darstellung des
wirksamen Prinzips ermöglicht haben werden, wird der Arznei¬
schatz vielleicht sich um einen der interessantesten Körper und
gleichzeitig um eiix wertvolles Heilmittel bereichern lassen."
Emile Perrot,
Doeteur des Sciences, Charge de cours a l’Ecole
superieure de Pharmacie de Paris.
Einige botanisch-pharmakologische Bemerkungen
des Referenten zu der Arbeit Dr. Perrots über Mcnabca
venenata Baill.
Wenn man die nach Umständen sehr genaue und verdienst¬
liche Untersuchung Dr. Perrots vergleicht mit den 1890 aus
Prof. B ai 1 1 on s an sehr unvollständigem Exemplare gewonnenen
Resultaten so wird man zugeben müssen., dass letzterer (abgesehen
von einem die Länge der Blätter betreffenden Druckfehler) eine
sehr gewandte Diagnose entwickelt hat. Er erkannte das rüde
mentäre Exemplar nicht allein als eine — wahrscheinlich mil¬
chende _ Asclepiadee, sondern auch als ein der Unterabteilung
der Periplocoideae sehr nahestehendes neues Genus (cf.
Bull. Soc. Linn. de Paris No. 104, 1890). Dass der Pollen b e i d e r
M e n a bea in Tet r a d e n steht, hat Bailion nicht wissen
können Dies ist für die Periplocoideae charakteristisch und wurde
durch Dr. Per rot gefunden. Die organologisclie Beschreibung
B a i 1 1 o n s - — soweit an seinem Belegstück möglich — ist. im
wesentlichen zutreffend. Den Samen mit dem endständigen ein¬
fachen Federbusch hat B a i 1 1 o n ebenfalls schon erwähnt, welche
Beschaffenheit sich bei fast allen Asclepiadeen. aber allerdings
auch bei vielen Gewächsen der naheverwandten Apocyneen findet,
besonders deren Unterabteilung Echitoideae (wozu Stroplianthus
mit doppelter Feder kröne am Samen).
Diese Flugapparate — um die Verbreitung des Samens durch
den Wind zu begünstigen — sind, wie erwähnt, f a s t allen As¬
clepiadeen eigen. Nur 2 Genera sind des seidenartigen Feder¬
busches am Samen verlustig. Hierunter auch — beiläufig be¬
merkt — die der indo-australischen Region angehörige, toxiko¬
logisch wichtige Gattung Sarcolobus R. Br. 7)
Was die am Schlüsse von Dr. Perrots wichtiger Arbeit
angedeutete Hoffnung betrifft, nach Vollendung der noch aus-
stelienden gründlichen chemisch-physiologischen Untersuchung der
Menabeawurzel nicht nur einen sehr interessanten pharmakologi¬
schen oder toxikologischen Körper zu finden, sondern auch viel¬
leicht unseren Arzneischatz durch ein therapeutisch kostbares
Mittel bereichert zu sehen, so möchte ich in letzterwähntem Sinne
unmassgeblich sehr zur Reserve raten.
Wenn es auch bis zu einem gewissen Grade wahr und an und
für sich theoretisch plausibel ist, dass unsere wirksamsten von
den an sich überhaupt stark wirkenden Arzneimitteln pflanzlichen
Ursprungs in starker Dose heftige Gifte zu sein pflegen, so ist das
umgekehrte Verhältnis doch ganz unvergleichbar häufiger, d. li. die
heroischesten Pflanzengifte, welche wir kennen, sind — bis
,otzt — in geringer Dose oder starker Verdünnung als schätzbare
Arzneimittel unter wohlbegrenzten Indikationen und einleuchten¬
den bequemen oder Gefahren in erforderlichem Grade aus-
sehliessenden Dosierungsvorteilen in unserer Pharmakopoe
nicht oder nur riskanter und schwieriger zu ver¬
wenden, was mehr oder weniger für die europäischen Offi¬
zinen überhaupt gelten dürfte. Bis zu 'einem gewissen Grade
ausgenommen sind allerdings manche etwas kombinierte Pharma¬
kopoen grosser Kolonialstaaten, d. h. Arzneibücher europäischen
Anstrichs, verquickt mit traditionellen, oft aus uralten Erfah¬
rungen der Eingeborenen hervorgegangenen Arzneivorschriften,
Welehe zuweilen eine gewisse empirisch altfundierte Selbständig¬
keit erlangt haben.
Halten wir erwähnten Gesichtspunkt — nämlich das Ver¬
hältnis der in unserem Arzneibuche aufgeführten und als wert¬
volle Medikamente anerkannten heroischen Pflanzenstoffe zu der
Gesamtzahl vegetabilischer toxischer Substanzen — einen Augen¬
blick fest.
Wenn man die in letzterer Hinsicht bedeutungsvollsten
Pflanzenfamilien — etwa mit Ausnahme der Solaneen —
Revue passieren lässt, allen voran die fast durchaus gif¬
tigen Apocyneen. dann die Asclepiadeen, Euphorbiaceen,
Ranunculaceen und viele andere, so erstaunt man, wie wenige
Vertreter dieselben als mehr oder weniger verlässige Arzneikörper
in unseren Offizinen aufzuweisen haben. Die Verhältniszahl der
als therapeutisch brauchbar befundenen heroischen Pflanzenstoffe
zu den für ärztliche Zwecke bis jetzt ausgeschlossenen ist oft eine
verschwindende. Und zwar nicht etwa nur im Vergleich zu dem
Reichtum einer Pflanzenfamilie an Gattungen und sog. Arten,
sondern zu der oft ganz hervorragenden Abundanz an stark¬
wirkenden Substanzen. Vielleicht bei keiner pharmakodynamischen
oder schul-toxikologischen Gruppe wird das besser ad oculos de-
7) Z. B. die Liane Sarc. narcoticus Span. = ..W a 1 i -
k a m b i n g“, das Tigergift in Java, bei uns wenig bekannt,
(cf. Greshoff: Indische nuttige planten 1895, No. 20. und
Mededeclingen XXV, 1S98, p. 138.) Das lähmende Gift ist weder
Alkaloid noch Glykosid, sondern ein stickstofffreies Harz, das
coniinartig wirkt (stickstofffreies Sarcolobid). Ferner Sarc.
I venenatus Griff, mit ähnlicher Wirkung.
5. August 1902.
MÜENcilENEli MEDlCINISCÜE WOCHENSCHRIFT.
1305
monstriert als bei den zahlreiche n II e l* z g i f t e n verschie¬
dener I flauzenfamilien, meist tropischen oder subtropischen Ur¬
sprungs.
Keines der teilweise als tödliche Pfeil- oder Ordaliengifte ver¬
wandten Glykoside der Apocynee n, der T a n g li i n i a,
der A rten von Cerber a, Acok a nthe r a, T lieveti a!
Ad eniu m, U rechites, A p o c y n u in, des Oleanders
(Nerium) u. a. konnte sich bis jetzt einen Platz in der Therapie
erobern und auch der S t r o p h a n t li u s unserer Offizinen scheint
sich als Konkurrent unserer herrlichen, sozusagen in allen hier
wichtigen Beziehungen relativ gut kontrolierbaren Digitalis (Scro-
pliulariaceen) in absteigender Linie zu bewegen. Wer einerseits
alle Verhältnisse erwägt, welche bei dem Einsammeln von Arznei¬
pflanzen von ihrem Standorte in Betracht kommen müssen und
namentlich für sehr stark wirkende unerlässlic li
sind, und wer andererseits bei dem gewaltigen afrikanischen Ver-
breitungsbezirk des Genus Stroplianthus seine vielen Arten,
Varietäten, Provenienzen, die Schwierigkeit exakter Bestimmung
und die oft starken Verwechslungen oder Vermischungen des
Handels kennt, der wird sich über den Mangel an Ver¬
las s i g k e i t der Präparate nicht sonderlich verwundern.
Schwierigkeiten ähnlicher Art gelten natürlich noch viel m e h r
für die selteneren und weniger studierten oder bislang
noch weniger abgrenzbaren Giftpflanzen fremder Länder.
Ausser Stroplianthus ist uns der Regel nach von den Apo-
cyneen nur noch Aspidosper m a (Quebracho) zu bisher kaum
häufigem Gebrauche geblieben8). Aelmlieh stellt es mit den sehr
verwandten, ebenfalls (wenn auch weniger) gift- und glykosid¬
reichen Asclepiadeen (wozu auch unsere Menabea gehört).
Bei uns ist eigentlich n ureine Gattung und Art: M a rsdenia
(Gonolobus) C o n d u r a n g o — die Mataperro-Rinde (tropisches
Andengebiet) — als mit Recht geschätztes Magenmittel in Ver¬
wendung. Die sehr giftigen Pflanzen Marsdenia
ert'cta R. Br. und der bereits erwähnte Sarcolobus u. a.
sind bisher arzneilich ignoriert.
So Hesse sich noch an vielen anderen Familien beweisen, dass
höchst wirksame Giftstoffe (Alkaloide, Glykoside und noch nicht
genügend charakterisierte), die oft in ganz bestimmtem Sinne
krankmachend wirken, doch wegen störender resp. gefährlicher
Nebenwirkungen oder wegen Inkonstanz ihrer Effekte als Arznei¬
mittel nicht verwandt sind und wohl meist nicht zur Verwendung
gelangen werden. In der Volksmedizin freilich überhaupt, aber
auch in den von europäischen Normen mehr oder weniger unab¬
hängigen Arzneibüchern überseeischer Kolonial- oder selbständiger
Reiche ist da allerdings vieles anders. Ich führe z. B. nur an
die grossen indischen Kolonialländer und andererseits Brasilien
und Mexiko.
Ich habe nur ein paar der an toxischen Körpern reichsten
Pflanzenfamilien flüchtig angeführt und besonders deren eminente
Herzgifte gestreift, um zu zeigen, dass relativ nur selten mit der
Eigenschaft verschiedengradiger, ja. superlativer Toxizität zu¬
gleich die Verwendbarkeit als wertvolles Arzneimittel gegeben ist.
Wenn man nach gewissen Analogien schliessen darf, so dürfte
es sich in unserem konkreten Falle bei einem später eventuell
rein dargestellten „Menabein“ mit Wahrscheinlichkeit ebenfalls
um ein glykosidisches Herzgift handeln. * A. Mode 1.
Aus der I. med. Klinik der deutschen Universität in Prag
(Vorstand: Hofrat Prof. P r i b r a m).
Widalsche Serumreaktion bei Weilscher Krankheit.
Von Dr. L. Z u p n i k.
Unter obigem Titel berichtet Herr Dr. E c k li a r d t in No. 27
dieser Wochenschrift über positive Gruber-Widal sehe Re¬
aktion bei 2 Fällen von Morbus Weilii.
lieber den positiven Ausfall der in Rede stehenden Reaktion
habe ich bereits vor einem Jahre in der in der Zeitsclir. f. Heilkunde
unter dem Titel: „Erfahrungen über die Gruber-Widal sehe
Reaktion und Autoagglutination bei Typhus abdominalis“ erschie¬
nenen Arbeit Mitteilung gemacht.
In Bezug auf die Einzelheiten verweise ich auf die eben ge¬
nannte Publikation. Hier sei bloss erwähnt, dass ich daselbst eine
positive Gruber-Widal sehe Reaktion bei folgenden ikte-
riselien Kranken zu verzeichnen hatte: bei 4 unter t> Fällen von
Morbus Weilii, 2 Fällen von Cliolelithiasis, einem von Cholangitis
suppurativa und einem Falle von fieberfreiem Leberkarzinom.
Die Untersuchungsergebnisse des Herrn Dr. Eckhardt
decken sich somit mit den meinigen vollkommen. Nur eine
Einzelheit ist in der genannten Publikation neu: das Fortbestehen
der, allerdings geschwächten, positiven Reaktion auch nach dem
Verschwinden des Ikterus, ln theoretische Erklärungen dieses
Sachverhaltes will ich mich an dieser Stelle nicht einlassen. Ich
hoffe auf diesen Gegenstand nach nicht zu langer Zeit in einem
anderen Zusammenhänge zurückkommen zu können. Hier sei
bloss hervorgehoben, dass ich zu Anfang der in Rede stehenden
Untersuchungen, ebenso wie Herr Dr. E c k h a r d t, der Meinung
s) Die Hoffnung, das Strophanthin durch das verwandte,
aber noch gefährlichere echte Ouabai n (Acokanthera) Im Sinne
der Verstärkung oder Sicherheit der Wirkung ersetzen zu können,
scheint sich nicht erfüllen zu wollen.
No. 31.
war, durch den positiven Ausfall der G r u b e r - W i d a 1 sehen
Reaktion sei der Nachweis der ätiologischen Einheit des Morbus
A\ eilii mit. I jplius abdominalis erbracht worden. — Der negative
Ausfall dieser Reaktion bei 2 unter 6 untersuchten Fällen, dann
der positive Ausfall bei anderweitigen mit Ikterus einhergehenden
Erkrankungen und schliesslich die experimentellen Untersuchungen
von Köhler haben mich dazu veranlasst, diese Ansicht fallen
zu lassen.
Unsere Anschauung geht demnach dahin, dass im Morbus
Weilii eine Erkrankung sui generis mit derzeit
noch unbekannter A e t i o 1 o g i e vorliegt. Die von
J ä ger beschriebenen Mikroorganismen konnten wir in keinem
einzigen der bis jetzt untersuchten 10 Fälle nach weisen.
Prag, den 10. VII. 1902.
Soziale Gesetzgebung und Ohrenheilkunde.5)
Von Professor Dr. O. Iv örne r.
Die Reihe unserer Vereinsvorträge über die Aufgaben des
Arztes bei der Ausführung der sozialen Gesetze sohliesst heute ab
mit der Besprechung der Erfahrungen, welche der Ohrenarzt mit
dem Krankenkassen-, Unfallversicherungs- und Invaliditäts¬
gesetze gemacht hat. Wie die Vertreter anderer Gebiete der Heil¬
kunde, die vor mir an dieser Stelle zu Wort gekommen sind, mit
Vorliebe allgemeine Fragen erörtert haben, die jedem von ihnen
in dem Gebiete seiner besonderen Tätigkeit entgegengetreten
sind, will auch ich das, was ich von der Ohrenheilkunde zu sagen
habe, unter einen leitenden Gesichtspunkt bringen, den mir die
eigentümliche Stellung dieses Faches in dem Wissen und Können
des praktischen Arztes aufnötigt.
Die Ohrenheilkunde ist das einzige medizinische Fach, in
welchem der zukünftige Arzt gar nichts zu wissen braucht, wenn
er sich der Approbationsprüfung unterzieht. Als ob die Ohren¬
kranken eine Art von Paria unter den Kranken wären, die nicht
verdienten geheilt zu werden, verlangt unsere hierin noch für
einige Jahre gültige alte Prüfungsordnung keinen Besuch der
Ohrenklinik und kein Examen in der Ohrenheilkunde. Mehr als
die Hälfte unseres ärztlichen Nachwuchses geht deshalb in die
Praxis, ohne die geringsten Kenntnisse in der Untersuchung und
Behandlung des kranken Ohres. Manche junge Aerzte haben
dazu noch die Ueberzeugung, dass man auch ohne solche Kennt¬
nisse allein nach allgemeinen pathologischen und therapeutischen
Grundlehren Ohrenkranke behandeln könne, denn — so denken
sie — wenn es nicht so wäre, müsste doch das Fach geprüft
werden. Mit allgemeinen pathologischen und therapeutischen
Grundlehren kann man aber keine Kranken behandeln und be¬
gutachten, deren Krankheiten man nicht einmal dem Namen
nach kennt, und die man nicht zu untersuchen versteht.
Nun haben in fast allen grösseren und in vielen mittleren
Städten die Krankenkassen unter ihren Aerzten auch solche, die
in der Ohrenheilkunde Bescheid wissen. Das nützt aber nichts
vielen am Ohr Erkrankten und Verletzten in kleinen Städten
und auf dem Lande.- Denn bis der umständliche Apparat in Be¬
wegung gesetzt ist, der solche Kranke zum fernen Spezialisten
bringt, ist oft eine leicht und schnell heilbare Ohrkrankheit in
eine schwere, der Behandlung lange Zeit trotzende, oder in eine,
die Funktion des Organes oder gar das Leben bedrohende über¬
gegangen, und die Entscheidung, ob eine Ohrerkrankung durch
einen Unfall entstanden ist, kann oft nicht mehr gefällt werden,
wenn die sachverständige Untersuchung erst ein paar Tage nach
dem Unfälle vorgenommen wird. Die in der Ohrenheilkunde
nicht unterrichteten Aerzte, welche in solchen Fällen durch die
Macht der Verhältnisse gezwungen werden, irgendwie ein¬
zugreifen, kommen oft in eine schlimme Lage. Viele derselben
suchen deshalb in den Ferienkursen an den Universitäten die
schwer empfundene Lücke in ihren Kenntnissen auszufüllen,
und es spricht für die Tüchtigkeit des ärztlichen Standes, dass
gerade die otiatrischen Kurse eine besonders starke Frequenz
auf zu weisen pflegen.
Welche Bedeutung im einzelnen die geschilderten Zustände
für die Kassen und Berufsgenossenschaften haben, möchte ich
Ihnen im folgenden kurz darstellen.
Wir wissen aus umfangreichen klinischen Statistiken, dass
eine der häufigsten und schlimmsten Ohrkrankheiten, die akute
*) Vortrag, gehalten im Rostocker Aerzte verein am 14. Juni
3902.
5
1806
Mittelohrentzündung, um so schneller heilt, je früher und je
gründlicher die Paukenhöhle von dem Drucke des entzündlichen
— serösen oder eitrigen — Exsudates befreit wird. Erfolgt der
Durchbruch des Exsudates durch das Trommelfell am ersten Tage
der Erkrankung, so ist die Heilung, wenn sie überhaupt zu
Stande kommt, durchschnittlich am 14. Tage vollendet. Bahnen
wir aber am ersten Tage dem Exsudate durch den Trommelfell¬
schnitt einen breiteren Abflussweg, als ihn die stets enge Spontan¬
perforation schafft, so ist die Heilung im Durchschnitt schon am
7. Tage, also in der Hälfte der Zeit vollendet. <Te später nun
die Paukenhöhle von dem Drucke des Exsudats befreit wird,
desto längere Zeit vergeht bis zur Heilung, und am wievielten
Tage das immer geschehen möge, stets zeigt sich wieder, dass
der Trommelfellschnitt günstigere Verhältnisse schafft, als die
Spontanperforation. Eolgende tabellarische Uebersicht möge das
veranschaulichen :
Befreiung der Pauken¬
höhle von dem Exsu¬
datdrucke
definitiver Trommelfellschluss im Durch¬
schnitt
bei der Sporn an-
perforation
beim Trommelfell¬
schnitt
am 1. Tage
am 14. Tage
am 7. Tage
9
r> v
„ 17- „
„ 9- »
„ 3. „ und später
„ 23. „
„ 19. „
Wieviel Krankengelder könnten die Kassen sparen — ich
will hier nur von dem Interesse der Kasse reden und das viel
wichtigere Interesse des Kranken stillschweigend übergehen —
wenn alle Kassenärzte im Stande wären, die Mittelohrentzündung
rechtzeitig zu erkennen und sachgemäss zu behandeln. Um
solches zu leisten, braucht man kein ausgebildeter Spezialist zu
sein. Meine Schüler lernen es mit allem anderen, was der prak¬
tische Arzt von der Ohrenheilkunde wissen muss, in einem
Semester bei wöchentlich zwei Stunden klinischen Unterrichtes.
Der Mangel an lückenlos ausgebildeten Aerzten kostet aber
die Kassen hier noch viel mehr Geld. Die schweren Kompli¬
kationen von Mittelohreiterungen — Knochenerkrankungen im
Schläfenbeine mit ihren häufigen tödlichen Folgen: Meningitis,
Hirnabszess, Pyämie — stellen sich oft nach vernachlässigten
Mittelohrentzündungen ein, während die frühzeitig parazente-
sierten bei saehgemässer Nachbehandlung stets ohne solche Kom¬
plikationen heilen, wenn nicht die Kranken durch andere Leiden,
z. B. Tuberkulose, Diabetes, geschwächt sind, oder ungewöhn¬
liche anatomische Verhältnisse im Schläfenbein das Auftreten
einer komplizierenden Knochenerkrankung begünstigen. In einer
ununterbi’ochenen Reihe von 405 in meiner Klinik operierten
Schläfenbeineiterungen fanden sich nur 43, bei welchen die Para¬
zentese gemacht worden, und unter diesen nur 5, bei denen das
in der Zeit vom 1. bis zum 3. Tage der Erkrankung geschehen
war. In dem gleichen Zeiträume sind in der Klinik weit über
1200 Parazentesen gemacht worden. Da wir nun in Rostock und
in ganz Mecklenburg keine Konkurrenzklinik haben, an die sich
etwa ungünstig verlaufene Fälle gewendet haben könnten, so
dürfen wir wohl behaupten, dass diese mehr als 1200 Para¬
zentesen ungemein günstig gewirkt haben; hätten sie das nicht
gethan, so müssten unter den 405 Schläfenbeinerkrankungen
aus dem gleichen Zeiträume doch wohl mehr als, 5 frühzeitig
und 38 zu spät parazentesierte gewesen sein.
Gehen wir nun zu den Unfallverletzungen des Ohres
über. Unter diesen ist eine der häufigsten die Zerreissung des
Trommelfells. -Bei Land- und Forstarbeitern kommt sie durch
Eindringen von Reisern, Baumzweigen und Strohhalmen nicht
selten vor, bei einzelnen industriellen Betrieben durch Luft¬
verdichtung in Folge von Explosionen, am häufigsten aber, be¬
sonders bei allen Baugewerben, beim Fuhrwerks- und Eisenbahn¬
betriebe in Folge von Brüchen der Schädelbasis, die durch das
Schläfenbein gehen. Die so Geschädigten werden oft erst sehr
lange Zeit nach dem Unfälle dem sachverständigen Arzte zuge¬
führt, und zwar wenn die Verletzung des Trommelfells, die, richtig
behandelt, gewöhnlich in einigen Tagen heilt, zu einer Pauken¬
höhleneiterung geführt hat, oder wenn nach Abschluss der Hei¬
lung entschieden werden soll, ob eine Hörstörung auf den er¬
littenen Unfall zurückzuführen ist. Hat aber eine Trommelfell-
verletzung zur Eiterung geführt, so ist es nicht mehr möglich.
Ho. 31.
zu erkennen, ob diese Eiterung schon vor dem Unfälle bestanden
hat, oder durch den Unfall herbeigeführt wurde, oder nach dem¬
selben, unabhängig von ihm, eingetreten ist. Durch den Mangel
an lückenlos ausgebildeten Aerzten erleiden hier die Kranken¬
kassen, die Berufsgenossenschaften und nicht zum wenigsten die
am Ohre Verletzten oft grossen Schaden.
Die Brüche der Schädelbasis führen nur dann zur Zer¬
reissung des Trommelfelles, wenn sie durch die Paukenhöhle oder
durch den inneren Teil des Gehörgangs gehen. Sie spalten
häufig auch das Labyrinth und führen dann zur Taubheit, zu
Schwindelerscheinungen und zu quälenden subjektiven Ge¬
räuschen. Im Gehörgang und in der Paukenhöhle werden viele,
im übrigen subkutane Schädelbrüche zu offenen, die der Invasion
pathogener Mikroben in die Schädelhöhle Tür und Tor öffnen.
Wer in der Ohrenheilkunde unterrichtet ist, kennt diese Gefahr
und Hütet sich, das blutende Ohr auszuspritzen, denn die Spritze
ist hier noch viel gefährlicher als beispielsweise bei Schuss¬
wunden. Ein aseptischer, aufsaugender Deckverband ist der
einzige hier erlaubte Eingriff. Ebenso ist bei den einfachen
Trommelfellverletzungen zu verfahren; vollkommen in Ruhe ge¬
lassen, heilen sie oft unter einem Verbände.
Die verlockende Aussicht, eine Rente zu beziehen, bringt
manche am Ohre Verletzte dahin, die Folgen des Unfalles zu
übertreiben, während die eigentliche Simulation, also die Vor¬
täuschung einer gar nicht vorhandenen Schädigung, hier selten
vorkommt. Die Simulation einer beiderseitigen völligen Taub¬
heit wird auch von dem Laien bei aufmerksamer Beobachtung
leicht erkannt. Dagegen ist zum Nachweise einer simulierten
oder übertriebenen beiderseitigen oder einseitigen Schwer¬
hörigkeit meist eine sachverständige Untersuchung nötig.
Die einfache Hörprüfung durch einen nicht in der Ohrenheil¬
kunde unterrichteten Arzt genügt dazu in den seltensten Fällen;
man muss vielmehr feststellen, ob die ermittelte Hörweite mit
den nachweisbaren krankhaften Veränderungen in Einklang zu
bringen ist. Die Hörprüfung ist aber keine so einfache Sache,
wie manche glauben. Ich habe es z. B. ei’lebt, dass ein Medizinal¬
beamter als Sachverständiger in einer Unfallversicherungssache1)
nicht wusste, dass man bei der Prüfung der Hörweite eines
geschädigten Ohres das andere, nicht geschädigte, fest zuhalten
lassen muss. Er prüfte den Verletzten mit der Flüstersprache
in seinem Zimmer, ohne an das gesunde Ohr zu denken, das
natürlich das Flüstern gut hören musste, und erklärte darauf
den Geschädigten für einen Simulanten. Ich hatte die unan¬
genehme Aufgabe, dieses Gutachten vor dem Schiedsgericht zu
widerlegen und konnte leicht nachweisen, dass der Verletzte in
der Tat durch seinen Unfall schwer geschädigt war. Die Rente
wurde ihm darauf zugesprochen und das Reichsversicherungsamt
bestätigte diese Entscheidung. Wie ich aus Unfallakten ersehen
habe, werden nicht selten auch andere schwerwiegende Fehler
bei der anscheinend so einfachen Hörprüfung mit der Sprache
gemacht. Ich möchte deshalb etwas ausführlicher hierauf ein¬
geh en.
Man gebraucht bei den Hörprüfungen häufiger die Sprache,
als künstliche Tonquellen, weil die Prüfung mit der Sprache
unmittelbar zeigt, in welchem Grade das Organ seine wichtige
Aufgabe erfüllt. Die gewöhnliche, laute Konversationssprache
wird nur angewandt bei beiderseits starker Schwerhörigkeit, denn
bei geringen Hörstörungen wird sie selbst in grösseren Räumen,
als dem Arzte gewöhnlich zur Verfügung stehen, noch ver¬
standen und bei einseitigen Hörstörungen genügt der künstliche
Verschluss des gesunden Ohres nicht, um das Verständnis des
laut Geprochenen durch dieses auszuschalten. Wir sind deshalb
bei allen einseitigen und bei allen nicht sehr starken Gehörs¬
störungen auf die Prüfung mit der Flüstersprache angewiesen.
Um stets gleich laut zu flüstern, benutzen wir dabei nicht die
ganze zur Exspiration verfügbare Luftmenge, sondern nur die
sog. Residualluft, d. h. das Luftquantum, welches nach der ge¬
wöhnlichen, nicht forcierten Exspiration noch in der Lunge vor¬
handen ist. Dieses ist bei dem einzelnen auch zu verschiedenen
Zeiten ungefähr gleich gross, so dass wir damit stets ungefähr
*) Der Fall ist ausführlich mitgeteilt in dem juristischen Gut¬
achten von L. O p p e n h e i m über fahrlässige Behandlung und
fahrlässige Begutachtung von Ohrenkranken. Wiesbaden, Verlag
von J. F. Berg m a n n, 1899.
MtTENCÖENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
5. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1307
in gleicher Lautstärke flüstern können. Die Residualluft reicht
aber nur für wenige Silben aus ; lange und zusammengesetzte
Prüfungsworte sind deshalb nicht zu verwenden und nament¬
lich sind die vielfach benutzten zusammengesetzten Zahlworte,
z. B. 22, 36 auszuschliessen, da dieselben ausserdem noch durch
ilnen Rhythmus das Erraten erleichtern. Während nun die
Lautstärke und damit die Hörweite der Flüsterworte des einzel¬
nen Untersuchers annähernd gleichmässig bleibt, ist sie bei ver¬
schiedenen Leuten doch sehr verschieden. Deshalb sind die Er¬
gebnisse der Hörprüfung eines und desselben Ohres von seiten
verschiedener Lntersucher nicht miteinander vergleichbar und
eine allgemein gültige normale Hörweite für die Flüstersprache
kann nicht festgesetzt werden. Jeder Untersucher muss deshalb
die Hörweite seines eigenen Residualluftflüsterns für normale
Ohren ermittelt haben, ehe er die Hörweite kranker Ohren fest¬
stellen kann.
Aber auch dabei stossen wir auf grosse Schwierigkeiten.
Die normale Hörweite für verschiedene Worte ist so verschieden,
dass z. B. manche Zahlen 5 mal so weit gehört werden als an¬
dere. Der Untersucher muss also die normale Hörweite für eine
ganze Reihe seiner Flüsterworte kennen und muss sich immer
wieder derselben Worte bedienen, wenn er die Konstanz, die Ab¬
nahme oder die Zunahme des Gehörs bei einem Kranken fest¬
stellen will.
Die Hörweite des einzelnen Wortes ist abhängig von der
Lautstärke der Vokale und Konsonanten, aus denen es zusammen¬
gesetzt ist. Im Durchschnitt werden die Vokale viel weiter ge¬
hört als die Konsonanten. Die grösste Lautstärke hat das A
(58,6 m in Flüstersprache mit Residualluft). Nächst ihm kommen
1 (51,75 m) und E (50,9 m). U (34,12 m) und O (28,1 m) haben
die geringste Lautstärke"). Von den Konsonanten werden die
Zischlaute (S, Sch, Z) am weitesten gehört, während z. B. das
Zungen-R und die Aspirata II nur in sehr geringer Entfernung
verstanden werden. Worte, die nur aus weit hörbaren Vokalen
und Konsonanten bestehen, wie z. B. Ass, Assissi, Isis, Esse,
werden aus grosser Entfernung, solche mit nur lautschwachen
Buchstaben, wie Uhr, Kuckuck, Uhu, Ohr, nur in der Nähe ver¬
standen. Wie gross die Differenz der Hörweite verschiedener
Worte sein kann, zeigt folgende Kurve der Hörweite für eine
Reihe einfacher Zahlworte (Residualluftflüstern im Garten im
Durchschnitt von 4 normalen Ohren).
Man erkennt liier leicht, dass in den weit hörbaren Zahlen
lautstarke, in den nur in der Nähe vernehmlichen lautschwache
Vokale und Kon¬
sonanten vorwiegen.
Die in der Tabelle
angegebenen Hör¬
weiten beziehen sich
natürlich nur auf
meine Residual-
flüstersprache, die
stark akzentuiert ist.
Doch ist auch die
Flüstersprache an¬
derer Untersucher so
weit hörbar, dass sie
in unsern relativ
_ _ kleinen Zimmern nur
70. 6. 2Q10. 7. 1. 3. 2.12. 5. 8. 4. 9.11.1000.100.0. bei schon recht erheb¬
lichen Hörstörungen verwendet werden kann. Schliesslich ist bei
der Hörprüfung mittels der Sprache noch zu beachten, dass bei
Schwerhörigen die Hörweite für die einzelnen Vokale, Kon¬
sonanten oder Worte bezw. Zahlen nicht gleichmässig herab-
2) Die hier angegebenen Hörweiten für die Vokale stimmen
nicht mit den von O. Wol f ermittelten überein. Wolf hat jeden
Vokal für sich allein geprüft und sich der lauten Sprache bedient;
ich habe dagegen die stets gleich starke Residualluft-Flüstersprache
verwendet und jeden Vokal nicht allein, sondern in Worten ge¬
prüft, die nur einen Vokal, jedoch in mehrfacher Wiederholung,
enthielten. Die Versuchspersonen waren angewiesen, zu melden,
wenn sie den Vokal hörten. Ausnahmslos wurden die Vokale auf
grössere Entfernungen verstanden, als die Worte, in denen sie
enthalten waren. Die Versuche wurden in einem grossen Garten
vorgenommen. Prüfungsworte waren: Abraham, Asra, Satanas,
Salat — Esse, Depesche, Bethlehem — Isis, Crispi, Pipin, Missis¬
sippi — Oporto, Otto, Zoolog — Usus, Uhu, Kuckuck.
gesetzt zu sein braucht. Je nach dem Sitze der Erkrankung im
schalleitenden oder im schallempfindenden Teile des Ohres leidet
das Gehör für die verschiedenen Laute und Worte in verschie¬
denem Grade.
Mit Rücksicht auf alle diese Schwierigkeiten der Hör¬
prüfung mit der Sprache ist jedem in der Ohrenheilkunde nicht
unterrichteten Arzte zu raten, keine allzu bestimmten Schlüsse
aus seinen Hörprüfungen zu ziehen.
1 ür die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit von Ohrkranken
lassen sich nur wenige allgemeine Regeln aufstellen. Nach Ab¬
schluss des Heilverfahrens kommen dabei im wesentlichen in
Betracht die einseitige oder beiderseitige Schädigung, der Grad
der Hörstörung und gelegentlich auch lästige oder gar schlaf¬
störende subjektive Geräusche und Schwindelerscheinungen.
Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass viele Arbeiter auch
durch ein schlechtes Gehör, ja sogar durch einseitige völlige
Taubheit in ihrem Erwerbe nicht merklich beeinträchtigt werden.
Dahin gehören manche Handwerker, viele in der Hausindustrie
Beschäftigte und manche Landarbeiter. Einseitige Gehör¬
störungen können jedoch in manchen anderen Betrieben zur
völligen Erwerbsunfähigkeit führen, wenn der Arbeiter auf Zu¬
rufe oder Signale achten oder gar die Richtung, aus welcher
diese kommen, ohne weiteres erkennen muss. Schlafstörende sub¬
jektive Geräusche können die Erwerbsfähigkeit stark herabsetzen.
Schwindelerscheinungen bedingen in allen Berufen, die ein
sicheres Gehen, Stehen oder gar Klettern erfordern, wie z. B. bei
Maurern, Dachdeckern, Anstreichern, Schornsteinfegern, Eisen¬
bahnschaffnern, Pferdeknechten, völlige Erwerbsunfähigkeit.
Ich komme zum Schlüsse. Die sozialen Gesetze haben den
ärztlichen Stand vor zahlreiche neue Aufgaben gestellt. Wie
Sie aus den Vorträgen der Kollegen, die hier vor mir zu Wort
gekommen sind, entnommen haben, sind die deutschen Aerzte
so gut vorbereitet den neuen Fragestellungen gegenüber getreten,
dass sie die in ungeahnter Fülle auftretenden, früher nicht ge¬
nügend beachteten oder nicht gekannten Unfallfolgen an dem
Riesenmateriale, das ihnen die Berufsgenossenschaften zu¬
führten, alsbald kennen gelernt und Stein auf Stein zum festen
Bau gesicherter Erkenntnis herbeigeschafft haben. Die sozialen
Gesetze haben so die Wissenschaft in vielen Gebieten erweitert
und vertieft; wenn sie auch die in der Ohrenheilkunde noch
nicht unterrichteten Aerzte anregen, die einzige Lücke in ihrer
wissenschaftlichen und praktischen Ausbildung nach Kräften
auszufüllen, werden sie ihren Segen nicht nur auf die versiche¬
rungspflichtigen, sondern auch auf niehtversicherungspfliehtige
Ohrenkranke ausbreiten.
Zur Geschichte der Extraktion und Expression des
nachfolgenden Kopfes.
Von Professor Dr. Gustav Klein,
Vorstand der gynäkolog. Poliklinik der Universität München.
In den meisten heutigen Lehrbüchern der Geburtshilfe findet
man zur Entwickelung des nachfolgenden Kopfes bei Becken¬
endlage 2 Griffe empfohlen: Die Extraktion mittels eines Fingers,
der in den Mund des Kindes eingeführt ist, während die andere
Hand gabelförmig am Nacken zieht. Man kann diesen Griff den
„M und - Nackengrif f“ nennen, um die Angriffspunkte der
Hände des Operateurs zu bezeichnen.
Beim zweiten Griffe führt man ebenfalls den einen Zeigefinger
in den Mund des Kindes ein, während die andere Hand vom
Abdomen der Mutter aus den Kopf des Kindes ins Becken hinein¬
presst; man kann diesen Griff nach seinen Angriffspunkten den
„M und-Schädelgriff“ nennen. Nur nebenbei sei bemerkt,
dass sich als besonders nützlich die nicht allgemein genannte und
empfohlene Methode erweist, beide Griffe zu kombinieren: Der
Operateur führt den Mund-Nackengriff aus, der Assistent oder die
Hebamme übernimmt den Druck von den Bauchdecben aus.
In den meisten der heutigen deutschen Lehrbücher sind fol¬
gende Autoren für die Griffe angegeben:
für den Mund - Nackengriff Mauriceau, Levret,
Smellie, Lacliapelle, Veit;
für den Mund - Schädelgriff W i g a n d, A. Mart in ,
v. Winckel.
In v. W i n c k e 1 s „Lehrbuch der Geburtshilfe“ (1. Auf!., 1898)
ist die Geschichte dieser Griffe eingehend besprochen (S. G82 ff.).
Wenn nun auch v. Winckel darlegt, welches Verdienst
den genannten Autoren an den 2 Griffen zukommt, und ferner,
dass die späteren Autoren zwar nicht Erfinder, aber Verbreiter
der Griffe seien, so erschien es doch wünschenswert, aufs neue
5*
1308
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
aktenrailssig z u p r ü f e n, welcher Anteil an den beiden
Griffen den genannten Autoren zukommt *).
Das überraschende Ergebnis dieser Untersuchungen war
einerseits, dass für den wichtigsten Teil des Mund-Nackengriffs,
nämlich für den M u n d g r i f f, nicht Mauriceau der Erfinder
ist, sondern ein bisher viel zu wenig gewürdigter Schüler Am-
broise P a r e s, nämlich .T a c q u e s G u i 1 1 e ni e a u. Für den
Nackengriff ist Mauriceaus Urheberschaft zunächst
nicht zu bestreiten. Andrerseits wird der wichtige und kennzeich¬
nende Teil des Mund-Sehädelgriffs nach W i g a n d, M a r t i n,
v. W i n c k e 1. nämlich der Druck von aussen, zuerst von C e 1 s n s
empfohlen, allerdings bei totem Kinde, worauf v. Winckel
(1. c. S. 682) schon hinweist. Auch diesen Griff empfiehlt Guil-
1 e m e a u, und zwar zur Entfernung des abgerissenen, nach¬
folgenden Kopfes.
I. Wendung auf die Füsse.
II i p p o krates kennt sie nicht. Als erster beschreibt sie
Celsus1) (t ca. 13 n. Clir.), jedoch nur bei tote m Kin d e.
Liber septimus, caput XXIN, Fol. 113/114: „Qua curatione
partus emortuus ex utero excutiatur.“
Nam aut in caput, aut in pedes conversum est (seil. Corpus
emortuum), aut in transversum jacet. - Medici vero propositum
est. ut eum manu dirigat vel in caput, vel etiam in pedes. — — —
S e d in pedes quoipie conversus iufans non diffi-
cniter extraliit u r, quibus apprehensis per ipsas manus com-
mode educitur.
Einen wichtigen Fortschritt macht Soranusj (ca. 100
n. Chr.), welcher den Hebammen auch bei lebende m Kinde die
Wendung auf die Füsse empfiehlt.
Die Gynäkologie (7 syi yvytuxsluiv), 2. Buch, 17. Kapitel, § 55:
„Unter den übrigen Lagen ist die weniger gefährliche die Fusslage,
zumal dann, wenn die Hände neben den Schenkeln liegen und
das Kind so gerade herauskommt. — — Die Schieflagen können
dreifacher Art sein, je nachdem eine der beiden Seiten - oder
der Bauch vorliegen. Besser ist die Seitenlage, d enn sie g i b t
d e r H a 11 d d e r W ehemutter It a u m, das Kind auf
d e n Ko p f oder a u f die Füsse z u w ende n.“
Von Sora n u s hat eine grosse Reihe späterer Aerzte die
Wendung auf die Füsse übernommen, bis sie unter der Herrschaft
der Araber - — von einem einzigen arabischen Autor abgesehen —
fast ganz in Vergessenheit geriet. Unter den Arabern waren die
zerstückelnden Operationen in höchster Blüte. Es gehört zu den
grössten Verdiensten Eucharius It o e s s 1 i n s, in seinem
Rosengarten“ (1513) die Wendung auf die Füsse wenigstens
wieder erwähnt zu haben. Allerdings fehlt ihm eigene Erfahrung,
er traut der Operation auch nicht recht, da er noch zu sehr unter
dem Einflüsse der Araber und der Arabisten steht. Dies zeigt
besonders folgende Stelle 3 *) :
„Item ob das Kind sich mit dem hindern erzeugte, So soll
die Hebamm mit yngelassner handt das Kind vber sich heben,
und mit den Hissen vssfüren.
Wo aber miiglich wer das sie das Kind schyben möcht, damit
es mit dem liaupt vnder sich kein, wer vyl besser dan die erst
gebürt.“
Rösslin zitiert ehrlich die Autoren, n,ach welchen er sein Werk
zusammengestellt hat; den Soranus zitiert er nicht; es ist aber
kaum zweifelhaft, dass er eine Handschrift benützt hat, welche
nach einer von Moschion besorgten Uebersetzung und Um¬
gestaltung des S o r a n u s hergestellt worden war. Ueber diesen
Zusammenhang soll an anderer Stelle ausführlich berichtet werden
(vgl. Klein: Verhandl. d. Deutsch. Gesellscli. f. Gyn., Giessen
1901, S. 148 ff.).
*) Auf meinen Vorschlag unterzog sich dieser Arbeit mein
Schüler Herr Hans Michaelis und zwar anfangs gemeinsam
mit mir. im weiteren Verlaufe selbständig. Einen grossen Teil der
Werke, welche hierfür erforderlich waren, benützte Herr
Michaelis aus dem Bestände meiner historisch-medizinischen
Sammlung, welche jetzt ungefähr 3000 Bände umfasst. Einen
anderen Teil der Werke erhielten wir aus der reichen Münchener
Hof- und Staatsbibliothek und aus auswärtigen Bibliotheken. Im
folgenden entstammen alle nicht näher bezeichneten Werke meiner
Sammlung.
Herr M i c li a e 1 i s wird über diese Untersuchungen ein¬
gehend in seiner Inaugural-Dissertation berichten. Im folgenden
sei nur eine Anzahl der wichtigsten Punkte kurz erörtert; in einem
Punkte, und zwar in dem, welcher M a u r i c e a u s Anrecht auf
den „Nackengriff“ betrifft, weichen meine Ergebnisse von jenen
ab, welche Herr Michaelis selbständig fand. Die Geschichte
der Wendung auf die Füsse, welche Herr Michaelis ein¬
gehend darstellt, sei im Folgenden nur ganz kurz gestreift.
b A v r e 1 i 1 C o r 11 e 1 i i C e 1 s i de re medica librt octo etc.
Parisiis apud Cliristianum Vuechel, 1529. (Choulant, Sie¬
bold und die neueren Autoren schreiben Aulus statt Aure-
1 i u s.) Hier und im folgenden ist die entscheidende Stelle gesperrt
gedruckt.
~) Die Gynäkologie (n€Qi yvyaixsiujy) des Soranus von
E p h e s u s. Ü ebersetzt von Dr. Lüneburg. München, L e li -
m a n n, 1894.
b Der Swangern frawen vnd liehammen rossgarten. 1513.
Fol. E, b,
Das Verdienst, die Wendung auf die Füsse nach eigener Er¬
fahrung neu in die Praxis eingeführt zu haben, gebührt abei
Ambro ise Par 6 (1510 — 1590). ....
Er hat die Wendung zuerst beschrieben in seinem berühmten
Werkclieu: „Briefue Collection anatomique“, das nach Mal-
" a i g n e *) 1551 erschienen ist und von dem Malgaigne
nur 2 Exemplare kennt. Herr Michaelis hat in der Münchner
Hof- und Staatsbibliothek noch ein 3. Exemplar dieses seltenen
und wertvollen Werkes aufgefunden, welches als Druckjahr die
Jahreszahl 1549 trägt; demnach wäre 1549 als das Jahr der V ieder-
,reburt der Wendung zu bezeichnen — einer Operation, welcher
bi der ganzen Geburtshilfe wohl nur die Erfindung der Kopfzange
und die Entdeckung der Ursache und Verhütung des Kindbett¬
fiebers an die Seite gestellt werden kann. Ich überlasse Herrn
M i c h a e 1 i s die genaue Beschreibung des Münchner Exemplare«
der Briefue Collection“, welches mir vorliegt, und zitiere nach
dem mir ebenfalls vorliegenden W erke des M algaigne, welcher
die „Briefue collection“ wörtlich abdruckt.
M a 1 g a. i g n e: Oeuvres completes d’Ambroise Pare. Paris,
1840, II. Bd., S. 623 ff.
S. 623: „La maniere de extraire les enfans taut mors que
vivans etc.“
S. 628: „Puis posetas (poseras) ta main doulcement saus aucune
violence da ns la matrice, ce faisant congnoistras en quelle Situation
(>t figure sera l’enfant. Et pose qu’il fust tourner selon nature,
avant la teste au coronement pour deument l'extraire part (pan art,
fault doulcement le reposer contre mont et eher eher les
p i e d z, et les tirer au coronement. C e f a isant tour ne ras
fa eil ein ent l’enfant.“
Nun folgen Vorschriften über das Anschlingen des einen
und Fuss das Kind extrahiert. , . , .
Nach Ambro ise Pare und seinen Schillern verschwindet
die Wendung nicht mehr aus der Geburtshilfe, zu deien wert¬
vollsten Errungenschaften sie gehört.
II. Entwicklung- des nachfolgenden Kopfes.
1 Der Mund-Nackengriff, ,,M auriceau, L e v r e t, Smellie,
Lachapelle, Veits Griff“.
Es sind 3 Teile des Griffes, Avie er heute geübt wird, zu
unterscheiden :
a) D e r M 11 n d g r i f f ,
b) der Nacke n g r i f f, . „ ,
c) d a s „R eiten lasse 11“ des Kindes auf de m
V o r d e r a r m, dessen Finger im Munde ist und den man als
„M u 11 d a r 111“ bezeichnen könnte.
a) Der Mundgrif f.
Für den vorangehenden Kopf des abgestorbenen Kindes em¬
pfiehlt ihn schon II ippo lc r a tes5) (460 — 370 v. Clir.) : Libei < e
superfoetatione, Kapitel V: „Wenn bei einem Kinde der Ivopt
aus dem Mutterhals ans Tageslicht gekommen ist., der Rest des
Körpers aber noch nicht vorrücken will und wenn das Kind ab¬
gestorben ist, so benetze man die Finger mit W asser, dränge den
Finger zwischen Mutterhals und Kindskopf hindurch und tulire
ihn im Kreise herum, hierauf schiebe man den F 1 11 g e 1
unter das Kinn, s t o s s e ihn in den Mund hinein
und ziehe nach a u s s e n.“ .
Erst nach einem Zwischenräume von beinahe zweit a u s e u u
Jahren \yird der Mundgriff Avieder in die Praxis eingefulirt
und zwar von des genialen A m broise Pare ausgezeichnetem
Schüler Jacques Guillemean.
Jacques Guillemean (geboren 1550. gestorben nach
Sieb old 13. März 1609, nach Choulant 1612), „Chirurgien du Roy
et Jure“ (1586), später „Chirurgien ordinaire du Roy“, hat wie sein
Lehrer rare zur Einbürgerung der Wendung, die er selbst übte,
beigetragen. Aber Avährend rare, ursprünglich Barbierlehrling
und aus einfachem Stande, der klassischen Sprachen nicht mächtig
war. hatte Guillemean humanistische Bildung genossen und
las die Schriften der klassischen Aerzte. Offenbar hat er dabei
die zitierte Stelle des Hippokrates kennen gelernt und sie
mit genialem Blick für die Entwicklung des nachfolge 11 d e 11
Kopfes Avieder verAvertet.
Die folgende Stelle ist dem Werke entnommen, das den litei
führt: De la grossesse et accouchement des feuimes etc. Par feu
Jacques G 11 i 1 1 e 111 e a 11. - Reueu et augmente etc. par
C li a ries Guillemea u. Paris chez Abraham 1* a c a r d 1621,
S 247 (Erste Ausgabe 1609, später Paris 1643.)
~ Lime second, Chap. XVII. S. 247: Damit beim Ausziehen der
nachfolgende Kopf nicht abreisse, „il faudra doucement tourner
le corps de l’Enfant sans dessus dessoubs, 1 u y 111 e 1 1 a 11 1 1 e
Visage contre bas (comme i’ay dit cy-deuant) et par teile
Situation la rotondite de la Teste, en l’ebranlant en haut et en bas
(tenant le corps d’vne main. Et en m et taut de 1 aut re
main 1 e d o i g t Index dedans 1 a bouclie de l’Enfant)
f a c i 1 e 111 e 11 1 sera t i r e e dehors auec 1 e e o r p s.“
par
*) Oeuvres completes d’Ambroise Pare etc.
J.-F. Malgaigne. A Paris chez J.-B. Bailiiere, 1840.
5) Hippokrate s, sämmtliche Werke. Ins Deutsche über¬
setzt und ausführlich kommentiert A'on Dr, Robert V u c li s.
München, Lünebiy-g 1900. 3. Band,
5. August 1902.
Zwei äusserst wichtige Tatsachen sind darin enthalten:
(1 ui llenie an betont die Notwendigkeit, das Gesicht des nach¬
folgenden Kopfes vor der Extraktion nach hinten zu bringen
und er führt zur Drehung und Extraktion des Kopfes e i ne u
/ e i g ef inger i n d e n M u n d ei n.
Dass G. den Mundgriff aus dem Buche des H ippo k r a. t e s
‘••De superfoetatione“ gekannt hat, geht offenbar aus folgender
Stelle hervor, welche den oben zitierten Worten des II i p p o -
k rat -es entsprechen:
Ues Oeuvres de Chirurgie, Rouen 1 049, X. Buch: Des operations
de Chirurgie etc. Tratte septiesme des operations, Kapitel III:
„Le moyen de tirer les Enfans, qui ne peuvent naistre d'eux-
niesmes . „Si 1 enfant est mort - et si la teste se rencontre
la premiere, il faudra mettre les deux doigts en sa bouche en forme
de crochet, — et le tirer le plus doucement, que faire se pourra.“
Für die Extraktion des nachfolgenden Kopfes durch den
...Mundgriff“ muss demnach J acques G u i 1 1 e m e a u als der
Erfinder bezeichnet werden, wenn nicht weitere Untersuchungen
noch einen früheren Autor nachweisen lassen.
Jacques Guillemea u.
Auf die Hälfte verkleinertes Porträt aus seinem Werke „Tables
anatomiques etc. Paris, Jean Charron 1580.“ Unterschrift
des Porträts: „Anno Aetatis 35, 1585“ und „Solus non poterat
Gvilmaevm fingere pictor, Parte sui scriptis hie meliore patet.“
b) Der Nackengriff.
Die früheste Beschreibung des Nackengriffes, welche ich
finden konnte, gibt Maurice au (f 1709). In seinen „Obser-
yations sur la grossesse et l'accouchement des femmes, Paris 1094“
ist im „Privilege du Roy“ eine Aufzählung der Auflagen seines
Hauptwerkes enthalten, das zuerst 1008 unter dem Titel erschienen
ist: „L Art des aecoucliemens et maladies des femmes grosses et
accoucliees etc-.“; die 2. Auflage erschien 1074, die 3. Auflage und
zugleich eine lateinische Uebersetzung 1081/82, die 4. Auflage
1093/94.
Die folgende Textstelle ist der 1. lateinischen Ausgabe von
1081 („De mulierum praegnantium, parturientium, et puerperaruin
morbis tractatus. Parisiis löSl") entnommen.
Es heisst darin im „Liber II, caput XIII, De modo parienti
nmlieri obstetricante manu opem ferendi quando fetus uno pede
vel ambobus praeuntibus ad exitum se se offert“ auf Seite 193
und 194:
„Quidam tarnen fetus caput liabent adeo crassum, ut illud,
eductö reliquo corpore, detineatur in Uteri ostio. quamvis omnis
in praecavendo, ad hoc vitandum, adhibeatur industria: si sic
habuerit, non est f rustra c o u s u in e n d u m tempus
i n extrahendo f e t u per s o 1 o s li u in eros; nam aliquando
collum prius a capite divelleretur atque prorsus separaretur, quam
ut fetus ita educeretur: vero dum aliquis alius minister, com-
prehensis fetus pedibus, vel ejus cruribus supra genua, mediocriter
illius corpus trabet, Cliirurgus caput sensim expediet atque eximet
ex ossibus ostium uteri circumvallantibus; quod quidem peraget
leniter introducendo u n u m aut d u o s d i g i t o s m a n u s
sinistrae in os fetus, ut primo ejus mentum ab omni im-
pedimento liberet; d extra vero fetus cervicem supra
scapulag comprehendet, ut deinde illum attraliat et edu-
cat, adjuvante uno e digitis manus sinistrae, in os fetus immisso,
ad illius mentum impedimento liberandum — “
1309
Zweimal ist hier der Nackengriff erwähnt; einmal heisst es:
„m extrahendo fetu per solos humeros“, das andere Mal gibt
M au l i c o a u klipp und klar die Vorschrift: „dextra (seil, manus)
vero fetus cervicem supra scapulas comprehendet“, nachdem er
unmittelbai vorher den Mundgriff beschrieben hat: „introducendo
unum aut duos digitos manus sinistrae in os fetus“.
Hier ist also sogar der kombinierte Mund-Nackengriff klar
beschrieben. Nebensächlich erscheint es, dass M. stets die r e c h t e
Hand an den Nacken anlegt, einen oder zwei Finger der linken
Hand aber in den Mund einführt.
Wenige Jahre später beschreibt Paul Portal ebenfalls
den Nackengriff („La pratique des aecoucliemens etc., A Paris
1085“. im Besitze der Münchner Hof- und Staatsbibliothek). Er
sagt im Chapitre V, S. 33 u. 34:
„Apres avoir tire l’Enfant jusqu’aux epaules, on tire les bras
et la teste, et portant les doigts dans la bouche, suppose qu’il tinst
trop. on le tire doucement par la mäclioire inferieure, en t i r a n t
de l’aut re main la nuque de l’Enfant — “
Kein Zweifel — auch Portal beschreibt den kombinierten
Mund-Nackengriff, aber — um 4 Jahre später als Mauriceau.
Demnach muss heute M a. uricea u tatsächlich als der erste
Beschreiber des Nackengriffes angesehen werden.
c) Das Reiten des Kindes auf dem Mun d a r m des
Operateil r s.
So weit die bisherigen Untersuchungen reichen, scheint,
S m e 1 1 i e diesen Teil der Operation zuerst beschrieben zu haben.'
In seinem Werke: „Traite de la theorie et pratique des accouclie-
mens. Paris 1771, Tome premier“ heisst .es auf S. 329:
..Si l’on a mis un des doigts de la main droite dans la bouche
de r enfant. on laisse le corps sur ce bras, on place la
main gauclie audessus des epaules, et on applique un doigt de
chaque cote du col.“
Ausser diesem unmittelbaren Anteile Sm eilies an der
Technik der Ausziehung des nachfolgenden Kopfes hat S m e 1 1 i e
fiuch das Verdienst, für die allgemeine Einbürgerung des Mund-
Nackengriffes durch sein Beispiel gewirkt zu haben. Denn mit
Unrecht wirft man ihm eine allzu häufige Anlegung der Zange am
nachfolgenden Kopfe vor.
Wohl aber kann man Baudelocque den Vorwurf mit
Recht machen, er habe den Mund-Nackengriff allzusehr vernach¬
lässigt zu Gunsten der Zangenanlegung am nachfolgenden Kopfe.
Man wird deshalb v. Win ekel beistimmen, welcher • es der
Mine Lacliapelle zum Verdienst anrechnet, dass sie statt der
Zange wieder die manuelle Extraktion des nachfolgenden Kopfes
vorzog und empfahl.
Gustav Veit hat später den Mund-Nackengriff statt des
..Prager Handgriffs“ wieder zu Ehren gebracht (Greifswalder med.
Beitr., 2. Bd„ 1. II., Greifswald 1805, C. Ziemsse n).
Zerlegt man den Mund-Nackengriff in seine 3 Komponenten:
a) Mundgriff, b) Nackengriff, e) Reiten lassen
d e s II u m p f e s, so ergibt die historische Untersuchung folgendes:
a) Den M u n d g r i f f für den vorangehenden Kopf des toten
Kindes beschreibt Hippokrate s, für den nachfolgenden Kopf
Jacques Guillemeau zuerst; den Nackengriff findet
man zuerst bei M aurice a u, das Reitenlassen des
Rumpfes bei S in e 1 1 i e. Demnach erscheint für die Extraktion
des nachfolgenden Kopfes nach dieser Methode die Priorität von
J. Guillemea u, M a u r i c e a u und S mj^I 1 i e am meisten
begründet und man müsste den Griff na<m ihnen benennen;
um die Verbreitung des Griffes haben sich die Mme La-
chapelle und G. Veit verdient gemacht.
Es ist sicher wünschenswert, die Namen ausgezeichneter
Forscher urd Forscherinnen der Nachwelt in viel grösserem Masse
zu erhalten, als es jetzt geschieht. Die historisch-medizinische
Forschung hat sich schon viel zu lange auf einen zu kleinen
Kreis der Lebenden beschränkt. Um nur nebenbei einen Punkt
zu erwähnen, weil hier mehrfach von den Verdiensten des heute
viel zu wenig gewürdigten J acques G u i 1 1 e in e a u die Rede
ist: Wer denkt heute noch daran, dass J. Guillemeau bei
Placenta praevia (die er allerdings für eine losgelöste und herab¬
geglittene Plazenta hielt) die Wendung auf die Füsse und die
Extraktion empfiehlt, um die Mutter dem durch die Blutung
drohenden Tode zu entreissen? Und doch hat v. Sieb old schon
1845 dieses Verdienst Guillemea us hervorgehoben.
Nicht ausmerzen soll man historisch wichtige Forschernamen,
sondern sie der Nachwelt erhalten. Deshalb ist es gerechtfertigt,
die Namen S m e 1 1 i e, Lachapelle , Veit beim Mund-Nacken¬
griffe zu nennen. Es ist allerdings kaum möglich, bei diesem
Griffe etwa von unseren Examenskandidaten die Aufzählung der
Namen Guillemeau, Mauriceau, S m e 1 1 i e , La¬
chapelle, Veit (manche Lehrbücher zitieren hier sogar noch
L evre t) zu verlangen.
Als Erfinder einzelner Teile des Mund - Nackengriffes
müssen vor allem Guillemea u, M a uricean, S m e 1 1 i e ge¬
nannt werden; als Verbreiter des Griffes können die Namen
Lachapelle und Veit hinzugefügt werden.
2. Der Mund-Schädelgriff.
Die Geschichte dieses Griffes knüpft sich au zwei illustre
Namen: an Celsus und J. Guillemeau.
Aulus Cornelius Celsus (s. o.) beschreibt im Lib. VII,
caput XXIX (s. oben Fol. 114), wie man den abgerissenen oder
MUE N OIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1310
A1UENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
lx'i Querlage abgeschnittenen Kopf des Kindes lierausbefördern
könne:
Si tarnen id incidlt, super ventreni mulieris duplici panniculo
intecto, v a 1 e n s homo non imperitus a siuistro latere eins
d e b e t assistere et super i m u m ventrem eins d u a s
manus imponere alter aque alteram p r e m e r e.
Quo fit nt i 1 1 u d caput ad o s vulvae compellatur.
Deutsche Uebersetzung durch .,D. Johansen Khüffner von
Ratern berg am Ynn°) (Fol. 134): „Wo aber das geschihet, soll
inan über der frawen bauch eyn zwifacli tuch legen, vnd eyn
starker, nit vnfürsichtiger mensch bei jr an der lineken seitten
stehn, vnd über .jren vnderstelin (seil, untersten) bauch zwo hand
legen, eyne mit der andern trucken, damit diss liaupt herfür zum
glid, oder aussgang der beermutter getriben werde.*
.T. Guillemeau hat diese Vorschrift fast wörtlich über¬
nommen. Ich zitiere ihn nach der holländischen Uebersetzung des
französischen Werkes, da ich die erstere, aber nicht das letztere
besitze * * * * 7).
Hot sevende tractaet, Kap. 3, Fol. 37, S. 6: so sal eenen
Dienaer, die sulex meer gepleeglit heeft, en op de slincke syde
geseten ist, moete drucken, met beyde zijne hande op de buge der
Vrouwen / met eenen heeten doec gedect wesende, om also liet
liooft des Kinds, neder waerts gedrucktte worden, en aldaer vaste
te houden.“
Der Vollständigkeit halber sei auch der Wortlaut aus
.T. Guillemeaus Werk ,.Les oeuvres de Chirurgie 1094“ bei¬
gefügt: er bespricht das Abreissen des Kopfes und sagt dann:
..Et aduenant cela, il fallt qu’un seruiteur, Stile et pratique
de ce faire, situe au coste gauche. presse de ses deux mains le
ventre de la femme. couuert d’un linge bien chaud, afln de faire
descendre la teste de l’Enfant vers le las — “ (Des oeuvres de
Chirurgie, Rouen 1049, Traicte septiesme, Chapitre III: „Le moyen
de tirer les Enfans etc.“ S. 711).
Diese Stelle hat Guillemeau fast wörtlich dem Celsus
entnommen, den er oft zitiert. R)
Celsus und J. Guillemea u empfehlen den Druck von
aussen bei abgerissenem Kopfe. Es ist das Verdienst von
Wigand, Martin und v. Winckel, diesen Griff mit dem
Mundgriff kombiniert, für die Entwicklung des nachfolgenden
Kopfes bei lebendem Kinde angewandt und in die Praxis ein¬
gebürgert zu haben. Will man den ersten Beschreiber des Schädel¬
griffes in seine Rechte einsetzen, so muss man ihn den Griff des
Celsus nennen; berechtigt ist es aber, damit die Namen
Wigand-Marti n und v. Winckel zu verbinden, welche
damit den Mundgriff verbunden und den kombinierten Mund-
Schädelgriff in die allgemeine Praxis eingeführt haben.
Für die Benennung der heute am meisten angewandten Griffe
zur Entwicklung des nachfolgenden Kopfes ergibt sich folgendes:
Mund-Nackengriff = Griff nach Jacques Guil¬
lemeau, Mauriceau und Smellie;
M u n d-S c h ä d e 1 g r i f f = Griff nach Celsus, Wigand,
Martin und v. Winckel.
Vierhundert Jahre vor Christi Geburt lehrt Hippokrates
die Ausziehung des vorangehenden Kopfes durch den Mundgriff;
fast 1000 Jahre nach Christus bringt Guillemeau den Mund¬
griff zu erhöhter Bedeutung, indem er ihn zur Extraktion des nach¬
folgenden Kopfes benützt und empfiehlt; im 17. Jahrhundert er¬
gänzt ihn M a uricean durch den Nackengriff.
Um die Zeit der Geburt Christi lehrt Celsus, dass man den
abgerissenen Kopf durch Druck von aussen entwickeln könne; im
10. Jahrhundert nimmt Guillemeau den Griff wieder auf, im
19. Jahrhundert wird er durch Wigand. Martin und v. Winckel
zum Mund-Schädelgriff ausgestaltet und in die allgemeine Praxis
eingeführt.
Welche Zeiträume! Zwei Jahrtausende sehen wir überbriiekt
durch die wissenschaftliche Arbeit genialer Männer und die Ge¬
schichte der geburtshilflichen Operationen bietet ein bewunderns-
wertes Beispiel für die Kontinuität der Forschung.
Die Werke der beiden Guillemeau sind sowohl in
deutschen Bibliotheken als auch im Buchhandel selten. Deshalb
sei für solche Forscher, welche verwandte Gebiete bearbeiten, ein
Verzeichnis der Werke J acques und Charles G u i 1 1 e -
m eaus beigefügt, welche im Besitze des Verfassers sind.
I. Jacques Guillemeau (Vater).
1 . Opera Ambrosii Parei etc. Jacobi G villemeav,
Parisiis apud Jacobvm Dv-Pvys, 1582.
®) „Die acht Bücher des hochberümpten Aurelii Cornelii
Celsi etc*. Verdeutscht durch D. Johansen Khüffner von Ratem-
berg am Ynn (seil. Rattenberg am Inn). Getruckt zu Meyntz durch
Johannem Scliöffer 1531.“
7) Jacques G u i 1 1 e m e a u. De Fransoysche Chirurgie / of
alle de manuale Opera tien der Chirurgie etc. Tot Dordrecht,
Isaac .Tansz, 159S.
s) Es ist interessant, dass M a u r i c e a u (eod. 1., 1081, S. 197)
den Griff des Celsus zur Expression des nachfolgenden Kopfes
widerrät: ,, - liac operandi ratione nullomodo utendum est.“
2. Tables anatomiques etc., Paris, Jean Charron 1580
(s. o. G.s Porträt). .
3. T r a i 1 6 des m a 1 a d i e s de l’o e i 1, Paris (lo8,> V).
Leider ohne Titelblatt.
4. De Fransoysche Chirurgie etc. tot Dordrecht, by
Isaac .Tansz 1598.
II. Jacques und Charles Guillemeau (Sohn).
5. De la grossesse et accovchement des fem¬
me s, Paris, Abraham Pacard, 1021.
0. Aphorismes de Chirurgie tirez d’Hippocrate
avec les Commentaires. Paris, Abraham Pacard, 1022.
7. De la grossesse et accovchement des fem-
m e s. Paris, Jean Jost, 1042.
8. Les Oevres de Chirurgie de Jacques G vil¬
lemeav etc. de G e r m a i n C o v r t i n, Roven (Rouen) 1049.
9. C li i 1 d - B i r t h, o r t h e happy deliverie of
women. Written in Frencli by James Guillemeau; London, by
G. Hatfield, 1012. (Von dieser englischen Uebersetzung besitze
ich 2 Exemplare; sie war bisher fast verschollen, selbst
A. v. H aller zitiert sie nur, hatte sie aber nicht gesehen.)
Referate und Bücheranzeigen.
E. Z i e g* 1 e r : Lehrbuch der allgemeinen und speziellen
pathologischen Anatomie. Zehnte neubearbeitete Auflage.
IT. Band : Spezielle pathologische Anatomie. Mit
723 teils schwarzen, teils farbigen Abbildungen. Jena, Verlag
von Gustav Fischer, 1901. Preis 16 M.
Der 2. Band des Ziegler sehen Lehrbuches hat vielfach
eine noch viel bedeutendere Umarbeitung erfahren, als der vor
kurzem erschienene 1. Band des vortrefflichen Werkes. Einzelne
Ivapitel, wie über die Veränderungen des Blutes und der blut¬
bildenden Organe, sind vollständig neu bearbeitet, während an¬
dere, wie z. B, die Kapitel über Knochenerkrankungen, Endo¬
karditis u. s. w. wesentlich erweitert und ergänzt worden sind.
Besonders hervorzuheben ist, dass die Zahl der Abbildungen
wieder um 67 vermehrt worden ist, wodurch das Verständnis
vieler krankhafter Vorgänge sehr erleichtert wird. Sehr dankens¬
wert ist es, dass den einzelnen Paragraphen auch der neuen
Auflage bis in die letzte Zeit reichende Uebersichten der wich¬
tigsten Literatur 1>ei gegeben sind, welche eine schnelle Orien¬
tierung bei der Bearbeitung wissenschaftlicher Fragen ausser¬
ordentlich erleichtern. Es ist daher nur der dringende Wunsch
auszusprechen, dass diese Uebersichten auch in künftigen Auf¬
lagen des Werkes weitergeführt werden. Hauser.
0. Küstner: Kurzes Lehrbuch der Gynäkologie. Jena
1901, G. Fischer. Preis 6 M., geb. 7 M. 50 Pf.
Das vorliegende Lehrbuch, an dem neben dem Herausgeber
O. Küstner, E. Bumm, A. D öder lein, C. Gebhard,
A. v. Rosthorn sich als Mitarbeiter beteiligt haben, ist vor¬
wiegend für Studierende bestimmt. Besonderes Gewicht ist auf
die Darstellung einer wissenschaftlich exakten Auffassung der
Gynäkologie gelegt, dein praktischen Bedürfnisse ist durch eine
eingehende Berücksichtigung der Diagnose und Therapie Rech¬
nung getragen.
Die weitaus meisten Abschnitte sind von Küstner be¬
arbeitet, denn B u m m bearbeitete in der allgemeinen Therapie
den Abschnitt über Antiseptik und Aseptik, ferner die Sepsis,
Död erlein dermoide Geschwülste des Uterus, Krankheiten
der Tuben, gonorrhoische Erkrankungen, Gebhard Anatomie
der weiblichen Geschlechtsteile und Krankheiten der Lierstöckc,
v. Rosthorn Tuberkulose der weiblichen Geschlechtsteile und
des Bauchfelles.
Bei aller Knappheit der Darstellung ist das Gesamtgebiet
der Gynäkologie in einer vorzüglichen Weise abgehandelt. Ausser¬
ordentlich zweckmässig ist es für den Lernenden, dass einzelne
Sätze und Abschnitte von lehrsatz- — oder grundsatz- — ähn¬
licher Bedeutung durch besonderen Druck hervorgehoben sind.
Sehr zahlreiche, grossenteils sehr gute Abbildungen machen die
Ausstattung des Werkes zu einer vortrefflichen.
A. G e s s n e r - Erlangen.
Dr. M. D e g u y et Dr. B. W e i 1 1 : Manuel pratique du
traitement de la diphtherie, serotherapie, tubage, tracheo-
tomie. Paris, AI a s s o n et Cie, 1902. 294 Seiten. Preis 6 fr.
In rascher Aufeinanderfolge sind in den letzten Jahren m
Frankreich grössere Arbeiten über Intubation und Tracheotomie
5. August 1902.
MtJENcSENEil MEDlCfNlSOHE WOCHENSCHRIFT.
erschienen, so von L a n cl o u z y, B a y e u x, Sargno n,
Avendano. Auch die vorliegende Arbeit ist ziemlich umfang¬
reich und umfasst 294 Seiten. Da sich die Autoren stets be¬
mühten, einen Gesamtüberblick über den Stand der Dinge zu
geben, so treffen wir in jedem neuen Buche immer wieder alte
Bekannte, sowohl im Texte wie in den Abbildungen.
Zweck dieser Arbeit ist eine möglichst genaue Schilderung
der heutzutage in den Pariser Spitälern, speziell im Ilopital des
enfants malades, üblichen Behandlungsweise der Diphtherie.
Das 1. Kapitel behandelt die klinische und bakterielle Dia¬
gnostik der Diphtherie. Erfreulicherweise scheint man sich auch
in Frankreich wieder zu dem Standpunkte durchgerungen zu
haben, dass man zu Beginn der Behandlung nicht erst auf die
— durchaus nicht immer eindeutigen — Resultate der bakterio¬
logischen Untersuchung warten und so oft die kostbarste Zeit
vergeuden, sondern nach Massgabe der klinischen Symptome
möglichst rasch und energisch eingreifen soll. Bezüglich des
operativen Vorgehens beim Krupp stellen auch D. und W. als
Hauptsatz auf : „II est toujours indique de tenter le tubage comme
premiere Intervention“.
In dem Kapitel über Serotherapi^ interessiert uns die (auch
vom Ref. schon betonte) Tatsache, dass das Serum mit der Zeit
an Wirksamkeit verliert und es deshalb geraten erscheint, nur
frisches Serum zu verwenden.
Im 3. Kapitel wird die lokale und allgemeine Behandlung
(ausgenommen Serotherapie) besprochen. Wir erfahren hier
nichts Neues, ebenso im folgenden Abschnitt „Tubage du
larynx“. Die Autoren haben eine geringfügige Modifikation des
Introduktors und Extraktors angegeben.
Die Tracheotomie (und zwar merkwürdigerweise ausschliess¬
lich die Trach. superior) wird am Ilopital des enf. mal. gewöhn¬
lich in zwei Tempi ausgeführt. Blutstillung während der Ope¬
ration wird als völlig überflüssig bezeichnet, Durchtrennung des
Isthmus faucium als Kleinigkeit behandelt. Sehr interessant
sind die genauen, von Dr. B o u 1 a y gelieferten Ausführungen
über die Behandlung postdiphtherischer (nach Intubation ent¬
standener) Larynxstenosen. Es ist dies entschieden der beste
Teil des Buches, welches um dessentwillen allein schon lesens¬
wert ist. Die letzen Kapitel behandeln Komplikationen, sekun¬
däre Diphtherien und Prophylaxe der Diphtherie.
Die Anlage der Arbeit und der Stil sind wie gewöhnlich
bei den Franzosen ausgezeichnet, die Ausstattung des Buches
vorzüglich, die neuen Abbildungen aber zum Teil recht unbe¬
deutend. Trumpp - München.
W. Ebstein: Die Krankheiten im Feldzuge gegen Russ¬
land (1812). Eine geschichtlich-medizinische Studie. (Mit
einem in den Text gedruckten Kärtchen.) Stuttgart, F. Enk e,
1902. 82. S., gr. 8°. M. 2.40.
Die medizinische Geschichte des russischen Feldzuges wird
den gebildeten Aerzten aus H äsers epidemischen Krankheiten
bekaimt sein (3. Aufl., pag. 602 — 606). Das Schauergemälde,
das hier in wenigen markigen Strichen skizziert ist, führt Eb¬
stein auf Grund von Quellenstudien weiter aus. Die Dar-
* Stellung zerfällt in folgende Teile: I. Einleitung, II. Historische
Vorbemerkungen, III. Krankmachende Ursachen im Napoleoni-
schen Heere, IV. Krankheiten und Seuchen in der französischen
Armee, V. Krankheiten und Seuchen in der russischen Armee.
VI. Kritische Würdigung der einzelnen krankmachenden Mo¬
mente, sowie der Sanitätseinrichtungen in der Napoleonischen
Armee, VII. Literaturverzeichnis (31 Nummern). — Ein sein-
dankbarer Gegenstand der medizinischen Forschung sind die
ärztlichen Berichte über solche Feldzüge nicht. Die klinischen
Schilderungen lassen sehr viel zu wünschen übrig und zu Leichen¬
öffnungen ziemlich kursorischer Art hat fast nur der energische
Larrey Zeit und Kraft gefunden, der Arzt Napoleons, der
chirurgische Operationen, mit den Füssen im Schneewasser
stehend, machen musste. Ueber diesen Mann ist die klassische
Histoire de la Chirurgie frangaise von R o c h a r d 1875 nach¬
zusehen, ein Buch, das bei uns selbst in akademischen Kreisen
wenig bekannt zu sein scheint.
Wir Bayern haben besonderen Grund, uns jener Zeiten zu
erinnern, und „manche Gräber unserer Besten heissen uns an das
fei der Barbaren denken“. Denn 30 000 Söhne des jungen
1311
Königreiches erlagen bei dem unseligen Zuge den Seuchen, dem
Frost und den russischen Waffen.
„Euerer Taten Verdienst meldet der rührende Stein“, der
Obelisk, den im J alire 1833 König- Ludwig I. dem Andenken
jener Kämpfer geweiht hat.
Bayerns Anteil an dem Kriege hat uns der treffliche Franz
Seitz in seinem mit Unrecht fast vergessenen Buche: Der
Typhus, vorzüglich nach seinem Vorkommen in Bayern, Er¬
langen 1847, historisch dargestellt, wobei die bayerische Kriegs¬
geschichte des Freiherrn v. V ölderndorff als Quelle gedient
J . Ch. Huber- Memmingen.
Sanitätsbericht über die Königlich Bayerische Armee für
die Zeit vom 1. Oktober 1896 bis 30. September 1897. Be¬
arbeitet von der Medizinalabteilung des k. b. Kriegsministeriums.
München 1901.
Der Bestand, welcher aus dem Sommerhalbjahr 1896 über¬
nommen wurde, betrug 989 Kranke.
Der Zugang des Berichtsjahres bezifferte sich auf 64106,
d. i. bei einer Kopfzahl von 64 180 Mann = 998,8 Prom. der
Iststärke. Von den 65 095 Gesamtbehandelten wurden 60 419 ge¬
heilt, 119 sind gestorben, 3788 gingen anderweitig ab.
Eine stärkere Epidemie kam in diesem Berichtsjahre nicht
vor. Der Gesamtzugang an tuberkulösen Erkrankungen war
188 Mann = 2,9 Prom. der Iststärke. Die Zahl der Erkran¬
kungen an Gelenkrheumatismus hat wesentlich abgenommen, da¬
gegen ist wieder eine Zunahme der Geisteskranken zu konsta¬
tieren. Augenkranke wurden 1797 behandelt. Beim Vergleich
dieser Zahl mit den Zugängen in den vorausgegangenen Berichts¬
jahren ergibt sich eine ständige Abnahme der Augenkranken.
Geringer, jedoch immerhin vorhanden, ist auch die Abnahme der
Ohrenkranken. Grössere Operationen sind 59 aufgeführt, 2 Tre¬
panationen, 5 Operationen wegen eitriger Brustfellentzündungen,
2 Laparotomien, 3 Bruchoperationen, 1 Exartikulation, 6 Re¬
sektionen, 5 Amputationen.
Im Anhang des Berichtes findet sich eine Beschreibung und
Lageplan des neuerbauten Garnisonslazarettes in Bayreuth, ferner
ein Bericht über den Unterrichtsgang des Operationskurses für
Militärärzte im Berichtsjahr 1896/97, ein Verzeichnis bayerischer
Sanitätsoffiziere, welche behufs wissenschaftlicher Fortbildung
an Universitätskliniken kommandiert waren, sowie ein Ver¬
zeichnis der von bayerischen Sanitätsoffizieren veröffentlichten
wissenschaftlichen Arbeiten.
In Bezug auf Genauigkeit der Bearbeitung und Reichhaltig¬
keit des Materials schliesst sich dieser Bericht würdig den vor¬
ausgegangenen Berichten an.
Generaloberarzt Prof. Dr. S e y d e 1.
Neueste Journalliteratur.
Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und
Chirurgie. 10. Band, 1. u. 2. Heft, Jena, Fischer 1902.
I) A. Gl uzinski: Ein Beitrag zur Frühdiagnose des
Magenkarzinoms nebst einigen Bemerkungen über die Aussichten
der Radikaloperation. (Mediz. Klinik Lemberg.)
Nach G. gibt das chronische Ulcus ventriculi häufiger zur Ent¬
wicklung eines karzinomatösen Neoplasma Veranlassung, als wir
es gemeiniglich annehmen und als es die pathologische Anatomie
nachzuweisen in der Lage ist. Für diejenigen Fälle, bei denen
unsere Diagnose zwischen Ulkus und Karzinom schwankt, wo
neben den sonstigen Symptomen im nüchternen Zustande stag¬
nierende Speisereste ohne nachweisbare Milchsäure, aber mit
mehr oder weniger reichlicher Salzsäure vorgefunden werden, hat
Verfasser nun eine wertvolle Untersuchungsmethode ermittelt. Er¬
stellt an ein und demselben Tage 3 Untersuchungen an: Magen¬
probe im nüchternen Zustande, Probefrühstück mit Hühnereiweiss,
Probemahlzeit mit einem Beefsteak. Das reine Ulcus rotundum
verläuft mit einem sauren Katarrhe, der bei jeder Probe deutliche
freie Salzsäure erkennen lässt. Das Fehlen von freier Salzsäure
oder nur geringe Spuren derselben bei irgend einer dieser Proben
kündigt das Entstehen eines schleimigen Katarrhes an, welcher
unter den erwähnten Umständen und bei der Dauer der Erschei¬
nungen für die Diagnose eines sich entwickelnden Karzinoms
iiusserst wichtig ist. Auf diese Weise konnte in 4 Fällen die
Diagnose mit grosser Wahrscheinlichkeit in einem sehr frühen
Stadium auf Karzinom gestellt werden. Die bei den von
Rydigier vorgenommenen Operationen gefundenen Tumoren
erwiesen sich als sehr klein, in einem Falle walnussgross, in einem
anderen nur haselnussgross. Bei dem letzteren fanden sich schon
Metastasen an der Leber, und auch die Patientin mit dem wal¬
nussgrossen Tumor starb trotz Exstirpation nach einem Jahr an
Rezidiv. In einem Falle konnte auch bei der Operation kein
1312
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT'.
No. 31.
Tumor nach ge wiesen werden; die Diagnose Karzinom wurde erst
durch das Mikroskop gestellt; auch dieser Patient zeigte 17 Monate
nach der Operation ein Rezidiv. Bezüglich der Heilbarkeit der
Karzinome steht Verfasser auf einem sehr skeptischen Stand¬
punkte.
2) Denn an der: Beobachtungen über die Sensibilität in j
der Bauchhöhle. (Chirurg. Klinik Upsala.)
L. hat bereits früher darauf hingewiesen, dass das Peritoneum
parietale sehr empfindlich für alle operativen Eingriffe ist, dass
aber der Darmkanal und die Mesenterien, der Magen, der vordere
Rand der Leber und die Gallenblase, das grosse Netz, die Serosa
an der Harnblase, das Nierenparenchym völlig unempfindlich für
alle operativen Eingriffe (auch für den Thermokauter) sind, ln
der vorliegenden Arbeit teilt L. weitere Erfahrungen über den¬
selben Gegenstand unter genauer Veröffentlichung der ein¬
schlägigen Krankengeschichten mit. Bei jeder Operation war ein
Assistent nur damit beschäftigt, sorgfältige Aufzeichnungen über
die Schmerzempfindung bei jedem einzelnen Akt der Operation
zu machen. Dabei ergab sich im wesentlichen eine Bestätigung
der früheren Erfahrungen, dabei aber noch eine solche Fülle von
Einzelheiten, die die Frage von der Anästhesie in der Bauchhöhle
in vielfacher Beziehung klären. Es ergab sich z. B., dass auch
der kranke Wurmfortsatz durch keinerlei Empfindung von
Schmerz oder Berührung auf operative Eingriffe an demselben
oder an seinem Mesenteriolum reagiert. Weiter waren Fundus
uteri, Ovarium, Tube für die Berührung mit dem Thermokauter
gefühllos. Auch der Hoden und der Nebenhoden haben wahr¬
scheinlich kein Gefühl, während ihre Hüllen sehr empfindlich sind.
3) Iv i w u 1 1 - Wenden: Zur Diagnose des Volvulus der
Flexura sigmoidea.
Unter 8 Fällen liess sich 6 mal das sogen. Ballonsym-
ptom naehweisen. Dasselbe ist ein metallischer Klang, den man
hört, wenn man gleichzeitig auskultiert und perkutiert. Derselbe
kommt zu stände in einem unter hoher Gasspannung stehenden,
von dünnen elastischen Wandungen umgebenen Ballon.
Zur Palpation des lokalen Meteorismus empfiehlt K. die Unter¬
suchung in einem Bade.
4) Ullrich: 9 Fälle von Tetanus. Ein Beitrag zur Anti¬
toxinbehandlung dieser Krankheit. (Chirurg, und mediz. Klinik
BresSau.)
Von den 9 Fällen wurden 4 entsprechend den verschärften
Forderungen Behrings behandelt: Beginn der Behandlung
innerhalb der ersten 30 Stunden, Antitoxindosis von nicht weniger
als 100 A.-E. 2 weitere Fälle wurden erst am 3. und 4. Tage in¬
jiziert. und 3 wurden ohne Serum, bezw. sehr spät behandelt.
Die 4 Fälle der ersten Gruppe, alle traumatischer Tetanus,
sind sämtlich gestorben. Aus der Literatur ergeben sich 41 Fälle
mit 30 Todesfällen.
Von den beiden am 3. und 4. Tage mit Antitoxin behandelten
Fällen wurde einer geheilt. Mit den Fällen aus der Literatur
stellte Verfasser 19 Fälle zusammen, von denen 9 geheilt und
30 gestorben sind.
Von den weiteren 3 Fällen starb einer, bevor Antitoxin an¬
gewendet werden konnte. Ein weiterer war chronischer Natur und
heilte ohne Serumbeliandung. Der letzte Fall bekam erst am
11. Tage Antitoxin und wurde gebessert entlassen.
Eine sichere Wirkung ist also dem Tetanusantitoxin keines¬
wegs zuzusprechen.
In einem weiteren Falle — Abreissung eines Armes — wurde
prophylaktisch Antitoxin injiziert, ln der Folge stellte
sich leichtes „Nervenzucken“, besonders im Kinnladen ein. Es
wäre denkbar, dass es sich um einen Tetanusfall gehandelt habe,
der infolge der Injektion abortiv verlief.
5) Ehret und Stolz: Zur Lehre des entzündlichen Stau-
ungsikterus bei der Cholelithiasis. (Mediz. und Chirurg. Klinik
Strassburg.)
Der Ikterus ist bei Cholelithiasis in der Regel entzündlicher
Natur. In einem der mitgeteilten Fälle bestand intensiver chro¬
nischer Ikterus, ohne dass Kompression des Choledoclius im Spiele
war. In einem zweiten Falle von Einklemmung von 3 Steinen
mit 18 — 20 mm Durchmesser und 5 y2 cm Länge war ein Ikterus
überhaupt nicht oder nur andeutungsweise Vorhanden. Die Ur¬
sache des Ikterus liegt in der obliterierenden, den Gallenabfluss
aus den kleineren in die grossen Gallengänge erschwerenden oder
unmöglich machenden Cholangitis.
0) Lennander: Wann kann akute Nephritis, mit Aus¬
nahme der tuberkulösen, Veranlassung zu chirurgischen Ein¬
griffen geben, und zu welchen? (Chirurg. Klinik Upsala.)
L. erörtert zunächst die Frage der supp u r a t i v e n
N e p li r i t i s in Bezug auf Aetiologie, Symptome und Anatomie.
Das leitende Symptom für die chirurgische Behandlung der akuten
Nuppurativen Nephritis sind die lokalen Schmerzen und die Em¬
pfindlichkeit. gegen Druck. Die Behandlung soll immer möglichst
konservativ sein und sich unbedingt auf die Nephrostomie be¬
schränken. wenn man unsicher ist, ob die andere Niere die ganze
Nierensekretion zu übernehmen im Stande ist. Ist der grössere
Teil der Niere durch Abszesse zerstört, so wird ohne Bedenken die
Nephrektomie gemacht. Von G Patienten, an denen L. die
Nephrektomie mit Resektion gemacht hat, ist einer gestorben
infolge eines Fehlers bei der Nachbehandlung, die übrigen be¬
finden sich wohl. Von 2 Neplirektomierten ist eine Patientin ge¬
heilt, die zweite nach einiger Zeit gestorben, es handelte sich um
Aktinomykose im kleinen Becken.
Was die Frage des chirurgischen Eingriffs bei der „m edi-
zinischen“ Nephritis anbetrifft, so kann L. die weitgehenden
II a rris o n sehen Anschauungen nicht teilen. Wohl aber schlägt
er vor, dass man bei akuter Nephritis, wo eine starke Oligurie
oder Anurie bei einem relativ guten Allgemeinzustand auf tritt,
und wo heftige Schmerzen über der einen oder über beiden Nieren
vorhanden sind, eine Inzision auf der Seite des grössten Schmerzes
machen, die Niere f reilegen, die fibröse Kapsel spalten und die
Niere vollständig aus dieser auslüsen soll.
7) B o n li o eff er: Zur Kenntnis der Rückbildung motori¬
scher Aphasien. (Chirurg. Klinik Breslau.)
Bei 2 Kranken entwickelte sich nach einer osteoplastischen
Schädelresektion eine motorische Aphasie, bedingt durch das Ab-
reissen einiger Zweige der S y 1 v i sehen Vene, die beim Abheben
der Pia stattfand. Das so entstehende Haematom verursachte die
Aphasie, und mit der Resorptou des Hämatoms gingen die ein¬
zelnen Erscheinungen zurück. Die letzteren werden von B. in
ausserordentlich sorgfältiger Weise analysiert.
8) Ehrhardt: Ueber epileptiformes Auftreten der Te-
tania thyreopriva. (Chirurg. Klinik Königsberg.)
Bei einer 33 jährigen Frau traten 3 Tage nach der totalen
Exstirpation einer malign entarteten Schilddrüse unter ziehenden
Schmerzen in den betreffenden Muskeln tonische Krampfzustände
der Vorderarmmuskulatur auf. Deutliches T r o u s s e a u sclies
und C h v o s t e lc’ sclies Phänomen. Daneben ausgesprochene epi-
leptiforme Anfälle. Tod nach 5 Wochen. Es hatten sich also epi¬
leptoide Zustände im Verlauf der Tetania thyreopriva ausgebildet.
Diese sind von der genuinen Epilepsie zu trennen und als eine
direkte Folge der durch den Schilddrüsenausfall bedingten toxi¬
schen Schädigungen des Organismus zu betrachten.
9) E. Levy und Bruns: Gelatine und Tetanus. Resistenz¬
fähigkeit der Tetanussporen. Sterilisation der Gelatine.
(Hygicn. Institut Strassburg.)
Verfasser haben schon früher mitgeteilt, dass sie unter
G Proben von Gelatinetafeln 4 mal die Wundstarrkrampf eiTeger
aufgefunden haben. Neuerdings haben sie bei 13 Proben von
Gelatinetafeln 8 mal durch das Tierexperiment mit aller Sicherheit
die Anwesenheit von Tetanuskeimen festgestellt. 2 mal konnten
Reinkulturen von Tetanusbazillen gewonnen werden.
Bei Versuchen, die Tetanuskeime zu vernichten, ergab sich,
dass dieselben gegenüber dem strömenden Wasserdampfe eine ver¬
schiedene Resistenzfähigkeit auf weisen; die am wenigsten wider¬
standsfähigen gehen nach 4 — 6 Minuten zu Grunde, die resisten-
teren bleiben bis 30 Minuten am Leben. Darnach muss man ver¬
langen, dass die zu therapeutischen Verwendungen bestimmten
Gelatinelösungen 40 Minuten lang auf 100° C. erhitzt werden.
Am besten ist es, die Gelatinemasse in einem Autoklaven zu
sterilisieren, und zwar in sterilen, mit Wattepfropf versehenen
Reagensgläsern.
30) Rubritius: Ueber einen Fall von Perityphlitis, wel¬
cher unter dem Bilde einer Tuberkulose der serösen Häute ver¬
lief. (Mediz. Klinik Prag.)
11) R. v. Jak sch: Bemerkungen zu vorstehender Arbeit.
Der von R. veröffentlichte Fall schliesst sich einem vor
Kurzem aus derselben Klinik von Herman n mitgeteilten an.
J. rät, in ähnlichen Fällen unbedingt eine Probelaparotomie zu
machen.
12) Klapp: Ueber Bauchfellresorption. (Chirurg. Klinik
Greifswald.)
Zu seinen Resorptionsversuchen an der Bauchhöhle ver¬
wandte Verfasser nach Voits Vorgänge den Milchzucker. Er
prüfte zunächst die peritoneale Resorption im Gegensatz zur
parenchymatösen und fand die erstere der letzteicn weit überlegen.
Die Ueberlegenheit ist nur auf die grosse Resorptionsfläche des
Bauchfells zurückzuführen. Vei’grössert man die subkutane Re¬
sorptionsfläche, so bleibt die Resorption kaum hinter der Bauch¬
fellresorption zurück. Die Hauptrolle bei der Resorption ist jeden¬
falls den Blutgefässen zuzuschreiben. Eine Beeinflussung der
Bauchfellresorption hat Verfasser durch Hitzeeinwirkungen, wie
heissen Sand und heisse Luft, herbeizuführen versucht. Die Re¬
sorption liess sich in allen Versuchen vermehren, wenn auch nicht
in hohem Grade. Durch Kälte liess sich dagegen die Resorption
stark herabsetzen.
Weitere Versuche mit temporärer Vorlagerung einer Darm¬
schlinge ergaben sowohl eine Beschleunigung wie eine Verlang¬
samung der Ausscheidung. Eine Beschleunigung trat im allge¬
meinen ein, wenn die Vorlagerung nicht über 15 Minuten dauerte;
darüber hinaus trat Verlangsamung ein. Wahrscheinlich wird
eine solche Aenderung der Blutversorgung herbeigeführt, welche
verlangsamend auf die Resorption wirkt. K recke.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 29 u. 30.
No. 29. 1) Peters: Zur Lehre vom primären Chorion¬
epitheliom der Scheide nebst einem Falle von Rezidiv nach Ex¬
stirpation des Scheidenknotens.
Etwa 8 AVochen nach Abgang einer hühnereigrossen, angeb¬
lich mit wässeriger Flüssigkeit gefüllten Blase wurde der Scheiden¬
tumor konstatiert, 8 Wochen später anscheinend im Gesunden ex-
stirpiert. Nach der Entlassung Rezidiv an einem anderen Orte
der Scheide; weitere operative Eingriffe verweigert. Kurz darauf
Exil us durch einen embolischen Prozess, der mit dem chorio-
epithelialen Tumor in kausalem Zusammenhang stand. A’erf. rät,
in ähnlichen Fällen radikal vorzugehen und eventuell gross3
5. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1313
Vaginalbezirke zu exstirpieren. Es folgt die Schilderung des mikro¬
skopischen Bildes, das sich in nichts von dem typischen syn-
cytialen Tumor Marchands unterschied. Sodann behandelt P.
die verschiedenen Erklärungsversuche für das Auftreten dieser
Geschwulstform. Die Aetiologie ist noch so dunkel, dass das End¬
ergebnis ein „non liquet“ darstellt. Die interessanten Details
müssen im Original nachgelesen werden.
2) Beuttne r: Suprasymphysärer Bogenschnitt nach
Bapin-Xüstner.
B. macht darauf aufmerksam, dass B a p i n in Lausanne
gleichzeitig mit Küstne r die in der Ueberschrift genannte Me¬
thode zur Eröffnung der Bauchhöhle publiziert hat, «lass ersterer
sie aber schon 2 Jahre vor Küstne r angewandt hat. Da beide
Forscher unabhängig von einander auf die Methode gekommen
sind, so ist es gerecht, auch beide Namen in den Publikationen
zu erwähnen.
J) Neumann: Bedeutet die Amenorrhoe phthisiseher
Frauen ein Heilbestreben der Natur oder ist sie lediglich Folge
des Kräfte Verfalls? (Erwiderung auf den Aufsatz von Pincus
in No. 22 d. Wochenschr.)
N. bejaht die zweite Frage und stellt die Amenorrhoe iu
Parallele mit der Abmagerung, den N aelitsch weissen etc.
No. 30. lj Beuttne r: Suprasymphysärer Fascienquer-
schnitt nach Pfannenstiel.
Bericht über 5 Fälle und Kritik der dabei gemachten Er¬
fahrungen.
2) Vertun: Lysoform als Antiseptikum.
Der Artikel richtet sich gegen das /das Lysoform verdammende
Urteil Hammers: „L ist kein brauchbares Desinfektionsmittel“.
H a m mers Versuche hält Verf. nicht für ausreichend. Lyso¬
form, welches ca. 20 Proz. Formalin enthält, steht hinsichtlich
seiner Desinfektionskraft in der Mitte zwischen dem heroischen
Sublimat und dem schwachen Liquor alum. acetici, teilt aber trotz
erhöhter Desinfektionskraft mit den schwachen Antiseptizis den
Vorzug der Ungiftigkeit resp. Unschädlichkeit.
3) Hcdowk o: Eine einfache Vorrichtung zum Auf fangen
und Ableiten des Urins bei Harnfisteln.
Ein gewöhnliches Luftkissen bekommt einen Gummi- (bezw.
Durit-) Boden, der sich in der Mitte in einen 1 cm im Lumen hal¬
tenden Schlauch verjüngt. Das Kissen wird auf die Matratze ge¬
legt und der Schlauch durch ein Loch in der Matratze unter das
Bett in eine mit Formalin gefüllte Urinflasche geleitet. Die
Kranken liegen dadurch trocken und der Urin zersetzt sich nicht
im Bett. (Zu beziehen von Rudolf D e t e r t in Berlin.)
W erner- Hamburg.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
48. Bd., 1. u. 2. Heft.
1) W. S t r a u b - Leipzig: Pharmakologische Studien über
die Substanzen der Filixsäuregruppe.
Aus der umfangreichen Arbeit seien folgende allgemeiner
interessante Ergebnisse hervorgehoben: Die Filixsubstanzen sind
Gifte für jede Art organisierten Plasmas, eine besondere Affinität
besitzen sie aber zu dem der Kontraktion dienenden Protoplasma,
sind also Muskelgifte. Ausnehmend stark scheinen die Filixkörper
auf die Muskelzellen der Würmer und Mollusken zu wirken. So
ist die empirisch gefundene und verwertete Toxizität der Sub¬
stanzen dem Bandwurm gegenüber verständlich. Die Filixsäure
geht als solche nicht in den Harn über, sondern wird zum grössten
Teil im Organismus zersetzt. Wahrscheinlich erfolgt ihre Spal¬
tung schon im Darmkanale und nur ihre Spaltungsprodukte werden
resorbiert.
2) C. Jakob j und J. H a g e n b e r g - Göttingen: Ueber die
Wirkung der Tetramethyl- und Aethylammoniumjodide. Ein
Beitrag zur Kenntnis der muskarinartigen Ammoniumbasen.
Die beiden Stoffe, welche wegen ihres hohen Jodgehalts als
Ersatzmittel des Jodoforms eine Rolle zu spielen geeignet er¬
scheinen, wurden einer pharmakologischen Prüfung unterzogen
und hierbei das Tetramethylenammoniumtrijodid als eine höchst
giftige Substanz, welche die Eigenschaften des Curare mit denen
des Muskarins verbindet, erkannt, während das Tetraäthyl-
auunoniumtrijodid sich als relativ ungefährliche Verbindung er¬
wies, welche durch eine Abspaltbarkeit ihrer Jodatome sich viel¬
leicht für chirurgische Verwendung nützlich erweisen wird.
3) E. II a r n a c k - Halle: Die relative Immunität neugebore¬
ner Salamandra maculata gegen Arsen und ihr Verhalten gegen
verschiedene Metallsalzlösungen.
Für neugeborene Salamander sind Uran, Quecksilber und
Kupfer unvergleichlich viel giftiger als das Eisen. Die Wirksam¬
keit der Lösungen von Quecksilberchlorid und Kupfersulfat wird
durch die gleichzeitige Anwesenheit grösserer Kochsalzmengen
nicht unbeträchtlich verzögert, während sich beim Uranazetat ein
solcher Einfluss nicht nachweisen lässt. Die Wirkung der Arsen-
lüsungen ist bei diesen Tieren im Verhältnis auffallend schwach,
1U gewissen Konzentrationen nicht wesentlich stärker als die des
Eisens.
4) A. B e t h e - Strassburg: Ueber einige Edukte des Pferde¬
gehirns.
"Verf. fand nach einer im Original nachzulesenden Methode
ini Gehirn des Pferdes ein Amido-Cerebrinsäure-Glykosid, Phrenin,
Cerebrininphosphorsäure und wahrscheinlich auch Stearinsäure.
•r») G. Hüfner: Ueber das Gesetz der Verteilung des Blut¬
farbstoffs zwischen Kohlenoxyd und Sauerstoff.
.. H ü f n e r hat seine bekannten früheren Untersuchungen
über den gleichen Gegenstand von neuem aufgenommen, nur dies¬
mal als Versuchstemperatur eine solche von 37,5° gewählt, wäh¬
lend die fiüheren \ ersuche bei 10" angestellt waren. Bezüglich
der Technik und Einzelheiten der Untersuchung muss auf das Ori¬
ginal verwiesen werden. Hier sei nur erwähnt, dass die am Schlüsse
gegebene labeile ein bequemes Ableseu der vom Blute auf genom¬
menen Kohlenoxydmenge bei den vorkommenden Konzentrationen
dieses Gases in der Zimmerluft gestattet. Die Ueberlegenheit des
Kohlenoxyds über den Sauerstoff im Kampfe um das Hämoglobin
kommt darin deutlich zum Ausdruck. Enthält die Luft z. B. nur
0,0.) Proz. CO, so werden doch bereits 27 Proz. des vorhandenen
Hämoglobins durch dasselbe mit Beschlag belegt.
0) II. M a g n u s - Heidelberg: Ueber die Undurchgängigkeit
der Lunge für Ammoniak.
Die Experimente des Verf. lehren, dass die Alveolarwand
der Lunge für Ammoniak undurchgängig ist, dass also hier analoge
Verhältnisse vorliegen wie beim Darm und der Niere, welche auch
nur für bestimmte Körper permeabel sind.
<) F e r c li 1 a n d und E. Vahlen - Halle: Ueber Verschieden¬
heit von Leuchtgas- und Kohlenoxydvergiftung.
Durch vergleichende Versuche an Hunden und Fröschen konn¬
ten die Verf. feststellen, dass das Leuchtgas bedeutend grössere
Giftigkeit besitzt als seinem Gehalt an Kohlenoxyd entspricht;
es ist also die Behauptung, Leuchtgasvergiftung sei blosse Kohlen¬
oxydvergiftung, unrichtig. Die im Leuchtgas mitwirkenden gif¬
tigen Substanzen sind aber noch unbekannt.
S) E. V a h 1 e n - Halle: Ueber das Verhalten des Kohlen¬
oxydnickels im Tierkörper.
Von rein pharmakologischem Interesse.
0) R. Bern er t und K. v. S t e y s k a 1 - Wien: Ein Beitrag
zur Frage nach dem minimalen Stickstoffumsatz bei perniziöser
Anämie.
Es wird über 2 Stoffwechselversuche berichtet, aus denen
hervorgeht, dass die Kranken mit perniziöser Anämie sich bei
eiweissarmer Kost mit ungefähr den gleich niedrigen Eiweiss¬
werten wie normale Individuen ins N-Gleicligewiclit setzen können.
Der Minimal-N-Umsatz pro Tag und Kilo Körpergewicht betrug
ca. 0.09 g N bei 32 — 34 Kalorien Umsatz. Ein pathologischer
Eiweisszerfall findet bei perniziöser Anämie nicht statt.
10) V. PI av ec- Prag: Die Phosphorvergiftung und Wir¬
kung des Terpentinöls auf den resorbierten Phosphor.
Auf Grund seiner Versuche kommt PI. zu dem Resultat, dass
weder das reine noch das oxydierte Terpentinöl eine solche Wir¬
kung auf den resorbierten Phosphor ausübt, dass sich dieselbe
antidotarisch ausnützen lassen könnte.
J. M ü 1 1 e r - Würzburg.
Archiv für Hygiene. 43. Bd. 2. Heft. 1902.
1) Nielsen- Kopenhagen : Die Strassenhy giene im Alter-
tume
Eine geschichtliche Studie, die sich mit Städtebau, Strassen-
bau, Strassenreinigung, Wasserversorgung und Abfuhrwesen einer
Reihe von Städten aus dem Altertum befasst.
2) K. B. Lehmann und G ö b e 1 - Würzburg: Ueber das
Vorkommen löslicher Antimonverbindungen in Kleidungs-
Stoffen.
Da eine grosse Anzahl Stoffe, wollene und baumwollene,
mittels Antimonverbindungen gefärbt werden, so liegt die Möglich¬
keit voi’, dass bei der Giftigkeit der Antimonsalze Schädigungen
des Köi’pers beim Tragen dieser Stoffe einti’eten können. Zur
Klarstellung der Frage wurden 8 verschiedene Herren- und
Damenkleiderstoffe und Möbelstoffe untei*sucht. Es stellte sich
heraus, dass die Mengen von wasserlöslichen Antimonsalzen,
welche nachgewiesen werden konnten, ausserordentlich gering
waren und es jedenfalls zu den Ausnahmen geliöi’t, wenn Stoff¬
proben nennenswerte Mengen enthalten. Gefunden wurden etwa
0,1 bis 0,3 mg in 100 qcm oder 4 — 10 mg in 100 g Stoff. Das sind
Mengen, die als Gesundheitsschädigung keine Bedeutung haben.
3) K. B. Lehmann- Wiirzburg: Ueber die Bedeutung der
Zerkleinerung und des Kochens der Speisen für die Verdauung.
Bei der vorliegenden Frage, welche bisher noch nicht ex¬
perimentell untersucht war, wurden Vei'suehe über Eiweiss-
veydauung und Versuche über Lösung von Kohle¬
hydraten in grosser Zahl angestellt. Als Untersuchungs¬
material für die Eiweissverdauung diente Hühnereiweiss, Fleisch,
Käse, Ei’bsen, Graubi’ot und Pfannkuchen; für die Kohlehydrat¬
untersuchung Aepfel, gelbe Rüben, Kartoffel und Makkaroni.
Die Resultate zeigen eindeutig die grosse Wichtigkeit der Zer-
kleinerung der Speisen, weil durch eine ausgiebige Zerkleinerung
die Verdauung ganz bedeutend verbessert wird. Natui’gemäss
kann am meisten erreicht wei’den, wenn die beti’effenden
Nahrungsmittel zerrieben sind, denn es besteht, wie das Experi¬
ment zeigt, noch ein ei’heblicher Untei-sclxied zwischen zei’i’iebenem
Material und 1 mm gx’ossen Stückchen desselben. Die Bedeutung
des Kochens tritt bei den Vegetabilien besonders stark hei’-
vor, weil hier durch Quellen der Stärke zu Kleister einmal die
Zellwände gespi-engt, und weil zweitens die vexkleisteiüe Stärke
von den Verdauungssäften viel energischer angegriffen wird als
die rohe. Die Verzuckerung der gekochten Speisen ist etwa
5 mal rascher als die der rohen, die Verzuckerung der fein zei’-
riebenen 5, 10 ja 20 mal grösser als der grob zerkleinerten Speisen.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
1314
Durch Kochen und feines Zerkleinern kann die Zuckerbildung
auf das 30 — 100 fache gesteigert werden.
4) Iv usch el- Berlin: Ueber die Wirkung des Einlegens
von Fleisch in verschiedene Salze.
Die Versuche wurden in der Weise augestellt, dass frisch ge¬
schlachtetes 1 Tag altes Fleisch in Glasflaschen in das betreffende
Salz eingebettet und bei Temperaturen von 18 — 20 4 und bei 37 J
8 Tage aufbewahrt wurden. Als Konservierungssalze kamen in
Frage Borsäure, Borax, schwefligsaures Natron,
Salpeter und Kochsalz. Borsäure, B o r a x und Sal¬
peter zeigen zwar geringe desinfizierende Kraft, auch trocknen
sie das Fleisch nur in geringem Grade ein, da aber eine ganz er¬
hebliche Menge des Salzes bei der Aufbewahrung in das Fleisch
hineinwandert, so leidet die Genussfähigkeit. Schweflig¬
saures Natron zeigt dieselben Eigenschaften, ist aber ausser¬
dem wegen seiner stark austrocknenden Wirkung ebenfalls nicht
geeignet. Das Kochsalz endlich ist zwar hygienisch einwands¬
frei, aber es trocknet das Fleisch zu stark aus.
5) A. Richter-Berlin: Bakterielles Verhalten der Milch
bei Boraxzusatz.
Durch Boraxzusatz wird das Wachstum von O i d i u m
lactis und den Milchsäurebakterien gehemmt, B. fluores-
cens, Proteusarten werden nicht gehemmt, gehen aber
später zu Grunde. Die grösste Kolonienzahl findet sich am 2. bis
3. Tage, am 0. bis 11. Tage tritt sowohl bei Zusatz von Borax
als auch ohne denselben erhebliche Verminderung der Bakterien
ein. Zuerst spielt bei der Baktexäenmenge das Bact. acidi
lactici Hüppe, später Bact. lactis acidi Günther
eine Rolle.
6) Mayer und W o 1 p e r t - Berlin: Ueber die Verfahren
und Apparate zur Entwickelung von Formaldehyd für die
Zwecke der Wohnungsdesinfektion.
Den vielen in Gebrauch stehenden Apparaten fügen die Ver¬
fasser noch einen neuen hinzu, welcher wegen seiner Einfachheit
und Billigkeit viele Vorzüge vor den anderen komplizierteren und
teuereren hat. Er besteht nur aus einem gewöhnlichen Emailletopf,
dem eine Art Blechtrichter aufgesetzt ist, so dass die unten¬
stehende Flamme das Formalin nicht entzünden kann. Der ganze
Apparat kostet 2 — 3 M.
Ausserdem verwenden die Verfasser zur Desodorierung nicht
Ammoniak, sondern eine bestimmte Menge A m moniumkar-
bona t, dem etwas Lavendelöl zugesetzt wird. Nach kurzer
Zeit ist das Zimmer alsdann wieder bewohnbar.
R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 30.
1) J. O rth- Göttingen: Ueber einige Zeit- und Streitfragen
aus dem Gebiete der Tuberkulose.
Verfasser gibt eine geschichtliche Uebersicht über die all¬
mähliche Ausgestaltung des Begriffes der Tuberkulose und betont
besonders, dass gerade in der Zeit, als der Tuberkelbazillus durch
Koch noch nicht entdeckt war, die Lehre von der Tuberkulose
durch die pathologische Anatomie die grösste Aus- und Umbildung
erfahren hat. Daher ist der Umschwung der Anschauungen nicht
in erster Linie der Bakteriologie zu verdanken. Die bakterio¬
logische Untersuchung ist für die Feststellung tuberkulöser Ver¬
änderungen ungenügend, die pathologisch-anatomische Unter¬
suchung muss ergänzend eingreifen, doch auch so bleiben die
Schwierigkeiten der richtigen Differenzierung sehr beträchtliche.
2) H. Hirschfeld - Berlin: Ueber myeloide Umwandlung
der Milz und der Lymphdrüsen.
Es handelt sich bei diesem Zustande darum, dass diese Organe
Zellen enthalten, die sonst nur im Knochenmark Vorkommen. Dies
ereignet sich bei der myelogenen Leukämie, aber auch bei anderen
Prozessen. Verfasser hat seine früher mitgeteilten Unter¬
suchungen über die Histogenese der granulierten Knochen¬
markszellen fortgesetzt und kann auf Grund seiner Erfahrungen
die damals ausgesprochene Ansicht, dass sowohl eine isogene,
wie eine heteroplastische Regeneration der Myelocyten stattfinde,
insbesondere für das menschliche Knochenmark erwachsener In¬
dividuen bestätigen. Es zeigte sich, dass auch die Lymphocyten
der Al ilz und der Lymphdrüsen unter Umständen granulierte
Leulcocyten aus sich hervorgehen lassen, wie sie sonst nur im
Knochenmark Vorkommen. Verfasser konnte durch seine Unter¬
suchungen für eine grosse Zahl der mit Hyperleukocytose einher¬
gehenden Infektionskrankheiten das Vorkommen einer myeloiden
Umwandlung der Milz und der Lymphdrüsen nacliweisen, wodurch
die Ehrl ich sehe Lehre von der verschiedenen Anteilnahme
der Blutbildungsorgane an der Leukocytenproduktion erheblich
modifiziert wird.
3) E. H o 1 1 a e n d e r - Berlin: Der Lupus erythematodes.
Vergl. den Bericht S. 815 der Münch, med. Woclienschr. 1902.
4) J. Ruhemann-Berlin: Erwiderung auf die Aufsätze
von Dr. G. Gabritschewsky „Ueber eine neue Reaktion
auf einige reduzierende Substanzen des Organismus“ und von
Dr. B e r d i n g „Zur Frage der Harnsäurebestimmung“.
Verfasser führt aus, dass die von ihm angewandte Methode
auf absolut wissenschaftlich erwiesenen Prämissen benäht und für
die Praxis in 10 — 15 Minuten ausreichende Resultate liefert.
5) P. R e c k z e h - Berlin: Ueber perniziöse Anämien.
Verfasser veröffentlicht die Krankengeschichten und die Blut-
befuude von 5 Fällen perniziöser Anämie, welche sämtlich Männer
betrafen. Die Einzelheiten der Blutveränderungen und der kli¬
nischen Erscheinungen werden eingehend besprochen. Hinsicht¬
lich der Therapie hat sich eine zwischen Arsen und Eisen ab¬
wechselnde Behandlung als nützlich erwiesen; Bluttransfusionen
wurden nicht in Anwendung gezogen.
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 28 u. 29.
No. 28. 1) R i n u e - Berlin: Zur operativen Behandlung der
Perityphlitis.
Nach einem in der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins
am 12. Mai 1902 gehaltenen Vortrag.
Verfasser teilt hinsichtlich der Frage der Operation die
Appendizitiserkrankungen, im Gegensatz zu der für praktische
Zwecke zu komplizierten Einteilung von Sonnenbu r g nur ein
in leichte und sch w ere Fälle. Als leichte betrachtet er die
klinisch gutartig verlaufenden, die mit Schmerzen, eventuell nach¬
folgendem Erbrechen und Uebelkeit und mehr oder weniger Tem¬
peratursteigerung beginnen, bei denen aber das Allgemeinbefinden
wenig alteriert, Puls und Aussehen gut ist. Diese Erscheinungen
klingen in wenigen Tagen ab und der Patient ist wdeder gesund.
Es kann bei einem Anfall bleiben, gewöhnlich wiederholen sie sich
in verschieden langen Zwischenräumen. Anatomisch entspricht
diesem klinischen Bilde eine Appendicitis Simplex ohne Eiterung,
ohne Gangrän und Perforation. Dagegen können die mannig¬
fachsten Veränderungen am Wurmfortsatz bestehen (Schwellung
der Schleimhaut, Hydrops, narbige Verengerungen und Abschnü¬
rungen, peritoneale Verwachsungen u. s. w.). Diese Fälle operiert
Verfasser nicht im und nach dem ersten Anfall, sondern wartet
ab. Kommt ein Rezidiv, so rät er immer zur Operation und ope¬
riert gewöhnlich im Intervall.
Bei allen schweren Fällen, die Eiterung vermuten lassen,
die mit länger dauernden Schmerzen, Fieber, Tumor, peritonitischer
Reizung und wesentlicher Alteration des Gesamtbefindens einher¬
gehen, operiert er sofort oder redet wenigstens energisch zu. _ Auf
Widerstand bei dem Publikum ist er bei dem ihm reichlich bisher
zu Gebote gestandenen Material nur selten gestossen.
2) O. Minkowski -Köln: Ueber die Umwandlung der
Purinkörper im Organismus.
Bemerkungen zur Pathologie der Harnsäure. Zu einem kur¬
zen Referat nicht geeignet.
3) A. B i c k e 1 - Göttingen: Zur Lehre von der elektrischen
Leitfähigkeit des menschlichen Blutserums bei Urämie.
Die Ergebnisse der physikalisch-chemischen Untersuchungen
bei chronischen Nephritiden und insonderheit bei der Urämie des
Menschen stehen in gutem Einklänge mit den Ergebnissen seiner
auf dem diesjährigen Kongress für innere Medizin mitgeteilten ex¬
perimentellen Untersuchungen. Bei der von Urämie _ gefolgten
chronischen Nephritis des Menschen, wie bei künstlich durch
doppelseitige Nierenexstirpation urämisch gemachten Tieren finden
wir, ■wenn auch nicht in allen Fällen, so doch ziemlich regelmässig,
eine beträchtliche Erhöhung der molekularen Gesamtkonzentration
des Blutserums, zu deren Entstehung eine abnorme Anhäufung von
gelösten Elektrolyten, berechnet aus dem Werte des elektrischen
Leitvermögens, nicht notwendig beitragen muss.
4) R. Rüge: Ein Beitrag zur Aetiologie des Schwarzwasser¬
fiebers.
Kasuistische Mitteilung, welche zeigen soll:
1. Dass angeblich auch in diesem Fall der Schwarzwasser¬
fieberanfall von einer Chiniugabe und zwar einer sehr geringen
(0,3 subkutan) ausgelöst wurde.
2. Dass eine mit 0,5 g — alle 5 Tage — regelmässig durch -
geführte Chininprophylaxe durchaus nicht immer imstande sei,
die Disposition zu Schwarz Wasserfieber zu beseitigen, dass viel¬
mehr in manchen Fällen das Gegenteil stattzufinden scheine.
3. Dass Chininklystiere in der von Kleine angegebenen Art
und Weise (das Chinin in 100 ccm warmem Wasser gelöst und
in entsprechender Weise mit Opiumtinktur versetzt) auch auf die
Dauer gut vertragen werden und deshalb bei der Durchführung
einer regelmässigen Chininprophylaxe mit verwendet werden
können.
4. Dass wir vielleicht imstande sind, das drohende Schwarz¬
wasserfieber, das sich sonst durch keinerlei klinische Anzeichen
verrät, durch den Blutbefund zu erkennen.
5) C. W. S c hl ay er -Berlin: Beitrag zur Kasuistik der
Malaria und des Schwarzwasserfiebers.
Der Fall betraf einen 37 Jahre alten Kapitänleutnant, wel¬
cher während seines 10 monatlichen Aufenthaltes in Afrika durch
die Prophylaxe völlig fieberfrei blieb, nach Aussetzen der bisher
gebrauchten Chinindosen bei seiner Rückkehr in die Heimat in
Berlin sein Malariaerstlingsfieber durchmachte. Der Anfall be¬
gann mit ausgesprochenem Tertianatypus, welcher später in die
Febris tropica überging und durch Hämoglobinurie kompliziert
wurde.
G) J. Goldschmidt - Paris: Malaria und Karzinom.
Dien von F. Loeffle r in No. 42, 1901 der Deutsch, med.
Woclienschr. aufgestellten Hinweis auf die Möglichkeit, durch
Malariaimpfung bei Karzinom Heilresultate zu erzielen, sucht G.
durch seine während eines 26 jährigen Aufenthaltes in Madeira
gesammelten Erfahrungen zu entkräften.
7) S t i c h - Leipzig: Ergotinum Lipsiense St. Jakob.
8) Dreyer-Köln: Eine tragbare aseptische Subkutan¬
spritze.
5. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1315
Die Vorteile gegenüber anderen sollen darin bestehen dass
sie sofort gebrauchsfähig ist, durch den dauernden Kontakt mit
der antiseptischen Flüssigkeit steril bleibt, so bequem wie jedes
Spritzenetui zu transportieren ist und ihr Stempel stets dicht bleibt
Ein Kosten der Nadel soll nicht stattfinden.
9) Trenite - Haag: Die abortive Behandlung des Furun¬
kels (Karbunkel) mit Hilfe subkutaner Desinfektion.
Einige Bemerkungen zum gleichnamigen Aufsatz B i d d te r s
in No. IS dieser Wochenschrift.
No. 29. 1) El sn er- Berlin: Ueber Karbollysofonn.
Der Zusammensetzung nach besteht dieses von der Lysoform-
Gesellschaft in den Handel gebrachte neue Desinfektionsmittel
auf 100 Teile aus G6% Proz. Lysoform und 33% Proz. roher Karbol¬
säure. Ein Ueberblick über alle angeführten Versuche zeigt, dass
sich das Karbollysofonn in der Tat als ein Desinfektionsmittel
erwies, welches sich den äusserst widerstandsfähigen Staphylo¬
kokken gegenüber schon in seiner 3 proz. Lösung dem 1 proz. Lysol
überlegen, in seiner 5 proz. Lösung der 3 proz. Karbolsäure völlig-
gleichwertig erwiesen hat, ohne den üblen Geruch des ersteren zu
besitzen und die stark giftigen Eigenschaften mit der letzteren zu
teilen.
2) R. R i e g n e r - Berlin: Ueber die Indikationen zur chi¬
rurgischen Behandlung ulzeröser Lungenprozesse.
Die Resultate lassen sich dahin zusammenfassen:
1. Von den ulzerösen Prozessen in der Lunge sind in erster
Linie die Fälle von akuter bezw. subakut verlaufender Gangrän
zur Operation geeignet. Die einfachep Abszesse erfordern meist
keinen chirurgischen Eingriff. Für die chronische Gangrän,
Broncliiektasie und für tuberkulöse Kavernen ist die Aussicht auf
Heilung durch Pneumotomie wegen der Vielheit der Herde nur
gering.
2. Die Harndiagnose ist für ein chirurgisches Eingreifen un¬
bedingt erforderlich.
3. Auch ohne Höhlensymptome ist der Nachweis einer Solitär¬
gangrän möglich. Derselbe stützt sich auf die Verbindung folgen¬
der Punkte:
a) Das Bestehen einer zirkumskripten, womöglich vom nor¬
malen Lungenschall umgebenen Dämpfung;
b) auf das in kurzer Zeit erfolgende Auftreten aussergewöhn-
lich reichlicher Parenchymfetzen im Auswurf;
c) auf das Röntgenogramm, welches mit dem physikalischen
Befunde genau übereinstimmen muss.
3) E. E k g r e n - Stockholm: Das Verhalten der Leukocyten
im menschlichen Blute unter dem Einfluss der Massage.
Als Resume seiner sehr übersichtlich in verschiedenen
Tabellen zusammengestellten Untersuchungen lässt sich kon¬
statieren, dass bei der Massage, sei es allgemeiner oder abdomineller,
eine recht erhebliche Vermehrung der multinukleären Leukocyten
nach einer der Körperperipherie entnommenen Blutprobe erzeugt
wird. Ob dies auf einer wirklichen Vermehrung oder nur auf einer
veränderten Verteilung der Leukocyten zu Gunsten der Peripherie
beruht, wie es Rieder und Winternitz bei anderweitig er¬
zeugter Leukocytose behauptet haben, will E. vorerst noch dahin¬
gestellt sein lassen, doch ist er geneigt, der Ansicht der bei¬
den genannten Autoren beizutreten.
4) Herzog-Mainz: Ein Fall von gonorrhoischer Rücken¬
markserkrankung mit seltener Lokalisation.
Kasuistische Mitteilung. Nach einem im Mainzer medizini¬
schen Verein am 26. November 1901 gehaltenen Vortrag.
5) 0. L. K 1 o t z - Dresden: Endokarditis septica, geheilt
durch intravenöse Silberinjektion.
Kasuistische Mitteilung.
6) Z a n k e - Gollantsch: Perforation oder Kaiserschnitt.
7) H. Euphrat- W eissensee-Berlin: Fettembolie nach
Oberschenkelhalsbruch als plötzliche Todesursache während der
Chloroformnarkose.
8) Fr icke: Ein Fall von akutem Entstehen und Ver¬
schwinden eines Kropfes.
9) F. T i c h y - Orlau (östen\ Schlesien): Chlorkalklösung als
Antiseptikum bei den Brandwunden.
Die Vorschrift für die Lösung ist:
Rp. : Calcar. liypochloros. 2,40—5,00
Aquae destill. 990,00
Solve, filtra et adde
Spirit, camphor. 5,00
DS. zu Umschlägen.
M. Lache r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 30. 1) F. Alt: Ueber Störungen des musikalischen Ge¬
hörs. (Schluss folgt.)
2) W. Schlesinger-Wien: Ueber einige ursächliche Be¬
dingungen für das Zustandekommen der alimentären Glykosurie
(e saccharo).
Die Versuche an normalen Hunden ergaben, dass grosse Tiere
erst nach unverhältnismässig grösserer Dosis von Traubenzucker
Glykosurie zeigen, als kleine. Lävulosurie kann bei Hunden schon
mit kleinen Mengen Lävulose hervorgerufen werden. Bei Unter¬
bindung des Duct. thoi’acicus trat niemals spontane Glykosurie
ein, auch blieb zunächst die Erhöhung der Assimilationsgrenze
aus, während nach einigen Wochen eine alimentäre Glykosurie
überhaupt nicht mehr hervorgerufen werden konnte. Opium¬
zusatz setzte die Zuckerausscheidung herab. Die Untersuchungen
bewiesen, dass beim Normalen Uebertritt von Zucker in den Harn,
zumal nach Dextrosezufuhr, bloss auf dem Wege rascher Re¬
sorption durch den Duct. tlioracicus zu stände kommt. Unter¬
bindung des Duct. choledochus rief stets eine beträchtliche Herab¬
setzung der Assimilationsgrenze hervor, wofür eine Erklärung
noch nicht ganz sicher gegeben werden kann. In den Fällen, wo
Verfasser am Menschen eine geringe oder unregelmässige, nicht
steigerungsfähige alimentäre Glykosurie fand, kann ihr Entstehen
durch raschere Resorption von Zucker auf dem Wege des Duct.
tlioracicus ohne weiteres erklärt werden. Bei Leberkranken hat
S. nach 100 g Traubenzucker eine Zuckerausscheidung im Harn
meist vermisst. Es scheint, dass dann, wenn bei einer Schädigung
6m Leber ein echter Diabetes entstehen soll, noch ein weiterer
I aktor hinzutreten muss, wie die angeborene Schwäche des
Zuckerstoffwechsels.
5) M. Oppenheim - Wien: Zur Frage der Pigmentbildung
aus Tyrosin.
Nicht pigmentierte Haare nehmen in einer gesättigten Tyrosin¬
lösung, welche mit H202 versetzt wurde, eine gelbe bis braune
Färbung an. Auch wird unpigmentierte menschliche Haut in
einer solchen Lösung an der Epidermis braun gefärbt.
4) E. Duf f elc - Cilli: Distomum hepaticum beim Menschen.
Kasuistische Mitteilung, eine 20 jährige Kellnerin betreffend.
Es handelte sich um eine Distomatosis der Leber, verbunden mit
chronischer eitriger und ulzeröser Cholecystitis, eitriger Cholangitis
mit Erweiterung der Gallengänge und zahlreichen kleineren Ab¬
szessen der Leber. Grassmann - München.
Italienische Literatur.
Zum Thema: Karzinom und Malaria antwortet Rocco Gen-
t i 1 e (Gazzetta degli ospedali No. 37) auf die Umfrage an Aerzte,
die in Malaria gegenden praktizieren: Auf Grund meiner Erfah¬
rungen muss ich behaupten, dass der Krebs in Malaria¬
gegenden häufiger ist als in malariaimmunen
und dass der Verlauf der Krebserkrankung bei
malariakranken Individuen ein ungünstigerer
und schnellerer ist.
h erruccio Schupfe r: Zur Pathogenese der Malarianeuri¬
tiden und der bei Malaria auftretenden Störungen des Nerven¬
systems.
In einer längeren Abhandlung (II policlinico 1902 sezdone me-
dica, fase. 4 u. 5) erörtert auf Grund einer reichen Erfahrung der Kli¬
niker Roms das oben angedeutete Thema. Wenn es auch als fest¬
stehend betrachtet werden muss, dass die grössere Anzahl von
Nervenstörungen durch Zirkulationsstörung und durch Toxin¬
wirkung zu stände kommt, so ist doch auch dem Chinin
eine Bedeutung in der Pathogenese dieser Stö¬
rungen zuzusprechen und insofern ist eine Analogie mit
der Hämoglobinuria malarica nicht von der Hand zu weisen. In¬
wieweit aber das Chinin als ursächliches Moment in einzelnen
Fällen in Frage kommt, das zu entscheiden, bleibt immer noch
weiteren Studien Vorbehalten.
Das ganze nervöse Phänomen, welches am meisten geeignet
ist, differentialdiagnostische Unterscheidung zu treffen, ist die
Malariaamaurose. Ist dieselbe allein der Malaria und ihren To¬
xinen zur Last zu legen, so iiussert sich dies durch Gefässzer-
reissungen und durch Hyperämie, während die durch Chinin
herbeigeführte Amaurose die Erscheinungen der Ischämie der
Retina bietet. In analoger Weise dürften die durch Chinin be¬
dingten Erscheinungen im Zentralnervensystem auf Ischämie be¬
ruhen.
Finotti und Tedeschi: Ueber Beziehungen zwischen
Pellagra und Addison scher Krankheit veröffentlichen die
Autoren (Rif. med. 1902, No. 96) interessante Befunde. Fast immer
soll sich in Pellagraleichen die Nebenniere chronisch entzündlich
verändert finden und namentlich auf Kosten der Nervenelemente
dieses Organs. Zu diesen Untersuchungen wurden sie veranlasst
durch einen Kranken, bei welchem die Differentialdiagnose zwi¬
schen diesen beiden Affektionen unmöglich erschien und die
Sektion ausser Verdünnung der Darmwände tiefe Veränderungen
in den Nebennieren ergab. Bereits früher hat ein italienischer
Autor Carrar oli auf die Veränderung der Nebennieren bei
Pellagra hingewiesen und in ihnen Knötchen beobachtet, welche
den spezifischen Organismus der Pellagra enthalten sollten.
Brunazzi: Tetanie und Gastrosukkorrhoe. (Gazzetta degli
ospedali 1902, No. 42.)
Ueber Tetanie bei Gastropatliie machte im Jahre 1861 zuerst
N e u m a n n Mitteilung; aber der erste, welcher sie zur mo¬
torischen Insuffizienz des Magens in Beziehung brachte, war
Kussmaul im Jahre 1869. Nach ihm folgen eine Anzahl fran¬
zösischer und italienischer Autoren. In Summa sind etwas über
50 Fälle in der Literatur bekannt geworden, denen B. einen neuen
anreiht. Die Krampfanfälle betrafen nur die oberen Glieder und
das Gesicht, bestanden in intermittierenden Kontraktionen der
Armmuskulatur, Trismus, beiderseitigem Spasmus des Orbieularis
orbitae und leichtem Strabismus. Die Sprache war erschwert,
die Anfälle waren nicht, schmerzhaft.
Die Behandlung des Magenleidens brachte schnelle Heilung
der Tetanie.
MTJEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
1316
Was den ursächlichen Zusammenhang dieser Tetanie mit dem
Magenleiden anbelangt, so suchte Kuss m a u 1 die Ursache in
der Wasserentziehung, von welcher der Organismus betroffen wird;
andere erklärten die Tetanie für ein Reflexphänomen, von den
Magennerven ausgehend. B o u c li a r d sieht die U r s a c li e
in einer vom Magen ausgehe n den Autointoxi¬
kation. Dieser letzteren Anschauung neigt sich auch der Autor zu
und führt zur Begründung das Auftreten einer Albuminurie und
die schnelle Besserung aller Symptome nach Milchdiät an.
Cafiero: Experimentelle Untersuchungen über den
Selbstschutz der Organe gegen toxische Agentien. (11 Morgagni,
März 1902.)
Jüngst wurde von Ricli et und Toulouse eine neue
Behandlung der Epilepsie in die klinische
Praxis eingeführt, welche sie die nietatrophi¬
sche nannten. Dieselbe beruht auf der Einverleibung von
Bromsalzen nach vorheriger Kochsalzentziehung und geht von der
Erwägung aus, dass die Organzellen des menschlichen Körpers
im Blute das Kochsalz finden, dessen sie zu ihrer Existenz be¬
dürfen, und zwar im normalen (! — 7 g pro Eiter. Unter diesen
Umständen ist die Affinität der Zellen für andere im Blute krei¬
sende Salze nur eine niedrige. Wenn aber das Kochsalz im Blute
fehlt oder der Gehalt des Blutes an demselben geringer wird,
dann haben die Zellen die Tendenz, in höherem Masse Salze,
welche das fehlende Chloruatrium in gewisser Beziehung ersetzen,
so die Bromsalze, festzuhalten.
C. beweist in obigen Experimentaluntersuchungen, welche
er in der Klinik Neapels anstellte, die Berechtigung der Anschau¬
ung, welche dieser metatropliischen Therapie zu Grunde liegt.
Hauptsächlich aber ist der Zweck der obigen Experimente
der, den Beweis zu liefern, dass frische Zellen wie fri¬
scher Organsaft die toxischen Eigenschaften
der meisten Gifte herabsetzend beeinflusse n.
Diese schützende Eigenschaft beruht nicht auf mechanischen Ein¬
flüssen, sondern sie ist als eine biologische Eigenschaft der Zelle
aufzufassen, bei welcher Affinitäten und Prädilektionen gewisser
Zellapparate eine Rolle spielen können.
Barbiani berichtet (Giornale Ital. delle malattie veneree
e della pelle 1902, fase. I) über einen Fall von Gonokokkämie,
einen 30 jährigen Diabetiker betreffend.
In einigen seltenen Fällen, so deduziert B., gelingt es dem
Gonococcus Neisser, ins Blut zu gelangen und nach Art einer
Pyämie den ganzen Blutstrom zu infizieren. Diese Tatsache ist
durch eine ganze Reihe von Autoren bestätigt. Im vorliegenden
Falle kam es schnell zu Polyarthritis mit einem ausgebreiteten
polymorphen, exsudativen Erythem, begleitet von Milztumor,
Fieber, Adynamie, Albuminurie. Die bakteriologische Unter¬
suchung ergab am 7. Tage nach Auftreten dieser Krankheits¬
erscheinungen die Anwesenheit von Gonokokken im Blute.
Wenn es manchen Autoren in ähnlichen Fällen nicht gelungen
ist, den Infektionsträger im Blute nachzuweisen, so hängt dies
von der Schwierigkeit, den Pilz aus dem Blute zu züchten, ab.
Besonders wichtig ist es, nicht zu wenig Blut
zur Untersuchung z u v erwe n den: eine Entnahme per
Platinnadel genügt nicht, sondern Entnahme mit einer Pipette ist
nötig.
T o m a s e 1 1 i liefert einen Beitrag zur Behandlung des
Morbus Basedow mit Sympathektomie. (Gazzetta degli ospedali
1902, No. 42.)
Er erörtert die Geschichte dieses operativen Eingriffs. Von
57 Fällen seien 11 vollständige und dauernde Heilungen notiert
und 30 erhebliche Besserungen, kein direkt der Operation zuzu¬
schreibender Todesfall. Immerhin ist in Bezug auf die Technik
zu bemerken, dass die Gefässdilatation, durch Sympatliikusläh-
uiung herbeigeführt, der Operation erhebliche Schwierigkeiten
bieten kann, desgleichen können Störungen der Herztätigkeit be¬
drohlich werden. T. unterscheidet 2 Formen von Basedowkrank¬
heiten. Die eine ist reflektorischer Natur und hier können die
verschiedensten inneren und chirurgischen Kuren Besserung und
Heilung bringen, die andere kann mit materiellen Veränderungen
des sympathischen Nervengefleclits Zusammenhängen.
Nur in den Fällen hochgradiger und fortschreitender Art, in
welchen jede andere Kur sich als vergeblich erwies, ist die Ex¬
zision des Sympathikus indiziert, i. e. die Entfernung des nervösen
Organs, durch dessen Vermittlung die Störungen des Krankheits¬
prozesses zu Stande kommen.
T. plädiert für die ausgedehnte partielle Resektion des Sym¬
pathikus, welche das unterste Ganglion intakt lässt. Er beschreibt
einen rapide fortschreitenden Fall, in welchem der Exophthalmus
zu bedrohlichen Erscheinungen an beiden Augen durch ülzeration
der Kornea geführt hatte und wo durch die Exstirpation des Sym¬
pathikus ein befriedigendes Ergebnis erzielt wurde.
Nardi: Ueber subkortikale reine Aphasie.
Eine subkortikale oder reine Form von
Aphasie im Gegensatz zur motorischen korti¬
kalen Aphasie w u rde als k 1 i n i s c lie Form zuerst
v on L i c h t h e i m, d a r nach auch von Charcot auf¬
gestellt. Dejerine differenzierte sie klinisch genau im
Jahre 1891. Sie ist charakterisiert dadurch, dass ihr Auftreten
ein leichtes und ihr Verlauf ein schnellerer ist.
N. teilt (Gazzetta degli ospedali 1902, No. 45) einen Fall mit,
welcher auf Embolie nach abgelaufener Endokarditis beruhte.
Derselbe charakterisierte sich als Aphasie ohne Worttaubheit und
Wortblindheit, ohne Agrapliie und Alexie. Ferner keinerlei Parese,
keine Paralyse des Fazialis und der Extremitäten, die Zunge nach
jeder Richtung beweglich, Sensibilität und Reflexe normal. Es
handelt sich also um Verstopfung eines der kleinen Aeste der
Arteria fossae Sylvii, welche ohne Verästelung die graue Sub¬
stanz durchdringen, um sich in der Marksubstanz zu verästeln.
Die Herstellung kann in diesen Fällen im Gegensatz zur mo¬
torischen kortikalen Aphasie eine schnelle und vollständige sein.
S i 1 v e s t r i: Ueber die blutstillende Wirkung des Kalziums
und der Kalksalze. (Gazzetta degli ospedali 1901, No. 39.)
Anstatt der Gelatineinjektionen, welche in der gewöhnlichen
Praxis unbequem, im übrigen wegen der möglichen Verunreinigung
der käuflichen Gelatine mit Tetanusbazillen auch nicht ungefähr¬
lich sind, empfiehlt S. die intravenöse Injektion von 1 proz. Chlor¬
kalziumlösung (100—150 ccm). Die Wirkung soll eine sehr prompte
sein. Auch in vitro ist sie zu demonstrieren. Nach den Angaben
8.s ist es wahrscheinlich, dass die Gelatineinjektionen ihre blut
stillende Wirkung dem Kalkgehalte der Gelatine verdanken; der¬
selbe soll 0,00 Proz. betragen.
Cernezzi: Ueber Leiomyome des Magens. (II Morgagni,
März 1902.)
Unter L e i o m y o m e n des Magens versteht m a n
M y o rn e m i t g 1 a t 1. e r M u skulat u r, die ihren Ausgangs¬
punkt von der Muskularis des Magens nehmen. Sie sind im ganzen
selten beschrieben, bilden häufig, wie auch im vorliegenden Falle,
einen zufälligen Fund bei Obduktionen, noch seltener werden sie
Gegenstand chirurgischer Eingriffe dann, wenn sie gestielt sind,
und zufolge dieses Umstandes oder ihres Wachstums Okklusions¬
erscheinungen veranlassen.
C. gibt eine erschöpfende Abhandlung über die Statistik und
unsere bisherigen Kenntnisse dieser Geschwulstform.
F i o r i - Pisa liefert einen Beitrag zur experimentellen
Hydrosalpinx und zur Physio-Pathologie der Tube und des
Ovariums. (II policlinico, fase. 4 u. 5.)
Durch künstlichen Verschluss beider Tubenostien, auch durch
den Verschluss des abdominalen Ostiums allein ist eine Hydro¬
salpinx ohne Schwierigkeit hervorzurufen. Die Ligatur des Ostium
uterinuni allein bringt für gewöhnlich keine bemerkenswerte Ver¬
änderung der Tube zu stände.
Das Sekret trägt den Charakter der sezeruirenden Epithel¬
zellen; man braucht zur Erklärung des Zustandekommens des¬
selben keine Zirkulationsstörungen, auch keinen katarrhalischen
Prozess anzunehmen.
Das betroffene Ovarium zeigt Bindegewebswucherung und re¬
flektorisch Ernährungsstörungen in den Follikeln bis zur liydro-
pisclien 1 legeneration.
IM o n t i n i liefert einen Beitrag zur Kasuistik der Pleuritis
biliariß. (Gazzetta degli ospedali 1902, No. 45.)
Bei Krankheiten der Gallenblase und des Peritonealüberzuges
der Leber können Infektionsträger direkt durch das Diaphragma
hindurch oder auf den Wegen der Lympligefässe die Veranlassung
zur Entstehung einer serös fibrinösen Pleuritis werden. Die Pro¬
gnose dieser letzteren richtet sich wesentlich nach der primären
Affektion. Hager- Magdeburg-N.
Unfallheilkunde.
(Schluss.)
Trof. S e v d e 1- Königsberg: 3 Fälle von versuchter Täu¬
schung durch Selbstmord. (Aerztl. Sachverständigenztg. 1902,
No. 9.)
Die Erfahrungen in diesen 3 Fällen veranlassen S., den Ver¬
sicherungsgesellschaften folgende dringliche Forderungen zu pro-
ponieren:
Es muss in jedem Falle plötzlichen oder unnatürlichen Todes
den Gesellschaften gestattet werden, durch zuverlässige Ver¬
trauensärzte die Oeffnung der Leiche sofort auszuführen. In
erster Linie sind dazu zwar die beamteten Kreisärzte liiuzu-
zuziehen, sobald die Gesellschaften aber eine bakteriologisch und
toxikologisch ausgebildete Person damit beauftragen, sollen die
Behörden die Erlaubnis nicht verweigern. Verweigerung der Sek¬
tion von Seiten der Erben ist gleichbedeutend mit Verzicht auf
die Versicherungssumme, wie es bei der Unfallgesetzgebung für
Rentengewährung an Hinterbliebene Prinzip ist.
H. Kühn- Hoya a. W.: Das Trauma in seiner ätiologischen
Bedeutung im allgemeinen und für den akuten Gelenkrheuma-
• tismus im besonderen. (Ibid.)
Ein bis dahin gesunder, jedenfalls nicht rheumatisch ver¬
anlagter Mann erlitt nach eben erfolgtem, noch nicht einmal ganz
überstandenen kurzen Kranksein an Erkältung eine Arerstauchung
des Fussgelenkes, an die sich in fast unmittelbarem Anschluss
ein typischer Gelenkrheumatismus mit Endokarditis anschloss.
Arerfasser kommt bei Beurteilung dieses traumatischen Gelenk¬
rheumatismus zu folgenden Schlussätzen:
I. Neben den gewöhnlichen Ursachen des akuten Gelenk¬
rheumatismus tritt die ätiologische Bedeutung des Traumas für
sich ganz allein wesentlich zurück und ist sicher äusserst selten,
wenn auch anscheinend sicher vorhanden.
2. Bei vorhandener zeitlicher und örtlicher Disposition kann
das Trauma entschieden erhöhte ätiologische Bedeutung als mit¬
wirkende Ursache erlangen.
5. August 1902.
MUENCHFNER MFDTCINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
1317
viel
für
Die
Be-
3. In der Erkenntnis, dass die angebliche traumatische Ent¬
stehung des akuten Gelenkrheumatismus nicht die Regel, sondern
(>ine seltene Ausnahme ist, ist in jedem konkreten Fall ein mög¬
lichst genauer Nachweis zu führen, warum hier die Ausnahme
stattfindet, unter eingehender Berücksichtigung aller eventuell
wichtigen Momente.
r. S t o Iper- Breslau: Die neueren Arbeiten über trauma¬
tische Erkrankungen der Wirbelsäule. (Aerztl. Sachverständi-mn-
zeitg. 1902. No. 8 u. 9.)
Eingehender Sammelbericht des auf diesem Gebiet besonders
erfahrenen Autors.
ltadtke: Neuere Rechtssprüche des Reichsversicherungs¬
amtes über die Bemessung der Unfallrente bei schon vor dem
Unfall verminderter Erwerbsfähigkeit. (Aerztl. SachverständDen-
zeitg. 1902. No. 11.) ö
Die Notwendigkeit der Ausführungen des Yerf. in einem
früheren Artikel (ref. Münch, med. Woclienschr. 1902, p. 809), dass
nämlich der die Teilrente bestimmende Grad der Einbusse an Er¬
werbsfähigkeit nicht in Prozenten einer normalen Erwerbsfähig¬
keil, sondern in denjenigen der zur Zeit des Unfalls vorhandenen,
individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten zu schätzen ist, hat
in mehreren neuen Rekursentscheidungen des R.-Y.-A., insbeson¬
dere in solchen vom 19. und 22. März 1902, ihre Bestätigung' ge¬
funden. Den Anlass zur Hervorhebung dieser gesetzlichen Auf¬
fassung hatte in jenen Entscheidungen der höchsten Instanz der
der Praxis, insbesondere auch der ärztlichen Begutachtung
Schwierigkeiten bereitende Fall des Vorhandenseins älterer
die Arbeitsfähigkeit nachteiliger Körperschäden geboten,
ärztlichen Sachverständigen hatten wegen solcher Leiden eine
einträehtigung der Erwerbsfähigkeit um einen gewissen Prozent¬
satz angenommen, die Folgen des Unfalls mit einer in Prozent¬
ziffern ausgedrückten, weiteren Minderung der Erwerbsfähigkeit
bewertet und die Summe beider als den gesamten bisherigen Ver¬
lust bezw. den Unterschied zwischen dieser Zahl und 100 als das
Mass der verbliebenen Erwerbsfähigkeit bezeichnet. Sie hatten
also die Schätzung durchweg in Normalprozenten vorgenommen.
Das R.-Y.-A. spricht aber mit Bezug hierauf bestimmt aus,
dass eine Benachteiligung der Berufsgenossenschaft bei Berech¬
nung der Einbusse in Prozenten der individuellen letzten Erwerbs¬
fähigkeit im Falle einer damals bereits vorhandenen Gebrechlich¬
keit des A erletzten keinesfalls eintrete, selbst wenn bei Ermitt¬
lung der Prozentziffer, wie notwendig sei, in Betracht gezogen
werde, (lass die Folgen des Unfalls auf einen schon erkrankten
und geschwächten Körper schwerer wirkten und die Erwerbsfähig¬
keit deshalb mehr beeinträchtigten als dies bei bei einem vorher
noch im wesentlichen gesunden Menschen der Fall sei. Denn das
Mass der Beeinträchtigung an Erwerbsfähigkeit, welche schon vor
dem Unfall vorhanden gewesen, komme in dem verhältnismässig
geminderten Arbeitsverdienst, welcher der Rentenberechnung zu
Grunde gelegt wird, zur Anrechnung, könne also nicht nochmals
in dem Prozentsatz der Vollrente, welche dem Masse der Einbusse
an früherer Erwerbsfähigkeit zu entsprechen habe, in Anrechnung
kommen.
Dem Wunsche des R.-Y.-A., dass bereits die grundlegende
Schatzung unmittelbar in Prozenten der individuellen, vor
dem Unfälle letzten Erwerbsfähigkeit erfolge, wird man sich des¬
halb anschliessen müssen, weil dadurch allein die vom Gesetz ge¬
wollte Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse bei der
Entscheidungsfeststellung erreicht und die Gefahr einer Verstei¬
nerung der Rechtsprechung vermieden wird, die bei der Schätzung
m Normalprozenten trotz scheinbarer Gleichmässigkeit zu Un¬
gerechtigkeiten im einzelnen führen muss, wenn dadurch auch
die Arbeit für den mit der Begutachtung betrauten ärztlichen Sach¬
verständigen zweifellos erschwert wird, schon deshalb, weil er
mcht die durch die Praxis herausgebildete Gebrechentaxe unver¬
ändert benutzen kann.
, , E' 8 c h ä f fer- Bingen: Ueber subkutane Muskelrisse und
deren Folgezustände nebst Bemerkungen über die Aetiologie der
-Uupuytren sehen Strangkontraktur. (Vierteljahrssehr f ge-
l-iclitl. Med. 1902, H. 2.) s
Nach einleitenden Bemerkungen über das Vorkommen der
m t km anen Muskelrisse im allgemeinen wendet sich S. zur Frage
der Erwerbsbeschränkung und konstatiert auf Grund zufälliger
Befunde von Muskelrupturen (obere und untere Gliedmassen.
Klicken) bei 13 von 721 schwer arbeitenden Erdarbeitern, dass
»ei unkomplizierten und partiellen Rupturen, wenigstens bei den
nicht versicherten Verletzten, kaum nennenswerte Funktionsstö-
lmigen Zurückbleiben; anders bei mit Luxationen. Abreissuug von
Giioeheiist iicken etc. komplizierten Muskelrissen.
Was die Frage der unfallweisen Entstehung der Duptiy-
i e u sehen Kontraktur betrifft, so wird die neuropatliische Ge¬
nese (Läsion des N. uluaris) auf Grund eines Falles von 2 zeit-
iich getrennt eingetretenen 1 > u p u y t r e n scheu Kontrakturen
(rechts- und linksseitig) nach Bizepsriss, kompliziert mit Sclmlter-
uxation, betont. Schwab- Neuweissensee-Berlin.
Vereins- und Kongressberichte.
Greifswalder medizinischer Verein.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 7. Juni 1902.
Vorsitzender : Herr Schi r m e r. Schriftführer : Herr Busse.
Herr Heng ge: Implantation des menschlichen Eies im
Uterus.
Die demonstrierten mikroskopischen Präparate zeigen ein
menschliches Ei aus dem Ende der ersten Woche nach der Be¬
fruchtung. Das Ei ist in der Schleimhaut des Uterus eingebettet
nach der Art, wie Graf Spee dies beim Meerschweinchen,
1 eters beim Menschen festgestellt hat. Das Ei zeirt eine
mächtig entwickelte Ektoderm-Trophoblastschale, in welcher die
erste Entwicklung der Chorionzotten und intervillösen Räume zu
beobachten ist. Rings um das Ovulum hat die Umbildung der
Schleimhaut zur Decidua begonnen. Das Ei wurde bei einer
mikroskopischen Untersuchung einer Abrasio entdeckt. Eine <-e-
liaue Bearbeitung wird in der Monatsschrift für Geburtshilfe und
Gynä kologie erscheinen.
Diskussion: Herr Busse bestätigt die von Herrn
Ilengge geiiusserte Mutmassung, dass die grossen einkernigen
Zellen in der Decidua, die sich durch ihren Saftgehalt auszeichnen
und fremdartig erscheinen, höchst wahrscheinlich nicht radiär
auswandernde Abkömmlinge des Chorionepithels sind, sondern von
der Decidua abstammen und mit der Gefässneubildung Zusammen¬
hängen. Das Ei bezw. die umgebende Uterusschleimhaut saugt
gewissermassen ernährende Flüssigkeit mit grosser Energie an.
Hierdurch entstehen ganz neue Saftbahnen, deren begrenzende
Zellen sich erst allmählich zu Endotlielien der gewöhnlichen Art
umbilden.
Herr Bonnet: Ueber die Plazentarhämatome bei der
Hündin.
Die Graviditätshyperämie in der Uterusschleimhaut ist als
eine durch nervöse Einflüsse unterhaltene Fortsetzung der
Brunsthyperämie aufzufassen. Schon bei dieser kommt es zu
Blutungen in die Schleimhaut und das Cavum uteri, noch mehr
kommen bei der Gravidität Blutungen vor, wechseln aber' nach
Lokalisation und form bei den verschiedenen Raubtieren und
treten als kleine intraplazentare Hämorrhagien, als grüner oder
brauner Randsaum oder als wechselnd grosse Blutbeutel auf. Bei
der I lazentarhildung werden nicht nur neue Gefiisse gebildet
und die alten verlängert und erweitert, sondern es findet vielmehr
eine völlige Umbildung der Arterien und Venen innerhalb der
Schleimhaut statt. Sie verlieren ihre Muskularis und werden
wahre Gefässneutra mit ganz dünner bindegewebiger Wand.
Durch die Rückbildung der Muskulatur wird der Motor der Blut¬
bewegung in dem sehr stark erweiterten Strombett der Plazenta
in das Myo- und Mesometrium zurückverlegt. Die Folge davon
ist eine erhebliche Verlangsamung und förmliche Stase der Zir¬
kulation, ein starkes Oedem, sowie kleinere und grössere Blu¬
tungen in die Plazenta. Diese führen namentlich an dem Pla¬
zentarrande zur Bildung des „grünen Saumes“. Fs ist ein zwi¬
schen Plazentar- und Chorionoberfläche gelegenes Ivoagulum, wel¬
ches seine saftgrüne Farbe einer eigentümlichen Umwandlung
des Blutfarbstoffes, dem Hümaehlorin Meckels, verdankt.
Hämoglobintropfen, sowie Farbstoffe werden von dem Chorion-
epithel aufgenommen und liefern dem Embryo das zur Blut¬
bereitung nötige Eisen. Die Blutungen können daher als
„embryotrophischePlazentarh ii m a t o m e“ bezeich¬
net werden. (Demonstration mikroskopischer Präparate.)
Herr Busse: Demonstration von Pockenpräparaten. Die
im Laufe einer Pockenepidemie gewonnenen makroskopischen
Präparate, die zahlreichen einfachen und stereoskopischen Photo¬
graphien. mikroskopischen Schnitte von Pocken in verschiedenen
Entwicklungsstadien, von Hoden und Nebenhoden mit. Variola¬
herden, sowie eine von Herrn K o 1 b o w - Berlin angefertigte, vor¬
zügliche Moulage von dem Beine eines pockenkranken Kindes
werden demonstriert und erklärt.
Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung v o m 3. Juni 1902.
\ orsitzender : Herr Kocht. Schriftführer: Herr Otto.
Herr Alsberg demonstriert ein Carcinoma urethrae im Be¬
reich der Pars pendula penis. Das Präparat stammt von einem
48 jährigen Mann, der hei der Aufnahme bereits ausgedehnte
Driisenerkraukung in beiden Leisten zeigte. Amputatio penis und
Ausräumung der Drüsen. Tod nach 5 Monaten. A. weist auf die
ausserordentliche Seltenheit der Harnröhrenkarzinome hin, in der
1318
MUENOHENER MEDTCINISCHE WOCHEN SCHRIET.
No. 31.
Literatur hat er nur 3 Fülle im Bereich der Pars pendula finden
können.
Diskussion: Herr F r a enkel macht aufmerksam auf
das Missverhältnis zwischen der Grösse des Karzinoms und der
Grösse der Metastasen. Dasselbe ist nicht ungewöhnlich. Die
Erweicliungsvorgänge sind nicht so selten, wie Herr A 1 s b e i g
meint, speziell kommen sie bei Drüsenmetastasen nach Portio¬
karzinom keineswegs selten vor, man sieht dann nur noch eine
Kapsel, in der sich histologisch Krebsherde nachweisen. lassen.
Das scheint eine Eigentümlichkeit der Plattenepitheldrüsenkrebse
zu sein, u. a. wird es beim Oesophaguskarzinom beobachtet.
Histologisch zeigen die demonstrierten Präparate Aehnlichkeit
mit den Zottengeschwülsten der Harnblase, die maligne Natur tritt
an den Schnitten sowohl durch die Urethra, als auch durch die
Drüsen zu Tage. An der männlichen Urethra treten Krebse selten
auf. häufiger an der weiblichen, in der Folge kommt es dann sehr
frühzeitig zur Anschwellung der Leistendrüsen.
Herr Delbanco gibt an der Hand mikroskopischer Prä¬
parate die histologischen Erläuterungen zu dem A 1 s b e r g' sehen
Fall. Die Diagnose maligner Entartung der Schleimhaut der ab¬
leitenden Harnwege erfordert wegen gewisser anatomischer Eigen¬
tümlichkeiten besondere Vorsicht. Die Untersuchung hat die im
Vergleich zur äusseren Haut gänzlich andere Gestaltung des Pa¬
pillarkörpers in der Schleimhaut der ableitenden Harnwege im
Auge zu behalten. „Feine bindegewebige Septen steigen in das
Epithel empor, umgekehrt wie bei der äusseren Haut, wo die
Epithelzapfen in die Tiefe steigen.“ v. Brunn hat für die
Schleimhaut des Nierenbeckens, des Ureters, der Harnblase darauf
hingewiesen, dass die plattenartigen, scharf auslaufenden, blut¬
gefässhaltigen Bindegewebsleisten, indem sie sich häufig mit
einander verbinden, in der Flächenansicht das Bild eines Netzes
mit rundlichen Maschen zeigen, in senkrechten Schnitten dagegen
Papillen Vortäuschen können. Die nach ihm benannten Epithel¬
nester in der Schleimhaut der genannten Gebiete hat v. B r u n n
in besonderer Weise von einer durch die Septen besorgten Ab¬
schnürung von Epithelbezirken hergeleitet. Aschof f hat nach¬
gewiesen, dass die gesamte Schleimhaut der harnleitenden Wege
..die ansgesprochene Neigung zeigt, durch stärkere Ausbildung
normal vorhandener Septen oder Neubildung solcher und durch
brückenartige Verwachsung derselben, andererseits durch Epithel¬
sprossung in das submuköse Bindegewebe zur Bildung solidei odei
ein offenes Lumen besitzender, drüsenähnlicher Gebilde, selbst
echter Drüsen zu führen“. Redner hat dann als erster den Nach¬
weis zu führen versucht, dass trotz des ganz verschobenen Bildes
die Septen in der Schleimhaut der ableitenden Hamwege mit dem
Papillarkörper der äusseren Haut völlig identisch sind. Auch für
die äussere Formgestaltung der Schleimhaut fällt dem Epithel
allein der modellierende Einfluss zu, ein Emporsteigen von Binde¬
gewebe in das Epithel findet nirgends statt. Die gänzlich ver¬
schiedenen Druckverhältnisse in äusserer Haut und Schleimhaut
bestimmen die richtende Kraft des Epithels und die 1‘ orm dei im
Bindegewebe ausgespart werdenden Leisten. Es geht aus dem
Gesagten hervor, wie Schrägschnitte trotz ursprünglich ein¬
schichtigen Epithels der Urethra nach der Seite reiner Nester¬
bildung täuschen können, bedenkt man überdies die starke Falten¬
bildung der Schleimhaut, die Krypten, die verschiedenartigen
eingelagerten Dräschen. In dem vorgestellten Falle aber ist kein
Zweifel, dass auf der Höhe der makroskopisch imponierenden
Neubildung die tieferen Schichten der Schleimhaut krebsig de¬
generiert sind. Das Durcheinander grosser und kleiner Epithe'lien,
die Metaplasie der Zellen, die durch keinen Schräg- oder Flach-
sclmitt zu erklärende Unordnung des Bildes werden in entscheiden¬
dem Sinne ergänzt durch die genaue Betrachtung der unteren
Epithelgrenze. Kleine Epithelherde, oft nur von 2 oder 3 Zellen
gebildet, schon völlig von elastischen Fasern eingeschlossen, zeigen
das Vorrücken des Krebses an. Grosse Epithelherde liegen
schliesslich in weiter räumlicher Entfernung von der Oberfläche
im Bereich des Corpus cavernosum urethrae. Redner möchte an¬
nehmen. dass in den Lymphscheiden der grösseren Gefässe die
Verbreitung der Krebszellen statthat. U eberraschend sind die
mikroskopischen Präparate der Lymphdrüseh der Leisten. Von
eigentlichem Lymphdrüsengewebe ist kaum etwas übrig geblieben.
Grosse und kleine Nester von Epithelien liegen eng nebeneinander,
umsäumt von grossen ununterbrochenen Epithelzügen, welche die
Lymphsinus völlig ausgefüllt haben. In dem einen Schnitt ist die
mit der krebsigen Lymphdrüse verwachsene äussere Haut mit-
schnitten; ein baldiges Durchwachsen derselben stand demnach
bevor. Die Quellung der Krebszellen, deren Weichheit, sowie der
fast völlige Untergang des Lymphdrüsengewebes haben das von
Herrn Alsberg geschilderte makroskopische Verhalten dei
1 trüsen verschuldet.
Herr Simmonds: lieber metastatisclie Gastritis und
Laryngitis phlegmonosa.
Vor einiger Zeit legte ich Ihnen ein Präparat von Gastritis
phlegmonosa vor, die bei einem an putrider Bronchitis und
Bronchiektasien leidenden alten Manne sich entwickelt hatte und
sprach dabei die Vermutung aus, dass die Infektion des Magens
durch Verschlucken streptokokkenhaltigen Sputums entstanden
sein dürfte. Bisweilen aber, speziell bei den im Verlauf der
Puerperalsepsis auftretenden Fällen, ist die Magenphlegmone als
metastatischer Prozess aufzufassen. Einen derartigen Fall habe
ich vor wenigen Tagen seziert. Ein alter Mann, der an Prostata¬
hypertrophie. schwerer eitriger Cystitis und eitriger Epididymitis
litt und bei dem auf dem Sektionstische reichlich Streptokokken
im Blut nachgewiesen werden konnten, war mit einer aus¬
gedehnten eitrigen Infiltration der Magenwand an der Umgebung
der Kardia, längs der kleinen Kurvatur und am Fundus behaftet.
Die Schleimhaut war grob gewulstet, so dass im ersten Augen¬
blick ein diffuses Karzinom vorzuliegen schien. Auf dem Durch¬
schnitt zeigte sich die infiltrierte Wandung bis 2 cm »lick in allen
Schichten, besonders aber in den dein Peritoneum nächsthegenden
von Eiter durchsetzt, der mikroskopisch massenhaft Streptokokken
enthielt. , , ..
Ebenso wie die Gastritis phlegmonosa kann nun auch du
Larvnxplilegmone gelegentlich auf metastatischem Wege ent¬
stehen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle liegt, hier Hei-
lich eine Lokalinfektion vor und zwei Präparate, die ich kürzlich
am Sektionstische fand, gehören in diese Kategorie. Das einem» 1
handelte es sich um einen Mann, der im Anschluss an ein Gesichts¬
erysipel eine Phlegmone des Larynx und des Mediastinum bekam,
das anderem al um einen alten Mann, der nach einer günstig ver¬
laufenden Mammakarzinomoperation an einer Pneumonie zu Grunde
ging, ohne dass Erscheinungen von Sepsis Vorlagen. In einem dritten
Falle hingegen lagen die Verhältnisse anders. Eine junge F i»u
war an Puerperalsepsis zu Grunde gegangen. Wir fanden eine
diphtheritische Endometritis, Eiter in den Venen des rechten Para-
metrium. eine eiterige Thrombophlebitis der rechten Vena ovarica.
und missfarbige, bis in die Vena cava inferior reichende Thromben.
Hier fand sich eine eitrige Infiltration der Submukosa des Kehl¬
kopfeingangs. ohne dass auf der Kehlkopf- oder Rachenschleim-
haut eine Läsion wahrnehmbar war. In diesem wie in den beiden
anderen Fällen von Larynxplilegmone fanden sich in dem In¬
filtrat reichlich Streptokokken.
Diskussion: Herr Fraenkel bemerkt, dass am Magen
einige Abschnitte von der Erkrankung freigeblieben sind. Wie
war die Verteilung des lokalen Prozesses? War das Peritoneum
mitbeteiligt ?
Herr Simmonds erwidert, dass im vorliegenden Falle be¬
sonders der dem Oesophagus anliegende Teil infiltriert war, in dem
früheren Fall dagegen der Pylorusteil.
An Schnitten war das Epithel an der stärksten Infiltration
noch gut erhalten, die stärkste Ansammlung von Streptokokken
befand sich unter der Serosa. Das Peritoneum war nur am Magen
beteiligt.
Herr Mühlens hält seinen angekündigten Vortrag: Die
bisherigen Ergebnisse der Trypanosomenforschung.
Nach einleitenden historischen Bemerkungen über die Kennt¬
nis von Trypanosomen in den verschiedensten Tieren (Fischen,
Fröschen, Vögeln) geht der Vortragende auf die Schilderung des
Trypanosomas der Ratte (Trypanosoma Lewisi) näher ein und
demonstriert insbesondere den Entwicklungsvorgang desselben.
Die verschiedenen Entwicklungsstadien sind in einer Reihe von
nach künstlicher Infektion einer weissen Ratte gewonnenen
Präparaten (nach R o m a n o w s k y - N o c h t gefärbt) unter den
aufgestellten Mikroskopen zu sehen. Auch sind lebende Trypano¬
somen, darunter Entwicklungsformen eingestellt.
Die bisherigen Kenntnisse von Uebertragungsweise, Patho¬
logie, sowie Tmmunisierungsversuchen werden kurz erwähnt.
Sodann geht Vortragender zu den durch Trypanosomen ver-
anlassten schweren Viehseuchen über und schildert 1. Tsetse¬
fliegenkrankheit oder Nagana, 2. Surra, 3. Beschälkrankheit oder
Dourine und endlich 4. Mal de Caderas nach Aetiologie, Epi¬
demiologie und Pathologie. Die kleinen Unterschiede zwischen
den einzelnen Krankheiten und den sie bedingenden Trypano¬
somen werden kurz erwähnt.
Zum Schlüsse erwähnt Redner das auch in unseren Gegenden
(Oldenburg) noch vorkommende Texasfieber der Rinder, dessen
vnci Ißil
"Wn + ivp cnnrl
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie de medecine.
Sitzung vom 20. Mai 1902.
Die Gelatinediagnose des Typhus und der Typhuskeime ent¬
haltenden Gewässer.
Chantemesse hat im Juni 1901 eine Untersucliungs-
metliode des Typhusbazillus mitgeteilt, welche zur raschen Erken¬
nung desselben in suspekten Wässern und im Stuhle der Kranken
führt. Die Hauptzüge dieser Methode waren, auf karbolisiertei
Niilirgelatine oberflächliche Kolonien zu erhalten, sie in einem
mit Laktose und Tournesol versetzten Medium rein zu züchten und
dann noch die Probe mit der Serumagglutination zu machen. Gä¬
hnt nun diese Methode vereinfacht, indem er unmittelbar die Lak¬
tose und das Tournesol der Karbolgelatine zusetzte. Diese Me¬
thode gibt schon in 12 Stunden sichere Resultate, selbst in der
1319
S. August 1902. _ MUENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCIIIUET.
Hand von Personen, welche mit der Bakteriologie wenig vertraut
siud, man gebraucht nur die gewöhnlichen Mittel, deren man sich
alle Tage in den Laboratorien bedient; die Methode erleichtert in
hohem Grade die klinische Diagnose des Typhus und ermöglicht
sogar, Rückfälle vorauszusehen, und eine sehr sichere Unter¬
suchung des Rückstandes, welcher auf den Filtern von den suspek¬
ten Wässern bleibt.
Zur Behandlung der Blattern.
Barbary - Nizza hat 8 Falle von Blattern durch Verbindung
der Phototherapie mit einer peinlichen Methode lokaler
und allgemeiner Asepsis und Antisepsis behandelt. Der
Patient wird von Anfang an im roten Zimmer, welches mit roten
\ erhängen versehen und mit rotem lucht beleuchtet ist, isoliert.
Körper und Gesucht werden 2 — 3 mal täglich mit Sublimat ge¬
waschen, die befallenen Partien mit einer Salicyllösung (Natr.
salicyl. 5,0, Aqu. Laurocer., Alkohol, äa 10,0) gepinselt und jeden
Morgen ein hoher Einlauf von warmer Borlösung gegeben; inner¬
lich gibt man 2 mal täglich Karbolsäuresyrup, je nacii der Tem¬
peratur Salol und bromsaures Chinin (saloi 0,z, Chinin, bromhydr.
o,25 pro Tag auf 2 mal) und alle 2 Stunden Milch. Der Erfolg war
ein vorzüglicher, in den 8 Fällen rasche Heilung, rapider Fieber-
abfail, keine Eiterung, keine Komplikationen und nach der Des¬
quamation keine Kar Den im Gesichte.
Das Chloroform bei Herzkranken.
H u c li a r d fasste das Ergebniss der langen, früheren Dis¬
kussionen rolgendermassen zusammen. Eine Herzaftektion, wenn
sie nicht schon bis zur Asystoue gelangt ist, bildet keine Kontra¬
indikation der enioroformnarkose. Die Reinheit des uinorororms,
die Geschicklichkeit und ruumerksamkeu des ixarkotiseurs sind
wichtige Faktoren der Toleranz. Eine ausnahmsweis hochgradige
Reizbarkeit des Chloroformierten kann spezielle Erscnemuhgen von
Schock verursachen, daher der Vorteil, andere Mittel noch mit der
Narkose zu verbinden: Kokainpinselungen, Morphiunnnjeiuionen.
Die Vorzüge des Aethers sind durchaus nicht erwiesen, jedeiuans
ist derselbe bei Lungenaffektionen durchaus kontraindiziert. Man
kann also sagen: wenn der Kranke, wohl vorbereitet, einer sorg¬
sam geführten und streng überwachten Chloroformnarkose unter¬
worfen wird, so läuft er gar keine Gefahr.
Labor de erinnert an die physiologischen Experimente,
welche die Präventivwirkung einer, aus Morphium, Atropin und
Spartein bestehenden, titrierten Mischung dargetan haben.
Le Dentu und Championniere können über keine Er¬
folge aus der Praxis damit berichten.
Sitzung vom 3. Juni 1902.
Die asiatische Cholera in den ostindischen Besitzungen Frank¬
reichs im Jahre 1900.
Im ganzen wurden von Bussiöre 1297 Cholerakranke be¬
handelt, wovon 1075 gestorben sind. Diese Zahl stellt aber keines¬
wegs die Menge der Ergriffenen dar, denn viele Fälle werden
nicht angezeigt, da die Eingeborenen sich den Desinfektionsmass-
regeln, welche mit ihren Zeremonien unvereinbar sind, entziehen
wollen. Die Europäer haben keinen Todesfall, die Mestizen nur
wenige, den Haupttribut zahlten die Eingeborenen gewisser ±>e-
rufsarten, wie Ackerbauer, Weber, Getreidearbeiter, da sie erst
in letzter Stunde zu den europäischen Aerzten ihre Zuflucht
nehmen. Im sporadischen Zustande zeigt die Cholera die Form
der Cholerine, die selten tödlich ist; bei den Epidemien herrscht die
foudroyante Form vor, mit häufigen Fällen von trockener Cholera,
ohne Diarrhöe. Die Heftigkeit, mit welcher die Cholera bei den
Hindus herrscht, hängt mit ihrer gründlichen Verachtung der
Hygiene und ihrer Ernährungsweise mit schmutzigem Wasser zu¬
sammen. Die Ansteckung geschieht durch die Berührung mit den
Kranken, durch die Strohmatten und die Gebrauchsgegenstände
der Cholerakranken, welche unmittelbar nach deren Tod von den
Ueberlebenden wieder benützt werden, ohne desinfiziert worden
zu sein.
Sitzung vom 10. Juni 1902.
Allgemeine Anästhesie mit Chloräthyl.
Malherbe und Roubino witsch zeigen auf Grund
ihrer experimentellen und klinischen Versuche, dass das Chlor¬
äthyl, nicht vermittels der Maske, sondern einer Kompresse ge¬
geben, ein sehr gutes, allgemeines Narkotikum ist. Dieses Mittel
bietet eine Reihe von Vorteilen, in erster Linie die Einfach¬
heit, da spezielle Apparate, die mehr weniger belästigend oder
unsauber sind, nicht notwendig sind, sondern eine einfache Kom¬
presse und einige Tuben Chloräthyls genügen, um eine Narkose
hervorzurufen, welche zu einer grossen Anzahl kurzdauernder Ein¬
griffe hinreicht, die absolute Unschädlichkeit infolge der
ganz geringen Menge der zur Anästhesie notwendigen Flüssigkeit
— 2 — 3 ccm — und schliesslich die Schnelligkeit, mit welcher
man ohne Nebenwirkungen die Narkose erzielt. Verfasser ver¬
wenden nun statt Bromäthyl, welches sie in den letzten Jahren in
ca. 4000 Fällen angewandt haben, ausschliesslich das Chloräthyl,
und zwar besonders, wenn es sich um eine schwierige Unter¬
suchung bei sehr empfindlichen Personen oder ungeschickten Kin¬
dern handelt, bei Reduktion von Luxationen, Frakturen, bei Ent¬
bindungen. Zur Einleitung der Anästhesie bei der Mischnarkose ge¬
geben, unterdrückt das Chloräthyl dieGefahren des am Anfänge der
Chloroformnarkose stets tödlichen Schocks und die Menge des
Chloroforms, welches zur Fortsetzung der Narkose notliwendig ist,
wird auf diese Weise bedeutend reduziert, woher viel gering-
gradigere Folgeerscheinungen (Magenstörungen u. s. w.) " resul¬
tieren.
Laborde drückt im Namen der Kommission über den
Alkoholismus das Bedauern aus, dass im Gegensatz zu den
im Parlamente angeregten Wünschen (Entwurf Vaillant) die
Akademie noch nicht vom Minister über die giftigen und gefähr¬
lichen alkoholischen Getränke, welche vollständig verboten wer¬
den sollten, befragt worden sei. Es sind dies nach L. s Ansicht:
1. der Absinth, 2. der Bitter, 3. Vermouth, 4. die sogen. Amara,
5. Nussliqueure, 6. Chartreuse, 7. Anisette, 8. Wachholder und
9. sogen. Wundkraut. L. bringt eine ausführliche Beweisführung
über die Schädlichkeit dieser Liqueure und macht im Namen der
Kommission folgende Vorschläge.
1. Die genannten Getränke (Liqueure, Aperitive) und ihre
Essenzen und Produkte sind für den gewoknheitsmässigen Ge¬
brauch als sehr schädlich und gefährlich zu erklären.
2. Auf diese Getränke die schon bestehenden gesetzlichen Vor¬
schriften auszudehnen, indem deren Herstellung, Weiterverbrei¬
tung und öffentlicher Verkauf zu verbieten ist.
3. Diesen Bericht und dessen Schlüsse den öffentlichen Be¬
hörden und dein Parlamente mitzuteilen.
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Bayerischer Landtag.
Wie bereits berichtet, hat die bayerische Kammer der Ab¬
geordneten den Beschluss gefasst: „Es sei die k. Staatsregierung
zu ersuchen, in dem nächsten Etat eine Position für Errichtung
eines Lehrstuhles für Homöopathie an der Universität
München oder an einer anderen bayerischen Universität vorzu¬
sehen“.
Der diesbezügliche Antrag war gestellt von dem Referenten
für die ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung, dem Ab¬
geordneten v. Landmann, Bürgermeister in Giinzburg. Für
den Antrag stimmten 51 Abgeordnete mit ja, 41 mit nein, 66 .waren
nicht anwesend. Von den 3 Aerzten, die der Abgeordnetenkammer
angehören, stimmten Dr. 11 a u b e r dagegen und Dr. Frhr.
v. Haller dafür, Dr. Gäcli war entschuldigt abwesend. Der
Antragsteller, der als Anhänger der Homöopathie ein solches
Renommee geniesst, dass einem Bewerber um die Bezirksarzt¬
stelle bei seinen persönlichen Erkundigungen in Giinzburg von
seinem Vorhaben abgeraten wurde, begründete seinen Antrag
damit, dass die Homöopathie auf vollständig wissenschaftlichem
Boden stehe, schon seit 100 Jahren wirke, so viele Anhänger
im Volke und viele Aerzte J) in ihren Reihen habe und dass in
Amerika auf den Universitäten Lehrstühle für Homöopathie längst
bestehen; es werde „beinahe für jeden Knochen noch ein Spezialist
aufgestellt“, da sei es „nicht zu viel verlangt, wenn endlich einmal
für diese Sparte eine Professur errichtet würde“. Die medizini¬
schen Fakultäten seien allerdings dagegen, eben weil sie in der
Hauptsache keine Kenntnis von der Homöopathie hätten; für sie
gelte alles nicht, was man nicht riechen, nicht messen, nicht wägen
und zählen kann. Die neue Lehrkraft müsse nicht gerade sofort
ein Professor sein, es genüge zunächst ein Privatdozent, aber
unter allen Umständen müsse es ein Mann sein, der voll und ganz
auf dem Boden der Homöopathie stehe; denn wenn mit dieser
Lehre ein Mann beauftragt würde, der von der Homöopathie nur
verstehe, was er in Büchern gelesen hat, und ihr fremd gegen¬
überstehe, das hiesse den Bock zum Gärtner machen oder helfe
gerade so viel, wie wenn die Katze ihren Jungen einen Vortrag
über Vogelschutz halte. Es sei wünschenswert, den Lehrstuhl
oder die Professur in München zu errichten, weil hier eine homöo¬
pathische Privatklinik bestehe und der jeweilige Dozent seinen
Hörern auch klinische Unterweisungen am Krankenbett geben
könne
Bei der Besprechung im Plenum teilte der Kultusminister
Dr. v. Landman n zunächst den vollständig ablehnenden Stand¬
punkt der 3 medizinischen Fakultäten Bayerns mit. Dieselben
seien von ihm zwar darauf hingewiesen worden, dass in Amerika
’) Der ärztliche Schematismus für das Jahr 1902 verzeichnet
in Bayern 9 homöopathische Aerzte, davon 5 in München, 2 in
Würzburg und je 1 in Regensburg und Landshut. — Der Lehrer
der Homöopathie in Pest hatte in den letzten 5 Jahren im ganzen
einen Zuhörer.
=) Das Lehrmaterial wäre ein sehr geringes; im Krankenhause
des homöopathischen Spitalvereins in München^ wurden im
Jahre 1899 — 38 Personen mit durchschnittlich 67 tägiger Auf¬
enthaltsdauer und 5 Todesfällen und im Jahre 1900 — 44 Personen
mit durchschnittlich 62 tägiger Aufenthaltsdauer und 4 Todes¬
fällen verpflegt. Im Krankenhause München 1/1. war in diesen
beiden Jahren die durchschnittliche Verpflegungsdauer 22,6 und
21,9 Tage und der Prozentsatz der Gestorbenen 5,1 und 4,9. Dass
die Homöopathie schneller, sicherer und billiger heile, lässt sich
jedenfalls aus diesem Vergleiche nicht folgern.
1320
MUENCHENEK MEDICINISCIEE WO CHEN SCHRIET.
No. 31.
habe <lev Referent für das
G r a s li e v. folgendes
v.
dem Ende
einer Zeit,
von natur¬
eine besondere medizinische Universität für die Pflege der Homöo¬
pathie bestehe, und aufgefordert worden, die betreffenden Eni-
rklitungen zu studieren: es sei aber (liesri* Hinweis ohne Hrfol.u
geblieben. Es hätten alle 3 Fakultäten in eingehender Begründung
dargelegt, dass die Homöopathie einer wissenschaftlichen Grund¬
lage entbehre, und sie hätten gegen die Errichtung einer eigenen
Professur für dieses Fach oder auch nur gegen die Erteilung eines
Lehrauftrages protestiert (Der Standpunkt der medizinischen
Fakultät in Würzburg ist in No. 12 dieser Wochenschrift von
K u n k e 1 begründet — siehe auch die Ausführungen von Cloetta
auf S. 28 dieses Jahrganges.) Ferner
Medizinalwesen. Obermedizinalrat Di
Gutachten abgegeben:
..Die Heilmethode Hahuemanns stammt aus
des 18. und dem Anfänge des 1!). Jahrhunderts, aus
in welcher die Medizin noch sehr im argen lag und
philosophischen Doktrinen und Systemen beherrscht wurde. Im
Gegensatz zu der Forderung Galen s „contraria contrariis enren-
tur" stellte H ahnemann den Satz „similia similibus curentur“
an die Spitze seiner Doktrin und aus dem o/uoia i'^oioig entstand
der Name Homöopathie im Gegensätze zu der damals herrschenden
Heilmethode der Allopathie. Schroff standen sich von da an die
Homöopathen und Allopathen gegenüber und bekämpften sich
mit allen Mitteln der Dialektik. Hali ne manu hat unstreitig
das Verdienst, eine einfachere, rationellere und schonendere An¬
wendung der Arzneimittel eingeführt zu haben auf Grund sorg¬
fältiger Beobachtung der Krankheitserscheinungen und der 1\ ir-
kung der einzelnen Arzneimittel auf den gesunden Menschen.
Trotzdem kann man heutzutage nach Ablauf eines Jahrhunderts
seit II a h n e m a n n s Auftreten mit Sicherheit sagen, dass (las
Axiom der Homöopathen ebenso unhaltbar und unwissenschaftlich
war. wie das der Allopathen und dass der tatsächliche Fortschritt
der Medizin von keiner der beiden Schulen ausging, sondern dem
engen Anschlüsse der Medizin an die exakten Naturwissen¬
schaften zu verdanken ist. Unbekümmert um den unfruchtbaren
Streit der Allopathen und Homöopathen bediente sich die wissen¬
schaftliche Medizin der exakten Forschungsmethode, der natur¬
wissenschaftlichen Disziplinen und blieb fortan im engen Kontakt
mit denselben. Die moderne Medizin ist weder Allopathie noch
Homöopathie. Die sog. Allopathie ist längst verschwunden und
auch die Homöopathie hat, vom wissenschaftlichen Standpunkt
aus betrachtet, keine Existenzberechtigung mehr. Den modernen
Medizinern ist es gleichgiltig, ob die Methode der erfolgreichen
Bekämpfung der Wundkrankheiten, des Woclienbetttiebers, des
Weehselliebers, des Typhus, der Diphtherie, der Blattern etc. für
die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des allopathischen oder des
homöopathischen Grundsatzes spricht. Der moderne Mediziner
weiss. dass diese Erfolge keinem der beiden Axiome zu verdanken
sind, und schreitet demgemäss unbeirrt weiter auf dem Wege
exakter Naturforschung, welche ihn aufklärt über Wesen und
Ursachen der Krankheiten, welche ihm die Krankheitserreger ad
oculos demonstriert, ihre Lebensbedingungen kundgibt und den
Weg zeigt, auf welchem die Krankheitserreger im menschlichen
und'' tierischen Organismus und ausserhalb desselben zu vernichten
sind. Auf den deutschen Hochschulen wird weder Allopathie
noch Homöopathie gelehrt, sondern wissenschaftliche Medizin,
und keinem Dozenten einer deutschen medizinischen Fakultät
fällt, es ein, sich Allopath oder Homöopath zu nennen. Einen
Lehrstuhl für Allopathie zu errichten, wäre ebenso lächerlich, wie
die Errichtung eines solchen für Homöopathie; beide gehören der
Geschichte der Medizin an, denn der Standpunkt beider ist heut¬
zutage glücklicherweise vollständig überwunden.“
In den weiteren Ausführungen des Kultusministers prägen
sich Nichtachtung fachmännischer Urteile. Rücksichtslosigkeit
gegen die Universitäten und geringes Verständnis von der Be¬
deutung der akademischen Hochschulen deutlich aus: „Ich brauche
kaum auszuführen“, fuhr er fort, „dass ich mich, namentlich was
den letzten Satz betrifft, nicht vollständig mit diesem Gutachten
identifiziere, weil ich selbstverständlich niemanden beleidigen
wollte, ebensowenig wie es auch Herrn Obermedizinalrat
Dr. v. Grashey bei seiner scharfen Ausdrucksweise ferne gelegen
sein wird, irgend jemand der Lächerlichkeit zu zeihen; aber Sie
werden begreifen, m. H., dass angesichts eines so scharfen Gut¬
achtens ich gegenüber dem Anträge, der gestellt worden ist.
einen sehr schwierigen Standpunkt habe, zumal das Gutachten
' des Obermedizinalrats Dr. v. Grashey durch die Gutachten
der 3 Fakultäten gestützt ist. Aber anderseits will ich mich dem
Anträge gegenüber nicht absolut ablehnend verhalten; denn der
Gedanke, den der Herr Abgeordnete v. Landmann aus¬
gesprochen hat, dass die Regierung eine Idee, die nun zweifellos
viele Anhänger habe, im Volke sowohl wie unter den Aerzten, nicht
ohne weiteres abweisen könne, diesen Gedanken muss ich als be¬
rechtigt anerkennen. Es handelt sich überdies auch um eine Sache,
die jedenfalls dem Staate, wenn sie durchgeführt wird, nur wenig
Mittel kosten und unter allen Umständen den Universitäten auch
nicht schaden wird; denn wenn die Homöopathie nichts wäre, so
tut es jedenfalls den Universitäten nicht wehe, wenn jemand mit
einem Lehrauftrage für Homöopathie versehen wird. Ich kann
eine definitive Stellung zu dem Anträge noch nicht einnehmen, ich
muss mir vielmehr eine weitere Erwägung Vorbehalten.“
Mit diesen Grundsätzen könnte man auch den Erfinder des
Reibesitzbades, den Lehmpästor und den Schäfer Ast an eine
bayerische Universität berufen. Wenn der Kultusminister es
wagen würde, auch bei Besetzung der theologischen, philo¬
sophischen und juristischen Lehrstühle seine obigen Anschauungen
zu verwirklichen, dann würde sich gewiss ein Sturm der Ent¬
rüstung in der Abgeordnetenkammer erhoben hatten. Die Aerzte
aber sind, wie Loebker auch bei dem diesjährigen Aei ztet.ige
konstatieren musste, daran gewöhnt, in den Parlamenten schlecht
behandelt zu werden und dort einen ausserordentlichen Mangel
an Kenntnis der ärztlichen Angelegenheiten und eine nicht geringe
Missachtung ihres Standes zu finden.
Vor der Abstimmung ergriff noch der Abgeordnete
Dr. H anher das Wort, um in Kürze die Grundprinzipien der
Homöopathie auseinanderzusetzen. Die Anschauung der Homöo¬
pathen, dass die Krankheiten durch künstlich erzeugte Arznei¬
krankheiten geheilt werden, sei nicht aufrecht zu erhalten und
sei eigentlich ein pliarmakognostischer Unsinn: der Schluss, dass
durch die Verdünnung die Macht des Arzneimittels erhöht werde,
„ehe gegen alle Naturgesetze; der homöopathische Professor müsse
sich in Widerspruch zu den naturwissenschaftlichen Gesetzen
stellen urd richte dadurch bei den jungen Medizinern, in der Folge
auch bei den Kranken, grossen Schaden an: unter den Horn >o-
pntlien selbst bestehe keine einheitliche Anschauung: die Er¬
richtung eines Lehrstuhles sei eine Sünde gegen die Wahrheit.
Der Abgeordnete Sir dagegen nannte es eine Rückständig¬
keit der deutschen Staaten, das System „Hahnemann“ zu
ignorieren, hob die schönen Erfolge der zur Volksheilkunde ge¬
wordenen Homöopathie hervor, meinte, die Anfrage bei den medi¬
zinischen Fakultäten komme ihm ähnlich vor, als wenn man den
Teufel über die Schönheit der Hölle frage; man solle es jedem
Mediziner ermöglichen, die beiden sich widerstreitenden Heil¬
methoden an der Universität eingehend zu studieren, und bat den
Kultusminister, sich nicht beirren zu lassen. In seinem Schluss¬
worte brachte der Antragsteller, Abgeordneter v. Laudma n n,
keine neuen Gesichtspunkte mehr vor. Er pries das gelobte Land
Amerika mit seinen 25 homöopathischen Lehrstühlen und
12 000 homöopathischen Aerzten und erklärte, obwohl zugestan-
denermassen „ihm absolut das Zeug dazu fehlt“, die Sache wissen¬
schaftlich zu begründen, den Standpunkt der Fakultäten und des
Obermedizinalrates für nicht wissenschaftlich richtig; nach einem
Seitenhiebe auf die Bakteriologie führte er aus, sein Antrag be¬
zwecke nicht, dass vom Parlament aus gesagt werden soll, die
allein richtige Heilkunde sei die Homöopathie, aber er gebe sich
der Hoffnung hin, dass gerade durch die Homöopathie, wenn
sie wissenschaftlich weiter verfolgt werde, einstens einmal eine
vollkommene Heilkunde zu erlangen sei; der Minister möge in
diesem Falle seines Amtes walten und endlich einmal dazu helfen,
dass die Homöopathie aus ihrer Aschenbrödellage herauskomme.
Die Abstimmung ergab das oben mitgeteilte Resultat. Ob
die Kammer der Reichsräte diesem Beschlüsse zustimmen wird,
ist zunächst noch zweifelhaft (ist unterdessen leider geschehen,
Red.), auch dort war vor 2 Jahren von dem Reichsrate Frlir.
v. Soden die Errichtung eines homöopathischen Lehrstuhles an¬
geregt worden.
Was der Abgeordnete v. L a n d m a n n über die Lage der
Homöopathie in Deutschland sprach, entspricht nicht den tatsäch¬
lichen Verhältnissen. Die Homöopathie befindet sich keineswegs
in einer Aschenbrödellage, im Gegenteil, die homöopathischen
Aerzte gemessen in mehreren deutschen Bundesstaaten, vorab in
Preussen, eine grosse Vergünstigung vor den übrigen Aerzten da¬
durch. dass sie — in Preussen nach Ablegung einer Prüfung —
homöopathische Arzneien selbst abgeben dürfen. Sie brauchen
dabei nicht zn beeidigen, dass sie waschechte Homöopathen sein
und bleiben wollen, sie dürfen daneben auch nach der sog. Schul¬
medizin kurieren und es ist eine Ironie des Schicksals, (lass schon
Homöopathen wegen Fahrlässigkeit und Arzneivergiftung ver¬
urteilt worden sind. Während jeder andere Arzt bestraft wird,
wenn er ausser in Notfällen Arzneien abgibt, darf sein homöo¬
pathischer Kollege als Arzt und zugleich als Apotheker erwerbs¬
tätig sein. Dieser wirtschaftliche Vorteil ist jedenfalls die Ur¬
sache, warum ausserhalb Bayern, das diese Vergünstigung nicht
hat, die Zahl der Homöopathen etwas grösser ist. Man nehme
ihnen dieses unbegründete Vorrecht und ihre Zahl wird lasch
kleiner werden.
Auch das ist nicht richtig, was im Landtage und bei sonstigen
Gelegenheiten vorgebracht wurde, dass die Homöopathie durch
staatliche Massnahmen unterdrückt und künstlich niedergehalten
werde. Eine derartige Behauptung muss in einem Lande, w o
die üppigste Kurierfreiheit herrscht, Kopf schütteln hervorrufen.
Weder in der Ausübung der ärztlichen Praxis, noch in der wissen¬
schaftlichen Betätigung sind ihre Anhänger im geringsten be¬
hindert; es wird das nur immer behauptet, um dem Publikum
Sand in die Augen zu streuen und die eigene Unfähigkeit zu ver¬
decken. Die Anhänger der Homöopathie haben die medizinische
Wissenschaft auch nicht um eine bescheidene Entdeckung be¬
reichert. sie haben bei (len riesigen Fortschritten ärztlichen M issens
und Könnens nichts gelernt und nichts vergessen, sie beharren
noch auf ihrem alten, längst als unrichtig erwiesenen Standpunkte
und sind bei den grossen, von den Aerzten inaugurierten, hygieni¬
schen Bestrebungen untätig beiseite gestanden, sie haben sogai
der Kurpfuscherei Vorschub geleistet, indem sie das schwierige
Studium der Medizin gering achten und tun, als ob eine Büchse
Streukügelchen in der Westentasche grössere Wunder zu w irken
vermöge als die ganze medizinische Wissenschaft.
Trotz aller öffentlichen und geheimen Reklame, trotz der
Befürwortung in sog. gebildeten Kreisen, trotz der staatlichen
Unterstützung durch die Dispensierbefugnis geht die Homöopathie
zurück, das Publikum wendet sich von ihr ab. Nachdem es du
5. August 1902.
MüENCHENER MEHlCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
aus innerer Ursache überhaupt unmöglich ist, durch praktische
Erlolge oder durch eigene wissenschaftliche Kräfte und Vertreter
in der Wissenschaft durchzu-
1321
ihrer Ideen sich zu einer Stellung
ringen, soll die bayerische Staatsregierung ihre Autorität und ihre
Mittel dazu hergeben, das sinkende Schiff zu retten und der
Homöopathie durch Errichtung eines Lehrstuhles Anschein Be¬
deutung und Stellung einer wissenschaftlichen Richtung zu geben
v . Auch Baden und Württemberg haben die homöopathischen
) ‘llmllclies Verlangen an die Staatsregierung gestellt und
in W urttemberg auch die Zustimmung der Abgeordnetenkammer,
lucht jedoch die der Kammer der Standeslierren gefunden. Wie die
bayerischen Universitäten, protestierten die medizinischen Fakul¬
täten zu Heidelberg, Freiburg und Tübingen energisch gegen die
Errichtung eines homöopathischen Lehrstuhles und in erfreu¬
lichem Gegensätze zu dem bayerischen Kultusminister haben beide
Regierungen, eben weil es sich um eine wissenschaftliche An¬
gelegenheit handelt, auf die Anschauungen der Universitäten ge¬
hört und dem Ansinnen eine weitere Folge nicht gegeben.
Dr. Carl Becker.
Gerichtliche Entscheidungen.
Mehreren Fuhrleuten war zur Last gelegt worden, sich gegen
eine I olizeiverordnung vergangen zu haben, indem sie im Trabe
durch eine Strasse fuhren, wo die Privatklinik eines Arztes Ko¬
der an der Universität dozierte. Die Strafkammer erkannte auf
Freisprechung, weil die erwähnte Polizeiverordiiung ungiltig sei.
Die Staatsanwaltschaft, die dagegen Berufung einlegte° be¬
hauptete, die erwähnte Vorschrift der Polizeiverordnung sei rechts-
giltig, denn die fragliche Bestimmung sei in einer Universitäts¬
stadt im Interesse der Heilkunde erlassen worden. Das Kammer¬
gericht erkannte indessen auf Zurückweisung mit der Begründung
die erwähnte Vorschrift, wonach vor der fraglichen Klinik nicht
im Trabe gefahren W'erden dürfe, sei nicht reclitsgiltig und finde
mi 1 olizeiverwaltungsgesetz keine rechtliche Stütze; dieses Gesetz
wolle nur die öffentlichen Interessen schützen. Im vorliegenden
Falle handle es sich aber um eine Privatklinik.
Die Frage prinzipieller Natur, ob das Wort „Spezialist“ einen
arztahnlichen Titel darstellt, ist dieser Tage vom Oberlandes-
gerielit Jena in verneinendem Sinne entschieden worden. Ein Spe¬
zialist für Massage in Eisenach, Eduard Menzel, der diesen Titel
schon seit 20 Jahren führt, war auf Veranlassung des dortigen
Aeizter eieins mit einem Strafmandat bedacht worden weil nach
Ansicht des genannten Vereins das Wort „Spezialist“ derart auf¬
gefasst werden könne, als ob derjenige, der diesen Titel führt
ärztlich approbiert wäre. Gegen den Strafbefehl wurde Wider¬
spruch erhoben, dem das Eisenacher Schöffengericht aber nicht
entsprach, sondern es setzte eine Strafe von 5 M fest Die Be¬
rufung beim Landgericht hatte den Erfolg, dass dieses auf kosten¬
lose I reisprechung erkannte. Gegen dieses Urteil erhob die Staats¬
anwaltschaft das Rechtsmittel der Revision beim Oberlandes-
geiicht in Jena, das aber dem Landgericht Eisenach Recht gab
und den Spezialisten kostenlos freispracli. (Voss. Ztg.)
Im Jahre 1900 sind an Entschädigungsbfträgen
"e,lie“si Berufsgenossenschaften gezahlt worden
K 0 <9 365.03 M. (gegen 70 790111.64 M. im Vorjahre), seitens der
Ausfuhrungsbehörden 7 291208.88 M. (gegen 6 703 795.58 M. im
V orjahre), seitens der Versicherungsanstalten der Baugewerks-
Berufsgenossenschaften 1 279 372.77 M. (gegen 1 186 725.30 M. im
Vorjahre), mithin seitens sämtlicher Träger der Unfallversiche-
nmg SG 649 946.18 M. (gegen 78 6S0 632.52 M. im Vorjahre).
i i- i)ie. Gesamtsumme der Entschädigungsbeträge (Renten etc.)
belief sich: i ’
im Jahre 1900 auf 8G'649,946.18 X
„ „ 1899 „ 78'680,632.52 „
„ „ 1898 „ 7 PI 08, 729. 04 „
» „ 1897 „ 63'973, 547.77 „
» „ 1896 „ 57154,397.53 „
« „ 1895 „ 50125,782.22 „
,, „ 1894 „ 44'281, 735.71 „
„ „ 1893 „ 38163,770.35 „
» „ 1892 „ 32'340, 177.99 „
„ „ 1891 „ 26126,377.00 „
„ „ 1890 „ 20'3 15,319.55 „
» „ 1889 „ 14164,303.15 „
„ „ 1888 „ 9'681, 447.07 „
,, „ 1887 „ 5'932, 930.08 „
» „ 1886 „ 1'915,366.24 „
_lo Beciinet man zu dem obigen Betrage von 86 049 940.1S M. die
fiV0StGn, (ler Fürsorge innerhalb der gesetzlichen Wartezeit ge-
-ahlten <01013.95 M., so entfallen auf jeden Tag im Jahre 1900
äwas mehr als 239 000 M., welche den Verletzten oder ihren
Hinterbliebenen zu gute gekommen sind.
i .. 1)1,0 Anzahl der neuen Unfälle, für welche im Jahre 1900 Ent-
ioc<','>pSUUgen ^estgostellt wurden, belief sich auf 107654 (gegen
,r,’l'> 1111 Vorjahre). Hiervon waren Unfälle mit tödlichem Aus-
Un Sc , (8'egGU 8124 im Vorjahre). Unfälle mit mutmasslich
iabr i e^.V°Ulger Erwerbsunfähigkeit 1390 (gegen 1326 im Vor-
v* n). Die Zahl der von den getöteten Personen liinterlassenen
entschädigungsberechtigten Personen beträgt 17 216 (gegen 16 076
nn V oijahre). Darunter befinden sich 5540 Witwen w-- ,
if ®“a°f Verwandte der nutsteigenden Linie
<2S.». Die Anzahl sämtlicher ,nr Anmeld, mg getaugten Unfälle
im Vorjahre).
— otiui LJ U ilt* L
beträgt 454 341 (gegen 443 31;
„ , •-> - - nj.il 1 V7 J
(Die Berufsgenossenschaft 1902, N
o. 2.)
Kr.
Die Gesehäfte der öffentlichen Untersuchungs-Anstalten
für Nahrungs- und Genussmittel für das Jahr wol
Uebersicht I.
Untersuchungs¬
gegenstände
(Proben)
Zahl
im
.Tahre
1901
im
Vor¬
jahre
Zahl der
Bean¬
standungen
Bezeichnung der Auf¬
traggeber
’P §
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'ä’S ce
10
I. Königliche Untersuchungsanstalten:
18250
| 18007 1 252 1 = 13,8% 69 | 17705 | 476
| 209 | — |
18 |
783
24839
b) München.
| 18579 1 2448 1) = 9,8°/o| 66 | 24629 | 144
| 165 | 1 |
23 |
717
13383
c) Würz b u rg.
14029 [1501 = ll,2°/o| 32 | 13086 | 265
1 21 | — |
20 |
416
II. Gemeindliche Untersuchungsanstalten:
3357 |
d) N ürnberg.
2910 |430 = 12,8°/o | 2 | 3245 | 110
|218 |_|
60 |
1088 |
e) Fürth.
1075 | 45 = 4,lo/o | 6 | 1054 | 28
- 1-1
3 1
III. Kreis-Untersuchungsanstalt :
f) Speyer.
3611 1693 506 = 15,6% | 61 | 3281 | 269 1 26 I
64528 | 56293 751 l=ll,6,>/o-)
Im Vorjahre (11,4 °/o)
17 I' 351
236
(200)
630 d0 1202
639 I
(54856) j (1237) (496) (2)
Uebersicht II
141 2267
(110)1(1931)
Untersuchungsgegenstände
t- fl _
<D 5 fl
Untersuchungsgegenstände
in fl
(Proben)
TD -2 fl
CO bl
3 § E
(Proben)
^ hn
Ul bl
Zahl
Bezeichnung
<3 0? — j
Npq^5
Zahl
Bezeichnung
-3 § 3
A. Nalirungs- und
10
Obstwein ....
4
Genussmittel und
27
Petroleum
1
Gebrauchsgegen-
149
Speiseöl .
1
stände.
216
Thee .
9
1970
Bier .
333
1794
Wasser .
672
451
Branntwein und Likör
10
827
Wein, Most ....
150
3770
Brot ....
606
7082
Wurst- und Fleisch-
883
Kakao, Schokolade .
38
307
waren .
738
1255
Konservren . . .
235
Zucker und Syrup
16
3430
Essig . . .
794
3255
Sonstige Gegenstände
310
4197
Fabrikate aus Mehl
64286
Summa A
7486
und Zucker
515
868
Farben .
13
B. Technische
Analysen.
2498
1608
Fette (Butt., Schmalz etc.)
Fruchtsäfte u. Limon.
224
719
15n5
Gebrauchsgrgenstände
168
4
Laktodensimeter . .
4
12281
Gewürze .
617
20
Leuchtgas ....
—
67
Hefe .
17
218,
Sonstige Gegenstände
21
132
Honig . . .
10
242
Summa B
25
905
Käse . . .
41
1
531 L
Kaffee, Kaffeesurrogate .
360
1817
2445
Kochgeschirre . . .
Mehl .
111
36
Zusammenste llung.
852
Metallgeräte .
234
3428G
Summa A
7486
4170
Milch und Rahm . .
476
242
« B
25
204
Minerahvasser . . .
28
61528
Gesamtsumme 1
7511
)) Dazu kommen noch 2002 Fülle von Verfehlungen gegen ober- und orts¬
polizeiliche Vorschriften und 185 Fälle von Verfehlungen in Bezug auf Arzneien
und Gifte.
2) YVerdcn die auf 1791 Wasseruntersuchungen treffenden 672 Beanstandungen
ausgeschieden — weil es sich liier nicht um Verfehlungen gegen das Nahrungs¬
mittelgesetz oder damit in Zusammenhang stehende Gesetze handelt — , .so
reduziert sich der Prozentsatz der Beaustandungen auf 10,9 Proz.
1322
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ü n c h e n, 5. August 1902.
— Die Prüfung für den ärztlichen Staats¬
dienst in Baye r n, welche unter dem Vorsitz des k. Ober¬
medizinalrates Prof. Dr. v. G r ashe y im k. Staatsministerium
des Innern vorgenommen wurde, erreichte in der vorigen Woche
ihr Ende. Der Prüfung unterzogen sich im ganzen 59 approbierte
Aerzte; 3G Herren erhielten Note 1, 2,5 die Note 2.
— Die seit längerer Zeit strittige Frage, ob die Heil¬
anstalten für Nerven- und Geisteskranke g e -
w e r b e Steuer p f 1 i c h t i g seien, ist jetzt durch ein Erkennt¬
nis des G. Senats des preussdschen Oberverwaltungsgerichtes vom
April 1902 in einem für diese Anstalten günstigen Sinne ent¬
schieden worden. Das Oberverwaltungsgericht erkennt an, dass
lediglich der Zweck des Unternehmens für die Beurteilung der
Steuerpflichtigkeit entscheidend sei. Dient der Anstalts¬
betrieb als Mittel zu m Z w eck der irre n ä rzt-
liehen Tätigkeit, so ist die Gewerbesteuer-
p f 1 i e h t nach § 4 No. 7 des Gewerbesteuergesetzes vom 24. Juni
1S91 ausgeschlossen. Diese Entscheidung steht im Gegen¬
satz zu dem bisher von der Regierung beobachteten Verfahren
bei der Steuereinschätzung.
_ I>ie städtischen Kollegien von Kiel haben beschlossen, die
Zulassung ärztlicher Praktikanten bei der städt.
Krankenanstalt zu genehmigen, mit der Massgabe, dass jeder
Praktikant für Beköstigung 2 M. für den Tag an die Verwaltung
zahlt und ein möbliertes Zimmer kostenfrei erhält.
_ Am 28. Juli a. c. fand in der Kreisirrenanstalt München
eine Versammlung von bayerischen Irrenärzten statt, welche ein¬
stimmig die Gründung eines „Vereins bayerischer Psycli-
iate r“ beschloss zu Pflege und Förderung der theoretischen und
praktischen Psychiatrie mit besonderer Berücksichtigung der öffent¬
lichen Fürsorge für psychisch Kranke. Die auf Einladung von
Dees- Gabersee und V o cke - München aus allen Teilen Bayerns
erschienenen Teilnehmer sicherten einmütig ihre Mitarbeit und
Unterstützung zu, legten nach eingehender Beratung die Satzungen
fest und beschlossen, die erste wissenschaftliche Tagung um
Pfingsten 1903 in München abzuhalten. Der Verein hat seinen
Sitz in München. Zum Vorsitzenden für das 1. Jahr wurde
V o c k e - München, als Stellvertreter R e h m - Neufriedenheim ge¬
wählt. . .
_ Dem Pensionsverein für Wittwen und Waisen bayerischer
Aerzte wurde von Geheimrat Prof. v. V in ekel eine Spende lon
500 Mark, von dem freiresignierten k. Bezirksarzt Dr. K u m m e r
in München eine solche von 200 Mark zugewendet.,
— An der Universität Greifswald finden Fortbildungskurse
für praktische Aerzte vom 13. bis 25. Oktober d. -J. statt. Ausfühi-
liche Programme und alles Nähere durch Prof. Martin.
_ Herr Dr. W. H. Gilbert- Baden-Baden teilt uns mit, dass
auf vielfach geäusserten Wunsch hin der Termin zur Anmeldung
für die ärztliche Studienreise bis zum 15. August a. c.
verlängert worden ist.
— Herr Landgerichtsarzt a. D. Dr. R e h m, früher in Regens¬
burg, jetzt in München, feierte sein 50 jähriges Doktorjubiläum.
_ In Hamburg findet vom 2. — 10. Mai 1903 eine Allge¬
meine Ausstellung für hygienische Milchver¬
sorgung statt.
_ Pest. In Odessa sind bis zum 2G. Juli 4 pestartige Er¬
krankungen gemeldet. — Aegypten. In der Zeit vom 11. bis
17. Juli sind 17 Erkrankungen (und 7 Todesfälle) an Pest an¬
gezeigt, davon 12 (4) in Alexandrien, 1 (1) in Tukh und 4 (2) in
Damanhur. — Hongkong. In der Zeit vom 1. bis 14. Juni sind
92 Pesterkrankungen mit 91 Todesfällen zur Anzeige gelangt. —
Queensland. Den amtlichen Ausweisen zufolge sind in der Woche
vom 25. bis 31. Mai 4 Erkrankungen und 1 Todesfall an Pest in
Brisbane festgestellt, vom 1. bis 7. Juni dagegen ist kein neuer
Fall gemeldet worden. — In Kalkutta sind in der Woche vom 15.
bis 21. Juni 56 Personen an der Pest gestorben.
_ Pocken. Grossbritannien. In Swansea und Umgebung
sind die Pocken in letzter Zeit in epidemischer Weise aufgetreten.
Die Zahl der Erkrankungen hat dort bis Mitte Juli 137 betragen;
von diesen sind etwa 18 Proz. tödlich verlaufen. Keiner der Er¬
krankten war in den letzten 15 — 20 Jahren geimpft worden. Am
15. Juli befanden sich noch 49 Blatternkranke iu dem für sie ein¬
gerichteten Hospital in Behandlung.
. _ in der 29. Jahreswoche, vom 13. bis 19. o uli 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Ludwigshafen mit 42,5, die geringste Charlottenburg mit
9,3 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Oberhausen, an
Masern in Flensburg, Mülhausen i. E., Oberhausen, Remscheid.
(Hochschulnachrichten.)
P» e r 1 i n. Zeitungsnachrichten zufolge ist als Nachfolger
Gerhardts in erster Linie Geh. Rat v. Leube- Würzburg
in Aussicht genommen.
Greifswald. Prof. A. Marti n, Direktor der Frauen¬
klinik, hatte wie alljährlich zum Semesterschluss die Professoren,
Dozenten, Assistenten und sämtliche klinischen Semester der Stu¬
dierenden der medizinischen Fakultät zu einem Frühschoppen in
sein gastfreies Ilaus geladen, der in feuchtfröhlichster Stimmung
verlief.
Leipzig. Dr. med. Frhr. v. Lesse r, der Mitbegi linder
des Centralblattes für Chirurgie, vollendete am 27. Juli er. das
25. Jahr seiner chirugischen Lehrtätigkeit an der I niversitat
Leipzig.
Bo logn a. Der Professor an der med. Fakultät zu Messina,
Dr. E. T r i c o m i, wurde zum ordentlichen Professor der Chirurg.
Klinik und operativen Medizin ernannt.
C a g 1 i a r i. Der ausserordentliche Professor der 1 nysiologie,
Dr G Fasola, wurde zum ordentlichen Professor ernannt.
C a r a c a s. Dr. J. P. T a m a y o wurde zum Professor der
Chirurgie ernannt. , , , . ,.
Kope n hage n. 28 männl., 2 weibl. Studenten haben diesen
Sommer die Staatsprüfung gemacht und bestanden. Die goldene
Medaille für die medizinische Preisaufgabe der Universität
1900 _ 1901 (Methoden zur zirkulären Vereinigung durchschnittener
grösserer Arterien- und Venenstämme) ist den Aerzteu G. M. Th.
I e nsen .1. P. H a r t in a n n und V. Reinshol m erteilt wor¬
den. 1 )r. med. Israel-liosenthal, Oberarzt der medizini¬
schen Abteilung 11 des Kommunehospitals wurde zum Piofessoi
(tit.) ernannt. Dr. med. D. E. J acobson, Spezialarzt füi Neiven-
kranklieiten wurde zum Professor (tit.) ernannt. Dr. med.
C. R a s c li ist als Leiter der neuen Universitätspoliklinik tur
Haut- und Geschlechtskrankheiten an dem k. Frederikshospital
ernannt worden. Dem Professor für Anatomie an der k. Hoch¬
schule für Landwirtschaft, Dr. med. II. K rabb e, wurde die nach¬
gesuchte Enthebung von seiner Stelle unter Anerkennung seiner
erspriessliclien Leistungen bewilligt. Die durch den Tod des
Generalarztes Möller erledigten Aemter als Generalarzt, als Chef
des militärärztlichen Korps und als Mitglied des k. Sanitäts¬
kollegiums wurden dem Stabsarzte Dr. H. Laub übeitiagen.
Moskau. Habilitiert: Dr. A. Bernstein für Neurologie
und Psychiatrie. . „ .
N eape 1. Zu ordentlichen Professoren wurden ernannt: 1 rot.
F. M a s s e i (für Laryngologie) und Prof. V. C o z z o 1 i n o (für
(Todesfälle.)
ln Mailand starb, G0 Jahre alt, der Professor der geburts¬
hilflichen Klinik Eduard P o r r o, der Begründer der nach ihm be¬
nannten Operation der Amputation des schwangeren Uterus.
Am 19. Juli starb in Kopenhagen der Konferenzarzt Dr. med.
Karl Reisz, 73 Jahre alt. Er war Lektor für pathol. Anatomie
und allgemeine Pathologie 18GG— 1873, wurde zum Prof. ord. 1868
ernannt; von 1873 bis 1901 war er Professor für Therapie an der
medizinischen Fakultät in Kopenhagen, von 1873 bis 1892 zugleich
Oberarzt der medizinischen Abteilung A des k. Frederikshospitals.
Er war Rektor der Universität 1883, 1893 und 1898.
(Bericlitigun g.) ln dem Bericht über den 4 ortrag im
Unterelsässischen Aerzteverein in dieser Wochenschr. No. 30,
S. 12S5 findet sich der Satz: „Auch der Erfolg der Arg. nitricum-
Spiilungen, welche den Instillationen vorzuziehen
s i n d, spricht gegen die Diagnose der Blasentuberkulose.“ Herr
Dr. A sch ersucht uns, zu konstatieren, dass er im Gegenteil
gesagt habe, dass die Instillationen mit y2— 2 proz.
Argent. nitricum-Lösungen den Spülungen vorzuzieheu
s i n d.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Gestorben: Dr. Ludwig Kimmerle in München. Dr. Her¬
mann Rotli, Krankenhausarzt in Erding, 52 Jahre alt. Dr. Leon¬
hard Heiss, früher prakt. Arzt in Haldenwang.
Korrespondenz.
Ueber die Heiiungsvorgänge bei der operativen Behandlung der
Bauchfell- und Nierentuberkulose,
ln No. 2S dieser Wochenschrift vom 15. Juli hat Herr Dr.
Weisswange - Dresden über das vorstehende Thema eine Ar¬
beit veröffentlicht. In derselben erwähnt er nebenbei: „Auch
Nassauer scliliesst sich der Ansicht an (Hildebrandt:
Münch, med. Wochenschr. 1898, No. 51 u. 52), dass die Hyper¬
ämie, die durch die Inzision erzeugt wird, das heilende Agens sei.“
Diese meine Ansicht musste der Verfasser meiner Arbeit in
No. 16 u. 17 der Münch, med. Wochenschr. vom Jahre 1898 ent¬
nehmen. Es ist nun nicht gut möglich, dass der Verfasser einer
y2 Jahr früher erschienenen Arbeit sich der Ansicht eines
Autors „anschliesst“, dessen Arbeit y2 Jahr später erscheint.
In der Tat sind denn auch Hildebrandt und ich auf ganz
verschiedenen Wegen und völlig unabhängig von einander zu
unserer Theorie gekommen: Hildebrandt hat an lebenden
Tieren experimentiert; meine Arbeit basiert auf klinischer und
pathologisch-anatomischer Beobachtung am Menschen. Es ist wohl
ein Zufall, dass meine Arbeit mehrere Monate v o r derjenigen
Hildebrandts erschienen ist.
Ich lege deshalb Wert auf Konstatierung dieser Tatsache, da
Herr Dr. Weisswange, obwohl in seiner Arbeit einzelne Teile
der meinigen wortwörtlich enthalten sind (ohne dass sie als mein
Eigentum bezeichnet wären), im Literaturverzeichnis nur meine
Arbeit zu erwähnen verabsäumt hat.
Dr. Max Nassauer- München.
Beilage zu No. 31 der Münchener medicinischen Wochenschrift.
74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad
vom 21. bis 27. September 1902.
Allgemeine Tagesordnung.
Sonntag, den 21. September.
Vormittags 10 Uhr: Sitzung des Vorstandes der Gesellschaft im
Kurhaus.
Vormittags 11 Uhr: Sitzung des wissenschaftlichen Ausschusses
im Kurhaus.
Vormittags 12 Uhr: Gemeinsame Sitzungen.
a) des Vorstandes der naturwissenschaftlichen Hauptgruppe
und der Einführenden und Schriftführer der naturwissenschaft¬
lichen Abteilungen (Kurhaus);
b) des Vorstandes der medizinischen Hauptgruppe und der
Einführenden und Schriftführer der medizinischen Abteilungen
(Kurhaus).
Nachmittags y2 3 Uhr: Gemeinsames Mittagessen der Mitglieder
des Vorstandes und des wissenschaftlichen Ausschusses der
Gesellschaft, der Vorstände der beiden Hauptgruppen und aller
Abteilungen, sowie der Mitglieder aller Ausschüsse im Stadt¬
park.
Abends y2 8 Uhr: Promenadenkonzert im Schützenliaus.
Montag, den 22. September.
Morgens 10 Uhr: Erste allgemeine Versammlung im grossen Saale
des Schützenhauses.
1. Begrüssungsansprachen.
2. Vorträge der Herren Hofmeister - Strassburg, W e -
ber - Amsterdam und Voller- Hamburg.
Nachmittags : Abteilungssitzungen.
Abends 7 Uhr: Festvorstellung im Theater und Orpheum (Schützen¬
haus).
Dienstag, den 23. September.
Morgens S Uhr: Frühstück auf der Alten Wiese, gegeben von den
dortigen Hausbesitzern.
^ or- und Nachmittags: Abteilungssitzungen.
Abends 6 Uhr: Festessen im Stadtpark.
Mittwoch, den 24. September.
Morgens 8 y2 Uhr: Geschäftssitzung der Gesellschaftsmitglieder
im grossen Saal des Schützenhauses.
Morgens 10 Uhr: Gesamtsitzung beider Hauptgruppen im grossen
Saale des Schützenhauses. Vorträge Suess- Wien Me y e r -
hoffer- Berlin, Ruff- Karlsbad.
Nachmittags: Abteilungssitzungen.
Abends 5 Uhr: Festessen, gegeben von der Stadt Karlsbad.
Abends 7 Uhr: Festliche Beleuchtung der Stadt.
Donnerstag, den 25. September.
Morgens 0 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der medizinischen
Hauptgruppe im grossen Saale des Schützenhauses. Verliand-
lungsthema: Physiologische Albuminurie.
Referenten: v. L e u b e - Würzburg, D r e s e r - Elberfeld.
Morgens y„10 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der naturwissen¬
schaftlichen Hauptgruppe im Kurhaus. Verhandlungsthemata-
Kreislauf des Stickstoffs.
Referenten: Koch- Göttingen, R e m y - Berlin.
-Nachmittags: Abteilungssitzungen.
Abends 7 y2 Uhr: Festreunion im Kurhaus
September.
Versammlung
im grossen
Wien.
Freitag, den 26.
Moigens 10 Uhr: Zweite allgemeine
Saale des Schützenhauses.
- 01'träge der Herren Frhr. v. Eiselsber
v- vv( e 1 1 s t e i n - Wien und v. M i 1 1 e v - München
- Schluss-Ansprachen.
* A»!]^gS: Erforderlichen Falls noch Abteilungssitzungen.
Ausfluge. (Giesshübl-Sauerbrunn.)
>eiuls 9 Ihr: Abschiedskommers im Stadtpark.
Sonnabend,
RMirt nach Teplitz, Aussig
had (Aerzte).
den 27. September.
(Naturforscher), Franzensbad, Marien-
Erläuterungen und Mitteilungen.
Die Jahresversammlungen Deutscher Natur¬
forscher und Aerzte werden von der „Gesellschaft
Deutscher Naturforscher und Aerzte“ einberufen; jedoch ist die
Teilnahme daran von der Mitgliedschaft der Gesellschaft unab¬
hängig.
Die Lösung der Teilnehmer- und Damenkarten (s. unten),
sowie die Ausgabe der Festzeichen erfolgt von Sonnabend den
20. September ab ausschliesslich im Bureau der Geschäftsfüh-
rung, Neubad I. Stock. Daselbst werden vom gleichen Tage
ab auch Anmeldungen zur Mitgliedschaft bei der Gesellschaft
entgegengenommen und die Mitgliedskarten ausgegeben.
Dagegen findet die Ausgabe des Tageblattes, der Festgaben
und sonstigen Drucksachen, Ausweise u. s. w., die auf Grund
der Teilnehmer- und Damenkarten verabfolgt werden, im Kur¬
haus, Hochparterre statt.
Mitglieder der Gesellschaft können alle diejenigen werden,
welche sich wissenschaftlich mit Naturforschung und Medizin
beschäftigen.
Anmeldungen zur Mitgliedschaft vor der Versammlung haben
schriftlich beim Schatzmeister der Gesellschaft, Geheimrat Dr.
Karl L a m p e - V i s c li e r in Leipzig, Schillerstrasse 8, zu
erfolgen
Die Mitglieder haben, wenn sie an der Versammlung
teilnehmen, einen Versammlungsbeitrag von 15 ' M.
— 18 K. z u zahlen; die Zahlung kann schon v o r der Versamm¬
lung an den Säckelwart der Geschäftsführung, Direktor Lampel
in Karlsba d, geleistet werden.
Durch die Zahlung dieses Versammlungsbeitrags erwerben
die Mitglieder zugleich das Recht auf unentgeltliche Zusendung
der „Verhandlungen“ der Karlsbader Versammlung Für die¬
jenigen Mitglieder, welche das Entgelt für den Bezug der Ver¬
handlungen bereits an den Schatzmeister der Gesellschaft bezahlt
haben, ermässigt sich der Versammlungsbeitrag auf 9 M.
Die Mitgliedskarte und eventuell die Quittung des Schatz¬
meisters über den bereits gezahlten Betrag für die Verhandlungen
ist mitzubringen.
Wer auf der Versam m lung als Mitglied beitritt, hat
ausserdem noch den Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr mit
5 M., somit im ganzen 20 M. = 24 K. zu bezahlen. Solche Mit¬
gliedsanmeldungen während der Versammlung werden im
Bureau der Geschäftsführung (Neubad) entgegengenommen (siehe
oben)
Teilnehmer an der Versammlung kann, auch ohne Mitglied
der Gesellschaft zu sein, jeder werden, der sich für Naturwissen¬
schaften und Medizin interessiert
Diese Teilnehmer an der Versammlung haben einen Ver¬
sam m. lungsbeitrag von 20 M. = 24 K. zu entrichten; es
kann dies schon vor der Versammlung an den Säckelwart der
Geschäftsführung, Direktor L a m p e 1 in Karls b a d. geschehen.
Gegen eine weitere Zahlung von 6 M. — 7 K. erhalten dieselben
ebenfalls die „Verhandlungen“ zugesendet, wenn sie sich wäli-
rend der Versammlung in eine im Bureau der Geschäftsführung
(Neubad) aufliegende Liste einzeichnen. Die Verhandlungen
werden den dazu Berechtigten einige Zeit nach der Versammlung
von der Gesellschaft zugestellt. Der allgemeine Teil der
\ erhandlungen (die Reden und Vorträge der beiden allgemeinen
Sitzungen enthaltend) wird allen Teilnehmern unentgelt¬
lich zugesandt.
Zur Legitimation während der Versammlung dient für alle
Mitglieder und sonstigen Teilnehmer die T e i 1 n e h m e r k a r t e.
Diese berechtigt zum Bezug des Festabzeichens, des in 5 Nummern
erscheinenden Tageblattes, der Festgaben und sonstigen 1 )ruck-
sachen, sowie zur Teilnahme an den Festlichkeiten und wissen¬
schaftlichen Sitzungen (nicht zugleich auch an der Geschäfts¬
sitzung der Gesellschaft, für welche nur die Mitgliedskarte als
Legitimation dient) und ferner zur Entnahme von Damen-
karten zum Preise von je 6 M. — 7 K.
Nach dem Vorstehenden beträgt der Versammlungsbeitrag:
a) für Mitglieder der Gesellschaft . M. 15.—
b) für Mitglieder der Gesellschaft, die den Betrag für die
„Verhandlungen“ bereits an den Schatzmeister be¬
zahlt haben . m. 9.—
1324
Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift,
No. 31.
< — -*» _
c) für Teilnehmer, die auf der Versammlung als
5 M.
Mit-
Mit-
d)
e)
f)
20—
20—
glieder beitreten (15 M. Teilnehmerkarte;
gliedsbeitrag für das laufende Jahr) . ^1-
für blosse Teilnehmer .
für ebendieselben, falls sie auch die „Verhandlungen“
zu beziehen wünschen . 2<^—
für Damen .
Auskünfte. Anfragen in geschäftlichen bezw. wissenschaft¬
lichen Angelegenheiten allgemeiner Natur sind an den 2. Ge¬
schäftsführer, Karlsbad, „Iris“, I. Stock, zu richten. — Auskünfte
betreffs der einzelnen wissenschaftlichen Abteilungen wer¬
den ausschliesslich durch die bezüglich Einführenden erteilt und
sind alle derartigen Anfragen, sowie weitere Vortragsanmel-
dungen nur an diese Herren zu richten. — Alle übrigen Auflagen,
wie hinsichtlich der Festlichkeiten, Vergnügungen, Wohnungen
u. s. w„ wollen direkt an die betreffenden Unterausschüsse ge-
nauestens adressiert werden.
Zur Vermittelung von Wohnungen ist ein Ausschuss in
Tätigkeit getreten, der Anmeldungen entgegennimmt. Die Adresse
ist ausschliesslich: Wohnungsausächuss der 74. Ver-
s a m mlung Deutscher N a t. u rforsche r und Aerzt e,
K arls b a d, Mattoniho f.
Bemerkt wird, dass eine hinreichende Zahl von entgeltlichen
und unentgeltlichen Zimmern zur Verfügung stehen, die den
p. t. Teilnehmern bei rechtzeitiger Anmeldung tunlichst nach
Wunsch vermittelt werden.
In den Dienst der die Versammlung besuchenden Damen
wird sich ein aus Damen bestehender Ausschuss stellen, dessen
besondere Aufgabe es sein wird, den Teilnehmerinnen während
der fachwissenschaftlichen Sitzungen eine anregende Unterhaltung
zu bieten.
Die Damen erhalten ihr Festabzeichen und können an allen
programmässigen Festlichkeiten, an den allgemeinen Sitzungen,
Besichtigungen und Ausflügen gegen Vorzeigung ihrer Damen¬
karte teilnehmen.
| Programm der wissenschaftlichen Verhandlungen.
I. Allgemeine Versammlungen
im grossen Saale des Schützenhauses.
Montag, den 22. September, 10 Uhr Vormittag.
F. H o f m e i s t e r - Strassburg: Ueber den Bau des Eiweiss-
molekuls. — M. W e b e r - Amsterdam: Der Malayisclie Archipel
und die Geschichte seiner Vorwelt. — A. A o 1 1 e r - Hamburg.
Grundlagen und Methoden der elektrischen Wellentelegraphie (sog.
drahtlose Telegraphie). Im Anschlüsse an diesen Vortrag sind
für die Dauer der Versammlung praktische Vorführungen der
Systeme Slaby und B r a u n in Aussicht genommen, die von
der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft Berlin und der Gesell¬
schaft für drahtlose Telegraphie (System Prof. Braun und
Siemens-Halske) Berlin vorbereitet werden.
Freitag, den 26. September, 10 Uhr Vormittag.
A. Frhr. v. Eiseisberg: Die Bedeutung der Schilddrüse
für den Haushalt der Natur. — R. v. Wettstein: Der Neo-
Lamarekismus. — O. v. Miller: Die Naturkräfte im Dienste der
Elektrotechnik.
II. Gesamt-Sitzung beider Hauptgruppen
im grossen Saale des Schützenhauses.
Mittwoch, den 24. September, 10 Uhr Vormittag.
E. Suess-Wien: Ueber das Wesen der heissen Quellen.
\y Meyer lioffer - Berlin: Die chemisch-physikalische Be¬
schaffenheit der Heilquellen. — J. R u f f - Karlsbad. David
B eche r, der „Karlsbader Hippokrates“ 1725 — 1792.
III. Sitzungen der Hauptgruppen und der Abteilungen.
(Bildung und Eröffnung der Abteilungen: Montag, den 22. Sep¬
tember, Nachmittag 3 Uhr.)
Die allgemeinen Versammlungen, sowie die Gesamtsitzung
beider Hauptgruppen am Mittwoch finden im grossen Saale
des Schützenhauses in Karlsbad statt. Von den ge¬
meinschaftlichen Hauptgruppen- Sitzungen am Donnerstag findet
die medizinische ebenfalls in diesem Saale, die naturwissenschaft¬
liche im grossen Saale des Kurhauses (1. Stock) statt.
Sämtliche Abteilungssitzungen der naturwissenschaft¬
lichen Hauptgruppe werden im städt. Gymnasium, die
der medizinischen dagegen hauptsächlich im Kurhause und
in der 2. Volksschule (Egerstrasse) tagen.
Medizinische Hauptgruppe.
I. Gemeinschaftliche Sitzung der medizinischen Hauptgruppe
unter Vorsitz des Herrn Geheimrates Prof. S t i n t z i n g - Jena.
Donnerstag, den 25. September, Morgens 9 Uhr,
grosser Saal des Schützenhauses, Karlsbad,
v. Leube - Würzburg und D r e s e r - Elberfeld: Die physio¬
logische Albuminurie.
:
Das Hauptpostamt Karlsbad (am Markt), sowie die beiden
Postfilialen (Egerstrasse und Franz Josefstrasse) werden von
Morgens bis Abends zur Annahme und Ausgabe von gewöhnlichen
und eingeschriebenen Briefschaften, sowie zur Annahme von
Telegrammen und zum Verkauf von Postwertzeichen geöffnet sein;
postlagernde Sendungen sind unter dem Vermerk „Haupt¬
postamt Karlsba d“ zu richten. Auch Telephone werden
zur Verfügung stehen.
Alle näheren Angaben, sowie alle weiteren Hinweise, die für
die Versammlungsbesucher von praktischer Wichtigkeit sind,
werden im Tageblatt veröffentlicht, das täglich Morgens von
8 Uhr ab im Kurhause zur Ausgabe gelangen wird. Dasselbe
wird ausserdem in seiner ersten Nummer die Satzungen und die
Geschäftsordnung der Gesellschaft und weiterhin täglich das Pro¬
gramm des betreffenden Tages, eine Aufzählung der am vorher¬
gehenden Tage gehaltenen Vorträge unter Nennung des Vor¬
tragenden und des Gegenstandes seines Vortrags, sowie ein
möglichst vollständiges Verzeichnis der Teil-
n e h m e r u n d ihre r W olinungen enthalten. Zu r
E rmöglichung dieser unbedingt notwendige n
Vollständigkeit ergeht an alle Teilnehmer die
dringende Bitte, bei Lösung der Teilnehmer¬
karte Namen, gewöhnlichen Wo h nort und hie¬
sige Wohnung, sowie später etwa eintretende
Veränderungen der letzteren in die im Bureau
des Wohnungsausschusses aufliegenden Prä¬
senzlisten mit deutlicher Schrift einzutragen.
NI it der Versammlung ist eine Ausstellung verbunden,
welche für naturwissenschaftliche und medizinische Zwecke die¬
nende Apparate und Gegenstände enthalten wird. Diese Aus¬
stellung. deren Besuch unentgeltlich ist, wird im Kaiserbad
abgehalten.
Der Stadtrat Karlsbad hat die erforderlichen Mittel bewilligt,
um allen Teilnehmern an der 74. Versammlung Deutscher Natur¬
forscher und Aerzt e eine bleibende Erinnerung in Form einer
F e s t s c li r i f t überreichen zu können. Der Festschriftausschuss,
der alle Mitarbeiter des Buches umfasst, darf wohl hoffen, der In¬
halt desselben werde die Leser überzeugen, dass Karlsbad in den
letzten Dezennien alles aufgeboten hat. um den Anforderungen,
die an einen Weltkurort gestellt werden können, gerecht zu
werden.
Auch eine Festschrift der übrigen deutschböhmischen Ileil-
quellen-Kurorte wird sämtlichen Teilnehmern der Versammlung
eingehändigt werden.
II. Gemeinschaftliche Sitzungen einzelner Abteilungen.
\ 4 vif Aufforderung der Gesellschaft für Kinderheilkunde:
Ganghof ner- Prag und Richter (Wien): Plötzliche Todes¬
fälle im Kindesalter. „
Einladende Abteilung No. 18. Eingeladene Abtedungen No. 14,
16 °0 Sitzungslokal: II. Volksschule, Egerstrasse, Zimmer No. 2,
Erdgeschoss. Sitzungszeit: Dienstag, den 23. September, Morgens
8y2 Uhr.
B. Auf Aufforderung der deutschen pathologischen Gesell¬
schaft: v. Iv a h 1 d e n - Freiburg i/B.: Pyämie und Septikämie. —
F i s c h e 1 - Prag: Ueber den gegenwärtigen Stand der experimen¬
tellen Teratologie.
Einladende Abteilung No. 13. Eingeladene Abteilungen No. 1-,
14, 16. Sitzungslokal: Speisesaal des Kurhauses. Sitzungszeit:
Dienstag, den 23. September, Morgens 11 Uhr.
C. Von der Abteilung für Chirurgie vorbereitet:
1. Die chirurgische Behandlung der Cholelitliiasis im
An-
ichlusse an die Vorträge:
v. B ü n g n e r - Hanau: Zur Anatomie
ml Pathologie der Gallenorgane und des Pankreas. — Fink-
Karlsbad: Die Erfolge der Karlsbader Kur bei Gallensteinkranken.
- G a r r e - Königsberg: Ueber Choledochotomie. — Höchen-
g g - Wien: Ueber Gallenblasenoperationen. — Hausch - Bres-
vu: Ueber Diabetes. — K e h r - Halberstadt : Ein Rückblick auf
30 Gallensteinoperationen, unter besonderer Berücksichtigung von
a. 100 Hepatikusdrainagen. — K ö rt e - Berlin: Erfahrungen
her Gallensteinoperationen. — Kuhn- Kassel: Die Ueberwin-
ung der Flexura sigmoidea. — Petersen - Heidelberg: Ueber
ie Anzeigen und die Dauererfolge der Gallensteinoperationen.
An Rückblick auf 430 Fälle. — Ri edel- Jena: a) Ueber den
inksseitigen Magenschmerz, b) Ueber den pathologiscli-ana to¬
nischen Befund bei dem ersten Anfall von Gallensteinkolik. --
lonnenburg- Berlin: Ueber die Beziehungen der Perityphlitis
1 1 ri4rv? »i lr i*fi lilrln Alt All
tionen an Diabetischen. ,
Einladende Abteilung No. 16. Eingeladene Abteilung No. 1 •
Sitzungslokal: Saal der Königsvilla. Sitzungszeit: Wird seinerzeit
im Tagblatt kundgegeben werden.
II. Doyen- Paris: Entwicklung der chirurgischen Technik
und der chirurgischen Methoden (mit Demonstrationen fixer unc
belebter Projektionsbilder).
Einladende Abteilung No. 16. Eiugeladene Abteilungen: Alle
Abteilungen der medizinischen Hauptgruppe. Sitzungslokal uh
Sitzungszeit werden seinerzeit im Tagblatt bekannt gegeben,
5. August 1902.
Tx'ilage zur Münchener mcdicinischen Wochenschrift.
1325
D. Von der Abteilung für Laryngologie vorbereitet: Die
Asthmatkerapie im Anschluss an den Vortrag: B rüge im an n-
Berlin: Das Asthma hysterieum und die Asthmatherapie im All¬
gemeinen.
Einladende Abteilung 21 a (Laryngologie). Eingeladene Ab¬
teilungen No. 14 (Innere Medizin) und Abteilung 21 b (Otologie).
Sitzungslokal und Sitzungszeit werden seinerzeit im Tagblatt be¬
kannt gegeben.
III. Sitzungen der einzelnen Abteilungen.
32. Abteilung: Anatomie, Histologie, Embryologie und Physio¬
logie.
1. As eher- Bern: Ueber peripheren Nerventonus. _
2. Beer -Wien: Versuche und Demonstrationen zur Lehre von
der Refraktion und Akkomodation der Wirbeltieraugen. —
o. C r e in e r - München: Ueber die Bildung von Dextrose aus
Glyzerin und Fett im Tierkörper. — 4. Exner-Wieu: Thema
Vorbehalten. — 5. F o g a s - V ien: Zur Lehre von den sekundären
Geschlechtscharakteren. — G. v. F ü r t h - Strassburg i/E.: Thema
Vorbehalten. — 7. Garten- Leipzig: Ueber die elektrischen Er¬
scheinungen an marklosen Nerven. — 8. G e b h a r d t - Halle: Auf
welche Quantität der Beanspruchung reagiert der Knochen jeweils
mit der Ausbildung einer entsprechenden Architektur. _ 9. Hof-
in a n n - Leipzig: a) Zur Anatomie und Physiologie des intrakar¬
dialen Nervensystems. Mit Demonstration histologischer Prä¬
parate. b) Demonstration wissenschaftlicher Apparate. _
30. K o h n- Prag: Die Paraganglien. Mit Demonstration.
11. Iv r a u s - Karlsbad: Zur Anatomie der Prostata. —
12. Kr ei dl- Wien: Thema Vorbehalten. — 13. Re ach -Karls¬
bad: Ueber rückläufige Fortbewegung von Darminhalt. _
34. ^ Röh m a n n - Breslau: a) Ueber "" künstliche Ernährung,
b) Ueber das Sekret der Bürzeldrüse, c) Phylogenesis der Enzyme.
— 15. Rose m a n n - Greifswald: Physikalisch-chemische Unter¬
suchungen über die Zusammensetzung der Milch. _ IG. geegen-
Wien: Thema Vorbehalten. — 17. Wiesel- Wien: Thema Vor¬
behalten. — IS. Winternitz - Stuttgart: Demonstration eines
Modells des fötalen Kreislaufs. - — 19. Z i m m e r m an n - Dresden:
Physiologie der Gehörknöchelchenkette.
Die Abteilung wird eingeladen: von Abteilung 2 (Physik) zu:
Wien -Aachen: Ueber die Empfindlichkeit des menschlichen
Ohres für Töne verschiedener Höhe. Von Abteilung 4 (Chemie) zu:
Siegfried- Leipzig: Ueber Peptone. Von Abteilung 11 (An¬
thropologie) zu: Mayer-Bad Sulz: Ueber die Entstehung des
Menschen, der verschiedenen Menschen- und Tierarten. Von Ab¬
teilung 14 (Balneologie) zu: G i n 1 1 - Karlsbad: Ueberslcht über
die Ergebnisse der im Jahre 1900 — 1901 vorgenommenen physi¬
kalisch-chemischen Untersuchungen des Karlsbader Sprudels. Von
Abteilung 19 (Neurologie) zu: Stransky- Wien: Ueber diskon¬
tinuierliche Zerfallsprozesse am peripherischen Nerven. _ Münzer-
Prag: Zur Lehre vom Neuron. — Sternberg - Wien: Zur Physio¬
logie des menschlichen Zentralnervensystems nach Studien an
Hemikeplialen.
13. Abteilung: Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie.
(Zugleich Tagung der Deutschen pathologischen Gesellschaft.)
Referatthemata: 1. Pyämie und Septikämie. Referent:
v. K a h 1 d e n - Freiburg i/B. — 2. Ueber den gegenwärtigen
Stand der experimentellen Teratologie. Referent: F i s c li 1 - Prag.
Angemeldete Vorträge: 1. Albreclit- München :
a) Ueber Lebercirrhose. b) Neue Beiträge zur Pathologie der Zelle.—
— Askanazy- Königsberg: Thema Vorbehalten. — 3. Auf¬
recht- Magdeburg: Die verschiedene Genese des käsigen und des
grauen Tuberkels. — 4. Bachmann - Harburg: Konstitution
und Infektion. — 5. v. B a u m g a r t e n - Tübingen: a) Mikro¬
skopische Untersuchungen über die Schicksale des Blutes in dop¬
pelt unterbundenen Gefässtrecken. b) Weitere Untersuchungen
über Hämolyse im heterogenen Serum. — G. Chiari-Prag:
a) Ueber die Beziehungen zwischen der Autodigestion des Pankreas
und^der Fettgewebsnekrose. b) Zur Kenntnis der Beckenlipome.
7. D a v i d s o h n - Berlin: Zur Pathologie der Speicheldrüsen.
— 8. F e i n b e r g - Berlin: Ueber den Bau der einzelligen tie¬
rischen Organismen und über das Vorkommen derselben in den
Krebsgeschwülsten. — 9. Fischer- Prag: a) Idiopathische Pacliy-
meningitis spinalis externa. b)Ueber Gliafärbung. — 10. G schwo¬
ll er- Wrien: Ueber Differenzierung der Diphtheriebazillen von den
Pseudodiphtheriebazillen. — 13 . Goerdeler- Magdeburg: Die
Eintrittspforte des Tuberkelbazillus und sein Weg zum Lungen¬
parenchym. — 12. Hammerschlag - Schlan: Ueber die Ver¬
mehrung erkrankter Lymphdrüsen. — 13. He 11 er -Kiel: Thema
a orbelialten. — 34. II e n k e- Breslau: a) Pathogene Hefen und
lumorbildung. b) Zur Pathologie der sog. Zuckergussleber. —
3o. Horst- Wien: Ein Fall von Pyämie, erzeugt durch 'eine
k treptotlirix. — IG. .1 o a n n o v i c z - Wien; Ueber die Ausschal¬
tung der Milz aus dem Portalkreislauf. — 17. Kaiserling-
Berlin: Ueber Fettmetamorphose? — 38. Kr aus -Wien: Ueber
ein akut wirkendes Bakterientoxin. — 19. K r a u s und S t e ru¬
ber g-Wrien: Ueber ein durch Hämolysine hervorgerufenes Krank¬
heitsbild. — 20. Kretz- Wien: Ueber die paradoxe Reaktion. —
-1. L u c k s c li - Prag: a) Myeloschisis mit Darmausmündung.
b) Eigenartiger Magenpolyp. — 22. Marcha n d - Leipzig: a) Ueber
einen Tumor des Ganglion Gasseri und des Trigeminus. 1») Ueber
j lometntis sjphihtiea des Uterus gravidus. c) Ueber knotige
Hyperplasie der Leber. — 23. Oe sterreich- Berlin: Ueber
or^Ti .‘7: „ “ ' J\al t a 11 f - Wien: Thema Vorbehalten. —
_ • . lick- Jaioslau: Entstehung der Gelbsucht. _ 26 P o n f i c k
Breslau: Fettgewebsnekrose und Diabetes. — 27. Saltykow-
Groningen: a) Ueber Laparotomie bei experimenteller Bauchfell¬
tuberkulose. b) Ueber Stauungsleber. — 28. S a x e r - Leinzi —
Unter dem Bilde der Meningitis verlaufende karzinomatöse Er¬
krankung der Hirn- und Ruckenmarkshä ute. — 29. S c h 1 a ge n li a u f e r
Wien: Ueber das Vorkommen chorion-epitheliom- und trauben-
molengleicher Wucherungen in Teratomen. — 30. v. Schrötter-
Wien: Demonstration einer neuen Methode der Marksclieiden-
ai ung. ■ 33. St an gl- Vien: Zur Pathologie der Nebenorgane
des Sympathikus. — 32. Sternberg- Wien: Ueber die Folgen
der Einverleibung toter Tuberkelba zillen. — 33. Zörken-
be°rusfer SaaZ: Ueb<?r Immimisieruug gegen das Gift der Vipern
Die Abteilung wird eingeladen: von Abteilung 3 3 (Anthro¬
pologie) zu: May er- Bad Sulz: Ueber die Entstehung des Men
sehen, der verschiedenen Menschen- und Tierarten; von Ab¬
teilung 22 (Dermatologie) zu: E h r 111 a 11 n - V- ien: a) Die Beziehen"-
Ger Sklerodermie zu den autotoxischen Erythemen, 1» Demoif-
stration von Injektionspräparaten der Initialsklerose.
14. Abteilung: Innere Medizin, Pharmakologie, Balneologie und
Hydrotherapie.
d 1 e r - Prag: Zur Diagnose des Typhus abdominalis. _
T' , a r 11 c l! - New- York: Die Beförderung der Reaktion nach
hydrotherapeutischen Prozeduren. — 3. r a u 1 am Ende-
Dresden: Das Schulbrausebad und seine Wirkungen. — 4. F.ink-
Kailsbad: Die Erfolge der Karlsbader Kur bei Gallenstein kranken.
•>. F r ä 11 k e 1 - Berlin : Thema Vorbehalten. — G. Fuchs- Bieb¬
rich : Ueber den Wert der Beck in a u n sehen Gefrierpunkts¬
bestimmungen von Blut und Harn zu diagnostischen Zwecken. _
i. Funke -Prag: Thema Vorbehalten. — 8. G a n s - Karlsbad:
Zur 1 hagnostik der Krankheiten der Gallenwege. _ 9. Ger¬
hardt-Berlin: Thema Vorbehalten. — 10. Gintl: Ueber-
sieht über die Ergebnisse der im Jahre 1900—1901 vor¬
genommenen physikalisch-chemischen Untersuchungen des Karls¬
bader Sprudels. — 11. G 1 a e s s n e r - Berlin: Thema Vorbehalten.
7~ 32. G o 1 d m a n n - Brenneberg: Die Anchylostomiasis. —
U». II a y asliiko w a - Japan-Prag: Ueber die Bazillen der Prager
typhösen Erkrankungen. — 14. Hocke- Prag: Beitrag zur Kennt¬
nis des Diabetes insipidns. — 15. v. J akscli- Prag: a) Ein Bei¬
trag zur Kenntnis des pathologischen Stoffwechsels, b) Ueber
Morbus Basedowii (mit Demonstration), c) Ueber die im Mangan-
betriebe vorkommenden nervösen Affektionen (mit Demonstration).
“ 36. K e h r - Halberstadt: 700 Gallensteinoperationen und ihre
Erfolge. 17. K e 1 1 i n g - Dresden: Ueber die Bedeutung des
sj mpatliischen Reizzustandes für die Diagnose und Behandlun<v
des Magengeschwürs. — 18. Kraus- Graz: Thema Vorbehalten.
— 19. L a n g s t e i n - Wien: Die Kohlehydratgruppen der Eiweiss-
korper des Blutserums. _ 20. J. L a z a r u s - Berlin: Bronchial¬
katarrh bei Herzerkrankungen. _ 21. P. Lazarus - Berlin: Thema
Vorbehalten. — 22. Leyden- Berlin : Thema Vorbehalten. —
-o. L 0 r a n d - Karlsbad: Ueber die Wirkung der Karlsbader Kur
auf den Diabetes.^ — 24. Mager- Brünn: Thema Vorbehalten. _
-0. J. M a y e r - Karlsbad: Zur Pathologie und Therapie des Dia¬
betes mellitus. — 26. M e n d e 1 s 0 h n - Berlin: Zur Therapie der
Herzkrankheiten. — 27. v. M e r i n g- Halle: Ueber die Beziehungen
zwischen chemischer Konstitution und hypnotischer Wirkung. —
28. M i n t z - Warschau: Tiefsitzende Divertikel der Speiseröhre.
— 29. O. Neubauer- Basel-Karlsbad: Thema Vorbehalten. —
"0- v. N 0 o r d e n - Frankfurt a. M.: Ueber Fettstühle bei Dia¬
betikern. — 31. Petruschky - Danzig: Die diagnostische Ver¬
wendbarkeit der Spinalgie als Frühsymptom tuberkulöser In¬
fektion. 32. F. Pick- Prag: Ueber das glykogenlösende Fer¬
ment der Leber. — 33. v. P o e h 1 - Petersburg: Die Autointoxi¬
kationen. bedingt durch Anomalien der Gewebsatmung und der
osmotischen Spannungen. — 34. Pohl -Prag: Ueber Allantoinaus-
scheidung bei Intoxikationen. — 35. P o n f i c k - Breslau: Pyelo-
tlirombose und Trauma. — 36. Rosenfeld - Stuttgart: Ueber
Prüfung von Herzmitteln. — 37. Schilling- Leipzig: Obstipation
und Migräne. — 38. v. Sch r öfter- Wien : Thema Vorbehalten.
■ — 39. Schuster-Aachen: Lebercirrhose und Diurese. —
40. Simon- Karlsbad: Ueber Nachweis und Vorkommen von
Glykogen im Harn. — 41. Singer- Wien: Ueber spastische Ob¬
stipation. — 42. Singer- Prag: a) Ueber Venenentzündung als
Frühsymptom der Lungentuberkulose (Phlebitis praetuberculosa).
b) Zur Kenntnis der Anfälle von akutem Herzjagen (Tachycardia
paroxystica). — 43. S t r a u s s - Berlin: Ueber Osmodiätetik. —
44. Walk o- Prag: Ueber die Behandlung der Hyperazidität. —
45. W e i s s - Wien-Karlsbad: Die physikalischen Zeichen des Dick¬
darmes und ihre Bedeutung für den Stoffwechsel. — 46. W i e -
e h o w ski- Prag: Die vasomotorischen Wirkungen der Analgetiea.
— 47. Z i e m s s e n - Wiesbaden : Gesichtsfeldaufnahme als Kon¬
trolle in der Behandlung der Hirn- und Rückenmarkslues (mit
Demonstrationen). — 48. Z a 11 i e t o vv s k i - Krakau : Ueber den.
Einfluss von Alboferin auf Blutdruck und Nervenerregbarkeit.
Die Abteilung ist eingeladen: von Abteilung 16 (Chirurgie)
zu: Büngner-Hanau: Zur Anatomie und Pathologie der Gallen¬
organe und des Pankreas. — F ink- Karlsbad: Operationen am
Gallensystem und an der Leber. — G a r r e - Königsberg: Ueber
1326
Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift.
No. 31.
Choledochotomie. — H o c he n e gg - Wien: Ueber Gallenblaseu-
operationen — K au s c h - Breslau: Ueber Diabetes. — K eh r-
Halberstadt: Ein Rückblick auf 730 Gallensteinlaparotomien unter
iSondeS Berücksichtigung von ca. 100 Hepatikusdrmnagen. -
Körte- Berlin: Erfahrungen über Gallenstemoperationen.
Kuhn- Kassel: Die Ueberwindung der Flexura sigmoidea.
l’etersen- Heidelberg: Ueber die Anzeigen und Dauererfolge
der Gallensteinoperation. Ein Rückblick auf 430 I al e.
Riede 1- Jena: a) Ueber den linksseitigen Magensclnnerz. b) Ueber
den pathologischen und anatomischen Befund bei dem ^ ersten An¬
fall von Gallensteinkolik. — Sternbei g-h ien . I 1 •
tionen an Diabetischen. Von Abteilung 20 (Augenheilkunde) zu.
El sehnig- Wien: Ueber Augenspiegelbefunde bei einigen inne¬
ren Erkrankungen.
15. Abteilung: Geschichte der Medizin und der Naturwissen¬
schaften.
1 Baruch-New-York: Entwickelung der therapeutischen
Methoden in Amerika. - 2. B e a u v o i s - ^ris: Ein pmküscher
Arzt im 18. Jahrhundert: J. H. Cohausen. - 3- G ® 1 8 * e -.^TAhr-
fels- Persönliche Gesundheitspflege durch Aerzte des 16.— 19. J am
hundert!?. — 4. Goldziehe r- Ofen-Pest: Bischof Andreas Dudics,
ein Beitrag zur Geschichte der Medizin in der IJ®“aJ88^®e^ .
5. Györy- Ofen-Pest: Thema Vorbehalten — 6. G u t z m a n n
Berlin: Der Zusammenhang von Zunge und Sprache in de '
schichte der Medizin. - 7. H er szky -Berlin: Zur
der medizinischen Irrtümer. - 8. K u t n a - Przemysl : Histons^es
und Aktuelles über die Frühbeschneidung. — 9. L a n d au ... Nura
berg: Zur geschichtlichen Entwickelung der Schulhygiene.
10. Neu b u rger- Wien: Das Problem der Trophik des Nerven¬
systems und seine geschichtliche Entwickelung. - u- J a^e
Berlin: a) Ein neues gynäkologisches Dokument aus dem 1 •_ *
hundert, b) Der akademische Unterricht in der medizinischen
Geschichte. c) Mittelalterliche Rezidive der Gegenwar
12. Richter -Berlin: a) Zur Geschichte des Jod. b) Ueber die
bisher nicht gedrukten Causae et curae St. Ilildegardis.
13 Rosen gart -Frankfurt a. M.: Ludwig Traube der eiste
\septiker. — 14. S ch eie nz - Kassel: Thema Vorbehalten. —
1 5 S chimmelbusch- Hochdahl: a) Naturwissenschaftliches
Medizinisches und Veterinärmedizinisches in der Heihgen Srfmft
alten und neuen Bundes, b) Naturwissenschaftliches und Medi¬
zinisches bei Horaz. c) Die Krankheiten des jungen Goethe,
d) Naturforscher und Aerzte im klassischen Pimpelfort, e) Rank¬
heiten und Kuren Ulrichs von Hutten. — 10. S u d ho f f- Hoch¬
dahl: a) Hohenheims Syphilisschriften, b) Gedruckte deutsche
Arzneibücher des 15. Jahrhunderts. — 17. v. To{l15'^ ' S“'
a) Antike Schröpfköpfe, b) Medizin in China, c) Unterrichts¬
mittel. . .
Die Abteilung ist eingeladen: von Abteilung 1 (Mathematik)
zu: M e h m k e - Stuttgart: Ueber die Entwicklung der graphischen
Methode.
16. Abteilung: Chirurgie.
1. Bardenheuer- Köln: Ueber Lungenchirurgie. — 2. Bei g-
Frankfurt a. M.: Ueber die Verwendung der Kaustik bei uro-
logischen Eingriffen. - 3. B o rcha rd - Posen: Seltenere Folge¬
zustände nach schweren Schädelverletzungen. — 4. v. Bra m ann-
Halle: Beiträge zur Hirnchirurgie. — 5. Brenner- Linz. Die ope¬
rative Behandlung des kallösen Magengeschwürs. — 6. v.Bungner-
Hanau: Zur Anatomie und Pathologie der Gallenorgane und des
Pankreas. — 7. v. B u r k h a r d - Stuttgart: Ueber die fortschrei¬
tende Peritonitis. — 8. Clairmont und R a n z i - Wien: Experi¬
mentelle Untersuchungen über Ileus. — 9. Clairmont und
H oberer- Wien: Ueber das Verhalten des gesunden und kranken
tierischen Peritoneums. — 10. Gramer- Wiesbaden: Ueber osteo¬
myelitische Coxitis. — 11. Czerny -Heidelberg: Thema Vor¬
behalten. — 12. Doll in ge r- Ofen-Pest: Thema Vorbehalten. —
13 Doyen -Paris: a) Subperitoneale Ausschälung mit Wiederher¬
stellung der Serosa. b) Partielle Blasenresektion mit subseröser
Ausschälung. — 14. Freiherr v. Eiseisberg - Wien: lieber In-
vagination. — 15. F i n k - Karlsbad: Operationen am Gallensystem
und an der Leber. — 16. Friedrich- Leipzig: Demonstration. —
17 Garre - Königsberg: Ueber Choledochotomie. — 18. G r a s er -
Erlansen: a) Ueber Anomalien des Mesenteriums, b) Ueber die
sog. Bursitis proliferans. — 19. Helferieh - Kiel : Erfahrungen
aus dem Gebiete der Pankreaschirurgie. — 20. Hilgen remer-
Prag: Bericht über 800 operierte Hernien. — 21. Hochenegg-
Wien: Ueber Gallenblasenoperationen. — 22. Hoeftman-
Ivönigsberg: Beitrag zur Behandlung der Sehnenhygrome (mit
Krankenvorstellung). - 23. H o f m e i s t e r - Tübingen: a) Ueber
Darminvagination. b) Ein neues Massageverfahren. — 24. Jordan-
Heidelberg: Ueber primäre akute Typlilitis. — ->• Kauscli-
Bresl.au: Ueber Diabetes. — 26. K e h r - Halberstadt: Em Rück¬
blick auf 730 Gallensteinlaparotomien unter besonderer Berück¬
sichtigung von ca. 100 Hepatikusdrainagen. — 27 Albert Kocher-
Bern: Thema Vorbehalten. — 28. Theodor Kocher- Bein. 1 liema
Vorbehalten. — 29. K ö 1 1 i c k e r - Leipzig: Ueber Gipsdraht¬
schienen. — 30. K o lim an n- Leipzig: Thema Vorbehalten. —
31. K ö n i g - Berlin: Thema Vorbehalten. — 32. K ör t e - Berlin.
Erfahrungen über Gallensteinoperationen. — 33. K r ö n 1 e 1 n -
Zürich- Ueber Nierentuberkulose. — 34. Kuhn -Kassel: a) Pul¬
monale Narkose, b) Kein Erbrechen und Pressen bei Laparo¬
tomien. c) Die Ueberwindung der Flexura sigmoidea. — 3o. Kum-
mell- Hamburg: Thema Vorbehalten. — 36. K ü s t er -Marburg:
Thema Vorbehalten. — 37. Frhr. v. Lesser- Leipz!g: Ueber Luxa¬
tion des Os lunatum carpi. — 38. Lieblein- Prag: Ueber _ die che¬
mische Zusammensetzung des Wundsekretes. — 39. v.
Radecki - Breslau : Thema Vorbehalten. — 40. M u 1 i e r -Rostock.
Demonstration von Präparaten. — 41. N e u g e b a u er - Mahrisch-
Ostrau: a) Ueber osteoplastische Nekrotomie, b) Erfahrungen
über Medullarnarkose. - 42. P e t e r s e n - Heidelberg: Ueber die
Anzeigen und die Dauererfolge der Gallenstemoperationen. Ein
Rückblick auf 430 Fälle. - 43. PreindlBberger-Saj^.
a) Weitere Mitteilungen über Lithiasis m Bosnien, b) Ueber Stein
Operationen (mit Demonstrationen). — 44 R l e de 1 - Jena: a) Ueber
den linksseitigen Magenschmerz, b) Ueber den patkolcysch-ai .
tomischen Befund bei dem ersten Anfall von Gallenstemkohk. —
45 S a 1 z w e d e 1 - Berlin: Die Verwendung des Spiritus für chi¬
rurgische Zwecke. — 46. Scliede-Bonn: Thema Vorbehalten. —
47 Schloff er- Prag: a) Ueber embolische Verschleppung von
Projektilen. b) Ueber Dickdarmresektionen. — 48. Schultze-
Duisburg: Beiträge zur Sterilisation (mit Demonstration) —
40. Sonnen b u r g - Berlin: Ueber die Beziehungen der Peri¬
typhlitis zu Gallensteinkrankheiten. — 50. s p r i n g e r - Piag.
Ueber Operationsresultate bei Hasenscharte und Wolfsrachen (mit
Demonstration). — 51. S t e i n t h a 1 - Stuttgart: a) Zur Diagnose
und Prognose der Perityphlitis, b) Ueber erneutes Karzmom-
auftreten bei demselben Individuum. — 52. S t e r n b e r g - Wien;
Ueber Operationen an Diabetischen. — 53. S t o 1 p er - i s ‘ •
Ueber Beckenbrüche (mit Demonstration von 25 Beo Ltn*
54. Tillmanns- Leipzig: Thema Vorbehalten. — 5o. V u _P \ u >
Heidelberg- Sehnenüberpflanzung und Arthrodese. — ob. W i s s -
haupt- Teplitz-Schönau: Ueber Riesenwuchs der Mamma in der
Gravidität. — 57. W ö 1 f 1 er- Prag: Thema Vorbehalten. —
5S W ohrizek - Prag: Demonstration eines Redressionsappa-
rate« für Skoliosen und Kyphosen. - 59. Zabludowski-
Berlin: Zur Therapie der Erkrankungen der Hoden und deien
Adnexe. _ 60. Zucker k a n d 1 - Wien: Prostataoperationen.
Die Abteilung wird eingeladen: von Abteilung 14 (Innere
Medizin) zu: F i n k - Karlsbad: Die Erfolge der Karlsbader Kur
bei Gallensteinkranken. - Fuchs- Biebrich:' Ueber den Wert
der B e c k m a n n sehen Gefrierpunktsbestimmungen von Blut
und Ilarn zu diagnostischen Zwecken. — K eh r - Halberstad
700 Gallensteinoperationen und ihre Erfolge. N'on Abteilung Io
(Geschichte der Medizin) zu: Kutna - Przemysl: Aktuelles über
die Frühbeschneidung.
17. Abteilung: Geburtshilfe und Gynäkologie.
1 chrobak - IVien : Thema Vorbehalten. — 2. Eisen-
1) e v er _ Wien • Beiträge zur konservativen Behandlung der Frauen¬
krankheiten — 3. Fischer-Karlsbad: Thema Vorbehalten. —
4. Frank -Olmtitz: Beitrag zur operativen Behandlung der
Myome in der Gravidität. — 5. Freund- Berlin-Strassburg.
Thema Vorbehalten. - 6. F r i t s c h - Bonn: Ueber Kramoklasie.
_ 7. Halb an- Wien: Thema Vorbehalten. — 8. Hit sc n
m a n - Wien : Thema Vorbehalten. — 9. Hofbauer 'J^ienn:
Thema Vorbehalten. — 10. Kleinhans - Prag: Then <
Vorbehalten. — 11. Knapp -Prag: Thema Vorbehalten
40 Krönig -Leipzig: Ueber Blutstillung bei gynäkologischen
Operationen. - 13. L a t z k o - Wien: Thema Vorbehalten -
14 Leopold-Dresden: Thema Vorbehalten. — 15. M ul I er
München: a) Zum Mechanismus der Geburt: 1. Ueber Fniclit-
aussendruck und -Innendruck; 2. Ueber die Beziehungen zw^chen
Kopfform und Geburt, b) Ueber die Erfolge der künstlichen Früh
gehurt für Mutter und Kind. — 16. Nenadovich-Franzensbad.
Thema Vorbehalten. - 17. Rosthorn -Graz: Thema Vorbehalten.
_ IS S c h a u t a - Wien: Thema Vorbehalten. — ®chenK
Prag- Zur Therapie der Extrauterinschwangerschaft. — 20. Schenk
und Austerlitz- Prag: Weitere Untersuchungen über elasti¬
sches Gewebe im weiblichen Genitaltrakt (mit Demonstration
mikroskopischer Präparate). — 21. SeHheim- Frmbiirg: a) De¬
monstration. b) Vortrag: Thema Vorbehalten. — 22. S p e r 1 1 ng-
Königsberg: Zur Aetiologie der sog. intrauterinen I rakturen des
Unterschenkels. — 23. Stolz- Graz: a) Ueber Ivnotenbildungen
der Nabelschnur und die Gefässe derselben, b) Demonstrationen
von Tubenkarzinom etc. - 24. V e i t - Leyden: Thema vorbehaRen
_ 25. W i n t e r n i t z - Tübingen und Stuttgart: a) Die Wahl der
Behandlungsmethoden bei Retroflexio uteri unter besonderer e-
rücksichtigung der subjektiven Beschwerden und sympt<?“®-
b) Ueber neue plastische Hilfsmittel für den geburtshilflich-gynäko¬
logischen Unterricht (mit Demonstrationen).
18. Abteilung: Kinderheilkunde.
(Zugleich Sitzung der Gesellschaft für Kinderheilkunde.)
1. und 2. Ganghofner - Prag. Richter- Wien: Plötzliche
Todesfälle im Kindesalter. - 3. B a g i n s k y -Berlin. Thema
Vorbehalten. — 4. B e r n h a r d - Berlin: Ueber die_ sogenannte
zyklische Albuminurie. — 5. v. B 0 lc a y -Ofen-Pest . ,
den Wert der systematischen Lumbalpunktion bei der Behandlung
des Hydrocephalus chronicus internus bei Kindern. -- b. Brun¬
nin g - Leipzig: Ueber Genitaltuberkulose. <•_ 0 0 ^ ‘ ’
Behandlung der tuberkulösen Peritonitis. — 8. E p s t ei n- - • »•
a) Ueber einen Kindersessel zur Behandlung rhaclntischer Ruc
gratsverkrümmungen. b) Ueber pathologischen Kurzhals, c)
angeborene Lähmungen der Unterlippe. — 9. E s c h e r ich- •
Thema Vorbehalten. — 10. F i n k e 1 s t e 1 n - Berlin: Uebei das
5. August 1902.
1327
Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift.
I1 ettsklerem. 11. F i s c h 1 - Prag: Ueber das Elastingewebe
des Säuglingsdarmes. 12. F 1 a c b s - Dresden: Beitrag zur Impf-
teclinik. — 13. Friedj ung-Wien: Die Diastase der Musculi
recti in der Pathologie des Kindes. — 14. G u t z in a n n - Berlin:
Die Schreiatmung des Säuglings. — 15. Hecker- München •
Thema Vorbehalten. — 16. II e u b n e r - Berlin: Bemerkungen zur
Scharlach- und Diphtherieniere. — 17. II o li 1 f e 1 d - Leipzig: Zur
Pathologie der Säuglingsniere. — IS. lloclisi n g e r - Wien: lieber
hereditäre Syphilis ohne Exanthem. — 19. Kas so witz-Wien:
Infantiles Myxödem, Mongolismus und Mikromeiie. — 2U. Langer-
Prag: Zur Frage der Hämagglutination im Kindesalter. _
21. Li e b s c h e r- Prag: Ueber lnliuenzabazillenbefimde bei Ma¬
sern- und Scharlacherkrankungen. — 22. Monti-Wien: Erfah¬
rungen über Heilserumexantheme. — 23. Mo ro- Wien: Ueber
die Fermente der Milch. — 24. Mos er- Wien: Ueber die Behand¬
lung der Skarlatina mit Antistreptokokkenserum. — 25. Pfaundler-
Graz: Thema Vorbehalten. — 26. P i n e 1 e s - Wien: Ueber das
kongenitale und infantile Myxödem. — 27. R a n k e - München:
Thema Vorbehalten. — 28. Raudnitz - Prag: Demonstration von
experimentellem Nystagmus. — 29. R i 1 1 e r - Berlin: Ueber eine
noch nicht beschriebene Infektionskrankheit des kindlichen Lebens¬
alters. — 30. Ritter v. R i 1 1 e r s h a i n - Prag: Zur Kenntnis der
spinalen progressiven Muskelatrophie im frühen Kindesalter. —
31. Boeder und Sommerfeld- Berlin: a) Die kryoskopische
und elektrolytische Untersuchung des Säuglingsharns unter Be¬
rücksichtigung der verschiedensten Ernährungsformen, b) Ein
neuer Beitrag zur Harnsekretion mit besonderer Berücksichtigung
der osmotischen Leistung der Säuglingsniere. — 32. Sal ge- Berlin:
Ueher Agglutinationsvorgnäge bei Scharlach. — 33. Schloss¬
mann - Dresden: a) Ueber Technik und Bedeutung kalorimetri¬
scher Bestimmungen bei der Ernährung vou Kindern, b) Ueber
Tuberkulose im frühen Kindesalter. — 34. S i e g e r t - Strassburg:
Thema Vorbehalten. — 35. Söldner- Grunbach: Neue Unter¬
suchungen über die Aschenbestandteile der Frauenmilch
und des neugeborenen Menschen. — 36. S o 1 1 m a n n - Leipzig:
a) Ueber Epilepsia hereditaria. b) Das Diphtherieherz und seine
Behandlung. — 37. Springer-Prag: Ueber die Prognose des
Wolfsrachens. — 38. S w o b o d a - Budweis: Zur Lösuug der
Variola-Varicellenfrage. — 39. T r u m p p - München: Thema Vor¬
behalten. — 40. Zupp inger- Wien: Ueber Gelatineinjektionen
im Kindesalter.
Die Abteilung wird eingeladen: von Abteilung 20 (Augenheil¬
kunde) zu: Bondi-Iglau: Ueber die Erkrankungen des Auges
nach einer schweren Masernepidemie.
19. Abteilung: Neurologie und Psychiatrie.
1. An ton -Graz: Ueber Degeneration im Grosshirne. —
2. Brosius - Sayn: Psychosen der J uden. — 3. Eulenburg-
Berlin: Ueber einige neuere elektro-therapeutisclie Methoden. - —
4. Freud- Wien: Thema Vorbehalten. — 5. Hartmann - Graz:
Thema Vorbehalten. — 6. H i r s c h 1 - Wien: Geographische Ver¬
breitung der Paralyse. — 7. Kalmus -Prag: Skizze des der¬
zeitigen Standes der Irrenpflege in Böhmen. - — 8. Kohnstamm-
Königstein i/T. : Der Begriff der koordinatorischen und der mo¬
torischen Zelle. — 9. L ö w e n t h a 1 - Braunschweig: Die objek¬
tiven Symptome der Neurasthenie. — 10. Marburg - Wien: Zur
Pathologie der grossen Hirngefässe. — 11. Marinesco-
Bukarest: Untersuchungen über spinale Lokalisation. — 12. M e -
s c h e d e - Königsberg: Thema Vorbehalten. — 13. Münzer-
I’rag: Zur Lehre vom Neuron. — 14. Neisser- Lublinitz: Thema
Vorbehalten. — 15. Obersteiner-Wien: Thema Vorbehalten.
— 16. A. Pick- Prag: Zur pathologischen Histologie des Gehirns.
17. Friedei Pick -Prag: Ueber klinische Temperatursinnsprüfung.
— 18. Pilcz-Wien: Ueber Ergebnisse elektrischer Unter¬
suchungen an Geisteskranken. — 19. Pro bst- Wien: Zur Klinik
und pathologischen Anatomie eines eigenartigen Verblödungs¬
prozesses im Kindesalter. — 20. R a i m a n n - Wien: Demon¬
stration mikroskopischer Präparate und Bericht über einen Fall
von Polioenkephalitis. — 21. R o t h m a n u - Berlin: Ueber die
Ergebnisse der experimentellen Ausschaltung der motorischen
Funktion und ihre Bedeutung für die Pathologie. — 22. S t e ru¬
ber g - Wien: Zur Physiologie des menschlichen Zentralnerven¬
systems nach Studien an Hemikephalen. — 23. Stransky-
Wien: Ueber diskontinuierliche Zerfallsprozesse an peripherischen
Nerven. — 24. Sträussler - Prag: Ueber Folgezustände fötaler
Hydrokephalie. — 25. v. Wagner- Wien: Neurologisch-psychia¬
trische Mitteilungen. — 26. Wiener- Prag zugleich für Münzer-
Prag: Das Zwischen- und Mittelhirn des Kaninchens.
Die Abteilung wird eingeladen: von Abteilung 11 (Anthropo¬
logie) zu: Mayer- Bad Sulz: Ueber die Entstehung des Menschen,
der verschiedenen Menschen- und Tierarten. Von Abteilung 14
(.Innere Medizin) zu: v. P o e h 1 - Petersburg: Die Autointoxikation
bedingt durch Anomalien der Gewebsatmung und der osmotischen
Spannung. — Ziemssen - Wiesbaden: Gesichtsfeldaufnahme als
Kontrolle in der Behandlung der Hirn- und Rückenmarkslues.
20. Abteilung: Augenheilkunde.
1. Bondi-Iglau: Ueber die Erkrankungen des Auges nach
einer schweren Masernepidemie. — 2. C z e r m a k - Prag: Thema
Vorbehalten. — 3. Elschnig- Wien: Ueber Augenspiegelbefunde
bei einigen inneren Erkrankungen. — 4. H e r r n h e i s e r - Prag:
Ueber experimentelle Embolien in den inneren Augenhäuten. —
0. Hirsch- Prag: Ueber die Entwickelung der Hornhautgefässe.
— 6. H ö 1 z 1 - Prag: Ueber endokulare Desinfektion. — 7. Nickerl-
S:fi?4hia Vorbehalten. — 8. Pichler- Prag: a) Versuche
ubei die Ableitung der Tranen unter physiologischen und patho¬
logischen Verhältnissen, b) Thema Vorbehalten. _ 9 Pod lisch ka-
Gablonz: Ueber subkonjunktivale Starextraktionen. — lo Schanz-
Dresden: Die Augenentzündung der Neugeborenen und der Gono-
kokkus. — 11 U 1 b r i e h - Prag: Ueber primäre Bindehaut-
geschwulste (mit Demonstration).
, 1M(; Abteilung wird eingeladen: von Abteilung 14 (Innere
Medizin) zu: Ziemssen- Wiesbaden: Gesichtsfeldaufnahme als
Kontrolle in der Behandlung der Hirn- und Rückenmarkslues (mit
Demonstration).
21. Abteilung: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
Abteilung 21 a: Hals- und Nasenkrankheiten.
1. B r ü g e 1 m a n n - Berlin: Das Asthma hystericum und die
Asthmatherapie im allgemeinen. — 2. C o r d e s - Berlin: Demon¬
stration neuer Naseninstrumente. — 3. F 1 a t a u - Berlin: Ueber
den Einfluss verschiedener Vokalstellungen auf den Kehlkopf.
4. Heymann - Berlin: Zur Anatomie und Pathologie der Neben¬
höhlen der Nase. — 5. II o f f in a n n - Dresden: a) Ueber Kiefer¬
cysten (mit Demonstration mikroskopischer Präparate), b) Ein
Fall von Wangenabszess nach Kieferhöhleneiterung. — 6. Löwe-
Berlin: Ueber die Ausräumung der Nase vom Munde her. —
7. Müll ie r - Karlsbad: Thema Vorbehalten. — 8. Rosenberg-
Berlin: Ueber Pachydermia laryngis. — 9. Rethi-Wien: Die
sekretorischen Nerven des weichen Gaumens. — 10. Scheie r-
Berlin: Ueber den Blutbefund bei Kindern mit Wucherungen des
Nasenrachenraumes. — 11. v. Schroetter-Wien: Thema Vor¬
behalten. * ✓
Abteilung 21 b: Ohren- und Nasenkrankheiten.
1. Alexander- Wien: a) Anatomisch-physiologische Unter¬
suchungen an Tieren mit angeborenen Labyrinthanomalien, b) Zur
Histologie der Hörnervenatrophie. — 2. Ferd. Alt- Wien: Experi¬
mentelle Untersuchungen der Otosklerose. — 3. W. Anton-
Prag: Demonstration über die Tuben-Paukenhölilentonsille und
kongenitale Deformitäten der Nasenscheidewand. _ 4. Braun-
s t e i n - Halle: Zur Lehre von den extraduralen Abszessen bei
Otitis. — 5. Buhe- Halle: a) Existieren zwischen Paukenhöhlen-
und Labyrinthgefässen direkte Anastomosen? b) Funktionelle
Endresultate nach der Totalaufmeisselung des Mittelohrs. —
6. K. G r u n e r t - Halle: Ueber die neuen Angriffe gegen die
Parazentese des Trommelfells. — 7. Habermann - Graz: Thema
Vorbehalten. — 8. Katz - Berlin: Anatomische Demonstrationen
des Gehörorganes mit Projektionen: a) des Gehörlabyrinthes;
b) pathologische Zustände bei Cholesteatom, sog. Otosklerosis etc.
— 9. L ö w y - Karlsbad: Thema Vorbehalten. — 10. Müller-
Karlsbad: Thema Vorbehalten. — 11. P i f f 1 - Prag: Demonstration.
— 12. Walther Schulze- Halle: a) Ueber einen Fall von Empyem
des Sacculus endolymphaticus labyrinthi mit letalem Ausgange,
b) Zur Symptomatologie der Leptomeningitis purulenta ex otitide.
— 13. S c h w a rt z e - Halle: Anomalien im Verlaufe des Fazialis
in ihrer Bedeutung für die Mastoidoperationen. -14. V. Urban-
t s c h i t s c h - Wien: Ueber katalytische Behandlung des Ohres.
— 15. E. Z a u f a 1 - Prag: Ueber Entstehungs- und Heilungsvor¬
gänge bei traumatischen Rupturen.
Die Abteilung ist eingeladen: von Abteilung 2 (Physik) zu:
Wien- Aachen: Ueber die Empfindlichkeit des menschlichen
Ohres für Töne verschiedener Höhe.
22. Abteilung: Dermatologie und Syphilidologie.
1. B ö li m - Karlsbad: Krankendemonstration. — 2. Breiten-
s tei n - Karlsbad: Die Zirkumzision in der Prophylaxe der Sy¬
philis. — 3. D o m m e r - Dresden: Zur instrumentellen Behandlung
der gonorrhoischen Striktur (mit Demonstration). — 4. Elir-
mann- Wien: a) Die Beziehung der Sklerodermie zu den auto-
toxisclien Erythemen, b) Demonstration von Injektionspräparaten
der Initialsklerose, c) Ueber Sklerosenreste und ihre Beziehung
zu den Syphilisrezidiven. — 5. Euler Gen Rolle- Wien: Neues
aus dem Gebiete der Radiotherapie. — 6. Freund- Wien: Neue
Erfahrungen in der physikalischen Therapie der Hautkrankheiten.
— 7. G a 1 e w s k y - Dresden: a) Beitrag zur Aetiologie der Akne.
b) Ueber Eupicin. c) Ueber nichtgonorrhoische Urethritiden. —
8. G e y e r - Zwickau: Demonstration einer eigenartigen Liclien-
erkrankung. — 9. G o 1 d b e r g - Köln-Wildungen: a) Die Ver¬
hütung der Harninfektion, b) Kleine Mitteilungen über Prostatitis.
— 10. Grosz- Wien: Ueber eine bisher nicht beschriebene Kom¬
plikation der Gonorrhoe (mit Demonstration). — 11. Grünfeld-
Wien: Thema Vorbehalten. — 12. G u t h - Karlsbad: Demonstration
von Patienten. — 13. Holzknecht-Wien: Ueber eine neue
Dosierungsmethode in der Radiotherapie. — 14. Joseph und
P i o r k o w s k y - Berlin: Weitere Beiträge zur Lehre von den
Syphilisbazillen (mit Demonstration). — 15. K r e i b i c h - Wien:
Thema Vorbehalten. — 16. Merk- Graz: a) Kritische Betrach¬
tungen über die Symptomatologie der Herpeserkrankungen, b) Die
Beziehungen von Hautkrankheiten zu hautfernen Lymphangoitiden.
c) Ueber den „Herpes motorius“ und die einheitliche Auffassung
der Herpeserkrankungen. — 17. M r ä c e k - Wien: Hereditäre
Syphilis. — 18. Neuberger - Nürnberg: Ueber Prostatitis gonor¬
rhoica chronica. — 19. Frhr. v. N o 1 1 h a f f t - München: a) In¬
strumentelles. b) Ueber explorative Prostatamassage. — 20. Oppen¬
heim-Wien: Ueber Alkaleszenz und Stickstoffgehalt des Blutes
1328
Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift
No. 31.
bei Syphilis und verschiedenen anderen Hautkrankheiten (Aus der
Klinik von Ho trat N o u m a n 11 - W 1011.) -t. 11. • •
I'r-i» - Vorstellung von Kranken. — 22. 11 i c h t e r - Berlin: 1 el)ei
unschädliche Haarfärbemittel. — 23. K o sen s ta dt -Kails -1.
Vergleichende histologische Untersuchungen über den UihoiiniUsS
IS- 24. S c U oT , z-Ktaigstarg: l«e Berita
kokken Infektion bei Hautkrankheiten - 2o baalf :eld Beilm.
Diabetes und Hautkrankheiten. — 20. Schiff- Wien. voit g
mit Demonstrationen über die bisherigen therapeutischen Krfol»e
von llöntgenstralilen bei Hautaffektionen. — -«•
Wien- Beiträge zur Kenntnis des Pigmentes. - 8*.lJT“mann
Wien" a) Wirkungen der konstanten Wärme auf Krankheits-
Prozesse. b) Demonstration des Ilydrothermoregulators verschie¬
dener Thermokörper, mikroskopischer Präparate. — 29 JVaelsth^
Prag; Ueber chronische Prostatitis. — 29. W 1 “ t e *,3 * V*
Prag: a) Ueber die Wirkung der Balsamika, b) Eine *
mykosis des Kopfhaares, c) Bemerkungen über die 1 ettaus
sclieidung durch die Sch weissdrüsen. ,r
Die Abteilung wird eingeladen: von Abteilung 11 (Inneue I -
dixlnf z«: Z 1 " m »e>- Wiesbaden: üeaicMsfeldaufnabme ab
Kontrolle in der Behandlung der Hirn- und Ruckenmaikslues.
23. Abteilung: Zahnheilkunde.
1 Roennecken- Prag: Zur Behandlung der Pulpagangrän.
_ 2 balma Fiume: ist die kranke Pulpa beilbar? »lass man
sie zerstören? — 3. H e r b s t - Bremen: a) Goldfullungen mit
Universalgold, b) Brückenarbeiten, c) Ringe und Kappen^ d) D -
verse Neuheiten. (Mit Demonstrationen.) — 4. Hei n J a n n
Karlsbad: a) Ueber Aetiologie und Bekamprung schwe .stillt >ai
Blutungen post extractionem. b) „\aria aus der (
Demonstrationen.) — 5. K a r 1 - Pössneck 1. 1 ‘ deutscher
Zahn- und Munderkrankungen m einzelnen Bianchen d^tscbe
Industrie und deren Bekämptung. — 0. K e i st in g - Aachen .
Leicht abnehmbare Angelschienen für Unt®rfte^e[fzUCWien Rba-
sektionen (mit Demonstrationen). — <• v. M e t n 1 1 z - Wiem R
cbitis der Kiefer. — 8. Müller- W adensweil . a) A oitiag um
Demonstration: 1. Doppel-Metallgebissplatten; 2. Ein neuer Gebiss;
nrtikulatoi” 3. Einige Modifikationen an Kronen und Biucken
arbeiten, b) (Ueber -Wunsch) Goldkronen, Kapselstittzahne und
abnehmbare Brücken. — 9. Pokorny-Iglau- (Mit Demonstration )
Altes und Neues in der Zabnbeilkunde, speziell Neuerungen auf
dem Gebiete: Stiftzähne, Goldkronen, abnehmbare Brucken, Re-
guliennasehinen und Obturatoren, Unterkiefertrakturscbienen,
Stahlplattengebisse, Goldgusspiegen ohne Lotung. — 10. .Pc i t
Heidelberg: Thema Vorbehalten. — 11. Rose- Dresden: a) ZuiPatho
logie der Kalkarmut. b) Die Stillungsfrage, c) Thema voi-
belialten _ 12. R i c h t e r - Berlin: Ueber Bromathernarkose. -
13 Sachs- Berlin: Thema Vorbehalten. — 14. Scheuer-
Teplitz* a) Das Färben von Glasflüssen für zahnärztliche und zahn-
techniscbe Zwecke, b) Vereinfachte Darstellung von Jenkms Por-
zellan-Emaüfüllungen. c) Blut- und Schmerzstillung nach Zahn¬
extraktionen. (Mit Demonstrationen.) — 15. S c h 1 1 d - Karlsbad:
a) Thema Vorbehalten, b) Demonstration einiger Neuerungen aut
technischem Gebiete. — 16. Senn- Zürich: a) Prognose und The¬
rapie der Alveolarpyorrhoe, b) Beitrag zur Sterilisation unseres
Instrumentariums. (Mit Demonstrationen.) — 17. S i k k i n g e i -
Brünn: Notwendigkeit der Zahnpflege in der Armee. — 18. W itzel-
Essen: a) Ueber Zabnwurzelcysten. b) Demonstration der Adolt
IV i t z e 1 sehen Amalgampräparate, c) Verschiedene Neuerungen.
(Mit Demonstrationen.)
24. Abteilung: Militärsanitätswesen.
1 B i e h 1 - Wien : Heben trockene, bleibende Lücken im
Trommelfell in jedem Falle die Tauglichkeit zum Waffendienste
.U1f? _ 2. R o 1 1 e r - München: Antial, Volksersatzgetränk für
Alkohol als Feldflaschenfülliing. — 3. T r n k a - Prag: Ueber Her¬
nien und Hydrocelen.
25. Abteilung: Gerichtliche Medizin.
1. Ditt rieh- Prag: Ueber Verletzungen und Tod durch
Ueberfahrenwerdem vom forensischen Standpunkte. — 2. I p s e n -
Innsbruck: Pankreasblutung in ihrer Beziehung zum Tode Neu
geborener — 3. K r alte r - Graz: Ueber den Wert der biologischen
Reaktion zur Unterscheidung von Tier- und Menschenblut. (Nach
Untersuchungen von Dr. O k a m o t o aus Tokio.) — 4. L i n i g e i -
Bonn: Bauchbrüche und Unfall. — 5. Il.i c li t e r - W ieu: a) Le H>
plötzliche Todesfälle hei Kindern, b) Neuere Methoden des foren¬
sischen Blutnaebweises. - 6. S c h 51 f t e r- Bingen a/Kli.. Zm
Pathologie der posttraumatischen Rückenmarksei kiankungen.
26. Abteilung
Hygiene, einschliesslich Bakteriologie und Tropen¬
hygiene.
1 Hovorka von Z d e r a s - Teslic (Bosnien): Ueber
Impfling gegen Malaria mit dem K u h n scheu Serum in Bosnien.
_ •> K u li n - Berlin: Ueber den Verlauf der Malaria ohne Cluiiin-
beliandlimg. - 3. L a n g e r - Prag: Uebertragung pathogener Bak¬
terien durch niedere Tiere, bedingt durch deren EntwickelungS-
o-eschichte. - 4. L e v y - Strassburg i/E.: Ueber Strahlenpilze -
5 l o d e - Innsbruck: Thema Vorbehalten. — 6. Ro t * ® r ‘ ^un‘
ciien • Ueber Antial, ein Volks- und Ersatzgetränk Dir Alkohol. —
7 Schrank- Wien: Schaffung eines internationalen Gesetzes
gegen die Ausbreitung der venerischen Krankheiten. — 8. Sarason-
Berliir Ein neuer Bautypus für Krankenhäuser, speziell Lungen¬
heilstätten. - 9. S c li ü r m a y e r - Hannover: Reiz und Gegenreiz
und die Infektion. — 10. S p a e t - Bamberg: Die Lebensgefaln-
dun°' in der Stadt und auf dem Lande. — - 11. V o i g t - Hambuig.
mscbliffektionern _ 12. W e y 1 - Berlin: Fortschritte der Strasse*
hygiene.
Die Abteilung ist eingeladen: von Abteilung 9 (Botanik) zu:
Moliscli- Trag: Ueber das Leuchten des Fleisches (mit Demon¬
stration). Von Abteilung 14 (Innere Medizin) zu: Paul am Ende-
Dresden: Das Sehulbrausebad und seine Wirkung.
27. Abteilung: Tierheilkunde.
L Dexler - Prag : Die Encephalitis haemorrhagica des
Pferdes (mit Demonstrationen). — 2. Hartl- Wien: Thema Vor¬
behalten. - 3. G ün t li e r - Wien: Thema Vorbehalten. - 4 Jeus-
Charlottenburg: Die spezifischen Sera und ihre Veiweitimg bei
der Fleiscliuntersuchung. — 5. I m m i n g er - München. Ibema
Vorbehalten. — 6. Kuhn-Berlin: Die Bekämpfung der Binder¬
test — 7. Latschenberger- Wien-: Thema Vorbehalten. —
S. Storch- Wien: Die chemischen Unterschiede der Milch un¬
serer Haustiere.
Die Abteilung ist eingeladen: von Abteilung 10 (Zoologie) zu.
Landois - Münster: Ueber Mischlinge zwischen Haus- und Wild¬
schwein (mit Demonstration). Von Abteilung 11 (Anthropologie)
zu: Mayer -Bad Sulz: Ueber die Entstehung des Menschen, der
verschiedenen Menschen- und Tierarten.
28. Abteilung: Pharmazie und Pharmakognosie.
1. B e r n e g a u - Hannover: a) Ueber die Weinkultur im Ar¬
chipel Teneriffa, Kanarische Inseln, Madeira, Azoren, b) Ueber
die Ananaskultur auf der Insel St. Miquel (Azoren). — 2. F 1 r b a s -
Wien: Thema Vorbehalten. — 3. F u c h s - Biebrich a/Rli.: Thema
Vorbehalten. — 4. G a d a m e r - Marburg a/L.: Ueber Berberin
und verwandte Alkaloide. — 5. Glücks m ann - Wien: Themen
Vorbehalten. 6. Jo lies- Wien: Einiges über die chemische
Blutuntersuchung
Kraitli- Wien: Alkalialbuminate.
8. Neu mann- Wende r - Czernowitz: Ueber einige wichtige
Fragen aus der pharmazeutischen Nebenindustrie. — 9. Regens¬
dorf er- Wien: Ueber die Anwendung von Eisenphosphoreiweiss-
Präparaten. — 10. S c b e 1 e n z - Kassel: Thema Vorbehalten.
11. Siedlet- Berlin : Thema Vorbehalten. — 12. Skra u p -
Graz: Thema Vorbehalten. — 13. S ü s s - Dresden: Thema Vor¬
behalten.
Die Abteilung ist eingeladen: von Abteilung 5 (Nabrungsmittel-
untersuchung) zu: Lang er- Prag: Welche Eigenschaften charak¬
terisieren den reinen Bienenhonig?
Morbiditätsstatistik! InfektionskrankheitenfürMünchen.
in der 29. Jahreswoche vom 13. bis 19. Juli 1902.
Beteiligte Aerzte 129. — Brechdurchfall 14 (24*), Diphtherie u.
Kroup 6 (8), Erysipelas 3 (11), Intermittens, Neuralgia interm.
_ Kindbettfieber — (1), Meningitis cerebrospin. 1 (1),
Morbilli 23 (23), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 1 (3), Parotitis
epidem. — (3), Pneumonia crouposa 5 (8), Pyämie, Septikämie
— (-), Rheumatismus art. ac. 9 (17), Ruhr (Dysenteria) — (— ),
Scarlatina 3 (3), Tussis convulsiva 22 (44), Typhus abdominalis —
(1), Varicellen 11 (8), Variola, Variolois — (— ), Influenza 1 (2).
Summa 98 (155). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle derVorwoche.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 29. Jahreswoche vom 13. bis 19. Juli 1902.
Bevölkerungszabl : 499 932.
Todesursachen: Masern 2 (2*) Scharlach — (■ — ) Diphtherie
u. Kroup — (— ), Rotlauf - (1), Kindbettfieber — (1), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w-) 2 (1), Brechdurchfall 4 (8), Unterleib-Typhus —
(— ), Keuchhusten — (2), Kruppöse Lungenentzündung 3 (3), Tuber¬
kulose a) der Lunge 29 (24), b) der übrigen Organe 8 (10), Akuter
Gelenkrheumatismus — (, — ), Andere übertragbare Krankheiten
3 (4), Unglücksfälle 3 (1), Selbstmord 4 (3), Tod durch fremde
Hand — ( — ). . .
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 198 (2 IG), Verhältniszald aut
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,3 (22,2), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 12,8 (14,0).
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Miihlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München
Die Munch. Med. Wochenschr. erscheint wöchenü.
in Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen.
Preis in Deutschi, u Oest.-Ungarn vierteljährl. 6 JL
ins Ausland 8.— M.. Einzelne No. 80
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressiren : Für die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
0. ». Angerer, Ch. Baumler, 0.
München. Freiburg i. B. München.
Herausgegeben. von
H. Curschmann, W. v. Leube, G. Merkel, J. v. Michel, F, Penzoldt, H, v. Ranke, F. v, Wi
Leipzig. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München.
München
No. 32. 12. August 1902,
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem pharmakologischen Institut zu Zürich.
Zur Kenntnis der Salzsäuresekretion.
Von Prof. M. C 1 o e 1 1 a.
In neuerer Zeit sind mehrfach Versuche gemacht worden,
um die Frage zu lösen, inwieweit die Salzsäureabscheidung im
Magen durch die Art der Speisen beeinflusst werde. Abgesehen
von dem physiologischen Interesse haben diese Verhältnisse
auch grosse praktische Bedeutung, da die gewonnenen Resultate
\ eranlassung geben können zur Aufstellung eines Speisezettels
für die verschiedenen Sekretionsanomalien des Magens. Trotz
den vielen heissen Bemühungen sind bis jetzt in dieser Richtung
keine einheitlichen Resultate gewonnen worden, so dass man
auf Grund dieser experimentellen Untersuchungen nicht berech¬
tigt wäre, diese oder jene Diätform als die einzig richtige auf¬
zustellen. Sörensen und Metzger1) fanden zwischen Ei¬
weisskost und Kohlehydrate keinen grossen Unterschied, während
umgekehrt Bach mann2) findet, dass die Eiweissnahrung die
HCl- Absonderung stärker anregt als Milch und Kohlehydrate.
S c h ü 1 e °) findet sogar bei Milchdiät gelegentlich die höchsten
HCl-Werte. Meyer4) ist der Ansicht, dass mit diesen Sachen
auf die Dauer doch keine Aenderung der Säureproduktion mög¬
lich sei. Einigkeit scheint nur darüber zu herrschen, dass bei
Gegenwart von Fett, und zwar namentlich Milchfett, die HC1-
Produktion wesentlich geringer ausfalle (W. Bachmann5),
Strauss ). Es ist nicht meine Absicht, eine erschöpfende
Darlegung dieser Untersuchungen zu geben; die genannten Be¬
lege dürften genügen, um darzutun, dass tatsächlich die Ab¬
hängigkeit der Salzsäuremenge von der Art der Speise allein
noch nicht genügend festgestellt ist.
Alle die bisher erwähnten Befunde beziehen sich natürlich
auf chemische Analyse des Magensaftes, also auf die Funktions¬
prüfung der Magenschleimhaut. Es wäre vielleicht leichter ge¬
wesen, in diese Sache Klarheit zu bringen, wenn neben den
reichlichen Funktionsprüfungen auch ein entsprechendes ana¬
tomisches Material Vorgelegen hätte, und das ist leider nicht der
lall, obwohl doch die Berechtigung vorliegt, anzunehmen, dass
solche Untersuchungen zu einem positiven Resultat führen
könnten. Denn seit den grundlegenden Versuchen Heiden-
h a i n s herrscht ziemlich allgemein die Ansicht, dass den in
der Magenschleimhaut sich findenden Haupt- und Belegzellen
Giue verschiedene physiologische Bedeutung zukomme in dem
Sinne, dass die Belegzellen in der Hauptsache der Salzsäure¬
produktion vorstehen. Es ist also anzunehmen, dass eine Rei¬
zung der Belegzellen eine Vermehrung der HCl bedinge, und es
würde daraus weiter die Frage sich ableiten, ob ein konstanter
Reiz, der eine Vermehrung der HCl zur Folge hat, nicht auf die
Dauer eine Veränderung an dem anatomischen Bilde namentlich
uiit Rücksicht auf die Belegzellen hervorbringen könne. Daraus
resultiert für die Magenpathologie als sehr wichtig die Lösung
b Münch, med. Wochenschr. 1S9S. 36.
') Arch. f. Verdauungskrankh., V., 3. 1S99.
s) Zeitsckr. f. klin. Med. 1895/96. 28, 29.
4) Arch. f. Verdauungskrankh., VI., 3. 1900.
6) Zeitschr. f. klin. Med. 1900. XL., 3 u. 4.
°) Ther. d. Gegenw., N. F., II., 9. 1900. '
No. 32.
der Frage: Wie verhalten sich die mikroskopischen Bilder der
Magenschleimhaut zu den Sekretionsanomalien der Salzsäure?
Leider stösst die Beschaffung des nötigen Untersuchungsmaterials
auf grosse Hindernisse, denn erstens dürften Sektionen von
Fällen mit reiner Saftsekretionsanomalie zu den Seltenheiten
gehören und zweitens ist die Untersuchung des Materials na¬
mentlich mit Hinsicht auf Funktionsverhältnisse eine schwie¬
rige, da bekanntlich schon x/z Stunde nach dem Tode die Fein¬
heiten des Magenepithels zu Grunde gehen. Strauss und
Meyer ) und Albu und K o e h s) haben solche Unter¬
suchungen ausgeführt und neben einer Wucherung des Epithels
auch parenchymatöse Veränderungen gefunden, von denen man
sich dann eben fragen muss, inwieweit sie für die reine Hyper¬
sekretion pathognomonisch sind.
Am leichtesten wäre die Frage wohl zu lösen, wenn es ge¬
länge, bei einem Patienten, der erwiesenermassen an einer. reinen
Hypersekretion leidet, intra vitam kleine Stücke der Magen¬
schleimhaut zur mikroskopischen Untersuchung zu erhalten. Aber
auch hier müssen wir leider gestehen, dass die willkürliche Be¬
friedigung dieses Wunsches für ein normales ärztliches Gewissen
nicht wohl angeht. Immerhin hat sich auch hier ein Spezialist
gefunden, der solche Versuche ausführte. Hemmeter1) hat
eine Sonde konstruiert, die an ihrem unteren Ende eine meissel-
artige Kante trägt, mit der man sehr leicht kleine Schleimhaut¬
stücke abschrappen kann. Glücklicherweise hat sich bis jetzt
kein hoffnungsvoller junger Forscher gefunden, der diese
Methode weiter ausgebaut hälfte, und so sind wir auf die Resul¬
tate Hemmeter s angewiesen. Unter 10 gesunden Personen
fanden sich 8 mal normale Verhältnisse; die Patienten mit
Hyperchlorhydrie zeigten zu % der Fälle Wucherung der Drüsen¬
schläuche und Hypertrophie der Belegzellen, die Fälle von Sub-
und Anazidität zeigten zu % die Erscheinungen der Atrophie.
Wenn diese Befunde verallgemeinert werden und konstant
bei der vermehrten HCl-Äbscheidung eine Wucherung von Beleg¬
zellen angetroffen wird, dami ist ja wohl an dem Zusammen¬
hang nicht mehr zu zweifeln; es wäre dies eine klinische Be¬
stätigung der Heidenhain sehen Versuche und es fragt sich
dann nur, was das Primäre ist, die Wucherung oder die ver¬
mehrte Sekretion. Ist die Wucherung das Primäre, dann ist
die Hyperazidität eine anatomisch charakteristische Erkrankung,
ist sie aber sekundär, dann ist die vermehrte HCl-Produktion
nach wie vor dunkel in ihrer Aetiologie, ein „Zustand“, der, wie
Alb u und Koch "') sagen, scheinbar eine selbständige Krank¬
heit darstellend, doch seinem Wesen nach mehr als eine funk¬
tionelle Neurose erscheint.
Angesichts dieses unabgeklärten Zustandes habe ich ver¬
sucht, einen experimentellen Beitrag zur Lösung der Frage bei¬
zusteuern. Bei Gelegenheit früherer Versuche hatte ich die Be¬
obachtung gemacht, dass wachsende Hunde, welche ausschliess¬
lich mit Milch ernährt wurden, keine HCl in ihrem Mageninhalt
aufweisen; umgekehrt fand Hemmeter7 8 * 10 11), dass Hunde unter
Fleischnahrung mehr Salzsäure bilden als bei gemischter Kost.
Der Versuch wurde nun in folgender Weise ausgeführt: 4 Hunde
7) Virchows Arch., CLIV., 3. 1898.
8) Virchows Arch., CLVII., 1. 1899.
s) Arch. f. Verdauungskrankh., IV., 3. 1898.
10) 1. c.
“) 1. c.
1
1330
MUENOHENER MEDIClRISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
desselben Wurfes (15. Februar 1899) wurden m 2 Gruppen ge¬
teilt; 2 Hunde erhielten ausschliesslich fette Milch mit etwas
Eisenzusatz, um das Auftreten der Anämie zu verhindern, die
beiden anderen bekamen nach allmählichem Uebergang zuletzt
ausschliesslich rohes Fleisch in steigender Menge, bis zu 500 g
pro Tag und Tier. Da ich mir sagte, dass möglicherweise bei den
früheren Milchhunden das Fehlen der HCl bedingt gewesen sein
könnte durch eine Degeneration infolge fortwährenden Aufent¬
haltes im Stalle, so habe ich die Tiere tagsüber in einem Pferche
auf einer Wiese gehalten. Alle 4 Tiere entwickelten sich sehr
gut ; nach 3 Monaten wurde zum erstenmal der Mageninhalt
untersucht, nachdem die Tiere eine Probemahlzeit, bestehend
aus Suppe und Brot erhalten hatten. Die Milchhunde zeigten
überhaupt keine HCl, die Fleischhunde hatten 1 Prom. freie ITU.
Rach weiteren 3 Monaten wurde derselbe Versuch wiederholt;
die Resultate waren dieselben; nach 9 Monaten wurde wieder
eine Ausheberung gemacht, die Milchhunde hatten gar keine
HCl, die Fleischhunde ziemlich übereinstimmend 2,5 Prom.
freie’ HCl. Als noch nach weiteren 14 Tagen das Resultat wieder
dasselbe war, glaubte ich von einer Fortsetzung des sehr müh¬
seligen und kostspieligen Versuches abstehen zu dürfen. Die
Tiere waren vollkommen ausgewachsen, der Hämoglobingehalt
bei allen normal, die Entwicklung der Milchhunde aber im ganzen
besser. Die Tiere wurden nun durch Erschiessen getötet; der
Magen sofort eröffnet und an 5 verschiedenen Stellen desselben
vom Fundus bis zum Pylorus kleine Stücke der Schleimhaut
exzidiert. Die Härtung geschah jeweils in Alkohol, Zenker¬
scher Lösung, Salpetersäure, Sublimat und Flemming scher
Flüssigkeit. An den in Paraffin eingebetteten Präparaten
wurden dann noch die verschiedenen Färbungen probiert ).
Und nun die Resultate? Ich kann mich deren bezüglich
kurz fassen:
Es hat sich bei allen Methoden auch nicht der geringste
Unterschied zwischen dem salzsäurehaltigen und dem salzsaure-
freien Magen nachweisen lassen. Wenn man die Etikette ver¬
deckte, war es einfach unmöglich, zu entscheiden, ob der be¬
treffende Schnitt aus dem Fundus des Milch- oder des Fleisch¬
hundes stammte. Wenn man bedenkt, wie rasch beim jugend¬
lichen Organismus Funktionsatrophie eintritt und wie schnell
umgekehrt auch wieder Kompensationen geschaffen werden, so
war man wohl berechtigt, ein anderes Resultat zu erwarten.
Und was die Dauer des Versuchs anbetrifft, so betrug dieselbe
ca. 11 Monate, eine Zeitdauer, die, auf die menschliche Ent¬
wicklung übertragen, doch wenigstens einem Zeitraum von
5 — 6 Jahren entsprechen würde. ,
Was können wir aber aus diesen Ergebnissen für. Schlüsse
ziehen? Wie mir scheint ist hier erstens einwandfrei der Be¬
weis erbracht (um so mehr, als dies auch mit meinen Beob¬
achtungen aus früheren Versuchen übereinstimmt), dass es ge¬
lingt, durch fortgesetzte Darreichung von fetter Milch die HC1-
Produktion herabzusetzen bezw. nicht zur Entwicklung kommen
zu lassen. Diese Tatsache würde sich vollständig decken mit
den praktischen Erfahrungen der letzten Jahre, die gezeigt
haben, dass die Beschwerden der Patienten mit Magensaftfluss
durch eine Milch- und Fettdiät sehr häufig günstig beeinflusst
werden. Eine ganz andere Frage aber ist die, ob es gelingen
wird, durch fortgesetzte Milchdiät einen Patienten, der an
Hyperchlorhydrie leidet, dauernd von seinem Uebel zu befreien.
Meine mikroskopischen Befunde scheinen darauf hinzuweisen,
dass hier reichlicher Skeptizismus angebracht wäre. Wir müssen
doch erwarten, dass bei diesen Milchhunden, die nie Salzsäuie
produziert haben, auf eine geeignete Diät hin sicher diese Salz¬
säure sofort auf getreten wäre; wir müssen dies annehmen, weil
die mikroskopische Untersuchung auch nicht den geringsten
anatomischen Unterschied im Vergleich mit den Fleischhunden
ergeben hat und wir deshalb, wenigstens nach dem Stande un¬
serer heutigen Anschauungen, auch nicht berechtigt sind, anzu¬
nehmen, dass diese Zellen funktionsuntüchtig geworden seien.
Wenn wir also auch durch geeignete Diät beim Magensaftfluss
die Symptome lindern, so ist damit nicht gesagt, dass wir auch
im stände sind, auf die Dauer diese abnorme Sekretionstätigkejt
zu beeinflussen, weil durch das blosse Richtfunktionieren, wie
m Herr Prof. Rüge hat mir in zuvorkommendster Weise die
Hilfsmittel des anatomischen Institutes für diese Untersuchungen
zur Verfügung gestellt.
aus den obigen Versuchen hervorgeht, keine Aenderung in den
sekretorischen Apparaten hervorgerufen werden konnte. Diese
Anschauung wird gestützt durch die unliebsamen praktischen
Erfahrungen, die man an Patienten mit starker Hyperchlorhydrie
machen kann : Sie werden durch die Diät gebessert, d. h. die
Funktion wird eingeschränkt, aber wenn sie zur gewöhnlichen
Kost zurückkehren, erscheint auch die HCl wieder; es handelt
sich also nicht um eine Heilung.
Prinzipiell wichtig wäre nur die Entscheidung der Frage,
ob bei der reinen Hyperchlorhydrie eine V ermehrung der
Belegzellen fehlt, ob mit anderen Worten Hyperchlorhydrie und
Vermehrung der Belegzellen zwei Dinge sind, die nicht notwendig
miteinander verknüpft zu sein brauchen. Der Magensaftfluss
könnte dann als Reurose auf gefasst werden und die Krankheit
entsteht, wenn die Reurose habituell geworden ist. Damit würde
aber der diagnostischen Bedeutung, welche solchen kleinen
Schleimhautstückchen beigemessen wurde, ein Moment entzogen,
da Funktions- und histologischer Befund sich eben nicht völlig
zu decken scheinen. .
Damit bin ich nun zum zweiten Punkt meiner Ergebnisse
gelangt, zu dem Umstand nämlich des negativen Ausfalles be¬
treffend das Verhalten der Belegzellen und Drüsenschläuche bei
den Fleischhunden. Ob dieser Befund zu weiteren Schlüssen be¬
rechtigt, möchte ich dahingestellt sein lassen. Wenn auch das
durchaus analoge Verhalten der Magenschleimhaut mit den
anaziden Hunden darauf hinzuweisen scheint, dass der blosse
Umstand der HCl-Produktion gegenüber der Hicht-Produktion
von sich aus keine anatomische Veränderung bedingt, sondern
dass hier offenbar die blosse Reizung der vorhandenen Elemente
zur vermehrten Funktionsleistung genügte, so darf man eben
doch nicht vergessen, dass es sich hier noch um ganz noimale
Werte handelt, die mit einer krankhaften Sekretionsvermehrung
nicht direkt verglichen werden können. Ein solcher Vergleich
wäre erst dann gestattet, wenn es gelänge durch Weiterführung
eines ähnlichen Versuches schliesslich bei der einen Gruppe eine
ausgesprochene Hyperchlorhydrie hervorzurufen, und wenn auch
dann noch die mikroskopischen Bilder sich vollkommen deckten.
Ich habe mich aber doch zur Veröffentlichung dieser Versuche
entschlossen, weil sie gegenüber den Befunden von Hemmeter
und Cohnheim 13) insofern weitere Bedeutung haben, als bei
ihnen nicht kleine Stücke der Magenschleimhaut mit unbekann¬
ter Provenienz untersucht wurden, sondern die ganze Magen¬
schleimhaut systematisch nach den verschiedenen Methoden ge¬
prüft worden war. Denn ich glaube wie Kuttner ), dass man
nicht berechtigt ist, aus kleinen Schleimhautfetzen einen Schluss
auf die anatomischen Verhältnisse der Gesamtschleimhaut zu
ziehen.
Aus dem hygienischen Institute der Universität Giaz.
Ueber die Erzeugung hämolytischer Amboceptoren
durch Seruminjektion.
Von Dr. Paul Theodor Müller, Assistent am Institut.
Die vor Kurzem in dieser Zeitschrift erschienene Arbeit
von Morgenroth1) „über die Erzeugung hämolytischer
Amboceptoren durch Seruminjektionen“, in welcher der Rach¬
weis geführt wird, dass die durch Injektion von Ziegenserum
erzeugten Amboceptoren mit den durch Blutinjektionen zu stände
gekommenen identisch sind, gibt mir die willkommene Ver
anlassung, über einige Versuche zu berichten, die allerdings
von einem anderen Gesichtspunkte ausgehend bereits vor
einem Jahre angestellt wurden. In einer früheren Arbeit ) hatte
ich gezeigt, dass einer ganzen Reihe normaler Blutsera anti-
hämolytische Eigenschaften zukommen, welche sich gegen die
blutkörperchenlösenden Kräfte anderer, gleichfalls nonnaler
Serumarten richten. Wie an der gedachten Stelle des näheren
ausgeführt wurde, tritt diese lösungshemmende Fähigkeit nicht
immer schon an dem unveränderten, aktiven Serum zu Tage,
häufig bedarf es erst der Erwärmung auf 55—60 °, d. i. der In¬
aktivierung des Serums, um deutliche antihämolytische Wir¬
kungen zu erhalten. Es hat das in vielen Fällen einfach seinen
Grund darin, dass die erwähnten Sera im aktiven Zustande selbst
18) Colinlieim: Arcli. f. Verdauungskrankh., Bd. I.
14) Kuttner: Zeitschr. f. klin. Med., Bd. XYL, 1 u. 2. 1902.
9 1902, No. 25.
12. August 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
schon hämolytisch wirken, wodurch die Anwesenheit lösungs¬
widriger Komponenten, die sich gegen die Blutgifte eines anderen
Normalserums wenden, notwendig verdeckt werden muss. Für
andere Fälle kann jedoch diese Erklärung unmöglich zutreffend
sein, aus dem einfachen Grunde, weil die betreffenden Sera auch
im aktiven Zustande jeder hämolytischen Wirkung auf die Blut¬
art, die sie vor der Auflösung zu schützen vermögen, vollständig
entbehren. Ein derartiges Beispiel habe ich in meiner Arbeit
über Antihämolysine2 3) beschrieben. Es handelt sich um die
lösungshemmende Kraft des Meerschweinchenserums
gegenüber der Kombination : Kaninchen seru m4) - Meer¬
schweinchenblut, welche erst nach der Erwärmung des
ersteren zu beobachten ist, während frisches Meerschweinchen¬
serum in dieser Richtung ganz unwirksam erscheint. Ich habe
auch bereits am Schlüsse der eben zitierten Arbeit eine der mög¬
lichen Erklärungen dieser Tatsache in Kürze angedeutet : h i e -
nach wäre die antihämolytische Substanz in
dem frischen Meerschweinchenserum nicht
frei, sondern an eine thermolabile Komponente gebunden,
welche erst durch die Erwärmung zerstört oder abgespalten
würde; allgemeiner und weniger präjudizi erlich ausgedrückt:
erst in Folge der Inaktivierung träten nach
dieser Auffassung in dem Meerschweinchen¬
serum jene haptophoren Gruppen auf, welche
das Kaninchenhämolysin zu verankern und
zu neutralisieren vermögen.
Um über die Richtigkeit dieser Erklärung weiteren Auf¬
schluss zu erlangen, stellte ich damals eine Reihe von Versuchen
an, welche von der folgenden Erwägung ihren Ausgangspunkt
nahmen. Sind tatsächlich die erwähnten haptophoren Gruppen
nur in dem erwärmten Meerschweinchenserum enthalten und
fehlen dieselben in dem frischen Serum, so muss es möglich sein,
mit dem inaktivierten Serum auf dem Wege der Immunisierung
Antikörper zu erzeugen, welche die hemmende Wirkung desselben
auf heben, wogegen die Injektion von frischem aktiven Meer-
schweincliensernm in dieser Beziehung erfolglos bleiben müsste.
Als Versuchstiere für diese Experimente dienten Tauben. Um
die Versuohsbedingungen möglichst gleichartig zu gestalten,
wurden je 2 dieser Tiere in genau der gleichen Weise behandelt,
d. h. sie erhielten in denselben Zeiträumen die gleichen Serum¬
mengen injiziert und wurden gleichlange nach der letzten In¬
jektion aus den Fliigelgefässen verbluten gelassen; der einzige
Unterschied in der Behandlung bestand darin, dass das eine Tier
aktives, das andere hingegen inaktives Meerschweinchenserum
einverleibt erhielt. Die nähere Anordnung der Versuche, die mit
dem so gewonnenen (durch Zentrifugieren abgeschiedenen) Serum
angestellt wurden, ergibt sich nach der oben angegebenen Frage¬
stellung wohl von selbst. Nachdem bestimmt worden war, welches
Quantum inaktiven Meerschweinchenserums hinreichte, um
Meerschweinchenblut vor der Lösung durch eine gegebene Menge
Kaninchenserums zu schützen, wurden zu dieser unwirksamen
Mischung verschiedene Mengen des erwärmten Taubenserums
hinzugefügt und durch 2 Stunden bei 37 0 C. einwirken gelassen.
Taube I erhält innerhalb 8 Tagen 13 ccm inaktiviertes
Meerschweinchenserum 1 intraperitoneal injiziert. Blutentnahme
8 Tage nach der letzten Injektion. (Serum = AI.)
a) Meerschweinchenserum 1, Kaninchenserum, Antiserum I,
Meerschweinchenblut.
1 ccm MB1 -f 0,3 Kfr .
„ -f- 0,3 „ -f- 0,6 Mw ....
» ~b 0,3 „ -j- 0,6 „ -|- 0,2 AIw
„ 4- 0,3 „ + 0,6 „ 4- 0,3 „
» 4- 0,3 „ 4- 0,6 „ 4- 0,4 „
b) Meerschweinchenserum 2.
1 ccm MB1 -f 0,4 Kfr . vollst. Lösung.
1 ,, ^ 4~ 0,4 „ 4~ 0,6 Mw . 0
1 » »4- 0,4 „ 4- 0,6 „ + 0,5 AIw . vollst. Lösung.
c) 1 ccm MB1 + 0,5 AIw . 0
d) Normal-Taübenserum I
1 ccm MB1 + 0,4 Kfr -j- 0,6 Mw 4- 0,4 NTw . 0
Taube III erhält innerhalb 14 Tagen 18 ccm inaktiviertes
Meerschweinchenserum 1 intraperitoneal injiziert. Blutentnahme
10 Tage nach der letzten Injektion. (Serum = AIII.)
2) Centralbl. f. Bakteriol. 1901, Bö. 29, II. Mitteil.
3) Centralbl. f. Bakteriol. Bö. 29, I. Mittel].
4) Sowohl normales, als spezifisches (durch Behanölung mit
Meerschweinchenblut gewonnenes) Kaninchenserum.
vollst. Lösung.
0
Spur von Lösun<
massige Lösung,
vollst. Lösung.
O OHEN S OHRIFT.
1331
MB1 4- 0,2 Kfr
vollst. Lösung.
>1
- 0,2 „ 4- 0,4 Mw .
0
MB! -
- 0,2 Kfr -
b 0,4 Mw -j- 0,1 AIIIw)
» “
- 0,2 „ -
- 0,4 „ -j- 0,2 „
b 0,2 „ -i
- 0,4 „ -j- 0,3 „
vollst. Lösung.
V "
- 0,2 „
b 0,4 „ -f 0,4 „
- 0,2 „ -
- 0,4 „ -f 0,05 „
>5 “
b 0,2 „ 4
b 0,4 „ 4- 0,02 „
starke Lösung,
a) 1 c
1
b) 1 ccm
1
1
1
1
1
Taube V erhält
Meerschweinchenserum
8 Tage nach der letzten Injektion
ger. Bodensatz,
innerhalb 20 Tagen 20 ccm inaktiviertes
1 intraperitoneal injiziert. Blutentnahme
(Serum = AV.)
a)
b)
Lösung.
Lösung.
zeigten
1 ccm MB1 4- 0,15 Kfr . vollst.
f ,, „4" 0,15 „ -- 0,7 Mw . 0
1 „ ,, 4~ 0,15 „ 4- 0,7 „ 4- 0,3 AVw vollst.
Normaltaubenserum II u. III.
1 ccm MB1 4- 0,15 Kfr 4- 0,7 Mw -f 0,4 NIIw j „
1 „ „4- 0,15 „ -f 0,7 „ 4- 0,4 Nil Iw / U
Wie aus den beiliegenden Protokollen hervorgeht,
nun die durch Injektion mit inaktiviertem Meerschweinchen¬
serum erzielten Taubenimmunsera in der Tat die Fähigkeit, die
hemmende Wirkung des ersteren aufzuheben 5), so dass zunächst
daran gedacht werden konnte, dass wir es wirklich, unserer Er¬
wartung gemäss, hier mit Anti-antihämolysinen zu tun hätten.
Ein näheres Studium der Eigenschaften unserer Immunsera
zeigte jedoch, dass diese Auffassung irrig war. Brachte man
nämlich das erwärmte Immunserum mit Meerschweinchenblut
und einer an und für sich zur Lösung nicht ausreichenden Menge
Kaninchenserum zusammen, so trat nunmehr ebenfalls voll¬
ständige Auflösung der Blutkörperchen ein. Das erwärmte
Immunserum für sich allein besass keine hämolytische Fähigkeit.
Diese Befunde bedeuten nun nichts anderes, als dass durch
die Seruminjektionen ein gegen Meerschwein¬
chenblut gerichteter Amboceptor entstanden
i s t, und es entpuppt sich somit die scheinbar anti-antihämo-
ly tische Wirkung, die wir bei unseren ersten Versuchen be¬
obachtet hatten, als eine einfache hämolytische, welche
offenbar nur deshalb nicht von dem erhitzten Meerschweinchen¬
serum gehemmt wird, weil die ins Spiel kommenden Ambo-
ceptormengen nach Zusatz des Immunserums zu grosse sind. Da
nun nach E h r 1 i c h s Theorie und nach den Ausführungen
Morgenroths eine derartige Entstehung von hämolytischen
Amboceptoren die Einverleibung der entsprechenden Receptor-
gruppen voraussetzt, so müssen wir also auch für unseren Fall
des erwärmten Meerschweinchenserums die Annahme machen,
dass dasselbe ähnliche Reoeptorgruppen enthalten muss, wie sie
sich auch in den roten Blutkörperchen dieses Tieres finden.
Antiserum III.
4- 0,4 ATIIw
4“ 0,4 „
4- 0,4 „
4- 0,2 „
+ 0,1_ „
4- 0,05 „
4~ 0,02 „
4- 0,1 Kfr .
4- 0,1
4- 0,1
Antiserum V.
ccm MB1 4* 0,5 Mfr -j- 0,3 AVw .... 0
„ » -f 0,05 Kfr . Spur von Lösung.
„ ,, 4~ 0,05 „ 4- 0,3 AVw .... fast vollst. Lösung.
,) » + 0,3 AVw . 0
Antiserum VII (20 ccm inakt. Serum in 20 Tagen),
ccm MB1 4“ 0,5 Mfr -j- 0,3 AVIIw . . . vollst. Lösung.
4~ 0,05 Kfr . Spur von Lösung
4- 0,05 „ 4-0,1 AVIIw . . 1 ,, , T ..
+ 0;05 ;; T 0,2 „ . . } vollst- Losuns-
Nun muss aber ein Serum, welches dieselben Receptor-
gruppen enthält wie die Erythrocyten, notwendiger Weise auch im
stände sein, die passenden Hämolysine (bezw. deren Amboceptoren)
ganz ebenso zu binden wie die roten Blutkörperchen und es wird
daher unter geeigneten quantitativen Verhältnissen sogar die
letzteren vor der Auflösung zu schützen vermögen, indem es
das Blutgift verankert und neutralisiert, bevor es auf die
Erythrocyten einwirken kann; mit einem Wort, es wird anti-
b)
a)
b)
a)
b)
1 ccm MB1
1 n 11
1 » »
1 i) ,)
1 i! »
1 » „
1 » »
1 ccm MB1
1 „
1
0
vollst. Lösung,
vollst. Lösung,
mässige Lösung, Bodensatz,
mässige Lösung, Bodensatz.
0 (Spur?)
0
. . . schwach rosa, starker Bodensatz.
4“ 0,02 AIIIw . . mässige Lösung, Satz.
4- 0,1 „ . . vollst. Lösung.
— 0,4 Mfr
4- 0,4 „
4- 0,4 „
4-0,4 „
4- 0,4 „
4- 0,4 „
1
1
1
5) Normales Taubensennn war in dieser Hinsicht ganz un¬
wirksam.
1*
1332
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
hämolytisch wirken müssen. Damit ist aber für unseren
speziellen Fall der Zusammenhang zwischen den beobachteten
Phänomenen vollständig klargelegt. Das inaktive Meer¬
schweinchenserum entfaltet antihämolyti¬
sche Eigenschaften, weil es ähnliche Recep-
tor gruppen enthält wie die Meerschweinchen-
o rythrocyte n, u nd aus demselben Gr unde v e r -
a n 1 asst es auch die Entstehung eines gegen
die letzteren gerichteten Amboceptors, wenn
es geeigneten Versuchstieren injiziert wird.
Mit dieser Deutung steht noch eine andere, von mir in der
oben zitierten Arbeit angegebene Tatsache in bestem Einklänge.
Da nämlich nach den Befunden von Ehrlich und Morgen-
l* o t h nur der Zwischenkörper der Hämolysine an die roten
Blutkörperchen verankert wird, während das Komplement keine
Affinität zu denselben besitzt und nur durch Vermittlung des
ersteren mit ihnen in Verbindung tritt, so kann auch die anti-
hämolytische Wirkung unseres Serums nur auf einer Bindung
des Zwischenkörpers beruhen, vorausgesetzt, dass die Receptor-
gruppen des Serums mit denen der Erythrocyten identisch oder
verwandt sind. Tatsächlich konnte ich nun schon damals zeigen,
dass das erwärmte Meerschweinchenserum Anticopula = Anti-
amboceptoren enthält, also auf den Zwischenkör per und
nicht auf das Komplement einzuwirken vermag. Die Zwischen¬
körper, für welche dieser Nachweis geliefert wurde, waren durch
Behandlung von Kaninchen mit Meerschweinchenblut gewonnen
worden. Ganz analog verhält sich, wie die nachstehenden Ver¬
suche zeigen, das inaktive Meerschweinchenserum dem spezi¬
fischen Taubenserum gegenüber, welches durch Meer¬
schweinchenblutinjektionen hergestellt worden war, auch hier
richtet sich die hemmende Wirkung lediglich gegen den Ambo-
ceptor und kann daher durch Vermehrung des letzteren auf¬
gehoben werden. Dieser Befund bildet somit ein weiteres Ar¬
gument für die Annahme, dass die Receptoren der Blutkörper¬
chen und des erwärmten Meerschweinchenserums miteinander
identisch sind.
Versuch.
Meerschweinchenblut; auf 55° erwärmtes Meerschweinchen-
serum; frisches Kaninchenserum; Serum einer Taube, die 4 In¬
jektionen zu je 5 ccm, Meerschweinchenblut intraperitoneal er¬
halten batte.
a) 1 ccm MB1 + 0,1 Ivfr ... 1 n
1 „ »+0)2» . . . i
I o,3 . . : geringe Losung, starker+atz.
1 ” ” + 0*5 ”, .... starke Lösung.
b) 1 ccm MB1 + 0,05 Tw + 0,2 Kfr . vollst. Lösung.
1 „ „4- 0,05 „ + 0,2 „ + 0,7 Mw . 0
1 „ „ + 0,2 „ + 0,2 „ +0,7 , . Losung.
1 „ ,, +0,2 „ . 0 ..
c 1 ccm MB1 + 0,4 Mfr + 0,1 Tw . vollst. Losung.
1 „ „ 4- 0,4 „ + 0,1 „ + 1,0 Mw . 0
1 „ „ + 0,4 „ + 0,4 „ + 1,0 „ . vollst. Losung.
Versuch.
Serum einer Taube , die 3 Injektionen Meerschweinchenblut
erhalten hatte.
1 ccm MB1 + 0,4 Mfr + 0,1 Tw . vollst. Lösung.
1 „ „ + 0,4 „ + 0,1 „ + 1,0 Mw • • 0
1 „ „ + 0,4 „ + 0,4 „ + 1,0 „ . . vollst. Losung.
Bemerken möchte ich noch, dass der durch Behandlung der
Tauben mit Meerschweinchenserum entstandene Amboceptor in
einigen Fällen auch durch frisches Meerschweinchenserum zu
aktivieren war, in anderen Fällen hingegen nicht. Man wird
wohl nicht fehlgehen, wenn man dieses wechselnde Verhalten
dadurch erklärt, dass infolge der Injektion des Meerschweinchen¬
serums neben dem Amboceptor wechselnde Mengen von Anti-
Meerschweinchenkomplement entstehen, welche die
Aktivierung des ersteren zu verhindern im stände sind.
Was endlich die Immunisierungsversuche mit frischem
Meerschweinchenserum betrifft, so ergaben dieselben kein ganz
einheitliches Resultat, indem bald ein Amboceptor gebildet wurde,
bald wieder dessen Entstehung ausblieb oder jedenfalls nicht
ohne weiteres nachweisbar war, weshalb ich auf diese Experi¬
mente nicht näher eingehen möchte. Vermutlich hat bei den
positiv- ausgefallenen Versuchen im Organismus der Taube eine
ähnliche Abspaltung oder Freimachung der Receptoren des Meer¬
schweinchenserums stattgefunden, wie wir sie in vitro durch
die Erwärmung auf 55° erzielen.
Zur Behandlung der sogen, „plastischen Induration“
der Corpora cavernosa penis.
Von
Dr. E. Galewsky und Dr. W. Hübener,
Spezialarzt für Hautkrankheiten Spezialarzt für Chiiuigie
in Dresden.
In No. 5 des Jahrganges 1901 der Wiener klin. Wochenschr.
bespricht Otto Sachs aus der N e i s s e r sehen Klinik in einem
eingehenden und zusammenfassenden Referat die „plastischen
Indurationen der Corpora cavernosa penis und die übrigen im
Corpus cavernosum vorkommenden V erhärtungen . Er selbst
war in der Lage, über 4 eigene Fälle aus der N e i s s e r sehen
Klinik zu berichten.
Wenn wir trotzdem heute noch einmal auf diese verhältnis¬
mässig noch wenig bekannte Affektion des männlichen Gliedes auf¬
merksam machen, so geschieht es hauptsächlich aus dem Giunde,
weil wir in der Lage sind, über den ersten und zwar
mit dauernd gutem Erfolge operierten Fall
von „plastischer Indur atio n“ der Corpora ca¬
vernosa penis zu berichten.
Bekanntlich versteht man unter „plastischer Induration“
der Corpora cavernosa penis klinisch eine Verdickung an der
Dorsalfläche des Penis, welche ohne bekannte \ eranlassung nahe
der Mittellinie, ein- oder beiderseitig, oberflächlich oder mehr
nach der Tiefe der . Schwellkörper zu als kleines, etwa bohnen¬
grosses Knötchen beginnt, allmählich wächst und die Form einer
zwischen Haut und Corpora cavernosa gelegenen Platte annimmt.
Die Affektion entsteht und verläuft im allgemeinen schmerzlos.
Sie erregt wohl fast nur im Zustande der Erektion heftige
Schmerzen und bewirkt funktionelle Störungen durch die an
der affizierten Stelle eintretende Abknickung (Chorda). Die hier¬
mit verbundene mangelhafte Erektionsfähigkeit des abgeknickten
oder abgebogenen Teiles, die Ablenkung des erigierten Gliedes
andrerseits, die Schmerzhaftigkeit der Induration beim Koitus¬
versuch machen den Beischlaf unmöglich.
Aetiologisch verschieden von den in obigem geschilderten
sog. „plastischen Indurationen“ sind die Verhärtungen im Ge¬
biet der Corpora cavernosa penis, wie sie hauptsächlich nach
stärkeren Traumen oder im Gefolge von Gonorrhoe, hier als
periurethrale und paraurethrale, Vorkommen. Auch die Leu¬
kämie, Diabetes und Gicht sind als Ursache für derartige In¬
durationen angeschuldigt worden; gleichfalls traten Neubil
düngen nach zerfallenen Gummaknoten, sowie Residuen einer
abgelaufenen Lymphangitis im Gefolge eines Ulcus molle unter
dem Bilde dieser Verhärtungen auf. Eine besondere Stellung
für sich nehmen die entwicklungsgeschichtlich interessanten
Fälle von sog. Penisknochen ein, in denen eine fast völlige Ana¬
logie zu einer Reihe von Wirbeltieren, wie z. B. Nagetiere, Hund
etc., zu konstatieren ist. Inwieweit hier die Ansicht Sachs
von einer „atavistischen Formation“ zu Recht bestehen kann,
bleibe zunächst dahingestellt.
Ebenso unbefriedigend wie die Erklärungsversuche der Ent¬
stehung des fraglichen Leidens waren bisher die therapeutischen
Erfolge, Sämtliche Behandlungsmethoden allgemeiner und
lokaler Natur lassen im Stich. Nur in den wenigen Fällen
luetischer Genese sah man syphilitsche Infiltrate verschwinden,
die eigentlichen Knoten und Platten der plastischen Induration
blieben. Alle erweichenden und resorptionsbef ordernden Salben
und Pflaster, alle bydropathischen Massnahmen, mechanische und
elektrische Behandlungsversuche versagten, so dass Sachs in
seiner Arbeit zu folgendem Schluss kommt: „Die Prognose ist
quoad vitam für den Patienten eine günstige, insoferne als kaum
maligne Involutionen dieser Verhärtungen eintreten, quoad sana-
tionem eine ungünstige zu nennen, da wir keine Mittel besitzen,
um der Entwicklung einer derartigen Verhärtung Einhalt zu
thun oder selbe ganz zu beseitigen, ausser durch einen opera¬
tiven Eingriff, der auch einen sehr fraglichen Erfolg hätte; die
Exzision würde nur zu einer neuen Narbe führen, welche in der
nämlichen Richtung wie die Induration wirkte; die demgegen¬
über empfohlene Anlegung einer Wunde behufs Narbenbildung
an einer entgegengesetzten Stelle des Penis könnte höchstens bei
jungen Patienten in Frage kommen. Ein chirurgischer Eingiiff
hat nur bei bedeutendem W achstum der Induration seineBerechti-
32. August 1902.
MUEN GHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
gung, bei Diabetikern ist er direkt zu verwerfen.“ Und an
anderer Stelle heisst es: „Die Exstirpation zu therapeutischen
Zwecken erscheint nutzlos, da durch die zurückbleibende Narbe
die Deviation des Penis nicht aufgehoben, sondern manchmal
gesteigert wird, ganz abgesehen von anderen üblen Zufälligkeiten,
welche die Operation einer solchen, fast ohne Beschwerden für
den Patienten bestehenden Einlagerung am Penisrücken im Ge¬
folge haben kann.“
Unter diesen Umständen glauben wir das Recht zu haben,
über folgenden Fall zu berichten, der bereits im Jahr 1899 (d. h.
anderthalb Jahre vor dem Erscheinen der S a c h s sehen Arbeit)
von uns beobachtet und operiert wurde. Mit der Publikation des¬
selben haben wir absichtlich bis jetzt zurückgehalten, um in der
Lage zu sein, ein sicheres Urteil über die Dauer des Erfolges ab¬
geben zu können.
Der Fall selbst ist folgender1):
Patient, R. ß., 47 Jahre alt, ist seinem Berufe nach Gerielits-
schreiber. Er gibr an, stets gesund gewesen zu sein, bis zu dem
Zeitpunkt, wo er Lues akquirierte (vor ca. 23 Jahren). Mitte
Juli 1899 empfand Patient eines Nachts beim Koitus Schmerzen im
Glied, doch konnte er darnach keine Anschwellung oder Verfär¬
bung der Haut an dieser Stelle bemerken. Die Schmerzen wurden
allmählich immer stärker und nahmen bei Erektionen eine fast
unerträgliche Höhe an. Erst einige Zeit später trat an der
schmerzenden Stelle eine kleine „knorpelhafte“ Verdickung auf,
die allmählich an Umfang zunahm. Sie bewirkte, dass bei dev
Erektion dei Penis einen dorsalwürts konkaven Bogen beschrieb.
Die Erektion reichte nur bis zu der Einlagerung, die periphere
Partie blieb schlaff, wenn auch geschwellt. Hierdurch und durch
die immer stärker werdenden Schmerzen wurde die Ausübung
des Koitus unmöglich, während andererseits sehr häutige Erek¬
tionen (6 — 5 in der Nacht) auftraten. Libido eher gegen früher
erhöht.
Patient suchte deshalb unsere Hilfe.
Es fand sich folgender Befund:
In der Mitte des Dorsum penis besteht eine im schlaffen Zu¬
stande 3—3 y2 cm lange und ca. 3 cm breite flache Verhärtung,
etwa von Knorpelkonsistenz, wie ein Sattel auf dem Rücken des
Penis auf dem Schwellkörper aufsitzend. Die Haut darüber ist
vollkommen verschieblich, die Oberfläche glatt. Die Verhärtung
selbst lässt sich gegen die Unterlage hin nach keiner Richtung
verschieben, Druck auf dieselbe wird leicht schmerzhaft em¬
pfunden. Inguinaldrüsen auf beiden Seiten hart, etwa erbsengross.
Der Urin ist frei von Zucker und Eiweiss. Es bestehen keiner¬
lei Anhaltspunkte für Gicht. Die Durchleuchtung mit Röntgen¬
strahlen ergibt ein negatives Resultat.
Es wurde zuerst versucht, durch heisse Umschläge, heisse
Bäder, Priessnitzumschläge und Massage eine Erweichung herbei¬
zuführen. Als diese Behandlung erfolglos blieb, wurden im Hin¬
blick auf die alte Lues lokal Quecksilberpflaster, intern Jodkali
gegeben und 6 Injektionen von Hg-Salizyl verabreicht, gleichfalls
ergebnislos, ebenso auch einige Jodipininjektionen. ,
Da die Schmerzen an Intensität derart Zunahmen, dass Pat.
sich mit Selbstmordgedanken trug und dringend Abhilfe ver¬
langte, entschlossen wir uns zu einem chirurgischen Eingriff.
Am 4. XII. 99 wurde in ruhiger Chloroformnarkose unter
lokaler Anämie ein Längsschnitt über dem Gebilde gemacht. Das¬
selbe präsentierte sich als eine der Albuginea angehürige binde¬
gewebige Masse, die ziemlich tief in das Septum zwischen den
beiden Corpora cavernosa hineinragte. An den Rändern ging die
Geschwulst allmählich in normale Albuginea über. Mit dem
Messer wurde dieselbe scheibenförmig bis zur Grenze des Ge¬
sunden abgetragen und der in der ganzen Länge der Geschwulst
zwischen die Corpora carvernosa sich erstreckende Fortsatz bis in
die Tiefe verfolgt und gleichfalls entfernt, so dass schliesslich das
kavernöse Gewebe sowohl auf der medialen, wie auch der dor¬
salen Seite in einer Ausdehnung von 4 yz cm Lange und ca. 3 cm
Breite völlig freilag. Dieser Defekt wurde nunmehr durch ver¬
senkte Catgutsuturen in der Längsrichtung verschlossen, so dass
die entsprechenden blossgelegten dorsalen Flächen des kavernösen
Gewebes in der Mittellinie aneinander adaptiert waren. Darunter
Hautnaht mit Seide. Nach Lösung des Konstriktionsschlauches
leichte Blutung, die auf kurze Kompression stand.
Der Wundverlauf war normal. Er wurde nur durch Aus¬
einanderweichen der Wundränder infolge nicht zu bekämpfender
nächtlicher Erektionen gestört. 3 Wochen p. o. war die Wunde
vernarbt.
Ein Verweilkatheter wurde nicht eingeführt.
Vier Tage nach der Operation hatte Patient
zum ersten Male wieder eine volle bis in die
Glans reichende Erektion, ohne andere als die Wund¬
schmerzen.
Etwa 3 Wochen nach der Operation trat an der Wurzel des
Penis, dort, wo der Schlauch gelegen hatte, am Dorsum eine In¬
duration auf, die — etwa von Bohnengrösse — nicht die Härte
der operativ entfernten Geschwulst besass und nur wenig
9 Derselbe wurde vor uns kurz vor und nach der Operation
bereits in zwei Sitzungen der Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde in Dresden demonstriert.
No. 32.
1333
Schmerzen verursachte. Sie bildete sich vollkommen zurück unter
2 mal täglich verabreichten warmen Sitzbädern, die Pat. etwa ein
halbes Jahr lang gewissenhaft nahm.
Anfänglich bestand bei den nunmehr schmerzlosen Erektionen
eine ganz geringe Deviation nach oben an der Nahtstelle, welche
Tat. mit der Hand leicht korrigieren konnte. Der Koitus war
stets schmerzlos, die Erektionen vollkommen. Pat. ist bis heute
(über 2(4 Jahre nach der Operation) mit seinem Zustande her-
\ oi tagend zufrieden, da er bei Auftreten der Libido dieselbe
schmerzlos und in ausgiebigster Weise befriedigen kann. Von
einer Deviation ist kaum noch etwas zu bemerken.
Makroskopisch boten die exzidierten Teile das Bild einer
harten, unter dem Messer knirschenden, bindegewebigen Schwiele
dar.
Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Einlagerung
aus derbem, gefässarmem, kollagenem Gewebe besteht, mit spür
liehen Bindegewebszellen. Die Gefässe selbst scheinen atrophisch
zu sein. Eingelagerte Kalksalze konnten mikroskopisch nicht
uaehgewiesen werden. Es handelte sich also um eine keloidartige,
fibronatöse Einlagerung in die Albuginea der Schwellkörper.
Nicht ohne Interesse und von gewissem Wert für die Aetio-
logie ist die Beobachtung, dass an der Stelle, an welcher der con-
stringierende Schlauch etwa einen Zeitraum von 25 — 30 Minuten
gelegen hat, last mit der Promptheit eines Experimentes sich
ausschliesslich am Dorsum eine neue, etwa fingernagelgrosse Ver¬
härtung nach 3 Wochen gebildet hatte, die allerdings nicht die
Härte der primären erreicht hatte. Eigentlich ohne jede
"Therapie heilte diese Affektion ausi, falls man nicht die dem
Patienten mehr aus psychischen Gründen verordneten warmen
Sitzbäder für diesen Erfolg verantwortlich machen will.
Angesichts dieser Beobachtung erscheint es uns fraglich, ob
nicht allen diesen sozusagen „idiopathischen“ plastischen In¬
durationen der Corpora cavernosa penis traumatische Einflüsse
.zu Grunde liegen, wie ja auch der Patient den Beginn seiner pri¬
mären Erkrankung als Schmerz während eines durchaus nicht
etwa stürmischen Koitus empfand. Weder eine noch so geringe
Anschwellung noch eine Hautverfärbung als Zeichen eines selbst
geringfügigen Blutergusses war von dem intelligenten Patienten
trotz genauer Beobachtung bemerkt worden.
Wenn man dabei das Alter der Patienten, welche sämmtlich
in der zweiten Hälfte des Lebens stehen, erwägt und die sich
doch zu dieser Zeit schon — auch bei Ausschluss von Diabetes —
bemerkbar machende mangelhafte Resistenzfähigkeit des Ge¬
webes, so mag es nicht verwunderlich erscheinen, wenn auch ge¬
ringere, oft nicht einmal bemerkbare Traumen, die sich noch da¬
zu vielleicht nach Lage der Dinge öfter wiederholen, schliesslich
zu der Etablierung eines derartigen Prozesses führen.
Wenn auch die unbehandelte Affektion quoad vitam pro¬
gnostisch günstig genannt werden kann, so übt sie doch anderer¬
seits bei grosser forensischer Bedeutung (Ehescheidungsgrund !)
einen derartig unheilvollen Einfluss auf die Psyche der Patien¬
ten aus, dass wir kein Mittel unversucht lassen sollen, den
Kranken von seinem Leiden zu befreien.
Gestützt auf die nunmehr fast 3 Jahre be¬
stehende Heilungsdauer unseres Falles, bei
vollkommenem funktionellen Erfolg, halten
wir uns für berechtigt, für analoge Fälle die
Operation vor Zuschlägen, zumal da bisher jede
andere Therapie erfolglos geblieben ist.
Geburtsleitung beim engen Becken.*)
Von Prof. Dr. Krönig in Leipzig.
Auf den Geburtsverlauf beim engen Becken bat einen be¬
stimmenden Einfluss das Grössen Verhältnis des kindlichen
Kopfes zum mütterlichen Becken und die Energie der austreiben¬
den Kräfte. Bei den Vorschriften für die Geburtsleitung beim
engen Becken hat man früher der Grösse des kindlichen Kopfes
und der Energie der Wehen weniger Berücksichtigung geschenkt,
sondern man glaubte aus der Beckenverengerung als solcher aus¬
schliesslich die Vorschriften für die Art der Geburtsleitung ab¬
leiten zu können. So möchte ich an die Spitze meines Vortrages dio
Vorschriften Tarniers in seinem „Traite de l’aocouchement“
setzen, welche unter anderem dahin lauten : bei einer Becken¬
verengerung mit einer C. v. von 9,5 bis 8,5 cm ist die rechtzeitige
Geburt einzuleiten, bei einer C. v. von 8,5 bis 7,5 cm ist in den
*) Nach einem Vortrag in der Medizinischen Gesellschaft
Leipzig.
5
1334
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Fällen, in welchen die Frau schon während der Schwangerschaft
zum Arzt kommt, die künstliche 1 rühgeburt einzuleiten, am Ende
der Schwangerschaft kann eventuell die Symphyseotomie aus-
geführt werden.
In ähnlicher Weise leitet Bulius in seinem Aufsatz „Das
enge Becken“ aus dem Grade der Beckenverengerung die Vor¬
schriften ab. Er verlangt bei plattem Becken mit einer C. v.
von 7 — 8 CU1 bei Frauen, welche während der Schwangerschaft
zum Arzt kommen, obligatorisch die künstliche Frühgeburt; ist
die Frucht lebend und ausgetragen, so soll bei diesen Becken¬
verengerungen der Kaiserschnitt aus relativer Indikation gemacht
werden etc.
Wenn wir uns bei diesen allein auf der Grösse der Becken¬
verengerung basierenden Vorschriften für die Geburtsleitung
fragen, wie weit nach dem heutigen Stande der Technik die
Exaktheit der Beckenmessung- getrieben werden kann, so müssen
wir leider gestehen, dass wir heute noch bei der lebenden
Frau uns nicht mit genügender Sicherheit über die Grössen¬
verhältnisse des Beckens informieren können. Wenn wir auch
sofort zugeben, dass durch den Beckenmesser von S k u t s c h,
welcher durch die Modifikation von Zweifel gebrauchsfähiger
gemacht ist, exaktere Resultate erzielt werden, so sind doch
immerhin auch heute noch die Fehlerquellen relativ grosse. Wenn
wir uns z. B. ausschliesslich auf die Bestimmung der Grösse der
Beckeneingangsebene beschränken, so wissen wir, dass wir den
queren Durchmesser dieser Ebene bei der lebenden I rau fast nur
aus einer Grössenrelation dieses Durchmessers mit der messbaren
Querspannung des grossen Beckens beurteilen können. Der ge¬
rade Durchmesser der Beckeneingangsebene ist ebenfalls der
direkten Messung nicht zugängig, sondern wir müssen die Grösse
desselben entweder aus dem Grössenverhältnis dieses Durch¬
messers zur messbaren C. diagonalis oder aus der Differenz
zweier, vermittels des Skutsch-Zweifel sehen Becken¬
messers bei der lebenden Frau messbaren Grössen bestimmen.
Letztere Messung gibt aber nur bei genügender Assistenz und,
wenn möglich, in Narkose der Frau einigermassen befriedigende
Resultate, so dass auch hier in der Praxis fast ausschliesslich die
Bestimmung aus der der Messung zugänglichen C. d. in Frage
kommt. Die Berechnung der C. v. aus der C. d. hat grosse
Fehlerquellen, weil die Grösse des Abzugs von der C. d. ver¬
schieden ist, je nach der Höhe der Symphyse und nach der Grösse
der Beckenneigung. Letztere ist bei der Lebenden kaum mit
einiger Sicherheit zu bestimmen.
Infolge dessen müssen wir gleich von vornherein uns darüber
Idar werden, dass die Beckenmessung auch heute noch nur Nähe¬
rungswerte liefert.
Es wäre aber sicherlich auch aus anderen Gründen verfehlt,
bei der Geburtsleitung bloss die Grösse der Beckenverengerung
zu berücksichtigen. Wir müssen in jedem lalle zur Beurteilung
des Missverhältnisses auch die Grösse des Kindes, die Konfigu¬
rationsfähigkeit des kindlichen Kopfes und die Kraft der Wehen
in Rechnung ziehen, denn diese spielen bei der Ueberwindung des
Hindernisses eine gleichbedeutende Rolle, wie die Grösse des
Beckens, Die Grösse des kindlichen Kopfes ist aber leider trotz
aller angegebenen Kephalometer bis heute noch sehr unsicher zu
bestimmen. Die Konfigurationsfähigkeit des kindlichen Kopfes
entzieht sich im Anfang der Geburt unserer Bestimmung voll¬
ständig und ebenso wissen wir im Anfang der Geburt über die
Kraft der Wehen sehr wenig.
Da wir die Konfigurationsfähigkeit des kindlichen Kopfes,
die Art der Einstellung desselben, die Stärke der Wehen erst
während des Verlaufes der Geburt abschätzen können, so müssen
wir als den wichtigsten Faktor bei der Leitung der Geburt beim
engen Becken die Beobachtung des Geburtsver¬
laufs hinstellen zur Beurteilung, ob das Missverhältnis zwi¬
schen kindlichem Kopf und mütterlichem Becken ein solches ist,
dass die natürlichen Kräfte allein den kindlichen Kopf nicht
austreiben können.
Nur unter bestimmten Verhältnissen können wir die Be¬
obachtung des Geburtsverlaufs entbehren, nämlich dann, wenn
wir es mit Beckenverengerungen zu tun haben, bei welchen nach
den bisherigen Beobachtungen am Gebärbett unter keinen Um¬
ständen die Ausstossung eines lebenden Kindes zu erwarten ist.
Ich habe als Assistent der Leipziger Frauenklinik, dank dem
Entgegenkommen meines früheren Chefs, des Herrn Geh. -Rat
Zweifel, die Geburtsprotokolle der J ahre 1891 — 1899 durch¬
gesehen. Es waren im ganzen ca. 15 000 Geburten, darunter
etwas über 1000 enge Becken. Aus dieser Zusammenstellung hat
sich ergeben, dass wir die Grenze der Gebärmöglichkeit eines
ausgetragenen Kindes bei einfach oder rhachitisch
platten Becken, d. h. also bei Becken, welche ausschliesslich
oder fast ausschliesslich nur im geraden Durchmesser der Becken¬
eingangsebene eine Verengerung aufweisen, bei ca. i cm G. \.
setzen dürfen; mit anderen Worten, bei einer O. v. unter 7 cm
ist, ein ausgetragenes Kind vorausgesetzt, die spontane Geburt
eines lebenden Kindes nicht mehr zu erwarten. Beim allge¬
mein verengten Becken, d. h. bei denjenigen Becken¬
verengerungen, bei denen auch der quere und schräge Durch¬
messer unternormale Verhältnisse auf weist, liegt selbstverständ¬
lich die Grösse der C. v. etwas höher, und aus der Zusammen¬
stellung ergibt sich, dass hier schon bei einer C. v. unter 7,5 cm
die Spontangeburt eines lebenden ausgetragenen Kindes nicht
mehr zu erwarten ist. Es stimmt diese Erfahrung vollständig
überein mit einer neuerlichen Zusammenstellung Reiffer¬
scheids aus der Bonner Klinik.
Damit haben wir für die Geburtsleitung immerhin eine ge¬
wisse Norm schon gefunden, und wir tun aus praktischen Gründen
gut. zwei Gruppen von Beckenverengerungen zu unterscheiden,
solche, bei denen beim platten Becken der gerade Durchmesser
über oder unter 7 cm, oder beim allgemein verengten Becken
über oder unter 7,5 cm beträgt.
Um Weitläufigkeiten im Folgenden zu vermeiden, beschränke
ich mich auf die Beschreibung der Geburtsleitung beim einfach
platten oder platt-rhachitischen Becken. Ich darf dies um so
eher, weil sich die Verhältnisse auf das allgemein vei engte
Becken übertragen lassen, wenn wir an Stelle der C. v. des
platten Beckens beim allgemein verengten Becken einen um 0,5 cm
höheren Wert einsetzen, und weiter deswegen, weil sich beim
unregelmässig verengten Becken, z. B. beim osteomalacischen
Becken u. s. w. überhaupt keine allgemeinen Vorschriften geben
lassen.
Da bei plattem Becken mit einer C. v. von über 7,0 cm die
spontane Geburt möglich ist, so ist es von Wichtigkeit, zu¬
nächst ein Urteil darüber zu gewinnen, wie häufig denn, eine
Kopflage des Kindes vorausgesetzt, entsprechend den Er¬
fahrungen am Gebärbett zu erwarten ist, dass je nach der Grösse
der C. v. eine spontane Geburt erfolgt.
Ich möchte zu diesem Zweck auf beifolgender Tabelle einige
Zahlen wiedergeben, welche ich aus der Statistik der Zweifel-
scheii Klinik gewonnen habe.
Ich habe die Beckenverengerungen über 7 cm noch getrennt
in 2 Grade, einmal in Beckenverengerungen mit einer C. v. von
9,5 — 8,5 cm (I. Grades) und zweitens Beekenverengerungen mit
einer C. v. von 8,4 — 7 cm (II. Grades).
Ich muss hierbei erwähnen, dass bei Angabe dieser Zahlen
die Grösse der C. v. stets gewonnen ist aus der gemessenen C. d.
durch Abzug von 2 cm. Wenn ich auch das Verfahren der fran¬
zösischen Geburtshelfer, bei vergleichenden Angaben stets die
C. d. der Grösse nach anzugeben, für exakter und wissenschaft¬
licher halte, als im allgemeinen das Vorgehen der deutschen Ge¬
burtshelfer, welche die C. v. den Berechnungen zu Grunde legen,
so bin ich doch vorläufig dem Brauche der deutschen Geburts¬
helfer gefolgt.
Selbstverständlich müssen wir Erst- und Mehrgebärende,
weil sie so wesentlich in ihrem Geburtsverlauf verschieden sind,
trennen.
Plattes Becken 1. Grades.
Unter 127 Erstgebärenden mit einfach plattem Becken
1. Grades, bei welchen sich das Kind in Kopflage zur Geburt
stellte, verlief in 120 Fällen die Geburt vollständig spontan oder
ging wenigstens soweit spontan vor sich, dass die Beckeneingangs¬
ebene überwunden war und sich nur noch Kunsthilfe notwendig
machte bei dem im Beckenausgang stehenden kindlichen Kopf.
In den 7 Fällen, wo operiert wurde, wurde
3 mal ohne Erfolg die hohe Zange angelegt,
1 mal die Perforation,
2 mal die Symphyseotomie, und
1 mal die Wendung wegen Narbelschnurvorfalls gemacht.
Unter 228 Mehr gebären den mit einfach plattem Becken
1. Grades, bei welchen sich das Kind in Kopflage zur Geburt
stellte, ging 209 mal die Geburt spontan vor sich, bezw. es brauchte
erst, nachdem der Beckeneingangsring überwunden war, im
12. August 1902.
MUEN CIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1335
Reckenausgang wegen Gefahr des Kindes oder der Mutter die
tiefe Zange angelegt zu werden:
12 mal wurde gewendet,
3 mal wurde die hohe Zange angelegt,
2 mal wurde perforiert,
2 mal symphyseotomiert.
Die Zahl der Spontangeburten nimmt selbstverständlich mit
der Grösse der Beckenverengerung ab und so sehen wir dann beim
platten Becken 2. Grades,
dass bei 42 Erstgebärenden, bei welchen sich das Kind in
Kopflage zur Geburt stellte, in 30 Fällen die Geburt spontan ver¬
lief, und in 12 Fällen bei hochstehendem Kopf operiert werden
musste, und zwar:
1 mal hohe Zange ohne Erfolg,
3 mal Perforation,
2 mal Kaiserschnitt,
5 mal Symphyseotomie und
1 mal Wendung wegen Vorfalls der pulsierenden Nabel¬
schnur.
Schliesslich bei Mehrgebärenden mit plattem Becken
2. Grades trat unter 84 Fällen 46 mal Spontangeburt ein, also in
etwas über der Hälfte der Fälle. 38 mal wurde bei hochstehendem
Kopf operiert und zwar:
14 mal die Wendung ausgeführt,
5 mal die hohe Zange,
11 mal die Symphyseotomie,
7 mal der Kaiserschnitt,
1 mal die künstliche Frühgeburt.
Bei den höheren Graden der Beckenverengerung hat sich
also irhmerhin in einem relativ hohen Prozentsatz Kunsthilfe
nothwendig gemacht. Diese wurde in selteneren Fällen wegen
Gefahr der Mutter, in den meisten Fällen zur Rettung des Kindes
ausgeführt.
Diejenigen Operationen, welche man zur Verbesserung der
Prognose für das Kind bei engem Becken angegeben hat, sind
folgende :
1. die prophylaktische Wendung,
2. die hohe Zange,
3. die Einleitung der künstlichen Frühgeburt,
4. die Symphyseotomie, und
5. der Kaiserschnitt.
Von diesen sind vom theoretischen Standpunkt aus gleich
von vornherein als berechtigt anzuerkennen die Symphyseotomie
und der Kaiserschnitt, und zwar deswegen, weil sie entweder
durch Erweiterung des Beckenkanales das Missverhältnis be¬
heben, wie bei der Symphyseotomie, oder indem bei ihnen über¬
haupt auf den Durchtritt des Kopfes durch den verengten Becken¬
kanal verzichtet wird und der abdominelle Weg zur Entwicklung
des Kindes gewählt wird wie beim Kaiserschnitt.
Dagegen sind die drei anderen Operatibnen schon vom
theoretischen Standpunkt aus in ihrem Erfolg nicht so einwand¬
frei.
Bei der hohen Zange versuchen wir durch kräftigen
Zug mittels der Zange ein Missverhältnis noch zu überwinden,
wo der Wehendruck nicht ausreicht; bei der prophylaktischen
Wendung glauben wir günstige Verhältnisse uns zu schaffen in
der Meinung, dass der nachfolgende kindliche Kopf sich besser
durchziehen lässt bei gegebenem Missverhältnis, als der voran¬
gehende kindliche Kopf von der Wehenkraft gepresst werden
kann ; bei der künstlichen Frühgeburt schliesslich
wollen wir das Missverhältnis dadurch beheben, dass wir durch
vorzeitiges Einleiten der Geburt einen relativ kleinen Kopf ver¬
mittels der Wehenkraft durch den Geburtskanal treiben lassen.
Im letzteren Fall liegt aber die Gefahr vor; dass das nicht aus¬
getragene Kind leichter dem Geburtstrauma und den Gefahren
des extrauterinen Lehens erliegt.
Während über die Symphyseotomie und den Kaiserschnitt
zur Erzielung einer günstigeren Prognose für das Kind bei
engem Becken wohl kaum eine Diskussion möglich ist, ist da¬
gegen über die Wertigkeit der drei anderen Operationen, der pro¬
phylaktischen Wendung, der hohen Zange und der künstlichen
Frühgeburt bis heute eine Einigung unter den Geburtshelfern
nicht erzielt.
Wenn wir uns fragen, wie es möglich ist, dass trotz des
so grossen Beobachtungsmateriales, welches sich in den Gebär¬
kliniken ansammelt, und trotz der so zahlreich ausgeführten
Operationen auch heute noch nicht die genügende Klarheit über
ihre Wertigkeit erreicht ist, so finden wir eine Antwort darauf
nur in der Unsicherheit der Indikationsstellung, in der Unsicher¬
heit der Beurteilung, ob in den Fällen, in welchen wir diese
Operation ausgeführt haben, nicht auch das exspektative Ver¬
fahren einen günstigen Ausgang für das Kind erzielt hätte.
Schon im Anfang meines Vortrages erklärte ich, dass nicht
die Grösse der Beckenverengerung allein uns massgebend sein
kann für die Beurtheilung, ob in einem konkreten Fall eine
Geburt spontan verlaufen wird oder nicht, sondern dass hierzu
vor allem die Beobachtung des Geburtsverlaufs notwendig ist.
Bei der prophylaktischen Wendung ist die Beobachtung des
Geburtsverlaufs nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt der Geburt
möglich. Vorbedingung für den günstigen Verlauf einer Wen¬
dung von Kopf- in Beckenendlage ist eine gewisse Beweglichkeit
des Kindes im Fruchthalter; diese ist aber nur dann noch ge¬
nügend gegeben, wenn wir entweder bei erhaltener Fruchtblase
wenden, oder unmittelbar nach erfolgtem Blasensprung. Eine
einfache TTeberlegung zeigt, dass man bis zu diesem Abschnitt
der Geburt natürlich kein einigermassen sicheres Urteil sich
bilden kann, ob nicht auch bei exspektativem Verfahren ein
günstiger Ausgang für Mutter und Kind erzielt würde. Erst
einige Zeit nach dem Blasensprung konfiguriert sich der kind¬
liche Kopf und es kann durch Anpassung seiner Form an die
gegebenen Raumverhältnisse schliesslich doch noch die spontane
Ausstossung durch die Wehenkraft allein erfolgen. Erst einige
Zeit nach dem Blasensprung und bei vollständig eröffnetem
Muttermund setzt die energische Wehentätigkeit ein; die Bauch¬
presse im Verein mit der Kontraktion der Gebärmutter übt dann
erst die volle treibende Kraft aus.
Deswegen ist uns auch nicht gedient mit der Versicherung
gewisser Geburtshelfer, dass sie mit der prophylaktischen Wen¬
dung durchaus zufrieden sind, dass sie sich selbst zu den Re¬
sultaten gratulieren können, sondern wir müssen meines Er¬
achtens, wenn wir uns ein Urteil verschaffen wollen, Kliniken
mit grossem Material miteinander vergleichen, in welchen einmal
die prophylaktische Wendung vollständig verworfen wird, und
andererseits solche, in denen die prophylaktische Wendung ob¬
ligatorisch bei gewissen Graden der Beckenverengerung aus¬
geführt wird.
Tn meiner Arbeit „Die Therapie beim engen Becken“1) habe
ich die Resultate der Leipziger Klinik unter Zweifels Leitung,
in welcher die prophylaktische Wendung zeitweilig überhaupt
nicht ausgeführt worden ist, verglichen in Bezug auf die Mor¬
talität der Kinder mit der Dresdner Klinik unter Leopolds
Leitung. Hier besitzen wir eine in Hinsicht auf Exaktheit der
Angaben vorzüglich durchgeführte Statistik von Dr. Rosen¬
thal. Ich habe in meiner Arbeit die erzielten Resultate für
das Kind bei gleichen Becken Verengerungen einander gegenüber
gestellt und glaube berechtigt zu sein, aus der Gegenüberstellung
der beiden Kliniken den Schluss zu ziehen, dass die prophylak¬
tische Wendung nicht im Stande ist, die Prognose für das Kind
bei Beckenverengerungen besser zu gestalten.
Ebenso konnte ich aus der Zusammenstellung eine günstige
Prognose für die Mutter bei häufigen prophylaktischen Wen¬
dungen nicht ableiten, denn schwere Verletzungen der mütter¬
lichen Weichteile, tiefe Scheiden- und Zervixrisse, komplette
Dammrupturen gehören auch in der Hand des geübtesten Ge¬
burtshelfers bei den prophylaktischen Wendungen keineswegs zu
den Seltenheiten. Diese Verletzungen lassen sich bei Kopflage
mit vorangehendem Hinterhaupt weit eher vermeiden, weil hier
ein so schnelles Durchschneiden des kindlichen Kopfes durch
die noch wenig vorbereiteten Geburtswege wie bei der prophylak¬
tischen Wendling nicht notwendig ist.
Ich leugne nicht, dass das abwartende Verfahren in Kopflage
beim engen Becken in der Privatpraxis gegenüber der prophylak¬
tischen Wendung grössere Anforderungen an die Geduld des
Arztes stellt. Es bedarf manchmal der ganzen Energie des Arztes,
um das rein exspektative Verfahren durchzuführen. Dafür aber
bleibt auch der Lohn für die grössere Mühewaltung nicht aus,
indem durchschnittlich mehr Kinder gerettet werden und die
Mütter mehr geschützt sind, als bei prinzipiell ausgeführter
Wendung.
Ueber die Zange am hochstehenden Kopfe wegen engen
Beckens ist heute unter den Geburtshelfern mehr Einigkeit er¬
zielt. Alle stimmen darin überein, dass wir uns niemals zur
9 B. K r ö n i g: Die Therapie beim engen Becken. Leipzig,
Verlag von Arthur G e o r g i, 1901.
2*
1336
MUENCITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nö. 32.
Zangenanlegung verleiten lassen sollen in der Hoffnung, durch
eine Traktion mit der Zange am hochstehenden Kopf eher das
Missverhältnis zwischen Kopf und Becken zu überwinden.
Nur für gewisse Fälle wird von einigen Geburtshelfern die
hohe Zange noch empfohlen, nicht wegen engen Beckens, son¬
dern b e i engem Becken, wenn eine Gefahr von seiten der Mutter
oder des Kindes bei über dem Beckeneingangsring feststehenden
kindlichen Kopf eingetreten ist. Setzen wir folgenden Fall: Bei
massiger Beckenverengerung haben wir zunächst in Hinter¬
hauptlage des Kindes abgewartet; durch kräftige Wehen ist der
Muttermund fast vollständig eröffnet; trotzdem ist der kindliche
Kopf nur mit einem kleinen Segment in den Beckeneingangsring
eingetreten. Es geht Mekonium ab, die Herztöne des Kindes
sinken dauernd unter 100. Sollen wir hier weiter exspektativ
verfahren oder sollen wir versuchen, das gefährdete Kind durch
eine hohe Zangenanlegung eventuell zu retten?
Die hohe Zange ist m. E. auf Grund des vorliegenden Ma¬
terials so wenig geeignet, bei noch bestehendem Missverhältnis
das Kind zu extrahieren, dass man auch hier besser tut, die
Zange an dem über dem Beckeneingangsring stehenden kind¬
lichen Kopf nicht anzulegen, sondern ruhig noch zu warten, selbst
auf die Gefahr hin, dass das Kind abstirbt. Sehr häufig beob¬
achten wir es nämlich, dass es allmählich der Wehenkraft doch
noch gelingt, den Kopf so weit tiefer zu drücken, dass ei mit
seinem grössten Umfang die Beckeneingangsebene überwunden
hat; dann vermag die tiefe Zange in kürzester Zeit ein wohl
tief asphyktisehes, aber doch wieder zu belebendes Kind zu ex¬
trahieren. Hatten wir dagegen die hohe Zange bei noch über
dem Beckeneingangsring stehenden kindlichen Kopf angelegt, so
ist einmal durch die starke Kompression mit der Zange da^>
Leben des gefährdeten Kindes noch mehr in Frage gestellt und
ferner ist der Geburtsmechanismus derartig gestört, dass es nun
auch der Wehenkraft nicht mehr gelingt, den kindlichen Kopf
in günstiger Stellung hindurchzubringen. Es bleibt dann nichts
anderes übrig, als die Kranioklasie anzuschliessen.
Wie steht es bei Gefahr der Mutter? Auch hier ist es m. E.
richtiger, so lange der kindliche Kopf mit seinem grössten Um¬
fange die Beckeneingangsebene noch nicht überwunden hat, von
jeder Zangenanlegung Abstand zu nehmen, sondern dann, wenn
man sich nicht zu anderen Operationen entschlossen kann,
ruhig die Kranioklasie auch des lebenden Kindes durchzuführen.
Der einzige Fall, in welchem es zu einer irreparablen Druck¬
gangrän post partum, zu einer Blasenscheidenfistel, in der
9 jährigen Beobachtungszeit auf der Leipziger geburtshilflichen
Station kam, war bedingt durch eine bei Gefährdung der Mutter
angelegte hohe Zange.
"Wenn wir daher die prophylaktische W endung und die hohe
Zange nicht als Operationen anerkennen, welche die I rognose
von Mutter und Kind bei engem Becken günstiger gestalten
können, so müssen wir uns fragen, ob wir nicht die noch übrig¬
bleibenden eingreifenden geburtshilflichen Operationen, die
Symphyseotomie und den Kaiserschnitt, dadurch umgehen
können, dass wir den Frauen, welche schon in der Schwanger¬
schaft zu uns kommen, die vorzeitige Unterbrechung der
Schwangerschaft anraten, um dadurch dem relativ kleinen kind¬
lichen Kopf noch den Durchgang durch das enge Becken zu
ermöglichen.
Auf dem internationalen Kongress in Berlin 1892 konnte
F e h 1 i n g fast unwidersprochen die Aeusserung tun, dass die
Leistungsfähigkeit der Einleitung der künstlichen Frühgeburt
von allen Geburtshelfern der verschiedensten Länder zur Besse¬
rung der Prognose des Kindes bei engem Becken anerkannt
würde. Wenn wir hiermit die Berichte des internationalen Kon¬
gresses zu Amsterdam 7 Jahre später vergleichen, so haben sich
die Ansichten der Geburtshelfer ganz wesentlich geändert; wäh¬
rend hier der eine Referent Leopold sich nur als bedingten
Anhänger der künstlichen Frühgeburt bei Yielgebärenden be¬
kannte, verwarf der andere Referent Pinard die künstliche
F riiligeburt überhaupt.
Es ist nicht leicht, sich ein Urteil über die Wertigkeit dieser
Operation zu verschaffen. Schon bei der prophylaktischen Wen¬
dung mussten wir zugeben, dass wir im konkreten Falle bei der
glücklichen Ausführung einer prophylaktischen Wendung in
keinem Fall im stände sind, zu sagen, ob nicht die spontane Aus¬
stoß uz g des Kindes bei exspektativem Verhalten ebenfalls er¬
folgt wäre, weil wir die Operation schon bald nach dem Blasen¬
sprung ausführen mussten, ehe die Wehenkraft den kindlichen
Kopf konfiguriert hatte. Bei der künstlichen Frühgeburt ver¬
zichten wir vollständig auf die Beobachtung des Geburtsverlaufs,
hier müssen wir uns ganz ausschliesslich auf die Messung des
engen Beckens oder auf den Bericht über den Verlauf früherer
Geburten beschränken. Die Anamnese lässt uns aber oft im
Stich bei der Beantwortung der Frage, ob das enge Becken Schuld
an dem schlechten Verlauf der vorausgegangenen . Geburten ge¬
wesen ist oder ob nicht vielmehr eine falsche Einstellung des
Kopfes bezw. Widerstand von seiten der Weichteile die
Schuld an dem Misserfolge bei den vorangegangenen Geburten
getragen hat. Ein so ehrlicher und scharfdenkender Kliniker
wie Löhlein gesteht denn auch ganz offen, dass in seiner
Klinik wiederholt Frauen mit mässig verengtem Becken am
Ende der Zeit spontan mit lebendem Kinde niedergekommen
sind, bei welchen entweder andere Aerzte oder er selbst früher
die künstliche Frühgeburt eingeleitet hatte, in der Voraus¬
setzung, dass bei der gegebenen Beckenverengerung der spon¬
tane Durchtritt des Kindes unmöglich wäre. Nehmen wir ein
Beispiel: Es kommt zu uns eine Frau, bei welcher die erste
Geburt mit Zange begonnen und schliesslich durch Perforation
beendet ist. Der Arzt hat der Frau bei der Entbindung ver¬
sichert, sie wäre zu eng gebaut, als dass sie ein ausgetragenes
lebendes Kind gebären könnte. Man untersucht und findet1, sagen
wir ein einfaches plattes Becken mit einer C. v. von 8 cm. Was
liegt näher, als dieser Beckenverengerung die Schuld an dem
schlechten Verlauf der vorangegangenen Geburt zuzuschreiben.
Liefert uns jetzt die künstliche Frühgeburt, 4 Wochen vor dem
Termin angesetzt, ein lebendes Kind, so beglückwünschen wir
uns selbst zu dem Erfolge und heimsen den Dank des Ehepaars
dafür ein. Fragen wir uns ernstlich, ob wir auch diesen Dank
verdienen, so können wir uns nicht gewisser Skrupel erwehren,
ob nicht vielleicht auch spontan ein lebendes ausgetragenes Kind
am Ende der Zeit geboren worden wäre. Die Zweifel steigern
sich, wenn etwa das frühgeborene Kind den Traumen des extra¬
uterinen Lebens bald erliegt.
Man hat zwar neuerdings versucht, den Unterschied zwischen
einem frühgeborenen und einem ausgetragenen Kind in Bezug
auf Lebensfähigkeit vollständig zu verwischen.
A h 1 f e 1 d hat Nachforschungen bei den Frauen angestellt,
bei welchen er in seiner Klinik die künstliche Frühgeburt ein¬
geleitet hatte. Die Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebens¬
jahre war allerdings eine sehr geringe, aber seine Statistik darf
uns nicht täuschen; sehen wir nämlich genauer nach, was Ahl -
feld unter künstlicher Frühgeburt bei engem Becken versteht,
so finden wir, dass unter den frühgeborenen Kindern sich recht
stattliche Repräsentanten befinden von 3000, 3500, selbst 3800
und 4000 g. Dass solche frühgeborene Kinder eine gewisse
Lebenskraft besitzen, wird niemand bezweifeln.
Ich habe das Material der Zwei fei sehen Klinik in Ver¬
gleich gesetzt mit den Erfahrungen anderer Kliniken, bei wel¬
chen prinzipiell die künstliche Frühgeburt bei gewissen Graden
der Beckenverengerung ausgeführt wird. Ich zog die Klinik
von B a r in Paris zum Vergleich heran. Bar hat in sehr vielen
Fällen die künstliche Frühgeburt eingeleitet; unbedingter An¬
hänger dieser Operation ist er aber eigentlich nur bei einer
Becken Verengerung von 8,6 — 9 cm C. v.
Mit dieser Beckenverengerung kamen in der Leipziger Klinik
in den Berichtsjahren von 138 am Ende der Zeit Gebärenden
105 spontan nieder mit Kindern über 2500 g Gewicht. In diesen
Fällen war allerdings 12 mal die Symphyseotomie und 3 mal
der Kaiserschnitt ausgeführt. Nehmen wir an, dass diese Ope¬
rationen vom Arzt oder von der Kreissenden verweigert wären
und setzen wir diese so lebend gewonnenen Kinder als tot in
die Statistik ein, so haben wir auf 138 Fälle 24 Kinder tot zu
rechnen, was einer Sterblichkeit von 17,4 Proz. entsprechen
würde. Bar berechnete auf 25 Fälle von künstlicher Früh¬
geburt eine primäre Stei’blichkeit der Kinder von 12 Proz., also
ungefähr 5 Proz. niedriger als in der Statistik von Zweifel.
Berücksichtigt man aber, dass auf der einen Seite kräftige,
über 2500 — 4000 g schwere Kinder geboren sind, während andrer¬
seits frühreife Kinder zur Welt gebracht werden, bedenkt man
weiter, dass bei den 12 Symphyseotomien und den 3 Kaiser¬
schnitten keine Frau dieser Operation erlegen ist, so kann man
12. August 19Ö2.
jlUENCHENER MEDlCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
meiner Ueberzeugung nach auch hier nicht zu dem Schluss
kommen, dass die Einleitung der künstlichen Frühgeburt bei
dieser Beckenverengerung eine Operation ist, welche die Prognose
für das Bund bessert. Ich glaube vielmehr, dass bei prinzipieller
Verwerfung der künstlichen Frühgeburt selbst dann noch wenn
wn- der Kreissenden das Recht zuerkennen, die Symphyseotomie
und den Kaiserschnitt abzulehnen, bei Beckenverengerung über
7 cm C. y. im allgemeinen mehr lebende Kinder erzielt werden
als bei prinzipieller Ausführung der künstlichen Frühgeburt.
So kommen wir denn auf Grund unseres Materials zu dem
Schluss, dass die zur V erbesserung der Prognose für Mutter und
Kind angegebenen Operationen (die künstliche Frühgeburt, die
prophylaktische Wendung und die hohe Zange) nicht im st’ande
sind, die auf sie gesetzte Hoffnung zu erfüllen, sondern es bleiben
uns, wenn wir nicht ruhig exspektativ verfahren und die Ivranio-
klasie des lebenden Kindes bei Gefahr der Mutter ausführen
wollen, nur zwei Operationen zur Besserung der Prognose des
Kindes übrig, nämlich die Symphyseotomie und der Kaiser¬
schnitt. Die Symphyseotomie zeichnet sich vor den bisherigen
Operationen dadurch aus, dass sie wohl von allen die strikteste
Indikationsstellung zulässt. Wir können hier in ergiebigster
Weise den Geburtsverlauf beobachten, wir können die vollständige
Eröffnung des Muttermundes abwarten, wir können lange Zeit
nach dem Blasensprung die Geburt noch in Kopflage beobachten
und sehen, ob es nicht der Wehenkraft gelingt, den kindlichen
Kopf hindurchzupressen; erst dann, wenn uns eine genügend
lange Beobachtung zu der Ueberzeugung gebracht hat, dass die
spontane Ausstossung eines lebenden Kindes unmöglich ist,
brauchen wir die Spaltung der Symphyse durchzuführen.
Kaiserschnitt und Symphyseotomie sind bei gewissen Graden
dei Beckenverengerungen direkt Konkurrenzoperationen, nämlich
dann, wenn es sich um Beckenverengerungen über 6,5 C. v. han¬
delt. Enter dieser Grenze hat die Symphyseotomie keine Er¬
folge mehr aufzuweisen. Die Frage, welche Operation die bessere
ist, kann heute noch nicht mit Sicherheit beantwortet werden.
Die Symphyseotomie ist eine schwere Operation, sie er¬
fordert einen guten Chirurgen, vor allem aber einen guten Ge¬
burtshelfer. Der Kaiserschnitt ist die bei weitem leichtere Ope¬
ration. Die Symphyseotomie hat den Nachteil, dass sie uns nicht
mit Sicherheit ein lebendes Kind garantiert, weil sie eine Ope¬
ration ist, die den Anschauungen der Klinik Morisani und
Zweifel gemäss nur als vorbereitende Operation betrachtet
werden soll, und welche die sofortige Extraktion des Kindes
innerhalb weniger Minuten nicht immer zulässt. Der Kaiser¬
schnitt dagegen ermöglicht die Entfernung des Kindes innerhalb
weniger Minuten; dafür hat aber die Symphyseotomie den Vor¬
teil voraus, dass nach dem übereinstimmenden Urteil sämtlicher
Geburtshelfer die Narbe in der Symphyse dehnungsfähig bleibt,
so dass die Ausstossung des Kindes bei den nachfolgenden Ge¬
burten mit einer grossen Wahrscheinlichkeit spontan erfolgt.
Abel hat in dieser Gesellschaft über Mortalität, über Dauer-
lesiütate nach Symphyseotomie und Kaiserschnitt berichtet.
Wie Sie sich entsinnen werden, kam er zu dem Schluss, dass
auch nach der Symphyseotomie sämtliche Frauen wieder arbeits-
ähig wurden, und dass es verfehlt wäre, über die Symphyseo¬
tomie kurzer Hand den Stab zu brechen.
Eins bedarf noch hier der Erörterung: Da die Symphyseo¬
tomie und der Kaiserschnitt auch heute noch eine Mortalität von
ca. 2 Proz. haben, so fragt es sich, ob wir als Arzt die Erlaubnis
einer Ti.au zu diesen Operationen einholen müssen, oder anders
ausgedrückt, ob die Gebärende diese Operationen bei lebendem
Kinde zu ihren Gunsten ablehnen darf.
. wird diese Frage von verschiedenen Geburtshelfern ver¬
schieden beantwortet, je nachdem das Recht des Kindes auf Leben
hoher oder geringer eingeschätzt wird. P i n a r d gibt der Ge¬
bärenden nicht das Recht der freien Verfügung über ihr Kind,
während eine grosse Anzahl der deutschen Geburtshelfer der
Irau das Recht zuerkennen, die Kranioklasie des lebenden Kin¬
des vom Arzte zu fordern.
Wie Sie wissen, hat vor Kurzem in der Berliner medizini¬
schen Gesellschaft eine lebhafte Diskussion auf den Vortrag von
Kossmann über Tötung der Frucht stattgefunden. Inter¬
essant ist, wie unsicher der Rechtsstandpunkt in dieser Frage ist.
Kossmann führt aus den Gesetzesparagraphen an, dass der
Arzt stets verurteilt werden kann, einmal wegen Mordes, wenn
No. 32.
1331
er die Kranioklasie des lebenden Kindes ausfuhrt und zweitens
wegen iotschlags wenn etwa die Frau, nach ausgeführter
Symphyseotomie oder Kaiserschnitt, die ohne Einwilligung voll¬
zogen wurden, stirbt.
Bei diesen angenehmen Aussichten ist es natürlich schwer
etwas zu raten. V om ethischen Standpunkt aus dürfen wir heute
wohl sagen, dass bei der Verbesserung der Mortalitätsstatistik
des Kaiserschnittes, und der Symphyseotomie diese Operationen
zur Rettung des Kindes häufiger ausgeführt werden sollten und
dass man auch in Deutschland das Recht des Kindes auf Leben
etwas mehr anerkennen sollte, als es bisher geschehen ist.
Aus der I. medizinischen Abteilung des Allgemeinen Kranken¬
hauses Nürnberg (Oberarzt: Medizinalrat Dr. G. Merkel).
Ueber ein neues Abführmittel „Purgatin“.*)
Von Dr. Karl v. H ö s si 1 i n, früher Assistenzarzt.
Bei der grossen Anzahl von Abführmitteln, welche der mo¬
dernen Therapie zur Verfügung stehen — Penzoldt bringt
in der neuesten Auflage seines Lehrbuches der klinischen Arznei¬
behandlung deren über 40 — könnte es auf den ersten Blick fast
iiberflussig erscheinen, noch ein anderes Präparat dieser Art in
den Handel zu bringen. Wenn man jedoch sieht, wie wenig zu¬
verlässig auf der einen Seite die grössere Anzahl besonders der
sog. milden Abführmittel ist und welche unangenehmen Neben¬
wirkungen auf der anderen Seite häufig die stärkeren Laxantien
mit sich bringen, so ist es in erster Linie gerechtfertigt,
ein neues Mittel auf seine Brauchbarkeit hin zu prüfen. Um¬
somehr aber sahen wir uns veranlasst, Versuche mit dem Pur-
gatm anzustellen, als darüber bereits aus den drei grossen Kli¬
niken von Ewald, Stadelmann und Ebstein recht gün¬
stige Mitteilungen vorliegen, welche uns dies neue Präparat sehr
wohl als ein schätzenswertes erscheinen Hessen.
Ohne mich näher auf die Chemie und die physiologische
Wirkung des unter dem Namen Purgatinvon der chemischen
I abrik von Knoll & Comp, in Ludwigshafen her-
gestellten Präparates einzulassen, sei nur erwähnt, dass dasselbe
als das Anthrapurpurindiazetat der Gruppe der Oxyanthrachinone
angehört und ein gelbbraunes mikrokrystallinischesi, nicht sehrvo¬
luminöses Pulver ohne Geruch und Geschmack ist. Ueber seine
genauere Zusammensetzung etc. verweise ich auf die Arbeit von
Vieth (Münch, med. Woehenschr. 1901, No. 35).
V ie schon die anderen Autoren, so konnten auch wir vor
allem ei fahren, dass das Purgatin ausnahmslos gerne von den
Patienten genommen wurde und dieselben nie über eine unan¬
genehme Nebenwirkung zu klagen hatten. IV ar es einerseits
infolge des geringen Volumens den Kranken leicht möglich,
selbst bis zu 2,0 g des Pulvers ohne Beschwerden auf einmal
hinunterzuschlucken, so war andererseits der Vorteil der Ge¬
schmacklosigkeit unverkennbar in Fällen, in welchen besonders
ungeschickte Patienten statt das in Oblaten eingeschlossene
Pulver, in welcher Form wir immer das Mittel gaben, hinunter¬
zuschlucken, darauf bissen und so das Pulver im Munde aus¬
breiteten. Dann war es möglich, mit einem Schluck Wasser das
Testierende Pulver hinunterzuspülen, ohne dass der Patient
durch unangenehme Geschmacksempfindung Ekel empfand und
sich verleiten liess, den Rest auszuspucken oder gar zu Ueblig-
keit und Erbrechen gereizt wurde. In keinem einzigen Fall
sahen wir nach dem Einnehmen des Mittels Erbrechen oder auch
nur Uebligkeit auftreten, der Appetit wurde niemals beeinträch¬
tigt. Ebensowenig klagten die Patienten über Leibschmerzen;
waren solche schon vor dem Einnehmen des Purgatins vor¬
handen, so wurden sie durch dasselbe nicht verschlimmert und
hörten, nachdem die Wirkung in Form einer reichlichen Aus¬
leerung eingetreten war, bald auf. Gerade in allen diesen Be¬
ziehungen muss man dem Purgatin einen entschiedenen Vor¬
zug vor anderen energisch wirkenden Mitteln, insbesondere dem
Rizinusöl, geben, bei welchen ja Uebligkeit und Erbrechen, starke
Leibschmerzen etc. sehr häufige Folgeerscheinungen und unter
Umständen eine Kontraindikation gegen die Wiederholung dieses
Medikamentes bilden. Sehen wir ferner bei Rizinusöl, Senna,
Kalomel nach einem einmaligen reichlichen Stuhl unangenehmen
*) Vortrag, gehalten im Aerztlichen Verein Nürnberg am
3. April 1902.
1338
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Stuhldrang und eine Reihe weiterer dünner Stuhle, ja sogar
mehrere Tage anhaltende Durchfälle mit Störung des Allgemein¬
befindens eintreten, konnten wir dies selbst bei Patienten, denen
mehrere Male Purgatin ordiniert war, nie beobachten.
Wir kamen somit in erster Linie zu dem Schlüsse, dass das
Purgatin ein mildes und angenehmes Abführmittel ist, bei wel¬
chem lästige Nebenwirkungen ausgeschlossen zu sein scheinen.
Was nun die Wirkung des Präparates selbst anbelangt, so
gingen wir bei unseren Versuchen zunächst von der kleinsten
Dosis aus, welche als eben wirksam von den Autoren E w a l d
imd Stadelmann bezeichnet worden war, nämlich 0,5 g. W lr
kamen jedoch bald ebenso wie Ebstein zu -der Ueberzeugung,
dass diese kleine Dosis nur in den allerseltensten Fällen und
nur da, wo die Stuhlverstopfung nur kurze Zeit gedauert hatte,
einen Erfolg brachte. Etwas besser, jedoch noch keineswegs be¬
friedigend wirkte das Purgatin in Gaben von 1,0 g, so dass wir
bald 1,5 g als die normale Dosis betrachten konnten, bei welcher
in 95 Proz. aller Fälle die gewünschte Wirkung nicht ausblieb.
Um auch die Wirkung einer höheren Purgatindosis zu beob¬
achten, gaben wir in 9 Fällen von besonders hartnäckiger unc
vieltägiger Obstipation 2,0 g auf einmal, wobei in einem Fall
allerdings gar keine Wirkung sich zeigte, wogegen dieselbe in
den anderen Fällen prompt und zwar in kürzerer Zeit, nämlich
nach durchschnittlich 6,3 Stunden eintrat, während sie bei Dosen
von 0,5, 1,0 und 1,5 nach durchschnittlich 13 Stunden erfolgte.
Aus diesen Tatsachen konnten wir uns zweierlei Indikationen
ableiten, nämlich einmal, das Mittel in den ersten Abendstunden
zu verabreichen, weil dann der Stuhl für gewöhnlich am näch¬
sten Morgen erfolgte und die Patienten so nicht gezwungen
waren, während der Nacht aufzustehen, und zweitens lieber eine
grössere Dosis zu wählen, wenn es darauf ankommt, möglichst
rasch Stuhl zu erzielen.
In Bezug auf seine Wirkungszeit steht nun allerdings, wie
ersichtlich, das Purgatin ziemlich weit hinter den anderen oben
erwähnten Abführmitteln zurück, insbesondere nachdem die an¬
geführten Zahlen nur als Durchschnittswerte zu betrachten sind
und der Stuhl auch häufig länger als 24 Stunden nach Einver¬
leiben des Purgatins auf sich warten liess, was insbesondere bei
etwas hypochondrisch veranlagten Patienten, die einen baldigen
Erfolg der Medikation sehen wollen, unangenehm werden und
ihnen das Vertrauen zu dem verordnten Pulver nehmen kann.
Es empfiehlt sich daher, die Patienten auf die unter Umständen
erst nach späterer Zeit eintretende W irkung aufmerksam zu
machen und im übrigen ruhig bis zu 24 Stunden und sogar da¬
rüber hinaus, wenn nicht besonders zwingende Gründe dagegen
bestehen, zuzuwarten, bevor man entweder eine zweite Purgatin¬
dosis gibt oder, was wir ebenfalls erprobt haben, mit einem
Wasser- oder Oeleinlauf nachzuhelfen, welcher stets zu dem ge¬
wünschten Ziel geführt hat.
Ein weiterer kleinerer, unter Umständen jedoch sehr schät¬
zenswerter Vorteil des Purgatins besteht ferner darin, dass es
die Form des Stuhles in günstiger Weise beeinflusst, ganz ab¬
gesehen davon, dass die Ausleerungen fast ausnahmslos so aus¬
giebig waren, dass man mit Bestimmtheit annehmen konnte,
den Darm ganz gründlich entleert zu haben. Die Stühle waren
nahezu immer von weicher, geformter oder von dickbreiiger Kon
sistenz. Auch in Fällen, in welchen, wie Ebstein sich aus¬
drückt, das Purgatin als Scliiebemittel in Anwendung kam, bei
solchen Leuten nämlich, bei denen im Verlauf ihres Kolons derbe
Kotballen zu fühlen waren, traf dies fast immer zu und es war
nicht notwendig, zunächst durch W asser- oder Oeleinläufe die
im Rektum gestauten harten Kotmassen erst etwas aufzuweichen.
Die nach Purgatinverabreichung auf tretende rotbraune Farbe
des Stuhles rührt ebenso wie die burgunderrote Färbung des
Urins von dem in dem Mittel enthaltenen Farbstoff her und auch
wir können uns auf Grund gemachter Erfahrungen dem von
Ebstein empfohlenen Rat anschli essen, die Patienten auf diese
Erscheinung aufmerksam zu machen, damit sie sich nicht even¬
tuell ängstigen, es sei Blut mit ihren Entleerungen abgegangen.
Im übrigen lassen sich durch den Urin entstandene Flecke in der
Wäsche durch das Waschen leicht wieder beseitigen.. Eine un¬
günstige Beeinflussung der Nieren durch das Purgatin, die sich
durch Auftreten von Eiweiss im Urin dokumentierte, konnten wir
ebensowenig wie die übrigen Autoren jemals konstatieren.
Unterziehen wir noch zum Schluss die Frage einer kurzen
Kritik, in welchen Fällen wir das Purgatin .angewendet haben,
so können wir von vornherein sagen, dass wir keine Rücksicht
auf die sonst bestehende Erkrankung zu nehmen, brauchten. \V le
schon oben erwähnt, waren wir nach kurzer Zeit zu der Ueber¬
zeugung gekommen, dass irgend welche schädliche Nebenwir¬
kungen dem Purgatin nicht anzuhaften schienen. Insbesondere
bei Chlorotischen mit Magenbeschwerden und sonstigen Magen¬
kranken, bei welchen die Wahl eines Abführmittels häufig schwer
fällt, kamen wir dadurch nicht in Verlegenheit. In den einzelnen
Fällen selbst bandelte es sich meistens um eine gelegentliche, im
Verlauf der anderen Erkrankung auftretende mehrtägige 'S er-
stopfung, die behoben werden sollte. War dann in Folge des
Purgatins eine gründliche Stuhlentleerung eingetreten, so stellte
sich in vielen Fällen darnach geregelter Stuhlgang ein, was je¬
doch weniger auf Rechnung des Purgatins zu setzen sein durfte,
sondern vielmehr darin seinen Grund hat, dass entweder feste
Kotmassen, welche eine Stauung bedingt hatten, entfernt waren,
oder die einmal angeregte Peristaltik wieder normal weiter
wirkte, was beides durch irgend ein anderes Abführmittel ebenso¬
gut erreicht werden kann. Ebensowenig konnten wir bei Fallen
von wirklich chronischer Obstipation, bedingt durch Atonie des
Darmes eine nachhaltige günstige Beeinflussung der Darmtätig¬
keit durch das Purgatin beobachten. Es ist also in dieser Be¬
ziehung dem neuen Mittel kein wesentlicher Vorzug gegenüber
den anderen Abführmitteln zuzusprechen.
Hier möchte ich übrigens noch anfügen, dass wir in einem
Fall von chronischer Obstipation, nachdem wir zunächst, einige-
male die mehrtägige Verstopfung durch grössere Purgatmgaben
immer wieder beseitigt hatten, nunmehr das Mittel täglich vei-
abreichten und zwar in abendlichen Gaben von 0,5 g und sahen,
dass jetzt der Stuhl regelmässig jeden Morgen eintrat, woraus
wir schlossen, dass wenigst ens in diesem Fall eine Angewöhnung an
das Mittel und dadurch eine Abschwächung seiner Wirksamkeit,
nicht erfolgt.. . ,
Nicht unerwähnt will ich endlich noch den Preis des
Purgatins lassen. Das Gramm des Präparates kostet von der
Fabrik bezogen 4 Pf., wird dann allerdings in den Apotheken um
das zwei bis dreifache mehr betragen, so dass für eine Ordination
von 1,5 g immerhin der Preis von ca. 15 Pf. zu. bezahlen sein
dürfte, wodurch es jedenfalls etwas teurer, als die übrigen ge¬
wöhnlichen Abführmittel ist. Etwas billiger wird es natürlich
bei der Ordination als Schachtelpulver, wobei ein abgestrichener
Kaffeelöffel ungefähr 1,5 g entspricht. Es ist aber vielleicht zu
hoffen, dass bei vermehrter Nachfrage die Herstellungskosten
und somit der Fabrikpreis sich verbilligt, oder dass das Purgatin
von der Fabrik in einer Originalpackung zu einem bestimmten
Preis verschickt wird.
Im allgemeinen können wir auf Grund unserer Versuche
das Purgatin als ein schätzenswertes mildes Abführmittel wohl
empfehlen.
L i t e r a t u r:
yieth: Ueber ein synthetisch gewonnenes Abführmittel:
Purgatin Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 35
Publikationen über Purgatin von Ewald. Maiheft der
Therapie der Gegenwart 1901. „ „ .. 1om
Stadelmann: Deutsche Aerzteztg., 2. Maiheft 1901.
Ebstein: Therapie der Gegenwart. Januarheft 1902.
Ueber die ätiologischen Beziehungen der Chorea
minor zu den Infektionskrankheiten, insbesondere
zur rheumatischen Infektion.*)
Von Privatdozent Dr. Georg Ivöster.
M. H. ! Was ich Ihnen im folgenden über die ätiologischen
Beziehungen der Chorea zu den Infektionskrankheiten vor¬
zutragen gedenke, wird Ihnen vielleicht zum grossen Teile be
kannt sein, und kann keineswegs den Anspruch auf besondere
Originalität machen. Ich beabsichtigte nur, Ihnen in möglichster
Kürze ein kritisches Referat der wesentlichsten Anschau¬
ungen zu geben, welche über die infektiöse Aetiologie und Patho-
i genese der Chorea in den letzten Jahrzehnten laut geworden sind.
Nur die von Sydenham zuerst symptomatologisch genau fixierte
*) Vortrag, gehalten in der medizinischen Gesellschaft zu
Leipzig am 24. Juni 1902.
12. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sogen. Chorea minor soll uns hier beschäftigen, während die seit
v. Ziemssens Arbeit als Hysterie aufzufassende Chorea
magna, sowie die degenerativen und symptomatischen Formen
von mir übergangen werden. Auf die Bedeutung, welche den
nicht infektiösen Einflüssen, der neuropathischen Anlage, den
psychischen Einwirkungen, der Pubertät und Gravidität bei der
Entstehung der Chorea zukommen, kann ich, um nicht zuweit
von meinem Thema abzuschweifen, nur soweit eingehen, als es
dringend erforderlich ist.
Sclion in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts wurde
durch englische Autoren auf den ätiologischen Zusammenhang
zwischen Gelenkrheumatismus und Chorea einerseits und Endo¬
karditis und Chorea andrerseits aufmerksam gemacht. Durch eine
von Hughes 1846 zusammengestellte Statistik wurde von 108
in 10 Fällen eine der Chorea vorausgegangene Gelenk- und Herz¬
affektion nachgewiesen. Im Jahre 1856 bekräftigte Hughes
durch eine zweite mit Burton Brown gemeinschaftlich heraus¬
gegebene Statistik die von ihm erkannte ätiologische Verknüpfung
der beiden genannten Krankheiten. Seitdem haben sich viele
Autoren eingehend mit diesem Gegenstand beschäftigt, sind aber
zu verschiedenartiger Beurteilung über Häufigkeit und Bedeutung
des im übrigen als richtig anerkannten Zusammenhangs zwischen
Gelenkrheumatismus und Chorea gelangt. Wollte ich nur an¬
nähernd alle Autoren, die sich hierin Verdienste erworben haben,
anführen, so würde ich die enggezogenen Grenzen eines kurz be^
messenen Vortrages erheblich überschreiten müssen.
S ö e, der (18o0) bei 61 von 128 Choreakranken eine Gelenk¬
affektion konstatierte, fasste die Gelenkentzündung mit der des
Perikards, des Endokards und des Peritoneums zusammen unter
der Bezeichnung „Diathese rlnimatismale“, worunter er eine durch
den Rheumatismus bewirkte Veränderung der Blutzusammen¬
setzung verstand. Als eine Folge derselben sah er in vielen Fällen
sekundär die Chorea an.
Noch mehr als See lenkte in demselben Jahre Roth die
Aufmerksamkeit auf die mit der Chorea zusammenhängende
Herzaffektion.
Roger (1866) fand in 65 Proz. eine Vereinigung von Chorea
und Rheumatismus und erblickt in der rheumatischen Diathese
den Boden, auf welchem die Gelenkaffektion, die Endokarditis
und die Chorea als koordinierte Symptome erwachsen. Die Be¬
deutung der rheumatischen Theorie von Roger liegt
darin, dass er die Herzerkrankung zum ersten Male ganz unzwei¬
deutig als rheumatische Aeusserung ansprach, dass er in richtiger
Beobachtung der Tatsachen bald die Endokarditis, bald die Ge¬
lenkentzündung allein, bald alle beide vereint mit der Chorea
auftreten liess.
Kirkes (1863) erkannte gleich Roger die Bedeutung der
Herzerkrankung, ja er stellte sie als die eigentliche Ursache der
Chorea hin. Nicht die rheumatische Diathese, sondern die endo-
karditischen granulären Wucherungen der Herzklappen, von denen
sich feinste Fibringerinnsel ablösen und als Emboli die Gehirn¬
kapillaren verstopfen, seien die Ursache der Chorea. Diese kapil¬
laren^ Embolien, die auch von einigen Untersuchern im Streifen-
und Sehhügel oder in der Hirnrinde nachgewiesen werden konnten
(Broadbent, Hughlins-Jackson, Fox, Eli scher),
riefen seiner Meinung nach einen Reizungszustand der motori¬
schen Hirnganglien, die Entwicklung kleinster umschriebener Er¬
weichungsherde und damit das klinische Bild der Chorea hervor.
Auch durch Tierversuche wurde die embolische Theorie
gestützt. Angel M o n e y sah nach Injektion mit Arrawroot, Kar¬
toffelstärke und Karmin bei seinen Versuchstieren choreatische
Symptome auftreten und fand in Gehirn und Rückenmark zahl¬
reiche kapillare Embolien.
Die embolische Theorie wurde von vielen Seiten als ein we¬
sentlicher Fortschritt in der Deutung des Wesens der Chorea mit
Freuden begrüsst Sie hat heute noch Anhänger trotz ihrer
Schwäche. Die begründeten Einwände, welche gegen die emboli¬
sche Theorie erhoben wurden (Osler, H e n o c h, Litten,
G owers, O p p e n h e i m, W ollenberg u. a.), waren fol¬
gende: Die embolischen Verstopfungen im Gehirn sind nur bei
wenigen Fällen trotz Anwesenheit von endokarditischen Vege¬
tationen an den Herzklappen nachweisbar gewesen. Aber nur
konstante Befunde dürfen als Ursache einer Krankheit heran-
gezogen werden. Eine grosse Zahl choreatischer Individuen hat
keine endokarditischen Klappen Veränderungen auf zu weisen, die
man als notwendig für das Zustandekommen der Hirnembolien
ansehen musste. Schliesslich fragte man sich, warum denn im
Gegensatz zu den sonst bei embolischen Arterienverschlüssen im
Gehirn gewonnenen Erfahrungen hier statt Lähmungen chorea¬
tische Symptome auftreten. Auch sei der embolische Befund
nicht einheitlich, da in den verschiedensten Gebieten Gefässver-
stopfungen festgestellt werden konnten.
Der Versuch Littens, den Schwerpunkt nach wie vor auf
den Gelenkrheumatismus zu legen, ist eine berechtigte Abwehr
der Autoren, welche die Bedeutung der Endokarditis für die Ent¬
stehung der Chorea allzusehr in den Vordergrund stellten.
Allmählich gewann mit der Ueberzeugung, dass der ausser¬
ordentlich häufig der Chorea vorausgehende Gelenkrheumatismus
eine Infektionskrankheit sei, eine neue, die infektiöse Theorie die
Oberhand.
1339
, L e u b e betonte an der Hand eines Choreafalles mit nega-
ti\ ein Befund im Zentralorgau, dass man bei den anerkannten
Beziehungen zwischen Rheumatismus und Endokarditis, sowie
zwischen Rheumatismus und Chorea an die Einwirkung einer ein¬
heitlichen, vielleicht chemisch - infektiösen Krankheitsursache
denken müsse.
Bakteriologische Untersuchungen besonders waren es, welche
mit den beim akuten Gelenkrheumatismus gefundenen Infektions¬
erregern der infektiösen Theorie bis in die jüngste Zeit hinein die
notwendige Basis lieferten. Leider sind die von verschiedenen
Autoren gefundenen Mikroorganismen verschiedenartig. So züch¬
teten Guttmann (1886) einen Staphylokokkus, Mantle (1887)
einen Diplokokkus, B u d a y (1890) einen Streptokokkus und
Sahli (1892) einen Staphylococcus citreus aus dem Gelenkinhalt
resp. dem Blute der erkrankten Individuen. P i a n e s e fand aus
Teilen des Zentralnervensystems einen Diplobazillus und Diplo¬
kokkus, mit dem er auch Chorea experimentell erzeugt haben
will. Bei den 2 Fällen Steinkopfs, welche durch Gelenk¬
rheumatismus kompliziert waren, konnte Eberth (1890) einmal
Streptokokken, im anderen Falle einen dicken, an den Enden
abgerundeten Bazillus nachweisen. H. Meyer fand im Blut,
in den endokarditischen Wucherungen und im Gehirn Strepto¬
kokken und den Staphylococcus pyogenes.
Berkley (1891) gelang der Nachweis von Staphylokokken
in den Meningen eines choreatischen Hundes, T r i b o u 1 e t (1893)
führt auf Grund seiner Untersuchungen den Staphylococcus albus
und aureus als ätiologisch wirksam für die Entstehung der Chorea
an. Dana gelingt es bei seinem durch Rheumatismus kom¬
plizierten Falle u. a., Diplokokken zu finden, während Werner
(1899) Streptokokken bei seinem durch Endokarditis und paren¬
chymatöse Nephritis komplizierten Falle nachweisen konnte.
Maragliano wiederum entscheidet sich, obwohl er verschie¬
dentlich Bazillen und Diplokokken vorfand, für den 7 mal nach¬
gewiesenen Staphylokokkus als Haupterreger der Chorea. Und
da er auch im Zentralorgan in einem Falle Staphylokokken zu
konstatieren vermochte, so sieht er den Beweis für die ätiologische
Verknüpfung zwischen Gelenkrheumatismus und Chorea als ge¬
liefert an. Westphal, Wassermann und Malkoff
(1899) züchteten aus dem Blut, der Perikardialflüssigkeit, der Mitral¬
klappe und dem Gehirn einen Streptokokkus, der bei SO Kaninchen
gewöhnliche letale Gelenkentzündungen hervorrief, während er
in Blut und Körpergeweben als Diplokokkus auftrat. Hier handelt
es sich, wie die Autoren hervorheben, um den durch Züchtung
erbrachten Nachweis eines Infektionsträgers, der eine spezifische
Affinität zum Gelenkapparat besitzt. Die bazillären Befunde sind
in der Tat die einzigen wirklich brauchbaren. Denn was sonst
noch an Choreasektionen vorliegt, ist an Zahl zwar nicht uner¬
heblich, auch inhaltlich nicht ohne Interesse, aber für unsere
Kenntnis vom Wesen der Chorea ohne Bedeutung. Ich erinnere
kurz an die von Nauwerek gefundenen Rundzellenanhäu¬
fungen und Hämorrhagien im Zentralorgan, an die von S o 1 1 -
mann und von Müller nachgewiesene Hyperämie. Im all¬
gemeinen aber sind die Befunde so inkonstant und wechselnd,
wie bereits Eulenburg, Seeligmüller, Oppenheim,
Gowers, Wollenberg und viele andere hervorheben, dass
sie unter keinen Umständen als das anatomische Substrat der
Chorea angesehen werden dürfen. Die Befunde stimmen nur
darin überein, dass sie in der überwiegenden Mehrzahl das Gehirn
betreffen.
Man muss liier mit Recht einwenden, dass auch die bakterio¬
logischen Befunde die erforderliche Einheitlichkeit vermissen
lassen und dass sie nicht geeignet sind, uns über das Wesen der
Chorea aufzuklären. Wenn auch zugegeben werden muss, dass
hier die pathologische Anatomie noch verschiedene Lücken zu
sehliessen hat, so wird andererseits bei dem seit langer Zeit kli¬
nisch anerkannten Zusammenhang zwischen Gelenkrheumatis¬
mus, Endokarditis und Chorea durch bakteriologische Befunde
der infektiöse Charakter der mit den genannten Affektionen
komplizierten Chorea recht wahrscheinlich gemacht.
Die bakteriologischen Befunde und die Anerkennung des
innigen klinischen Zusammenhanges zwischen Gelenkrheumatis¬
mus, Endokarditis und Chorea veranlassten IL. M eyer zur Auf¬
stellung der rheumatisch infektiösen Theorie. Er
sagt, dass der Streptococcus und Staphylococcus pyogenes, die
man aus dem Blut, den Herzklappen und dem Gehirn gezüchtet
habe, auch bei dem Gelenkrheumatismus gefunden worden sei.
Es gebe also nur eine Chorea, und die sei rheumatischen Ur¬
sprunges. Andere Ursachen wären nur prädisponierend oder
zufällig. Meyer führt u. a. zum Beweise an, dass die Chorea
zuweilen als Aequivalent des polyarthritischen Anfalles auftrete
und dass sie bei epidemischem Auftreten des Gelenkrheumatismus
häufiger sei als sonst. Er begegnet sich hier in gewissem Sinne
mit II e u b n e r, der gleichfalls die Chorea der Kinder als ein
quasi Aequivalent der Gelenkerkrankung auffasst.
Dass die von L e u b e, H. Meyer u. a. vertretene infek¬
tiöse Theorie in einseitiger Anerkennung der rheumatischen
3*
1340
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Aetiologie die nach anderen Infektionskrankheiten und die ohne
zu ermittelnde rheumatische Infektion beobachteten Chorea¬
erkrankungen ganz vernachlässigt, ist von ihren Gegnern mit
Recht hervorgehoben worden.
Diese Lücken suchte Koch (1887) zu beseitigen, indem er
ein spezifisches Choreagift annahm. Durch andere Infektions¬
krankheiten wurde der Körper nur für die Aufnahme des Chorea¬
giftes disponiert.
Das Gift des Gelenkrheumatismus, welches seinem Wesen
nach mit dem Choreagift sich innig berühre, disponiere besonders
stark zur Aufnahme des Choreagiftes oder sei auch wohl selbst¬
ständig zur Erzeugung der Chorea fähig.
Die Schwäche dieser Hypothese liegt darin, dass sie zu dem
uns bisher unbekannten Gifte des Gelenkrheumatismus noch eine
zweite Unbekannte, das hypothetische spezifische Choreagift
einführt.
Auch über unsere Kenntnis des rheumatischen Giftes dürfen
wir uns keinen Illusionen hingeben. Wir wissen bei den wider¬
spruchsvollen Resultaten der bakteriologischen Untersuchungen
noch nicht, ob jede abgeschwächte Kokkeninfektion, wie z. B.
Sahli und v. Strümpell anzunehmen geneigt sind, das Bild
der Polyarthritis erzeugen kann oder ob nicht doch ein spe¬
zifischer Erreger des Gelenkrheumatismus existiert. Dass ein
rheumatischer Infektionsträger überhaupt existiert, ist mehr als
wahrscheinlich.
Dasselbe Gift ist auch nach W ollenberg (1897) bei dem
Muskelrheumatismus und bei den rheumatischen Erkrankungen
im weiteren Sinne tätig. Trotzdem nun die Chorea zu dem Ge¬
lenkrheumatismus in sehr naher Beziehung steht, so ist sie doch j
nach Wollenberg nicht einfach mit ihm identisch. Denn ,,
sie müsste sonst häufiger mit ihm koinzidieren und durch Anti-
rheumatica beeinflusst werden. Daher glaubt W ollenberg,
dass der Zusammenhang zwischen Chorea und rheumatischer In¬
fektion nur ein mittelbarer sei, und dass die Chorea nicht der
Ausdruck einer Mikrobeninfektion sei, sondern die Folge einer
Intoxikation der Hirnrinde mit den Stoffwechselprodukten der
betreffenden Mikroorganismen. Er betrachtet somit die Chorea
als eine metarheumatische Erkrankung und setzt sie in
Parallele zu den diphtherischen Lähmungen. Und indem er
weiter an die verschiedenen Ursachen erinnert, welche das Bild
der Neuritis hervorrufen können, meint er, dass wohl das rheu¬
matische Gift die choreogenen Eigenschaften in besonders hohem
Masse besitzen müsse, welche aber auch den Infektionsstoffen
anderer Krankheiten gelegentlich zukommen. In konsequenter
Durchführung seiner Theorie setzt Wollenberg eine rheu-
matische Infektion in jedem Falle voraus. Namentlich bei
jugendlichen Individuen sei die rheumatische Infektion oft so
flüchtig, dass sie leicht übersehen würde. Auch könne das rheu¬
matische Gift in einer Angina, einem Katarrh der Luftwege, des
Yerdauungstraktus oder einer Haut Verletzung in den Körper
gelangen. Gerade die geringfügigen Schädigungen seien in Zu¬
kunft zu beachten und nicht nur der Gelenkrheumatismus. Alle
andern sogenannten Ursachen der Chorea treten gegenüber der
rheumatischen Infektion im weitesten Sinne zurück und sinken
nach Wollenbergs Ansicht auf das Niveau von Hilfs¬
ursachen herab.
Aber auch die Wollenberg sehe Theorie hat ihre
schwachen Seiten. Auch sie kann den Begriff der neuropathischen
Disposition nicht entbehren, wenngleich sie in ihr nur ein Mo¬
ment erblickt, welches die Infektion zur Zeit der Pubertät oder
Gravidität oder bei einem Erschöpfungszustände begünstigt. Ein
weiterer angreifbarer Punkt der metarheumatischen Theorie liegt
in der Unmöglichkeit, in jedem Falle mit Sicherheit die rheu¬
matische Infektion nachzuweisen.
Ob nun die von W ollenberg vertretene Anschauung
richtig ist oder nicht, das eine muss anerkannt werden: Sie ist
interessant und eröffnet durch die Schaffung eines neuen Ge¬
sichtspunktes der klinischen Beobachtung die Möglichkeit, der
bisher in ihren Aufschlüssen über das Wesen der Chorea recht
zurückhaltenden pathologischen Anatomie einen weiteren Vor¬
sprung abzugewinnen.
Durch einen Vortrag Wollenbergs auf der 3. Versamm¬
lung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen im Jahre 1897
zu Halle wurde ich zur Prüfung und Verfolgung dieser von ihm
auf gestellten Theorie angeregt- und ich habe seitdem jeden der
Nervenabteilung unseres Instituts zugehenden Kranken resp.
seine Eltern genau über jede nur mögliche rheumatische In¬
fektion im weitesten Sinne ausgefragt, die der Chorea voraus¬
ging oder mit ihr zugleich auf trat. Im J ahre 1900 hat Herr
Max Juliusberg auf meine Veranlassung und unter meiner
Leitung die bis dahin von mir beobachteten 65 Fälle in einer
Dissertation zusammengefasst und sich dabei als vollkommenen
Anhänger Wollenbergs bekannt. Mittlerweile ist das Ma¬
terial auf 121 Fälle angewachsen, über deren ätiologische Be¬
ziehungen zu den verschiedenen Infektionskrankheiten ich Ihnen
kurz berichten will. Die Juliusberg sehen Fälle sind in
meiner Statistik also mitenthalten. Ueber die Tatsache, dass
51 meiner Patienten männlich, 70 weiblich waren, dass also das
weibliche Geschlecht häufiger von der Chorea betroffen ist, gehe
ich hinweg, da hier nur Bekanntes eine Bestätigung erfährt.
Auch der Umstand, dass von den 121 Kranken 19 eine Hemi-
chorea dextra, 16 eine Ilemichorea sinistra und 86 eine über den
ganzen Körper ausgedehnte Chorea hatten, übergehe ich als un¬
wesentlich. Ebenso bestätigt uns die Tabelle, in welcher die Pa¬
tienten den Jahren nach geordnet sind, in denen sie erkrankten,
dass die Jahre der beginnenden Pubertät die meisten Er¬
krankungen aufzuweisen pflegen. Dass ich vom 7. bis 13. Lebens¬
jahr die meisten Choreafälle beobachten konnte, während sich
in anderen Statistiken die Zahlen um ein Jahr nach oben oder
unten verschieben, halte ich für zufällig. Jedenfalls glaube ich
nicht, dass man aus der Anhäufung der choreatischen Er¬
krankung zur Pubertätszeit ohne weiteres einen Schluss auf ihre
infektiöse Natur ziehen darf. Ich erwähne das nur, weil man
von anderen Infektionskrankheiten her eine Bindung der Er¬
krankung an gewisse Lebensperioden bis zu einem gewissen
Grade gewöhnt ist.
Eher könnte man vielleicht aus der Anhäufung der Chorea
zu gewissen Jahreszeiten eine Beziehung zwischen rheumatischei
Infektion und Chorea herauszufinden versucht sein. Die nassen
Jahreszeiten disponieren ja im allgemeinen mehr als die trockenen
zu allerlei rheumatischen Erkrankungen.
Von meinen 121 Fällen erwarben ihre Chorea, abgesehen
von 9 Patienten, bei denen die Jahreszeit der Erkrankung nicht
sicher festzustellen war,
iin Frühling 32 = 26,4 Proz.
im Sommer 18 = 14,8 „
im Herbst 17 = 14 „
im Winter 45 = 37,2 „
Während Eulenburg die Chorea im Winter und bei
kaltem Wetter gleichfalls häufiger findet und den klimatischen
1 und atmosphärischen Einfluss als in hohem Grade wahrscheinlich
bezeichnet, konnten andere Autoren, z. B. Gowers und jüngst
noch Brüning, einen Einfluss der J ahreszeit nicht kon¬
statieren. Ich selbst möchte, da ich sehr genaue Erhebungen
über den Krankheitsbeginn gemacht habe, um so eher an einen
gewissen Einfluss der Jahreszeit glauben, als gerade die in Früh¬
ling und Winter erkrankten Patienten relativ zahlreich an einer
infektiösen Chorea litten.
B e i 86 v o n 121 = 71,15 Proz. Kranken liess sich eine i n -
fektiöse Aetiologie mit Sicherheit nachweisen und ein
Blick auf die obenstehende Tabelle lässt uns erstens erkennen, eine
wie grosse Rolle bei der Entstehung der Chorea gerade die von
Wollenberg zuerst eingehend gewürdigten „geringfügigen
Schädigungen“ spielen, und zweitens, dass der Respirations-
traktus im weitesten Sinne recht häufig die Eingangspforte des
rheumatischen Giftes bildet.
Wir sehen, dass nicht nur der Gelenkrheumatismus oder die
Endokarditis, sondern auch die Angina, die Bronchitis, die
Laryngitis, die Otitis, das Schnupfenfieber entweder allein oder
mannigfach miteinander kombiniert das choreatische Krankheits¬
bild einleiten oder zugleich mit ihm auf treten können. Besonders
charakteristisch ist die choreogene Eigenschaft des Schnupfens
und der Angina, nicht minder die der Bronchitis.
Was die Natur der von uns in 43 von 86 Fällen = 50 Proz.
beobachteten Angina betrifft, so handelte es sich meist um folli¬
kuläre, seltener um die lakunäre Form. Dass der Gelenk¬
rheumatismus, dessen Beziehungen zur Chorea keinem Zweifel
unterliegen, oft nach einer vorausgegangenen Angina sich ein¬
stellt, wird wohl allgemein anerkannt. Die von Bloch behan¬
delte Frage, dass man eine für die rheumatische Infektion spe-
12. August 19Ö2.
muenchener medicinisciie Wochenschrift.
1341
zifische Angina nicht kenne, hat. insofern nicht allzugrosse Be¬
deutung fiii uns, als es uns zunächst auf den choreog'enen
Charakter der Angina überhaupt ankommt. Sollten die Fälle,
in denen die Chorea in direktem Anschluss an eine Angina ent¬
standen ist, nicht einer rheumatischen Angina ihre Entstehung
verdanken, so würde damit nichts am infektiösen Charakter der
Chorea geändert. Bei 6 Patienten konnten die in den entzünd¬
lich geschwollenen und geröteten Tonsillen sitzenden Pfropfe
neben der erst jüngst entstandenen Chorea nachgewiesen werden.
Die tabellarische Uebersicht zeigt uns auch, dass in einer ganzen
Reihe von Fällen statt der Angina ein Schnupfen oder eine
Bronchitis dem Gelenkrheumatismus vorausging, welchem dann
die Chorea folgte. Der Zeitraum, innerhalb dessen die Chorea
sich nach einer der ätiologisch wirksamen rheumatischen Affek¬
tionen einzustellen pflegte, schwankte bei meinen Kranken zwi¬
schen 2 14 Tagen bis zu 6 Wochen, so dass man füglich eine
direkte toxische Wirkung nicht zu bestreiten vermag.
Während bei 76 von 86 infektiösen Fällen die Chorea später
als die Polyarthritis eintrat, konnte ich in 3 Fällen das gleich¬
zeitige Auftreten von Gelenkerkrankung und Chorea beobachten.
In 4 Fällen dagegen folgte der Gelenkrheumatismus der 8 bis
21 Tage zuvor schon eingetretenen Chorea. Ich bestätige damit
nur längst Bekanntes. Gelenkrheumatismus allein oder mit
andern Affektionen zusammen fand sich bei 35 Choreatischen
vor, was 40,6 Proz. entspricht bei Bezug auf die 86 infektiösen
Choreafälle, 21,4 Proz. bei Bezug auf alle 121 Kranke.
Interessant ist die Tatsache, dass einmal die Chorea gleich¬
zeitig mit einem Schnupfenfieber einsetzte, während sie in 6 an¬
deren 1 ällen nach 3 — 14 Tagen diesem nachfolgte.
Endokarditis wurde allein oder mit anderen rheumatischen
Affektionen bei 26 Choreafällen beobachtet (30,3 Proz. bei Be¬
ziehung auf die 86 infektiösen und 21,4 Proz. bei Beziehung
auf die Gesamtzahl von 121 Kranken). Besonders hervorzuheben
ist hier ein Fall, bei dem subjektiv seit einigen Tagen Herz¬
klopfen und Kurzatmigkeit bestanden, objektiv eine typische
Mitralinsuffizienz festgestellt wurde, in deren weiterem Verlauf
nach 2Vz Wochen eine typische Chorea sich entwickelte.
Chorea in ätiologischem Zusammenhang mit einer Infek¬
tionskrankheit.
Scharlach + Gelenkrheu'
matismus .
Scharlach .
Masern + Gelenkrheuma
tismus .
Masern .
Impfung .
Pneumonie .
Schnupfen resp. Schnupfen
fieber resp. Influenza . .
Schnupfenfieber -(- Endo
karditis .
Schnupfen -j- Angina ....
Schnupfen -f- Angina -j-
Laryngitis .
Schnupfen -(- Bronchitis -f-
Angina Gelenkrheu
matismus .
Schnupfen (Bronchitis)
-f* Gelenkrheumatismus .
1
2
1
2
1
1
1
2
2
3
Schnupfen -j- Gelenkrheu¬
matismus -)- Endokarditis
Angina .
Angina -j- Laryngitis .
Angina -j- Endokarditis . . .
Angina -(- Gelenkrheuma¬
tismus .
Angina + Gelenkrheuma¬
tismus -f- Endokaiditis . .
Gelenkrheumatismus -f- En¬
dokarditis .
Gelenkrheumatismus .
Endokarditis .
Gelenk - Rheumatismus +
Bronchitis .
Otitis media .
Bronchitis .
Summa 8G Fälle.
3
16
1
9
6
6
6
1
1
3
3
Dem Lebensalter nach geordnet, in welchem sie an Chorea
erkrankten.
Im Alter von
Zahl der
Kranken
Im Alter von
Zahl der
Kranken
2 Jahren
1
12 Jahren
23
2
13 „
12
^ »
3
14
3
6
6
15 „
4
7
15
17 „
1
8 „
11
22 „
2
9 „
12
35 „
1
10 „
14
45 „
1
H „
9
59 „
1
# Mit ein paar Worten möchte ich noch die Frage der Chorea¬
rezidive berühren. Man hat die Neigung der Chorea zu Re¬
zidiven mit der bei anderen Infektionskrankheiten bestehenden
So. 32.
I
I
I
I
Neigung in Analogie gesetzt. Vielleicht hängt die Erwerbung
des Rezidivs in vielen Fällen mit der individuellen Disposition
zu rheumatischen Erkrankungen der verschiedensten Art zu¬
sammen. In der Tat konnte ich bei 11 = 9 Proz. Kranken
vorangegangene Chorea anamnestisch feststellen resp. eine Neu-
ei krankung hei eben überstandener Chorea beobachten. 7 mal
war hierbei die Aetiologie rheumatisch, während es 4 mal nicht
gelang, eine I rsache zu entdecken. Eine meiner Kranken er¬
lebte innerhalb von i Jahren 5 Rezidive, darunter 2 von mir
beobachtete mit rheumatisch-infektiöser Aetiologie. Die von
Bi’üni n g vertretene Ansicht, dass die Fälle ohne infektiöse
Aetiologie eine relativ grössere Neigung zu Rezidiven haben
sollen als die mit vorausgegangener Infektion, würde durch
meine Beobachtung keine Bestätigung erfahren. Ich meine über¬
haupt, dass man zur Beantwortung dieser Frage ein viel grös¬
seres Beobachtungsmaterial heranziehen muss, als Brüning
mit 65 und ich mit 121 Fällen dies zu tun in der Lage waren.
Wenn wir nun die nach anderen Infektionskrankheiten ent¬
standenen Choreaerkrankungen in der Literatur überblicken, so
fällt die Ausbeute hier wesentlich geringer aus als bei der
rheumatischen Infektion.
Es ist Veitstanz nach Typhus, Variola und Varicellen, epi¬
demischem Friesei, Masern, Scharlach, Erysipel, Keuchhusten,
Magendarmkatarrh, Gonorrhoe, Influenza, Diphtheritis, Ery¬
thema exsudativum multiforme von verschiedenen Autoren be¬
schrieben resp. tabellarisch zusammengestellt worden.
Woodmann, Peiper, Mackenzie, Eulenburg,
L i 1 1 e n, M a r i a n i, W ollenberg, Heubner, Brü¬
ning haben in neuerer Zeit die schon vorliegenden Publi¬
kationen älterer Autoren über diesen Gegenstand vermehrt. Ich
kann diesen Beobachtungen verschiedene neue anreihen. Einmal
sah ich 8 Tage nach der Impfung ohne nachweisbare rheu¬
matische Infektion bei einem 12 jährigen Mädchen Chorea auf-
treten, ferner einmal Chorea im Verlauf einer Pneumonie, wäh¬
rend der Kranke noch im Bett lag, und schliesslich 3 Fälle von
Veitstanz bei Masern und in der Rekonvaleszenz von Scharlach.
Je ein Choreapatient nach Masern und nach Scharlach hatte
kurz vor dem Ausbruch der Chorea eine Schmerzhaftigkeit in
verschiedenen Gelenken zu klagen. Derartige Kombinationen von
Masern oder Scharlach mit Gelenkaffektionen, die der Chorea
vorausgingen, haben u. a. Wollenberg und Brüning
gleichfalls beobachtet. Die mit eingeschaltetem Gelenkrheumatis¬
mus nach Masern oder Scharlach entstandenen Fälle von Veits¬
tanz schlagen gleichsam eine Brücke zu den bei gewöhnlicher
Polyarthritis rheumatica beobachteten. Wenn man auch hier die
Chorea als Folge einer Sekundärinfektion aufzufassen geneigt
sein möchte, so wird man bei den unmittelbar und direkt nach
einer Infektionskrankheit entstandenen Fällen die Annahme
einer Sekundärinfektion nicht gut aufrecht erhalten können.
W enn man nicht einfach ein zufälliges Zusammentreffen an¬
nehmen will, was meiner Ansicht nach durch die klinische Be¬
obachtung der Krankheitsentwicklung widerlegt wird, so bleibt
nur die Annahme übrig, dass auch andere Infektionskrankheiten
choreogene Eigenschaften zu entwickeln vermögen. Masern und
Scharlach besitzen diese Fähigkeit offenbar in höherem Grade als
die übrigen Infektionskrankheiten, denn in ihrem Gefolge ist die
Chorea relativ häufig gefunden worden. Mit der Anerkennung
der Auffassung, dass der Veitstanz nicht nur durch die Gift¬
wirkung der rheumatischen Infektion, sondern auch durch die
Toxine anderer Infektionserreger hervorgerufen werden kann, ist
im Grunde schon die in Wollenbergs Theorie möglichst an¬
gestrebte Einheitlichkeit der infektiösen Aetiologie der Chorea
zerstört. Immerhin handelt es sich hier noch um eine Chorea
von gleichfalls infektiösem Ursprünge.
Nun waren unter meinen 121 Choreafällen aber 35, bei denen
anamnestisch weder eine rheumatische, noch anderweitige in¬
fektiöse Aetiologie nachweisbar war. Und bei der grossen Ge¬
nauigkeit, mit der die Anamnese erhoben wurde, kann voraus¬
gesetzt werden, dass jeder Anhaltspunkt infektiöser Art ver¬
wendet worden wäre. Bei 4 von diesen 35 Patienten fanden sich
gelegentlich der objektiven Untersuchung stark hypertrophische
und zerklüftete Tonsillen und einmal ausserdem ein kratzendes
Geräusch an der Herzspitze. Man wird trotz der fehlenden „in¬
fektiösen“ Anamnese wohl keinem Irrtum unterliegen, wenn man
diese Kranken bei dem Vorhandensein rheumatisch infektiöser
4
1342
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIIT.
No. 32.
Residuen noch unter die infektiöse Gruppe rechnet. Es w ur -
den dann statt 86 Kranken (71,15 Proz.) 90 Kranke
m 3 Proz.) eine infektiöse Aetiologie a u t -
weisen, eine recht hohe Ziffer1), wenn man sie
mit früheren Statistiken vergleicht.
Unter den nunmehr übrig bleibenden 31 Fallen entpuppten
sich 2 Kranke als ausschliesslich hysterisch, denn ihre Chorea war
durch Nachäffnung der bei einem anderen Choreatischen ge¬
sehenen Grimassierungen und Gliederverdrehungen entstanden,
und eine harmlose Suggestionstherapie beseitigte nach einigen
Wochen das Leiden völlig.
Ausserdem fanden sich noch bei 3 anderen Kranken ohne
nachweisbare Aetiologie halbseitige Sensibilitätsstörungen, Kla-
vus, Globus u. s. w., so dass man auch hier nicht fehl gehen wird,
wenn man diese Kranken als Fälle von hysterischer 1 seudochorea
bezeichnet. „ -r.
Erwähnen möchte ich noch, dass ich gleich anderen Re
obachtern 3 Fälle von unzweifelhaft rheumatischer Aetiologie
behandelt habe, die neben der Chorea noch eine durch Stigmata
wohlcharakterisierte Hysterie darboten.
Diesen 5 einwandsfreien Fällen von Pseudochorea stehen nun
26 gegenüber, die kein hysterisches Stigma aufweisen, wohl aber
eine voll entwickelte Chorea. Ausser einem 45 jährigen und
einem 59 jährigen Manne, die vielleicht nicht mehr m die Gruppe
der Chorea minor gehören, handelt es sich m allen b allen um
Kranke, die eine neuropathische Aszendenz hatten, die durch
rasches Wachstum, Ueberanstrengung im Hause oder m der
Schule oder durch dürftige Ernährung heruntergekommen
waren und blass, welk, mit Spuren überwundener Rhaclntis oder
noch vorhandener Skrofulöse der Poliklinik zugingen. Die
meisten befanden sich in der beginnenden oder vorgeschrittenen
Pubertät. . . . TT ,
Bei der eingehenden Befragung der Kranken nach einer Ui-
sache erfuhr ich in 9 Fällen, dass Schreck das auslösende Moment
gewesen sei. Es wurden angegeben: Schneiden m eine Glas-
flasche, Anblick von Krämpfen oder einer Feuersbrunst, dauernde
Einschüchterung durch unvernünftig strenge Erziehung, Biss
durch eine Gans, Heransausen der Strassenbahn, plötzlicher lod
des Vaters, Schreck vor einem versuchten unsittlichen Attentat,
letzteres bei einem 22 jährigen Mädchen.
Wie wenig sicherlich in einer Anzahl von Choreafallen aut
den „Schreck“ als ätiologisches Moment gegeben werden darf,
ist aus der Erfahrung ersichtlich, die ich an 3 Kranken machte,
deren Mütter auf das Bestimmteste jede rheumatische Infektion
für die frisch entstandene Chorea ihrer Kinder ablehnten und
einen Schreck als Ursache bezeichneten. Als ich den Mund in¬
spizierte, konnte ich die follikulären Pfropfe in den Tonsillen
in verschieden grosser Zahl nachweisen. Ich bin überzeugt, dass
sich bei genauer Erhebung der Anamnese und des Status noch
mancher Fall als infektiösen Ursprungs enthüllen wird, der sonst
als nichtinfektiös gegolten hätte. So wurde z. B. bei 3 Kranken
von den Eltern der Verdacht geäussert, dass Masturbation me
Ursache der Chorea sei, aber auch hier gelang es, die kurz voraus¬
gegangene Angina resp. Polyarthritis anamnestisch mit Sicher¬
heit festzustellen. Auch glaube ich, dass W o 1 1 e n b e r g Recht
hat, wenn er sagt, dass sich in nicht wenigen Fällen die Eingangs¬
pforte des rheumatischen Giftes wegen ihrer Geringfügigkeit
unserer Kenntnis trotz eifrigen Forschens entziehen mag. Es ist
mir aber zweifelhaft, ob dies für alle Fälle Gültigkeit hat. S o
lange es nicht gelingt, aus dem Blutendes
Choreatischen den Infektionsträger . einei
irgendwie latent erworbenen rheumatischen
I nf e k t i o n nachzuweisen, so lange muss die
Heranziehung anderer ätiologisch wirksamer
Momente nicht infektiöser Art als durchaus
zulässiggelten. ,
Wenn W ollenberg den verschiedenen Infektionskrank¬
heiten choreogene Wirkungen wohl mit Recht zuschreibt und da¬
bei an die verschiedenen Schädlichkeiten erinnert, die eine
Neuritis zur Folge haben könne, so ist die Frage am Platze, ob
man nicht richtiger mit Oppenheim die Epilepsie als Ana¬
logon heranzieht. Letztere kann durch Vererbung, durch
psychische Traumen, Infektion resp. Intoxikation und durch peri¬
pher wirksame Reize reflektorisch hervorgebracht werden. Es ist
nicht zu bestreiten, dass die meisten Choreaerkrankungen in¬
fektiös sind, aber es scheint mir sehr wohl denkbar, dass au
dem Boden einer ererbten oder erworbenen neuropathischen An¬
lage zu gewissen Lebensperioden, in denen sich wahrscheinlic
nicht unwesentliche Stoff Wechseländerungen im _ Körper voll¬
ziehen, ein psychisches Trauma clioreogen zu wirken vermag.
In der Pubertät und der Gravidität haben wir. derartige Zustande
vor uns. Die individuelle Disposition, d. h. eine prafonnierte
pathologische Beschaffenheit des Nervensystems können wir für
die Erwerbung der Chorea ebensowenig entbehren, wie lur
die Erwerbung der Epilepsie oder Hysterie. Auch die Anhänger
der ausschliesslich infektiösen Theorie der Chorea müssen mit
dem Begriff der individuellen Disposition rechnen. Es wäre sonst
nicht einzusehen, warum nach einem Schnupfenfieber, einer
Angina, einer Bronchitis oder anderen rheumatischen Attektionen
relativ harmloser Art unzählig viele Menschen me eine Chorea
erwerben, während andere darnach und sogar wiederholt an
Chorea erkranken. Gerade bei den vielfach belasteten, schlecht
ernährten, anämischen, skrofulösen, rhachitischen Kindern der
untersten Stände wird eine Disposition geschaffen, aut Grund
deren besonders im Zusammentreffen mit der Pubertät sich
toxische und reflektorische Reize hochgradig choreogen wirksam
erweisen. Meine Patienten waren fast alle Kinder von Hand¬
oder Fabrikarbeitern, kleinen Handwerkern, Schreibern u. dergl.
Unter den höheren Ständen sind mir bisher nur wenige chorea¬
tische jugendliche Individuen begegnet. .
Schliesslich wäre noch die Frage zu streifen, ob nicht die in
der Pubertäts- und Graviditätszeit erzeugten Stoffwechselpro¬
dukte bei vorhandener neuropathischer Anlage von sich aus oder
unter der Einwirkung eines psychischen Schocks toxisch m
choreogenem Sinne wirken können. Diesem Gedanken hat bereits
Pilcz in ähnlicher Weise Ausdruck verliehen, wenn er zu dem
Schlüsse kommt, dass es sich bei der Chorea um eine Giftwirkung
auf ein hereditär disponiertes Nervensystem handle. Entweder
komme eine exogene Giftwirkung in Frage, wie bei der rheu¬
matisch und anderweitig infektiös entstandenen Chorea, oder eine
endogene durch Autointoxikation bei der Gravidität und Lak¬
tation. Eine weitere Diskussion dieser nicht uninteressanten
Theorie, welche zwischen der infektiösen und sozusagen nei-
vösen Pathogenese der Chorea zu vermitteln sucht, würde uns
jedoch nur zu Wiederholungen der Anschauungen führen, die ich
Ihnen bereits vorgetragen habe.
j| m Jul insb erg kam in seiner Dissertation sogar auf
PS l»roz. infektiöser Angina, doch stellt sich bei meiner Statistik
das Verhältnis ungünstiger, weil zu (len von .1 uliusberg ver¬
wendeten Fällen meiner Abteilung mittlerweile noch eine Anzahl
mit nicht nachweisbarer infektiöser Aetiologie liinzngekomnien ist.
Erfahrungen über die Anwendung von Terpentinöl
und verwandten Mitteln bei Blinddarmentzündung.
Von Dr. Moritz Maye r, k. Kreiswundarzt z. D. m Simmern.
Die Arbeit Curschmann s, die über ein mässiges An-
steigen der Leukocytenzahl in den ersten lagen auch bei den
günstig verlaufenden Fällen von Perityphlitis berichtet, ferner
der Aufsatz von R. W internitz über den Einfluss ätherischer
Oele auf künstlich durch Aleuronatinjektionen bei seinen V er-
suclistieren gesetzte Eiterungen gibt mir Veranlassung, ein Heil¬
verfahren darzulegen, das mir in der Privatpraxis im Laufe von
7 Jahren günstige Ergebnisse in einigen schweren Fällen gezeigt
hat und von dem mir nicht bekannt ist, dass es in dieser Art
anderwärts geübt worden ist — über die Anwendung des Oleum
terebinthinae oder verwandter Mittel bei Blinddarmentzündung.
Veranlassung zur Anwend u n g.
Wiederholt hatte ich die Beobachtung gemacht, dass das in
der Tierheilkunde viel gebrauchte Oleum terebinthinae sulfura-
tum, das an vielen Orten Universalmittel gegen die mannig¬
fachsten Leiden ist (cf. z. B. H usem a n n : Arzneimittellehre,
S. 232), beim Volke auch bei beginnenden Perityphlitiden, bevor
der Arzt gerufen worden war, in Anwendung gezogen wurde;
wie mir schien mit dem h-rfolg', dass eine \ erschlimmeiung nie lt
eintrat, dass als Nebenwirkung nur Dysurie beobachtet wurde,
dass dagegen momentane Erleichterung, manchmal infolge von
Stuhlentleerung, Schmerzlinderung sich einstellte: das Mittel
wirkte als Sedans, Karminativum und manchmal als Laxans.
12. August 1902.
MTTENCHENEB MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1343
I ei nei legte lcli mir bereits vor Jahren clie Frage vor, ob
es möglich sei, dass chemische Mittel, die bei subkutaner ' In¬
jektion im Unterhautgewebe oder bei äusserer Anwendung auf
die Haut Eiterung zu erzeugen im stände sind, bei innerer Dar¬
reichung beginnende Eiterungen oder entzündliche Prozesse gün¬
stig beeinflussen könnten 1).
Auf Grund eines solchen Gedankenganges verordnete ich
zunächst in einem Falle von Empyem, den ich am 17. August
1894 mit einfachem Schnitte behandelt und in dem ich nach
G. H a h n, der in der Sitzung der Berl. med. Gesellseh. vom
30. Januar 1889 gerade für die Landpraxis seine Methode em¬
pfohlen hatte, einen Drain eingeführt hatte, zur Beschleunigung
der Resorptionsvorgänge und zur Bekämpfung der Eiterung Ter¬
pentinöl intern.
Die Krankengeschichte ist folgende :
Christof N., 42 .Talire. Maurer, Mutterschied.
17. VIII. 1894. Einschnitt im X. r. Interkostalraum hinter
der Axillarlinie. Entleerung reichlicher Mengen dünnen, zuerst
grünlich-gelben Eiters, dem später rötlich-graue, etwas übel¬
riechende Flüssigkeit folgt. Einführung eines Drains. Jodoform¬
gazeverband.
18. VIII. Puls und Respiration sind nur wenig beschleunigt.
Es besteht nur noch geringer Schmerz. Der Ausfluss, der in der
Nacht, reichlich gewesen war, ist am Tage gering. Einführung
eines neuen Drains. Abends, neben Morphin 0,01, Ord.: Ol. tereb.
3 mal täglich 5 Tropfen.
20. VIII. Das Befinden ist befriedigend. Die Atmung ist
ruhig. Der leicht ausströmende Eiter ist geruchlos.
22. VIII. Der Ausfluss wird geringer. Eine Dämpfung ist
kaum nachzuweisen. Das Allgemeinbefinden befriedigt dauernd.
"Wirkung des Ol. tereb. 7 Aufstehen wird bereits erlaubt.
In der nächsten Zeit wird unter weiterer innerer Terpentin¬
öldarreichung ein vollständiges Zessieren des Abflusses beobachtet.
Da indessen als Nebenwirkungen sich vorübergehend Oedeme ein¬
stellen. muss das Mittel ausgesetzt werden. Die Oedeme schwin¬
den unter Anwendung von Coffein, natr.-salic.
Schon am 4. IX. liess die digitale Austastung der Brustfell¬
höhle von der Inzisionswunde aus eitrigen Inhalt nicht mehr er¬
kennen. Die Heilung machte dauernd Fortschritte und ist von
Bestand gewesen.
Der Mann, den ich heute noch oft bei der Arbeit zu be¬
obachten Gelegenheit habe, ist. soviel mir bekannt ist, gesund ge-
blieben.
Ueberblicke ich beute epikritisch meine damaligen Notizen,
so würde ich jetzt jede Nierenreizung zu vermeiden suchen. Ein
Einfluss auf die Resorptionsvorgänge ist mir aber in diesem
Falle unzweifelhaft deutlich geworden, da die ursprüngliche An¬
nahme, die Eiterung werde noch lange Zeit weiter andauern, sich
nicht bewahrheitet hat.
Wiederholt hatte ich später Gelegenheit, die resorptiven
Wirkungen des Terpentinöls in ähnlichen Fällen von Pleuritis
mit zelligem Exsudat kennen zu lernen. Ich kam allmählich
immer mehr dahin, das Terpentinöl als Antip hlogisti-
k u m und als resorbierendes Mittel zu schätzen.
Liess sich nämlich in ähnlicher Weise auch bei Blinddarm¬
entzündung, nachdem bereits ein Exsudat ausgebildet ist, die
Terpentinöldarreichung in den späteren Stadien zur
Beschleunigung von Resorptionsvorgängen rechtfertigen, so war
im Beginn der Erkrankung mehr der Gesichtspunkt mass¬
gebend, dass Terpentinöl ja auch bei infektiösen puerperalen Er¬
krankungen“) den Meteorismus günstig zu beeinflussen und die
Darmtätigkeit anzuregen vermag.
In meinen ersten Fällen habe icb, um lokale Fernwirkungen
zu erhalten, zunächst statt Terpentinöl Valeriana und Kastoreum
angewandt und später hauptsächlich bei Kindern diese Mittel
beibehalten — und zwar nicht in der Absicht, sie als Exzitantia
zu reichen, sondern als Ersatzmittel des Opiums.
Ich verfüge über 12 regelmässig beobachtete Fälle aus den
letzten 7 Jahren, in denen ich anfangs vorsichtig und tastend,
später mit grösserer Sicherheit das Opium durch Ol. tereb. oder
verwandte Mittel ersetzt habe. Es handelte sich um 5 Männer
im Alter von 20 bis 40 Jahren, 2 Frauen, 5 Kinder (Knaben)
mit dem Ergebnis, dass bei ausschliesslich innerer Medikation
Genesung eingetreten ist, ein Rückfall nur in einem Falle beob¬
achtet wurde. Die übrigen, die eine relativ lange Zeit in Be¬
obachtung nach Ablauf der Krankheit gestanden haben, sind
von Rückfällen frei geblieben.
Art der Anwendung.
\ or Ausbildung des Exsudates, im Beginn und zur Zeit des
Höhepunktes der Erkrankung ist es nicht immer möglich, Ol.
tereb. auch in kleinen Dosen regelmässig darzureichen. Ge¬
legentliches Aussetzen der inneren Medikation bei Brechreiz ist
erforderlich. Die Verordnung in Tropfenform, etwa Ol. pini
pumilionis, 2 3 4 mal 3 Tropfen mit Tr. cinnamomi, mit
Aether, mit Elixir. amarum, in Eigelb und Kognak-Zuckerwasser
hat sich als zweckmässig erwiesen. Wird diese Darreichung
nicht vertragen, so habe ich eine dünne Eigelbemulsion per
rectum gegeben oder statt des Terpentinöls Tr. Valerian. mit
Tr. Castorei dargereicht. Ferner wurden zur Schmerzlinderung
im Bedarfsfälle Suppositorien mit Extr. Hyoscyam, Belladonn.
event. Morphin beigebracht, hie und da einmal auch Extr. Opii
aquos. gegeben. Die fernere Behandlung mit Eismilch, Dar¬
reichung säuerlicher Getränke, gelegentlicher oder oft wieder¬
holter Rektalernährung versteht sich von selbst.
Hat sich eine Resistenz ausgebildet, so wird die Resorption
des Tumors merklich ausser durch innere Terpentinölmedikation
gefördert durch externe Anwendung von Terpentinöllinimenten
oder -Emulsionen, als Umschlag auf die Stelle der grössten Re¬
sistenz. Aufgesetzt habe ich das Mittel sofort beim Eintritt von
Dysurie.
Neb enwirkungen.
Ausser gelegentlichem Auftreten von Harnbeschwerden be¬
obachtete ich bei einem Patienten mit gleichzeitiger Infiltration
oer Lungenspitzen während der Dauer des Terpentinölgebrauches
das Auftreten blutiger Sputa3), ferner von Oppression und
verstärktem Hustenreiz. Das Mittel musste auch hier vorüber¬
gehend ausgesetzt werden. Die Sputa nahmen alsdann sofort
ihre helle Färbung wieder an.
Theorie der Wirkung.
Eine Erklärung der Ursachen des Erfolges der Terpentinöl¬
anwendung hat zu würdigen : die schmerzlindernde Wirkung, die
Einwirkung auf die Danntätigkeit, die Beförderung der Ent¬
stehung der Resistenz, den Einfluss auf das Aufsaugen dieser
Resistenz.
Die schmerzlindernde Wirkung ist eine gemeinsame
Eigenschaft vieler pyogener Mittel. Emetin (cf. Maurel:
Comptes rendus de la soc. de biol. 1901, S. 862, 877, 977, 998, 1125)
bedingt bei subkutaner Applikation des salzsauren Salzes am
Kaninchen eine lokale Anästhesie an der Injektionsstelle. Vom
K r o t o n ö 1, einem der bekanntesten eitererregenden Mittel, hat
Oh. Bell in kleinsten Dosen als Narkotikum Gebrauch gemacht.
Tartarus stibiatus wird den üblichen lösenden Mixturen gewiss
nicht bloss seiner expektorirenden Wirkung allein wegen bei¬
gefügt. Von anderen pyogenen Mitteln darf auch Argentmn
nitricum hierher gerechnet werden.
Nach meinen Beobachtungen am Krankenbette handelt es
sich auch bei Anwendung kleiner Dosen von Terpentinöl und
bei Eintritt einer schmerzlindernden Wirkung weniger um eine
Beeinflussung des Zentralnervensystems, als um eine solche der
peripherischen Nervenendigungen. Die interessanten Beob¬
achtungen des Herrn Geheimrat Prof. Dr. Schulz- Greifswald,
dessen Liebenswürdigkeit ich einen Separatabdruck seiner Ar¬
beit: „Ein Beitrag zur Kenntnis der Terpentinölwirkung“ 4) ver¬
danke, ergeben zwar für den Gesunden nach Anwendung kleiner
Dosen, dass eine Beeinflussung des Zentralnervensystems tat¬
sächlich stattfindet. Die bemerkenswerte peripher lokali¬
sierte Müdigkeit in dem Falle, in dem vor 5 Jahren im
linken Knie eine Verrenkung stattgefunden hatte, spricht
indessen dafür, dass schon beim Gesunden, mehr aber beim
Kraul ven das Mittel auch lokalisierte Fernwirkungen
auf die Nervenendigungen entfaltet. Anders lässt
sich die schmerzlindernde Wirkung bei Ischias wohl kaum er¬
klären.
’) Vortrag, XVI. Kongress für innere Med. 1898. Wiesbaden.
4 erh. 8. 494.
„ ') Kehrer: in Müller, Handbuch der Geburtshilfe. III.
8) Konf. meine Aufsätze: Zeitsclir. f. Medizinalbeamte 1909,
8. 45 und 744 (Vortag auf der Naturforscherversammlung Aachen:
Ueber Giftwirkungen leukotaktischer Mittel).
*) Münch, med. Wochenschr. 1900, S. 957.
1344
MUENCHENEK MEDICINISCHE W OCHENSCHKIFT.
No. 32.
Dass dem Terpentinöl eine Wirkung auf den Verdau-
u n g s k a n a 1 zukommt, geht aus den Beobachtungen von
Schulz hervor. Auch meine Kranken empfanden das aibba d
einsetzende Aufstossen als wohltätige Folge des Medikamentes.
Hinzu kommt nun noch die Wirkung auf die glatte Mus¬
kulatur, die eine gemeinsame Eigenschaft vieler Akria ist.
Soweit die einfache ärztliche Beobachtung m so schwierigen
Fragen zulässig erscheint, spricht sie für die Annahme, dass
unter dem Einfluss des leukotaktischen Mittels ein Dirigieren von
Leukocyten nach den am meisten gefährdeten Punkten des Or¬
ganismus und damit eine Vermehrung der Schutzmittel an diesen
Stellen stattfindet. So erkläre ich' mir das f r ü h e E i nse t z e n
eine sExsudates, das ich in allen meinen Fallen
beobachtet habe. .
Auch von chirurgischer Seite wird anerkannt, dass der Eiter
kleiner perityphlitischer Exsudate resorbiert werden kann (c .
B. F r i e d r ic h : Münch, med. Wochenschr. 1901, b. böU).
Kann das nun schon spontan geschehen, so ist die Bes o r p 1 1011
unter dem Einfluss leukotaktischer Mittel noch eher möglich.
Kaymond Petit*) berichtet aus dem Metschnikof f -
sehen Laboratorium des Institut Pasteur über Versuche, die
er mit Pferde- und Ochsenserum, das % Stunde lang auf 55
erhitzt war, anstellte, mit Flüssigkeiten, die die Leukocyten stark
anzulocken vermögen. Nach vorherigem positiven Ausfall von
Tierversuchen brachte er beim Menschen in 3 Fällen operativer
Eingriffe in der Bauchhöhle vor Schluss der Höhle 10 ccm des
Serums in das Cavum peritonei und sah günstigen Erfolg auf
den Heilverlauf, obwohl es sich zweimal um schwere eitrige Pro¬
zesse handelte.
Liess sich nun die reizende Einwirkung auf die Phagocyten
bei dergestalt eingerichtetem Vorgehen benutzen, um einer In¬
fektion vorzubeugen, so werden wir annehmen können, dass ein
Dirigieren der Leukocyten unter dem Einfluss innerlich genom¬
mener Medikamente einen ähnlichen Erfolg hat.
Bekanntlich wird von den Geheimmittelfabrikanten dem
Ekthol, einer Substanz, die die wirksamen Bestandteile der
Echinacea und Thuja enthalten soll, nachgerühmt, dass es, inner¬
lich genommen, Eiterungen zu bekämpfen vermag. Da mir das
Mittel nicht zu Gebote stand, habe ich mit Stoffen Versuche ge¬
macht, die ebenfalls Akria enthalten. So habe ich gelegentlich
bei Eiterung das alte myrrha-, aloe- und krokushaltige Elixir
propr. Paracelsi angewandt und keine schlechten Erfolge gesehen.
Alle diese Beobachtungen lassen sich im Sinne der Buch-
n e r sehen Lehre leicht deuten.
Krankengeschichten.
I. Jakob B., Ackererssohn, 13 Jahre, Kiesweiler. 7. XII. bis
21. XII. 1S94. , ^ e .,
7. XII. Leidet seit 2 Tagen an Erbrechen und Durchlall, »eit
gestern Nachlass des Durchfalls; der Stuhl zessiert. keine Flatus:
Der Leib ist in Anfällen sehr schmerzhaft und gespannt. Die An¬
gehörigen hatten „Hamburger“ Tropfen gereicht, denen Spiritus
zu gesetzt war. Das Erbrochene riecht nach Spiritus. Temp. 39,0.
Puls noch ziemlich voll. Blick frei.
Ord • Spec. aroni. zu heissen, trockenen Fomenten. Extr.
Belladonn. 0.2. Aq. am. am. 2.0, Aq. 100,0. 2 stündlich 1 Esslöffel.
Opiumtropfen nur bei heftigen Schmerzen. Diese werden sofort
erbrochen. . _ ., . , , .._
Abends: Die Schmerzen sind sehr heftig. Der Leib ist star¬
ker aufgetrieben. Blick noch frei. Versuchsweise Kaloinel, 3 mal
1 cg. 1 Esslöffel Ol. Ricini.
8. XII. In der Nacht tritt erneutes Erbrechen auf; dann
setzen Diarrhöen ein. Der Leib ist weicher, der Puls ruhig, 81.
Die Ileoeoekalgegend ist besonders schmerzhaft. Von Zeit zu
Zeit heftige Schmerzen. Valerianadekokt und Spir. aeth. Even¬
tuell Opiumtropfen, aber nur bei Schmerzen. Chloroform auf Eis.
Einlauf. Es tritt Stuhl ein.
10. XII. Kein Erbrechen. Weniger Durst. Der Leib ist
weicher nur in der Ileoeoekalgegend druckempfindlich. Puls regel¬
mässig. Valerian. und Castor. in Mixt. Engt. ein. Eis.
11. XII. Stärkere Schmerzen. Auftreibung des Leibes. Kein
Erbrechen. Stühle reichlich, dünn. Opium 3 mal tägl. 5 Tropfen:
Eis. Ol. tereli. äusserlich. Vorher 1 Esslöffel Ricinusül. Abends:
Erbrechen. Meteorismus. Kein Stuhl, viele Schmerzen. 96 bis
108 Puls. Resistenz in der Ileoeoekalgegend. Ord.: 4 Morphium¬
pulver ä 6 mg. Priessnitz scher Umschlag.
12 XII. Blick frei, Puls voll, ruhig 72. Respiration etwas
beschleunigt, oberflächlich. Kein Stuhl, keine Winde, kein Er¬
brechen. Starker Meteorismus. Deutlich Dämpfung und Tumor
in der druckempfindlichen Ileoeoekalgegend. Schmerzen unter
0,02 Morphin pro die gering. Etwas Schlaf. Zunge teucli .
nentinül. Belladonna. Blutegel. ,
13. XII. Blutung in der Nacht nach Blutegelanwendv g
ausserordentlich profus. Stillung gelang endlich durch „Schwamm .
n seien reichlich Flatus gekommen. Appetit sei eingetreten,
merzen nur gering. Ol. tereb. und Belladonn. weiter.
Vbends-" Puls ruhig, Blick frei. Flatus, etwas dünnflüssiger Stuhl.
Rechts Tumor. Links in der Unterbauchgegend meteonstisch ge¬
spannter Dickdarm durchzufühlen. Ol. tereb. extern. Irrigation.
Schmerzfrei ohne Morphin. Nur 0,03 Belladonna. In den
nächsten Tagen allmähliche, stetige Besserung.
ei xil Schmerzfrei. Aussehen, Puls, Allgemeinbefinden be¬
friedigend. 'Keine Druckempfindlichkeit. Kein Meteorismus. Kein
Tumor. Daher allmählicher Uebdrgang zu festerer Diät. Valeriana-
infus und Tr. Chinae.
II 1895. W. K., 55 Jahre, Simmern. .
14 IN. bis 21. IX. Rezidiv einer früher überstandenen Peri-
tvphlitis, * nachdem in den letzten Wochen Durchfall und Ver¬
stopfung abwechselnd eingesetzt hatten, Erbrechen reichliche
dünner, grüngelb gefärbter Massen. Deutlicher umschriebener ,
druckempfindlicher Tumor in der Ileoeoekalgegend.
Allmähliche Resorption des Tumors unter Anwendung \on
Salmiakumsclilägen. Valeriana- und Castoreumgebrauch. Bei
Schmerzen 0,03 Belladonnapulver.
III. Nie. M., 38 Jahre, Ackerer, Altweidelbach. 1897. 10. 1.
io. I. Stellt sich, hochgradig erschöpft, nachdem er einen Weg
von 4 km zu Fuss zurückgelegt hatte, mit einer Temp. von 3.)
in der Sprechstunde vor. Die Atmung ^ beschleunigt Index
Ileoeoekalgegend Tumor und Druckempfindlichkeit. Oid.. Bett¬
ruhe Valeriana, Castoreum, Belladonna Mixt.
Verlauf: mittelschwer. Allmähliches Sinken der Temperatur.
Ol. tereb. int. vom 30. I. an. Wird gut vertragen Nebenwirkung:
flüchtige Oedeme. Langsame Genesung, die vollständig ton Be¬
stand geblieben ist. 1öao
IV. Joseph Ix., 9 Jahre, Fronhofen. Ackererssohn. 1899.
11 Verlauf schwer. Hohe Temperaturen. Frühe Ausbildung
eines «rossen Tumors. Valerianabehandlung. Extr. Ol. tereb.
Bei Schmerzen Extr. Hyosc., Bellad. - Später zur Resorption
J K'v Peter Sch., IV., Maurer, Sargenroth, 24 Jahre. 1899. 31. IX.
bis ° XI Schwerer Fall mit hohem, lange dauerndem Fieber,
lange' währendem Meteorismus. Erbrechen. Frühes Einsetzen einer
Resistenz, die lange Zeit zur Resorption bedurfte Anfänglich.
Morphin, Belladonna. Tr. Castorei, dann .T.-Ix. und Ol. tereb. intern.
konsequent durchgeführt. Heilung.
VI. Karl M., Schüler, 14 Jahre, Simmern. 1900. -2. I. bis
“>9 I. Leichter Verlauf. ..
VII. Peter M., 14 Jahre, Mutterschied. 1900. 13. 111. bis
20. IV. Sehr schwerer Fall. . , . . iftA„
VIII. Friedrich M., 19 Jahre, Tiefenbach, Ackerer. 1900.
24. IV. bis 2. V. Mittelschwer. 1on1
IX. Adam L„ 30 Jahre, Schuster, Niederchumd. 1901.
10. IV. bis 4. VI. . ^ „ .. ,r
Wegen Lungenerkrankung vom Militärdienste befielt. \ci-
lauf schwer. Ausbildung eines grossen Exsudates. Die Terpentin¬
ölmedikation wird gut vertragen. Zur Resorption des lumors
vorübergehend Anwendung von Ungt. canth. nach Iv e h r e r.
X a. Adam H., Zimmermann, 32 Jahre, Argenthal (ct.
N° Erster Anfall 1900, 27. September bis 14. November. Auf dem
Rückweg von der Arbeit treten bei der Mahlzeit heftige Lei >-
schmerzen, Erbrechen ein. Stuhlverstopfung. Behandlung an¬
fänglich Morphin in Pot. Riveri, Extr. hyoscyam. supp. »Pate1
Tr. Valer. Castor. Am 2. X. traten nach 5 Tropfen Ol. tereb. die
ersten Stuhlentleerungen ein. . „ „ . Ko
Verlauf sehr schwer. Wochenlang hohes hiebei, sehr b
schleunigter Puls, oberflächliche Atmung. Die Lungen des liei e-
ditär belasteten jungen Mannes sind stark affiziert. Am 5. x. ist
zum ersten Male eine Resistenz in der rechten Seite zu tuhlen.
Die Behandlung wurde nach dem oben dargelegten Grundsätze
streng durchgeführt. . , . _ .
4m 16 X lässt das Fieber nach. Der Leib ist weich, nirgend
druckempfindlich. Es besteht Mattigkeit, Hustenreiz. Das Aus¬
sehen ist blass, im Auswurf findet sich hie und da Blut.
Die bisher flüssige Nahrung wird durch eine konsistentem
ersetzt; Somatose, eben geröstetes Brot erlaubt. Ord.: Eisenmooi-
kataplasmen. Tr. Opii mit Tr. Castorei 3 mal tagl. 5 Trop
1900. 11. VIII.
°) C. R. Soc. biol. 1901, S. 1185.
Ferner Guajac. carb. in regelmässiger Gabe.
Die Rekonvaleszenz ist eine ungestörte.
X. Chr. St., 20 Jahre, Ackerer, Mutterschied.
Mittelschwer. Starker Meteorismus, Erbrechen, heftige
Schmerzen, hohes Fieber. Frühes Einsetzen eines Tumors Nach
vorübergehendem Opiumgebrauch des ersten Tages wurde Exti.
Hyosc. als Suppositorium. Tr. Cast. Valer., Ol. ter. äusserlich
gewandt, sonst die Behandlung, wie oben dargelegt, geleitet.
XI Frl. D., 20 Jahre, Niederchumd. 1901. 17. III. bis 1. IV.
Mittelschwerer Fall. Nach einigen Tagen hühnereigrosser
Tumor per Rectum palpiert.
12. August 1902.
MITENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1345
XI-‘ H-’ Zimmermann, Argenthal. Rezidiv.
1901. 5. III. bis 29. V.. Hat bis
. zum 4. III. 1901 Abends ge¬
arbeitet, musste dabei 1 Stunde weit in den Wald im tiefen Schnee
marschieren und gefüllte Bäume heben. Auf dem Rückweg em¬
pfand er Drang zur Stuhlentleerung. Er hatte Durst, legte sich
zu Bett, empfand heftige Schmerzen in der rechten Seite
Unterleibes.
des
Ich gebe die Notizen vom 5. III. bis 9. III. ausführlich wieder-
5. III. Heftige Schmerzen, starke Scliweisse, Gesicht und
Brust sind in Schweiss gebadet. Nur v. r. u. leichte Schwellung
und Druckempfindlichkeit. Die Zunge feucht, Puls und Respiration
ruhig. Ord.: Morphin (0,04) in Sat. citr. 2 stündl. 1 Esslöffel
Priessnitz.
0. III. Die Auftreibung des Leibes ist stärker; die Druck¬
empfindlichkeit in der Ileocoekalgegend wächst, verbreitet sich
auch nach der linken Seite. Mässige Oppression. 2 mal Er¬
brechen. Atmung ziemlich ruhig. Viel Durst. 40°. Puls ruhm¬
voll, gut gespannt, SO. Kein Stuhl, keine Flatus. V. r. u. noch
keine Resistenz.
Ord.: Feuchte Kompressen mit Ol. tereb. in Eigelb. Int Ol
tereb. 3,0 in Tr. amar. 10,0. 3 stdl. 3 Tropfen. Ferner Extr.
Hyosc. 0,1 3 stündl. 1 Suppos.
7. III. Wiederholt Erbrechen nach Ol. tereb. bis Mittag.
Zessiert dann. Flatus seien gegangen. Entleerung schleimiger
Massen per anum. ("Von Butyrum cacao?) Die Schmerzen sind
heftig, die Auftreibung hat zugenommen. Oppressionsgefülil in
der Magengegend. Puls 72 — 80, voll, gut gespannt. Hie und da
Hüsteln. Atmung etwas beschleunigt.
Ord.: Morph, inj. (0,01). Eigelb-Ol. tereb.-Emulsion wird per
Rektum eingeführt. Ol. tereb. -Kompressen aufs Abdomen. 3 stünd¬
lich Extr. Bellad. 0,02 suppos.
S. III. Abends telegraphisch gerufen: Hinfällig, Stimme leise,
nahezu klanglos. Der Blick noch frei. Wangen stark gerötet.
1 uls toll. <8 — 84. Kein Erbrechen. Leib nicht stärker aufge¬
trieben. Keine bestimmte umschriebene Schwellung. Ordination
wie gestern, obwohl im Auswurf blutige Streifen; statt der rek¬
talen Anwendung des Ol. tereb.: intern (1,0) in Aether (5,0) stünd¬
lich 3 Tropfen.
9. III. Mittags tritt Stuhlentleerung ein. Das Allgemein¬
befinden ist besser, die Atmung freier; die Schwellung in der Ileo¬
coekalgegend ist deutlicher.
In den nächsten Wochen bildet sich ein mächtiges Exsudat
aus, das auch an der Umgebung der Blase und höher hinauf ab-
zuta steil ist. Der Heilverlauf war von nun an ein günstiger.
Aus dem Gutachten für die Invaliditätsversicherungsanstalt
vom 5. VII. 1901 führe ich an:
Die V angen sind nicht mehr hektisch gerötet, sind frisch.
Das Fettpolster hat sich wieder befriedigend entwickelt. H. fühlt
sich recht wohl, nicht matt, nicht erschöpft. Der Leib ist gleich-
mässig gewölbt. Die Schwellung hat sich aufgesogen. Resistenz,
Störungen der Darmtätigkeit sind trotz der Schwere der über¬
standenen Erkrankung nicht nachweisbar.
Da. der Mann irgend welchen operativen Eingriff nicht zuliess,
schlug ich zur Nachkur den Aufenthalt in einem Kurort vor.
Die Versicherungsanstalt bewilligte eine Krankenrente. Heute
besteht wieder Arbeitsfähigkeit.
ohnmächtig ms Bett gebracht wurde. Bei meinem Eintreffen um
%9 Uhr Abends machte der Patient sofort den Eindruck eines
,wn™!kliaUk<)n’ der1fl'e’ies Sensorium darbot, über Schmerzen in
dei Oberbauchgegend klagte und Brechreiz zeigte. Flatus waren
angeblich schon seit Nachmittag nicht mehr abgegangen. Der Puls
STK,“:,™ vCklii§’!’ War Voil 1111(1 regelmässig, das Aussehen
. ängstlich, Zuge etwas verfallen, von Anämie bestanden keine
Anzeichen. Die rechte und obere Bauchgegend erwiesen sich
massig meteoristisch, die Auftreibung schien dem aufsteigenden
und Querkolon anzugehören, relativ geringe Druckempfindlich¬
keit bestand in der Gallenblasengegend; die Bruchpforten waren
fiel. Da akuter Beginn, Leibschmerzen, Brechreiz, später Er¬
brechen, partieller Meteorismus, Unvermögen, Gase oder Fäzes
zu entleeren, zusammentrafen, so dachte ich an ein das Querkolon
komprimierendes Hindernis und stellte den Angehörigen sofort vor
zunehmenden operativen Eingriff, zunächst bei den ungünstigen
ausseren Verhältnissen den Transport ins nahe Krankenhaus
München r. d. I. in Aussicht. Zwischen 10 und 11 Uhr Nachts
traten nun höchst bedrohliche Anfälle von Atemnot auf, sowie
Aachlass der Herzkraft. Mit heftigstem Angstgefühl zum Er¬
brechen sich aufrichtend, erschien der Kranke mehrmals mori¬
bund, so dass mich die unmittelbare Lebensgefahr veranlasste
2—3 mal etwa eine halbe Minute lang künstlich zu respirieren
und das Herz durch kurz dagegen geführte Stösse zu reizen
Mährend dieser Anfälle war der Radialispuls nicht mehr fühlbar
Die Bauchschmerzen traten ganz zurück, Anzeichen eines akuten
Blutverlustes bestanden, abgesehen von der schlechteren Qualität
des Pulses, nicht in augenfälligem Grade. Bei der heftigen, an¬
fallsweisen Dyspnoe dachte ich in dieser Zeit an die Möglichkeit
einer eingeklemmten Zwerchfellhernie. Nachts 12 Uhr schickte
ich die unterdess eingetroffene Sanitätskolonne unverrichteter Dinge
rach Hause, an einen Transport konnte bei abnehmender Kraft
der Pulsbeschaffenheit etc. nicht gedacht werden. Bei freiem
Sensorium, immer wiederkehrendem Brechreiz und den furcht¬
baren Erstickungsanfällen trat nun ein Kollapszustand ein, den ich
mit Kamplier zu bekämpfen suchte. Bei besser gewordenem Be¬
finden des Kranken machte ich Nachts 2 Uhr, immer in der An¬
nahme eine Kolonstenosierung, eine Warmwassereingiessung Da
(las Wasser ohne Spur von Fäzes äbfloss, so schien mir darin ein
weiterer Grund für die Richtigkeit meiner Annahme zu liegen.
Der Kranke war unterdessen ruhiger geworden, schlummerte leicht
< in. der Puls war leidlicher, die Atemnot kam nur selten und viel
geringer, so dass ich hoffte, den Transport noch bewerkstelligen
zu können.
Am Morgen des 27. war das Befinden mindestens nicht
schlechter geworden, die Kollapserscheinungen sogar entschieden
besser, Meteorismus bestand fort, eine auf Peritonitis weisende
Druckempfindlichkeit war nicht eingetreten. Mittels langen Darm-
i obres goss ich nun warmes Wasser in das Kolon descendens,
später noch fast einen Liter gewärmten Oeles, es wurde keine
sPui i on Darminhalt entleert. Um diese Zeit bestand heftig'er
Durst, gegen den Eis in kleinen Stückchen geschluckt und be¬
halten wurde. Da Herzzustand und Atmung nun den Transport zu
gestatten schienen, so bewerkstelligte ich denselben %11 Uhr
Vormittags mittels Sanitätswagens und brachte den Kranken, der
um über Durst klagte, ohne irgend erkennbare Verschlechterung
des Zustandes ins Krankenhaus r. d. I.
Tödliche Blutung in die Bursa omentalis, unter dem
Bilde des akuten Darmverschlusses verlaufend.
Von Dr. Karl Grassmann in München.
Ich habe am 12. März 1. J. im ärztlichen Verein München
über diesen in meiner Praxis zur Beobachtung- gelangten Fall
unter Vorlegung pathologisch-anatomischer Präparate berichtet,
glaube aber, dass die interessanten Einzelheiten desselben ver¬
dienen, einem weiteren Kreise mitgeteilt zu werden. Die hier
zu gebende. Beobachtung illustriert auf das schlagendste die
Schwierigkeiten, bei abdominellen Affektionen die richtige Dia¬
gnose zu stellen und nicht leicht könnte ein E all mit grösserem
Rechte Nothnagel zu dem resignierten Ausspruche veran¬
lasst haben, dass sich bei manchen in der Bauchhöhle spielenden
Erkrankungen das Diagnostizieren einfach aufhört.
Am 26. Januar 1. J. zu einem 54 jährigen Manne, einem Werk¬
meister in einer grossen Ziegelei bei München gerufen, erfuhr icli
von demselben, dass er sich seit langer Zeit, jedenfalls seit ca.
7 a llen> g'onz wolil gefühlt habe. Der jetzt offenbar in scliwer-
xrankem Zustande daliegende Mann, war Nachmittags als an-
scneinend vollkommen Gesunder von Hause fortgegangen. Beim
. ’ as<‘ rohig sitzend, fühlte er ca. 6 Uhr Abends plötzlich ein-
tm-KUÜe 1Jebelkeit> Spannung und rasch ihm auffallende Auf-
treiDung des Leibes, mehr im Epigastrium und rechts oben, als
n uen unteren Partien des Bauches. Es kam Brechreiz und Ohn-
machtsgefuhl, so dass sich Herr S. in die nahe Wohnung eines Be-
mnnt.on verbringen liess, wo zunächst noch eine kleine Menge
) . f" obgesetzt werden konnte, ohne dass hierdurch eine Er-
wh-mÜ2 eintrat. Während des nunmehr mittels Droschke be-
sre!KStelIigten Heimtransportes, auf dem eine sehr holprige
>. wisse, passiert werden musste, verschlimmerte sich das Be-
< en immer mehr, so dass der Kranke bei der Ankunft fast
No. 32
Der Leib erschien um diese Zeit gleiclunässig meteoristisch,
es war nichts durchzufühlen, die Leberdämpfung war nachweis¬
bar, über der Symphyse bestand eine Dämpfung, während die Ent¬
leerung der Blase mittels Katheters nur wenig Harn lieferte. Das
Aussehen des recht pulsseliwachen Kranken liess aber auch jetzt
noch nicht an den Befund denken, welchen die von Herrn Hofrat
Brunne r sofort angeschlossene Operation ergab.
Laparotomie in der Mittellinie unter Schleich - Anästhesie,
da der schlechte Allgemeinzustand eine allgemeine Narkose zu
verbieten schien. Bei Eröffnung des Peritoneums sofortiges
Hervorstürzen des nicht auffällig geblähten Darmes; nach Weg¬
ziehen des grossen Netzes stürzt eine mächtige Blutmenge aus der
Bauchhöhle hervor, ca. yä — % Liter, daneben erschienen Koagula.
Da die Blutung von oben zu kommen schien, wurde der Rektus
nach rechts herüber gespalten. Dann Einstopfen reichlicher Gaze¬
tampons gegen die vermutete Quelle der Blutung, die untere
Fläche der Leber, Reinigung der Bauchhöhle von Blut und Ge¬
rinnseln, Naht der Operationswunde, dann Kochsalzinfusion. Wäh¬
rend der Operation war etwas Aether und reichlich Sauerstoff
inhaliert worden. Abends war die Temperatur 38,8° bei starken
Leibschmerzen. Ohne dass erneute Blutung aufgetreten wäre,
starb der Kranke am Morgen des 28. Januar, 35 Stunden nach
Beginn seiner Erkrankung.
Erst die Autopsie löste das Rätsel dieser Blutung, über welche
auch die Operation zu nicht mehr als Vermutungen geführt hatte.
Aus dem Befunde bei der Sektion, deren sehr sorgfältige Vor¬
nahme durch Herrn Prosektor Dr. Albrecht allein die volle Ein¬
sicht in die vorliegenden Verhältnisse ermöglichte, führe ich an
dieser Stelle nur das Wesentliche an, um so mehr, als die inter¬
essanten Einzelheiten in rein pathologisch-anatomischer Hinsicht
in einer Dissertation eingehend beschrieben werden sollen.
Abdomen der kräftigen Leiche hochgradig gespannt und stark
vorgewölbt. Die oberen Halsvenen enthalten ziemlich reichlich
dünnflüssiges Blut. In der Laparotomiewunde ein nach rechts
hinüber verlaufender Gazetamixm, trocken aussehend, leicht blutig
gefärbt. Muskulatur des Thorax sehr kräftig, von dunkelbraun-
5
1346
MUENCHENER MEDIClNISCIIE WOCHEN SCHRIET.
roter Farbe. Die Dünndarmschlingen leicht mit Blut belegt,
Serosa glatt, nicht getrübt, sämtliche Darmabschnitte mit Aus¬
nahme des Colon desc. mittelstark gebläht. Im kleinen Becken
gleichfalls etwas Blut, Am Herzbeutel und über der linken
Zwerchfellkuppel Sugillationen von geringem Umfang. Bei Weg¬
nahme des Tampons zeigt sich, dass dieselben auf .d5.™ J5SS;®
Ende des Kolon transv. und dem Netz aufliegen. Bei Weghebung
des linken Leberlappens vom ziemlich stark geblähten und quer¬
gestellten Magen zeigt sich etwas flüssiges Blut und mehrere
lockere Gerinnsel oberhalb der kleinen Kurvatur. Vom untersten
Teil des rechten Leberlappens, nach rechts von der Furche zieht
eine 2 Finger breite Fett- und Bindegewebsplatte nach dem Colon
transversum. Bei Eröffnung des grossen Netzbeutels zeigt sicn
nach rückwärts ein etwa im ganzen faustgrosses, ganz weiches,
mit flüssigem But reichlich durchsetztes Cruorgermnsel, welches
von links oben, dicht an der kleinen Kurvatur nachquillt. Aus
dem Foramen Winslowii ragt nach recht ein ca. 10 cm langes,
weiches Cruorgerinnsel hervor. An der Rückfläche des Duodenums
ist das Bindegewebe in geringem Grade sugilliert, ohne gröbere
Blutung. Pankreas und Milz ohne Besonderheiten. V . portae
Cava intakt. An der Unterfläche des Lobus Spigeln, entsprechend
dessen vorderem unteren Pol findet sich ein fest und breit aur-
sitzender, halbkugelig gewölbter, derber Blutpfropf, in dessen Be¬
reich die Kapsel etwa in der Ausdehnung eines Pfennigstückes
fehlt; nach Wegnahme des Pfropfes tritt zerklüftetes, weiches,
gelbes Gewebe hervor. Ein Durchschnitt dessen Photographie
ich Herrn Dr. Petritschek verdanke, zeigt einen nicht gai
Fig. 1.
Leber. Der Schnitt hat die Spitze des Lob. Spigel. getroffen , in welcher der
scharfabgegrenzte , gelbliche Adenomknoten sitzt. Die Stelle des dem Tumor
auflafremden Blutgerinnsels entspricht dem Orte der geborstenen Leberkapsel.
Die untere Leberfläche ist an dem photographierten Präparate nach aufwärts
gedreht.
wälschnussgrossen, kugeligen, scharf abgegrenzten, gelben Knoten
von weicher Beschaffenheit mit ziemlich zahlreichen Querschnitten
kleiner Gefässe und leichter Rötung der oberflächlichen Partien.
Leber im ganzen verkleinert, von auffällig grün-braungelber
Farbe, leicht vermehrter Konsistenz, die Oberfläche mit zahl¬
reichen, besonders den Rändern und der unteren Fläche ange¬
hörenden eben merkbaren Erhabenheiten. Schnittfläche braun¬
grün, mit ziemlich unregelmässiger Zeichnung, in welcher die
Ac-ini nirgends deutlich sind; in den grossen Gefässen teilweise
flüssiges Blut, teilweise lockere Gerinnsel, welche sich in die Pfort¬
ader fortsetzen. Gallenblase ohne Besonderheiten. Hinsichtlich
der Lungen lautete der Befund auf Aspiration von Magensaft,
ausgedehntes entzündliches Oedem und Hyperämie der abhängigen
Partien beider Lungen. Am Herz fand sich fettige Degeneration
des Myokards, subendokardiale Ekchymosen des linken Ventrikels,
Adipositas des rechten Ventrikels, in der Aorta beginnende End¬
aortitis mit partieller Ablösung der Intima. In der linken Niere
fand sich ein kleiner Grawitz scher Tumor. Der Darm zeigte
das Bild der chronischen pigmentösen Gastroenteritis.
Sektionsdiagnose: Blutung aus einem Adenom des
Lob. Spigelii, Ruptur der Leberkapsel, Hämatom der Bui'sa omen-
talis, ikterische Leber, im Beginn befindliche Cirrhose, Peri-
cliolängitis subacuta; Aspiration von Magensaft, ausgedehntes ent¬
zündliches Oedem und Hyperämie der abhängigen Partien beider
Lungen, Fettdegeneration des Myokards, subakute Ekchymosen
des linken Ventrikels, Adipositas des rechten Ventrikels, be¬
ginnende deformierende Endaortitis mit partieller Ablösung der
Intima. Pigmentmilz, Grawitz scher Tumor der linken Niere,
chronische pigmentöse Gastroenteritis, Küliotomie, Resektions¬
narbe am rechten Humeralgelenk.
In den Diskussionsbemerkungen zu meinen Ausführungen im
ärztlichen Verein München bezeichnete Herr Alb recht den Fall
als pathologisch-anatomisch zu einer Abart der hypertrophischen
Cirrhose gehörig, die man vielleicht passend mit dem Namen der
adenomatösen hypertrophischen Cirrhose belegen könne. Es seien
tlies solche Fälle, in welchen die Bildung ausgesprochener Adenome
besonders frühzeitig und während der ganzen Dauer der Krankheit
ausgesprochen ist. Die Adenombildungen durften m diesen I allen
weniger auf pathologische „Uebertreibung“ der regenerativen Pro-
zesse im Drüsengewebe als auf einen direkten W ucherung. -
zurückzuführen sein. So war in dem vorliegenden Falle die Cn-
rhose noch in den Anfängen, dagegen durch die ganze Lebei hin¬
durch bereits die Bildung multipler kleiner Adenome im Gang.
Die frühzeitige Entwicklung eines so grossen und dabei ganz obei-
Aächlichen Adenomknotens im Lobus Spigelii mit den beschne-
Zu dem in pathologisch-anatomischer Hinsicht, sowie m
seinen klinischen Einzelheiten so merkwürdigen Falle, für den
ich in der mir zugänglichen Literatur keinen Vorgänger auf¬
finden konnte, nur einige epikritische Bemerkungen.
Es gehört an sich zu den selteneren Ereignissen, dass eine
abdominelle Blutung sich klinisch unter dem Bilde des akuten
Darmverschlusses darstellt, wenigstens soweit akute Blutungen
in Frage stehen. Im kleinen Becken machen grössere Häma¬
tome, welche das Colon desc. oder die Elexur komprimieren, ja
häufiger die Erscheinungen der Darmkompression ; aber hier
handelt es sich dann um einen mehr oder weniger chronischen
Zustand. In unserem Falle aber handelte es sich um eine ganz
akut einsetzende Blutung. Dass der klinisch in die Erscheinung
tretende Symptomenkomplex dem des akuten Darmverschlusses
entsprach, geht aus den Einzelheiten der Krankengeschichte so
klar hervor, dass es hier nicht wiederholt zu werden braucht.
Betrachtet man den Situs an der Leiche, so ist die Notwendig¬
keit hiezu auch sofort in die Augen springend. Wird der grosse
Raum der Bursa omentalis von einer sehr reichlich sich ergiessen-
den Flüssigkeit ausgefüllt, wie es in unserem Falle zutraf, so
wird zunächst der Magen, dann aber auch das Querkolon von der
eintretenden Kompression betroffen. Der Magen wird an die
vordere Bauchwand angepresst und bei Zunahme des abnormen
Inhaltes der Bursa kann auch das Querkolon stenosiert werden,
wenngleich dieser Darmabschnitt im allgemeinen — es hängt dies
von der wechselnden Länge seines Mesenteriums in erster Linie
ab _ viel leichter nach abwärts ausweichen kann als der Magen
nach der linken Seite hin. Auch der zentrale Teil des Zwerch¬
fells wird einen Druck erfahren müssen, wenn die Flüssigkeits¬
menge in der Bursa eine gewisse Spannung erreicht haben wird.
Die enormen Atmungsbeschwerden, welche unseren Fall m so
schrecklichem Grade begleiteten und in Form von Attacken auf¬
traten, dürften wohl nicht allein auf die fortdauernde Blutung,
sondern auch auf die Beteiligung des Zwerchfelles an der Kom¬
pression zurückzuführen sein, zumal sie auch schon zu einei Zeit
bestanden, wo der Puls noch ganz gut und die Atemnot daher
nicht durch die Herzschwäche bedingt war. Eine Entleerung
von Blut aus der Bursa in die freie Bauchhöhle brauchte in un¬
serem Falle solange nicht zu erfolgen, als das Niveau des Foramen
Winslowii noch nicht von der Oberfläche des sich bildenden Blut¬
tumors erreicht war, der durch seine, zum Teil in Gerinnung
übergeführten Bestandteile zu einer Art natürlicher Tamponade
— freilich sehr unvollkommener Beschaffenheit — die Möglich¬
keit geben konnte. Man kann sich auch vorstellen, dass eine Zeit-
lang das Foramen dadurch verschlossen gehalten werden konnte,
dass durch die immer mehr sich steigernde Vorwölbung des Häma¬
toms dieEingangspforte zur Bursa omentalis, bekanntlich eben das
Foramen Winslowii, ventilartig abgeschlossen wurde. Bei rechter
Seitenlage des Kranken konnte der Bluterguss in die Bursa, so¬
weit er flüssig gebliehen war, sich früher und leichter in die
freie Bauchhöhle entleeren, da das Foramen Winslowii, zwischen
Ligament, hepato-duodenale und Ligament, duodeno-renale ge¬
legen, von rechts her in die Höhle der Bursa hineinführt. An
der Leiche überzeugt man sich sehr leicht, dass die Spitze des
Lobus Spigelii, eben der Sitz des Adenoms in unserem lalle,
direkt in den obersten Teil des Bursaraumes hereinsieht. Für
die Auffindung und Stillung einer Blutung liegt der Spigel-
sche Leberlappen so ungünstig als nur möglich, am hintersten
Teile der unteren Leberfläche und weit rückwärts gegen die
Wirbelsäule hin. Diese anatomische Tatsache ist für unseren
Fall auch in ätiologischer Hinsicht von Belang. Es ist nämlich
fast nicht denkbar, dass ein Trauma, ausser ein solches, das die
grössten Zertrümmerungen gesetzt hätte, den Lobus Spigelii
direkt erreichen könnte. In unserem Falle könnte für ein
vorausgegangenes Trauma gar kein Anhaltspunkt gewonnen, wer¬
den, geschweige für ein solches, dessen Wirkungen sich bis^an
den Lobus Spigelii hätten erstrecken können. So muss die \ er-
12. August 1902.
aukssung der Berstung der Leberkapsel und der darauf einsetzen¬
den tödlichen Blutung anderswo gesucht werden. Mit Rück¬
sicht auf die der Leberoberfläche so nahe Lage des kleinen und
m semen Folgen so verhängnisvollen Tumors liegt die Vor¬
stellung am nächsten, dass durch das Wachstum des kaum herz-
kirschgrossen Knotens eine der in der Leberkapsel verlaufen¬
den Venen arrodiert wurde, zunächst ein kleineres Hämatom
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1347
Fig. 2.
Die Zeichnung ist
dem anatomischen At¬
las von He nie entnom¬
men. Der Magen ist
nach oben umgeklappt,
so dass die Bursa omen-
talis in ganzer Ausdeh¬
nung frei liegt. Im
Poramen Winslowii,
durch das eine Sonde
eingeführtist, erscheint
der stumpfe Kegel des
Lobus Spigelii.
untei der Kapsel entstand, das dann bei einem gewissen Grade der
erreichten Spannung oder vielleicht aus irgend einem zufälligen
Grunde barst und dann in dem Hämatom seine Fortsetzung fand.
Schon ein starkes Bücken und besonders Verharren in gebückter
Stellung kann diese verhängnisvolle Wendung herbeigeführt
haben. Diese Gelegenheitsursache lag, wie ich noch später* in
Erfahrung bringen konnte, auch tatsächlich bei meinem Kranken
vor. Es kann überraschen, dass in unserem Falle nicht einmal
die Diagnose auf abdominelle Blutung gestellt wurde. Die Sym¬
ptome einer solchen traten jedoch über alles Erwarten hinter
dem Bilde der Darmerscheinungen zurück und als der Kranke
schon auf dem Operationstische lag, wurde diese Möglichkeit
noch kaum m die Erörterung gezogen. Allein, wie erwähnt, selbst
wenn die Diagnose auf Blutung wenigstens im allgemeinen ge¬
stellt worden wäre, hätte bei dem verborgenen Sitze der Quelle
derselben das Leben des Patienten durch die Laparotomie nicht
gerettet werden können.
Aus dem analytischen Laboratorium des städtischen Kranken¬
hauses zu Leipzig.
Zur Toxikologie des Phosphors.
Von Dr. Konrad Stich.
Leber die Wirkung des P bei Vergiftungen sind verschiedene
Ansichten im Laufe der J ahrzehnte, so lange der P technisch be¬
nutzt wird, ausgesprochen worden. Im wesentlichen stehen sich
die Ansichten gegenüber, dass Verbindungen des P ihre giftige
Wirkung auf den Organismus äussern und dass der P in Sub-
stanz. Wirke. Die letztere Ansicht ist bereits von Herrn a n n l)
-f'Yn Gemeinschaft mit Brunner auf Grund von eingehen¬
den Untersuchungen ausgesprochen worden.
Die Annahme, dass Verbindungen des P die Wirkung bei
Vergiftungen veranlassen, ist allgemein damit bekämpft, dass die
xydationsprodukte des P, die unterphosphorige Säure, die phos-
P orige Saure und Phosphorsäure in so kleinen Quantitäten, wie
Sie,.1J ya£e kommen können, den menschlichen Organismus nicht
g 9. i en. Jaksch ) sagt in seinem Werk über Vergiftungen,
aast» es sich im wesentlichen bei der Phosphorvergiftung um eine
auretoxikose des P handele, d. h. um einen Prozess, bei dem
eure Einwirkung des Giftes aus dem Eiweissmoleküle vor¬
wiegend saure Produkte abgespalten werden.
Eine Reihe von Untersuchungen, die ich über das Verhalten
es F zum Sauerstoff und Terpentinöl angestellt habe, scheinen
2 ^erIin* klin- Wochenschr. 3870, pag. 400.
S. io7 ° t h 11 a g e 1: Pathologie und Therapie. I. Vergiftungen.
mir geeignet, die Art der Wirksamkeit dieses bekannten Anti¬
dotums dem theoretischen Verständnis näher zu bringen und da¬
mit auch den Mechanismus der P-Wirkung selbst. Ich bin da¬
durch zu der Annahme hingeleitet worden, dass P im Organismus
als . Sauerstoff ubertrager zur Geltung kommt und als solcher die
toxikologischen Erscheinungen herbeiführt. Er beeinflusst nach
seinem Charakter den normalen Verlauf der Oxydation ohne
zunächst selbst oxydiert zu werden. Die normale Sauerstoff¬
ubertragung wird von ihm in andere Bahnen geleitet, wodurch
Verkettungen veranlasst werden, die in den pathologischen Zu¬
standen gewisser Gewebe ihren Ausdruck finden. Diese Hypothese
ist gestützt erstens durch die Tatsache, dass selbst die stärksten
Oxydationsmittel, die wir kennen, z. B. Chlor in statu nascendi,
Lrom, rauchende Salpetersäure, Jod in Jodkaliumlösung und
reiner Sauerstoff nicht im Stande sind, P-Dämpfe, wie sie bei dem
Mitscherl ic h’schen P-Nachweis entstehen, höher als zu 40
bis 50 Proz. zu oxydieren, das wurde von Fraenkel3) und
mir4) mit Sicherheit dargetan. Auch haben meine scharf
quantitativ angestellten Versuche5 *) positiv dargelegt, dass P,
wenn er verdünnt in Lösung gehalten wird, 1:1000 und weiter¬
gehend sehr schwer von 02 attackiert wird. Die Lösungen bleiben
monatelang unverändert.
Einen zweiten Beweis für meine Theorie erblicke ich in den
Beziehungen des P zu den Terpenen. Ein seit einigen Jahr¬
zehnten bei P-Vergiftungen angewandtes Antidot ist das ozoni¬
sierte Terpentinöl.
Man hat sich bisher von der Wirkung des ozonisierten Ter¬
pentinöls bei der Phosphorvergiftung die Vorstellung gemacht,
dass durch Zusammentritt der beiden Agentien eine wenig giftige
\ erbindung, die terpentinphosphorige Säure entsteht.
Zumeist ist^ diese Annahme gestützt auf die Ergebnisse der
Arbeiten von Köhler und Buse h, wonach der P mit den
Terpenen eine Verbindung, die sogen, terpentinphosphorige
Säure ), eingehen soll. Diese terpentinphosphorige Säure stellten
sie durch Erwärmen von farblosem P mit Terpentinöl her. In
den zur Aufbewahrung der Lösung benutzten Erlenmeyer-
siben Haschen schied sich allmählich eine spermacetiartige
Masse ab, die sich unter dem Mikroskop als ein Gefüge erwies,
das mit der Anordnung von Tannennadeln Aehnlichkeit hatte, in¬
dem sich an eine Achse feine Nadeln in senkrechter Richtung
und in gleichen Abständen von einander ansetzten, die wiederum
mit senkrechtstehenden gleichen Nadeln behaftet waren. Die
Verbindung des P mit der Terpengruppe (C10 HJ des Terpentin¬
öles wurde von Busch nur durch die quantitative Messung des
P festgestellt. Köhler sagt in seiner erwähnten Arbeit in Be¬
zug auf die ausgeführten Elementaranalysen, dass die Diffe¬
renzen im Gehalt an C, H und P so gross waren, dass sich kaum
eine empirische Formel aus der Elementaranalyse aufstellen liess;
so dass er zu der Annahme geführt wurde, dass sich der P in der
Substanz anfangs in einer niedrigen Oxydationsstufe befinde,
die allmählich in eine höhere übergeht, wonach der Gehalt an C,
H und P variiert. Busch fand in Uebereinstimmung mit einem
von Prof. Dragendorf f ausgeführten Kontrollversuch, dass
der P-Gehalt der terpentinphosphorigen Säure in der Mass-
analyse 16,5 Proz., in der Gewichtsanalyse 16,17 Proz. ausmachte.
Köhler fand 8,4 Proz. P, J. Fort 7 8) 16,85 Proz., Rommelaere’)
9,74 Pioz. Nach diesen Analysen ist weder von einer konstanten
chemischen Verbindung, noch von einer Verbindung überhaupt
von P und Pinen dem Hauptbestandteil des Terpentinöls zu
reden. Meine Beobachtungen führen zu der Behauptung, dass die
früher dargestellte spermacetiartige Masse, die sich aus kon¬
zentrierter Phosphorterpentinöllösung abgeschieden hat, aus
reinen P - Kristallen besteht.
Dieselben Kristalle, die bisher als terpentinphosphorige
Säuren bezeichnet wurden, erhält man auch aus anderen
Lösungen des P, aus Benzol, aus Mandelöl und anderen fetten
3) Pharm. Post 1901, No. 10.
4) Wien. klin. Wochenschr. Bd. 14, No. 8.
5) Pharm. Ztg., No. 58, pag. 567.
°) Köhler: Berliner klin. Wochenschr. 1870, pag. 3, 56,
64, 69. — Busch: Experimentelle Versuche über die Wirkung
des lerpentins als Ahtidot bei der akuten Phosphorvergiftung
Inaug.-Dissert., Riga 1892.
7) J. Fort: Diss. des combinaisons cliimiques du Phosphore
et de l’essence de Terebenthine. Sceaux 1881, pag. 13 _ 25.
8) Schmidts Jahrbücher Bd. 154, 1872, pag. 19.
5*
1348
JfTJENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 32.
Oden wenn dev P konzentriert gelöst ist. Sie werden erhalten
n„' der kalten konzentrierten Benzollösung beim Verdunsten,
ii„d aus den bei 50— 60" mit P gesättigten Oellosungen beim Ei
atoi Aus den Oellosungen scheiden -h neben den Knrtallen
auch durchsichtige Tropfen von ab. Diese Tropf en beh,nien
sieh in metastabilem Zustande ") oder sie sind ™ter“tet'
Berührung mit einer Nadel erhalten die Tropfen kristallinische
Strnl-iur wie sie auch in den käuflichen Stangen vorhegt.
Die erhaltenen Kristalle sind Wachst, imsformen (Skelette Ver¬
zerrungen) des Khombendodelmeters entweder m I innen ad
fbriu "I wie sie früher beschrieben wurde und sie liier in Ab¬
bildung 1 (1: 230) mik, '»photographisch wiedergegeben ist oder es
Abbildung 1.
sind tafelförmige Wachstumsformen des Rhombendoddkaeters,
wie in Abbildung 2. Auch büschel- und federformige Efflores-
beschriebenen nadelförmigen Wachstumsform erkennen. Bei der
Aufbewahrung geht die Kristallisation obrf»*-
lieh in die gelbe Polymere über, ebenso die unterkalteten Tropfen,
die ausserdem lamellenartige Abtrennung erkennen lassen (vergl.
Eit- 2). Eine weitere chemische und knstallographische e an -
lung wird an anderer Stelle erfolgen. Die Annahme, dass in der
früher beschriebenen spemiacetiartigen Kristallmasse einej Ver¬
bindung des P mit Pineii vorliegt ist damit zu erklären dassl
beim Verdunsten aus einer Terpentmollosnng ausknstallisiert, das
durch ihn ozonisierte Oel firnissartig die Kristallisation bedeckt
und schwer von ihnen zu trennen ist. Die \ erharzung dei T
pene durch P ist längst bekannt1’) und m der Technik zur Hei-
stellung des ozonisierten Terpentinöls verwandt. ..
Der P verdampft aus Terpentinöllösungen ausserst schwer
und oxydiert sich darin sehr langsam. Bereits L e t h e b y )
machte die Beobachtung, dass mit Terpentinöl befeuchteter
die Fähigkeit im Einstern zu leuchten eanbusst imd empfahl
daher den Arbeitern in Zündholzfabriken, genanntes e m
kapseln auf der Brust zu tragen, um der Entstehung der
P -Nekrose bei ihnen vorzubeugen. Eingehender wurde die Frage
behandelt 1898 auf Veranlassung der englischen Regierung, die
Erhebungen über alle wichtigen Punkte der Zundholzindustrie
von einer besonders dazu eingerichteten Kommission anstellen
liess ”). Neuerdings empfahl Schweis Singer Lunonen-
dampf zur Haltbarkeit des Phosphors in Oelen was jede^aUs
nach den vorigen Beobachtungen zu billigen ist ). Die Ko
mission stellte nach chemischer Seite hin fest, dass Terpentinöl
die Oxydation und Verdunstung des Phosphor verhindert.
Der durch Vermittlung von Phosphor dem Terpentinöl an¬
gelagerte Sauerstoff wird, wie hier ausgeführte Versuche erge en
haben, nicht zur Oxydation von Phosphor benutzt ). Die
einem gefüllten Druckfläschchen bei 37 ’ tagelang bei Seite ge
«teilte Phosphorlösung veränderte den Phosphorgehalt nie i .
Da ozonisiertes Terpentinöl tatsächlich nach den reichlich
vorliegenden zuverlässigen klinischen Beobachtungen als Antidot
bei Phosphorvergiftungen brauchbar ist, so ist die Möglich mi
nicht von der Hand zu weisen, dass der angelagerte Sauerstoff
die normal vorhandenen O-Valenzen deckt und die Oxydations-
Vorgänge ermöglicht, welche durch die Anwesenheit von Phosphor
abgelenkt werden oder es wird eine durch Phosphor veranlagte
Steigerung des Sauerstoff eingriff es oder Aktivierung desselben
gebremst. Durch die Anwesenheit von Phosphor können
die auch ohne ihn stattfindenden Reaktionen in lhre* Ge¬
schwindigkeit geändert werden, nach Art der Wirkung der Kata-
Ivsatoren, wie sie von Ostwald definiert wurde ).
' Wenn die vorstehende Betrachtung auch einen kausalen
Zusammenhang der zerstörenden Wirkung des Phosphors im
Organismus und der Beeinflussung dieser durch zugegebenes
ozonisiertes Terpentinöl noch nicht bietet, so durfte doch die eine
Frage sicher entschieden sein, dass Phosphor unverändert den
Chemismus in den tierischen Organen beeinflusst und dass der
normale Verlauf der chemischen Vorgänge nach den vorerst be¬
sprochenen Richtungen teilweise wenigstens durch ozonisierte*
Terpentinöl rehabilitiert wird, indem durch das Oel eine Be¬
schränkung der Phosphorverdunstung eintritt und der Nachschub
vom Magendarmkanal aus für die Gewebe unbedeutend wird.
Bildung einer terpentinphosphorigen Säure, von der übrigens
auch in der neuesten Auflage des Beilstein nichts zu lesen
ist, kann nicht erwartet werden.
Zur cystoskopischen Technik.
L Dr. Felix Schlagintweit, Spezialarzt für Harn-
kranke, in München-Bad Brückenau.
In No. 28 dieser Wochenschrift teilt uns G old be rg einiges
seinen cystoskopischen Erfahrungen mit. Kh ^m mit aiku
fUhnmgeu des geschätzten Kol egen emveretanden te aut
Abbildung 2.
zenzen mit fein gesägten Fäden, erinnernd an die Eüsse gewisser
Käfer (Maikäfer), kann man frei oder an den Ecken der früher
O s t w a 1 d : Chemie II,
») Heber diesen Zustand vergleiche
1. Chem. Energie, pag. 516, 1087. . Wa,__
10) Die gleichen Skelette zeigen das Magneteisen in dei Natm
und Fe„ ö4 eingeschlossen in Hochofenschlacken.
Liebigs Annalen der Chemie und Pharmacie.
5.
u) Jon a s:
34, pag. 238.
12) Berl. klin. Wochenschr. 1870, pag
») Aerztl. Saehverständigenztg. 1901, pag. 10J.
») Pharm. Centralhalle 1902, No. 19, vorausgesetzt, dass die
Wirkung nicht alteriert wird.
i6) vergleiche dessen Vortrag über Katalysatoren, gehalten bei
73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aeiz e.
12. August 1902.
MUENCHENER MEDICINI SCHE WOCHENSCHRIFT.
1349
sogvii. K a thetercyst'oskope ungeeignet seien, weil es
nämlich durch die zu schnelle Entleerung der Blase durch den
weiten Kanal zu schnellen Druckschwankungen komme, und die
nicht ganz vermeidbare Erschütterung beim Herausnehmen des
Spiilmandilns und das Einführen des Lichtmandrins zu mecha¬
nischen Reizungen der Blase führe. Beides begünstige die Blutung.
G oldberg empfiehlt hingegen das „Irrigationscystoskop“, dessen
Spülkanal zwar eng. aber zum Flüssigkeitswechsel genügend sei
Die Hauptsache bleibe immer die vorbereitende Kathoterspiilung
das Spülcystoskop müsse nur nachhelfen.
Ich glaube kaum, dass G o 1 d b e r g‘ dazu gekommen wäre,
das Irrigationscystoskop vorzuziehen, wenn er mein verbessertes'
1901 im Centralblatt für die Krankheiten der Harn- und Sexual¬
organe S. 79 publiziertes, von Heyne mann in Leipzig <*-e-
fertigtes Katheter cystoskop gehabt hätte. Gerade darin
dass bei diesem Instrument die Aufklärung der Blase ohne vor¬
herige Katheterspülung erfolgt, wird die Störung durch die Blu¬
tung geringer, da eben nur e i n Instrument eingeführt wird. Die
Füllung und Entleerung der Blase kann vom tropfenweise n
/j u 1 1 u s s bis zum stärksten Strahle in jedem Momente
unterbrochen und wieder von neuem versucht werden. Druck¬
schwankungen, auch der leisesten Art, sind vollständig aus¬
geschlossen. Ich kann mich an dieser Stelle nicht auf eine Schil¬
derung der Konstruktion des Instrumentes einlassen, welche am
zitierten Orte und aus meiner Monographie: Prostatahyper¬
trophie und Bottinische Operation, 1902, bei Georg
rr h i e m e, zu ersehen ist, sondern möchte nur bemerken, dass
gerade die von Goldberg an dem Kathetercystoskop gerügten
Nachteile bei meinem Instrument vollständig von vornherein,
und zwar s c h o n durch die Ko n s truktion vermieden
sind, und nicht etwa durch eine besondere geschickte Handhabung
seitens des Operateurs vermieden werden. Das Erhaschen jenes
Momentes, in welchem die fortschreitende Blutung eben noch ein
Erkennen von Details in dem mit jedem Augenblick trüber
werdenden Blaseninhalt zulässt, ist mit keinem der bis jetzt be¬
kannten anderen Cystoskope sicherer, plötzlicher und schonender
möglich. Ich erinnere mich deutlich eines Blasenkarzinomes,
dessen Sitz dicht über dem Orifieium intern, vor der Operation
nur durch die Anwendung meines Instrumentes zu ermitteln
war, da Aufklärung und Besichtigung wegen der starken Blutung
in 2 — 3 Sekunden auf einander folgen musste.
Nahezu 400 cystoskopiselie Untersuchungen sind bis
jetzt von mir, teils in meiner Brückenauer Klinik, teils
in München, teils in Paris und Hamburg, in ununter¬
brochener Reihenfolge und ausschliesslich mit meinem Ka¬
thetercystoskop gemacht worden. Nur zweimal bei Steinblasen,
welche keinen Tropfen Flüssigkeit ertrugen, kam ich nicht zur
Besichtigung. Niemals habe ich Kokain oder irgend ein anderes
Lokalanästhetikum benützt, sondern alle Schwierigkeiten durch
subtile Einführung und durch die von der Konstruktion des In¬
strumentes bedingte Schnelligkeit, Sicherheit und Zartheit des
Arbeitens überwunden. Niemals haben unsere Cystoskopien ge¬
schadet. Auch bei unseren Prostatahypertrophien haben wir aus¬
schliesslich mein Kathetercystoskop verwendet, und zwar in einer
Häufigkeit, die sich bei diesen difficilen Kranken nur durch die
leichte und schonende Technik rechtfertigen lässt. (Näheres hier¬
über in der oben zitierten Monographie.) Einstimmig mit meinen
Erfahrungen äussern sich mehrfache Zuschriften und Demon¬
strationen anderer, besonders englischer, französischer und hol¬
ländischer Kollegen (Löwe n h a r d t - Breslau , Hanken-
Ilaag, MacLaren - Edinburgh, R a f i n - Lyon), welche mein
Kathetercystoskop gleich mir fast ausschliesslich verwenden. Das
Irrigationscystoskop mit den separat eingebauten Kanälen ist
heute ein nicht mehr entsprechendes Instrument und von den ein¬
fachen Cystoskopen benütze ich nur das Kindercystoskop, weil es
sich am dünnsten, bis herab zu 16 Charriere herstellen lässt. Ich
betone nochmals: Die Universalität meines Instrumentes beruht
njcht auf der Geschicklichkeit des Untersuchers, sondern auf seiner
Konstruktion, deren kleinste Einzelheiten in 7 jähriger, intensivster
Praxis und Arbeit ausgebildet wurden. Man darf wohl verlangen,
(lass uns zu einer so subtilen Untersuchungsmethode, wie es die
Cystoskopie ist, auch Instrumente zur Verfügung stehen, welche
das Aeusserste an Bequemlichkeit für den Opera¬
teur, die grösste Schonung für die Patienten
und die meisten Garantien für die sichere Er¬
reichung eines Untersuchungsresultates bieten,
ohne eine besondere technische Begabung vorauszusetzen. Man
sollte aber nicht, wie es von manchen Seiten geschehen ist. über
derartige, erfolgreiche Verbesserungen einer Technik mit Bemer¬
kungen hinweggehen, dass man bei gehöriger Uebung auch mit
den gewöhnlichen, alten Instrumenten auskomme.
Aus der medizinischen Klinik zu Leipzig.
Ueber den Intentionskrampf der Sprache, die sogen.
Aphthongie.
Antwort auf Herrn Dr. Beckers Kritik meiner Ausführungen
in Ko. 27 dieser Wochenschrift.
Von Dr. IL Ste inert, Assistenten der Klinik.
Herr Dr. Becker hat meine Ausführungen über den In¬
tentionskrampf der Sprache einer Kritik unterzogen, ohne, wie ich
leider glauben muss, den Kernpunkt meiner differcntialdiagnosti-
schen Erwägungen erkannt zu haben.
Herr Dr. Becker meint, es bestehe nur ein gradueller Unter¬
schied, wo ich einen wesentlichen angenommen habe. Es sei
falsch, wenn ich behaupte, dass ein K rampf v orga n g, der vor Ein¬
tritt in die Bildung des ersten Lautes ablaufe, prinzipiell ver¬
schieden von jener anderen Störung sei, die erst eintrete, wenn
der Artikulationsakt begonnen habe, so dass nicht sein Eintritt,
sondern seine Abwicklung verzögert werde. Das erste stelle nur
einen höheren Grad des zweiten dar. Es sei unrichtig, nur den
zweiten Vorgang als Stottern zu bezeichnen und den ersten von
ihm abzutrennen.
Das wäre plausibel, wenn Herr Dr. Becker ein zweites, von
mir betontes, mit dem ersten unmittelbar zusammenhängendes
Unterscheidungsmoment entkräftet hätte. Ich sagte: Der Krampf
bei der Aphthongie ist seiner Form nach Unabhängig von dem
auszusprechenden Buchstaben. Beim Stottern dagegen wechselt
die Form des Krampfes je nach dem zu bildenden Laute, sie
scliliesst sich dem Lautbildungsprozess eng an, sieht in ihren
u esentlichen 1 eilen ganz anders aus, wenn etwa p, als wenn a
gesprochen werden soll, ln dieser Auffassung stehe ich auf dem
Boden der besten wissenschaftlichen Kenner des Stotterns. Hören
wir, wie z. B. Kuss m a u 1 ’) die Bildung der Explosivlaute beim
Stotternden schildert: „Er scliliesst je nach der Natur des auszu¬
sprechenden Buchstabens diese oder jene Verschlusstelle des
Mundkanals wie ein wohlsprechender Mensch“. Eben in diesem
Sinne sage ich, der Stotternde tritt in die Bildung des Lautes ein.
Nun geht’s nicht weiter. Der Stotterer „verweilt“ auf dem Buch¬
staben. Er kann ihn zunächst nicht herausstossen, darin schildert
Dr. Becker durchaus richtig, und auch das weiss ich wohl, dass
man in solchen Momenten vielfach nicht erkennen kann, welcher
Laut kommen soll. Ist er aber endlich herausgebracht, so' ver¬
mag sich der Beobachter zu überzeugen, dass die Krampfbewe¬
gung. die die „Explosion“ verhinderte, im wesentlichen dieselbe
war, die Patient zur normalen Bildung des Lautes gebraucht hätte,
nur dass sie nicht mit gewohnter Leichtigkeit, sondern unter
krampfhafter Spannung verlief. Der Beginn des Krampfes be¬
deutete also gleichzeitig den Eintritt in den Artikulationsvorgang.
Nur dessen Ablauf wurde beeinträchtigt. Genug. Ein unerläss¬
liches. das Stottern als solches kennzeichnendes Moment ist das
Variieren des Krampf Vorgangs je nach dem zu bildenden Laut,
das Verweilen auf dem Buchstaben. Von den seltenen, mit Aph¬
thongie nicht zu verwechselnden Fällen reinen Athmungsstottems
abgesehen, dürfen wir also nicht von Stottern reden, wo jenes
Moment fehlt. Mein Patient stotterte eben nicht.
Wie der von mir geschilderte Vorgang eines stereotypen, die
Lautbildungsvorgänge in ihrem inneren Verlauf nicht störenden,
nur sie als ganzes aufschiebenden Krampfes sich durch graduelle
Steigerung aus einem bunten Komplex von vei’schiedenen, ihrem
Wesen nach den inneren Verlauf der Lautbildungsprozesse stören¬
den Krampf Vorgängen, aus dem Stottern, entwickeln kann, möge
Herr Dr. Becker logisch demonstrieren.
Stotterer können, wie ich selbst hervorhob, Mitbewegungen
zeigen, die den Krämpfen meines Kranken ausserordentlich ähn¬
lich sind, aber eben als etwas begleitendes, das Wesen des Stotterns
nicht ausmachendes, sowenig mein Kranker durch diese Be¬
wegungen als Stotterer charakterisiert wird. Uebrigens hätten
schon seine eigentümlichen Zungenkrämpfe, das regellose Schnal¬
zen und Drehen der Zunge, Herrn Dr. Becker bei seiner Dia¬
gnose stutzig machen können.
Bezüglich meines angeblichen weiteren Irrtums, dass den
meisten Stotterern p leichter falle als b, verweise ich Herrn
Dr. Becker auf die Ausführungen Gutz m a n n s 2). Diesem
Autor wird er mangelhafte Kenntnis des Stotterns nicht vorwerfen
können.
Die hysterische Stigmata habe ich, wie Herr Dr. Becker,
für die Frage der Aphthongiediagnose als belanglos betrachtet.
Ebensowenig kommen aber Aetiologie und therapeutischer Effekt
dabei in Betracht.
Zum Schwinden der Patellarreflexe bei Pneumonie.
(\ ergl. den betr. Artikel von M. Pfaundler in der Münch,
med. Wochensichr. vom 22. Juli 1902.)
Von Dr. H u g o L ü t h j e,
Oberarzt der medizinischen Klinik zu Greifswald.
Es ist vielleicht gestattet, im Anschluss an die Pfaundler-
sclien Beobachtungen darauf aufmerksam zu machen, dass nach
den Erfahrungen unserer Klinik die Patellarreflexe bei Pneumonie
sehr häufig fehlen, und zwar bei Kranken jeglichen
Alters, bald nur einseitig, bald doppelseitig. In der Regel geht
dem völligen Verschwinden der Patellarreflexe ein von Tag zu
Tag konstatierbares Schwächerwerden derselben vorauf.
Irgend welche festere Beziehungen zwischen dem Auftreten
des We s t p li a 1 sehen Zeichens einerseits, und der Schwere des
Infeuts, der Höhe des Fiebers oder dem Zeitpunkt der Pneumonie¬
erkrankung anderseits sind uns durchaus nicht aufgefallen; ich
habe im Gegenteil den Eindruck, dass es mit diesem Symptom wie
mit vielen anderen Komplikationen oder Nachkrankheiten akuter
Infekte ist: scheinbar treten sie ganz launisch auf, womit natürlich
nicht gesagt sein soll, dass nicht doch irgend eine Gesetzmässigkeit
9 Störungen der Sprache, Ziemssens Handbuch.
-) Artikel Stottern in Eulenburgs Realencyklopädie.
1350
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
vorlieet. Aber die inneren Ursachen, warum die Patellarreflexe
in einem Fall erhalten bleiben, in einem anderen schwinden, schei¬
nen mir nicht so grobsinnlich zu sein, wie Pfaundler meint.
Die differentialdiagnostische Verwertbarkeit des Fehlens der
Patellarreflexe bei Pneumonie gegenüber anderen akuten Infek¬
tionskrankheiten möchte ich vorderhand bezweifeln: man findet
gar nicht selten bei allen möglichen akuten Infektionskrankheiten
zeitweiliges Fehlen des Kniephänomens. ... „ . .
Für die Entscheidung der Frage, ob es sich bei dem Schwin¬
den der Patellarreflexe bei Pneumonie um eine peripher oder
zentral wirkende Schädlichkeit handelt, haben unsere Beobach¬
tungen keine Anhaltspunkte geliefert.
Bemerkungen zum Artikel „Untersuchungen über Physiologie
und Pathologie der Ureteren- und Nierenfunktion mit beson¬
derer Berücksichtigung der verdünnenden Nierentätigkeit nach
Flüssigkeitszufuhr.
(Münch, med. Wochensclir. No. 29.)
Von Dr. G. Kövesi und Dr. W. Roth-Schulz.
In dieser Arbeit beantragt Fr. Straus zum weiteren Aus¬
bau der funktionellen Nierendiagnostik die Anwendung der er¬
höhten Flüssigkeitszufuhr und die Beobachtung der Verände¬
rungen in der Verdünnungssekretion bei physiologischen und
pathologischen Zuständen der Nieren, ohne aber die früheren i dies¬
bezüglichen Arbeiten berücksichtigt zu haben. Obzwai Pf™n1Jts-
ansprüche im allgemeinen so ziemlich unerspnesslich sind, sin
wir nichtsdestoweniger zur Richtigstellung der Tatsachen genötigt
anzuführen, dass der Verdünnungsversuch durch unsere Unter¬
suchungen in die funktionelle Nierendiagnostik eingefukit wurde.
Schon im Jahre 1900 erschien in der Berl. klin. Wochenschr.
unsere Arbeit „Ueber Störungen der wassersezer-
nierenden Tätigkeit diffus erkrankter Nieren ,
in welcher wir die Abweichungen der Verdünnuugssekretion bei
diffusen Nierenkrankheiten ausführlich behandelten und deren
Ergebnisse auch von mehreren Forschern nachgepruft und bestätigt
wurden; ja selbst in derselben Nummer der Munch, med. Wochen¬
schrift werden unsere Arbeiten von Bohnke in seinem Voitiage
angeführt. Im April dieses Jahres erschien von Kovesi und
Illy es ebenfalls in der Berl. klin. Wochenschr. eine Aibeit
Der Verdünnungsversuch im Dienste der tun -
ti on eilen Nierendiagnostik“, in welcher der Verdun-
nungsversueh, verbunden mit dem Ureterkatheterismus bei chi¬
rurgischen Krankheiten angewendet wurde. _ .
4.11 diese Arbeiten, welche doch in einer an¬
gesehenen und vielgelesenen medizinischen
Wochenschrift erschienen sind, beweisen un-
umstösslich, dass die Fl ü s s i gk e 1 1 s z u f u h r z u
diagnostischen Zwecken bei Nierenkiank-
h eiten zuerst von uns angewendet wurde.
Unsere Einwendungen auf die Untersuchungen \on
Fr. Straus werden wir an einem anderen Orte eingehendei aoi-
b ringen.
Professor Dr. Richard Foerster.
Geb. 25. November 1825 in Lissa, gest. 7. Juli 1902 m Breslau.
Als ich am 8. Juli dieses Jahres zuerst durch die Tagesblätter
erfuhr, dass Foerster der Krankheit, die ihn auf das Kranken¬
lager geworfen, erlegen, beherrschte mich neben dem Gefühl des
tiefen Schmerzes doch auch das des Dankes dafür, dass E o e r
st er nun endlich von längerem, schwerem Leid befreit sei. Denn
geistig frisch, wie er nach der Schilderung seiner Angehörigen
noch bis in die letzten Tage seines langen Lebens war, empfand
Foerster den Niedergang der Körperkräfte in erhöhtem Masse
und musste auch seelisch schwerer darunter leiden.
Aber zu noch innigerem Danke verpflichtet uns Ueberlebende
wohl auch die Tatsache, dass wir Foerster überhaupt den
Unseligen nennen durften.
Denn in der Geschichte der Augenheilkunde wird
sein Name fortleben auf das innigste verknüpft mit den Namen
derer, die ihr dieBahnen wiesen, auf denen die bedeutungsvollsten
Errungenschaften in Diagnose wie Therapie gewonnen wurden.
Geboren 1825 zu Lissa und auf dem dortigen Gymnasium vor¬
gebildet, widmete sich Foerster 1845—1849 auf den Universi¬
täten Breslau, Heidelberg und Berlin dem Studium
der Medizin. Ich nenne von seinen Lehrern an den beiden erst¬
erwähnten Orten nur Purkinje, Henle und P f eu f e r,
während unter den Hochschullehrern der preussischen Landes¬
hauptstadt Simon, Traube und V i r c h o w ihn nachhaltiger
anzogen.
Wie Kuss maul und der nicht nur im Schweizerlande
auch heute noch in dankbarer Erinnerung fortlebende Züricher
Professor der Augenheilkunde Eriedrich Home rwar Foer¬
ster auch zuerst in der allgemeinen . Praxis tätig, um
sich erst Mitte der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
nachhaltiger seinem späteren Lebensberufe zuzuwenden.
Auf diesen Anfang seiner Wirksamkeit dürfen wir es wohl
zurückführen, wenn Foerster in dem Handbuche der Augen¬
heilkunde, das in erster Auflage unter der Redaktion von Alfred
G r a e f e und Theodor S a e m i s c h in den siebziger J ahren er¬
schien, es meines Wissens als der Erste unternahm, die Be¬
ziehungen der Augenerkrankungen auf Grund zahlreicher eigener
Beobachtungen — ich weise nur hin auf die Kapitel über I n
toxikationsamblyopie, Amaurosis parti alis
fugax und kongenitale Lues zu den Allgemein¬
leiden einlässlicher zu behandeln.
Er eiwies damit sowohl der inneren Medizin als auch vor
allem der Augenheilkunde selbst einen grossen Dienst, wie jeder
weiss, der die seitdem erschienenen Arbeiten, die dieses Wechsel¬
verhältnis durch neue Beobachtungen weiter ausbauten, kennt.
Diese gediegene Vorbildung durch Theorie und Praxis er
klärt auch, dass Foerster, als er bereits ganz in der Augen¬
heilkunde aufgegangen war, sich mit Fragen beschäftigen konnte,
die auf ganz anderen Gebieten lagen. Ich erinnere nur an die
beiden Schriften: „Die Verbreitung der Cholera durch die
Brunnen“ und „Das W asser als Träger des Choleragiftes (1873
und 1874). _
Was Foerster seinem II a u p t f a c h e in selbständiger
Entwicklung an grundlegenden Förderungen gegeben hat, ist viel¬
fach schon so Allgemeingut geworden, dass man sich kaum mehr
von der Bedeutung der einzelnen Leistungen und damit ihres
Urhebers Rechenschaft gibt.
So deutete Foerster als Erster richtig das ophthalmo¬
skopische Bild der glaukomatösen Erkrankung des
Opticuseintrittes.
Geht doch, die auch für die Diagnose der Erkrankungen
des Nervensyste m s und damit auch für die Neuro¬
logie so belangreich gewordene Perimetrie in ihren
wissenschaftlichen Grundzügen auf Foer sters Studien übei
die Aufnahme des Gesichtsfeldes zurück.
Auch heute noch stehen das F o e r s t e r sehe Perimeter und
das aus Foersters Untersuchungen über die Nachtblindheit
hervorgegangene P h o t o m e t e r allerorten in höchstei "W ei t-
scliätzJung.
Das Gleiche gilt von seinen mit A u b e r t unternommenen
Untersuchungen über den Raum sinn der Retina.
Wertvolle Aufschlüsse über Metamorphopsie, Mikro-
p s i e und Chorioideitis areolaris brachten die 1862
erschienenen ophthalmologischen Beiträge; während die auf
Erfahrungen jahrzehntelanger Dauer gestützte Arbeit „über
den Einfluss der Konkavgläser und der
Achsenkonvergenz auf die Weiterentwicklung
der Myopie“ in ihrer ganzen segensreichen T ragweite all¬
gemeiner erst in den letzten Jahren richtig gewürdigt wurde.
Wer es miterlebt hat, wie peinvoll früher vielen Starkranken
die Zeit wurde, die zwischen dem Eintritt der Unfähigkeit zum
Lesen und der Reife des Stares liegt, und wie die durch das Star¬
leiden veranlasste Arbeitsunfähigkeit für den Ernährer der
Familie untex* Umständen die Bedeutung eines Familien¬
unglückes gewann, wenn jene sich auf Jahre hinaus erstreckte,
erinnert sich mit Dankbarkeit auch heute noch der, wenn auch
kleinen, so doch hochwichtigen Arbeit F o e r s t e r s im 12. Bande
des Archivs für Augenheilkunde, in der F. darauf hinwies, dass
es völlig und seit Jahren reife Stare gibt, bei
denen die Iris gleichwohl einen Schlag¬
schatten wirft und die Pupille mehr oder
weniger, sogar noch lebhaft erleuchtbar ist;
während es anderseits zweifellos unreife Stare gibt, bei denen
die Iris keinen Schlagschatten wirft xmd auch nicht die geringste
Andeutung von Erleuchtung der erweiterten Pupille hervor¬
zurufen ist.
Gleichzeitig zeigte aber dabei Foerster durch
sein Verfahren der Cortextritur, dass man . in
geeigneten Fällen das Reifen des Stares künstlich
beschleunigen kann , indem man nach vorausgeschickter
Iridektomie mit dem stumpfen Knie eines Schieihakens
12. August 1902.
MITEIST C HENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
oder einer geschlossenen Irispinzette unter leichtem Druck
reibende oder streichende Bewegungen auf der Cornea vornimmt.
Hierdurch wird der Zusammenhang der zum Teil getrübten, zum
Teil ungetrübten Linsenfasern gelockert und so der Zerfall der
Kortikalschicht beschleunigt.
Auch die im gleichen Aufsatz erwähnte Methode der
Korelysis und die von Eo erst er geübte Manipulation, Ein¬
klemmungen der Iris in den W undwinkeln bezw. vordere
Synechien nach der Starentbindung zu verhüten, stellte eine
beachtenswerte Verbesserung der Extraktionstechnik dar.
In noch höherem Masse wurde aber der Artikel belangreich
durch die guten Erfolge, die Foerster in einigen hundert Fällen
zu verzeichnen hatte, indem er, wie es schon Arlt und Colsmann
ein paarmal vorher versucht hatten, bei der Extraktion
des Stares methodisch den grössten Teil der
vorderen Kapsel der Linse, anstatt sie mit dem
Cystitom zu eröffnen, mit einer Zahnpinzette
entfernte.
Auch dies Verfahren hat sich fortgesetzt grosser Ver¬
breitung zu erfreuen, da es den erheblichen Vorteil hat,
dass die Kortikalsubstanz der Linse vollständiger aus-
tritt (indem dann durch Adhäsion an der vorderen Kapsel nichts
zuiück bleiben kann). Auch wird dadurch die Einheilung von
Kapselzipfeln in die Schnittnarbe, die zu langdauernden
entzündlichen Prozessen des Ciliarkörpers und zu sekundärem
Glaukom führen kann, am sichersten vermieden.
Ein in praktisch-therapeutischer Hinsicht belangreiches
grosses Verdienst erwarb sich Foerster auch dadurch,
dass er 1888 als Erster betonte, dass das sogen. Trachom-
k°rn kein pathognomonisch.es Kennzeichen
des Trachoms sei und dass es, wie er durch Ein¬
impfung des follikulären Katarrhes auf seine
eigene Bindehaut dartat, eine pseudoägyptische
Augenentzündung bezw. ein Krankheitsbild gibt, das dem
1 rachom ähnlich ist, aber einen anderen Verlauf zeigt, und vor
allein weder eine erkennbare Schrumpfung in der Konjunktiva
des oberen Lides (wie in den leichten Fällen von Trachom), noch
auch die die schweren Trachomformen begleitende Erkrankung
und Schrumpfung des Lidknorpels nach sich zieht.
Endlich widmete F oerster auch der Schule und ihrer
hygienischen Förderung ein grosses Interesse, wie die kleine
inhaltsreiche Schrift über „einige Grundbedingungen für gute
T agesbeleuclitung in den Schulsälen“ und sein in den Protokollen
der schlesischen Aerztekammer des Jahres 1895 niedergelegtes
Gutachten über den Antrag des Breslauer Magistrates bezüglich
Aenderung des Schulunterrichtes dartun.
Das Gesagte, das nur in kurzen Zügen die hauptsächlichsten
wissenschaftlichen Leistungen Foersters darlegt, wird ge¬
nügen , um auch dem nicht-ophthalmologisch-spezialistisch
ausgebildeten Leser den Eindruck zu verschaffen, dass wir in
1 oerster einen Forscher von durchdringendstem Verstände,
weitem Ausblick und ausgezeichneter Beobachtungsgabe be¬
sessen haben.
Das grosse Ansehen, in dem er auch bei den Aerzten
seiner Heimatprovinz stand und das noch zuletzt Ausdruck
fand in der einstimmigen Ernennung Foersters zum
Ehrenmitglied des Vereins der Aerzte des Regierungs¬
bezirks Breslau, beweist, dasis er auch ein warmes Herz für
unseren Stand, für die Hebung seines Ansehens und seiner
sozialen Interessen besass.
Auch die schlesische Llochschule, der er bis zum
Jahre 1896 seine fast 40 J ahre umfassende akademische Lehr¬
tätigkeit widmete, wusste, was sie an dem ebenso schlicht-
anspruchslosen wie ruhig-ernsten Kollegen besass, indem sie ihn
zum Mitglied des preussischen Herrenhauses ausersah.
Was I . endlich Tausenden und Abertausenden Augen-
kranken von nah und fern in Rat und Tat, insbesondere
auch durch seine hervorragende operative Geschicklichkeit, ge¬
wesen ist, steht auch heute noch in den Ostmarken unseres
deutschen Vaterlandes und in den angrenzenden Nachbarländern
]u lebendiger Erinnerung.
So ist denn mit 1 oerster eine bei den Fachgenossen des
Li- und Auslandes gleich hochgeschätzte Persönlichkeit von uns
geschieden, die in vielfacher Hinsicht erfolgreiche und dauernde
k Puren ihrer Wirksamkeit hinterlassen hat.
1351
Insbesondere sind die Verdienste des Verewigten, den zudem
Männer wie Hermann Cohn, Hugo Magnus, Wer-
nicke, Wilbrand, E. Fick, Groenouw, A s m u s,
H. Iv riene s, Otto Meyer- Breslau u. A. sich glücklich
schätzen ihren Lehrer nennen zu dürfen, um die wissen¬
schaftlich-praktische Ausbildung der Augen¬
heilkunde so grundlegende, dass, wer auch immer die Ge¬
schichte der durch die Erfindung von Ilelmholtz eingeleiteten
neuen Aera schreiben mag, unter den Reformatoren der Oph¬
thalmologie des 19. Jahrhunderts stets an hervorragender Stelle
nennen wird den Namen Richard Foerster.
Uns aber, den Ueberlebenden, wird die edle Gestalt des Ver¬
ewigten auch dadurch vorbildlich bleiben, dass Er sich zeitlebens
fern hielt von der Begehrlichkeit auf den Ruhm des Tages.
Auf das Leben R. Foersters passt daher wie kaum auf
ein zweites der Ausspruch Goethes: „Man muss nur
sich auf sich selbst zurück ziehen und das
Rechte still in angewiesenen Kreisen tu n.“
Münche n, 31. Juli 1902.
Prof. Dr. O. Eversbusch.
Ein alter Aerztefeind.
Es ist M a r t i a 1, der Epigrammatiker. In Spanien geboren
kam er mit 23 Jahren nach Rom, um dort sein Glück zu machen’
Er wurde in der Folge, wie er in seinen Memoiren erzählt der
Lieblmgsdichter der Römer“. Man sieht, dass die Bescheidenheit
nicht gerade seine hervorragendste Tugend war.
Dieser römische Voltaire schrieb nur Epigramme. Sein
ganzes Leben lang schmeichelte er Kaiser Domitian imd seinen
Höflingen, schmähte er jene, die ihn deswegen verachteten be¬
neidete er alle Reichen, beschenkte er Rom mit cynisch-obseönen
Poesien.
„Ich drang in alle Häuser ein, die mir verschlossen waren-
ich habe die geheimsten Geschichten der Männer und Frauen er¬
fahren und ich habe sie in Verse gesetzt, damit ich die Geissei
jener werde, w-elclie mich nicht als Schmeichler zulassen. So habe
ich. Tag für Tag, die Skandalchronik der besseren Gesellschaft
meiner Zeit geschrieben. Ich habe ganz genau ihre Gebrechen,
ilne Laster, ihre Unzucht, ihre heimlichen Ehebruchsgeschichten
notirt. Kein Witz wurde in Rom gemacht, aus dem ich nicht
Nutzen gezogen hätte. Ich bin das laute Echo der täglichen Unter¬
haltung Roms gewesen. So kommt es, dass kein Name von irgend
welcher Bedeutung in meinen Versen fehlt. Verschonen tue ich
niemanden.“
So schildert sich „der Lieblingspoet der Römer“ selber in
seinen Memoiren.
Dass die Aerzte, mit ihren damaligen immensen Jahresein¬
kommen, dem „Poeten, dessen Geschäft voll Schmach und Elend
ist und ihn zum Zyniker machte“, ein Dorn im Auge waren, ist
selbstverständlich. Er überhäufte sie mit Sarkasmen. Martial
war eben eifersüchtig auf alle, die berühmt waren und zu Ver¬
mögen kamen, ein Talent, das er nur für die Berühmtheit für sich
in Anspruch nehmen konnte.
So schreibt er denn in seinen Memoiren, wie er entdeckt hat,
dass Diaulus, bevor er Leichenträger wurde, Chirurg ge¬
wesen ist.
„Chirurgicus fuerat.“
Zoilus ist krank. Sein Fieber kommt von seinen warmen
Decken her. „Was kümmerst du dich,“ sagt Martial, „soviel
um die Mediziner? Jage doch alle diese Machaonen (Söhne
Aeskulaps) zum Teufel. Willst du gesund werden, so nimm meine
Decken.“
„Zoilus aegrotat: faciunt hanc stragula febrem.
Quid tibi cum medicis? Dimitte Machaonas omnes.
Vis fieri sanus? Stragula sume mea.“
Bei Gelegenheit des plötzlichen Todes des Andragoras greift
Martial dessen Arzt an, trotzdem dieser gar nicht zum Kranken
gerufen worden war:
Andragoras hat mit uns gebadet und wir haben darnach
fröhlich zusammen gespeist. Am nächsten Morgen hat man ihn
tot aufgefunden. Willst du, mein lieber Faustinus, die Ursache
dieses jähen Todes erfahren? — Er hat wTohl im Traume seinen
Arzt Hermokrates gesehen.
„In somnis medicum viderat Hermocratem.“
Aber nicht allein der Unwissenheit bezichtigt Martial die
Aerzte, sondern auch des Diebstahls und des Ehebruches.
So beschuldigt er den Arzt IJerodes, er habe einem seiner
Kranken dessen Trinkbecher gestohlen. Er wird dabei erwischt
und ruft aus: Aber, du Unglücklicher! Was trinkst du denn da?
„Clinicus Herodes trullam subduxerat aegro;
Deprensus dixit: Stillte, quid ergo bibis?“
Ist die Geschichte wahr, so hat der altrömische diebische
Kollega eine schlagfertige Kaltblütigkeit gezeigt.
In einem anderen Epigramm beschuldigt er Hermokrates,
dass er alles stehle, was er vorfindet, bis zu den Tischtüchern und
1352
MUEN CIIENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Servietten herunter. Hält man ilnn die eine Hand fest, schreibt i
Martin 1, so eskamotiert er sicher mit der anderen alles, was in
seinem Bereich ist. Nichts ist ihm heilig, nicht einmal der
Wimpel, mit dem der Prätor das Signal für die Spiele gibt. Er
stiehlt auch den. Betttücher, Vorhänge .... alles ist ihm gut
Nach M a r t i a 1 zu urteilen, muss der arme Hermocrates der
geschickteste Spitzbube seiner Zeit gewesen sein.
Dem Arzte Carus wirft er nach dessen Tode vor, er habe seine
Kranken ausgebeutet und die Dauer des Fiebers immer künstlich
verlängert.
Ein anderer Arzt, Namens Hylas, wird von seinem Patienten,
einem Nierenkoliker, in einem Anfalle geistiger Störung nieder¬
geschlagen. M a r t i a 1 findet die Sache ziemlich selbstverständ¬
lich. Die Leichenrede, die er diesem Opfer seines Berufes hält,
ist kurz imd bündig: „Ach, der Mann ist gar nicht so verrückt ge¬
wesen!“
„Invasit medica siea nepliriticus, Auete,
Et praecidit Hylas: liic, puto, sanus erat.“
M a r t i a 1 lässt keine Gelegenheit vorübergehen, die Aerzte
zu verunglimpfen. So erzählt er auch von einer alten l losti
tuierten, Namens Vetustilla, die gerne heiraten möchte. Nachdem
er sie als ein Ausbund aller Hässlichkeit geschildert hat. inter¬
pelliert er sie folgendermassen:
Wer sollte denn je dich Frau und Gattin nennen können,
dich, den Philomelus letzthin als seine Urahne bezeichnet hat.
Wenn du absolut haben willst, dass man deinen Kadaver reibe,
so rufe den Arzt Coricles; der soll dir das Brautbett richten, der
soll dir die Brauthymne singen.
„Quod si cadaver exigis tuum scalpi
Sternatur a Coricle clinieo lectus.”
Mit seinem eigenen Arzte Hippokrates überwirft er sich
wegen der Rechnung; er lässt, ohne Hippokrates zu bezahlen,
Symmachus, einen berühmten Polikliniker, holen. Als Dank für
die Visite schrieb er folgendes Epigramm:
Ich war leidend, Symmachus, und du bist zu mir gekommen
in Begleitung von hundert Schülern. Hundert eiskalte -Hände
haben mich angerührt. Ich hatte bis dahin kein Fieber, Sym¬
machus, aber nun habe ich es.
„Languebam: sied tu comitatus protinus ad me
Venisti centum, Symmache, discipulis.
Centum me tegere mauus Aquilone gelatae:
Non habui febrem, Symmache, nunc habeo.”
Dem undankbaren Marti al kann man den Aerger ob dieser
ambulanten poliklinischen Demonstration diesmal verzeihen.
Auch die Spezialisten vergisst er nicht. Einem ehemaligen
Augenärzte schreibt er folgenden Stammbucliveis.
Heute bist du Gladiator, früher warst du Augenarzt.
Heute tust du als Gladiator, was du früher als Augenarzt
getlian.
„Hoplomachus nunc es, fueras ophtlialmicus ante:
Fecisti medicus (fuod facis hoplomachus.“
Der faustgewaltige ehemalige Augenarzt wird den Augen
seiner Gegner sehr gefährlich gewesen sein in der Arena.
In einem Epigramm an einen gewissen Charidemus heisst es:
Du weisst ganz gut, Charidemus, dass deine Frau von eurem
Hausarzt geliebkost wird. Willst du denn ohne Fieber sterben?
„Uxorem, Cliarideme, tuam scis ipse, sinisque
A medico futui: vis sine febre mori?“
Dass in dem damaligen Pandämonium ungezügelter Sinnlich¬
keit die Aerzte von den Buhlerinnen zu ihren Zwecken benutzt
wurden, erzählt M a r t i a 1 gerne.
So sagt er zu einer Frau, die nach Gründen sucht, um un¬
behelligt zu ihrem galanten Rendezvous zu kommen:
Was wirst du machen, Unglückliche? Wirst du sagen, eine
deiner Freundinnen sei krank? Aber so wird dein Mann sich
krampfhaft an deine Schritte heften. Er wird dich zu deinem
Bruder, deiner Schwester und deinem Vater begleiten. Was für
erfinderische Betrügereien wildst du also ins Werk setzen? Jede
andere würde sagen, sie sei hysterisch und bedürfe der Bäder im
See von Sinuessa.
„Infelix, quid ages? aegrarn simulabis amicam?
Haerebit dominae vir comes ipse suae;
Ibit et ad fratrem tecum, matremque, patremque.
Quas igitur fraudes ingeniosa paras?
Dicet et liystericam se forsitan altera moeclia
In Sinuessano veile sedere lacu.“
Hysterie und Badeorte als Rendezvous sind demnach alte
Kulturerrungenschaften.
Von einer anderen galanten Dame erzählt er folgende Ge¬
schichte: .
Leda hatte zu ihrem alten Eheherrn gesagt, sie sei hysterisch
und habe nötig, behandelt zu werden.
„liystericam vetulo se dixerat esse marito,
Et queritur futui Leda necesse sibi.“
Aber sie weint und jammert und erklärt, lieber wolle sie
sterben, als ihre Gesundheit durch intime Berührungen der Aerzte
u. s. w. zu erkaufen.
„Sed flens atque gemens tanti negat esse salutem,
Seque refert potius proposuisse mori.“
Der alte Herr beschwört sie, zu leben und nicht auf ihre
blühende Jugend zu verzichten. Er erlaubt ihr sogar, an sich
machen zu lassen, was er nicht mehr machen kann.
„Vir rogat ut vivat, virides nec deserat aimos;
Et fieri, quod jam non facit ipse, sinit.“
Und nun eilen gleich die Aerzte herbei. Die Aerztinnen ver¬
schwinden und es wird fidel. O ernste Medizin!
„Protinus accedunt mediei, medicaeque recedunt,
Tollunturque pedes: O medicina gravis!“
Dieses pikante Epigramm, das uns auch die Frauenemanzi¬
pation im römischen Heilwesen verkündet, möge diese kleine
Studie schliessen. Dass bei dem Freigegebensein der Heilkunde im
alten Rom die Charlatanerie viel Unheil anrichtete und die Satire
provozierte ist klar, aber dass der giftige Martial immer und
immer wieder den ärztlichen Stand begeiferte ist eher auf das
Privatkonto seines persönlichen Neides und seines kriecherischen
Gemütes zu setzen.
„Ich bin die Geissei jener, welche nicht von mir geschmeichelt
sein wollen“ _ und mir meine Schmeicheleien nicht ordentlich
honorieren — kann man hinzufügen. Dr. T. W.
Aerztliche Standesangeiegenheiten.
Die Anstellungsverhältnisse der k. b. Amtsärzte.
Von Dr. L. Heissler, k. Bezirksarzt in Teuschnitz.
Die folgende Betrachtung entbehrt nicht allen Interesses für
die baverischen Aerzte, namentlich für solche, ivelche die Stellung
eines 'Amtsarztes anstreben. Die Anstellungsverhältnisse der
bayerischen Amtsärzte — Landgerichts- und Bezirksärzte I. Kl. —
sind ausgeschieden nach der Zeit vor und nach dem Physikats-
examen und betreffen das Alter bei der Anstellung und die Zeit
zwischen Staatsexamen und Anstellung.
Nach dein neuesten Schematismus des k. 1 lates iS. /jV> i c k li
amtieren in Bayern 157 Bezirksärzte I. Kl. und 28 Landgei lchts-
ärzte, in Summa 185. Die höheren Stellen wurden aus nalie-
liegenden Gründen ausser acht gelassen.
Von den 185 Amtsärzten stammen 14 -f- 90 _ 104 aus dei
Zeit vor dem Physikatsexainen und seien der Kürze wegen in
folgendem die älteren genannt, gegenüber den jüngeren, welche
das Physikatsexainen bestanden haben und deren Zahl bi -j- 14
— Sl beträgt. „ , ,
Zunächst seien die Amtsärzte in den beiden folgenden rabellen
ausgeschieden A nach dem Alter bei der Anstellung als solche
und B nach der Zeit vom Staats- resp. Physikatsexamen bis zur
Anstellung. Die 17 Amtsärzte, welche 1S73 dem Staatskonkurse
si.-ii unterworfen haben, sind bei den älteren mitgeieclinet.
A. Lebensalter bei Anstellung.
£\ . A j V U o 11 D a 1 u w a. w ^ ~ o
Aerzte
Physikats-
Examen
1877
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
51
Summe
vor
1
3
1
2
2
2
1
2
14
Landgerichts-
Aerzte
nach
1
•
3
4
1
2
•
2
1
14
Summe
1
.
1
3
4
4
1
4
2
4
2
2
•
28
vor
4
2
3
1
4
3
10
18
.18
9
9
4
3
1
1
90
Bezirks -Aerzte
I. Kl.
na'-h
2
3
5
6
12
5
7
10
9
7
1
67
Summe
4
2
5
4j9
9
22 1 23
25
19
18 11
1
4
1
1
157
Lnndg - u Bez. -Aerzte
1
4
G
1 '
G
1
4 12
1
13
26 24
!
29
21
22 13
6
1
■
1
185
B. Anstellungsdauer nach dem Konkurs.
Aerzte
Physikata-
Examen
1877
11
12
13
14
15
16
17
18
19
1
20l
21 1
22
23
24
25
26
27
28
29
1 Summe |
Landgerichts-
Aerzte
vor
nach
1
4
4
2
1
1
1
1
2
1
2 2
3
.
1
1
14
14
Summe
• ! 5
*
2
1
2| 3
2
2i 3
2
1
1
28
Bez.-Aerzte
1. Kl.
vor
nach
2
1
7
2
7
8 *
16 12
1
1-*
4
8
8
14
1
20
2
14
12
2
4
1
1
1
90
67
Summe
2
1
7
9 1 19 12
1 5 1 1 2
8
15
22
14
12
2
|
4
1
1
1
157
Landg.- u. Bez.-Aerzte
2| 1
1 7
j 14
1 1 1
23 12 17
1 1 1
13
jio
18
I24
16 15
1 1
2
6
1 2
2 1
185
Das Durchschnittsalter bei der Anstellung betrug 46,28 Jahre.
68 Aerzte = 36,75 Proz. erreichten die Anstellung vor dem 46. Jahre.
Das durchschnittliche Alter bei Anstellung war 46,23 für die
älteren, 46,39 für die jüngeren; nach Kategorien ausgeschieden.
1. Landgerichtsärzte, ältere 47,14, jüngere 45,21,
2. Bezirksärzte, „ 46,23, „ 46,58.
12. August 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1353
Das Anstellungalter hat sich also nicht wesentlich geändert
Von grosserem Interesse ist die 2. Tabelle, welche in der Warte'
ze,t zwischen Staatsexamen und Anstellung beträchtliche Unter¬
schiede zwischen 11 und 29 Jahren zeigt. Die Durchschnittswarte¬
zeit b< tiug 18, <4 Jahre, für die älteren Amtsärzte 21 G5 für die
jüngeren 15.74 Jahre; nach Kategorien:
1. Landgerichtsärzte, ältere 22,55, jüngere 16 20
2. Bezirksärzte, „ 20,90, „ 15,64
TTm den Unterschied aber richtig würdigen zu können ist es
notwendig, bei den jüngeren Amtsärzten auch die Zeit in Be¬
tracht. zu ziehen, welche zwischen Approbation und Pliysikats-
examen liegt, die älteren machten Approbation und Staatsexamen
am Schlüsse ihrer Studienzeit. Es unterzogen sich dem Plivsikats-
examen nach der Approbation:
in 3 4 5 6 7 _ 8 _ 9 10 1 1 Jahren
27 17 10 l 8 10 3 3 2 Amtsärzte.
Die Durchschnittszeit beträgt 5, IS Jahre. Rechnet man diese
Zahl zu 15,74, so ergibt sich eine Gesamtwartezeit von 20,92 die
nur um weniges geringer ist, Avie die Wartezeit der älteren Amts¬
ärzte mit 21,65 Jahren.
Diese kurze statistische Betrachtung lehrt, dass sich die An¬
stellungsverhältnisse der Amtsärzte nicht wesentlich verschoben
haben. Ein Blick in den Schematimus zeigt, dass unter den ge¬
jubenen Verhältnissen eine Aenderung nicht zu erwarten ist. wenn
nicht im Sinne einer Verschlechterung. Die Zahl der für den
Staatsdienst geprüften Aerzte ist seit 1890 ungemein gewachsen,
das Angebot also ein stärkeres geworden, während die Nachfrage
sich nur in geringem Masse durch Stellenmehrung geltend macht,
lieber 400 für den Staatsdienst geprüfte, noch nicht angestellte
Aerzte verzeichnet der Schematismus. Wer damit die Zahl der
jährlich offenen Stellen vergleicht, wird zugeben, dass die Aus¬
sichten im ärztlichen Staatsdienste die günstigsten nicht sind.
Referate und Bücheranzeigen.
E. Cohen: Physikalische Chemie. Vorträge für Aerzte.
249 S. 8 M. W. Engelmann, Leipzig 1901.
Das Cohen sehe Buch Avill einen Abriss der physikalischen
Chemie geben, die ja von so ausserordentlicher Bedeutung für
die biologische Wissenschaft geworden ist. Die Darstellung ist
für Mediziner berechnet; sie erfolgt in Form von Vorträgen, wie
sie von dem Verfasser vor einem Amsterdamer Aerztepublikum
gehalten worden sind. Das Buch will keineswegs den Gesamt¬
inhalt der physikalischen Chemie Aviedergeben, und nicht etwa
die bekannten Lehrbücher dieser Wissenschaft (von O s t w a 1 d,
V ernst) ersetzen. Andererseits beschränkt sich die Darstel¬
lung nicht, Avie in ähnlichen, für Mediziner geschriebenen Bro¬
schüren, auf die Lehre vom osmotischen Druck und der elektro¬
lytischen Dissoziation. Es werden auch die anderen ILauptlehren
der physikalischen Chemie behandelt; insbesondere wird das
grundlegende Guldberg- Waage sehe Gesetz von der Massen¬
wirkung, sowie die Lehre vom chemischen Gleichgewicht ein¬
gehend dargestellt. Auch das Kapitel von den katalysierenden
Substanzen („organischen“ und „anorganischen Fermenten“) ist
ausführlich und sehr anregend behandelt. Die Darstellung des
van t H o f f sehen Gesetzes vom osmotischen Druck und der
A r rh e n i u s sehen Theorie der elektrolytischen Dissoziation
nimmt naturgemäss einen breiten Raum ein; ebenso die An¬
wendung dieser Gesetze auf die biologische Wissenschaft, Die
Art der Darstellung ist überaus klar. Die Grundbegriffe werden
ausserordentlich anschaulich dargelegt. Bei der Darstellung ist,
wo es nötig, von der Mathematik (meist nur von den einfachen
algebraischen Rechnungsformen) Gebrauch gemacht. Dies ist
unumgänglich : Die Grundgesetze, wie die aus diesen zu
machenden Ableitungen lassen sich ohne mathematischen Kalkül
einfach nicht beweisend darstellen. Das Buch ist dem Mediziner,
der sich mit dem so überaus interessanten Stoff vertraut machen
will, warm zu empfehlen. H e i n z - Erlangen.
H. v. Erlach und ff. R. v. W o e r z : Beiträge zur Be¬
urteilung- der Bedeutung- der vaginalen und sakralen Total¬
exstirpation des Uterus für die Radikalheilung des Gebär¬
mutterkrebses. Wien 1901, L. W. Seidel & Sohn.
v. V o e r z bespricht die Anzeigestellung für die v a g i n a 1 e
Totalexstirpation auf Grund von 131 Fällen. Die
Sterblichkeit betrug 7,6 Proz. So lange nicht verlässliche Be¬
liebte über die Späterfolge der erweiterten abdominalen Total-
exptirpation vorlicgen, soll die vaginale Totalexstirpation in allen
Fällen ausgeführt werden, in denen die Neubildung noch auf die
Gebärmutter oder ihre nächste Umgebung beschränkt ist. Als
V ersuch zu einer Heilung ist die Operation auch für jene Fälle
gestattet, . in denen sie überhaupt technisch noch durchführbar
ist Ist die Scheide in grösserer Ausdehnung ergriffen, so kommt
auch die sakrale Methode der Totalexstirpation in Frage. Be¬
steht eine nicht karzinomatöse Fixation des Uterus oder ist dieser
durch ein Korpuskarzinom oder durch Myome so stark ver-
grössert, dass eine vaginale Totalexstirpation ausgeschlossen ist,
so kommt das abdominale Verfahren allein in Betracht. Das
gleiche gilt bei einer bestehenden oder erst kürzlich abgelaufenen
Schwangerschaft. In diesen Fällen sollen die regionären Lymph-
drüsen mit entfernt werden.
Die nur von wenigen Operateuren geübte sakrale Me¬
thode der Totalexstirpation bespricht v. Erlach
nach seinen Erfahrungen an 27 Fällen. Das Verfahren soll nur
bei gutem Gesundheitszustände der Kranken in Anwendung
kommen, und zwar besonders in Fällen von Karzinom der Portio
und Zervix, die an der Grenze der vaginalen Operabilität stehen,
bei enger und langer Vagina, bei Vergrösserung des Uterus, die
bei Araginalei Totalexstirpation erheblichere Schwierigkeiten
bieten Avürde, bei Ergriffensein der Vagina und des untersten
Teiles dev Parametrien, bei Fixation des Uterus durch alte para-
metritische Stränge, ferner bei Karzinom der hinteren Scheiden¬
wand. Ist die hintere Scheidenwand oder die Basis der Liga¬
menta lata ergriffen, so muss die Operation mit vollständiger
Aufschneidung der Scheide begonnen werden.
Von den 27 operierten Kranken starben 5 an den Folgen
dei Operation. Der Eingriff ist wesentlich grösser und schwie¬
riger als die vaginale Totalexstirpation, doch waren die Dauer¬
erfolge, obwohl fast ausschliesslich ungünstigere Fälle nach der
sakralen Methode operiert Avurden, bessere als bei dem vaginalen
Verfahren. A.Gessner- Erlangen.
II o f f a : Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. Vierte
Auflage, mit 810 Abbildungen. Verlag F. Enke, Stuttgart,
1902. Preis 24 M.
Die neue Auflage des überall bekannten und geschätzten
Lehrbuches stellt eine erhebliche Summe neu hinzugefügter
Arbeit dar. Die letzten Jahre haben der Orthopädie viele Neue-
jungen und Errungenschaften gebracht, die sorglich in den
Rahmen des Buches eingereiht worden sind. Dadurch hat letz-
teies einen Zuwachs von 120 Abbildungen, eine Umfangsver¬
mehrung von 90 Seiten erfahren.
Im allgemeinen Teil fanden u. a. die Eimvände Er-
Avähnung, welche gegen die W o 1 f f sehe Lehre vom Transfor¬
mationsgesetz erhoben Avurden. Gänzliche Umänderung weist
die Besprechung der spastischen Kontrakturen, der zerebralen
Diplegien auf. Ausführlicher dargestellt ist die Sehnentrans¬
plantation, die allgemeine Behandlung der paralytischen und der
spastischen Kontrakturen.
Im speziellen Teil zeugt von der Aenderung der An¬
schauungen das Kapitel über Spondylitis. Hier ist das C a 1 o t -
sehe Verfahren kürzer dargestellt und abgeurteilt, die Ab¬
bildungen sind weggefallen. Dafür haben die milderen Ver¬
fahren, die paragibbäre kompensatorische Umkrümmung Raum
gefunden.
Tn dem der Skoliosentherapie gewidmeten Abschnitt sind die
Schulthess sehen Pendelapparate sowie die jüngsten Ver¬
suche der Gipsverbandbehandlung wiedergegeben.
Bedeutend umfänglicher ist die Beschreibung der Coxa vara
ausgefallen. Endlich finden wir den Knickfuss als besondere
l'orm des Plattfusses genau beschrieben und mehrfach illustriert.
Dies nur einige Einzelheiten aus der neuen Auflage, die im
übrigen fast auf jeder Seite Spuren der Ueberarbeitung aufweist.
Sie ist in der Tat „vermehrt und verbessert“.
Vulpius - Heidelberg.
Dr. med. Jean D e m o o r, Professor an der medizinischen
Fakultät und Oberarzt an der Hilfsschule in Brüssel: Die anor¬
malen Kinder und ihre erziehliche Behandlung- in Haus und
Schule. Band III der internationalen pädagogischen Bibliothek,
herausgegeben von Rektor Ufer. 292 S. Altenburg 1901.
Von Jahr zu Jahr Avächst das Interesse, das auch von ärzt¬
licher Seite der Entwicklung abnormer Kinder geAvidmet wird.
Gerade das Handinhandgehen der Aerzte und Pädagogen hat auf
1354
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
No. 32.
diesem lang vernachlässigten Gebiet schon reiche neue Auf¬
schlüsse und aussichtsvolle Behandlungsmethoden eröffnet.
Zweifellos wird daher ein Buch wie das vorliegende auch dem
praktischen Arzt manches zu bieten haben. Wenn auch die Ein¬
leitung, die sich über die Beeinflussung der Entwicklung durch
den endogenen und den exogenen 1 aktor, die \ ererb ung und (las
Milieu, äussert, dem Mediziner wenig neues bringt, so leiten
doch schon die Ausführungen über die Ursachen der Anomalien
der Kindesentwicklung auf ein Gebiet, das der Praktiker bei
seinem Studiengang meist etwas zu wenig zu berücksichtigen
pflegt. Einzelheiten mögen Widerspruch erwecken; so ist z. B.
die W eis m a n n sehe Theorie mit dem Einfluss des Alkoholis¬
mus auf die Nachkommenschaft sehr wohl vereinbar. Zu rigoros
wäre es, jedes mit Fallsucht oder irgend welchen Zuckungen be¬
lastete Kind ausnahmslos von der allgemeinen Schule auszu-
schliessen. In der Verdeutschung medizinischer Termini ist es
doch zu weit gegangen, wenn von dem „Lungenmagennerv“ und
dem „Rückgratsnerv“ gesprochen wird. Lediglich mit Rücksicht
auf die Behandlungsmethode werden die abnormen Kinder ein¬
geteilt in 1. mit Sprachstörung behaftete, II. Taubstumme,
111. Blinde und IV. Zurückgebliebene, und zwar a) in pädago¬
gischer und b) medizinischer Hinsicht Zurückgebliebene. Als
pädagogisch Zurückgebliebene bezeichnet Demoor zunächst
solche, die, obwohl normal veranlagt, nicht rechtzeitig und regel¬
mässig zur Schule kamen, sondern von den Eltern vernachlässigt
wurden; bei einer anderen Kategorie, die in späteren Jahren in
ihren Neigungen und Gewohnheiten absonderlich, schläfrig,
träge, indolent, auch grausam werden, sollte doch öfter an
psychische Alteration, z. B. Dementia präcox, gedacht werden.
Unter Idioten 1. Grades versteht er moralisch Schwachsinnige,
als solche 2. Grades die intellektuell niedrig Stehenden, als solche
3. Grades die am tiefsten Stehenden, mit körperlichen Störungen.
Ebensowenig befriedigend und vom medizinischen Standpunkt
unhaltbar ist die ätiologische Einteilung in Kretins. Myxödema-
töse, Epileptische, Syphilitische, Mikrokephale odei Hydro
kephale, dann in solche, deren Idiotie von Entzündungen her¬
rührt, und in Kranke, mit „einfacher Idiotie“. Weiterhin kom¬
men die Behandlungsmethoden zur Sprache. Mit Recht wendet
sich D. gegen jede Art von Züchtigung, doch irrt er, wenn er
meint, dass dieselbe in Deutschland bei der Idiotenerziehung noch
allgemein angewandt werde. Von der speziellen Methodik ist
neben Sprachausbildung und Handarbeit das Turnen hervorge¬
hoben, das Genauigkeit und Rhythmus übt und dadurch ge-
wissermassen eine Vorübung für das Artikulieren, Rechnen
u. s. w. darstellt. Eine Reihe von Beispielen für Turn- und
Ordnungsübungen mit Musikbegleitung ist beigegeben. Be¬
sonders empfohlen werden für schwächerbegabte, aber nicht idio¬
tische Kinder die Hilfsschulen, ein segensreiches Institut, von
dem in Süddeutschland bisher leider kaum die Anfänge zvi be¬
merken sind; der Konnex mit psychiatrisch und psychologisch
ausgebildeten Aerzten wäre hier noch schärfer zu betonen. Als
Anhang wird eine reichhaltige Kasuistik über einige Dutzend
Fälle von belasteten, epileptischen, widerspenstigen, diebischen
u. dergl. Kindern gebracht. W e y g a n d t - V ürzburg.
Walter Gut t mann; Medizinische Terminologie. Ab¬
leitung und Erklärung der gebräuchlichsten Fachausdrücke
aller Zweige der Medizin und ihrer Hilfswissenschaften.
Berlin und Wien, Urban & Schwarzenberg, 1902.
1142 Kol. = 571 p. gr. 8. (Preis 15 M„ Lwbd.)
Dieses neueste medizinische „Verteutschungsbuch“ hat sich
weite Grenzen gesteckt, und übertrifft an Leibesfülle seine in¬
ländischen Rivalen erheblich. Es ist nicht zu tadeln, dass auch
die Naturwissenschaften Platz gefunden haben. Bezüglich der
Pflanzen wäre es aber besser, nur die Arzneistoffe der deutschen
und österreichischen Pharmakopoen nebst den wichtigen Gift¬
pflanzen aufzunehmen. Was die Zoologie anlangt, sollten sämt¬
liche Menschenschmarotzer nebst den giftigen 1 i ereil abgehandelt
sein. Es hat wenig Wert, obsolete Heilkräuter, z. B. Ballota,
Bardana, Ceterach, Chenopodium etc. mit Namen und Familie
aufzuführen.
Eine recht schwache Seite des Buches bilden die Ableitungen,
so z. B. Nasturtium von nasus und torqueo erinnert an die scherz¬
hafte Etymologie von Alopex; Arnica von Ptarmica, Aconitum
von <xxov?i ; Wetzstein, da auf solchen wachsend L • Aig ist
auch die Ableitung bei Verbascum! Vieles von diesen un¬
wissenschaftlichen Etymologien ist aus dem Lexikon von Kraus
entnommen, manches aus L e u n i s, der in diesem Punkte eben¬
falls zu wünschen übrig lässt.
Die allbekannten anatomischen Namen (Humerus, Oleeranon,
Tibia etc.) dürften künftig weggelassen werden, da doch jeder
Arzt ein Handbuch der systematischen Anatomie besitzen wird.
Die „Erklärungen“ der Ausdrücke sind nicht immer ge¬
lungen. Der Anfänger, der z. B. bei Ampere liest: „Prak¬
tische Einheit der elektrischen Stromstärke; VI0 der absoluten
elektromagnetischen Einheit“ ist so gescheit wie voiher.
Dass Lücken und Irrtümer Vorkommen, darf man bei einem
Buche von etwa 10 000 Artikeln nicht hoch anrechnen. Die
Ekchymosen von B a y a r d kommen auch bei lebend geborenen
erstickten Früchten vor. Von der Kontroverse Casper-
T a r d i e u scheint dem Verfasser nichts bekannt zu sein.
Parasyphilis ist ganz ungenügend erklärt. Man sehe das treff¬
liche Buch von Four nier (1894). Creeping-disease hat mit
Ergotismus nichts zu tun (cf. Rille in Drasches Bibliothek,
Larva migrans, oder Kaposis neueste Auflage 1901). Das
Gras Anthoxanthum hat mit Heufieber nichts zu schaffen. — Der
Fisch Mormyrus ist nicht elektrisch. Gordius und F i 1 a r i a
sind verschiedene IVosen. „Barba“ soll heissen Barbus, ArmadilLi
soll heissen Armadillo. — Was Konturschüsse sind, sollte ein
Militärarzt wissen.
Die Cecidien sind nicht nur Gallen, sondern höchst ver¬
schiedene, durch Phytopten, Ilexapoden und Nematoden ei zeugte
Veränderungen an Pflanzen, z. B. Erineum, die interessante Filz¬
krankheit, die man an Lindenblättern leicht beobachtet. Die
Ciguatera wäre bei Fugugift und Tetrodon, dem gefährlichsten
Giftfisch, zu erwähnen. Von exotischen Leiden vermisst man
neben vielem anderen Anakhre, Bubas, Rattenbisskrankheit. Die
klassischen Bücher von August Hirsch, B. S c h e u b c,
P. M a n s o n müssen von einem Lexikologen gekannt werden.
Es fehlt das wichtigste pathologische Insekt Anopheles, die merk¬
würdige giftige deutsche Spinne Chiracantliium (am Rhein ge¬
funden), ferner Malmignatte, Cliorioptes (= Symbiotes), die viel¬
genannten Gaule sehen Würmchen (P f e i f f e r: Protozoen,
pag. 85). Das sind nur wenige Beispiele, die leicht zu vermehren
sind. — Mehr Rücksicht auf Historisches ist zu wünschen, so
z. B. könnte betont werden, dass der Name „Mykosen“ von
Vircho w im 9. Bande des Archives eingeführt worden ist.
Für viele junge und alte Doctores wäre es nützlich, wenn
bei wichtigen Artikeln eines oder zwei der besten Bücher genannt
würden, so z. B. bei Diabetes (Naunyn, v. Noorden), bei
Nervenkrankheiten (Oppenhei m, 3. Aufl.), Magenkrankheiten
(Ewald, Riegel), Hautkrankheiten (Kaposi 1901), Nieren¬
krankheiten (R o s e n s t e i n, 4. Aufl.) u. s. w.
Das wäre erspriesslicher als die devonische, silurische For¬
mation und die Menge von Ausdrücken aus der botanischen
Kunstsprache (fiederförmig, Pedunculus etc.). Die geologischen
Namen sucht man lieber in Credners Elementen und die
botanischen Bezeichnungen findet man bequem in den zahl¬
reichen billigen Repetitorien. — Die literarische Rüstkammer
des Verfassers ist etwas dürftig ausgestattet. Der medizini¬
sche Lexikograph sollte wissen, dass es hier eine alte klassische
Literatur gibt, dass Galen seine Definitiones, Erotian ein hippo¬
kratisches Glossar, Rufus Ephesius eine treffliche Onomatologie,
dass Foesius, Gorraeus, Hebenstreit unentbehrliche Werke ge¬
schrieben haben. Auch die heute noch vortrefflichen Lexika von
Castelli und Blancard müssen sich auf dem Arbeitstische des
Schriftstellers finden. J. Cli. TI u b e r - Memmingen.^
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für klinische Medicin. 1901. 45. Bd. Heft
5 und 6.
17) Arthur N i c o 1 a i e r - Berlin: lieber die Umwandlung
des Adenins im tierischen Organismus.
Verfasser erhielt als Resultat seiner Adenininjektionen hei
Ratten Ablagerungen in den Nieren, welche im Gegensatz zu den
Resultaten der M i n k o w s k i sehen Untersuchungen an Hunden
nicht aus Harnsäure oder einer Verbindung derselben bestanden,
sondern aus einem anderen Purinkörper, dem G Amino 2,8 Dioxy-
purin, wie sich aus einem Vergleich mit dem von Emil Fische
beschriebenen und synthetisch dargestellten Präparate ergab.
12. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1355
Dieser Purinkörper hat eine sehr weitgehende Aehnlichkeit mit der
Harnsaure, unterscheidet sich jedoch von dieser durch seinen X
gehalt von 41,9 Proz., seine Kristallisation aus ammoniakalischer
Losung in kleinen vierseitigen Blättchen, seine Löslichkeit in
20 Teilen 10 proz. siedender Salzsäure und seine Bildung eines Sul¬
fates. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das (i Amino 2 8 Dioxv-
purin auch beim Menschen in pathologischen Zuständen sich findet
Verfasser hat es jedoch bisher weder bei Verarbeitung von
To Liter normalen Harnes, noch bei Untersuchung von 13 g^llarn-
siiuresteinen nacliweisen können.
18) F. Stein ha u s: Ueber eine seltene Form von Amyloid-
und. Hyalininfilti ation am Zirkulations- und Digestionsapparat.
(Aus dem Augusta-Hospital in Cöln; Abteilung: Prof. Min¬
ie o w ski.) i
Bei einem 40 jährigen Manne traten im Anschluss an eine
schwere Darmblutung Erscheinungen auf, welche die Diagnose
maligner Tumor der Pylorusgegend veranlassten. Die Sektion
ergab Knötcheneruption auf dem Epikard und Endokard, Ver¬
dickung und Verhärtung der Herzmuskulatur mit homogenem,
glasigem Aussehen derselben, ebenso Verdickung der Magenwand’
besonders der Pylorusgegend, so dass der Pylorus nur für den
kleinen Finger durchgängig war; dabei ebenfalls glasige Be¬
schaffenheit der Muskulatur und zahlreiche Knötchen in der
Schleimhaut. Wie die mikroskopische Untersuchung ergab, wurde
die homogene glasige Beschaffenheit durch amyloide und hyaline
Veränderung der Muskulatur des Herzens veranlasst, wobei die
Gefässwände am stärksten betroffen sind. Die Knötchenbildung
war durch grosse hyaline Schollen in dem subepikardialen und
subendokardialen Gewebe bedingt. Am Magen waren die Ver¬
änderungen ganz analog, nur mit dem Unterschied, dass hier die
amyloide Veränderung überwog, während am Herz die h.vaiine
Beschaffenheit vorherrschte. Da sowohl am Herzen, als auch am
Magen die spezifischen Parenchymzellen nur sekundär verändert,
d. h. durch Druck atrophisch waren, so ist der ganze Prozess
nicht als eine amyloide bezw. hyaline Degeneration, sondern als
eint; Amyloid- und Hyalininfiltration zu bezeichnen. Wahrschein¬
lich stellte auch in diesem Falle das Hyalin die Vorstufe des
Amyloids dar, von dessen Farbenreaktionen nach Krawkow
nur die Anilinviolettfärbung charakteristisch ist; sie wird durch
die eine Komponente des Amyloids, die Chondroitinscliwefelsäure,
hervorgebracht. Da sich nach K r a w k o w aus der normalen Ge-
fässwaud eine Substanz mit den Eigenschaften des Amyloids dar¬
stellen lässt, so scheint es sich bei pathologischen Verhältnissen
nur um eine bedeutende Vermehrung der schon normalerweise
vorkommenden Substanz zu handeln. Ferner verdient hervor¬
gehoben zu werden, dass die bekannten ätiologischen Momente,
Eiterungen, Lues, Tuberkulose, Malaria, bei dem vorliegenden Falle
nicht verantwortlich gemacht werden konnten. Das eigenartige
klinische Bild wurde durch den pathologisch-anatomischen Befund
genügend erklärt.
19) Alfred W olff: Ueber die Bedeutung der Lymphoid-
zelle bei der normalen Blutbildung und bei der Leukämie. (Aus
dem Krankenhause Moabit-Berlin; Prof. Goldscheiders Alt¬
teilung.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
20) C. R oosen-Ru n g e: Ueber die Bedeutung des Trauma
in der Aetiologie der disseminierten Fettgewebsnekrose. (Aus
dem patholog. Institut des allgemeinen Krankenhauses Hainburg-
St. Georg.)
Wie eine Durchsicht der Literatur ergibt, sind Traumen des
Pankreas sehr häufig als ätiologisches Moment für die Entstehung
der Fettgewebsnekrose verantwortlich zu machen. Verfasser
bringt zur weiteren Stütze dieser Annahme einen kasuistischen
Beitrag durch Beschreibung von 4 derartigen durch die Sektion
sicher gestellten Fällen. Bei dem ersten war die Fettgewebs¬
nekrose im Anschluss an eine Schussverletzung des Pankreas-
Schwanzes bei einem 33jälirigen Selbstmörder aufgetreten. Bei
dem zweiten handelte es sich um eine diffuse Nekrose des Pan¬
kreas bei einer 26 jährigen Frau, welche wenige Wochen vorher
einen Fusstritt gegen den Unterleib bekommen hatte. Der dritte
Fall betraf einen 39 jährigen Schreiber, welcher eine Treppe
heruntergefallen war; die Sektion des einen Monat später tödlich
endigenden Falles ergab eine sehr ausgedehnte Nekrose des Pan-
kreas. Bei dem vierten Fall endlich handelte es sich um einen
Mann, welchem ein Wagenrad quer über den Leib gegangen war;
dadurch war eine quere Durchtrennung des Pankreas veranlasst
worden. Bei allen 4 Fällen waren zahlreiche Nekrosen des Fett¬
gewebes zu konstatieren. Es gehört demnach die Fettgewebs¬
nekrose zu denjenigen Krankheiten, bei deren Aetiologie das
Trauma eine Rolle spielt, was praktisch bei Unfallsgutachten in
Betracht kommen kann.
21) Arthur G ötzl und Gottlieb Salus: Zur AVirkung des
Urotropins. (Aus dem hygienischen Institut der deutschen Uni¬
versität Prag; Vorstand: Prof. H u e p p e.)
Die Versuche des Verfassers ergaben, dass das Urotropin an
«ich schon antiseptisch wirkt, in 3 proz. Lösung schon den Ein¬
tritt der ammoniakalischen Harngälirung sehr verzögert, besonders
wirksam gegenüber dem B. typhi ist; Erhöhung der Temperatur
auf 37" steigert die antiseptische Kraft bedeutend. Die Abspal¬
tung von Formaldehyd kann nur wenig die Eigenwirkung des
Lrotropins erhöhen, da die abgespaltenen Mengen viel zu gering
«ind. Das Wachstum von Schimmelpilzen wird durch Urotropin
nicht, beeinflusst. Die Gegenwart von Eiweiss hatte keine hem¬
mende Einwirkung auf die antiseptische Kraft des Urotropins.
Harnsaurekonkremente nahmen bei längerem Liegen in 1 proz
Urotropinlösung bis um 70 Proz. des ursprünglichen Gewichtes ab!
Pie Beobachtungen an Kranken ergaben, dass Urotropin in Dosen
' °n täglich 3 mal 0,5 in einem Glase Wasser meistens gut er¬
tragen wird. Formaldehyd Hess sich im frisch entleerten Harn
nach I rotropinmedikation nicht immer nacliweisen, während die
Ila.rne stets intensive Urotropinreaktion (orangegelber beim Er¬
wärmen sich lösender Niederschlag nach Zusatz von Bromwasser)
gaben. Der therapeutische Erfolg war unabhängig von der Re¬
aktion des Harnes, Das Urotropin erwies sich als gutes Harn¬
antiseptikum; jedoch sind in manchen Fällen die Dosen unzuläng¬
lich und wird durch die Urotropinmedikation die lokale Therapie
bei chronischer Cystitis mit Harnretention keineswegs überflüssig.
22) Sticker: Die Nachweisung des Broms im Harn und
Speichel. (Aus der med. Klinik Riegels in Glessen.)
Da der Nachweis des Broms im Harn und Speichel nach den
gewöhnlichen Methoden durch die Anwesenheit von Rhodanver¬
bindungen und noch mehr durch etwaige Anwesenheit von Jod
unsicher wird, so suchte Verfasser nach anderen Methoden und
fand, dass man die Rhodanverbindungen und das Jod durch Zu¬
satz von schwefliger Säure und Kupfervitriollösung zu dem ein¬
geengten Harn ausfällen kann. In dem Filtrat wird die schweflige
Säure durch Erhitzen ausgetrieben, dann wird nach vorhergehen¬
der Abkühlung eine Spur Salzsäure zugesetzt und dann Chlorwasser
zur Freimachung des Broms, welches mit Chloroform mit gelber
oder brauner Farbe ausgezogen wird. Im Chloroformauszug wird
Brom bekanntlich mit Jodkalium nachgewiesen, nach dessen Zu¬
satz das Chloroform eine weinrothe Farbe von freiem Jod an¬
nimmt. Noch einfacher und schärfer ist ein von Carnot an¬
gegebenes A erfahren. Pas etwa im Harn oder Speichel anwesende
Jod wird durch Schwefelsäure, die mit Salpetersäuredämpfen ge¬
sättigt ist, entbunden und mit Schwefelkohlenstoff ausgeschüttelt.
des Jodes fügt man ein wenig Chromsäure und
Nach Abscheidunj
Schwefelsäure zu der Flüssigkeit, erwärmt zum Kochen und hält
ein mit Fluorescei'n gelb gefärbtes Filtrierpapier darüber, welches
durch Spuren von Brom gerötet wird. Im Speichel konnte Verf.
mit dieser Methode nach Aufnahme grösserer Mengen von Brom¬
salzen Brom nacliweisen. Ohne vorhergehende Bromeinführung
fand sich Brom im Speichel und Harn und in der Asche von Ge-
hirn, Leber, Nieren, Schilddrüse und Muskelfieiscli nie. Jod wurde
vereinzelt, ohne vorhergehende Jodeinnahme, vorn Verfasser im
menschlichen Harn, in menschlichen Hoden und in Kuhmilch ge¬
funden.
23) P. II a m p e 1 n - Riga: Ueber schwere Abdominalerschei¬
nungen im Beginne einer Pneumonie oder Pleuritis.
Kasuistisches, zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
24) .1. P reuss - Berlin: Biblisch-talmudische Pathologie und
Therapie.
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
25) Max E i n h o r n-New-York: Ueber Asthma dyspepticum.
Nach dem Verfasser kommt Asthma dyspepticum, d. li.
Asthma im Zusammenhang mit dem Verdauungsapparat, wobei
natürlich die Zustände von Dyspnoe, welche bei Herz- und Luugen-
kranklieiten im Anschluss an die Nahrungsaufnahme auftreten.
auszuscliliessen sind, in zwei Formen: einmal in akuter Form
periodisch, nicht selten nach Exzessen im Essen und Trinken,
Rauchen oder nach starken Gemütserregungen, und zweitens in
mehr chronischer Form vor. Bei dieser letzteren Form unter¬
scheidet der Verfasser zwei Gruppen, die eine, bei welcher das
Asthma ziemlich bald nach der Mahlzeit auftri'tt und die zweite,
bei welcher die Anfälle erst 2—3 Stunden nach der Nahrungsauf¬
nahme auftreten. Bei manchen dieser letzten Gruppe ungehörigen
Fällen kann das Asthma durch Nahrungsaufnahme coupiert
werden. Die Fälle der ersten Gruppe ähneln in vieler Hinsicht
der Angina pectoris und werden auch oft damit verwechselt. Häufig
ist beim Asthma dyspepticum Hyperchlorhydrie oder Achylia
gastrica vorhanden, nach deren Beseitigung das Asthma häufig
verschwindet. Bei normaler Magensekretion ist eine Hyperästhesie
«Ls Magens als Ursache anzunehmen; manchmal findet sich auch
W anderleber als Ursache, wie in 5 von 26 Fällen des Verfassers,
was für die Therapie von Belang ist.
Lindemann - München.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 31.
1 ) v. Ott: Die Beleuchtung der Bauchhöhle (Ventroskopie)
als Methode bei vaginaler Koeliotomie.
Um das Operationsgebiet möglichst hell und deutlich dem
Auge sichtbar zu machen, hat v. Ott mit Hilfe von elektrischen
Lampen, die als Reflektoren an Instrumenten befestigt werden,
eine Methode ausgearbeitet, die so einfach ist, dass sie gewiss von
einer grossen Zahl von Operateuren verwendet wird. Die zur
Ventroskopie eingerichtete Lampe ist haselnussgross, hat eine Vor¬
richtung zur Beschützung der Bauchhöhle vor hoher Temperatur
und wird am Spekulum oder an der konkaven Fläche des Löffels,
durch den der obere Rand des Schnittes gehoben wird, angebracht.
Besonders die Grenzen der vaginalen Methode werden durch die
Sichtbarmachung des Operationsfeldes ausgedehnt. Beckenhoch¬
lagerung und bei Laparotomien Abschluss der in die Bauchhöhle
zurückgefallenen Därme durch Watte-Gazetampons werden em¬
pfohlen. Auch bei Exploration des Rektum und der Blase leisten
die mit Lampen armierten Instrumente vorzügliches. Das Ver¬
fahren wird durch mehrere gute Abbildungen illustriert.
1356
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT^
No. 32.
2) Xougebaue r: Einige Worte über die Mutterhals-
Scheidenfisteln der Portio vaginalis uteri (Eistulae cervico-
vaginal6s^laqueaticae)^e ^ Hamflsteln des Wl.lbes sieh
gleichzeilig auch cervico-vaginale Fisteln, die nichts anderes sind
als der oberste, klaffend gebliebene Teil eines nn unteren Abschnitt
spontan verheilten Längsrisses der Cervix uten. Ausseidem e -
stehen die genannten Fisteln durch mstrumentelle 1 eitoiation
(meist sub tentamine abortus), durch Querruptur der ^ervixwand
sub partu oder aboriu, ferner durch Druckusur mit nachfolgende
(Jewebsnekrose, nur ausnahmsweise durch spezifische l 1/eia
tiouen: Tuberkulose, Syphilis, Diphtherie, Karzinom.
Verfasser erörtert die Kasuistik jener Falle, in denen duicli
die Fistel Konzeption und Abort bezw. Geburt eintrat, und aua y-
siert die 7 in der Literatur niedergelegten Fälle, denen er 2 eigene
Beobachtungen in extenso anreiht. Interessant ist die von mehre¬
ren Operateuren angegebene Schwierigkeit, eine demütige 1 1. 1 l
durch einmalige Operation zur Obliteration zu bringen.
3) Rissmann: Die Vereinigung deutscher Hebammen-
lehrer.
Aufruf zum Beitritt zur Vereinigung deutscher Hebammen¬
lehrer Bisher 48 Beitrittserklärungen. 19 Lehrer stehen noch
abwa rtend zurück. Werner- Hamburg.
Virchow’s Archiv. Bd. D'8. Heit 2. 1902.
<j) Westenhoeffer: Ueber Schaumorgane und Gangrene
foudroyante. (Aus dem patholog. Institut in Berlin.)
Schaumorgane sind nach W. eine rein kadayerose Erscheinung.
Die z. B. bei Schaumlebern auftretenden Zellnekrosen sind auf
nhvsikalisch-chemische Ursachen zurückzuführen. Ebenso gibt es
Än Skheit erregeutlen Gasbaz-Mus flu- den Menschen, d.e
d-ifür amresnroclienen Parasiten vermögen nur sekundai aut
n'e k rot fschem tote m Gewebe Gas zu bilden,^ dm Resorption
deren Zersetzungsprodukte führt bei der sog. Gangrene foudrojanK
den ^odJlie^-inhaus; Uel3er Mischgeschwülste der Mund¬
speicheldrüsen. (Aus dem pathol. Institut des jüdischen Kranken¬
hauses in Warschau.) Mier.h
Die Ansicht von der embryonalen Anlage der Misch
Geschwülste der Speicheldrüsen teilt auch S. mit Hinsbeig.
Er nmt jedoch nicht eine epitheliale Herkunft dieser Ge¬
schwülste an, sondern eine endotheliale. Das Gewebe , aus
welchem die Tumoren entstehen, ist das I eriost des Unterkiefers,
von dem sich einzelne embryonale Zellgruppen abtrennen Die
Zeit in der dies geschieht, ist etwa die 8.-15. Woche wahrend
der die Anlage der Speicheldrüsen in unmittelbarer Nachbarschaft
des It e i c h e r t sehen Knorpels liegt.
8) Robert M e y e r - Berlin: Ueber Ektoderm- (Dermoid-)
Cysten im Ligamentum latum, am Samenstrang und Neben-
hoden bei Eötus und Neugeborenen.
Bei Embryonen bis zu etwa 3 Wochen werden Teilchen des
fertigen Ektoderms aus der hinteren, seitlichen Lumbargegend m
die Urnierenleiste versprengt, hieraus entstehen umkapselte Ekto¬
dermcysten, die in enger Beziehung zu Resten des W olt f sehen
Gano-es unter dem Vorderblatte des Lig. latum oder meist hinten
oder“ unten am Plexus spermaticus gefunden werden.
M. nimmt an, dass die versprengten Kenne weniger ent¬
wicklungsfähig seien als die an der ihnen zukommenden Stel e
verbliebenen, da die verlagerten Keimkomplexe insgesamt nicht
die Grösse erreichen, die eine an normaler Stelle verbliebene
Ektoderm zelle im Laufe der Entwicklung erreicht. Entstehung
der sog. Dermoide (Teratome) der Geschlechtsdrüsen aus solchen
Ektodermversprengungen (Bandler) hält er für ausgeschlossen.
9) Umberto Deganello: Ein Eall von Chondrosarkom dei
Skapula. Beitrag zur Kenntnis der Chondrome des Schulter¬
blattes. (Aus dem patholog. Institut der Universität Heidelbeig.)
Der Verf. berichtet über einen Tumor der Skapula und des
Humerus, den er als primäres Chondrosarkom der Skapula wahr¬
scheinlich von periostalem Ursprung, mit chondromatosen
Metastasen im Humerus beschreibt. Der chondromatose leil
ist ein hyalines Chondrom, der sarkomatöse Teil ein Spindelzellen-
sarkom. ' Im Anschluss daran werden 14 eigene und -> nach
W alder zitierte Chondrome der Skapula aufgezahlt und diese
nach verschiedenen Gesichtspunkten, so auch bezüglich der Ope¬
rationsarten und -Erfolge, betrachtet und registriert
10) S u 1 1 e r: Beitrag zur Kenntnis der Metastasen des pn
mären Nierenkarzinoms. (Aus der Chirurg. Abteilung von Di.
F. d e Q u e rvain - Chaux-de-Fonds.) .. ,
Durch eigene Injektionsversuche wie auch durch Berück¬
sichtigung der Ergebnisse anderer Forscher (Goldman n) kommt
S zu der Annahme eines retrograden Transportes im Bereich der
Nieren venen und erklärt so am einfachsten die Metastasen von
bösartigen Nierengeschwülsten (oder auch von Tuberkelbazillen)
im übrigen Urogenitalapparat. Es kommt hiebei die Vena sper-
m itica interna in Betracht, da sie sehr selten Venenklappen hat.
Die Frage, ob die führende Rolle bei Papillomen das Epithel oder
das Bindegewebe (R i b b e r t) übernimmt, wird spekulativ zu losen
11) E. Deetz: Ueber ein Angioma arteriale racemosum im
Bereiche der Art. corporis callosi. (Aus der patholog. Abteilung
des städt. Krankenhauses Dresden-Friedrichsstadt. Piosektoi.
Medizinalrat Dr. Schmort.) . ,onoTnrtQlim
Bei einer 5G jährigen Frau wurde ein Angioma racemosum
der Arteria cerebri anterior, ähnlich dem von Emanuel be¬
schriebenen, bei der Sektion gefunden. Wegen eines epileptischen
Anfalls war die Frau in das Krankenhaus gebracht worden, noch
weitere epileptische Anfälle wurden dort ärztlich beobachtet.
Mikroskopisch zeigten die Gefässwände des Angioms alle 3 Schich¬
ten ziemlich normal, nur waren in allen grosseren Gelassen l c
Muskulatur und die elastischen Fasern nur dürftig entwickelt, du
kapillären (V lief.) Gelasse hatten eine deutliche bindegewebige
Ad' Konrad S c h n e i d e r - Erlangen.
Archiv für Hygiene. 43. Bd. 3. Heft. 1902.
1 1 F M a v e r und H. Wolpert - Berlin: Ueber die Ver¬
stärkung der ‘Desinfektionswirkung des Eormaldehyds durch
aliseitigen künstlichen Innenwind. , , 1m.h
Es wird zunächst darauf aulmerksam gemacht und di uh
Versuche gezeigt dass bei allen Desinfektionsmethoden ein Man-
JÄÄlTS«« nämlieli in eiuem Zimmer Oie oberen
Regionen intensiver desinfiziert werden als der H ussboden und . (Le
unteren Schichten. Die Desinfektion ist also keine gleich massige.
Me Verfasser versnobten deshalb dnreb einen tra ns p o t a J>-
1 e n F lügelventilato r, den sie in die Mitte des Zinimeu
brachten die Luftschichten besser zu mischen. Die Erwartungen
ohmen jedoch nicht in Erfüllung, da die Desinfektionswiruung
u ter der einseitig bewegten Luft durchaus nicht besser war als
bld nfbemler Luft. Erst als dem Mgelventilator dnreb eme
rotierende Unterlage eine um sich selbst drehende Bewegung ge
o-eben wurde, konnte eine günstige Wirkung erzielt werden. De
erhöhte Wirkung besteht also weniger in einer Luftmischung als
hi einer vermehrten Luftbewegung, die s cb in
einem allseitigen Winddruck und Anprall d c i
formaldebvd lialtigen L u f t aussert.
Die Menge des verbrauchten Formaldehyd kann beim Ge¬
brauch des Ventilators auf mehr als die Hälfte ^^J^n
ohne die Desinfektionskraft zu verringern. Als Grundzahl gehen
die Verfasser für 1 00 cbm Luftraum 1000 ccm Formalin als
""fiel'1 Apparat dürfte sich besonders für sehr hohe Raume,
Turnhallen, Exerzierhäuser, städtische Asyle u. s. w. eignen.
2) E. Mayer und H. W o 1 p e r t - Berlin: Ueber den Ein¬
fluss der Lufttemperatur auf die Desinfektionswirkung de
Fo.maldebydo.^e ergaben_ dass die Desinfektionswirkung Im all-
gemeinen um so grösser ist, je höher die Zimmertemperatur steigt.
Bei _ 3 0 wurde z. B. 3 mal mehr Formalin als wie unter gewöhn¬
lichen Verhältnissen verbraucht, ohne dass bei den lestobjekt
(-ine Schädigung eingetreten wäre. Zwischen 10 und 15 bedeute
ieder einzelne Grad eine Verstärkung der Desinfektionswirkung.
ln den Versuchen für ruhende Luft stieg die Wirkung bei Er¬
höhung der Lufttemperatur von 9 auf 13 0 freite auf d“ ■£< oppe j.
Auch bei sogen, „forcierten“ Heizen nimmt die Desinfektionskral t
zu Die Lufttemperatur spielt also unter Umständen eme grosseie
Rolle als die Luftfeuchtigkeit. Daher raten die Verfasser die
Formalindesinfektion bei möglichst hoher, eventuell kunsüicb g
steigertet- Raumtemperatur vorzunehmen und nur so viel Wassei
zu verdampfen, dass der Feuchtigkeitsgehalt der Luft von dem
Sättigungspunkt noch erheblich entfernt bleibt. Hierdurch wnd
erreicht,1 dass keine Kondensation eintritt. Sollte kein Ofen zur
Erhöhung der Zimmertemperatur zur Verfügung stehen, so weiden
( ’oakskörbe oder Kohlenbecken gute Dienste leisten.
3) St R u z i c k a - Prag: Studien zur relativen Photometrie.
Die Methode der Helligkeitsbestimmung, die Verfasser be¬
schreibt, beruht auf der Lichtemptiudliclikeit von besondeis hei-
■ '-estel Item Papier. Da sich das bekannte Celloidinpapier nicht be¬
sonders gut eignet, so hatte schon Andresen Bromsilberpapiei
mittels Rhodamin B so „sensibilisirt“, dass es ausser dein L
pfindlichkeitsmaximum in Violett noch ein starkes zweites in
besass. Es musste aber dabei, um nur die leuchtenden Strahlen
auf das Papier einwirken zu lassen, der violette Teil duicli Aura
min abfiltriert werden. , A _ _ _
Dem Verfasser gelang es, das Papier so herzustellen, las,
es ohne Filter nur das eine Maximum im Gelben
besitzt. Mit diesem Papier liess sich für ein lind denselben
Zeitabschnitt die Belichtungsintensität aller gewählten Platze eine*
Raumes im Verhältnis zu dem dunkelsten oder hellsten oder auch
im Verhältnis zur Lichtintensität vor dem Fenster oder im 1 reu
bestimmen. R. O. N e u m a n n - Kiel.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenknnde und In¬
fektionskrankheiten. 32. Bd. No. 2. 1902.
1) A. G r i m m e - Marburg: Die wichtigsten Methoden der
Bakterienfärbung in ihrer Wirkung auf die Membran, den
Protoplasten und die Einschlüsse der Baktenenzelle. (1
2) &G li o n und v. Preyss - Wien: Studien zur Biologie des
Influenzabazillus. ^ *«,. .m,
Die von R. Pfeiffer gemachte Beobachtung, dass fui die
Influenzabazillen hämoglobinhaltiger NäJrlJ®5®“ £ *‘
eignetste sei, war der Ausgangspunkt erneuter UnteisuchungeF
Die Verfasser fanden in dem Hamatm den Stoff, der in - ®
auf Wachstumsfähigkeit für Influenza dem H a in o
gleiclikommt. Allerdings gehört, um ein üppiges Wachstum, sogen.
„Riesenkulturen“, zu erzielen noch dazu, dass dem Hamatinn
12. August 1902.
MITENCITENEE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1357
boden — wie schon Grassberge r hervorhob — fremde Keime
oder deren Produkte zugesetzt werden.
Zur Herstellung eines solchen passenden Nährbodens em
pfehlen die Verfasser Blut mit Sodalösung zu versetzen, zu kochen
und dasselbe dem verflüssigten Agarnährboden beizufügen. Der
Nährboden bleibt dann 1 — 3 Wochen stehen. Zur Isolierung der
Influenzabazillen kann man ihn nun direkt verwenden oder noch
besser gibt man 2 — 3 Tropfen einer abgetöteten Kulturaufschwem¬
mung von Staphylococcus pyogenes oder Diph-
theiiebakterien in Wasser auf die Oberfläche der Platte.
3) R. T u r r ö - Cataluna: Zur Bakterienverdauung. (Zweite
vorläufige Mitteilung.)
Die Untersuchungen erstrecken sich auf das Bakterien¬
lösungsvermögen des Schilddrüsen-, Nieren- und Mus¬
kelsaftes, sowie des Hühnereies. Der gepresste Saft ver
daut innerhalb 1—3 Tagen bei 35— 38 0 im Minimum 10 Proz. seines
Gewichtes eintägige Milzbrandkultur. Durch den Zusatz von
2 Pioz. Fluor natiium werden die Bakterien am Aufkommen ge-
hindert. Das Bakteiienverdauungsvermögen des Hühnereies
nimmt im Lauf der Zeit zu. Die Enzyme greifen die Milzbrand¬
bazillen entweder von aussen an und bringen sie allmählich zur
Auflösung oder sie dringen gleich zu Anfang in sie ein und brin°-en
sie zum schmelzen. Je weiter sie angegriffen sind, desto weniger
gut nehmen sie die Gramfärbung auf. Sind die Bazillen längere
Zeit mit Mineralsäuren behandelt, so sind sie widerstandsfähiger
gegen die Bakteriolyse. *
4) C. Gorini-Rom: Ueber die bei den Hornhautvaccine¬
herden vorkommenden Zelleinschlüsse. (Dritte vorläufige Mit¬
teilung.) (Schluss folgt.)
5) A. L o v s - Cairo: Zur Kenntnis der Trematodenfauna des
Triester Hafens. II. Ueber Monorchis Montic. und Haplo-
splanchnus n. g. ^
6) O. b u h r m a n n - Neuchätel: Die Anoplocephaliden der
Vögel.
7) E. S. London- Petersburg: Der gegenwärtige Stand
der Lehre von den Cytolysinen und die cytolytische Theorie der
Immunität. (Schluss.)
In dem Schlusskapitel werden die Cytolysine, Anti-
cytolysine und die cytolytische Theorie der Im¬
munität besprochen. Die ausführlichen Darlegungen sind in
Kürze nicht wiederzugeben. R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 31.
E. G r a w i t z - Charlottenburg: Nekrolog auf Carl Ger¬
hardt.
1) Ri edel -Jena: Wie oft fehlt die typische Dämpfung
in der rechten Fossa iliaca bei der Appendizitis?
R. schätzt, dass seit 30 Jahren wenigstens 150 000 Kranke an
Blinddarmentzündung gestorben sind, von denen sehr viele bei
rechtzeitiger Operation hätten gerettet werden können. Vor allem
muss man wissen, unter welchen Umständen ein Infiltrat über¬
haupt nicht, zustande kommt. Dasselbe fehlt dann, wenn keine
alten Adhäsionen vorhanden sind; die Dämpfung kann nicht nach¬
weisbar sein, wenn die Appendix weit von der Fossa iliaca ent¬
fernt perforiert, die schon vorhanden gewesene Dämpfung ver¬
schwindet wieder, wenn Gas in den Abszess eintritt. Der Artikel
bringt in kurzer Zusammenfassung die Anschauungen R.s über
die Pathogenese der Appendizitis, hinsichtlich welcher auf das
Original verwiesen werden muss. Das Erbrechen beim Anfall
kann auch bei seröser Entzündung und bei serösem Exsudat im
Bauche, exzessiv sein. Bei unverwachsener, chronisch kranker
Appendix kann der tödliche Ausgang in wenig Stunden eintreten. I
Höchst wichtig für den ganzen Symptomenkomplex ist die Lage
der Appendix, über welche Verfasser eine Statistik anführt, welche
en Verlauf illustriert, den die Erkrankung bei den verschiedenen
Lagen nimmt. Wenn z. B. die Appendix lateral gelagert und gut
m Adhäsionen eingebettet ist, so fehlen bei den Kranken deutliche
Erscheinungen von seiten des Bauches, ebenso bei retrocoekal
hegender Appendix. Die gefährlichste Lage ist die mediane. R.
ist bekanntlich für die Operation in den ersten 24 Stunden, genau
ebenso wie bei den eingeklemmten Brüchen, an denen wegen Ver¬
zögerung der Operation immer noch zu viel Menschen sterben.
2) W. Ri echel mann -Berlin: Eine Krebsstatistik vom
pathologisch-anatomischen Standpunkt. (Schluss folgt.)
3) . E. Meyer- Kiel: Hysterie nach Trauma, kombiniert mit
oi ganischer Erkrankung des Nervensystems.
Bei einem 49 jährigen, bis dahin anscheinend gesunden
Arbeiter entwickelte sich bald nach einer leichten Verletzung am
Ellenbogen ein Krankheitsbild, bestehend in Zittern zuerst im lin¬
ken Arm, dann über den ganzen Körper, sowie Spasmen in der
Muskulatur, Erschwerung des Ganges und stottemähnliche Stö-
der Sprache, psychisch Abnahme der geistigen und ge-
muthlichen Regsamkeit, Reizbarkeit, einige Beeinträchtigungs-
meen und Sinnestäuschungen. Ausserdem fand sich Pupillen¬
starre auf Licht und Konvergenz, temporale Abblassung der
1 aPdlen und Fehlen der Kniephänomene. Die ersteren Erschei-
iiungen sind sehr beeinflussbar und wechseln in der Intensität,
nas Zittern besitzt exquisit den Charakter des imitierten, trotz-
aem der Arbeiter keine Rente beansprucht, noch auch seine An¬
gehörigen. Es handelt sich um eine pseudospastische Parese mit
tretuor, kombiniert mit einer organischen Erkrankung, von wel-
r ier noch nicht feststeht, ob es sich um beginnende Paralyse oder
-Tabes handelt.
4) P- Wulff -Berlin: Zur Fettgewebsnekrose.
Ein 40 jähriger Restaurateur, hochgradiger Potator, erkrankte
unter den Erscheinungen einer akuten Perityphlitis. Als dieselbe
operiert werden sollte, zeigte sich das Fett der Bauchdecken eigen¬
tümlich verändert, so dass zunächst an Aktinomykose gedacht
wurde. Blutungen in die Höhle, welche durch den Zerfall des
b ettes entstanden war, beförderten den tödlichen Ausgan°\ Bei
der Autopsie fand sich der Wurmfortsatz ganz normal, dagegen
eine ausgedehnte typische Fettnekrose des ganzen Bauchfetts.
Besonders zu bemerken ist, dass das Pankreas vollkommen nor¬
mal gefunden wurde. Selten ist auch der Verlauf unter dem Bilde
eines perityphlitischen Abszesses, Grassmann-München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 30 u. 31.
No. 30. 1) R. B o n n e t - Greifswald: Weitere Mitteilungen
über Embryotrophe.
Nach einem im Greifswalder medizinischen Verein am
4. Januar 1901 gehaltenen Vortrag.
Referat hierüber siehe diese Wochenschr. 1902, No. 10, p. 422.
2) P. H i 1 b e r t - Königsberg i. Pr.: Ein Fall von Perfora¬
tionsperitonitis aus seltener Ursache (Durchbruch eines ulze-
rierten Divertikels der Flexura sigmoidea) und mit ungewöhn¬
lichem Verlauf.
Nach einem im Verein für wissenschaftliche Heilkunde in
Königsberg i. Pr. am 21. April 1902 gehaltenen Vortrage.
Der Fall bietet in klinischer Beziehung bemerkenswerte Ab¬
weichungen von dem allgemein bekannten Symptomenkomplex
einer Perforationsperitonitis hauptsächlich durch den vollkommen
symptomenlosen, latenten Beginn der Krankheit und vollständig-
schmerzlosen Verlauf, sowie durch die andauernd bestandenen
Diarrhöen.
3) Eschenhagen - Charlottenburg: Ueber einen Fall von
Fistelbildung zwischen den Gallenwegen und einem Bronchus.
Es handelte sich in diesem Fall um eine seit mehreren Jahren
bestehende Cholelithiasis, welche zu einer Cholecystitis und
Cholangitis infectiosa geführt und diese wiederum einerseits zu
einer zirkumskripten adhäsiven Peritonitis, wodurch Verwach¬
sungen der Gallenblase und Leber mit ihren Nachbarorganen be¬
dingt waren und andererseits zu multiplen Leberabszessen ge¬
führt hat. Der eine von diesen Abszessen ist direkt in die rechte
Lunge durchgebrochen und hat dadurch eine zirkumskripte Gan¬
grän mit massenhaftem eitrigen, stinkenden Auswurf, der plötz¬
lich auftrat, verursacht. Da aus diesem Leberabszess der Eiter
Abfluss hatte, so ist er allmählich zur Ausheilung gelangt und
hat sich in eine mit Galle gefüllte Höhle umgewandelt, die durch
einen mit Granulationsgewebe ausgekleideten Fistelgang mit dem
Bronchus in Verbindung geblieben ist.
4) Fr. Kuhn- Cassel: Technik der peroralen Tubage.
Nach einem auf dem Chirurgenkongress 1902 zu Berlin ge¬
haltenen Vortrag Referat hierüber siehe diese Wochenschr. 1902
No. 17, pag. 722.
5) J. W e i s s b e i n - Berlin: Zur Frage der künstlichen
Säuglingsernährung mit besonderer Berücksichtigung von
Soxhlets Nährzucker.
Verfasser empfiehlt in geeigneten Fällen, besonders bei lang¬
wierigen Magendarmerkrankungen Soxhlets verbesserte Lie-
bigsuppe, zumal sie sich durch ihre Unzersetzlichkeit auszeichnet
und der allergrösste Teil der Stärke in die leicht wasserlöslichen
Umwandlungsprodukte Dextrin und Maltose übergeführt ist. Für
die Säuglingsernährung im allgemeinen hält er aber und bestätigt
diese Ansicht durch verschiedene günstige eigene Beobachtungen.
Soxhlets Nährzucker von höchster Wichtigkeit. Er ist leicht
resorbierbar, verhältnismässig billig, was gewiss auch in die Wag¬
schale fällt, und hat den angenehmen Vorzug, nicht abführend zu
wirken.
6) A. D r y g a s - Posen: Drei Fälle von progressiver per¬
niziöser Anämie.
Kasuistische Mitteilung.
7) Scliwiening - Berlin: Mitteilungen über die Verbrei¬
tung von Volksseuchen, unter Benützung der Veröffentlichungen
des Kaiserlichen Gesundheitsamtes.
8) D a m r o w - Alt-Damm: Eine neue Fremdkörperpinzette
für Nase und Ohr.
Deren Vorteile sollen sein:
1. Leichtes Fassen und Festhalten harter und weicher Fremd¬
körper, auch solcher, welche nur eine ganz kleine Angriffsfläche
zeigen, stark gequollen und aufgeschwellt sind.
2. Gleich bequeme Anwendung für Ohr und Nase.
3. Sehr leichte Reinigung.
4. Die Pinzette kann in jedem, auch dem kleinsten Taschen¬
besteck mitgeführt werden.
5. Leichte Handhabung bei einfachster Konstruktion.
9) Beer- Barmen: Ueber den Wert des neuen (B i a 1 sehen)
Reagens für die Differentialdiagnose zwischen Diabetes und Pen-
tosurie.
10) Friedmann - Beutlien O.-Schl. : Die Beurteilung der
Qualität der Frauenmilch nach ihrem mikroskopischen Bilde.
Replik auf die Bemerkungen des Herrn Dr. Winter in
No. 26 dieser Wochenschrift,
No. 31. 1) V. Zangemeister und M. Wagner-
Leipzig: Ueber die Zahl der Leukocyten im Blute von Schwange¬
ren, Gebärenden und Wöchnerinnen.
1358
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Da der Leukocytengehalt beim Menschen unter normalen Ver¬
hältnissen nach den Angaben der Literatur noch ziem ich
schwankend ist, wurden zuerst Versuche an gesunden, nicht
schwangeren Frauen angestellt, wobei jedesmal die letzte M 1
struation genau festgestellt wurde, da bekanntlich wahrend der¬
selben normalerweise eine Leukocytose auftreten soll. Die n t
der Z ei ss sehen Mischpipette und mit der R e 1 c h e r t sehen
Zählkammer angestellten Zählungen ergaben, dass kräftig i i-
beitende, unter gleichen Verhältnissen lebende Frauen grosse
individuelle Unterschiede in ihrem Leukocytengehalte
aufweisen; dabei scheinen die Schwankungen, denen eine einzelne
Frau unterworfen ist, gering zu sein.
Was dann die Resultate in der Schwangerschaft, Geburt und
Wochenbett unter normalen Verhältnissen betrifft, so geht aus
den Zählungen hervor, dass die Leukocytenzalilen bei
Schwangeren, insbesondere denen im letzten Monat, sich
innerhalb derselben Grenzen bewegen, wie bei nichtschwangeren
Frauen und dass die überwiegende Mehrzahl hier wie dort Leuko-
cytenwerte zwischen i oOO und lo 000 darbieten.
Bei fast allen Kreissenden wurde eine mehr oder minder
beträchtliche Erhöhung der Leukocytenzalilen festgestellt.
Es sind nun aber die Leukocyten nicht nur im Vergleich zur
Gravidität vermehrt, sondern man kann in den meisten Fallen
eine beständig wachsende Zunahme während der Geburt beob¬
achten. Die Leukocytose wächst allmählich bis gegeii Ende der
Geburt und hat mit der Austreibung des Kindes resp. kurz nach
derselben im allgemeinen ihren Höhepunkt erreicht. Die Starke
der Leukocytose ist dabei bedingt durch die Vorgänge während der
Geburt, so finden sich besonders hohe Zahlen bei sich in die Lange
ziehenden Geburten (durch enges Becken etc.), bei sehr kräftigen
Wehen, bei Abfluss des Fruchtwassers, Auch Resorptions vorgange
spielen hiebei eine Rolle.
Bei normalen Wochenbetten lässt sich in allen fallen ein
meist rasches Absinken der Leukocyten feststellen und zwar be¬
ginnt dies meist unmittelbar nach der Geburt in den ersten
Stunden. Ausnahmen kommen hiebei vor bei sehr starken Nach¬
wehen. __ 1 1 l*
Beztiglicli der -pathologischen Zustände im Wochenbett wai
festzustellen, dass lediglich dort eine hohe Leukocytose eintrat,
wo Gelegenheit zu ausgiebiger Resorption zersetzter Lochien vor¬
handen war. Auch in 2 Fällen von Mastitis war eine deutliche
Zunahme der Leukocyten nachweisbar, ebenso nach Wendung und
Extraktion bei einem Fall von Placenta praevia centralis und einer
sich daran anschliessenden schweren infektiösen Erkrankung.
Bei eingreifenden Operationen (konstruierten Wendungen, Ein¬
legung eines Ivolpeurynters und glatten Laparotomien, bei denen
keine Resorption von ‘Eiter oder altem Blute möglich war) konnte
keine merkliche Leukocytenvermehrung konstatiert werden.
Als Resume lässt sich nach den bisherigen Untersuchungen
beim Wochenbettfieber kein prognostischer oder diagnostischer
Wert der Leukocytenzählung einräumen.
Dagegen scheint die Tatsache von Bedeutung, dass auch unter
physiologischen Umständen, wie der Geburt, Steigerungen im
Leukocytengehalt des Blutes auftreten, wie sie bisher lediglich
bei schweren infektiösen Prozessen beobachtet worden sind.
2) Dorendorf -Berlin: Ueber ein bisher wenig beach¬
tetes Aneurysmensymptom.
Das bei Aneurysma des Aortenbogens beobachtete Symptom
besteht darin, dass die Grube über dem linken Schlüsselbein fehlt;
die Gegend ist verstrichen oder noch häufiger tumorartig vor¬
gewölbt, dabei zeigt auch die Vena jugularis externa sinistra
meist erheblich stärkere Füllung als die rechte. Durch Druck von
oben nach abwärts lässt sich die weiche supraklavikuläre Vor¬
wölbung vorübergehend beseitigen. Die Vorwölbung wird bedingt
durch erschwerten Abfluss des Blutes aus dem Wurzelgebiet
der Vena anonyma sinistra.
3) P. G r ü t z n e r - Tübingen: Ueber die Wirkung der Zecken
auf tierisches Blut.
Die Einwirkung der Verdauungssäfte der Zecke auf das Blut
besteht erstens in einer völligen Entziehung des Sauerstoffs und
zweitens unter gleichzeitiger Eindickung des Blutes in einer
Lösung aller Blutkörperchen. Von dem auf diese Weise frei¬
gemachten Hämoglobin, das sich stets in schön krystallisierter
Form in dem geschwollenen Zeckenleibe vorfindet, lebt dann offen¬
bar das Tier.
4) A. F r e u d e n b e r g - Berlin: Einige Fälle von erfolg¬
reicher B o t t i n i scher Operation bei besonders lange be¬
stehender kompletter Urinverhaltung. (Nach einer vor der Freien
Vereinigung der Chirurgen Berlins am 13. Januar 11)02 gehaltenen
Demonstration.)
Die Dauer der der Operation vorausgegangenen kompletten
Urinverhaltung betrug in dem einen Falle 10% Jahre, in dem an¬
deren 27% Jahre. Gleichwohl wurde durch die B o 1 1 i n i sehe
Operation ein funktionell vollkommener Erfolg erzielt. Der dritte
Fall, bei welchem die komplette Urinretention immerhin auch
5 Jahre vor der Operation bestanden hatte, ist dadurch inter¬
essant, dass die erzielte, in der Tat ideale Heilung nunmehr schon
4 Jahre und 2% Monate absolut konstant geblieben ist.
5) Rürig II (Reinliard)-Wildungen: Beitrag zur Statistik
der B o t t i n i sehen Prostatadiszision.
Kasuistische Mitteilung mit Verlauf und Resultat der aus¬
geführten Operation.
G) G. F 1 a t a u - Berlin: Ueber „Roborat“ in der Privat-
P1 Bericht über persönlich gewonnene Erfahrungen über das aus
Getreidesamen hergestellte Eiweissnährmittel ,, Lohma. .
7) W i d e n m an n - Bonn: Der Plattfuss des Negers.
Entgegnung auf den in No. 20 dieser Wochenschrift ent¬
haltenen Aufsatz von Dr. Muskat. M. L a c n e .
Oesterreichisclie Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 31. 1) A. v. Frisch: Adrenalin in der urologischen
‘ Verfasser verwendet das Präparat zur cystoskopisclien Unter¬
suchung von solchen Fällen vesikaler Hämaturie, wo die a or-
bereitende Blasenspülung immer wieder Blutungen anregt, feiijü
bei Operationen von Blasentumoren, wo durch eine Betupfung des
Gewebes eine prompte Blutleere zu stände kommt, dann bei schwei
zu passierenden, engen Strilrturen, wo eine Abschwellung der
Schleimhaut erfolgt, ferner bei schwierigem Katheterismus bei
Prostatahypertrophie, wo meist allmählich dann eine spontane
Entleerung der Blase erzielt werden kann.
2) E. v. C z v h 1 a r z und O. M arburg- Wien: Weitere Be¬
merkungen zur Frage der zerebralen Blasenstorungen, zugleich
ein Beitrag zur Diagnostik der Balkengeschwülste.
Bei der 32 jährigen Kranken fand sich klinisch: dumpfe
wechselnder Kopfschmerz, Erbrechen, Schwindel, Herabsetzung
der motorischen Kraft bei intakter Motilität mit Ausnahme einei
Störung des Gehens und Stehens mit Tendenz nach rückwärts zu
fallen, sowie Widerstand beim Versuch, den Kopf nach vorne zu
bewegen, gesteigerte Reflexe, leichte Unsicherheit bei intern iei
Bewegungen, Incontinentia urinae et alvi bei erhaltener willkür¬
licher Sphinktererschlaffung, morose Stimmung Die Autopsie
zeigte einen Tumor, welcher in den hinteren Teilen beider Stirn¬
lappen sass, zusammenhängend und teilweise aut die Coipoia
striata übergreifend. Die vorhandene Blasenstörung Avar ersicht¬
lich zerebraler Natur. Ferner führt Verfasser noch ein typisches
Beispiel für jene vorübergehenden Blasenstörungen an, welche im
Gefolge von Hemiplegien nicht selten Vorkommen. Häufig han¬
delt ef sich hiebei1 um Erschwerung der Urinentleerung, welche
nach einigen Tagen verschwindet. Im übrigen leürte dieser Fa
wieder die Schwierigkeit, derartige Tumoren des Balkens zu
lokalisieren.
3) II Paschkis: Die Hefe als Arzneimittel.
Was das Schicksal der innerlich eingenommenen Hefe nn
Organismus betrifft, so scheint sie von den Saften des Magens und
Darmes wenig oder gar nicht verändert zu werden, auch hat sie
wie es scheint, keinen erheblichen Einfluss auf die intestinale
Flora. Um die günstige Wirkung bei Furunkulose zu erklären,
kann vielleicht angenommen werden, dass durch die Gahrung und
deren Produkte anormale Verdauungsvorgänge unterdrückt
Averden Die Hefe soll zur Zeit der Nahrungsaufnahme gegeben
werden Verfasser hat bei, etwa 20 Fällen von Furunkulose Akne
und schwerer Follikulitis die Hefe innerlich angewendet und zwar
durch längere Zeit hindurch. In vielen Fällen wurde eine geradezu
auffallend rasche Heihvirkung erzielt, andere Falle verhielten sich
vollkommen refraktär. Man gibt die Hefepraparate zu 5-l° ff
uro dosi ein- oder dreimal täglich bei den Hauptmahlzeiten in
einem Glase Wasser oder auch kohlensaurem Wasser verrührt.
Bierhefe lässt man zweckmässig in Bier, Backerhefe m Milch Ati
rühren.
4) F. Alt -Wien: Ueber Störungen des musikalischen Ge-
11013 Verfasser hatte Gelegenheit, 7 Fälle von Störungen des musi¬
kalischen Gehöres zu beobachten, über welche er eingehend be¬
richtet; auch die in der Literatur vorhandenen Beobachtungen dei
Art AA'erdeu aufgeführt. Die Erklärung für das Falschhoren aoh
Tönen bei sonst musikalischen Menschen ist durchaus nicht sicliei
und gibt Verfasser eine Zusammenstellung der verschiedenen An¬
sichten der Autoren. A. selbst hat behufs Ermittlung, ob und
inwiefern durch Schalleitungshindernisse Storungen des musi¬
kalischen Gehörs auftreten können, eine Reihe experi m entellei
Untersuchungen gemacht, wobei er das Trommeltell und die Geh n-
knöchelchen künstlich nach einwärts drängte. Die t eisuch,
anordnnng muss im Original eingesehen werden. I erfasset kam
zur Anschauung, dass unser inneres Ohr zwei Apparate autAvei
von denen der eine rein physikalischer Natur ist: die Membi.u .
basilaris. Aber auch Mittelohraffektionen haben einen Anteil an
der Diplakusis, Avie A. des näheren ausführt. Die Dufiakusi.
inonauralis, bei welcher Töne im kranken Ohr doppelt, bezw. mem-
fach perzipiert AArerden, kommt meist bei Neurasthenikern v
heilt binnen wenigen Tagen oder Wochen spontan aus.
5) II. L oh n s t ei n - Berlin: Ueber die Reaktion des Pio-
statasekretes bei chronischer Prostatitis.
Gegenüber der Kritik von Pezzoli (cf. No. 27 dieser Mn
sclirift) hält Verfasser daran fest, dass für die Prüfling der -
aktion von Prostatasekret die Lakmustinktur als Indikator duicr
aus ungeeignet ist. wie sich bei näherer Besichtigung der Angaben
von Pezz o 1 i selbst ergibt. Nach dieser wurde die BeiwTmWS
viel zu hohe Peptonwerte für das Sekret ergeben. L. halt sem
aus den früheren Untersuchungen gezogenen Schlüsse vollkomm n
aufrecht. Grassmann- München.
12. August 1902.
MUEN QITEX ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1359
Wiener medicinisclie Wochenschrift.
No. 22 — 30. M. Kassowitz: Infantiles Myxödem, Mongo¬
lismus und Mikromelie.
K. geht davon aus, dass unter den als rhacliitisch behandelten
Kindern eine ziemliche Anzahl dem Kretinismus zugeteilt werden
muss. Von diesem sind 3 Formen scharf zu unterscheiden: das
Myxödem, der Mongolismus und die Mikromelie; für jede Form
gibt K. eine sehr eingehende Beschreibung der anatomischen und
klinischen Charakteristika wie auch der therapeutischen Erfolge.
Bei 104 Fällen fallen 22 der ersten, 75 der zweiten, endlich 7 der
dritten Form zu. Worin der gemeinsame ätiologische Faktor liegt,
ist noch ebenso ungewiss wie die Ursachen für die Verschieden¬
artigkeit der Erscheinungen bei den 3 Typen. Das Fehlen oder
die mangelhafte Entwicklung der Schilddrüse reicht nicht aus
zur Erklärung aller dieser Punkte. Die Schilddrüsentherapie,
welche bei dem Myxödem die besten Erfolge aufweist, erzielt ja
auch für die beiden anderen Gruppen nur die Besserung einzelner
Symptome.
No. 20—30. Iv. Ul Im an n -Wien: Ueber das Vorkommen
von extragenitalen weichen Schankergeschwüren.
Solche Geschwüre kommen sicher häufiger vor, als nach den
bisherigen Veröffentlichungen — Verfasser stellt aus der Literatur
04 Fälle, darunter 22 Geschwüre an den F ingern, zusammen _
angenommen werden müsste. Gerade für die extragenitalen Ge¬
schwüre legt U. grossen diagnostischen Wert auf den Nachweis
der Ducrey sehen Bazillen, der ihm auch bei den 3 von ihm
selbst beobachteten extragenitalen Geschwüren gelungen ist. Die
Empfindlichkeit des Bazillus gegen Temperaturen von 41° C. und
mehr erklärt auch die guten Erfolge der Behandlung mit kon¬
stanter Wärme, speziell mittels des von dem Verf. angegebenen
Hydrothermoregulators.
No. 30. L. S t i e d a - Königsberg: Ueber freie Talgdrüsen.
Als freie Talgdrüsen bezeichnet St. diejenigen, welche unab¬
hängig von Haaren sich finden. Es ist zu rügen, wenn neuer¬
dings die Bezeichnung Talgdrüsen vielfach aufgegeben und dafür
der Ausdruck Haarbalgdrüsen gebraucht wird. Als Stellen, wo
solche freie Talgdrüsen, deren Kenntnis für den Arzt wichtig ist,
Vorkommen, macht Verf. namhaft (von den Augenlidern abge¬
sehen): 1. das Lippenrot, 2. die Wangenschleimhaut, 3. die U Über¬
gangsstelle zwischen äusserer und Nasenschleimhaut, 4. die
Uebergangslinie zwischen Haut und Mastdarmschleimhaut, 5. an
der Eichel und Vorhaut des Penis bezw. Klitoris, 0. an den kleinen
Labien, 7. an den weiblichen Brustwarzen und Warzenhof. Ueber
jede dieser Lokalisationen folgen dann noch nähere anatomische
Angaben.
No. 29. Fr. S a m b e r g e r - Prag: Ueber die Wirkung
wiederholter Injektionen von Nebennierenextrakt.
Die Injektionen erfolgten bei jungen Hunden mittels eines
aus der getrockneten pulverisierten Drüse hergestellten Aufgusses.
In Kürze waren die wichtigsten Erscheinungen bei intravenöser
Injektion starker Speichelfluss, extreme Blässe der Schleimhäute,
Tremor, Spasmus bis zur spastischen Lähmung speziell der hin¬
teren Extremitäten, Steigerung des Blutdruckes, Urinträufeln,
Spermatorrhoe, Glykosurie, nach deren Verschwinden noch
vorübergehende alimentäre Glykosurie auftrat. Sekundär entstand
nach wiederholten Injektionen eine Hypertrophie der Wand des
linken Herzventrikels. Die tödliche Dosis schwankte in sehr
weiten Grenzen.
Bei den nach intraperitonealer Injektion verendeten Tieren
fand sich hochgradige hämorrhagische viscerale Peritonitis und
Enteritis von nach dem Rektum hin zunehmender Intensität. Nach
subkutaner Injektion entstand heftiges Jucken, Abszedienmg und
Gangrän der Haut an der Injektionsstelle, ferner eine sehr rasch
verschwindende Glykosurie. In einem Fall, wo die Injektion in
der Regio hypogastrica ausgeführt wurde, erfolgte eine 5 Tage an¬
haltende starke Hämaturie.
S. Z e r v o s - Athen: Ein Beitrag zur Lehre von der
Sphygmologie.
Das Resultat gegenwärtiger Studien ist, dass die alten Aerzte
vor Hippokrates den Puls nicht kannten, dieser der erste war,
der ihn beobachtet und beschrieben hat. Der erste, der den Puls
zählte, war Herophilus aus Chalcedon (300 v. Clir.) und er be¬
diente sich dazu einer Wasseruhr, wie Verf. aus einem bisher
unbekannten Manuskripte des Marcellus Sidetes entnimmt. Die
Heropliileer gaben zuerst eine Definition des Pulses. Die beste
sphygmologische Arbeit aus dem Altertum stammt von dem be¬
rühmten Claudius Galenus. B e r g e a t - München.
Englische Literatur.
W. Carnac Wilkinson: Die Behandlung der Lungen¬
tuberkulose mit Tuberkulin. (Brit. Med. Journ., 7. Juni 1902.)
Verfasser hat im Verlaufe der letzten 5 Jahre 70 Fälle von
Phthise mit Tuberkulin (meist TR) behandelt und hat die feste
Ueberzeugung, dass das Mittel in allen reinen Fällen von Infektion
mit Tuberkelbazillen einen Erfolg verspricht. In allen Anfangs¬
fällen, die Verfasser unter eine Gruppe I bringt, verschwanden die
Bazillen, das Sputum wurde mehr glasig, der Husten hörte auf
und das Allgemeinbefinden wurde gut. Bei Hämoptoe braucht das
Mittel nicht ausgesetzt zu werden, es ist sogar bei diesen Zufällen
von grossem Nutzen, da es durch günstige Beeinflussung des Lun-
genprozessies das Wiederauftreten von Blutungen verhindert. Nie¬
mals sah Verfasser einen Schaden von der Anwendung des Mittels,
vor Allem bestreitet er, dass das TR zu raschem Zerfall von Krank¬
heitsherden Anlass gibt oder zur etwaigen Freimachung abge¬
kapselter oder latenter Bakterien. Nie trat während der Behand¬
lung Meningitis oder Miliartuberkulose auf. Vorbedingung eines
guten Erfolges ist aber die Ausschliessung von Fällen von Misch¬
infektion. Verfasser wiederholt die Einspritzungen von Zeit zu
Zeit ( in einem I alle machte ein Kranker 7 Kuren durch) auch
verwendet er zuweilen TR und TA zusammen. Indem Verfasser
seine Fälle nach T u r b a n in Gruppen einteilt, findet er, dass von
12 Fiillep in Gruppe I alle völlig und dauernd gebessert wurden;
von 23 in Gruppe II wurden alle wenigstens zeitweilig besser,'
wenn bei manchen auch später Rezidive ein traten, die die Wieder¬
holung der Kur nötig machten.
II. Cooper P a 1 1 i n: Die administrative Beaufsichtigung der
tuberkulösen Erkrankungen. (Ibid.)
Während der Verfasser des vorstehend referierten Artikels
sehr wenig von der Sanatoriumbehandlung hält, die bei der grossen
Ausdehnung der Tuberkulose doch nur sehr wenig Kranken zu
Gute kommen kann, verlangt Patt in von den Sanitätsbehörden
den Bau vieler Sanatorien auf Kosten der Steuerzahler; ausser¬
dem verlangt er die Anzeigepflicht für alle Tuberkulösen sowie die
stete Beaufsichtigung derselben, so lange sie in ihren Heimstätten
bleiben, die Häuser selbst sind zu desinfizieren und eventuell zu
schliessen, wenn sie als ungesund erkannt werden. In allen Schu¬
len soll ferner den Kindern alles Wissenswerte über die Ent¬
stehung, Verbreitung und Verhütung der Seuche mitgeteilt werden.
Colin Campbell: Die Technik der direkten intra¬
trachealen Behandlung der Phthise. (Ibid.)
Verfasser empfiehlt bei Phthise mit Hilfe des Laryngoskops
folgende Lösungen direkt durch den Kehlkopf in die Luftröhre und
die Bronchien zu spritzen: Thymol 2,0, Salol 6,0, Menthol 2,0,
Glyzerin 150,0 oder Medizin. Izal 10,0, Menthol 6,0, Glyzerin 150 0
Die Lösung wird auf 140 0 F. erwärmt und im Anfang täglich 6,0.
später bis zu 60,0 injiziert. Man muss sich hüten, nicht aus Ver¬
sehen die Lösung in den Magen zu spritzen, da letzterer dies
Mittel sehr schlecht verträgt, viel schlechter wie die Lunge. Ver¬
fasser glaubt mit diesem Verfahren sehr gute Erfolge erzielt zu
haben.
A. M a u d e: Positiver Ausfall der W i d a 1 sehen Reaktion
bei Nierensteinen. (Ibid.)
Verfasser gibt die Krankengeschichte einer Frau, die er seit
1887 wegen verschiedener Leiden in steter Beobachtung hatte, die
aber nie an Typhus gelitten hat. 1891 hatte sie Symptome, die sich
eventuell als Typhussymptome deuten liessen. Da Typhus in der
Nachbarschaft viel vorkam, wurde das Blut nach w'idal unter¬
sucht und von kompetenter Seite eine positive Reaktion gefunden.
2 Tage später trat unter Abfall der Temperatur Wohlbefinden ein!
5 Tage später ging ein Harnsäurestein ab, dem in den nächsten
Wochen 2 weitere folgten.
Thomas Houston: Das Oedem bei Anämie.
1902.)
(Ibid., 14. Juni
Auf Grund eingehender experimenteller Studien, deren Einzel¬
heiten im Originale nachzulesen sind, kommt Verfasser zu folgen¬
den Schlüssen. Bei anämischen Personen findet sich gewöhnlich
keine Verminderung des Gewichts und keine Abmagerung, dies
beruht auf einer pathologischen Zunahme von Flüssigkeit im Blut
und den Geweben. Gehen Anämien und namentlich die Chlorose
der Besserung entgegen, so verschwindet zuerst diese Flüssigkeit.
Auch bei perniziöser Anämie wird diese Flüssigkeitszunahme be¬
obachtet und gibt sich dieselbe durch Vermehrung des Körper¬
gewichtes kund; nimmt dabei der Hämoglobingehalt des Blutes
nicht zu, so muss dies als ein schlechtes Zeichen angesehen wer¬
den; zuweilen bedeutet die Gewichtszunahme eine Art Krise und
es tritt gelegentlich nach der Zunahme des Oedems bald eine
wesentliche Besserung ein, geschieht dies nicht, so sterben die
Kranken rasch. Das Oedem ist auf eine hydrämische Plethora des
Blutes zurückzuführen und unterscheidet sich wesentlich von dem
Oedem bei Nephritis.
W. Murreil: Ueber die chirurgische Behandlung der
Lebercirrhose. (Lancet, 7. Juni 1902.)
"Verfasser hat in einem Falle von Lebercirrhose mit starkem
Aszites die Talma sehe Operation ausgeführt, doch sammelte
sich das Exsudat rasch wieder an, so dass weitere Punktionen
nötig wurden. 3 Monate nach der Operation starb Pat. Die Sektion
ergab, dass das Netz mit der Bauch wand Verwachsungen einge¬
gangen war und dass sich zahlreiche neue Gefässe bis zur Dicke
eines Federkieles gebildet hatten. Verfasser stellt dann die bis¬
her veröffentlichten Fälle zusammen, wagt es aber nicht, ein Urteil
über den Wert oder Unwert der Operation abzugeben.
Walter Whitehead: Die offene Methode der Knie¬
gelenkseiterungen. (Brit. Med. Journ., 21. Juni 1902.)
Verfasser empfiehlt bei schweren septischen Prozessen des
Kniegelenkes die Patella in der Mitte zu durchsägen und das
Kniegelenk weit aufzuklappen, die Kreuzbänder zu durchschneiden
und alles Krankhafte auszulöffeln. Das stark gebeugte Gelenk
wird dann fest mit Jodoformgaze austamponiert und in recht¬
winkliger Stellung auf eine Schiene fixiert. Die Nachbehandlung
besteht in häufigem Ausspülen und frischer Tamponade. Ver¬
fasser hält dies Verfahren für ganz neu, doch dürften wohl schon
zahlreiche Chirurgefi diesen Weg eingeschlagen haben. Referent
hat mehrei’e Fälle offen behandelt und zwar mit gutem Resultate.
Alexander O g s t o n : Ein neues Operationsprinzip in der
Behandlung des Klumpfusses kleiner Kinder. (Ibid.)
1360
MJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Entfernt man bei hochgradigen Klumpfiissen nach Lunds
Vorschlag den Tarsus, so schafft man durch die Operation an sich
eine Entstellung, die man umgehen kann, wenn man den larsus
nicht entfernt, sondern nur inzidiert, den knöchernen kern aus¬
löffelt, die knorpelige Schale aber stehen lässt. Dieser Iynorpe -
rest lässt sich nach der Tenotomie der Achillessehne in jede ge¬
wünschte Form modellieren. Wenn nötig müssen auch die Iveil-
und Fersenbeine ausgelöffelt werden. Die Knochen bilden sic 1
wieder neu, aber in richtiger Form, da der Fuss im Gipsverbande
bleibt.
Charles A. Morton: Genu valgum. (Ibid.)
Verfasser hat sich durch zahlreiche Röntgenaufnahmen davon
überzeugt, dass in der Mehrzahl der Fälle von Genu valgum c le
Verbiegung in der Tibia und nicht im Femur liegt. Er greift des¬
halb auch diesen Knochen an, indem er einen Keil dicht unter der
Tuberositas tibiae ausmeisselt. Von der Behandlung mit Appa¬
raten und Verbänden hält er sehr wenig, besteht eine eimgermassen
beträchtliche Verbiegung, so kommt nur die Osteotomie in I rage.
Nähere Erläuterungen und die das Gesagte illustrierenden Bild
sind im Originale nachzusehen, wo auch Angaben über 1< vom
Verfasser operierte Fälle zu finden sind.
James H. Ni coli: Spina bifida. (Ibid.) , . .
Verfasser hat im ganzen 46 Fälle behandelt, die er in fol¬
gende Klassen einteilt: 1. Fälle, bei denen der Sack stark leckt oder
ulzeriert ist, sie sterben sehr häufig an septischer Meningitis und
zwar mit oder ohne Operation; immerhin sah Verfasser ver¬
schiedene Heilungen in Fällen, bei denen er den wahrend der Ge¬
burt geplatzten Sack möglichst rasch exstirpieite, 2 Falle bellten
spontan durch Schrumpfung. 2. Fälle mit sehr ^rossem und brei
aufsitzendem Sack, bei dem man kleine Lappen zur Bedeckung
einer Operationswunde bilden könnte; in diesen Fällen nruss man
ein Irritans (Mortons Lösung z B.) injizieren. 3. Falle, m
denen der Sack Nerven oder Rückenmark enthalt. Wenn irgend
möglich werden grosse Hautmuskellappen gebildet und über dem
geöffneten Sacke vernäht, nachdem alle von Nerven freien Teile
des Sackes entfernt worden sind. 4. Fälle von reiner Menmgocele,
hier wird der Sack einfach fortgeschnitten und der Stiel vernäht,
über demselben werden noch 2 Hautmuskellappen vernäht. Be¬
steht gleichzeitig Hydrokephalus, so kann man eine Dauerdrämag i
nach der Bauchhöhle oder dem subkutanen Gewebe aailegen oder
man kann die Ventrikel direkt punktieren und Jod in dieselben
s ritzen. In allen Fähen, wo es sich um junge Kinder handelt,
c mpfiehlt Verfasser dringend die Operation in der Poliklinik zu
machen und die kleinen Kranken mit der Mutter nach Hause zu
schicken, da die Mutter in diesen Fällen die beste Pflegerin ist.
W. Allan J a m i e s o n : Adrenalin in der Lichtbehandlung
des Lupus. (Ibid.) ,
Verfasser verwendet das Adrenalin, um den Lupusfleck, den
er d r F in sen sehen Behandlung aussetzen will, blutleer zu
machen. Er ist mit dem Erfolge sehr zufrieden. Ein mit bol
Adron. 1 zu 1000 getränkter Wattebausch bleibt 10 bis 15 Min. aut
der zu anämisierenden Stelle liegen, wonach dieselbe mit Aus¬
nahme der Lupusknötchen ganz weiss geworden ist (geradeso,
als wenn man eine Glasplatte daraufdrückt).
C. G. Seeligmann und L. S. Dudgeon: Eosinophilie
bei Echinokokkus. (Lancet, 21. Juni 1902.)
Die beiden Verfasser geben die Krankengeschichte eines
Falles von Leberechinokokkus, bei dem die Blutuntersuchung eine
o-anz ungewöhnlich hohe Zahl von eosinophilen Zellen (5< Proz.
aller Leukocyten) ergab. Nach der Operation verschwand dieser
abnorme Zustand. Die Verfasser machen darauf aufmerksam,
dass alle Wurmkrankheiten des Menschen, möge es sich um
Oxiuren, Trichinen, Ankylostomen oder andere M urmer handeln,
diese hohen Werte der eosinophilen Zellen hervorrufen.
Ho well R e e s und D. C. Rowlands: Fall von Rabies, die
20 Monate latent blieb. (Lancet, 21. Juni.)
Am 9 August 1900 wurde ein 63 jähriger kräftiger Berg¬
bewohner von einem Hunde in den Finger gebissen; ein kleiner
Junge wurde zur selben Zeit gebissen. Die Wunden des Mannes
wurden mit Höllenstein geätzt. Der Hund war sofort erschossen
und verscharrt worden; die zuständige Behörde weigerte sich, den
Kadaver ausgraben und untersuchen zu lassen. Da in England
kein Pasteurinstitut sich befindet, so vergingen eine Anzahl Tage
mit dem Sammeln des nötigen Geldes, das durch private Woh -
tütigkeit aufgebracht wurde und erst am 29. August regten die
Kranken nach Paris. Der Mann blieb 19 Tage unter Behandlung,
kam völlig wohl zurück und blieb gesund bis zum 26. Mai 1J02,
an welchem Tage er über Schmerzen im Arm klagte. Am Abend
traten Schluckbeschwerden ein und es folgten sehr bald heftige
Krämpfe der Schluck- und Atmungsmuskeln. Am Abend des fol¬
genden Tages starb er, nachdem die typischen Zeichen der Lyssa
vorausgegangen waren. Die Verfasser bedauern am Schluss des
\uf satzes, dass London resp. ganz England noch immer kein
Pasteurinstitut hat, ein Umstand, der wohl mit dem unsinnigen
Treiben der Antivivisektionisten zu tun hat.
P. A. Pearcey: Gleichzeitige Exartikulation der Hüfte
und der Schulter. (Ibid.) . . ,
Nur selten dürfte ein Fall, wie der hier beschriebene, lebend
das Hospital erreichen, noch seltener aber die Operation uber¬
stehen. Es handelte sich um ein 17 jähriges Mädchen, das von
einem Zahm*ad erfasst und mehrmals umgedreht wurde. Die
obere und untere Extremität der rechten Seite war fast gay2 aus¬
gerissen, die Hauptgefässe und Nerven durchtrennt. Die Blutung
war relativ gering gewesen. Beide Extremitäten wurden gleich¬
zeitig exartikuliert und es erfolgte Heilung.
Frederick Treves: Zur Entzündung des Wurmfortsatzes.
(Brit. Med. Journ., 28. Juni.)
Die kurze Arbeit des um die Lehre von der Appendizitis so
verdienten Chirurgen bietet viel des Interessanten, aus dem liier
nur einige Punkte hervorgehoben werden sollen. Sehr häufig ent¬
stellt nach Treves die Appendizitis auf dem Boden eines in den
Tropen erworbenen Darmleidens; ferner gehen Entzündungen des
Wurmfortsatzes sehr häufig Hand in Hand mit Entzündungen des
rechten Ovariums und es ist stets angezeigt, bei Operationen in
dieser Gegend beide Organe zu untersuchen. Am allerhaufigsten
fol,Tt aber eine Appendizitis auf eine Ueberladung des Coekums
mit unverdaulichen Speisen oder mit schlecht gekauten und
mangelhaft verdauten Speiseresten, wie wir es so oft bei Leuten
finden, die hastig oder gierig essen oder die m lolge schlechte!
Zähne die Speisen nicht kauen. Schmerzen am sogen. McBui-
n ev sehen Punkte haben nach Treves keinerlei diagnostische
Bedeutung für das Bestehen einer Appendizitis. Er weist durch
Zeichnungen, die auf Grund von 50 Leichenuntersiichungen an-
o-efertigt wurden, nach, dass in den meisten Fällen die Basis der
Appendix gar nicht diesem Punkte entspricht, wohl aber liegt liier
die Valvula Bauliini; Druck auf diese Stelle löst aber auch bei
Gesunden Schmerzen aus. Ferner glaubt Treves nicht, dass man
die Appendix oft fühlen kann, der walzenförmige Körper,
den man in dieser Gegend zuweilen fühlt, besteht aus kontrahierten
Fasern des M. rectus oder des obliquus resp. des M. transyeisus.
(Sein- häufig haben mir Patienten erzählt, dass wohlbekannte
Spezialisten nicht nur ihre Appendix, sondern sogar Ab¬
knickungen und Erweiterungen in derselben gefühlt haben, . was
natürlich den Kranken äusserst imponiert. Ref.) Am inter¬
essantesten ist, was Treves über die Therapie der Appendizitis
sagt Da die grosse Mehrzahl der Fälle spontan in Genesung ubei-
geht und die Mortalität dieser Fälle nur etwa 5 Proz. betragt, so
verwirft er die Frühoperation, die eine Mortalität von mindestens
20 Proz. aufweist. Frülioperationn sind nur gestattet in den sogen,
foudrovanten Fällen, die übrigens recht selten sind, sowie dann,
wenn Eiterung mit grosser Wahrscheinlichkeit nachgewiesen
werden kann. Eiterung ist aber in Anbetracht der grossen Anzahl
von Appendizitisfällen aller Art selten. Meist kann man ruhig zu¬
warten und sich für oder gegen eine Operation am 5. Tage oder
noch später entschlossen. So konservativ übrigens T re v e s nn
Anfall vorgeht, so radikal wird er nach Ablauf desselben, da ei
empfiehlt, in jedem Falle, wo ein schwerer Anfall vorausgegangen
ist einige Wochen nach Ablauf der akuten Symptome die Appen¬
dix zu entfernen. Er habe bei über 1000 Operationen dieser Art
nur 2 Todesfälle gehabt. Ist es übrigens im Anfalle zur Eiterung
gekommen und wurde der Abszess entleert, ohne dass der Wuirn-
fortsatz gleichzeitig entfernt werden konnte s<?1.e!npüAeh]t.11e^
dann eine weitere Operation, wenn wieder deutliche Anfalle aut
treten. Meist ist eine Operation unnötig, da der I rozess durch die
Eiterung zur Ausheilung kommt. Folgt der erste Anfall bei Kin¬
dern oder Erwachsenen nachweislich auf einen groben Diatfehlei
oder auf eine länger dauernde Verstopfung, so braucht man nn
der Entfernung des Wurmfortsatzes nicht sehr zu eilen, . da diese
Fälle nach Beseitigung der Ursachen häufig nicht rezidivieren.
A. E. Bark er: Enterektomie im Vergleich zum Kunst-
Der bekannte Londoner Chirurg bricht in diesem Aufsatze eine
Lanze für die häufigere Ausführung der Enterektomie gegenubet
der temporären Anlage eines Kunstafters. Er verwendet nie me
Knöpfe oder ähnliche Hilfsmittel zur Darmnaht, sondern naht
stets fortlaufend, auch macht er stets die Ende zu Endeveremigung.
Henry B. Robinson: Die Entfernung tief sitzender Chole¬
dochussteine vom Duodenum aus. (Ibid.)
Verfasser beschreibt an der Hand zweier von ihm mit Gluck
operierter Fälle die Indikationen und die Technik dieser Operation,
die er bei tief sitzenden Steinen für die allein richtige halt.
B. G. A. M o y n i h a u: Jejunostomie und zwei Falle dieser
Operation. (Ibid.) . _ ,. iVl_
Nach Verfassers Meinung hat diese Operation kaum die im
gebührende Würdigung erfahren, er hält sie für indiziert bei al -
gemeiner karzinomatöser Infiltration der Magenwande, wo es un¬
möglich ist, eine gesunde Stelle zur Vornahme der Jejunostomie zu
finden; ferner bei allgemeiner Schrumpfung des Magens nach v e -
ätzungen, schliesslich bei sehr ausgesprochener Hyperchlorhydne,
macht man in solchen Fällen die Gastroenterostomie, so bekommt
man leicht Perforationen der Darmwand durch die Entstehung
eines Ulcus pepticum. Er verwirft dagegen die von C a c k o M
auf gestellte Indikation, bei lang dauernder Hamatemesis den
Magen durch eine Jejunostomie ruhig zu stellen, dies kann d ui c
eine Gastroenterostomie viel besser erreicht werden. _ Als Opera¬
tionsmethode empfiehlt er die Anlegung einer W 1 1 z e D senen
Schrägfistel am Jejunum; die May dl sehe Operation mit pu
trennung des Jejunums und Einpflanzung des proximalen Stuinpies
in das untere Ende und Einnähen des distalen Stumpfes in a
Wunde verwirft er als komplizierter und gefährlicher. _
W. A. Mackay: Lokalisierte Peritonitis bei Typhus.
Heilung durch Operation. (Ibid.)
Bei einem 44 jährigen Manne traten am 33. Krankheitstag
eines Typhus plötzlich Symptome auf, die auf Perforation e
Ulcus typhosum schliessen Hessen. Paul aus Liverpool s
sich der Diagnose an und operierte, fand aber etwa 6 Zoll
halb der Valvula ileo-coecalis nur einen sehr verdickten und enx
12. Ausnist 1902.
MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
zündeten Pe yo r sehen Plaque, in dessen Nähe das Peritoneum
injiziert urjd fibrinös belegt war. Der Kranke genas- VerfnS
sclirealit dies der Operation zu. doch kann Referent’ del ßnmd
dafür nicht einsehen, da doch nur eine Probelaparotomie gemacht
und die erkrankte Stelle ganz in Ruhe gelassen wurde. Wohl abei'
zeigt der lall, wie überaus schwer die Diagnose 'dieser Per
torationen oft sein kann. “
Bruce: Operativ geheilte Perforation bei Typhus (Gun
dian Lancet, März 1902.) " ana-
. Bei einem 29 jährigen Manne traten am 14. Krankheitstage
Zeichen der Perforation auf. Nach etwa 18 Stunden wurde median
laparotomiert und eine Perforation im Ileum 10 Zoll oberhalb der
Klappe durch Naht geschlossen. Die Bauchhöhle wurde mit Salz-
losung ausgcspidt und ein Jodoformgazestreifen eingelegt. Die
endgültige Heilung erfolgte erst nach längerer Zeit, da ein grosser
subphrenischer Abszess eine zweite Laparotomie nötig machte
J 11 Perforation einer Appendix in einer Hernie.
Resektion des Coekums und des Anfangteils des Ileums. Hei¬
lung. (Und.)
Der Ueberschrift ist nur hinzuzufügen, dass Verfasser in der
Literatui noch < Falle gefunden hat. in denen der Wurmfortsatz
m einen Bruchsack perforiert war. 5 von diesen und sein eigener
v ui den durch Operation geheilt, bei einem von Cru veilhier
beschriebenen Falle ist der Ausgang nicht angegeben.
( G U V * n d: D/e cytodia&nose der Pleuraergüsse,
(beottisli Medic. and Surgic. Journ., Juni 190?)
Man zentrifugiert die Flüssigkeit, die man vermittels einer
Punktionsspritze erhalten hat und fixiert das Sediment mittels der
T< o r m a 1 in al k oh o 1 m ethod e auf einem Deckglas; gefärbt wird am
besten mit Eosin und Methylenblau. Verfasser beschreibt dann
genauer die verschiedenen Zellarten, die in den Ergüssen ange¬
troffen werden. Bei tuberkulösen Ergüssen findet man im An-
fang hauptsächlich polymorphonukleäre Zellen, später Lymplio-
cjten. Endothelzellen werden nur sehr selten angetroffen. In Er¬
güssen, die auf Infektion mit Pneumokokken und Streptokokken
beruhen, findet man reichlich polymorphonukleäre und Endothel¬
zellen. droht der Erguss eitrig zu werden, so überwiegen die
ersteren. Bei odematösen Ergüssen finden sich nur wenig Zellen
und diese sind meist endothelialer Herkunft. Bei Ergüssen im
1 1 i llia^£llel* Erkrankungen finden sich meist in grosser An-
zalil Zellen, die von der malignen Geschwulst stammen, daneben
?rphe Zellen' Verfasser glaubt, dass man auf Grund der
Zelluntersuchungen die Diagnose mit grosser Genauigkeit stellen
Kan n.
Blindheit1 1 8' s b e r 8': Operationen wegen angeborener
Verfasser operierte 3 Leute im Alter von 16, 18 und 28 Jahren
an Star, die me gesehen hatten. Er konnte feststellen, dass die¬
se heil sofort alle Gegenstände aufrecht und nicht umgekehrt
sahen, ferner beobachtete er, dass die Kranken den Gefühlssinn
m hohem Masse anwendeten, um die allgemeinen Eigenschaften
und die genaueren Umrisse der Gegenstände festzustellen.
Journal luA 19(rt ) ^ U: Sanduhrmagen- (Edinburgh Medical
Verfasser gibt eine Darstellung der Pathologie, Diagnostik
und Behandlung dieses Leidens; die Behandlung kann nur eine
;S IVecei!’ dir :4rt ,les Eingriffs, Gastroplasie, Gastro-Gastro-
stonne, Gastro-Enterostomie, partielle Gastrektomie, Pvloro-
plastik etc. richtet sich nach der Art der Erkrankung. Von 14
eigenen Fällen, die tabellarisch zusammengestellt sind, waren 2
maligner Natur, von diesen starb 1 an Pneumonie, von den 12 gut-
artigen Fallen starben 3, 1 an Sepsis infolge eines grossen rektalen
1 lolapses, 1 an Thrombose der Vena mesent. infer., 1 am 14. Tage
'kenhau11VellialtUng; die anderen Eälle verliessen geheilt das Kran-
H; Laad)ert Lack: Die Behandlung der chronischen Eite-
iung des Sinus frontalis. (Ibid.)
diP SOi1?e ™a? mit intranasaler Behandlung beginnen und
ttu eV : . ere N uschel entfernen, sowie die Siebbeinzellen eröffnen.
hJn t'S m<‘hts- so wird der Slnus von aussen eröffnet und eine
ueffe Kommunikation nach der Nase gebildet. Dann wird nach
wL Un<1 nach aussen drainiert und die Drainage mehrere
" ochen unterhalten.
l* * S- ^ b° 111 s ° n und Andrew L o r e: Salol in der Behand¬
lung der Pocken. (Glasgow Med. Journ., Juni 1902.)
Anlässlich der vor kurzem in Glasgow beobachteten Poeken-
•111« owi11',* verwendeten die Verfasser im dortigen Pockenspitale in
a isgedehntem Masse das Salol, das vielfach als sehr wirksames
V, 8ei uhmt wurde. Sie kamen zu dem Schlüsse, dass das
. 1 \ der Behandlung der Pocken absolut zwecklos und über¬
ausübt ’St UUd keinerlei Einfluss auf den Verlauf der Krankheit
(Ibidem1)10 Kerr: ITeber den Kaiserschnitt. 9 geheilte Fälle.
]<4„h!nieo 4,rbfb 8ibt .die Krankengeschichten der Fälle. In den
I,i /. , ” J' allen operierte Verfasser mit dem Fundusschnitt nach
1-imi v .7 ,lerselbe erleichtert die Extraktion des Kindes, doch
t' . .assJer mebt zugeben, dass man damit die Plazenta leich-
oder dass es weniger blutet.
und wa rd s: Der therapeutische Effekt des Lichtes
aer X-Strahlen. (Birmingham Med. Review, Juni 1902.)
r le Arbeit enthält die genaue Beschreibung einiger neuer
sind v an<1 Apparate, deren Details im Originale nachzusehen
v ertasser setzt das grösste Vertrauen auf die Behandlung
1361
des Lupus, des Lupus erythematodes und des Ulcus rodens durch
Rontgenstrahlen und zwar hält er es für wünschenswert eine
kmftige Reaktion (Dermatitis) gleich von Anfang an zu erzielen.
Artlnu Lewers: Zur Behandlung des Uteruskrebses
(Practitioner, Juni 1902.) terusKieoses.
rYffasäev hat bis 18°9 33 supravaginale Amputationen wegen
Cen xkarzmoms gemacht und 8 von diesen Fällen sind über 4
und bis zu 15 Jahren gesund geblieben. Da Vertasser nie später
als .nach Jahre;? eln Rezidiv beobachtete, so hält er 4 iähriges
I i eisein für genügend, um von einer Kur zu sprechen, und W-
iech.net demnach 24,8 Proz. Dauerheilungen nach der supravagi-
nalen Amputation; dabei verlor er keinen Fall durch die Operation
Bei der vaginalen Totalexstirpation war das Dauerresultat keines¬
wegs besser, sondern fast genau ebenso, wohl aber hatte diese
Operation. ^ Sterblichkeit ™n ™ Proz. infolge der
, Ba/Aiss: Die Bader von Bath in der Behandlung
AprifSo2)ran lten‘ ('TOlll'n- °f Baln(x>1°8y and Climatolog*
iri . Empfehlung dieses Bades in Fällen von Psoriasis
Lkzem, T rtikan.a und m leichten Fällen von Ichthyosis, auch Akne
wird häufig gut beeinflusst.
C15le* J- CnUing worth: Analyse von 100 Fällen von
Januai 19Sa * °f °bstetrics aud Gynaecology,
^ 'S erfasser gibt in dieser Arbeit mehr eine Naturgeschichte
der von ihm operierten 100 Fälle (nur abdominale Operationen)
als Indikationen und technische Winke. Von den 100 Fällen die
genau nach der Operation untersucht wurden, boten 46 der
rumoren ein gesundes Aussehen, bei 54 dagegen waren degenera-
tne Veränderungen zu finden, und zwar 27 mal ödematöse und
myxomatose Umwandlungen, 1 mal sarkomatöse, 5 mal bestand
cystische Entartung 1 ma! Verkalkung. 15 mal war der Tumor
nekrotisch und 5 mal septisch. Verfasser hält diese Liste den-
jenigen entgegen, die das Myom für eine ziemlich harmlose Ge¬
schwulst halten, deren Entfernung
Arnold W.
(Ibid.)
Nach einet
nur selten angezeigt ist.
-rrj -r ■ 0 v/'- i/Cl l, löt.
u. Lea: Zur Frage der spinalen Anästhesie,
guten T ebersicht über die Literatur dieser Frage
^eht. A erfasser zu seinen eigenen 18 Fällen über, in denen er
genau nach den Vorschriften Tuffiers verfuhr. In 15 Fällen
trat völlige Schmerzlosigkeit ein, in 2 Fällen wurde über leichten
» chmetz geklagt, in 1 Fall erreichte die Einspritzung nicht den
Ruckenma rkska na 1 und es trat demnach keinerlei Wirkung auf
sowohl Plastische Operationen wie Entfernungen
giosset Tumoren vorgenommen. Tn 40 Proz. der Fälle trat Uebel-
v<'! , and Erbrechen während der Operation auf, nur in 1 Falle
erfolgte hefüges Erbrechen nach der Operation (Pelveoperitonitis)
In ,0 Proz. der Falle wurde über starken Kopfschmerz geklagt:
1 henacetin schien, sofort nach der Operation gegeben, das Kopf-
c‘h fibzuschwachen. In 1 Falle stieg die Temperatur mit Schüttel-
frost hoch an. um dann zur Norm abzufallen. Den Schluss der
Arbeit bildet eine Zusammenfassung aller Arbeiten über die Ver¬
wendung. der spinalen Anästhesie in der Geburtshilfe.
IJalliday O r o o m: Ueber Hämatemesis nach Operationen.
(Bnt. Gynacol. Journal. Mai 1902.)
Verfasser gibt die genaue Krankengeschichte eines einschlägi¬
gen Talles und betont dann, dass seiner Meinung die Hämatemesis
fast immer auf Sepsis zurückzuführen sei.
P. .T. Frey er: Ueber Blasensteine bei Frauen. (Ibid.)
\ erfasser hat 1047 Operationen wegen Blasensteinen unter-
nommen, unter diesen Kranken befanden sich nur 25 Frauen,
doch darf nicht vergessen werden, dass in Indien, wo Verfasser
die meisten Operationen machte, Frauen nur selten den Arzt auf-
siichen. Die Operation, die für Verfasser allein in Frage koinmt.
ist die Litholapaxie. er hat nie bleibende Störungen infolge der
Dehnung des Sphinkters beobachtet.
Thomas C a r w a r dine: Die Fixation der Wanderniere mit
Karbolsaure. (Lancet, 28. Juni.)
A erfasser empfiehlt die freigelegte Niere mit reiner Karbol¬
saure zu bestreichen, um durch diesen Reiz eine festere Vereini¬
gung mit der Umgebung zu erzielen; diese Methode lässt sieh mit
allen anderen Fixationsmethoden kombinieren, er selbst zieht aber
die Ausstopfung der Wunde mit Gaze der Naht vor. 6 derarti»-
operierte Fälle wurden dauernd geheilt.
. n 1 bnrvey Hilliard: Die Nasopharyngealmethode zur Er¬
zielung längerer Lachgasnarkosen. (Ibid.)
A erfasser beschreibt und bildet einen Apparat ab mit wel¬
chem er nach Einführung einer Röhre durch die Nase eine Nar-
oA^n-n durchschnittlich 2% Minuten unterhalten kann. In über
•‘ 0 T allen traten üble Nebenerscheinungen nicht auf.
ur . JY- 'E Ni block: Krebs in Indien. (Ind. Aledic. Gazette,
Mai 1902.)
Im Madras Hospitale kamen in 10 Jahren 676 Fälle von
Krebs unter Eingeborenen zur Behandlung. Ein Drittel aller Fälle
betraf die Wange, nimmt man Zunge und Kiefer dazu, so sassen
die Hälfte aller Fälle in dieser Gegend. Verfasser führt dies auf
das Kauen der Betelnuss zurück. Lippenkrebse sind sehr selten,
da. die Eingeborenen keine Pfeife rauchen. Magendarmkrebse
sind selten, nur im Rektum werden sie häufiger gefunden. Penis-
kiebse sind häufig bei Hindus, sehr selten bei den beschnittenen
Moliamedanern. Es liess sich nicht nachweisen, dass Fleisch¬
oder Pflanzennahrung von Einfluss auf die Häufigkeit des Krebses
war, auch scheint die Malaria keinen günstigen Einfluss auszu-
1362
MUENCHENER MEDT CINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
übeir dagegen scheinen gewisse dauernde Reize, wie das Kauen
der Betelnuss und die Balanitis unter einer langen Vorhaut eine
Prädisposition für den Krebs zu schaffen^ ^ ^ ß u , c b . London.
Vereins- und Kongressberichte.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 22. April 1902.
Vorsitzender : Herr B a h r d t.
Schriftführer : Herr Braun.
(Schluss.)
Herr K r ö n i g spricht über : Geburtsleitung beim engen
Becken. (Der Vortrag befindet sich unter den Originalien diesei
Nummer.)
Diskussion: Herr Zweifel sagt, dass zwar in seiner
Klinik die prophylaktische Wendung, wie die hohe Zange und
künstliche Frühgeburt nur selten wegen Beckenenge ausgefuhit
worden seien, dass aber der praktische Arzt etwas anders diesen
Dingen gegenüberstehe. Herr Z. warnt jedoch die Aerzte vor der
Anwendung der prophylaktischen Wendung bei Beckenverenge-
ru ng 2 Grades, wo Abwarten besser sei. Die Anwendung dei
hohen Zange sei zwar im Privathaus nicht immer zu umgehen,
sie sei jedoch stets nur als Versuch zu betrachten, dem, wenn er
nicht gelinge, sofort die Perforation folgen müsse. Der Ver¬
such sei aufzugeben, wenn die kindlichen Herztöne schwach
würden; Abwarten nach misslungenem Versuch führe infolge des
andauernden Drucks zu schwerer Schädigung der mütterlichen
Veu-ht^üe-v Criegern; Durch das Vorhandensein chronischer
innerer Erkrankungen bei schwangeren Frauen sei nach , seiner
Meinung bisweilen die Indikation zur vorzeitigen Unterbrechung
der Schwangerschaft bei engem Becken gegeben. Herr v. L. tragt,
wie Herr K r ö n i g sich hierzu stelle.
Herr Litt au er; Die statistischen Untersuchungen K r ö -
n i g s zeigen, dass mit der abwartenden Methode vorzügliche Re¬
sultate zu erlangen sind; es besteht also C red es Ausspruch,
der Geburtshelfer hat 3 Eigenschaften nötig; ..Geduld, Geduld
und Geduld“ auch heute noch zu Recht. So lange wie früher
warten wir jedoch nicht mehr mit unserem Eingreifen^ darum
konnte ich auch kürzlich die Frage eines Kollegen, der Ende der
ÖO er Jahre hier studiert hatte, ob wir in Leipzig noch immer
viel Blasenscheidenfisteln hätten, dahin beantworten, dass ic
weder in meiner Praxis, noch auch in meiner Assistentenzeit eine
Ultra partum entstandene Blasenscheidenfistel gesehen habe.
Was die Operationen bei engem Becken anbetrifft, so kann
der Standpunkt des Klinikers, welchen K r ö n i g allein berück¬
sichtigt hat. nicht immer für den Praktiker massgebend sein; dort
wo im Krankenhaus die Symphyseotomie oder der Kaiserschnitt
am Platz ist, wird man in der Praxis manchmal zu zerstückelnden
Operationen seine Zuflucht nehmen müssen.
Dem, was der Vortragende über Wendung bei Schädellage und
gegen Zange bei hochstehendem Kopf gesagt hat, stimme ich völlig
beT. Nichts bringt eine Gebärende mehr in Gefahr als solch ein
misslungener Zangen versuch; nur wenn von Seiten der Mutter
die strikte Indikation zur Beendigung der Geburt gegeben ist, sollte
die hohe Zange angelegt werden, um zu versuchen, die Perforation
zu vermeiden. Die Perforation, welche von geschickter Hand aus¬
geführt. meist eine leichte Operation ist. sollte auch bei lebendem
Kind ohne Scheu angewendet werden, wenn die Mutter bei ü'W'
dauernder Geburt durch Erschöpfung und Fieber in Lebensgefahr
kommt. .
Herr K r ö n i g hat den Geburtshelfern den Staatsanwalt als
Schreckgespenst hingemalt, doch sind meines Wissens solche vom
Vortragenden supponierte Verurteilungen noch nicht vorgekommen
und werden sich wohl auch nicht ereignen, wenn man in der¬
artigem Fall dem Gericht bestimmt entgegentritt mit der Er¬
klärung. man habe aus voller Ueberzeugung das kindliche Leben
-eopfert, um das mütterliche zu erhalten. Wer in der Praxis sieht,
welch Unglück der Verlust der Mutter bedeutet, während das Kind
meist bald vergessen und häufig schnell ersetzt ist. der kann un¬
möglich kindliches und mütterliches Leben für gleichwertig _ er¬
achten. Freilich sind sehr wohl Fälle denkbar, wo wir aufs kind¬
liche Ijehen verhältnismässig mehr Rücksicht zu nehmen haben;
hier heisst es individualisieren. .
Noch mehr kommt es auf genaue Erwägung der Verhältnisse
an. wenn wir der Frage näher treten sollen, ob in einem Fall die
künstliche Frühgeburt einzuleiten sei. Hat eine Mutter, nachdem
ihr ein oder mehrere Kinder in der Geburt abgestorben sind, den
sehnlichsten Wunsch auf Nachkommenschaft, so ist man, da die
künstliche Frühgeburt, unter aseptischen Kautelen ausgefuhrt,
-ute Resultate für die Mutter gibt, sehr wohl berechtigt, sein
Augenmerk auf diesen Eingriff, dem schon mancher kräftige
Mensch sein Dasein verdankt, zu lichten. Bei einer erneuten
Schwangerschaft kann man, entsprechend den Lehren der
Statistik, wieder exspektativ verfahren, aber man wird, wenn
ereil die Frühgeburt kein günstiges Resultat ergeben hatte, recht¬
zeitig an Symphyseotomie und Kaiserschnitt zu denken habt .
Herr K r ö n i g- Die Durchsicht der Geburtsprotokolle habe
ihm gezeigt, dass durch Anwendung der hohen Zange die Prognose
für das Kind niemals gebessert würde, sie habe in jedem Fall ver¬
sagt. Er habe nur darauf hinweisen wollen, dass das Leben des
Kindes im allgemeinen etwas höher eingeschätzt werden solle,
als geschehe. Er stimme Herrn Litt au er bei, dass bei
fiebernden Schwangeren natürlich perforiert werden 1
in den von Herrn v. Criegern erwähnten Fallen, die Pertoia
Ä da indiziert nicht wegen de* engen Becken* t sondern
wegen der Erkrankung der Frau, em neuer Faktor, dei in der
von ihm herangezogenen Stastistik absichtlich ganz aussei A(
geblieben sei.
Sitzung vom 6. Mai 1902.
Vorsitzender ; Herr Curschmann.
Schriftführer : Herr Braun.
Herr Marchand sprach unter Vorlegung von Präparaten
und Abbildungen über ein junges menschliches Ei im Uteius^
Das Alter des Eies ist auf etwa 10—12 Tage zu schätzen. 1 e
Grösse der Fruchtkapsel, welche sich nur wenig über die e -
fläche vorwölbte, beträgt in der Längsrichtung etwa 1,5 em. m
der Breite 5—0 mm. Das allseitig von Züttchen umgebene Ei ist
von einer dicken ektodermalen Zellwucherung umgeben, welche
durch Zusammenflüssen der sogen. Zellsaule an den Enden dei
Chorkmzöttchen entstanden ist. und der Innenfläche der Kapsel an¬
liegt Nur stellenweise ist eine nachträgliche Lockerung ein„e-
treten Die eigentliche Eiblase ist stark zusammengefaltet dei
Embryo bis auf zerstreute Reste von zusammenhängenden Epithel-
reihen zerstört (die Sektion der Leiche - es handelte sich um em
19 jähriges Mädchen, das infolge einer Schussverletzung gestoi ien
war — hatte erst 18 Stunden p. m. stattfinden können). Der m -
lere Teil der Decidua capsularis besteht aus einer homogenen G
rinnungsmasse mit wenigen eingelagerten Zellen, -ehrend d e
seitlichen Teile noch Drüsen und Gefasse enthalten. An der Ba .
ist noch etwa die Hälfte der Schleimhaut mit stark erweiterten
Drüsen erhalten. Die an die Höhle angrenzende Schicht zeigt be-
Snnende dezldnale Umwandlung Bildung von
ausserdem aber sehr reichliche, von der Innenfläche aus n dieliete
e SS ektodermale Zellen, welche die an die Hoh e he, -am
wuchernden Drüsen und Gefässe zerstören. Vielfach liegen an
der Innenfläche, aber nirgends in der Tmfe grosse vielkennge Sy
cytiummassen von derselben Beschaffenheit,
umgebenden. Die Eröffnung von Gefassen an de^ "®l
Kapsel konnte M. nirgends nacliweisen: auch enthielt der eigent
liehe Zwischenzottenraum kein Blut, höchstens hie unr <
einige rote Blutkörperchen, so dass M. es für mindestens sehr wahr¬
scheinlich halten muss, dass in diesem frühen Stadium der Gravide
tat der intervillöse Raum normaler Meise frei von Blut ist. ^ Die
„.anze Lagerung des Eies in der Schleimhaut, die fortschreitende
Zerrfönmg desselben durch die ektodermale Zellwucherung spricht
nach Ansicht des Vortragenden dafür, dass das menschbche Ei.
wie es zuerst von Graf v. Spee angenommen, von Peters tur
sein sehr viel jüngeres Ei im Uterus nachgewiesen ist, sich nicht
der Oberfläche der Schleimhaut anlagert, sondern m diese ein¬
dringt und sich innerhalb derselben weiter entwickelt.
Diskussion; Herr Zweifel; Bei der Tubarschwanger-
scliaft ist von Fiitli das Eindringen des Eies in die Schleim¬
haut nachgewiesen worden. Die Zotten wuchern da sogar .urc
das Tubenrohr hindurch, so dass der Vergleich mit einer mal gnen
Neubildung sehr nahe liegt und auch nach emgetretenean Tuben
nbort die Gefahr für die Kranke nicht beseitigt ist.
noch nachträglich die Chorionzottengefässe arrodieren und zu
schweren Blutungen Veranlassung geben können.
Herr Saxer demonstriert einen Fall von totlicher Darm
blutung aus einem kleinen Geschwür des Duodenum. dicht unter¬
halb des Pylorusringes, bei einem 3 tägigen Säugling (Melaena
Herr Curschmann berichtet über einen 32 jährigen Kran¬
ken der mit Milztumor, kleiner, harter Leber, ohne Aszites und
Meteorismus, mit schweren, schliesslich zum Tode führenden
Magenblutungen seiner Abteilung zugeführt wurde. Die Diagno.^
wurde auf Lebercirrhose mit kompensatorischer Dilatation aei
M n (rpiivonon irestellt.
Herr Saxer demonstriert das durch die Sektion gewonnen«
Präparat dieses Falles. Es handelt sich um einen kolossalen, in
den Magen perforierten Varix anastomoticus, der das Ptoitade
blut von der Vena lienalis zu den Kardiavenen und von diesen zur
Vena suprarenalis sin. und damit zum Gebiet der unteren o
ader geführt hatte. Die Leber bot das Bild einer schweren Alkohoi-
1 Herr Steine rt demonstriert einen Fall der in Leipzig be¬
kanntlich äusserst selten zu beobachtenden Tetanie. Der Knin
ein 2(1 jähriger Weber, hat vor 2 Jahren schon eine wohl als
Tetanie anzusprechende Krankheit überstanden: ohne Vorboten
plötzlich eingetretene 8 tägige Bewusstlosigkeit, «larnach wochen¬
lang unter anfänglich hohem Fieber „Zuckungen“ m Armen und
Beinen, Leib und Rücken, nach 8 tägiger Pause wiederum unter
Fieber eintretende Zuckungen der gleichen Art, die auch Wochen
lang anhielten und zuletzt sich vorwiegend auf einen Tre™or
rechten Beins beschränkten. Jetzt ist Fatient, am Ende e
12. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1363
8 monatlichen Internierung im Zwickauer Gefängnis, von neuem
mit Anfallen von heftigem Schwindel und Schwarz werden vor den
Augen ei ki an kt. Buhl darauf traten anfallsweise Spannungs¬
zustände in Armen, Beinen und in der Kiefermuskulatur ein die
von einem Schmerz begleitet wurden, „als ob Patient elektrisiert
wurde“. Aehnliche Schmerzen in Leib und Rücken.
Im Krankenhaus wurden Anfälle von typischem, tetanischem
tonischem Krampf in den Armen (Geburtshelfer- und Pfötclienstel-
lung) und Beinen (Klauenstellung der Zehen) beobachtet, auch vor-
übeigthendei Masseterenklonus. Die Krämpfe sind von jenem
eigentümlichen Schmerz, vom Gefühl des Einschlafens der Glieder
und von Vertaubung der Sensibilität in den Fingerspitzen begleitet.
Auf warme Bäder mit nachfolgenden Einpackungen blieben die
Anfälle sehr bald aus. Dagegen besteht noch ein andauernder,
lebhafte!, giober Treanor beider, ganz besonders aber des rechten
Beins. Jedes Manipulieren an den unteren Extremitäten, ins¬
besondere auch die Auslösung der äusserst lebhaften Hautreflexe
steigert den Tremor. Starke Willensanstrengung dämpft ihn für
Sekunden. Chvostek sches und Troussea u sches Phäno¬
men sehr deutlich, bei leichtem Druck auf die Extremitätennerven-
stämrne lebhaft schmerzende, ausstrahlende Parästhesien, an den
Armnervenstämmen tageweise Steigerung der galvanischen Er¬
regbarkeit.
Die Sehnervenpapillen, wie sie auch andere gefunden haben
rot injiziert, mit weiten Venen.
Kein Fieber, keine sonstigen Anomalien des Status der
inneren Organe oder des Nervensystems.
Die Frage, ob Neuerkrankung oder neuer Anfall der die letzten
2 Jahre latent gebliebenen Erkrankung, muss offen bleiben.
Die genaueste ätiologische Exploration bietet keinen weiteren
Anhalt für die Erklärung der Entstehung des Falles. Bezüglich
des besonders starken und hartnäckigen Tremors im rechten Bein
ist von Interesse, dass Patient an seinem Webstuhl mit diesem
Bein hat anhaltend schwer treten müssen, während das linke ruhte.
Aerztlicher Verein München.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 14. Mai 1902.
Schriftführer : Herr Grassmann.
Bei Beginn der Sitzung gedachte der 2. Vorsitzende mit war¬
mer Anerkennung des bisherigen 1. Vorsitzenden, Herrn Prof.
Dr. Moritz, der infolge seiner Berufung als Direktor der medi¬
zinischen Klinik in Greifswald seine Funktion niedergelegt hat.
Um dem Danke für seine Verdienste um den ärztlichen Verein
Ausdruck zu verleihen, beschloss die Versammlung die Absen¬
dung einer Adresse an Herrn Prof. Moritz und die Ernennung
desselben zum korrespondierenden Mitglied des Vereins.
Herr v. Heinleth - Reichenhall, als Gast anwesend, de¬
monstriert einen Patienten:
Der Kranke, den ich Ihnen heute vorzustellen die Ehre habe,
ist Ihnen wohl vom vorigen Jahre noch bekannt. Vor 3 Jahren
hatte ich ihm ein grosses Sarkom der rechten Tonsille (nach
Krönlein) entfernt ’). Er ist heute noch rezidivfrei und darf
man hier wohl eine Dauerheilung annehmen.
Ein Vierteljahr, nachdem Sie im letzten Mai den Kranken hier
zu untersuchen Gelegenheit hatten, trat nun auch auf der linken
Seite eine Geschwulst auf. Mitte August gab die Tonsille zu leich¬
ten Beschwerden Anlass und vergrösserte sich.
Meine Untersuchung am 1. September ergab eine mässige
Grossenzunahme, mässig harte Konsistenz, glatte Oberfläche mit
blasser Schleimhaut (gegenüber der blaurötlichen der rechts¬
seitigen grossen Geschwulst). Drüsen resp. Metastasen konnten
nicht nachgewiesen werden. Die klinische Diagnose wurde durch
den mikroskopischen Befund, den Herr Privatdozent Dr. Borst
in Würzburg die Freundlichkeit hatte mir zu geben, bestätigt;
es handelte sich wieder um ein Rundzellensarkom.
Da die Geschwulstbildung nicht auf dem Boden des früheren
Operationsgebietes aufgetreten ist, so kann ich, zumal diese rechte
eite rezidivfrei blieb, die Erkrankung nicht als Rezidiv ansehen,
sondern muss sie auf Grund einer vorhandenen Prädisposition
als Neuinfektion ansprechen. Ich kann mich nicht davon über¬
zeugen, dass nach einer längstüberstandenen rechtsseitigen Pneu¬
monie eine linksseitig auftretende Lungenentzündung ein Re¬
zidiv sein soll und nicht eine Neuerkrankung gemäss besonderer
V eranlagung.
In meinem vorigjährigen Vortrage hatte ich die Ansicht aus¬
gesprochen, dass bei vorgeschrittener maligner Degeneration nur
allein die extraoralen ausgedehnten Operationsmethoden (nach
K r o n 1 ein, v. Mikulicz, Brehm u. a.) am Platze seien, dass
man aber bei Beginn der Erkrankung, so lange der Tumor noch
liiein ist und keine Metastasen nachweisbar sind, wohl mit der von
Alex. F raenkel vorgeschlagenen intrabuccalen Exstirpation
auskommen kann. Demgemäss habe ich nach vorheriger Unter-
omaung der Art. carot. ext., bei welchem Eingriffe sich einige
Kleine verhärtete Dräschen fanden, den Tumor bei hängender
xoptlage vom Munde aus entfernt. Entgegen der lange dauern-
*) Siehe Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 35 u. 36.
den Heilung nach der eingreifenden ersten Operation der rechten
Seite ging hier die Wundheilung rasch von statten, so dass der
Kranke 11 Tage nach der Operation (18. IX. 01) geheilt entlassen
werden konnte.
Da der Kranke heute, nach Verlauf von % Jahren, rezidivfrei
ist, darf man hoffen, dass hier die schonendere Operationsmethode
zu gleich gutem Resultat führt, als auf der rechten Seite
Hierauf demonstrierte Herr G. Klein eine Kranke bei wel¬
cher er den suprasymphysären Querschnitt mit gutem Erfolge
ausgeführt hatte.
Es spricht sodann Herr Gr, Klein über: Operative Be¬
handlung des Gebärmutterkarzinoms. (Der Vortrag wird in der
Müncli. med. Wochenschr. publiziert werden.)
Ueber die beiden folgenden Vorträge des Herrn J. Decker:
Zur Diagnose des Sanduhrmagens, und des Herrn Ad. Schmitt:
Zur Theiapie des Sanduhrmagens, findet eine Diskussion nicht
statt. Die Ausführungen darüber werden in der Münch, med.
Wochenschr. veröffentlicht werden.
Am Schlüsse der Sitzung machte Herr Fr. Craeme r Mit¬
teilungen über die Konstituierung und seitherige Tätigkeit des
Komitees, das sich zuerst unter dem Vorsitze des Herrn Geh. Rat
v. Z i e m s s e n, dann nach dessen Tode unter jenem des Herrn
Prof. Moritz, nunmehr unter dem des Herrn Prof. Obermedi¬
zinalrats v. Anger er gebildet hat, um auch in München Fort¬
bildungskurse für Aerzte ins Leben zu rufen. Auf Umfrage
haben sich eine grosse Zahl von Professoren und Dozenten der
Lniversität, sowie praktischer Aerzte zur Abhaltung von Kursen
und Vorlesungen bereit erklärt, die unterdessen bereits ihren
Anfang genommen haben. Mit dem Satze: „Die beste Waffe
gegen die Kurpfuscherei sind gute Aerzte !“ schloss Craeme r
seine mit Beifall aufgenommenen Ausführungen.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. Juni 1902.
Vorsitzender: Herr Karl Koch.
Heu Landmann demonstriert eiueu Fall von multipler
Neurofibromatose.
Herr Alexander stellt einen 55 jährigen Manu vor der
ihm wegen Sehstörungen zugewiesen wurde. Patient ist Tüncher
und hat in den letzten Jahren ausschliesslich mit Bleifarben ge-
ai beitet. Er klagt auch über „Reissen“ in den Füssen, zeigt
ausgesprochenen Bleisaum an den Zähnen. Vor seinem linken
Auge nimmt er seit einiger Zeit „einen Nebel“ wahr. Lues
negatur. Auf dem rechten Auge ist nichts Abnormes nach weis-
bdi, dagegen besteht aut dem linken eine Atrophie der Sehnerven-
scheibe mit unscharfem Rande (neuritische Atrophie). Die Ge¬
lasse auf der Papille und noch in ihrer Nachbarschaft zeigen
zirkumskripte Einschneidungen und Verengerungen. R -j- 0,75 D,
S = Vs, D -j~ 0,75 D, S — 7 24. Gesichtsfeld rechts normal,’ links
für Farben stark konzentrisch eingeengt (bis auf 10 °).
Nachdem Patient die Beschäftigung mit den Bleifarben auf¬
gegeben und täglich Jodkali genommen igb und zu auch ge¬
schwitzt), tritt wesentliche Besserung ein. Die Gefässverände-
rungen gehen z. T. auch zurück. Der Visus steigt auf */■&—' V8.
\ ortr. spricht im Anschluss über Bleischädigungen des Seh¬
organs.
Herr E. Rosenfeld demonstriert die Präparate von per
vaginam exstirpierten Adnexen und von einem exstirpierten Myom
mit etwas ungewöhnlichem Sitz.
Heu Carl Koch zeigt das Präparat eines retrograden ein¬
geklemmten Netzbruches, ferner eines Tumors einer Ileum-
sclilinge mit Darmvolvulus. Bei der histologischen Untersuchung
erwies sich der Tumor als ein Fibromyom mit fraglicher sarkoma-
töser Entartung.
Herr Stich zeigt die Sektionsergebnisse einer 93 Jahre
alten Frau, welche unter dem Bilde allgemeinen Kräfteverfalls
gestorben war. Die Patientin war seit Jahren auf der Kranken¬
abteilung des Hospitals z. heil. Geist, sie litt insbesondere nie an
Atmungsbeschwerden oder Asthma; sie fieberte nicht und hustete
nicht.
Die Sektion wurde von dem Prosektor des hiesigen Kranken¬
hauses, Herrn Dr. T h o r e 1, gemacht.
Es fand sich Arteriosclerosis universalis, Aneurysma throm-
boticum aortae descendent., Bronchopneumonia, Tubercul. pulmon.,
Hypertrophia ventriculi cordis sin., Diverticula flex. sigmoideae,
Tuberculosis miliar, peritonei.
Die Lungen sind von gewöhnlicher Grösse, blass, trocken
und lassen in sämtlichen Lappen schon äusserlich schrotkorn- bis
erbsengrosse Knötchen durchfühlen. Den grösseren derselben ent¬
sprechen auf der Schnittfläche scharf abgesetzte, knotige, graue
broncliopneumonische Herde, von denen einige im Zentrum etwa in
Lmsengrösse käsig zerfallen aussehen; die kleineren sclirotkorn-
grossen Verhärtungen entsprechen teils anthraktischen Indura¬
tionsherden, teils setzen sie sich aus derben Konglomerattuberkeln
13C4
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCIIRII T.
No. 32.
zusammen. Im rechten Unterlappen ist (las Gewebe überdies im
»•ui/en im Luftgohalt reduziert und es linden sich an diesei Stel
ziemlich reichliche, konüuierende, schlaffe bronc
Herde an deren Schnittfläche sich eine trübe Iluswgkeit abstieiren
lilsst, während aus den durchschnittenen Bronchien auf Druck
einisre eitrige Sekretpröpfe hervorquellen. . , .
Das Herz ist ziemlich klein, fettarm und besitzt eine derbe
•dinzlose gleichmässig tiefdunkelbraune Muskulatur; (lei 1 ecliU.
S ist normal, der linke bei engem Immen aussei'orden heb
verdickt; an der Basis eines Zipfels der Mitralis dicke koia e
Kalkspangen. Die Koronararterien sind duxcliaus ligide
uud^erheblich verengt. Die Aorta namentlich
stände einer hochgradigen Arteriös kleu se mit
Thrombenauflagerungen auf den GeschO uistiac lie . •
oberhalb ihrer Teilungsstelle findet sich ein liuhnereigio. . .
vollkommen durch grösstenteils ältere, entfärbte Gerinnsel throm-
bosiertes Aneurysma.
Die Leber ist schlaff, ihre Zeichnung verwaschen
Milz ziemlich gross, mit knorpelig verdickter Kapsel, zeiat
eine dunkle Schnittfläche. . , infoH-t
Nieren klein, mit schmaler Kortikalis, zeigen vielfache Intaik
""'»tagen- und Darmkanal normal bis aut die Fleaura sigmoidea,
welche mit massenhaften falschen Divertikeln besetzt ist,
Blase ohne besonderen Befund. , . ,
Im Uterus ein kleiner Schleimhautpolyp; ausserdem besteht
ein linksseitiger beträchtlicher Hydrosalpinx wegen V erlotung des
abdominalen Tubenendes. . sk.h eine
lieber das gesamte Mesenterium verstient zei„t
frische disseminierte Miliartuberkulose.
Herr Seiler berichtet über einen tödlich verlaufenen Un-
"liicksfall. Die Sektion ergab einen intraduralen Bluterguss.
gefässe, wie sie in der Literatur zahlreich beschrieben sind, allein
in einer sauerstoffhaltigen Umgebung junge Herzen ijoch lange
schlagen. . , _T , ,
2. Uebereinstimmend mit der Literatur fand \ ortragender,
dass der linke Ventrikel zuerst, dann der rechte Ventrikel, Mer
rechte und linke Vorhof und ganz zuletzt die Muskelpartie un¬
mittelbar am Eintritt der Vena cava sup. die Aktion einsteilt:
Nach Abstreifung des Perikards, aus dem das Organ wie aus einer
umspannenden Membran hervorspringt, kehrt sich diese
Reihenfolge um und der linke Ventrikel scliliesst mit seinen
Zusammenziehungen den Ablauf der Erscheinungen, die natür¬
lich zahlreiche Komplikationen enthalten, ab.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 7. Februar 1902.
Herr Wölfler demonstriert einen Patienten mit einem
Tumor cavernosus, der sich fast über das ganze Gesicht erstreckt
Tumor cavern osu , an den bereits demonstrierten Fall
von Queckmlberoxycyanvergiftung. der unter den Erscheinungen
der Urämie zu Grunde ging. Die Untersuchung des Blutes eigab,
als noch keine Erscheinungen der Urämie bestanden, einen Harn¬
stoffgehalt von 0,04 Proz., welcher mit Eintreten der uiamischeu
Toxikose auf 0,0 Proz. anstieg, ein Befund, den v. J ak s c h al
beweisend für die Ansicht, dass bei der Uraemie der Hamstott-
gehalt des Blutes steigt, ansieht «^rvöser
Herr v Jaksch stellt einen weiteren 1 all on nervöser
•Rrkrankune bei einem Manganarbeiter vor. Der Kranke klagt
über Parästhesien in den Extremitäten, die Reflexe sind gesteigert.
Die Untersuchung des Harnes ergab die Abwesenheit ton Mangan.
J glaubt, es handle sich in diesen Fällen um keine Manganver¬
giftung, sondern um die Einwirkung von grosser Hitze einerseits
und grosser Kälte andererseits, da die Arbeiter auf heissen Platten
ton ca. 120° bei einer Temperatur des Kopfes ton 4 toiee
“^ETLgt dann die Vorstellung eines Falles von Akromegalie
mit eigentümlichem Spitzenwachstum der rechten Hand und zum
Schlüsse ein Fall von Morbus Basedowii mit Veränderungen im
Knochensystem. Bei einem Mädchen, bei dem wegen des be¬
stehenden M. B. eine Unterbindung der Art. tliyreoidea toi-
genommen worden war, traten Spontanfrakturen an Radius und
Ulna auf bei gleichzeitiger beginnender Delormation des ihorax.
Blutbefuud normal, ebenso Stoffwechsel.
Herr Walko: Ein Fall von multipler halbseitiger Gahirn-
und Zervikalnervenlähmung, bedingt durch einen Hirntumor.
Academie des Sciences.
Sitzung v o m 10. Juni 1002.
Ueber den Gehalt des Organismus an Arsenik.
Gabriel Bertrand vervollständigte die bekannte Marsh-
sclie Methode bis zu dem Grade, dass es möglich war, ein lausend-
stel und sogar ein Zwei tausendstel eines Milligramms Arsenik zu
erkennen. Die Frage, ob im tierischen Organismus normaler IV eise
Arsenik vorhanden ist, musste er auf Grund seiner Untersuchungen
unbedingt bejahen; er vermied es jedoch, Schilddrüsen und von
Menschen stammendes Gewebe zu verwenden, da es tast unmöglich
ist festzustellen, ob die betreffenden Individuen nicht irgend eine
Arsenikvergiftung einmal durchgemacht haben; ebenso verniie(
er die Untersuchung an Pferden, da diese manchmal mit Aisenik
behandelt werden. B. suchte zuerst nach Arsenik in der Schild¬
drüse des Kalbes und Schweines, dann m den Boisten dieses
Tieres, in den Federn der Vögel, in den Hörnern des Ochsen den
Haaren und Nägeln des Hundes u. s. w. uml fand dass das Hoin-
gewebe ganz besonders reich an Arsenik sei, viel reicher als d
Schilddrüsen. Die Haut und selbst die Leber zeigten noch Spuren
des Metalloids. Bei der Feinheit seiner Methode halt B. jede
Möglichkeit, dass der Gehalt an Arsenik von zufällig in die Re-
agentien gelangten Verunreinigungen abhänge, für ausgeschlossen
und somit die ersten bezüglichen Angaben von Arm. Gautiei,
welche besonders von deutschen Gelehrten iHodlmosei,
Ziemke, Czerny) Widerspruch erfahren haben, tm \ollig ei-
wiesen.
Ueber die Produktion von Glykose durch die Muskeln.
Cadeac und Maignon kamen bei ihren Untersuchungen
zu folgenden Schlüssen. Die Muskeln produzieren, wie die Leber,
nach dem Tode immer Zucker. Die in Oel bei einer leinperatui
von 37 11 getauchten Muskeln produzieren mehr Zucker wie die
hei gleicher Temperatur der Luft ausgesetzten. Die Muskeln,
welche man mit Eis umgibt, erzeugen das geringste Quantum
Zucker. Die gequetschten oder komprimierten Muskeln Pro¬
duzieren das Maximum von Zucker (mehr als die in Oel ge¬
tauchten). Diese Funktion der Muskeln ist unabhängig von jedei
Fäulniswirkung.
Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Würzburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 20. Juni 1902.
1 Herr Hofmeier: Demonstrationen: a) Cyste des
Gärtner sehen Ganges, Hämatometra lateralis vortäuschend.
IM Uterus duplex mit Karzinom im rechten Uterus, c) Schwanger¬
schaft im rudimentären Nebenhorn des Uterus, d) Schwanger¬
schaft im rudimentären Nebenhorn bei Uterus umcorms.
e) Graviditas uteri myomatosi in 2 Präparaten.
2. Herr G. Sommer: Beobachtungen am jungen Säuge-
tierherzen.
1. Bei den mit Chloroform getöteten ganz jungen, meist
neugeborenen Katzen, Kaninchen und Hunden wurde der Brust¬
korb eröffnet, worauf nach kurzer Zeit das Herz wieder zu
schlagen begann. Die nach Unterbindung der grossen Gefässe
herauspräparierten Herzen wurden nun in 15 bis 20 ccm einer
Lösung von 0,7 proz. CINa unter Zusatz von 1—2 ccm IL 02 bei
Zimmertemperatur aufgehängt. Auf diese Weise konnte die
Frist, bis die Herztätigkeit völlig erlosch, viele Stunden, in einem
Falle bis zu 31 Stunden ausgedehnt werden. Diese Versuche zei¬
gen, dass auch ohne Durchströmung des Herzens oder der Herz-
Societe de Therapeutique.
Sitzunge n v o m 11. — 25. Juni 1902.
Die Wirkung des Arrhenals bei Tuberkulose.
Nach einer Arbeit von Vigenau d, welcher das Arrhenal
in hypodermatischer Injektion und in Pillen (Dosis von 2— o cg)
anwandte, bewirkt dasselbe Erscheinungen von Lungenkongestion
und oft sogar Hämoptysen; V. sieht daher dieses Medikament als
gefährlich bei Lungentuberkulose au.
Bolognesi fand niemals diese Nebenwirkung des Arrhenals,
er liess dasselbe in titrierter Lösung (5:100 (lest. Wasser) m der
Dosis von 20—30 Tropfen Morgens 6 Tage hindurch nehmen,
0 Tage wieder aussetzen u. s. f.; er hält das Arrhenal für em
vorzügliches Mittel bei Lungentuberkulose, welches Appetit macht,
bessere Atmung und Fettansatz bewirkt, das Allgemeinbefinden
bessert, mit einem Wort wie Arsenik wirkt, ohne die Uebelstanae
der Arsenikpräparate in hoher Dosis zu besitzen.
Le Gendre liebt hervor, dass für die Anwendung dt .
Arrhenals ebenso wie für die der Kakodylpräparate Fieber und
Hämoptysen Gegenindikationen bilden. .
Dan los wendet das Arrhenal gegen Psoriasis an und zwai
gewöhnlich in der Dosis von 0,4 g pro Tag; er ist erstaunt, wie
leicht diese hohen Gaben ertragen werden, so dass er sie noen zi
steigern beabsichtigt; von Seite der Lungen hat er nie Ne
erscheinungen beobachtet.
Ueber das Hypnopyrin.
Das Hypnopyrin ist ein Chlorderivat des Chinins, es stellt sich
in Form langer prismatischer Nadeln von Perlmutterglanz dar. ha
bitteren Geschmack und leichten Chlorgerucli; es ist leicht losiia
in heissem Wasser und in Alkohol. Das Hypnopyrin ist HUg £
ein schmerzstillendes, hypnotisches und antithermisches . 1 •
ohne dabei profusen Schweiss oder Kollaps herbeizutuliren, , .
dies bei den analeptisclien Mitteln der aromatischen Gruppe sonst
der Fall ist. Es setzt die Temperatur nur um y2-l "
Dosis von 0,5—1 g herab und hat dabei den Vorteil, die Oxydations
12. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1365
Vorgänge nicht zu verlangsamen. B o 1 o g n e s i und Charpen-
t i e r haben mit dem Hypnopyrin ausgezeichnete Erfolge gehabt
bei infektiösen Fiebern, wie bei Influenza, Typhus, bei den akuten
Exanthemen, bei Angina, ferner bei Kopfschmerzen, Neuralgien
Rheumatismus u. s. w. Unschädlich für den Magen, hat es eine
tonische und aperitive Wirkung wie das Chinin, ohne den Magen-
Darmkanal zu reizen. In Cachets, Pillen (von 0,1— 0,2 g) oder
Suppositorien wird es verordnet, die Dosis in 24 Stunden ist 1—2 g
für den Erwachsenen; das Hypnopyrin ist von absoluter Unschäd¬
lichkeit.
Societe medicale des hopitaux.
Sitzung vom 27. Juni 1902.
Die Beziehungen zwischen Scharlach und Tuberkulose.
S i m o n i n erinnert an die alten Ideen von R i 1 1 i e t und
Barthez über den Antagonismus zwischen Scharlach und Tuber¬
kulose und bringt dann eine Reihe klinischer, an Erwachsenen
gemachter Beobachtungen. Die Beziehungen zwischen beiden
Krankheiten lassen sich demnach in folgender Weise zusammen¬
fassen. Dieselben sind beim Erwachsenen keine antagonistischen
Krankheiten, sie können aufeinander folgen oder sich in verschie¬
denen Formen assoziieren. Bricht bei einem Tuberkulösen Schar¬
lach aus, so kann er einen gutartigen Charakter haben, er kann
aber von Anfang an auch bösartig sein und zwar scheint dies
besonders dann der Fall zu sein, wenn die Tuberkulose älterer
Natur, zuweilen sogar ganz latent ist; es scheint das von tief¬
gehenden Veränderungen der Leber, die alten Datums sind, her¬
zurühren (tuberkulöse Imprägnation des Parenchyms oder der
Gefässe). Das Scharlachgift bewirkt bei solchen Individuen leicht
akute Insuffizienz der antitoxischen Eigenschaften der Leber und
raschen Tod durch eine veritable Intoxikation.
Sitzung vom 4. Juli 1902.
Behandlung der Syphilis mit intravenösen Injektionen von
Cyanquecksilber.
Jules Renault lenkt die Aufmerksamkeit auf den grössten
Wert dieser intravenösen Injektionen; man macht dieselben in
eine Vene der Ellenbogenbeuge mit einer Lösung von 1:100; die
mittlere Dosis ist 1 ccm pro Tag oder alle 2 Tage. Die Injektionen
haben, wenn gut ausgeführt, den Vorteil, dass sie vollständig
schmerzlos sind und keine Knoten bewirken. Sie haben eine
raschere und sicherere Wirkung als die anderen Behandlungs¬
methoden und sind in Fällen schwerer Syphilis und besonders bei
Syphilis des Nervensystems indiziert. Alle die 14 Kranken, welche
mit Quecksilbercyanür behandelt worden sind und u. a. mit
Gumma, mit Rückenmarkssyphilis, mit Jackson scher Epilepsie
behaftet waren, kamen sehr rasch zur Heilung. Besonders inter¬
essant war die rasche Wirkung der intravenösen Injektion auf
den Kopfschmerz, mag er sekundär oder tertiär sein, zu beob¬
achten: er verschwindet gewöhnlich nach der ersten, immer aber
nach der zweiten Injektion.
Alex. Renault macht auf die Schwierigkeit der Methode
bei Leuten mit sehr starkem Fettpolster aufmerksam. Auch haben
Experimente gelehrt, dass selbst sehr verdünnte Sublimatlösungen
zu Phlebitis und Thrombose führen können, und schliesslich ist
nicht erwiesen, dass die intravenösen Injektionen- von Q-uecksilber-
cyaniir bei der Behandlung der Tertiärerscheinungen den Vorzug
vor der gemischten Behandlung mit Hg-Einreibung und Jodkalium
verdienen.
D u f o u r beobachtete einen Tabetiker, bei welchem die intra¬
venösen Injektionen von Quecksilbercyanür Krisen von lanzinieren-
den Schmerzen hervorgerufen haben.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Gerhardt als Konsiliarius. — Der Lehrstuhl für Ge¬
schichte der Medizin und für Pathologie und Therapie. — Die
Kurpfuschereibekämpfung.
Nach kurzer sommerlicher Ruhepause flutet jetzt vom
.Meeresstrande und vom Hochgebirge her die grosse Masse der
Berliner Bevölkerung, welche dort Erholung oder Heilung ge¬
sucht hat, in die Hauptstadt zurück und mit ihr ihre Aerzte.
Mit frischer Kraft soll die Arbeit im Dienste der leidenden
Menschheit wieder aufgenommen werden, aber der Hervorragend¬
sten einen sehen wir nicht wiederkehren, Karl Gerhardt wer¬
den wir nie mehr am Krankenbette unserer Patienten sehen.
Was Gerhardt als Forscher und Lehrer geleistet hat, wird
an anderer Stelle gewürdigt werden, hier ist es uns Bedürfnis,
seiner als eines der gesuchtesten und beliebtesten Konsiliarien zu
gedenken. In der grosstädtischen Praxis gehört die Konsultation
mit den Autoritäten der Wissenschaft zu einer feststehenden
Einrichtung, Wesen und Inhalt eines Konsiliums wird aber in
sehr verschiedener Weise aufgefasst. Der eine legt den Haupt¬
wert auf die wissenschaftlich-diagnostische Erklärung des
„Falles“, der andere auf die psychische Beeinflussung des Pa¬
tienten oder auf die Beruhigung der ängstlichen Angehörigen,
ein dritter auf eine möglichst moderne und „neueste“ Verord-
nung und auch das soll Vorkommen — auf die W ahrung der
eigenen Autorität. Von dieser letzteren Eitelkeit war Ger¬
hardt, völlig frei. Mit freundlicher Aufmerksamkeit hörte er
die Klagen der Kranken an, dann stellte er präzise Fragen und
verlangte darauf bestimmte und klare Antwort; weitschweifige
Auseinandersetzungen, welche um die Frage herumgehen, ohne
ihren Kern zu treffen, gestattete er nicht. Nach beendigter
Untersuchung nahm er sich stets Zeit, in eingehendster Weise
alle Einzelheiten mit dem behandelnden Arzte zu besprechen,
trug dabei dessen auf längerer Beobachtung gegründeter Auf¬
fassung die nötige Rücksicht, wusste seine eigene zu begründen,
ohne jemals einen blinden Autoritätsglauben zu beanspruchen,
und rief doch ungewollt stets den Eindruck einer bedeutenden
ärztlichen Persönlichkeit hervor, deren diagnostischem Scharf¬
blick eine ungeheure Erfahrung und feine Menschenkenntnis
zu Hilfe kam. Was er sprach, war kurz und präzise, aber stets
inhaltsreich, jedes Wort ein Satz, jeder Satz ein Kapitel. Ein
freundlicher Zuspruch für den Patienten, ein Hinweis auf die
sachgemässe Behandlung und die Mitteilung, dass auch die
Grundsätze für die weitere Behandlung mit dem Arzt besprochen
seien, beendete seinen Besuch. Jede seiner Konsultationen war
eine wohltuende Beruhigung für den Kranken und ein Gewinn
für den Arzt. Berlin ist nicht arm an hervorragenden Autori¬
täten aller Gebiete und an Konsiliarien, welche sich bei Aerzten
und Kranken wohlverdienter Beliebtheit erfreuen, und doch wird
die Lücke, welche Gerhardts Tod hinterlassen hat, schwer
auszufüllen sein.
Mit sehr gemischten Gefühlen sehen wir der Veränderung
im Lehrkörper der Universität entgegen, welche die Geschichte
der Medizin und die Pathologie und Therapie betrifft. Schon
wiederholt hat die Oeffentlichkeit, die allgemeine wie. die ärzt¬
liche, Gelegenheit gehabt, sich mit Herrn Schweninger
und seiner Lehre zu beschäftigen, jedesmal erregte er unliebsames
Aufsehen, niemals zum Ruhme der Wissenschaft. Als Schwe-
n i n g e r vor ca. 18 J ahren die Klinik für Hautkrankheiten
übernahm, war man über diese Ernennung allgemein überrascht;
man suchte vergeblich nach sachlichen Motiven, doch konnte mit
einem Schein von Berechtigung darauf hingewiesen werden, dass
die Pathologie der Haut früher zu seinem Arbeitsgebiet gehört
hatte. Nun wird niemand behaupten, dass in dieser ganzen Zeit
aus der dermatologischen Klinik der grössten deutschen Uni¬
versität bedeutsame Arbeiten hervorgegangen sind, durch welche
die Lehre von den Hautkrankheiten wesentlich gefördert worden
wäre. Man wird daher mit Befriedigung die Nachricht auf¬
nehmen, dass Schweninger von der Leitung der Klinik für
Hautkrankheiten und dem zugehörigen Lehrauftrag entbunden
und beides wieder dem Direktor der Syphilisklinik übertragen ist.
Aber was in aller Welt veranlasste die Unterrichtsverwaltung,
ihn auf den Lehrstuhl für Geschichte der Medizin und zugleich
auch den für Pathologie und Therapie zu berufen ? Seine Lei¬
stungen auf ersterem Gebiete dürften sich auf einen populären
Vortrag über Moden und Methoden in der Heilkunde be¬
schränken ; und was von den Auffassungen Schweninger s
über das Wesen und die Behandlung von Krankheiten in die
Oeffentlichkeit gedrungen ist, ist z. T. so phantastischer Natur,
dass es von ernsthaften Medizinern kaum ernst genommen wird.
Sollten also hier etwa nicht wissenschaftliche Erfahrung und Be¬
fähigung, sondern gewisse Neben- und Unterströmungen für die
Berufung massgebend sein, sollte vielleicht nicht für ein Lehrfach
eine geeignete Kraft, sondern für einen vorhandenen Professor
ein passender (oder unpassender) Lehrstuhl gesucht worden sein?
Indessen diese Ernennung lässt auch noch eine andere Deutung
zu. An der Berliner Universität besteht bereits ein Lehrstuhl
für die Geschichte der Medizin und ein solcher für Pathologie
und Therapie, beide Lehraufträge bleiben fortbestehen. Nun ist
aber nicht anzunehmen, dass diesen Gegenständen, welche sogar
eine Zeitlang' über Gebühr vernachlässigt waren, plötzlich eine
solche Bedeutung beigemessen wird, dass für sie, wie für die
innere Medizin, die Chirurgie und die Geburtshilfe, doppelte Pro¬
fessuren eingerichtet werden müssten. So gross ist auch der Zu¬
drang der . Studierenden zu diesen nur Vorlesungen, nicht prak¬
tische Uebungen erfordernden Fächern nicht, dass die beiden bis-
1366
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
her tätigen Professoren ihn nicht bewältigen könnten. W enn
trotzdem ein neuer Lehrauftrag erteilt wird, und zwar an einen
Mann, der sich weniger hervorragender Leistungen auf den in
Frage kommenden Gebieten als einflussreicher \ erbindungen
rühmen kann, so ist die Vermutung nicht ganz unberechtigt, dass
auf die Lehrtätigkeit des akademischen Lehrers kein besonderes
Gewicht gelegt wird, und dass er mit einer Art von Pseudo¬
professur betraut wurde, von der ein ungünstiger Einfluss auf die
akademische Jugend nicht zu befürchten ist. Mit dieser Ent¬
wicklung der Angelegenheit würden wohl zum mindesten die
akademischen Kreise gern einverstanden sein *).
Es ist auch die Befürchtung ausgesprochen worden, dass die
bewerbers abgegeben, so darf niemals ausser acht gelassen werden,
dass die Frage nacb dem Grade der Erwerbsunfähigkeit an sich
keine rein medizinische, und dass ihre Beantwortung nicht aus¬
schliesslich und in erster Linie Sache des Arztes ist, sondern in
der Hauptsache eine der vornehmsten Aufgaben der mit der Ken¬
tenfestsetzung betrauten Instanzen bildet.
(Den Aerzten kann es nur angenehm sein, wenn von ihnen
nicht immer wieder die Schätzung der Erwerbsfähigkeit in Pro¬
zenten verlangt wird. Bis jetzt wird diese Forderung an den Arzt
aber von allen einschlägigen Stellen immer wiedei gestellt. Ref.)
(Die Berufsgenossenschaft 1902, No. 2.) Kr.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 132. Blatt der Galerie bei.
II j c h a r d Foerste r. Nekrolog siehe Seite 1350.
Kurpfuscher, welche sich ohnehin als Herrn Schweninger
nahestehend betrachten, seine ex cathedra vorgetragenen Lehren
in ihrem Sinne übertreiben und für ihre Afterwissenschaft aus¬
nutzen werden. W ir glauben nicht, dass ein solches Bestreben
erfolgreich sein würde, umsomehr als die Anzeichen dafür sich
häufen, dass behördlicherseits dem schrankenlosen Treiben der
Kurpfuscher Einhalt geboten wird. Eines dieser Anzeichen ist
die ministerielle Verfügung, die jedenfalls eine schärfere ITebei-
wachung der „nicht approbierten Ileilpersonen“ zur Folge haben
wird. Es werden allerdings Stimmen laut, welche als Neben¬
wirkung der Verfügung zugleich eine Stärkung des Ansehens
dieser Heilpersonen infolge der Meldepflicht befürchten. \ on fast
noch grösserer Wichtigkeit ist daher eine kürzlich ergangene
Kammergerichtsentscheidung, durch welche prinzipiell das Er¬
scheinen der Pfuscherannoncen in der Tagespresse für strafbar
erklärt ist. Es waren der annoncierende „Heilkundige“ zu 50 M.
und die Redakteure zweier Berliner Zeitungen zu je 5 M. Geld¬
strafe in erster Instanz verurteilt und dieses Urteil in der Re¬
visionsinstanz bestätigt worden. In der Begründung wird aus¬
geführt, dass in den Inseraten der Tatbestand eines Vergehens
gegen das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes
zu erblicken ist, und dass die in den Anzeigen enthaltenen An¬
gaben (Heilung aller Haut-, Harn-, Blasen-, Nieren-, Unter- J
leibskrankheiten u. s. w. unter Garantie) zur Irreführung geeignet j
waren. Es ist völlig belanglos, dass die Strafe eine sehr gering- j
fügige ist; von prinzipieller Bedeutung ist nur die Tatsache, dass
durch Aufnahme schwindelhafter Kurpfuscherannoncen die Re¬
daktionen der betreffenden Zeitungen sich strafbar machen. So¬
mit ist diese Gerichtsentscheidung ein wichtiges Ergebnis des
Kampfes, welchen die Aerztekammer auf Grund des Gesetzes zur
Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs gegen die Kur¬
pfuscherei führt. M. K.
Verschiedenes.
Die Mitwirkung der ärztlichen Sachver¬
ständigen bei der Feststellung des Grades der
Erwerbsunfähigkeit eines Verletzten ist vom
lleichsversicherungsamt wiederum iu einem Rundschreiben be¬
handelt worden. Es ist bekanntlich wiederholt, namentlich auch
im Reichstage, zur Sprache gebracht worden, dass den über den
Grad der Erwerbsunfähigkeit eines Rentenbewerbers abgegebenen
Aeusserungen der ärztlichen Sachverständigen bei der Entschei¬
dung der Feststellungsorgane in Unfall- und Invalidenangelegen¬
heiten mitunter ein zu weit gehender Einfluss eingeräumt werde.
Das Reichsversicherungsamt weist nun darauf hin, dass die
Aufgabe der ärztlichen Begutachtung im allgemeinen in der Fest¬
stellung der physiologischen Folgen des Unfalls oder der eine In¬
validität begründenden Gebrechen ihre Begrenzung findet, dagegen
die sonstigen ärztlichen Aeusserungen, insbesondere darüber,
welchen Einfluss der Befund auf die Erwerbsfähigkeit des Renten¬
bewerbers ausübt, den in ihrer Entscheidung selbständigen Fest¬
stellungsinstanzen zwar wertvolle und bei inneren Krankheiten
sogar oft unentbehrliche, aber keineswegs bindende Unterlagen
für die Urteilsfindung bieten.
Hiernach würde es unzulässig sein, wenn — was vorge¬
kommen sein soll — die Feststellungsinstanzen eiufach den von
dem Arzte angegebenen Prozentsatz der Erwerbsunfähigkeit ihrer
Entscheidung zu Grunde legten, ohne die Frage nach dem Grade
der Erwerbsunfähigkeit selbst geprüft zu haben. Ein derartiges
Verfahren, durch das töne der wichtigsten Aufgaben der Fest¬
stellungsorgane zu einer mechanischen Wiederholung des Ergeb¬
nisses der ärztlichen Gutachten herabgedrückt werden würde, ent¬
spricht nicht der Absicht des Gesetzes.
Hat im einzelnen Falle der in der Sache gehörte ärztliche
Sachverständige auf Ersuchen oder aus freien Stücken auch eine
Aeusserung über den Grad der Erwerbsunfähigkeit eines Renten-
*) Vergl. hierzu den Protest unter „Korrespondenz“ auf
S. 1338 dieser Nummer. Red.
Therapeutische Notizen.
Ein Spekulum für
den vorderen
röhre.
Teil der Harn-
An Stelle der bisher gebrauchten, röhrenförmigen Spekula
für die Harnröhre benutze ich seit einiger Zeit nebenstehendes
Instrument. Es hat die Form und den Mechanismus eines be¬
kannten Nasenspiegels, nur sind die Flügel etwas
zierlicher und der Länge nach konkav gebogen.
Zweckmässig ist es, zwei Spekula in Gebrauch zu
nehmen, von denen das eine eine Flügellänge von
4 cm, das andere eine Flügellänge von ca. 8 cm
hat. Die gefensterten Flügel werden (sterilisiert
und eingefettet) geschlossen eingeführt, durch die
Drehung einer Schraube am Griff von einander ent¬
fernt und das Licht durch einen einfachen Re¬
flektor von irgend einer Lichtquelle oder direkt in
das Innere der Harnröhre geworfen. Man erhält
eine sehr schöne, klare und freie Uebersicht über
die ganze Schleimhaut der Urethra und kann dabei
sofort die nötig erscheinenden therapeutischen
Massnahmen ergreifen, da zur Bedienung des In-
strumentes nur eine Hand nötig ist.
Nach Besichtigung und Behandlung der Ham-
röhrenschleimhaut schliesst man die Flügel durch Drehung der
Schraube nach der anderen Seite (aber nicht vollständig) und lasst
sie langsam herausgleiten. Die Handhabung des Instrumentes
ist sehr einfach und leicht. Es wird nach meiner Angabe von der
Firma Meyerhof & Cie., Kassel, fabriziert. .
Kassel, den 10. VII. 1902. Dr. S. Fackenheim,
prakt. Arzt.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 12. August 1902.
_ Der preussische Kultusminister hat in Betreff des Pflege¬
personals der Krankenanstalten folgenden bemer¬
kenswerten Erlass an die Regierungspräsidenten ergehen lassen:
Die Verhältnisse des Pflegepersonals der Krankenanstalten sind
in den letzten Jahren in der Presse und in parlamentarischen Ver¬
handlungen wiederholt zum Gegenstand lebhafter Klagen gemacht
worden. Neben mangelnder Befähigung und unzureichender Voi-
und Ausbildung bei einem grossen Teile der Wärter und Wärte¬
rinnen werden insbesondere die Ueberanstrengung im Pflegedienst,
der Mangel einer angemessenen Erholung, einer geeigneten Fort¬
bildung, einer zureichenden Besoldung und Verpflegung, sowie eine
unzulängliche Versorgung im Falle der durch Alter, Krankheit
oder Invalidität eingetretenen Dienstunfähigkeit als die naup
sächlichsten Misstände auf dem Gebiete der Krankenhauspflege
bezeichnet. Wenngleich nach dem Ergebnis der von mir ange¬
ordneten Erhebungen diese Klagen zum Teil als unrichtig, zum
Teil auch als übertrieben sich herausgestellt haben, so nehme ich
doch Veranlassung, die Verhältnisse der Krankenanstalten des
dortigen Bezirkes Ihrer besonderen Aufmerksamkeit und I ursorge
mit dem Ersuchen anzuempfehlen, falls sich Missstände nach der
angedeuteten Richtung in den Anstalten etwa vorfinden sollten,
auf deren baldige Beseitigung ernstlich Bedacht zu nehmen. Auch
ersuche ich, die Kreisärzte anzuweisen, bei den iii Gemässlieit des
s 100 der Dienstanweisung für die Kreisärzte vorzunehineuuen
jährlichen Besichtigungen der Krankenanstalten auf Mängel der
bezeichneten Art besonders zu achten, indem ich zugleich be¬
stimme, dass iu die Besichtigungsverhandlung zugleich Angaben
über die Besoldung und die Zahl der täglichen Dienststunden des
Pflegepersonals aufzunehmen sind. Handelt es sich mn .um¬
stände, welche auf eine unzureichende Beteiligung des ärztlichen
Elementes bei der Regelung der Krankenhausangelegenhelten zu¬
rückzuführen sind, so wollen Sie es sich angelegen sein lassen,
auf eine Stärkung des ärztlichen Einflüsse
in geeigneter Weise bei den Beteiligten hin
zu wirken.“ , Pp.ie.
_ In dem vom König von England veranlassten l i
ausschreiben zur Errichtung eines T u b e r k u 1 o s e -
Sanatoriums in England erhielten drei englische Bewerber a e
drei ausgesetzten Preise. Ehrenvolle Erwähnung v ui de u. _a. zu
erkannt Dr. T urban - Davos und Architekt Gros- Zürich.
_ Seitens des Komitees für die Ehrung Rudolf V i r c h o w s
bei seinem 80. Geburtstage ist vor kurzem, nachdem nun alle Lin-
12. August 1902.
MUENCHEKER MEDIClEriS CIlE WOCIlEESCEtRIFT.
gange und Ausgaben zum Abschluss gelangt sind, als Reinertrag
der eingeleiteten Sammlungen die Summe von 53 652.15 M der
Rudolf- \ irchow-Stiftung zugeführt worden.
Als Oberarzt bei der ersten inneren Abteilung des Stadt-
k r a n k e n h a u s e s Dresden-Friedrich stadt hat der
Rat an Stelle des Prof. Pr. ni, der eine Professur an der Ur“
versitat Basel übernimmt, Prof. Dr. Adolf Schmidt in Bonn
gewählt. uuu
.... .Gob' Sanitätsrat Dr. Liersch in Ivottbus feierte sein
fünfzigjähriges Doktorjubiläum.
t A'r.r?S^-11A(:gypten- Vom 1S- bis 25- Juli 11 Erkrankungen
vom 1 5 °i il ;>i e iIU Alex;‘11(lrien- — Kapland. In Port Elizabeth
' olu lo- bls 2S- Juni 1 Erkrankung und 1 Todesfall.
— In der 30. Jahreswoche, vom 20. bis 26. Juli 1902 ^hatten
iid!i-!l,eiUTSC^en Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb-
hchkeit Ludwigshafen mit 44,0, die geringste Schöneberg mit 5 9
lodesfallen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
m r'iiW! "nif^ Starb aU Scharlacl1 üi Königshütte; an Masern
Ö bubeck> 0bei-bausen; an Diphtherie und Croup in Osnabrück;
an Unterleibstyphus in Hildesheim.
(Hochschulnachrichten.)
i P.ef~linA Habilitiert: Dr. med. Gustav Brühl als Privat-
dozent für Ohrenheilkunde und Dr. med. et rer. nat. Franz
Müller als Dozent für Arzneimittellehre.
• PAA ® *a u- ,Zu“ Rektor Magnificus für das Studien-
jahi 1902/03 wurde Geheimer Justizrath Prof. Dr. Rudolf Leon¬
hai d gewählt; zum Dekan der medizinischen Fakultät Ge¬
heimer Medizinalrat Prof. Dr. Carl Flügge. Dr. Paul Iv r a u s e
Obeiaizt der medizinischen Universitätsklinik, habilitierte sich
für innere Medizin.
pvfpu w.ü 1 Z l\ P?' ,)Vie wir von Würzburg aus sicherster Quelle
ei fahien sind die Zeitungsnachrichten über eine Berufung des
DG1- Rat v. L e u b e nach Berlin vollständig unbegründet.
a n p1Cag0' D,er Profess01, der chirurgischen Anatomie Dr.
1 ' P evau wurde zum Professor der Chirurgie ernannt.
f a h a S e D. Vor 2 Jahren wurde eine Kommission
cdei^esetzt, um das medizinische Studium neuzuordnen Die
Beschlüsse der Kommission haben jetzt durch eine k. Verordnung
Bestätigung erhalten. Bisher bestand die Staatsprüfung aus
nnfeo ^r ;-,dervnepe^ Al™rdnung zufolge wird sie in Zukunft nur
be,Stek,Gn’ mdem dje Vorbereitungsprüfung (Zoologie,
Botamk, Physik, Chemie) aufgehoben wird. Der 1. Teil wird
Aa^tomie> Physiologie, Physik, Chemie (mündliche
u . praktische Chemie) und Dissektion umfassen. Der 2. Teil
wu’d schriftliche Prüfungen in allgemeiner Pathologie, Chirurgie
und Medizin, praktische Prüfungen in Operation, medizinischer
und chirurgischer Klinik, mündliche Prüfungen in allgemeiner
JaihSfie- Pathologischer Anatomie, gerichtlicher Medizin, Ge-
Dm tslulfe und. Pharmakologie umfassen.
,We ™en obligate Kursus in physiologischer Chemie
^ad jjA aktischer Physik vor dem ersten Examen, in topographischer
16’ i f eburtsbllfe> Hals-, Ohren- und Nasenkrankheiten,
Augenkrankheiten, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Bakterio-
logie und Histologie, sowie Hospitaldienst und Teilnahme an ver¬
schiedenen Kliniken vor dem zweiten Examen gefordert.
Ein Zeitraum von 3 Jahren wird vor dem ersten Examen be-
rechnet, es wird nicht erlaubt, mehr als 6 Jahre zwischen den
- Examma der Staatsprüfung zu brauchen. Die Studenten vom
Jahigang 1904 müssen die neue Staatsprüfung machen, deren
gehalten ^rtrdrStenmale 19°G’ <Ieren 2' Teil zum erstenmale 1909
(Todesfälle.)
ni tS BerJln !tarb der Geh‘ Sanitätsrat Dr. Otto Brähmer,
m nlv altU em bewahrter Vorkämpfer des ärztlichen Standes
EisfotaZaygieue ai'rCl1 Se'“e Al'beiten 2ur rM™-" der
Dü- PallG Starb der Privatdozent der inneren Medizin, Prof
Dr. Fnedr. R e i n e b o t h, 35 Jahre alt.
Personalnachrichten.
_ _ 1S67
od-r °Beaemt^nanu!rreSerU“geU zu bezeicbaenden Behörden
v, P , der Garnisonsorte und derjenigen Orte
weiche /m Umkreise von 20 km von Garnisonsorten oder
2 1Tn)1. Gjiailde, fur anlita lösche Uebungen gelegen sind.
Die Mitteilungen haben alsbald nach erlangter Kemitnis
zu erfolgen und sich zu erstrecken auf: enntms
a) jede Erkrankung an Aussatz und an Unterleibstvnhiis
sowie jeden Fall, welcher den Verdacht einer dieser Krankheiten
erweckt, ferner jede Erkrankung an Kopfgenickstarro
cerebrospinalis) oder an Rückfallfieber; (Meningitis
b) jeden ersten Fall von Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber Pest
I ocken, sowie das erste Auftreten des Verdachts einer dieser
Krankheiten in dem betreffenden Orte;
c) jedes gehäufte (epidemische) ’ Auftreten der Ruhr (Dvs-
en tene), der Diphtherie, des Scharlachs, sowie jedes neue Vor-
a°rThonm).TOn MaSSenerkranklm^ “ ** KörnertanÄ
Ueber den weiteren Verlauf der unter b aufgeführten Ivrank-
u.nd der Pubr (Dysenterie) sind wöchentlich Zahlenüber¬
sichten der neu festgestellten Erkrankungs- und Todesfälle einzu-
Sphnrfi Ferner ist eine Mitteilung zu machen, sobald Diphtherie
Schai lach, sowie Kornerkrankheit (Trachom) erloschen sind oder
nur noch vereinzelt auftreten.
Jeder Mitteilung betreffs der unter a und b bezeichnten
viankheiten sind Angaben über die Wohnungen und die Gebäude
beizufügen ^ Erkrankuugen 0(3er der Verdacht auf getreten sind!
., ö’TPif Mitteilungen sind für Garnisonsorte und für die in
ihrem Umkreise von 20 km gelegenen Orte an den Kommandanten
für1’’ oS^ SOlCber' ?icht1 vorhanden ist, an den Garnisonsältesten,
komma^do zu rlZhte“1 Uebungsgelimde an das General-
B. Mitteilungen der Militärbehörden an die
Polizeibehörden.
„ . 1- Zur Mitteilung der in ihrem Dienstbereiche vorkommenden
Eikrankungen an die Polizeibehörden sind verpflichtet die Kom-
?{aadaatGn odei'> .wo solcbe nicht vorhanden sind, die Garnisons¬
altesten der Garnisonsorte, ferner die Kommandobehörden der im
L ebungsgelande sich befindenden Truppenteile.
__ 2; 1Die Mitteilungen haben alsbald nach erlangter Kenntnis
zu ei folgen und sich zu erstrecken auf:
a) jede Erkrankung an Unterleibstyphus, sowie jeden Fall
\\elcher den Verdacht dieser Krankheit erweckt, ferner jede Er-
R ild! f a II fi ehe E°P^genickstarre (Meningitis cerebrospinalis) oder an
Fleckfiiw prlP'oUlplnSTVUd jGdeU Todesfa11 aa Aussatz, Cholera,
Vü .^u6 ’ Gelbfieber, Pest, Pocken, sowie jedes Auftreten des
\ eidachts einer dieser Krankheiten;
c) jedes gehäufte (epidemische) Auftreten der Ruhr (Dvs-
(Trachom)61’ Dipbtberie’ des Scharlachs und der Körnerkrankheit
„ .. TUeber, dGn , weiteren Verlauf der Ruhr (Dysenterie) sind
n ochentlich Zahlenübersichten der neu festgestellten Erkran¬
kungs- und Todesfälle einzusenden. Auch ist eine Mitteilung zu
machen, ,sobpd Diphtherie, Scharlach, sowie Körnerkrankheit
(Iiachom) erloschen sind oder nur noch vereinzelt auftreten
Jeder Mitteilung betreffs der unter a und b bezeichneten
Krankheiten sind Angaben über das Militärgebäude oder die
U ohnungen, in welchen die Erkrankungen oder der Verdacht auf¬
getreten ist, beizufügen.
,, , 3- Gie Mitteilungen sind an die für den Aufenthaltsort des
Erkrankten zuständige, von den Landesregierungen zu be¬
zeichnende Behörde zu richten.
oi ,4' T°,n dem Allsbrucb und dem späteren Verlaufe der unter
b bezeichneten Krankheiten ist das Kaiserliche Gesundheitsamt
sofort auf kürzestem Wege zu benachrichtigen.
Berlin, den 22. Juli 1902.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers:
Graf v. P o s a d o w s k y.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Karl Handwerck in München
Verzogen: Dr. Bandorf in Heilsbronn, unbekannt wohin.
Amtlicher Erlass.
(Deutsches Reich.)
Bekanntmachung, betreffend die wechselseitige Benachrich-
1S,ung der Militär- und Polizeibehörden über das Auftreten
übertragbarer Krankheiten.
Vom 22. Juli 1902.
i .. Auf Grund des § 39 Abs. 3 des Gesetzes, betreffend die Be-
umpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900
stimmt- 6SetZbb S‘ bat der Bundesrat nachstehendes be-
Mitteilungen der Polizeibehörden an die
Militärbehörden.
}• Zur Mitteilung der in ihrem Verwaltungsbezirke vorkom-
nüen Erkrankungen an die Militärbehörden sind verpflichtet:
Korrespondenz.
Gegen die Ernennung des seitherigen Professors der Dermato¬
logie Dr. Schw eninger zum Professor der Geschichte der
Medizin
geht uns folgender Protest mit der Bitte der Veröffentlichung zu:
Angesichts der Tatsache, dass vor kurzem der Lehrauftrag
für Geschichte der Medizin an der grössten Hochschule des
Deutschen Reiches einem bisher als Historiker tatsächlich imd
literarisch gänzlich Unbekannten übertragen worden ist, erheben
die Unterzeichneten im Interesse der Sache gegen diese
Besetzung des Faches ihre Stimme.
Bei der Zuteilung irgend eines anderen Lehrauftrages in der
Medizin wird naturgemäss und mit Recht verlangt, dass der Be¬
treffende schon vorher entweder als Lehrer oder als Schrift¬
steller, ja gewöhnlich in beiden Richtungen, Hervorragendes ge¬
leistet hat. Das Gleiche, sollte man denken, gelte auch für die
Geschichte der Medizin, ja für diese sogar noch in erhöhtem
Masse, weil sie umfassende, allgemeine und Hilfskenntnisse, die
dem Mediziner sonst fern liegen, und besondere Pflege der Kunst
13G8
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHEU T.
No. 32.
iPT. Darstellung erheischt. Die gänzliche Beiseitesetzung dieses
r rnndsatzes im vorliegenden Falle ist nicht bloss geeignet, da.
»Sehen de“- deutschen Wissenschaft zu schädigen, sie scbhesst
auch eine tatsächliche Herabsetzung dieser Wissenschaft,
SÄÄÄÄÄW
aÄÄÄS Geschichte der Medtzta
an unseren Hochschulen, den Bildungsstätten der Aeizte, Ye
walming eingelegt werde. ,
Hermann Baas -Worms, Karl S u d h o f f - Hochdahl.
Morbiditätsstatistikd.InfektionskrankheitenfürMünchen.
in der 30. Jahreswoche vom 20. bis 26. Juli 1902.
Bpfeiliete Aerzte 139. — Brechdurchfall 19 (14*), Diphtherie u.
Kroun 5 (6) Erysipelas 8 (3), Intermittens, Neuralgie mterm
1 (-X Kindbettfieber 1 (-), Meningitis cerebrospin. - (1),
Morbilli 24 (23), Ophtlialmo-Blennorrlioe neonat. 1 Ps?rotlt.,s
epidem. 1 (—)', l’neumonia crouposa 7 (5), Ryamie, beptikam e
2 2) Rheumatismus art. ac. 6 (9), Ruhr (Dysentena) - (-),
Scarlatina — (3), Tussis convulsiva 37 (22), Typhus aKlomm 1
(-), Varicellen 2 (ID, Variola, \ armlos - (—), Infi uenza (1 , .
Summa 114 (98). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 30. Jahreswoche vom 20. bis 26. Juli 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todosursachen* Masern — (2*) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u Kroup - (-), Rotiauf 1 (-), Kindbettfieber — (-), Blutvergiftung
PySnieV s. w-) - (2), Brechdurchfall 6 (4) Unterleib-Typhus -
(-), Keuchhusten 5 (— ), Kruppöse Lungenentzündung 1 (3), Tuber-
kulose a) der Lunge 24 (29), b) der übrigen Organe 7 (8), Akuter
< 1 plpnl-rbeumatismus — (,— ), Andere übertragbare Krankheiten
2 (3), Unglücksfälle 2 (3), Selbstmord 4 (4), Tod durch fremde
Hanrtie” Gesamtzahl der Sterbefälle 195 (198), VerMtote ahl i auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,0 (20,3), für d e
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 12,9 (12,»J.
♦) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die F alle dei Vorwoche.
Regierungs¬
bezirke
bezw.
Städte mit
über 30,000
Ein¬
wohnern
0
U,
M. I J. M. J. I M,
Oberbayern
Niederbay.
Pfalz
Oberpfalz
Oberfrank.
Mittelfrank.
Unterfrank.
Schwaben
Summe
Augsburgs)
Bamberg
Hof
Kaiserslaut.
Ludwigshaf.
München3)
Nürnberg
Pirmasens
Regensburg
Würzburg
T~ VTTT M. I J. M. | J. M. I J
<Z)
<x>
«ii
Cd 0) 2
pH
11 13
5 11
M.
J.
M.
J.
M.
J
236
150
4
5
170
159
179
154
5
4
57
56
259
170
2
1
47
46
197
141
5
3
64
43
345
269
3
7
55
45
366
265
5
2
117
81
258
110
2
1
48
41
321
184
1 4
5
94
76
M. I J. M.
61 25 32
705 1150 471 421 393 352 1048 744
28 58
49! 89
12|
43
36
13
15
1446 1 1119 1
35
41
270 145
1
2161
1443 1
ÖU
25 ö
2
1
5
108
1
3
_ _
35
23
i
—
_
_ _
235
61
—
1
2
2
19
6
—
—
1
_ .
39
34
4
—
—
8
11
8
—
—
7
3
—
1
6
12
_
3
2
—
18
8
i
—
6
4
1
i
200
124
7
6
31
17
47
41
i
2
3
2
i
35
*57
5
7
28
22
112
71
1
• —
9
4
1
—
1
12
3
2
3
—
1
18
19
2
—
59
36
1 —
1
1 2
32
13
Typhus
abdominalis
Varicellen
i
Variola,
Variolois I1
Zahl der Aerzte
überhaupt
ZaiuaerDe-
| teil. Aerzte |
M.
J.
M.
J.
M.| J.
J.
5
7
77
92
J
949
236
5
12
10
11
— :
188
79
15
19
27
26
—
299
126
2
3
19
4
—
—
158
87
2
2
17
15
—
—
206
124
7
106
60
—
—
367
201
4
6
24
20
—
—
328
82
3
19
20
—
295|
182
43
49
299
248 j —
2790|
1117
■)
O —
1
2
_
53
53
1 -
_
2
_
—
—
41
17
7 —
_
1
—
17
7
4 —
4
1
23
6
2 3
1
6
5
—
30
20
0 4
7
47
34
583
143
5 3
84
4r
—
156
133
3 —
5
S
_
14
5
6 1
4-:
8 1
L £
K
—
9C
OH
| 24
ISSäSSffiSSSJ^®iWSS5®
SSSggasE
Kempten^ ^)b ^^^^^^^ahlen6 °äus ser von obigen Städten) werden gemeldet
aus folgenden Aemtern bezw. Orten: _..
Brechdurchfall: Bez -Amt Altöttiug 32, Stadt- und Landbezirk Gun -
bürg 30, ärztl. Bezirk Geisenfeid (Pfaffenhofen) 23 beh. Falle.
Diphtherie, Croup : Stadt Amberg 16, Stadt- u. Landbezirke Bayreuth 12,
Schweinfurt 11 und 8 beb. Fälle. , .... QR
Influenza- Stadt- und Landbezirk Schweinfurt 22 Aemter Altotting 28
Berchtesgaden 30, Zweibrücken 132, Herabruck 39, Hassfurt 23, .onthofen .
ärztl. Bezirk Geisenfeid (Pfaffenhofen) 20 beb. Falle.
und AUenerd\ng) wigshafen ||
c Sirinnra im Juni schwere Komplikationen, denen 16 Kinder erlagen , allent
u' n sPoClkeWuss Viele Kinder wiederholt erkrankt, auch eine 68jährige
sasnusä: vs s=;»s
7,it schweren gastrischen Störungen, hohem Fieber, kruppösem Husten, jedoch
Schluss 30 beh. Fälle), Berneck (Schluss der kathol. Schule in Marktseh oigas t),
Pothenburg a/T. (Schulschluss in Tauherzeil) und Zusmarshausen (n n • a
Bezirk Altenmünster). Bez.-Aemter Zweibrücken 29, Wunsiedel 53 beh. Falle.
R u b e o 1 a e : Gehäufte Fälle in der Stadt Rothenburg a./T., kleine Epidemie
unter 7— lljährigen Kindern in 3 Orten des Amtes Schweinfurt; Stadt Nürnberg
btlp «ffotitis epidemica: Fortdauer der Epidemie in Wiesentheid (Gerolz-
hofen)^ Epidemie in Döllnitz und Wittschau (Vohenstrauss), Stadt Schweinfurt
23 beh’. Fälle.
berg jerabnick je 35 beh. ROle. Bezirk gauerlach (München II) 4 beh. Fälle.
Scarlatina: Mässige Epidemie seit Ende April in NJrÄge^J^
20 beh. Fälle; Stadt- und Landbezirk Erlangen 12, arztl. Bezirk We l
stadt a/VVN.) 28, Amt Kronach 10 beh Fälle.
Tussis convulsiva: Fortdauer der Epidemien in den Bezirken Erding
KtuT/HiÄ
- itit r-srit -sz. ^
”»ä Va r? c eU en :* Epidemisches Auftreten in de» Aeentern Tr,™tei» n» der
1. Hallie Juni I» GmbenstMt), “es*'"a»ml<E°AdIen.»' (toetoe” Onscb.il des
A»,serdem |eb»rtteJ«nes,nMemm»|e».Mi ^ Kre„oltetHs, „it cousec.
W,,<" möglichster VollsmndiBkeit
?»” 1 gen8 ersucht, womöglich »»‘“.ffim?e»"lrSto,^ “ifwüSSheSeoh,
demien. Zur Vermeidung von Doppelzählungen e cheun einschlägigen
dem ^K.6 Statistischen 'Biue^.^unte^A^isscheidung nach Aemtern
mitgeMeldeVkadretnen nebst Umschlägen zur portofreien Einsendung anjas
K. Statistische Bureau sind durch die k.Bezwksärzte zUeerhalt von
dienen ebenso zu sog. Sammelkarten, welch ,. Anzeigen gleich-
ye-ögerungen ohn e Bück Bich ^ a u f e t w a a u t a n d i g^
Verzögerungen obneKuCKSieni aui «m» ~ ären '"Allenfalls
falls bis längstens 20. jeden folgenden : Monats Karte als
später eingekommene Meldungen wollen auf de _ , . Randen be-
Nachträge gekennzeichnet, auf genommen werden Nocn in aa ^
flndliche sog. Postkarten wären aufzubrauchen, ] ^jTmschjag ein-
behandeltenlnfluenzafälle z“ ganzen un g K. Statistischen Bureau
K Statistischen Bureau
weder beschafft noch versendet.
^Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 28) eingelaufener Nachträge. - 3) Im Monat Mal 1902 einsch
träge 1223 — ») 19 mit 22. bezw. 23. mit 26 Jahreswoche. _ _ ■
- Verlng eon .. F. hehm.nn .» E. Muhl.h.lerA Buch- und Kum.tdruc'tere. A.G.. Muucheu
Die Munch. Med. Wochenschr. erscheint wöehentl
in Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen.
Preis in Deutschi, u Oest. -Ungarn vierteljährl. 6 JL
ins Ausland 8.— M.. Einzelne No. 80 -j.
MÜNCIIENEti
Zusendungen «fnd zu adressiren : Für die RedaktidW
Amuifstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Lefi-'
mann, Heust™ sse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE W OCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
I . ; -
Herausgegeben von
0. t. Aajerer, Cb. Bauailer, 0, Bollinjsr, H, Cursshmann, W. ». Leube, G. Merkel, J. v. Michel, F, Penzoldt, H, v. Ranke F v Wi
-München. Freiburg i. B. München. Leipzig. ’ ’ 1 ’ " ln
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen.
München.
München
No. 33. 19. August 1902.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 2U.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus der Heilfürsorge der Landesversicherungsanstalt der Hanse¬
städte.
Die Dauererfolge der Heilstättenbehandlung Lungen¬
schwindsüchtiger.
V on Dr. F. Reiche,
Oberarzt am Allgem. Krankenhaus Hamburg-Eppendorf.
Zahlreiche aus den verschiedensten Lungenheilstätten seit
Jahren veröffentlichte Berichte und Statistiken haben es sattsam
erwiesen, dass durch die Sanatoriumsbehandlung bei einer grossen
Zahl von Phthisikern eine erhebliche Besserung und eine mächtige
E örderung des Gesamtbefindens erzielt zu werden vermag. Diese
Eifahrung konnte nicht V under nehmen ; die Aufbesserungs¬
fähigkeit der Lungenschwindsucht ist eine längst anerkannte
Tatsache, und hei den Pfleglingen der meisten jener Anstalten
handelt es sich um eine mehr oder weniger streng getroffene
Auslese geeignet erscheinender Fälle, sowie um monatelang- fort¬
geführte Kuren unter den günstigsten äusseren Bedingungen.
Auch zur Prüfung der sich anschliessenden fundamentalen
Frage, wie weit diese ersten Erfolge auf Dauererfolge bei
den nach beendeter Kur in ihre früheren ungünstigen Verhält¬
nisse zurückkehrenden Angehörigen der unbemittelten Klassen —
nur von den arbeitenden Bevölkelrungskreisen
und den Volkssanatorien sollen die nachfolgenden Zeilen
handeln — zu schliessen berechtigen, liegt bereits wertvolles
Material vor. Ich nenne in erster Linie die beiden umfassenden
Statistiken des Reichsversicherungsamtes ]) und des Redchs-
gesundheitsamtes '), ferner von Einzelveröffentlichungen den
letzten J ahresbericlit der Basler Heilstätte a), Weickers mühe¬
volle Arbeit ) und vor allem die alljährlichen Publikationen der
Landesversicherungsanstalt der Hansestädte. Sie haben den Vor¬
zug, dass die Beurteilung der Dauererfolge durch eine, wo irgend
angängig, anhaltende ärztliche Kontrolle der Kranken geschaffen
wird.
Wenn ich zur Betrachtung einer Reihe von hinsichtlich der
Beurteilung der Heilstättenerfolge sich ergebenden Punkten aus
den . grossen Zahlenreihen dieser Berichte den von mir be¬
arbeiteten Anteil herausnehme, so geschieht dieses hauptsächlich
deshalb, um für jeden einzelnen derselben mit eigenen Be¬
obachtungen, eigenen Untersuchungen eintreten zu können.
Insgesamt wurden auf Veranlassung der Landesversiche¬
rungsanstalt der Hansestädte bis Ende 1901 von mir untersucht
2273 Kranke, 1515 Männer und 758 Frauen. Von diesen waren
uber 4 Wochen in Heilbehandlung 1571 Personen, 949 Männer
. 0 Statistik der Heilbehandlung von tuberkulösen und an an-
i «an11 -.w!, ei'krankten Versicherten etc. für die Jalire 1S97, 1898,
1899, 1900. Berlin 1901.
) E u ge 1 in a n n: Die Erfolge der Freiluftbehandlung der
Berlfn11i9oi'illdSUCht" a‘ Kais‘ Gesundheitsamt. XVIII.
'•) Jahresbericht für das Jahr 1901 des Basler Vereins für
Brustkranke etc. Basel 1901.
1901^ Weicker: Beiträge zur Frage der Volksheilstätten. Berlin
.. ( Bie Handhabung des Heilverfahrens bei Versicherten durch
t Baudesversicherungsanstalt der Hansestädte im Jahre 1900 etc.
Laudes-Vers.-Anst. 1901.
No. 33.
und 622 Frauen; 111 Männer und 77 Frauen wurden 2 mal,
5 Männer und 2 Frauen 3 mal verschickt. Es handelte sich dem¬
nach um 1773 einzelne Kuren, die nach ihrem Abschluss folgen¬
den Erfolg aufweisen :
Erwerbsfähigkeit war voll und
Personen
Männer
Frauen
anscheinend gesichert vorhanden
bei .
1364
833
531
sie war beschränkt vorhanden bei
3 12
190
152
Erwerbsunfähigkeit bestand bei .
60
46
20
Im Kurort verstarb ....
i
1
Summa
1773
i07u
703
lieber die Dauererfolge dieser Kuren bei den einzelnen Pa¬
tienten der Jahrgänge 1895 — 1900 gibt die umstehende grosse
Tabelle Auskunft. Auf das gewählte Schema habe ich bereits
früher ,;) hingewiesen; ich glaube, dass die verschiedenen Momente
zur Beurteilung und Abschätzung der Dauereffekte der Heil¬
stättenbehandlung darin klar und knapp hervortreten.
Die Gesamtzahl der in Heilbehandlung Gewesenen — nur
ein äusserst geringer Bruchteil entgeht den sorgfältigen seitens
der Beamten der Landesversicherungsanstalt ausgeführten Er¬
kundigungen — sondert sich in allen späteren Nachforschungen
in die 4 Gruppen der Verstorbenen, der Erwerbsunfähigen, der
beschränkt und der voll Arbeitsfähigen,, und das numerische
Verhältnis derselben zu einander kennzeichnet die späteren Er¬
folge. Bei den ersten beiden Gruppen ist es wertvoll, auch den
Termin des Todes bezw. der verloren gegangenen Arbeitskraft
anzugeben, um einen Ueberblick über die im Laufe der Jalire
erfolgenden Veränderungen gleichzeitig zu ermöglichen. Die
ärztliche Nachkontrolle der ehemaligen Heilstättenpfleglinge ge¬
schieht um jede Jahreswende, und nur die nach ärztlichem Gut¬
achten als dauernd erwerbsunfähig im Genuss der gesetzlichen
Invalidenrente Befindlichen wurden nicht zu ihr herangezogen.
Wenn durch äussere Gründe eine vertrauensärztliche Nach¬
besichtigung nicht möglich war, wurde das Urteil über die Er¬
werbsfälligkeit solcher Personen den gleichzeitig- durch die
anderen Organe der Versicherungsanstalt angestellten Er¬
hebungen entnommen.
Die letzte, vom November 1901 bis Februar 1902 vor¬
genommene Nachschau umfasste ausschliesslich die bis Ende 1900
verschickt Gewesenen ; es sind mithin in allen Fällen z u m
mindesten 12 Monate seit Beendigung der Kur
und Rückkehr in die Erwerbstätigkeit ver¬
flossen und selbst die Patienten dies jüngsten Jahrganges 1900
haben dadurch eine gewisse Prüfung auf den Bestand ihres Kur¬
erfolges bereits erfahren.
Wie wir aus der Tabelle ersehen, waren um die Wende
1901/02 voll und voraussichtlich gesichert erwerbsfähig aus dem
73— -84 Monate zurückliegenden Jahrgang 1895: -
aus
Proz.
bei den Männern
bei den Frauen
Proz.
Proz.
52,7
46
66,6
1896
65
58,9
77,8
D97
67,7
66,7
68,8
1898
58,1
53,5
64,7
1899
61,7
56,2
71,6
1900
62,4
67,7
55,8
°) Zeitschr. f. Tuberk. U. Heilst. 190t, Bd. II, II. 5.
1
19. August 1902.
MUENCHENER MEDICIN1SCIIE WOCHENSCHRIFT.
1371
und verstorben waren :
aus
Proz. bei
den Männern bei den Frauen
Proz. Proz.
1895
27,3
32,4
16,7
1896
17,1
23,2
4,4
1*97
14,2
20,2
6,7
1898
18,3
‘22,2
12,7
1899
11,6
13,9
7,3
1900
4,8
6,2
3,1
vs sei
hier angefügt,
dass die
Todesursache bei den
storbenen oder der Grund der Arbeitsbeschränkung bezw. der
Erwerbsunfähigkeit bei den Halb- und Ganzinvaliden nicht un¬
bedingt in jedem Falle das bestehende oder das frühere Lungen¬
leiden gewesen sein muss. In je fernere Jahrgänge wir zurück¬
greifen, um so mehr wird unter den durch längere Zeit von dem
Vorsehreiten ihrer Phthise bewahrt Gebliebenen der natürliche
Abgang' bei den Sterbefällen mit in Anrechnung zu bringen sein.
Es erwies sich undurchführbar, auch in dieser Hinsicht unser
Material zu vervollkommnen ; zufällig nur kam es zu meiner
Kenntnis, dass beispielsweise von den Verstorbenen des Jahr¬
ganges 1895 eine der Frauen einer Psychose erlag, 3 der Männer
durch Selbstmord, Sturz von einem Schiffsgerüst und Klima¬
fieber endeten.
Ein Vergleich unter den Ergebnissen der Nachbesichtigungen
der letzten Jahre zeigt folgende Werte. Erwerbsfähig waren aus
dem Jahrgang:
bei der Kontrolle
: 1895*)
1896
1897
1898
1899
1900
1899/1900
Proz.
Proz.
Proz.
Proz.
Proz.
Proz.
57
70
70
56
_
1900/1901
58
70
73
68
70
_
1901/1902
53
65
68
58
62
62
Verstorben
waren aus
dem Jahrgang:
bei der Kontrolle
: 1895
1896
1897
1898
1899
1900
Proz.
Proz.
Proz.
Proz.
Proz.
Proz.
1899/1900
20
14
7
9
1900/1901
20
17
11
15
8
_
1901/1902
27
17
14
18
12
5
Die Zahl d er Sterbefälle nimmt hiernach nur langsam mit
jedem Jahr zu und ebenso sinkt, dank der eingeleiteten Wieder¬
holungskuren, die Summe der Erwerbsfähigen nur langsam ab.
Um nun diese statistischen Ergebnisse in Bezug auf ihrc
klinische und volkswirtschaftliche Bedeutung richtig zu werten,
bedürfen folgende vier Fragen der Klarstellung:
1. Handelt es sich in allen Fällen tatsächlich um Lungen¬
schwindsucht ?
2. Nach welchen Grundsätzen erfolgt die Auslese für die
Heilstättenkur?
3. Waren sämtliche ihr Ueberwiesene als bereits erwerbs¬
unfähig anzusehen?
4. Wie gewinnen wir einen Masstab zur sicheren Ab¬
schätzung des Erreichten ?
Dass bei allen obigen Patienten Lungenschwindsucht Vor¬
gelegen hat, resp. nach dem objektiven Befund angenommen
werden musste, ist meine volle Ueberzeugung. Nach Allgemein¬
symptomen auf Tuberkulose nur verdächtige Fälle wurden von
dieser Statistik ausgeschlossen ; ebenso' wurden alle diejenigen
nachträglich eliminiert, bei denen der spätere Verlauf mich von
der Irrigkeit der anfänglichen Diagnose Phthisis incipiens über¬
zeugte. Nichtschwindsüchtige, an anderen Erkrankungen der
Atmungsorgane Leidende mit Tuberkulösen zusammen in ge¬
meinsamen Heilstätten unterzubringen, ist nicht gefahrlos, so
var strenge Kritik von vornherein Erfordernis. Freilich musste
ich mein Urteil zumeist auf klinischen Beweisgründen auf¬
bauen, die bakteriologische Bestätigung der Diagnose liess oft
sogar in offenkundigen Fällen — bei diesen einmaligen Sprech-
stundenbegutachtungem im Stich; häufig fiel die Untersuchung
des einen der Speiflaische entnommenen Partikelchens zufällig
negativ aus, häufig war gerade in der betreffenden Zeit, in der
der Kranke sich vorstellte, Auswurf nicht vorhanden gewesen,
"der es erwies sich das mitgebrachte Sputum als nicht den
Lungen entstammender Rachenschleim oder Mundspeichel. Hier
*1 Die Verschiedenheiten in den Zahlen der früher (1. c.)
publizierten und jetzigen Tabelle, welche die prozentuarisclien
'Verte nicht beeinflussen, erklären sich daraus, dass früher zu
einem Jahrgang alle in ihm eingeleiteten Heilverfahren gerechnet
wurden, jetzt der rascheren Fertigstellung der Statistik wegen nur
alle in ihm eingeleiteten und abgeschlossenen.
ist jede klinische Beobachtung im Krankenhaus oder Heilstätte,
der gehäuften Untersuch ungsmöglichkeiten wegen, der unsrigen
überlegen. 916 von meinen Kranken hatten zur Zeit der Vor¬
stellung bei mir überhaupt keinen Auswurf, bei 746 von den
1894 — 1900 Untersuchten und bei 303 von den über 4 Wochen
verschickt Gewesenen fand ich Tuberkelbazillen; von diesen
Kranken waren bei der letzten Kontrolle
verstorben . 40 Proz.
erwerbsunfähig . 13 „
beschränkt erwerbsfähig . 12 „
erwerbsfähig . 35 „
Nur cum grano salis sind diese Ziffern natürlich mit den
früher gegebenen Gesamtzahlen zu vergleichen.
Da ich somit bakteriologisch den gewöhnlich leicht zu er¬
bringenden, gelegentlich nur bei klinisch eindeutigen Fällen
durch lange Zeit versagenden Beweis für die sicher tuberkulöse
Natur meiner Fälle schuldig bleiben muss, möchte ich kurz hier
anführen, dass von den 1571 über 4 Wochen in Heilbehandlung
Gewesenen 885 Dämpfungen und für infiltrative Vorgänge
sprechende auskultatorische Erscheinungen auf den Lungen
boten, 317 im Verlauf oder Beginn Bluthusten gehabt und 1031
bereits länger als Vs Jahr vor der vertrauensärztlichen Unter¬
such ung die Anzeichen ihrer Krankheit verspürt haben. Nur
190 oder 12 Proz. waren unter 6 Monate krank gewesen, hatten
nicht Blut aufgehustet und keine Tuberkelbazillen im Auswurf
und zeigten auf den Lungen ausschliesslich Erscheinungen, die
wir nach ihrem auskultatorischen Charakter wenn auch mit
pathologisch-anatomisch unrichtiger Ausdrucksweise gemeinhin
als katarrhalische zu bezeichnen gewöhnt sind. Darin, dass es
sich bei diesen Kranken ebenfalls um inzipiente Phthisen
handelt, bestärkt mich der Umstand, dass sie durchaus nicht alle
einen günstigen späteren Krankheitsverlauf aufweisen, denn nur
128 von ihnen waren bei der letzten Kontrolle noch erwerbsfällig,
sodann die beiden Tatsachen, dass der von mir erhobene Befund
in der monatelangen nachherigen Beobachtung während des Heil¬
stättenaufenthaltes seine Bestätigung fand, und er fast immer
durch seine Konstanz, seine Hartnäckigkeit sich als mehr als ein
harmloser Katarrh dokumentierte. Von sämmtlichen über
4 wöchentlichen Heilverfahren, unter Hinzurechnung der mehr¬
maligen Verschickung, fand ich nur bei 118 Patienten
am Schluss der Kur einen vollkommenen Rückgang-
aller objektiven Lungenveränderungen und bei
60 Proz. von diesen im Verlauf der folgenden Jahre bei Gelegen¬
heit der Naohbesichtigungen erneute Lungensym¬
ptome!
Die vertrauensärztliche Auswahl der Kranken
war nicht in kleinlicher Aengstlichkeit darauf bedacht, mit sogen.
Initialfällen gute Statistik zu treiben. Fortdauernd wurde uns
durch die jährlichen Nachkontrollen der in Heilbehandlung Ge¬
wesenen das Gefühl für den jedem Arzt aus Einzelbeobachtungen
geläufigen proteusartigen und nur allzuoft allen Berechnungen
sich entziehenden Verlauf der Phthise wachgehalten; stets aufs
neue gemachte Einzelerfahrungen von progressivem Fort¬
schreiten der Krankheit bei scheinbar vorbei lh öftesten Vor¬
bedingungen, von günstigem Stillstand und Rückgang unter an¬
scheinend widerstrebendsten Lebensverhältnissen Hessen eine
engherzige Beurteilung der zum Heilverfahren Gemeldeten nicht
aufkommen.
Die Arbeitsfähigkeit war nicht, bei allen unseren
Kranken vor Antritt der Kur aufgehoben ; die Zahlen, welche
den glücklichen Erfolg der sitattgehabten Kuren ausdrücken, be¬
deuten sonach nicht ohne weiteres Rettung aus voll etablierter
Erwerbsunfähigkeit. Immerhin war doch, und besonders mit
Hinblick auf die Wohnungs-, Arbeits- und Ernährungsbeding¬
ungen unserer versicherungspflichtigen Patienten, wohl meistens
eine drohende Erwerbsunfähigkeit zu befürchten oder zu er¬
warten. Zur Abschätzung, insbesondere zur prognostischen
Würdigung der Arbeitsfähigkeit eines Kranken, dient zumeist
der Vergleich zwischen Dauer und Umfang der objektiven tuber¬
kulösen Veränderungen einerseits und dem Grad der Schädigung
des Gesamtbefindens andererseits; für die augenblickliche Er¬
werbsfähigkeit ist letztere allein schon ein brauchbares und den
aus dem objektiven Lungenbefund allein entnehmbaren Schlüssen
weit überlegenes Kriterium. Aus diesem Gesichtswinkel be¬
trachtet, bestand unter sämtlichen von mir untersuchten Kranken
1*
1372
MUENCHENER MEPIC1NISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
bei Einleitung des Heilverfahrens Aufhebung der . Arbeitsf ahig-
keit d h ein massig schwer oder schwer beeinträchtigtes All¬
gemeinbefinden bei 1614 Personen, 1017 Männern und 597 Frauen,
noch erhalten oder beschränkt vorhanden war sie bei 497 Männern
und 161 Frauen, das ist ein Verhältnis von 71 Proz. zu 29 Proz.
Nicht wenige aus der letzteren Gruppe zeigten später doch einen
ungünstigen Verlauf, denn in der Elite der günstig erwiesenen
Fälle ist der Prozentsatz. zwischen beiden nur auf 59,5 Proz. zu
40,8 Proz. verschoben. ' _ '
Der Lösung der letzten Frage, ob es einen Masstab gibt, der
ein zuverlässiges Urteil über die_ erzielten
Erfolge in volkswirtschaftlicher wie auch ärztlicher Hinsicht
gestattet, eine Parallele zulässt zwischen der neuen durch die
Heilstättenbehandlung eingeleiteten und der früheren Behand¬
lung der Phthise des Arbeiters und der Arbeiterin, glaube ich
auf folgendem Wege möglicherweise näher treten zu können.
Von 2273 durch mich untersuchten Lungenschwindsüchtigen
wurde bei 683 ein Heilverfahren nicht eingeleitet ; meist konnte
es wegen zu weit vorgeschrittener krankhafter Veränderungen
nicht mehr befürwortet werden. Nachforschungen beim Ein¬
wohnermeldeamt über die bis 1900 abgelehnten, von der Sana¬
toriumsbehandlung ausgeschlossenen Fälle ergaben, dass bei 316
der Exitus bereits erfolgt war; gleichzeitig wurde dadurch mit
einer Ausnahme der Todestermin derselben bekannt, und da bei
diesen Kranken die Feststellung des zeitlichen Beginns ihres
Leidens vom Anfang der Symptome an mit der gleichen Sorgfalt
wie bei den übrigen, den Verschickten geschah, lässt sich aus den
so gewonnenen Zahlen die mittlere Dauer der
Lungenschwindsucht bei den Angehörigen der
mein Material bildenden versi che rungs pflichtigen
Bevölkerungsschichten berechnen.
Natürlich würde jeder Vergleich dann unberechtigt sein,
wenn auf der Seite der als ungünstig für das Heilverfahren er
achteten Fälle vorwiegend die stürmischen V erlaufsformen sich
linden, auf der Seite der bei Meldung zur Heilstättenbehandlung
noch als besserungsfähig angesehenen die chronischen, schon in
diesem chronischen Ablauf eine innewohnende Resistenz gegen
das Krankheitsvirus offenbarenden Fälle. Dem ist aber nicht so:
Bis zur Zeit der ersten ärztlichen Untersuchung hatten sub¬
jektive Krankheitssymptome verspürt
a) bei den Abgelehnten:
unter 6 Monate ....
über 6 Monate bis 1 Jahr
über 1 Jahr bis 2 Jahre
über 2 bis 6 Jahre . . .
über 6 Jahre ...
unbestimmte Angabe . .
unter 6 Monate .
über 6 Monate bis 1 Jahr
über 1 Jahr bis 2 Jahre
über 2 bis 6 Jahre . . .
über 6 Jahre .
unbestimmte Angabe . .
Proz.
Mann er
Frauen
146 = 25,2
122
24
108 = 18,6
88
20
121 = 20,9
101
20
145 = 25
121
24
60 = 10,3
42
18
21 =
19
2
ig Empfohlenen :
Proz.
Männer
Frauen
547 = 33,9
359
188
219 = 15,4
159
90
239 == 14,8
139
1(0
374 = 23,2
224
150
205 = 12,7
107
98
57 =
33
24
173 Männern
und 42
Frauen,
nicht einen alleinigen Erfolg der in diesem Jahre eingeleiteten
Behandlung. Das Reichversicherungsamt hat sich m seiner
Statistik auf einen anderen Standpunkt gestellt7). Ein einmal
dadurch als unzureichend erkanntes Heilverfahren, dass die Be
treffenden einer weiteren Heilstättenkur sich unterziehen
mussten, wird als ungünstig angesehen und der Kranke bedeutet
für später einen Misserfolg; nach der erneuten Heilbehandlung
silt er als besonderer Fall, der dann auf den Dauererfolg dei
wiederholten Kur wie jeder Erstbehandelte kontrolliert wird.
Würde ich nach diesem Prinzip meine Fälle ordnen, so hätte
ich aus den Jahren 1895—1900 1446 Einzelbeobachtungen, und
das Resultat der Kuren würde sich im Vergleich zu den früheren
Zahlen folgendennassen
dar*
.teilen :
l’roz.
bei den Männern
bei den Frauen
verstorben sind ....
12,2
16
6,3
erwerbsunfähig ....
19,4
19,9
18,6
beschränkt ev erwerbs¬
fähig .
14,2
11,9
17,8
erwerbsfähig .
54,2
52,2
57,1
Vom vorwiegend är
ztliclien Standpunkt aus
scheint mir die
von
wurde mir der Todestag später bekannt. Die Zahl der Frauen
ist in dieser Reihe noch zu gering, als dass eine gesonderte Auf¬
stellung nach den Geschlechtern schon jetzt gestattet erschien —
als d u rchschnittliche D a u o r d c r K rankheit e i -
g a b sich insgesa m t 43 M o n a t e, die kürzeste 1 rist war
3, die längste 257 Monate.
Dieser Zahl gegenüber erscheint das Ergebnis obiger Sta¬
tistik, nach dem von allen dem Heilverfahren Ueberwiesenen
über deren bereits vor der Kur bestandene Krankheitsdauer die
zuletzt gegebene 1 abeile Auskunft erteilt - noch 6 7 Jaliic
nach beendeter 1. Kur 52,7 Proz. voll und voraussichtlich ge¬
sichelt arbeitsfähig waren, als ein grosser, volkswirtschaftlicher
Gewinn!
Er wurde nicht immer leicht erreicht, ln der Haupttabelle
ist cs berücksichtigt, in einem wie grossen Prozentsatz der Fälle
und ferner, wie lange nach der ersten Ueilstättenbeliandlung
W i e d e r h o lungsk u r e n zur Sicherung des einmal er¬
langten Erfolges notwendig wurden. Die Zahl, dass o2,< Proz.
der im Jahre 1895 Verpflegten noch erwerbsfähig waren, bedeutet
zumal dann, wenn man die nachherige Kontrolle des Heilver¬
fahrens nicht nur, wie das Reichsversicherungsamt, auf die 5
nachfolgenden Jahre beschränkt. Wir sind alle überzeugt, dass
die üblichen mehrmaligen Heilstättenkuren nie und selbst nicht
in frühesten Fällen eine einmal etablierte Phthise zur Heilung
zu bringen vermögen; sie sind immer nur der erste mögliche
Schritt zu ihrem Stillstand, ihrer Besserung, ihrem Rückgang;
ärztlich sind demgemäss erneute Kuren im Laufe der folgenden
Jahre nicht allein bei erschüttertem Erfolg der ersten Heil¬
behandlung, sondern gerade zur weiteren Sicherung nach be¬
stehendem Erfolge zu empfehlen, und Befürwortung und Ein¬
leitung einer zweiten Kur ist einem ungenügenden Erfolg oder
Misserfolg der ersten nicht gleichbedeutend. Sodann bleibt es
doch ein der Berücksichtigung werter Unterschied, wie lange
nach einer Heilbehandlung die Notwendigkeit einer weiteren sich
herausstellte. Eine Aufstellung im Sinne des Reichsversiche¬
rungsamtes kann ferner doch auch nur die eigentlichen
1 1 eilstättenkuren in ihren Beachtungskreis ziehen, . nicht
aber die oft zwischendurch stattfindenden und bei hin¬
reichender Länge doch der Sanatoriumspflege mehr oder
weniger gleichwertigen, nicht selten monatelangen Kranken¬
hausbehandlungen früherer Heilstättenpfleglinge und Erholungs¬
aufenthalte derselben auf dem Lande. Eine ärztliche
Statistik muss es zum Ausdruck zu bringen suchen, was bei
einem Patienten schliesslich erreicht werden kann, der, als er
sich Jahre zuvor zum Heilverfahren meldete, als aussichtsreich
für Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit durch eine Sana¬
toriumkur sich erwies; natürlich soll dabei angegeben werden,
wann und wie oft Heilstättenkuren bei ihm zur Anwendung
kamen. Nur, wenn man dauernd den einzelnen Fall als solchen
weiter verfolgt, wird man die wichtige Frage entscheiden können,
in welchem Umfang einzelne den Verlauf der Phthise hemmend
oder fördernd beeinflussende Momente, wie die erblicheBelastung,
die ungenügende Brustkorbentwicklung, gewisse ungünstige
Berufszweige, in der Gesamtmenge vertreten sind; und es ist
nicht nur anschaulicher, sondern auch praktisch bedeutungs¬
voller, zu wissen, wie viele von schwerem Kranksein und Invalidi¬
tät bedrohte Individuen durch das segensreiche Vorgehen der
Landesversicherunganstalten im Kampfe gegen die Tuberkulose,
sei es nun durch ein- oder mehrmalige Aufwendungen, in der
Folgezeit dem Erwerbsleben erhalten blieben, als ganz allgemein
die späteren Erfolge einmaliger Heilstättenkuren zu kennen, in
diesen allen das Gleichartige für die sonst so mannigartigen
Fälle zu suchen. Denn wichtiger noch als die Kur in der Heil¬
stätte sind für die Dauererfolge die individuellen Bedingungen
jedes einzelnen Patienten, Berufsart, Wohnung, Ernährungs¬
verhältnisse, Lebensgewohnheiten, von früher her vorhandene
schwächende Einflüsse und später schädigende Momente. Wie
häufig bestand beispielsweise Alkoholismus, wie manche der
Männer gaben eine überstandene Syphilis zu! 38 der in Behand¬
lung gewesenen Frauen waren verheiratet, von 134 erfuhren wir,
7) Vgl. auch A. Bielefel dt: Der Einfluss der deutschen
Arbeiterversicherung auf die Bekämpfung der Lungentuberkulose.
Die Kranlierpflege 1901. T. 3.
19. August 1902.
MUEN'CHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
dass sic im Laufe der Jahre nach der Rückkehr aus der Heil¬
slatte sich verheirateten; die Gefahr der Puerperien für tuber¬
kulös Athzierte ist hinlänglich bekannt.
Wohl erscheinen bei unserer Betrachtungsweise die guten
Erfolger zahlreicher als bei der Aufstellung des Reichsversiche-
lungsamtes, aber dem Drange nach Schönfärberei entspringt dies
nicht. Im Gegenteil, nun der erste Enthusiasmus der neuen Ileil-
stattenbewegung verrauschte, ist es an der Zeit, immer wieder
da raut hinzuweisen, dass die Volkssanatorien für Lungenkranke,
so segenbringend ihre Wirksamkeit in volkswirtschaftlicher Be¬
ziehung zur Sicherung, Wiederherstellung und Erhaltung der
Arbeitskraft der von Schwindsucht Befallenen ist, echte
Heilungen nur vereinzelt herbeiführen, und dass’ in dieser
Umsicht ihr Nutzen nicht zu hoch veranschlagt werden darf.
Auf den geringen Prozentsatz der durch sie erreichten wirklichen
klinischen Heilungen habe ich in einer früheren Arbeit (1. c.)
bereits hingewiesen; die letzten Jahre haben diese Auffassung
nur bestätigt. Die Heilstätten sind zur Ausrottung und Ueber-
wmdung der Tuberkulose nur von bedingtem, vorwiegend in¬
direktem Wert, und die Therapie wird über das hygienisch-
diätetische Regime derselben hinaus noch nach weiteren Mitteln
und Wegen zur Heilung der Erkrankten zu suchen haben.
1373
Aus der neuen Heilanstalt für Lungenkranke zu Schömberg
O.-A. Neuenbürg.
Ueber die Beziehungen von Körperbewegungen,
Körperwärme und Albumosurie zu einander und
zum Fieber im Verlaufe der Phthise.
Von Dr. G. Schröde r, dirig. Arzt und Dr. Th. Brühl,
Assistenzarzt.
Vor allem haben uns die Arbeiten von Krehl und
M a 1 1 h e s und ihrer Schüler über die Beziehungen der Albu-
mosen, der hydrierten Eiweisskörper, zum Fieber aufgeklärt.
Fiebernde zeigen in fast 90 Proz. durch die gewöhnlichen
Reagentien nicht koagulable, also die Biuretreaktion gebende Ei-
weissarten im Urin. Diese Körper schwinden in der Regel mit
dem Abfall des Fiebers.
K r e h 1 und M a 1 1 h e s stellten Deuteroalbumosen und
das ITiston (Spaltungsprodukt des Nukleohistons, eines Nukleo-
proteids) aus den Harnen 1 iebernder dar. Bakterien sind im
stände, Eiweiss hydrolytisch zu spalten, manche Arten von
Mikroorganismen auch das Nukleohiston. Dass diese im Urin
Fiebernder auftretenden Albumosen Beziehungen zum Fieber
haben, liess sich dadurch ermitteln, dass solche Harne, gesunden
Tieren injiziert, länger dauernde Temperatursteigerungen ver¬
ursachen, als gleiche Quantitäten normalen Urins. Injiziert
man 0,3— 0,5 g Deuteroalbumose, so tritt Erhöhung der Körper¬
wärme ein, die nur bei geschwächten, hungernden und schwer
tuberkulösen Tieren wegfällt. Vielmehr entsteht bei letzteren
sofort der Kollaps (K r e h 1 und Matthe s).
Wie es. einzelne Fälle mit echtem Fieber gibt, die keine
Albumosen im Harn nachweisen lassen (K r e li 1, Matthe s),
so sind auch in einer Reihe von Krankheitszuständen mit fieber¬
losem Verlauf Albumosen im Urin gefunden worden, so bei Phos¬
phorvergiftung, akuter gelber Leberatrophie, Ulcus ventriculi,
A atronlaugevergif tungen, Darmulzeris, Karzinomen, Sarkomen
und anderen bösartigen Geschwülsten, Leukämie, Skorbut, chro¬
nischen und akuten Eiterungsprozessen (Schulthess). Gil-
e P s i e fand auch bei Gicht und chronischen Nephritiden Albu¬
mosen im Harn. Eine alimentäre Albumosurie konnten
v o s t e k und Strom ayr durch Einführen grosser Albu-
mosenmengen mit der Nahrung nur bei Leuten mit geschwürigen
Veränderungen im Darm erzeugen. Nur Haun berichtet über
einen lall eines an Meningitis leidenden Knaben, der nach 60 g
Somatose Albumosen im Harn ausschied. Hier lag aber gleich¬
zeitig eine schwere fieberhafte Erkrankung vor.
... Ahe Albumosenausscheidung kommt nicht allein bei infek¬
tiösen liebem vor, sondern auch bei den sogen, aseptischen.
Aach Knochenbrüchen (Schulthess), nach Injektion che-
mise ei Aetzmittel, von I ibrinferment oder Bakterienprodukten
(abgetöteten Bouillonkulturen von Bact. coli, Tuberkulin) findet
man im Urin Albumosen (II a a c k, Krehl und Matthe s).
Ci remen Hyperthermien (Wärmestich nach Aaron-Sach s,
No. 33.
Aufenthalt der Tiere im Wärmeofen) fehlen Albumosen im Harn.
Durch all’ diese Untersuchungen ist also ohne Zweifel mehr
Licht auf die früheren sogen. Peptonurien gefallen (genauere
Literatur über letztere bei Schulthess). Dieselben müssen
zum grössten Teile Albumosurien genannt werden, deren Zu¬
sammenhang mit dem Symptomenkomplex „Fieber“ zweifellos
besteht. Mit Albumosurie braucht zwar nicht ohne weiteres
lemperaturerhöhung verknüpft zu sein. Letztere fehlt aber nur
bei hungernden und stark geschwächten Individuen und Tieren.
V ir haben es dann bereits mit Kollapszuständen zu tun. Auch
in. solchen Fällen wird die N- Ausscheidung erhöht. _ „Im
Fieber tritt also eine qualitative Verminde¬
rung des Eiweisstoffwechsels ei n“ (K r e h 1 und
Matthe s).
Bei Durchsicht der in Frage kommenden Literatur ist auf¬
fallend, dass fiebernde Phthisiker häufig keine Albumosen mit
di m Harn ausscheiden. K r e h 1 und M a 1 1 h e s vermissten die¬
selben bei einigen Phthisikern, welche fieberten. Auch den
histonartigen Körper fanden sie nicht bei Tuberkulösen.
Schulthess erwähnt Angaben von Pacanowski,
nach dem xAlbumosurie bei Phthisis pulmonum sogar bei nor¬
maler Temperatur und bei rapid abgelaufenen Fällen mit hohem
Fieber beobachtet wird. Auch Meyer und Meine (zitiert
nach Schulthess) fanden Albumosurie bei fieberhafter
Lungen -und Darmtuberkulose.
Schulthess selbst teilt in seiner Dissertation die Albu-
mosenbefunde im Urin von 16 Phthisikern mit. 4 mal erhielt er
bei deutlichem, mässig hohem Fieber ein positives Resultat,
lmal ein sehr schwach positives, 5 mal trotz höheren Fiebers
ein negatives. 6 Fälle, welche er für fieberfrei hielt, hatten einen
albumosefreien Harn. Unter letzteren befanden sich sicher 4
mit subfebrilen Temperaturen bis 37,4 — 5 Max. Nach Injek¬
tionen von Tuberkulin zeigte sich auch nach Schulthess
stets Albumosurie.
Man sieht, die Beziehungen der Albumosurie zum chro¬
nischen lieber der Phthisiker sind durch diese Untersuchungen
nicht geklärt worden.
Auf der Naturforscherversammlung zu Hamburg 1901 hielt'
Ott einen A ortrag über diese Frage. Er hat nach unseren Aus¬
führungen mit Unrecht die Untersuchungen von Krehl, Mat¬
th e s, Schulthess auch für das Fieber der chronisch Tuber¬
kulösen, als gültig angesehen. Auch von seinen 25 Fällen, die
ei für fieberfrei hält, und deren Urin er bei ruhigem Verhalten
frei von Albumosen fand, erscheinen uns 6 Fälle als verdächtig
hinsichtlich der sogen, normalen Temperatur. 37,4—5 im After
wild nui selten beim Phthisiker eine normale Temperatur ge¬
nannt werden dürfen. Der eine von uns hat in einer Abhandlung
über das lieber im Verlaufe der chronischen Lungentuberkulose
oi,2, im Munde gemessen, als die Grenze der normalen Maximal¬
temperatur beim Phthisiker angegeben. Die allermeisten fieber¬
freien Lungenkranken überschreiten nicht 37° C. als maximale
Tagestemperatur im Munde. Der fieberlose Lungenkranke misst
nicht höher, als der Gesunde, dessen Temperatur zwischen 36
und 37 C. liegt (M arx, Schneide r). Die Aftertemperatur
steigt im Durchschnitt um 0,25 0 C. (Schneider). Der eine
von uns betonte an genannter Stelle bereits, dass diese Zahl
natürlich nur zur Richtschnur im allgemeinen Gültigkeit hat.
Sie kann in vereinzelten Fällen, so bei sehr korpulenten Kranken,
nach oben etwas überschritten werden (cf. auch Schneider).
Ferner können sehr tätige Gesunde höher messen. Im grossen
und ganzen stimmen wohl alle Phthiseotherapeuten mit unserer
Ansicht überein, wann man von fieberhafter Temperatur beim
Lungenkranken zu sprechen hat. Es ist das Verdienst Schnei¬
ders, diese A erliältnisse in seiner Dissertation an AV eickers
grossem Material in Görbersdorf nochmals klargestellt zu haben.
Ott schneidet nun in seiner Arbeit eine weitere Frage an:
„Ist die bei Phthisikern nach leichten Körperanstrengungen auf¬
tretende Temperatursteigerung als Fieber zu betrachten?“
Die Angaben von Penzoldt, Birgelen und Höch¬
st e 1 1 e r, die Körperwärme eines Menschen, der an beginnender
Lungentuberkulose leide, steige nach leichter körperlicher An¬
strengung abnorm, sind bekannt. Genannte Autoren benutzen
dieses Symptom zur Frühdiagnose. Die Richtigkeit dieser Unter¬
suchungen wird von Schneider angezweifelt, der auf Grund
zahlreicher Messungen vor und nach längeren Spaziergängen be-
2
MUENCHENER MEDICINISCHE W O CHEN S CIIRIET.
No. SS.
1374 _ _ _
hauptet, die Temperatur bei fieberfreien Lungenkranken steige
nicht nach derartigen Körperbewegungen, sondern der Eungen-
li ranke verhalte sich hier ganz wie der Gesunde. Die Erlang
Autoren hätten zumeist Fiebernde untersucht, bchnei
wandte die Mundmessung an, Lenz old t etc. Aftermessung.
Kont rollbest immungen ergaben ersterem stets eine -gleichmäßige,
oben bereits angegebene Differenz. Es muss allerdings genau und
lange genug im Munde gemessen werden, d. h. unter der Zu «
bei absolut geschlossenem Munde, in einem gleichmassig durch-
wärmten Zimmer. Es wird dann auch evtu‘. niedere Aus^n-
temperatur keinen Einfluss haben. Letzteres hat Erl. Dr. L 1 u h m
p 1 1 1
Auf Grund ihrer und eigener Untersuchungen ver¬
wirft Ott die Mundmessung beim Lungenkranken. Ott fand
nämlich, dass nach einstündigem Spaziergang seine beber-
freien (?) Kranken im Munde eine gleiche oder etwas tiefer
Temperatur als vorher zeigten, während die Aftertemperatur
abnorm stieg und fieberhafte Zahlen aufwies. Er nahm dann
an. dass ein echtes Eieber nach grösseren Spaziergangen beim
Phthisiker entsteht, weil 76 Proz. seiner untersuchten 1 alle nach
dem Gange Albumosurie hatten. Er hält damit seine Beweis-
nihwfr Anzieht sein. Ein Teil der O 1 1 sehen
Fälle scheint uns zum mindesten Neigung zum Fieber zu haben.
Dann ist Albumosurie ein beim Fieber der Lungenkran cen
durchaus nicht immer vorkommendes Symptom. Ott durfte
daher seine „unsicheren“ Resultate nicht mit zu den positiven
rechnen. Einen wirklich positiven Befund erhob er nur m
36 Proz seiner Fälle. Endlich erscheint uns seine Versuchs¬
anordnung sehr bedenklich. Er liess seine Kranken die doch
zum Theil unsichere Temperaturen hatten und nicht alle zu
Initialfällen gehörten, in einer Stunde V/* km zunächst a
Jnitialtaiien genorien, ~ ,
fallendem und zurück auf steigendem Wege machen . Eine de
artig forcierte Leistung ist bei nicht absolut sicher fieberfreien
und schweren Kranken immer zu verbieten.. Eintretendes Fie er
mit stärkerer Eiweisszersetzung würde uns m solchem Falle nicht
wundern. Die O 1 1 sehe Beweisführung zeigt also Mangel. Er
dürfte aus seinen Untersuchungen keine therapeutischen Schluss¬
folgerungen ziehen. Im grossen und ganzen ist die Frage durch¬
aus nicht geklärt und verdient es, nachgepruft zu werden. Wir
bemühten uns zu dem Ende, die Fragen möglichst exakt zu stellen.
Es handelt sich darum, zu ermitteln:
1 sind Mund- und Aftermessungen bei Lungenkranken
gleichwertig? ^
2. Ist die nach Bewegungen im After gefundene lem-
peratursteigerung pathognomonisch für Lungentuberkulose.
3. In welcher Beziehung stehen Albumosurie und chronisches
Fieber im Verlaufe der Phthise zu einander?
4. Hat die Temperatursteigerung im After nach körperlichen
Bewegungen eine Bedeutung als Fiebersymptom für die Diagnose
und Therapie der chronischen Lungentuberkulose?
Unsere Versuchsanordnung war folgende:
Zu den Messungen wurden nur amtlich geprüfte Maxnna -
thermometer verwandt und zwar wurde 8—10 Minuten im Munde
unter der Zunge, 5 Minuten im After gemessen. Bei einer Reihe
von Fiebernden stellten wir in absoluter Ivörperruhe
Vergleichsmessungen zwischen Mund- und Aftertemperaturen an.
Eine weitere Reihe Kranker und Gesunder wurde vor, sofort
und Vz Stunde nach einem Spaziergange im Mund und Alter
gemessen. Wir wollen bereits hier bemerken, dass wir unsere
benutzten Kranken nur den auch früher therapeutisch ordinier¬
ten Spaziergang unter Aufsicht eines Arztes machen liessen,
dessen Dauer genau den Kräften angemessen war. Alles for¬
cierte Laufen wurde vermieden. Stets zu Beginn des Spazier¬
ganges stieg der Weg an, am Schlüsse gings bergab. Alle gingen
Areng im Kurschritt, vorgeschriebene Atemübungen führten
die Kranken genau aus. Niemand empfand daher nach Be¬
endigung des Ganges eine Ermüdung. Die Messungen fanden
gleichfalls unter Kontrolle eines Arztes statt und zwar hielten
sich die Versuchspersonen, ehe sie massen, 10 Minuten m einem
gleiclimässig durchwärmten Zimmer auf. Gesunde vollführten
entsprechend grössere Leistungen, ohne sich aber stark zu er-
Die Urine einer Reihe von Fiebernden und den meisten
Kranken und Gesunden wurden vor und nach dem Spaziergange
auf Albumosen untersucht. Die dabei eingehaltene Methodi!
war folgende: Alle Urine untersuchten wir zunächst auf A
bumen und Diazo und wiederholten damit z. T. schon oftmals
früher angestellte Untersuchungen. Zum Nachweis der Albu¬
mosen benutzten wir die von den Jenenser Autoren gehandhabte
(Methode A) und z. T. zur Kontrolle die von B ang W ^
Methode (Methode B). Erstere führten wir in der Weise au
dass jedesmal 10 ccm Urin mit dem 8 fachen ^ °1^ 96 j
Alkohols versetzt ca. 15 Stunden stehen blieben. Der -klare lc
des Alkohols wurde dann abgegossen und der dicke, , m i cj
weisse Niederschlag filtriert, der trockene Filterruckstand mit
15 ccm heissen Wassers überfiltriert und an einem Teil. des li
trates die Biuretreaktion angestellt. Fiel dieselbe positiv aus,
so prüften wir das Filtrat weiter auf koagulables Eiweiss Nukleo¬
albumin und Muzin und ermittelten so, ob der positive Au f a
der Reaktion auch wirklich auf Albumosen zuruckzufuhren war
Die zweite von uns angewandte Methode beruht darau ,
durch Zentrifugieren des mit Ammoniumsultat heiss
gesättigten Urins die Albumosen zusammen mit etwaigem Al¬
buinen, Urobilin neben etwas Harnsäure und Harnsalzen um 1er-
zuschlagen und dann durch weitere Manipulationen die Albu¬
mosen von den übrigen Harnbestandteilen zu trennen. Wir
nahmen auch bei dieser Methode stets 10 ccm _ Urin; m den
meisten Fällen genügten gemäss der Vorschrift B a g s 8
Ammonium sulfat zur Sättigung, aber einige Male, speziell tu
die Urine von Gesunden, mussten 10-12 g des Ammomumsakes
verwandt werden zwecks Sättigung und nachherigen guten
Zentrifugierens. Man muss sich übrigens, wie B a n g auch an¬
gibt, h ü t e n, bei der durch Erhitzen im Reagensglas bewerk¬
stelligten Lösung des Ammoniumsulfates langer zu kochen,
weil sonst eventuell künstlich Albumosen gebildet werden
könnten (M atthes [9]). Nach vollendeter Losung lasst man
einmal aufkochen, die heisse Losung wird dann ca, 1 bis
1V2 Minuten zentrifugiert. Der Zentrifugenbodensatz wird nach
Abgiessen der Salzlösung mit 96 proz. Alkohol im Mörser ver¬
rieben; etwaiges Urobilin geht dabei in alkoholische Losung
zurück bleiben Albumosen, Albumen, Harnsäure und Salze, Eaci
Abgiessen resp. Abpipettieren des Alkohols wird der Euctond
in destilliertem Wasser (15 ccm) gelost, die Losung gekocht u
filtriert. Auf dem Filter bleiben Eiweiss, Harnsaure und Salze,
das Filtrat enthält die eventuellen Albumosen um
gibt dann die Biuretreaktion. Bei Anstellung der Re¬
aktion wurde nach Zusatz der Kalilauge stets einige Zeit ge¬
wartet, bis die Sulfate sich gesetzt hatten und der Ammoniak
verdunstet war; dann erst wurde die 10 proz. Kupfersulfatlosung
und zwar 3—4 Tropfen (stets dieselbe Anzahl) zugesetzt.
Bei der ersten Reihe unserer Untersuchungen, derjenigen der
Urine fiebernder Phthisiker, wurden diese beiden
Methoden injedem F alle nebeneinander durchgefuhrt. Nach¬
dem wir uns dabei von der Gleichwertigkeit beiter
Untersuchungsmethoden überzeugt hatten, wandten
wir weiterhin im allgemeinen, der bequemeren Ausführbarkeit
wegen, hauptsächlich die erste Methode an, kontrollierten aber
deren Resultate durch die B a n g sehe m allen den lallen, wo
der Ausfall der Reaktion bei der ersten Methode uns nicht
ganz zweifellos negativ erschien.
Im Folgenden geben wir die Resultate unserer Unter
suchungen wieder *) :
55 vergleichsweise ausgeführte Mund- und Aftermessunge
bei fiebernden, zum Fieber geneigten und fieberfreien. Lungen¬
kranken, die sich ruhig verhielten, ergaben im Mittel eine
Differenz von 0,34° C. zu Gunsten der Aftermessungen. Es fiel
uns auf, dass Kranke mit labiler Körperwärme, sobald sie sich
nur wenig bewegten, ferner fieberfreie Phthisiker und Gesunde,
die ihrem Körper mehr Bewegung zumuteten, im ganzen höhere
Differenzen zwischen Mund- und Aftertemperätur hatten as
obige Mittelzahl angibt. Aus den Tabellen wird das ersichtlich.
Wir werden weiter unten noch auf diese Erscheinung zuiuc^
kommen. , . „ . „„j
Ueber Messungen der Temperatur bei Gesunden vor
nach Spaziergängen liegen widersprechende Angaben vor.
Penzoldt und Birg-« len bringen darüber Notizen aus der
älteren Literatur, welche nicht recht vergleichsfahig sind, hie
*) Die Untersuchungen wurden Ende Mai 1902 beendet.
19. August 1902. _ MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
selbst finden bei Gesunden eine durchschnittliche Steigerung der
Aftei temperatur nach einem niclit sehr anstrengenden Gange
um 0,66 0 C., dagegen bei Tuberkulösen um 0,61 0 C., bei für
1 uberkulose \ erdächtigen um 0,51 0 C., bei Emphysematikern
um 0,52 0 C. Diese Zahlen berechneten wir aus den Tabellen
der beiden Autoren. Höchstetter fand bei Gesunden nur
eine Steigerung von 0,54" C. im Mittel, bei Phthisikern von
0,9 C. Penzoldt und Birgelen hätten nach ihren Unter¬
suchungsergebnissen eigentlich keine Unterschiede im Verhalten
Gesunder, Tuberkulöser und für tuberkulöse Verdächtiger er¬
mitteln können. Die neueren Arbeiten von Schneider und.
Ott lassen Eontrollmessungen bei Gesunden ganz vermissen.
AA ir geben in folgender Tabelle die Ergebnisse von Tem¬
peraturmessungen bei nichttuberkulösen, zumeist völlig gesunden
inM leistungsfähigen Personen an, die an grössere regelmässige
Tätigkeit gewöhnt sind. Die Dauer des Marsches betrug 1 bis
U/s Stunden und wurde so gegangen, dass die Beteiligten leicht
ermüdeten.
Tabelle I.
Nichttuberkulöse.
No.
Körperwärme
vor dem
Spaziergang
Körperwärme
sofort nach d.
Spaziergang
Körperwärme
nach 72 Stde.
Ruhe
Bemerkungen
Mund
After
Mund
After
Mund
After
1
36,8
37,4
37,0
38,3
36,9
37,4
Leichte Arthritis
urica.
2
37,2
37,8
37,4
38,3
37,4
37,8
Fettleibigkeit I. Gr.
3
36,6
37,5
36,5
37,8
36,8
37,8
Anämie mässigen
Grad.
4
36,7
37,3
36,4
37,8
36,6
37,2
Asthma bronchiale.
5
—
—
37,1
38,4
—
—
Fettleibigkeit I Gr.
6
—
—
36,9
38,2
—
—
No. 1 zu anderer Zeit
wiederholt.
7
37,2
37,7
37,1
37,8
—
—
—
8
36,9
37,4
37,0
37,9
—
—
—
9
36,9
37,1
37,0
37,7
36,7
36,7
—
Man sieht also aus Tabelle I, dass bei gesunden und an
andersartigen Affektionen als Tuberkulose leidenden Personen,
bei denen die normale Leistungsfähigkeit nur in Fall 4 be¬
schränkt war, eine abnorme Steigerung der Körperwärme im
After nach einem 1 — 1!4 ständigen Spaziergang eintritt — nur
in 1 all 7 war dieselbe wenig markant — , welche nach Vz stän¬
diger Ruhe wieder zur Norm zurückkehrte, während die Mund¬
temperaturen konstant blieben oder eine geringe Neigung zum
Abfall zeigten.
Die zu gleichem Zwecke untersuchten Tuberkulösen schieden
Avir in 2 Gruppen, nämlich a) in absolut Fieberfreie, b) in Kranke
mit Neigung zu Temperatursteigerungen und geringer Erhöhung
der Eigenwärme.
Tabelle II.
Fieberfreie Tuberkulöse.
Stadium
Temper
a t u r
e n
No.
vor dem
Spaziergang
sofort nach d.
Spaziergang
'/ 2 St. nach d.
Spaziergang
Bemerkungen
Mund
After
Mund
After
Mund
After
1
II
37,2
37,2
37,0
38,1
37,2
37,5
1 Stde. nach dem
2
II
36,8
37,1
37,0
37,8
37,2
37,4
Mittagessen wurde
3
\
II
36,8
37,4
36,9
37,9
37,1
37,5
langsam lStd.kur-
gemäss unter ärztl.
I
37,2
37,3
37,2
37,5
37,2
37,4
Aufsicht gegangen.
5
III
36,8
37,2
36,9
37,5
37,1
37,5
Niemand ermüdete.
In diesen Fällen war der Anstieg der Aftertemperatur im
ganzen weniger hoch als bei Nichttuberkulösen. Dieselbe blieb
änger etwas erhöht, während die Mundmessungen nur unbedeu¬
tende Differenzen aufwiesen.
1375
Tabelle III.
Tuberkulöse mit labiler oder leichterhöhter
Körperwärme.
s
s
"3
c3
-4-=>
Temper
'atu
r e n
No.
vor dem
Spaziergang
sofort nach d.
Spaziergang
l/2 St. nach d.
Spaziergang
Bemerkungen
c/}
Mund
After
Mund
After
Mund
After
1
I
37,3
37,7
37,1
38,2
37,4
38
2
II
36,8
37,5
36,8
37,8
37,2
37,4
Wegdauer 30 bis
40Minuten, sehr
3
I
37,3
37,7
36,7
37,7
37,1
37,6
langsames, ruhi-
4
III
37,4
37,6
37,5
38,0
37,6
37,7
gesTempo, keine
Ermüdung.
5
II
37,2
37,6
37,2
37,5
37,0
37,4
Die Steigerung der Aftertemperatur nach dem Gange blieb
dieses Mal in 2 Fällen (3 und 5) ganz aus. Im übrigen verhalten
sich diese Kranken ähnlich den in Tabelle II genannten. Fall 1
und 3 zeigten deutliches Absinken der Mundtemperatur nach dem
Spaziergang. Aus Tabelle I — III ist sofort ersichtlich, dass Tem¬
peratursteigerungen im After nach mässigen körperlichen An¬
strengungen bei Nichttuberkulösen so gut wie bei Tuberkulösen,
fast sogar stärker bei ersteren auftreten. Bei diesen sinkt da¬
gegen die Aftertemperatur nach Vz ständiger Ruhe wieder
schneller, als bei den Kranken.
Die im Munde unter der Zunge gemessenen Zahlen verhalten
sich im Ganzen konstant. Eine Neigung zum Abfall sofort nach
dem Spaziergange lässt sich nicht verkennen.
Ohne Zweifel ist es nunmehr recht interessant und wichtig,
festzustellen, ob das geschilderte Phänomen einer Erhöhung der
Körperwärme im Rektum nach leichten körperlichen Anstren¬
gungen wirkliches, echtes Eieber zu nennen ist, oder nicht. Dass
nichttuberkulöse, leistungsfähige Menschen sich hiebei wie
Tuberkulöse verhalten, macht es bereits zweifelhaft. Wir haben
oben gesehen, dass Albumosurie ein bei Fieber sehr häufig be¬
obachtetes Symptom ist, dass es aber beim chronischen Fieber
der Phthise oftmals vermisst wird. Trotzdem ist es für unsere
Frage von Bedeutung, zu ermitteln, wie es sich mit der Albumos¬
urie bei derartigen Temperaturanstiegen nach Körperbewegungen
verhält. Die Ottschen Untersuchungen sagen uns darüber ja
bereits manches.
(Schluss folgt.)
Aus der medizinischen Klinik des Herrn Geheimrates Prof.
Dr. Riegel in Giessen.
Zur Diagnose der angeborenen Schwindsuchtsanlage.
Von Professor Dr. Georg Sticker.
Dass die meisten, ja fast alle Menschen in den dichtbevöl¬
kerten Gegenden Europas und Nordamerikas während ihres
Lebens einmal tuberkulös gewesen sind und dass die Tuberkulose
bei ihnen öfter ausheilt als zum Tode führt, sind bekannte Er¬
gebnisse zahlloser Leichenuntersuchungen, mit welchen die Be¬
obachtungen der Aerzte an den Lebenden mehr und mehr in
Uebereinstimmung gelangen.
Die Verschiedenheit des Ausganges der Tuberkulose bei ver¬
schiedenen Menschen kann, soweit wir heute sehen, dreierlei
Gründe haben :
1. Unterschiede in der Virulenz des Tuberkuloseerregers
oder, was nahezu auf dasselbe hinauskommt, das Vorhandensein
verschiedener für den Menschen als Krankheitserreger wirkender
Tuberkelbazillenarten ;
2. Unterschiede im Hinzutreten oder Fehlen von äusseren
Hilfsursachen der Ansteckung;
3. Unterschiede in der Empfänglichkeit des vom Tuberkel¬
bazillus befallenen Organismus für seinen Feind. Hierbei wäre
eine besondere örtliche Empfänglichkeit der Eintrittsstelle des
Tuberkelbazillus zu unterscheiden von einer mehr oder weniger
allgemeinen, der weiteren Ausbreitung günstigen Empfänglich¬
keit. Auch wäre nicht zu vergessen, dass bei demselben Menschen
die Empfänglichkeit in verschiedenen Zeiten seiner Entwicklung
wechselt.
Wenn man nun versucht, solche Unterscheidungen festzu¬
halten und durchzuführen, darf man sich nicht verhehlen, dass
2*
1376
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
(las Verhältnis zwischen der Virulenz eines bestimmten Tuberkel¬
bazillus und der Empfänglichkeit eines bestimmten menschlichen
Individuums kein einigermassen feststehendes bleibt. Die An¬
passung des Wirtes an den Parasiten oder des Parasiten an den
Wirt tritt wie überall im Parasitismus so auch im \ erhältnis
zwischen Tuberkelbazillus und Mensch ein und hat, je nachdem,
das Obsiegen des einen oder des anderen zur Folge. Zum Be¬
weise erinnere ich nur an zwei gewöhnliche Beobachtungen,
welche jeder Arzt machen kann: 1. Die anfangs allmähliche und
schleichende, dann heftiger sich äussemde und endlich wild ver¬
heerende Ausbreitung der Tuberkulose in menschlichen Ge¬
meinden, in denen die Uebertragung des Erregers günstige Be¬
dingungen findet. Ein Beispiel dafür habe ich gegenwärtig unter
Augen, im Nachbardorf PL, in welchem seit etwa einem -Jahr¬
zehnt, unter der Vermittlung von Zigarrenfabriken, eine stetig
zunehmende Verbreitung der Tuberkulose und eine zweifellose
Steigerung ihrer Virulenz stattfindet. 2. An die allmähliche Im
munisierung von Familien gegenüber dem Tuberkelbazillus, dei
während einiger Generationen unter ihnen gewaltet hat. Belege
hierfür findet man in der eigenen Erfahrung oder sonst in den
Büchern von Riffel (Mitteilungen über die Erblichkeit und
Infektiosität der Schwindsucht, 1892), A m m o n (Die natürliche
Auslese beim Menschen, 1893) und Reibmayr (Die Ehe
Tuberkulöser und ihre Folgen, 1894).
Die Abschwächung oder Steigerung der Virulenz eines be¬
stimmten Tuberkelbazillenstammes in seinen Generationen,
welche zum Ueberfluss noch durch zahlreiche experimentelle
Arbeiten aus den letzten Jahren bestätigt wird, würde schon eine
grosse Bedeutung für die Verschiedenheit des Ausganges der
Tuberkulosekrankheit im einzelnen Falle auch unter der Voraus¬
setzung haben, dass es nur einen einzigen Bazillus tuberkulosis
hominis gibt. Vieles spricht aber dafür, dass wir heute den Be¬
griff des Tuberkelbazillus und der Tuberkulose zu allgemein
fassen und dass sich vielleicht im Laufe der Zeit heraussteilen
wird, dass der Tuberkulose ebensowenig eine ätiologische wie
eine anatomische Einheit zukommt, dass wir zwischen ver¬
schiedenen Stämmen, Arten und Abarten des Tuberkelbazillus
unterscheiden müssen, dass es gefährlichere und ungefährlichere
Bazillen mit den Kennzeichen der „Gruppe Tuberkelbazillus“
gibt, so dass es also zukünftig einmal nötig werden kann, zwei,
drei oder noch mehrere Tuberkulosen des Menschen zu sondern.
Wie dem aber auch sein möge, wie stark weiterhin die Gunst
oder Ungunst äusserer Bedingungen, Lebenshaltung, Ernährung,
Alkoholismus,, überstandene und noch bestehende Krankheiten
u. s. w. die Infektion eines Menschen mit dem einen oder anderen
Tuberkuloseerreger beeinflussen und das Gedeihen der Krankheit
unterstützen möge, keinesfalls wird jemals weder die Annahme
oder die Nachweisung einer verschiedenen Virulenz verschiedener
Tuberkelbazillenstämme oder verschiedener Tuberkelbazillenarten,
noch auch die gründlichste Berücksichtigung der Hilfsursachen
der Tuberkulose ausreichen zu einer vollständigen Erklärung der
Tatsache, dass sich verschiedene Individuen und Familien gegen¬
über der Tuberkuloseinfektion durchaus verschieden verhalten
können.
Auch in dem Falle, dass Tuberkelbazillen derselben Herkunft
und der gleichen Anpassungsstufe auf eine Menschengruppe ein¬
wirken, welche, dem grösseren Verkehr entzogen, eine möglichst
gleichartige Lebensweise führt — diese Voraussetzung wird in
den abgeschlossenen Gemeinden von Meerinseln, Fischerdörfern,
Gebirgsorten verwirklicht — , auch unter dieser Voraussetzung
treten grosse Unterschiede im Bilde und im Verlauf der tuberku¬
lösen Erkrankung zu Tage, die gewiss zum Teil auf dem Wechsel
der Eintrittspforte des Erregers und auf zufälligen Hilfsursachen
beruhen, zum grösseren Teil aber, zumal in den topographisch
gleichwertigen Fällen, in welchen der Beginn des Uebels an be¬
stimmten Körperstellen (Lungenspitze u. s. w.) auf die gleiche
Eintrittspforte deutet, zweifellos einer wechselnden Widerstands¬
kraft der Befallenen zur Last zu legen sind.
Die inneren Bedingungen, welche die Gefahr der Infektion,
das Haften des Infektionskeimes, das mehr aktive oder passive
Verhalten des befallenen Organismus bestimmen, können zweifel¬
los an ein Organ oder an die gesamte Organisation gebunden
sein, auf einer besonderen örtlichen oder einer besonderen all¬
gemeinen Konstitution beruhen. Aber diese berechtigte
Annahme führt nicht weiter. Es gilt, die besondere Konstitution
zu definieren; es gilt, die anatomischen oder die physiologischen
oder besser diese beiden Seiten der Grundlage zu bestimmen,
auf welcher erfalirungsgemäss der eine, wenn er von dem Tuber-
kelbazillus befallen worden, leicht den Sieg davonträgt, während
ein anderer den Feind schwer oder gar nicht überwindet, auf
der bei dem einen sich das Uebel in einer Mandelschwellung,
in einem Hautknötchen oder in einer Drüsenentzündung er¬
schöpft, bei dem zweiten in einer Knochenkaries oder in einer
Lungenspitzenzerstörung oder in einer Bauchfellentzündung be¬
grenzt wird, bei dem dritten in eine erschöpfende Lungen¬
schwindsucht, Darmschwindsucht, Nierenschwindsucht ausartet
und bei dem vierten rasch durch eine weite Ausbreitung zum
Tode führt.
So alt nun die Erkenntnis der Tatsache ist, dass zwar jeder
Mensch vom Keim der Tuberkulose ergriffen werden kann, aber
noch lange nicht jeder ihm unterliegt, so unklar sind heute noch
der Begriff und die Ursachen der Konstitutionsschwäche, welche
den verhängnisvollen Verlauf einer tuberkulösen Erkrankung bc
dingen. Das gilt für die Tuberkulose im allgemeinen und für die
Lungentuberkulose im besonderen.
Wir sind kaum über die Wörter hinaus, mit welchen die
hippokratischen Schriften die anatomische Anlage zur Lungen¬
schwindsucht auszudrücken versuchen: MtvtL &sts , ifdtvovies
qp&ioixoi, Menschen mit angeborener Schwindsuchtsanlage, mit
beginnender Schwindsucht, mit ausgesprochener Schwindsucht
werden von jeher unterschieden. Die Menschen mit angeborener
Schwindsuchtsanlage zeichnet der Verfasser der Epidemien so
gut wie Engel, Rokitansky, Beneke, Brehmer als
die jungen Leute mit flachem Brustkorb, mit flügelförmig ab¬
stehenden Schulterblättern, mit kleinem Herzen und luftfüliren-
dem Gedärm. Aber versucht man, das, was dem allgemeinen
Eindruck der Schwindsuchtsanlage zu Grunde liegt, wissen¬
schaftlich festzustellen und zahlenmässig mitzuteilen, so zwar,
dass auch die geringeren Grade der Konstitution erkennbar
wären, dann versagt unser Wissen. Die vortrefflichen Arbeiten
Engels über die Bedeutung der Thoraxform für die Schwind¬
sucht haben schliesslich nur bestätigt, was das einfache An¬
schauen der paralytischen Thoraxform lehrt, die mühsamen
Untersuchungen Benokes am Gefässystem der Schwind¬
süchtigen haben Ursache und Folge der Schwindsucht nicht ge¬
nügend unterschieden und sind überdies bisher vom Leichentisch
nicht auf den Lebenden übertragen worden, und ebenso^ ent¬
behren die anatomischen Erhebungen Rokitanskys wie die
klinischen Hinweise Brehmers bezüglich der Gleichgewichts¬
störung zwischen Körpergrösse und Herzentwicklung, Anlage
und Tätigkeit des Verdauungsapparates u. s. w. bei Schwind¬
süchtigen durchaus der Schärfe und Bestimmtheit, welche sie
für die Diagnose der Phthisiskonstitution brauchbar machen
könnten. Immerhin werden weitere Forschungen über die Mor¬
phologie der Schwindsuchtsanlage die von den genannten
Meistern geschaffenen Grundlagen zu benutzen und womöglich
zu dem hippokratischen Gesamtbilde zu vereinigen haben.
Damit wäre freilich nicht alles für die Bestimmung der
angeborenen Phthisiskonstitution geschehen. Neben der Mor¬
phologie derselben müsste ihre Physiologie studiert werden; ja
mir scheint, diese müsse vor jener gegründet werden, da am
Lebenden in jedem Falle Funktionsstörungen leichter zu er¬
mitteln und zu messen sind als anatomische Abweichungen, die
erst dann deutlich ausgesprochen zu sein pflegen, wenn sie einen
höheren Grad erreicht haben.
Ehe ich auf die physiologische Seite der angeborenen
Phthisiskonstitution weiter eingehe, darf ich die Bemerkung
nicht unterlassen, dass ich bei allen ferneren Auseinandersetz¬
ungen die Merkmale der Lungen schwindsuchtsanlage im
Auge habe, dagegen von den Grundlagen für den Ausgang einer
tuberkulösen Infektion des Darms, der Harnorgane, der Lymph-
drüsen in Tabes mesaraica, Phthisis renalis, tödliche Meningitis
u. s. w. zunächst ganz absehe. Es ist ja von vornherein durchaus
nicht sicher, ob die Anlage zur Lungenschwindsucht mit der An¬
lage zur Darmschwindsucht u. s. w. übereinstimmt. Indem ich
also für mich das Feld der Untersuchung begrenze, verkenne ich
nicht, dass ich vielleicht nur einen kleinen Teil des wirklichen
Arbeitsfeldes in Angriff nehme.
19. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1377
Um ganz ins klare über die physiologischen Ursachen zu
kommen, denen zufolge eine tuberkulöse Lungeninfektion unter
gleichen äusseien \ erhältnissen das einemal der Ausheilung zu*
neigt, das anderem, al zur fortsch reitenden Schwindsucht führt,
und denen zufolge es in der einen Familie viel Heilfälle, in
der anderen keine oder so g'ut wie keine gibt, wenn einmal die
I uberkulose darin einheimisch geworden ist, müssten wir die
erhaltenden organischen Kräfte der Lunge und ihrer Hilfs¬
apparate genauer kennen, als sie uns in Wirklichkeit bekannt
sind. Wir müssten die Regenerationskraft oder, was dasselbe ist,
die physiologische Breite der Wachstumskraft des Epithels und
des Bindegewebes und des Muskelgewebes der Luftwege zahlen-
mässig darstellen können ; wir müssten die Ernährungskräfte für
jene Gewebe in der Grösse der Blutzufuhr, ihren Stoffwechsel
in der Abfuhr aus1 \ enen und Lymphgefässen bestimmen können ;
wir müssten die Kräfte der Atmungsmuskulatur, vor allem die
der Inspirationsmuskeln, anzugeben vermögen; wir müssten
endlich die immunisierenden Hilfskräfte, welche entferntere Or¬
gane und Körperprovinzen in Gestalt von Phagocyten, Anti¬
toxinen u. s. w. in Tuberkulosegefahr zur Lunge zu entsenden
im stände sind, messen können.
Nichts von dieser unabsehbaren Aufgabe ist bisher gelöst
oder auch nur in Angriff genommen. Was die Physiologie der
Atmungsorgane herausgebracht hat, ist die Messung des Nutz¬
effektes der Atmung, wie sie sich in den Formen und Bewegungen
der Brust und im Gaswechsel der Lunge darstellt. Was die
Klinik von den physiologischen Erkenntnissen für ihre Zwecke
verwertet hat, ist in den Worten der Thoralmmetrie, der Spiro¬
metrie und der Pneumatometrie, in den Leistungen Hutchin¬
sons, W intrichs, Riegel s, W aldenburgs u. a. aus¬
gedrückt. So bedeutungsvoll die genannten Methoden und Ar¬
beiten für die Diagnose der Krankheiten der Lunge und der
Lungentuberkulose insbesondere geworden sind, nichts ist bisher
für die Diagnose der Krankheitsanlage mit ihnen gewonnen
worden.
Unsere Frage wäre also diese, ob die vorhin genannten
organischen Kräfte der Lunge direkt der Messung zugän«ig ge-
o O O O O
macht werden können?
Indem ich diese Frage erwog, fand ich sie nach allen Rich¬
tungen von den grössten Schwierigkeiten umlagert. Weder für
die Wachtumskräfte der Atmungsgewebe, noch für die Grösse
ihrer Ernährung, ihres Stoffwechsels und ihrer Entgiftung, noch
für das Mass der Hilfsbereitschaft des Gesamtorganismus sah ich
die Möglichkeit wissenschaftlicher Messung. Am ehesten schien
es mir möglich, die Inspirationskräfte zu messen und in ihnen
einen indirekten Wert für die Gradbestimmung der Schwind¬
suchtsanlage zu gewinnen. Die Berechtigung, von der Entwick¬
lung der Thoraxmuskulatur mit Vorsicht auf die Widerstands¬
kraft der Lungen zu schli essen, ging aus der längst anerkannten
Bedeutung der paralytischen Thoraxform für die Anwartschaft
zur Schwindsucht hervor. Vorbilder für die Messung der Muskel¬
kraft und der Muskelermüdbarkeit hatte die physiologische
Technik geliefert.
In zweiter Linie schien mir eine indirekte Bestimmung der
Lrnährungskräfte der Lunge möglich, soweit nämlich eine
schwächere oder stärkere Anlage des gesamten Zirkulations¬
apparates einen vorsichtigen Schluss auf seine besondere Leistung
für die Lunge gestattet. Das kleine Herz, die Hypoplasie der
Arterien treten als Bestandteile der Phthisiskonstitution ebenso
deutlich hervor, wie die verhängnisvolle Bedeutung der Pulmo¬
nalarterienstenose für den Verlauf der Lungentuberkulose.
Nach einigen vergeblichen Vorversuchen ist es mir gelungen,
die erste Aufgabe, die Messung der Inspirationskräfte, im grossen
und ganzen zu lösen und meinem Zwecke dienstbar zu machen.
Die zweite Aufgabe, eine indirekte Bestimmung der Lungen-
emahrung, ist wenigstens in Angriff genommen und erscheint
nur lösbar.
Gegenwärtig berichte ich nur über die Messung der Kraft
und Ausdauer der .Inspirationsmuskeln.
Als Apparat dient ein Instrument, welches ich vor 6 Jahren
fertiggestellt und bezüglich seiner Brauchbarkeit seitdem ge¬
nügend erprobt habe, um es heute für eine allgemeinere An¬
wendung empfehlen zu dürfen. Anfänglich hatte ich an der
Leberwindung der elastischen Kraft von Federwagen die In (
No. 33.
spirationskraft zu messen versucht, muste aber die verfertigten
Modelle als unzweckmässig verwerfen.
Das fhorakodynamometer, welches ich heute em¬
pfehle, ist als Schnellwage gebaut, als eine Scbnellwage mit un¬
gleicharmigem Hebel, welche ich, sozusagen, auf den Kopf ge¬
stellt habe, um statt der an den Wagebalken ziehenden
Schwerkraft den Auftrieb einer von unten her wirkenden Druck¬
kraft messen zu können. Es hat die folgende Gestalt:
Auf einem schweren Eisenfuas (f), der mit Rollen läuft, er¬
hebt sich eine hohle eiserne Säule (s), in welcher mittels Trieb¬
stange (t) und Zahnrad (r) der Wagenhalter (h) aufwärts und ab¬
wärts gestellt wird, damit die ganze Wage senkrecht verschoben
werden kann. Die Wage hängt im | | förmigen Wagenhalter der¬
art, dass die Brücke (b) auf einer Schneide banlanciert und mittels
einer zweiten Schneide den Hebel (w) trägt, der sich zugleich auf
das kurze Brückenende stützt. Am langen Brückenende ist eine
Skala angebracht, auf welcher ein verschiebbares Laufgewicht (I)
je nach seiner Stellung eine verschiedene Belastung der Wage er¬
zeugt. Der Hebel (w) trägt am freien Ende eine abwärts gehende
Stange, an die unten mittels eines Kugelgelenkes eine runde Platte
(p) befestigt ist. Letztere nimmt die Bewegungen des Brustbeins,
der horizontal auf festem Tisch liegenden Versuchsperson auf und
überträgt die Bewegung mit einer der Muskelanstrengung ent¬
sprechenden Kraft auf die ganze Wage. Diese Kraftwirkung wird
durch Verschiebung des Laufgewichtes ausgeglichen und so ge¬
messen.
Bei der Ausführung der Messung ist es nötig, dass die Platte
(p) genau auf die Mitte des Brustbeins während der Ruhelage des
Thorax gesetzt wird; zu dem Zweck war die Triebvorrichtung an
der Säule nötig und zugleich eine (in der Figur nicht gezeichnete)
Hemmung daran erforderlich, durch welche die. Kurbel festgestellt
werden kann. Da es sich darum handelt, die maximale Leistung
der Brustatmung zu messen und ebenfalls die Ermüdbarkeit zu be¬
stimmen, so muss die Versuchsperson mit aller Kraft in ruhigem
Tempo möglichst tiefe Atemzüge tun und diese so lange sie kann
fortsetzen. Der Beobachter hat darauf zu achten, dass die
Atmung allein von der Brustmuskulatur und dem Zwerchfell, ohne
Zuhilfenahme der Schultermuskeln und der Lendenmuskeln ge¬
schieht, sofort also den Versuch zu unterbrechen, wenn die Ver¬
suchsperson anfängt, sich auf die Ellenbogen oder Schulterblätter
zu stützen und das Becken zu bewegen; er würde sonst eine
Muskelkraft mitmessen, die nur in besonderen Zwangslagen und in
durchaus pathologischen Fällen die Einatmung unterstützt.
Was nun die Auslegung der gewonnenen Zahlenwerte an-
geht, so ist selbstverständlich zunächst nicht zu vergessen, dass,
was mit dem Thorakodynamometer gemessen wird, in Wirklich¬
keit nicht die ganze Kraft der Inspirationsmuskulatur ist, son¬
dern nur der Teil, welcher nach Ueberwindung der natürlichen
Widerstände für die Inspirationsmuskeln — Schwere des Brust¬
korbes, Elastizität der Lunge, Differenz zwischen äusserem Luft¬
druck und jeweiligem Binnendruck in der Lunge, Reibung der
Luft in. der Zuleitung — noch übrig bleibt; er gibt mit anderen
Worten nur die sogen. Reservekraft der Inspirationsmuskulatur
an, welche sich zusammensetzt aus dem unverbrauchten Kraft¬
vorrat der gewöhnlichen Einatmungsmuskeln und aus der Kraft
3
1378
der Hilf smusk ein, soweit diese bei gesteigerter Atmungs¬
anstrengung in natürlichen Verhältnissen in Aktion treten.
Man muss sich auch, damit nicht jeder Minderwert der
äusseren Leistung als Abnahme der Inspirationskraft gedeutet
werde, bewusst bleiben, dass die Reservekraft durch eine Zu¬
nahme der inneren Widerstände, wie sie z. 13. bei pleuialen Ver
wachsungen, bei Thoraxstarre u. s. w. gegeben wird, verbraucht
oder beeinträchtigt werden kann. Es wird also nötig sein, vor
Anstellung der Messung sich zu überzeugen, dass die Tliorax-
bewegungen bei der Atmung ausgiebig erfolgen, dass die Lungen¬
ränder frei in den Komplementärräumen bewegt werden (pro¬
gressiver und regressiver Schallwechsel), dass keine Schmerz¬
empfindung die Versuchsperson an der freien Entfaltung der
Inspirationskraft hindert u. s. w. Kurz, man darf die Versuche
nicht kritiklos anstellen und nicht leichtsinnig verwerten.
Das Thorakodynamometer gestattet also die Messung der
maximalen Reservekraft, die bei einmaliger Inspiration auf¬
gebracht werden kann, und die Darstellung der Arbeitskuive
bezw. Ermüdungskurve, die sich in der Reihe wiederholter maxi¬
maler Respirationen bei maximaler Belastung oder bei bestimmter
Belastung darstellt.
Es handelt sich nun zunächst darum, grundlegende Werte
für die Inspirationskraft an Gesunden verschiedenen Geschlechts,
verschiedener Altersstufen, verschiedener Berufe zu gewinnen.
Diesen Grundwerten sind die Werte bei Menschen mit aus¬
gesprochener oder nur angedeuteter Schwindsuchtsanlage gegen¬
über zu stellen. Zuvor müsste man sich über die Merkmale der
angeborenen Schwindsuchtsanlage einigen. — Zur Vollständigkeit
eines Urteils wären dann noch Bestimmungen an Menscheii mit
beginnender Tuberkulose ohne ausgesprochene oder vermutliche
Schwindsuchtsanlage und endlich Bestimmungen an bereits
Schwindsüchtigen unerlässlich.
Alle diese Aufgaben sind gelöst worden und das Ergebnis der
auf sie Bezug habenden Untersuchungen soll in einer ausführ¬
lichen Darstellung anderwärts mitgeteilt werden. Hier gebe ich
nur die Grundwerte für den gesunden Erwachsenen männlichen
Geschlechts, wie sie an Soldaten gewonnen worden sind, und eine
Reihe von Messungen an jungen Männern, die noch keine Zeichen
der Tuberkulose, aber die ausgesprochene Körperbeschaffenheit
der „Schwindsuchtsanlage“, welche nicht mit dem Habitus
phthisicorum zusammengeworfen werden darf, darboten.
Die Grösse der Einatmungskraft bei ge¬
sunden jungen Männern im Alter von 19 bis
25 Jahren beträgt 32 bis 46 kg für die einmalige
maximale Leistung, 30 bis 44 kg für die
dauernde Kraft, welche nach einiger Uebung
etwa 10 mal oder 20 mal hintereinander auf¬
gebracht werden kann. Die beiden W erte unterscheiden
sich beim einzelnen von 0 bis 6 kg. Diese Zahlen sind die Grenz¬
werte, welche bei 45 Soldaten des Infanterieregiments Kaiser
Wilhelm No. 116 in Giessen mit freundlicher Erlaubnis des Ba¬
taillonskommandeurs Freiherrn v. S t ö s s 1 gewonnen worden
sind. Die Körperlänge jener zum grössten Teil ausgewachsenen
jungen Leute, welche Vs bis 1*4 Jahre im Dienst standen, war
zwischen 161,5 bis 174 cm, ihr Körpergewicht zwischen 118 und
165 Pfund; die Druckkraft ihrer rechten Hand
betrug 25 bis 44 k g, als Durchschnittswert von 5 Mes¬
sungen an der geübten Hand.
Ein bestimmtes Verhältnis zwischen Brustkraft und Körper-
länge oder Körpergewicht oder Händekraft war nicht aus¬
gesprochen.
Immerhin erwies sich ein bedeutender Minderwert der Brust¬
kraft gegenüber der Händekraft als wichtig. Bei zwei Soldaten
hatte das Dynamometer für die Hände gute, ja hohe Werte er¬
geben, nämlich 31 und 44 kg; die maximale und ausdauernde
Brustkraft war auffallend gering: 28 und 25 bezw. 30 und 24 kg.
Bei dem einen ergab die weitere Untersuchung eine massige
Dämpfung über der rechten Lungenspitze und scharfes Pleura¬
reiben über der linken; der Patient hatte vor 4 Jahren eine
rechtsseitige Lungenrippenfellentzündung überstanden; in den
nächsten Monaten nach der in Rede stehenden Untersuchung
bildete sich bei ihm ein beiderseitiger Spitzenkatarrh aus; sein
Auswurf enthielt Tuberkelbazillen; er wurde als Invalide ent-
No. 33.
lassen. Bei dem anderen wurde eine bedeutende Hypertrophie
beider Gaumenmandeln, ein chronischer Rachenkatarrh und eine
seit mehreren Jahren bestehende Neigung zu Brustkatarrhen
festgestellt. Selbstverständlich sind diese beiden Soldaten in die
Liste der Gesunden nicht aufgenommen worden.
Ein Missverhältnis zwischen Händekraft und Brustkraft
zu Ungunsten der letzteren wurde weiterhin bei zahlreichen
männlichen Patienten der Klinik und Poliklinik (ebenfalls im
Alter von 19 bis 25 Jahren) gefunden, welche wegen Lungen¬
spitzenkatarrhen, Pleuraerkrankungen, Bronchialkatarrhen u.s.w.
in Behandlung standen. Wiesen dieselben einen kräftigen
Körperbau und eine gute Ernährung auf, waren sie frei von
Fieber und Dyspnoe, so nahm das Missverhältnis keine bedeu¬
tenden, oft nicht einmal deutliche Grade an. Sobald aber
Fieber, Dyspnoe, erhebliche Lungenveränderungen u. s. w. be¬
standen, nahm die Inspirationskraft recht bedeutend ab. Bei
der Phthisis declarata betrug sie sogar nur wenige Kilogramme,
12, 10, ja nur 4 oder 3 kg.
Sehe ich von diesen ohne weiteres verständlichen Fällen ab,
in denen eine allgemeine Entkräftung oder eine ausserordentliche
Inanspruchnahme der Einatmungskraft durch innere Hinder¬
nisse die Reservekraft der Brustmuskeln beeinträchtigte, so fand
ich die auffallendste Herabsetzung der Brustkraft bei jungen
Männern, welche eine schwache Anlage des Gefässystems, die
paralytische Form des Thorax und einen zarten, kleinen Körpei-
bau oder im Gegenteil eine auffallende Körperlänge, die um die
Zeit der Geschlechtsreife rasch und oft vorschnell sich entwickelt
hatte, kurz also die seit Alters her bekannte „Schwindsuchts¬
anlage“ zeigten. Ich habe bisher 23 dieser jungen Leute im
Alter von 17 bis 24 Jahren untersucht. Von denselben sind
16 als gesund zu bezeichnen, insoferne sie keine Organverände¬
rungen hatten, insbesondere durchaus keine nachweisbaren quali¬
tativen Veränderungen am Atmungsapparat von der Nase bis zur
Lunge und Pleura oder am Drüsenapparat; sie waren meistens
wegen „Blutarmut“ in die Klinik geschickt worden oder mit der
Klage über Herzklopfen, Schwäche u. dergl. gekommen. Die
Druckkraft ihrer Hände betrug 18—39 kg; die maximale Kraft
ihrer Einatmungsmuskeln 22—33 kg; die ausdauernde Brust¬
kraft nur 18 — 26 kg. Sie alle zeigten eine zurückgebliebene
Herzen twicklung, indem der Herzstoss sich entweder in der
linken Parasternallinie oder nur wenig nach auswärts davon,
in 2 Fällen sogar einen Finger breit einwärts von der genannten
Linie befand.
Bei 7 anderen jener jungen „Schwindsuchtskandidaten“
waren mehr oder weniger ausgeprägte Zeichen des chronischen
Bronchialkatarrhs oder der Lungenspitzenerkrankung nachweis¬
bar; 4 von ihnen hatten eine oder mehrere Lungenblutungen ge¬
habt; von 2 wurde tuberkelbazillenhaltiger Auswurf erhalten.
Die Druckkraft ihrer Hände betrug 23 — 28 Kilogramm; die
maximale Einatmungskraft 19 — 31, die ausdauernde Einatmungs¬
kraft 17 — 24 Kilogramm.
Nach meinen bisherigen Erfahrungen glaube ich den Satz
vertreten zu können, dass wir in einer erheblichen Verminderung
der Reservekraft der Inspirationsmuskulatur ein Zeichen der
Körperanlage haben, welche von alters her als Schwindsuchts¬
anlage mit Recht gilt, und dass sich für diese Anlage eine un¬
gefähre Zahlengrösse mit Hilfe des Tliorakodynamoineters geben
lässt, vorausgesetzt, dass keine qualitativen Veränderungen am
Respirationsapparat die Dynamometerwerte beeinflussen.
Auf Grund meiner vorläufigen Angaben wird es möglich sein,
beim Aushebungsgeschäft, bei Urteilen, welche die Berufswahl
betreffen u.s.w., mit grösserer Sicherheit als bisher die Anwalt¬
schaft auf Schwindsucht zu erkennen und zu bezeichnen. Auf
Grund derselben wird es ferner möglich sein, mit einiger Be¬
stimmtheit die schonungsbedürftigen Phthisiker von den der
Uebung bedürftigen Tuberkulösen zu sondern und also das
System aufzuheben, welches in der Therapie der Tuberkulösen
die „Liegekur“ ohne Wahl für alle empfiehlt.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
19. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1379
Aus dem pathologischen Institut des Dresdener Stadtkranken¬
hauses Friedrichstadt.
Zur Frage der Genese der Lungentuberkulose.
Y on Dr. Georg Schmor 1.
In zwei neuerdings erschienenen Arbeiten hat Ribbert1)
die Ansicht vertreten, dass die Lungentuberkulose nicht, wie bis¬
her fast allgemein angenommen wurde, in der Mehrzahl der Fälle
durch direkte Inhalation von Tuberkelbazillen, sondern durch
Infektion vom Blutstrom her entsteht. Diese bereits früher von
B aumgarten, V o 1 1 a n d und Aufrecht geäusserte An¬
schauung hat sich bisher allgemeinerer Anerkennung nicht zu
erfreuen gehabt, da sie teils der praktischen Erfahrung nicht
zu entsprechen schien, und andererseits sich vorwiegend nur auf
theoretische Erwägungen stützte. Ribbert sucht nun diese
Theorie durch Verwertung pathologisch-anatomischer Beobach¬
tungen auf eine breitere und gesichertere Basis zu stellen. Er
stützt sich bei seiner Beweisführung vorwiegend darauf, dass
der Lungenerkrankung fast ausnahmslos eine ältere Erkrankung,
insbesondere der bronchialen Lymplidrüsen, vorausgeht, dass die
hämatogene Infektion die Lungenspitze ausgesprochen bevor¬
zugt, dass die miliare Eruption und die gewöhnliche Lungen-
phtliise durch alle Uebergänge miteinander Zusammenhängen,
dass es ferner unzweifelhaft eine sekundäre, von der Spitze aus¬
gehende Tuberkulose beim Menschen gibt, dass im Experiment
(v. Baumgarte n) diese Entstehungsmöglichkeit bewiesen
wurde, und dass die Genese der Spitzenaffektion durch direkte
Festsetzung der Bazillen zwar gewiss möglich, aber keineswegs
bewiesen und durch den Versuch nicht ausreichend gestützt wird.
Ribbert verkennt dabei freilich nicht, dass eine völlig exakte
Beweisführung nicht möglich ist, und hält weitere Forschungen
zur Klärung der in Rede stehenden Frage für dringend nötig.
Da ich mich seit längerer Zeit eingehend mit der Frage der
beginnenden Lun gent u b e r k u 1 o s e beschäftigt und auch in Betreff
anderer in der R i b b e r t sehen Arbeit berührter Fragen seit
Jahren systematische Untersuchungen angestellt habe, so glaube
ich nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet zu sein, mich
gegenüber den Ribbert sehen Ausführungen zu äussem und
dies um so mehr, als ich bereits in einer kurzen Diskussions¬
bemerkung2) dazu Stellung genommen habe.
Um den Standpunkt, den ich in der in Rede stehenden Frage
einnehme, von vornherein zu kennzeichnen und um Missver¬
ständnisse zu vermeiden, möchte ich gleich hier bemerken, dass
ich das Vorkommen einer durch hämatogene Infektion bedingten
Lungentuberkulose bezw. Lungenschwindsucht.keineswegs in Ab¬
rede stelle, dass ich aber für die grosse Mehrzahl der Fälle diesem
Infektionsmodus gegenüber der aerogenen Infektion eine grös¬
sere Bedeutung nicht einzuräumen im stände bin.
Da Ribbert bei seiner Beweisführung von den von ihm
bei Miliartuberkulosen gemachten Erfahrungen ausgeht, so
dürfte es sich empfehlen, mit der Kritik hier einzusetzen. Es
liegt mir fern, die Frage der akuten Miliartuberkulose, in der
sieh die Ansichten Ribberts und W eigerts ziemlich
schroff gegenüberstehen, hier in allen Einzelheiten aufzurollen;
ich will vielmehr nur die Punkte berühren, welche von Ribbert
als bedeutungsvoll für die Genese der Lungentuberkulose heran¬
gezogen worden sind.
Hier muss ich an erster Stelle hervorheben, dass ich auf
Grund eines Beobachtungsmaterials, welches an Reichlichkeit
sämtliche bisher gemachten Angaben weit hinter sich lässt, mich
bezüglich der Pathogenese der allgemeinen akuten Miliartuber¬
kulose vollständig auf Seite der von Weigert begründeten
Lehre stellen muss. Ich habe in den letzten 7 Jahren jeden mir
am Sektionstisch unter die Augen gekommenen Fall von akuter
Miliartuberkulose aufs genaueste untersucht und immer und
immer wieder die Tatsache bestätigt gefunden, dass bei dieser
Krankheit der von Weigert postulierte grosse käsige, in Er¬
weichung begriffene bezw. erweichte, in grösseren Venen-, Ar¬
terien- (Aorta-) oder Lympligefässen (Ductus thoracicus und
seine Aeste) sitzende Herd bei genauester Untersuchung so gut
b Universitätsprogramm 1900, Marburg: Ueber die Aus¬
breitung der Tuberberkulose im Körper. Deutsche med. Wochen-
schr. 1902, No. 17: Ueber die Genese der Lungentuberkulose.
2) Verband!, der Deutsch, patholog. Gesellsch. 1.901, p. SO — 82.
wie nie vermisst wird. 123 Fälle 3) von akuter allgemeiner
Miliartuberkulose sind in dem genannten Zeitraum von mir
untersucht worden und davon habe ich in 117 Fällen, also in
rund 95 Proz., einen bezw. mehrere grosse Gefässherde nacli-
weisen können, welche in jeder Hinsicht den von Weigert,
II a n a u u. a. gestellten Anforderungen gerecht wurden. Rechne
ich hierzu noch 2 Fälle, bei denen zwar ein grösserer Gefässherd
nicht gefunden wurde, bei denen aber in verkästen und erweich¬
ten Lymphdrüsen der Einbruch ausserordentlich zahlreicher
Bazillen in kleinste Venen und Arterien nachweisbar war
(Koch-Bergha m m e r sehe Einbruchshorde, welche aber
nach meinem Dafürhalten nicht einwandsfrei als Ursache der
massenhaften Tuberkeleruption angesehen werden können), so
steigt die Prozentzahl auf 96,7 ; es ist dies ein Prozentsatz von
positiven Fällen, der bisher von keiner Statistik erreicht wor¬
den ist und niemand, dem der grosse Aufwand an Mühe, Arbeit
und Zeit, den solche Untersuchungen häufig verursachen, be¬
kannt ist, wird billiger Weise mehr verlangen können. Dabei
möchte ich ausdrücklich hervorheben, dass es sich dabei nicht
etwa um ausgesuchte Fälle im Benda sehen Sinn 4) oder um
solche, bei denen schon intra vitam die Diagnose auf akute
Miliartuberkulose gestellt war, und bei denen nach Benda
fast stets ein grösserer Einbruchsherd gefunden wird, handelt,
sondern es wurde bei jedem Fall, der nach den von Wei¬
gert auf ge stellten Kriterien5) der akuten all¬
gemeinen Miliartuberkulose zugezählt wer¬
den musste, nach dem spezifischen Einbruchsherd gesucht.
Sitz des Einbruchs¬
herdes
in Fällen
Bemerkungen
Ductus thoracicus . . .
50
davon in 3 Fällen in einem grossen
auf der linken Seite der Wirbel-
säule verlaufenden Nebenast.
Lungenvenen .
39
in 5 Fällen erweichte tuberkulöse Auf¬
lagerung auf atheromatösen Ge-
sclvwüren,
in 1 Fall Durchbruch einer erweichten
tuberkulösen Lymphdrüse in den
Aortenbogen ,
in 1 Fall Durchbruch einer Lungen¬
kaverne in die Aorta thoracica.
Aorta .
7
Venae jugularis intr. .
4
Venae spermaticae . .
3
Tub. Perikarditis sekund. Myokarditis
Rechtes Herz .
3
Azygos .
3
und Endokarditis.
Lungenarterie .
2
Iiugeninsche Form des Einbruchs
Vena saphena .
1
Vena axillaris .
1
Vena renalia .
1
Vena suprarenalis . . .
1
Sinus transversus . . .
1
Vena anonyma ....
1
Ich glaube diesen Punkt besonders betonen zu müssen, weil
Ribbert bei Kritisirung °) der von W e i g e r t bezüglich der
Pathogenese der akuten Miliartuberkulose aufgestellten Theorie,
die einzelnen von Weigert gut gekennzeichneten Formen der
Miliartuberkulose nicht genügend scharf auseinanderhält und zu
wenig berücksichtigt, dass W ei gert seine Theorie nur für eine
besondere Gruppe dieser Erkrankung, die allgemeine akute
Miliartuberkulose, welche durch bestimmte pathologisch-ana¬
tomische Merkmale charakterisiert ist, aufgestellt hat. Dass bei
einer solchen Art der Kritik ein für die Weigert sehe Theorie
ungünstiges Resultat sich ergeben muss, ist auf der Hand
liegend. Es ist nun allerdings zuzugeben — und W e i g e r t hat
selbst auf diesen Punkt hingewiesen — , dass Uebergänge der
einzelnen Formen ineinander und Kombinationen Vorkommen;
dieselben sind aber nach meinen Erfahrungen nicht so häufig und
3) Sämtliche Fälle sind von mir in den allsonnabendlich vor
den Aerzten der Stadt Dresden stattfindenden pathologisch-ana¬
tomischen Demonstrationen demonstriert worden.
4) Ergebnisse der allgemeinen Pathologie und pathologischen
Anatomie, Jalu'g. 1899.
6) Virch. Arch. Bd. 88.
6) Universitätsprogramm.
7) Virch. Arch. Bd. S8.
3*
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 33.
1380
für den geübten und erfahrenen Untersucher so schwer zu be¬
urteilen, dass ernstliche Schwierigkeiten bei der Klassifizierung
entstehen könnten. Ich habe übrigens überall da, wo nach dem
anatomischen Bild Schwierigkeiten in der Klassifizierung auf¬
tauchten, diese Fälle bei meiner Statistik der allgemeinen akuten
Miliartuberkulose zugezählt und nach grösseren Gefässherden
und zwar meist mit gutem Erfolg gesucht.
Bezüglich der Beurteilung der Einbruchsherde habe ich mich
ebenfalls streng an die von Weigert, Hanau, B e nd a u. a.
aufgestellten Kriterien gehalten, die meines Erachtens allen An¬
forderungen, die man an sie stellen muss, entsprechen, ins¬
besondere sei hervorgehoben, dass von mir nur solche Gef ässherde
in ursächliche Beziehung zur Miliartuberkulose gesetzt worden
sind, welche durch ihre Grösse auch die Gewähr boten, dass sic
sicher um vieles früher als die in den Organen vorhandenen
Knötchen entstanden waren. Die Einwände, welche R i b b e r t
gegen die ursächliche Bedeutung solcher Herde erhoben hat, sind
bereits von Weigert, Ben d a und Cornet beleuchtet und
zurückgewiesen worden. Ich möchte hier nur einen Versuch an¬
führen, durch welchen die neuerdings von R i b b e r t an den
Benda sehen und Cornet sehen Ausführungen gemachten
Ausstellungen entkräftet werden.
Bekanntlich findet man bei manchen Fällen von Miliartuber¬
kulose mehrfache grosse, käsige Herde im Venensystem oder im
Ductus thoracicus (hier neben einem oder zwei grossen oft zahl¬
reiche kleine). Untersucht man diese Herde nun in der Weise,
dass man sie vorsichtig mit der Messerspitze, oder was mehr zu
empfehlen ist, mit einer nicht allzu feinen Nadel vorsichtig an¬
sticht, so wird man mitunter auf einen Herd stossen, an dem aus
der Stichöffnung ein Tropfen einer milchweiss gefärbten Flüssig¬
keit — der erweichte Inhalt des Käseherdes — hervorquillt. Da
das Hervorquellen spontan erfolgt, ohne dass man auf den Herd
einen Druck ausübt, so ergibt sich, dass er erweichte Inhalt uhter
einem gewissen Druck stand. Ueberträgt man nun den Inhalt
des Erweichungsherdes vorsichtig in Wasser, so bemerkt man,
dass er sich bei ganz leichtem Schütteln gleichmässig verteilt, wo¬
bei je nach der Grösse des verwandten Materials und der Menge
des Wassers eine mehr oderminderstarkeTrübuugeintritt, olme dass
meist gröbere, mit dem blossen Auge sichbare Bröckel sich bemerk¬
bar machten. Es besteht demnach der Inhalt des Gefässherdes
keineswegs aus kohärenten Massen, sondern tatsächlich aus einem
Brei, der die geeignetste Beschaffenheit für eine feine und gleicli-
mässige Verteilung der in ihm enthaltenen Bazillen im Blutstrom
besitzt. Dass die Bazillen tatsächlich nicht, wie II i b b e r t an¬
nimmt, in Gewebs- und Iväsebröckchen eingeschlossen sind, geht
aus der mikroskopischen Untersuchung der in Wasser hergestellten
Suspension der erweichten Massen hervor; denn untersucht man
ein Tröpfchen davon mikroskopisch, so sieht man, dass die Bazillen
teils einzeln, teils zu zweien und dreien, viel seltener und nur
ausnahmsweise in kleinen Klümpchen zusammenliegen, dabei
überzeugt man sich aber auch von dem geradezu enormen Bazillen¬
reichtum solcher erweichten Massen und versteht ohne weiteres
die furchtbare Katastrophe, welche das Platzen eines solchen Ge¬
fässherdes und die Entleerung seines Inhaltes in die Blutbalm für
den Gesamtorganismus nach sich ziehen muss. Dabei ist noch zu
berücksichtigen, dass bei dem Anstechen des Herdes nur ein Teil
und wahrscheinlich der kleinere Teil der Bazillen, die er in sich
birgt, entleert wird. Denn untersucht man den zurückbleibenden
Teil des Herdes mikroskopisch, so bemerkt man, dass die Innen-
fiäche der Höhle mit einem mehr oder minder dicken Bazillenrasen
austapeziert ist. Platzt ein solcher Herd während des Lebens, so
können die der Wand anhaftenden Bazillen durch den in ihn ein¬
dringenden Blutstrom mehr oder minder vollständig ausgespült
werden; es kann aber auch dadurch, dass das in die Höhle ein¬
dringende Blut gerinnt, bezw. Thrombenbildung eintritt, ein Foi't-
spiilen der noch vorhandenen Bazillen verhindert werden, wobei
eine nachträgliche Vermehrung der zurückgebliebenen Bazillen
nicht unwahrscheinlich ist. Je nachdem der eine oder der andere
Vorgang sich vollzieht, wird natürlich nach dem Tode der Bazillen¬
gehalt der grösseren Gefässherde ein verschiedener sein. Der
Einwand, dass die eben besprochene Erweichung und breiartige
Verflüssigung des Inhalts eines Gefässherdes nur ausnahmsweise
vorkomme, ist nach meinen Erfahrungen nicht stichhaltig. In
grösseren Venenherden bekommt man allerdings bei der Sektion
einen solchen Erweichungszustand nur selten zu Gesicht, weil
grössere Venentuberkel doch nur selten in mehrfachen Exem¬
plaren Vorkommen und zur Zeit des Todes entweder ihren Inhalt
bereits entleert oder doch nicht den nötigen Grad der Erweichung
erreicht haben; häufiger trifft man jedoch bei der Sektion im
1 »uctus thoracicus neben älteren tuberkulösen Herden auf meist
klappenständige, bis stecknadelkopfgrosse, weiss bis gelbweiss ge¬
färbte. kugelförmige Gebilde, welche im Zentrum einen Hohlraum
enthalten, aus dem sich beim Anstechen oder Aufschneiden ein
breiiger, enorm bazillenreicher Inhalt entleert.
R i b b e r t setzt an Stelle des nach der W e i g e r t sehen
Lehre notwendigen grossen Gefässherdes unzählige kleine, welche
erst nach und nach zur Entstehung kommen, und nimmt an, dass
dementsprechend auch die in den Lungen und den übrigen
Organen sich findenden miliaren Tuberkel nicht gleichzeitig, wie
es die IV e i g e r t sehe Theorie lehrt, sondern nacheinander ent¬
stehen. An dem tatsächlichen Vorkommen solch mikroskopisch
kleiner Gefässtuberkel und bazillenhaltiger Thromben ist nicht
zu zweifeln, sie sind in. E. mit den von Mü g"ges) und Orth),
sowie von W e i g e r t schon vor längerer Zeit beschriebenen,
in kleinen, allerdings noch makroskopisch nachweisbaren Ge¬
fässen gefundenen Intimatuberkeln auf eine Stufe zu stellen.
Ob sie bei der akuten allgemeinen Miliartuberkulose direkt da¬
durch entstehen, dass die mit dem Blutstrom zugeführten Ba¬
zillen sich auf bezw. in der Gefässwand ansiedeln, was nach
meinen Erfahrungen, die mit den von Weigert, Miigge
und Orth gemachten in dieser Hinsicht übereinstimmen, ent¬
schieden sehr häufig der Fall ist, oder ob sie, wie Ribbert
will, durch Uebergreifen der primär in den Alveolen sich ab¬
spielenden tuberkulösen Prozesse auf die Gefässwandung- zu
stunde kommen, bleibe dahingestelt ; dass diesen Herden aber
eine wesentliche Bedeutung für die Genese der akuten Miliar¬
tuberkulose zukommt, scheint mir aus mehreren Gründen sehr
zweifelhaft 10).
Zunächst ist ihre Zahl in der Mehrzahl der Fälle von all¬
gemeiner akuter Miliartuberkulose nicht so gross, wie es nach
Ribberts Schilderungen scheinen könnte. Ich habe, seitdem
mir die diesbezüglichen Mitteilungen Ribberts bekannt ge¬
worden sind, mein einschlägiges Material sehr genau nach dieser
Richtung hin untersucht, bin dabei aber zu keinem für die An¬
schauungen Ribberts allzu günstigen Resultat gekommen").
Ribbert gibt nun zwar an, dass die geringe Zahl solcher
Herde noch nicht beweise, dass tatsächlich nur wenige solche Ein¬
brüche vorhanden gewesen geien, da dieselben beim Fortschreiten
des Prozesses für die Untersuchung dadurch unkenntlich werden
könnten, dass die befallenen Gefässe obliterieren und in den ver¬
kästen Partien unsichtbar werden. Hiergegen ist aber einzu¬
wenden, dass dies wohl bei Anwendung der gewöhnlichen Färbe¬
methoden der Fall ist, nicht aber bei Heranziehung der Elastin¬
färbung, die auch in verkästen Partien den Nachweis der für
die Gefässwand charakteristischen elastischen Elemente gestattet.
Bei Anwendung dieser Methode habe ich aber, trotzdem das
elastische Gerüst des Lungengewebes in den verkästen Stellen
deutlich hervortrat, verhältnismässig nicht sehr häufig oblite-
rierte Gefässe gesehen.
Es ist nun zwar möglich, dass von diesen kleinen Gefäss¬
herden aus Bazillen in die Blutbahn gelangen — und W e i g e r t
selbst hat diese Möglichkeit bereits in seiner klassischen Arbeit
erwähnt — , es erscheint aber sehr unwahrscheinlich, dass dies
in einem Masse geschieht, dass dadurch eine nennenswerte Ver¬
mehrung der miliaren Eruption herbeigeführt wird; denn es ist
zu berücksichtigen, dass die Tuberkelbazillen in solchen Gefäss-
tuberlceln nicht an der dem Blutstrom zugekehrten, häufig von
einem Blutplättchenthrombus bedeckten Oberfläche liegen, son¬
dern dass sie in tuberkulöses Granulationsgewebe eingeschlossen
sind, welches der Zerbröckelung und Zerstörung durch den in
solch kleinen Gefässen sicherlich nur langsam und unter ge¬
ringem Druck fliessenden Blutstrom einen beträchtlichen Wider¬
stand entgegensetzt, zumal die Verkäsung, wenn eine solche
vorhanden ist, sich nur auf die zentralen Teile des Granulations¬
gewebes erstreckt und nur ausnahmsweise bis an die vom Blut
bespülte Oberfläche heranreicht, wobei ausserdem noch bemer¬
kenswert ist, dass mitunter über die höchste Erhebung des Tu¬
berkels eine ganz feine elastische Lamelle hinwegzieht. Ferner
ist zu beachten, dass an vielen derartig veränderten Gefässen,
sei es durch Thrombenbildung, sei es durch die Vergrösserung
der Tuberkel, noch bevor eine ausgedehnte Verkäsung und Er¬
weichung bemerkbar ist, ein Verschluss des Lumens eintritt,
8) Vircli. Arcli. Bd. 70.
°) Lehrbuch der Pathologie.
,0) Auch W e i g e r t, AI ii g g e und O r t h heben ausdrücklich
hervor, dass die kleinen miliaren Gefässtuberkel ohne Bedeutung
für die Genese der Miliartuberkulose sind.
n) Am häufigsten habe ich diese kleinen Gefässtuberkel in
Fällen gefunden, bei denen der W e i g e r Fsche Gefässherd im
Ductus thoracicus sass und bei dem neben einem grösseren Ein¬
bruch noch kleine, frische, klappenständige, bazillenreiche Herde
vorhanden waren.
19. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1381
wodurch eine Verschleppung der Tuberkelbazillen selbstverständ¬
lich ausgeschlossen ist. Ferner müsste man, wenn tatsächlich
häuiigei eine Zerbröckelung und Zerstörung der verkästen
Massen duich den Blutstrom oder ein spontaner Durchbruch der
erwähnten Massen in das Gefässlumen vorkäme, öfter Spuren
einer solchen Zerstörung begegnen, was aber ebenfalls nicht sehr
häufig der Fall ist. Nur die bazillenhaltigen wandständigen
Thromben könnten in dieser Hinsicht eine etwas reichlichere
Bazillenquelle für die Blutinfektion abgeben, da sie nicht so
kohärent wie das tuberkulöse Granulationsgewebe sind. Aber
abgesehen davon, dass sie meist nur ein Depot von bereits in
der Blutbahn befindlichen Bazillen darstellen (vielleicht die
ersten Anfänge der Gefässtuberkel), sind sie viel seltener als die
oben besprochenen tuberkulösen Gefässveränderungen, andrer¬
seits sind sie aber als Quelle der Blutinfektion um so weniger
zu fürchten, als sie, falls sie sich nicht, was häufig vorzukommen
scheint, bald in obturierende Pfropfe umwandeln, wie Ribber t
angibt, organisiert werden, wodurch in Anbetracht der lang¬
samen Vermehrung der Tuberkelbazillen die Gefahr, dass von
hier aus Tuberkelbazillen in die Blutbahn gelangen können,
wenn auch nicht völlig beseitigt, so doch jedenfalls auf ein
Minimum beschränkt wird.
Als eine zweite Stelle, von der ein reichlicherer Eintritt von
Tuberkelbazillen in die Blutbahn stattfindet, und von der aus
sich die Miliartuberkulose selbst unterhält, bezeichnet R i b b e r t
die Nierengef ässe und zwar besonders die Glomerulusschlingen,
in denen Hauser, Bendau. a. grosse Massen von Tuberkel¬
bazillen gefunden haben. Die Benda sehe Ansicht, dass diese
Bazillenklumpen als solche in den Glomerulusschlingen em-
bolisiert wurden, hält R i b b e r t nicht für wahrscheinlich, son¬
dern er nimmt an, dass diese Bazillenhaufen durch Vermehrung
zunächst einzelner durch den Blutstrom zugeführter Bazillen
entstanden seien. Das Fehlen jedweder Reaktion oder die Ge¬
ringfügigkeit einer solchen in der Nähe der Bazillenherde erklärt
er unter Bezugnahme auf früher von ihm mit dem Staphylo¬
kokkus ausgeführte Tierversuche damit, dass der Organismus
so mit loxinen der Tuberkelbazillen überschwemmt sei, dass
die grossen Bazillenmengen in den Glomerulis nicht zur ent¬
zündungerregenden Wirkung kommen können. Ob diese Deu¬
tung richtig ist, bleibe dahingestellt, ebenso ob es möglich oder
wahrscheinlich ist, dass von den die Bumina der Glomerulus¬
schlingen ausfüllenden Bazillen einzelne durch den Blut¬
strom abgelöst werden können, jedenfalls aber lässt sich mit
dieser Ansicht schlechterdings nicht die weitere Annahme
Ribberts vereinigen, dass Bazillen, welche aus diesen Ba¬
zillenklumpen von dem Blutstrom losgelöst und weggeschwemmt
werden, zur Entstehung neuer Knötcheneruptionen führen, denn
es besteht ja nach Ribberts Annahme eine Allgemein-
v e rg iftung des Organismus mit Toxinen, welche es
vei hindert, dass der 1 uberkelbazillus eine Gewebsreaktion lier-
vorrufen kann.
R i b b e r t macht nun weiter darauf aufmerksam, dass die
von ihm bezüglich der Bathogenese der Miliartuberkulose auf¬
gestellte Ansicht mit den an der Lunge sich findenden Ver¬
änderungen in bestem Einklang stehe. Die von oben nach unten
zu gleichmässig abnehmende Grösse der Tuberkelknötchen weise
darauf hin, dass die Miliartuberkulose in der Spitze beginnt,
und dass sie sich dadurch immer weiter ausdehnt, dass durch
die oben besprochenen mikroskopischen, in den kleinsten Gefässen
gelegenen Einbruchsherde der Blutbahn fortgesetzt Tuberkel¬
bazillen zugeführt werden. Er sieht in dem charakteristischen
Grossenunterschied der in der Lunge sich findenden Tuberkel
zugleich aber auch die wichtigste Stütze für seine Ansicht, dass
die Spitze für die hämatogene Infektion eine besondere Prä¬
disposition besitze.
Zu dieser Anschauung Ribberts hat bereits v. H anse-
ni a n n Stellung genommen und im Hinblick auf die der
. * k e r t sehen Arbeit (Universitätsprogramm) beigegebene
Abbildung (pag. 9) ausgeführt, dass es sich dabei gar nicht um
eine akute miliare Tuberkulose, sondern um eine käsige Bron-
e ltis und Bronchiolitis handle, und dass bei echter allgemeiner
akuter Miliartuberkulose der von R i b b e r t betonte Grössen¬
unterschied der Knötchen nicht zu bemerken sei.
No. 33.
Ob und inwieweit der v. Hansemann sehe Einwand in
seinem ersten Teil richtig ist, soll hier nicht erörtert werden,
es sind mir aber auch Bedenken gekommen, ob alles, was von
tuberkulösen Veränderungen in dieser Abbildung zu sehen ist,
tatsächlich nur hämatogenen Ursprungs ist; wie es mir denn
überhaupt nach einigen in der letzten Arbeit von R i b b e r t
getanen Aeusserungen und zwar besonders nach der pag. 302
(letzter Absatz) gegebenen Schilderung scheint, dass das, was
er als ITebergangsform zwischen Miliartuberkulose und gewöhn¬
licher Lungentuberkulose anspricht, tatsächlich Kombinationen
von hämatogen entstandenen Veränderungen mit solchen, die
einer Aspiration ihren Ursprung verdanken, darstellt, Kom¬
binationen, die man freilich nicht allzu häufig zu Gesicht be¬
kommt, da, wie bereits Weigert ausgeführt hat, die akute
Miliartuberkulose und die ausgedehntere Lungenphthise sich re¬
lativ selten miteinander kombinieren.
Was den zweiten Teil der v. Hanse m a n n sehen Be¬
hauptung anbetrifft, so kann ich ihr nur bedingt beitreten, in¬
sofern mir meine Beobachtungen gezeigt haben, dass in der Mehr¬
zahl der Fälle von allgemeiner akuter Miliartuberkulose und
auch von chronischer Allgemeintuberkulose, bei denen ältere
tuberkulöse Lungen- und Spitzenveränderungen 12) nicht vor¬
handen sind, die Tuberkelknötchen sämtlich gleiche und nahezu
gleiche Grösse haben bezw. dass, wenn verschieden grosse Knöt¬
chen vorhanden sind, wie man sie nicht selten bei Fällen mit
mehreren Einbruchsherden im Ductus thoracicus beobachtet, die
von K i b b e r t betonte Anordnung der verschieden grossen
Knötchen nicht vorhanden ist. In einer Anzahl von Fällen habe
ich aber doch das von R i b b e r t betonte und vor ihm bereits
von O r t h und Kaufmann erwähnte Verhalten der Knötchen¬
eruption teils nur angedeutet, teils aber auch deutlich ausge¬
sprochen gesehen, möchte aber ergänzend hinzufügen, dass ich
mehrfach die sukzessive Grössenabnahme von oben nach
unten, auf die R i b b e r t so grossen Wert legt, nicht beobachtet,
sondern oft ziemlich schroffe Ueberg’änge von den grossen in der
Spitze gelegenen Knötchen zu kleineren, aber gleichmässig
grossen in den unteren Abschnitten des Oberlappena und in den
Unterlappen gelegenen Tuberkeln gesehen habe. Ferner ist es
mir in manchen Fällen aufgefallen, dass eine allmähliche Grössen¬
abnahme von oben nach unten besonders in den hinteren und
seitlichen Partien, die in den gewöhnlich angelegten Sek¬
tionsschnitt fallen, hervortritt, dass der Grössenunterschied aber
in den vorderen Abschnitten fehlt, dass er aber sofort be¬
merkbar wird, wenn man die Lunge durch einen Horizontal¬
schnitt zerlegt, und zwar lässt sich auf einem solchen nach-
weisen, dass die grössten Knötchen in den vorderen, die kleinen
in den hinteren Partien gelegen sind.
R i b b e r t ist der Ansicht, dass der Grössenunterschied da¬
durch bedingt ist, dass die in der Spitze gelegenen grösseren
Tuberkel f r ü li e r entstanden, also älter seien, als die in den
unteren Abschnitten sich findenden. Es fragt sich aber doch,
ob diese Erklärung die einzig mögliche und die einzig wahr¬
scheinliche ist. Zunächst sei hier darauf hingewiesen, dass es
in hohem Grade auffallend erscheinen muss, dass, wenn tat¬
sächlich die R i b b e r t sehe Anschauung von der Pathogenese
der Miliartuberkulose richtig ist, die in die Blutbahn aus den
mikroskopischen Einbrüchen eingedrungenen Tuberkelbazillen
sich in der Lunge immer nur an den Stellen ansiedeln und
Knötcheneruptionen hervorrufen, welche den primär von der
Miliartuberkulose befallenen unmittelbar benachbart sind. Die
Bazillen gelangen doch aus den mikroskopisch kleinen Einbruchs¬
herden, mögen dieselben nun in den Arterien oder Venen ge¬
legen sein, auf jeden Fall, soweit sie nicht in der Lunge zurück¬
gehalten werden, durch die Lungenvenen in das linke Herz und
werden von hier aus nur zum allerkleinsten Teil durch die
Bronchialarterien den Lungen, zum grössten Teil durch die
Aorta den übrigen Organen zugeführt, wo sie, da sie ja nach
R i b b e r t nicht in allzu grosser Menge im Blut vorhanden sein
sollen, wohl sämtlich zurückgehalten werden. Es ist demnach
nicht gerade besonders wahrscheinlich, dass von den von der
Lungenspitze in den Blutstrom übergetretenen Bazillen — falls
übrigens ein solcher Eintritt überhaupt erfolgt — etwas zahl-
12) Bei solchen ist es mitunter nicht möglich, ein sicheres Ur¬
teil über den Ursprung der Veränderungen abzugeben.
4
1382
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
reichere nach den Lungen überhaupt gelangen, sehr fraglich dass
sie nun gerade grösstenteils in die Nähe der bereits vorhandenen
Knötchen mit dem Blutstrom getragen werden.
Abgesehen von diesem mehr theoretischen Einwand gegen
die R i b b e r t sehe Annahme, ist aber weiterhin darauf hinzu¬
weisen, dass der Schluss, dass die in der Spitze gelegenen Herde
wegen ihrer bedeutenderen Grösse auch älter als die m den un¬
teren Partien gelegenen kleineren Knötchen seien, durchaus
nicht zwingend ist. Denn von tuberkulösen Herden, die sich m
ihrer Grösse nur wenig von einander unterscheiden — bei der
in Rede stehenden Lungentuberkulose handelt .es sich aber tat¬
sächlich nur um sehr geringe Grössenunterschiede — brauchen
die grösseren nicht notwendigerweise früher als die kleineren
entstanden zu sein ; es ist ebensogut möglich und wahrscheinlich,
dass beide gleichzeitig entstanden sind, dass aber die ersteren
nur um deswillen einen grösseren Umfang erreichten, weil sie
sich unter besseren Entwicklungsbedingungen befanden als die
letzteren. „ , . . t ,r.v
Dass für die Grösse der Miliartuberkel bei akuter Miliar¬
tuberkulose nicht sowohl die Länge der Zeit, während welcher
die Affektion bestand, als vielmehr der Standort von Bedeutung
ist geht recht deutlich aus dem Leberbefund bei dieser Krank¬
heit hervor. Hier bleiben die Tuberkel, wie bereits Weigert
in seiner Arbeit erwähnt, meist nur sehr klein und stehen an
Grösse fast stets um ein beträchtliches hinter den m den an¬
deren Organen sich findenden Eruptionen zurück. Da es nun
weder bei Zugrundelegung der W eigert sehen noch der
R i b b e r t sehen Theorie zweifelhaft sein kann, dass der Leber
zu derselben Zeit wie den anderen Organen die Tuberkel¬
bazillen mit dem Blutstrom zugeführt werden und sich hier .auch
zu derselben Zeit ansiedeln — zumal ja, wie die Erfahrung lehrt,
die Leber ganz besonders disponiert zur Ansiedelung der Tu¬
berkelbazillen ist — , so kann der in Rede stehende Grössenunter¬
schied, den die Lebertuberkel gegenüber den in anderen Organen
befindlichen Tuberkeln zeigen, nur dadurch bedingt sein, dass die
tuberkulösen Eruptionen sich hier weniger schnell vergrößerten,
was doch wohl kaum anders zu erklären ist, als dass sie hier
ungünstigere W achstumsbedingungen fanden.
Für das schnellere Wachstum der Tuberkelknötchen in den
oberen Abschnitten des Oberlappens dürften wohl verschiedene
Ursachen in Betracht kommen; es ist möglich und wahrschein¬
lich dass diese Abschnitte, wie ja allgemein angenommen wird,
überhaupt den tuberkulösen Veränderungen bessere Wachstums¬
bedingungen bieten, als die übrigen Lungenabschnitte.
Ob die von Ribbert in den Vordergrund gestellte Blut¬
armut der Spitze von Bedeutung ist, bleibe dahingestellt, erwähnt
sei nur, dass der anatomische und physiologische Beweis für diese
Annahme noch völlig aussteht. Auf andere allgemeine Ursachen,
durch welche ein rascheres Wachstum der Spitzentuberkel be¬
dingt sein könnte, näher einzugehen, würde zu weit führen und
die in Rede stehende Frage auch kaum fördern, da man dabei
doch nur mit kaum beweisbaren Hypothesen rechnen könnte.
Ich kann aber von solchen allgemeinen Erörterungen um so eher
Abstand nehmen, als ich durch meine diesbezüglichen Unter¬
suchungen gefunden zu haben glaube, dass für die besseren
Wachstumsbedingungen, welche die Tuberkel in den oberen Ab¬
schnitten des Oberlappens finden, näher liegende lokale bezw. in¬
dividuelle, anatomisch nachweisbare Verhältnisse verantwortlich
gemacht werden müssen.
In erster Linie scheinen mir in dieser Hinsicht Verwach¬
sungen an den oberen Partien der Oberlappen von grosser Be¬
deutung zu sein, welche das stärkere und schnellere Wachstum
der in dem oberen Geschosse der Lunge gelegenen Tuberkel in¬
sofern begünstigen, als dadurch einerseits diese Lungenabschnitte
ruhig gestellt werden und andererseits dadurch die Blutzufuhr,
welche ja durch die respiratorischen Bewegungen wesentlich ge¬
fördert wird, eine Verminderung erfährt. Da die Wirkung sol¬
cher Verwachsungen nicht bloss eine streng lokale ist, sondern
sich auch peripherwärts mit allmählich abnehmender Intensität
auf die ausserhalb ihres Bereiches gelegenen Abschnitte erstreckt,
so erklärte sich leicht die von Ribbert betonte, nach ab¬
wärts zu allmählich abnehmende Grösse der Tuberkel.
In zweiter Linie sind nach meinen Beobachtungen länger
bestehende Hypostasen, wie sie besonders bei der typhösen und
meningitischen Form der allgemeinen akuten Miliartuberkulose
Vorkommen, für den in Rede stehenden Grössenunterschied ver¬
antwortlich zu machen. Es ist ja eine bekannte Tatsache, dass
die venöse Hyperämie für das Wachstum tuberkulöser Affek¬
tionen keine besonders günstigen Bedingungen abgibt. Es ist
daher durchaus wahrscheinlich, dass in denjenigen Lungenab¬
schnitten, welche in Folge von Hypostasen sich längere Zeit im
Zustand einer venösen Hyperämie befinden, die miliaren Tuber¬
kel sich langsamer vergrössern als in den nicht von der Hypostase
ergriffenen Teilen. Da die Hypostase von unten nach oben und
hinten nach vorn allmählich an Intensität abnimmt, und fernei
bei langsam verlaufenden Fällen von Miliartuberkulose selbst¬
verständlich mehr zur Ausbildung kommt, als bei sehr akutem
Verlauf, so erklärt sich leicht und einfach die von oben und
vorn nach unten und hinten zu allmählich zunehmende Grösse
der miliaren Knötchen, sowie die weitere von R i b b e r t betonte
Tatsache, dass bei langsam verlaufenden Fällen der Grössenunter¬
schied frappanter als in rasch zum Tode führenden ist.
In einigen anderen Fällen, bei denen ausgedehntere Ver¬
wachsungen der Oberlappen nicht bestanden und Hypostasen nur
andeutungsweise vorhanden waren, bei denen aber trotzdem der
in Rede stehende Grössenunterschied hervortrat, waren grossere
Lvmphdrüsenpackete vorhanden, durch welche die zum Ober¬
lappen führenden Gefässe umhüllt wurden. Auf die Bedeutung
solcher vergrösserter Lymphdrüsen für eine örtlich stärkere Aus¬
breitung und Entwicklung der tuberkulösen Eruptionen hat
übrigens schon N ä g e 1 i, ein Schüler Ribbert* hingewiesen.
Ueberhaupt sind nach meinen Erfahrungen örtliche Verhält¬
nisse von hervorragender Bedeutung für die Entwicklung und
für das schnellere oder langsamere Wachstum bei der Miliar¬
tuberkulose (chronischer und akuter) auf tretenden Eruptionen.
So habe ich bei Miliartuberkulose und doppelseitiger adhäsiver,
auf die Unterlappen beschränkter Pleuritis in den Oberlappen nur
miliare, in den Unterlappen aber stecknadelkopf- bis pfefferkorn¬
grosse Tuberkel gesehen, ebenso bei einseitigen, den Unterlappen
betreffenden Verwachsungen die grössten Tuberkel in diesem
Unterlappen13). Von besonderer Bedeutung aber erscheint mir,
dass rein lokale Verhältnisse es bedingen können, dass bei echter
allgemeiner akuter Miliartuberkulose einer oder beide Unterlappen
frei oder nahezu frei von miliaren Tuberkeln bleiben können,
während die Oberlappen entweder eine gleiclimässige Entwick¬
lung miliarer Knötchen oder die von Ribbert betonte An¬
ordnung der Tuberkel zeigen. Ein einseitiges, nahezu völliges
Freisein des linken Unterlappens habe ich in einem Fall von
akuter Miliartuberkulose beobachtet, bei der vor Ausbruch der
letzteren eine exsudative, fibrinöse, linksseitige Pleuritis bestan¬
den hatte. Der linke Unterlappen war hier m seinen unteren
Abschnitten stark durchfeuchtet, völlig atelektatisch, in den
oberen Abschnitten, wo sich vereinzelte submiliare Tuberkel
fanden, bestand etwas Luftgehalt, aber auch hier war das Lun¬
gengewebe stark durchfeuchtet und venös hyperämisch. Im
linken Oberlappen waren die Tuberkel in den vorderen und oberen
Partien, ebenso wie in der ganzen rechten Lunge, stecknadelkopf¬
gross, nach den unteren und hinteren Partien des Oberlappens
zu, welche ebenfalls geringe Kompressionserscheinungen zeigten,
wurden sie allmählich kleiner und zugleich spärlicher. In einem
anderen Fall, bei dem die allgemeine akute Miliartuberkulose
zu einer Lebercirrhose hinzugetreten war, bestand doppelseitiger
Hydrothorax mit massiger Kompression der Unterlappen;, hier
waren die letzteren in ihren unteren Abschnitten völlig frei von
Tuberkeln, während sich in den oberen nur spärliche submiliare
Knötchen fanden, die in ihrer Grösse beträchtlich hinter den
in den Oberlappen befindlichen zurückblieben. Ob in diesen
Fällen die hei Atelektase stets vorhandene venöse Hyperämie die
Ursache für das Ausbleiben bezw. die geringe Entwicklung der
miliaren Tuberkel gewesen ist, oder ob dieselbe darin zu suchen
war, dass in die komprimierten Lungenabschnitte nur wenig
Blut und damit auch weniger Bazillen einströmten, ist nicht
mit Sicherheit zu entscheiden und für die in Rede stehende F rage
1S) Uebrigens habe icli kürzlich in einem Fall von chronischer
allgemeiner Tuberkulose eine stärkere Entwicklung der Tuberkulose
in
achtet,
[gemeiner Tuberkulose eine stärkere Entwicklung aei
beiden Unterlappen bei fast völligem Freisein der Spitzen heoo-
htet, ohne dass dafür lokale Verhältnisse hätten verantwortlich
gemacht
werden können
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
19. August 1902.
auch ohne grössere Bedeutung. Uebrigens war in beiden Fällen
eine sehr ausgedehnte Verkäsung an der Intima des Duktus
thoracicusi vorhanden. Diese Beobachtungen, denen ich noch
zwei andere mit annähernd gleichem Befund anreihen kann, sind
im Hinblick auf die von Ribbert mitgeteilten Fälle, bei
denen die an allgemeiner chronischer Miliartuberkulose zu
Grunde gegangenen Individuen eine auf einen 14) bezw. beide 15)
Oberlappen beschränkte miliare Aussaat bei völligem Freibleiben
der Unterlappen erkennen Hessen, von grossem Interesse.
Ribbert deutet diese Beobachtungen in dem Sinne, dass bei
den betreffenden Individuen der Tod bereits zu einer Zeit ein¬
trat, wo die nach seiner Ansicht in der Lungenspitze beginnende
Miliartuberkulose noch nicht bis auf die Unterlappen fort¬
geschritten war. Ich möchte in Anlehnung an die von mir kurz
mitgeteilten Beobachtungen die Frage auf werfen, ob in den
Ribbertschen Fällen das Freibleiben der Unterlappen nicht
auch durch lokale Verhältnisse, die selbstverständlich nicht bloss
in der Kompression der Unterlappen, sondern auch in anderen
Umständen gegeben sein konnten, bedingt war.
Aus diesen Darlegungen geht hervor, dass der Grössenunter¬
schied, den man in manchen Fällen, von Miliartuberkulose an
den in den verschiedenen Lungenbezirken befindlichen Knötchen
beobachtet, nicht unbedingt eine Funktion der Zeit, wie
Ribbert annimmt, zu sein braucht, sondern dass es ebensogut
möglich und wahrscheinlich ist, dass derselbe durch lokale Ver¬
hältnisse bedingt ist, die selbstverständlich in den einzelnen
Fällen verschieden sein können und für jeden Fall gesondert
festgestellt werden müssen. Mit diesem Nachweis wird aber die
Richtigkeit der von Ribbert aus seinen Beobachtungen ge¬
zogenen Schlussfolgerung, dass nämlich die hämatogene Miliar¬
tuberkulose der Lunge in der Spitze beginnt, und dass damit die
Prädisposition der Lungenspitze für die hämatogene Infektion
bewiesen sei, in Frage gestellt.
Verliert somit ein Beweisstück, welches Ribbert selbst
als wichtige Stütze seiner Anschauung von dem hämatogenen
Ursprung der Lungentuberkulose bezeichnete, wesentlich an Be¬
deutung, so lässt sich weiter zeigen, dass auch die übrige Beweis¬
führung R i b b e r t s keineswegs auf einer gesicherten und ein¬
wandsfreien Basis aufgebaut ist.
(Schluss folgt.)
Ueber den Einfluss chronischer Lungentuberkulose
auf Psyche und Nerven.
Von Dr. med. H. Engel.
Gewiss ist ein grosser Teil der mannigfachen Störungen im
Gemütsleben der chronisch Tuberkulösen eine blosse Erscheinung
des andauernden Krankseins an sich und nichts spezifisches, der
Tuberkulose angehöriges. Ausgeprägter Krankheits¬
egoismus, der die hochgespanntesten Anforderungen an die
Umgebung stellt und schliesslich keinen anderen Gedanken beim
Kranken mehr aufkommen lässt, als den, wie er sich am meisten
schonen und am besten seiner Gesundheit leben kann, ferner
eine abnorme, den Kranken selbst oft am meisten quälende
Empfindlichkeit und Reizbarkeit, die mit zu¬
nehmender Abhängigkeit von der Krankheit und dem daraus
resultierenden Gefühl der Ueberflüssigkeit und Zwecklosigkeit
steigt, kleinliches Denken und Fühlen, hervorgerufen
durch die notgedrungene Eintönigkeit und Zurückgezogenheit
der Lebensführung - — all das sind Erscheinungen, wie sie z. B.
ein chronisch Herzkranker ebenso zeigen kann wie der chronisch
Lungenkranke. Nur wird man sie bei letzterem zu finden öfter
Gelegenheit haben, weil doch wohl keine andere Krankheit dem
Kranken in so reichlichem Masse Zeit, Gelegenheit und Grund
zur Entwicklung dieser und anderer Eigentümlichkeiten zu lassen
pflegt, als gerade die Lungentuberkulose, ihr Verlauf und ihre Be ¬
handlungsweise. So kommen wir zum eigentlichen Thema.
Bei allen anderen Krankheiten erfahren körperliches All¬
gemeinbefinden und geistige Fähigkeiten eine viel frühere Altera-
14) Universitätsprogramm Seite IS; vielleicht liegt liier ein Fall
von lokaler Miliartuberkulose des Oberlappens vor, die ganz un¬
zweifelhaft (vgl. Lehrbuch von Birch-Hirschfeld) in der
Lunge ebenso wie in anderen Organen Vorkommen; Ribbert
erwähnt in diesem Falle nichts von dem Befund an den übrigen
Organen.
“) Deutsche med. Wochenschr.
1383
tion. Aeusserungen der Lungenkranken, dass ihnen eigentlich
gar nichts körperlich fehle, und der typischen Notiz in den Kran¬
kengeschichten, dass Allgemeinbefinden und Kraftgefühl gut sei,
begegnet man als Sanatoriumsarzt fast tagtäglich. Ich spreche
von den Erfahrungen eines solchen, dem durch das intime Zu¬
sammenleben mit den Kranken, Leicht- und Schwerkranken, am
besten Gelegenheit zur genaueren Beobachtung des körperlichen
und seelischen Befindens der Patienten gegeben ist, zumal wenn
es sich um Angehörige der gebildeten Stände handelt, mit der
bei solchen Kranken oft erstaunlich ausgeprägten Fähigkeit, sich
selbst zu beobachten und ihren Zustand selbst zu zergliedern.
Dass die geistige Kapazität und Regsamkeit bei Lungentuberku¬
lose, wenigstens in den ersten Stadien der Krankheit, durch¬
schnittlich auf der individuellen Höhe bleibt, ist eine oft kon¬
statierte Tatsache. So steht der Patient, der scheinbar und sub¬
jektiv über die zum Kampf ums Dasein und zum Genuss des
Lebens nötigen Vorbedingungen und Kräfte noch vollauf verfügt,
als Lungenkranker mit sich und seiner Lebensweise von vorn¬
herein in einem eklatanten Widerspruch, den zu überwinden auch
dem Vernünftigsten nur schwer gelingt, wenigstens nicht auf
längere Dauer. Und eine solche muss ja immer aufgewandt
werden, die „leichtesten Fälle“ mit eingerechnet — ich
meine Fälle mit ganz leichter einseitiger Spitzendämpfung, ohne
katarrhalische Erscheinungen, ohne Auswurf und ohne Fieber — ,
welche, vom Gesichtspunkt des zu erreichenden Dauererfolges aus
behandelt, erst recht zu einer möglichst langen Ausdehnung der
Kur auffordern. Aber sehen wir auch von diesen casus levissimi
et rari mit einer bedingungslosen, gesundheitlichen re¬
stitutio ad integrum nach einmaliger Kurzeit ab, weil sie nicht
zu den chronisch Lungenkranken im eigentlichen Sinne gerechnet
werden dürfen, so bleiben noch die vielen Patienten, bei welchen
leider der beim Kurbeginn vom Arzt suggerierte, vertröstende
Glaube an eine „baldige, wenn auch Zeit und Geduld verlangende
Heilung“ im weiteren Verlauf nur zum langsamen Sichgewöhnen
an den chronischen, lebenslängliche Rücksicht verlangenden
Krankheitszustand überleiten muss, teils weil die Krankheit zu
sehr fortgeschritten, teils weil der Patient hinter den pro¬
gnostischen Erwartungen in seinen Kurerfolgen zurückbleibt.
So erlebt der chronisch Lungenkranke oft bittere Ent¬
täuschungen, wenn der Arzt, bei der Entlassung nach monate¬
langer Kur, seinen kaum zurückzuhaltenden Lebensmut durch
die dringende Anempfehlung der erdenklichsten Vorsicht und
fortwährender Rücksichtsnahme auf seine Gesundheit dämpfen,
in dem oder jenem Fall das Aufgeben der bisherigen Tätigkeit,
eine völlige Aenderung der äusseren Lebensbedingungen, die
Auflösung einer Verlobung u. s. w. anraten muss, oder wenn er
trotz der entgegengesetzten Wünsche des Patienten, auf einer
Fortsetzung der Kur bestehen muss. Der Patient — und oft auch
dessen Angehörige — kann es eben meistens nicht verstehen, dass
die Krankheit nicht, wie andere einfach „überstanden“ wird.
War schon bei Erkennung der Krankheit das Allgemeinbefinden
kaum gestört, so lässt die im Verlauf der Kur gewöhnlich auf-
gesammelte Quantität von Körperkraft und geistiger Spann¬
kraft erst recht nicht mehr den Gedanken an Kranksein auf¬
kommen. Der Kranke hat beträchtlich an Gewicht zugenommen,
sieht frisch aus, ein bischen Auswurf Morgens oder im Lauf des
Tages wird aus Gewohnheit nicht mehr berücksichtigt. Warum
soll er also nicht gesund sein, nicht wieder arbeiten können?
Dieser offenbare Widerspruch zwischen subjektiver
(Patient) und objektiver (Arzt) Leistungsfähigkeit ist gewiss
in vielen Fällen die Ursache nachhaltiger psychischer Gleich¬
gewichtsstörungen.
Noch schlimmeren, seelischen Erschütterungen ist derjenige
Tuberkulöse unterworfen, welcher nach positivem Kurerfolg und
den besten Aussichten auf dauernd konsolidierte Gesundheit der
Familie und dem Beruf wiedergegeben wird, der, selbst nach
ärztlicher Berechnung mit vollem Vertrauen der Zukunft ent¬
gegensehen darf und den dann, plötzlich, oder langsam sich vor¬
bereitend, nach kurzer oder langer Zeit ein Rezidiv um alle
diese Zuversicht bringt. Dem ersten Rezidiv folgt womöglich
nach nochmaliger Aufnahme der Tätigkeit ein zweites und drittes,
bis schliesslich alle Segel heruntergenommen werden müssen
und das Lebensschiffchen definitiv still liegt. Solche Bedauerns¬
werte, die trotz hartnäckigen Kampfes gegen die Strömung doch
im Grunde willenlos von den Krankheitswellen auf- und abge-
4*
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
1384
tragen werden, gibt es leider nur gar zu viele. - Andere, nicht
minder Bedauernswerte, leben in fortgesetzter Angst und in auf¬
reibender Erwartung von solchen Enttäuschungen. Dieses
„Hangen und Bangen“, dieses „Freudvoll und
L e i d v o 1 1“ in st e tem Wechsel übt wohl den bedeut¬
samsten Einfluss der chronischen Tuberkulose auf die Gemüts¬
sphäre der Erkrankten aus. Dass äussere chronische Ein¬
flüsse, wie chronisches Eieber, chronischer Alkoholismus oder
Tabakmissbrauch die psychische Insuffizienz der Kranken ver¬
stärken können, ist sicher. Ich erachte sie aber, im Gegensatz zu
H einzelma n n ') als untergeordnete oder nebenhergehende
Ursachen.
Abgesehen von einer mehrweniger oder gar nicht zur Schau
getragenen Verbitterung gegen sein Los, welches fast jeder chro¬
nisch Lungenkranke, oft unter dem Deckmantel äusserer Gleich¬
giltigkeit mit sich herumträgt — nur wenigen gelingt es, sich
eine stoisch-philosophische Raison aus ihrem Schicksal zu
machen — , reagiert jeder einzelne Kranke, äusserlich und inner¬
lich, auf solche seelische Gleichgewichtsstörungen in seiner Eigen¬
art. Die Charakter a n 1 a g e des Einzelnen pflegt sich bei chro¬
nischer Tuberkulose zu prononciere n. Die Schranken,
welche äusserer Lebenszwang (Beruf, soziale Stellung) auferlegt
hatten, fallen während und infolge der Krankheit mehr oder
weniger weg. Dazu kommt eine im Verlauf der chronischen
Tuberkulose fast immer sich einstellende, ausgesprochene Willens¬
schwäche, welche den Patienten gegen seine seelische Verfassung
nicht mehr aufkommen lässt. Anfänglich wird der Kampf viel¬
leicht versucht, aber der Geschwächte unterliegt. Die moralische
Kraft fehlt. 11 retourne ä sa nature. Diese Pronqncierung der
Charakteranlage ist bei Tuberkulösen fast typisch zu nennen.
Der pessimistisch Veranlagte wird ausgesprochener Pessimist;
der Optimist, der Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker — sie
alle sind unter den Tuberkulösen viel reichlicher als „Charakter¬
typen“ zu finden, denn im gewöhnlichen Leben. Es ist erstaun¬
lich, wie oft das Charakterbild eines Tuberkulösen mit dem iiber-
mn stimmt, was die Eltern von seinen Eigenschaften als Kind er¬
zählen; Eigenschaften, welche Erziehung, äusserer Zwang und
Energie scheinbar überwunden hatten. Der Tuberkulöse stellt
als chronisch Kranker mit anormalen Lebensbedingungen, be¬
wusst oder unbewusst, auf einer anderen sozialen Basis als seine
Mitwelt. Es ist durchaus verständlich, dass durch die vielfachen
Enttäuschungen, den Vergleich mit anderen besseren Schicksalen
und durch den Zweifel an jeglicher Gerechtigkeit, selbst eine
nachhaltige Erschütterung seiner Lebensmoral und seiner Lebens¬
anschauungen ausgelöst werden kann. Dass auf diese Weise die
Tuberkulose auch häufig ausgesprochene Originale schafft, wie
Einsiedler, Misanthropen, Phantasten etc., ist erklärlich. An
dieser Grenze bleiben aber die psychischen Veränderungen ge¬
wöhnlich stehen. Eigentliche Geisteskrankheiten, die bei Tuber¬
kulose beobachteten Psychosen, sind doch sehr rar. Auch von
Selbstmord chronisch Lungenkranker hört man nur selten.
Vorwiegend sind unter den Tuberkulösen, um obiges zu de¬
taillieren, die Sanguinike r mit expansiver Stimmung und
von liebenswürdigem, leicht zu behandelndem Charakter. Man
will das Leben gemessen, solange „noch das Lämpchen glüht“.
Da dieses Temperament, Gott sei Dank, am häufigsten zur Welt
kommt, so ist das nach dem Gesagten leicht erklärlich. Sehr
viel spielt da auch Nationalität und Volkscharakter mit. Es ist
erstaunlich, mit welcher enormen sanguinischen Geschicklichkeit
der dazu veranlagte Tuberkulöse sich über seinen Zustand hinweg¬
zutäuschen und etwas weiszumachen sucht. Temperatursteige-
ruugen werden mit Witterungswechsel, Barometertiefstand etc.
in Zusammenhang gebracht, oder als Influenza, Magenkatarrh
u. dergl. angesehen. Vermehrter Auswurf ist einzig und allein
durch grossen Feuchtigkeitsgehalt der Luft verursacht, am
Schwächegefühl ist der wehende Wind oder „etwas, was in der
Luft liegt“ Schuld. Bei alledem vergisst der Kranke ganz, dass
normale, gesunde Menschen nie derartig auf äussere Einflüsse
reagieren. Er kommt schliesslich so weit, dass er seinen Morgen-
auswurf als etwas Physiologisches ansieht und Fieber als einen
Heilungsprozess. Er gibt so dein Arzt die beste Handhabe zur
’) II ei n z e 1 ui a n n: Die Psyche der Tuberkulösen. Münch.'
nied. Wochenschr. 1894, No. 5.
psychischen Behandlung, welche deshalb bei vielen Phthisikern
nicht schwer fällt, in die Hand.
ITebermässig sensibel und impressionabel ver¬
anlagte Naturen leiden fortgesetzt unter dem Eindruck des chro¬
nischen Krankseins und unter den so häufigen Schwankungen
ihres Krankheitszustandes. Sie stehen so ihrer Besserung so¬
zusagen mit ihrer ganzen Person selbst im Wege. Bringt der
Patient Phlegma, ein gewisses Quantum Indolenz, nicht allzuviel
Gemüt und nicht zu viel geistige Regsamkeit zur Kur mit, so
kämpft er mit den besten Mitteln, die er persönlich stellen kann.
Ich erachte die psychischen Eigenschaften eines Patienten für
prognostisch ebenso bedeutsam wie konstitutionelle F aktoren, und
sollten sie deshalb in die Anamnese stets mit aufgenommen
werden, soweit zuverlässige Angaben von Eltern oder Freunden
erhoben werden können.
Ein oberflächlicher, unkritischer Kopf, ein leichtfertiger
Charakter wird die entsprechende Auffassung von seiner Krank¬
heit seiner Lebtag mit sich herumtragen und schliesslich daran
zu Grunde gehen. Wohlverstanden darf diese Kritiklosig¬
keit und Verkennung der Krankheitslage nicht mit der intel¬
lektuellen Schwäche verwechselt werden, wie sie schliesslich bei
allen Phthisikern in den schwereren Stadien der Krankheit und
besonders im eigentlichen Endstadium eintritt. Die allbekannte
Hoffnungsfreudigkeit des Phthisikers vor seinem Tode ist tat¬
sächlich eine häufige Erscheinung. Genuss- und Vergnügungs¬
sucht findet auf dem durch die Krankheit bedingten Boden des
„Dolce far niente“ bei dazu Veranlagten natürlich gute Nahrung,
um so mehr, als das körperliche Befinden nicht oder nur zeit¬
weise im Wege zu stehen pflegt. Was nun aber sonst, auf ge¬
drucktem und ungedrucktem Wege, von der Kritiklosigkeit und
dem Leichtsinn *rcr\ geredet wird, zu dem die Tuber¬
kulose disponiere, das lässt sich in diesem Masse mit meinen Be¬
obachtungen nicht zur Deckung bringen. Man bedenke, dass der
grösste Prozentsatz der Erkrankungen ins jugendliche Alter fällt.
Ferner sind ja bei der Tuberkulose keine dauernden und schweren
Leiden oder Schmerzen vorhanden, die, wie bei anderen Krank¬
heiten, die Stimmung stetig darniederdrücken. Der Laie er¬
wartet sich dies aber von einem Kranken und ist erstaunt, diesen
Ausdruck des „Leidens“ nicht zu finden. Dann ist auch gewiss
nicht alles Gold, was glänzt, und oft wird, wie schon oben betont,
eine Maske der Gleichgültigkeit und Leichtlebigkeit vom Kranken
angenommen. Man muss sich in den komplizierten Gedanken-
gang eines Tuberkulösen versetzen, der, weil er sich nicht krank
fühlt, auch nicht krank scheinen will. Oft findet man hinter
dieser Maske, eine ganz andere, am Ende gar verzweifelte
Grundstimmung und viele tuberkulöse Pessimisten sind schein¬
bare Optimisten. Oft wird man bei solchen Patienten durch
hingeworfene Bemerkungen, wie: „Es ist doch alles umsonst“
überrascht und aufgeklärt.
Es mag ja der Fall sein, dass durch die Sanatoriums¬
behandlung, durch deren strenge Beaufsichtigung der
Kranken, durch die häufige ärztliche Belehrung über den Ernst
der Erkrankung auch der persönlichen Auffassung des Patienten
von seiner Krankheit dauernd eine andere Richtung gegeben
wird. Es gibt gewiss nicht bloss Laien, sondern auch Aerzte,
welche die Sanatorien deshalb als eine Brutstätte für Trübsinn
und Lebensunlust ansehen. Wer das Sanatoriumleben und dessen
durchweg heiter gestimmten Grundton kennen lernt, wird sich
davon überzeugen, dass sehr wohl eine Beeinflussung des Kranken
im obigen Sinne erfolgen kann, ohne dass darunter dessen Psyche
notzuleiden braucht.
Es gibt allerdings Kranke, welchen eine Sanatoriumsbehand¬
lung auf längere Dauer nicht gut tut und denen schon viel
früher als anderen die noch etwa notwendige Fortsetzung der
Kur in anderen Verhältnissen, z. B. an einem offenen Kurort,
anempfohlen werden sollte. Ich sage „viel früher“, weil schliess¬
lich doch bei jedem stationär bleibenden Lungenkranken,
welcher lange Zeit in einem Sanatorium gelebt hat, eine gewisse
„Li eberständigkeit“ eintritt, die sich in Misslaunigkeit,
Unzufriedenheit mit dem Gebotenen, Unverträglichkeit mit
Kompatienten oder gar dem behandelnden Arzt iiussert und
welche schliesslich einen Wechsel zur unbedingten Notwendig¬
keit macht — Misstände, wie sie namentlich bei cholerisch ver¬
anlagten Patienten im Laufe der Kur zur Entwicklung zu
kommen pflegen. Diese Notwendigkeit tritt nun, wie gesagt,
19. August 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WO CHENS CILRIFT.
noch früher ein bei Patienten, welche, pessimistisch ver¬
anlagt, zu einer entsprechenden Auffassung von ihrer Krankheit
neigen, las enge Zusammenleben mit vielen Kranken, gleichgültig
welcher Art, ist für solche Patienten an und für sich nicht ge-
eignet. Run ist der Kranke im Sanatorium sogar auf Menschen
mit derselben Krankheit, denselben Krankheitsinteressen im Ver¬
kehr angewiesen. Die Sanatoriumsgespräche über Befinden und
Krankheitssymptome, der Anblick der Kranken selbst führen vor
solch empfindlichen Augen die eigene Lage immer wieder und
nicht gerade zum Vorteil der Stimmung. Dazu kommen dann
noch trübe Erfahrungen aus der Sanatoriumschronik, Verschlim¬
merungen bei Kompatienten, unerwartete Todesfälle. Auch die
bei solchen Kranken geschärfte Beobachtungsgabe — pessi¬
mistische Lungenkranke sammeln gewöhnlich einen grossen
Schatz spezialistisch-medizinischen Kennens — , die daran ge¬
knüpften skeptischen Vergleiche zwischen den eigenen, vielleicht
geringeren Fortschritten und den evidenten Besserungen anderer
führen zu psychischen Schädlichkeiten. Schliesslich leidet sogar
<Le Autorität des Sanatoriumsarztes, an dessen Aeusserungen und
Urteilen eine pessimistische Kritik geübt wird. Und nichts
schlimmer für den Patienten selbst, als wenn er den Glauben
an seinen Arzt verliert. Kurz und gut, der fortgesetzte äussere
Kontakt mit der eigenen Krankheit wirkt zweifellos auf der¬
artige Naturen direkt schädlich und schliesslich resultieren da¬
raus seelische Zustände, die Melancholien gleichkommen können
Ich meine deshalb, man sollte solche Patienten nur solange in
Sanatorien halten, bis sie gelernt haben, worin die Kur besteht
und nach welchen gesundheitlichen Massregeln gelebt werden
soll. Eine notwendige Fortsetzung der Kur erfolgt dann besser
entweder in einem grossen, offenen Kurort, wo es an äusseren
Anregungen und Abwechslungen nicht fehlt, Dinge, die ein
solches Gemüt zur Ablenkung nötig hat und mit Mass und Ziel
gemessen darf, ohne seiner Gesundheit entgegen zu arbeiten,
oder in privaten Verhältnissen an kleinen, klimatisch geeigneten
1 1 ätzen, dann aber immer im engeren Verkehr mit gesunden
Menschen, Mitgliedern der Familie, aus welcher die dem Kranken
sympathischste Persönlichkeit ausgewählt werden soll. Gewöhn¬
lich wird dabei die Wahl nicht auf die allernächsten Angehörigen,
sondern auf an und für sich fernerstehende fallen müssen.
1\e.1”Ze^mai!n (1* c-) hat die Gründe dafür bereits in er¬
schöpfender Weise angegeben. Schliesslich kann es für solche,
zu depressiven Stimmungen neigende Kranke sogar angebracht
sein, einen häufigen Ortswechsel während der Kurzeit vor¬
zunehmen, ein Verfahren, welches sonst gewiss keine Anwendung
finden soll. In diesen Fällen aber bewirkt eine durch neue Ein¬
drücke hervorgerufene seelische Umstimmung oft auch körper¬
liche Wunder.
Cum grano salis gilt das Ebengesagte auch noch für eine
andere Klasse der Tuberkulösen — die der allzu ängst¬
lichen, allzu skrupulösen Kranken mit leichtem
Lungenbefund. Unter . ihnen finden sich die sogen. „Mess-
ianatiker“, die womöglich stündlich ihre Temperatur kontrol-
leren und von jedem Zehntel Temperatursteigerung dem Arzte
ängstlichen. Bericht erstatten, die sich über etwas vermehrten
Auswurf, eine kleine Blutspur im Sputum, eine vom Arzt aus
\ ersehen oder allzugrosser Ehrlichkeit mitgeteilte Steigerung
der 1 uberkelbazillenzahl unendlich auf regen und ausser Fassung
[kommen, . die sich aus übertriebener Aengstlichkeit in jeder
einig veit an ärztlichen Rat und ärztliche Hilfe klammern und
aru ei jegliche Selbständigkeit auch im allgemeinen
• ,eiJU'n TJnd Handeln verlieren. Von diesem Gesichtspunkte aus
ur solche Kranke, falls es dem Sanatoriumsarzt nicht gelingt,
sie zu bekehren, ebenfalls der offene Kurort besser. Solche Pa¬
tienten bedürfen ja nicht der strengen ärztlichen Beaufsichti¬
gung, welche für das Gros der Tuberkulösen unentbehrlich ist,
. beaufsichtigen sich besser selbst, sobald sie gelernt haben, was
sic zu beaufsichtigen haben, und entgehen auf diese Weise der
i . Charakter und späteres Leben schädlichen und
fimderhehen Unselbständigkeit.
. ■Dl®se Ausnahmen abgerechnet, ist der Kuraufenthalt in
einem Sanatorium in psychischer Hinsicht wohl jedem Lungen-
firanken zu empfehlen. Und auch in obigen Fällen muss der
aizthche Entschluss, ob Sanatorium oder offener Kurort, noch
von anderen Umständen, so vor allem von dem Alter des Pa¬
tenten, mit abhängig gemacht werden. Bei jugendlichen Kranken
No. 33.
1385
wird mar. überlegen, ob nicht die Gefahr des jugendlichen Leicht-
smns, der sich m einem offenen Kurort in geeigneter Gesellschaft
gewiss ausgiebiger betätigen kann, als in einem Sanatorium, nicht
die psychischen Bedenken überwiegt, eine Ueberlegung, die bei
alteren, vernünftigen Patienten natürlich wegfällt
Bei ganz jungen Leuten im schulpflichtigen Alter bedeutet
die Erkrankung eine grosse Gefahr für ihre innere Entwicklung.
Monate oder gar Jahre sollen nur der Gesundheit und nicht dem
Lernen, gewidmet werden und oft wird die daraus entstehende
lagheit mit all ihren Lastern dann zur bösen Gewohnheit. Der
ständige Verkehr mit Erwachsenen zeitigt auch oft frühreife
oder, schlechte Fruchte. Da wird die Charakteranlage die Ent¬
scheidung bringen. Der Arzt aber muss hier, mehr noch wie
sonst, auf eine massige und vernünftig verteilte Arbeit im Inter¬
esse des Kranken hinwirken, womöglich im Verein mit einem
1 rivatlehrer. In Davos existiert in sehr vorteilhafter Weise ein
hygienisch erbautes und geleitetes Schulsanatorium unter ärzt-
ic lei Aufsicht, und ebensolche Mädchenpensionate.
Und nun zu einem Punkt in der psychischen Symptomato¬
logie des Lungenkranken, welcher von allen Autoren, die sich
mit diesem Thema beschäftigen, — ich nenne Dettweiler
C orn e t, He inzelmann — in gleicher Weise betont und
bestätigt wird. Es ist die enorme Stimmungslabilität
der chronisch Lungenkranken. Sie ist die causa prima im
Stimmungsbild der Tuberkulösen und fast bei jedem Patienten
zu konstatieren. Sie äussert sich im ganzen Wesen, im ganzen
Aul treten des Kranken, in seiner Unterhaltung, seinen Briefen,
seinem Denken und schliesslich auch in seinem Handeln. Wie
oft hört der Arzt von den Verwandten über diesen unberechen-
baren, von einem. Tag zum anderen erfolgenden Stimmungs-
wec isel klagen. Nicht bloss, dass die Auffassung von der eigenen
Krankheit und ihrem Verlauf eine häufig schwankende zu sein
pflegt, auch Meinungen und Urteile über Dinge und Menschen
werden, kaum gefasst, grundlos wieder verworfen, Pläne werden
gemacht und nach kurzer Zeit wieder aufgegeben, eine Ver¬
fassung des. Kranken,, die bei der Umgebung viel Aufregungen
und viel „Lärm um Nichts“ zu verursachen pflegt, letzteres, weil
gerade der häufig statthabende Wechsel diesen psychischen Ein¬
flüssen und Willensbestimmungen, unter deren Herrschaft der
Patient im gegebenen Augenblick ganz zu stehen scheint, doch
jeglichen ernsten Hintergrund von vornherein nimmt. Man
braucht oft nur das gewiss nicht immer empfehlenswerte Prinzip
des laisser aller anzuwenden, oder wenn es not tut, mit ver¬
nünftigen Worten die Intentionen und Gedanken des Kranken
ad absurdum zu führen, um einen schnellen Uebergang zu anderen
\ orstellungen hervorzurufen. (Schluss folgt.)
Ueber die Schwierigkeiten bei der Auswahl der
Kranken für die Lungenheilstätten und über den
Modus der Aufnahme in dieselben.*)
Von Prof. Rud. Kobert.
. H. H.! Wie in allen deutschen Gauen, so haben, wie Sie
wissen, sich auch in Mecklenburg Vertreter aller Stände zu¬
sammengetan, um ein Volkssanatorium für Leichttuberkulöse zu
beschaffen. Diejenigen von Ihnen, welche noch nie ein solches
gesehen haben sollten, möchte ich durch eine Anzahl herum¬
zureichender Bilder orientieren und für unser Unternehmen
interessieren. Die von einigen Seiten neuerdings geäusserte
Meinung, solche Sanatorien hätten gar keinen Zweck, seien weg-
geworfenes Geld, würden nächstens leerstehen, sind so töricht,
dass ich sie mit Stillschweigen übergehe. Umgekehrt wollen wir
die. Achillesferse der ganzen Sache, den wunden Punkt der Sana¬
torienfrage keineswegs bemänteln, sondern ich will sie heute
Abend mit Ihnen vorurteilsfrei an der Hand der Aeusserungen
der berufensten Männer durchsprechen. Worin besteht denn nun
die Achillesferse? Weitaus die schwierigste Frage bei der Be¬
kämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit ist die der rich¬
tigen Auslese der Kranken für die Heilstätten. In Er¬
kenntnis dieser Tatsache hatte das „Deutsche Zentralkomitee
zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke“ diese Frage,
obwohl noch im Jahre 1900 mehrere Schriften gerade darüber
erschienen waren, auf die Tagesordnung seiner Mitgliederver-
*) Vortrag, gehalten im Aerztevereiu zu Rostock.
5
138G
MUENCHENER MEDICINISCHE WOC I IENSC1IRI ET-
No.. 33.
Sammlung für das Frühjahr 1901 gesetzt. Nachdem bei dieser
Gelegenheit sich eine Reihe massgebender Persönlichkeiten m
der Diskussion ausgesprochen hatten, durfte erwartet werden
dass -jetzt die Ansichten einigermassen geklart seien. Deshai
erschien Ihr Wunsch, hier im Aerzteverem zu Rostock im
Sommer 1902 über dasselbe Thema einen Vortrag sich halten zu
lassen, leicht zu erfüllen. War doch anzunehmen, dass nun bei
fast allen Beteiligten eine und dieselbe Meinung herrschen wer e.
Unter solchen Umständen unternahm ich es gern, diesen \ ortrag
zu halten. Um in der Beantwortung möglichst objektiv zu ver¬
fahren, schien es mir angezeigt, mich nicht auf die vor
hau de ne Literatur und auf die eigenen Er-
f a h r u n g e n in Görbersdorf zu beschränken, sondern auch bei
möglichst vielen Leitern von V olks-Lungenheilanstal t en sowie
hei den Landesversicherungsanstalten b r l e f 1 1 c li e _ 1
kundigungen einzuziehen. Als diese bereits m meinen
Händen waren, erschien im April 1902 der neue Geschaftsbenclit
des „Deutschen Zentralkomitees zur Errichtung von Heilstätten
für Lungenkranke“, welcher einen Teil dessen, was ich zu ie>ei
Zeit bereits erkundet hatte, ebenfalls enthielt ). V eit i e
schienen noch kürzlich in der Tagespresse zwei Referate über je
einen von Herrn Kollegen Weicker aus Gorbersdorf m Ham¬
burg und von Kollege C. M. Bier in Hannover gehaltenen wich¬
tigen Vortrag, die beide ebenfalls dasselbe Thema betreffen loh
bin der Meinung, dass meine Erhebungen trotzdem nicht ganz
überflüssig gewesen sind. . .
Mehrere der Kollegen, welche ich befragte waren m der
Lage, mir ihre Meinung gleich in Form kürzlich gedruckter
kleiner Broschüren oder Joumalartikel zusenden zu können,
nämlich die Herren Kollegen E. R u m p f - Ericdnchsheim ,
A. Ott- Oderberg 3), N ahm- Ruppertshain ), K n a p P - V\ ü
helmsheim B), S t a u f f e r - Altena ") und Bändel i er “
hus ") Den genannten Kollegen sowie den anderen 32, welche
brieflich antworteten, besten Dank! Ebenso gebührt mein Dank
den 31 Versicherungsanstalten und 9 Pensionskassen, von dem
keine einzige meinen Fragebogen unerledigt
belassen hat. Ich schliesse aus den lückenlosen Antworten,
dass auch die genannten Anstalten an der Erledigung dei
schwebenden Fragen das regste Interesse haben. _
Ich habe, wie schon gesagt, meiner Aufgabe m doppelte
Weise gerecht zu werden gesucht, indem ich nicht nur die ge¬
nannten und andere einschlägige Schriften studierte, sondern
indem ich durch Versenden besonderer Fragebogen auch die nicht
journalistisch arbeitenden Kollegen und die Versicherungsanstal¬
ten zum Sprechen brachte, und zwar auch über denjenigen Pui * ,
welchen ich in den Schriften aus begreiflichen Gründen nicht ge¬
nügend erörtert fand, nämlich ob die Meinungen der Landes-
Versicherungsanstalten und die ihrer Sana¬
toriumsärzte übereinstimmen oder nicht. De
von mir aufgesetzte Fragebogen bezog sich aut die beiden im
Thema meines Vortrages enthaltenen Fragen.
Die eingelaufenen Antworten will und kann ich am heutigen
Abend Ihnen im einzelnen nicht vorlegen. Ich habe sie aber, c a
sie viele recht interessante Einzelheiten enthalten, im Zusammen¬
bau« — soweit sie lesbar waren — der Reihe nach zusammen-
"'cs teilt und zum Besten unseres Lungenheilstattenveremes bei
p Unke in Stuttgart erscheinen lassen. Möchten aus Liebe zur
Sache recht viele Kollegen dieses Schriftchen kaufen, das ich
hier herumgebe. Ich begnüge mich hier den Totalemdruck
n Der Stand der Tuberkulosebekämpfung im Frühjahr 1902
Geschäftsbericht für die Generalversammlung. Darin S. 4 o. Die
Viisloso der Kranken für die Heilstätten.
-) Die Vuslese der Lungenkranken für die Heilstätten. } erli.
d. .Taliresvers. d. Deutschen Zentralkomitees für Lungenbeilst atte n.
1i)01 23. März. Ferner Aerztl. Mitteil, aus u. Dir Baden 1. > -
’•) Welche Kranken eignen sich zur Aufnahme in die Dung -
heilstätten? Aerztl. Monatsschr. 1901, H. 9. Kollege Ott ist mit t-
lerweile nach Grünewald bei Wittlich an der Mosel ubergesied .
.) Ueber die Einweisung von Lungenkranken in die \ ollvsheil-
stätten Zeitsehr, f Krankenpflege Bd. 23, 1901, No. 3. Therap.
e? di e> Auslese der für Volksheilstätten geeigneten Kran¬
ken Württ. Med. Corresp. Bl., 2. Nov. 1901. No. 44.
«\ was sind die Ursachen der verspäteten Aufnahme in die
Heilstätten und auf welchem Wege ist hier Abhilfe zu schaffen.
IT Tihresber. der Volksheilstätte des Kreises Altena, 1900, p. 14.
' ■) Feber die Auswahl der Lungenkranken für die Heilstatten-
behandlung. Monatsschr. f. Unfallheilkunde u. lnvalidenwesen,
Jahrg. 1901.
wiederzugeben, welchen das Studium aller dieser Antworten und
der bereits sonst darüber vorliegenden Meinungsäusserungen aut
mich gemacht hat. Zunächst sei hervorgehoben dass 1. he ne
a li e r B e f r a g t e n a n d e m g u t e n E r f o 1 g r i c h t ige
Sanatoriumskuren verzweifelt. Nichts ist da ci
verkehrter als zu sagen, das deutsche Volk sei m seinem Enthu-
sLmus für die Bekämpfung der Tuberkulose mit der Errichtung
SO vieler Lungenheilanstalten zu weit gegangen. Im Gegenteil.
MiTekenne mich auf Grund aller meiner Studien zu der auf
Krankenkassenkonferenz der Laiidesversichenmgsaustalt ll.m
nover vor wenigen Wochen gefassten Resolution, dass die Z a hj
der Heilstätten noch vermehrt werdet. •
Ich stimme aber weiter auf Grund aller eingelaufenen arztlichm
Antworten dem auf dieser Konferenz von Kollege Bier ene.
gisch betonten Satze bei, dass 2. die sich tui d
verfahren meldenden Personen meist nach
mehrreohtgeeignetz u r Iv u r si n d, sondern l a
man die geeigneten Initialfalle nur duieh
regelmässig w i ed er k eh r ende Zwangsun ei-
Buchungen aller Versicherten oder wenig
stents der aus belasteten Familien und der au
1 u n ge n gefährd enden Berufen durch Spezia¬
list i s c h a u s g e b i 1 d e t e S a e h v er st a n d ige
herausfinden k a n n. Weiter unterliegt es keinem Zweite
dass 3 auch für die zum H e i 1 v e r ah r en „ i ch t
mehr geeigneten Versicherten durch Unter
briimmg in „Heimstätten“ gesoigt werden
m u s s? Die diesen Unglücklichen gesetzlich zustehende Rente
muss für diesen Zweck in Anspruch genommen und, soweit dies
zu ermöglichen sein wird, dazu erhöht werden. Nur aut diesen
Wege können wir die Angehörigen der Schwerkranken voi c
Gefahr der Ansteckung schützen und allmählich wirklic gesunte
Wohnungen für die Versicherten schaffen
Da dies alles aber nicht mit einem Mal zu erzielen ist, mu .
wir zunächst mit den Verhältnissen, wie sie jetzt nun eben hegen,
zu rechnen suchen. Dass schon bis jetzt Enormes geleistet ist
zeigt z. B. der schon oben erwähnte Bericht 1> 1 e r s
allein von der Landesversicherungsanstalt Hannover 3800 Per
sonen wieder arbeitsfähig gemacht worden sind was einer Ren¬
tenersparnis von 700 000 M. entspricht. Wir haben allen Grund,
unter solchen Umständen die Einrichtung der Landesveisiche-
runo-sanstalten als eine ungemein segensreiche anzuerkennen Du¬
dle wir dem Schöpfer derselben, Kaiser Wilhelm L, zu grössten
Danke verpflichtet sind. Teils direkt, teils indirekt verdanken
diesen Landesversicherungsanstalten alle o ^s- mngen
anstalten die Möglichkeit ihrer Existenz. Bruch mit den Lande
Versicherungsanstalten würde sie sämtlich bankrott machen.
Nichtsdestoweniger soll 4. die Abhängigkeit der Aerzte selbst der¬
jenigen Sanatorien, welche lediglich ans Mitteln der Landesver¬
sicherungsanstalten erbaut sind und erhalten werden, keine
sklavische sein. Unter all e n U m 8 t ä n d e um u s s d a
letzte W ort über die Aufnahme oder Nichtav
nähme eines Patienten, der von d er L a n d es Ver¬
sicherungsanstalt geschickt wird, vom Arzte
der Heilstätte gesprochen werden. Wo es örtlich
zu ermöglichen ist, soll der Heilstättenarzt den Patienten auch
vorher schon sehen und untersuchen dürfen. _ Es muss als ganz
verfehlt bezeichnet werden, wenn den Heilstattenavztcn von
ihnen abgelehnte Patienten dennoch zugeschickt werden. M a n
muss 5. im Gegenteil alles tun, um diesen nicht
beneidenswerten Kollegen ihre Lage erträg¬
lich zu machen und ihr Ansehen zu heben.
ihr Ansehen bei den Patienten und für ihren Einfluss aut die¬
selben würde es weiter von hohem Werte sein, wenn man ihnen,
soweit sie nicht einem Professor der Medizin unterstellt sind,
denTitel Direktor geben und d i e Ve r w al tu n g s -
beamten der Heilstätte ihnen unterordnen
w ü r d e. Die ewigen Konflikte mit der Verwaltung sind Nagel
zum Sarge unserer Anstaltsärzte.
Sie müssen 6., wie dies bei einzelnen Anstalten auch schon
der Fall ist, das Recht erlangen, nach Ablauf der
ersten drei Monate eine Verlängerung der
Kur ihrer Patienten um 1 — 3 Monate beanspruchen
zu dürfen. Tatsächlich besteht die strenge Einhaltung der Drci-
monatekur keineswegs in allen Anstalten und kann durch kein.
19. August 1902.
Gesetz begründet werden. Sieisteineganzwillkür-
liehe, probeweise gezogene Grenze, welche
S.11<’ !..a ,® enf erwiesen hat; ihre Erweiterung wird
sich für die Versicherungsanstalten nicht als eine Mehrausgabe
sondern als eine Ersparnis erweisen.
7. Die in Bezug auf die zur Aufnahme vorzu¬
schlagenden Patienten leider noch bestehen-
ceu erheblichen Differenzen müssen ausge-
g 1 1 chen werde n Ich muss auf einige solche Differenzen
hier unbedingt emgehen.
a) Während die eine Anstalt nur Patienten mit
Bazillen nimmt, legen andere Anstalten der Anstaltsbehand-
lung nur bei solchen Patienten Wert bei, welche n o c h keine
Bazillen aushusten. loh bin der Meinung, dass dies der
Jdealzustand ist, dem wir zuzustreben haben, dem wir uns aber
nur nähern können, wenn wir die noch scheinbar ganz Gesunden
i oh Zeit Z\Ze* zwangsweise zur Untersuchung zugewiesen be¬
kommen. Vorläufig sind wir von diesem Idealzustand leider
noch himmelweit entfernt.
b) Während einige Anstalten nicht einmal alle
An ! ff hV enrSteii Turbanschen Stadiums, für die
Anstaltsbehandlung als geeignet erklären, lassen andere selbst
noch einzelne Fälle des dritten Turbanschen
Stadiums zum Heilverfahren zu. Ja der Leiter des, einen
kzanatoriums legt den Hauptnachdruck gar nicht auf den Grad
der Erkrankung, sondern auf die „Reaktion des Individuums“.
U,(' \ . m'r ^®ben wir zu, dass die Erstgenannten mit Rücksicht
auf die beschrankte Dauer der Ivur in praxi meist Recht be-
lahcn; wir mochten aber auch die Kranken des zweiten Stadiums
zulassen mit dem Wunsche, sie, falls die Kur im Stich lässt,
an eine Heimstätte für Unheilbare abgeben zu können.
, c) Wahrend einiffe Anstalten gewisse noch wieder-
ers teilbare Patienten nur deshalb ablehnen
w eil derenBerufeinsehwererist, thun andere dies
nicht, und ich stimme den letzteren bei, da ein schwerer Beruf
das doppelte Anrecht auf Hilfe von Seiten des Staates geben
muss. Meist wird diese Hilfe wohl zum Schluss darin bestehen
müssen, dass dem Wiederhergestellten ein leichterer Beruf er¬
möglicht wird.
d) Während nach einem Kollegen tägliche Abend -
f ei £ er nn g e n der Temperatu r das Heilverfahren
kontraindizieren, sehen andere im Fieber keine Gegenanzeige für
y” ybens.° different sind die Ansichten in Bezug auf
ci c 1 1 s c h w e l s s e. Ich habe Kassenpatienten teils mit, teils
o me yramidon ihr Fieber sehr bald verlieren und vortreffliche
ur machen selien, bin aber weit entfernt, dies etwa für alle
fiebernde behaupten zu wollen.
e) Während einige chronische Mittel ohreite-
i u n g, M astdarmf isteln, Knochen - oder Gelenk-
einbar * 7 ° 8 % f eUkoPf^schwüre als unver-
,ni( / dem Heilverfahren ansehen, nehmen andere Anstalten
suelr Ti an- ^ider feblt <* an Tuberkulose-
r fe Cl!irargisc,i geschult «nd. Ich hoffe, dass die
W‘rd’ denn icl1 weiss- dass Erio'ge
als Hämoptoe wird von einigen Anstalten
währet r U1\ ange6dlen’ das Heilverfahren abzulehnen,
< und andere auch solche dazu zulassen. Da es sehr viele
„ li"len he™\ Grade der Hämoptoe gibt, scheint es mir unrecht,
fmilir^r6“ ZU Wollen- Ich habe bei einzelnen sehr er-
reunciie Erfolge m wenigen Monaten erzielt.
„ai;, N enrastheniker werden von einer Anstalt ab-
Nen, faSt alle auderen Anstalten überhaupt nach
Wr ? lea- niicbt fra«'cn- Ich meine, die bei so vielen Phthisi-
dtn 4 f.1? durch das tuberkulöse Leiden bedingte und vor
seblffo y p1 y 1 uberkulose nicht vorhandene Neurasthenie
3 Cle Heilbehandlung nicht aus, sondern schwindet mit
In fund, r iUMg dCr Ernäbrui18' Ulld der Abnahme des Lungen-
.. 'Die angeführten Differenzen der Anschauung sind wohl ge¬
nügend, um zu zeigen,. dass trotz vielen Redens und Sprechens
i g. ± r a g e, w i e ein zum Heilverfahren gerade
j „ ° » 8 e e i g n e t e r Kranker beschaffen sein
„i \ n°yb n 1 c H t für alle Beteiligten in
ts i c Ji o i’ \Y e i s c gelöst ist.
jUJFNCIIENER MEDICINISCIIE WO CHENS CHB TFT
1387
Möchte diese meine heutige Besprechung mit dazu bei-
tragen, Klärung auf diesem Gebiete herbeizuführen, ehe unser
JVlecklen burgiscihes Sanatorium fertig- sein wird 1
Wir kommen zum zweiten Teile meines Fragebogens,
nämlich nach dem Modus der Aufnahme der Ver¬
sicherten in die Lungenheilstätten. Auch hier¬
bei bestehen erhebliche Differenzen. Während den einen das
7 [ f, e s t d e s Haus- oder Kassenarztes genügt
halten die andern dasselbe zur Aufnahme prinzipiell für un¬
genügend und verlangen eine Untersuchung und Attestierung
durch einen Vertrauensarzt der Landesversicherung oder
durch eine Universitätspoliklinik.
Weiter bestehen insofern Differenzen, als für die Eintragung
der Ergebnisse der Untersuchung einzelne Befragte g- a r k e i n
lo rmul a r für nötig halten, während anderen jedes be¬
liebige Formular genügt, und noch andere ein ganz b c -
s t i m m t e s, speziell für ihre Anstalt zurechtgemachtes fordern
Wie sehr diese Formulare verschieden sind, zeigen die von mir'
in meinem Schriftehen abgedruckten zur Genüge. Ich glaube
dass den meisten Kollegen höchstens je ein Formular bekannt
ist, und glaube ihnen gerade durch Abdruck recht verschieden¬
artiger einen Gefallen zu tun. Der nach dem Vorgänge
YVeickers bei vielen Anstalten dem Formular vorgedruckte
Satz: „Ungeeignet zur Heilstättenkur und daher vom Heilver¬
fahren auszuschliessen sind . . .“ gehört nach meiner Meinung
nicht m das Formular selbst, sondern in eine Anweisung, d. h.
m einen gleichzeitig mit dem Formulare dem Arzte zu¬
zustellenden offenen Brief. Ebendahin gehört die Forderung
das ausgefüllte Formular dem Patienten nicht offen in die Hände
zu geben. Die vier Bogenseiten des Formulars sind durchaus
nötig, um alle Fragen und Antworten aufzunehmen, die Vor¬
kommen können. Ich halte ein gutes Formular,
dessen Ausfüllung natürlich ordentlich bezahlt werden muss,
iur eine wesentlicheErleichterungder Tätig¬
keit des Hausarztes, des Vertrauensarztes
und des Heilstättenarztes. Falls überhaupt der Ver¬
trauensarzt entbehrlich ist, so ist er es nur, falls ein ausführ¬
liches Formular vorhanden ist. Ohne ein solches ist z. B. auch
die Zusammenstellung eines guten Jahresberichtes sehr schwer.
Zu wenig- Wert legen nach meiner Meinung die meisten An¬
stalten auf ein genügend grosses Thoraxschema. Ich habe
daher das grösste, welches sich in den mir zugegangenen Formu¬
laren fand, m meinem . Schriftchen in natürlicher Grösse ab¬
gedruckt und möchte dieses zur Nachahmung empfehlen. Bei
kleineren werden die Einzeichnungen zu ungenau. Ein Formular
ohne Thoraxschema genügt den Anforderungen nicht. Auf ein
Kehlkopfschema kann meist schon eher verzichtet werden, nicht
jedoch auf die Erwähnung des Kehlkopfsbefundes im Frage¬
bogen. Leider fehlt diese Frage in den meisten Bögen.
Ich werde mich nicht wundern, wenn das diesem Vortrage zu
Grunde liegende Schriftchen, da es nichts Wissenschaftliches
enthalt, von den Theoretikern und. denjenigen Praktikern, welche
nicht mit „Einweisung Versicherter“ zu tun haben, als ein ganz
Übei flüssiges bezeichnet oder kopfschüttelnd und nicht- verstanden
beiseite gelegt werden wird. Aber bei denjenigen Kollegen,
welche fast alltäglich mit lungenkranken Kassenpatienten sich
. efassen müssen, wird es nicht ungern aufgenommen werden, und
jeder derselben wird sich beim Durchlesen diejenigen Punkte
heraussuchen, welche ihm für seine speziellen Verhältnisse von
Nutzen, sein könnten, und wird auf Grund dieser Schrift seine
Ansichten bei andersdenkenden Kollegen und bei der ihm viel¬
leicht Widerspruch leistenden Landesversicherungsanstalt zur
Geltung zu bringen suchen. Aber auch den L a n d e s Ver¬
sicherungsanstalten dürfte eine solche Ne-
beneinanderstellung ihrer bis jetzt noch nie¬
mals im Druck dargelegten Ansichten, die
sich ja alle auf ein und dasselbe Gesetz
stützen und dabei doch recht verschieden
sind, nicht ohne Interesse sein. Es wäre möglich,
dass diese absichtlich polemiklose Nebeneinanderstellung der sich
widerstreitenden Ansichten auf manchen Landesrat oder Kassen¬
vorstand mehr Eindruck machen wird als alle langatmigen Vor¬
stellungen der Sanatoriumsärzte.
Möchte doch auch auf diese Weise die praktische Inangriff¬
nahme der Tuberkulosebekämpfung im deutschen Vaterlande ge-
5*
13S8
MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET
No. 33.
fördert werden! Jedenfalls ist dies der Wunsch, der mich heute
wie immer beseelt.
Zur Heilstätten-Behandlung der Tuberkulose.
Von Dr. med. E. Meissen, dirigierendem Arzt der Heilanstalt
Hohenhonnef.
Es ist stets lehrreich und dankenswert wenn jemand über
den Wert eines Heilverfahrens ein Urteil abgibt, der u ei *
erforderliche Sachverständnis verfügt, aber nicht selbst in der
Ausübung der Methode steht, was ihn vielleicht unwillkürlich
beeinflussen könnte. Deshalb wird man den Vortrag Hammers
über die Heilstättenbehandlung der Tuberkulose gern lesen weil
er in ruhiger Kritik auf manche ungeklärte, vielleicht unrichtige
Seite des Verfahrens hinweist. Die Sache geht eigentlich mehr
die Volksheilstättenärzte an, die wohl dazu Stellung ne me
werden Doch mag auch dem Leiter einer Privatanstalt gestattet
sein, zu den Anregungen H a m m e r s seine Meinung Zu =
Hammer geht von einer Statistik über 127 tuberkulös
Arbeiter und Arbeiterinnen aus, die der Heidelberger Orts¬
krankenkasse angehörten. 72 derselben machten eme HeiHtartm-
bur durch (Nordrach, Schömberg, Hornbach, Forbach, Bondort,
Säckingen, Friedrichsheim) von 80 bis zu i80 Tagen; ^ wurden
anderweitig behandelt, aber „mit besonderer Sorgfalt immer u
immer wieder auf die _ entscheidende Bedeutung der allgemein
hygienischen Lebensweise aufmerksam gemacht • . .
Fälle war, soweit man feststellen konnte, beide Male ziemlich
gleichartig. Aus der Zusammenstellung ergab sich der merk¬
würdige Schluss, dass die Heilstättenbehandlung
werten Resultate gezeitigt hat, dass es jedenfalls auf fallend bleM
wenn die Unterschiede in den wirtschaftlichen Ei folgen keine
beredtere Sprache führen zu Gunsten der Heilstättenbehandlung
Hammer schliesst aus diesem Ergebnis nicht auf de
Unwert einer Methode, die gerade in Deutschland mit so -grossen
Erwartungen und Opfern ins Werk gesetzt wurde Aber es ma
ihn doch bedenklich. Zurzeit sind in Deutschland etwa 60 A oKs-
heilstätten im Betrieb und es können demnächst alljahilich n
“ 20 000 versicherte Kranke sich einer 3 monatlichen Kur
unterziehen. Die Zahlen der Hammer sehen Statistik sind
zunächst viel zu klein, um ein allgemeines endguitiges Ur tei
zu erlauben. Man wird vor allem die auf breitestei Basis ee
dachte Statistik des Kaiserlichen Gesundheitsamtes abwarten
müssen, die sämtliche Heilanstalten Deutschlands umfasst.
Ebenso ist die Zeit der Beobachtung (1898—1902 also 4 Jahre)
viel zu kurz. Denn, wie auch II a m m e r selbst hervorhebt bex
den Tuberkulösen ist der Dauererfolg von viel grosserer Wicht g-
keit als der Entlassungserfolg : Für den lungenkranken Arbei e
hat er ebenso geradezu die entscheidende Bedeutung wie für die
Versicherungsanstalten, die ja die Kuren nicht aus Humanität
bezahlen, sonderen um die Rentenzahlung hinauszuschieben wo¬
möglich ganz zu vermeiden. Bis wir aber über die Dauererfolge
der Heilstättenbehandlung ein bestimmtes Urteil abgeben können,
werden wir wohl mindestens noch ein Jahrzehnt geduldig warten
müssen. Die Schwierigkeiten der Statistik der Dauererfolge sine
naturgemäss sehr gross.
Sogar was man unter Dauererfolg verstehen will, ist bis
heute noch nicht ganz klar. II a m m e r will den grössten Wert
legen auf die Veränderung und Besserung des objektiven Lungen¬
befundes, sowohl im Anschluss an die Kur, als vor allem nach c er
Kur. Ich kann ihm hierin nicht ganz beipflichten. Die meisten,
o-ewisserm assen die normalen Patienten der Volksheilstatten
werden als dem Frühstadium der Krankheit ungehörig, nur ge¬
ringe objektive Veränderungen auf der Lunge darbieten: leichte
Dämpfungen, verändertes Atemgeräusch, wenig oder gar kein
Rasseln. Eine grosse Besserung solcher Befunde ist, nicht zu
erwarten, da die gleichen Symptome ja auch der Vernarbung an¬
gehören, etwa mit Ausnahme des Rasseins. Es ist hier ana og
wie bei der Beurteilung der Arbeite- oder Erwerbsfahigkeit vor
und nach der Kur: Hammer selbst macht darauf aufmerk¬
sam, dass die meisten Insassen der Volksheistätten auch vor der
Kur arbeitsfähig waren, und wenn sie als erwerbsfähig entlassen
werden, so ist damit' nicht gesagt, dass die Kur das geleistet habe,
sondern höchstens, dass sie den Leuten die sonst vielleicht ver-
~ 1 ; n a ni m e r: Pie Heilstättenbehandlung der Tuberkulose.
Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 20.
loron tregangene Erwerbsfähigkeit erhalten habe. Bei vor-
SÄ® liegt die Sache in beider Hinstdrt fre.Hch
anders. .Aber diese will man den Volksheilstatten nach Moglic
keitG:“'rd eine einwandfreie Statistik neben dem All¬
gemeinzustand auch die Dauerresultate des Lu,,f ^
berücksichtigen haben. Praktisch .st aber
dauernde Erhaltung der wirtschaftlichen Heilung, d. h. eine 1
möglichst -Uten Berufs- und Arbeitsfähigkeit entschieden die
Hauptsache! Ob dabei noch gewisse Reste des Lungenleidend
obiltiv nachweisbar sind, ist ziemlich gleichgültig wenn s.e
nur stationär bleiben, keine Neigung zum Fortschreiten zeigen.
Wenn man ausschliesslich Fälle d^Mtatad—r Behmrd-
Wenn man aussciuiessinn x .... • -iPc „.iKt
Jung bekommt, so werden diese Reste recht klein sein. Es gib
aber °e,,ug Fälle des vorgeschritteneren Stadiums, wo der O
iranismus den Ausgleich mit der Krankheit findet, und trotz de¬
fekter Lunge durch lange Jahre oft recht angestrengter Be™
tätigkeit obliegen kann. Schliesslich ist die Heilung der
klse 1 stets eine „Defektheilung“ (V i r eh o w) .die aber prak-
ti,ch recht häufig den Wert einer wirklichen Heilung hat.
Zu noch wichtigeren Betrachtungen geben andere Berner-
kun-en Hammers Anlass. Dieser schliesst aus den relativ
-ünstigen Resultaten der nicht in Heilstätten behandelten Falle,
dass die Arbeitertuberkulose ein ausserordentlich günstiges Ob¬
jekt fül. die hygienisch-diätetische Behandlung bildet. Hmrfui
spricht in der Tat manche Ueberlegung und manche Erfahrung.
\ber die erfreuliche Tatsache gilt doch im wesentlichen nur für
die Anfangsstadien, die in allen Ständen die günstigsten Objekte
sind, deshalb auch überall die regelmässigen Objekte im -dm ^Be¬
handlung sein sollten, obwohl sie es leider nicht sind. II am me
denkt sich, dass bei dem Arbeiter mit seinem abg^ar^en
an körperliche Tätigkeit gewöhnten Organismus der Heüei folg
mit einfacheren Mitteln zu erzielen sein müsse als bei den l a
tienten der wohlhabenden Stände. Hierin wird man ihm, min¬
destens bis zu einem gewissen Grade, recht ge en mmsen. ac
meiner Ueberzeugung werden freilich die Heilstätten, d. . g
geschlossene Anstalten, unbedingt die Orte bleiben, wo wir mit der
besten Aussicht auf Erfolg den kranken Arbeiter zur Genesung
führen und zugleich hygienisch erziehen. Ich wusste nicht was
man gleichwertig für die gewaltigen Vorteile setzen wollte, d e
sie bieten: Das völlige Herausnehmen aus dem Milieu, wo die
Krankheit entstand, die Verbringung an einen Ort mit günstigen
klimatischen Bedingungen und «len erforderlichen Emnchtim^ ,
die Möglichkeit, alle den Kranken betreffenden Verhältnis^ g
nau zu überwachen und zu gestalten, auch arzneilic e e an un
oder sonstige Massnahmen strikt durchführen zu können und
manches andere. .. , i; *
Es ist aber schon wiederholt von Lungenarzten die Ansiciit
ausgesprochen worden, dass man die Volksheilstatten manchma
zu kostspielig, gelegentlich fast verschwenderisch gebaut mnd [ein¬
gerichtet hat. Nicht als ob man dem kranken Arbeiter den be
haglichen Komfort eines schönen Hauses nicht herzlich go
würde, wenn er dadurch einen besonderen Vorteil für seine Ge-
uesun- hat. Auch der verstärkte Gegensatz zu den spater wiedu
eintretenden häuslichen und sozialen Verhältnissen, zumal den
Wohnungsbedingungen ist nicht entscheidend. Aber wild den
in der Tat so viel mehr erreicht, wenn man für den kranken
Arbeiter Anstalten baut, die teurer sind als manches Sana¬
torium für zahlende Patienten! Das ist doch sehr zu bezweifel .
Die wirklich notwendigen Einrichtungen können gewiss billiger
geschaffen werden, ohne dass aller Komfort zu fehlen braucht.
Dafür könnte man mehr Anstalten errichten, um die 01
der Behandlung einer möglichst grossen Zahl Kranker zugäng¬
lich zu machen. Die Aufgabe ist nicht, mit reichen Mitteln mög¬
lichst schöne Anstalten zu erbauen, sondern zu zeigen, wie man
mit möglichst geringem Aufwand doch alles schaffen mnn, w
wirklich erforderlich ist. _ . . „
Schliesslich ist freilich der Fehler unnötig hoher Anlagc-
kosten mancher Volksheilstätten kein Nachteil für die Insassen.
Ein stärkerer Vorwurf, den auch Hammer hervortreten lasst,
liegt auf anderem Gebiete. Es lässt sich nicht leugnen, dass
man die in den Sanatorien für zahlende, durchweg wohlhabendere
Lungenkranke entstandene und ausgebildete Methode allzu dire’
auf die Volkssanatorien übertragen hat, ohne genügend zu t -
denken, dass das Krankenmaterial beidemal sehr verschieden is ,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1380
19. August 1902.
sowohl nach der Schwere der Fälle, wie nach den Berufsständen,
denen die Patienten entstammen. Eine Privatanstalt muss im
allgemeinen alle Fälle aufnehmen, die in ihr Hilfe suchen,
während die Klientel der Volksheilstätten mit Recht nach Mög¬
lichkeit auf die Anfangsstadien beschränkt wird: Die Privat¬
sanatorien haben eine wesentlich grössere Zahl von vor¬
geschrittenen Fällen, auf die das Kurverfahren Rücksicht zu
nehmen hatte. Liegekur und „Mastkur“ haben hier also natur-
gemäss eine sehr grosse Bedeutung. Leider hat man sich ge¬
wöhnt, in diesen Schlagworten so ziemlich das Wesen der
hygienisch-diätetischen Methode zu sehen. Namentlich der Laie
überträgt das, was für manche Fälle richtig ist, einfach auf die
Krankheit überhaupt. Man vergisst dabei, dass das eigentliche
Ziel der Methode doch offenbar die Erhöhung der organischen
Widerstandsfähigkeit ist, die durch Schonung u n d Uebung in
richtigem Verhältnis, je nach dem Falle, erreicht werden soll.
Liegekur und reichliche Ernährung sind nur Mittel zum Zweck,
die bald mehr, bald weniger, gelegentlich gar nicht in Betracht
kommen. Hammer hat deshalb recht, wenn er zu erwägen
gibt, ob nicht für den kranken Arbeiter ein richtiges Mass
zwischen Ruhe und Bewegung oder auch Arbeit unter gewissen
Bedingungen bei guter, aber nicht überreichlicher Ernährung die
zweckmässigere Kur darstellt. Ich selbst habe das bereits wieder¬
holt ausgesprochen "), ebenso wie ich vor einer schablonenhaften
Auffassung des hygienisch-diätetischen Verfahrens stets gewarnt
habe. Das führt zu Erwartungen und Schlussfolgerungen, denen
schwere Enttäuschungen gewiss sind.
Es scheint übrigens als ob die entsprechende Erkenntnis
allmählich überall durchdringt. Das Berliner Zentralkomitee2 3)
beispielsweise hat die Errichtung von ländlichen Kolonien für
Lungenkranke ernsthaft ins Auge gefasst, wo geeignete Kranke
mit geeigneter Arbeit beschäftigt werden sollen, und zwar im
Anschluss an eine vorgängige Anstaltsbehandlung. Es wird
leichter sein, diesen sehr guten Gedanken durchzuführen, wenn
die Schlagworte Liegekur und Mastkur bei Aerzten und Laien
etwas mehr auf ihre richtige Bedeutung zurückgeführt werden,
und wenn dafür das, was wirklich erstrebt und geleistet werden
soll, etwas klarer hervortritt. Solange das nicht der Fall ist, darf
man sich nicht wundem, wenn der lungenkranke Arbeiter den
an sich richtigen Bestrebungen, seine Kur etwas aktiver zu ge¬
stalten, starkes Misstrauen entgegenbringt. Heilstätten sind und
bleiben die sicherste Voraussetzung einer erfolgreichen Kur für
den lungenkranken Arbeiter. Aber die Form des Heilverfahrens
kann für den besonderen Zweck in ihnen noch vielfach um¬
gestaltet und verbessert werden.
Es besteht Einigkeit darüber, dass wir auf alle Weise er¬
streben müssen, die Patienten früh genug den Heilstätten zu¬
zuführen. Damit kommt man auf die in den letzten Jahren
vielfach in den oben angeführten „Beiträgen“ auch von mir er¬
örterte Frage von der Frühdiagnose der Tuberkulose. Wie eine
Anzahl anderer Autoren verspricht sich auch H a m m e r viel
von der allgemeinen Anwendung der Tuberkulinprobe. Ich ver¬
mag diese Erwartung nicht zu teilen: Nicht so sehr, weil ich die
Gefahr, die durch die Möglichkeit der Anfachung und Aus¬
breitung- einer schlummernden Tuberkulose allerdings gegeben
ist, für allzu gross halte; auch nicht, weil die Durchführung
der Probe allzu grosse technische Schwierigkeiten bieten würde.
Aber gelangen wir durch sie wirklich zur Sicherheit? Es muss
schon stutzig machen, dass das Tuberkulin in einer gewissen An¬
zahl Fälle versagt, dass unzweifelhaft Tuberkulöse gelegentlich
nicht reagieren. Nun gewinnt aber infolge übereinstimmender
älterer und neuerer Untersuchungen (Nägeli, namentlich
Bug ge in Christiania) der Begriff der latenten Tuberkulose
eine immer grössere Bedeutung. Die Sektionen an den grossen
Krankenhäusern ergeben mit Sicherheit, dass der allergrösste
Teil der erwachsenen Menschen kleine tuberkulöse Herde in sich
trägt, die teils einer gering gebliebenen, spontan abgelaufenen
Erkrankung entsprechen, grösstenteils aber noch keine klinische
2) E. Meissen: Beiträge zur Kenntnis der Lungentuber¬
kulose, S. 124 u. ff.: „Was können die Fachärzte zur Bekämpfung
der Lungentuberkulose beitragen?“ Wiesbaden 1901, J. F. Berg¬
mann.
s) G. Pannwitz: Der Stand der Tuberkulosebekämpfung
im Frühjahr 1902. Geschäftsbericht des Zentralkomitßs. Berlin
1902.
Erkrankung vorstellen. Nimmt man die an klinisch nach¬
gewiesener Tuberkulose Verstorbenen hinzu, so gelangt man be¬
kanntlich zu dem Ergebnis, dass 96 Proz. und mehr der Kultur¬
menschen „tuberkulös“ sind ! B u g g e schloss diese Gruppe von
seinen Untersuchungen aus, fand aber bei 67 Proz. der irgend
welchen anderen Erkrankungen Erlegenen solche tuberkulöse
Herde. Zum Beweise, dass diese anscheinend unbedeutenden
Dinge wirklich tuberkulöser Natur sind, konnte er durch TTeber-
impfung des Materials Versuchstiere tuberkulös infizieren. Wenn
man hier sagt, dass die Ergebnisse sich ganz vorwiegend auf Men¬
schen der ärmeren Klasse beziehen, so werden sie gerade für die
Frage der Arbeitertuberkulose um so wichtiger. Uebrigens ist es
sehr wenig wahrscheinlich, dass die Tuberkulose hei den reicheren
Ständen prozentiscli seltener sei : Die Schädigungen des Berufs,
der Lebensweise und Lebensgewohnheiten wirken hier wohl in
etwas anderer Weise als beim Arbeiter, begünstigen aber ebenso
wirksam die Erkrankung an Tuberkulose.
Das Tuberkulin, mag es auch gelegentlich versagen, ist sicher
ein sehr feines Reagens, und es unterliegt kaum einem Zweifel,
dass, wenn wir die Tuberkulinprobe einmal allgemein an¬
wendeten, die allermeisten Menschen mindestens mit Fieber
reagieren würden. Es ist auch nicht möglich, eine ein für allemal
gültige Tuberkulindosis anzugehen, da natürlich auch dem Tuber¬
kulin gegenüber das Verhalten des Organismus individuell ver¬
schieden ist. Allem Anschein nach verhält es sich beim Menschen¬
geschlecht mit der Verbreitung der Tuberkulose nicht viel anders
als beim Rindvieh, wo durch die Tuberkulinprobe die fast all¬
gemeine Durchseuchung bewiesen ist. Beim Menschen wird
ausser der Allgemeinreaktion (Fieber) auch eine örtliche Re¬
aktion (verstärkte Dämpfung, Rasselgeräusche) in solchen Fällen
auftreten, wo schon gewisse Zeichen beginnender Tuberkulose
vorhanden sind : häufig auftretende Katarrhe, leichte Dämpfung
der Lungenspitzengegend, Veränderung des Atemgeräusches.
Aber diese Zeichen sprechen doch schon an sich mit genügender
Sicherheit für Tuberkulose, zumal wenn die Verhältnisse der
Abstammung, der Konstitution, auch der Berufsart nicht ein¬
wandsfrei sind.
Die Tuberkulinprobe wird also entweder zu viel oder zu
wenig beweisen, und kann deshalb den Anspruch einer un¬
bedingten Methode nicht machen. Das letztere gilt aus anderen
Gründen auch von der Agglutination, aber nicht, wie Ham m e r
meint, wegen ihrer Umständlichkeit und des dazu nötigen Ap¬
parates. In der Form, die R. Koch dem Verfahren gegeben
hat, ist dasselbe relativ sehr einfach. Indessen alle bisherigen
Erfahrungen lassen die Agglutination überhaupt als ein un¬
sicheres diagnostisches LIilfsmittel erscheinen.
Nach meiner Meinung reichen die gewöhnlichen klinischen
Untersuchungsmethoden, also Perkussion und Auskultation, zu¬
sammen mit einer sorgfältigen Anamnese vollkommen aus, um
eine sehr frühzeitige Erkennung der Tuberkulose zu ermöglichen.
Die einzige Krankheit, die, wie auch Gerhardt betont, ge¬
legentlich einen ähnlichen Lungenbefund gibt, ist die Lues.
Doch wird in diesen seltenen Fällen die Anamnese schon auf den
richtigen Weg führen. Uebrigens bringt eine vielleicht einmal
unnötiger Weise eingeleitete Heilstättenkur dem beti*effenden
Kranken keinerlei Schaden, sondern gesundheitlichen Vorteil
und manche nützliche Erfahrung. Dass man sich in einer gut
eingerichteten und gut geleiteten Anstalt nicht ansteckt, das ist
doch eine Tatsache, an der sich nicht rütteln lässt. Jedenfalls
wird, wenn man klinisch und anamnestisch genau zusieht, die
Zahl der zweifelhaften Fälle nicht besonders gross sein. Häm¬
in e r hält es nicht für gerechtfertigt, solche Kranke, die man
gewöhnlich als Prophylaktiker bezeichnet, direkt als tuberkulös
zu bezeichnen, bei der grossen Furcht vor der Tuberkulose sogar
als inhuman. Diese Schlussfolgerung ist nicht sehr einleuch¬
tend. Wenn wir ernsthaft die Tuberkulose als heilbar erklären,
und zwar um so sicherer, je früher die Behandlung einsetzt, so
ist es doch unsere Pflicht, dem Kranken die W ahrheit zu sagen.
Wenn wir ihm erklären, dass er zwar noch nicht an ausgebildeter
'Tuberkulose leide, aber den Keim dieses Leidens doch schon in
sich trage, und' dass gerade jetzt eine Kur ihm mit der grösst-
möglichen Sicherheit die Genesung bringen werde, so ist das doch
nicht grausam und entspricht ausserdem unserer wissenschaft¬
lichen Auffassung. Es liegt offenbar ein Trost für den Kranken
1390
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33;
darin, dass „wir so ziemlich alle ein bischen tuberkulös sind“.
Die Tuberkulose, wie sie uns entgegentritt, ist aller Wahrschein¬
lichkeit nach nicht häufig der Ausdruck einer vor wenigen
Wochen oder Monaten stattgehabten Infektion, sondern in den
allermeisten Fällen nur das Hervortreten eines schon längst oder
doch lange vorhandenen latenten kleinen Herdes, der sich infolge
hygienischer Schädigungen (Beruf, Lebensweise überhaupt,
anderweitige Erkrankung u. dergl.) weiter entwickelte. In ähn¬
licher Weise ist die Heilung der Tuberkulose nichts weiter als
ein Wiederlatentwerden der Erkrankung (Defektheilung Vir-
chows), und der Sinn zumal der hygienisch-diätetischen Me¬
thode ist, durch Steigerung der organischen Widerstandskraft
die Tuberkulose latent zu machen und latent zu halten, bis sie
schliesslich ganz erlischt.
Da wir das tatsächlich in sehr vielen Fällen erreichen, so
ist cs m. E. vielmehr durchaus gerechtfertigt und geradezu
human, den Kranken rechtzeitig über die Natur seines Leidens
offen aufzuklären, damit er zu seiner Heilung das tut, was wir
nach dem heutigen Stande unseres Wissens vermögen. Ich habe
niemals Nachteile gesehen, wenn ich so handelte. Wohl aber
habe ich oft bittere Klagen von Kranken gehört, dass man ihnen
die Wahrheit vorenthalten habe, als es noch Zeit war. Schwer¬
kranke verdienen Schonung. Im Beginne der Erkrankung aber
hat der Kranke das Recht, die Wahrheit zu hören, und der Arzt
die Pflicht, sie zu sagen. Die Furcht vor der Tuberkulose wird
nachgerade fast lächerlich und albern. Durch die zur Mode ge¬
wordene übermässige Betonung der Ansteckung wird sie nur
geschürt. Furcht ist aber keine geeignete Verfassung, um die
richtigen Gegenmassregeln zu ergreifen. Wir werden sie be¬
siegen, wenn wir betonen, dass zur Vermeidung der Ansteckung
die strikte Durchführung der Gesetze der Reinlichkeit und Wohl-
anständigkeit ausreicht, und wenn wir die heilbaren Fälle wirk¬
lich heilen. Dazu aber gehört, dass wir diese nicht nur früh
genug erkennen, sondern auch früh genug die Wahrheit sagen.
Erfahrungen über Heilbehandlung in der allgemeinen
ärztlichen Praxis.
Von Dr. Katzenstein in München.
Seitdem B reh m e r im Jahre 1854 die Heilung der Lungen¬
tuberkulose vermittels physikalischer Heilmethoden einführte,
machte diese Methode langsame, aber stetige Fortschritte. Aber
alle für diesen Zweck gegründeten Anstalten waren nur für wohl¬
habende Kranke zugänglich. Erst sehr viel später und besonders
nachdem die Hoffnungen, welche man nach Entdeckung des Tu¬
berkelbazillus auf eine spezifische Heilmethode gesetzt hatte,
durch den Misserfolg des Koch sehen Tuberkulins sich nicht er¬
füllt hatten, entwickelte sich die hygienisch-diätetische Behand¬
lung in einer grossen Anzahl von Lungenheilanstalten in der
aussergewölmlichsten Weise. Trotzdem gingen daneben fort¬
während Bestrebungen einher, welche bezweckten, auch auf an¬
dere Weise der Tuberkulose beizukommen. Diese Bestrebungen
hatten und haben ihre guten Gründe. Erstens ist auch heute
noch der grösste Teil der an Tuberkulose erkrankten Bevölkerung
von der Sanatorienbehandlung ausgeschlossen. In Privatheil¬
anstalten finden im allgemeinen nur vermögende Patienten Auf¬
nahme, während die sog. Volksheilstätten zumeist von Mit¬
gliedern der Krankenkassen aufgesucht werden. Dazu kommt,
dass sehr viele Patienten es nicht begreifen, dass- sie wegen einer
geringen Lungenaffektion eine Lungenheilanstalt aufsuchen
sollen. Ein anderer Teil der Bevölkerung ist aus sozialen
Gründen nicht im stände, sein bestehendes Geschäft, oder eine
Frau ihren Haushalt im Stich zu lassen. Zweitens wissen wir
aber jetzt, nachdem objektive Mitteilungen aus den Heilstätten
vorliegen, dass die grossen Erwartungen, die man vor einigen
Jahren besonders den Volksheilstätten entgegenbrachte, sich
durchaus nicht in dem erhofften hohen Masse erfüllt haben. I11
Bezug auf die Heilerfolge in den Anstalten verweise ich auf die
aus denselben hervorgehenden Jahresberichte1)2); es würde den
Rahmen dieser Mitteilung überschreiten, wollte ich die in jenen
Berichten enthaltenen Zahlen hier wiedergeben.
') Jahresbericht der Basler Heilstätte für Brustkranke in
I )avos.
2) 4. und 5. Bericht des Vereins für Volksheilstätten. München
1001.
Es ist daher verständlich, dass eine grosse Reihe von Aerzten
sich bemühte, vermittels bestimmter Arzneien auf die Tuber¬
kulose einen Einfluss auszuüben. Die meisten dieser Mittel be¬
währten sich nicht und verschwanden bald von der Bildfläche.
Nun hat Länderer2) auf Grund seiner Beobachtung zunächst
der chirurgischen Tuberkulose eine Methode ausgebildet, welche
noch immer nicht den Beifall gefunden hat, den sie meines Er¬
achtens verdient. Länderer hat seine Methode mit der
grössten Kritik entwickelt; er hat durch das Tierexperiment
zweifellos den Erfolg seiner Methode nachgewiesen. Wenn auch
seine Theorie von F r ä n k e 13 4 5 *), sowie von Ewald") nicht an¬
erkannt wird, so liegen nicht nur die zweifellosen Experimente
Länderers, sondern auch Sektionen von Menschen vor, die
früher mit Hetol behandelt worden sind. Der Befund dieser
Sektionen stimmt mit den Angaben von Länderer so überein,
dass wir wohl behaupten können : Experimentell und pathologisch-
anatomisch ist der Heilungsprozess der Lungentuberkulose mit
der Hetolbehandlung erwiesen. Aber nicht nur das, wir besitzen
heute eine immerhin beträchtliche Literatur °) über die Hetol¬
behandlung und die Berichte mit günstigen Erfolgen überwiegen
die ablehnenden. Um von vornherein Irrtümer zu vermeiden,
möchte ich hier darauf aufmerksam machen, dass weder Län¬
dere r, noch irgend einer seiner Anhänger in der Hetolbehand¬
lung eine Konkurrenz mit der Heilstättenbehandlung sehen
wollen. Von keinem Autor, der über Iletol schrieb, wurde meines
Erachtens die grosse Bedeutung der Lungenheilanstalten ver¬
kannt. Länderer selbst dirigiert im Schwarzwald eine Lungen¬
heilanstalt und es scheint, dass die Kombination dieser beiden
Heilmethoden die vorzüglichsten Heilerfolge ergibt. Wo dem¬
nach diese Kombination erreicht werden kann, ist dieselbe wohl
anzustreben. Dass die Methode infolge der hygienischen Ver¬
hältnisse sowohl als des betreffenden Krankenmaterials sich für
Krankenhäuser nicht eignet, das scheint mir Ewald’) bewiesen
zu haben, der mit seinen Versuchen im Krankenhaus recht wenig
erfreuliche Erfahrungen gemacht hat. Gleichwohl erachtet
Ewald auf Grund seiner Betrachtungen die Methode weiterer
Prüfung wert. Auch über Erfahrungen aus Polikliniken und
der ärztlichen Praxis liegen Berichte vor. so z. B. von Gütt¬
in a n n 7 8) aus der Krause sehen Klinik, von Dr. Holm-
Kiel s) und von Länderer 9) selbst. Ich sehe eine grosse An¬
zahl von Patienten, die aus sozialen Gründen sich nicht in eine
Heilanstalt verschicken lassen. Früher stand ich solchen Pa¬
tienten ratlos gegenüber. Auch ich verordnete die allgemeinen
hygienischen Massregeln, während ich von einer arzneilichen Be¬
handlung aus verschiedenen Gründen schon lange Abstand ge¬
nommen hatte. Jahrelang verordnete ich z. B. immer wieder
Kreosot; einen günstigen Einfluss auf die Tuberkulose beob¬
achtete ich nie; jedoch erlebte ich es immer wieder, dass die
Patienten den Appetit bei Gebrauch des Kreosot einbüssten und
schliesslich sich weigerten, das Mittel weiter zu nehmen. Ob¬
wohl ich von der Länderer sehen Hetolbehandlung schon
lange wusste, stand auch ich ihr skeptisch gegenüber und hoffte
auf die gute Wirkung der Rekonvaleszentenheime, deren wir eine
ganze Anzahl für die Münchener Kassenpatienten besitzen, und
von dem Sanatorium Planegg10). Aber immer wieder sah ich
Patienten zurückkehren, die wohl zumeist an Gewicht zuge¬
nommen hatten, deren objektiver Befund jedoch teilweise keine
Besserung-, zum Teil eine Verschlimmerung der Lungenaffektion
ergab. Da entschloss ich mich zunächst, bei solchen nicht-
geheilten Patienten die Hetolbehandlung zu beginnen, von der
Länderer verspricht, dass sie, in richtiger Weise angewandt,
vollständig unschädlich ist. Ich behandle im allgemeinen nur
3) Die Behandlung der Tuberkulose mit Zimtsäure. Leipzig
1898.
4) Deutsch. Arch. f. klin. Med., Fehl*. 1900.
5) Berl. klin. Wochenschr. No. 21, 1900.
°) Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte 1902, No. 1, C a n t r o -
w i tz: Die Erfahrungen über die Zimtsäurebehandlung der Tuber¬
kulose in den Jahren 188S — 1901, und Schmidts Jahrbücher
Bd. 271, S. 196.
7) Guttmann: Berl. klin. Wochenschr. 1901, No. 27.
8) Bericht über die in der Poliklinik mit Hetol behandelten
Tuberkulosen.
“) Länderer und Cantrowitz: Ueber ambulatorische
Hetolbehandlung der Tuberkulose. Zeitschr. f. prakt. Aerzte 1900.
10) F. May: Die Volksheilstätte Planegg-Krailling. Deutsch,
Arch. f. klin. Med., 66. Bd.
19. August 1902.
1391
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
frühe Fälle, d. h. Tuberkulose im möglichst frühen Stadium, und
diese auch nur dann, wenn aus oben erörterten Gründen eine
Anstaltsbehandlung unmöglich war. Weit vorgeschrittene Fälle
weise ich, wenn möglich, zurück oder behandle sie nur, nachdem
ich den Verwandten die Aussichtslosigkeit vorausgesagt habe,
um den armen Kranken zu zeigen, dass für sie etwas getan
werden kann. Mir scheint, dass immerhin auch in sehr schweren
Fällen dieKrankheit langsamer fortschreitet, und dass mindestens
ein Schaden den Patienten durch die Behandlung sicher nicht
entsteht. Wenn auch die subjektiven Erscheinungen, der Appetit,
das allgemeine Befinden, der Husten, ferner die Nachtschweisse
für mehr oder weniger lange Zeit bedeutend gebessert werden,
so ist dieser Besserung auf die Dauer doch nicht zu trauen, und
einen Fall von Heilung der Phthise in vorgeschrittenem Stadium
habe ich bis jetzt noch nicht gesehen. Bevor ich zur Besprechung
meiner mit Hetol behandelten Fälle übergehe, möchte ich voraus¬
schicken, dass ich im allgemeinen ausser Fletol weder Arznei¬
mittel noch Nährmittel nehmen liess. Ich lege grosses Gewicht
darauf, dass die Patienten sich einer möglichsten Ruhe hin¬
geben, ohne von Frauen zu verlangen, dass sie ihr Hauswesen
vollständig vernachlässigen. Ich erlaube diesen, alle Haus¬
arbeiten zu verrichten, und verbiete ihnen nur, die Wäsche zu
besorgen, Holz und Kohlen zu tragen und derartige schwere Ar¬
beiten. Ich lasse die Patienten früh zu Bett gehen und lange
im Bett bleiben. Grosses Gewicht lege ich darauf, dass die
Patienten Nachmittags 1 — 2 Stunden liegen. Die Patienten
sollen täglich 1 — 2 Stunden sich im Freien bewegen, und aus¬
drücklich verbiete ich ihnen, sich beim Spaziergang oder beim
Arbeiten irgendwie anzustrengen oder abzuhetzen. Diese Ver¬
ordnungen sind für die ambulante Behandlung früher Fälle das
mindeste Mass dessen, was man verlangen muss. In allen Fällen
jedoch, in welchen mehr als die Lungenspitzen ergriffen ist, in wel¬
chen grosse Schwäche oder gar Fieber vorhanden ist, muss anfangs
absolute Bettruhe beobachtet werden. Ganz allmählich mit zu¬
nehmender Besserung lasse ich Bewegung im Zimmer, später im
Freien vornehmen. Schon nach wenigen Wochen können die
Patienten sich etwas um ihren Beruf annehmen. Eine kräftige
Kost muss ermöglicht sein. Besondere Vorschriften in dieser
Richtung gebe ich nicht; ich empfehle häufige und reichliche
Mahlzeiten, sowie einen mässigen Genuss von Alkohol in Form
von Bier oder Wein, je nach Gewohnheit.
Die hier angedeuteten Massnahmen erachte ich für äusserst
wichtig und in allen Fällen, in welchen ich die Ueberzeugung ge¬
winne, dass entweder eine genügende N ahrung aus sozialen Gründen
nicht genommen werden kann, oder in welchen schwere körper¬
liche Arbeit nicht vermieden wird, lehne ich die ILetolbehandlung
ab, schon um deswillen, damit die Methode nicht in Misskredit
gerät.
Wenn die Lungentuberkulose des Menschen, wie jetzt von
sehr vielen Aerzten anerkannt wird, eine bestimmte Disposition
zur Voraussetzung hat, so haben wir allen Grund, bei allen un¬
seren Massnahmen gegen die Tuberkulose daran zu denken, die
Konstitution durch Ruhe und gute Ernährung zu bessern. Dass
jedoch, so wichtig diese Massnahmen auch sind, sie nicht allein
genügen, um in kurzer Zeit auf die Lungenerscheinungen und
das Allgemeinbefinden einen günstigen Einfluss auszuüben, möchte
ich mit folgenden Fällen, die ich in der weiteren Besprechung,
weil erst seit kurzem in Behandlung, nicht verwerten kann, illu¬
strieren.
Bureaudiener A., 45 Jahre alt, kommt in heruntergekommenem
Zustande in Behandlung. War bereits einige Zeit vorher in ander¬
weitiger Behandlung und ist, trotzdem er ausser Dienst war und
nicht zu arbeiten brauchte, immer mehr abgemagert. Er hustete
viel, hatte starke Naclitschweisse und war appetitlos. Erst mit
Beginn der Hetolbehandlung bekam der Mann grossen Appetit,
so dass er nach 14 Tagen sich über den bestehenden Heisslnmger
erfreut äusserte, hat während einer 7 wöchentlichen Behandlung
um 11 Pfund zugenommen und wurde als vollständig geheilt ent¬
lassen. Einen strikteren Beweis für die bedeutungsvolle Ein¬
wirkung des Hetols auf das Allgemeinbefinden kann es wohl kaum
geben.
Ganz ähnlich gelagert ist folgender Fall, der ebenfalls vor
kurzem geheilt entlassen wurde, und den ich glaube anführen zu
müssen, weil er zeigt, dass weder die Ruhe an und für sich, noch
Medikamente und gute Ernährung allein genügen, um die Wir¬
kung des Hetols zu erklären.
Frau Sch. kommt in meine Sprechstunde mit der Angabe,
dass sie hüstelt und dass ihre Kräfte, abnehmen. Sie sei appetitlos
mul magere immer mehr ab. Der objektive Lungenbefund ist
ein minimaler, so dass ich zunächst die Frau mit Ichthyol, dann
mit Eisenpräparaten behandle und ihr selbstverständlich auch die
allgemeinen Massregeln betr. Ruhe und Ernährung anordne. Trotz¬
dem wurde während der mehrwöchentlichen Behandlung ein Er¬
folg nicht erzielt. Im Gegenteil, die an und für sich schwache und
kleine Frau wird zusehends schwächer und die objektiven Er¬
scheinungen einer beiderseitigen Spitzeninfiltration treten deut¬
licher hervor. Am 24. II. 02 begann ich die Injektionen; am 1. 111.
notierte ich bedeutende Besserung der subjektiven Erscheinungen,
am 4. III. notierte ich: Bedeutender Appetit, Patientin hat den
ganzen Tag Hunger. Sie nimmt während der Hetolbehandlung in
4 Wochen 4 Pfund zu; sie wird weiter behandelt.
Auch folgender Fall beweist in augenfälliger Weise die vor¬
zügliche Einwirkung des Hetols auf die Hebung des Allgemein¬
befindens und des Körpergewichts: Der Schlosser N., welcher
wegen Lungenspitzenkatarrh ausser Arbeit war und anderweitig
hygienisch-diätetisch behandelt wurde, trat am 22. II. 02 in meine
Behandlung. Hier mögen die Notizen über die Gewichtsverhält¬
nisse vor und während der Hetolbehandlung folgen:
27. 1.02 115 Pfd.
31. I 02 110 „
6. 11.02 109»/,,,
14. II. 02 107 „
22. 11.02 107 Pfd.
G. III. 02 108 „
15. II. 02 109 72 „
22. III. 02 110 „
29. IH. 02 HO „
Wie die Aufzeichnungen ergeben, nahm Patient bis zu
107 Pfund vorher konstant an Gewicht ab, mit Beginn der Hetol¬
behandlung nahm er, wenn auch nicht übermässig, so doch immer¬
hin an Gewicht zu. Der Patient konnte am 1. April 1002 als ge¬
heilt zur Arbeit entlassen werden.
Nachtscliweisse schwanden in meinen Fällen in der Regel
nach 2 — 3 Wochen. Der Husten wird gewöhnlich sehr bald
milder, der Auswurf weniger und wird unter geringerer An¬
strengung entfernt; für diese Erleichterung sind die Patienten
besonders dankbar. Bei Schluss der Behandlung waren in meinen
geheilten Fällen Auswurf und Husten vollständig geschwunden.
Ich beobachtete in einigen meiner Fälle geringe Temperatur-
erhöhung. Einige Patienten veranlasste ich, selbst zu messen,
bei anderen konnte ich gelegentlich meiner Besuche oder in der
Sprechstunde die Temperatur selbst messen. Die Temperatur
von 38,5, auch 39 u C. verschwand in der Regel nach wenigen Ein¬
spritzungen. Ein Patient, der vor einem Jahre eine exsudative
Pleuritis durchgemacht hat und jetzt an einer Infiltration des
rechten ganzen Oberlappens und der linken Lungenspitze leidet,
sowie Tuberkelbazillen im Sputum hat, gab an, dass er seit län¬
gerer Zeit Fieber habe. Eine Messung in der Sprechstunde er¬
gab Mittags 3 Uhr in axilla 38,5" C. Nach der zweiten Ein¬
spritzung ergab weder meine in der Sprechstunde, noch die seitens
des Patienten Morgens und Abends vorgenommene Messung eine
höhere Temperatur als Morgens 36,5, Abends 37. Eine Patientin,
die nun seit Juli vorigen Jahres geheilt und ohne Rückfall ist,
lag ca. 6 Wochen zu Bett. Die unregelmässig auftretenden Tem¬
peraturerhöhungen bis 38,5 schwanden während der Hetolbehand¬
lung erst nach etwa 4 Wochen.
Wegen Hämoptoe war ich nie gezwungen die Behandlung zu
unterbrechen. Geringe Beimischungen von Blut zum Auswurf
veranlassten mich nicht die Einspritzungen auszusetzen.
Die Besserung der subjektiven Symptome, das Schwinden des
Fiebers und des Nachtsehweisses, das Leichterwerden und all¬
mähliche Aufhören des Hustens und des Auswurfs, die Ge¬
wichtszunahme, die zum Teil eine bedeutende Höhe erreicht, sind
so auffallender Natur und nur durch die Einwirkung des IletoH
zu erklären, dass schon um ihretwillen die Hetolbehandlung eine
viel allgemeinere werden sollte; dazu kommt, dass auch die ob¬
jektiven Zeichen der Infiltration schwinden, und ein Zustand
erreicht wird, bei dem entweder sehr geringfügige Verände¬
rungen der Lungen übrig bleiben oder deutliche Zeichen einer
Vernarbung der erkrankt gewesenen Stellen erfolgen. Unter¬
suchungen auf Tuberkelbazillen wurden im allgemeinen nicht
vorgenommen, doch konnte in dem einen oder anderen I alle die
Diagnose durch das Vorhandensein von Tuberkelbazillen bestätigt
werden.
Ich komme nun zu der Besprechung der 1 älle, die ich
im Herbst 1900 und im Frühjahr resp. Sommer 1901 behandelt
habe. Die Fälle will ich im Zusammenhang besprechen, da die¬
selben als abgeschlossen betrachtet werden können. Meine spä¬
teren Erfahrungen bis zuletzt entsprechen genau den früheren ;
sie ergeben bei Weiterer Einübung der Methode fast noch gün¬
stigere Erfolge.
Unter meinen Patienten befinden sich zunächst 13 Kinder,
4 Knaben im Alter von 7—14 Jahren und 9 Mädchen im Alter
1392
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
voll 7 — 13 Jahren. Das Kranklieitsbild war bei den Kindern fast
immer dasselbe; es handelte sich um schwache, anämische Kin¬
der fast ohne jegliches Fettpolster. Die Kinder wurden in Be¬
handlung genommen wegen ihrer Appetitlosigkeit, allgemeiner
Schwäche und fortwährenden Hustens. Die Untersuchung er¬
gab ein- oder doppelseitige Infiltration der Lungenspitzen mit
deutlichen Dämpfungserscheinungen, verschärftem oder bron¬
chialem Atmen und zahlreichen Ronchi. Die Behandlung be¬
stand in einer mehrwöchentlichen Entfernung der Kinder aus
der Schule, körperlicher und geistiger Schonung, möglichst kräf¬
tiger Ernährung und Hetoleinspritzungen. Die Kinder wurden
ausnahmslos gesund, Blutarmut und Husten verschwanden, und
die objektiven Symptome ergaben zum Schluss nur mehr einen
gedämpften Schall mit zumeist abgeschwächtem bis leicht bron¬
chialem Atmen. Nach meinen früheren Erfahrungen ist die
Lungentuberkulose des Kindesalters eine im allgemeinen in
hohem Grade zur Heilung neigende Krankheit, wenn nur die
kleinen Patienten in möglichst hygienische V erhältnisse kommen,
wenn ihnen eine genügende Nahrung geboten wird, und jede kör¬
perliche wie geistige Anstrengung erspart bleibt. Ich habe mich
in mehreren Fällen, gerade bei Kindern überzeugen können, dass
geistige Anstrengung einen Lungenprozess zum Aufflackern
bringen konnte, während in dazwischen liegenden Ruhepausen
der Prozess zum Stillstand resp. zur Heilung kam. Wenn ich
trotzdem mich entschloss, auch bei Kindern die Hetolbehandlung
einzuführen, so tat ich es, weil ich bei meiner früheren Be-
handlungsweise der jugendlichen Lungentuberkulose die Schüler
sehr lange Zeit aus der Schule nehmen musste, so dass dieselben
bis zu einem, auch zwei volle Schuljahre verloren. \ ermittels
der Hetolbehandlung, bei der aber die oben angegebenen Mass¬
nahmen um keinen Preis vermisst werden dürfen, gelingt die
Heilung der Spitzeninfiltration der Kinder innerhalb einiger
Wochen.
Als Beispiel mag der Lateinschüler L. angeführt sein. Ende
Januar 1901 kam L. in meine Behandlung. Die Mutter gab an,
dass der früher so tleissige Schüler in seinen Leistungen bedeu¬
tend nachgelassen habe; er habe keinen Appetit, sei fortwährend
müde und schläfrig; er linste sehr viel, habe Auswurf und schwitze
jede Nacht. Der Knabe, 14 Jahre alt, sieht sehr blass aus, ist
sehr mager, die Brust ist flach, eingedrückt; die rechte Lungen¬
spitze ist gedämpft, Atmungsgeräusch hat bronchialen Charakter,
zahlreiche Rlionchi. Vom 28. I. bis 10. III. wird der Knabe vom
Schulbesuch dispensiert; während der ersten 14 Tage darf er kein
Buch anschauen, später darf er in den sog. notwendigen Fächern
täglich einige Arbeiten verrichten. Während dieser Zeit (6 Wochen)
nimmt er 4 y3 Pfund zu. Die Hetolbehandlung wird während des
Schulbesuchs fortgesetzt. Während einer 10 wöchentlichen Be¬
handlung. während welcher er nur G Wochen die Schule ver¬
säumen musste, nahm er im ganzen 7yz Pfund zu. Die Naclit-
schweisse schwanden erst nach S Wochen. Dass der Appetit von
Beginn der Behandlung au ein guter war, beweist die Gewichts¬
zunahme. Der objektive Befund bei Schluss der Behandlung
ergibt: Geringfügige Dämpfung der rechten Spitze; Rlionchi sind
total verschwunden. 5 Monate später hatte ich wieder Gelegen¬
heit, den Schüler zu untersuchen; sein Gesundheitszustand ist ein
vorzüglicher. Aehuliche Verhältnisse zeigen sich bei den anderen
Kindern, auch bei den Mädchen. Ich möchte nochmals ausdrück¬
lich darauf hin weisen, dass ich nicht gerade der Heilung allein
wegen das Hetol so hoch schätze, sondern die Hetolbehandlung
bewirkt die Heilung der Spitzenkatarrhe im Kindesalter gegen¬
über meiner früheren Behandlung in ausserordentlich kurzer Zeit.
Ich gehe nunmehr über zur Besprechung meiner Erfahrungen
bei erwachsenen Patienten. Ich behandelte 11 Männer.
1. Von diesen wurden in meiner Behandlung 5 vollständig ge¬
heilt. Geheilt glaube ich alle diejenigen Patienten nennen zu
dürfen, bei welchen die Untersuchung das Fehlen von Rhonclii,
sowie die Zeichen einer Schrumpfung der afflziert gewesenen
Lungenpartie, nämlich Dämpfung mit mehr oder weniger aus¬
geprägtem Bronchialatmen ergeben hat. Unter diesen 5 befand
sich 1 Patient, welcher im Jahre vorher 2 Monate in Planegg ge¬
wesen ist; derselbe hat offenbar einen Rückfall bekommen. Er
konnte als Bankbeamter während meiner Behandlung seinem Be¬
rufe nachgehen, er nahm während einer 6 wöchentlichen Behand¬
lung 2 yz Pfund zu und wurde als geheilt entlassen. Ich konnte
vor kurzem, etwa y, Jahr nach Beendigung der Behandlung, kon¬
statieren, dass er als definitiv geheilt betrachtet werden kann.
Ein zweiter Patient war ca. yz Jahr in Behandlung, arbeitete
währenddem als Bildhauer, wenn er sich auch eine gewisse Re¬
serve auferlegen musste. Derselbe nahm an Gewicht zu und
konnte als geheilt entlassen werden. Aehnlich sind die anderen
Fälle gelagert.
2. 3 weitere Patienten von den angegebenen 11 wurden wäh¬
rend meiner Behandlung bedeutend gebessert; sie kamen hierauf
nach Planegg, von wo sie als vollkommen geheilt entlassen werden
konnten. Alle 3 sind heute, etwa 1 Jahr nach ihrer damaligen
Erkrankung, gesund und arbeiten.
3. Ein weiterer Patient, also der 9., bekam während seines
linksseitigen Spitzenkatarrhs eine Pleuritis. Ich glaube annehmen
zu dürfen, dass die Pleuritis mit konsekutivem Exsudat durch die
Hetolbehandlung keine grössere Ausdehnung annahm und inner¬
halb weniger Wochen zurückging. Dieser Patient wurde im ganzen
9 Wochen mit Hetol behandelt und verliess in vorzüglichem Zu¬
stande die Behandlung. Ich bezeichnete ihn jedoch zunächst als
gebessert, weil über der Lungenspitze hie und da giemende Ge¬
räusche zu hören waren. Er geht 5 Wochen zu Verwandten aufs
Land und bei seiner Rückkehr kann ich ihn als geheilt zur Arbeit
entlassen.
4. Der 10. Patient, welcher 2 Jahre vorher in Planegg be¬
handelt worden war, arbeitet während der Hetolbehandlung,
unterbricht dieselbe nach 5 Wochen, da er sich subjektiv sehr gut
fühlt und objektiv eine bedeutende Besserung erfolgt war. Der¬
selbe litt an Infiltration der beiden überlappen.
.1. Der 11. Patient verlässt nach 4 wöchentlicher Behandlung
gebessert dieselbe; er ist jedoch augenblicklich wegen eines
schweren Rezidivs in Behandlung. Seine Besserung ist sub¬
jektiver und objektiver Hinsicht ist jedoch trotz einer erst vier¬
wöchentlichen Behandlung eine bedeutende. Weiter befinden sich
unter meinen Patienten 28 weiblichen Geschlechts. Die Patien¬
tinnen fühlen sich bei Beginn ‘der Behandlung schwach, husten
sehr viel, hatten zum Teil Nachtseliweisse und zeigten zumeist
eine ausgeprägte Infiltration einer oder beider Lungenspitzen, die
sich bei einigen auf einen mehr oder weniger grossen Teil des gan¬
zen Oberlappens erstreckte. Von diesen Patientinnen wurden 17,
welche sich einer Behandlung von 2 — 0 Monaten unterwarfen, voll¬
ständig geheilt. Die Patientinnen nahmen zum Teil ganz be¬
deutend an Gewicht zu, so z. B. eine 11 Pfd. innerhalb 2 Monaten,
trotzdem dieselbe ihren Haushalt selbst besorgte. 9 Patientinnen
wurden während der Behandlung gebessert; dieselben kamen je¬
doch zur Behandlung sehr unregelmässig oder brachen dieselbe zu
frühzeitig ab.
2 Patientinnen, welche als Dienstmädchen ziemlich schweren
Dienst zu verrichten hatten, erholten sich während der Behand¬
lung; sie erzielten jedoch keine Besserung ihres Zustandes. Wie
mir aber mitgeteilt wird, befinden sich beide relativ wohl, nachdem
sie sich seit vorigem Sommer auf dem Lande befinden, wo sie bei
Verwandten sich in hohem Grade schonen können.
Ich beobachtete besonders bei jungen Patientinnen, welche
wahrscheinlich in Folge ihres Spitzenkatarrhs anämisch waren,
in kurzer Zeit eine viel bessere Gesichtsfarbe. Infolgedessen
machte ich einige Hämoglobinbestimmungen ; ich konnte in einer
Reihe von Fällen eine zehn- und mehrprozentige Zunahme des
Ilämoglobingehalts konstatieren. Mir scheint diese Besserung
der Blutbeschaffenheit ebenfalls ein Beweis dafür zu sein, dass
der tuberkulöse Spitzenkatarrh durch die angegebene Behandlung
gut beeinflusst wird. Von den geheilten 17 Patientinnen haben
11 in ihrem Haushalt sich mehr oder weniger beschäftigen
können; 6 gingen ihrem Beruf als Ladnerinnen etc. nicht nach,
sondern beschäftigten sich mit häuslichen Dingen.
E wal d hat die merkwürdige Erfahrung gemacht, dass seine
Krankenhauspatienten nach den Hetolinjektionen jedesmal müde
und schläfrig wurden, so dass sogar 2 seiner Patienten die Fort¬
setzung der Einspritzung verweigerten. Ich habe niemals auch
nur die geringste Klage seitens meiner Patienten in dieser Rich¬
tung gehört. Im Gegenteil, schon nach wenigen Einspritzungen
teilen mir die Patienten ganz von selbst, und ich betone dies aus¬
drücklich, ohne dass ich darnach frage, mit, dass sie sich nach
den Einspritzungen ausserordentlich wohl und frisch fühlen.
Von meinen als geheilt entlassenen Patienten ist bisher kein
einziger rezidiviert. Die meisten jener Patienten sehe ich hie und
da bei geringen Indispositionen oder bei Behandlung von
Familienmitgliedern und kann deren Freisein von Rezidiv kon¬
statieren. Nur 2 Fälle habe ich von Neuem in Behandlung, von
denen ich den einen bereits oben erwähnte, während der andere,
eine Dame betreffend, im November/Dezember 1900 behandelt,
in gebessertem Zustande mit Gewichtszunahme die Behandlung
abbrach. Infolgedessen kann man in diesen beiden Fällen von
einem eigentlichen Rezidiv nicht sprechen.
In der Anwendungsweise des Iletols folgte ich den An¬
weisungen Länderers, nur machte ich die Einspritzungen
intramuskulär und zwar in das mittlere Drittel des Musculus
triceps. Benutzt man sehr scharfe Nadeln, die recht häufig ge¬
wechselt resp. geschärft werden müssen, so haben die Patienten
im allgemeinen keine unangenehmen oder gar schmerzhaften
Empfindungen. Ein hie und da entstehender geringfügiger
Schmerz geht in wenigen Minuten zurück. Die Methode der
intramuskulären Injektion im Oberarm ist so überaus einfach,
in der Sprechstunde, selbst bei grösserem Andrang von Patienten,
19. August 1902.
MUENC1IENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1393
so schnell durchzuführen, dass diese Methode auch für den prak¬
tischen Arzt besonders empfehlenswert erscheint. Die Hetol-
lösung bereite ich selbst nach Angabe von Länderer. Ich be¬
reite jedesmal 20 ccm der Solution, sterilisiere dieselbe nur ein¬
mal. Ich habe nie eine Entzündung oder einen Abszess erlebt.
Die Zahl der Einspritzungen, welche ich bei den geheilten
Patienten machte, war sehr verschieden; sie schwankte zwischen
20 und 72. Ebenso schwankt die Dauer der Behandlung der
geheilten Patienten zwischen 2 und 6 Monaten. Die Dosis, welche
ich anwandte, betrug bei Kindern bis zu 3/10 ccm einer 1 proz.
Lösung, d. h. bis zu 3 mg Hetol. Bei Frauen und Männern im
allgemeinen bis zu 15 mg, d. s. 3/10 ccm einer 5 proz. Lösung. In
seltenen Fällen ging ich bis zu 25 mg Hetol. Zum Schlüsse
glaube ich zu der Behauptung berechtigt zu sein, dass die Iletol-
behandlung bei beginnender Phthise, oder vielleicht richtiger
gesagt, bei bestehendem Spitzenkatarrh eine auch vom prak¬
tischen Arzt sehr wohl auszuführende, von grossem Er¬
folg begleitete Methode ist, die schon deswegen viel häufiger in
Anwendung gezogen werden sollte, weil sie meiner Erfahrung
nach heute die beste Behandlung für solche Patienten darstellt,
welche aus irgend welchen Gründen aus ihren häuslichen oder
geschäftlichen Verhältnissen sich nicht entfernen wollen oder
nicht können. Solcher Patienten gibt es aber Legion. Welche
Wohltat erweisen wir der Mutter, die von ihrem Spitzenkatarrh
geheilt wird, ohne von ihren Kindern auf Monate fortgerissen
zu werden. Welch ein Segen liegt in dieser Behandlung z. B. für
den Handwerksmeister oder den Kaufmann, der seine Thätigkeit.
wohl etwas einschränken kann, aber sein Geschäft nicht ganz und
gar im Stiche zu lassen braucht. Wir sind so in vielen Fällen
nicht nur im Stande die Gesundheit der Patienten zu erhalten,
sondern eine soziale Existenz zu retten. Einer gewissen Zurück¬
haltung und Schonung unterwerfen sich alle Patienten gerne,
wenn sie nur daheim bleiben können.
Ich möchte daher allen Aerzten, die in die Lage kommen,
solche Patienten behandeln zu müssen, es nahe legen, sich dieses
ganz ausserordentlich guten Mittels zu bedienen. Ich bin fest
überzeugt, niemand, der dasselbe genau nach L anderers An¬
gabe anwendet, wird dasselbe wieder unter seinen Heilmitteln
vermissen wollen.
Aus der Dr. Brehmer sehen Heilanstalt zu Görbersdorf i. Schl.
(Chefarzt : Geheimrat Dr. Petr i.)
Subkutane Injektionen von Arsenik bei der Therapie
der Phthise.
Von Dr. H. Cybulski, Sekundärarzt der Anstalt.
Schon in den ältesten Zeiten bediente man sich des Arseniks
als Heilmittel bei der Behandlung der Lungenschwindsucht.
Dioscorides verabfolgte ihn innerlich oder in Form von Inhala¬
tionen; Antylus, welcher im 3. Jahrhundert der christlichen
Aera lebte, Marcellus Empyricus und Galen loben seine An¬
wendung und beschreiben Fälle von Heilung durch Inhalation
der Dämpfe dieses Metalles. In der Folgezeit jedoch geriet der
Arsenik in Vergessenheit, bis Büchner u. a. ihm wieder einen
Platz in der Phthiseotherapie einräumten. Man schrieb ihm
tomsierende Eigenschaften auf die Gewebe zu; bei innerlicher
Darreichung sollte er den Appetit vermehren, das Körpergewicht
heben, die Kurzatmigkeit verringern, die Nachtschweisse be¬
seitigen, und gleichzeitig den Lungenprozess selbst äusserst
günstig beeinflussen. Zur Zeit spielt die arsenige Säure eine be¬
deutende Rolle unter den pharmazeutischen Präparaten, welche
man in der Therapie der Tuberkulose anwendet. Es gibt wahr¬
scheinlich keinen Phthisiker, der nicht schon einmal Arsenik be¬
kommen hat.
Inhalationen von Dämpfen der arsenigen Säure sind gegen¬
wärtig ganz verlassen, trotzdem man sie früher sehr empfohlen
hatte. Es bleibt daher nur noch eine Anwendungsart übrig, das
ist die subkutane.
Die Veranlassung zu dieser Methode gaben wahrscheinlich
die günstigen Resultate, welche man damit bei der Malaria er¬
zielt hatte.
Um eine Wirkung bei der tuberkulösen Erkrankung der
Lungen zu erproben, habe ich eine Reihe von Fällen damit be¬
handelt und erlaube mir hiermit, die Resultate zu veröffent¬
lichen.
Ich habe diese Methode in 10 Fällen angewendet und zwar
werden dazu Kranke mit nicht allzu weit fortgeschrittenen
Lungenprozessen ausgewählt, so dass eine Besserung noch über¬
haupt möglich war. Ausserdem bestand bei allen Patienten ein
subfebriler Zustand, um gleichzeitig die Wirkung auf die Tem¬
peratur erproben zu können.
Die Mischung, welche zur Injektion verwendet wurde, be¬
stand aus:
Natr. arsenicici 0,2
Sol. Ac. carbolic. Vs Proz. — 20,0.
Die Einspritzungen werden mit einem Teilstrich einer
Pravaz sehen Spritze begonnen, dann ging man anfangs täg¬
lich, in der Folge jeden 2. Tag um 0,1 vorwärts, so dass man
nahezu in 14 Tagen bei einer ganzen Spritze angelangt war. Im
Ganzen wurden 20 Einspritzungen gemacht. Hatte man Erfolge
zu verzeichnen, dann wurde die Kur nach 2 — 3 Wochen in der¬
selben Reihenfolge wiederholt.
Die Injektionen sind im allgemeinen nicht schmerzhaft,
man muss nur darauf achten, dass die Lösung warm sei. In
einigen Fällen sah ich leichte subkutane Infiltrate nach Ein¬
verleibung grösserer Dosen auftreten, sonst hatte ich keine Ge¬
legenheit, irgend welche Komplikationen wahrzunehmen. Unter
unseren 10 Patienten konnte man eine deutliche Wirkung bei
4 wahrnehmen, ohne Resultate blieben die Injektionen bei den
übrigen 6.
1. Herr K., 22 lalire alt. kam in unsere Anstalt mit einer Tem¬
peratur von 37.0 — 37,8. Der allgemeine Zustand ist gut, Patient
etwas anämisch, neurasthenisch veranlagt. Appetit und Schlaf
gut. Husten gering, Auswurf massig, ziemlich weit fortgeschritte¬
ner Zerfall in der rechten und beginnender in der linken Lungen¬
spitze. Nachdem die Temperatur im Verlaufe von 6 Wochen stets
gleichmässig blieb und mit grosser’ Regelmässigkeit Abends auf
37.8 anstieg, wurde beschlossen, den Patienten einer Spritzkur zu
unterwerfen. Nach 10 Tagen ging die Temperatur auf 37,1 bis
37.0 herunter und verblieb 10 Tage auf dieser Höhe und weitere
8 Tage, nachdem die Injektionen ausgesetzt worden waren. Hier¬
auf ging sie wieder etwas in die Höhe, aber nur bis auf 37.G. In
Anbetracht dieses günstigen Verhaltens wurde die Kur nach
4 Wochen wiederholt, worauf die Temperatur wieder nach
10 Tagen auf 37,0 heruntersank und hier weitere 10 Tage verblieb,
bis Pat. aus anderen Gründen (plötzliches Entleeren einer Kaverne)
für immer fieberfrei blieb.
In diesem Falle war der Einfluss auf die Temperatur sehr
eklatant. Auf den Zustand in der Lunge hatte dagegen die Kur
keinerlei Wirkung ausgeübt; das subjektive Befinden besserte sich,
der Appetit wurde grösser und Pat. nahm gegen 1 y2 kg zu. Auf
den Stuhlgang, Husten, Auswurf und Urin blieb die arsenige Säure
ohne jede Wirkung.
2. Herr H., 33 Jahre alt, kam in die Anstalt mit einer Tempera¬
tur von 38,5 — 39,0, welche im Verlaufe von einigen Wochen auf
37.8 herunterging und auf dieser Höhe mit grosser Hartnäckigkeit
5 Monate lang sich erhielt. Der Lungenbefund ergab Infiltration
der rechten Spitze, Kavernenbildung in der linken Spitze geringen
Grades und zerstreute Herde in der linken Lunge. Der Allgemein¬
zustand war nicht schlecht; Appetit mässig, Schlaf gut, Herztätig¬
keit regelmässig, Stuhlgang, Urin normal. Nach Verlauf von
5 Monaten, nachdem die Temperatur stets auf gleicher Höhe blieb,
wurde eine Injektionskur mit Arsenik beschlossen. Schon nach
einigen Tagen sank die Temperatur auf 37,3, dann auf 37.1, ver¬
blieb während der Injektionszeit und noch einige Tage darüber
auf dieser Höhe, um hierauf anzusteigen und ihren früheren Stand
zu erreichen. Der Puls und die Atmung hatten sich kaum irgend¬
wie verändert; der Appetit wurde besser, Pat. nahm 1 kg zu, da¬
gegen hatte die Kur auf den Zustand der Lungen, auf den Husten,
Auswurf, Stuhlgang und Urin nicht die geringste Wirkung ge-
äussert.
3. Herr W., 23 Jahre alt, leidet seit 3 Jahren an Phthise,
welche anfangs kaum nennenswerte Erscheinungen machte, seit
einigen Monaten aber mit Temperaturen bis zu 38,0 einherging.
Reichliche Nachtschweisse, viel Auswurf, Kurzatmigkeit, öfters
Bluthusten. In dieser Verfassung sucht Pat. die Anstalt auf. Die
Untersuchung ergab eine grosse Höhle im rechten oberen Lappen
und frische Herde im mittleren. Die linke Lunge relativ wenig
affiziert; Allgemeinzustand schlecht, Appetit gering, subjektives
Befinden elend, ziemlich vorgeschrittene Anaemie. 2 Monate lang
war der Zustand unverändert, die Temperatur hielt sich mit
grosser Regelmässigkeit auf 37,8 — 38,0. Pat. wird mit Arsenik be¬
handelt. Schon nach 14 Tagen sank die Temperatur auf 37,1 — 37,0
und hielt sich während der ganzen Zeit, solange das Arsen an¬
gewendet wurde, und noch nahezu 3 Tage darüber hinaus auf
dieser Höhe, um darauf nach und nach den alten Stand zu er¬
reichen.
Der früher sehr beschleunigte Puls wurde langsamer, die
Kurzatmigkeit geringer, der Appetit besserte sich, Gewichts¬
zunahme 1 kg, das subjektive Befinden bedeutend bessex\ Sonst
1394
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
hatte die Kur auf die übrigen Krankheitssymptome keine nach¬
weisbare Wirkung. „ T ,
4. Herr S.. im Alter von 45 Jahren, leidet seit 4 Jahren an
Tuberkulose. Er hatte schon einige Male Lungenblutungen uber¬
standen und subfebrile Temperaturen. Lungenbefund: teilweiser
Zerfall in der linken und geringe Affektion der rechten Spitze,
Temperatur stetig auf 37,5. Geringe Anämie Appetit schwach,
S1 ulilguug regelmässig, im Urin nichts Pathologisches. Dei zu-
rtainT des Herzens bietet nichts Abnormes, leichte Sklerose der
peripheren Gefässe. Da die Temperatur im Verkaufe von
1% Monaten keine Tendenz zum Sinken zeigte, unterwaif ich den
l*at. einer Arsenikkur. . or. A ,
Nach einigen Tagen bereits sank die Temperatur auf 37, ü und
verblieb nunmehr auf dieser Höhe.
Puls und Atmung werden nicht verändert. Appetit, A
gemeinbefinden besserten sich, die Gewichtszunahme betrug gegen
7/ kg. Der Lungenbefund zeigte eine leichte Besserung.
5 Herr T., 30 Jahre. Höhlenbildung in beiden Spitzen, Ge¬
schwüre im Kehlkopf. Temperatur 37,8. Allgemeinbefinden
elend, Appetit gering, Nachtschweisse.
Die Injektionskur hatte weder auf die Temperatur, noch aut
die Schweisse irgend eine Wirkung, dagegen hob sich der Appetit
etwas. Der Krankheitsprozess in der Lunge und dem Kehlkopt
machte in der Folgezeit rasche Fortschritte. „
(i Frau S., 23 Jahre alt; Lungenbefund ergibt schwere Zeriall-
prozesse in beiden Spitzen. Temperatur massig hoch, erreicht
111 'S]DieS Einspritzungen bewirken geringes Fallen der Temperatur,
da jedoch die Temperatur bei der Pat. an und für sich grosseien
Schwankungen unterworfen war, so kann man das Fallen der¬
selben kaum als beweisend für die Arsenikkur ansehen Sonst
zeigte sich, abgesehen von einer geringen Besserung des Appetits,
keinerlei Wirkung.
7. Herr W., 18 Jahre alt. Rasch fortschreitender Lungen¬
prozess, ohne deutlichen Zerfall, dagegen Infiltration der linken
Lunge auf eine grosse Strecke hin. Fieber ziemlich unregelmassig,
im allgemeinen Temperaturen von 37,2 — 38,0. Während der
Arsenikkur sinkt die Temperatur ständig auf 37,2. Gewichts¬
zunahme 1 kg, das Aussehen bessert sich, sonst Resultat negativ.
8 Frau A., mit schwerer Phthise der Lungen und des Kehl¬
kopfes. Temperatur 38,0. Appetit gering. Allgemeinzustand elend.
Nach der Injektion bessert sich der Appetit, die Schweisse werden
geringer, Gewichtszunahme betrug 1 y2 kg. Temperatur ging um
etwa. 0,2 0 herunter. Die übrigen Erscheinungen unbeeinflusst.
8. Herr W. Kavernenbildung in der linken Lungenspitze;
Besserung geht sehr langsam vor sich. Einspritzungen von
Arsenik erhöhen die Temperatur auf 39,0, weshalb die Kur so¬
fort abgebrochen wurde. , .
10. Herr S. Infiltration der linken Spitze. Anfangs ziemlich
gelinder Verlauf, nach einem Blutsturz trat Verschlimmerung ein.
Temperatur bis zu 37,G. Die Injektionen beeinflussen weder die
Symptome, noch die Krankheit in irgend welcher Weise, dagegen
war eine Zunahme des Appetits zu konstatieren.
Auf Grund dieser 10 Fälle kommt man in Bezug auf die
Wirkung der subkutanen Arsenikinjektionen bei Lungentuber¬
kulose zu folgenden Schlüssen:
1. Auf die Temperaturerhöhung wirkt die arsenige Säure,
in obiger Form angewendet, zweifellos herabsetzend, wenn auch
die Erniedrigung nicht von Dauer ist. Der Zusatz von 1 henol
kann die Herabsetzung nicht bewirkt haben, weil erstens die
Dosis zu klein ist und zweitens die Herabsetzung sofort hätte
eintreten müssen.
2. Das Körpergewicht nimmt meistens zu, wenn auch nicht
immer im grossen Masse, doch ist stets eine Besserung nach
dieser Richtung zu verzeichnen.
3. Auf den Appetit wirkt die arsenige Säure fast stets
günstig ein, wenn auch nicht in dem Masse, wie bei innerlicher
Verabreichung. Wahrscheinlich entfällt hier die direkte Rei¬
zung der Schleimhaut des Magens.
4. Auf das subjektive Befinden war die "W irkung stets
günstig. .....
5. Der Darm wird nicht beeinflusst. Diarrhöen, wie sie
häufig bei innerlicher Darreichung beobachtet werden, werden
hier nicht wahrgenommen.
6. Häufig war eine günstige Wirkung auf die Schweisse zu
konstatieren.
7. Eiweiss im ITrin konnte niemals nachgewiesen werden, es
lag also nie eine Reizung der Nieren vor.
8. Auf die Herztätigkeit wurde kein Einfluss konstatiert.
Das Herunter gehen der Pulszahl in einigen 1 ällen hängt mit
dem Sinken der Temperatur zusammen.
9. Auf den Prozess in den Lungen dagegen scheint die
arsenige Säure geradezu keinerlei Wirkung auszuüben.
Nachtrag zu meiner Arbeit*): „Die Prophylaxe der
septischen Infektion des Auges, besonders seiner
Berufsverletzungen.“
Von Th. A x e n f e 1 d in Freiburg.
In der letzten Zeit hat Roemer (Arch. f. Ophth. 1902)
durch vorzügliche Experimentaluntersuchungen gezeigt, dass
durch ein geeignetes Pneumokokkenserum eine Immunität gegen
die Infektion der Kornea mit Pneumokokken, also gegen das
Ulcus serpens* 7) erzielt werden kann, und dass auch die aus¬
gebrochene Hypopyonkeratitis auf diese Weise wesentlich beein¬
flusst. werden kann, wenn auch die kurative Wirkung hinter der
prophylaktischen erheblich zurücksteht.
Diese Ergebnisse sind mit grosser Freude zu begrüssen; aber
die von mir hier geschilderte Prophylaxe, welche durch Beseiti¬
gung des kranken Tränensacks die wichtigste Quelle der In¬
fektion beseitigen will, wird dadurch nicht überflüssiger. Bis
her steht der allgemeineren Anwendung des Serums der Umstand
im Wege, dass seine Herstellung schwierig und sehr kostspielig
ist. Aber auch wenn diese äusseren Hindernisse überwunden sein
sollten, so wissen wir alle, wie oft die Kranken erst dann in
ärztliche Behandlung eintreten, wo die für die Serumtherapie
günstigste Zeit vorüber oder doch bereits ein Grad von Zer¬
störung eingetreten ist, der bleibende Sehstörungen hinterlassen
muss, auch wenn es uns gelingt, den weiteren Zerfall zu ver¬
hindern. Beide Massnahmen, die Beseitigung der wichtigsten
Infektionsquelle durch Exstirpation des kranken Tränensacks
und die Unschädlichmachung der in die Kornea eindringenden
oder schon eingedrungenen Keime werden zusammen, wie wir be¬
stimmt hoffen dürfen, die Hornhautsepsis wesentlich ein¬
schränken.
Besonders aussichtsvoll erscheint die Roemer sehe Serum¬
prophylaxe für Operationen bei unreinem Operationsgebiet oder
grösserer Gefahr infolge von allgemeinen Störungen, z. B. Dia¬
betes. Soweit hier Pneumokokken in Frage kommen — - und sie
sind die häufigsten Erreger auch der operativen Infektionen — ,
wird durch vorherige Seruminjektion die Gefahr erheblich ver¬
ringert werden können.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Das ärztliche Unterstützungswesen und das Be¬
steuerungsverfahren der Aerztekammern in Preussen.
Zur Erinnerung an die goldene Hochzeit des ersten Kaiser¬
paares aus dem Hause Hohenzollern (am 11. Juni 18 < 9) wurde
durch Sammlungen unter den deutschen Aerzten die Zentralhilts-
kasse für die Aerzte Deutschlands gegründet, eine Einrichtung, die
den Mitgliedern durch entsprechende Beiträge gesicherte Invaliden-
•>elder und Pensionen gewährt. Nach dem unter dem -0. April 18
staatlich genehmigten Statut ist Zweck der Kasse, den deutschen
Aerzten im Krankheitsfall, und zwar sowohl im Falle gänzlicher,
als auch im Falle temporärer Invalidität, standesgemasse, aut
Rechtsanspruch beruhende Hilfe zu leisten. Eine ähn¬
liche Kasse, d. h. mit Rechtsanspruch, hat Sachsen. In der
überwiegenden Mehrzahl legen jedoch die ärztlichen Hilfskassen
das Prinzip der Bedürftigkeit zu Grunde; sie treten also erst hei
Nachweisung des bedürftigen Zustandes in Aktion. Diese Kassen
lassen sich wiederum nach zwei Richtungen sondern, einmal nach
dem Gesichtspunkte, ob sie nur Aerzte oder nur deren Relikten oder
beide berücksichtigen, und dann nach der Richtung hin, ob die be¬
treifenden Aerzte Mitglieder der Kasse sind resp. waren oder nicht.
Hieraus ergeben sich etliche Kategorien von Kassen. I ntel den
lediglich an nachgewiesen bedürftige Mitglieder Unterstützung ge¬
währenden Kassen, die also den Nachweis der Hilfsbedürftigkeit
u n d die Mitgliedschaft verlangen, nehmen die hervorragendste bteiic
die Huf ela ndselien Stiftungen ein, der Hilfsverein für nothleidende
Aerzte und die Unterstützungskasse für Arztwitwen, die im Jam e
1830 resp. 1830 von dem Staatsrat Dr. A. W. Hufeland, Vortragen¬
dem Rat im Kultusministerium, gegründet wurden. Wie die oben
‘■■enannte Zentralhilfskasse die einzige ist, die ganz Deutschland
umfasst, so stellen die Huf elandschen Stiftungen die einzige
Einrichtung dieser Art vor. die sich über ganz Preussen erstreckt.
Uebrigens haben diese Stiftungen durch rege Beteiligung dei
Aerzte an der Beitragsleistung und durch Legate im Laute der
Jahre ein nicht unbedeutendes Kapital angesammelt. Die andeien
*) Diese Wochenschr. No. 31. , __ TT icn.,
7) U ht hoff und Axenfeld: Arch. f. Ophth. kLII, low
und 1897. — Roemer bestätigt unsere Angabe, dass das Ulcus
serpens mit seltenen Ausnahmen eine Pneumokokkeninfektton sei,
dahin, dass 97 Proz. seiner Fälle diesen bakteriologischen Befund
rinrboton.
19. August 1902.
Hilfskassen dev preussisclien Monarchie, etwa 45 an der Zahl, sind
teils lokaler Natur, teils auf Provinzen oder Regierungsbezirke
beschränkt. Aber alle diese Kassen genügen bei weitem nicht,
eine annähernd standesgeinässe, zum Lebensunterhalt ausreichende
Unterstützung bedürftiger Aerzte und deren mittelloser Hinter¬
bliebenen zu ermöglichen. Vielfach wurde deshalb die Errichtung
der preussisclien Aerztekammer (im Jahre 1887) freudig begriisst,
da man eben hoffte, dass die autoritative Stellung, welche die staat¬
liche Anerkennung einer ärztlichen Standes Vertretung verleiht,
es ermöglichen würde, an diese Organisationen Einrichtungen an-
zuschliessen, die eine umfassende Regelung der Fürsorge für die
wirtschaftlich schwachen Standesgenossen, wie deren Witwen und
Waisen gestatten würden. Wie der Vorsitzende der Berlin-
Brandenburger Aerztekammer in einer Sitzung erwähnte, erklärte
der damalige Medizinalminister, Herr v. G o s s 1 e r, gelegentlich
einer Audienz in der Frage der ärztlichen Standesvertretung als
den hauptsächlichsten Zweck dieser Schöpfung gerade die Rege¬
lung des ärztlichen Unterstützungswesens. Dieser Zweck geriet
einige Jahre später anscheinend in Vergessenheit. Im Jahre 1893
wurde nämlich die Berlin-Brandenburger Aerztekammer beim
Minister dahin vorstellig, den Vorständen der Aerztekammern die
Berechtigung zur zwangsmässigen Einziehung der durch Beschluss
des Vorstandes festzusetzenden und der Genehmigung des Ober¬
präsidenten zu unterwerfenden Beiträge „zur Bestreitung der
Kosten der Aerztekammer“ zu verleihen. Hierauf antwortete
mittels Erlasses vom 13. Juni 1893 der Minister, damals Herr
Bosse, dieses Ziel sei nur auf dem Wege der Gesetzgebung zu
erreichen, ob ihm näher zu treten sei, würde davon abhängen, ob
es gelingen würde, einen geeigneten Verteilungsmasstab zu finden,
eine Aeusserung, die gegenüber den Verhandlungen, die jetzt hinsicht¬
lich des Besteuerungsverfahrens geführt werden müssen, ganz be¬
sonderes Interesse verdient. Und nach der üblichen Umfrage bei den
einzelnen Aerztekammern erging am 19. Mai 1894 ein zweiter Erlass,
in dem der Minister davon absehen zu müssen glaubt, den Weg
der Gesetzgebung behufs Erfüllung jenes seitens der Berlin-
Brandenburger Aerztekammer geäusserten Wunsches zu betreten,
weil ein dringendes Bedürfnis nicht vorliege, insofern die freiwillig
gezahlten Beiträge ansreichten, um die Bedürfnisse zu decken, ja,
einzelne Aerztekammern nicht unerhebliche Ueberschüsse erzielt
hätten. Jener Beschluss der Berlin-Brandenburger Kammer ent¬
hielt kein Wort von der Regelung des Unterstützungswesens, und
so hatte auch der Minister keine Veranlassung, darauf einzugehen.
Als dann aber der Entwurf zum Ehrengerichtsgesetze zur Be¬
ratung stand, da war es gerade die sichere Aussicht auf die um¬
fassende Regelung des Unterstützungswesens durch das den Kam¬
mern zu verleihende Umlagerecht, welche nicht wenige Aerzte-
kammermitglieder bestimmte, trotz mancher Bedenken gegen ein¬
zelne Bestimmungen bezüglich des ehrengerichtlichen Verfahrens
sich mit dem Entwürfe im ganzen einverstanden zu erklären. Das
Gesetz ist nunmehr seit 2 Jahren in Geltung, und da dürfte es
nicht ohne Interesse sein, zu untersuchen, in welcher Weise die
Erfüllung jenes langgehegten Wunsches weiter Kreise der Aerzte-
schaft angebahnt ist, in welcher Weise die einzelnen Kammern
von dem Umlagerecht Gebrauch gemacht und ob sich dabei
Schwierigkeiten oder Uebelstände herausgestellt haben.
Nach dem Gesetz ist jede Aerztekammer befugt, von den zur
Aerztekammer wahlberechtigten Aerzten des Kammerbezirks einen
von ihr festzusetzenden jährlichen Beitrag zu erheben und voraus¬
gesetzt, dass der Oberpräsident die Genehmigung zu dem Beschluss
der Aerztekammer über die Höhe des Beitrages und über die Fest¬
setzung des Beitragsfusses erteilt hat, die Beiträge, soweit sie nicht
freiwillig gezahlt werden, im Verwaltungszwangsverfahren bei¬
zutreiben. Nun v, ürden ja die Aerztekammern den Wünschen und
Ansprüchen sicherlich am besten und vollkommensten gerecht
werden, wenn sie nicht eine Unterstützungskasse, die ja immer
nur einzelnen Mitgliedern des Standes zugute kommt, sondern
wenn sie im Interesse des ganzen Standes eine Alters- und In-
yaliilitiitsversicherungskasse einführen würden. In der Tat ist
in der Aerztekammer Berlin-Brandenburg ein dahingehender Vor¬
schlag gemacht worden: Jeder Arzt im Kammerbezirk, der in¬
valide wird, und jeder Arzt, der ein gewisses Alter erreicht, er¬
hält eine Jahresrente von etwa 1000 M., jede Arztwitwe 600 M.,
jede Waise 300 M. ; nun wird die Anzahl der invaliden und der
Aerzte von dem bestimmten Alter festgestellt, und eine versicherungs¬
technische Prüfung ergibt dann die Höhe der Umlage. Dieser An¬
trag wurde gegen die Stimme des Antragstellers abgelehnt. In
der Tat muss eine solche Versicherungskasse zur Zeit für eine
Utopie gelten, die Beiträge wären viel zu hoch und nicht erschwing¬
bar. Nichtsdestoweniger kann es keinem Zweifel unterliegen, dass
die Förderung des Versicherungswesens nützlich ist. Dagegen
stellt sich der Ausbau des Unterstützungswesens als eine Not¬
wendigkeit dar. In allen Kammerbezirken hat man denn auch
die Einrichtung von Unterstützungskassen grundsätzlich be¬
schlossen, welche vorerst freilich noch keinen Rechtsanspruch
— einen solchen höchstens nach Massgabe der verfügbaren Mittel
'ind des festgestellten Bedürfnisses — gewähren können. Mit
dieser offiziellen Unterstützungskasse sucht man in zweckmässiger
Weise die in dem Bezirke bereits bestehenden, demselben Zwecke
dienenden Kassen zu verbinden (durch Verschmelzung, Angliede¬
rung mit gemeinschaftlicher Verwaltung etc.); in einigen Bezirken,
so in Brandenburg-Berlin, ist das bereits geschehen. Sofern es
nur angeht, haben diese Kassen aber ausser dem in ihrem Namen
ausgesprochenen Zweck, Aerzten oder deren Relikten, die in wirt¬
schaftliche Not geraten sind, durch Gewährung von einmaligen
1395
oder wiederholten Unterstützungen Hilfe zu bringen und die Not
zu lindern, das Ziel, einen Kapitalgrundstock anzusammeln behufs
Gründung einer allgemeinen Kranken-, Invaliden- und Altersver¬
sorgungskasse, auch einer Witwen- und Waisenkasse für die
Hinterbliebenen von Aerzten, und so wird auch ein bestimmter
Teil des Gesamtumlagehetrages zu diesem Fond abgeführt.
In welcher Weise die voraussichtlich erforderliche Summe
aufzubringen ist, darüber haben die Aerztekammern zu entschei¬
den; gesetzlich ist lediglich festgelegt, dass die Festsetzung eines
Jahrespauschalquantums zulässig ist. Als hauptsächlichste For¬
men der Besteuerung kämen in Betracht ein für alle Verpflich¬
teten gleiehmässiger Betrag, etwa 20 M., ohne Rücksicht auf das
Einkommen, und dann ('in Prozentsatz vom Einkommen, und zwar
vom beruflichen oder vom Gesamteinkommen, wobei weiter in
Frage käme die reine prozentuale Besteuerung — zweifellos die ge¬
rechtere Art der Besteuerung — oder ein Mischungssystem, gleicli-
mässige Grundgebühr für alle beitragspflichtigen Aerzte und Pro¬
zentzuschlag vom Einkommen.
Für das Jahr 1900, das Uebergangsstadium, erhoben sämt¬
liche Aerztekammern einen für alle Aerzte gleichmässig hohen
Beitrag von 3 — 12 M. Den gleichen einfachen Weg wählten für
das Jahr 1901 neun Kammern, welche 5 — 12 M. erhoben. Die
Aerztekammer der Rheinprovinz und der Hohenzollernsehen Lande
setzte den Beitrag auf 20 M. fest mit der Massgabe, dass die
jungen Aerzte während der ersten 3 Jahre nach der Approbation
nur 5 M. und die beamteten Aerzte 15 M. zu entrichten haben, ln
Schleswig-Holstein wurden die Aerzte lediglich vom beruflichen
Einkommen (inkl. festes Gehalt, Pension) besteuert. Es erfolgt
an die Aerzte eine Aufforderung zur Angabe ihres Einkommens
aus ärztlicher Tätigkeit; wer dieser Aufforderung nicht nach¬
kommt, wird vom Vorstand der Aerztekammer eingeschätzt. Wei¬
sem Leben versichert hat, kommt in die nächstniedrige Stufe.
Die Beiträge beliefen sich von M. 2.40 bis M. 2.80 bis 30 M. für
Versicherte und 40 M. für Nichtversicherte. Am weitesten ging
die Berlin-Brandenburger Aerztekammer, welche ausser einer von
allen Aerzten gleichmässig zu zahlenden Grundgebühr von 10 VI.
von denjenigen Aerzten, welche ein Gesamteinkommen von 5000 VI.
und darüber haben, 5 Proz. des Staatseinkommensteuerbetrages
erhob. Bei der Beratung sprach sich auch der Oberpräsident für
die Besteuerung des Gesamteinkommens aus, weil die Höhe des
Einkommens aus der Berufstätigkeit von der Steuerbehörde nicht
mitgeteilt werde. Die Selbsteinschätzung, wie sie in Schleswig-
Holstein eingeführt ist, wurde gar nicht erwähnt; für den Be¬
zirk Berlin-Brandenburg würde si© sich vielleicht auch weniger
eignen.
Es ergaben sich nun eine Reihe von Schwierigkeiten. Fast
in allen Kammern wurde gegen die Heranziehung zur Beitrags¬
leistung protestiert, zumeist von jungen Aerzten mit keinem oder
geringem Erwerb aus der Praxis oder von Assistenz- oder Vo¬
lontärärzten oder von Vertretern der theoretischen Fächer (ausser
aus Berlin und Königsberg auch aus Göttingen, Breslau, Bonn)
oder von beamteten Aerzten oder endlich von solchen, die die
Praxis niedergelegt haben, sei es wegen Alters oder Krankheit
oder weil sie einen anderen Beruf ergriffen haben.
Im besonderen machte die Aufstellung der Liste der zu be¬
steuernden Aerzte in den einzelnen Kammerbezirken Schwierig¬
keiten. In einigen Bezirken ernannte man zum Zwecke der Rich¬
tigstellung der Liste für die einzelnen Kreise Vertrauensmänner,
mit denen sich der Kassenführer in Verbindung setzte. In Berlin
kam ©s aus Anlass eines einzelnen Falles zu einer Meinungsver¬
schiedenheit zwischen Polizeipräsidium und Aerztekammervor-
stand; während ersteres einen Arzt auf dessen Vorstellungen hin
aus der Liste strich, wurde er von letzterem darauf belassen und
demgemäss besteuert. Neben diesem stilleren Streite spielte sich
in einer Sitzung der Kammer ein Vorgang ab, der grosses Auf¬
sehen erregte. In einer Eingabe einer Reihe niehtpraktizierender
Aerzte, vornehmlich Vertreter theoretischer Disziplinen, wurde be¬
hauptet, der Vorstand der Aerztekammer sei in der Heranziehung
der Aerzte zur Beitragsleistung anscheinend willkürlich vorge-
gangen. Der Vorsitzende bemerkte hierzu, er hätte für diese In¬
sinuation keinen parlamentarischen Ausdruck, der Vorstand der
Kammer sei empört gewesen. Im übrigen ist, wie der Vorstand
in einem Schreiben an den Oberpräsidenten als Antwort auf
jene Eingabe bemerkte, die Heranziehung zu den Beiträgen
einzig und allein auf Grund der durch die Behörden stets
auf dem laufenden gehaltenen Personallisten erfolgt. Wie ich
in der „Aerztlichen Saehverständigen-Zeitung“ (1902, No. 10
und No. 11) des näheren auseinandergesetzt habe, ist es gar
nicht unwahrscheinlich, dass objektiv richtig ist, was in jener
Eingabe gesagt worden, dass nämlich eine Anzahl von approbierten
Personen, darunter von solchen, welche seinerzeit bei dem Kreis-
physikus ihre Niederlassung angemeldet haben, zur Umlage nicht
herangezogen worden sind. Freilich hätte dem Vorstand nicht
unterstellt werden dürfen, dass er die Heranziehung absichtlich
unterlassen habe. Andererseits hätte der Vorstand, dessen Er¬
regung ja begreiflich ist, nicht antworten dürfen, die Personallisten
seien von den Behörden immer berichtigt worden. Wie nämlich
der Kassenführer in einer Sitzung der Aerztekammer mitteilte,
hat er mit Hilfe von Medizinalkalendern und des Berliner Adress¬
buches noch eine Reihe von Aerzten ermittelt, die in dem offiziellen
Verzeichnis nicht vermerkt waren.
Dann machten viele Aerzte bei der Einziehung der Beiträge
Schwierigkeiten. Wie schon angedeutet, rief die neue Steuer viel¬
fach Unzufriedenheit hervor. In einem Bezirke trug die Einziehung
MUENCTIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 33.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
der Beiträge dem Kassenführer eine ganze Menge von Schmäh-
briefeu ein. Am höchsten — wenn auch nicht offen, so doch im
o-eheimen _ stieg die Bewegung im Bezirke Berlin-Brandenburg,
dio alle Nuancen wiederspiegelte, von Empfindungen der Beun¬
ruhigung und Aufregung bis zu Ausbrüchen der Entrüstung und
Empörung. I>ie nichtpraktizierenden Aerzte sahen überhaupt in
der Heranziehung zur Steuer eine Ungerechtigkeit, als deren Aus¬
druck jene obenerwähnte Eingabe gelten kann, welche die Be¬
freiung-’ von der Beitragspflicht für diese Aerztekategorn
I
1 _ „
Steuer ein Zuschlag zur Staatseinkommensteuer; wie
Aerzte dazu, vom Vermögen ihrer Frauen zu Gunsten des Standes
steuern! Die Angelegenheit wurde in der Budgetkonimission
Abgeordnetenhauses zur Sprache gebracht und seitens der
: wurde Remedur zugesagt. Dann gelangte die Sache
Plenum des Abgeordnetenhauses und schliesslich auch
forderte,
die Ein-
Die praktizierenden Aerzte dagegen wandten sich gegen die Ein¬
beziehung des Privatvermögens; auf diese Weise sei die Standes-
kämen die
Erörterung. Dort antwortete der Direktor der
bteilung im Kultusministerium, hier dessen Clief selbst,
betreffenden Reden geht hervor, dass die Re-
abgesehen von den
Aerzte im
zu
des
Regierun
auch im
im Herrenhaus zur
Medizinalal
Aus den
gierung an der Auffassung festhält, dass,
im Gesetz selbst ausgenommeneii, alle approbierten
Sinne von Inhabern der Approbation als Arzt nach § 29 R.G.O.
beitragspflichtig sind. Der Minister hatte sich nämlich schon
früher in einem Beschwerdebescheid dahin ausgesprochen, dass
„die eine ärztliche Tätigkeit nicht ausübenden approbierten Aerzte
gleichwohl verpflichtet sind, zu den von den Aerztekammern aus¬
geschriebenen Umlagen beizutragen“. Weil dadurch aber unter
Umständen, z. B. wenn der Arzt durch hohes Alter, körperliche Ge¬
brechen etc. an der Ausübung seiner Kunst tatsächlich behindert
ist, Härten eintreten können, stellte er gleichzeitig dem Aerzte-
kammerausschuss anheim, zu erwägen, ob es nicht angezeigt wäre,
dass die Aerztekammern übereinstimmende Beschlüsse darüber
fassen, ob und unter welchen Voraussetzungen nichtpraktizierende
approbierte Aerzte nur mit geringeren als den regelmässigen Bei¬
trägen zu den Umlagen der Aerztekammern heranzuzielien seien.
Die Ansichten der Kammern waren geteilt. Am deutlichsten
_ deutlicher wäre es gar nicht möglich gewesen — gab die
Kammer Schleswig-Holstein ihrer Ansicht Ausdruck, indem sie
durch den Beschluss, lediglich das berufliche Einkommen zu be¬
steuern, die nichtausübenden Aerzte ohne weiteres von der Bei¬
tragspflicht befreite und gleichzeitig das Privatvermögen unberück¬
sichtigt liess. In den anderen Kammern dagegen wurden alle
Aerzte, auch die nichtpraktizierenden, besteuert. In einigen Kam¬
mern wurde es noch besonders betont, dass sämtliche wahlberech¬
tigten Aerzte, also auch diejenigen, welche die Praxis niedergelegt
haben oder nicht ausüben, beitragspflichtig sind. Im Gegensatz
hierzu fand es in einer anderen Kammer energischen Ausdruck,
wie unbillig und ungerecht es sei, dass Leute, die nicht die ärzt¬
liche Praxis auszuiiben gesonnen sind, dennoch zu den Beiträgen
herangezogen werden. Wieder eine andere Kammer nahm einen
„dem Gefühl der Billigkeit“ entsprechenden Standpunkt ein. Sie
erklärte alle praktizierenden Aerzte von ihrer Meldung beim Kreis¬
arzt an, alle Dozenten, die Assistenten und Volontärärzte, sowie
alle sonstigen beamteten Aerzte für beitragspflichtig; von solchen
Aerzten, welche in einen anderen Beruf übergegangen sind und
ihre Praxis definitiv niedergelegt
zwangsweise leingezogen werden,
durch freiwillige Zahlung des Bei-
Gegen diesen letzten Passus kann
Praxis nicht treiben oder die
haben, soll der Beitrag nicht
Diese Aerzte können sich aber
trags das Wahlrecht erhalten,
ich nicht umhin, Protest einzulegeu. Wohl ist die Wahlberech¬
tigung zur Aerztekammer Vorbedingung für die Erhebung des
Beitrags; nie und nimmer aber kann die Zahlung des Beitrags
irgend eine Rückwirkung auf das Wahlrecht haben; dieses wird
vielmehr lediglich durch die Verordnung, betr. die Einrichtung
einer ärztlichen Standesvertretung, vom 25. Mai 1887 nebst Nach¬
trägen, und zwar in erschöpfender Weise geregelt. — Schliesslich
wurde in einer Kammer erwogen, die nicht ausübenden Aerzte
mit geringeren Beiträgen wie die praktizierenden Aerzte heran¬
zuziehen: die Entscheidung wurde aber mit Rücksicht auf die
Erörterung der Frage im Aerztekammerausschuss ausgesetzt.
Dieser legte durch Beschluss als Grundsatz fest, dass jeder appro¬
bierte Arzt zur Beitragsleistung verpflichtet ist, abgesehen davon,
ob er von dem durch die Approbation erlangten Recht zurzeit
Gebrauch macht oder nicht, und dass die Niederschlagung von
Beiträgen nur nach Massgabe des einzelnen Falles, nicht kate-
gorienweise erfolgen soll. Neuerdings freilich hat er den Kam¬
mern empfohlen, in einzelnen Fällen die Entscheidung unter mög¬
lichster Milderung von etwa durch das Gesetz bedingten Härten
zu treffen.
Wir sehen, wie verschieden diie Ansichten über die Besteue¬
rung an den einzelnen Stellen, auch in den einzelnen Kammern
sind und wie verschieden dementsprechend das Umlage verfahren
gestaltet worden ist. Und da lockt verführerisch die Aufgabe,
zu untersuchen, ob und von welchem Standpunkt die abweichenden
Ansichten gerechtfertigt sind. Wir müssen der Versuchung aber
widerstehen1); wir würden uns in theoretischen Auseinander¬
setzungen bewegen müssen, ohne zu einem praktischen Resultat
zu gelangen. Dagegen hat die Frage auf dem Verwaltungswege
5) Wenn wir vorhin doch eingegriffen haben, so geschah es,
weil die Ausiclit, das Wahlrecht werde durch die Beitragsleistung
erhalten, ganz und gar unhaltbar ist und sich in keiner Weise ver-
treten lässt.
einen — wenn auch vorläufigen — Abschluss gefunden, insofern
die Oberpräsidenten vom Minister die Anweisung erhalten haben,
das Umlageverfahren nur dann zu genehmigen, wenn mindestens
die der, Ehrengerichtsbarkeit unterstehenden Aerzte 10 Proz., die
nichtpraktizierenden Aerzte 50 Pi'oz. und die Aerzte, bei welchen
beide Punkte zutreffen, 60 Proz. Ermässigung der Umlage er¬
halten. Die Frage wird aber nicht eher der öffentlichen Diskussion
entrückt werden, bis sie durch eine Revision des Gesetzes geklärt
sein wird. In dieser Beziehung verdient noch ein \ oigang aus
der jüngsten Zeit Erwähnung. Gelegentlich der Besprechung
einer Petition zweier Potsdamer Aerzte um die „Erlaubnis
zum Austritt aus der Aerztekammer2) für die¬
jenigen Aerzte, die wegen Krankheit oder Alters
ihren Beruf aufgegeben habe n“, in der Petitionskom¬
mission des Abgeordnetenhauses erklärte der Regierungskom¬
missar, dass zurzeit Erwägungen darüber stattfänden, ob mit
Rücksicht auf die Unterstellung der mit der Berechtigung zum
Tragen der Uniform verabschiedeten Sanitätsoffiziere, die bisher
einem militärischen Ehrengericht nicht unterstanden, unter die
militärärztlichen Ehrengerichte eine Abänderung des Gesetzes vom
25. November 1899 erforderlich geworden ist, weshalb es sich
empfehlen dürfte, jene Petition der Regierung als Material zu
überweisen. Die Petitionskommission beschloss, beim Plenum zu
beantragen, die Petition der Regierung zur Berücksichtigung zu
überweisen, und das Abgeordnetenhaus nahm den Antrag ohne
Diskussion an.
Einstweilen befindet sich die Frage der Ausgestaltung des
ärztlichen Unterstützungswesens noch in einem Uebergangs-
stadium. Die Kammer Berlin-Brandenburg war die erste, welche
in kühnem Fluge einem hohen Ziele zustrebte, hierin aber — zu¬
nächst nur ein wenig — aufgehalten worden ist. In ein ruhiges
Fahrwasser mit gleichbleibender, wenn auch minder grosser Strom-
intensität wird die Frage erst gelangen, wenn — nicht auf dem
Verwaltungswege, sondern gesetzlich — feste Grundsätze für das
Besteuerungsverfahren aufgestellt sein wei-den.
Felix Heymann - Berlin.
Referate und Bücheranzeigen.
Handbuch der pathogenen Mikroorganismen. Unter Mit¬
wirkung zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Prof. Dr.
W. K o 1 1 e und Prof. Dr. A. Wassermann in Berlin. Mit
zahlreichen Abbildungen im Text und einem Atlas photographi¬
scher Tafeln nach Originalaufnahmen zusammengestellt von
Prof. Dr. E. Z e 1 1 n 0 w in Berlin. (Der Text wird vollständig
in etwa 17 Lieferungen zu 4 M., der Atlas in etwa 6 Lieferungen
zu 2 M. erscheinen.)
Von dem mit Spannung erwarteten Werke, das unter ge¬
waltiger Arbeitsteilung unser Gesamtwissen von den pathogenen
Bakterien in einer einheitlichen Darstellung darzubieten ver¬
spricht, ist soeben die erste Lieferung erschienen, enthaltend :
1. Ueberblick über die geschichtliche Entwicklung der Lehre
von der Infektion, Immunität und Prophylaxe von Rudolf Abel.
2. Allgemeine Morphologie und Biologie der pathogenen
Mikroorganismen von E. Gotschlich.
Während der A b e 1 sehe Abschnitt in grossen Zügen
(28 Seiten) nur die Hauptpunkte in der Geschichte der Er¬
forschung der pathogenen Bedeutung knapp und übersichtlich
zusammenfasst, ist die Arbeit von Gotschlich eine unter
sorgfältiger Berücksichtigung und kurzer Zitierung der neuesten
Literatur geschriebene, umfassende, gedrängte, vollständige Dar¬
stellung alles dessen, was wir heute von der Morphologie und
Biologie der pathogenen Mikroorganismen wissen. Die gediegene
Arbeit leitet das grosse Werk vortrefflich ein. Wenn, was nach
den Namen der Mitarbeiter zu erwarten ist, die anderen Liefe¬
rungen ähnliches bringen, so wird das Werk eine grosse Bereiche¬
rung der Literatur und ein unentbehrliches Hilfsbuch darstellen.
Die 2 Tafeln, welche die erste Lieferung des Atlas zusammen¬
setzen, zeigen 38 treffliche Z e 1 1 n o w sehe Photogramme. —
Wir werden auf das Werk mehrfach in seinem weiteren Er¬
scheinen zurückkommen. K. B. L eh m a n n - Wiirzburg.
F. Skutsch: Geburtshilfliche Operationslehre. Jena
1901, G. E i s c h e r. Preis 8 M.
Das Buch bringt die Vorlesungen des Verfassers über ge¬
burtshilfliche Operationslehre in erweiterter Form. Daher ist
wenigstens in manchen Abschnitten der Charakter der Vorlesung
gewahrt geblieben, gewiss nicht zum Nachteil des Textes. Wenn
ja wohl auch über die Hauptlehren von den geburtshilflichen Ope¬
rationen eine weitgehende Uebereinstimmung herrscht, so tritt
2) Gemeint ist offenbar der Austritt aus der zur Aerztekammer
wahlberechtigten Gemeinscha ft.
19. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1397
doch an vielen Stellen eine mehr subjektive Auffassung hervor
indem bei strittigen Punkten statt längerer Auseinandersetzungen
• meist nur die Anschauung vorgetragen wird, die der Verfasser
nach seiner Erfahrung für die richtige hält. Mit Recht sind die
Anzeigen zu den einzelnen geburtshilflichen Eingriffen ausführ¬
lich abgehandelt und an einzelnen Beispielen erläutert. Die Dar¬
stellung gewinnt hierdurch entschieden an Anschaulichkeit.
Zahlreiche praktische Winke sind bei der Beschreibung der ein¬
zelnen Eingriffe eingeschaltet. Mit Recht haben die für die
Praxis hauptsächlich in Betracht kommenden Eingriffe eine aus¬
führliche, auf alle Einzelheiten eingehende Schilderung erfahren,
während jene grösseren, mehr der Klinik oder dein Spezialarzt
zu überlassenden Eingriffe kürzer abgehandelt sind.
Sehr zahlreiche, grossenteils recht gute Abbildungen sind
- dem hexte beigefügt. A. Gess n er - Erlangen.
Bum: Handbuch der Massage und Heilgymnastik. 3. Aull.
Mit 173 Holzschnitten. Verlag Urban & Sc h w a r zen¬
berg, Berlin u. Wien 1902.
Die Vorzüge, welche der 1. Auflage des Buches vom Ref.
nachgerühmt wurden, haben demselben in weiten Kreisen gün¬
stige Aufnahme gesichert und nach kaum 5 Jahren eine dritte,
gewiss nicht die letzte Auflage verschafft.
Ruhige Sachlichkeit, Fernbleiben von zu weitgehendem
Enthusiasmus vereinigten sich mit voller Ueberzeugungs treue,
die auf reichen eigenen Erfahrungen gegründet ist, und ge¬
wandter Darstellung.
Die neue Aüflage ist eine verbesserte, sie enthält u. a. die
neubearbeitete Beschreibung der 1 renkel-Leydcn sehen
Uebungstherapie, des Herz sehen Apparatsystems.
Hervorgehoben sei die Vervollständigung des Literaturver¬
zeichnisses, dessen Umfang das übliche Mass wesentlich über¬
schreitet.
Die Kapitel über Augen-, Nasen-, Ohren-, Rachen-, Kehl¬
kopf krankheiten sind auch diesmal von Spezialist isolier Seite er¬
gänzt worden. V ulpius - Heidelberg.
Otto Mugdan: Kommentar für Aerzte zum Gewerbe-
Unfallversicherungsgesetze. Berlin, S. It e i in e r, 1902. Preis
5 M.
Die Novelle vom 30. Juni 1900 brachte nicht nur eine Er¬
weiterung der Unfallversicherung, sondern auch eine wesentliche
Umgestaltung und bezüglich der Mitwirkung der Aerzte wich¬
tige Feuerungen. Jeder Arzt, mag er bei der Durchführung des
Heilverfahrens oder als Gutachter und Sachverständiger auf
diesem Gebiete tätig sein, muss nicht nur die Grundzüge der
Gesetzgebung kennen, sondern muss auch mit den Bestimmungen,
die den Arzt vorzüglich angehen, eng vertraut sein. Der vor¬
liegende Kommentar behandelt dem Zwecke entsprechend die
auf die Organisation der Berufsgenossenschaften, Schieds¬
gerichte. u. s. w. bezüglichen Ausführungsvorschriften kurz, da¬
gegen die den Arzt interessierenden Bestimmungen ausführlich
und kritisch, eignet sich daher bestens zum Gebrauch der Aerzte.
Er enthält neben dem Gewerbe-Unfallversicherungsgesetze auch
das sog. Haupt- oder Mantelgesetz und in einem Anhänge landes-
rechtliche Vorschriften über die Wahl der ärztlichen Sachver¬
ständigen bei den Schiedsgerichten für Arbeiterversicherung, die
bayerische Bekanntmachung über die Bildung ärztlicher Kol¬
legien zur Erstattung von Obergutachten in Unfallversicherungs¬
angelegenheiten, ein Rundschreiben des Reichsversicherungs¬
amtes, betr. die Feststellung des Masses der Erwerbsunfähigkeit,
unt Formulare. Da die übrigen Unfallversicherungsgesetze zu¬
meist nur bezüglich der Organisation und der Aufbringung der
Mittel von dem Gewerbe-Unfallversicherungsgesetze abweichen,
konnte deren Abdruck wegbleiben. Dr. Carl Becke r.
Dr. phil. Bernhard Neuman n, Privatdozent an der tech¬
nischen Hochschule zu Darmstadt: Gasanalyse und Gasvolu-
nietrie. Mit 116 Abbildungen. Leipzig, S. H i r z e 1.
, 1^8 Seiten gibt der durch seine wertvolle Anleitung zu
e e "troly tischen Arbeiten bereits gut eingeführte Verfasser eine
\ are, vollständige, durch viele praktische Beispiele erläuterte
^arstellung des Gesamtgebietes der Gasanalysen, wie sie zum
-wecke chemischer, technischer und hygienisch bakteriologischer
ntci suchungen gebraucht wird. Zahlreiche Abbildungen ver¬
anschaulichen den gut geschriebenen Text, eingehende Zitate
gestatten weiteres Eindringen in den Stoff. Das Buch ist durch¬
aus empfehlenswert und erfüllt sehr gut die vielseitigen Auf¬
gaben, die es sich stellt. K. B. L e li m a n n.
Neueste Journalliteratur.
B ] physikalische Therapie.
1) W. F r e u d e n 1 li a 1 - New- York: Ueber einige praktische
Gesichtspunkte in cler Behandlung des chronischen Nasen- und
Rachenkatarrhs. (Mit 1 Abbildung.)
E. glaubt als Hauptursache des in Amerika sehr häufigen
chronischen Nasenrachenkatarrhs das dort sehr verbreitet»' Luft-
heizimgssystem ansprechen zu müssen, welches den ndativen
Feuchtigkeitsgrad der erwärmten Räume stark reduziert. Als
therapeutische Massregeln empfiehlt er in erster Linie »len Auf-
cnthall an Orten mit feuchtem Klima, Wasserdampfinhalationen
und Bäder. Die Einatmung von Kohlensäure und die direkte Mas¬
sage mittels eines von ihm konstruierten elektrischen Vibrations-
apparates bewährt sich als zweckmässiges Stimulans atrophischer
Schleimhäute.
2) Me n z e r - Berlin: Serumbehandlung bei akutem und
chronischem Gelenkrheumatismus. (Aus der III. medizinischen
Klinik des Geheimrats Senato r.)
Autoreferat nach Vorträgen am 14. Mai 1002 in der Berl med
Gesellsch. und am 15. Mai 1902 in der Gesellschaft der Charite-
ärzte (siehe die Referate über die betreffenden Sitzungen in »Unser
Wochenschrift).
->) August L a <] u e u r und Waldemar L o e w e n t h a l-Berlin:
Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung durch lokale
liydi otherapeutische Prozeduren. (Aus der hydrotherapeutischen
Anstalt des Geheimrats Brieger.)
Die 1 erf . haben die Beeinflussung der Blutzusammensetzung,
Zahl der weissen und roten Blutkörperchen, des spezifischen Ge¬
wichts und Hämoglobingehalts durch Anwendung lokaler hydro¬
therapeutischer Behandlungsmethoden sowohl am Orte der Appli¬
kation wie gleichzeitig an entgegengesetzten Körperstellen studiert.
Sm gelangten zu dem Resultate, dass »lie Veränderung der
Leukocytenzald im Gegensätze und unabhängig von den anderen
Blutbestandteilen am meisten Konstanz hat und auch quantitativ
am ehesten in Betracht kommt und zwar tritt in der Regel eine
Vermehrung der wi'issen Blutkörperchen am Orte der Einwirkung
eines thermischen Reizes, eine Verminderung am entgegengesetzten
Kiji perteil auf. Im übrigen liess sich sowohl bei erregenden wie
1 ’('i heissen Prozeduren keine nennenswerte Beeinflussung der
Blutzusammensetzung konstatieren, so dass die therapeutische
Wirkung derselben lediglich auf den unbestrittenen Effekt der
Blut v<>rteilung und Zirkulationsänderung bezogen Averden muss.
4) . Fritz Rosenfeld - Berlin: Ueber Roborat. (Aus der
I. medizinischen Klinik des Geheimrats v. Leyden.)
Roborat, ein rein dargestelltes Pflanzeneiweiss, ist nach Unter¬
suchungen von Loe w y und Pick a r d t hinsichtlich der Aus¬
nützung und des isodynamischen Nährwertes tierischem Eiweiss
äquivalent. Künstliche Verdauungsversuche von Berju ergaben,
dass dieses Präparat ausserordentlich rasch in niedere Abbau¬
produkte übergeführt und dadurch der Resorption erschlossen
Avird. Eine besondere Eigentümlichkeit des Nährmittels ist sein
Lecithingehalt. Letzterem glaubt Verf. nach seinen Erfahrungen
am Krankenbette eine Besserung ATon Chlorosen zuschreiben zu
dürfen. St off Wechsel versuch»1, deren Belege in einer anderen
Arbeit angekündigt Averden, ergaben während der Iloboratperiode
auffallenderweise eine Vermehrung der Stickstoffausscheidung
trotz Zunahme des Körpergewichts. Der Harnsäuregehalt des
Urins erwies sich während der Roboraternährung reduziert. Bei
einer Phosphorsäurebestimmung (ohne Analyse der Nahrung)
zeigte sich während der Iloboratperiode eine geringere Ausschei¬
dung als in der Vorperiode. Daraus zieht R. den Schluss, dass
dem Präparate eine therapeutisch zu verwertende Eigenschaft der
Phosphorretention im Organismus zukommt.
5) B. V e n d r i n e r - Neuenahr: Ueber den Einfluss des
Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel des Menschen. (Aus
der I. medizinischen Klinik des Geheimrats a\ L e y d e n.)
Unter Darreichung von Neuenahrer Sprudel (700 g pro »li»')
hat W. eine Steigerung »ler Diurese und gleichzeitig eine Ver¬
mehrung des Stickstoff-, Harnsäure- und Indikangehalts des Urins
beobachtet. M. Wasse r m ann - München.
Centralblatt für innere Medicin. 1902. No. 28—32.
No. 2S. A. Kühn: Das Vorkommen von grünen entwick¬
lungsfähigen Pflanzenkeimen im Magen und deren diagnostische
Bedeutung. Vorläufige Mitteilung. (Aus der medizinischen Klinik
in Rostock.)
In 3 Fällen von Ulcus resp. Ulcusbeschwerden mit Hyper-
ehlorhydrie fand Verfasser grüne Pflanzenkeime, die zu den Algen
gehören und deren Artbestimmung noch mitgeteilt werden soll.
Wahrscheinlich sind »lie Keime mit dem Trinkwasser oder mit der
Nahrung in. den Magen gelangt. Hefe ist ausgeschlossen, da die
Gegenwart stärkerer Salzsäuremengen die Ilefebildung sehr be¬
einträchtigt. Das diagnostische Interesse liegt eben in »lern Auf¬
treten »lie Algen, Avie es scheint, nur bei Hyperchlorhydrie und
Stagnation.
IvrTTENCHENER MEDICIN1SCHE WOCHENSCHRIFT^
No. 33.
1398 _ '
No. 29. B.Boye: Cystenleber und Cystennieren. (Aus dem
Krankenliause Magdeburg-Sudenburg.) _ .
Stadt KranKennau * geltende Anschauung von der Ent-
sü-Cs der OystenÄ Sud dir Cysteunleren geht dahm dass es
1,’v.iii (Abbildung der. Leber und der Nieren.) Das fernen, ua
, twn 16 Jahre gedauert hat, konnte intra vitam nicht erkannt
Essr-säit susetä -
Schulter.^ MittellunK dev Verfasser beschäftigt sich . mtt : der
Beteiligung des akromialen Gelenks an den Bewegungen dei Sc i
ter und des Armes unter normalen und pathologischen Verhalt
""sm m j Loclll) ihier: Zur Kenntnis gerinnungsalte-
rierender Eiweisskörper im Harn bei Pneumonie, (Aus dei k. k.
Krankenanstalt Rudolf Stiftung in Wien.) Pmtalbu-
.
rÄ ääs -T rl is
f,nu1 Methodik und Resultate werden angeführt. Es ef?cne
'orten' SSSS
tÄftrÄÄ»
liehen Infiltrates hervorgehend angesehen weiden.
No. 32 enthält keinen Originalartikel.
Hegar’s Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie.
Bd. VI, Heft 2. Leipzig, Georg Thieme.
i- iiaa.,,' Freibure i B.: Pathologisch-anatomische Bei-
““iTÄrÄ ffiÄÄÄ
SriSSiSIS
iEFSSSSrPsÄS
ui tf -1 iiseesoroelrenen Veränderungen der totalen Lifiaute, wam
1STS«' Natur; bol diesen waren die .uutterl^en Ei-
häute weniger und erst sekundär ve! ändert. • - imär der
ss ä «äs™ s
r L a(n g h^SÄ -r
tmu^Gon des serotinalen Zellschiehtlagers. Bei der zweiten
Gruppe bei der die mütterlichen Eihäute erkrankten fand II. die
fötalen’ Eihäute in relativ wohlerhal^m Zustande^ Da V*
generation der Dezidua schreitet zentripetal fort und ist meist
mt i i^'tle lk litenberg. strassburg i. E.: lieber die Beweglich¬
keit des Beckens beim Neugeborenen 6 ^^“cTe r scher
Die Messungen geschahen in Rückenlage, > T
Hihiaeiage und Stellge. L. fand, dass das Becken des Neu-
geborenen durch passive Bewegungen seines Trägers derart yer-
•• i limii finss dpr Beckeneingang bei Rückenlage eine liind
licSr be V a c h e i scher Lange fine längsovale und beim Sitzen
eine ’ querova^e Form annimmt Diese Veränderungen sind bei
Becken von Knaben grösser als bei denen lon Mädchen.
\ Glöckner- Leipzig: Heber Uteruskarzinom und
Schwangerschaft mit besonderer Berücksichtigung der Dauer-
erfolge^operatiyer ^Behandlung Ml)z, Klinik beobachteten
avs
1 -1111011 auf 26 000 Geburten und Aborte; die jüngste der Kranken
war '6 die älteste 46 Jahre alt. Der Ausgangspunkt des Karzinoms
wir in’ 11 Fällen die Portio, in 2 Fällen die Cervix; 4 mal \\ai die
Bestimmung desselben nicht möglich. 23 Froz. Dauerheilunge
wurden erzieit-imann- Warscliau: Beitrag zur Kasuistik und
pathologischen Anatomie der sogen. subchorialen Hamatome
Nach Besprechung und Würdigung der bisher über die selten^
Bilil u ii ^ erschienenen Arbeiten von Breus u. *i- A .»n„
?h“" elhst i-ohachtete Fälle an. von denen der «*£•»*«)»£
Mehrgebärende. der zweite eine 30 ^J'^^Sntersuchung
SÄÄ Ansicht von der Enb
-Ä mSÄS“ schwangeren Uterus,
^MrÄnÄÄÄ^rneprotap. nicht mehr
wmmrnßimm
wmmmMm
exstirpation bei Gebärmutterkrebs. (Mit 3 Kurven und -
bildungen.) Grunde liegende Material verteilt sich auf
oineDZeSitd"otlb14 Jahren und umfasst eine Gesamtzahl von
■174 Fällen, davon 2(10 radikal operable, also 26,69 Pioz. *
tientinnen standen im Alter von 25-30 (Jahren =4.34 : r.oz
SÄT ÄÄ« UAÄ
zwar für die Collumkarzmome 34,00 1 1 “o g e 1 ■ WürzbuJg.
kai’zinome 66,60 I roz.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 32.
D F. Ahlfeld- Marburg: Ergänzungsblatt 3 und 8 zum
preussischen Hebammenlehrbuch. Hebammen,
Von den genannten Erlassen gestattet No. 3 a&x ueioamme^
statt der bisher vorgeschriehenen Karbolsaure das L y ,
SS Ä Äe^Sh^Ä^ ri
dags gar nicht
-“"'SS ÄEÄ
Seifendesinfektion anzuwenden wäre.
2) Herrn es -Berlin: Zur Verletzung der Scheide beim
Coitus.^ Verletzung kam zu stände bei einem Mädchen, das in
einer Droschke den Koitus ausübte ( und w f ’«'c ™'n seftliehen
Die Untersuchung ergab eine ^uptui des lec Heilung
Scheidengewölbes. Die Blutung stand auf Tamponade, iienu b
nach 14 Tagen. Als Ursachen der Verletzung bezeichnet H.
a) die übergrosse geschlechtliche Erregung seitens des Mud
Chelb) die abnorme Position während des Koitus.
3) z Endelmann- Warschau: Beitrag zum geburtshilf¬
lichen Verfahren bei Komplikation der Schwangerschaft duich
Mastdaimkiebs.^ei^ FaUe you Rektumkarzinom bei einer Gravida
die künstliche Frühgeburt vor der Operation eingeleitet.
Literatur fand er nur 3 analoge Falle. Pat naeb der
Die Frühgeburt wurde bei dei 3- jnhi Fat, . n
T- .. n s P schen Methode eingeleitet und mittels C h a m p e 1 1
de lü bes^ Ballon bindet. Vas im 7. Monate ^ndliche Kmd
starb nach einigen Stunden. 2 Monate spatei \ .. ^ ^
Rektum auf vaginalem Wege nach Reim exstirpiert. Zunächst
trat Heilung mit einer „kleinen“ Incontmentra alrt m
Virchows Archiv. Bd. 168. Heft 3. 1902.
12) J. M e i n e r t z: Beiträge zur vergleichenden Morphologie
der farblosen Blutzellen. (Aus dem patholog. Institut . zu i Bei Tin.)
Die vorliegende Arbeit bildet eine Fortsetzung ^ k -
aus dem Berliner Institut stammenden Arbeiten von Hiis
?eld und Grünberg. Es wurden besonders Fische unter¬
sucht, daneben auch Reptilien, Crustaceen, Insekten und W uu ^
M kommt durch die Verschiedenheit «er B^banu^orm« 4«
Granula zu dem Ergebnis, dass sie nicht die finger e
suezifischen einheitlichen Funktion, ebensowenig wie 1 1<Kll“\
?in er bestimmte., oiuhci.licl.cn Zelltätigkeit sehr können, ^ son-
dern dass sie in jeder Form, in der sie auftreten, b
beurteilt werden müssen. . , (1 S(.lien Be¬
in einem Nachtrag warnt M. davor, alle ^^n Theorie
funde von dem Gesichtspunkte e 1 ne r b estimmt e n 1
aus zu denken, wie dies Hesse (Virch. Arch., Bd. 167, w »
tan hat.
19. August 1902.
MUENCHENER MEHICINTSCIIE WOCHENSCHRIFT.
1399
..^2 ^cli Aval he UU(i B. Salley: Di© morphologischen
Veränderungen der Blutkörperchen, speziell der Erythrocvten
bei der Toiuyiendiaminvergiftung. (Aus dem patholog. Institut
zu Heidelberg.)
Vor allem wird auf die Verminderung der roten Blutkörperchen
bei der Toluylendiaminvergiftung hingewiesen und auf das leich¬
tere Zugrundegehen derselben. Die beiden Autoren vertreten auch
in dieser Arbeit die Ansicht, dass die Blutplättchen Ab¬
kömmlinge besonders der roten Blutkörperchen seien- der
von Dedjen u. a. gesehene Kern sei nichts anderes als ein
Nukleoid (Amol d), wie er auch in roten Blutkörperchen vor¬
kommt.
Bei Vergiftungen ist ein grosser Teil der pathologischen Ver-
ändei ungen der Blutkörperchen ähnlich denen bei ihrer physio¬
logischen Degeneration (z. B. Gerinnung).
14) C. Sacerdotti und G. Frattin: lieber die hetero¬
plastisch© Knochenbildung. Experimentelle Untersuchungen.
(Aus dem Institut für allgemeine Pathologie der Universität Turin.)
Bei Unterbindung der zuführenden Gefässe der 1. Niere bei
4 Kaninchen trat bei dreien nach durchschnittlich 80 Tagen in der
betreffenden Niere Knochenbildung auf.
Es wurde also
damit gezeigt, dass sich im Schosse von Geweben, die normaler
Weise nichts Osteogenes enthalten, experimentell K n o -
c h e n u n d Mark (! Ref.) hervorrufen lassen.
15) Max G 1 o g n e r - Berlin: Ueber Framboesia und ähn¬
liche Erkrankungen in den Tropen.
Framboesia ist eine meist ohne allgemeine Erscheinungen,
wie Fieber. Neuralgien etc., verlaufende, sich meist über Monate
erstieckende Hautaffektion in den Tropen, welche prognostisch
günstig verläuft und sich in der Eruption von rundlichen Ilaut-
exkreszenzen kundgibt. Pigmentlose Stellen bleiben zurück, jedoch
keine Narben im Gegensatz zur Verruca peruviana (Odriozol a),
wobei immer Narben Zurückbleiben, weshalb auch diese beiden
Krankheiten nicht identisch sind. Histologisch wurde bei Fram¬
boesia. in der Hauptsache eine Proliferation der Zellen der Epi¬
dermis, des BindegeAvebes und der Lymphgefässendothelien beob¬
achtet. Die Erreger der besprochenen Krankheit wurden nicht
gefunden.
16) S. A b r a m o w - Rostow a. D. : Zur Kasuistik der syphi¬
litischen Erkrankung des Gefässystems.
A. setzt die Veröffentlichung von Syphilis des Gefässystems
fort. Er kritisiert im ersten Teil das Referat v. Kahldens
über seine erste Arbeit, im ZAveiten Teil Averden 2 Fälle von
Syphilis der Gehirnarterien und 1 Fall von Syphilis der Aorta be¬
schrieben. A. kommt zu dem Schlüsse, dass Intima und Adventitia
unabhängig von einander selbständig ergriffen werden. (Ob das
negative Resultat der Tuberkelbazillenfärbung im 3. Fall so selbst¬
verständlich für einen spezifisch syphilitischen Charakter spricht,
ist zu bezweifeln. Ref.)
A k u t s u - Japan: Beiträge zur Histologie der Samenblasen
nebst Bemerkungen über Lipochrome. (Aus dem patholog. In¬
stitut zu Berlin.)
Es wurden von A. nähere Untersuchungen über den Bau der
Muskulatur und der Epithelzellen, sowie über das Vorkommen
von besonderen Drüsen und von Pigment in der Wand der Samen¬
blasen angestellt. Für das Pigment wird angegeben, dass es sich
zum Teil mit Sudan III und Scharlach II färbt, also zu den Lipo-
cnromen gehört. Wie Verf. darlegt, ist das Pigment durch einen
vitalen Vorgang in den Zellen selbst gebildet worden.
18) R. Heinz: Lehre von der Funktion der Milz. (Aus dem
phar makolog. Institut der Universität zu Erlangen.)
Die Blutneubildung bei entmilzten Tieren verläuft genau in
r g ..lcben We'ise wie bei normalen Tieren. Im allgemeinen bleibt
fbe Jf "Z des Kanincllens unbeteiligt an der Bildung der roten
lilutkorperchen nur in ganz wenigen Fällen (nicht einmal bei
staiken Blutverlusten), wenn der Untergang der roten Blutkörper-
e heu ein sehr rapider gewesen ist, nimmt auch die Milz an der
Neubildung der Erytlirocyten teil.
Föten.91 Idem: Der Hergang von Blutkörperchengiften auf
, Verschiedene. Versuche an trächtigen Tieren zeigten, dass in
u i +1trUhere,n Trachügkeitsperioden eine Veränderung der roten
=0rpe^hen des Embryo bei Vergiftung der Mutter nicht statt-
nnuet, Aveder an den kernhaltigen noch an den kernlosen Formen.
™ in der ZAveiten Hälfte der Schwangerschaft, in der der
widerstandsfähiger geworden ist, gehen Blutkörperchen¬
gifte leicht auf den Embryo über.
-Rer Ueberg'ang der embryonalen kernhaltigen
roten Blutkörperchen in kernlose Erythrocyten.
diP , ;“ier^C^Ung des friscbeu Blutes, soAvie mit Formol (nach II.
nachwlie-XnfUnKSart bei Wuthaltigem Gewebe) gehärteter und
S Tr, ,ter Organe ergibt in gleicher Weise, dass der Ueber-
rit in , 1 k?rnl°s® Erythrocyten nicht durch Kernausstossung
k! .... 1 s c b)’ sondern durch allmähliche Auflösung
föltrt ieS lm ab»emeinen ohne Kernfragmentierung — er-
Konr. Schneider - Erlangen.
Veranlassung zur Sporenbildung und die Be¬
dingungen der Sporenbildung. Die Untersuchung
wurde ausgeführt mit dem anaeroben Buttersäure-
b a z i 1 1 u s, dem B. botulinus, B. sporogenes, dem
malignen Oedem und dem Rauschbrand,
Aon den Resultaten ist hervorzuheben: Die Anaeroben ent¬
wickeln sich bei Gegenwart von Sauerstoff in Mischkulturen mit
Anaeroben, sie vermehren sich dagegen nicht in abgetöteter
Aerobenkultur oder im Filtrat von Aerobenbouillonkultur.
Für das Wachstum der obligaten Anaeroben beträgt der maxi¬
male Gehalt an Sauerstoff ungefähr 0,0031 Prom. (d.li. ca. 0,008 ccm
Sauerstoffgehalt in 2620 ccm Glockenrauminhalt). Die nächste
Veranlassung zur Sporenbildung ist Nährstoffmangel; besteht unter
den günstigsten Bedingungen lebhaftes dauerndes Wachstum so
tritt niemals Sporenbildung ein.
Bei den fakultativ und obligat Anaeroben spielt der Sauer¬
stoff für die Sporenbildung eine grosse Rolle. Sie erfolgt schnell,
auch wenn der Nährboden noch nicht erschöpft ist. Unter
Wasserstoff und bei einem Luftdruck von weniger als 30 mm
bilden die Anaeroben niemals Sporen. Die besten Sporen wer¬
den bei 5—10 Proz. Traubenzuckerzusatz und einer Temperatur
von 34 — 38 0 gebildet.
Indirektes Sonnenlicht ist für die Sporenbildung schädlich,
ebenso schon geringe Säuregrade (0,15—0,25 Proz. Salzsäure)!
Gegen Alkali sind die Anaeroben widerstandsfähiger als gegen
Säure. R. O. Neu mann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 32.
1) D. v. Hansemann -Berlin: Ueber Heilung und Heil¬
barkeit der Lungenphthise.
Es ist unzweifelhaft, dass die Lungenschwindsucht heilbar ist.
Doch müssen natürlich in dieser Frage die verschiedenen Arten der
Phthise auseinander gehalten werden. Nach den Erfahrungen von
II. beginnt die eigentliche tuberkulöse Phthise fast ausschliesslich
in den Spitzen, für die primäre Lokalisation an anderen Stellen
müssen immer spezielle Gründe vorliegen. Es ist ausgeschlossen,
dass die akute käsige Bronchophtliise in Heilung übergeht, bei der
käsigen Hepatisation können kleine Herde eingesargt Averden, so¬
gar grössere, wenn sich reichlich BindegeAvebe darum bildet. Auch
Kavernen können heilen, einerseits durch Schrumpfung des um¬
gebenden Bindegewebes, andererseits durch Verwandlung des
Granulationsgewebes innerhalb der Höhle in festes BindegeAvebe.
Phthisen, welche über den Oberlappen hinausgreifen, haben fast
nie Aussicht auf definitive Heilung, während dieselbe bei kleinerer
Ausdehnung wohl eine endgültige werden kann, Avie die zahlreichen
Sektionsbefunde zeigen. Die Frage, ob ein Mensch, der noch viru¬
lente Tuberkelbazillen in sich beherbergt, die aber eingeheilt sind,
als geheilt zu betrachten ist, wird von Verfasser bejaht. In tuber¬
kulösen Herden können die Tuberkelbazillen viele Jahre lang viru¬
lent bleiben. Verfasser gibt dann noch einige differentialdiagnosti¬
sche Merkmale für die Unterscheidung der tuberkulösen von syphi¬
litischen Narben.
2) A. Au j e s k y und J. W e n h a r t - Ofen-Pest: Beiträge
zur Agglutination des Pestbazillus.
Aus ihren sehr zahlreichen Experimenten schliessen die Ver¬
fasser folgendes:
Das Serum auch des gesunden Pferdes kann den Pestbazillus
agglutinieren, aber nur bis zur Verdünnung 1:10. Das Pestserum
agglutiniert in grösserer Konzentration als 1:5 nicht nur den Pest¬
bazillus, sondern auch andere Bakterien. Das Blut gesunder und
an Tuberkulose leidender, fiebernder Menschen agglutiniert den
Pestbazillus nicht. Nach Immunisierung mit Pestserum erhält
manchmal das Blut des Menschen die Fähigkeit, den Pestbazillus
zu agglutinieren. Das Blutserum gesunder Kaninchen agglutiniert
den Pestbazillus nicht; jenes der mittels Pestserum immunisierten
Kaninchen agglutiniert ausnahmsweise. Der Urin gesunder Men¬
schen agglutiniert den Testbazillus nicht; aber nach Injektion des
Serums kann es Vorkommen, dass auch der Urin agglutiniert. Das
Blutserum der Kaninchen agglutiniert den Pestbazillus nicht, selbst
nicht nach Ilaffkinisation. Zu Agglutinationsproben ist auch der
Haffkine sehe Impfstoff anwendbar, doch ist die Reaktion mit
lebenden Pestbazillen lebhafter.
3) Goerges: Ueber neuere Arzneimittel: Aspirin und
Digitalisdialysat.
Vergl. S. 946 der Münch, med. Woehensehr. 1902.
4) E. A d 1 e r - Berlin: Beitrag zur Statistik der tertiären
Lues.
Die Zusammenstellungen beziehen sich auf 224 Fälle tertiärer
Lues, welche unter 1676 Luesfällen überhaupt zur Beobachtung
kamen. Die Durchschnittszahl der tertiär Gewordenen betrug
13,4 Proz. Das Auftreten von Tertiärerscheinungen vor dem 20.
und nach dem 60. Jahre ist selten. Die Hauterscheinungen nehmen
der Häufigkeit nach die erste Stelle ein. Bei fast % aller Fälle
der tertiär Gewordenen hatte im Sekundärstadium keine Behand¬
lung stattgefunden.
Archiv für Hygiene. 43. Bd. 4. Heft. 1 902.
~ Matzuschita - Halle: Zur Physiologie de
t b enhildung der Bazillen, nebst Bemerkungen zum Wachs
tum einiger Anaeroben.
sehr ausführliche Arbeit, deren Einzelheiten im Origin:
v, „ 1 sblb> behandelt die Methoden für die Anaero
n k u 1 1 u r, das Wachst u m der A n a e robe u, d i
5) W. R i e c h e 1 m a n n - Berlin: Eine Krebsstatistik vom
pathologisch-anatomischen Standpunkt.
Die hier mitge’teilte, höchst interessante Statistik bezieht sich
auf 711 Karzinomfälle, Avelche unter 7790 Sektionen im Kranken¬
hause Friedrichshain in Berlin binnen 6 Jahren zur Beobachtung
gelangten. Darnach war jeder 11. Fall, der zur Autopsie kam, ein
Karzinom. In 58 Fällen war die Diagnose auf Karzinom gestellt
worden, aao die Sektion kein solches ergab. 22 Froz. aller Kar-
1400
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHEN SCHRIET.
No. 33.
zinom fälle waren nicht erkannt worden. Diese Zahl ist also den
gebräuchlichen Statistiken hinzuzurechnen. Das Ansteigen da
Zalil der Karzinomfälle muss besonders aucli unter dem Gesichts-
nunkte betrachtet werden, dass heute viel mehr Menschen als
früher in das karzinomfähige Alter kommen Andererseits werden
viel mehr. Karzinome diagnostiziert wje^niher^md _
wird die Diagnose schliesslich noch bei der Sektion gestellt,
lasser lässt es dahingestellt, ob nach Einrechnung dieser Momente
noch etwas für eine wirkliche Zunahme der Karzinome übrig bleibt.
Hinsichtlich des schlechten Ernährungszustandes, der Kiebs-
kaehexie, kommt Verf. zu dem Schlüsse, dass dieselbe bedingt ist
durch Verhinderung der Aufnahme oder der \ ^ Ä
rung, durch die Ulzeration und Verjauchung des lumois, duich
Sitz und Zahl der Metastasen.
G) K Glaessner: Nachtrag zu meiner Mitteilung: ,, Zur
topographischen Diagnostik der Magengeschwulste in No. 29
d. Wochenschr. ^ ^ wQ der ralpationsbefund einen
Tumor an der kleinen Kurvatur nachwies, der Magenchemismus
aber einen Pylorustumor wahrscheinlich machte. Dei 48jahn»e
Kranke starb an einem Anfall von Tetanie und die Sektion ergab,
!h,s^ ein Pyloiuskarzinom vorhanden war und der Tumor an der
kleinen Kurvatur durch eine karzmomatose Lymphdi use
,1.e wegen I>.oSe „es Magens
worden war.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 32.
V D ev d en - Berlin: Carl Gerhardt j.
D M. W o 1 f f - Berlin: Perlsucht und menschliche Tuber¬
kulose. . u Verein für innere Medizin am 14. Juli 1002
gehaltenen ° Vortrag. Referat hierüber siehe diese Wochenschr.
N°- «n’waldvogel- Göttingen: Fistel zwischen Flexura sig-
moidea und Blase im Anschluss an perforierte Darmdiveitikel.
Kasuistische Mitteilung, welche wegen der Srfttnl ut
des mitgeteilten Falles besonderes Interesse bietet Aiissm ein
Beobachtung von Sidney .Tones hegt in dei Liteiatui kui -
! Sri, in der nekrotische Divertikel Veranlassung zu
Eitimbsaclaing zwis.hon Vtma mul Blase geben und in de>
RS je i'u- Berlin ' Ueber subkutane und submuköse
n-tSSÄ»«™ am 12. März 11102 in der Berliner
medizinischen Gesellschaft und am 5. April 1002 aut dem Deut
sehen Chirurgenkongress.
Referat hierüber siehe diese Wochenscln. !•»»_, No. 1 ,
nag. 4G7 und No. 17, pag. 723. nl
' 4) Tr eitel: Zwei Fälle von Verbrühung de= Ohres.
Nach einem am 10. Dezember 1002 in der Berliner otologisehen
Gesellschaft gehaltenen Vortrag.
Kasuistische Mitteilung von mehr spezialarztlicliem Intel esse.
5) T o m f o r d e: Eine Endemie von kruppöser Pneumonie
im Dorfe Laumühlen, Kreis Neuhaus an der Oste, Januar 1902.
0 ß eine w a I d - Nauheim: Ein heizbarer Universal¬
apparat für alle Arten von Ausspulungen für Spray und Luft¬
dusche. ^ ^ ^ m a u u . ciiarlottenburg: Dysmenorrhöe und
Aspyr' ^ Hvn'cli seine kasuistische Mitteilung weniger für den
Nutzeffekt des Aspyrins hei der Dysmenorrhoe nervosa be¬
weisend. als vielmehr zur Weiterprüfung anregend wirken.
S) ü. E in in e r i c h - Baden-Baden: Die Zusammensetzung
des „Antimorphins“. .
Sowohl die eigene Untersuchung, wie die m einer dei eisten
deutsehen chemischen Fabriken vorgenommene Analyse des voi
wenigen Wochen erst in den Handel gekommenen i‘ap«nites ei-
,v;li> klar und deutlich das Vorhandensein erhebt lchei Moi-
phinmengen. so dass vor weiterer Anwendung nicht genug • ge-
warnt werden kann. 1
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 32. Jahrg. No. 14
u. 15.
Armin H u her- Zürich: Ueber Blutdruckbestimmungen.
Instruktive Literaturzusammenstellung über neuere Apparate;
dazu Versuche an 5 Personen (Tabelle), bei welchen sich nur m
einem Falle, wolil wegen grösserer Korpulenz, ein Oeuthcb ei
leihender Einfluss der Körperanstrengung auf den Blutdiuck zeigte
Härtners und Iliva-Roccis Apparat sind vorläufig als
etwa gleichwertig zu betrachten.
W. L i n d t -Bern: Einige Fälle von Kiefercysten.. (. cliluss.)
f> Fälle. Differentialdiagnostisch gegenüber Empyem der
Ilhdimorsliöhle und einfacher Periostitis ist die Auftreibung des
Knochens wichtig. Als Ursache darf in 3 Fallen Zahnkaries an¬
genommen werden, welche die Epithelreste zur Wucherung und
die so entstandene Cyste später zur Vereiterung brachte. Therapie.
Alles Entzündete muss entfernt und eine epithelfreie W umlflache
geschaffen ^alj|(rnvain. La Chaux-de-Fonds: Zur Aetiologie der
Pneumokokkenperitonitis.
Im Anschluss an 2 Fälle (im einen Abszess nur mit Pneumo
kokken; diese noch nach 5 Monaten im Innern »los Wurmfortsatzes
gefunden) und durch kritisch-tabellarische Zusammenstellung dei
bezüglichen Fälle kommt Verf. zu dem Schluss, dass die „pri¬
märe"' Pneumokokkenperitonitis der Mädchen“, wie überhaupt eine
primäre Pneumokokkenperitonitis ein noch nicht genügend ge¬
stütztes Krankheitsbild und wolil teilweise auf einePneumokokken-
kippendizitis (Durchwucherung von Darm, Pleura etc.) zuiuck-
Ed. S t e f f e n - Regensdorf : Ueber Bruchbänder, nebst eini¬
gen einschlägigen Bemerkungen.
Spezielle Bemerkungen über Bruchbänder verschiedener Her¬
kunft, speziell gegen federlose Bruchbänder und Nabelbruchbander
imt o^ffer- Interlaken: Ein Fall von Antipyrinintoxikation.
Intoxikation nach 12 g (4 Tage lang je G X g) bei Gelenk¬
rheumatismus. Heilung. Dr- Piachingei.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 32. 1) Iv. Hel ly -Wien: Wechselbeziehungen zwischen
Bau und Funktion der Milz. . . ,
Verf f'ibt eine kurze U ebersicht über den jetzigen Stand dei
Histologie 'der Milz und betont besonders den Befund, dass der
Durchtritt von roten und weissen Blutkörperchen durch die h am
der Milzgefässe direkt beobachtet werden kann. Dafür bieten die
Wandungen der venösen Kapillaren, in welchen infolge ihrer Veite
ein sehr verlangsamter Blutstrom fiiesst, sehr günstige Bedingungen
dar. Die Funktion der Milz besteht in der Produktion von weissen
Blutkörperchen, ferner in der Fähigkeit, Fremdkörper, als welche
im physiologischen Sinne auch tote oder kranke rote Blutkörper¬
chen zu betrachten sind, in ihrem Innern zurückzubehalten, vei .
fasst daher die Milz auf als eine Lymphdrüse und zwar als eine
regionäre Lymphdrüse des Blutes.
2) C. Adrian- Wien: Ueber einen bemerkenswerten hall
von Neurofibromatosis.
Bei der öGjälir. Kranken, welche einen kretinartigen Gesichts¬
ausdruck darbot, aber psychisch keine Abnormität aufwies, war
der ganze Körper übersät mit Tumoren von Stecknadelkopf- bis
Ilaselnussgrösse. Eine mannesfaustgrosse, harte Geschwulst be¬
fand sich in der rechten oberen Schlüsselbeingrube, bei deren Ex¬
stirpation eine sehr heftige Blutung und der Tod in der Narkose
erfol°*te. Der Tumor erwies sich als Neuromyxom. herner fanden
«ich Neurofibrome des Darmes, miliare Fibrome auch in der Mageu-
und Darm wandung, sowie am Periost der rechten Tibia. Daneben
bestand eine Arthritis deformans des rechten Ellenbogen- und
Gi a. S c li e i b - Prag: Bericht über 6 Fälle von kiinstlichei
Frühgeburt mittels elastischer Metallbougie nach Knapp.
Bei Anwendung des Instrumentes, das sich durch grossei e
Biegsamkeit und absolut sichere Sterilisierbarkeit vor den
Kraus eschen Bougies auszeichnet, konnte von den 6 hallt n
5 mal die Zerreissung der Eihäute mit Leichtigkeit vermieden
werden Der Weheneintritt erfolgte binnen %— 5% stunden.
Die Gefahr einer Infektion mittels des Instrumentes erscheint tast
*4) C. Pezzoli: Ueber die Reaktion des Prostatasekretes
bei chronischer Prostatitis. r ....
Verf. führt aus. dass die von Lohnstei n gegen seine Kntik
der L o li n s t e i n sclien Arbeit erhobenen Einwände nicht zu¬
treffen. „ „ _ , , .
Th E s c li ericli: Nekrolog auf C. G e r h a r d t.
Grass m aun - München.
Vereins- und Kongressberichle.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 30. April 1902.
Vorsitzender : Herr C. E r a e n k e 1.
Herr Jacobitz: Heber Stickstoff sammelnde Bakterien
und ihre Bedeutung- für die Landwirtschaft. (Der Vortrag er¬
scheint ausführlich in der Münch, med. Wochenschr.)
Herr Fraenkel: Ueher das Vorkommen von Mikro¬
organismen in der gesunden Lunge.
Herr Fraenkel berichtet über Untersuchungen, die Herr
Prof. Quen sei ans Upsala im Winterhalbjahr 1900/01 im
hygienischen Institut zu Halle a/S. ausgeführt hat, um die frage
nach dem Vorkommen von Bakterien in den
A t m u n g swerkzeugen gesunder Tiere aufs neue
zu behandeln. Bekanntlich gehen die Ansichten der Forscher
über diesen Punkt noch vielfach auseinander. Während man
anfangs im allgemeinen geneigt war, die Lungen gesunder Ge¬
schöpfe etwa von der Glottis abwärts als keimfrei anzusehen,
haben sich in der letzten Zeit die Stimmen gemehrt, die diese
Tatsache bestreiten und behaupten, dass sich auf der inneren
Lungenoberfläche nicht selten sogar krankheitserregende Keime
finden, die mit dem Luftstrom dorthin gelangt sein sollen. Diese
19. August 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE
WOCHENSCHRIFT.
1401
namentlich von D ü r c k vertretene Anschauung hat dann eine
Reihe von weiteren einschlägigen Arbeiten zur Folge gehabt!
die jedoch zu einem völlig klaren Ergebnisse nicht gelangt sind!
Bei den kleinen Tieren des Laboratoriums wird zwar von der
Mehrheit der Autoren das Fehlen von Mikroorganismen in den
gesunden. Lungen als die Regel betrachtet; für grosse Tierarten
dagegen ist eine solche Uebereinstimmung der Ansichten bisher
nicht, erzielt worden und auf Veranlassung des Vortragenden
hat sich Herr Prof. Quensel daher die Aufgabe gestellt, ge¬
rade diesen Punkt noch einmal zu bearbeiten.
Unmittelbar nach der Schlachtung und nachdem die Tiere
an den Hinterfüssen aufgehängt und abgehäutet worden waren,
wurde die Brusthöhle eröffnet und nun mit aller Vorsicht ein
Stückchen der Lunge herausgeschnitten, das sofort in das Labora¬
torium gelangte. Hier wurde die Oberfläche des Gewebes mit
der Gasflamme abgebrannt und nun eine kleine, aus dem Innern
herrührende, etwa erbsen- bis bohnengrosse Probe auf flüssige
und feste Nährböden übertragen. Es ergab sich nun folgendes:
Die Lungen von Schweinen zeigten sich fast immer keim-
haltig. Indessen stellte es sich bald heraus, dass bei diesen
Tieren die Gewinnung einwandfreien Materials kaum möglich
ivai , da die Schweine sofort nach der Tötung in grossen Bottichen
abgebiiilit werden und bei dieser Prozedur, wie besondere Unter¬
suchungen zeigten, mehr oder minder erhebliche Mengen des an
Keimen reichen Brühwassers in die Lungen gelangten. Es
wurden daher die weiteren Ermittelungen auf Schafe,
Pferde und Kälber beschränkt. Hier zeigten sich nun die
Lungen in einem Teil der Fälle keimfrei, bei der Mehrzahl
abei wurden wechselnde, meist ziemlich spärliche, zuweilen jedoch
auch etwas grössere Mengen von Mikroorganismen nachgewiesen,
darunter besonders häufig Streptothricheen, ferner der Bac. sub-
tilis, Staphylokokken, seltener schon Streptokokken und aviru-
lente Pneumokokken. Es erhob sich nun natürlich die Frage,
woher diese Keime rührten. Eine postmortale Einwan¬
derung in die Lungen aus benachbarten Gebieten konnte bei der
Kürze der zwischen der Tötung und der Entnahme der Proben ver¬
flossenen Zeit mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Auch eine
zufällige äussere Verunreinigung hatte hier sicher
keine grosse Rolle gespielt, da die auf festen Nährböden sich
entwickelnden Kolonien nicht von der Oberfläche, sondern aus
den tiefsten, innersten Teilen der kleinen Gewebsstückchen all¬
mählich hervorwuchsen. Dagegen war mit der Möglichkeit zu
rechnen, dass die Keime durch die letzten tiefen Inspirationen
des verendenden Tieres, aus den oberen Abschnitten
der Luftröhre in die Lungen angesogen worden seien. Um
dies zu entscheiden, entnahm Quensel von den betreffenden
Tieren zugleich auch kleine Mengen des in der Trachea
haftenden Schleimes. Dabei zeigte es sich, dass irgend
eine Uebereinstimmung zwischen dem Bakterienbefund
hier und in den. Lungen nicht bestan d. Der Schleim war
zuveilen steril in lällen, wo die Lunge Mikroorganismen ent¬
hielt und umgekehrt, und wenn an beiden Stellen Bakterien
nachgewiesen werden konnten, so bot die Flora liier und dort
ein ganz verschiedenes Bild.
Es blieb also kein Zweifel, dass die in der Me h r zahl
er verarbeiteten Lungen in wenn auch meist recht
geringer Menge nachgewiesenen lebensfähigen
Mikroorganismen auch im Augenblicke des
o es hier vorhanden waren. Bei genauerer Ueber-
iegung wird diese Tatsache auch nicht wunderbar erscheinen kön¬
nen. Unsere Atmungs Werkzeuge stehen eben in offenem Zusammen-
Jmng mit der Aussenwelt. Wir sehen, dass mit dem Luftstrom
otaubeheu der verschiedensten Art bis in die letzten Verzwei¬
gungen des Bronchialbaums, bis in die Alveolen selbst getragen
werden und im Lungengewebe zur Ablagerung gelangen, und es
wäre geradezu unbegreiflich, wenn von dieser, für die unbelebten
« ( gültigen Regel die belebten eine Ausnahme machen
sollten. Immerhin scheint bei dieser Einfuhr mit der Atem-
’V 1 "ne gewisse Auswahl und Sonderung stattzuhaben,
wie tas namentlich das so häufige Vorkommen der Strepto-
thricheen zu erweisen scheint, die in 19 von 36 Lungen an¬
getroffen wurden und sich damit als bevorzugte Ansiedler dieses
Oebietes kennzeichnen.
Eine solche Auslese kann nun erfolgen entweder durch den
a v * c 1 i z i d e n und spezifischen Einfluss des Gewebes oder
durch Abstossung an die zugehörigen bronchialen L y m p li -
d r ii s e n. Um hierüber genaueren Aufschluss zu erhalten, hat
Q u e !x s e 1 nun auch die bronchialen Lymphdrüsen auf ihren
Keimgehalt untersucht und dabei in 28 von 94 Proben Mikro¬
organismen angetroffen.. Auch hier war die Zahl meist eine ziem¬
lich gelinge und entwickelten sich die Kolonien wie bei den
Lungenstückchen aus den innersten Teilen der Proben.
Nach alldem wird man über das Schicksal der durch den
Inspirationsstrom in die Atmungswerkzeuge getragenen Klein¬
wesen wohl. folgendes Urteil abgeben können: Die überwiegende
Mehrzahl dieser Keime wird in den oberen Abschnitten der Re¬
spirationsorgane, namentlich der Nase, festgehalten und entweder
getötet oder durch das Flimmerepithel wieder nach aussen be¬
fördert. Ein. gewisser Prozentsatz jedoch dringt in die tieferen
Gebiete, in die Luftröhre und sogar bis in die Lunge selbst vor.
Wie gross dieser Bruchteil, ist von mannigfachen Umständen
abhängig, so z. B. von dem anatomischen Bau der Mund-, Nasen-
nnd Kachenhöhle, von der wechselnden Beschaffenheit ihrer
Schleimhaut, dem verschiedenen Bakteriengehalt der einge¬
atmeten Luft u. s. f. So erklären sich die erheblichen Abwei¬
chungen nach der Tierart, nach den einzelnen Individuen, nach
besonderen zeitlichen und anderen Verhältnissen, und man wird
z. L. annehmen dürfen, dass der Mens c h mit seinem aufrechten
Gang und seiner freien Bewegung weniger Keime einatmen
wird, als die meisten Tiere, die mit den Schnauzen in ihrem tro¬
ckenen Futter oder auf dem Erdboden herumwühlen.
Die in die Lunge gelangten Bakterien nun werden hier nicht
etwa einfach abgelagert und angehäuft, sondern verschwinden
wieder, d. h. werden entweder abgetötet oder an die bronchialen
Lymphdrüsen weitergegeben. Meist wird wohl die Vernich¬
tung der Mikrobien hier in erster Linie in Betracht kommen,
und nur wenn es sich um pathogene Keime handelt und die Lunge
ihnen die erforderlichen Bedingungen für eine Vermehrung
bietet, kann dieses Organ auch zur Eintrittspforte für krankheits¬
erregende Schädlinge werden. Unter gewöhnlichen Verhältnissen
aber ist davon nicht die Rede und wird man auch in den Lungen,
wenn überhaupt, nur solche Keime antreffen, die erst kurz zuvor
hierher gelangt und ihrem endlichen Schicksal noch nicht an¬
heim gefallen sind.
Besprechung: Herr Lange berichtet im Anschluss an
die Mitteilungen des Vortragenden über einen Fall von Lungen-
zerreissung durch Unfall, bei dem es zu einer Infektion des ge¬
quetschten Organs und zum Tode gekommen sei. Wahrscheinlich
sei die Einwanderung der Keime hier von den oberen Luftwegen
aus erfolgt, indessen könne man nach den eben gehörten Aus-
fiili Hingen wohl auch an eine Wirkung in der Lunge selbst schon
vorher angesiedelter Mikroorganismen denken.
Herr Genz m e r hebt hervor, dass bei subkutanen Ver¬
letzungen der Lunge durch Rippenbrüche so gut wie niemals eine
Eiterung entstelle, selbst wenn ein Emphysem sich hinzugesellt hat.
Heil I l aenkel betont in Wiederholung seiner vorherigen
Bemerkungen, dass in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle
eine Infektion ausbleibe, aber ausnahmsweise eintreten könne,
wenn eben krankheitserregende Keime in den letzten Verzwei¬
gungen der Bronchien oder im Lungengewebe selbst vorhanden
seien.
Herr TJlrici bemerkt, dass die Patientin, von der Herr
I)r. Lange vorhin gesprochen, ohne Zweifel an einer erst später
hinzugetretenen Infektion gestorben sei.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 27. Mai 1902.
Vorsitzender: Herr Curschmann.
Schriftführer : Herr B r a u n.
Herr Schütz: Anatomische Untersuchungen über das
untere Längsbündel (Fasciculus longitud. inf.) und seine Be¬
ziehungen zur medialen Schleife.
Bei der Untersuchung eines m ikrogy rischen Gehirns hatte
Voitragender gefunden, dass das untere Längsbündel in seinem
ganzen Verlauf wohl erhalten war, während der grösste Teil des
Schläfen- und des Hinterhauptlappens bis auf die Ammons¬
windung in die Mikrogyrie mit einbezogen und in ein derbes
sklerotisches Gewebe mit zahlreichen kleinen Cysten verwandelt
war. Dieser Befund gab Vortr. Veranlassung, den Verlauf des
unteren Längsbündels an einem anderen Material zu unter¬
suchen, zumal da die Richtigkeit der Auffassung dieses Faser¬
zugs als eines Assoziationssystems, wie sie auch in den Lehr-
1402
MUENCHENER MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 33.
büchern der Hirnanatoraie dargestellt wird, m neuerer Zeit vo
F 1 e c h s i g bestritten wurde.
Das den nachfolgenden Ausführungen zu Grunde liegen
Material bestand aus vollständigen frontalen Schnittreihen von
einem 8 Monate alten menschlichen Fötus,, einem neugeborenen,
einem 12 Tage alten und je einem 4 und 5 Wochen alten M
welche mit der Pal sehen Modifikation der Weigert sehen
Hämatoxylinmethode behandelt worden waren Es boten m -
besondere die Präparate von dem 12 Tage alten Kind höchst
instruktive Bilder über den Verlauf des unteren Langsbundels.
Die Untersuchungsresultate sind kurz zusammengefasst fol-
"en<Die Fasern des unteren Längsbündels werden relativ zeitig
markhaltig. Sie waren sehen bei dem 8 monatlichen Fetus
schwach angedeutet zu sehen, waren beim Neugeborenen un
bei dem 12 Tage alten Kind ganz gut entwickelt, wahrend d
Fasern der sog. G r a t i o 1 e t sehen Sehstrahlung und eines
Teils des Tapetums noch nicht markhaltig waren. Diese Fasern
wurden erst bei dem 4 Wochen alten Kind markhaltig gefunden.
Von den Fasern des Tapetums waren nur diejenigen markhaltig,
welche die dem Seitenventrikel anliegende Seite des Ammons¬
horns bekleiden, während die den lateralen Teil des Seiten¬
ventrikels bekleidenden Fasern auf dieser Stufe noch nicht mar
haltig waren. ...... tt. . _
Da neben den Fasern des unteren Längsbundeis im Hinter¬
haupts- und Schläfenlappen markhaltige Nervenfasern beim
Neugeborenen und dem 12 Tage alten Kmd nicht gefunden
wurden, Hessen sich mit Sicherheit die Endigungen dieses Bün¬
dels zunächst in der Rinde feststellen.
Die Fasern des unteren Längsbündels endigten im Gyrus
lingualis und in dem diesem Gyrus anliegenden Teil des Cuneus.
Die Fasern bogen, um in den Gyrus lingualis zu gelangen all¬
mählich aus der fronto-oeoipitalen m die medio-laterale Richtung
um Den Gvrus hippocampi erreichten sie jedoch nicht sondern
erreichten erst dann die Rinde, nachdem der Gyrus lingualis
zur Ausbildung gelangt war. Es war nun bemerkenswert, dass
die zum Gvrus lingualis ziehenden Fasern einen anderen Ve
lauft hatten, als die, welche zum Cuneus zogen. Das untere
Längsbündel umgibt in der Nähe des Occipitalpols den Ventrik
in der Form, wie die Konturen des Ventrikels je nach dei
Schnittrichtung sind, bald mehr länglich, bald mehr rund lasst
aber einen breiten Raum zwischen sich und der Ventrikelwand.
An der Stelle, wo der Gyrus lingualis und Cuneus Zusammen¬
treffen, ist der Bogen, welchen das untere Längsbundei hier
bildet, offen und man sieht hier die Fasern von oben her m den
Cuneus einstrahlen, während die zum Gyr. lingualis ziehenden
von unten her diesen erreichen. _ , . , ?
Im Cuneus sowohl wie im Gyr. lingualis finden sich au
dieser Entwicklungsstufe zahlreiche zum Längsdurchmesser der
Windungen parallel laufende Fasern; quer verlaufende Fasern
fanden sich spärlich, Tangentialfasem gar nicht Der Bai
1 a r g a r sehe Streifen war demnach nicht ausgebildet.
Verfolgt man nun auf Frontalschnitten den Verlauf des
unteren Längsbündels nach dem Stirnpol zu,, so treten in seinem
Verlauf in seiner Stärke Veränderungen nicht ein bis zu den
ersten Schnitten, welche in das Gebiet des Thalamus opticus
f ‘lllcil
CIIier gehen einmal Fasern aus ihm ab, welche m die erste
Temporalwindung ziehen, dann nimmt es aber auch an Starke
bedeutend zu und seine Fasern beginnen aus der fronto-occipi-
talen Richtung nach der Mittellinie abzubiegen, bis es, weiter
frontalwärts schliesslich zwischen Thalamus opticus un, den
Corpora geniculata hindurchziehend, sich zur medialen Schleife
begibt und ein Bestandteil dieser wird. Es stellt dann den am
meisten lateral gelegenen Teil dieses Faserzuges dar. In der
Schleife zieht es eine Strecke weit abwärts bis zur Brücke und
biegt, dort angelangt, teils in ziemlich scharfen Windungen m
ventraler und medialer Richtung ab, teils losen sich seine Easern
in die dicht unterhalb der Schleifenschicht m der Brücke ge¬
legenen grauen Massen auf. Es ist mir bis jetzt nicht gelungen,
das Bündel weiter distalwärts zu verfolgen.
Dagegen ist der Verlauf dieses lateralen Teils der medialen
Schleife nach der Rinde zu bedeutend übersichtlicher. Nachdem
diese Fasern die Strecke zwischen Corpora geniculata und lha-
lamus opticus in Form eines geschlossenen dicken Stongap»-
siert lösen sie sich ziemlich schnell m eine Anzahl von laser
bündeln auf, die sich vor ihrem endhehen Ausemandergehm
mehrmals wieder untereinander verflechten. Dann geht em
dieser Faserbündel direkt lateral in die erste Schlafen Windung
ein anderer und wohl der grösste Teil geht seitlich von der
inneren Kapsel und dicht an ihr anliegend nach der Zentra d-
Windung. Ein dritter Teil wendet sich zunächst frontalwart,
und tritt dann in einzelnen Bündeln am lateralen Rande
Linsenkerns aus, um sich ebenfalls in die erste Schlafenwindung
zu begeben. Die Reste der Faserbündel gelangen noch über das
proximale Ende des Linsenkerns hinaus, wenden sich dann
vcntralwärts und endigen im Mandelkern, dicht am P^rinalen
Ende des Ammonshorns. Im Ammonshorn befinden sich aut
dieser Entwicklungsstufe in der Nähe der Eissura submiHi i
terna zerstreute, kurz abgeschnittene Fasern welche ^
frontalwärts an Zahl zunehmen und schliesslich ohne deutliche
Abgrenzung in das Fasergeflecht des Mandelkerns ubei-el ’
Inwieweit Fasern aus den Corpora geniculata mit den
Schleifenfasern ziehen und sich an der Bildung des un ere
Längsbündels beteiligen, habe ich nicht mit Sicherheit f^eUen
können, indessen ist dies nach dem Befund an einer Anzahl von
Präparaten mehr als wahrscheinlich. ...
Es war weiter festzustellen, dass neben den oben erwähnten
Fasern aus dem lateralen Teile der Schleife, welche zum unteren
Längsbündel ziehen, noch sehr ansehnliche Fasermassen aus
ihrem mittleren Teil durch den, noch keineswegs m einzelne
Kerne differenzierten und mit einem Fasergeflecht versehenen
Thalamus opticus hindurch in die innere Kapsel und zu den
Zentralwindungen ziehen. A„aa „:T1P
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich das, en
Verbindung der medialen Schleife und zwar ihres m der Gegend
des Hi rnschenkelf usses am meisten seitlich gelegenen Antem
mit dem Mandelkern bezw. dem Ammonshorn (?), den Zent <
Windungen, der ersten Schläfenwindung dem Cuneus und dem
Gyr lingualis besteht. Ein grosser Teil dieses Faserzugs w
durch das untere Längsbündel dargestellt, soweit es sich um den
Schläfen- und Hinterhauptslappen handelt.
An die eben mitgeteilten Tatsachen will ich hier keine
weitergehenden physiologischen Betrachtungen anschliessen, nur
folgendes bemerken : _
Nach den Untersuchungen von Schlesinge r und
Ho che ist die Annahme, dass die mediale Schleife ausschliess¬
lich zentripetale Fasern führe, hinfällig geworden Nach meinem
Dafürhalten ist derjenige Teil der Schleife, we c lor in seine
weiteren kortikalen Verlauf von mir beschrieben worden ist und
der vorwiegend zur Bildung des unteren Langsbundels beitragt,
identisch mit dem von H o ch e als solchen Gezeichneten moto¬
rischen Schleifenanteil“, welcher nach seinen Angaben direkte
Verbindung zu den Kernen des Fazialis und Hypoglossus hat
Demnach wären die Rindenzentren für die Sinnesorgane jedes
für sich, mit zentrifugal leitenden Fasern ausgestattet die zu
einer sehr frühen Entwicklungsstufe des Gehirns bereits maik-
^ Die Annahme ist naheliegend, dass vermittels dieser Ver¬
bindung die frühesten reflektorischen Bewegungen zu denen
z B die Abwehrbewegungen der Neugeborenen bei Reizung de
Sinnesorgane, der Lichtreflex der Pupille etc. gehören zu stände
kommen. Es ist dies um so mehr möglich, als im kindlichen
Gehirn zur Zeit nach der Geburt weder eine kortikale noch mira-
kortikale Verbindung der Sinnesnerven mit den Pyramiden
bahnen bis jetzt nachzuweisen gewesen ist. (Der \ oitrag
durch Zeichnungen erläutert.)
Ausführliche Mitteilung bleibt Vorbehalten.
Herr Schräder: Zur Symptomatik und Chirurgie der
N”e Vortragende stellte 4 Fälle von Geschwulstbild ungcu
an Nerven vor, die in den letzten 3 Jahren in der chirurgischen
Universitätspoliklinik und in der Privatklinik von Herrn Pro¬
fessor Friedrich beobachtet wurden.
1 Neurofibrom ata nervi cutan. fern, ant ext.
Bei einem 31jährigen Postschaffner reihten sich am linken
nuorsclienkel an eine walnussgrosse, halbkugelig prommierei < *
schwulst perlschnurartig 5 erbsen- bis hirsekorngrosse Tumoren .
die dmSi einen gut palpablen, straffen Strang miteinander ieibun
19. August 19Ö2.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
den waren. Diese Geschwulstreihe wurde in toto exzidiert und
der Patient dadurch von seinen Beschwerden befreit. An dem
demonstrierten Präparat sah man, dass der Nerv. cut. fern. ant.
ext. alle Tumoren zu einer Kette vereinigte; mikroskopisch er¬
wiesen sich die letzteren als sogen, „falsche“ Neurome.
2. Angione uroma nervi suralis.
Es hatte die heftigsten neuralgischen Schmerzen im linken
T nter Schenkel bei einem 13 jährigen Mädchen verursacht. Die
Diagnose war bei dem lokalen Befund nicht mit Sicherheit zu
stellen; bei der Operation wurde der Nervus suralis auf etwa 8 cm
von varikösen Gefässen umgeben gefunden und die mikroskopische
Untersuchung des exzidierten Nervenstückes ergab den seltenen
Befund, dass der Nerv selbst von zahlreichen varikös erweiterten
Gefässen durchsetzt war. Dieser Fall ist eingehend in der Disser¬
tation von O. M i c h a e 1, Leipzig 1900, geschildert.
3. Neuroma nervi ulnaris.
Hervorgehoben wurde die traumatische Genese (Hufschlag
gegen dien linken Oberarm im unteren Drittel), sowie der zentrale
Sitz des Neurofibroms, dessen operative Entfernung mit Wahruno¬
der Nervenkontinuität gelang.
4. Fibrosarcoma plexus brachialis.
Die differentialdiagnostische Abgrenzung des pulsierenden
Tumors gegen ein Aneurysma der Subklavia machte besondere
Schwierigkeiten. Bei der Operation fand sich ein gut abge¬
kapseltes, hühnereigrosses, im Innern cystiscli degeneriertes, ge-
fiissreiehes Fibrosarkom, das wie eingeklemmt zwischen den stark
gespannten und breitgedrückten Strängen des Plexus brachialis
sass. Eine genauere Beschreibung dieses Falles wird demnächst
in der Deutsch. Zeitsehr. f. Cliir. erfolgen. *)
Im Anschluss hieran wurde ein von Herrn Prof. Friedric li
operativ entfernter Plexus brachialis (heftigste Neuralgien 10 Jahre
nach Oberarmamputation) demonstriert, wo an den einzelnen
Strängen ein oder mehrere Neurome sich entwickelt hatten.
Herr Friedrich - Altenberg :
1. Demonstration eines 10 IV ochen alten Kindes mit seltener
Hernienbildung. Es handelt sich um eine kongenitale, echte, seit¬
liche Bauchhernie an der Grenze der linken Regio lumbalis und
iliaca, charakterisiert durch eine scharf umschriebene Bruchpforte,
die nach hinten begrenzt ist durch einen straffen, dickeren Muskel¬
rand, nach vorn gleichfalls durch einen etwas schmalkantigeren
Muskelrand, nach oben durch den Schnittpunkt dieser beiden
Muskelränder, nach unten von der Crista ossis ilei. Besonders
interessant und für die Aetiologie der kongenitalen echten Bauch-
liemien wichtig ist der Fall dadurch, dass sich bei ihm bereits in vivo
ante Operationen! mit ziemlicher Sicherheit zeigen lässt, dass auch
hier ganz analog dem von Wyss im Jahre 1892 veröffentlichten
Falle die Hernie ihre Entstehung Spaltbildungen in der Bauch
wandmuskulatur verdankt, die bedingt sind durch kongenitale
Muskeldefekte; letztere zeigen sich wieder in Abhängigkeit von
rontgenographiscli gut demonstrablen Knochendefekten an Rippen
und Wirbelsäule.
2. Die funktionellen Erfolge bei der modernen Behand¬
lung septischer Gelenke.
Nach kurzer Besprechung der grossen Wandlung, welche die
Asepsis sowohl auf dem Gesamtgebiete der operativen Chirurgie
wie im besonderen auf dem der Behandlung der septischen Pro¬
zesse gebracht hat, wird eine Reihe von Patienten vorgestellt,
die in den letzten Jahren im chirurgisch-poliklinischen Institut
der Universität Leipzig behandelt wurden wegen schwerer
akuter Gelenksepsis. Die eingeschlagene Behandlung-
war eine mit Rücksicht auf Resektion, Amputation oder Ex¬
artikulation absolut konservative; es wurde bei allen Fällen nur
frühzeitig ausgiebig inzidiert und das Gelenk breit drainiert.
In der Folgezeit der Nachbehandlung wurde das Gelenk absolut
ruhig gestellt; von Spülungen mit antiseptischen Lösungen
wurde prinzipiell abgesehen. Die funktionellen Resultate waren
bei allen Patienten recht günstige, ein Ergebnis, das. vielleicht
deshalb noch als wertvoller erachtet werden kann, weil die vor¬
gestellten Patienten eine ununterbrochene Reihe bilden, d. li.
funktionelle Misserfolge nicht dazwischen liegen. Dass so gute
Resultate erzielt wurden, mag zum Teil seine Begründung darin
finden, dass es sich bei den vorgestellten Kranken durchweg
nm jugendliche Individuen handelt. Hervorzuheben ist, dass die
Kranken samt und sonders in hochfebrilem und mehrfach sehr
heruntergekommenem Ernährungszustand der Behandlung zu¬
gingen, ^ dass die ersten Erscheinungen der Gelenkinfektion
5 20 Tage nach dem Beginn der liierseits ausgeführten Behand¬
lung vorausgingen, dass allenthalben reichlicher Eiter vorhanden
vai und stets Staphylokokken oder Streptokokken aus demselben
m Reinkultur isoliert wurden. Es handelt sich um Fuss-, Knie-,
Hüft-, Ellenbogen-, Schultergelenke. Besonders bemerkenswert
dürfte der mitdemonstrierte Fall sein, wo einer von der Nabel¬
schnur ausgehenden Eiterung eine beiderseitige Ellenbogen-
9 Bd. 64, H. 1—3.
gelenksepsis mit enorm reichlicher Eiterung folgte und doch
beide Gelenke funktionsfähig geworden sind.
Diskussion: Herr Braun bemerkt, dass die Gutartig¬
keit der septischen, metastatischen Gelenkeiterungen bei Kindern,
sowie der Umstand, dass sie nach einfacher Drainage mit Erhal¬
tung der Funktion ausheilen, lange bekannt sei, was daraus lier-
voigehe, dass \ olkmann ihnen einen besonderen Namen*
„Katarrhalische Gelenkeiterungen“ gab. Meist sind Streptokokken
die Ursache dieser Eiterungen.
Herr F r i e d r i e h: Die Bezeichnung „katarrhalische Gelenk-
eitei ung entspricht nicht den modernen pathologisch-anatomischen
Anschauungen; in dreien von den eben demonstrierten Fällen
war der Staphylokokkus die Ursache der Erkrankung.
Herr P. L. Friedrich demonstriert Kranke mit Amputa¬
tionsstümpfen des Unterschenkels nach der osteoplasti¬
schen Methode von B i e r. Die Methode hat peinliche Asepsis
und soigl'ältige Blutstillung zur Voraussetzung. Das kompliziert
erscheinende Verfahren ist technisch leicht und fast mit derselben
Geschwindigkeit, wie eine gewöhnliche Amputation, auszuführen.
Die Stümpfe imponieren insofern als ideale, als die Kranken zu
ihrer eigenen Freude — die Amputation des letzten der demon¬
strierten Kranken ist vor gerade 3 Wochen gemacht — auf ganz
leichten, von F. selbst gefertigten Prothesen, gut laufen. Die
Fixation der Periostknochenplatte war durchschnittlich nach 12
bis 20 Tagen eine vollständige.
Sodann führt Friedrich 2 Kranke als Beispiele -weit¬
gehender konservativerChirurgiean der rechten Hand
vor. Bei dem einen 36 jährigen Kranken (Zermalmung der Hand
durch Dreschmaschine) waren die Weichteile der Hohlhand ab¬
gewälzt, zerfetzt in mehrere Lappen, sämtliche Beugesehnen mit
Muskelstücken daran herausgerissen, ausser den Flexoren des
Zeigefingers und des Flexor, poll. long. Auch die Sehnen lagen
frei zu Tage. Abgewälzt war ebenfalls die ganze Daumenballen¬
muskulatur, herausgerissen der 5., 4. Finger, Metakarpus III,
grosse Teile des Metakarpus I. Stückbrüche zeigten Metakarpus
II, IV und V, das Metakarpophalangealgelenk des Daumen, das
I. Interphalangealgelenk des Zeigefingers, die Grundphalanx des
3. Fingers. Es wurde die Mittelhand, welcher der Metakarpus III
fehlte, sowie der Zeigefinger und Daumen zu erhalten gesucht.
4 Wochen nach erlittener Verletzung konnte der Kranke die Klinik
verlassen. Jetzt nach 4 Monaten trägt er eine schmerzlose Ilohl-
haudfldehe, einen Daumen und Zeigefinger, welche immerhin einen
Gebrauch zum Zufässen und Halten gröberer Gegenstände ermög¬
lichen.
Der zweite 46 jährige Kranke zog sich eine kleine Schnitt¬
verletzung der Hand zu, in deren Gefolge sich eine schwere Sepsis
entwickelte, welche mit wochenlang anhaltenden hohen Tempera¬
turen^ einherging. Als der Kranke in der 9. Woche der Verletzung
in F.’s Behandlung trat, war der Kranke ziemlich hinfällig; der
Arm war ungewöhnlich stark geschwollen bis zum Ellenbogen¬
gelenk; zahlreiche eiternde Fisteln, teils nach spontanem Durch-
bi ucli, teils nach Inzisionen zurückgeblieben, führten auf morsche
Knochenmassen. Das Röntgenogramm liess annähernd genau den
Umlang der septischen Knochennekrose vermuten. Vom Langen¬
de c k sehen Resektionsschnitt aus wurden die zerstörten Knochen¬
teile entfernt: sämtliche Karpalia, ausser Pisiforme, vollständig
Metakarpus I und V, die Basis von Metarkarpus II und III, Meta¬
karpus 1\ bis zur Mitte, Phalanx I und II des Daumens, die Ge-
lenkenden von Ulna und Radius. Die Temperatur fiel unmittelbar
ab; bei offener Behandlung ward das jetzige Resultat (nach bisher
D/s Monaten) erzielt, welches in Beweglichkeit der Hand im
Sinne einer Flexion von 20 0 und Extension von 15 °, geringerer Be¬
weglichkeit sämtlicher Finger und voller Schmerzlosigkeit einer
doch noch beschränkt gebrauchsfähigen Hand besteht.
Weiter demonstriert Herr Friedrich ein 1% jähriges
Kind, bei welchem sich eine Cephalohydrocele traumatica ent¬
wickelt hat.
Das Kind zog sich am 3. Juni 1901 durch Sturz aus einem
Stock Höhe eine 13 cm lange subkutane Schädeldachfraktur mit
Depression linkerseits zu. Es folgte Bewusstlosigkeit, intensives
Erbrechen. Am folgenden Tage mehrmals Krämpfe der rechten
Körperhälfte. Am 7. Tage Wiederkehr des Bewusstseins. 18 Tage
nach der Verletzung bekam F. das Kind erstmalig zu sehen. Da
momentan eine Indikation zur Behebung der Depression nicht be¬
stand, ward von operativen Massnahmen Abstand genommen.
Als das Kind am 8. Oktober 1901 F. wieder vorgeführt wurde, hatte
sich eine deutliche Asymmetrie des linken hinteren Schädel¬
umfanges ausgebildet in Gestalt eines grossen Höckers von 35 cm
Basisumfang, auf dessen Höhe breite Gehirnpulsation wahr¬
zunehmen war. Seit jener Zeit hat die pulsierende Geschwulst
langsam an Umfang zugenommen bis zu der heute zu demon¬
strierenden Grösse. Das Kind zeigt dabei keinerlei Störungen
seiner geistigen und körperlichen Entwicklung, so dass auch jetzt
eine dringende Indikation zu operativem Vorgehen noch nicht ge¬
geben ist. Die Ränder der Knochenlücke sind deutlich zugespitzt
durchtastbar; auch die Respirationsbewegungen teilen sich der
pulsierenden Geschwulst mit.
Bei einem anderen, ebenfalls demonstrierten 3 Jahre alten
Knaben, ward von F. vor 2 Jahren eine breitbasige Hy-
drencephaloeele occipitalis operativ beseitigt. Die Basis der halb¬
kugelig vorspringenden pulsierenden Geschwulst betrug damals
5 X 4j/2 cm. Nach Durchtrennung der haarlosen Hautdecke, sowie
der cystischen Arachnoidealhülle zeigte sich die Fortsetzung der
1404
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
Ilirnrindensubstanz in die Geschwulst als dünne Lamelle. Es be¬
stand Kommunikation mit dem rechten Seiten Ventrikel; im Halb-
kreis um die Geschwulst fanden sicli teleangiektatische, venöse
Gefässnetze, welche die Operation erschwerten. Nach Abtragung
der 1 1 ydroeneephalocele Hessen sich durch beiderseitige Umschnei-
dung der breiten Knochenlücke, je in einer Entfernung von V/3 cm.
beiderseits Feriostknochenlamellen gewinnen, welche am Lande
der Lücke im Zusammenhang erhalten mit dem Periost nach innen
umgeschlagen und vernäht wurden. Der Heilverlauf war ein re¬
aktionsloser; nur wurden Pulsschwankungen zwischen 100 und
110. am Tage nach der Operation heftiges, anhaltendes Erbrechen,
ohne alle Zeichen eines entzündlichen Vorganges beobachtet. Der
Schluss des Wundgebietes erfolgte so prompt, dass der Knabe
bereits am 14. Tage nach Hause entlassen werden konnte. Heute
erfreut er sich des besten Wohlseins, macht einen geistig frischen
Eindruck, entwickelt sich nach Aussage des mitanwesenden Vaters
ganz normal und zeigt keine Spur von Hydroceplialus. An Stelle
der früheren Geschwulst liegt über dem jetzt festen knöchernen
Anschluss eine verschiebliche, haarlose, weiche Hautdecke.
Sodann werden von Friedrich zwei Kranke demonstriert,
wo im ersten Falle (46 jähriger Herr) wegen eines apfelgrossen
Tumors der Dura mater eine erfolgreiche Trepanation, un zweiten
Falle (42 jährige Frau) wegen Leontiasis cranii eine breite Ab¬
nagung des knöchernen Schädeldaches mit sehr befriedigendem Er¬
folge von ihm ausgeführt wurde. Der eingehendere Bericht über
beide Kranken wird in einer Sonderbearbeitung demnächst m
dieser Wochenschrift erscheinen.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 3. Juli 1902.
Herr Friedrich Merkel berichtet über folgende in seiner
Klinik operierte Fälle: .
1. 56 jälir. VII. Para kam wegen grossen Prolaps m die
Sprechstunde. Die Untersuchung ergab: L Mammakarzinom mit
Drüsen in der Achselhöhle; faustgrosser Nabelbruch mit n-
reponiblem Netzinhalt, linksseitiges Ovarialkystom (115 cm Bauch-
uml'an»)! Zuer.-t Mammaamputation mit Drüsenausraumung;
nach fo Tagen Laparotomie mit Entfernung der Cyste und der
vollständigen Nabelhernie, Netz reponiert, Ventrofixation. Glatter
Verlauf. t.. , . . ....
2 42 jälir. Nullipara. Multiple intraligamentär entwickelte
Myome im kleinen Becken eingekeilt; rechtsseitiger faustgrosser
Ovari, ntunior; supravaginale Uterusamputation mit retroperi-
tonealer Stielversorgung. Heilung.
32 jiilir. Nullipara. Apfelgrosses Fundusmyom. Uterus mit
zahllosen bis stecknadelkopfgrossen Myomkeimen durchsetzt;
supravaginale Amputation. Heilung.
} 37 jähr. IV. Para. Apfelgrosses submukoses Myom, im
Beginne, zu verjauchen; nach Durchschneidung der Portio vaginal
enukleiert. Heilung. .,
Herr Carl Koch berichtet über einen lall von Infektion mit
Impfgift an der Wange einer alten Frau.
tiplen Abszessen — bei Typhus abdominalis.. Er möchte diese
als Neplirotyphus“ bezeichnen, indem die Nierenveränderungeu
in beiden Fällen zur Zeit der schwersten typhösen Affektionen
im Körper, durch den Typhusbazillus bewirkt, auftraten.
Herr Ulbrich berichtet über einen Fall von Ophthalmia
nodosa, bedingt durch den Anwurf einer Raupe gegen das Auge.
In einem Knötchen der Konjunktiva konnte ein glattes Kaupen-
liaar mikroskopisch nachgewiesen werden. w-
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 14. Februar 1902.
Herr Czermak berichtet über den Leichenbefund bei einer
",<) jährigen Frau, welche wiederholt wegen Keratitis neuropara-
lytica, Abduzenslähmung und Trigeminusneuralgie antiluetisch
ohne Erfolg behandelt worden war, jedoch waren unter Queck¬
silber eine Reihe von gummösen Prozessen auf der Hornhaut und
der Rachenschleiniliaut zur Heilung gebracht worden. Die Dia-
«•nose eines raumbeschränkenden Gummas in der mittleren
Schädelgrube wurde bei der Sektion nicht bestätigt, hingegen fand
sich ein subdural sitzendes Aneurysma der Carotis interna, dessen
plötzliches Heissen den raschen Tod bedingte.
Herr Chiari demonstriert das hinzugehörige Präparat und
meint, obwohl sich im Körper nirgends ein für Syphilis sprechender
Befund fand, das Aneurysma könnte doch eine Folge einer lue¬
tischen 'Wanderkrankung des Gefässes sein.
Herr Alfred Fischei berichtet über einen jungen patho¬
logischen Embryo.
Herr L u c k s c h demonstriert die Genitalorgane eines
33 jähr. Weibes, bei dem durch Berstung einer graviden Tube der
Tod eingetreten war. L. hält es für möglich, dass ein in der linken
Ecke des Fundus Uteri sitzender, gestielter, haselnussgrosser
Polyp die Fortbewegung des Eies hinderte und so die Veranlassung
für die Entstehung der Tubargravidität abgab.
Herr Springer demonstriert 4 Fälle von Vaginal tuber¬
kulöse aus einer Reihe von 12 bearbeiteten Fällen dieser Art.
2 illustrieren den häufigsten Typus (sekundäre Tuberkulose der
Vagina nach Tuberkulose des Uterus). Im Falle war die lubei-
kulose der Zervix, die zur Vaginaltuberkulose geführt, auf dem
Boden eines Ektropiums entstanden. Der 4. Fall zeigt den Durch¬
bruch eines tuberkulösen Geschwüres in die Vagina mit weiterer
Ulzeration derselben.
Herr Scheib demonstriert 2 Präparate von . schwerster
Nierenaffektion — intensiver akuter Morbus Brightii mit mul¬
Rostocker Aerzteverein.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 10. Mai 1902.
Herr Schuchardt: Psychiatrische und neurologische
Erfahrungen auf dem Gebiete der Unfallgesetzgebung. (lhi
Vortrag erscheint in dieser Wochenschrift.)
Herr Peters: lieber Erfahrungen bezüglich des In¬
validen- und Unfallversicherungsgesetzes vom augenärztlichen
Standpunkte. (Der Vortrag ist in No. 28 dieser Wochenschrift
erschienen.)
Sitzung vom
14.
u n i
1902.
Zuerst hielt Herr Körner seinen Vortrag über : Soziale
Gesetzgebung und Ohrenheilkunde. (Der Vortrag ist m No. 31
dieser Wochenschrift erschienen.)
Herr Körner spricht ferner über : Die Spontanheilung
von Aneurysmen im Anschluss an einen vorgestellten lall.
Frau W., 68 Jahre alt, kam im September 1808 in die Ohren¬
klinik mit der Klage über lästige Pulsgeräusche im linken Ohre,
die in den letzten Wochen so stark geworden waren, dass die
Kranke keinen Schlaf mehr fand. Die Geräusche winden lei-
ursacht durch ein fünfmarkstückgrosses Aneurysma der Artena
oceipitalis und verschwanden nach der operativen Entfernung des¬
selben. Es stellte sich jedoch schon nach einem Monate ein Re¬
zidiv ein, das bald Markstückgrösse erreichte. In dieser Aus¬
dehnung blieb es bestehen und wurde noch im Herbste 1001 von
dem Vortragenden konstatiert.
Anfang Juni 1002 kam die Patientin wieder, um mitzuteilen,
dass die pulsierende Geschwulst von selbst verschwunden sei. In
der Tat ist keine Spur mehr davon aufzufinden.
Die geheilte Patientin und die Photographie der Geschwulst
werden demonstriert.
Fs folgte Herr Dr. W e x a. G. mit der von ihm angekundigten
Demonstration des R o t li - D r ä g e r t sehen Narkose- sowie
Sauerstoff inhalationsapparates.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie de medecine.
Sitzung vom 8. u n d 15. Juli 1002.
Die Appendizitis.
Di e u 1 a f o y machte eine längere Auseinandersetzung, welche
in dem Grundsätze gipfelt: „Wartet man mit der Operation, bis das
akute Stadium vorüber ist, so setzt man den Kranken dein sicheren
Tode aus“. Bei den tödlichen Zufällen der Appendizitis spielt die
1 n t o x i k a t i o n eine grosse Rolle. Nimmt man die Operation
etwas spät wenn die Infektion und Intoxikation den Kranken
schon in unheilbarer Weise ergriffen hat, vor, so muss man mit
Misserfolgen rechnen, auch wenn das akute Stadium noch nicht
vorüber ist. Zur rechten Zeit operieren, das ist die Hauptsache.
Alle Fälle von akuter Appendizitis, selbst sehr schwere und
solche mit rapidem Verlauf, welche D. operierte oder nicht spater
als am zweiten Tag operieren liess, sind vollständig geheilt; bei¬
nahe alle Fälle, welche am dritten Tag operiert wurden, kamen
zur Heilung, trotzdem schwebten bei einigen derselben die Ope¬
rierten mehrere Tage lang in Lebensgefahr. Bei jenen, welche
am vierten Tag oder noch später operiert wurden, waren zwar
noch sehr zahlreiche Erfolge vorhanden, aber die Misserfolge
hängen von der Infektion und Intoxikation ab, welche vor der
Operation Zeit gehabt haben, einzuwirken. All dies beweist, dass
wir Aerzte eine richtige Diagnose zu stellen uns bemühen müsse«.
Von den Kranken oder deren Angehörigen wird der Beginn des
Leidens meist mit dem Auftreten heftiger Schmerzen angenommen,
eine genaue Untersuchung lehrt aber, dass eine Appendizitis
welche scheinbar erst am zweiten Tage besteht, in \\ lrklichkeit
bereits 3 oder 4 Tage zurückdatiert oder eine andere von angebiicii
dreitägiger Dauer schon 5 — 6 Tage vorhanden ist. Diese Kleinig¬
keiten haben eine ausserordentliche Wichtigkeit bei einer Krank¬
heit, wo in 24 und sogar in 12 Stunden ein völliger Umschwung
eintreten kann. .
Cli ante messe möchte neben der Rolle der Toxine die ver¬
schiedene Virulenz der Keime selbst berücksichtigt wissen. Ge¬
wisse Mikroorganismen führen eine Nekrose der Wand des Wurm¬
fortsatzes herbei und befallen den ganzen Organismus, was dann
immer einen äusserst schweren Fall bedeutet.
C li a m p ionniere stimmt mit Dieulaf oy in seinem
eingangs genannten Grundsätze überein. Man muss den Ilerd der
19. August 1902.
MITENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ukuten Appendizitis unterdrücken, wie man jeden Eiterherd unter¬
drücken muss Ohne Zweifel ist die Diagnose zuweilen schwierig
aber die Aftektionen, welche schwanken Hessen (Tuberkulose’
Darmokklusion), erfordern selbst einen Eingriff, so dass die One-
ration vollständig gerechtfertigt ist. *
.. Dieil!af°y besteht in seinem Schlussworte darauf, dass
die Appendizitis nicht nur eine lokale Krankheit, sondern eine all¬
gemeine toxi-infektiöse sein kann; es gilt darum, diese Verall¬
gemeinerung zu verhüten.
Der tuberkulöse Rheumatismus.
Nach den Untersuchungen von Poncet gibt es ebenso einen
sog; abartikularen Rheumatismus wie einen artikulären tuber¬
kulösen Rheumatismus, beide gehören zur Klasse des infektiösen
odci 1 seudorkeumatismus. Zu ersterer Art sind zu rechnen die
Ivardiopatluen, Meningealreizungen, Dermatosen, Neuralgien Polv-
neuritis u. s w Sie bieten u. a. folgende Eigentümlichkeiten:
1. Im \ erlaufe des tuberkulösen Gelenkrheumatismus aufzutreten
aber auch zuweilen, ohne dass ein solcher vorhanden ist oder
früher bestanden hat; 2. oft mildere rheumatische Formen der kli¬
nisch charakterisierten Tuberkulose darzubieten, indem die Ge¬
lenke leichter beweglich sind und die Heilung eine raschere ist-
3. von Seite der ergriffenen Organe Veränderungen zu zeigen'
weJche von der einfachen Fluxion Dis zur unheilbaren Sklerose
gehen können. Diese Veränderungen haben meist gar keinen tuber¬
kulösen Charakter im anatomischen Sinne dieses Wortes und sind
als Reaktionsprodukte von Veränderungen, welche bei anderen
Infektionskrankheiten Vorkommen, nicht zu differenzieren 4 Sind
Eese Afifektionen entweder direkt durch den K o c li sehen Bazillus
(bazilläre Tuberkulide) oder durch dessen Toxine (Toxi-Tuber-
kulide) verursacht.
140;:
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Bayerischer Landtag.
Die in den früheren Sitzungsperioden oft erörterte Frage der
Apothekenkonzessionen wurde dieses Mal aus der
Mitte des Hauses nicht aufgeworfen. Dagegen lag eine Petition
des Stadtmagistrates Pfreimd und mehrerer benachbarter Ge¬
meinden vor, dem in P. ansässigen Arzte die Führung einer Hand-
apotlieke zu gestatten und die einschlägigen Bestimmungen der
Apothekenordnung abzuändern. Begründet war die Petition damit
dass der Ort P. allerdings nicht, wie in dieser Verordnung ver¬
langt. 2 geometrische Stunden, sondern nur 5,0 km von der
nächsten Apotheke entfernt sei, ein Arzt ohne Handapotheke in P.
sich nicht halten könne und daher ein häutiger Wechsel stattfinde
das I ublikum den doppelten Weg zum Arzt und zum Apotheker
scheue und daher lieber gleich zum Kurpfuscher gehe, der ihm
auch die Heilmittel verabreiche. Darüber war noch „speziell ge-
uagt , dass das Pfuschertum in der dortigen Gegend „fürchterlich
überhand genommen“ habe.
Bei den Ausschussverhandlungen wurden von den Ministerial-
mnnmssaren die einschlägigen Verordnungen auseinandergesetzt
und bemerkt, dass auch in Fällen, in welchen eine Entfernung
von geometrischen Stunden nicht vorliegt, z. B. in unwegsamen
mgenden, bei vorhandenem Bedürfnisse die Bewilligung zur Er¬
neurung von Handapotheken verliehen werden könne; hiebei sei
nun Standpunkte der Bedürfnisse des Publikums auszugehen; die
e< eu ring der Handapotheken sei nicht darin zu suchen, damit
F m t Vlten‘ Der Arzt betrachte die Handapotheken
f ,Lt.fs Einnahmemittel (was doch auch beim Apotheker der
lau ist lief.). Vollapotheken Hessen sich dadurch nicht er-
hnit!!1’ •• T eille g^sere Anzahl von Medikamenten vorrätig
„P]Aen .mussten, immer zur Verfügung ständen und ein Pharma-
StiTr? Ap0t?eke, anders führe aIs ein Al'zt; vom rein medi-
TT„.lr1 (n ‘ taatlpunkte aus sei es nicht erwünscht, noch mehr
",POtheo?n zu bekommen; in der Oberpfalz stünden 51 Voll-
DotluFen 24 Handapotheken und in Oberbayern 135 Voll-
mese Konkurrenz.
titinJ’S- uPOthekei'gremien hatten in eiuer Eingabe gegen die Pe-
SteHung genommen und verlangten wegen der Benacliteili-
eim. Apotheker eine Einschränkung der Handapotheken und
eme Ausemanderhaltung der beiden Berufe
sie 4,1'? dTie !>etition sich mit der lokalen Frage befasste, wurde
örtevnL • Instanzenweg noch nicht betreten war, als zur Er-
VhR Wnn“ 1 enU“ niJcht Seeignet erklärt, dagegen, soweit sie die
iun°' vm. Nvdeii • AP°tbekenordnung anstrebte, der Staatsregie-
vielf',,ri n-?n" hinübergegeben. Eine Revision dieser
vom ‘ 1 •( u ro V ebloc'bei’ten nnd abgeänderten Apothekenordnung
und dm o+n, , (|eren Hauptinhalt noch das Konzessionswesen
notwpudi •' U< e"i' ertretung der Apotheker bilden, erscheint dringend
StiÄ T Si°llte Yegen der in Anssicht gestellten reichs-
schobin wertem 6 U,g AP°tbekenwesens nicht länger ver-
zeütisellpn6«6 Ansoinanderhaltung des ärztlichen und pharma-
tretumwn Spr,eC^n sieh auch die ärztlichen Standesver-
Aerzten L ‘ ’ obwohl <lle Pharmazeutische Grossindustrie den
barer „nri lSm Redie gebrauchsfertiger, dabei billiger, halt¬
müssten Arznmpraparate an die Hand gibt; nur
Befimnissc l 5i\SeitS a^c 1 die Apotheker sich mehr innerhalb ihrer
das VnmSJ, teU 1Jnd das noch vielfach geübte Ordinieren und
luistn von Arzneimitteln gegen Krankheitszustände unter¬
lassen. Solange ärztliche Handapotheken im Interesse des I'ubli-
kums notwendig und die Voraussetzungen für eine Vollapotheke
nicht gegeben sind, werden sie wohl oder Übel weiterbestellen
aiu.sf.en: Auf den einen Misstand sei noch hingewiesen, dass hin¬
sichtlich der Abgabe von Arzneien die Kurpfuscher weit weniger
Beschränkungen unterliegen als die Aerzte; während letztere nur
die in Notfällen gebotenen oder die von ihnen selbst örtlich zu
applizierenden Arzneien abgeben bezw. anwenden dürfen, können
die Kurpfuscher alle Arzneien abgeben, deren Verkauf nicht durch
Kaiserliche Verordnung ausschliesslich den Apotheken vorbe-
llctl lö l.
Der Etat der Hebammenschulen ward ohne Dis¬
kussion genehmigt. Die staatlichen Ausgaben liiefür beziffern
sich pro Jahr auf 51 550 M„ 15 940 M. mehr als in den voraus¬
gegangenen Jahren. Die Erhöhung ist veranlasst durch die Auf¬
stellung eines weiteren Repetitors in München, durch die Ver¬
längerung der Hebammenkurse von 4 auf 5 Monate und durch
die Einführung von 4 wöchentlichen Repetitionskursen. In Mün¬
chen und Bamberg werden jetzt jährlich doppelte Kurse abge¬
halten; an der Münchener Hebammenschule wird daher künftig
das ganze Jahr hindurch Unterricht erteilt, 2 mal je 5 Monate re^et
massige Kurse und 2 mal 4 wöchentliche Repetitionskurse.
Eine unangebrachte Sparsamkeit entwickelte die Abgeord¬
netenkammer. indem sie den von der Regierung geforderten Be¬
trag von 5000 IM. für Förderung des T a u b s t u m m e n u n ter-
rielits überhaupt auf 3000 M. herabminderte und 2100 M. zur
Aufstellung weiterer Lehrkräfte für den besonderen Unterricht
der Zöglinge mit Hörresten ablehnte. Die Bezold sehe Me¬
thode, mittels der kontinuierlichen Tonreihe die Taubstummen
auf Hörreste zu prüfen, und ihre Bedeutung für die Entwicklung
des Taubstummenunterrichts musste zwar auch von der Majorität
anerkannt werden, jedoch stellte sich letztere auf den Standpunkt
es sollten zunächst die Fachmänner sich darüber einigen, ob bei
dem raubstuinmenunterrielit die Trennung nach geistigen Fähig¬
keiten oder Hörresten erfolgen solle. Eine Konferenz von Sach¬
verständigen, zu deren Einberufung die Staatsregierung sieli be-
I F®1* «^'klarte, wird zur Klärung einer Reihe von Fragen, wie Aus¬
bildung und Vermehrung der Taubstummenlehrer, Schul- bezAV.
Anstaltszwang, Dauer des Unterrichts, einheitliche Anstalts¬
visitationen. Informationskurse für Aerzte und Lehrer, Gewährung
von Stipendien etc. zweifellos beitragen; mit welcher Unterrichts¬
methode jedoch die Taubstummen am besten zu selbständigen
brauchbaren Gliedern der menschlichen Gesellschaft heran¬
gebildet werden, darüber kann nur die Praxis entscheiden und
es sollten daher die Versuche mit der Bezold sehen Methode
in grosserem Masstab fortgesetzt werden können.
Wenig Humanität verriet eine Beschwerde über das
Zentralblindeninstitut in München: dasselbe hatte an
einen Bäckermeister für ca. 200 M. Körbe. verkauft: ein Gewerbe¬
treibender. dessen Kunde dieser früher war. beklagte sich über
diese Konkurrenz und ein Abgeordneter nahm sich dieser Be¬
schwerde an.
Bei der Position „Z e n t r alanstalt für Erzieh u n g
und Bildung krüppelhafte r K inder i n Münche n“
regten die Abgeordneten Schmitt und Dr. Ha über an, die¬
selbe in eine orthopädisch-chirurgische Heilanstalt umzuwandeln,
da es an einer solchen für unbemittelte krüppelhafte Kinder in
Bayern fehle; es würde daraus für das Land ein doppelter Segen
entspringen, da die Studierenden Gelegenheit zur praktischen Aus¬
bildung in diesem Fache bekämen. Der k. Regierungskommissär,
Regierungsrat Pracher, verkannte nicht die Wohltat einer
solchen Anstalt, äusserte jedoch gegen die vorgeschlagene Aen-
derung Bedenken wegen des Stiftungscharakters und der Organi¬
sation der Anstalt; eine orthopädische Heilanstalt müsste avoIH
als eigene und neue Anstalt geschaffen werden.
Der Allgeordnete Kohl hielt sich in erregter Weise darüber
auf, dass in einem Bezirksamte für diejenigen Kinder, die beim
> chuleintntt noch nicht 6 Jahre alt sind, ein ärztliches
Zeugnis über die körperliche und geistige
Reife verlangt werde; das sei eine grosse und unnötige Härte,
die keinen Sinn habe, eine Schikane; der Schulinspektor und der
Lein (‘i a erständen da mehr als der Arzt: für die Landwirtschaft
sei es ein Segen, wenn die Kinder früher in die Schule kommen
und dafür früher, schon mit 13 Jahren, entlassen Averden. Seinen
Ausführungen Avurde von dem Abg. Wirt h widersprochen: Wenn
die Kinder erst mit vollendetem 0. Lebensjahre in die Schule oin-
treten und bis zum 14. Jahre darin verbleiben, Avürden sie sicher¬
lich mehr lernen und dem Unterricht mit mehr Verständnis folgen:
fiii viele sei doch der Unterricht in der Volksschule der einzige,
den sie haben, und gerade das letzte Jahr, das 13.. sei oft das
entscheidende, avo sie am meisten aufnehmen könnten. Auch der
k. Regierungskommissär, Ministerialrat Leichtenstern, er¬
klärte, dass Kinder, die mit 5% Jahren in die Schule kommen,
oft schwer mitkommen, sehr häufig ein Ballast für die Schule
und den Lehrer seien und ihre frühe Aufnahme in die Schule Aveder
ihrem körperlichen noch geistigen Wohle zuträglich sei; die Frage
der Zeugnisse über die Schulreife, zu der die bayerischen Aerzte-
kammern bereits Stellung genommen haben, würde gelegentlich
der Revision der Verordnung über die Schulpflicht gewürdigt
werden.
Für Vorarbeiten und Herstellung atoii Plänen zum Neubau
der Augenklini k, d e r A nato m i e und des R ei¬
sin g e r i a n 7i m s in München wurden vom Landtage
15 OtiO IM. bewilligt, über die weiteren Mittel soll in der nächsten
Sitzungsperiode beschlossen werden. Für den Neubau der Ana-
1406
MUENCHENER MEDICINI SCHE WOCHEN SCHRIFT.
No. 33.
tomie ist der städtische Bauhof in Aussicht genommen für die
Augenklinik und das Reisingerianuni der von der Stadt zu ci-
werbende Platz des Elisabethenspitals. Ueber die ^ erwendung
der bisherigen Gebäude wurde noch nicht diskutieit, das Gt au e
des Reisingerianums könnte nach seiner Auflassung tui eint
Bau des Pettenkof er-Hauses in Betracht kommen; bei
seiner zentralen Lage wäre es dazu tvie geschaffen.
Bayerische Reichsrats k a m mei.
Aus den Beratungen über den Kultusetat verdient bemerkt
zu werden, was der Referent Reichrat v. A u e r über die früher
erwähnte Konfessionsstatistik der TT n i v e r
urofessoren sprach: In einem paritätischen Staate sollte man
«Tauben dass eine solche Frage überhaupt, nicht zur Erörterung
komme.’ Er habe die konfessionelle Parität von jeher nicht so
aufgefasst, dass man prozentual nach der Zahl der Bevölkerung
der einen oder anderen Konfession auch Professoren der einen
oder anderen Konfession aufstellen müsse, er fasse vielmehr die
Parität dahin auf. dass die Konfession für niemanden in Bayern
ein Hindernis bilden soll, zu einem Amt oder einer Professur zu
«ela ngen. Andernfalls könnte man zu dem Resultat kommen,
dass man, nur um Professoren einer bestimmten Konfession zu
bekommen, unbefähigte oder minderbefähigte nehmen müsse, bloss
weil sie Katholiken oder Protestanten seien; ein solcher Zustand
wäre doch undenkbar. , .
Dem Beschlüsse der Abgeordnetenkammer auf Emchtung
eines Lehrstuhles für Ho m ö opat lii e stimmte auch die
Kammer der Reichsräte mit grosser Majorität zu. Der KMereut,
Reichsrat v. Auer, beantragte namens des Ausschusses Zustim¬
mung und begründete dies mit dem Hinweise auf den Wechsel
der Anschauungen und die häufigen Neuerungen m der medizini¬
schen Wissenschaft und der Erweiterung derselben durch die
sozialpolitische Gesetzgebung. Der Wunsch nach einem homöo¬
pathischen Lehrstuhl sei vollständig gerechtfertigt. Eine andere
Frage sei es allerdings, ob sich eine geeignete Persönlichkeit finden
lasse, die dieser Lehraufgabe vollständig gewachsen sei: allein dies
zu entscheiden, sei nicht Sache der Kammer und wenn die Homöo¬
pathie sich als Wissenschaft noch so wenig entwickelt habe, dass
sich keine solche Persönlichkeit finden liesse, dann wäre allerdings
der Beschluss der Abgeordnetenkammer illusorisch. Es sei auch
gesagt worden, die Homöopathie könne ihre volle Wirksamkeit
nicht entfalten, solange ihr nicht ein öffentliches Spital zur \ er-
fügung gestellt werde; dagegen spreche sich die Mehrheit des Aus¬
schusses aus dem einfachen Grunde aus, weil man niemanden
zwingen könne, sich nach einer bestimmten Heilmethode behan¬
deln zu lassen, besonders nach einer solchen, die sehr viel Gegner
habe und deren Erfolge zum mindesten nicht mehr erprobt seien
als die der klinischen Heilmethode. Ausser dem Referenten ver¬
wendete sich nur noch der Reichsrat Frlir. v. S o d e n tur den
Ausschussantrag: er schwärmte von einer sehr grossen Zahl der
Anhänger der Homöopathie, bezog sich auf die amerikanischen
Verhältnisse und liess erkennen, dass er über die Stellung der
wissenschaftlichen Medizin zur Hydrotherapie und über den
Unterschied der Bedeutung dieser gegenüber der Homöopathie
nicht orientiert ist; bei • ersterer, die aber nicht identisch ist mit
dem Iv n e i p p sehen Rummel, ist der Erfolg wissenschaftlich er¬
probt und erwiesen, die Formen und die Indikationen der An¬
wendung durch praktische Beobachtungen festgestellt und be¬
grenzt. bei der Homöopathie dagegen handelt es sich um phan¬
tastische und verwirrte theoretische Spekulationen; hier kann nur
der Glaube selig machen. Redner schloss damit, dass er sehr
liedaure. wenn der Ausschussantrag nicht angenommen wurde,
weil dann die Anhänger der Homöopathie nicht in der Lage wären,
den wissenschaftlichen Charakter dieser Heilmethode nachzu¬
weisen. Die Reichsräte Dr. v. B e c li m a u u, Fürst L ö w en-
stein-Wertheim-Fre u d enbe r g und Graf Törn n g
traten entschieden als Gegner des Ausschussantrages auf. Die
von ihnen vorgebrachten Gründe stützen sich auf das Gutachten
der medizinischen Fakultäten wie des obersten Medizinalbeamten
und die Nachteile eines solchen Lehrstuhles; nachdem die Homöo¬
pathie ihre Rolle bereits ausgespielt habe und es bisher zu einer
Vertretung an den Universitäten nicht gebracht habe, nachdem
andere von den Universitäten gewünschte und dringend not¬
wendige Professuren aus finanziellen Gründen abgelehnt wurden,
wolle man hier den Universitäten einen Lehrstuhl aufdrängen,
den sie einstimmig abgelelnit haben. Der letztgenannte Redner
führte noch aus, dass die homöopathischen Aerzte selbst nicht
mehr an die grundlegenden Prinzipien der Homöopathie glauben
und zu anderen Ansichten kämen, wenn sie die homöopathischen
Lehren fteissiger studieren würden. Der Kultusminister habe auf
die Urteile der Universitäten und der Fachautoritäten nicht gehört,
sondern bemerkt, man müsse einer gewissen Strömung im Volke
nachgeben: wollt** man das tun. da müsste z. B. auch noch eine
Professur für Aberglauben errichtet werden, weil eine grossere
Vnzahl von Damen der höheren Altersklasse dem Aberglauben
huldigen, und auf diese Weise bekämen wir ganz besondere 1 ro-
fessuren. — Nach diesen Ausführungen muss das Ergebnis der
Abstimmung um so mehr auffallen und befremden.
Dr. Carl Becker.
Gerichtliche Entscheidungen.
Der berüchtigte Kurpfuscher Schäfer H. Ast, jetzt Ritter¬
gutsbesitzer in Radbruch, wurde von der Strafkammer zu Lüne¬
burg wegen fahrlässiger Körperw rletzung zu 2 Monaten Gefängnis
verurteilt. A. hatte bei einem an tuberkulöser Koxitis erkrankten
Knaben nach seiner genialen Methode aus den Nackenhaaren
Veitstanz diagnostiziert und die Angehörigen des I atienten trotz
der Verschlimmerung des Leidens von der Zuziehung eines . iz is
abgehalten.
Xu Hannover wurde der Kurpfuscher und Mehlliäiidlei
B Beerb om wegen Verbrechens gegen das keimende Leben zu
4 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust verurteilt B eHiess
Inserate* Rat und Hilfe in diskreter Angelegenheit erhalten
Damen von einem erfahrenen Frauenarzt“, und erlange aut diese
Weise grossen Zuspruch. Die Behandlung kostete oO M., Reise¬
kosten wurden besonders berechnet. Dies betrieb B. mehi eie
Jahre lang, bis sein gemeingefährliches Treiben von der Kimm,
polizei aufgedeckt wurde.
Wegen Uebertretung der gesetzlichen Vor¬
schriften über die Meldepflicht bei ansteckenden
Krankheiten wurde der praktische Arzt Dr. A. P. m . . \ °u «ii
Strafkammer zu G. zu 150 M. Geldstrafe verurteilt. In A. waien
mi Foiken (lurck einen ausländischen Arbeiter oingescäiU-pP
worden. Dr. I'. hatte, bevor die Epidemie von dem ttiwta dn.en
Kreisarzt konstatiert und die Sperre verhängt war. 2 I- alle be¬
handelt, ohne Anzeige zu erstatten. Zu seiner Entschuldigung
führte er an, dass er die schwarzen Pocken überhaupt nicht ge¬
kannt habe und dass er speziell die beiden y°n ihm teliande ten
Fülle nicht für Pocken, sondern den einen fui Schafblattern, den
andern t'iir Blasenrose gehalten habe. Von den Sachverstand ge
erklärte Kreisarzt Dr. O., er würde nicht wagen, einen Einzeltall
als Pocken zu bezeichnen, solange der epidemische Eharakter der
Krankheit nicht erkannt sei, Samtatsrat K. nahm einen Irrtum
in der Diagnose an, wie dies auch schon bedeutenden Ivlmikeni
D-issiert sei Regierungs- und Medizinalrat Dr. 1. war dei L
nun«- Dr. P. habe schon vor der Sperre die Krankheit erkennen
müssen. Der Staatsanwalt beantragte G Monate Gefängnis.^ ^
bekommen,
d ass sie
a u f die
wenn ihre
Ueber Züchtung gesunder Menschen.
Von Dr II e d d aous in Essen a. d. Ruhr (Wochensehr, f- Theig u.
Hv“ dos Auges. 24. Juli 1902 und All*, med. Central**. 1902,
No. 30.)
Was müssen wir tun, damit die Kinder, die wir
«es und sind? Wir müssen zunächst dafür sorgen,
«■ e s u n d u n d ohne K r ankheits a n.1 a f e
Welt kommen. Das werden sie voraussichtlich
Eltern zur Zeit der Zeugung, die Mutter auch wahrend d
Schwangerschaft frei sind von auf das Kind ubertragbaien Iviank
heiten^ Von solchen Krankheiten kennen wir - wenn wir von
der Gonorrhoe der Harnröhre und der Blennorrhoe der Bindehaut
■ibselien — nur die Svpliilis und die Erbsyphilis. Die Eibsyplnii»
muss ganz besonders betont werden, weil die Menschen, die daran
leiden es gewöhnlich nicht wissen. Ein bischen syphilitisch sind
w .alle niemand kann beschwören, dass nicht ein Ahn von ihm
einmal an Syphilis gelitten habe. Folglich können wir alle für
das Wohl unserer kommenden Kinder nicht besser soigm ■ -
durch eine prophylaktische Schmierkur. Zum mindesten soüten
alle diejenigen schmieren, welche bereits ein oder mehrere Kränk¬
liche missbildete oder vorzeitig abgestorbene Kinder haben alle
diejenigen welche irgend ein Gebrechen haben, dessen Vererbung
auf die eventuelle Nachkommenschaft zu befurchten ist; alle die¬
jenigen welche sonst Grund haben zu der Annahme, dass sie teib
iahen an der „Lustseuche“. Vor der Zeugung genügt es, wenn
der belastete Teil schmiert, später (und in dubio immer) mu
Mutter jedenfalls (mit)schmieren. ,
Sicherer wäre es natürlich, man liesse das krankmachen
Gift nicht erst in den Körper hinein, dann brauchte man es nicht
,„„.,.1, Hg -und andere Kuren wieder '“™’®uc*;;e,^”-Vel.[>ssere. _
Statistik des
Instituts Pasteur zu T u ms.
In
demselben wurden seit der Gründung am 15 -Turn 1894 bis zum
15. Juni 1901 im ganzen 827 Personen behandelt, daiuntm - ‘
zosen (88 Soldaten), 2G0 Araber, 161 Italiener ; u. s. w. 1 3 Bisse bt
trafen den Kopf, 408 die Hände, 286 die übrigen Ex tieim taten,
ln 702 Fällen stammten die Bisse von Hunden, in 39 von Katzen
in 10 von Menschen selbst — was durch die dortige Unsitte, au
die Kranken zu küssen u. s. w. herrulirt, in von Schakaleig u
O von Eseln, in 2 von Pferden und in einem Talle von «nem j ;
esc? Die Zahl der Todesfälle betrug 3 = 0,36 Vvoz Mortehtafi
was mit den Statistiken der übrigen Pasteurinstitute ubeiei
stimmt. Das französische Gesetz, wonach jeder von einem to ^
wütigen Hund gebissene oder nur berührte Hund getoWt
soll, existiert in Tunis noch nicht, so dass ganze E^denmi
Tollwut schon beobachtet wurden, wofür dei Belichters
L o i r einige Beispiele anfiilirt.
Im Institut Pasteur zu B o rd e aji x, welches ani
1. Mai 1900 eröffnet wurde, sind im Laufe eines Jaln es ( • • -
1901) gerade 100 Personen behandelt worden. Die 51° •_ < *
gleich Null. Die Behandlung war in den meisten ballen o-j “ j
nach den» Bisse, 0 mal 1 Tag. 15 mal 3 Tage u11(\\\Vb sse stannn-
als 15 Tage nach dem Bisse begonnen worden. Die Bisst
19. August 1902.
MtTENCHEEER ME DI CENTS CHE WO Ö11EH S CflRIFT.
tUi m S8 Ea len von Hunden, in 10 von Katzen, in einem von einem
Seliw ein und 1 von einem Kaninchen. Eine Neuerung, welche sich
sehr bewahrt hat, wurde eingeführt: die verdächtigen Hunde
welche den Biss ausgeführt haben, werden von der Polizei in die
Stalle des Instituts gebracht und hier eine bestimmte Zeit hin-
Maf 1902 e°baClltUU8: Sehalten' (Annales de l'institut Pasteur,
fet.
Therapeutische Notizen.
Brom hä mol eignet sich nach Dr. v. Matzner- Birkenfeld
zu längerem Gebrauch, wenn die Bromwirkung nach dem Ab¬
klingen schwerer epileptischer oder hysterischer Ivrampftormen
noch weiter ankalten soll, ferner bei Hysterie ohne Krampfanfälle
Nemasthenie mit darniederliegender Ernährung. Die übliche Do'
sierung ist Haemol. bromat. 2,0 täglich 2—3 mal in Oblaten.
, 7;.11.SeAn.hamoi belästigt den Verdauungstraktus weniger als
das tieie Arsen und ist daher in allen Fällen zu empfehlen in
denen bisher Pillulae asiaticae oder F o w 1 e r sehe Tinktur an¬
gewendet wurden, also bei Psoriasis, Lichen, Neuralgie bei Herpes
zoster u. a. Eine zweckmässige Ordination ist (nach Bartelt):
Rp.: Arsenohaemoli 5 0
Succ et pulv. rad. Liquirit. 1*25
Mucilag. gum. arab. q. s. u. f
pilul. N. 50. Obduce lacca.
S- 3 Piben tägüch; jeden 4. Tag um 1 Pille steigen bis 10 pro Tag
(Die Heilkunde 1902, Mai.) 1 j» g ö'
„.Eas P^nin wird von Frankl -Wien bei schmerzhaften
gyiuikologischen Erkrankungen angelegentlichst empfohlen (Tlier
Monatsh. 1902, 6). Dasselbe bewährt sich vor allen Dingen bei
S-JMH’mem von Dysmenorrhoe und bei schmerzhaften Adnex-
^iiMwioUU1eU‘ • Ä|au kann es eutweder innerlich geben in Dosen
^Ichtliyop" m F°im V°U Vaginalkugeln in derselben Dosis mit
Dionin 0,03
Ichthyol. 0,2
Butyr. Cacao 2,0
ad globul. vaginal.
Dle Anwenduüg einer Dioninglyzerinlösung zum Tränken der
lampons wird wegen der Ungleichheit der Dosierung wider-
1 (llGU,
Kr.
neu^rer Zeit. so vielfach empfohlene Kakodyl-
Monat^h ?qn9 d m n S T1 wl? E d 1 e f s e 11 “«teilt (Therap.
Monatsh. 1902, 6), schon im Jahre 1804 von Joch-
leiai and im Jahre 1800 von Renz in die Praxis
ein geführt worden. Das Mittel scheint dann deswegen wieder
«S? gekommen zu sein, weil sich bei seinem unaus-
iw Iw • Gf.b VCJl em selir widerlicher knoblauchartiger Geruch
der Exspirationsluft einstellte. jV.
1407
Tagesgeschichtliche Notizen.
rinc, . . , . , München, 19. August 1902.
m o n 1>aS Abschiedsgesuch des b. Kultusministers Dr. v. L a n d -
Stelle Vr lblS, lUltenU 10‘ AagllSt L Js- genehmigt und an seiner
v lerige ausserordentliche Gesandte in Wien Freiherr
Ki.i™ I « , ,Urü,IZ zum Staatsminister des Innern für
ivucnen- und Schulangelegenheiten ernannt.
Bavern U.nd Verordnungsblatt für das Königreich
neu eiae k- Verordnung über die Errich t u n g
heim it ^ ® 1 fk a11“,t e r. 111 Starnberg, Wolfratshausen, Dürk-
der iL;Y Ill&beit. und Gemunden. Gleichzeitig mit der Errichtung
oben 1 1 llnteil Bezirksämter wird das Bezirksamt Mün-
-p . aufgehoben und das Bezirksamt München I erhält die
deneI«detehiSimD^rkAaift M.üllcben" Jedes Bezirksamt umfasst
den Amtsgerichtsbezirk, das in St. Ingbert noch
bezirk „1,,,, Blieskastel, d. l. den gleichnamigen Amtsgerichts¬
bach und w f1.6 .Gemeillden Bliesdahlieim, Breitfurt, Niedergail¬
amt ÄST’ T, ?e beim Distrikte Hornbach und Bezirks-
i ÄS verbleiben. Die 4 ersten der oben genannten
zu beginnen am L °ktober d- J- ihre Wirksamkeit
kam ^vie^ins ill LÜ r* 1 e r b,e f u S n i s de r II o m ö o p athe n
in No 3i itoimut Bezi1^rnabl‘1le aut unseren Parlamentsbericht
ZentralaussclnStl^för1?’ < e“ Verhandlungen des ärztlichen
1. Js zur Snracht das Gl^sslfrzogtum Hessen am 23. Juni
ärztl Ver d p ^ Passus (Korrespondenzbl. d.
Aufliebuuo TU ■ 1 rao?t-1H?S8e“- No. 7) lautet: „Zu Punkt VIII,
gibt der vf, ■? Luspensierbefugms der homöopathischen Aerzte
ab dtS ‘Hm\Geh- B "> ™ e r 1 in g) ale ErktSg
Befumdl tlVw?1- sicherer Aussicht stellt, nach welchem die
InnÄfbdLÄÄ °5?e J— wort« wird, in welchen
zu erlassen« Ai? ff ^ Umkreises eine den Anforderungen der
tbeke S n iZ /^sprechende homöopathische Apo-
der liSer i f it n! /T,1!,,-'1«’ I!ilt Dr- H « 8 8 - Mainz sprAt
willen n» “ ff Brtnl'img eines langgehegten Wunsches
gehen mit T d betoilt- dass besonders in Mainz das Vor¬
igen mit grosser Freude begrüsst werden würde“
K ranken han1« E r r 1 ^ b .t u n g eines 3. städtischen
i aus es in München wurden kürzlich im Magi-
deiao MTi:fmUng-eU, f uiafll1t Hiernach besteht Aussicht, dass in
(lei 2. Hälfte nächsten Jahres mit dem Bau, der 3 Jahre in \n-
spiucli nehmen wird, begonnen werden kann. Das Krankenhaus
?a<M)aRetteAlln0rdennilgetU dei’ Neuzeit entsprechen wird, wird für
ÄSSSfÄ DieKosteu werdeß sick aaf -d
~ Au dem Geburtsliause E s m a r c li s in Tönning- wurde
eine Gedenktafel angebracht. Die Inschrift Hütet in
bese“ Hiiuse wurde der ruhmgekrönte Gelehrte und Chiriir«-
Wirkliche Geheime Rat Dr. Johannes Friedrich
August v. Esmarch am 9. Januar 1823 geboren.“
, ~ Pe?k Russland. Im Dorfe Aksai (Kreis Tschernyh T-m
des Gouy. Astrachan sind seit dem 3. Juli 20 Erkrankungen unter
pest verdächtigen Symptomen festgestellt worden von denen 10
einen tothehen Ausgang- genommen hatten. — Aegypten ln der
Aoche vom 25 Juli bis 1. August sind 2 neue Erkrankungen und
1 lodesfaH an der Pest festgestellt, alle in Alexandrien. — Britisch
?m1T!,eT ,.In,d^ Präsidentechaft Bombay kamen während der
.' I1 abgelautenen Woche 1150 Erkrankungen (und 750
I odestalle) an der Pest zur Anzeige, davon in der Stadt Bombav 30
(29), m Stadt und Hafen Karachi 27 (20). (V d. K. G -A.)
— Hi der 31. Jahres woehe, vom 27. Juli bis 2. August 1902
y?n deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterbhchkeit Ludwigshafen mit 41.7, die geringste Solingen mit
0 . lodesfallen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
ailer Gestorbenen starb an Scharlach in Königshütte; an Masern
m Oberhausen, Augsburg; an Diphtherie und Krupp in Bamlier«--
an Unterleibstyphus in Bromberg. h’
~ ,.D.r- Tbeophil T r u m p p, prakt. Arzt in Bangkok wurde
^ om Könige von Siam zum Generalarzt der siamesischen Armee
mit dem Range eines Majors im Generalstabe ernannt.
(Hochschulnachrichten.)
Professor der' Augenheükunde f und ' 'vormaliger ’ lai^jlilifiJeVbirek'
ist Twe|i^ 5‘ !BV Dei\uelle Lehrstuhl für Hautkrankheiten
ist I lof. Di. Eduard J acobi übertragen worden.
(;,1'eifsival'l' Vom diesjährigen Ophthalmologenkongress
if Heidelberg wurde Professor Dr. O. Schirmer, Direktofde?
ömversita s-Augenklinik, zun, Delegierten für den internationalen
medizinischen Kongress (1903) zu Madrid gewählt.
l- . Ieide)bei‘g. Die neuerrichtete Professur für Kehlkonf-
vrankheden ist Prof. Dr. Jurasz übertragen worden.
i uneben. Dr. Rud. Weinland, Privatdozent für Che-
nne an der Universität München und erster Assistent am Labora-
tommi tur angewandte Chemie, hat einen Ruf als ausserordent-
ÄS' pbarmMeut,sche
für sein Werk „Zellenstudien, Heft 4, Ueber die Natur der’ Centro-
* deu Süebelpreis der Senkenbergischen Stiftung in Frank-
fuit a. M., dei alle vier Jahre vergeben wird
der Mdilwlernanut01'- Holtw"rä« *“»
i Sanne7 I,ei' pHvatdozent für Elektrotherapie Dr
Professor Rß fS,telle -B a b ° w s zum ausserordentlichen
Iioiessoi dei Therapeutik und Materia medica ernannt
l adua. Habilitiert: Dr. P. Bolognini Privatdozent nn
der medizinischen Fakultät zu Bologna, für Pädiatrie.
' a rJ s- Dr- <; a 11 c >'e r wurde als Nachfolger Fourniers
nanntPr°feSSOr d®r Klinik ftir Hautkrankheiten und Syphilis er-
HabiliEert: Dr- A. M argulies für Neurologie und
Psychiatrie an der deutschen medizinischen Fakultät.
Rennes. Dr. Le Damany wurde zum Professor der
Hygiene und gerichtlichen Medizin ernannt
Dr- V®1*1 Prl™tdoZent an der nnali-
zinisdien rakultat zu Parma, für Medizin.
S t. Pete r s h u r g. Habilitiert: Dr. P. A w r o r o w für -ill-
gemeine Pathologie an der militärmedizinischen Akademie
T,„. r s f 11 a ll- Habilitiert: Dr. T schernia k o w s k v
rur h?dOZeilt an der mediziniSöhen Fakultät zu Kiew, für C'lii-
n,. 1 ® n; Habilitiert: Dr. O. Grosser für Anatomie und
l)i. Iv. Grass b erge r für Hygiene.
(Todesfälle.)
T-m. ,P,rof- Dr- Le feb vre, früher Professor der Pathologie und
Direktor der medizinischen Klinik in Löwen.
Dr. C. Taruffi, früher Professor der pathologischen Ana¬
tomie zu Bologna.
Tr,. -V1- l'r Nowatzky, früher Professor der chirurgischen
Klinik zu Moskau.
. . Pr- A. Walther, Privatdozent für Physiologie an der
militarmedizinisehen Akademie zu St. Petersburg.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Dagobert Borchardt, appr 1899 in
Nürnberg. Dr. Willi. Frhr. v. Ebner, appr. 1890, in Nürnberg!
1408
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
31. August 1. Js. einzu-
reiclien. _ Die Bezirksarztstelle I. Klasse in Höchstadt a. A.. Be-
w erber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche
Erledigt: Die dritte Bezirksarztsstelle 1. Klasse für den ’S er-
waltungsbezirk München. Bewerber um dieselbe haben ihre vor¬
schriftsmässig belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten K.^ Re¬
gierung, Kammer des Innern, bis zum
n
l'ei der ihnen Vorgesetzten Iv. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 1. September d. .T. einzureichen.
Ernannt: Der seitherige Hilfsarbeiter des Kreismedizinai-
ref ereilten bei der k. Regierung, Kammer des Innern, von Ober¬
bayern, prakt. Arzt Dr. Ignaz Sendtner in München, zum Be¬
zirksarzte I. Klasse bei dieser Kreisstelle.
Seitens des Generalstabsarztes der Armee wurden zu
Unterärzten ernannt und mit Wahrnehmung offener Assistenz¬
arztstellen beauftragt: die einjährig-freiwilligen Aerzte Richard
1> e s t 1 m ey e r des 1. Train-B&t. im 10. Feld-Art.-Reg. und
Franz Molir des 1. Schweren Reiter-Reg. im 9. Feld-Art.-Reg.
Abschied bewilligt: Dem Oberarzt Dr. Berthold Mayer der
Landwehr 1. Aufgebots (Aschaffenburg).
Befördert: Zum Stabsarzt der Oberarzt Dr. August Beckli
der Reserve (Nürnberg); zu Assistenzärzten in der Reserve die
Unterärzte Dr. Heinrich Weigel (Hof); Dr. Hermann Wolff
und Dr. Josef Dobner <1. München), Dr. Franz Wiest (Bam¬
berg), Dr. Hans W i m m e r, Josef Thönnessen und Dr. Paul
Fre’dy (I. München), Dr. Adam Bauereisen (Erlangen), Dr.
Alfred Falk (I. München), Dr. Hugo Neuli äuser (Nürnberg),
Ernst M a i (Würzburg), Dr. Haus Sch m i 1 1 (Zweibrücken), Karl
Sclireitmiille r (Gunzenhausen), Dr. Josef R u n t e (W iirz-
burg), Johannes Hiittig (Bayreuth), Hugo Voss ( Würzburg,),
Dr. Robert S t r ö li 1 e i n (Aschaffenburg) und Dr. Robert Driver
(Wiirzburg). T
Gestorben: Dr. Ignaz Auer, k. Bezirksarzt I. Klasse m
Freising, 61 Jahre alt.
Korrespondenzen.
Zur Morphin-Scopolamin-Narkose.
Zu den von mir in No. 27 dieses Blattes gemachten Mit¬
teilungen über Morphin-Scopolamin-Narkose möchte ich hinzu¬
fügen. dass nach mir gewordenen Mitteilungen sich die Narkose
vorderhand nicht zur Anwendung im allgemeinen empfiehlt. Ver
seliiedene Individuen scheinen sich den Wirkungen beider Mittel
gegenüber nicht so zu verhalten, wie es nach den gewissenhaft
vorgenommenen Untersuchungen und Anwendungen bei einer
grossen Zahl von Narkosen schien. Es müssen daher weitere sorg¬
fältige Untersuchungen vorhergehen, ehe die Narkose in dieser
oder einer anderen Form zur Anwendung empfohlen werden kann.
Wir haben selbst nur absolut günstiges erfahren.
B. Iv o r f f - Freiburg i/B.
Erwiderung auf die Bemerkurgsn zum Artikel: „Untersuchungen
über Physiologie und Pathologie der Ureteren- und Nierenfunk-
tion mit besonderer Berücksichtigung der verdünnenden Nieren¬
tätigkeit nach Flüssigkeitszufuhr“ (Münch, med. Wochensclir.
1902, No. 32) von Dr. Friedrich Straus.
Die Herren G. Kövesi und W. Röth-Sehulz führten
in ihrer Arbeit „U eher St ö r ungen der w a s s e r s e z er¬
uierenden Tätigkeit diffus er k rankte r N iere n“
(Beil. klin. Wochensclir. 1900, No. 15) den Verdünnungsversuch in
die funktionelle Nierendiagnostik ein. Sie untersuchten in dieser
Arbeit das Verhalten der Verdünnungssekretion normaler und
diffus erkrankter Nieren (Nephritis parenehym. et interstitial.,
Nieren bei kompensiertem Herzfehler und bei sehr gestörter Kom¬
pensation). Dass sie dies taten, dies anzuführen, hole ich hiermit
gerne nach.
Nach einer anderen Richtung indessen bewegten sich meine
Untersuchungen. Sie beschäftigten sich mit einseitigen, chirur¬
gischen Nierenerkrankungen und in einem Teile mit dem Studium
der Differenz zwischen den Sekreten der linken und rechten
Niere durch Analyse des durch Flüssigkeitszufuhr verdünnten und
aus der einzelnen Niere gesondert aufgefangenen Harnes.
Was die von clenHerrenK. undR. angeführte Arbeit der Herren
G. v. I 1 1 y 6 s und G. Iv ö v e s i: ..Der Verdünnungsver¬
such im Dienste der funktionellen Nieren-
d i a g n o s t i k“ betrifft (Berl. klin. Wochensclir. 1902, No. 15),
so darf ich mir wohl gestatten, darauf aufmerksam zu machen,
dass diese Arbeit am 14. April d. J. erschien, also 10 Tage, nachdem
ich am 4. April auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie über meine Untersuchungen vorgetragen hatte und
2 Tage, bevor ich darüber auf dem Kongress für innere Medizin,
am 16. April, vortrug.
Dr. Braehmer |.
Am 3. August wurde der langjährige Vorsitzende des Auf¬
sichtsrats unserer Kasse, der Geheime Sanitätsrat Dr. Otto
B r a elimer- Berlin, von einem längeren schweren Herzleiden
durch den Tod erlöst.
ln ihm verliert die Versicherungskasse für die Aerzte Deutsch¬
lands, der er als Wohltäter und stiftendes Mitglied augehörte, einen
ihrer überzeugtesten Freunde, der Unterzeichnete Vorstand der
Kasse aber nicht bloss einen allezeit bewährten Mitarbeiter, son¬
dern ein Vorbild selbstlosester Kollegialität und treuester Pflicht¬
erfüllung. , ...
Sein Andenken wird bei uns stets in hohen Ehren gehalten
werden.
B e r 1 i n, den 10. August 1902.
Der Aufsichtsrat Das Direktorium
der Versicherungskasse für die Aerzte Deutschlands (früher
Zentralhilfskasse.)
gez. Dr. W i n d e 1 s, Dr. Bensch,
stellvertret. Vorsitzender. Obmann.
Generalrapport über die Kranken der k. bayer Armee
für den Monat Juni 1902.
Iststärke des Heeres:
66 406 Mann, — Invaliden, 199 Kadetten, 149 Unteroff.-Vorschüler.
1. Bestand waren am
31. Mai 1902 :
Mann
'
Invali¬
den
Kadetten
Unter-
offiz.-
Vor-
schüler
1666
—
3
7
(
im Lazarett:
1109
—
3
18
2. Zugang: ]
im Revier:
3030
—
21
—
|
in Summa:
4189
—
24
18
Im Ganzen
sind behandelt:
5855
—
27
25
°/oo der Iststärke :
88,2
—
135,7
167,8
dienstfähig :
4200
—
19
21
°/oo der Erkrankten :
717,3
—
703,7
840,0
gestorben :
16
—
- -
—
°/oo der Erkrankten :
2,7
—
—
—
3. Abgang :
invalide :
30
—
—
—
dienstunbrauchbar :
16
—
—
- -
anderweitig :
272
—
1
2
. in Summa:
4534
—
20
23
in Summa:
1321
—
7
2
4. Bestand
°/oo der Iststärke :
19,9
—
35,2
13,4
bleiben am
| davon im Lazarett:
9)0
—
3
2
30. Juni 1902:
l davon im Revier:
371
—
4
—
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten:
3 an Pyämie, 1 an Unterleibstyphus, 2 an Lungentuberkulose,
1 an tuberkulöser Bauchfellentzündung, 1 an Genickstarre, 1 an
akutem Gelenkrheumatismus (kompliziert mit Herzbeutelentzün¬
dung), 4 an Lungenentzündung, 1 an eitriger Brustfellentzündung,
1 an chronischer Entzündung des Herzmuskels und der Herzinnen¬
haut, 1 an Schädelbruch. .
Ausserdem kamen noch 3 Todesfälle ausserhalb militärärzt¬
licher Behandlung vor: 1 Mann, der nach Einleitung des In¬
valid itätsverfalirens einstweilen zu seinen Familienangehörigen be¬
urlaubt worden war, starb infolge von Lungentuberkulose; 2 Mann
endeten durch Selbstmord (davon 1 durch Erscliiessen, 1 durch Er¬
tränken). .
Der Gesamtverlust der Armee durch Tod betrug demnach nn
Monat Juni 19 Mann.
Morbiditätsstatistikd.lnfektionskrankheitenfür München.
in der 31. Jahreswoche vom 27. Juli bis 2 August 1902.
Beteiligte Aerzte 123. — Brechdurchfall 16 (19*), Diphtherie u.
Kroup 6 (5), Ervsipelas 9 (8), Intermittens, Neuralgia interin.
1 (1). Kindbettfieber — (1), Meningitis cerebrospin. — (— ),
Morl »ill i 17 (24), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 2 (1), Parotitis
epidem. 2 (1), Pneumonia crouposa 6 (7), Pyämie, Septikämie
— ( ), Rheumatismus art. ac. 14 (8), Ruhr (Dysenteria) .( )>
Scarlatina 1 ( — ), Tussis convulsiva 31 (37), Typhus abdominalis -—
(— ), Varicellen 5 (2, Variola, Variolois — (— ), Influenza 1 ( — )•
Summa 110 (114). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 31. Jahreswoche vom 27. Juli bis 2. August 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen ; Masern — ( — *) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u Kroup l (-), Rotlauf 3 (1), Kindbettfieber — (-), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w-) 1 ( — ), Brechdurchfall 11(6), Unterleib-Typhus
(— ), Keuchhusten 6 (5), Kruppöse Lurgenentzündung 1 (1), Tuber¬
kulose a) der Lunge 19 (24), b) der übrigen Organe 7 (7), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
1 (2), Unglücksfälle 4 (2), Selbstmord 1 (4), Tod durch fremde
Hand -(-).. , .
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 194 (195), Verbältniszahl aut
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 19,9 (20,0), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 10,1 (12,9).
*'» Die oineoklammcrton Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Miihlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.G., München
ftle Munch. Med. Wochenschr. erscheint wöehentl
ln Nummern von durchschnittlich 5—6 Bosen
Breis in Deutschi. u. Oest.-Ungam vierteljährl. 6 M
ms Ausland 8.— Jt. Einzelne No. 80 -*J. ’
MÜNCHENER
?nmu1!'5en Afnd z° adressiren: Für die Redaktion
Arnulfsirasse 26. — Für Abonnement an J F Leh-
mann, Heustrasse 20. - Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEMOINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
nerausgegeben von
Ä MSr y»«>. «,.■«* f,.„«
Erlangen.
München.
No. 34. 26. August 1902,
München
Redaktion; Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
\ erlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem Institute für spezielle Pathologie der Universität Pavia
(Prof. L. Devot o).
Zur Kenntnis der Präzipitinwirkung und der Eiweiss¬
körper des Blutserums.
\ on Dr. M. A s c o 1 i, Assistenten am Institute.
In seiner grundlegenden Arbeit über Immunität gegen Pro¬
teide wies Myers nach, dass das Blutserum von Kaninchen, die
mit aus Blutserum verschiedener Tierarten bereiteten Globulinen
behandelt worden sind, die Eigenschaft hat, mit den betreffen¬
den Globulinlösungen zusammengebracht einen Niederschlag zu
geben; Myers lieferte gleichzeitig den Nachweis, dass diese
Ballung keineswegs streng spezifisch ist, da z. B. ein Oclisen-
go ulin immunsei um auch in einer aus Schaf serum gewonnenen
Globulinlösung einen Niederschlag hervorruft. Weitere Beispiele
der nicht strengen Spezifität der präzipitierenden Sera sind kürz¬
lich von Linossier und Lemoine, H a 1 b a n und Land-
stemer angeführt worden; ich selbst habe mich in noch im vori¬
gen Jahre ausgeführten, nicht publizierten Untersuchungen über¬
zeugen können, dass das Blutserum von Kaninchen, die je mit
Pferde-, Maulesel-, Schaf-, Menschenserumglobulinlösungen rich¬
tig behandelt worden sind, mit jeder der erwähnten Lösungen
einen zwar quantitativ verschiedenen, in jedem Palle aber deut¬
lichen Niederschlag gibt; so bestehen z.B. kaum quantitative Diffe¬
renzen in der Fällung, wenn Mauleselglobulinimmunserum mit
i .lulesel- oder Pferdeserumglobulinlösung versetzt wird und das
gleiche findet mit Pferdeglobulinimmunserum statt; viel schwä¬
cher und quantitativ abnehmend in folgender Reihe sind die
Niederschläge, wenn Ochsen-, Schaf-, Menschenserumglobulin-
iosungen zu denselben Immunseris hinzugesetzt werden. Ent¬
sprechende Unterschiede sind zu bemerken, wenn Ochsen-, Schaf-,
Menschenglobulinimmunsera mit denselben Lösungen versetzt
r derselben \ ersuchsreihe hatte ich Gelegenheit zu be-
o ac teil, dass gegen durch fraktionierte Aussalzung mit Ammon-
. at gewonnene Pferdeserumglobulin- und Eiweissfraktionen
eines und desselben Serums (Pferdeserum) gerichtete Immunsera
nicht nur mit der je zur Behandlung des serumliefernden Kanin¬
chens verwendeten Fraktion, sondern mit allen anderen Frak-
Ionen ebenfalls einen Niederschlag gaben, Tatsachen, die kürz-
ich von R ostoski hervorgehoben worden sind; aber auch hier
sind gleichfalls erhebliche quantitative Unterschiede in der
Menge des mit den verschiedenen Fraktionen erhaltenen Nieder-
sc lages zu konstatieren. Aehnliche Verhältnisse sind kürzlich
. on e r m e y e r und Pick für das Eierei weiss festgestellt
worden und führten diese Autoren zu dem Schlüsse, dass von
einer absolut spezifischen Wirkung der Präzipitine auf die ein¬
zelnen aus dem Eiklar gewonnenen Eiweisskörper nicht die Rede
sein kann.
Was die Verwertung der biologischen Reaktion zu forensi-
senen Zwecken anbetrifl't, wie sie von Deutsch, Uhlenhut,
a.ssermann und Schuetze vorgeschlagen worden ist, so wird
cieseibe durch die erwähnten Tatsachen prinzipiell nicht beein-
wachtigt und zwar genügt ihre Kenntnis und die nähere Berück-
'•icntignng der quantitativen Verhältnisse um eventuelle Irr-
tumer zu vermeiden.
No. 34.
Vom theoretischen Standpunkte erscheinen hingegen seine
Beobachtungen bezüglich des Studiums der Wirkungsweise der
präzipitierenden Sera nicht ohne Interesse und erscheint es uns
geboten, dieselben etwas eingehender zu betrachten.
Es ist . zunächst bei der Analyse der auseinandergesetzten
J atsachen in Betracht zu ziehen, dass die biologische Reaktion
nach dem Masstabe jeder anderen in der Weise zu beurteilen ist,
dass ein positiver Ausfall einer und derselben Reaktion gegen¬
über zwei vorliegenden Substanzen nicht ohne weiteres berechtigt,
dieselben als m ihrer Konstitution identisch anzusprechen. Wenn’
z. B. ein durch Behandlung von Versuchstieren mit dem Blut¬
serum eines bestimmten Individuums einer anderen Tierart ge¬
wonnenes Immunserum mit dem Blutserum von anderen Indivi¬
duen der ersteren Tierart einen Niederschlag gibt, der vorläufig
in keiner Beziehung von demjenigen zu unterscheiden ist, der
bei Zusatz des Immunserums zu dem zur Behandlung dienenden
Serum entsteht, so wird kaum jemand daraufhin behaupten, dass
diese Sera verschiedener Individuen derselben Spezies unter¬
einander identisch sind; es ist hingegen in diesem speziellen Falle
wohl anzunehmen, dass die zweifellos existierenden individuellen
Unterschiede der untersuchten Blutsera durch die zur Verwen¬
dung- gekommene biologische Reaktion, wenigstens in der Weise,
wie sie bisher zur Anwendung gekommen ist, nicht zu Tage ge¬
treten sind.
. Wenn es demnach der positive Ausfall der biologischen Re¬
aktion nicht gestattet daraufhin Substanzen als identisch anzu¬
sprechen, so genügt hingegen der negative Ausfall derselben um
gewisse Körper von anderen die Reaktion gebenden ohne weiteres
als different zu trennen, unter der natürlichen Voraussetzung,
dass dieselbe unter im übrigen vollständig gleichen Versuchs¬
bedingungen ausgeführt wird.
Nach \ orausscliiekung dieser Bemerkungen sind zunächst
die quantitativen Unterschiede, die bei Versetzung eines und des¬
selben Immunserums mit Seris von Tieren verschiedener Art her¬
vortreten, zu erörtern.
Wenn z. B. ein Pferdeserumimmunserum mit Pferdeserum
einen starken, mit Menschenserum einen schwachen Niederschlag
gibt, so sind zwei Möglichkeiten bezüglich des quantitativen
Unterschiedes der entstandenen Fällung zu erwägen : entweder
enthält das Immunserum mehrere (in diesem Falle wenigstens
zwei), verschiedene Anteile der beiden Sera fällende Präzipitine,
von denen das eine einen beiden Seris gemeinsamen Anteil, das
andere einen zweiten Bestandteil, der sich nur im Pferdeserum
voi findet, fällt, oder es ist das Präzipitin des Immunserums ein¬
fach und im Menschenserum nur weniger fällbare Substanz vor¬
handen. Es ist leicht, den Wert dieser zweiten Annahme in den
aus derselben folgerichtig hervorgehenden Konsequenzen einer
experimentellen Prüfung zu unterziehen : es wäre nämlich auf
Grund derselben zu erwarten, dass bei gleich bleibenden Immuii-
i-ei ummengen der Zusatz eines Ueberschusses Menschenserum
zu dem Gemische (Pferdeserumimmunserum -f- Menschenserum)
den erheblichen quantitativen Unterschied in der Fällung- im
\ ergleiclie zu jener mit Pferdeserum erhaltenen zum Verschwin¬
den bringen würde; der Ausfall des Versuches entspricht aber
nicht im geringsten einer solchen Voraussetzung, da der Unter¬
schied ebenso oder noch deutlicher hervortritt. Zu Gunsten der
zuerst erhobenen Möglichkeit spricht hingegen der Umstand, dass
wir das entgegengesetzte Resultat bei Ausführung des’ ent-
1410
MUENCHENEB MEDICINISCHE WOCHENSCHBIB'E
No. 34.
sprechenden Versuches mit Menschenserum«^
ton Wird dieses mit Menschen-, andererseits mit Eierd^eru
versetzt, so fällt mit letzterem der Niederschlag auch beiZu^
eines TTeberschusses desselben schwachei aus als 1
serum ein Befund, der kaum mit der Annahme eines einzigen
Präzipitins in Einklang gebracht werden durfte, da « nicht r«ht
verständlich wäre, wieso ein und dieselbe prazipitable >
dcnsclln Präzipitinen gegenüber sich verschieden verhielte.
\uch unter Berücksichtigung der von Halb an und U» _
ft einer betonten hemmenden Wirkung der hinzugelugte
Normalsera dürfte das verschiedene zu Tage tretende ^ haltms
zwischen hemmender Wirkung und prazipitabler Substanz n
dlmSben Normalserum bei Versetzung mit verschiedenen
Tmmunseris schwer mit der Annahme eines einzigen Prazipit .
111 EWenT8n^nbrSThon die Betrachtung solcher quantitativer
Unterschiede in der Menge des Niederschlages bei Emwku ^
ein und desselben Immunserums auf verschiedene Substanze
die Vermutung nahe legt, dass diese Präzipitine komplexer Natur
s“en ™d eine Reihe verschiedener fallender Bestandtedc em-
halten so schien es geboten, auf Grund der von Ehrlich
geführten und in der ihm üblichen meisterhaften Wetse appU-
zirten Methode der elektiven Absorption einen tielcren Pml»l
in diese Verhältnisse zu gewinnen. Es bieten ja solche Ve ,
ähvSen von dem Aufschlüsse, die von denselben bezüglich der
Wirkungsweise der prazipit ierenden Sera zu erwarten sind auch
von einem anderen Gesichtspunkte nicht geringes Interesse, dass
sic es nämlich ermöglichen, wie aus folgenden Untersuchungei
hervorgehen wird, verschiedene Bestandteile gewissei Körper a
different auseinanderzuhalten, und in dieser Hinsicht 8«^“
sind einerseits auf anderen Methoden basierenden Einteilung
derselben Nachdruck zu verleihen und sie zu bestätigen, ander i-
seits den komplizierten Bau und die Existenz untereinander ver-
schiedener Komponenten in solchen Körpern, die %isher
hcitlich aufgefasst worden sind, zu entdecken; es ist mit Wah
scheinliclikeit zu erwarten, dass solchen Untersuchungen m Zu¬
kunft breitere und mannigfaltige Verwendung Vorbehalt« . .
Bevor ich an die Besprechung der Versuche selbst ; heran-
trete, erscheint es zweckmässig, noch einige, cie Vm-keit
treffende Details, welche eine Vorbedingung der Brauchbarkeit
der verwendeten Methoden selbst darstellen, etwas naher zu b
sprechen. Da meine Untersuchungen dann gipfelten, qualitative
Unterschiede durch die elektive Absorption nachzuweisen war e=
notwendig, zunächst die Möglichkeit einer vollständigen Ent
fermmg bestimmter Bestandteile der aufeinander einwirkenden
Flüssigkeiten durch dieselbe festzustellen. Es ist nämlich voi
Lin s i e r und I. e m o i n e, und kürzlich von E i s e n b e g
bei der Analyse der quantitativen Bmdungsverhaltmsse \on <
zipitinen und prazipitabler Substanz darauf hingewiesen werfen,
dass das Resultat der Präzipitmreaktion dadurch charaktensiert
ist dass ausser dem entstandenen Prazipitum m der betreffender
Flüssigkeit ITeberschüsse beider reagierenden Substanzen neben¬
einander nachweisbar sind. Ich hatte gleidifalls Gelegenheit,
bei meinen seit längerer Zeit im Gange befindlichen Unter¬
suchungen ähnliche Verhältnisse zu beobachten ); was speziell
die uns zunächst interessierende Frage der Trennung verschie¬
dener präzipitabler -Substanzen durch die elektive Absorption be¬
trifft, so hilft der Zusatz eines Überschusses der betreffenden
präzipitablen Substanz bei gleichzeitiger Berücksichtigung de
zeitlichen Verhältnisse in befriedigender Weise über diese Hmd
nisse zum Ziele hinaus, da der Versuch zeigt, dass, wenn em
bestimmtes Immunserum mit einem Überschuss einer be
stimmten präzipitablen Substanz im Kontakt gewesen ist ein
weiterer Zusatz derselben keine wahrnehmbare Präzipitation
Lhr hervorruft, im Gegensätze zu jener, die durch Versetzung
desselben Gemisches mit # einer anderen von den durch
(h, in Rede stehende Immunserum präzipitablen Substanzen,
entsteht; Tatsachen, die nach den vorhergehenden Auseinander¬
setzungen eine Differenzierung dieser Substanzen ohne weiteres
rechtfertigen.
n Ks möge nebenbei hervorgehoben sein, dass vielleicht die
Verhältnisse zurückzutuhreu ist.
Freilich war es bei unseren Versuchen angezeigt, wieder
nicht unnötiger Weise exzessive Mengen de: r ' verschiedeneytr -
zipitablen Substanzen zu verwenden, weil die i auf d
bewirkte Verdünnung des Immunserums auch das deutliche 11
“ n der Wirkung der noch intakten P— - - te
wendigerweise beeinträchtigen und gegebenenfalls hatte
hindern können. ^ vollständigen Abläufe der Reaktion ein
längeres Verweilen der Röhrchen im Brutschrank erforderlich ist
so hat mich die Verhütung der dabei stattfindenden 1 auln
einioe Zeit auf gehalten; anfangs suchte ich diesem Bebel durch
Zusatz einer 5 proz. Karbolsäure, 20 proz. Glyzermlosung wie
sio Koch in seinem Tb- Agglutinationsstudien angewandt hat)
im Verhältnisse von 1 : 10 und mehr, wenn es sich um Liweiss-
lösungen anstatt Seris handelte, soweit es ohne Eintreten von
Trübung zulässig ist, vorzubeugen; mit besserem Erfolge habe
ich in letzterer Zeit den von A r t h u s vorgeschlagenen Zusatz
gleicher Volumina 3 proz. Natriumflnoridlosung erprobt
Nachdem sich auf diese Weise die Brauchbarkeit der k
thode der elektiven Entziehung zur Trennung verschiedener Prä¬
zipitine und präzipitabler Substanzen bei Berncksichti^ng der
erwähnten Vorsichtsmassregeln in vollem Masse bewahrt hatte,
ging ich daran, an der Hand derselben zu prüfen, inwieweit auch
durch die biologische Reaktion sich Unterschiede m den von
Unmmarsten F u ld und Spiro, Pick dargestellten
Serumglobulinfraktionen (Fibrino-, Eu-, Pseudoglobulin) nimh-
weisen Hessen und ob es möglich wäre auch im Serumalbumm
die Existenz verschiedener Körper nachzuweisen.
Das Euglobulin wurde aus Pferdeserum durch Dialyse ge¬
wonnen, abfiltriert, abgepresst, 4 mal mit destilliertem asse
aufgenommen, darauf ein Teil direkt m physiologisc er
Salzlösung aufgelöst, ein anderer im \ aeuum geteoc^et
und zur Herstellung weiterer Losungen aufbewal ,
andererseits wurden die Eu- und Ps^obulm mk-
tionen ebenfalls aus Pferdeserum nach Picks Vorschn
durch’ fraktionierte Fällung mit Ammoiisulfat dargestellt und
durch viermaliges Wiederauflösen und Fallen gereinigt. Au
Serumalbumin wurden auf dieselbe Weise 3 Fraktionen ent¬
sprechend Sättigung mit Ammonsulfat im Verhältnis von 1^
und 17,5 nach Hofmeister (d. li. 12,5 resp. 17,5 • -
oesättigter Ammonsufatlösung zu 10 Vol. Serum) und kalt-
a-esättigter Lösung gewonnen. In einer anderen \ ersuch&iu t
wurden aus Serumeiweiss zwei Fraktionen (15 und kaltgesattig e
Lösung) dargestellt. Bei der Darstellung der Serumalbum -
fraktionen kam es mir bei diesen Versuchen nicht so sehr darauf
an nach Fraktionen mit bestimmten Fällungsgrenzen zu fahnden
als prinzipiell die Anwesenheit verschiedener Substanzen im
Serumeiweiss festzustellen. _ , .
Mit frisch bereiteten Lösungen dieser Fraktionen m
0,85 proz. Kochsalzlösung wurden nun Kaninchen su vU ™
behandelt, anderen Kaninchen wurden VoHseruxu Serum
globulin und Albuminlösungen eingespritzt. Die aut diese
Weise gewonnenen Immunsera wurden, n u i w e n n ■ 1
sich stark wirksam erwiesen, mit entsprechend^
(homologen) und nicht entsprechenden (heterologen) fnsche
Fraktionlösungen versetzt und zwar mit jenem gerat L
wendigen ITeberschüsse derselben, damit nach einer es
Einwirkungszeit ein weiterer Zusatz der betreffenden Losung
der durch Zentrifugieren gewonnenen klaren Flüssigkeit, keir
Niederschlag mehr hervorrief. < , .
Es ergab sich nun im allgemeinen das Resultat, dass
denjenigen Fällen, in denen die Immunsera
a u f d ieho m ologen Fraktionen (nämlich diejenigen
die zur Immunisierung des betreffenden Tieres benutzt wur en)
eingewirkt hatten, der weitere Zusatz de
nicht homologen Fraktionen oder von V ol
Berum keinen Niederschlag mehr bewirkte
während in den anderen Fallen in d e n e i
Wirkung auf nicht homologe Losungen e
schöpft war, sie ihr Fällungsvermogen g c p c n ^
Über den homologen, b e z w. oft auch gegen
stimmte andere, nicht homologe Fraktionen
und gegenVollserum nicht eingebusst hatten ).
2) Um Missverständnissen vorzubeugen, mochte ich hon m
heben, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass be. geeigneter WaM
26. August 1902.
Im folgenden ist an der Hand einiger Beispiele kurz be¬
stalten11’ ^ ^ S°lche Versuche in ihren Einzelheiten ge-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1411
Pferdeserum b e -
IV.
S e r u m von K a u,i u c b e n, m i t
handel t.
(Sera mnl Globulinlösungen werden immer mit gleichem Volumen
opioz. Natnumfluoridlösung versetzt, darauf zentrifugiert)
I. 20 Tropfen Serum + 60 Tr. Euglobulinlös. = + "
nach 24 Stdn. zenirifugieit;
10 Tr. der klar. Flüss. + 4 Tr. Pferdeserum = +
+ 6 „ Euglobulinlös. = —
TT m dto + 6 » Pseudoglobulinlös. = +
II. 20 Tropfen Serum + 60 Tr Pseudoglobulinlös. = +
nach 24 Stdn. zentrifugiert;
10 Pr. der klar. Flüss. + 4 Tr. Pferdes. = -f
in ^°' + 6 » Euglobulinlös. = +
TTT rn dto- +11 „ Pseudoglobulinlös. = —
II. 20 Tropfen Serum 4- 60 Tr. Serumalbumin I Fr = +
™ nach 24 Stdn zentrifugiert;
0 Tr. der klar. Flüss. + 4 Tr. Pferdes. = -(-
d4o> +6 » Serumalb., I. Fr. = —
20 Tropfen Serum + 60 Tr. Serumalbumin, II. Fr. = 4-
nach 24 Stdn. zentrifugiert;
10 Tr. der klar. Flüss. + 4 Tr. Pferdes. = +
dto + 6 „ Serumalb., II. Fr. = —
\ . 20 Tropfen Serum + 60 Tr. Serumalbnmin, III. Fr. = 4-
nach 24 Stdn. zentrifugiert;
10 Tr. der klar. Flüss + 4 Tr. Pferdes. = -{-
dto- +6 „ Serumalb., III. Fr. = —
VI. 15 Tropfen Serum + 60 Tr. Pferdeserum = f
nach 24 Stdn. zentrifugiert;
10 Tr. der klar. Flüss. + 4 Tr. Pferdes. = +
+ dl°- + 6 » Pseudoglobulinlös. = —
+6 „ Serumalb. I. Fr. = —
Serum von Kaninchen, mit Pseudoglobulin be¬
hau d e 1 t.
I. 10 Tropfen Serum + 30 Tr. Euglobulin = +
nach 24 Stdn. zentrifugiert;
10 Tr. der klar. Flüss. + 8 Tr. Euglob = —
d^°- + 8 „ Pseudoglob. = +
d*0- +6 „ Pferdeser. = +
II. 7 Iropfen Serum + 30 Tr. Pseudoglobulin = -f-
nach 24 Stdn. zentrifugiert;
10 Tr. der klar. Flüss. -4- 8 Tr. Euglob. = —
d4°- + 8 „ Pseudoglob. = —
0 dto. +6 „ Pferdeser. = —
Serumalbumin, in 2 Fraktionen getrennt (a bP
Serum von Kaninchen, behandelt mU Frak¬
tion a.
I. 30 Tropfen Serum + 30 Tr. Serumalbumin Frakt. a = +
na°h 24 Stdn. zentrifugiert;
20 Tr. der klar. Flüss + 8 Tr. Serumalb. Fr. a = -
on d4°- + 8 » Serumalb. Fr. b = —
dto. + 4 „ Pferdeser. = —
II. 30 Tropfen Serum + 30 Tr. Serumalbumin Frakt. b = 4-
oe m , nach 24 Stdn. zentrifugiert ;
on dh- der klar. Flüss. + 8 Tr. Serumalb. Fr. a = +
d^0, + 8 „ Serumalb. Fr. h = —
dto. +8 „ Pferdeser. =r +
Es treten demnach auch durch die bio-
ogische Reaktion qualitative Unterschiede
i en u ' und Pseudoglobulinfraktionen
• , ° \ u nd a u c h das Serumeiweiss erweist
outhAt8 nl i eVnheitH°her Körper, sondern
Wi ?! f‘ne ®eihe ’»■ Bestandteilen, welche
06! zunehmender Sättigung mit Ammonsulfat
bfoWnai;delD au,8f.aUen und sioh durch
! S^ehe Reaktion als verschiedenartig
*■ '‘'"i"1 lassen. Weiter ist bewiesen,
d 1 e dul'ch Behandlung von Versuchs-
weMe^lönnten m!!Tufgm“ZeU Mch solclM Fraktionen bereitet
teten Frä/inum ’ 1 ! d,'.e gegen eme andere Fraktion gericli-
bei Innehahuno-6 Sp.. Ia^tia lsie*’fn vermögen; icli seihst hin zwar
st'iri- u-i , tun» dei betonten Vorbedingungen (Verwendung von
z PhaWer, Seris uud frfsch hergestellten Lösungen def l rä
S i \tr ®u.hstanzen) solchen Verhältnissen nicht begegnet 1
aktion für bestimmtere erörterte+n SPezifltät der biologischen Re-
Bedinmi J f + Komponenten der Eiweisskörper würden die
die Knni 0 1 euieu solchen Fall dann gegeben sein wenn alle
ÄS T1"'' Fraktion, gegen welche die ri zi il £
anderen ]I“m1unsenims wirksam sind, auch in einer
wesend wäien dargestellten, nicht homologen Fraktion an-
1 1 er en mit Yollseris erzielten Immunsera
einen Komplex untereinander differenter
Präzipitine enthalten, von denen jedes, mög-
icherwei8e jede Gruppe ihren Angriffspunkt
i di f fei enteil Komponenten der entsprechen¬
de n JN ormalsera habe n.
Nach dem Nachweise so komplizierter Verhältnisse, war die
zunächst sich aufdrangende Frage, ob die bei Tieren ver¬
schiedener Spezies und verschiedenen Tieren derselben Art, durch
Behandlung mit ein und demselben Normalserum entstandenen
I razipitme untereinander gleichartig seien. Die Möglichkeit der
Losung dieser Frage war gleichfalls an der Hand der Methode
der elektiven Entziehung gegeben, indem aber in dieser Ver¬
suchsreihe umgekehrt den fällbaren Substanzen ein solcher
Ueberschuss von Immunserum hinzuzusetzen war, dass ein
weiteres Hinzufügen desselben nach Ablauf der Reaktion keine
Niederschlagsbildung mehr hervorrief. Wenn nun von zweien
aus verschiedenen Tieren durch Behandlung mit denselben Sub¬
stanzen gewonnenen Immunseris, je eines seine Wirkung auf die
betreffenden prazipitablen Substanzen erschöpft hatte, dabei aber
ein weiterer Zusatz des anderen Immunserums zu denselben Ge¬
mischen wieder eine Fällung bewirkte, war damit der Beweis ge¬
liefert, dass die Präzipitine der zwei Sera nicht übereinstimmten.
Es war von vornherein zu erwarten, dass ein solches Verhalten
nicht m allen Fallen deutlich hervortreten würde, und dem¬
gemäss geboten, die Wahl auf besonders günstige Versuchs-
ec mgungen zu treffen, um einen solchen Sachverhalt in prä¬
gnanter Weise hervortreten zu lassen.
Tatsächlich konnte ich auch, als ich zu Anfang die Sera
verschiedener . gegen Eiklar immunisierter Kaninchen prüfte
Unterschiede m ihren Präzipitinen nicht auffinden. Andere Re-
suhate ergaben sich aber, als ich, von theoretischen Erwägungen
ezug-lich der An- und Abwesenheit geeigneter Rezeptoren aus¬
gehend, Kaninchen und Meerschweinchen mit demselben de-
fibrmierten Hundeblut behandelte. Die Untersuchung der best-
1 all enden Sera je eines Meerschweinchens und Kaninchens ergab
folgenden Befund:
a = Serum vom Kaninchen, behandelt mit Hundeblut,
b — , erum vom Meerschweinchen, behandelt mit Hundeblut.
I. 30 Tropfen a 4- 3 Tr. 1 proz. Hundeserum = -(-
nach 16 Stdn zentrifugiert-
6 Tr. der klar. Flüss. + 15 Tr. a = ’-
6 dto. +15 „ b = +
II. 30 Tropfen b + 3 Tr. 1 proz. Hundeserum = +
nach 16 Stdn zentrifugiert; *
6 Tr. der klar. Flüss. + 15 Tr. a == +
6 dto. +15 „ b = -
Es zeigt dieser mit demselben Resultate öfters wieder¬
holte Versuch, dass mit Sicherheit wenigstens
relativ quantitative Differenzen in den
diversen Präzipitinen der zwei untersuchten
S e r a bestanden . Eine weitere höchst merkwürdige Eigen-
seia t, welche letztere infolge der Behandlung erlangt hatten,
ist aber im stände, uns auch die qualitativen Unterschiede ihrer
-Präzipitine klarzulegen: es fällte nämlich das Im¬
munes er um obiger Meerschweinchen normales
Kaninchen serum, nicht aber normales Meer-
scliwei liehen ser um da® Immun serum des Ka¬
ninchens, normales Meerschweinchen-, nicht
aber normales Kaninchenserum, woraus ohne
weiteres hervorgeht, dass jene Inununsera, obgleich durch die¬
selbe Behandlung gewonnen, qualitativ verschiedene Präzipitine
enthielten.
Dafür, dass auch individuelle Unterschiede in den von
Tieren derselben Spezies gebildeten Präzipitinen existieren
können, besitze ich gleichfalls einige Anhaltspunkte, welche ich
zu einer besonderen Versuchsreihe auszubilden gedenke.
Wenn wir den Tatsachen, die aus den vorausgehenden
Untersuchungen hervorgehen, allein das Wort überlassen, so
ist durch diese bewiesen, dass in der Bildung
der Vielheit; von Präzipitinen, die sich in den
gegen Normalsera gerichteten Immunseris
vorfinden, bei geeigneter Versuchsanordnung
qualitative und relativ quantitative Art-
™l^hiede Tage^ treten können; dass
egen dieselben
nämlich verschiedene Tiere «■
1*
1412
MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCIIENSGIIRI^
No. 34.
Substanzen zum Teil verschiedene Präzipi¬
tine bilden, können. , , .
Währungen hier Platz zu gewahren: Liegt ja ment a 8
rp c Wertes welcher der Feststellung neuei
nT ^Lntat t der aus denselben hervortretenden Bo-
warteten Voraussetzungen entsprechen ode „u
halb gestattet, unsere Befunde einer analytischen Prüfung
“"‘T «gegenwärtigen wir uns, dass die gegen verschiedene am
Blutserum gewonnene Fraktionen gerichteten Immunsera die
selben einerseits nicht streng spezifisch fällen, dass aber a"1’"
SC durch die elektive Entziehung das Merkmal der Spezifität
eines Mes teer Wirkung aufgedeckt werden kann, so ist diejn
Beobachtungen ohne weiteres zu entnehmen dass jene F k
tioneu in <-ewissen Bestandteilen einander ähnlich sind, e
<> ebenenf alls, dass sie in ihnen übereinstimmen, wahrend andere
Komponenten derselben verschiedenartig
und dass demnach anf ein und dieselbe Praktmn mehrer^ P^
7:nitine „leichzeitig ihre Wirkung entfalten. Aus diesen Re
Wen gSt zwar noch nicht mit Sicherheit hervor, dass an dem-
fnnden geilt zwa ‘ „j verschiedene Präzipitine an ver¬
schiedener Stelle eingreifen können, ähnlich der Auffassung von
N e n c k i und Sieber, dass gewisse Eiweissriesenmolekel v -
mi»-e ihrer Seitenmolekel verschiedene Fermentwirkungen zu
entfalten im stände seien; es geht uns nämlich jede Sicherheit
ab (lass die auf chemischem Wege dargestellten Fraktionen emm
einzigen ei nhei fliehen Körper darstellen. Bei den Schwierig¬
keiten die einer direkten Beweisführung im Wege stehen,
scheint aber eine andere Beobachtung, die wir zu machen Gc
legenheil hatten, jener Auffassung das Wort zu reden: es sind
nämlich die Immunsera im stände, auch ^t Sp^W^uUeii
der präzipitablen Substanzen einen schwachen Niederschlag
“ehe So füllen Z.B. wirksame Pferde- oder Ochsenserum-
r ' urt Wittes Pepton. Eine ähnliche Beob-
lmmunsera schwach Wittes repiux ,-i1iVnj0 wübma'
achtung stammt von Eostoski, der auf die f aUende W nW
eines Bence- Jones- Immunäerums anf menschliches Blu
Berum hinwies. Der Umstand, dass bei der zur Albumose- und
Peptonbildung führenden Spaltung der grossere Teil der pra
zipitablen Substanz verschwindet, während ein geringerer nocl
bestehen bleibt, legt es nahe, anzunehmen, dass gewisse Kom
plexe des Eiweissmoleküls (Seitenketten, Seitenmoleke!) m
welche bestimmte Präzipitine eingreifen, durch die statt
gefundene Verdauung zerstört wurden, wahrend andere, noch
den Peptonmolekülen gehörende Komplexe den stark positive
Ausfall der Reaktion bedingen.
Nach alledem sind wir der Ansicht, dass unsere Versuehs-
ergebnisse. geeignet sind, der Wahrscheinlichkeit der Vorstel¬
lungen die Ehrlich über die Zusammensetzung des Eiweiss-
moleltüls ausgesprochen hat, Nachdruck zu verleihen und dass
unsere Befunde die von verschiedenen Seiten angefochene fepe
xifltät der Präzipitine in ihr Recht wieder einsetzen, indem sie
einige Bedingungen ihrer Wirkung, sowie ihre Auffassungsweise
in dem Sinne präzisieren, dass nämlich die verschiedenen,
in ein und demselben Immunserum verkom¬
menden Pr äzipitineihreWirkung spezi f isc
auf bestimmte Komponenten (Ehrliehs Re-
eeptoren) der Riesen ei w eis smolek ule ent-
falten ln diesem Sinne ist auch zuerst die Spezifität der
Hämolysinwirkung von Ehrlich und Morgenroth er¬
kannt und klargelegt worden.
Die auseinandergesetzten Befunde erscheinen uns geeignet,
einige von Obermeyer und Pick beobachtete Tatsachen,
die sie zu der Annahme führten, dass die Präzipitinbildung von
den Eiweisskörpern unabhängig sei, in ein anderes Licht zu
stellen und für dieselben eine verschiedene Deutung zuzulassen.
() b e r m eyer und Pick sind nämlich der Ansicht, dass die
Präzipitinbildung von einem durch die chemische Reinigung
von den Ei weisskörpern nur schwer trennbaren Körper abhang
und dass präzipitinogene und präzipitable Substanzen keine Ei-
weisskörper sind, erste, is weil durch Trypsinv^daming er¬
haltene Spaltungsprodukte etarf»» "Sunptdukten
ÄT ihnen durch . die empfin“
Deuingcn, _ „iaftirnrner mehr nachweisbar sind,
Reaktionen keine Eiweisskorper mun Biuret-
7weitens weil Verdauungsgemische, die keine mn
reaktion mehr aufweisen, mit entsprechenden Immimseus
lvn-il-toristische Niederschlagsbildung hervorrufen. Es hat
a-mze'jfnuge eine grosse Aehnlichkeit mit jener so lang um¬
strittenen über die Eiweissnatur der Fmmente dre terzheh du h
die schönen Untersuchungen von Nencki und ^lelDc
P e k e 1 h a r i n g einer definitiven Losung naher geh <
worden sind. Es sind gegen die Beweiskräftigkeit der Bef u ■
von Obermeyer und Pick, dass praz^rtmogene und pr
zipitable Substanzen keine Eiweisskorper sind, die dentischen
Eimvände welche gegen die Argumente, die gegen die Eiwe ...
Einwande, vreia * ^ Beld geführt wurden, anzufuhren, vor
allem die geringe Empfindlichkeit der bekannten Eiweissreagcn-
tien die sich auf 1:100 000 beläuft, wahrend mit wirksamen
Iimnunseris die biologische Reaktion noch Verdünnung«
von über einer Million (Ringprobe) positiv ausfallen kann.
Wenn also die Beobachtungen von Obermeyer und
P i Ck die von ihnen gezogenen Schlüsse nicht streng
gen, so muss allerdings zugegeben werden, dass auch der irt
Gegenbeweis schwer zu erbringen ist: haben ja doch langwierige,
eiegenDewcib pw^cher die Eiweissnatuv
mühevolle Untersuchungen namhaf tei I ebener me ^
des Pepsins noch nicht über jeden Zweifel erhoben.
Nach dem oben gelieferten Nachweise der Vielheit prazipi-
tabier t^önmiteirin einer und derselben Eiweissf?ktion
scheinen uns aber die Befunde von Obermeyer u
welche allein sich gegen die Eiweissnatur der P^ipitaWen Sub¬
stanzen ausgesprochen haben, im Gegensätze zu hrerAnnÄm
sehr wohl mit der Eiweissnatur derselben in Einklang zu steuern,
; der zu krystallinisehen Endprodukten führenden, fortschre
tenden Spaltung der Eiweisskörper können nämlich m bestimm¬
ten Zeitpunkten solche intermediäre _ Zwischenprodu v e ^
stehen in welchen die gewöhnlichen Eiweissreaktionen nu
starker Konzentration der betreffenden Substanzen (also nur untei
bestinnnten günstigen Bedingungen) positiv ausfaRen wahrend
c in Teil der präzipitablen Komponenten noch so weit erhaltu
ist, dass sie bei der unvergleichlich grösseren Empfindhcl^ut
der biologischen Reaktion sowohl im Tierkorper die B h
Imiuunsubstaiizen he, wo, rufen, als auch in vitro noch in staten
Verdünnungen den charakteristischen Niederschlag nnt Imm
seris geben.
Wenn also an der Verwertbarkeit der biologischen Reaktion
zum Nachweis von Eiweisskörpern festzuhalten ist, so geben
uns die Ergebnisse unserer Untersuchungen einige Anhalts
punkte zur Beurteilung der Befunde, die bei. ihrer Anwem u ,
zur Verfolgung der Eiweisskörper im Organismus wie wir sie
unlängst vorgeschlagen haben, erhoben werden Boi der Re
Bprechung des bei jener Gelegenheit erbrachten Nachweises, dass
das Eiereiweiss im zirkulierenden Blute nach Genuss roher Eie ,
ti Nephritikern auch im Harne, aufgefunden werden kann,
drückte ich mich folge, , dermassen aus: Beim
scheu kann also das Eiereiweiss ohne Einbussung der g
Schaft, von spezifischen Seris gefällt zu werden, also wahrschei
lieh ohne tiefgreifende Veränderung, sicher ohne vorherige
Wandlung in Serum oder Organeiweiss resorbiert werden . .
vorliegenden Untersuchungen erlauben es, etwas naher zu P
zitieren wie weit jene Befunde es zulassen, auf die Torrn, uut
welcher die Resorption sich vollzieht, Rückschlüsse zu ziehen
Der hervorgehobene Umstand, dass bei dem Zustandekommen
der Niederschläge eine Fülle von Präzipitinen und pra«pttabk«
Komponenten im Spiele ist, und dass naturgemass die Anweso
heit je eines derselben zum positiven, wenn auch schwacher
Ausfälle der Reaktion ausreicht, zeigt, dass es nicht erlau > J» >
auf Grund desselben die Anwesenheit unveränderten
weisses anzuuehmen; es ist vielmehr angemessen, die positiv
Reaktion nur als Nachweis der unveränderten 1 •
weisskörper oder ihrer S p altu ngspro duk t e
zu betrachten, eine Spaltung, die aber nicht bis zu de
linischen Produkten reichen darf, da denselben, soweit bis j -
bekannt (Leucin nach persönlicher Erfahrung), die I alngkeit
26. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
geht, mit Immunseris die Reaktion in vitro auszulösen und im
Tierorganismus die Entstehung von Präzipitinen hervorzurufen
Pa vi a, 14. Juli 1902.
Lite r a t u r:
Walter Myers: Centralbl. f. Bakteriol. Bd. 28 No 8/9
G. Li nossier und G. H. Lern eine: Compt. rend. Biol 1902
r/h" Sr n„b 'i”ul Ltanp.tf.1“er: m«W A t“
. ein. 1J0_, No. 12. - Eostoski: Ibid. 1902, No 18 _ p o b e v
meyer und EP. Pick- Wien: Klin. Rundschau 1902', No. lö!
M f rV iE 1 S b eI g‘ Bul1, Aca(h Sc. Cracovie, Mai 1902 —
M. A 1 1 h u s: Compt. rend. Biol. 1902. — E. F u 1 d lUKi K Sn i r ,»•
Hoppe-Seylers Zeitselir. f. physiol. Cliem. Bd. 31 — E p picl-
Beitr. z. ehern. Physiol. und Path. Bd. 1. _ M Nennl-i ,™i
C f 1 pboV‘: 1?°P? -'SeylerS Zeitsclu' f- Phys. Chem. Bd. 32. -
^ B e k e | 1 a 1 1 11 s: Hoppe-Seylers Zeitselir. f. phys. Cliem
Bd. 3o. — I Ehrlich und J. Morgenroth: Beil klin
Wochenschr. 1899—1900—1901. — M. AscolP Müncl , P '
Wochenschr. 1902, No 10. - r. Eh rlicli: SauerstolÄltiS
des Organismus. Berlin, Hirschwald, 1885.
1413
Aus der medizinischen Klinik zu Basel
(Direktor: Prof. Dr. Er. Müller).
Ueber den durch Essigsäure fällbaren Eiweisskörper
der Exsudate und des Urins.
\ Oll Dr. Rudolf S t a e h e 1 i n, I. Assistenzarzt der Klinik.
In seiner Arbeit „Ueber autolytische Vorgänge in Ex¬
sudaten m Ko. 28 dieser Wochenschr. beschreibt ümbe r einen
durch Essigsäure fällbaren Eiweisskörper, der in Exsudaten vor-
kommL Ich habe mich auf Veranlassung von Herrn Prof.
rr* “,u.llef Sft mehr als einem Jahre mit dieser Substanz
beschäftigt, fand aber bisher nicht Zeit, die Untersuchung so¬
weit zu fuhren, wie ich wollte. Die Publikation U m bers ver¬
anlasst mich nun, jetzt schon mitzuteilen, was ich bisher ge¬
funden habe.
Veranlassung zu der Arbeit bildeten Untersuchungen über
die Unterscheidung zwischen Exsudaten und Transsudaten,
welche schon seit fast 3 Jahren an der Basler medizinischen
Klinik ausgefuhrt werden. Es sollte festgestellt werden, ob die
von einigen Seiten1) gemachte Angabe richtig ist, wonach in
entzündlichen Ergüssen der Körperhöhlen Essigsäure schon in
der Kalte eine Trübung hervorruft, während der negative Aus¬
fall der Reaktion für die Abwesenheit entzündlicher Prozesse
e arakteristisch ist. Ein solches differentialdiagnostisches Merk¬
mal wurde deswegen von grossem Wert sein, weil die bisherige
Unterscheidung mittels des spezifischen Gewichts bekanntlich
keineswegs genügt und der Eiweissgehalt, welcher ja das spe¬
zifische Gewicht bedingt '), nicht nur von der Natur des Krank¬
heitsprozesses abhängig ist, sondern in hohem Masse durch den
Ernährungszustand des Individuums beeinflusst wird.
...... B m b er sagt, er halte es für möglich, dass die Essigsäure-
tallung in serösen Ergüssen eine pathognomonische Bedeutung
m dieser Hinsicht erlangen könne. Das ist mit einer gewissen
Einschränkung tatsächlich der Fall. Wie schon Runeber^)
betont, kann auch in nichtentzündlichen Ergüssen Essigsäure-
zusatz eine Trübung hervorrufen. Die Eifahrungen der Basler
edizinischen Klinik bestätigen das vollkommen. In allen ent-
zun ic len Exsudaten konnte bei einer geringen Menge ver-
■J*.*11,1 61 ssigsäure m der Kälte eine starke Trübung konstatiert
ctn!. C1 den nichtentzündlichen blieb sie meist aus, doch er-
ougte bisweilen auch m sicheren Transsudaten, selbst in solchen,
... , C enen, dle . Sektion die Abwesenheit von Entzündungs-
i "S?\beStaÜ^ Essigsäure eine geringe Trübung. Da aber
d,o l u- £n? lmmer nur äusserst schwach ausfiel, so wird hie-
tuich die Bedeutung dieser Reaktion als eines wertvollen diffe-
ren t la Idi agnos tischen Hilfsmittels nicht beeinträchtigt,
wnv V a nUn CJle Jla8’n°stische Wichtigkeit dieser Reaktion klar
ag,6S nah£ zu untersuehen, welcher Natur die Substanz ist,
exsndof durch Essigsäure ausfällt. Ich habe daher 11 Pleura-
p •, e+-V°n \ ^ atieuten, 1 Peritonealexsudat von tuberkulöser
ntomtis und 2 Aszitesflüssigkeiten auf diesen Körper unter-
SahnRTil?.ibe1rgi BeH- kliu- Wochenschr. 1897, S. 710. _
1902, 8 701 UbUCh d‘ klin' Entersuchungsmetlioden, III. Aufl.,
berg- Deutth ^ f‘ klil1' Med-> Bd- 28. _ Rune-
• i S; Arch l klm. Med., Bd. 34, S, 1; Bd. 35, S. 2GG.
’ Ku nebe rg: Berl. klin. Wochenschr. 1897 8 710
No. 34.
sucht. Die Reindarstellung stiess insofern auf Schwierigkeiten,
als der durch Essigsäure erzeugte Niederschlag nicht einlach
mittels Filtration gewonnen werden konnte. Die ganze Flüssig¬
keit wird dabei nämlich durch Azidalbuminbildung in eine
schleimig-gallertige Masse verwandelt, welche keine Filter pas¬
siert. Bisweilen konnte durch Verdünnen diese Konsistenz Ver¬
änderung vermieden werden; meistens aber wurde so verfahren,
c ass das ganze Exsudat mit grossen Mengen von Alkohol versetzt
und der Niederschlag mit Wasser extrahiert wurde. Wenn man
rasch arbeitet, löst sich der Körper gut und kann dann durch
Essigsaurezusatz wieder gefällt und so vom Serumalbumin ge¬
trennt werden, das durch Alkohol ebenfalls nur wenig koaguliert
wird Der Niederschlag wurde dann durch Waschen mit essig-
saurehaltigem Wasser, Alkohol und Aether oder durch Dialyse
gereinigt. Die Ausbeute schwankte von 0,2 bis 1,4 Prom.
Die Substanz gibt Biuret-, M i 1 1 o n sehe und Xanthoprotein¬
reaktion, starke Furfurolreaktion nach M o 1 i s c h, Adam-
kifwicz sehe und Liebermann sehe Reaktion. Die Re¬
aktion auf leicht abspaltbaren Schwefel ist stark positiv Durch
Kochen in neutraler Lösung fällt der Körper nicht aus, auch
nicht durch Dialyse. Durch Halbsättigung mit Ammonsulfat
wird er gefallt, ebenso durch Sättigung mit Magnesiumsulfat.
Bei Zusatz von wenig Essigsäure zu der wässerigen Lösung fällt
er aus, m einem mässigen Ueberschuss von Essigsäure löst er sich
wieder. Stumpft man die Säure ab, so fällt er wieder aus, setzt
man noch mehr Alkali bis zur neutralen oder schwach alkalischen
Reaktion zu, so löst er sich wieder. Beim Verdauen mit Pepsin
und Salzsäure bildet sich ein Niederschlag, der sich bei Fort¬
setzung der Verdauung wieder teilweise löst.
Dieses Verhalten bei der Pepsinverdauung hat schon
i aijkull ) bei einem Körper, den er durch Essigsäurefällung
aus Exsudaten gewonnen hatte, beobachtet und er hat deshalb
an JNukleoalbumin gedacht. Aus diesem Grund hat er, wie mir
Herr Prof. Hammarsten brieflich mitzuteilen die Güte
hatte, den bei der Pepsinverdauung entstandenen Niederschlag
auf Phosphor untersucht und zwar mit positivem Erfolg. Mir
ist es dagegen ebensowenig wie Umber gelungen, in dem
Körper Phosphor nachzuweisen, obschon ich 4 mal darnach °-e-
sucht und 1 mal 7 g dev Substanz zur Untersuchung verwendet
labe. . Es besteht somit eine Differenz zwischen Paijkull
einerseits, U mber und mir andrerseits. Dass Paijkull mit
unreinem Material gearbeitet hätte, ist wohl ausgeschlossen, da
er die Substanz durch 3 maliges Auflösen in Wasser mit Hilfe
von möglichst wenig Alkali und Ausfällen mit Essigsäure, end¬
lich durch Auswaschen gereinigt hat. Also scheint Paijkull
einen anderen Körper als wir in Händen gehabt zu haben. Herr
Prof. Ilammarsten schreibt, dass die Substanz P a i j -
k u 1 1 s nur in gewissen Exsudaten vorhanden war, und hält sie
für ein Nukleoproteid, welches man regelmässig aus Leukocyten
und Eiterkörperchen erhält.
Der regelmässig in den entzündlichen Exsudaten vorhandene
Ei weisskörper kann aber kein Nukleoalbumin sein. Umber
gibt an, er stehe den Müzinen nahe und nennt ihn deshalb
Serosamuzin. Es ist vielleicht verfrüht, einem Eiweisskörper,
dessen Natur noch nicht besser aufgeklärt ist, einen solchen
IN amen zu geben. Es könnte sonst leicht noch mehr Verwirrung
m die Nomenklatur der Eiweisschemie gebracht werden als schon
besteht. Der Name ist besonders deshalb nicht zutreffend, weil
erhebliche Unterschiede gegenüber den Müzinen vorhanden sind.
Umber selbst führt als solche die Ergebnisse der Elementar¬
analyse und den minimalen Gehalt an reduzierender Substanz an.
Uebrigens, wenn es auch gelungen wäre, erhebliche Mengen re¬
duzierender Substanz nachzuweisen, so wäre damit die Muzin¬
natur des Körpers noch nicht bewiesen, da sich auch aus an¬
deren Eiweisskörpern Kohlehydrate gewinnen lassen. Gelang es
doch Langstein j, in allen untersuchten Eiweisstoffen des
Eierklars Chitosamin nachzuweisen. Er sagt; deshalb °) : „Es
dürfte zu einer verhängnisvollen Verwirrung führen, wenn man
alle Kohlehydrat abspaltenden Eiweisstoffe als Müzine bezeichnen
wollte. Vor allein müsste man die im Tierreich vorkommenden
Eiweisstoffe mit wenigen Ausnahmen als Müzine bezeichnen und
4) lief, von H a m m arsten in Malys Jaliresber f Tier¬
chemie, XXV., 1892, s. 558.
2 bangstein: Beitr. z. chem. Phys. u. Patli., Bd. 1, S. 83.
°) a. a. O., S. 95.
2
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. S4.
1414 _
es würde z. B. das Albumen des Eies, das „Eiweiss“ als ana¬
tomischer Begriff, dann überhaupt kein Eiweiss, sondern nur
Müzine enthalten“. • ^ tx-
Der in Erage stehende Eiweisskörper steht durch seine Los-
licddnlts Verhältnisse den Globulinen näher als den Muzmen.
Dass er durch Sättigung mit Magnesiumsulfat und Halbs attigung
mit Ammonsulfat ausfällt und sich in überschüssiger Essigsäure
leicht löst, hat er mit den Globulinen gemein Er unterscheid
sich aber wieder von ihnen dadurch, dass er durch Dialyse nicht
gefällt wird. Eür die Stellung des Körpers wäre es wichtig, den
bei der Pepsinverdauung entstehenden Niederschlag genauer zu
kennen. Er kann vielleicht der Dysalbumose Kühnes ent¬
sprechen. Leider habe ich bisher noch nicht genug Material sam¬
meln können, um diesen Niederschlag genauer zu untersuchen.
Da wir also über die Stellung des Eiweisskörpers noch im Un¬
klaren sind, möchte ich vorschlagen, ihn einstweilen noch den
durch Essigsäure fällbaren Eiweisskorper der Exsudate
nennen.
Ich versuchte nun festzustellen, ob der durch Essigsäure fall¬
bare Eiweisskörper, der häufig im Urin auftritt, identisch sei mit
dem der Exsudate. Leider gelang es mir bisher aus Mangel an
Zeit und an Material nicht, die Untersuchung zu Ende zu fuhren.
Ich möchte hier nur einiges erwähnen, was ich bisher ge un en
habe. Ich habe vorerst nur ikterischen Urin in Arbeit genommen,
weil in diesem die Trübung durch Essigsäure besonders reichlich
ausfällt. • .
Dass häufig im Urin durch Zusatz von Essigsäure in der
Kälte eine Trübung auftritt, ist schon lange bekannt.
Reissner7) hat sie schon 1862 nachgewiesen und er sah die
Substanz, welche die Trübung bedingt, als Muzin an. Spater
hat Leube8) einen ähnlichen Körper beschrieben und Para¬
albumin genannt. Hofmeister") hat ihn als muzinahnliche
Substanz bezeichnet und P o s n e r 10) hat sich ihm angeschlossen.
Fürbringer11) hat einen ebenfalls durch Essigsäure fall
baren Eiweisskörper mit der Bence-Jones sehen Albumose
in gleiche Linie gestellt. Werner12) hat mitgeteilt dass m
einem Harn, der nur Globulin und kein Albumin enthielt, durch
Essigsäure schon in der Kälte eine Fällung zu erreichen war
Er. Müller13) hat dann den Körper genau untersucht und aut
Grund seiner Fällbarkeit durch Sättigung mit Magnesium¬
sulfat als Globulin angesprochen. Später hat ihn Huppert )
auf Grund seiner Aehnlichkeit mit dem Nukleoalbumin der Galle
als Nukleoalbumin bezeichnet. Obermayer1') hat dann auf
das regelmässige reichliche Vorkommen im ikterischen Urin hin¬
gewiesen und gestützt darauf, dass er Phosphor nachweisen
konnte, die Meinung geäussert, die Substanz bestehe wenigstens
teilweise aus Nukleoalbumin. Doch hat er, wie er selbst angibt,
keinen reinen Körper in Händen gehabt. Seither wurde die uns
interessierende Substanz als Nukleoalbumin angesehen und auch
Ott10) schloss sich dieser Meinung an, obschon es ihm nicht
gelang, Phosphor nachzuweisen. Er suchte die Ursache dafür,
dass in der Asche die Phosphorreaktion negativ ausfiel, in seiner
Methode der Reindarstellung und glaubte durch die Anwendung
starker Salzsäure das Nuklein abgespalten zu haben. P i chl er
und Vogt 17) sahen den durch Essigsäure fällbaren Eiweiss¬
körper im Harn, den sie wie Schreiber18) nach Kompression
des Thorax, ferner nach Behinderung der Nierenzirkulation beob¬
achteten, auch als Nukleoalbumin an. Endlich hat Jo 11 es1)
n Reissner: Vircliows Arch., Bd. 24, S. 191.
s) Leube: Sitzungsber. d. phys.-med. Societät zu Erlangen,
Lief. 10, Jahrg. 1878. .
») Hofmeister: Zeitsclir. f. pliys. Chemie, Bd. 4, 1880,
K 253.
lu) 1* o s n e r: Vircliows Arc-h., Bd. 104, S. 497.^
D F ü r bringe r: Berl. klin. W ocliensclir. 1 8 1 8, 7.
i-i Werner: Deutsche med. Wochenschr. 1883, No. 4G.
13) jy j._ Müller: Mitteil. a. d. med. Klinik zu Würzburg, I.,
1885, S. 259. , , ,
14) Huppert in Neubauer und Vogel: Anleitung zui
Analyse des Harns, 9. Aull., 1890, S. 277.
Obermayer: Centralbl. f. klin. Med., 13., 189-, S. 1.
v') Ad. Ott: Verliandl. d. Ivongr. f. inn. Med., XIII., 1SJ.>,
S. 490; Zeitsclir. f. Heilk., XVI., 1895, S. 177.
IT) Pichler und Vogt: Centralbl. f. klin. Med., Io., 1894,
15) Schreiber: Arch. f. experim. Fath., 19., 1885, S. 255;
20, 1886, S. 80. c no«
IU) Ad. J olles: Zeitschr. f. phys. Chemie, 2o., 1898, S. -30.
im Harn von Patienten, die an Eiterungen litten, und von
Pseudoleukämiekranken20) eine Substanz durch Essigsau io
fällt, die er als Nukleoliiston erklärt barm ) <!««<*“• «
unter Senators Leitung 200 Ur.ne untersucht hat. ist der
Ansicht, dass es sich in den meisten Fällen um Glob nlin handelt,
weil er den Körper in stärkerer Essigsäure leicht löslich, m Sal
petersäure unlöslich fand.
Die ganze Frage wurde durch Iv. A. H. M ö r n e 1 ) in ein
neues Licht gerückt. Monier wies nach, dass die un Bomdm
Urin fast immer nach Essigsäurezusatz auftretende Trübung
durch Albumin bedingt ist, welches durch Chondroitmschwefe -
säure, Nukleinsäure oder Taurocholsäure niedergeschlagen wild.
Die in pathologischen Zuständen auftretende stärkere Fallu g
wird bedingt durch stärkeren Eiweissgehalt des Urins allein od
verbunden mit vermehrter Ausscheidung eiweissfallender SuL
stanzen, also namentlich beim Ikterus Taurocholsäure Ich ver¬
suchte nun zu entscheiden, ob die im ikterischen Harn bei Essig¬
säurezusatz auf tretende Trübung nur durch dre von Morn e
nachgewiesenen Eiweissverbindungen bedingt werde ot er
eine andere Substanz dabei beteiligten * Zu diesem l /weck untei-
suchte ich zuerst auf Phosphorsäure. Der durch Essigsäure er¬
zeugte Niederschlag wurde durch wiederholtes Losen m 4 proz.
Natronlauge und Fällen mit verdünnter Essigsäure gereinig ,
dann mit Soda und Salpeter geschmolzen und die Asche mit
molybdaensaurem Ammon auf Phosphor untersucht. Als die Re¬
aktion negativ ausfiel, schien die Möglichkeit nicht ausg
schlossen, dass der Körper durch die Methode gespalten worden
sei. Deshalb wurde eine weitere Portion ohne Anwendung von
Alkali nur durch Waschen mit essigsäurehaltigem Wasser, Alko¬
hol und Aether gereinigt und auf Phosphor untersucht. uc i
so liess sich kein Phosphor nachweisen. Also konnte es sich nie
um Nukleoalbumin handeln. Durch 24 stündige Digestion mit
Salzsäure wurde keine reduzierende Substanz abgespalten, wie
übrigens schon Fr. Müller ") und O 1 1 ") gezeigt haben. Auch
Schwefelsäure konnte nach der Digestion mit Salzsaure nicht
nachgewiesen werden. Somit konnte auch die Chondroitm-
schwefelsäure keine wesentliche Rolle spielen. \ on den S
stanzen, welche M örne r anführt, kam also nur noch Taurochol¬
säure in Betracht. Um zu entscheiden, ob taurocholsaures L -
weiss die einzige durch die Essigsäure gefällte Substanz sei, wurde
der Urin mit der gleichen Menge gesättigter Ammonsulfatlosung
versetzt, wodurch eine starke Trübung entstand, und filtriert.
Im Filtrat erzeugte Essigsäure nur eine geringe Trübung, we c e
wohl durch taurocholsaures Eiweiss bedingt sein konnte. Der
Rückstand wurde mit halbgesättigter Ammonsulfatlosung ge¬
waschen und in Wasser gelöst. In dieser Lösung zeigte Essig¬
säure eine starke Trübung. Diese konnte nicht auf taurochol-
saurem Eiweiss beruhen, da ja die Gallensauren durch Ammon¬
sulfat nicht freigemacht werden und nicht auf das Eiweiss ein¬
wirken können, sondern in Lösung bleiben. Der durch Ainmon-
sulfat gebildete Niederschlag musste daher eine andere bubstanz
sein. Eine andere Portion Urin wurde durch Alkohol gefallt, der
Niederschlag wurde mit Alkohol gewaschen und in Wasser gelost.
In der Lösung erzeugte Essigsäurezusatz eine Trübung.^ uci
hier ist taurocholsaures Eiweiss ausgeschlossen, da die Gallen¬
säuren in den Alkohol übergehen mussten. Es muss also ein
durch Essigsäure fällbarer Eiweisskörper vorhanden sein, der
nicht den von Mörner nachgewiesenen entspricht. D leser
zeigt mit dem der Exsudate grosse Aehnlichkeit. Beide haben
miteinander gemein, dass sie durch Sättigung mit Magnesium-
sulfat und Halbsättigung mit Ammonsulfat ausfallen, durch ver¬
dünnte Essigsäure gefällt und durch überschüssige wieder ge¬
löst werden, sämtliche Eiweissreaktionen geben, m Natronlauge
gelöst werden, ohne ihre Fällbarkeit durch Essigsäure zu ver¬
lieren. Diese Tatsachen lassen die Vermutung aufkommen, dass
in Exsudaten und in gewissen ürinen ein ähnlicher, durch Essig¬
säure fällbarer Eiweisskörper vorkommt, der den Globulinen nahe¬
stehen dürfte. Ob es der gleiche Körper ist und welche Stellung
20) Derselbe: Zeitschr. f. klin. Med., 34., 1898, S. 53.
21) Sarzin: Ueber Nukleoalbumin im Harn. Inaug.-Di. s„
Berlin 1894. , . ico-,
22) K. A. H. M ö r n e r: gkandinav. Arch. f. Phys., 0., ISA »
23) 'a. a. O., S. 201.
24) a. a. O., S .180.
26. August 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1415
er in der Reihe der Eiweisstoffe einnimmt, lässt sich nach den
bisherigen Untersuchungen noch nicht entscheiden.
Anschliessend möchte ich noch hinzufügen, dass auch im
Serum von Vesikatorenblasen, wie sie an der Basler medizinischen
Klinik zum Zweck der Agglutination bei Typhuskranken gesetzt
werden, durch verdünnte Essigsäure ein ziemlich starker Nieder¬
schlag entsteht, der sich im Ueberschuss sehr leicht wieder löst.
Wegen der geringen Menge von Material konnte aber die Natur
dieses Körpers nicht genauer festgestellt werden.
Aus der orthopädischen Anstalt von Dr. Peter Bade in Hannover.
Zur Frühdiagnose der angeborenen Subluxatio und
Luxatio coxae.
Von Dr. Peter Bade in Hannover.
In der Literatur sind verschiedene Fälle von Subluxationen
dos Hüftgelenks kongenitaler Natur beschrieben worden, so
namentlich von Zenker, Schede, Joachimsthal und
kürzlich von Walther (Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 14).
W a 1 1 h e r beschreibt 10 Fälle, die dem Material der Lange-
schen Klinik in München entstammen. Im Anschluss an diese
lälle sei es mir gestattet, auf eine Beobachtung hinzuweisen, die
mit den Walther sehen Befunden in Einklang steht, eine Be¬
obachtung, die ich im Jahre 1900 an dem Studium von 150
Luxationsröntgenogrammen der IL o f f a sehen Klinik machte.
Ich stellte damals fest, dass in mehr als 25 Proz. der Fälle bei
zweifellos einseitiger, angeborener Hüftluxation auch Verände¬
rungen im Hüftgelenk der gesunden Seite vorhanden waren. Es
handelte sich im wesentlichen immer um eine zu weite Pfanne,
um ein abgeflachtes oberes Pfannendach, so dass, wenn man die
Stelle des Kopfes auf dem Röntgenogramm verdeckte, jeder un¬
befangene Beobachter die Pfanne für eine typische Luxations¬
pfanne erklären musste (Bade: Wiener klin. Rundschau 1900,
No. 45, 46, 48). Diese Befunde sind namentlich von Joachims-
t h a 1 bestätigt worden. Dieser zeigte auf dem vorjährigen
Chirurgenkongress und diesjährigen Kongress für chirurgische
Orthopädie Röntgenogramme, welche an der einen Seite typische
Luxatio coxae, an der anderen Seite Veränderungen des Gelenkes
zeigten, die als Vorstufe zur Luxation anzusehen waren. Auf
Grund dieser Befunde gewinnt die Frage nach der Aetiologie
und namentlich nach der Frühdiagnose der Luxation und der
davon abhängenden zweckmässigen Behandlung wieder an Inter¬
esse.
Walther erkennt die Wichtigkeit dieser Frage, indem er
die Forderung stellt, die Behandlung möglichst frühzeitig zu be¬
ginnen, wenn es sich bei der kongenitalen Luxation in Wirklich¬
keit nicht um ein angeborenes Leiden, sondern nur um die an¬
geborene Disposition zur Luxation handle. Wäre nur eine Dis¬
position vorhanden, so müsse es Aufgabe der Therapie sein, das
völlige Austreten des Kopfes aus einer zu weiten Pfanne zu
verhindern.
Ls handelt sich also darum, möglichst frühzeitig die Dia¬
gnose angeborene Luxation oder Subluxation zu stellen.
Lorenz hat an 1000 Neugeborenen, die er im Wiener Fin¬
delhaus auf kongenitale Hüftluxation hin untersuchte, nicht ein
einziges Mal die Luxation nachweisen können. Diese Tatsache
scheint mehr für die angeborene Disposition zur Luxation zu
sprechen. G r a w i t z dagegen stellte an 7 Leichen von Neu¬
geborenen das \ orhande-nsein einer wirklich angeborenen Luxatio
coxae fest. Damit ist bewiesen, dass schon bei der Geburt eine
vollständig ausgebildete Luxatio coxae vorhanden sein kann.
Andererseits beweisen die Befunde von Walther und mir,
dass es auch ausserdem noch eine angeborene Disposition zur
Luxation geben kann. Diese Disposition zeigt sich in Verände¬
rungen, welche erstens die Pfanne, zweitens den Kopf und das
obere Femurende und drittens die Stellung des Kopfes zur Pfanne
betreffen. Aus diesen Veränderungen, die in ihrem geringsten
Grade eine kleine Abflachung des Pfannendaches zeigen, die in
ihrer stärksten Ausbildung die typische kongenitale Luxation
nnt der weiten Pfanne, dem Fehlen des oberen Pfannendaches,
der Verdickung des unteren Pfannenbodens, dem Hochstand des
atrophischen, antevertierten Kopfes repräsentieren, und zwischen
t lesen Extremen die verschiedensten Abstufungen erkennen
assen, so die Zenker sehe Subluxation und die Lange sehe
uxatio supracotyloidea, aus dieser Skala von Veränderungen
muss man unbedingt als letzte LTrsaohe der Luxation einen de-
generativen Prozess ansprechen, der schon im Uterus einsetzt
und bisweilen die Luxation hervorruft, bisweilen nur solche ana¬
tomische Verhältnisse schafft, die uns berechtigen, von einer Dis¬
position zur Luxation zu sprechen. Beides, Luxation sowohl, wie
die Disposition zur Luxation, bringt der Patient mit auf die
Welt. Unser Bestreben muss dahin gehen, beides möglichst bald
zu erkennen.
Die sichere Erkennung der Luxation ist in den ersten Lebens¬
monaten aber gar nicht so einfach, um so schwieriger das Er¬
kennen einer Disposition zur Luxation. Der sicherste Weg zur
Erkenntnis dürfte noch der Röntgenapparat sein. Aber ein sol¬
cher ist nicht in der Hand jedes Arztes. Gerade der praktische
Arzt jedoch ist derjenige, welcher zuerst die Erkrankung des
Hüftgelenkes erkennen muss, wenn frühzeitig eine zielbewusste
Therapie eingreifen soll. Endlich sind auch die Röntgenunter¬
suchungen von Neugeborenen wegen der Unruhe der Kinder
nicht ganz leicht auszuführen, und nur mit möglichst kurzer
Exposition werden genügend gute Bilder geschaffen. Ein In¬
strumentarium aber, das dies leistet, kann sich kein praktischer
Arzt anschaffen.
W ir müssen also nach unseren bekannten Untersuchungs¬
methoden greifen, der Inspektion, der Palpation und der Men-
suration. Da die anatomischen Verhältnisse der Hüftgelenks¬
gegend beim Neugeborenen und Säugling jedoch so zarte und
feine sind, so wird man kaum in stände sein, die Diagnose auf
kongenitale Luxation der Hüfte zu stellen, viel weniger noch .die
Diagnose der Disposition zur Luxation. Die Zeichen der aus-
gebildeten Luxation, der Hochstand der Trochanterspitze, die
Verschieblichkeit des Kopfes sind sehr schwer beim Neu¬
geborenen nachzuweisen. Was die Trochanterspitze anlangt, so
wird man beim Lntersuchen vieler Hüftgelenke überhaupt finden,
dass ihr Stand nicht immer ganz konstant in der Roser-
Nolatonschen Linie liegt; was die Verschieblichkeit des
Kopfes betrifft, so ist ausgesprochene Verschieblichkeit natürlich
beweisend; aber ganz geringe Verschieblichkeit findet man oft
bei sonst gesunden Hüftgelenken auch, wenn die Pfanne weit
und die Kapsel etwas schlaff ist. Eine Verkürzung ist natürlich
bei der physiologischen Beugestellung der Extremität im Ilüft-
und Kniegelenk auch sehr schwer nachzuweisen. Endlich fällt
der sonst charakteristische Gang natürlich fort.
Es dürfte demnach bei der Kleinheit der Verhältnisse, die"
das Hüftgelenk des Neugeborenen für die Diagnosenstellung uns
darbietet, jeder kleine diagnostische Fingerzeig erwünscht sein.
Einen solchen stellt meines Erachtens die Art der Falten¬
bildung am Oberschenkel des Neugeborenen
dar.
Wenn wir den Oberschenkel des Neugeborenen von vorne be¬
trachten, so fallen uns ausser der Inguinalfalte zwei Hautfalten
auf. Die erste, die Adduktoren falte, liegt zwischen der
Adduktorenkulisse und dem Quadrizeps cruris, sie zieht von vorn
oben aussen nach unten innen. Die zweite Falte liegt etwas
tiefer, näher dem Kniegelenk zu und beginnt etwas mehr median-
wärts. Sie ist nicht so scharf ausgeprägt wie die Adduktorenfalte
und wird, je älter das Kind wird, schwächer werden. Diese
beiden Falten sind bei einem normalen Kinde, wie verschiedene
Untersuchungen am Säugling mir bewiesen, an beiden Extremi¬
täten gleichmässig ausgebildet und stehen ganz gleich hoch. Legt
man die kindlichen Oberschenkel fest nebeneinander, so dass das
Becken gerade gestellt ist, und die Kniegelenke möglichst durch¬
gedrückt sind, so wird man bemerken, dass der an der Innen¬
fläche sichtbare Endpunkt der Adduktorenfalte mit dem der
anderen Seite zusammenfällt. Dies ist jedoch bei einem Säug¬
ling, der angeborene Luxation der Hüfte oder nur Disposition
dazu hat, nicht der Fall, wie ich mich an einer kleinen Patientin,
durch deren Untersuchung ich erst auf dieses kleine Hilfsmittel
aufmerksam wurde, überzeugen konnte.
Eine Dame, deren erste Tochter, 5 Jahre alt, mit Luxatio
coxae congenita dextra, von mir behandelt worden war, brachte
bald nach der Geburt ihres zweiten Töchtercliens dieses zur Unter¬
suchung, aus Angst, es könne dasselbe Leiden haben wie die
Schwester. Bei der Untersuchung des sehr kräftigen, kleinen,
etwa 2 Monate alten Mädchens waren beide Köpfe vorne neben
der pulsierenden Arterie zu fühlen, an beiden Seiten gleich hoch
und gut. Eine Verschiebung nach oben, auch bei Beugestellung,
konnte ich nicht nachweisen. Beide Troehanterenspitzen standen
etwa y2 cm über der It o s er sehen Linie. Die Extremitäten
2*
1416
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
schienen gleich lang und gleiehmässig gut entwickelt. Eine
Röntgenaufnahme war bei dem Zappeln des Kindes nicht auszu¬
führen. So konnte ich also nicht ganz sicher behaupten, dass
alles an den Hüften in Ordnung sei, denn der geringe Hochstand
der Trochanterenspitze musste immer etwas verdächtig erscheinen.
Bei dieser Kleinen nun machte ich die Beobachtung, dass die
rechte Adduktorenfalte etwas, ca. y2 cm, höher stand als die
linke, dass die Endpunkte der Adduktorenfalten nicht zusammen¬
liefen. Das war auch der Mutter aufgefallen und ein Grund
weswegen sie das Kind zur Untersuchung brachte. Auf Grund
dieser kleinen Asymmetrie in der Faltenbildung und in Anbetracht
der Luxation bei der andern Schwester war ich nun der Ansicht,
dass auch hei dieser Kleinen eine kongenitale Luxation vorliege.
Ich forderte die Dame nach y2 Jahre zur Nachuntersuchung ihres
Töchterchens auf. Dann konstatierte ich denselben Befund, nur
war der Kopf rechts vome etwas deutlicher palpabel als links.
Die Asymmetrie in der Faltenbildung war etwas auffälliger noch
als das erste Mal. Diesmal gelang mir mit 60 cm Funkenlange
eine Momentaufnahme des kindlichen Beckens in 6 Sekunden.
Die Platte bewies deutlich das Vorhandensein einer Luxatio supra-
cotyloidea dextra congenita.
Im Anschuss an diese Beobachtung habe ich bei Neu¬
geborenen, soweit ich Gelegenheit habe, solche zur 1 ntersuchung
zu bekommen, immer auf die Adduktorenfalte geachtet, aber
bis jetzt noch keine Asymmetrie wieder gesehen. Es ist natürlich
erklärlich, dass der Spezialarzt für Orthopädie nur wenig Ge¬
legenheit hat, normale Kinder zu untersuchen. Meistens be¬
kommt er das ausgebildete Leiden zu sehen. Daher wird auch
meine Beobachtung von der Asymmetrie der Adduktorenfalten
bei kongenitaler Luxation oder Disposition zur Luxation in erstci
Linie von dem praktischen Arzte und Geburtshelfer nachgeprüft
werden können, die ja sehr viel häufiger Neugeborene und Säug¬
linge zu sehen Gelegenheit haben als ich. W ird von diesen nun
eine Asymmetrie bemerkt, so liegt der \ erdacht einer kongeni¬
talen Hüfterkrankung nahe. Das Kind muss genau beobachtet
werden. Auf die Weise wird man gewiss manchen Fall von an¬
geborener Hüftluxation schon entdecken, bevor die Kinder laufen
lernen. Man kann dann sein therapeutisches Handeln nach der
sicheren Diagnose richten. Handelt es sich um eine ausgebildete
angeborene Luxation, so wird man nach dem Vor schlage
Lorenz5 verfahren und mit der Reposition warten, bis das
Kind bettrein ist ; handelt es sich jedoch nur um eine Disposition
zur Luxation, so wird möglichst frühzeitig die Schedesche Ab¬
duktionsschiene anzuwenden sein, und sobald das Kind gehen
lernt, der Lange sehe Gürtel.
im zweiten Bande seines Werkes „Der Mensch“, pag. 102 ff., die
Angaben über den platten Fuss der Neger richtig gestellt hat,
scheint es mir bei der weiten Verbreitüng, die der alte Glaube
noch findet, nicht überflüssig, Ihnen in Kürze das Resultat meiner
Untersuchungen — g'estützt auf das Material, das ich Ihnen vor
lege — mitzuteilen.
Der Kernpunkt ist: der Neger hat einen ebenso gewölbten
Fuss wie der Weisse.
Wenn Sie die vorliegenden, wahllos an Bord auf genommenen
Abdrücke1) durchblättern — Name, Alter und Stammort finden
Sie auf jedem verzeichnet — so bemerken Sie durchweg eine
grösstenteils stark ausgesprochene Wölbung. Sie sehen ferner,
dass die mediale Zirkumferenzlinie eine überall deutlich nach
medial konkave Schweifung zeigt, und drittens konstatiert man
eine offenkundige Adduktion des Vorfusses. Nirgends liegt das
Naviculare dem Boden auf — alles Eigenschaften, die ein Bes
planus nicht zeigen dürfte.
Als Ganzes imponiert der Negerfuss durch eine Breite und
Grösse, die einen LTrberliner wohl zu einem Vergleich mit den be¬
liebten Spreekähnen begeistern könnte. Auffallend ist weiter die
helle, gelbliche Färbung der Planta pedis, die sie mit der Vola
rnanus teilt. Die Zehen stehen meist voneinander getiennt,
namentlich ist die grosse Zehe stark medialwärts gerichtet
(Fig. 2, 3, 4). Die zweite Zehe hat oft gleiche Länge mit der
grossen (Fig. 2, 5), manchmal überragt sie diese sogar aber die
Regel ist das keineswegs, in den meisten Fällen ist die grosse
Zehe länger. Hierin — in der fächerartigen Ausbreitung aller
Zehen, deren jede die geradlinige Fortsetzung ihres Metatarsus
ist, und in der meist grösseren Länge der zweiten Zehe gleicht
Fig. 1. Suaheli (Dar -es- Salaam).
Fig. 2. Suaheli (Zanzibar).
Der Bau des Negerfusses.*)
Von Dr. Max Herz, z. Zt. am orthopädischen Ambulatorium
des Wiener allg. Krankenhauses (Prof. Dr. A. Lorenz).
M. II. ! Seit langem zieht sich durch unsere Kenntnis und
Literatur die Behauptung, der Neger habe einen „platten Fuss‘ .
Die meist verbreitete Anschauung darüber gibt wohl IL o f f a
in der neuesten Auflage (1902) seines Lehrbuches der orthopädi¬
schen Chirurgie wieder, die ich kurz zitieren darf. Hier unter¬
scheidet der Autor streng zwischen einem akquirierten Pes valgus
und dem kongenitalen Pes planus. Letzter ist eine Rasseneigen-
tümliehkeit des Negers. Verschieden in ihrer Aetiologie dieser
ist erworben, jener angeboren — haben beide gemeinsam den
Mangel einer Fusswölbung. Die Tuberositas des Naviculare liegt
beim Pes planus der stützenden Unterlage auf und bildet den
tiefst gelegenen Punkt des inneren Fussrandes; während jedoch
hier das Lageverhältnis zwischen Talus und Naviculare ein nor¬
males ist, überragt beim Pes valgus der Taluskopf das Schiff¬
bein nach innen zu. Es ist kein G rund zu der Annahme vor¬
handen, dass der platte Fuss zur Plattfussbildung disponiert sei.
Dieser stellt vielmehr nur einen Schönheitsfehler dar und beein¬
trächtigt die Leistungsfähigkeit des Individuums nicht im ge¬
ringsten.
Also ein ganz flacher F uss, der lediglich den Gesetzen der
Aesthetik nicht entspricht; aber da man wohl darauf bei unseren
schwarzen Brüdern nicht allzuviel Wert legt, für uns nicht weiter
von Interesse und Belang.
Nun hatte ich, als ich im letzten Herbst als Schiffsarzt die
ostafrikanische Küste besuchte, reichlich und oft Gelegenheit,
diese Behauptung als Irrtum zu erkennen. Obwohl nun, wie ich
mich nach meiner Rückkehr überzeugen konnte, bereits Ranke
*) Vortrag, gehalten auf dem 1. Kongresse der deutschen
Gesellschaft für orthopäd. Chirurgie, am 1. April 1902 zu Berlin.
Fig. 3. Somali (Kilwa).
Fig 4. Makua (Mozambique).
Fig, 5. Suaheli (Lindi). Fig. 6. Araber (Aden).
der Negerfuss, wie auch Ranke hervorhebt, dem antiken Ideal
eines Fusses, von dem eben S c h u 1 z e - Naumburg in seiner
„Kultur des weiblichen Körpers“ ein erschöpfendes Bild ent¬
worfen hat. Der Negerfuss in seiner natürlichen Ausgestaltung
i) Fig. l — g geben Abdrücke von Schwarzen verschiedener
Stämme wieder.
26. Aug’ust 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
und der durch schlechtes Schuhwerk verkrüppelte der Weissen _
welcher entspricht da wohl eher den ästhetischen Gesetzen«
Der Fuss des Schwarzen ist ausserordentlich fleischig,’ die
Muskulatur kräftig entwickelt; namentlich sind die Ad- und Ab-
duk tionsmuskeln des Hallux ungemein differenziert, so dass der
iS eger mit dem lusse greifen kann, so klemmt z. B. der Silber¬
arbeiter auf Zanzibar bei der Arbeit den Gegenstand mit der
grossen Zehe an die übrigen fest.
Diese ganze massive Ausbildung der Fussmuskulatur, die der
Schwarze dem Barfussgehen verdankt, ist meines Erachtens der
Hauptgrund gewesen, die irrtümliche Behauptung vom platten
Busse des Negers aufzustellen. Es ist das fast eine optische
Falle> der des 20 jährigen Chamis und der des
19 jährigen Mabruk (beides Suaheli) (Fig. 7 und 8), scheinen auf
1417
Fis. 7.
Fig. 8.
den ersten Blick fast das Bild des platten Fusses zu bieten. Aber
einmal ist auch hier das Tuberculum des Naviculare nicht der
tiefste Punkt; betrachten Sie weiter die konkave mediale Zir-
kumferenzlinie und die Adduktion des Vorfusses, so sehen Sie,
dass es sich auch hier nicht um diese Deformität handelt. Zur
Erhärtung dessen kann ich noch hinzufügen, dass eine manuelle
Untersuchung ein hohes Knochengerüst nachwies, das nur mit
Muskelmassen ausgefüllt war; die Wölbung war hier verdeckt
Das gibt ja zu denken Anlass über den Wert des Russabdruckes
überhaupt.
Fig. 9.
Ich darf wohl noch kurz auf eine andere Eigenschaft des
•A egeriusses lnnweisen, die ausser Fritzsche auch
• o achimsthal in seiner Arbeit „Ueber selbstregulatorische
organge am Muskel“ (Zeitschr. f. orthopäd. Chir. IV. Bd., IT. 12)
erwähnt Das ist die auffallende Länge des Tuber calcanei, das
beim Schwärzen weit nach hinten hinausragt. Im Zusammen-
h amit Joachimsthal wies das auch experimentell
uaei — bteht die kurze, schmale, fast schmächtige Wade des
- egers Der Calcaneus bietet hier einen längeren Hebelarm,
im zu bewegen bedarf es nur einer geringen Kraft, daher die
he, kurze V ade. Man wird dieses lange Tuber wohl als Rassen-
No. 34.
eigenschaft betrachten müssen. Es Hesse sich denken, dass es
eine Art Anpassung an den Gang des Schwarzen sei, der, um
seinen mit voller Sohle eben und flach auftretenden Fuss abzu-
wickeln einer stärkeren Kraft (oder - es kommt auf das Gleiche
hinaus eines längeren Hebelarmes) bedürfe als der Weisse
dessen beschuhter Fuss durch den Absatz bereits etwas plantar-
nektiert steht. Diese Annahme ist indes unrichtig, weil der Fuss
der Griechen und Römer, die gleichfalls völlig eben auftraten,
dieses lange Tuber nicht zeigt, wie wir uns an antiken Bildwerken
leicht überzeugen können.
Die Verhältnisse am Negerbein demonstriert sehr schön
I ig. 9, ein Bild, das ich der grossen Liebenswürdigkeit des Herrn
Kollegen Joachimsthai verdanke. Das Hnks stehende Bein
von einem Dinkaneger, zeigt deutlich das lange Tuber und die
entsprechende Wade, im Gegensatz zu dem Beine eines gleich¬
altrigen Weissen.
Ich denke. Sie werden sich durch das vorliegende Material,
dessen Ergebnisse ich durch viele Untersuchungen am Lande in
Wasser- und Sandabdrücken bestätigt fand, davon überzeugen
dass der Neger keinen platten Fuss hat, weder der Suaheli noch
cei Somali, noch der Makua und Kaffer, ebensowenig wie der
Araber und Inder. Wie weit überhaupt die Aufstellung des Be¬
griffes eines Pes planus berechtigt ist, das werden weitere Unter¬
suchungen ergeben.
Lud wenn man nun dem Neger diesen Schönheitsfehler an-
streicht, so wollen wir doch gerecht sein. Geben Sie also, m II
unseren schwarzen Brüdern endgültig die Schönheit ihres Fusses
wieder !
Vorschlag zum bequemen Aufblasen von Luftkissen.
\ on Dr. Landgraf, Krankenhausarzt in Bayreuth.
. „ ekelhafte und gefährliche Aufblasen der Luftkissen mit
1 en Munde durfte bald ausser Gebrauch kommen, wenn man auf
proitThube' 61Se vertlilu‘t’ die ich im hiesigen Krankenhause er-
... -^Fan ersetzt das Ventil durch ein solches, wie es bei den Luft-
reden der b ahrrader gebräuchlich ist, und das man für wenig
d 111 •]edeTr J 'ahrradhandlung bekommt. Dann kann man die
1 udlin8 dos Luftkissens mit einer gewöhnlichen Fahrradluftpumpe
sauber bequem und für deu Kranken, der ruhig auf dem Kissen
m gen bleiben kann, angenehm vornehmen. Ich iveiss wohl, dass
i on einer Luftkissenfabrik bereits eine Vorrichtung in den Handel
gebracht wurde, die auf demselben Prinzip beruht, allein mein Ver¬
fahren hisst sich auch bei jedem älteren Kissen anwenden bezw
improvisieren. ^
Noch bequemer wäre es freilich, wenn die Industrie künftig
nur Luftkissen in den Handel brächte, deren Ventile mit dem
Normalgewinde der Fahrradreifen versehen sind, da wohl auch im
kleinsten Orte eine Luftpumpe auf zutreiben ist.
Aus der neuen Heilanstalt für Lungenkranke zu Schömberg,
O.-A. Neuenbürg.
Ueber die Beziehungen von Körperbewegungen,
Körperwärme und Albumosurie zu einander und
zum Fieber im Verlaufe der Phthise.
Von Dr. G. Schröde r, dirig. Arzt und Dr. Th. B r ü h 1,
Assistenzarzt.
(Schluss.)
V ii haben nun zunächst unser Augenmerk darauf gerichtet,
ob und wann bei fieberhafter Phthise Albumosen im Urin auf-
treten.
Albumosen fanden wir also im Urin nur bei unseren Schwer-
k ranken, während all die Fälle mit subfebriler Temperatur, die
wir klinisch zu den Fiebernden rechnen mussten, solche vermissen
Hessen. Hinsichtlich des Auftretens der Albumosurie bei fieber-
haftei chronischer Lungentuberkulose stimmen wir also mit
K i e h 1, M a 1 1 li e s und ihren Schülern überein: Dieselbe wird
vielfach vermisst. Bei unseren Fällen mit positivem Urin-
bef unde, die sich sämtlich im vorgeschrittenen Stadium der kaver¬
nösen Phthise befanden, ist interessant, dass fast stets gleich¬
zeitig mit dem Auftreten von Albumosurie der Urin die Diazo-
reaktion zeigte. Ebensowenig, wie nach unserer Ansicht die letz¬
tere stets ein prognostisch übles Zeichen zu sein braucht, ist es
erstere. So entfieberten sich die Fälle 2 und 3 (Tab. IVa) lang¬
sam und zeigten Gewichtszunahme trotz Albumosurie. Bei Fall 4
(IVa) verlief analog einigen Tierversuchen von Krehl und
3
1418
MUENCHENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Matthes die Albumosurie ohne Temperaturanstieg. Wir
hatten es mit Kollaps zu tun.
Tabelle IV a
—
Urinuntersuchung
Urinuntersuchung
a
Fieber-
auf
auf Albumosen
Bemerkungen
No
D
oi
typus
Albumen
Diazo
Methode
Viethode
in
A |l
3 (Bang)
1
II
remitt.
1
neg.
neg.
neg.
neg.
Käsige Pneumonie.
2
II
intermitt
neg.
neg.
pos.
susp.
3
III
remitt.
neg.
pos.
susp.
pos.
4
III
asthenisch
neg.
pos
pos.
pos.
Schwerer Kollaps¬
zustand.
5
III
intermitt
neg.
pos.
pos.
pos.
0
III
remitt.
neg.
neg.
susp.
susp.
7
III
intermitt.
neg.
pos.
pos.
pos.
8
III
intermitt.
neg.
pos.
pos.
pos.
In Agone untersucht.
Tabelle IV b.
Phthisiker mit
subfebriler Temperatur.
1
III
subfebr.
neg.
neg
neg.
_
Nach Methode B
wurde in dieser
2
II
subfebr.
neg
neg.
neg.
Serie nicht unter-
3
11
subfebr.
neg.
neg.
neg.
—
sucht.
4
III
subfebr
neg.
neg.
neg
—
Sämtliche Kranke
waren stunden-
5
n
subfebr.
neg.
neg.
neg
weise am Tage
6
ii
subfebr.
neg.
neg.
neg.
—
ausser Bett und
in der Liegehalle.
7
m
subfebr
neg.
neg.
neg.
8
ii
subfebr.
neg.
pos.
neg.
—
Begleitaffektion
Meningitis tuber-
9
ui
subfebr.
neg.
neg.
neg.
bulosa.
10
m
subfebr.
neg.
neg.
neg.
l -
11
ii
subfebr.
neg.
neg.
neg.
| _
Es wäre nun gewiss möglich, dass nicht fiebernde Phthisiker
oder solche mit labiler Körperwärme und subfebrilen Tempera¬
turen nach Körperbewegungen eine derartige Aenderung des Ei-
weissstoffwechsels erführen, dass Albumosurie die Folge wäre.
Letztere bedeutete dann für die Therapie ein wohl zu beachtendes
Symptom. Unsere nach dieser Richtung hin angestellten Unter¬
suchungen ergaben folgende Resultate.
Weiter untersuchten wir den vor und nach dem Gange ge¬
lassenen Urin der in Tabelle I aufgeführten Nichttuberkulösen
auf Albumosen und erhielten jedesmal ein negatives Resultat.
Wir fanden also bei Lungenkranken, denen regelmässige
Körperbewegungen gestattet waren, nach einem k u r -
gemässen, den Kräften entsprechenden Gange
trotz der regelmässig im After entstandenen
abnormen Steigerung der Temperatur niemals
deutlich Albumosen im Urin. Nur 2 mal (Gruppe CI und )
war der Befund suspekt, 1 mal (Gruppe C 2) vor und nach dem
ordinierten Spaziergange unsicher. Gruppe CI litt an starker
Bronchoblennorrhoe, hatte also grössere Eiweissverluste durch sein
Sputum; Fall C4 zeigte anormal grosse Tagesschwankungen der
Temperatur mit Neigung zu Kollaps infolge starker Anämie;
Fall C 2 Hessen wir aus psychischen Gründen kleine Spazier¬
gänge machen, obwohl er subfebrile Temperaturen hatte.
Es ist uns natürlich nicht gestattet, die sub Tab. IV b auf¬
geführten Kranken mit subfebrilen Temperaturen zum Zwecke
eines Versuches gehen zu lassen. Wir hätten dann möglicher¬
weise bei mehreren derselben Albumosurie erhalten. Es ist selbst¬
verständlich, dass bei diesen Kranken schwerere Stoffwechsel¬
störungen vorliegen, und wohl begreiflich, dass unzweckmässige
Bewegungen gesteigerten Eiweisszerfall zur Folge haben.
Ueberblicken wir nun unsere Untersuehungsreihen, so glau¬
ben wir manches Beachtenswerte gefunden zu haben.
Wir müssen annehmen, dass die regelm äs s i g
und am deutlichsten bei Nichttuberkulösen
gefundene Temperatursteigerung im After
nach Körperbewegungen nicht pathogno-
monisch für Tuberkulose ist, vielmehr eine
lokaleHyperthermiegenannt werden muss, be-
No.
a
p
• r-*
C3
( J2
Temperatur
vor dem
Spaziergang
nach dem
Spaziergang
Mund After
Mund After
Tabelle V. Phthisiker, denen Bewegung verordnet wurde.
Urinuntersuchungen auf
Albumen
Diazo
Albumosen
vor dem Spaziergang
nach dem Spaziergang
Methode A ( Methode B
Methode A Methode B
Bemerkungen
A. Patienten mit grosser Leistungsfähigkeit
I
37,0
37,3
37,2
38,1
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
I
36,8
36,9
36,9
37,3
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
I
36,9
37,2
37,0
37,8
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
II
36,7
36,9
36,9
37,6
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
11
37,2
37,5
37,2
38,0
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
Gruppe A umfasst fieberfreie Kranke,
welchen täglich 4—5 Stunden Be¬
wegung gestattet wurde. Dauer
des Versuchsganges 5/4 Stunden.
B. Patienten mit beschränkter Leistungsfähigkeit.
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
6
II
36,9
37,2
37,0
37,9
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ'
negativ
II
37,0
37,2
37,1
37,5
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
II
36,8
37,4
36,9
37,9
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
II
37,0
37,8
37,2
38,3
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
II
36,7
37,0
36,9
37,7
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
C. Patienten
Komplikation : Lues * ;
Kranke gingen täglich 2—3 Stdn.
Dauer des Versuchsganges 1 Stde.
Körperwärme in Fall 4 labil.
mit labiler Temperatur und stärker reduzierter Leistungsfähigkeit.
Bronchoblennorrhoe.
starke Anaemie.
11
36,8
37,7
36,7
38,1
negativ
negativ
negativ
—
suspekt
—
III
37,1
37,5
37,2
37,7
negativ
negativ
suspekt
suspekt
suspekt
—
II
36,2
37,5
36,0
37,7
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
II
35,8
36,9
35,9
37,1
negativ
negativ
negativ
—
suspekt
—
III
36,7
37,7
37,3
38,4
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
I
36,1
36,9
36,2
37,5
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
negativ
Gruppe C ging täglich 1 — l1/2 Stunde.
Dauer des Spazierganges Zwecks der
Untersuchung des Harns l/2 Stunde.
26. August 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCH E WOCHENSCHRl FT.
1419
dingt durch Wärmestauung, welche vielleicht
durch die beim Gehen gesteigerte Arbeit der
unteren Extremitätenmuskeln und den in den
G e f ä s se n ihres Bereiches erhöhten Blutdruck
zu Stande kommt. Es tritt daher ebensowenig’ bei dieser
Hyperthermie, wie bei der künstlich erzeugten (Wärmestich, Brut¬
ofen) Albumosurie ein. Letztere beobachten wir im allgmeinen
nui bei weit voi geschrittener Bhthise mit erheblichen Störungen
des M ärmehaushaltes. Sie wird möglicherweise mitbenutzt
werden können, um bei Phthisikern mit labiler und subfebriler
Temperatur, denen aus anderen Gründen mässige Körper¬
wegungen keinen Schaden stiften. Das Nichtauftreten von Albu¬
mosurie ist ein Beweismittel dafür, dass die nach Körper¬
bewegungen bei sonst fieberfreien Lungenkranken im After
beobachtete Temperatursteigerung nicht als echtes Fieber an¬
zusehen ist. Diese lokale Erhöhung der Körper¬
wärme ist bei der Phthise weder diagnostisch
noch prognostisch zu verwerten.
Die Therapie darf und kann auf dieses Phänomen keine
Rücksicht nehmen. Niemals haben wir deshalb unseren Kran¬
ken die körperliche Bewegung’ zu beschränken. Verhängnisvolle
therapeutische Irrtümer würden die Folge sein.
Bei allen fieberfreien Lungenkranken, selbst wenn sie genanntes
Phänomen zeigen, ist möglichste Steigerung der Körperbewegung
anzustreben, weil nur so unserer Ansicht nach die absolut un¬
nütze und sogar schädliche Fettmast vermieden, vielmehr Fleisch¬
mast mit Stärkung der Muskulatur erreicht werden kann. Darin
liegt für den Phthisiker das Heil, während eine prolongierte
Liegekur mit Rücksicht auf die nach Körperbewegung be¬
obachtete Steigerung der Aftertemperatur für zahlreiche Kranke
eine direkte Schädigung bedeuten würde.
Wir können endlich zum Schlüsse nicht umhin, wiederholt
der Mundmessung das Wort zu reden.
Bei fieberlosen Kranken waren in der Ruhe die Unterschiede
zwischen Mund- und Aftertemperatur normal. Bei Patienten
welche labile oder subfebrile Temperaturen aufwiesen, wurden die
Differenzen grösser. Es zeigten sich stärkere Unregelmässig¬
keiten, ebenso bei tätigen Nichttuberkulösen.
Da wir wissen, dass die Erhöhung der Kör¬
pertemperatur im Rektum nach Bewegungen
nicht als Fieber aufzufassen ist, so wird bei
allen Kranken, denen Spaziergänge mit Rück¬
sicht auf den Zustand des Leidens ordiniert
werden müssen, die Mundmessung ein klareres
Bild über die Temperaturverhältnisse ge¬
währen als die Aftermessung, welche leicht
Verwirrung stiften kann. Es ist vorauszusetzen, dass
im Munde unter den oben angegebenen Kautelen gemessen wird.
Wir können also ohne Sorge die Mundmessung in der Phthiseo-
therapie beibehalten, welche aus praktischen und ästhetischen
Gründen allein der Aftermessung vorzuziehen ist. Die Furcht
unseren Kranken dadurch Schaden zu stiften, ist unbegründet.
Dieselbe müsste vielmehr in uns aufkommen, wenn bei Anwen¬
dung der Aftermessung eine falsche Beurteilung der erhaltenen
Zahlen Platz greift.
Literaturverzeichnis.
i or\n 1 " Chvostek und Stromayr: Wien. klin. Wochenschr.
1896, No. 47; Ref. d. Centralbl. f. innere Med. 1897, No. 10. —
"• G i 1 1 e p s i e: Albumosurie bei chronischen Nierenkrankheiten.
Lancet 1896, 11. Juli; Ref. d. Centralbl. f. innere Med. No. 10, 1897.
— 3. Haun: Ueber alimentäre Albumosurie. Zeitschr. f. prakt.
Aerzte 1897, No. 23; Ref. d. Centralbl. f. innere Med. 1898, No. 28.
~4’ Höchstetter: Dissert., Erlangen 1895. — 5. Haack:
Beitrag zur experimentellen Albumosurie. Arcli. f. exper. Patbol.
v 38. Bd. — 6. Krebl: Gegenwärtige Kenntnisse über
me Beziehungen der Wärmeproduktion im Fieber. XVI. Kongress
t. innere Med. 1898. — 7. Krebl und Matth es: Wie entstellt
me Temperatursteigerung des fiebernden Organismus? Arcli. f.
exper. Patbol. u. Pharmakol., Bd. 38, S. 284 u. ff. _ 8. D i e -
Tn’\büU: Untersuchungen über den Eiweisszerfall im Fieber etc.
lbid Bd. 40. — 9. Dieselben: Ueber febrile Albumosurie.
Deutsch. Areh. f. klin. Med. 54 Bd. — 10. M a 1 1 b e s: Berl. klin.
ochenscbr. 1894, No. 23. — 11. O 1 1: Ist die bei Phthisikern nach
oicnten Körperanstrengungen auftretende Temperatursteigerung
als Ineber zu betrachten? Münch, med. Wochenschr. No. 50, 1901.
— 12. Penzoldt und Birg eien: Ueber den Einfluss der
Körperbewegung auf die Temperatur Gesunder und Kranker.
Munch, med. Wochenschr. 1899, No. 15, 16 u. 17. — 13. S c h n e i -
e1- Uie normale Temperatur bei initialer Lungentuberkulose in
Ruhe und Bewegung. Dissert., Breslau 1901. — 14. S c h r ö -
d (’ i . Lener das Lieber im Verlaufe der chronischen Lungentuber¬
kulose. Meissens Beiträge etc., Wiesbaden, Bergmann, 1901. —
15. Schulthess: Ueber die Beziehungen des Fiebers 'zum Auf¬
treten von Albumosen im Harn. Dissert., Jena 1895. _ 16 Der¬
selbe: Weitere Erfahrungen über die Beziehungen zwischen
Fieber und Albumosurie. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd 60 —
17. B a n g: Deutsch, med. Wochenschr. 1898, No. 2. — IS. Frl.
Dr. Blu hm: Zeitschr. f. Tub.- u. Heilstättenwesen Bd. II, S. 309.
Aus dem pathologischen Institut des Dresdener Stadtkranken¬
hauses F riedrichstadt.
Zur Frage der Genese der Lungentuberkulose.
V on Dr. Georg Schmor 1.
(Schluss.)
R i b b e r t stellt sich den Gang der Spitzehinfektion fol-
gendermassen vor. Die inhalierten lebenden Tuberkelbazillen ge¬
langen, soweit sie nicht bereits in den grösseren Luftwegen
liegen bleiben und von hier durch die Exspiration bezw. Ex¬
pektoration wieder entfernt werden, in die Alveolen hinein. Ein
Teil von ihnen bleibt liegen und geht zu Grunde. Die übrig blei¬
benden treten aus den Alveolen in den Lymphstrom über. Der
Uebertritt erfolgt wahrscheinlich ganz besonders in den Alveolen
der Spitzenteile, welche den Bazillen wegen der hier herrschenden
Anämie und der ungünstigen V entilationsverhältnisse am ehesten
die Möglichkeit g’ewähren, in das Gewebe einzudringen. Mit dem
Lymphstrom werden die Bazillen den bronchialen Lymphdrüsen
zugeführt, wo sie sich nach und nach in gTÖsserer Menge an¬
sammeln und ansiedeln und die charakteristische Gewebs-
reaktion auslösen. Durch Vermittlung der letzteren gelangen
sie ins Blut und werden durch den Blutstrom den Lungen
zugeführt, in denen sie besonders den Spitzen teilen haften
bleiben , hier verlassen sie den Blutstrom und gelangen teils in
die kleinen Lymphknötchen, die sich überall in der Nähe der Ge¬
isse. befinden, teils aber, wie R i b b e r t neuerdings annimmt,
vorwiegend in die Alveolen, von wo aus sie durch die Exspira¬
tionsbewegungen den Alveolargängen bezw. den feinsten Bron¬
chiolen zugeführt werden. In letzteren bleiben sie dann wegen
dei Engigkeit des Lumens stecken und rufen die spezifischen
Veränderungen hervor.
Die Bazillen machen also gewissermassen eine Art Rund¬
reise, denn sie, bezw. ihre Nachkömmlinge, gelangen genau an
den gleichen Ort (die Alveolen der Spitze) zurück, wo sie, wenig¬
stens zum grossen Teil, in den Lymphstrom übertraten. Es er¬
hebt sich hier aber sofort die Frage: warum kommen denn die
durch den Blutstrom den Spitzenteilen zugeführten Bazillen zur
Entwicklung und lösen die spezifische Erkrankung aus, während
dies durch den Luftstrom genau denselben Stellen zu¬
geführten Bazillen nicht bezw. nur ausnahmsweise möglich ist?
Warum geht nicht auch ein Teil der vermittels des Blutstroms
nach den Alveolen gebrachten und hängen bleibenden Bazillen
zu Grunde und warum, treten nicht auch die übrig bleibenden
wieder in den Lymphstrom über, um das Spiel von neuem zu be¬
ginnen ? Warum bleiben nicht auch die inhalierten, aus den
Alveolen in den Lymphstrom übergetretenen Bazillen in jenen
in den Lymphstrom eingeschaltenen Lymphknötchen haften,
bezw. warum werden nicht auch die inhalierten Bazillen aus den
Alveolen durch die Exspirationsbewegungen in die Alveolargänge
befördert und bleiben in letzteren stecken? Man sollte doch er¬
warten, dass das was den mit dem Blutstrom zugeführten Ba¬
zillen recht ist, für die durch Inhalation an die nämliche Stelle
gelangten Bazillen billig sein müsste und dies um so mehr, als
R i b b e r t in seiner ersten Arbeit (Universitätsprogramm)
unter Bezugnahme auf C o r n e t hervorhebt, dass die Ober¬
fläche der Alveolen einen für das Bazillenwachstum ganz be¬
sonders geeigneten Boden abgibt.
R i b b e r t hat diesen Widerspruch, der in seiner Darstellung
liegt, selbst gefühlt und greift, um ihn zu lösen, zu der Hypo¬
these, dass die Zahl der durch Inhalation in die Alveolen ge¬
langten Bazillen in weitaus der Mehrzahl der Fälle eine zu ge¬
ringe sei, um eine wirksame Infektion hervorzurufen, während
sie in den Lymphknoten, in denen sie sich allmählich in immer
grösserer Menge ansammeln, die erforderlichen Entwicklungs¬
bedingungen finden. Es ist nun R i b b e r t gewiss darin bei¬
zustimmen, dass, wenn in die Alveolen nur eine geringe Anzahl
3*
1420
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
von Bazillen gelangt, eine lokale Infektion ausbleiben kann, und ,
dass es wahrscheinlich ist, dass die Bazillen, soweit sie nicht den
Schutzvorrichtungen des Organismus erliegen, in dieLymphbahnen
übertreten und vielleicht auch, dass sie durch den Lymphstrom
den Bronchialdrüsen zugeführt werden, wenngleich hier schon
der Umstand Bedenken erregen muss, dass ja in die Lymphbahncn
innerhalb der Lungen zahlreiche Lymphknötchen eingeschaltet
sind, in denen ewentuell die Bazillen stecken bleiben könnten.
Zuzugeben ist ferner, dass die Bronchialdrüsen unter der Ein¬
wirkung der sich in ihnen in grösserer Zahl ansammelnden Ba¬
zillen tuberkulös erkranken werden. Aber ist es denn sicher
und durch einwandsfreie Untersuchungen nachgewiesen, dass in
den tuberkulösen Lymphdrüsen so ausserordentlich häufig, wie
man es in Anbetracht der Häufigkeit der Lungentuberkulose
annehmen müsste, Tuberkelbazillen in grösserer Menge
in die Blutbahn gelangen und besonders, dass sie auch in
grösserer Za hl durch den Blutstrom den Spitzen zugeführt
werden ?
Man sucht in der Arbeit Ribberts vergeblich nach einei
Antwort auf diese Frage. Nun soll durchaus nicht verkannt
werden, dass der strikte Beweis, dass auf dem B 1 u t w e g den
Lungenspitzen grössere Bazillenmengen als durch In¬
halation zugeführt werden, nicht zu erbringen ist, da wir
weder wissen, wieviel Bazillen durch den Luftstrom oder durch
den Blutstrom in die Alveolen der Spitze gelangen, noch wie¬
viel Bazillen zu einer wirksamen Infektion überhaupt nötig sind,
aber es war meines Erachtens unbedingt notwendig, dass R i b -
b e r t für seine (allerdings nirgends direkt ausgesprochene) An¬
nahme wenigstens Wahrscheinlichkeitsgründe anführte, da ohne
solche seine Theorie völlig in der Luft schwebt. Wenn ich es
nun auch R i b b e r t überlassen könnte, solche W ahrscheinlich-
keitsgründe anzuführen, so ist dieser Punkt doch von so grosser
Bedeutung, dass ich näher auf ihn eingehen möchte. Bei ge¬
nauerer Berücksichtigung der für den Uebertritt der Bazillen
aus den tuberkulösen Lymphdrüsen in die Blutbahn und für ihre
Verschleppung durch den Blutstrom in Betracht kommenden
anatomischen Verhältnissen lässt sich nämlich zeigen, dass die
Annahme, dass unter besagten Umständen nach den Spitzen¬
teilen Bazillen in grösserer Zahl gelangen, höchst unwahrschein¬
lich ist.
Bei der Form, in welcher die Tuberkulose der Bronchial¬
drüsen — sei sie isoliert, d. h. ohne gleichzeitige Lungenaffektion,
sei sie von einer solchen begleitet — gewöhnlich auftritt, sind
die Tuberkel, wie ich auf Grund von in dieser Hinsicht an-
gestellten Untersuchungen gefunden habe, meist bazillenarm,
ausserdem sind die in der Nähe und im Bereich der tuberkulösen
Veränderungen gelegenen Gefässe in der Regel undurchgängig
für den Blutstrom, da sie durch obliterierende Entzündung oder
durch Thrombose häufig schon zu einer Zeit verschlossen sind,
wo von einer Verkäsung oder gar Erweichung noch wenig zu
erkennen ist. Unter solchen Umständen ist die Möglichkeit, dass
Bazillen in reichlicheren Mengen in die Blutbahn ge¬
langen und besonders, dass sie in grösserer Zahl gerade in die
Lungenspitzen verschleppt werden, so gut wie ausgeschlossen.
Günstiger für den Eintritt der Bazillen in die Blutbahn und
ihre Verschleppung liegen die Verhältnisse bei den schnell ver¬
käsenden und erweichenden Lymplidrüsentuberkulosen, wie sie
nicht allzuselten bei Kindern und jugendlichen Individuen,
seltener dag'egen bei Personen übei’ 30 Jahren mit anthrakotischen
Lymphdrüsen gefunden werden. Denn hier sind einerseits
häufig — nicht konstant — Bazillen in grösserer Menge vor¬
handen, andererseits trifft man hier mitunter im Bereich der ver¬
kästen und in Erweichung begriffenen Massen kleine, für den
Blutstrom noch durchgängige Gefässe. Und wenn es mir auch
bei zahlreichen Untersuchungen solcher Lymphdrüsen bisher
noch niemals gelungen ist, im Lumen oder in der Wand solcher
Gefässe, welche mitunter schon deutliche Zeichen der Nekrose
erkennen lassen, Tuberkelbazillen nachzuweisen, so ist doch die
Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, dass unter solchen Um¬
ständen etwas zahlreichere Bazillen in die Blutbahn eintreten,
nicht zu bestreiten. Aber auch hier ist die Wahrscheinlichkeit,
dass die in das Blut gelangten Bazillen in relativ grösseren
Mengen in die Gefässe der Lungenspitze eingeschwemmt werden,
eine geradezu minimale, denn die Bazillen, welche in den Blut¬
strom eintreten, gelangen ja — abgesehen von den sehr seltenen
Fällen, in denen eine verkäste, erweichte Lymphdrüse ihren In¬
halt direkt in einen arrodierten zur Spitze führenden Arterien¬
ast entleert, und abgesehen von den ebenfalls sehr seltenen, von
Aufrecht IC) beschriebenen, übrigens akute Miliartuberkulosen
betreffenden Fällen, bei denen die Bazillen die Wand eines mit
einer verkästen Lymphdrüse verwachsenen Arterienastes all¬
mählich durchwachsen, gar nicht in das direkt der Lunge zu-
fliessende Blut, sondern, da die Bronchial venen, in die ja die
Venen der Bronchialdrüsen einmünden, ihr Blut teils in die
Lungenvenen, teils in die Azygos entleeren, zunächst ins linke
bezw. ins rechte Herz. Die nach dem linken Herzen gelangten
Bazillen kommen für die Lungeninfektion 1 j überhaupt nicht in
Betracht, da sie, soweit sie nicht im arteriellen Blutstrom zu
Grunde gehen, in den Organen des grossen Kreislaufes abgelagert
werden, wo sie eventuell metastatische Herde hervorrufen können.
Es bleiben demnach für die Lungeninfektion nur die dem rechten
Herzen zugeführten Bazillen übrig. Diese werden hier einer
relativ grossen Menge Blut bei gemengt, welches nicht bloss den
Lungenspitzen, sondern auch den übrigen Lungenabschnitten
zufliesst. Dass unter solchen Umständen den Spitzen, welche ja
kaum den zwanzigsten Teil des Gesammtvolumens der Lunge ein¬
nehmen und nach den R i b b e r t sehen Anschauungen überdies
noch hinsichtlich ihrer Blutversorgung schlechter gestellt sind
als die übrigen Abschnitte, Bazillen in relativ grösseren Mengen
zufli essen, ist im allerhöchsten Grade unwahrscheinlich. Und
wenn unter solchen Umständen der Lungenspitze überhaupt Ba¬
zillen zugeführt werden, so kann dies jedenfalls nur in der Weise
geschehen, dass die Bazillen in vereinzelten Exemplaren an ver¬
schiedene Stellen der Lungenspitze gelangen, da der Nachweis,
dass die Bazillen in den Lymphdrüsengefässen in zusammen¬
hängenden Klümpchen übertreten, und dass letztere bei dei
Passage durch das rechte Herz nicht zerstört werden, jedenfalls
noch nicht erbracht ist und die Annahme, dass die Gefässe der
Lungenspitze für embolische Prozesse eine besondere Disposition
besässen, ebenfalls durch nichts erwiesen ist ). Gelangen aber
die Bazillen nur in einzelnen Exemplaren an verschiedene Stellen
der Lungenspitze, so ist nicht einzusehen, warum sie nicht auch
demselben Schicksal verfallen sollen, welches nach R i b b e r t
den inhalierten Bazillen beschieden ist.
Diese auf Grund theoretischer Erwägungen erhobenen Ein¬
wände gegen die R i b b e r t sehe Theorie werden nun auch ganz
wesentlich durch tatsächliche Beobachtungen gestützt, auf
welche ich später zurückkommen werde. Hier möchte ich zu¬
nächst noch auf die übrige Beweisführung Ribberts ein¬
gehen und an erster Stelle erwähnen, dass man in einer grösseren
Anzahl von florid und chronisch verlaufenden Lungenphthisen
ältere tuberkulöse Prozesse in den Bronchialdrüsen überhaupt
nicht nachweisen kann. Die Lymphdrüsen sind allerdings in
solchen Fällen fast stets erkrankt; dass diese Erkrankung aber
älter sei als der Lungenprozess ist häufig nicht nachzuweisen, im
Gegenteil ist es sowohl nach dem makroskopichen als auch nach
dem mikroskopischen Verhalten der betreffenden Drüsen nicht
zu bezweifeln, dass eine tuberkulöse Infektion relativ frischen
Datums vorliegt.
Es sei übrigens in dieser Hinsicht auch auf eine kurze Notiz
von Einstein, einem Schüler Baumgartens, hin¬
gewiesen 19), nach welchem öfters bei schon starken tuberkulösen
Lungenveränderungen die Bronchialdrüsen gesund ‘ ) gefunden
werden.
Es soll nun aber durchaus nicht geleugnet werden, dass
Fälle Vorkommen, bei denen die vorhandene tuberkulöse Spitzen¬
affektion unzweifelhaft kürzere Zeit bestanden hat, als eine
gleichzeitig vorhandene Bronchialdrüsentuberkulose. Dass in
solchen Fällen die jüngere Lungentuberkulose in dem von R i b -
b e r t betonten Abhängigkeitsverhältnis von der älteren
1C) Verband! d. Deutsch, patliolog. Gesellsch. 1901.
17) Die Bronchialarterien sind so wenig bedeutend, dass die
Wahrscheinlichkeit, dass gerade in sie Bazillen gelangen sollten,
gleich null ist.
1S) Vergl. auch Birch-Hirschfeld: Arch. f. klin. Med.,
Bd. 51. inAO
Arbeiten aus dem Tübinger pathologischen Institut 100—
so) Ich habe in solchen Fällen in den bei der makroskopischen
Untersuchung gesund erscheinenden Drüsen bei mikroskopischer
Prüfung regelmässig Tuberkel gefunden.
26. August 1902.
MÜENCHENER MEDiClNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
1421
Bronchialdrüsentuberkulose steht, ist zwar möglich, aber im
Hinblick auf die oben gemachten Ausführungen und auf später
zu gebende Darlegungen unwahrscheinlich, und wenn R i b b e r t
meint, dass der aerogene Ursprung der Spitzenaffektion in solchen
Fällen um deswillen unwahrscheinlich sei, weil kaum anzunehmen
sei, dass später aspirierte Bazillen im Lungengewebe gehaftet
haben sollten, während das letztere die früher eingeatmeten,
nach den Bronchialdrüsen gelangten Bazillen durchgelassen habe,
so ist demgegenüber darauf hinzuweisen, dass es durchaus nicht
sicher erwiesen ist, dass die nach den Bronchialdrüsen 21) ge¬
langten Bazillen tatsächlich das Lungengewebe passiert haben,
denn es ist sehr gut möglich, dass die Bazillen von der Schleim¬
haut des untersten Trachealabsehnittes und der grösseren Bron¬
chien aus, wo ja auch nach R i b b e r t s Ansicht ein Teil der
inhalierten Tuberkelbazillen liegen bleibt, in den Lymphstrom
eingedrungen sind, da die Bronchialdrüsen ihre Lymphe ja auch
aus diesen Teilen beziehen. Ferner aber kann, falls die nach den
Bronchialdrüsen gelangten Bazillen tatsächlich früher bis in die
Alveolen aspiriert und mit dem Lymphstrom verschleppt wurden,
die Möglichkeit kaum bestritten werden, dass sie hier bei ihrem
Durchtritt Veränderungen hervorriefen, welche ein Haften
später inhalierter Bazillen begünstigten.
Derartige Fälle von älteren Bronchialdrüsentuberkulosen
neben so frischen und so wenig ausgedehnten Lungentuberku¬
losen, dass sie für die in Rede stehende Frage des Beginnes der
Lungentuberkulose in Betracht kommen könnten, sind übrigens
nach meinen Erfahrungen recht selten. Ich habe in den letzten
Jahren unter einem Sektionsmaterial von nahezu 4000 Sektionen
nur 42 Fälle von Lungentuberkulose gesehen, bei denen die Er¬
krankung noch so wenig ausgedehnt war, dass man mit grosser
Wahrscheinlichkeit einen Schluss auf den Ausgangspunkt ziehen
konnte.
In 20 Fällen habe ich genaue Untersuchungen über das Ver¬
halten der Bronchialdrüsen angestellt, aber nur in 8 Fällen
tuberkulöse Veränderungen in ihnen gefunden, die nach ihrem
morphologischen Charakter älter waren, als die gleichzeitig vor¬
handene Lungenaffektion; unter diesen 8 Fällen befinden sich
aber 4, bei denen es sich nur um verkreidete, also abgeheilte
tuberkulöse Herde handelt, von denen die ganz frische Spitzen¬
affektion unmöglich abhängig gemacht werden konnte. Es bleiben
demnach nur 4 Fälle übrig, bei denen man einen Zusammenhang
der Lungenaffektion und der Bronchialdrüsenaffektion im R i b -
b e r t sehen Sinne annehmen könnte. Es geht demnach Ribbert
entschieden zu weit, wenn er behauptet, dass bei beginnender
Lungentuberkulose fast ausnahmslos ältere Bronchial¬
drüsenaffektionen gefunden werden.
Ribbert gründet seine Theorie weiterhin darauf, dass
allgemein angenommen werde, daiss, wenn zu einer bereits längere
Zeit bestehenden Knochen-, Gelenks- oder Urogenitaltuberkulose
eine tuberkulöse Spitzenaffektion hinzutritt, letztere auf häma¬
togenem Wege entstanden sei. Es ist nun durchaus nicht zu
bestreiten, dass in solchen Fällen hämatogen entstandene Lungen¬
tuberkulosen Vorkommen, und ich selbst werde später über solche
berichten. Es fragt sich aber doch, ob die hämatogene In¬
fektion sich in derartigen Fällen in der Spitze zuerst und
vorwiegend lokalisiert, und ob, wenn unter solchen Verhältnissen
während der klinischen Beobachtung das Auftreten einer Spitzen¬
affektion festgestellt oder bei der Sektion eine solche, die in der
Regel schon weiter fortgeschritten ist, gefunden wird, die
aerogene Infektion völlig auszuschliessen bezw. so wenig wahr¬
scheinlich ist, dass sie gegenüber der hämatogenen Infektion
nicht in Betracht kommen könnte. Um mit dem zweiten Teil
der Frage zu beginnen, halte ich eine aerogene Infektion nicht
nur für möglich, sondern auch für wahrscheinlich. Die Ge¬
legenheit zu einer solchen ist gerade bei derartigen Individuen,
die an sich schon für Tuberkulose disponiert sind, jederzeit in
hohem Grade vorhanden, da ja bei Genitaltuberkulose stets, bei
Knochen- und Gelenktuberkulosen, sobald Fistelbildungen vor¬
handen sind, Tuberkelbazillen an der Oberfläche des Körpers ge¬
langen, wo sie mit der Kleidung bezw. Wäsche in Berührung
kommen, eintrocknen und auf diese Weise leicht zerstäubt und
21) Ich habe hier selbstverständlich nur die Fälle von Lympli-
driisentuberkulose im Auge, bei denen eine Infektion von benach¬
barten Lymphdriisengruppen ausgeschlossen ist.
No. 34.
inhaliert werden können. Uebrigens ist, wenn sich in solchen
Fällen eine Spitzenaffektion bemerkbar macht, auch mit der
Möglichkeit zu rechnen, dass schon längere Zeit, ja vielleicht
schon vor dem Ausbruch der extrapulmonal gelegenen — schein¬
bar primär auftretenden — Tuberkulose ein latenter älterer
Spitzenherd bestand, und dass derselbe unter dem Einfluss der
durch die manifeste extrapulmonal gelegene Tuberkulose sich
entwickelnden Schwächung des Organismus sich plötzlich ver-
grösserte und so der klinischen Untersuchung zugängig wurde.
Ich halte bei derartigen Fällen einen aerogenen Ursprung
solcher bei der Autopsie meist schon etwas weiter vorgeschrit¬
tenen Spitzenaffektion um deswillen für sehr wahrscheinlich,
weil ich bei den von mir seit dem Erscheinen der ersten
Ribbert sehen Arbeit in dieser Hinsicht angestellten Unter¬
suchungen in Fällen von älterer Tuberkulose der Bronchial-,
Hals- und Lumbaldrüsen, sowie der Gelenke, Knochen und des
I* 1 rogenitalapparates, bei denen weiter vorgeschrittene und in¬
folgedessen in ihrer Genese nicht eindeutige Lungenaffektionen
fehlten, ausnahmslos nachweisen konnte, dass die durch hämato¬
gene Infektion bedingte Tuberkeleruption in den Lungen keines¬
wegs ausschliesslich oder auch nur vorwiegend in der Spitze
lokalisiert war.
Wegen der grossen Wichtigkeit, welche denselben für die
hier in Rede stehende Frage zukommt, führe ich dieselben im
Auszuge an, zumal ihre Zahl eine verhältnismässig geringe ist,
was sich leicht daraus erklärt, dass es nur sehr selten vorkommt,
dass Individuen mit primärer, extrapulmonal gelegener Tuber¬
kulose zu einer Zeit sterben, wo kurz vor dem Tode ein Ueber-
tritt, und zwar höchst wahrscheinlich der erste Uebertritt, relativ
spärlicher Tuberkelbazillen in die Blutbahn erfolgt ist.
1. 22 jähriger Maurer (No. 20) f an tuberkulöser Meningitis.
Tuberkulose beider Nebenhoden, der Samenblasen und der
Prostata. Miliare Tuberkel in beiden Hoden. Spärliche miliare
und submiliare Tuberkel in der Milz, in den Nieren und in der
Leber.
In beiden Unterlappen der Lunge Hypostase und vereinzelte
Schluckpneumonien. Die Oberlappen gut lufthaltig, mässig blut¬
reich. Beide Lungenspitzen sind frei von tuberkulösen Verände¬
rungen22). In den unteren Partien der Oberlappen und zwar teils
nahe der Pleura, teils mitten im Parenchym, nicht besonders zahl¬
reiche miliare und stecknadelkopfgrosse Tuberkel, ebensolche
finden sich auch in den vorderen und seitlichen Abschnitten der
Unterlappen und im rechten Mittellappen. Hilusdriisen anthra-
kotisch, aber ohne tuberkulöse Veränderungen.
2. 18 jähriger Kellner (No. 65) f an tuberkulöser Meningitis.
Verkäsung des rechten Nebenhodens, des rechten Vas deferens
und der rechten Samenblase. Erbsengrosse in Erweichung be¬
griffene Herde in der Prostata. Sehr vereinzelte miliare bis steck¬
nadelkopfgrosse Tuberkel in beiden Nieren, in der Milz und in der
Leber.
Die linke Lungenspitze verwachsen, aber frei von tuberkulösen
Eruptionen, ebenso die rechte Spitze. In den mittleren und unteren
Abschnitten der Oberlappen, sowie in beiden Unterlappen, in denen
vereinzelte Schluckpneumonien sich finden, ganz vereinzelte hirse-
korn- bis stecknadelkopfgrosse Tuberkel.
3. 42 jähriger Bäcker (No. 183) f an tuberkulöser Meningitis.
Ausgedehnte Verkäsung beider Hoden und Nebenhoden.
Tuberkulöse Fisteln am Skrotum. Verkäsung der Samenblasen.
Vereinzelte tuberkulöse Geschwüre in der Harnblase. Käsige
Herde in der Prostata. Spärliche miliare Tuberkel in der Milz, in
den Nieren und in der Leber.
Beide Lungenspitzen verwachsen, abgesehen von vereinzelten
kleinen anthrakotischen Schwielen und Knoten, welche sich bei
der mikroskopischen Untersuchung frei von Tuberkulose erweisen,
lassen sich in ihnen keine Veränderungen nachweisen. In den
seitlichen Abschnitten beider Oberlappen, sowie im zungenförmigen
Fortsatz des linken Oberlappens und in beiden Unterlappen finden
sich mehrere subpleural gelegene, keilförmige Herde, in deren Be¬
reich die Pleura verdickt und mit fibrinösen Auflagerungen be¬
deckt ist und frische miliare Tuberkel erkennen lässt. Auf der
Schnittfläche treten hier in dem dunkelrot gefärbten, luftleeren,
ziemlich derben Lungengewebe zahlreiche, dichtstehende miliare
Tuberkel hervor, die teilweise verkäst sind und hier und da kon-
fluieren, die keilförmigen Herde sind scharf von der Umgebung
abgesetzt. An den zuführenden Bronchien keine Veränderungen.
Im Mittellappen und rechten Unterlappen mitten im Parenchym
ein kirschkerngrosser, gelbgrauer, derber Herd, der sich aus dicht
stehenden, miliaren Knötchen zusammensetzt. In einer Hilusdrüse
ein erbsengros^er, verkalkter Herd.
22) Um möglichst sicher zu gehen, wurden die Lungenspitzen
nach der Untersuchung im frischen Zustand in allen hier bespro¬
chenen Fällen in Formalin und Alkohol gehärtet und dann in
1 mm dicke Scheiben mit dem Rasiermesser zerlegt, bei verdäch¬
tigen Befunden wurde mikroskopisch untersucht.
4
1422
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
4. und 5. betreffen Individuen, die an tuberkulöser Menin- I
sitis gestorben sind, welche sieh ebenfalls an Genitaltuberkulose
angeschlossen hatte. Auch liier fanden sieh miliare Tuberkel in
Milz, Leber und Nieren. Der Lungenbefund entsprach dem bei
Fall 2 beschriebenen.
6. 23 jährige Frau (No. 426) f au Lungenembolie.
Fungus des linken Kniegelenks (ohne Fistelbildung), Throm¬
bose der linken Vena cruralis und iliaca. Verkäsung der Inguinal-
driisem links. Spärliche miliare Tuberkel in Milz, Nieren und
Leber. , . „ . . .
Beide Lungenspitzen verwachsen mit kleinen, schiefrig mrtu-
rierten Schwielen. In der rechten Spitze ein halberbsengrosser,
völlig verkreideter und durch schiefrig gefärbtes Bindegewebe
abgekapselter Herd. Sonst die Spitze völlig frei von frischen,
tuberkulösen Veränderungen (auch mikroskopisch).
Im linken Oberlappen, 7 cm unterhalb der höchsten Erhebung
der Spitze ein stecknadelkopfgrosser, graugelb gefärbter Tuberkel
mitten im Parenchym. Im zungenförmigen Fortsatz des linken
Oberlappens und in den vorderen Abschnitten des linken Unter¬
lappens werden 8 gleiehbes'chaffene Herde gefunden. Rechte
Lunge frei von Tuberkulose. Eine Hilusdriise völlig verkreidet.
Sonst in den Bronchialdrüsen keine frische Tuberkulose.
7. 21 Jahre alter Mann (No. 684), f an perniziöser Anämie.
An der linken Seite der Trachea, dicht oberhalb der Bifur¬
kation eine walnussgrosse, verkäste und in Erweichung begi illene
Lymphdrüse. Sehr spärliche kleinstecknadelkopfgrosse und miliare
Tuberkel iu Milz, Nieren und Leber.
Die Lungenspitzen nicht verwachsen, lassen nirgends tuber¬
kulöse Veränderungen erkennen. Im zungenförmigen Fortsatz des
linken Oberlappens 3 stecknadelkopfgrosse, von einem dunkelroten
Saum umgebene, verkäste Tuberkel. In der Spitze des linken
Unterlappens 4 dicht nebeneinander stehende, kleinpfefferkorn¬
grosse, runde, käsige Knoten, die von einem schmalen roten Hof
umgeben werden. Im rechten Mittellappen und in den seitlichen
und vorderen Partien des rechten Unterlappens etwa 6 stecknadel¬
kopfgrosse verkäste Tuberkel. Lymphdriisen am Hilus beider
Lungen ohne Veränderungen.
8. 32 jähriger Schneider (No. 340), f «n Meningitis tuberculosa.
Karies des 1. und 2. Lendenwirbels (ohne Fistelbildung),
Cystitis, vereinzelte miliare und stecknadelkopfgrosse, graugelb
gefärbte Tuberkel in Milz, Nieren und Leber. Hypostase in beiden
Unterlappen mit vereinzelten Schluckpneumonien. Bronchitis in
beiden Unterlappen.
Linke Lunge nirgends verwachsen, rechte Spitze durch strang¬
förmige Adhäsionen an die Brustwand angeheftet. Beide Spitzen
frei von Tuberkulose. In den vorderen, seitlichen und unteren
Partien der Ober- und Unterlappen sehr vereinzelte miliare bis
stecknadelkopfgrosse Tuberkel, welche teils subpleural, teils in der
Mitte des Parenchyms sitzen und nirgends iu Gruppen zusammen¬
stehen. Bronchialdrüsien intakt. Lumbaldrüsen verkäst.
9. 26 jähriges Mädchen, j au Eklampsie (grosse Blutung in das
Kleinhirn).
Abgesehen von den für die Eklampsie charakteristischen Ver¬
änderungen: Kirschgrosse verkäste und erweichte Lymphdrüse
in der rechten Supraklavikulargrube. In der linken Niere bei Be¬
sichtigung mit blossem Auge 2 Stecknadelkopf grosse Tuberkel (bei
der mikroskopischen Untersuchung ausserdem noch einige wenige
submiliare) ebenso in der Milz.
Lungenspitzen nicht verwachsen, zeigen keine tuberkulösen
Veränderungen. Im zungenförmigen Fortsatz des linken Ober¬
lappens und im rechten Mittellappen, sowie in den seitlichen
Partien des rechten Unterlappens vereinzelte miliare bis steck¬
nadelkopfgrosse Tuberkel (zusammen etwa 15).
10. 17 jähriger Kellner (No. 732).
Tuberkulöse Meningitis. Ausgedehnte Verkäsung der bron¬
chialen, trac-healen und Halslymphdrüsen. Ganz vereinzelte miliare
Tuberkel in der Milz, in den Nieren und in der lieber. Ver¬
käsung vereinzelter mesenterialer Lymphdriisen. In Heilung be¬
griffenes tuberkulöses Geschwür an der lleocoekalklappe.
Lungen nirgends verwachsen, im allgemeinen gut lufthaltig,
in den hinteren Partien stärkerer Blutgehalt, in beiden Unter¬
lappen Schluckpneumonien.
Spitze beiderseits völlig frei von tuberkulösen Veränderungen.
In den vorderen Partien beider Unterlappen mässig zahlreiche,
isoliert stehende, stecknadelkopfgrosse, käsige Knötchen. Im
rechten Mittellappen vereinzelte miliare Knötchen, ebenso in den
mittleren und unteren Abschnitten der Unterlappen; sie sind hier
jedoch so wenig zahlreich, dass man zahlreiche Scheiben durch¬
mustern muss, ehe man sie findet.
11. -f- an tuberkulöser Perikarditis (No. 285).
Erweichung einer an der Bifurkation der Trachea gelegenen
bronchialen Lymphdrüse, Frische Tuberkulose einer benachbarten
Lymphdrüse. Vereinzelte miliare Tuberkel in Milz und Nieren.
In den Spitzen beider Unterlappen bemerkt man pfefferkorn¬
grosse. scharf abgesetzte Herde, welche aus sehr dicht stehenden
miliaren und submiliaren Tuberkeln sich zusammensetzen, da¬
neben linden sich stecknadelkopfgrosse, isoliert stehende Knötchen
iu den unteren Partien beider Oberlappen. Die eigentlichen
Spitzenteile vollständig frei, nur im linken Oberlappen 8 cm unter¬
halb der höchsten Erhebung der Spitze ein halberbsengrosser
käsiger Herd. Hie und da in dem Lungengewebe vereinzelte
hirsekofn- bis stecknadelkopfgrosse Tuberkeleruptionen, welche
meist wie die übrigen Herde in der Nähe der Pleura sitzen, die
Spitzen aber vollständig frei von solchen Knötchen.
12. 31 Jahre alter Mann (No. 682), f an tuberkulöser Menin-
°*i tis.
Verkäsung einzelner tiefer Halslymphdrüsen. Bronchial¬
drüsen intakt. In Milz, Nieren und Leber ganz vereinzelte miliare
Tuberkel. .
An der Basis des linken Oberlappens und zwar m den seit¬
lichen Abschnitten eine Gruppe von 6 grauweissen, durchschei¬
nenden miliaren Tuberkeln, im rechten Mittellappen 2 stecknadel¬
kopfgrosse graugelbe Tuberkel,
absolut frei von Tuberkulose.
13. 4 nionatl. Kind (No. 207), -f
Genau an der Bifurkation der
Sonst nirgends Tuberkel. Spitzen
an M agenda r m kata r rh .
Trachea sitzt eine gut kirsch¬
grosse, verkäste, z. T. erweichte Bronchialdrüse, welche mässig
fest mit den umgebenden Teilen verwachsen erscheint.
Rechte Lungensiptze absolut frei von tuberkulösen Verände¬
rungen, dagegen findet man in den basalen Teilen dies rechten
Oberlappens 4 ganz typische hirsekorngrosse Tüberkelkuötclien
und zwar sämtlich etwa y2— 1 cm unter der Pleura. Nur ein
einziger sitzt mehr zentral wärts nach dem Luugenhilus zu. An
den seitlichen Abschnitten des Unterlappens 4 ebenfalls dicht unter
der Oberfläche gelegene, grau durchscheinende, teils miliare, teils
submiliare Knötchen. An der Basis der 1 nterlappen und zwai
nahe der medialen Kante bemerkt man 1 cm von der Pleuraober-
fläclie entfernt einen kleinerbsie'n grossen, gelben, käsigen Herd
im Lungengewebe, welch letzteres hier intensiv gerötet, von
kleinen llämorrhagien durchsetzt erscheint und von zahlreichen
kleinsten Tuberkelknötchen infiltriert ist.
In Milz und Nieren vereinzelte miliare bis Stecknadelkopf -
grosse Tuberkel.
Bei der mikroskopischen Untersuchung einer der linken Spitzt
entnommenen, etwa 2 ccm grossen Scheibe findet sich ein einziges
Tuberkelknötchen mit typischen Riesenzellen und Verkäsung.
14. (4 Jahr altes Kind.
An der Bifurkation der Trachea, sowie an dem untersten
Abschnitte der Trachea bemerkt man zahlreiche stark vergrösserte
Lymphdriisen von ziemlich derber Konsistenz. Am grössten sind
dieselben an der Bifurkation der Trachea, wo sie fast die Grösse
einer kleinen Kirsche erreichen. Beim Einschneiden erweisen
sich dieselben fast vollständig in eine homogene, gelbweisse,
käsige Masse verwandelt. Das gleiche Aussehen zeigen die den
rechten Hauptbronchus umgebenden Lymphdriisen, welche im
Zentrum erweicht und mit den am Luugenhilus eintretenden Blut¬
gefässen fest verwachsen sind. Es lässt sich aber nirgends nacli-
weisen, dass die Verkäsung auf die Gefässwand übergegriffen
oder dass ein Einbruch der erweichten Massen in Bronchien oder
Blutgefässe23) stattgefunden hat. Auch am Hilus der linken
Lunge finden sich verkäste, bis erbsengrosse Drüsen.
Die rechte Spitze ist gut lufthaltig und lässt nirgends tuber¬
kulöse Vieränderungen erkennen. Letztere beginnen erst 2 cm
genau senkrecht unterhalb der Spitze und nehmen den ganzen
übrigbleibemlen Teil des Oberlappens ein. An den seitlichen und
unteren Partien, etwa der Axillarlinie entsprechend, findet sich
hier dicht unter der Pleura eine fast kirschkerngrosse Kaverne,
die rings von verkästem Gewebe umgeben wird. Die Kaverne ent¬
hält schmierig erweichte Käsemassen. Die Verkäsung ist in der
nächsten Umgebung der Kaverne am festesten und dichtesten,
weiter periphierwärts löst sich die Verkäsung in einzelne verkäste
Knoten und Knötchen auf, welche Dis zum Lungenliilus heran¬
reichen und andrerseits bis an die mediale und untere Fläche des
Lungenlappens herani eicht. Im Unterlappen finden sich ganz ver¬
einzelte miliare käsige Knötchen. I111 Mittellappen an seinem un¬
teren Rande, mitten im lufthaltigen Gewebe, ein stecknadelkopf¬
grosser, scharf umschriebener, käsiger Herd.
Die linke Spitze ist ebenfalls lufthaltig und fast genau in
derselben Ausdehnung wie die rechte Spitze frei von Tuberkulose.
Erst iy2 cm unterhalb der Lungenspitze tritt mitten im lufthaltigen
Gewebe ein stecknadelkopfgrosser käsiger Herd vor. Mehrere
dergleichen Herde trifft man nahe der Basis des Oberlappens.
Bei der mikroskopischen Untersuchung der rechten Spitze
zwei isoliert stehende, im interstitiellen Gewebe gelegene Tuberkel.
An der hinteren Fläche des Unterlappens, l cm oberhalb der
Basis ein erbsengrosser, scharf umschriebener, käsiger Herd, in
dessenUmgebung feine miliare Knötchen sichtbar sind. Auch der
letzterwähnte Herd sitzt unmittelbar unter der Pleura. Die Plieura
ist bei beiden Lungen getrübt und mit fibrinösen Auflagerungen
bedeckt.
15. iy4 Jahre altes Kind, | an Pneumonie.
Ausgedehnte fibrinöse Pneumonie im linken Unterlappen.
Abgeheilte Diphtherie. Spärliche miliare Knötchen in Milz und
Nieren.
An der Bifurkation der Trachea eine stark vergrösserte, fast
bohnengrosse Lymphdrüse, welche im allgemeinen graurot gefärbt
erscheint und stark durchfeuchtet ist, Auf der Schnittfläche treten
mehrere bis halberbsengrosse, käsige Herde hervor, in deren Um¬
gebung vereinzelte miliare Tuberkel sichtbar sind. Die übrigen
Lymphdriisen leicht vergrössert und geschwollen, aber ohne sicht¬
bare Tuberkulose.
Beide Spitzen gut lufthaltig, ohne tuberkulöse Veränderungen.
An der Basis des linken Oberlappens an der hinteren Fläche be¬
merkt man zwei stecknadelkopfgrosse, scharf umschriebene, kä-
-3) Bei der mikroskopischen Untersuchung finden sich in der
Wand eines Lungenarterienastes 3 frei ins Lumen hineinragende,
riesenzellenhaltige Tuberkel.
26. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sige Herde. Sonst finden sich nirgends in der Lunge makroskopisch
nachweisbare tuberkulöse Veränderungen.
In den mitgeteilten Fällen hat unzweifelhaft eine Infektion
des Mutes mit Tuberkelbazillen stattgefunden; denn die in den
Nieren, in der Milz und Leber, sowie in den Meningen gefun¬
denen tuberkulösen Veränderungen können nur durch hämato¬
gene Infektion entstanden sein. Auch in den Lungen hat sieh
eine Ansiedlung der in der Blutbahn kreisenden Tuberkelbazillen
vollzogen und zu einer Eruption von Tuberkeln geführt, denn
ein andersartiger Ursprung der letzteren ist, wenn auch nicht
völlig ausgeschlossen, so doch im höchsten Grade unwahrschein¬
lich.
Prüft inan nun, in welchen Teilen der Lunge in diesen
Fallen bei denen unzweifelhaft nur wenig Tuberkelbazillen in
che. Blutbahn gelangt sind, die Tuberkulose lokalisiert ist, so
ergibt, sich, dass nicht, wie man nach der R i b b e r t sehen
Iheorie erwarten sollte, die Spitzen ausschliesslich oder wenig¬
stens vorwiegend befallen sind, sondern dass gerade diese Teile
mit Ausnahme von 2 Fällen keine tuberkulösen Veränderungen
aufweisen, und dass auch in den erwähnten 2 Fällen die in der
Spitze lokalisierten Herde gegenüber den anderen wesentlich an
Grösse Zurückbleiben, also wahrscheinlich erst später als diese
entstanden sind. Unsere Beobachtungen zeigen demnach besser
als alle auf Grund nicht eindeutiger pathologischer Befunde an-
ges teilten theoretischen Erwägungen, dass die von R i b h e r t
angenommene Prädisposition der Lungenspitzen für die hämato¬
gene Infektion nicht oder zum mindesten nicht in dem Masse
besteht, dass dieselbe als feststehende Tatsache angesehen werden
und zur Grundlage einer in ihren Konsequenzen sehr weit¬
gehenden Theorie dienen kann.
Nun könnte man freilich hier einwenden, dass die Zahl der
ungeteilten Beobachtungen eine zu geringe sei, um einen so
weitgehenden Schluss zu gestatten. Diesem Einwand möchte ich
mit dem Hinweis begegnen, dass diese Fälle aus einem Sektions¬
material von insgesamt 2300 Sektionen die einzigen sind, bei
denen die zu einer eindeutigen Beurteilung der vorliegenden
Frage erforderlichen Bedingungen : „sichere frische hämatogene
Infektion und Fehlen älterer Lungenveränderungen“ gegeben
waren.
Ich kann ihnen nur 3 Beobachtungen an die Seite stellen,
bei denen vielleicht eine im Anschluss an eine ältere
Bronchialdrüsen- bezw. Knochentuberkulose entstandene frische
Spitzenaffektion vorliegt, bei der die tuberkulösen Herde Erbsen¬
grösse nicht überschreiten. Freilich ist es ‘nicht möglich, mit
gleich grosser Bestimmtheit wie bei den vorher geschilderten
Fällen den, hämatogenen Ursprung zu erweisen, da in den be¬
treffenden Fällen sichere Spuren einer Blutinfektion mit Tu¬
berkelbazillen, wie sie bei den an erster Stelle erwähnten Fällen
iu den in Milz, Nieren und Leber nachweisbaren miliaren Tu¬
berkeln gegeben sind, nicht aufzufinden waren. Ihre Genese
muss daher zweifelhaft bleiben.
Lnsere Beobachtungen mahnen aber auch zur Vorsicht in
der Verwertung der von v. Baumgarten bei seinen Tierver¬
suchen erhaltenen Resultate für menschliche Verhältnisse. Fs
\ann ja nicht zweifelhaft sein, dass die von dem genannten Autor
bei seinen Versuchstieren erzeugte, der menschlichen Phthisis
pulmonum so ausserordentlich ähnliche Affektion hämatogenen
Ursprungs ist, und insbesondere, dass hier die Tuberkulose in
cen Spitzen begonnen hat; dass aber durch diese Versuche auch
iur die Mehrzahl der menschlichen Lungenphthisen der hämato¬
gene Ursprung wahrscheinlich gemacht ist, kann nicht als er-
wiesen angesehen werden, und wenn auch beim Menschen einzelne
lalle Vorkommen mögen, in denen eine in der Spitze beginnende
-t uberkulöse hämatogenen Ursprungs ist, so steht doch der Be-
vreis dafür, dass diese Entstehungsweise, wie v. B a u m garte n,
L i b b e r t und Aufrecht annehmen, die vorherrschende sei,
yu- äufig noch aus. Im Gegenteil zeigen unsere Beobachtungen,
a.ss iei fiischer Infektion der Blutbahn mit relativ wenig zahl¬
reichen Tuberkelbazillen diejenigen Lungenteile, in denen in
cer Mehrzahl der Fälle nach der klinischen Beobachtung und
jiach pathologisch-anatomischen Befunden die primäre mensch¬
liche Lungenphthise beginnt, fast ausnahmslos frei von Tuber-
'ii ose bleiben, und es erscheint daher sehr zweifelhaft, dass die
Lungentuberkulose vorwiegend hämatogenen Ursprungs ist.
1423
Meines Erachtens bildet nach Ausschluss der hämatogenen
Infektion die Inhalation die Hauptquelle für die Infektion der
.unge mit 1 uberkelbazillen. Nur im Kindesalter spielt auch der
Lymphstrorn in dieser Hinsicht eine bedeutende Rolle. Für den
aerogenen Ursprung der Tuberkulose sprechen ganz besonders
die Birch - Hirschfeld sehen Befunde, welche lehren, dass
die Tuberkulose in der Mehrzahl der Fälle in den Spitzen¬
bronchien beginnt. Wie ich bereits in den von mir gemachten
Diskussionsbemerkungen 24) ausgeführt und auch in einer kurzen
Mitteilung in der Münch, med. Wochenschr. “) bemerkt habe,
kann ich auf Grund eigener Untersuchungen die Bircli-
II i r s ch f el d sehen Befunde im wesentlichen bestätigen.
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, die ich mir für eine spätere
Publikation Vorbehalte, möchte ich hier nur wiederholen, dass
ich unter einem Gesamtsektionsmaterial von rund 4000 Sektionen
42 ) für die Frage des Beginns der Lungentuberkulose verwert¬
bare Fälle gefunden habe.
In 4 Fällen trat der Beginn unter dem Bilde einer in der
Spitze gelegenen zirkumskripten käsigen Pneumonie hervor,
deren Grösse bei Betrachtung mit blossem Auge zwischen der
eines Pfefferkorns und der eines Kirschkernes schwankte. Bei
der mikroskopischen Untersuchung ergab sich das typische Bild
einer käsigen Pneumonie mit massig zahlreichen Riesenzellen.
Beziehungen der tuberkulösen Herde zu kleinsten Bronchien,
welche darauf hindeuteten, dass der Ausgangspunkt in diese zu
verlegen sei, traten dabei nicht hervor, ebenso waren Verände¬
rungen an den im Bereich und in der unmittelbaren Nachbar¬
schaft der käsigen Pneumonie gelegenen Blutgefässen, wie sie
Aufrecht beschrieben hat, nicht festzustellen; nur in einem
lalle fand sich an einem kleinen Arterienast eine beginnende
obli terierende Entzündung.
Bei einem 5. Fall von beginnender Spitzentuberkulose war
der Ausgangspunkt in. einem verkästen, subpleuralen, 'halberbsen¬
grossen Lymphknoten zu suchen, von dem aus eine Dissemination
von miliaren Tuberkeln auf die umgebende Pleura und das an¬
grenzende Lungengewebe erfolgt war.
In den übrigen Fällen aber bestanden deutliche Beziehungen
der tuberkulösen Herde zu den Spitzenbronchien. 25 Fälle zeigten
genau dasselbe Bild, wie es Birch-Hirschfeld in seiner
letzten Arbeit geschildert hat. Im Verlauf eines Astes dritter
bis fünfter Ordnung des vorderen, meist aber des hinteren
Spitzenbronchus lagen erbsen- bis kirschgrosse verkäste Herde,
die mitunter schon erweicht waren. In Anbetracht der Grösse
dieser Herde, welche schon auf das umgebende Lungengewebe
Übergriffen, war es nicht möglich, mit Sicherheit zu ent¬
scheiden, ob der Ausgangspunkt der Tuberkulose iu der Bron¬
chialwand oder in dem angrenzenden Lungengewebe zu suchen
war aber die nahen Beziehungen, in welchen die Herde zu
den Bronchien standen, machten es doch wahrscheinlich, dass
sie von der Wand der letzteren ihren Ausgang genommen hatten.
Es erscheint mir diese Annahme um so wahrscheinlicher, als
ich bei den 10 übrigbleibenden Fällen meiner Beobachtungsreihe
nachweisen konnte, dass die Tuberkulose, welche hier Spitzen¬
bronchien 5. und 7. Ordnung betraf, streng auf die Bronchial¬
wand beschränkt war. Eine sekundäre Infektion der Bronchial¬
schleimhaut war in diesen, sowie in den ersterwähnten Fällen
auszuschliessen, da im Verbreitungsbezirk der tuberkulösen
Bronchien entweder überhaupt keine oder keine älteren tuber¬
kulösen Herde bestanden.
Die Lokalisation der beginnenden Tuberkulose in der Bron¬
chialschleimhaut ist kaum anders zu erklären, als dass die die
Infektion auslösenden Bazillen durch Inhalation zugeführt
wurden. Denn für die Annahme, dass die Infektion der Bron¬
chialwand auf dem Blut- oder Lvmphwege erfolgt sei, ist
schlechterdings kein Anhaltspunkt gegeben.
Nach dem von Birch-Hirschfeld und von mir zu¬
sammengetragenen Material ist es wahrscheinlich, dass die
-*) Verhandl. d. Deutsch, patbolog. Gesellscli., 4. Tagung, 1901.
■”) Münch, med. Wochenschr. 1901.
26) Ich zähle hier die oben erwähnten Fälle, bei denen die be¬
ginnende Lungentuberkulose sicher hämatogenen Ursprungs war,
nicht mit.
27 ) Vgl. die diesbezüglichen Einwände von Ziegler (Real-
enzyldopädie von Eulenbur g. 3. AuflO und von Askanazy
(B a u m gart e n s Jahresbericht 1899).
4*
1424
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Spitzentuberkulose ihren Ausgang vorwiegend von mittleren und
kleineren Bronchien nimmt. Allerdings ist die Zahl der wel
kräftigen eindeutigen Fälle noch nicht so gross, um m dieser
Hinsicht ein sicheres Urteil zu gestatten, zumal, wie unsere Be¬
obachtungen lehren, sicherlich auch Fälle verkommen, bei denen
die erste Ansiedlung der Tuberkelbazillen m den Endverzwei-
gungen der Bronchien erfolgt. Weitere Untersuchungen zur
Klarstellung dieser wichtigen Frage sind sehr dringend not¬
wendig Ich behalte mir vor, später auf die von mir hier nur
kurz besprochenen Fälle eventuell unter Verwertung neuen Ma¬
terials zurückzukommen.
Ueber den Einfluss chronischer Lungentuberkulose
auf Psyche und Nerven.
Von Dr. med. H. Engel.
(Schluss.)
Schwer ist es, die Ursache dieser launenhaften Stim¬
mungslabilität der Lungenkranken zu ergründen, ln vielen
Fällen ist sie wohl die Folge grosser Willensschwäche,
wie sie durch chronisches Kranksein, durch die Abhängigkeit von
dem Willen der Krankheit, durch allzugrosse Berücksichtigung
und Schonung von seiten der Angehörigen so leicht entsteht. Der
Kranke verliert die Herrschaft über sich selbst und gibt jeder
äusseren Beeinflussung seines Gemütslebens nach. Nicht un¬
wesentlich wirkt in zweiter Linie der M a n g e 1 e r n ste r Be -
t ä t i g u n g bei erhaltener geistiger Kapazität mit. V or allen
Dingen wird sich dadurch die schon oben erwähnte Planesuc i .
vieler chronisch Tuberkulöser erklären. Der noch allzeit regsaine
Geist findet auf diese Weise einige Befriedigung. Es ist cha¬
rakteristisch, wie viel der Kranke von seiner „Zukunf spiic ,
wohl deshalb,, weil ihm die Gegenwart nichts zu bieten pflegt.
Die verloren gegangene geistige Elastizität fuhrt solche Tendenzen
nicht rechtzeitig zur vernünftigen Norm zuruck und die ge¬
bauten Luftschlösser müssen deshalb nach kurzer Zeit wieder
zusammenfallen. — Schliesslich kann man bei der Regelmassig¬
keit mit welcher dieses hervorstechendste Symptom der psy¬
chischen Alteration im Verlauf der Tuberkulose m Erscheinung
tritt, doch wohl nicht umhin, den Gedanken an eine spezifische
Wirkung der Tuberkulose an sich, an eine durch chronische
Intoxikation hervorgerufene zerebrale Schwache
resp. Reizbarkeit unter die Ursachen mitaufzunehmen. Die
oben in ihrer Entstehung geschilderte Schwäche der Energie und
Selbstbeherrschung koinzidiert damit nicht. — Warum sollen
die im Körper chronisch zirkulierenden Tuberkulotoxme mch,
ebenfalls zerebrale Wirkung entfalten können wie andere Gifte f
In vielen Fällen berechtigt schon die Tatsache, dass der Schla
auch des fieberlosen Lungenkranken durch ständige Träume ge¬
wöhnlich aufregender Natur, geschädigt wird, zu der Annahme
einer abnormen, fortgesetzten Reizung der Hirnganglien. I erner
findet die Hypothese eines solchen durch Tuberkulo-
t o x i n e hervorgerufenen Effektes erstens in der Beobachtung
eine Stütze, dass Tuberkulininjektionen oft die oben definierte
psychische Insuffizienz anzuregen oder deutlich zu prononcieren
vermögen; zweitens zeigen sich, an anderen für das ärztliche
Auge besser kontrollierbaren Teilen des Gesamtnervensystems
(ich meine die peripheren Nerven und Vasomotoren), oft ganz
evidente, toxische Einflüsse der chronischen Tuberkulose.
Da sind zunächst die häufigen G e f ä s s n e r v e n Sto¬
rungen hervorzuheben, erkenntlich am raschen Farbenwechsel,
ausgelöst durch minimalste äussere Einflüsse oder auch ohne
eigentliche Ursache, ferner Schweissausbrüche, ebenfalls ohne
eigentliche oder nur geringe somatische und psychische Motive,
dann abnorme Gefässfüllung der Haut (kalte, blasse Haut einer¬
seits, oft in deutlich zirkumskripten Bezirken so an den
Fingern und Füssen — , heisse, gerötete Haut andrerseits, wie
umschriebene Wangenrötung oder allgemeine, oft sehr lästig als
Hitzegefühl empfundene Blutfülle der Haut). An dieser Stelle
wäre auch die oft schon frühzeitig auftretende Beschleunigung
und Irregularität des Pulses zu nennen, welche nach Turb a n ')
ebenfalls auf chronische Tuberkulinintoxikation der Herzganglien
bei mangelhafter Antitoxinbildung zurückzuführen ist. Der
2) Beiträge zur Kenntnis der Lungentuberkulose. Wiesbaden
1S99. S. 11.
Erethismus der Vasomotoren und des Herzens bei chromschei
Tuberkulose ist eine schon zu oft betonte Tatsache, als dass
es weiterer Ausführungen bedürfte. — Auch die Nachtschweisse
der Phthisiker unterliegen sicher einem toxisch-nervosen Emflu^
(s. Cor net2 3). — Hie Mitleidenschaft des Sympathikus und
Vagus, konstatierbar an einseitiger Erweiterung der Pupille,
Rekurrenslähmung, Pulsverlangsamung, beruht wohl mehr aut
lokalen Schädlichkeiten (Zerrung, Kompression) als aut In¬
toxikation. — Dagegen sind die mannigfachen troplion e u r o -
tischen Störungen bei chronischer Lungentuberkulose
sicher ein häufiger Ausdruck der langsamen Vergiftung des
Organismus. So ist die oft schon frühzeitige Macies nicht m
allen Fällen durch eigentliche anatomisch-pathologische Ver¬
änderungen im Magendarmtraktus verursacht und schreitet oft
trotz andauernd guter Nahrungsaufnahme, trotz Fieberlosigkeit
und Körperruhe unaufhaltsam fort oder bleibt wenigstens be¬
stehen. Manche von Jugend auf magere Personen, bei denen
alle Ernährungsanstrengungen nichts. nützen, tragen nicht bloss
die Disposition, sondern oft schon die noch okkulte Krankhei
mit sieh herum, deren Inkubationsdauer oder vielmehr ver¬
borgene Existenz ja bekanntlich Jahre betragen kann Ferner
sind die häufigen Ernährungsstörungen der Schleimhäute
(Pharynx-, Konjunktival-, Mittelohrkatarrhe, Endometntiden etc.)
gewiss auch eine solche Aeusserung der konstitutionellen Schä¬
digung durch tuberkulöse Stoffwechselprodukte. Auch die bei
Phthisikern abnorm häufigen Zahnkaries, dann die atiologisc i
scheinbar unerklärlichen Mastdarmfisteln fallen ursächlich m
dieses Gebiet.
Die peripheren Nerven unterliegen ebenfalls oft, m
der Form von Neuralgien und Neuritiden, dem Einflüsse der
Toxinresorption (Cornet 1. c.). Es sind da vor allen Dingen
die Sensibiltätsstörungen zu nennen, Parästhesien und Hyper¬
ästhesien der Haut, neuralgische Schmerzen m den unteren
Extremitäten und Gelenken, an den Muskelinsertionen etc über
die man so häufig klagen hört („Ziehen in den Beinen , fort¬
währende Muskelunruhe!). Die bei . Tuberkulosen
häufig gesteigerten Sehnenreflexe — von 30 Patienten, die ich
darauf prüfte, hatten 18 evidente Steigerung der Patellar-
reflexe — legen den Gedanken an eine spinale Erkrankung nahe.
Es handelt sich dabei aber gewöhnlich nur, wie auch bei der
abnormen sexuellen Erregbarkeit vieler Tuberkulösen um eine
Teilerscheinung der allgemeinen Nerven¬
überreizung und Nervenschwäche.
Sicherlich ist man berechtigt, von einer zur Neurasthenie
und Nervosität disponierenden Tuberkulose zu reden (ner¬
vöse Tuberkulose), und ich stehe, nicht an, auch die
Neurasthenie der Tuberkulösen im wesentlichen als eine Aeusse¬
rung der chronischen Intoxikation des Gesamtorganismus anzu-
selien. Nervosität, Neurasthenie, Hysterie können ganz ent¬
schieden, ohne dass äussere Einflüsse (Lebensweise der Kranken
etc.) als Ursachen mitzuspielen brauchen, durch die Tuberkulose
an sich, als eine chronische Intoxikationskrankheit, hervor¬
gerufen resp. bei schon vorhandener Anlage prononciert werden.
Die Neurastheniker sind unter den Tuberkulosen
ganz ausserordentlich häufig und, wenn man sich die Kranken
daraufhin ansieht, so findet man fast bei jedem ein oder das
andere, in diesem Sinne zu deutende Symptom.. Viele der eben
geschilderten Intoxikationserscheinungen koinzidieren ja auch
mit dem nervösen Symptomenkomplex der Neurasthenie und
auch das psychische Verhalten der Kranken bietet manches von
dem Bild der bei den Neurasthenikern zu beobachtenden, ab¬
normen geistigen und seelischen Konstitution. Es ist da vor
allem, als bisher noch nicht erwähnt, die schnelle Erschöpfbar¬
keit, das geistige Ermüdungsgefühl zu nennen, wel¬
ches methodisches Denken und richtige Konzentration der Ge¬
danken beim Lesen und bei der Unterhaltung unmöglich macht.
Es ist unglaublich, was alles von einem Tuberkulösen oft in
Angriff genommen wird, ohne dass jemals ein ernstes Ziel er¬
reicht würde. Ich sah einmal bei einem Patienten 6 Gram¬
matiken verschiedener Sprachen liegen und auf meine klage,
ob er auch alle durchstudiert hätte, erfolgte die Antwort: „Ich
habe alle angefangen, aber sie strengen mich alle zu sehr an .
Der Patient war notabene, quoad pulmones, ganz leicht krank.
3) Die Tuberkulose. Wien 1899. S. 35G.
26. August 1902.
JMUENCHEATEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
— Auch die sehr häufig zu beobachtende T i m i d i t ä t und
Alenschen scheu der Tuberkulösen muss wohl einer be¬
stehenden Neurasthenie zur Last gelegt werden. Heinzel-
m a n n (1. c ) bemerkt ganz richtig, dass „von manchen Lungen¬
kranken halb unbewusst ausschliesslich untergeordnete Gesell¬
schaft aufgesucht wird, da der Verkehr mit diesen sie nicht so
sehr anstrengt und aufregt» - gewiss ein ausgesprochen neur-
asthenisches Symptom! — Noch häufiger äussert sich die Neur¬
asthenie der Tuberkulösen in der Eorm der abnormen Reizbar¬
keit mit einer allgemein gesteigerten Lebhaftigkeit des Vor¬
stellungslebens und einer daraus resultierenden unüberwind-
n- ion Abhängigkeit der Stimmung vom augen-
blick liehen körperlichen Befinden. Es stimmt
tlas sehr wohl mit den oben geschilderten raschen Uebergängen
vom „himmelhochjauchzend»' zum „zu Tode betrübt» überein.
V iele I uberkulose sind ihrer leichten Erregbarkeit wegen
eine wahre crux medicorum. Eine Kranke pflegte vor jeder
Untersuchung m förmliche Angstzustände zu verfallen, andere
brechen bei ganz geringen Verschlimmerungen im körperlichen
Befinden m Tranen aus oder geben sich Todesgedanken hin etc.
Sehr häufig hört man auch, von den Patienten selbst, Klagen
über beständige innere Unruhe, einen unbezwinglichen
Drang nach fortwährender Tätigkeit, nach unausgesetzter gei¬
stiger und körperlicher Beschäftigung, welcher sich in ruhelosem
Hasten und Streben im Beruf, in aufreibender Vielgeschäftigkeit
und irrationeller Lebensführung äussert. Solche Symptome
zeigen sich oft auch schon vor dem eigentlichen Ausbruch resp.
vor Erkennung der Krankheit. Ein Patient erzählte mir, er habe
m seinem Beruf nie so viel geleistet und leisten wollen als
vor seiner Erkrankung. Solche Erscheinungen sind nichts an¬
deres als der Ausdruck einer durch die Krankheit verursachten
stimulierenden Nervenreizung. — Von den körperlichen
Symptomen der tuberkulösen Neurasthenie tritt vor allen Dingen
die abnorme Empfindlichkeit des Kranken gegen
selbst geringe Steigerungen der Körpertemperatur hervor.
Während bei nervenstarken Personen oft ganz beträchtliches
lieber subjektiv unempfunden bleibt, reagiert ein Nervöser be-
reits auf 37,6 (Mundmessung!) mit grosser Abgeschlagenheit,
x röstein, neuralgischen Schmerzen im Rücken und in allen
Gliedern; ja, die Empfindlichkeit kann so weit steigen, dass eine
nicht ganz in der Norm sich haltende Tagesschwankung ohne
Ueberschreitung der oberen Grenze unangenehm empfunden wird.
Ein Kranker gab mir an, dass er sich krank fühle, wenn er
Morgens um 10 Uhr statt 36,7 z. B. 36,9 gemessen habe, dagegen
sich wohl befinde, wenn die Temperatur Nachmittags v.on 37,4
auf o7,3 (an und für sich höhere Temperaturen als die des Vor¬
mittags!) abfalle. Viele neurasthenische Patienten kommen so
weit, dass sie ohne Thermometer angeben können, ob ihre
Körpertemperatur zur gegebenen Zeit überhaupt steigt oder füllt,
ob sie normal oder anormal ist. Manche Disposition zu raschen
I leberreaktionen auf geringe äussere Schädlichkeiten mag ihre
Ursache m einer abnormen Reizbarkeit des Nervensystems,
speziell des Wärmezentrums haben und liegt darin vielleicht der
Schlüssel zur bisher noch nicht gefundenen Erklärung, warum
Überhaupt der eine Tuberkulöse fiebert, der andere nicht. —
1 erner muss hier die rasche körperlicheErmüdbarkeit
bei nervöser Tuberkulose genannt werden, die gewöhnlich in den
Morgenstunden besonders ausgesprochen ist. Der Patient begibt
sic i mit normalem Kräftegefühl auf den Spaziergang, kehrt aber
schon nach % oder % Stunde vollständig erschöpft auf seinen
Liegestuhl zurück. — Auch die nervösen Magenstö¬
rungen sind bei Tuberkulose sehr häufig und braucht man,
wenn, man das im Auge behält, nicht immer das einzige dia¬
gnostische Heil in einer Anazidität oder Magenektasie zu
suc en. . Charakteristisch für die psychogene Entstehung einer
yspepsie ist die evidente Zunahme der Symptome bei Auf¬
regungen, Verstimmungen und, nicht in letzter Linie, bei ge¬
ringen Temperatursteigerungen, wie sie im Verlauf der chro¬
nischen Tuberkulose stets vorzukommen pflegen. Gar nicht selten
ifct „Magenverstimmung» bei nervösen Kranken das erste sub¬
jektive Symptom eines niedrigen tuberkulösen Fiebers. Die
Kranken kommen mit der Erklärung zum Arzt, sie hätten sich
den Magen, verdorben. Das bei tuberkulösem Fieber sehr wirk¬
same Aspiiin verhilft dann in solchen Fällen schon in ganz ge¬
ringen Dosen (0,5 pro dosi) zur richtigen Diagnose ex juvantibus.
No. 34.
1425
Die Magenbeschwerden verschwinden prompt mit dem künst¬
lich erreichten Abfall der Temperatur und die eigentliche Ur¬
sache des Uebels, welche man ursprünglich im Magen vermutete,
lasst sich auf diese Weise von dort in die Lunge verlegen.
Der Begriff der hysterischen Phthise, bei welcher
mannigfache hysterische Störungen dem Krankheitsverlauf ihr
eigentümliches Gepräge geben, ist schon von Cornet (1. c.)
aufgestellt worden. In solchen Fällen verdanken Medikamente,
Hetol- und Tuberkulininjektionen ihren Effekt oft nur rein
psychischen Faktoren. Bei einem mir bekannten Kranken
dessen Temperaturerhöhungen stets nach Injektion von geringen
Hetoldosen verschwanden, war dasselbe Resultat mit destilliertem
Wasser sub indicatione „Iletol» zu erreichen (hysterisches
Fieber?). Auch Cornet betont, dass Hysterie und Nerven¬
leiden überhaupt unter dem Finfluss der Lungentuberkulose er-
heblich verschlimmert werden oder aus dem Latenzstadium
iei vortreten können. Damit stimmen die obigen psychologischen
Beobachtungen über Prononcierung der Charakteranlage bei
Tuberkulose sehr wohl überein. Bezüglich der Neurasthenie
möchte ich den Cornet sehen Satz, wie gesagt, dahin er¬
weitern, dass sie überhaupt, und in vielen Fällen einzig und
allein, der chronischen Lungentuberkulose
ihre eigentliche Entstehung verdankt, und zwar
ebenso wie die vasomotorischen, trophoneurotischen, neuritisehen
Störungen und einige der zerebralen Symptome (Stimmungs¬
labilität) durch chronische Einwirkung tuber¬
kulöser Toxine auf das Gesamtnervensystem.
Was. nun die Behandlung der psychischen und ner¬
vösen Störungen im allgemeinen betrifft, so lassen sich darüber
ebensowenig Lehrsätze auf stellen und Normen abfassen wie eine
genau definierte und präzisierte Diagnostik und Symptomato¬
logie. Im obigen sind bereits vielfache Anweisungen enthalten
re&p. mit Leichtigkeit aus dem Beobachteten zu entnehmen.
Auch hat IL einzel m a n n 4) allgemein verwendbare Regeln
der psychischen Behandlungsweise bereits niedergelegt. Dazu
noch einige Ergänzungen !
i Die Wirksamkeit einer psychischen Behandlung liegt einzig
und allein in der richtigen individuellen Erkennung
des Seelenzustandes, der Grundstimmung und der Charakter¬
anlage des Patienten. Dass diese Aufgabe des Arztes eines
grossen Aufwandes von Zeit und Geduld bedarf, ist nach obigem
leicht verständlich. Durch anfängliche Misserfolge darf man
sich nicht entmutigen lassen. Wenn der Patient fühlt, dass sein
Aizt sich Mühe gibt, ihm auch seelisch und menschlich näher
zu treten, und schliesslich auch tatsächlich näher tritt, so wird
das zur Behandlung der Tuberkulose so wichtige Vertrauensver¬
hältnis zwischen Arzt und Patient von vornherein ein kon¬
solidiertes sein. Dass dieses psychologische Studium einem
Sanatoriumsarzte, der in ständigem Kontakt mit seinen Pa¬
tienten steht, leichter fallen wird als dem Arzt des offenen Kur¬
orts, ist klar. Aber auch dem ersteren ist diese Aufgabe durch
die meist grosse Zahl der Patienten und die starke Inanspruch¬
nahme seiner Zeit sehr erschwert. In so nahe Beziehung zu seinen
Kianken, dass er seiner psychologischen Diagnose ganz sicher
sein kann, tritt auch der Sanatoriumsarzt gewöhnlich nur bei
den chronisch Bettlägerigen und bei seinen Tischnachbarn. Das
ärztliche Ideal eines Lungensanatoriums sollte deshalb nicht
in einer möglichst hohen Zahl von Aufnahmemöglichkeiten
liegen. 80 und 100 Patienten sind für einen dirigierenden Arzt
entschieden zu viel; 30 bis 40 wären nach meiner Meinung das
Maximum. Leider stehen dieser Forderung meist materielle
Interessen (Rentabilitätsbedenken) im Wege!
Wenn nach Ileinzelmann die W illensbeein-
flussung des Patienten in der psychischen Behandlung1 die
Hauptsache ist und die Prognose um so schlechter wird, je grösser
der I ngehorsam des Kranken, so liegt in der bedingungslosen
Befolgung dieses Satzes für den Sanatoriumsarzt der gebildeten
Stände eine gewisse Gefahr. Aerztliche Tyrannei
stösst dort leicht auf Widerstand und macht die Patienten kopf¬
scheu und widerspenstig. Der Kranke muss jederzeit in die
Gründe ärztlicher Befehle und Verbote Einsicht haben und sie
einsehen und soll sich der Arzt auch da keine Zeit und Mühe
*) 1. c. und Deutsche Medicinalztg. 1895, No. 48: Zur Lungen¬
tuberkulosebehandlung.
5
1426
verdriessen lassen. Der kategorische Imperativ ist nur selten
anwendbar, bei Erwachsenen fast nie. Der Arzt darf sich nie
über den Patienten, nur ihm menschlich gleich stellen
wollen. Er soll nur dem Sanatorium, nie dem Patienten gegen¬
über Autokrat sein. So wird es z. B. während der Behandlung
eines Kranken oft zweckmässig, gesundheitliche Bedenken ge¬
ringerer Art im Interesse des psychischen Gleichgewichts des
Patienten fallen zu lassen. Kirchenbesuch sollte aus diesem
Grund bei religiösen Patienten, wenn es irgend geht, nicht ver¬
boten werden etc. Es wird in solchen Sachen ebenfalls Rück-
sicht auf Naturell und Temperament des einzelnen genommen
werden müssen. 1 Tnd um nicht solche, aus psychologischen
Gründen gegebene Erlaubnisse in Widerspruch mit Verboten
bei anderen Patienten zu bringen, und um sich nicht dein Vor¬
wurf der ärztlichen Launenhaftigkeit auszusetzen, wird auch
solche unterschiedliche Behandlung dem einzelnen Patienten
gegenüber in entsprechender Weise motiviert werden müssen.
In der Entscliliessung über Heim reis e, Beendigung der
Kur, Wiederaufnahme der Arbeit muss sich der Arzt ebenfalls
oft von psychischen Rücksichten leiten lassen. Es wäre gewiss
das beste, wenn sich jeder Tuberkulöse, auch der relativ Leicht¬
kranke, einer jahrelangen Kur ohne Unterbrechung unterziehen
würde und könnte. Gewöhnlich sind ja aber Geduld und Mittel
nach mehreren Monaten bereits erschöpft. Heimweh, Unruhe,
Angst um Verlust der Stellung, Geldsorgen stellen, sobald sie sich
in ausgiebigem Masse bei den Patienten melden, einen weiteren
Erfolg durch Eortsetzung der Kur sehr in I rage. Objektive
Besserung des Lungenbefunds ist ja in den wenigen V ochen
oder höchstens Monaten, zu denen sich die Patienten in solchen
Fällen eventuell verstehen, doch so wie so nicht zu erwarten und
die weitere Hebung des Allgemeinzustands, welche in dieser
erreicht werden könnte, pflegt durch die fortgesetzte Aufregung
und Unlust, in welcher sich der Patient befindet, imaginär zu wer¬
den. Auch ein „mit urkräftigem Behagen“ sich meldendes
Arbeitsbedürfnis des Patienten darf beim Arzt in obiger
Entscheidung eine mitbestimmende Rolle spielen. Ueberhaupt
sollte dem Verlangen des Patienten nach Betätigung auch
während der Kur, wenn irgend möglich. Gehör geschenkt werden.
Die Erlaubnis zu geistiger Arbeit in bestimmten Stunden (Fach-
und Sprachstudium) darf wohl jedem fieberfreien Patienten ge¬
geben werden ; bei mangelnder Initiative sollte der Arzt gegebenen
Falls den Kranken sogar dazu anregen. Tägliche, wenn auch nur
kurze, aber ernste systematische Beschäftigung wirkt oft Wunder
auf die psychische Kontinenz der Patienten und beugt zugleich
einer vollständigen Entwöhnung des Kranken von jeglicher posi¬
tiven Thätigkeit vor, welche das Dolce far niente schliesslich zum
Lebensprinzip macht. Viele reiche Lungenkranke, die ihren
ganzen Lebenszweck in dem Besuch geeigneter Kurorte finden,
könnten ganz gut arbeiten und würden sich dabei körperlich und
seelisch wohler fühler.
Wenn die Chance für den leistungsfähigen chronisch
Lungenkranken besteht, seinen Beruf unter klimatisch günsti¬
geren Bedingungen auszuüben als in der Heimat (Kaufleute,
Aerzte etc.), so hat die Ausnützung dieser Möglichkeit in vielen
Fällen nicht bloss hygienische, sondern auch psychische Vorteile.
Eine Wiederaufnahme der Tätigkeit im früheren, vor der Er¬
krankung gepflogenen Masstabe verbietet die Gesundheit. Es wird
deshalb für den Tuberkulösen besser sein, den alten Verhältnissen,
die nur Versuchungen oder Enttäuschungen und Verbitterungen
durch den stets vor Augen liegenden Vergleich mit früheren
„besseren Zeiten“ mit sich bringen, aus dem Wege zu gehen.
Bietet sich für einen Tuberkulösen die Möglichkeit, eine Ehe
einzugehen oder soll über die Realisation einer Verlobung
entschieden werden — wirklich schwere Fälle kommen dabei von
vornherein nicht in Betracht — , so sollte der um seinen Rat be¬
fragte Arzt nach meiner Meinung nur dann sich ein definitives
Urteil über diese Frage erlauben, wenn er auch den Gemüts¬
zustand, die seelischen Bedingungen und Bedürfnisse des oder der
Betreffenden kennt. Es wird dann gewiss mancher ärztliche
Konsens auch in Fällen gegeben werden, die nicht gerade dem
ersten Stadium der Krankheit angehören. Es ist nämlich, ab¬
gesehen von einer geordneten Befriedigung des bei vielen
Tuberkulösen vorhandenen sexuellen Bedürfnisses, ein ruhiges
Familienleben bei gegenseitiger Neigung der Eheleute und vollem
Verständnis für einander, eine vernünftige Beaufsichtigung des
No. 34.
Kranken, ermunternder Zuspruch, Aufheiterung und Ablenkung
durch den gesunden Teil für einen I uberkulösen, der solchei
Dinge bedarf (Hypochonder, Neurastheniker etc.), oft von nicht
zu unterschätzendem V orteil (s. auch G e r h a r d t : Ueber die
Eheschliessung Tuberkulöser; Zeitschr. f. Tub. u. Heilstätten¬
wesen Bd. I). Der Arzt wird, von diesem Gesichtspunkt aus,
auch darnach fragen, ob der gesunde Teil dem Naturell und Tem¬
perament des Kranken ein gewisses Gegengewicht bietet. Sind
diese psychischen Bedingungen vorhanden, fehlen materielle Be¬
denken, so darf der Arzt gewiss oft zustimmenden Rat erteilen,
und auch die Verwandten sollten dann dem armen Tuberkulösen,
der Erfüllung seiner Wünsche und seinem Verlangen nach rela¬
tivem .Lebensglück nicht aus Standesvorurteilen oder religiösen
Differenzen in den Weg treten. Stets aber soll der Arzt, wenn
es sich nicht um ganz leichte Fälle mit bereits jahrelangem
gesundheitlichen Gleichgewicht handelt, darauf aufmerksam
machen, dass Kindererzeugung im sozialen Interesse und, falls die
Frau krank ist, im Interesse dieser nach Kräften vermieden
werden muss. Ferner darf der Arzt nicht vergessen, im ge¬
gebenen Fall beide Teile vor der Eheschliessung über die Ge¬
fahr der Ansteckung und ihre Vermeidung zu belehren. Fort¬
bestehender tuberkelbazillenhaltiger Auswurf ist nach der Auf¬
fassung wohl der meisten Aerzte, selbst in leichten Fällen, ein
prinzipieller Hinderungsgrund für Eheschliessung. Ob der Arzt
zu einem solchen apodiktischen Urteil in jedem lall berechtigt
ist, scheint mir zweifelhaft, wenn man bedenkt, dass die Ehe aus
genannten Gründen vielleicht einen günstigen Einfluss auf den
Gesundheitszustand des Kranken auszuüben vermag, lang ge¬
hegte und dann schliesslich getäuschte Hoffnungen aber schweren
Schaden bringen können. Der vom Arzte so oft und taute de
mieux gegebene Rat eines Heiratsaufschubs, in der Hoffnung,
dass eine Kur oder Kurfortsetzung und ihre positiven Erfolge
die Ehe vom medizinischen Standpunkt aus später eher recht-
fertigen werde, führt nur in den leichten Fällen zu solcher voll¬
befriedigenden Lösung. In schwereren aber bringt der durch das
Warten bedingte dauernde oder womöglich aussichtslose Ver¬
lobungszustand, die Ungewissheit über Erfüllung der V ünsche,
dem Kranken je länger, je grössere psychische und dadurch in¬
direkt auch gesundheitliche Nachteile. So kann es in solchen
schwereren Fällen schliesslich zur Aufgabe des Arztes werden,
eine Entscheidung im einen oder im anderen Sinne herbei¬
zuführen. Erscheint dann die psychische Gefahr eines Ver¬
lobungsbruches zu gross, steht der Arzt auf diese Weise
vor dem Dilemma einer Interessenvertretung seines Patien¬
ten oder des gesunden Teils, so kann, denke ich, die
offene Aufklärung des Gesunden über den Zustand des
Kranken, über die noch oder später vielleicht wieder drohende
Gefahr der Ansteckung das ärztliche Gewissen beruhigen und
beruhigt zugleich das Gewissen des Kranken. Sie ist auch der
beste Prüfstein für die „Wahrheit der Gefühle“. Eine von zwei
chronisch Tuberkulösen beabsichtigte Eheschliessung bringt für
den Arzt die schwierigsten Konflikte. Das instinktive Urteil
spricht dagegen, namentlich in nicht ganz leichten oder ungleich
vorgeschrittenen Fällen mit der eventuellen Gefahr einer Re¬
infektion des einen durch den anderen Teil. Die mühevoll wieder
befestigte Gesundheit des ersteren Teils soll in solchen Fällen
nicht von neuem riskirt werden und müssen dann auch psychische
Vorteile geopfert werden. Sind beide Teile ansteckungsfähig,
beide gleich leicht oder gleich schwer krank, so fallen diese Be¬
denken allerdings Weg. Aus der Gleichheit der durch die Krank¬
heit geschaffenen, äusseren und inneren Lebensbedingungen
pflegen die Beteiligten sogar eine gewisse Berechtigung zur Ehe¬
schliessung herauszulesen, namentlich in Fällen grosser gegen¬
seitiger Zuneigung. Es kann schliesslich der — immerhin seltene
— Fall eintreten, dass rein menschliche Gründe die rein ärzt¬
lichen besiegen dürfen. Nebenumstände — äussere und innere
machen da jeden Fall zu einem Problem für sich.
Dass vom Arzt die Diagnose vor einem Tuberkulösen nie ge¬
heim gehalten werden soll, im Interesse des Kranken selbst, ist
ja jetzt allgemein richtig erkannt. Verlangt der Patient aber,
sei es beim Eintritt oder beim Austritt aus der ärztlichen Be¬
handlung, Mitteilung über Prognose, so sollten diese, falls
sie nicht unbedingt günstig lauten, erst dann offene sein, wenn
der Arzt den Seelenzustand des Patienten genau geprüft resp.
im Verlauf der Kurbehandlung erkannt hat. Das dem Kranken
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
26. August 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
gegebene prognostische Urteil kann ja dann nötigen Falls bei den
Verwandten brieflich oder mündlich rektifiziert werden. Dass
m den schwereren Stadien der Krankheit geschickte Lüge die
hauptsächlichste ärztliche Kunst darstellt, braucht wohl kaum
erwähnt zu werden.
Was nun zum Schluss die Behandlung der neur-
a s t h e n i sehen Beschwerden Tuberkulöser betrifft, so
muss, weil auch hier die seelischen Störungen im Mittelpunkt
der Krankheit stehen, die psychische Beeinflussung des
1 all eil teil m erste Linie gestellt werden. Einen oft mit Erfolg
verwendbaren Angriffspunkt gibt hierbei die gewöhnlich mit
.Neurasthenie gepaarte Aengstlichkeit solcher Patienten. Wenn
man ihnen sagt, dass sie durch ihre Willensschwäche Nervosität
der Heilung ihrer Lungen selbst im Wege ständen, so pflegen
diese Worte ihren psychischen Eindruck nicht zu verfehlen; die
Patienten geben sich oft von da ab grössere Mühe, gegen ’ilire
Stimmungen aufzukommen. Man braucht nicht zu fürchten,
dass sie dabei in den gegenteiligen Fehler des Leichtsinns und der
Nachlässigkeit verfallen. Ein Neurastheniker wird es nie über
sich bringen, sich körperlich nicht zu schonen. Man muss eben
bedenken, dass der Neurastheniker die Beschwerden, über welche
er klagt, auch wirklich somatisch empfindet und darunter körper¬
lich leidet. Gewöhnlich steht das Aussehen solcher nerven¬
schwacher Lungenkranker mit ihren Klagen im Einklang und
wechselt mit den Schwankungen in ihrem Befinden — gewiss ein
Zeichen, dass nicht alles eitel Einbildung zu sein pflegt. Man
darf nicht vergessen, dass bei solchen Patienten als wirkliches
Krankheitssubstitut die Tuberkulose ihrer Lungen vorliegt, deren
Krankheitsäusserungen vom Neurastheniker wirklich empfun¬
den werden, welche Fähigkeit andere Lungenkranke nicht zu be¬
sitzen pflegen^— au fond ein gewisser Vorteil für den lunge n -
k r a n k e n Neurastheniker ! Er wird nicht so schnell aufgelegt
sein, leichtsinnige Dummheiten zu machen wie andere, denen
„gar nichts fehlt“. Bei neurasthenischen Tuberkulösen wird aus
psychischen Gründen auch eine öftere Untersuchung der Lungen
vorgenommen werden müssen als bei den übrigen. Wenn der
Patient hört, dass „in den Lungen alles gut gehe“, so wirkt das
oft auf seine Stimmung für längere Zeit wohltuend. Auch den
sonstigen Klagen solcher Kranken wird der Arzt stets ein offenes
Ohr leihen müssen und sie nicht mit indifferenten Scherzen ab-
speisen dürfen. Der neurasthenische Patient muss stets den
Eindruck haben, dass gerade sein Wohl dem Arzte besonders am
Herzen liegt.
Stets wird man bei tuberkulösen Neurasthenikern den Ver¬
brauch etwaiger Stimulantia (Alkohol, Tabak) oder aus
anderen Gründen (Hustenreiz, Durchfall) gegebener B e -
ruhigungs mittel (Codein, Opium) einer besonderen Kon¬
irolle unterstellen müssen. Da der Neurastheniker stets das Ver¬
langen hat, seine „Nerven zu beruhigen“, so neigt er leicht zu
Exzessen in dieser Hinsicht und sucht sich die entsprechenden
fittel, wie z. B. Codein, Brom etc., oft unter der Angabe von
quälendem Hustenreiz, Schlaflosigkeit etc., zu verschaffen. Die
bei Neurasthenie stets vorhandene Willensschwäche wirkt eben¬
falls, im obigen Sinne, ungünstig. Diesem „videant medici“ steht
andererseits das oft unumgängliche Postulat entgegen, den Neur¬
astheniker und seine tatsächlichen körperlichen Empfindungen
durch greifbares therapeutisches Handeln zu be¬
ruhigen. Man wird deshalb z. B. bei einem solchen Kranken mit
tuberkulösem Fieber eher zu antipyretischen Massregeln greifen
müssen, als bei anderen; natürlich darf der Patient, trotz schein¬
barer Entfieberung, das Bett nicht verlassen, ehe nicht schliess-
ic i auch ohne Antifebrilia normale Temperaturen erreicht sind.
Die Hauptspaziergänge der neurasthenischen Tuber¬
kulösen mit leichter Ermüdbarkeit sollten auf den Nachmittag
verlegt werden, zu welcher Tageszeit Mattigkeitsgefühle nicht so
schnell einzutreten pflegen.
Die gastrischen Störungen bei nervöser Tuberku¬
lose können am ehesten durch fortwährenden Wechsel in den
Speisen gebessert werden. Dabei braucht man in der Auswahl
reise ben nicht solche V orsicht zu entfalten, wie bei wirklich
Magenkranken. Im Gegenteil dürfen besondere Gelüste ohne
solche Rücksicht befriedigt werden. Ich sah einen Kranken mit
stark ausgeprägter nervöser Dyspepsie am Ostermorgen nüchtern
5 harte Eier essen, nach denen er gerade enormes Verlangen hatte
sein Magen war an den folgenden Tagen besser denn je.
1427
Ein fortgesetztes Lavieren und Probieren führt oft zu den besten
Resultaten. Ueberhaupt ist bei der Neurasthenie, weil das medi¬
zinische Können hier mit einer Art Hydra zu kämpfen hat, Ge -
d u 1 d die beste Waffe des Arztes !
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Zum Abschluss der Neuorganisation des Deutschen
Aerztevereinsbundes.
. Wenn der Königsberger Aerztetag die Worte des Herrn
L<> l>ker: „Nur eine starke und allezeit aktionsbereite Exekutive
kann bei den heutigen Verhältnissen die Ziele des Aerztevereins¬
bundes fördern“ mit lebhaftem Beifall auf nahm, so verfuhr er
nur folgerichtig, wenn er sich dafür entschied, für den Bund die
Rechtsfähigkeit zu erwerben. In der Tat bietet jedem Verein der
Besitz der Rechtsfähigkeit in die Augen springende Vorteile; man
muss sich deshalb hass verwundern, dass noch 3 von den an¬
wesenden Abgeordneten in dieser Frage eine abweichende Stellung
einnalimen. Allerdings musste aus der Besprechung dieses Gegen¬
standes der mit dem Gang der Dinge nur halbwegs Vertraute
die Summe ziehen, dass weder der Berichterstatter des Geschäfts-
ausschusses noch der grösste Teil der übrigen Redner sich über¬
mässig in die einschlägigen Bestimmungen der Gesetzgebung ver¬
tieft hätten. Auch wage icli — unbeschadet meiner Hochachtung
vor der Weisheit der Herren Juristen — , von dem rechtskundigen
Berater, welcher dem engeren Ausschuss beim Entwerfen der
neuen Satzungen zur Seite gestanden, zu behaupten, dass er bei
seinem Vorschlag die Ausfülirungsbestimmungen der Satzungen,
welche eist im vorigen Jalire in Hildeslieim vom Aerztetage an¬
genommen worden sind und welche gerade erst durch die Rechts¬
fähigkeit. des Bundes ihren wirklichen Wert erhalten sollen, über
Gebühr ausser Acht gelassen hat. Der Geschäftsausschuss wird
daher kaum umhin können, nach Eingang der von den Vereinen
i erlangten Abänderungsvorschläge von neuem in eine sehr ein¬
gehende Beratung des ganzen Entwurfs einzutreten. Weil aber
der Verein, dessen Vorsitz zu führen ich die Ehre habe, ausser
stände ist, sich bis zum 1. November dieses Jahres über den Ent-
Avurf schlüssig zu machen, so muss ich es’für meine eigene Person
unternehmen, Vorschläge zu machen; ich hoffe, sie werden nicht
dadurch an Wert verlieren, dass ich mich für den Leipziger wirt¬
schaftlichen Verband schon mit Erfolg um die Rechtsfähigkeit
bemüht habe, also auf diesem Gebiete über einige Erfahrung
verfüge.
Es heisst nun im Entwurf der neuen Satzungen: „§ 1: Der
Deutsche Aerztevereinsbund hat den Zweck, die ärztlichen Ver¬
eine Deutschlands zu gegenseitiger Anregung und gemein-
s a m er Betätigung auf dem Gebiete der wissenschaftlichen,
praktischen und sozialen Beziehungen des ärztlichen Standes zu
vereinigen“, und ferner: .,§ 9: Zur Führung der Geschäfte des
Aerztevereinsbundes wird ein Generalsekretär angestellt“, und
über diesen selbst heisst es in den Hildesheimer Beschlüssen:
*».••• ilim Hegt ob, die Interessen des ärztlichen Standes, sowohl
die ethischen Avie die wirtschaftlichen, dauernd und ener¬
gisch, auch in der Öffentlichkeit, zu vertreten“. Zur Förderung
und \ ertretung wirtschaftlicher Interessen ist aber schlechter¬
dings ein Avirtschaftlielier Geschäftsbetrieb vonnöten, und in der
lat hat ja auch der Aerztevereinsbund jetzt schon einen wirt¬
schaftlichen Geschäftsbetrieb — - durch seine Auskunftstellen für
ärztliche Vakanzen in Hamburg und Berlin und sein ärztl. Vereins¬
blatt — •, welcher durch die Tlebernalime des letzteren in eigenen
A erlag nur noch gesteigert werden soll. Nach dem Gesetz erlangen
^ ereine, welche rein ideale ZAArecke verfolgen, die Rechts¬
fähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister seitens des zu¬
ständigen Amtsgerichts, dagegen Vereine, deren ZAveck auch nur
irgendwie auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet
ist, durch staatliche Verleihung. Demgemäss kann der Aerzte¬
vereinsbund die Rechtsfähigkeit nur durch staatliche Verleihung
und niemals durch Eintragung in das Vereinsregister erhalten.
Da nun im Gesetz selbst keine Bedingungen angegeben wer-
den, unter welchen der Staat einem Verein mit wirtschaftlichem
Geschäftsbetrieb die Rechtsfähigkeit A’erleihen muss, dies Adel¬
mehr ganz und gar dem Ermessen der Verwaltungsbehörden über¬
lassen ist, so wäre es eigentlich rnüssig, darüber zu streiten, ob
beim Nachsuchen der Rechtsfähigkeit von der Hauptver-
s a in m 1 u n g g eneh m igte Satzungen einzureichen sind oder
ob schon ein Entwurf zu solchen, von einem Ausschuss bearbeitet,
genügt. Tatsache ist aber, dass die Behörden einen Verein hin¬
sichtlich seiner Bestrebungen nur prüfen können, wenn sie in
der Lage sind, seine bündigen Satzungen einzusiehen, und Tatsache
ist, dass die Behörden die von der Hauptversammlung des nach¬
suchenden Vereins genehmigten Satzungen, und zwar in Ur- und
Abschrift, einzufordern pflegen, also genau ebenso verfahren, AA'ie
es für die Eintragung von Vereinen mit nichtwirtschaftlichem Ge¬
schäftsbetrieb im Gesetz vorgeschrieben ist. So ist dem Leipziger
wirtschaftlichen Verbände die Rechtsfähigkeit verliehen worden
durch Ministerialentscldiessung „auf Grund von § 22 des Bürger¬
lichen Gesetzbuches und in Gemässbeit der bei der V e r -
bandsversammlung in Hildesheim endgültig
angenommenen Satzungen“. Dass das hier in Frage
kommende preussische Ministerium gerade beim Aerztevereins¬
bund von den herkömmlichen Gepflogenheiten abgehen wird, ist
5*
1428
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
doch von vornherein nicht sehr wahrscheinlich, neshalbvillnir
os besser erscheinen, dem Gesuch um Verleihung der Rechtsfähig¬
keit lieber die alten, vom Aerztetag selbst anerkannten und daher
vollgültigen Satzungen, als den von der Hauptversammlung des
Bundes noch nicht genehmigten und wahrlich m mehr als > einem
Punkte recht bedenklichen Entwurf des engeren Ausschusses bei-
/Ul< '"sehr bedenklich erscheint beispielsweise das in Aussicht ge¬
nommene Anerkennungsrecht des Vorsitzenden. Wer kennt den
Mann, der später einmal dieses Amt bekleiden wird, und ver¬
bürgt dafür, dass in alle Zeiten dieses Recht loyal gehandhabt
wird? Wer aber weiss, was die Zukunft bringt, wer vermag
vorauszusehen, unter was für neuen, vielleicht von der Mehrheit
zunächst nicht verstandenen, Gesichtspunkten sich einmal i _
Vereine bilden werden? Selbst unter den jetzt noch zu Recht be
stehenden Satzungen ist die Aufnahme des Leipziger Verbandes
in den Aerztevereinsbund nicht ohne einige Schwierigkeiten vor
sich gegangen. Ein Mittel aber, wie man den Vorsitzenden selbs .
gegen seinen Willen zur Anerkennung irgend eines \ eremes zwingen
will fehlt im Entwurf durchaus, es wird sich auch kaum eine
Form für einen solchen Zwang Anden lassen. Für sehr bedenklich
halte ich ferner die Bestimungen über die Mitgliedschaft und das
Aufhören derselben, auch das Fehlen von Bestimmungen darüber,
wann und wie der Bund aufzulösen und wem in solchem Falle
das etwa vorhandene \ ennögen zufällt, u. a. m.
Aber der neue Entwurf, welcher auch in Königsberg von ver¬
schiedenen Seiten bekämpft wurde, war ja vorgeschlagen unter
der Voraussetzung, dass die Rechtsfähigkeit durch Eintragung
beim Amtsgericht angestrebt werden müsse. Bei staatlicher \ ei-
leihung desselben ist die Anerkennung der satzungsmassigen Vor¬
schriften über die Mitgliedschaft einzig und allein Sache der mass¬
gebenden Verwaltungsbehörden. Werden von dieser die Zwec ve
anerkannt, so ist und bleibt es für sie ganz unerheblich, wie sich
die Mitglieder des Vereins nennen, ob sie physische Personen, ob
sie Vereine mit dem Recht der juridischen Person oder ohne das¬
selbe sind oder ob alle 3 Arten von Rechtssubjekten gleichzeitig
die Mitglieder bilden. Sollten sich aber dennoch aus den be¬
stehenden Verhältnissen Schwierigkeiten ergeben, so wurden diese
sich meines Erachtens sehr leicht beheben lassen. Man braucht
dann nur dem S 2 der bisherigen Satzungen diese Fassung zu geben :
Dem Aerztevereinsbunde kann jeder deutsche, wissenschaftlich
geprüfte und staatlich anerkannte Arzt beitreten, welcher einem
sich nur aus solchen zusammensetzenden Aerzteverein angehort.
Diese Vereine bilden die Wahlkörper für den Aerztetag.“
Und so würden eigentlich die bisherigen Satzungen genügen,
wenn nicht durch die Einsetzung des Generalsekretärs eine Er¬
gänzung dieser unbedingt erforderlich wäre. Denn auch für Ver¬
eine mit staatlich verliehener Rechtsfähigkeit muss, falls neben
dem Vorstand für gewisse Geschäfte besondere Vertreter bestimmt
sind, dieses in den Satzungen selbst vorgesehen sein. Deshalb
müsste den alten Satzungen etwa folgender Paragraph angefugt
werden: „Zur Führung der Geschäfte wird ein Arzt als General¬
sekretär angestellt; er führt dieselben im Hauptamt, bekommt Ge¬
halt und hat Anspruch auf Ruhegehalt“.
Dass der Generalsekretär ein Arzt sein und auf Praxis ver¬
zichten muss und dass er Gehalt bekommt, ist eine grundlegende
Bestimmung und gehört in die Satzungen, nicht in die Ausführungs¬
bestimmungen. Einige Bemerkungen mögen hier anbei gestattet
sein. Ich habe mich sehr gewundert, dass — im Zeitalter des
deutschen Sprachreinigungsvereins — der frühere gut deutsche
Geschäftsführer durch den gräulich fremdwörtlichen General¬
sekretär ersetzt worden ist. Noch mehr aber war ich verblüfft,
als ich im Königsberger Kassenbericht las, wie hoch oder viel¬
mehr wie nieder das Gehalt desselben bemessen ist. Der Mann,
„auf dessen Tätigkeit die Augen sämtlicher dem Bunde ungehöriger
Aerzte gerichtet sind und von dem erwartet wird, dass durch seine
Arbeit unsere Wünsche und Hoffnungen in kräftigster Weise ver¬
treten und in wesentlich schnellerem Tempo, als bisher, gefördert
werden“, der Mann, welcher in erster Linie berufen ist, das
Schicksal unseres Standes zu leiten und welchem die schwere
Pflicht auferlegt ist, fortwährend auf der Wacht zu stehen, er „hat
nicht allein Anspruch auf volles Vertrauen aus unserer Mitte“,
er muss auch losgelöst sein von den kleinlichen Sorgen und Mühen
der Alltäglichkeit. Wenn aber unser Generalsekretär seinen Wohn¬
sitz in Berlin haben muss, wo die Preise für die Wohnung und alle
Lebensbedürfnisse sehr teuer sind, so kann ich das jetzige Gehalt mit
nicliten als entsprechend betrachten. Es wäre aber auch auf alle
Fälle ein Fehler, das Gehalt nach den Privatverhältnissen des
jeweiligen Stelleninhabers zu bemessen. Und traurig, übeiaus
traurig müsste es wahrlich um uns und um unseren Stand be¬
stellt sein, wenn wir die Tätigkeit unseres einzigen Sachwalters
nicht besser entlohnen könnten oder wollten! Die Direktoren
des Bundes der Landwirte und der Generalsekretär der national-
liberalen Partei beziehen im Vergleich zu unserem fürstliche Ge¬
hälter; ich bezweifle sehr, dass der eben neuangestellte Sekretär
der Konservativen die Geschäfte der Partei um einen so gering
bemessenen Lohn besorgt, selbst der Redakteur einer nur einigei-
massen grossen sozialdemokratischen Zeitung bekommt ein gleiches
oder höheres Gehalt.
Auf Grund aller dieser Erwägungen komme ich zu dem
Schluss, dass eine Neuberatung der Satzungen durch den nächsten
Aerztetag nicht allein wegen der für die Erlangung der Rechts¬
fähigkeit zu machenden Ergänzung, sondern auch noch wegen
mancher zu erhoffenden Verbesserung notwendig werden wird.
Für sehr verbesserungsbedürftig und auch der Verbesserung fähig
halte ich, um noch einen Punkt herauszugreifen, die Bestimmung,
dass zwei und mehrere Vereine ihr Mandat auf einen um c
selben Abgeordneten übertragen können. Die Fassung des neuen
Entwurfs trägt noch ein viel längeres Gesi eilt, denn da finde .
die Uebertragung sogar nur durch die Mitgheder, d. h. die A
geordneten selbst, statt; die Abgeordneten konnten dann .die Sache
hübsch unter sich abmachen. Diese Einrichtung hat ja bekannt¬
lich recht sonderbare Blüten getrieben. Es ist ein offenes Ge¬
heimnis, lass schon mehrere Monate vor dem Aerztetage ein
Liebeswerben beginnt um die Vertretung derjenigen V eu u‘ ’
welche für gewöhnlich einen Abgeordneten nicht schicken. . o
vertraten z. B. in Königsberg drei Abgeordnete je 5 einer 6, zwei
io 10 und einer sogar 13 Vereine, und darunter sind Abgeordnete,
welche nicht einmal einem der von ihnen vertretenen Veieine
selbst als Mitglied zugehören, also im besten Falle nur eine sein
lose Fühlung mit diesen zu halten vermögen. Dass so viele Ver¬
eine sich fernhalten, ist sicherlich im Interesse unserer Sache
selbst sehr zu bedauern, denn nicht allem die Teilnahme an den
Verhandlungen, sondern auch die durch den Aerztetag verm tt
persönliche Bekanntschaft und die durch diesen gebotene Gelegen¬
heit zur gegenseitigen Aussprache wirkt m hohem Masse auf
klärend, belehrend, anregend und die gemeinsamen Interessen for-
dernd Aber unentschuldbar ist es, wegzubleiben und die Stimmen
anderen zu übertragen, denn dadurch erhalten einige wenige Ab¬
geordnete ein Uebergewicht, welches diese hauptsächlich, odei
Stiger gesagt ausschliesslich, bei den Wahlen in die Wagschale
werfen. Denn für gewöhnlich werden die Abstimmungen nach der
Mehrzahl der anwesenden Abgeordneten und nur m sehr
einzelten Ausnahmefällen — in Königsberg gar nicht, m Hildes¬
heim 1 mal — durch Stimmzettel, d. h. nach der Kopfzahl dei
vertretenen Vereinsmitglieder, vorgenommen. Die Wahlen werden
aber stets nach der letzteren Weise vollzogen Es will mir ferne!
auch richtiger erscheinen, wenn der Generalsekretär nicht nur.
wie schon in den Bestimmungen vorgesehen, von dei \\ ahlbarkeir,
sondern auch von der Wahlfähigkeit zum Ausschuss ausgeschlossen
wird unbeschadet seines selbstverständlichen Rechtes, einer >
ein zu verfreten. Der Geschäftsausschuss ist. gewissennassen
seine Vorgesetzte Behörde, er hat dessen Beschlüsse auszufuhren
und die Anordnungen des Vorsitzenden zu befolgen Niemand aber
in der Welt kann sich seine Vorgesetzten und seine Aufsiclits
behörde selbst wählen.
Bei der Prüfung der bis zum 1. November eingegangenen
Wünsche der Vereine wird der Geschäftsausschuss sehen, dass es
sich um mehr als eine bloss redaktionelle Aenderung des neuen
Entwurfs handelt. Die ausserordentliche Wichtigkeit der ganzen
Angelegenheit sollte ihn doch veranlassen, den ganzen Entwurf
nochmals dem Aerztetage vorzulegen, gleichviel ob am 1.
kommenden Jahres wichtige Verträge abzusch^en sind oder
nicht Ist es bisher gegangen, wird es auch eine kleine Spanne
Zeit noch weiter gehen - und ich glaube nicht, dass auf der Welt
noch ein zweiter Verein besteht, der sich seine Satzungen nicht
selbst gibt, sondern das einem Beauftragten uberlasst.
Leipzig-Connewitz, 23. Juli 1902. Hartmann.
Referate und Bücheranzeigen.
Franz Mracek- Wien : Atlas der Hautkrankheiten, mit
einem Grundriss der Pathologie und Therapie derselben. Miin
eher ,* Verlag von J. F. Lehmann.
Die Dermatologie verdankt Mrafek eine Reihe verdienst¬
licher Arbeiten, aus denen sich seine beiden Atlanten über Syphi¬
lis und venerische Krankheiten sowie über Hautkrankheiten un
sein neues umfassendes Handbuch der Hautkrankheiten hervor¬
heben. Vor uns liegt der Atlas der Hautkrankheiten des ausge¬
zeichneten Wiener Eachk oll egen, und die Aufnahme, welche
dieser Atlas in dermatologischen Kreisen wie unter den prak¬
tischen Aerzten gefunden hat, ist die beste Kritik und Em¬
pfehlung zugleich. Trotzdem muss man sagen, dass das Buch
gerade unter den allgemeinen Praktikern des ärztlichen Berufes
noch mehr Verbreitung gewinnen sollte, als es bislang der Fall
war. Findet man doch in dem Werke, das die rührige Verlags¬
firma in hervorragender Weise ausgestattet hat und für einen
billigen Preis verkauft, alles das zusammengefasst und im Bilde
dargestellt, was der Kollege, welcher sich nicht ausschliesslich mit
Dermatologie befasst, unbedingt von diesem Zweige der Heil¬
kunde wissen muss. Abgesehen von 63 farbigen Tafeln und
39 schwarzen Abbildungen, welche die wichtigsten Affektionen der
Haut wiedergeben, findet man im ersten Teil das Buches eine
Pathologie und Therapie der Dermatosen, welche sich durch Klar -
heit und Präzision auszeichnen. Man darf wohl sagen, . dass dieser
Teil geradezu ideal für den Kollegen von der allgemeinen Praxis
ist. Dass die Infektionskrankheiten, ausser Varicellen und Mor-
billen, nicht mit einbegriffen sind, thut dem Werke keinen Ab¬
bruch. Es liegt dies daran, dass dieselben auf Mraceks Ab¬
teilung keine Aufnahme finden dürfen, Doch sind deren Er-
26. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1429
scheinungen dem praktischen Arzte ja geläufig genug. Auch der
Spezialist wird sowohl den Text als die Abbildungen gelegentlich
mit Vorteil einsehen. Letztere bewegen sich im allgemeinen auf
einer vortrefflichen Höhe der Ausführung, und einzelne Tafeln
smd von wundervoller Naturtreue. Es seien nur genannt die
Reproduktionen des Milium (2), Erythema multiforme (6), der
Psoriasis serpiginosa (20), des Lichen ruber planus (22), Eczema
lnaigiiiatum (26), der Prurigo (29), der Naevi verrucosus und pig¬
mentosus unilateralis (35, 36), sowie des Lichen pilaris (38). Auch
die Vitiligo (41), der Lupus erythematosus naris (42), das Carci¬
noma penis (54, 55), sowie Favus (56), Herpes tonsurans macu-
losus (57) und orbicularis (58) sind ausgezeichnet reproduziert.
Em Voizug des Buches, welcher besonders vermerkt zu werden
verdient, sind die jedes Blatt der Abbildungen begleitenden kur¬
zen Notizen aus der Anamnese und den Befunden der Kranken¬
geschichte. Durch die Wiedergabe des Textes neben dem Bilde
der betreffenden Hautkrankheit wird das Verständnis der Tafeln
in dei geschicktesten Weise gefördert ; besonders übersichtlich
wird das Studium des Textes durch den gesperrten Druck jener
Sätze, welche die für die Erkennung des Falles wichtigsten
Punkte enthalten. Alles in allem darf Mraöeks Atlas der
Hautkrankheiten rückhaltlos und warm empfohlen werden.
II o p f - Dresden.
Gustav V o g e 1 - Würzburg: Leitfaden der Geburtshilfe.
Für praktische Aerzte und Studierende. Mit 216 Abbildungen.
Stuttgart, E n k e. 402 S.
Der Verfasser hat sich zur Aufgabe gemacht, einen Leit¬
faden der Geburtshilfe zu bearbeiten, welcher sich vor allein
den Verhältnissen des praktischen. Arztes an¬
passt. W enn 1 o g e 1, von diesem Gesichtspunkte ausgehend,
den Bedürfnissen des praktischen Arztes nach der Seite der
Therapie hin in allererster Linie gerecht zu werden wünscht,
wenn er namentlich hervorhebt, dass ihm nicht nur die opera¬
tive Therapie vor Augen schwebt, sondern dass auch der medi¬
kamentösen Behandlung die ihr gebührende Stellung ein¬
geräumt werden soll, so wird er sich mit diesem Gedanken die Zu¬
stimmung aller Praktiker gesichert haben. Freilich ist dadurch
— wie der A erfasser selbst betont — die pathologische Anatomie
in einen engen Rahmen gedrängt worden, immerhin erfährt sie
in einzelnen Kapiteln, z. B. bei den Anomalien der Eihäute und
dei Plazenta, bei den Missbildungen, den Beckenanomalien, eine
ür einen Leitfaden durchaus genügende Berücksichtigung.
Es ist dem Verfasser gelungen, das zu schaffen, was er im
Vorwort als sein Ziel hinstellt. Die grosse Anzahl der meist vor¬
trefflichen Abbildungen geben dem Inhalt eine Klarheit, die
namentlich dem Studierenden zu gute kommen wird. Manche
der Abbildungen sind durchaus originell, wie z. B. die Lage des
Metreurynters in der Zervix und im Uterus.
Die Besprechung der infektiösen Erkrankungen im Wochen¬
bett ist durch zahlreiche Fieber- und Pulskurven erläutert. Doch
würde sich ein noch ausführlicheres Eingehen auf das Verhalten
des Pulses bei den verschiedenen Arten der puerperalen Wund¬
infektion sehr empfehlen.
_ Bei der Eklampsie tut Verfasser sehr wohl, vor den
. 'l 1 r ss en sehen Inzisionen in der Privatpraxis zu warnen,
wu er auch die Symphyseotomie als einen für diese Verhältnisse
nicht m Betracht kommenden Eingriff mit vollem Recht ver¬
nachlässigt.
Wir wünschen dem handlichen, kleinen Lehrbuch eine
reundliche Aufnahme. G. Frickhinger - München.
G. W. Jakoby: Elektrotherapie. Aus dem Sammelwerk :
A System of Physiologie Tlierapeutics. Philadelphia. P. Bla-
kistons Son and Co. 1901.
Von den zwei dicken Bänden, die hier vorliegen, behandelt
er erste die Theorien über die Elektrizität, die verschiedenen
Arten der Anwendung derselben und die physikalischen Gesetze,
we c o licr in Betracht kommen \ ferner finden wir in ihm eine
genaue Schilderung der Apparate, die zur Erzeugung der ver¬
schiedenen Stromarten verwendet werden, unter Berücksichtigung
der neuen Errungenschaften in der Elektrizitätslehre und der
e vtioteehnik. Von den zahlreichen Abbildungen entstammen
viele deutschen Werken und den Katalogen von deutschen Firmen
\ nschmann, Reiniger u. a.), es lässt sich aber doch
andererseits aus diesem Buche ersehen, wie erfolg'reich die
amerikanische Technik in neuerer Zeit im Bau von elektrothera-
peutischen Apparaten mit der deutschen Industrie in Wettstreit
Witt. Die Darstellung der Lehre von der Elektrizität ist unter
Vermeidung langer theoretischer Erörterungen immer klar und
wohl auch für Studenten leicht verständlich.
Im zweiten -Band (323 Seiten) bringt Jakoby, der als
Neurologe am deutschen Hospital in New-York tätig ist, zuerst
eine Zusammenfassung über das, was uns die „Elektrophysiologie
und die Elektropathologie“ lehrt, d. h. er schildert die Folge¬
erscheinungen, welche die Anwendung der verschiedenen Arten
des elektrischen Stromes auf das gesunde und das kranke Nerven¬
system bedingt. Wir finden da Altbekanntes, wie die Lehre vom
Elektrotonus, von der Entartungsreaktion u. s. w. in guter Form
wiedergegeben, aber auch seltenere Erscheinungen, wie die myo-
klonische und die myasthenische Reaktion sind hier erschöpfend
erörtert. Ein besonderes Kapitel behandelt die Ursachen des
Todes durch Elektrizität.
Besonders ausführlich ist die Heilwirkung der Elektrizität,
die Elektrotherapie behandelt. Die Art der Anwendung des
elektrischen Stromes bei den verschiedenen Nervenkrankheiten
und bei inneren Leiden wird genau erörtert. Die Abschnitte über
die Elektrizität bei chirurgischen Eingriffen (Galvanokaustik
u. s. w.), in der Augenheilkunde (Elektromagnet), in der Gynäko¬
logie und bei der Behandlung von Hautkrankheiten sind von
Spezialärzten in den betreffenden Disziplinen abgefasst. Durch¬
wegs wird die Heilkraft der Elektrizität stark überschätzt. Die
neueste Behandlungsmethode ist durchaus nicht immer die beste!
Der A orzug des Werkes liegt in den theoretischem. Er¬
örterungen und in der Zusammenfassung unseres AVissens über
die Einwirkung des elektrischen Stromes auf den menschlichen
Körper. Dass die Bücher, deren Ausstattung eine vorzügliche
ist, eine grosse Verbreitung in deutschen Aerztekreisen oder gar
eine Uebersetzung ins Deutsche erfahren werden, glaubt Referent
nicht. Immerhin ist die vorliegende Darstellung der Elektrizität
in der Medizin zur Zeit die modernste und die alte AVelt muss,
wenn sie sich nicht wie in der Technik, so auch in der AVissen-
schaft von Amerika überflügeln lassen will, einen heissen Kampf
aufnehmen. L. R. M ü 1 1 e r - Erlangen.
Augenärztliche TJnterrichtstafeln für den akademischen
und Selbstunterricht. Herausgegeben von Professor Magnus.
Breslau 1902. J. M. Ker n.
Im Heft XX III wird von Prof. G r e e f f auf einer grossen
chromo-lithographierten Tafel von 1,23 m Länge und 0,70 m
Breite der grob anatomische und mikroskopische Bau der Augen¬
lider sehr instruktiv dargestellt. AVie alle Magn'us sehen
Tafeln erfüllt besonders diese den Zweck, im Ilörsaal oder Stu¬
dierzimmer aufgehängt,- als bequemes Hilfsmittel für stete
Wiederauffrischung des Gedächtnisses zu dienen und auch die
Zeichnung an die Tafel zu ersetzen. S e g g e 1.
Neueste Journalliteratur.
Archiv für klinische Chirurgie. Bd., 68. 1. Heft, Berlin,
Hirschwald, 1902.
1) Goldner: 800 Radikaloperationen nach Bassini und
deren Dauerresultate. (I. Chirurg. Universitätsklinik weiland Ilof-
rat Albert in Wien.)
Ausführlicher statistischer Bericht mit kurzer Wiedergabe der
Krankengeschichten über 800 im Zeitraum von 5 Jahren operierte
Leistenhernien, darunter 70 bei Frauen. 4GG Fälle wurden nach
über 2 Jahren nachuntersucht und ergaben 35 = 7.5 Proz. Rezidive.
Als Rezidiv wurde bei dieser Berechnung angesehen: 1. wenn
neuerlich durch den äusseren Leistenring ein Bruch vortritt;
2. wenn eine deutliche Lücke in der Muskelnaroe vorhanden ist,
durch die sich ein kleiner Bruchsack beim Husten vorwölbt und 3.,
wenn eine Kruralhernie sich auf der operierten Seite entwickelt
bat. Im letzteren Falle ist anzunehmen, dass durch die Muskelnaht
das Lig. Foup. vom horizontalen Schambeinast abgezogen wird
und so durch den Verschluss der einen Bruchpforte eine Erweite-
rung der anderen hervorgerufen wird. Störungen im Wundverlauf
wurden in 12,5 Proz. der Fälle beobachtet, tiefe Suppuration in
2,2 Proz. Bei den 35 rezidivierten Fällen war 10 mal Eiterung ein¬
getreten, 25 Fälle waren per primam geheilt. Die reaktionslose
Heilung ist demnach nicht das einzig entscheidende für .den guten
Dauererfolg. Die Entlassung der Kranken erfolgte in der Regel
schon am 14. Tag; schwere Arbeit soll aber erst nach 3 Monaten
wieder aufgenommen werden. Bezüglich weiterer Einzelheiten
muss auf das Original verwiesen werden.
1430
MUENCHENEK MEDICINISCHE W 0 CHEN S CHKIE T .
No. 34.
4) Karew ski -Berlin: Ueber diffuse adhäsive Peritonitis
infolge von Appendizitis.
Die chronische adhäsive Peritonitis nach Appendizitis tritt
in 2 Formen auf: entweder beschränkt sie sich aut die rechte
Bauchseite und führt durch Bildung von schwartigen 'Verwach¬
sungen zur Entstehung grosser Pseudotumoren, deren richtige Be¬
urteilung vor der Operation oft unmöglich ist. oder sie verbreitet
sich über den ganzen Bauchraum und führt ohne Ausscheidung
von grösseren fibrinösen Massen zur "Verwachsung säintlicliei
Baucheingeweide und schliesslich zur totalen Obliteration dei
Peritonealhöhle. Die letztere Form, die diffuse adhäsive 1 eri-
tonitis. ist durchaus nicht immer die Folge einer akuten allge¬
meinen Peritonitis, sie kann sich ebensowohl an eine schleichende
Appendizitis, die niemals zu einem ausgesprochenen Anfall ge¬
führt hat. wie an eine perforative Erkrankung anscliliessen, sie
kann nach scheinbarer Heilung infolge spontanen Durchbruches
oder nach einer Abszesseröffnung mit dem Messer ohne Resektion
des Wurmfortsatzes, ja sogar trotz radikaler Operation zur Ent¬
wicklung kommen. In den meisten Fällen handelt es sich um ver¬
schleppte perforative Appendizitis, welche zunächst nur zirkum¬
skripte Eiterung hervorgerufen hat; von dem ursprünglichen Herd
aus erfolgt eine kontinuierliche, schleichende Fortentwicklung
entzündlicher Vorgänge an der Serosa, die keine Ausscheidung
flüssiger Substanzen, sondern solche fibroplastisclier Natur nach
sich ziehen. Die Erkrankung, die K. an der Hand von 11 Kranken¬
geschichten schildert, führt zur Aufhebung der Peristaltik und da¬
mit zum Ileus. Die Prognose ist schlecht: von K.s Kranken konn-
ton nur 4 gerettet werden. Für die Therapie ist daraus zu folgern,
dass nach allen schweren Anfällen von Appendizitis die Resektion
des Frozessus indiziert ist; K. will sie schon 2—3 Wochen nach dem
Anfall vornehmen. , , .
(1) M e r m ingas: Beitrag zur Kenntnis der Blutergelenke.
(Chirurg. Universitätsklinik König in Berlin.)
M. hat 3 Fälle von Blutergelenken zu beobachten Gelegenheit
gehabt; er nennt als charakteristische Merkmale der Erkrankung:
sie kommt zu Stande ohne oder nach leichtem Trauma: sie be¬
fällt meist das Kniegelenk; sie stört anfangs den Patienten gar
nicht oder nur vorübergehend im Gehen; sie zeigt grosse Neigung
zu Rezidiven im gleichen oder in anderen Gelenken; sie hat als
konstanten Effekt eine Verdickung des Gelenkes mit oder ohne
Schmerzen, mit mehr oder weniger starker Bewegungsbeschrän¬
kung; sie führt zur Stellungsanomalie im Sinne der Subluxation
und der Valgus- resp. Varusstellung. Die Therapie besteht in Im¬
mobilisation des Gelenkes in der günstigsten Stellung.
8) Lessing: Ueber frühzeitige operative Behandlung un¬
komplizierter intra- und paraartikulärer Frakturen. (Städtisches
Krankenhaus Altona.)
Während L. bei unkomplizierten Diaphysenfrakturen nur in
den seltensten Fällen die Indikation zum operativen Eingreifen
für gegeben hält, empfiehlt er die Operation auf Grund einer Reihe
von anderweitig publizierten (R e li n, Kocher und Helfe-
r i c li) und selbst beobachteten Fällen für solche Frakturen det
Epiphysen und der benachbarten Diaphysenteile, die grosse Nei¬
gung zur Dislokation zeigen und durch die gewöhnlichen Verband¬
methoden nicht in korrigierter Stellung zu erhalten sind. Sind
diese Bedingungen gegeben, so soll der Entschluss zur Operation
möglichst bald gefasst werden, um stärkere Muskelatrophie und
narbige Schrumpfung der Weichteile zu vermeiden.
Die L. sehen Beobachtungen beziehen sich zunächst auf
3 Frakturen des Collum eliirurgicum humeri, bei denen nach der
Nahtvereinigung der Fragmente vollkommene Heilung mit tadel¬
loser Funktion erfolgte. Bei 2 weiteren Fällen von mit Luxation
des Kopfes komplizierten Splitterfrakturen am oberen Humerus¬
ende wurden durch Herausnahme des Kopfes gute Resultate er¬
zielt. Endlich führte die Operation bei einem Bruche des Cond,
ext. humeri zu vorzüglicher Heilung mit tadelloser Funktion des
Armes. Bei der Fraetura supracondylica und der Fraktur des
Cond. int. humeri glaubt L. die Operation meist entbehren zu
können.
10) Muscatello - Catania: Ueber einen nicht gewöhn¬
lichen Fall von Kephalokele und über die postoperative Hydro-
kephalie.
M. entfernte bei einem 14 Tage alten, atrophischen, hereditär-
luetischen Kinde eine Encephaloeystomeningoeele occipitalis. die
fast 1% mal so gross war, wie der Kopf des Kindes. Es erfolgte
zunächst Heilung, doch ging das Kind 5% Monate nach der Opera¬
tion an Ilydrokephalus zu Grunde. Die mikroskopische Unter¬
suchung des abgetragenen Sackes zeigte folgende bemerkenswerte
Verhältnisse: 1. Die Flüssigkeit im Hirn- und Meniugealsack ent¬
hielt grosse Mengen von Leukocyten; 2. die Gewebsmasclien der
weichen Hirnhäute und die Nefvensubstanz "waren von Rundzellen
infiltriert und serös durchtränkt; 3. auf der I’ia und Arachnoidea
fanden sich Fibrinablagerungen: 4. die Endothelzellen der Arach¬
noidea waren aufgequollen und zeigten Neigung zur Ablösung; es
bestand demnach eine einfache exsudative Entzündung der
weichen Hirnhäute. M. sieht in dieser serösen Leptomeningitis die
Ursache des nach der Operation auftretenden Ilydrokephalus; die
Meningitis ist wahrscheinlich auf die kongenitale Syphilis zurück¬
zuführen. .
H) Mus ca teil o- Catania: Ueber die Diagnose der Spina
bifida und über die postoperative Hydrokephalie.
M. beschreibt G Fälle von Spina bifida und gibt im Anschluss
einige Bemerkungen über die Diagnose und Nomenklatur ihrer
einzelnen Formen. Ein Fall von reiner Meningocele spinalis wurde
mit Erfolg operiert. Ein zweiter operierter Fall betraf eine ober¬
flächlich ulzerierte Myelocystomeningocele thoracica, bei deion
Trägerin schon zur Zeit der Operation leichter Ilydrokephalus
nachzuweisen war; der Ilydrokephalus zeigte nach der im übrigen
erfolgreichen Operation langsame Zunahme.
Was die Entstehung der Hydrokephalie bei Spina bifida und
Keplialocele anbetrifft, so haben M. die eigenen Fälle und das
Studium der Literatur gelehrt, dass sie, wenn sie eine primäre ist,
auf Ursachen beruht, die im intrauterinen Leben gewirkt haben,
besonders auf Lues (s. die obige Arbeit M.s); tritt sie dagegen
erst im extrauterinen Leben oder nach einer Operation auf, so ist
sie in den meisten Fällen auf eine angeborene (Myelomeningocele)
oder erworbene (Meningocele, Myelocystocele) Ivontinuitats-
trennung in der Hautbekleidung des Tumors zuruckzufuhren.
Diese ist gefolgt von pyogener Infektion, die entweder zu akuter
Meningitis oder zu einer langsam fortschreitenden, chronischen
Form von Meningitis serosa diffusa führt, welche die Ursache der
Hydrokephalie ist. Ans diesem Grunde sind die unmittelbaren und
Endresultate der Operationen von Spinae bifidae ulceratae m der
grossen Mehrzahl der Fälle ungünstige, welches auch die ana¬
tomische Form der Spina bifida sein mag.
12) Kleinere Mitteilungen: , .. , o
Bä lir -Hannover: Der Oberschenkelknochen als statisches
Holländer-Berlin: Zur Methode der Rhinoplastik.
2) T h i e m - Cottbus: Ueber die erfolgreiche operative Ent¬
fernung einer im linken Hinterhauptslappen entstandenen Hohl¬
geschwulst. , . , , _ _
3) F r a n k e - Braunschweig: Ueber die Blutcysten am
Schädel (Hämatokele, Sinus pericranii) und ihre Behandlung.
5) Hochenegg- Wien: Resultate bei operativer Behand¬
lung karzinomatöser Dickdarmgeschwülste. .
7) A li s c li ü t z: Ueber den Verlauf des Ileus bei Darm-
karzinom und den lokalen Meteorismus des Coekum bei tief¬
sitzendem Dickdarmverschluss. (Chirurgische Klinik Breslau.)
9) Lex er: Myome des Mastdarms. (Chirurg. Universitäts¬
klinik von B e r g m a n n - Berlin.)
Iv \ Ull !► V l All ‘1 ^ ^ _
Yort r ä g e a n f de m 31. Chirurgenkongres s.
Re¬
ferate s. No. 15—17 d. Wochenschr.
Heineke- Leipzig.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 64. Bd., 1.— 3. Heft.
Juni 1902. Leipz:g, Vogel. .
1) Perez: Die Influenza in chirurgischer Beziehung.
(Chirurgisches Institut Rom.) .
Bezüglich der psychischen und nervösen Storungen im Ver¬
laufe der Influenza glaubt Verfasser, dass dieselben von der Ein¬
wirkung der Stoffwechselprodukte des Influenzabazillus abh.iiR.1»
sind Auf experimentellem Wege konnte Verfasser Herde im Ge¬
hirn erzeugen, die mikroskopisch und kulturell Influenzabazillen
erkennen bessern Ferner hat er sorgfältig Gehirnschnitte aoh mit
Influenzabazillen geimpften Tieren untersucht und dieselben nach
den Methoden von*N i * * rund G o 1 g i behandelt. Es ergaben « »ch
charakteristische Veränderungen der Zellen, die mit Wahrschein
lichkeit als Ursache der klinischen Störungen angesprochen wei-
üdi ^vü. dpn Hirnhäuten konnte P. experimentell Verände¬
rungen erzeugen, die den beim Menschen beobachteten entsprechen.
An den peripheren Nerven Hessen sich mit aller Sicherheit Neuri¬
tiden vermittels der Influenzabazillen hervorrufen, die Bazillen
konnten regelmässig in den entzündeten Nerven nachgewiesen
werden. Am Auge Hessen sich an sämtlichen Teilen Entzundunger
vermittels des Pfeifferschen Bazillus erzeugen.
2) Bucker: Ueber Ileus, bedingt durch seltenere Formen
von Volvulus. (Garnisonslazarett Brandenburg a. H.)
1. Fall. Volvulus des Jejunums, Coekums und aufsteigenden
Kolons. Tod nach 12 Stunden.
2 Fall Volvulus einer Ileumschlinge durch ein Mesentenai-
loch hindurch. Bauchschnitt. Aufdrehung Heilung.
3) D i e t z e r: Ein Fall von Sclienkelhalsfraktur mit vei
längerung des Beines. (Kölner Bürgerspital.) .
Die Verlängerung betrug 2 cm und war dadurch bedingt, dass
sich der sehr steil gestellte Schenkelhals in die obere Partie des
Trochanter major eingekeilt hatte: Schenkelhals und Femurschaft
bildeten fast eine gerade Linie. . , _ .
4) .Ten ekel: Beitrag zur Kenntnis der Knochensaikome
des Oberschenkels. (Chirurg. Klinik Göttingen.) ,
35 Fälle. 21 wurden amputiert, bei 10 exartikuliert. _ mal
wurde eine Probeinzision gemacht, 1 mal wurde die Exkochleation.
1 mal die Exstirpation mit Knoelienabmeisselung gemacht. 4 raue
sind dauernd geheilt, seit G% bis 15% Jaliren. Von diesen 4 win¬
den 3 amputiert, ein Patient ist der mit Exkochleation behandel .
Aus der Literatur sind G Dauerheilungen bekannt Von den ins¬
gesamt 10 Dauerlieiliingen sind 0 durch die Amputation, - dm< i
die Exartikulation. 2 durch das Evidement erzielt. Bei den Sar¬
komen im unteren Femurdrittel genügt die Amputation. Gegen¬
über dem Vorschläge der Resektion — Mikulicz, Wiesinger
_ vorhält sich Verfasser ziemlich skeptisch. .
5) v a n d r B r i e 1 e: Ein Fall von isolierter Durchschnei-
dung des Nervus sympathicus bei Stichverletzung. (Kranken
anstatt Sudenburg-Magdeburg.)
Stichwunde zwischen vorderem Rande des Steinokl ul
mastoideus und dem vorderen Ohrrande: Verengerung der nP1) e’
geringe Ptosis, Exophthalmus auf der verletzten Seite. Kenn.
Veränderung der Bulbusspanniuig, keine Sekretionsauomalien, keine
26. August 1902.
MltE K C HE NEU MEDICIKISCHE WOCHENSCHRIFT.
1431
Veränderung von Puls und Atmung, keine vasomotorischen Stö¬
rungen. '
^ a l d v o g e 1: Ueber Nierenverletzungen. (Chirurg
Klinik der Charite Berlin.) v
23 Fälle. Die Nieren Verletzungen kommen grösstenteils da-
duicli zn Stande, dass die Niere entweder direkt, z. B. vom Rade
zerquetscht wird, oder dass die Niere hei nachgebender Muskula-
tm die ganze Druckwirkung, wie beim Sturz auslialten muss
Gestorben sind 3 Patienten.
Für die Operation ist ausschlaggebend die Blutung, sowohl
die mit dem I rin zu Tage tretende, wie die perirenale. Die Opera¬
tion wurde in des Verfassers Fällen 4 mal gemacht, 3 mal die
■1™al der König sehe Schnitt. Im allgemeinen
huldigt Iv ö li i g konservativen Orundsiitzeii.
7) Rommel: Spontane Ruptur der Scheide mit kolossalem
Darmvorrall.
Die Verletzung betraf eine 38 jährige Frau und war beim
Heben eines schweren Kessels eingetreten. Das vorgefallene
Dunndarmpacket hatte über Mannskopfgrösse, eine Schlinge war
vom Mesenterium abgerissen. Mühsame, unvollständige Reposi¬
tion der Darme. Exitus. Bei der Sektion fand sich in der Vagina
em Loch von 4 cm Durchmesser.
8) R. Beckmann - Lodz: Ein neuer Dampfsterilisator für
chirurgische und bakteriologische Zwecke.
Die Bescln eibung muss in der Arbeit selbst nachgesehieon
werden.
9) P. Beckmann: Pneumotomie wegen Fremdkörper.
(Krankenanstalt Sudenburg-Magdeburg.)
Ein 11 jähriger Knabe aspirierte währenddes Spielens einen
Grashalm. Bald darnach Stechen in der rechten Brustseite Fieber
Dampfung, Probepunktion ergab Eiter. Nach 3 Wochen Eröff¬
nung des in der Lunge gelegenen Eiterherdes. In demselben fand
sich die Grasähre. Heilung.
•D 1°) Göbell: Ein Beitrag zur sogen. Autoplastik nach der
Kadikaloperation des Carcinoma mammae. (Chirurg. Klinik Kiel.)
Die nach der Radikaloperation des Mammakarzinoms zurück-
bleibenden grossen Defekte können durch Lappen vom Rücken her
oder durch Lappen, welche die gesunde Mamma einscliliessen, ge¬
deckt werden. 2 Krankengeschichten illustrieren die Art des Ver¬
fahrens.
11) A. Neu mann: Ueber subkutane Darmrupturen nach
Bauchkontusionen. (Friedrichshain-Berlin.)
Ein aus einer Höhe von 5 m auf den Bauch gefallener Patient
■winde ö Stunden nach dem Unfall bei schon schweren Allgemein¬
erscheinungen laparotomiert. Darmschlingen stark ftbrinös be¬
schlagen, im Jejunum ein talergrosses Loch. Naht. Heilung.
Im 1 riedriclishain wurden während der letzten 20 Jahre 133 Patien¬
ten mit Bauchkontusionen behandelt. Wenn man die Fälle ein¬
teilt in solche, die durch eine mehr umschriebene Gewalt und
solche, die durch eine mehr breite Gewalt verursacht wurden so
ergeben sich für die erste Gruppe 08 Fälle mit 17 Darmrupturen
für die^ zweite 58 mit nur 4 Darmrupturen. Unter den letzteren
waren 30 Ueberfahr ungen, und bei diesen war der Magendarmtrak-
tus nur einmal verletzt. Das prägnanteste Symptom der erfolgten
Darm Verletzung ist die tetanische Spannung der Bauchmuskeln.
Doch kann dies Symptom auch vorhanden sein bei fehlender Darm¬
verletzung und umgekehrt. Die vom Verfasser mitgeteilten
-1 Krankengeschichten illustrieren das wechselnde Bild der Bauch¬
kontusion mit Darmverletzung. Von allen 21 Patienten ist mit
Ausnahme des oben erwähnten kein einziger, trotz Operation ge¬
heilt worden.
+.*,A™N,itzSclle: Magenblutung bei Appendizitis. (Paulinen-
stift Wiesbaden.)
... . IJn Verlaufe einer, auf Grund einer Appendizitis entstandenen
tounchen Peritonitis trat eine reichliche Magenblutung ein. Bei
nei Sektion fanden sich an der grossen Kurvatur unzählige tlaclie,
. ecknadelkopl’- bis hirsekorngrosse Gesckwürelien. Mikroskopisch
erwiesen sich dieselben als Substanzverluste an den Driisen-
scmauclien mit Nekrose der angrenzenden Partien. Die Blutun»-
ist erfoigt aus diesen Schleimhautnekrosen, die wohl auf Grund
der Sepsis entstanden waren.
13) Max Cohn: Ein Fall von protrahierter Chloroform¬
wirkung mit tödlichem Ausgange. (Moabit-Berlin.)
, le -1 jährige Patientin wurde wegen doppelseitiger Adnex-
fnm k?“g laparotomiert. Dauer der Operation 1 Stunde, Cliloro-
yn i Ifriln’aU^\17^ g (!!)‘ Nach 2 Ta^eu Ikterus, Albuminurie mit
/ahn eichen Zylindern. Kein Fieber, keine Pulsbeschleunigung.
Exitus am 5. Tage im Koma.
ri Bei d<;r Selition fand sich eine ausgedehnte Epithelnekrose
n-i gewundenen Harnkanäliclien und degenerative Veränderungen
an den Leberzellen.
A ^‘fasser glaubt die Todesursache auf eine protrahierte
- oiolormwirkung beziehen zu müssen. (Die verwendete Dosis
ciuoiotorm ist allerdings ganz ungewöhnlich gross.)
weber: Ueber die operative Behandlung veralteter
EU bogenluxationen. (Hospital Mariae Magdalenae St. Petersburg.)
. .* Grund zweier Fälle — 1 Arthrotomie. 1 Resektion _
und einem sorgfältigen Literaturstudium kommt Verfasser zu dem
i,i<i-o+-SS’ <las? da® Normal verfahren bei den veralteten Ellbogen-
uxationen die Arthrotomie bilden soll. Dabei sind alle Knociien-
nngmente mul Osteophyten zu entfernen, am besten bewährt sich
koehersche Schnitt, in schweren Fällen darf die äussere
(les Trizeps über seinem Ansatz am Olekranon durcli-
bcnnitten werden. Nur wo die Arthrotomie nicht zum Ziele führt.
ist die Resektion indiziert, als primäre Operation auch dann wo
eine grossere Fraktur und Dislokation des Condylus internus ’ vor-
Hegt Im kindlichen Alter ist die Resektion kontraindiziert.
n~ V i e 1 o’ 'D!e Tuberkulose der Schambeinsymphyse.
(Krankenhaus Sudenburg-Magdeburg.) J F y
2 Fälle. In der Literatur finden sich G Fälle.
IG) Schräder: Zur Kenntnis pulsierender Plexus-
gesch wulste m der Fossa supraclavicularis. (F r iedric h sehe
Privatklinik Leipzig.)
Es handelte sich um ein cystiseli erweichtes Fibrosarkom des
i lexus, das seinen Ausgang von einer der Nervenscheiden sre-
nonmiQu hatte. Die durch dasselbe bedingten und lange vor dem
Sichtbarwerden des Tumors eingetretenen Schmerzen betrafen be¬
sonders den N. radialis. Der Tumor zeigte deutliche Pulsation
und machte so die Differentialdiagnose zwischen Aneurysma und
1 lexustumor sehr schwierig.
Der Tumor konnte mit Erhaltung der grossen Nervenstämme
ausgeschält werden. Glatte Heilung.
17) Kappeier - Konstanz : Meine Erfahrungen über
Magenresektion wegen Karzinom.
, ,rMit den schon früher mitgeteilten 13 Fällen verfügt K über
o0 Magenresektionen. Sein Verfahren ist im allgemeinen das nach
B 1 1 1 r o t h-kydigier, nur die Anlegung der Naht geschieht in
einer besonderen, eine Nahtlücke an der Vereinigungsstelle sicher
vermeidenden Weise.
Operativen Erfolg hatte K. in 22 Fällen, d. h. 22 Kranke
überlebten die Operation um 3 Wochen. 8 Kranke starben im An¬
schluss an die Operation: 1 an Magendilatation und Erschöpfung
1 an Gangrau des Kolon, 1 an Peritonitis infolge technischen
Fehlers 1 an Peritonitis ohne Nahtlücke, 2 an Erschöpfung, 2 an
Lungenkomplikationen. Von den mit Erfolg Operierten starben
io an Rezidiv in den ersten 4 Jahren, im Durchschnitt nach 1 Jahr
und 0(4 Monaten, ton den nicht Rezidi vierten starben 2 in der
4. \\ oche nach der Operation an Lungengangrän, 1 nach 4 Mona-
U'ii an Lungentuberkulose, 1 an Herzschlag (nach 10 Monaten),
1 an Aszites und Erschöpfung, 1 an Gangrän des rechten Beines,
1 an einer Frühgeburt, alle im 1. Jahre. Eine 37jälirige Patientin
Start) nach _o Monaten an Rektumkarzinom, eine nach 4 Jahren
und i Monaten an Meningitis. 3 Kranke leben und sind gesund
und zwar einer 2 Jahre und 3 Monate, und 2 mal 7 Monate nach der
Operation.
18) Ritter: Eine leicht verstellbare Gewichtsstütze für
?,en.„V ° ,kmann sehen Streckverband. (Chirurgische Klinik
G rei f s w a Id.)
?„)er abgebildete Apparat ist zu beziehen von Karbow-
Greifswald.
/ril.19) Bau.m: Ein grosser tuberkulöser Mesenterialtumor.
(Chirurg. Klinik Greifswald.)
Grosses tuberkulöses Lymphom im Mesenterium und all¬
gemeine miliare tuberkulöse Peritonitis bei einem 24 jährigen
Mann. Exstirpation derselben mitsamt 50 cm Jejunum. Hei¬
lung. Im resezierten Darm fand sich ein das Lumen bereits ver¬
engernder tuberkulöser Tumor. Krecke.
Centralblatt für Chirurgie. 1902. No. 32.
G. Perthes: Ueber Fremdkörperpunktion.
Veranlasst durch die auch nach genauer Lokalisation des
Fremdkörpers (nach Levy-Dorn etc.) zuweilen beobachteten
Schwierigkeiten der Auffindung besonders kleiner Fremdkörper
empfiehlt P. während der Durchleuchtung eine Nadel auf den
Fremdkörper einzustossen, so dass diese letzteren berührt und in
situ belassen mit Sicherheit bei der Operation auf den Fremd¬
körper führen muss. P. verwendet hiezu an der Spitze lanzen-
tonnig angeschliffene Nadeln, die in einem Nadelhalter mit Holz¬
hacken geführt werden; letztere bleiben auf dem Fluoreszenz-
schirni unsichtbar. Es ist nötig, die Achse der Punktionsnadel
m die Strahlenricktung einzustellen, selbe erscheint dann als
Punkt, diesen bringt man mit den Fremdkörperstellen zur Deckung
und stosst dann die Nadel ein (so tief als man vorher die Lage des
Fremdkörpers durch approximative Tiefenbestimmung geschätzt
hat). Nun lässt man die Nadel los und macht eine drehende Be¬
wegung in it dem Körperteil. Ist die Nadel noch nicht bis auf den
Fremdkörper gedrungen, so ist zwischen dem einen Ende des
Striches (der Nadel) und dem Fremdkörperschatten noch eine
Distanz, deren Grösse erkennen lässt, um wie viel die Nadel noch
tiefer gestossen werden muss. Die gestellte Aufgabe ist erreicht,
v enn der Schatten der Nadel und des Fremdkörpers auch bei ver¬
schiedenen Drehungen des durchleuchteten Körperteils mit¬
einander in Berührung bleiben und so gibt die Nadel dann bei der
sich anschliessenden Operation den Wegweiser zum Fremdkörper
ab. Die Methode hat sich P. in zahlreichen Fällen gut bewährt,
sie ermöglicht, mit kleinen Inzisionen in S c li l e i c h scher
Anästhesie auszukommen und erspart wesentlich Zeit. S e li r.
Archiv für Gynäkologie. 66. Bd. 2. Heft. Berlin 1902.
1) Ludwig Bl um reich: Ueber den Einfluss totaler Urin¬
verhaltung auf den Organismus gravider und nicht gravider
Tiere. (Aus dem tierphysiologischen Laboratorium der k. land¬
wirtschaftlichen Hochschule. Direktor: Prof. Zuntz.)
Ein zweiter Beitrag zur Eklampsiefrage.
Bei 13 schwangeren und 15 nichtschwangeren Kaninchen
wurden beide Nieren entfernt, erstere starben nach durchschnitt¬
lich 05, letztere nach 70 Stunden unter Krämpfen von sehr ein-
1432
MUENCHENER MEIHOIHISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ho. 34.
heitlichem Charakter. Demnach kann die Eklampsie wohl sicher
nicht als eine unverfälschte Urämie aufgefasst werden des
weiteren bildet die Summe der urämischen lieize em Iviamplgitt,
dem gegenüber sich das Gehirn der graviden Tiere nicht anders
verhält als das der nicht graviden.
2) Hermann Mülle r: lieber die Entstehung der Eklampsie,
Die Eklampsie ist eine anatomisch wie klinisch vollkommen
einheitliche Krankheit, welche durchaus das Bild einer Vergiftung
darstellt. Von den drei Kardinalsymptomen: nervöse Erschei¬
nungen Nierenstörung und Fieber, ist das Fieber eine selbständige
Erscheinung, welche die Eklampsie von anderen Konvulsionen
und von anderen Vergiftungen unterscheidet und die Eklampsie
Vergiftung als eine bakterielle charakterisiert. ... . _
M ü 1 1 e r gelangt zu dem Schluss: Die Eklampsie ist nui eine
besondere Form des Resorptionsfiebers, das Gift, welches beide Er¬
scheinungen hervorruft, ist dasselbe, es entsteht dadurch, dass die
im Geschlechtskanal angesammelten Sekrete und abgestorbenen
Gewebsmassen durch Mikroorganismen eine Zersetzung erfahren.
Der Unterschied ist nur graduell, indem das Eklampsiegitt ein
hochwertigeres Gift darstellt, dessen plötzliche Aufnahme m die
Zirkulation die ganz akute, schwere Allgememvergittung bedingt.
Die Therapie hat sich demnach zu richten gegen die Giftb ldu ng
und gegen die Resorption; symptomatisch sollen keine Naikotika
gegeben werden, sondern Hydrotherapie und Analeptika in An¬
wendung kommen.
3) Trespe- Coeslin: Beitrag zur Kraurosis vulvae. (Aus
der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses der Elisa-
betliinerinnen zu Breslau, Prof. Dr. Pfannenstiel.)
Auf Grund histologischer Untersuchung ist Kraurosis vulvae
als eine Erkrankung zu bezeichnen, bei welcher es ohne vorher-
»•e»-angene Geschwürsbildung oder Syphilis auf der Basis chro¬
nischer Entzündung zu degenerativen Veränderungen der ein¬
zelnen Schichten der Epidermis und der oberen Koriumschichten
kommt. Die Aetiologie ist nicht geklärt. T. beobachtete 3 Falle
davon wurden 2 mit Exzision der ganzen Vulva behandelt uhd
dadurch der eine dauernd geheilt. Nichtoperative Therapie bleibt
ohne jeden Einfluss auf den Krankheitsprozess in der Haut.
4) Fritz H i t s c li m a n n und Otto Th. L i n d e n t h a 1: Zur
Frage der Verwertbarkeit der Lungenschwimmprobe bei Keim-
gehalt der Uterushöhle. (Aus der I. Universitäts-Frauenklinik
mul dem pathol.-anat. Institute in Wien.)
In Lungen, welche nicht geatmet haben, kann durch anaerobe
Bazillen (Erreger der Tympania Uteri) Gas gebildet werden, so
dass der positive Ausfall der Lungenschwimmprobe weder bei
frischen, noch bei faulen Früchten die Frage entscheiden kann,
ob das Kind gelebt hat oder nicht, wenn nicht die Wirksamkeit
gasbildender Bakterien auszuschliessen ist. Mitteilung ein¬
schlägiger Beobachtungen.
5) Max Stolz: Zur Kenntnis des primären Tubenkarzinoms.
(Aus der k. k. Universitäts-Frauenklinik in Graz; Vorstand: Prof.
Dr. A. y. Itosthorn.)
Das Karzinom der Tube entsteht entweder aus dem Tuben-
epitliel oder aus Resten des W o 1 f f sehen Ganges, sehr oft ist
das Tubenkarzinom aber sekundär entstanden. Die Opeiation
muss möglichst radikal Vorgehen, daher vom Abdomen aus und
natürlich beide Adnexe entfernen. In dem mitgeteilten I alle
von wahrscheinlich primärem Tubenkarzinom waren die mitent-
f ernten regionären Lymphdriisen schon karzinomatös erkrankt.
Die Patientin befand sich jedoch 4 Monate nach der Operation voll¬
ständig wohl.
0) W. Zangemeiste r: Ueber Albuminurie bei der Ge¬
burt. (Universitäts-Frauenklinik zu Leipzig.)
Sorgfältige Untersuchungen an einer grossen Zahl von
Schwangeren, Kreissenden und Puerperen über Urinmenge und
Urinbestandteile ergaben zahlreiche interessante Beobachtungen,
von welchen nur ein Teil hier angeführt werden kann. Die Urin-
menge steigt während der Schwangerschaft an und fällt während
der Geburt um etwa % des erreichten Wertes. Ca. 40 Proz. aller
Schwangeren zeigen in den letzten 3 Monaten der Schwangerschaft
Albuminurie, wenn auch nur vorübergehend, und 4—5 Proz. Zy¬
linder. Diese zwei Symptome nehmen nahe der Geburt an In¬
tensität und Häufigkeit zu, so dass der Zylindergehalt des G e -
b urts urins wegen dieser Häufigkeit nicht als pathologisch zu
betrachten ist, ebensowenig wie geringe Eiweissmengen im letzten
Monat der Schwangerschaft. Schwangeren- und Geburtsalbuminurie
sind aber ihrem Wesen nach verschieden.
7) Hermann Palm: Kongenitale Vergrösserung einer nor¬
mal gebauten Niere bei Defekt der anderen: ein Beweis für die
Tätigkeit der Nieren im embryonalen Leben. (Aus der Universi¬
täts-Frauenklinik in Göttingen; Dir.: Geh.-R. Prof. Dr. Runge.)
Bei einem Neugebornen bestand Nabelschnurbruch und
Atresia am, ausserdem fehlte die Symphyse. Am 2. Tage Opera¬
tion des Bruches, am 28. Tage Exitus. Die vorhandene rechte
Niere zeigte sich verhältnismässig etwa um y3 vergrössert und
zwar waren die Nierenläppchen vermehrt, sie müssen in ver¬
mehrter Zahl angelegt worden sein infolge funktionellen Reizes.
Tierversuche über kompensatorische Nierenhypertrophie be¬
stätigten die Annahme.
8> Walter Albert: Bemerkungen zu dem Aufsatz
Müllers: „Ueber die Entstehung der Eklampsie“.
0) Derselbe: Die Aetiologie der Eklampsie. (Aus der
k. Frauenklinik in Dresden.)
Albert beansprucht gegenüber Müller die Priorität tüi
die Theorie: Die Eklampsie stellt eine Intoxikation dar, welche
durch Stoffwechselprodukte von Mikroben der Deculua ver¬
ursacht ist; die Eklampsie beruht also auf einer latenten Mikroben-
endometritis in der Schwangerschaft. In 2 von 0 lallen liessen
sich ein wandsfrei Mikroben nach weisen, in allen 0 hallen zeigten
sich herdweise und strichweise kleinzellige Infiltration und um¬
schriebene Eiteransamadungen in der Decidua. ... M
10) Scliauta: Berichtigung gegenüber D o b b e r t (dieses
Al< cha u t. a vertritt den prinzipiellen Standpunkt, dass der
für die Operation einer Extrauterinschwangerschaft ein¬
zuschlagende Weg der abdominale sein solle, ebenso K u s t ne r.
Anton H engge- Greifswald.
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 47. Band,
3. Heft. — Stuttgart, F. Enke. I9ü2.
1) A Stauder- Wiirzburg: Ueber Sarkome des Ovariums.
St/ berichtet zunächst über 20 einschlägige Fälle aus der
Würzburger Frauenklinik, von denen 5 Rundzellensarkome,
2 Spindelzellensarkome, 7 Mischgeschwülste und 0 Endotheliome
waren Die 20 Fälle wurden bei 205 Ovariotomierten gefunden,
also in 0,78 Proz. Sie kamen relativ häufig im jugendlichen Alter,
speziell schon vor dem 20. Lebensjahre zur Beobachtung. 1 atho-
gnomonische Charakteristika in Bezug auf die Diagnose existieren
nicht. Die Prognose ist bei einseitigem Sitz und rechtzeitiger
Operation nicht ungünstig. S.s Durchschnittsmortalität betrug
31.58 Proz.; die 7. Todesfälle verteilten sich auf einen Zeitraum
von 1 Tag' bis V„ Jahr nach der Operation. Die im Verhältnis
zu Karzinomen günstigen Dauererfolge erklären sich teils aus dem
grossen Prozentsatz an einseitigen, zu Metastasen wenig hm-
neigenden Ovarialsarkomen, teils aus der meist vorhandenen Mög¬
lichkeit, glatt zu operieren, da die Tumoren gut gestielt und tiei
von Adhäsionen sind. . „ . . T.
Das andere, anscheinend gesunde Ovanum soll bei I rauen
jenseits der 40 er stets entfernt werden, bei jüngeren Personen
kann man es sitzen lassen.
2) Robert M e y e r - Berlin: Einmündung des linken Ureters
in eine Utero vaginalcyste des W o 1 f f sehen Ganges.
M. beschreibt die genannte Missbildung, welche an der Leiche
eines Neugeborenen gefunden wurde, und knüpft daran eingehende
entwicklungsgeschichtliche Erörterungen. Zum Refeiat nicht ge-
oiu’Dot.
3) c. II. st ratz -den Haag: Uterustorsion bei Myom und
akuter, nichtentzündlicher Hämatosalpinx.
8t. operierte eine 57 jähr. Virgo, die seit Jahresfrist einen be¬
weglichen Tumor im Abdomen (Myom) gehabt hatte und plötzlich
mit heftigen Schmerzen im Unterleib erkrankt war. Bei der
Laparotomie zeigte sich eine akut entstandene Torsion des inneren
Muttermundes, die zu venöser Hyperämie und (Jedem aller ober¬
halb der Torsionsstelle liegenden Teile des Genitaltraktes, sowie
zu peritonitischer Reizung mit Aszites und frischen Adhäsionen
geführt hatte. Pat. wurde geheilt.
Str. deutet den Fall als eine mit der Uterustorsion zusammen
entstandene akute doppelte Hämatosalpinx und tritt der Auf¬
fassung entgegen, dass es sich um eine chronische, durch die
Torsion erst akut gewordene Hämatosalpinx gehandelt habe.
4) W. Z an gern ei st er -Leipzig: Klinische Beiträge zur
Frage der Wochenbettsmorbidität.
In seiner vorwiegend statistischen Arbeit versucht Z. zu ei-
mitteln, ob es berechtigt ist, von einer Verschiedenheit der
schweren septischen Erkrankungen und der leichten sog. „Eiu-
tagsfieber“ zu sprechen, ferner ob Anhaltspunkte für die Ursachen
dieser verschiedenen Wochenbettsfieber gewonnen werden können.
Die Frage, ob eine qualitative Verschiedenheit beider Fieber
vorhanden ist, kann vom klinischen Standpunkt bejaht werden.
Als Ursachen der Eintagsfieber kommen weder Handkeime noch
Keime der äusseren Genitalien oder der \ agina in I rage. Die-
selben sind daher auch nicht durch den Touchierakt verschuldet
und eine noch weiter gesteigerte Desinfektion der Hände (durch
Handschuhe u. dgl.) ist aussichtslos für eine weitere Verminderung
der Morbidität im Wochenbett. Die Entstehung dieser Fieber er¬
klärt Z. mit B u m m durch Resorption von W u n d -
sekreten. Als Wundflächen kommen hierbei Dammrisse,
Zervix und Plazentar stelle in Betracht. Praktisch am wichtigsten
ist hiervon die Zervix. . &
Z. kommt zu dem Schluss, dass die meisten unserer heutigen
Wochenbettfieber nicht durch Infektionen intra partum bedingt
sind. Die Leistungen unserer Asepsis und Antisepsis bei der Ge¬
burt werden daher weniger in der Morbidität als in der Mortalität
zum Ausdruck kommen.
5) K. Fett- Marburg: Ein weiterer Beitrag zum mikro¬
skopischen Nachweis von Eindringen des Alkohols in die Haut
bei der Heisswasseralkoholdesinfektion.
F. weist experimentell und mikroskopisch nach, dass bei Be¬
handlung der Haut mit einer wässerigen Kupfernitratlösung
nur wenig oder gar kein Ferrocyankupfer in die Epidermis ein-
dringt, während bei Gebrauch einer alkoholischen Lösung
die ganze Epidermis und das subkutane Bindegewebe damit nn-
bibiert wird. Die auf Ahlfelds Veranlassung gemachten Ver¬
suche stellen einen neuen Beweis für die Ueberlegenheit der Ileiss-
wasser-Alkolioldesinfektion der Hände dar.
Jaffe- Hamburg.
26. August 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1433
Centralblatt für Gynäkologie. 19u2. No. 33.
1) W. A 1 b e r t - Dresden : Sterile Dauerhefe und ihre vagi¬
nale Verwertung.
Die vor 1 Jahre empfohlene Behandlung entzündlicher Er¬
krankungen der Vagina und Zervix mit steriler Dauerhefe hat sicli
seitdem stetig bewährt. Am geeignetsten sind Fälle von hart¬
näckigem Fluor und Erosionen der Portio. Zur nachträglichen Be¬
handlung der Uterushöhle empfiehlt A. nach M e n g e s Vorschlag
die intrauterine Aetzung mit 30— 50 proz. Formalinlösung. Auch
zur Vorbehandlung der Scheide bei vaginalen Operationen, speziell
Köliotomien, hat sich die Hefebehandlung bewährt, wie A. bei
02 Laparotomien und 53 vaginalen Operationen, besonders Kolpor-
rhaphien, feststellen konnte.
2) A. v. M a g n u s - Königsberg: Ueber reine puerperale
Staphylokokkenpyämie.
Bei Puerperalpyämie wurden bisher teils im Lochialsekret,
teils im Blut und den metastatischen Abszessen folgende Bakterien
gefunden: Streptococcus pyogenes, Staphylococcus pyog. aur. und
albus, Bacterium coli und Pneumocoecus Fraenkel. Die Frage,
ob ausser dem erstgenannten eine der anderen Bakterienarten
allein im Stande ist, eine pyämische Infektion hervorzurufen,
war bisher unentschieden, v. M. beschreibt nun einen Fall von
Puerperalpyämie, wo es im Anschluss an die intra partum erfolgte
Infektion der Uterushöhle durch Verschleppung der darin nach¬
gewiesenen Kokken zu metastatischen Eiteransammlungen im
Schultergelenk, in der Mamma, einem unteren Lungenlappen und
einem Oberschenkel kam. Die bakteriologische Untersuchung so¬
wohl des Uterinsekrets als der aus den Metastasen gewonnenen
Flüssigkeiten ergab eine Reininfektion mit Staphylo-
c o c c. pyog. aureus. In der Literatur fand v. M. 9 analoge
Fälle, darunter nur 4 ednwandsfreie. Für die Diagnostik und
Prognose lässt sieh ein Unterschied zwischen Staphylokokken- und
Streptokokkenpyämie nicht erkennen.
3) H. B a c h mann- Innsbruck: Ueber einen Fall von kon¬
servativem Kaiserschnitt vor dem Geburtseintritt wegen eines
im Becken festgewachsenen Ovarialdermoids und Exstirpation
desselben.
Erledigt sich durch die Ueberschrift. Mutter und Kind
wurden 4 Wochen nach der Operation gesund entlassen.
J a f f e - Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 33.
1) G. L e o p o 1 d - Dresden: Zur Verhütung der Augenent¬
zündung der Neugeborenen durch Credeisierung.
In den deutschen Anstalten ist seit 25 Jahren die Blennorrhoe
von 28 Proz. nur auf 20 Proz. herabgegangen und noch jetzt sind
31 Proz. aller blinden Kinder blennorrhöeblind! Da nach den Er¬
fahrungen des Verfassers an ungefähr 30 000 Kindern die Blen¬
norrhoe mit Sicherheit verhütet werden kann, wenn das von
C r e d e angegebene Verfahren genau eingehalten wird, so- wird
die Methode eben noch nicht allgemein genug und genau genug
angewendet. Die ungünstigen Angaben von Cramer aus der
Bonner Frauenklinik führt Verfasser auf die dort gehandliabte
Methode zurück. Eine schwere Reaktion nach richtig ausgeführter
Credeisierung ist dem Verfasser noch nie vorgekommen. Das
C rede sehe Verfahren ist vollkommen ungefährlich, wenn man
sich strikte an die von Crede gegebenen Vorschriften hält. Statt
der 2 proz. Lösung genügt übrigens auch die 1 proz., welche nie
eine Reizung hervorruft, die irgend eine erhebliche Bedeutung
hätte. Die von Hirsch gegen die Credeisierung vorgebrachten
Einwände können nicht anerkannt werden. L. ist für die obliga¬
torische Einführung der Methode, die ohne Bedenken in die Hand
der Hebammen gelegt werden kann.
2) W. A. F r e u n d - Berlin: Ueber die Beziehungen gewisser
geheilter Lungenphthisen zur Gelenkbildung am ersten Rippen¬
knorpel.
'Verfasser kam durch seine Untersuchungen zur Anschauung,
dass es sehr verkürzte erste Rippenknorpel gibt, welche dann eine
. erenS'erung, schwächere Horizontalneigung und Schwerbeweg-
lichkeit der oberen Brustapertur bewirken. Dadurch ist eine Dis¬
position zur Erwerbung der tuberkulösen Phthise gegeben. Wenn
nun angeboren eine Gelenkbildung zwischen I. Rippenknorpel und
Mamibrium stemi besteht, so ist ein gewisser Schutz gegen
1 hthise vorhanden. Derartige Gelenke können nun auch erworben
werden und dadurch steigen die Aussichten für die Heilung eines
Limgenspitzenkatarrhs. Jedoch gewährleistet die Bildung eines
solchen Gelenkes durchaus nicht sicher die Heilung einer Spitzen¬
tuberkulose. Nach der praktischen Seite hin glaubt der Verfasser,
nass bei uacligewiesenem, auf Stenose der oberen Apertur be-
imiendem Habitus phtliisicus und rezidivierender Spitzenaffekt ion
es indiziert ist, die Durchschneidung des ersten Rippenknorpels
auszutuhren, damit die Möglichkeit einer solchen Gelenkbildung
vergrossert wird.
3) A. Gross -Kiel: Zur Prognose der Meningitis tuber-
... ' Erfasser beschreibt unter Anführung der einschlägigen
nneratur einen Fall, einen 17 jährigen Hausknecht betreffend, bei
der durch Lumbalpunktion entleerten Flüssigkeit
i Ufe ■•isam't“feste Stäbchen“ gefunden wurden. Es erfolgte Hei-
vm-g‘ ASpater trat eiue doppelseitige Lungenspitzenaffektion lier-
An der DiaSU0Se „Meningitis“ konnte ein Zweifel nicht be-
4) E. Senger - Krefeld: Ueber einen operativ geheilten Fall
extensivster Pyometra bei einem Uterus bicomis puerperalis.
_ Die Diagnose betreff der Natur des grossen Tumors bei der
25 jährigen Frau konnte erst während der Operation gestellt
werden. Durch eine zweite Operation wurde der Uterus, der sich
bei der ersten Operation ganz mit Eiter gefüllt gezeigt hatte, ex-
stirpiert. Das eine, gesunde Uterushorn wurde erhalten.
5) V . Schrank - AV iesbaden: Ueber einen Fall von seröser
Osteomyelitis am Hinterhaupte, der eine Meningocele vor¬
täuschte.
Die eigenartige Erkrankung entwickelte sich bei dem 4 jälir.
Patienten anscheinend im Anschluss an ein Trauma und bestand
das erste Symptom in Haarausfall über der erkrankten Stelle.
Die Geschwulst, in der Nähe der kleinen Fontanelle befindlich,
hatte die Grösse eines halben Apfels. Zeichen von Lues oder
Tuberkulose Hessen sich nicht auffinden. Auf die Natur der Krank¬
heit führte erst die Operation, welche einen günstigen Erfolg hatte,
namentlich auch hinsichtlich der psychischen Funktionen, welche
vorher gelitten hatten. Die diagnostische Täuschung wurde be¬
sonders auch durch den Knochenwall hervorgerufen, welcher die
betreffende Stelle umgab.
6) V. B r u n n - Berlin: Zur Kenntnis von den Fremdkörpern
der Harnblase.
Bei einem 25 jährigen Kranken, der infolge eines Traumas
Blasenstörungen hatte, und infolge dessen ausgespült werden
musste, glitt während der Spülung der ganze Nelatonkatheter in
die Blase und musste mittels Sectio alta entfernt werden. Bei der
Operation heftete Verfasser die vordere Blasenwand breit an die
Bauchwand an und tamponierte den unteren Wundwinkel. Dieses
Verfahren scheint sich zur Venneidung der prävesikalen Phleg¬
mone zu bewähren.
7) Fr. S c h o e 1 e r - Berlin: Ueber die Schieioperation bei
angeborener Lähmung des Musculus rectus externus.
Unter 2330 Schieioperationen wurde nur 5 mal ein unregel¬
mässiger Operationsverlauf verzeichnet, darunter 2 mal bei kon-
komitierendem Schielen, 3 mal bei Augen, die wegen Lähmungs-
schielens operiert wurden. Bei letzteren Fällen wurde durch die
Operation, resp. die Lostrennung der Sehne, der Glaskörperraum
eröffnet, jedesmal ohne bleibenden Nachteil. Es scheint, dass bei
diesen angeborenen Formen die Sehne der Muskeln die Stelle der
Sklera vertreten kann, so dass der Glaskörperraum bei der Los¬
trennung der Sehne miteröffnet werden muss.
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 33.
D Fr. Koenig: Methodik und Erfolge der Fussgelenks-
resektion.
Nach einem in der Sitzung der Freien Vereinigung der Chi¬
rurgen Berlins am 9. Juni 1902 gehaltenen Vortrag.
Mit Berufung auf eine frühere Veröffentlichung über obiges
Thema eines seiner ehemaligen Assistenten führt K. an Prä¬
paraten die von ihm angegebene Methode vor, wobei er haupt¬
sächlich auch die Vorteile gegenüber dem L a n g e n b e c k sehen
Verfahren hervorhebt. Als Beweis für die günstigen Erfolge, die
durch obige Methode erzielt wurden, folgt die Vorführung einer
Anzahl geheilter Fussresezierter.
2) E. FI o f f m a n n - Greifswald: Ueber Verschluss von De¬
fekten am knöchernen Schädel durch, der Nachbarschaft ent¬
nommene Knochenplättchen.
Nach einer Demonstration in der Märzsitzung des Greifs-
walder medizinischen Vereins. Referat hierüber s. diese Wochen¬
schrift 1902, No. 16, pag. 679.
3) P. Mühlens - Hamburg: Beiträge zur Frage der gegen¬
wärtigen Verbreitung der Malaria in Nordwestdeutschland.
(Schluss folgt.)
4) Fr. V o 1 h a r d - Giessen: Ueber einen Fall von Tumor
der Cauda equina.
Nach einem in der medizinischen Gesellschaft in Giessen am
4. März 1902 gehaltenem Vortrag.
Die Mitteilung bietet hauptsächlich deswegen reges Interesse.
Aveil sie das etwas schwieriger erscheinende Kapitel der Segment¬
diagnostik des Rückenmarks mit ziemlich erschöpfender Angabe
aller neueren Arbeiten hierüber berührt, andererseits zugleich
einen Beweis liefert, wie wichtig und erfolgreich die richtige
Stellung der Diagnose in einem derartigen Falle ist. Es handelte
sich hier um einen gutartigen Tumor der Cauda equina, bei
welchem die bereits vorgeschlagene Operation, wie auch die nach-
herige Sektion ergab, Aron sicherem lebensrettendem Erfolg be¬
gleitet gewesen wäre, wenn der Patient nicht Arorzeitig an den
Komplikationen seines Leidens (Pyelonephritis mit Urämie) zu
Grunde gegangen wäre.
5) L. Feilchenfeld - Berlin: Erythema Simplex margi-
natum. ■ 1 l *]'
6) E 1 s c h n e r-Dühringshof : Perforation oder Kaiserschnitt.
Kasuistische Mitteilung dreier weiterer Fälle als Ergänzung
zu den von Zanke in No. 29 dieser Wochenschrift bereits an¬
geführten.
7) Ki on ka - Jena: Zur Frage nach der Giftigkeit der
Präservesalze.
Ein Wort zur Abwehr.
8) Byk- Berlin: Zur Schädlichkeit des Präservesalzes.
9) , V. Lissauer - Berlin: Bismutose bei Diarrhöen kleiner
Kinder.
No. 34.
1434
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Die an ca. 30 Kindern gewonnene Erfahrung über obiges Prä
parat liat ergeben, dass dasselbe ein recht brauchbares Unter¬
stützungsmittel bei der diätetischen Behandlung der auf dyspep-
t isolier Basis beruhenden Darmkatarrhe der Kinder ist. Die Wirk¬
samkeit ist sicher nicht geringer als diejenige der bisher zumeist
gebrauchten Präparate; seine Unschädlichkeit lässt den Nachteil
der schweren Einnehmbarkeit gern in den Kauf nehmen. Im
übrigen schliesst sich Verfasser den günstigen Berichten früherer
Autoren an. (Kuck, M a nass e, Witt hau er, Kiinkler,
B o b e 1 e s c u).
10) H. H e y m a n n - Berlin: Ueber Chielin.
Das Präparat stellt einen Pflanzenstoff dar, der aus der
Tulpenzwiebel (Bulbus Tulipeae) gewonnen wird. Es ist von
bräunlicher Farbe, dick, klebrig, von angenehmem Geruch, lässt
sich, ohne Residuen zu hinterlassen, leicht verreiben, ist in Wasser
leicht löslich und nicht giftig.
Das bisher nur in der Tierpraxis mit Erfolg angewendete
Mittel hat Verfasser nun auch gegen Hautkrankheiten des Men¬
schen in Anwendung gezogen und zwar in zwei Formen, als
S a 1 b e (Creme) hauptsächlich als Kosmetikum, sowie bei in-
liltrierten chronischen Ekzemen mit Schuppen oder Knötchen und
in Seife, welche sich vorzüglich für Erkrankungen des Drüsen¬
apparates eignet. M. Lacher.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 33. 1) S. Fe dem- Wien: Ueber Blutdruckmessung am
Menschen.
Durch seine langjährigen Blutdruckmessungen konnte sich
Verfasser überzeugen, dass der N. splanchnicus die grösste Be¬
deutung für den Blutdruck besitzt, indem reflektorisch durch den¬
selben eine Erhöhung desselben zu stände kommen kann; ferner
konnte F. nackweisen, dass der Blutdruck an der Itadialis bei
Frauen von der Zeit der Entwicklung bis zum Klimakterium von
einer Menstruation bis zur anderen eine regelmässige, auch nicht
durch die Schwangerschaft unterbrochene Kurve auf weist. Hin¬
sichtlich des normalen Blutdrucks bezeichnet F. als untere Grenze
50 — (»0 mm. Quecksilber an der Radialis. Diese Angabe stimmt
mit den Ergebnissen der meisten anderen Experimentatoren wenig
überein. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass bei den
bisher geübten Methoden der direkten Blutdruckmessung — meist
durch das Tierexperiment - — der normale Blutdruck wahrschein¬
lich niemals gemessen worden ist. Vor allem ist aber hervor¬
zuheben, dass der Blutdruck an den verschiedenen Stellen des Ge-
fiisssystems ein verschiedener sein kann. Verfasser fand, dass der
Blutdruck an den 2 Körperhälften um 30—40 mm differieren kann.
Die Messungen mit dem Sphygmomanometer von Basch, an
dessen hinreichender Verlässlichkeit F. nach wie vor festhält, er¬
geben, dass z. B. bei der Menstruation die obere und die untere
Körperhälfte verschiedene Blutdruckwerte aufweisen.
2) R. K o e n i g s t e i n - Wien: Ueber Anreicherung der
Tuberkelbazillen im Sputum (nach Hesse).
Das Ergebnis der Untersuchungen lautet: Heydenagar und
Ileydenbouillon sind elektive Nährböden für die Tuberkelbazillen.
Die Anreicherung der Tuberkelbazillen im Sputum gelingt regel¬
mässig. Nicht alle Bazillen im Sputum sind vermehrungsfähig.
Zusatz von Menschenblut zum Nährboden begünstigt die Entwick¬
lung der Tuberkelbazillen nicht. Der Schleim ist ein wesentlicher
Faktor bei der Anreicherung der Tuberkelbazillen auf dem
Hesse sehen Nährboden.
3) P. F 1 e g e r - Leipzig: Beitrag zur Kasuistik der Syringo¬
myelie und über die bei dieser Krankheit vorkommenden Haut¬
störungen. (Schluss . folgt.)
Grassmann - München.
Wiener medicinische Presse.
No. 30. R. v. Stenitzer- Wien : Zur Klinik der freien iso¬
lierten Cysticerken des IV. Ventrikels.
Als augenfälligstes Symptom zeigte sich bei dem tödlich ver¬
laufenen Fall das ganz konstante Auftreten von Schwindel und
Erbrechen bei einem bestimmten Lagewechsel, nämlich der Lage¬
rung auf die linke Seite. R. Schmidt hat dieselbe Erscheinung
bei einzelnen Tumoren der Kleinhirnhemisphären gefunden und
auf die vorübergehende Druckbelastung und Verlegung des Aquae¬
ductus Sylvii bezw. der Vena magna Galeni zurückgeführt.
No. 31 und 32. C. R a v a s i n i - Triest: Zur Kasuistik der
Fremdkörper der Harnblase und Harnröhre.
R. bereichert die Kasuistik um 14 Fälle, eine Reihe davon
betrifft sich selbst katlieterisierende Prostatiker. Diese bedienen
sich oft alter und verdorbener Katheter, von denen gelegentlich
(‘in Stück abbricht und in der Blase zurückbleibt. Die glücklichen
Erfolge der B o 1 1 i n i scheu Operation beugen auch diesem Vor¬
kommnis vor.
No. 30 und 31. A. Buraczy nski-Wien: Kasuistische
Mitteilungen.
a) Ein Fall Arthromeningitis luetica. b) Zwei Fälle von
Endarteriitis luetica cerebri, davon der eine bei einer erst 24jähr.
Patientin, wo der Exitus bereits innerhalb ca. % Jahren nach der
Infektion eingetreten ist.
No. 32. N e u g e b a u e r - Warschau: Ein interessanter Fall
von zweifelhaftem Geschlecht.
Eingehende Beschreibung des Falles, bei dem heute noch nach
10 jähriger ärztlicher Beobachtung der jetzt 18 jährigen, als Mäd¬
chen erzogenen Person eine bestimmte Diagnose des Geschlechtes
bei dem fehlenden Nachweis einer Geschlechtsdrüse durchaus un¬
möglich ist. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Individuum
männlichen Geschlechtes. Bergeat - München.
Italienische Literatur.
Pose lii: Keuchhusten und Vaccination. (Gazzetta degli
ospedali 1902, No. 27.)
Das oft erörtere Thema eines Antagonismus zwischen Per¬
tussis und Vaccination erörtert P. und kommt zu einem positiven
Resultat. Die Vaccination soll in einer Stick-
h u s t. e n e p i <1 e m i e prophylaktische u n d k n rat! v e
Wirkung gezeigt habe n.
Cambiasso: Schnelle Heilung einer Lungentuberkulose
durch Serum Maragliano. (Gazzetta degli ospedali 1902. No. 27.)
Der Fall betraf ein 12 jähriges Mädchen, welches seit 3 Mo¬
naten an Tuberkulose erkrankt und ohne Erfolg behandelt war.
Injektionen ä 1 ccm beseitigten nach etwa 1 wöchentlicher An¬
wendung das Fieber, dann nach und nach alle anderen Symptome:
Husten, bazillenhaltiges Sputum, Naclitscliweisse, Abmagerung
binnen 4 Monaten. C. glaubt, dass diese schnellen Heilungen für
solche Fälle typisch sind, wo Mischinfektionen fehlen und die Er¬
scheinungen der tuberkulösen Toxikämie am ausgesprochensten
sind.
Mori: Ueber die Splenopneumonie Grancher. (Gazzetta
degli ospedali 1902, No. 24.)
Charakteristisch für die italienische medizinische Literatur
ist die Benennung vieler Krankheitsformen nach den Namen der¬
jenigen Autoren, welche zunächst über dieselben geschrieben oder
auf bestimmte Modifikationen derselben aufmerksam gemacht
haben. Der deutsche Leser, welchem die verschiedenen Modi¬
fikationen, unter welchen die Pneumonie auftreten kann, ganz ge¬
läufig sind, so gut wie das Bild der klassischen Form, wird doch
einigermassen erstaunt sein, wenn er 9 Formen von Pneumonie
exakt mit dem Namen von medizinischen Autoren belegt findet.
So zählt M. in vorliegender Abhandlung auf:
1. Die idiopathische Kongestion der Lunge oder Morbus
Woillez (1838);
2. die Splenopneumonie Grancher (1SS3);
3. die Influenzapneumonie Finkler (1889);
4. die Streptokokkenpneumonie Lucatello (1890);
5. die Pneumonie mit disseminierten Herden Galvagni (1890);
0. andere Varietäten der Streptokokkeupneumonie Wasser¬
mann (1893);
7. andere Varietäten der Streptokokkenpneumonie P. Dcuny
(1898);
S. die kongestive Pneumonie Potain (1895);
9. die indurative Pneumonie Fränkel (1896).
In der vorliegenden Abhandlung schreibt M o r i, Schüler
Galvagnis, in Modena über die bekannte subakute Form der
Pleuropneumonie, welche unter dem Bilde einer Pleuritis verläuft
mit mässigem, oft gar nicht oder nur schwach rötlichen Sputum,
mit geringem Exsudat, ausgedehnter Hepatisation oder*, wie der
Autor will, Splenisation.
Die Besserung erfolgt ohne die für die gewöhnliche Pneu¬
moniekrisis charakteristischen Symptome in langsam regelmässig
fortschreitendem Tempo unter Temperaturabfall und unter Auf¬
hellung der Dämpfung meist von unten nach oben.
Wenn auch nach den Angaben Granchers bei wieder¬
holten Probepunktionen kein Pleuraexsudat gertinden wurde, so
legt M. Gewicht darauf, dass in seinem Falle ein spärliches Ex¬
sudat durch die Punktion nachzuweisen war.
Corvini: Beitrag zur Akromegalie. (II Morgagni 1902,
März.)
Ueber Akromegalie und Exophthalmus spricht
sich der Autor folgendermassen aus: Hyperostose des Orbitalteiles
des Stirnbeins, sowie des Keilbeins und des Oberkiefers kann den
Bulbus hervordrängen und so zum Zustandekommen des Symptoms
Veranlassung geben.
Eine andere Entstehungsart ist die, dass die Hypertrophie
der Glandula pituitaria eine direkte Kompression des Sinus caver¬
nosus veranlasst oder zu einer Thrombose des Sinus führt. Diese
Zirkulationsstörungen pflanzen sich bis zum peri- und retro¬
bulbären Venennetze fort und bedingen Exophthalmuserschei¬
nungen. An diese letztere Art der Entstehung wird man denken
müssen l>ei sehr unvermitteltem und stürmischem Eintritt des
Phänomens und wenn dann bald darauf ein Stillstand und ein
Stationärbleiben eintritt.
Indessen beschreibt bei Akromegalie die grössere Mehrzahl
der Autoren die Augen als klein und von den Lidern gleichsam
bedeckt.
In dem Falle, welchen C. schildert, war die Schilddrüse
kleiner als normal und eine Persistenz der Thymus nicht nach¬
zuweisen. ein Beweis, dass die sogen, chemische Theorie, welche
eine Analogie zwischen Glandula thyreoidea und Glandula pitui¬
taria zum Ausgangspunkte nimmt, nicht haltbar ist.
Statt einer exzessiven Entwicklung der grossen Schamlippen.
Klitoris und Vagina, wie ihn die Mehrzahl der Autoren beschreibt,
waren im Falle C.s äussere Genitalien, wie der Uterus, auffallend
in der Entwicklung zurückgeblieben.
1435
26. August 1902. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
P a p i : Beitrag zur Kasuistik der Adipositas dolorosa.
(Gazzetta degli ospedali 1902, No. 24.)
Die Kasuistik dieser von Henry und Dercum auf¬
gestellten Krankheitsform verfügt nach P. bis zum Jahre 1898
nur über 11 Fälle. Der neue Fall, welchen r. hinzufügt,
scheint eine gewisse Verwandtschaft mit dem
M y x ö d e m z u habe n, wenigstens envies sich eine Thyreoidea-
kur als wirksam. Ferner erstreckte sich die Volumsveränderung
durch Fettablagerung im Unterhautgewebe, wie die intermittie¬
renden Schmerzanfälle auch auf das Gesicht, welches sonst von
der Adipositas dolorosa verschont zu werden pflegt.
Sacconaghi: lieber Läsionen innerer Organe durch
Verbrennungen. (Lo sperimentale, fase. V — VI, 1902.)
Dieselben bestehen in allgemeiner venöser Hyperämie
der inneren Organe, in morphologischen Veränderungen der
roten Blutkörperchen und Hämoglobinämie, in verhältnis¬
mässiger numerischer Zunahme der roten Blutkörperchen,
in der Bildung von Thrombusembolien, parenchymatöser
Aenderung der Organe im allgemeinen, in Desquamation
des Gefässendothels, in parenchymatöser Nierenveränderung
und in Hämoglobinausscheidung durch die Nieren, in pneu¬
monischen Veränderungen durch den Pneumokokkus, in gastro¬
intestinalen Ulzerationen durch Thrombose, in Veränderungen
des Körpers und der protoplasmatischen Fortsätze der Nerven¬
zellen. Der Autor erörtert die Art des Zustandekommens und die
Bedeutung dieser Befunde je nach dem Grade der Ausdehnung,
der Dauer der Verbrennung, der individuellen Resistenz u. s. w.
Als accidentelle Prozesse sind u. a. noch zu erwähnen: Fett¬
embolien, Sepsis, mykotische Embolien.
G u y o t: Ueber den Befund von basophilen Granulationen
in roten Blutkörperchen bei Hämoglobinurie macht G. Mit¬
teilung aus der Genueser Klinik. Dieser Befund wurde bisher
bei verschiedenen Blutkrankheiten, so der Chlorose, der perniziösen
Anämie, aber auch der Bleiintoxikation, erhoben. Die patho¬
genetische Bedeutung derselben ist bis jetzt noch ziemlich zweifel¬
haft. (Gazzetta degli ospedali 1902, No. 27.)
Par o di: Ueber den Nachweis der Tuberkelbazillen im
Sputum durch das von Hesse angegebene Kulturverfahren.
(Gazzetta degli ospedali 1902, No. 24.)
Von allen bisher angegebenen Kulturverfahren, welche dazu
dienen sollten, den Tuberkelbazillus im Sputum schnell
zur Proliferation zu bringen und so eine Diffe-
rentialdiagnose zu ermögliche n, ist das von Hesse
angegebene von verschiedenen Autoren, so von R ö m er, J o c li -
m a n n, F r ä n k e 1 u. s. w. bestätigt. Dasselbe besteht darin,
dass man einem Agar- Agar-Nährboden die Somatose Heyden
(Dresden), dargestellt aus Hühnerei-Eeiweiss, zusetzt.
P. prüfte die Angaben II e s s e s in der Maragliano sehen
Klinik in Genua und bestätigt ausdrücklich die konstante reich¬
liche und schnelle Entwicklung der Tuberkelbazillen in einem an
denselben wenig reichen Sputum.
P. betrachtet hierdurch den Beweis für geliefert, dass sich
die Tuberkelbazillen im Sputum immer in einem entwicklungs¬
fähigen Zustand befinden und dass durch die Hessesche Me¬
thode' eine schnelle Differentialdiagnose in wenigen Stunden er¬
möglicht ist.
Die Entwicklung der pyogenen Pilze würde durch diese Zu¬
sammensetzung des Nährbodens verhindert, während die Anwesen¬
heit des Schleimes im Sputum die Entwicklung der in ihm ein¬
gebetteten Tuberkelbazillen begünstige.
De Gaetano: Zur Kasuistik der Luxation des Köpfchens
des Os capitatum der Handwurzel teilt der Autor einen Fall mit
(II policlinico, März 1902), ein anderer ist von C liopart bekannt
gemacht; beide betrafen Fleischer. An der Leiche ist diese Luxa¬
tion nicht zu stände zu bringen.; sie hat zur Voraussetzung eine
gewisse Erschlaffung und Dehnbarkeit des Bandapparates der
H aiulwurzelknochen.
D o n z e 1 1 o erörtert (Lo sperimentale, fas«. VI) die pyogene
Eigenschaft des E berth sehen Bazillus.
Derselbe kann zur Eiterbildung Veranlassung geben: 1. durch
eine verminderte Virulenz, 2. durch den Grad der Immunität, wel¬
chen die Versuchstiere besitzen, 3. durch verminderte organische
Resistenz derjenigen Tiere, welche von Natur refraktär sind, und
endlich bei demselben Tiere durch die Natur des von der Ein¬
wanderung des Typhusbazillus betroffenen Gewebes.
D. erklärt auf Grund seiner Experimente diese Eiterbildung
folgendennassen : Die abgeschwächten Infektionsträger sind, je
nach der Vitalität der Gewebe, in welche sie gelangen, zu einer
beschränkten Existenz und zu einem langsameren oder schnelleren
Untergang bestimmt. Die Zerstörung derselben setzt die zum
Körper der Bazillen gehörigen Nukleoproteide in Freiheit und
wir wissen durch die Studien von Büchner, O r 1 o f f , Gasser
und B u r c i, dass bei den Typhusbazillen die pyogene Eigenschaft
abhängig ist von den Proteinen, welche die grösste chemotaktische
Eigenschaft besitzen.
Neues Journal für Hygiene.
Ans der italienischen medizinischen Literatur haben wir zu
erwähnen eine neue, der Hygiene dienende Zeitung
aus P a v i a, von Prof. D e v o t o u n d D r. Moreschi
herausgegeben unter dem Titel: „Die Arbeit“, 2 mal im Monat
erscheinend (il lavoro, Pavia, tipogr. cooperativa). Die uns zu¬
gehende Nummer V enthält u. a. von Fedrazzini einen Artikel:
Die Anstrengung und der Kropf. Der Autor sieht in der An¬
strengung der Gebirgsbewohner, im Tragen schwerer Lasten, im
beständigen Steigen und den durch dasselbe bewirkten Gefässver-
änderungen das ätiologische Hauptmoment des Kropfs, ohne
welches die Krankheit nur ein sporadisches Dasein führen würde.
Ein Aufsatz von M. Venco (giornale l’Unione femminile di
Milano) handelt von den gesundheitlichen Schäden der fabrik-
mässigen Seidenerzeugung, welche besonders Kinder von
9 Jahren betreffen, welche sich in mangelhaft ventilierten Räumen
meist bis zu 18 Stunden des Tages mit den Seidenraupen be¬
schäftigen; namentlich gilt dies für die Abruzzen und für Süd¬
italien überhaupt. Neuerdings habe der Minister Baceelli über
diese Schäden eine Untersuchung veranstaltet.
II a ger- Magdeburg-N.
Skandinavische Literatur.*)
L. Kraft (D): Die akute hämorrhagische Pankreatitis.
(Hospitalstidende, No. 15, 10 u. 17.)
Auf 12 Krankengeschichten gestützt, gibt der Verfasser eine
monographische Darstellung der akuten hämorrhagischen Pan¬
kreatitis. ln 9 Fällen wurde die Diagnose erst durch die Sektion,
in einem Falle, der auch letal verlief, durch eine explorative
Laparotomie gestellt; in 2 Fällen wurde die Diagnose klinisch
gestellt; diese 2 Kranken genasen. Verfasser, der die Sym¬
ptomatologie und Diagnose genau angibt, empfiehlt eine stimu¬
lierende, symptomatische Behandlung, verwirft die Exstirpation
von Pankreas, glaubt in den 2 letzten Fällen günstige Wirkung von
Pankreatin gesehen zu haben.
C. O. .1 e n s e li (P): Einige Versuche mit Krebsgeschwülsten.
(Ibid., No. 19.)
Es gelang dem Verfasser, ein typisches Karzinom, das bei
einer weissen Maus auftrat, weiter auf andere Mäuse zu über¬
tragen. Im Verlaufe eines Jahres hat er die Geschwulst auf eine
grosse Anzahl Mäuse transplantiert, im ganzen durch 8 Genera¬
tionen. Verfasser hat keine Parasiten in der Geschwulst finden
können. Transplantation der Geschwulst auf Kaninchen und
Meerschweinchen misslang immer, Transplantation auf graue
Mäuse gelang in einzelnen Fällen. Es zeigte sich, dass das Krebs¬
gewebe, im Eisschränk aufbewahrt, sich jedenfalls 4 Tage am
Leben halten kann '). 10 Mäuse wurden mit Geschwulstgewebe,
das auf die eben erwähnte Weise aufbewahrt wurde, geimpft;
4 starben an zufälliger Infektion, bei 2 entwickelte das Karzinom
sich weiter.
Von grossem Interesse ist es, dass Verfasser durch Injektion
des gequetschten Geschwulstgewebes auf Kaninchen ein spezifi¬
sches Heilserum gegen die Geschwüste der Mäuse hat darstellen
können. Der glückliche Erfolg der Anwendung des Serums wurde
sowohl klinisch als pathologisch-anatomisch (durch Mikroskopie)
bestätigt. Kontrollversuche mit normalem Kauinchenserum zei¬
gen, dass dieses Serum keinen Einfluss auf die Geschwülste hat.
Spontane Resorption der Geschwülste hat Verfasser nie gesehen,
so dass die spezifische Wirkung des Serums ohne Zweifel schuld
an der Heilung der Tiere ist. In dänischen wissen-
s c li a f 1 1 i c h e n Kreisen heg t m an grosse Er w a. r -
t u n g e n von neuen Versuchen, die der ausge¬
zeichnete F orscher versprochen h a t. Jeden¬
falls zur Kenntnis der Biologie der Krebs¬
geschwülste sind seine Versuche von grosser
Bedeut un g.
H. V i 1 a n d t (D) : Eine leicht ausführbare Methode zur Ein¬
richtung der hinteren Hüftverrenkung. (Ibid., No. 23.)
Verfasser hat in 2 Fällen sehr leicht eine rechtsseitige Hiift-
luxation nach hinten auf folgende Weise reponiert: Der Patient
wurde in linker Seitenlage chloroformiert; während der Narkose
wurde er in die Rückenlage gedreht. Verfasser setzte seine rechte
Schulter unter den rechten Poples des Patienten und stützte seine
beiden Hände fest um Telvis zwischen Spina ilei ant. sup. und inf.,
mit gekreuzten Daumen und mit den vier anderen Fingern der
linken Hand über das Cap. femoris. Verfasser richtete sich jetzt
langsam auf, indem ein Assistent das Bein des Patienten fest und
dicht an seinen Rücken, der rechten Schulter entlang, hielt. Es
gelang leicht, die Einrichtung auszuführen.
Prof. .1. Scliou (D): Ein Fall von Exophthalmus pulsans.
(Ugeskrift for Läger, No. 23.)
Heilung durch Unterbindung der Art. carotis int. Verfasser
behauptet wie Slomannj, dass man in solchen Fällen immer
Carotis int. und nicht Carotis commun. unterbinden muss, da
sonst leicht Rezidiv eiutreten kann wegen Blutzufuhr durch kol-
laterale Verbindungen, besonders durch Art. carotis ext.
C. Dons (D): Merkwürdiger Fall von Zwillingsgeburt.
(Ibid., No. 25.)
Die erste Geburt traf am 5. März 1900 um 10 Uhr Nachm,
ein. Dauer der Geburt: 0 y2 Stunden. Das Kind war am Leben.
Gewicht 2000 g. Die Mutter glaubte, dass das Kind 4 Wochen
zu früh geboren war. Die Blutung war ziemlich stark in der Nacli-
geburtsperiode, wurde durch die Lösung der Plazenta gestillt.
*) Nach jedem 'Autornamen wird durch die Buchstaben D, F,
N oder S angegeben, ob der Verfasser Däne, Finnländer, Norweger
oder Schwede ist.
b Nach späteren Versuchen viel länger.
") Slomann: Der pulsierende Exophthalmus. Dissertation.
Kopenhagen 1898.
1436
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIER.
No. 34.
Puerperium normal. Die zweite Geburt traf am 29. Mäiz des¬
selben .Jahres um 2 Uhr Vorm, ein, also 23 Jage nach der eisten
Geburt. Die Dauer der Geburt: 4y2 Stunden. Das Kind war am
Leben, ausgetragen. Gewicht: 3000 g. Puerperium normal. Die
zwei Säuglinge sind Mädchen, leben noch und gedeihen. . Nach der
ersten Geburt trat keine Milchsekretion ein; der Säugling wurde
vorläufig künstlich genährt, nach der zweiten Geburt fing die
Milchsekretion an, und die Zwillinge bekamen dann alle beide
Brust. Die Mutter, eine verheiratete Bäuerin, ist 37 Jahre alt,
hat früher 2 mal geboren.
Prof Niels II. Finsen (D) und Georges Dreyer (1>):
Untersuchungen über den Einfluss des Lichtes auf Blattern
vaccine. (Meddelelser fra Finsens medicinske Lysinstitut,
Bd. 4, Mai.) A .. . .
Finsens Entdeckung, dass das Suppurationsstadium bei
Variola ausbleibt, wenn man die chemischen Strahlen des luchtes
ausschliesst, scheint gegen das Faktum zu streiten, dass die che¬
mischen Strahlen eben bakterientötend wirken. Dr. Moir s) hat
auch aus theoretischen Gründen gegen Finsen s Vanolabehand-
lnng protestiert. Spätere Erfahrungen haben die segensreiche
Wirkung der Finsen scheu Methode glänzend bestätigt, und man
ist genötigt, zuzugeben, dass in Bezug auf die Blattern die ent¬
zündungerregende Wirkung des Lichtes viel grössere Bedeutung
als seine bakterientötende hat. Es wäre doch vielleicht möglich,
dass der Krankheitserreger der Blattern sich dem Einflüsse des
Lichtes gegenüber anders als die übrigen Mikroorganismen ver¬
hielt; auch einige Untersuchungen in der Impfanstalt zu Han¬
nover* * 4) könnten darauf deuten. Die Verfasser beweisen doch
durch eine grössere lleilie Versuche, dass starkes Licht einen st 11
schädlichen Einfluss auf die Vaccine hat. Da auch die Temperatur
30_40° die Vaccine schwächt, muss diese unter denselben Kau-
telen als Bakterien und ihre Gifte, also in der Kälte und in
dunklen (eventuell roten) Gläsern aufbewahrt werden.
Prof. Niels R. F insen (D) : Behandlung von Erysipelas
durch Ausschliessung der chemischen Strahlen des Sonnen¬
lichtes. (Ibidem.)
Verfasser hat schon 1894 empfohlen, die Behandlung von
Erysipelas „im roten Zimmer“ zu versuchen. Iv r u k e n b erg °)
hat dieses Jahr diese Behandlung mit ausgezeichnetem Erfolg be¬
nutzt. Verfasser publiziert 7 Fälle, in welchen er ohne sicheren
Erfolg das rote Zimmer angewendet hat, er rät jedoch, die Ver¬
suche fortzusetzen. Die Behandlung hat jedenfalls den Vorteil,
unschädlich zu sein.
Prof. H o w i t z (D) : Behandlung von Krebs durch Erf i*ie-
rung. (Kopenhagen 1902.)
Verfasser hat voriges Jahr vor dem V. nordischen chirur¬
gischen Kongresse zu Kopenhagen empfohlen, Krebs, insbeson¬
dere in inoperablen Fällen, durch Erfrierung mit Chlorathyl
zu behandeln. Er referiert 34 Krankengeschichten (Cancer uteri,
vaginae, mammae), in welchendieseBeliandlung angewendet wurde.
Anstatt Chloräthyl wurde später Anestile oder fliessende Kohlen¬
säure benutzt. Verfasser behauptet, dass der lokale Prozess da¬
durch begrenzt werden kann, die Rezidive können dadurch cou-
piert werden, und man kann eine Besserung des Allgemeinbefin¬
dens erreichen. In günstigen Fällen glaubt Verfasser, dass Hei¬
lung eintreten kann. Durch die Kältewirkung wird das kankröse
Gewebe zerstört, und ein Granulationsgewebe mit normaler Epi¬
thelbildung entsteht. .
A. Bo eg (D): Epidemiologischer Beitrag zur Aetiologie
der Lungenphthisis. (Diss., Kopenhagen, 154 S.)
Verfasser, der 10 Jahre Amtsarzt auf den Faröerinseln war,
hat eine sorgfältige Untersuchung über die Ausbreitung der
Lungentuberkulose auf diesen sparsam bevölkerten, isolierten
Felseninseln (ca. 12 000 Einwohner) angestellt. Auf 354 Kranken¬
geschichten gestützt, glaubt er bewiesen zu haben, dass die
Lungentuberkulose kontagiös ist, dass eine individuelle Disposition
vorausgesetzt werden muss, während es keine spezifische, erbliche
Disposition gibt.
W. R a g e r (D) : Luxatio coxae congenita. (Diss., Kopen¬
hagen, 360 S., 60 Abbildungen von Präparaten.)
Die Abhandlung hat besonders Wert als eine Monographie der
angeborenen Hüftverrenkung. Verfassers eigenes pathologisch¬
anatomisches Material stammt teils aus dem pathologisch-ana¬
tomischen Institut zu Wien, teils aus dem Museum Saxtorphianum
und dem Kinderhospitale zu Kopenhagen, sein klinisches Material
aus der Klinik für Verkrüppelte und verschiedenen Spitälern
Kopenhagens. . ,
J. Stein (D): Von der Herzschwäche bei Mitralfehlern.
(I)iss., Kopenhagen, 120 S.)
Gestützt sowohl auf Krankengeschichten, Sektionsbetunde und
mikroskopische Untersuchung eines ziemlich bedeutenden Ma¬
terials, als auf einige Versuche über Kaninchen, zieht Verfasser im
Gegensätze zu Iv r e h 1 den Schluss, dass eine chronische Myo¬
karditis verhältnismässig selten die Herzinsuffizienz verursacht,
jedenfalls wenn Febris rheumatica die Ursache des Klappen¬
fehlers ist oder Einfluss auf den späteren Verlauf gehabt hat. Zur
») The Lancet, 29. Sept., pag. 739, 1894; Treatment of small
pox by exclusion of the Chemical rays of daylight.
4) Medizin, statist. Mitteilungen des Kais. Gesundheitsamtes,
Bd. 5, II. 2, pag. 94.
°) Ueber die Behandlung des Erysipels Im roten Zimmer.
Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 13.
Erklärung dieser Insuffizienz bleibt Verfasser bei dem Begriff
„Herzmüdigkeit“.
V. Maar (D): Der Einfluss des Nervensystems auf die
Drüsensekretion, besonders in Bezug auf die Verhältnisse in
den Lungen. (Diss., Kopenhagen 1902, 120 S.)
Die Abhandlung wird dieses Jahr in Skandinav. Archiv für
Physiologie in der deutschen Sprache erscheinen.
E. B ruusgaar d (N): Periphere Phlebitis im Verlauf der
sekundären Syphilis. (Norsk magazin for lägevidenskab, April.)
Unter 326 an sekundärer Syphilis leidenden Männern in der
Abteilung für Hautkrankheiten der Universitätsklinik hat man
5 mal Phlebitis syphilitica beobachtet. Verfasser führt die
Krankengeschichten der 4 von diesen 5 Fällen an; unter 61 1
Weibern wurden 4 Fälle dieser Krankheit beobachtet, wovon 2
referiert werden. Die Untersuchungen umfassen die Zeit vom
Jahre 1893 bis 1901.
Wilhelm Magnus (N): Ein Pall von Herpes zoster, von
Muskelatrophien begleitet. (Ibidem, Mai.)
2 Wochen nach einem Herpes zoster entlang dem rechten
Unterarm entwickelte sich Atrophie der Mm. infraspinatus, del-
toideus, triceps, brachioradialis, flexores digit., intei’ossei und
der kleinen Muskeln des Daumens und des 5. Fingers. Die atro-
phierten Muskeln zeigten Degenerationsreaktion. Nach einigen
Monaten verschwand die Atrophie mit Ausnahme von der der
kleinen Muskeln. Verfasser glaubt, dass dasselbe Virus, das den
Herpes verursacht hat, die vorderen grauen Hörner der Medulla
angegriffen und eine poliomyelitisähnliche Affektion hervor¬
gerufen hat.
Fredrik Grön (N): Von merkuri eilen Exanthemen. (Ibidem,
Mai.)
Auf 11 Krankengeschichten gestützt, bespricht Verfasser die
merkuriellen Exantheme. Die Hauptformen sind: Inunktions-
folliculitis, Erythema scarlatiniforme, Erythema haemorrhagicum,
Erythema exsudativum multiforme, Pemphigus. Verfasser be¬
hauptet, dass es sich in seinen Fällen in der Tat um den Einfluss
des Quecksilbers und nicht um Verunreinigung handelt, auf
welche Neisser die Aufmerksamkeit gelenkt hat.
Reidar Gording (N) : Chorea electrica (H e n o c h) —
Physostigmin. (Ibidem, Juni.)
Verfasser referiert einen Fall bei einem 12 jährigen Mädchen,
das genas durch Behandlung mit Physostigmin. Das Kind war
früher % Jahre mit Arsenik behandelt worden, ohne Besserung.
Es wurde täglich 1—2 mal -1 mg Physostigminum salicylicum
injiziert. Im Verlaufe eines Monats nach Anfang des Gebrauches
des Salzes war das Kind gesund. Im Ganzen wurden 16 mg
angewendet. Es traten keine Intoxikationssymptome auf, mit Aus¬
nahme von wenig Nausea nach den letzten Dosen von je 1 mg.
S. H o 1 1 h (N) : Kineskopie, eine neue Methode zur Bestim¬
mung der Refraktion des Auges. (Ibidem, Juni.)
Diese speziell für Augenärzte lesenswerte Abhandlung ist
auch im Les annales d’oeulistique, Bd. 127, pag. 241, April 1902
veröffentlicht worden.
8. M ad sen (N): Ueber die bewegliche Niere vom Stand¬
punkt des internen Arztes. (Nordiskt medicinskt Arkiv. Inre
Medio., Abt. II, H. 1.)
Auf 100 Fälle gestützt hat Verfasser seine Untersuchungen
nach der symptomatischen und therapeutischen Seite hin an¬
gestellt, und soweit es auf klinischem Wege möglich ist, versucht,
über Aetiologie und Pathogenese sich Klarheit zu verschaffen. Die
Abhandlung gibt eine gute Uebersicht von dem landläufigen Stand¬
punkte der internen Aerzte gegenüber diesem Leiden.
W. Törnqvist (S): Ueber Diagnose und Behandlung der
subkutanen Kontusionsrupturen des Darms. (Ibidem. Kirurgi.
Abt. II, H. 1.)
3 Fälle werden referiert. Sämmtlich betrafen sie den Dünn¬
darm, in 2 Fällen Jejunum, iin 3. den unteren Teil des Ileum;
in keinem der Fälle irgend welche äussere Spuren des Unfalles. Die
Patienten wurden* in. der chirurgischen Klinik zu Lund operiert.
Der erste Fall nahm nach einem anfänglich vielversprechenden
Verlauf doch nachträglich einen tödlichen Ausgang, die beiden
letzteren führten zur Heilung. Verfasser erwähnt in seiner Epi¬
krise die Aetiologie, Diagnose und Behandlung. Die bald nach
dem Unfall eintretende und stetig fortschreitende Steigerung der
Pulsfrequenz (bei Abwesenheit anderer auf intraperitoneale Blu¬
tung deutender Symptome), die rasche Verschlechterung des All¬
gemeinbefindens, an Umfang zunehmende Dämpfung über der Ge¬
gend des Traumas, Rigidität der Bauchwand, spontaner Schmerz
und Druckempfindlichkeit sind die Kardinalsymptome. Verfasser
warnt davor, Opium und Morphium vor der Operation oder vor
dem Zeitpunkt, wo die ungefährliche Art der Verletzung mit
Sicherheit hat konstatiert werden können, zu reichen. Verfasser
bespricht eingehend die Operationstechnik, verwirft die Spülung
der Peritonealhöhle mit Kochsalzlösung, legt grosses Gewicht auf
eine ausgiebige Drainage.
E. Stangenberg (S) ; Beiträge zur Kenntnis des Ver¬
hältnisses zwischen Diphtherie und Ohrenkrankheiten. (Ibidem.)
Unter 1000 Diphtheriekranken traf Verfasser bei 24,3 Proz.
auf einen krankhaften Zustand in den Gehörorganen teils ohne,
teils mit objektiven Veränderungen von der Art, dass er Anlass
hatte, denselben mit der diphtheritischen Infektion in Zusammen¬
hang zu bringen. Verfasser meint deshalb, dass die Aeusserung
folgenden Inhaltes: „Hingegen ist die primäre Rachendiphtherie
nach Mitteilungen der Wiener Aerzte nur selten mit Ohraffektioneu
26. August 1902.
MUKNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
143?
kompliziert“, welche wir in der im vorigen Jahre erschienenen
neuen Auflage von Pollitzers Lehrbuch finden, nicht berech¬
tigt ist. Sowohl die von L e w i n "), als die vom Verfasser ver¬
öffentlichten Untersuchungen zeigen deutlich, dass die bisher land¬
läufige Auffassung von dem Verhältnisse zwischen Diphtherie und
Ohrenkrankheiten mehr auf Vermutungen als tatsächlichen Be¬
obachtungen begründet war.
Carl Schoug (S): Ein Fall von Tetanus, mit Tetanusanti¬
toxin behandelt. Heilung. (Hygiea, Juni.)
Verfasser beschreibt einen schweren Fall von Tetanus; der
Patient genas durch Anwendung von T i z z o n i s Tetanusanti¬
toxin (M e r c k).
Patrik H a g 1 u n d (S): lieber W o 1 f f s Transformations¬
gesetz und funktionelle Orthopädie. (Upsala läkareförenings
forhandlingar, Juni.)
Verfasser gibt eine speziell für Nichtspezialisten bestimmte
Uebersiclit über die historische Entwicklung und den Inhalt des
Wolf f sehen Transformationsgesetzes und seine Bedeutung für
die orthopädische Chirurgie und dadurch auch eine Darstellung
des wichtigsten Teils von Wolffs nun abgeschlossener, unver¬
drossener Wirksamkeit im Dienste der Chirurgie. Ausserdem be¬
handelte Verfasser einige Hauptrichtungen in dem nun herrschen¬
den. in bedauerlichem Grade gehässigen Streite um das Trans¬
formationsgesetz. besonders soweit er die sogen. Krahntheorie
betrifft. Aus den hinzugefügten Reflexionen des Verfassers geht
hervor, dass er in seiner Auffassung der Skelettdeformitäten der
W o 1 f f - R o u x sehen Anschauungsweise huldigt, und dass nach
seiner Ansicht von den vielen Angriffen gegen W o 1 f f und seine
Darstellungen es noch keinem gelungen ist, in nennenswertem
Grade die grosse für die Ensteliung und Entwicklung einer ratio¬
nellen Orthopädie in gewissem Grade grundlegende Bedeutung
von W o 1 f f s 3y2 Dezennien langer zielbewusster Forschung zu
mindern.
Prof. .J. W. Runeberg (F): Ueber die sogen. Harnzylinder
in klinisch-diagnostischer Beziehung. (Finska läkaresällskapets
handlingar, Mai.)
Verfasser bespricht die verschiedenen Ansichten von dem Ur¬
sprung der Harnzylinder; er glaubt, dass sie hauptsächlich von
derselben Art sind, nämlich dass sie aus dem koagulierten, ur¬
sprünglich fliessenden Inhalt der Lichtung der Harnkanälchen be¬
stehen. Ihre verschiedenen Formen sind von der ungleichen Be¬
schaffenheit des Inhalts zu dem Zeitpunkte, wo derselbe koagu¬
lierte, bedingt. Verfasser hat schon früher den diagnostischen
Wert der Harnzylinder gezeigt6 7). Er teilt die Zylinder in zwei
Gruppen, je nachdem sie von inflammatorischem oder nicht in¬
flammatorischem Ursprung sind. Die ersten sind mit Leukocyten,
roten Blutkörperchen, Zellkernen u. dergl. bedeckt, in den anderen
findet man gar nicht oder sehr selten Exsudatzellen. Verfasser
zeigt ferner die diagnostische Bedeutung dieser zwei Hauptformen.
Oskari Heikel (F): Neue Beobachtungen von wiederholter
Tubarschwangerschaft bei derselben Frau. (Ibidem.)
Früher haben Forsströ m und L i n d b 1 o m, Assistenten
der gynäkologischen Klinik des Prof. Engström zu Helsingfors,
30 wiederholte Tubarschwangerschaften aus der Literatur ge¬
sammelt. Verfasser berichtet 82 neue Fälle, von welchen 4 aus
der oben erwähnten Klinik.
Otto Engström (F) : Zur Kenntnis der primären Sarkome
des Beckenzellgewebes. (Ibidem.)
Verfasser veröffentlicht 4 eigene und IG früher publizierte
Fälle, und gibt eine Darstellung von der Pathologie und Behand¬
lung derartiger Geschwülste.
Dr. med. Adolph H. Meyer- Kopenhagen.
Inaugiiral-Dissertationen.
Universität Bonn. Juni und Juli 1902.
20. Katt Winkel Willi.: Klinische Erfahrungen mit Jequiritol
und Jequiritolserum.
27. Kirschbaum Julius: Ueber die Erfolge der chirurgischen
Behandlung der Perityphlitis.
28. Weder hake Karl Joseph: Ueber Dormiol.
29. Kemp Johannes: Beiträge zur Kasuistik der diffusen sym¬
metrischen Lipome des Halses (M adelung scher Fetthals).
30. B ähren s Arthur: Die Iletolbehandlung der Lungenschwind¬
sucht.
31. M o h r Friedrich : Beobachtungen über die progressive Para¬
lyse bei Frauen.
32. Greven Paul: Beiträge zur Kasuistik der Aktinomykose.
33. Stoffels Heinrich: Ueber einen Fall von Osteoidsarkom der
Tibia.
34. Re no Karl: Beitrag zur Kasuistik der Darmintussusception.
35. B 1 o e b a um Carl: Ueber Kranioklasie.
30. W i t tmers Fritz: Ueber maligne Tumoren des Kolon.
37. Ermann Daniel: Ueber eine Methode zur Feststellung der
in den menschlichen Fäzes enthaltenen Gewichtsmengen von
Bakterien.
38. Lorent Jakob: Ueber Ileus nach Trauma.
39. Gossling Max: Ueber Nasenrachenfibrome.
6) Siehe das Referat in der Münch, med. Woclienschr. No. 23,
1902, pag. 980.
7) Nord. med. Arkiv 1901. Abteil. II, IT. 1, pag. 1.
Universität Erlangen. Juli 1902.
14. Holm Reimer: Ueber einen Fall geheilter Invagination.
15. Euler Hermann: Ueber den Verlauf der Magen Verdauung
unter verschiedenen physikalischen Einflüssen.
Universität Freiburg. Juli 1902.
33. Ehrle Ernst: Ueber einen Fall von Strumametastase am
Schädel.
34. Nolte Paul: Die Methoden der Radikaloperation bei chro¬
nischen Ohreiterungen.
35. C o li n Bruno: Ueber Inokulationskarzinome.
30. Orth Heinrich: Ueber einen eigentümlichen Fall von Ileus.
37. T e ekle n b u r g Ferdinand: Ueber akute gelbe Leberatrophie,
mit besonderer Berücksichtigung der Fälle von protrahierter
Dauer.
38. Briiel Eduard: Ueber einen Fall von chronischer Osteo¬
myelitis der Skapula, bei dem die Sequestrotomie die temporäre
Resektion der Klavikula notwendig machte.
39. Ullmann Isidor: Ueber Tubercula dolorosa.
40. Engelbrecht Erich : Ueber einen Fall eines branehiogenen
Karzinoms.
41. Cohn Max: I. Ueber zentrale Linsenmyopie infolge Sklerose
des Linsenkerns, II. Ueber Rückbildung von Cataracta trau¬
matica.
Universität Giessen. Juni und Juli 1902.
21. Heinsberger Paul: Zur Kasuistik der retrobulbären
Neuritis optica auf hereditärer Grundlage.
22. Spiegelhoff Johannes Hermann: Beitrag zur Lehre von
der Conjunctivitis blennorrhoica.
23. Faller Emil: Ueber die Totalinkrustation der Pferdeleber1).
24. C u r s c li mann Fritz: Bietet der quere Fiuidalscknitt bei der
Sectio caesarea (G. Fritsch) gegenüber dem Längsschnitt
durch die Corpuswand Vorteile?
25. Bartels Ernst: Cysticercus fasciolaris. Anatomie, Beiträge
zur Entwicklung und Umwandlung in Taenia crassicollis '-).
20. G rips Wilhelm: Ueber einen pyogenen Mikroorganismus des
Schweines 7).
Universität Greifswald. Juni 1902.
21. Henning Martin: Ueber Gangrän beider Beine infolge von
Embolie.
22. Leick Lothar: Ein seltener Fall von Missbildungen (Spalt¬
hand und Spaltfüsse).
23. Schirmer Eugen: Ueber die chirurgische Behandlung der
Spina bifida.
24. Hartmann Max: Ueber Perisplenitis und Perihepatitis
nodosa.
Juli 1902.
25. Lemke Maximilian: Ueber hysterische und epileptische
Krampfzustände und eigenartige Zwangshandlungen in einem
Falle degenerativen Irreseins.
20. Knecht Ernst: Zur Operation des Prolapsus ani et reeti.
27. E d 1 i eh Max: Ein Beitrag zur Kenntnis der Aphasie.
28. Franck Wilhelm: Untersuchungen über pathogene Hefe.
Universität Halle. Juli 1902.
24. S t e 1 z n e r Helena Friederike: Resultate und Dauererfolge bei
SO Fällen von vaginalen Totalexstirpationen bei Prolaps, aus
den Kliniken von Basel und Halle.
25. T o o p Ernst: Ueber den Einfluss der Atmung und Bauchpresse
auf die motorische Funktion des Magens.
Universität Marburg. Juni und Juli 1902.
15. Baumhöfener Hr. Friedr. Willi.: Die mit chronischer
Nephritis komplizierten Geburtsfälle der Marburger Ent¬
bindungsanstalt aus den Jahren 1883 — 1900.
10. Eichel Clemens: Ueber einen Fall von Melanom beim Pferde.
17. Genth Adolf W. : Experimentelle Untersuchungen über die
Einwirkung infizierter Verbände auf aseptisch gesetzte Wun¬
den des Augapfels nebst Bemerkungen über Augenverbände
überhaupt.
18. Gluszezewski Joli. : Die akute halluzinatorische Verwirrt
heit als Initialstadium bei Melancholie.
19. Hess Otto: Ueber Stauung und chronische Entzündung in der
Leber und den serösen Höhlen. (Habilitationsschrift.)
20. Koerber Herrn.: Ueber Gliorna und Pseudoglioma retinae.
21. Mohrmann Rud.: Ueber die Entstehung des Puerperal¬
fiebers auf hämatogenem Wege
22. Reinhardt Karl Willi.: Untersuchungen der Butter der
Marburgev Gegend auf ihren Bakteriengehalt.
Universität München. Juli 1902.
09. Sasaki H.: Ueber die Sauerstoffinhalationen.
70. Groedel Theodor: Ueber die physiologische Wirkung von
Calcium-Natrium- und Kaliumchloridbädern, insbesondere auf
den Blutdruck.
71. Eiehler Felix: Ueber die Komplikation von Fibromyomen
mit Adenocarcinoma corporis Uteri.
72. Henning Emil: Ueber wahre Zwerchfellhernien nebst einem
neuen Fall.
’) Ist veterinär-medizinische Dissertation.
2) Ist Dissertation der philos. Fakultät.
1438
MUENCHENER MEDIC1NTSC1LE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
73. Hess Max: Ueber Perforationen bei Oesophaguskarzinom und
einen Fall von Oesophaguskarzinom mit Perforation in die
rechte Lunge.
74. Iv ö h n 1 e i n Georg: Ein Fall von Naevus linearis verrucosus.
75. Marburg Otto: Ueber 45 osteoplastische Amputationen
nach Pirogoff, G r i 1 1 i und Bier.
70. Bauer Fritz: Ueber kryptogenetische Septico-Pyämie.
77. W itte Johannes: Studien über das Verhältnis von elastischen
Fasern und Tuberkelbazillen im tuberkulösen Sputum.
78. Kelim Otto: Ein Beitrag zur Kasuistik der multiplen Sar-
komatose.
79. W olfer Otto: Ein Fall von Hysterie und hysterischer Psy¬
chose im Anschluss an Aethereinwirkung.
80. liiemann Hermann: Ein Fall von Zehenkarzinom.
81. Binswanger Eugen: Ueber mesenterialen Duodenalver¬
schluss. . m
82. II ü 1 1 i g Johannes: Pseudoleukämie und lymphatische tuber¬
kulöse.
83. Alb recht Eugen: Ueber den Untergang der Kerne m den
Erythroblasten der Säugetiere. Ein Beitrag zur Lehre von der
Kerndegeneration.
84. Wilczynski Tadeusz: Beitrag zur Kasuistik der Sarkome
der Lendenwirbelsäule.
85. Gramer Moritz: Ein Fall von marantischer Thrombose im
Sinus longitudinalis und in einer Lungenvene.
80. Gift Philipp: Stieltorison bei einem grossen subserösen Myom
des Uterus. ,
87. Katzen stein Leopold: Ueber amyotrophische Lateral¬
sklerose (nebst zwei Fällen).
88. Fleischmann Paul: Kasuistischer Beitrag zur Lehre von
den diffuseitrigen Entzündungen der Gallenblase.
89. Weiss Georg: Ueber eitrige Peritonitis im Anschluss an
Periproctitis und Retroperitonealphlegmone.
90. Deichstetter Heinrich: Ueber einen Fall von primärem
Schweissdrüsenkarzinom.
91. Peckert Fritz Joachim: Zur Kasuistik der Embolie der
Lungenarterien.
92. Ruh wand 1 Franz: Ueber multiple Divertikelbildung im
Intestinaltraktus.
93. P r i e s a c k August: Ein Fall von Alveolarechinococcus der
Leber.
94. Frankel Alfred: Ueber Lungengangrän.
Universität Rostock. Juni— August 1902.
15. Adam Georg: Zum periodischen Irresein.
10. Becker Hugo: Pharmakologische Untersuchungen über einige
Morphinderivate.
17. Büttner Otto: Die Eklampsie im Grossherzogtum Mecklen¬
burg-Schwerin während der Zeit vom 1. Juli 1885 bis zum
31. Dezember 1891. (Habilitationsschrift.)
18. Ehrich Karl: Die Gesichtslagen in der Münchener Universi¬
täts-Frauenklinik in den Jahren 1896 — 1900.
19. Grubel Walther: Ueber die Luxation der Linse in die vor¬
dere Kammer.
20. Haupt Hans Georg: Beiträge zur Kenntnis der Schwefel¬
kohlenstoffvergiftung.
21. Kasten Friedrich: Ueber den therapeutischen Wert der
Nebennierensubstanz.
22. Kawachi Saburo: Beitrag zur Kenntnis von der alimentären
Glykosurie e saccharo.
23. Kayser Johannes: Beitrag zur Differentialdiagnose zwischen
den echten Tuberkelbazillen und den beiden säurefesten Ba¬
zillen, Grasbazillus Thimothee-Görbersdorf und Butterbazillus
Rabinowitsch.
24. Krische Friedrich: Ein Fall von primärem Krom-
pecher sc-hen diäisenartigem Oberflächenepithelkrebs in ge¬
schlossenem Atherom.
25. Kühn Adolf: Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Nerven-
verlaufs in der Rückenhaut von Iiana fusca. (Habilitations¬
schrift.)
26. L ii n e b u r g Ernst: Beiträge zur Entwicklung und Histo¬
logie der Knäueldrüsen in der Achselhöhle des Menschen.
27. Mrosack Gerhard: Ueber zwei durch Milch verursachte
Typhusepidemien.
28. Sc hultze Paul: Beitrag zur Lehre der psychischen und ner¬
vösen Erkrankungen infolge von Verletzungen und Unfall.
29. Wagner B.: Zur Kenntnis der erworbenen und an¬
geborenen Rechtslage des Herzens.
30. Wollenberg Gustav Albert: Klinische Erfahrungen über
die Behandlung der Tuberkulose mit Geosot (Guajacolum
valerianicum).
31. Yagi Itsuro: Einiges über Adstringentien und deren Ersatz¬
mittel in der Augenheilkunde.
Universität Strassburg. Juli 1902.
17. Re iss Emil: Der Brechungskoeffizient des Blutserums als
Indikator für den Eiweissgehalt.
18. Bürkle Franz Josef: Venöse Stauung als Ursache von
Hämatocele retrouterina.
19. Weeber M.: Ueber Uterus bicornis unicollis und seine Be¬
ziehungen zu Schwangerschaft und Geburt.
20. Haag Alphons: Ein seltener Fall von teleangiektatischem
hämatocystischem Uterusmyom mit Gravidität.
21. Schaeffer Gustav: Zur Frage der Behandlung der Uterus¬
ruptur.
22. Theodore Ernst: Experimenteller Beitrag zur zeitlichen
Entwicklung der sekundären Degeneration im Hunderücken¬
mark.
23. Guleke Nicolai: Beitrag zur Statistik des Mammakarzinoms.
24. Lichtenberg Fritz: Ueber die Beweglichkeit des Beckens
von Neugeborenen.
Universität Tübingen. Juli 1902.
30. Eh mann Joseph: Ein Beitrag zur Lehre von der Refraktion
des aphakisclien staroperierten Auges.
31. G ii n z e 1 Gustav: Ueber die Entwickelung des Karzinoms in
Narben, besonders den Geschwürsnarben des Magens.
32. Kallenberger Walter: Ueber Kombination von Tuber¬
kulose und Karzinom der Mamma.
33. K ohrt Gottfried: Ueber Geburt beim engen Becken nach dem
Material der Tübinger Universitäts-Frauenklinik.
34. Maier Friedrich Jacob: Zur Aetiologie der Chorioiditis disse¬
minata.
35. Magenau Friedrich: Ein Fall von Geburtserschwerung durch
kongenitale Hydronephrose nebst einer Zusammenstellung ähn¬
licher Fälle aus der Literatur.
36. Schmid Paul Constantin: Anatomischer Beitrag zur Kennt¬
nis der Dermoide.
37. Veit Eugen: Statistische Uebersicht über die in den Jahren
1896 bis 1901 in der Tübinger Augenklinik beobachteten Augeu-
krankheiten.
Universität Würzburg. Juli 1902.
35. Anspach Adam: Ein Fall von schwerer Verbrühung und
Gangrän beider unterer Extremitäten.
36. C li i 1 i a n Otto: Ueber die Beeinflussung der Vergiftungen mit
Nitrobenzol, Dinitrobenzol, Paranitrochlorbenzol und Dinitro-
chlorbenzol durch Alkohol.
37. Meissner Paul: Symmetrie bei Geschwulstbildungen.
38. Nieveling Wilhelm: Ueber Polypenbildungen im Magen¬
darmkanal und einen seltenen Fall von Papilloma nud Krebs
des Rektums.
39. Staude r Alfons: Ueber Sarkome des Ovariums.
40. Stein Wilhelm: Ueber Darmgeschwüre bei Urämie.
41. Stier Heinrich: Die Tuberkulose der Mamma und der
axillaren Lymphdrüsen in ihren Beziehungen zu den Ge
schwülsten der Mamma.
42. Wagner Willy: Ein Fall von sogen, gliomatöser Hyper¬
trophie des Pons und der Medulla oblongata.
43. Weber Ernst: Ueber die geschichtliche Entwicklung der
anatomischen Kenntnisse von den weiblichen Geschlechts¬
organen.
44. Weiss Richard: Ueber 2 Fälle von primärem Leberkrebs,
nebst Bemerkungen über die Beziehungen des Leberkarzinoms
zur Cirrhose.
45. Wey ermann Hans: Geschichtliche Entwicklung der Ana¬
tomie des Gehirns.
Vereins- und Kongressberichte.
Verein Freiburger Aerzte.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 30. Mai 1902.
Herr Goldmann: Ueber Osteitis deformans und ver¬
wandte Erkrankungen des Knochensystems. (Mit Kranken¬
vorstellung und Projektionsbildern von anatomischen Prä¬
paraten.)
An der Hand von Projektionsbildern, die zum Teil den
Originalabhandlungen von Sir James Paget entnommen, zum
Teil nach Skeletten im „Royal College of Surgeons London“
gemacht waren, entwarf der Vortragende ein klinisches und ana¬
tomisches Bild der von Sir James Paget im Jahre 1876 zu¬
erst beschriebenen „Osteitis deformans“. Eingehender erörterte
er die charakteristischen Veränderungen an den langen Röhren¬
knochen der unteren Extremitäten, insbesondere die Elongations-
erscheinungen an ihnen und die „Säbelscheidenform“ der Tibia.
Er verglich diese Veränderungen mit jenen, die bei der Lues
hereditaria tarda (Fournier) angetroffen werden. Aus seiner
eigenen Erfahrung teilte er zwei Eälle mit, bei denen der Osteitis
deformans völlig entsprechende Knochenbefunde angetroffen
wurden. Besonders schön liess sich die Erkrankung an Röntgen¬
bildern, die demonstriert wurden, verfolgen.
In dem einen Falle (32 jährige Dame) hatte die Knochen¬
erkrankung in früher Jugend begonnen, stetige', langsame Fort¬
schritte gemacht und jetzt schon hochgradige Verdickungen, Ver¬
krümmungen und Strukturveränderungen der Tibia veranlasst.
Eine Ursache war nicht zu eruieren. Jodkali brachte allein eine
Linderung der subjektiven Beschwerden herbei.
In dem 2. Falle (9 jähriger Knabe) war der Knochenbefund
der gleiche wie im ersten. Nur war neben den unteren Extremi¬
täten der Humerus der einen Seite affiziert. Hier hat die Unter-
26. August 1902.
MUEN CHEN ER MEDIC1NISCIIE WOCHENSCHRIFT
1439
sucliung der Eltern und eine bei dem Patienten später aufgetretene
Iritis die hereditär luetische Natur der Erkrankung aufgedeckt.
Der Vortragende steht nicht an, die Knochenerkrankung bei
der Osteitis deformans und bei der Lues hereditaria tarda, vom
pathologisch-anatomischen Standpunkte betrachtet, für identisch
zu erklären.
Und doch wird von Paget und allen späteren Autoren die
luetische Natur der Osteitis deformans in Abrede gestellt. Als
wesentliche Gründe für diese Auffassung werden angeführt:
1. Das Fehlen sonstiger luetischer Symptome bei der
Osteitis deformans.
2. Die Erfolglosigkeit der antiluetischen Behandlung.
3. Das späte Auftreten der Erkrankung, das auch die An¬
nahme einer hereditären Lues ausschliessen soll.
Hiergegen macht der Vortragende geltend, dass auch bei der
Lues hereditaria tarda häufig ausser der Knochenerkrankung
anderweitige Läsionen vermisst werden. Sehr wahrscheinlich
ist in solchen Fällen eine in frühester Kindheit aufgetretene
primäre Lokalerkrankung unbeachtet geblieben, was sehr wohl
bei der Osteitis deformans auch der Fall gewesen sein könnte.
Ferner bemerkt er, dass die Erfolglosigkeit der antiluetischen
Behandlung ein unsicheres Kriterium für die Diagnose luetischer
Erkrankungen abgiebt und führt aus der Literatur Fälle an,
bei denen neben einer typischen Osteitis deformans zweifellose
luetische Affekte bestanden, die gleichfalls bei der antiluetischen
Behandlung unbeeinflusst blieben.
Vor Allem wandte sich der Vortragende gegen die Annahme,
die Osteitis deformans sei eine Erkrankung ausschliesslich des [
höheren Alters. Auch die Lues hereditaria tarda kann erst
aussergewöhnlich spät, ebenso wie die Osteitis deformans ausser-
gewöhnlich früh (eigene Beobachtung) in die Erscheinung treten.
Der Vortragende stellte fest, dass in etwa 70 Proz. der mit¬
geteilten Fälle von Osteitis deformans die Elongation der
langen Röhrenknochen erwähnt wird. Ueberaus häufig wurden
Längendifferenzen z. B. der beiden Tibiae notiert, die
allein auf eine Verlängerung der einen Seite zurückgeführt
werden darf. Alle diese Befunde deuten darauf hin, dass der
Beginn der Erkrankung in die Periode des epiphysären
Längswachstumes der Röhrenknochen zurückliegt, wenn
anders nicht ein „interstitielles“ Längenwachstum der Röhren- |
knochen supponiert wird.
Wenn auch der Vortragende weit davon entfernt ist, die
Osteitis deformans als eine hereditär-luetische Affektion anzu¬
sprechen, so möchte er die ihm prinzipiell wichtige erscheinende
Thatsache festlegen, dass die Osteitis deformans eine Erkran¬
kung darstellt, die in den Wachstums jahren anhebt
und erst in der zweiten Lebens hälfte ihre wesentliche
Blüte zeitigt.
Endlich erwähnte der Vortragende das Vorkommen von
Osteitis deformans-ähnlichen Erkrankungen bei Tieren. Er de¬
monstrierte ein Skelett eines Huhnes (aus der Sammlung des
College of Surgeons London), an dem die langen Röhrenknochen
abenteuerliche Auftreibungen und Verunstaltungen erfahren
hatten und besprach die von D o r (Revue de Chirurgie 1902,
10. April) vertretene Ansicht, dass die „K 1 e i e n k r a n k h e i t“
des Pferdes eine der Osteitis deformans analoge Krankheit dar¬
stelle. Der Vortragende verspricht sich von einer experimentellen
Untersuchung Aufschlüsse über die zahlreichen, bisher un¬
erforschten Probleme der Systemerkrankungen des Knochens.
Im Anschluss an den obigen Vortrag demonstriert Gold-
m a n n zwei Fälle von periostealem Sarkom der Tibia, in denen
er mit ausgezeichnetem Erfolge eine konservative Behandlung
durchgeführt hat. Beide Fälle sind vor 2 Jahren operiert worden.
In dem ersten Fall befand sich das Sarkom im oberen Tibiadrittel.
Nach Resektion der betreffenden Knochenpartie wurde die unter¬
halb ihres Köpfchens durchtrennte Fibula in den zentralen Tibia¬
stumpf implantiert (Verfahren von II a h n). Es trat vollständige
Fixation ein: jetzt ist die implantierte Fibula fast der gesunden
Tibia an Dicke gleich. (Durch Röntgenaufnahmen erwiesen.)
Im 2. Falle wrar das Sarkom am unteren Tibiadrittel lokali¬
siert. Die Kontinuität der Tibia wurde nach Entfernung des er¬
krankten Abschnittes dadurch hergestellt, dass ein entsprechendes
Stück der Fibula reseziert und die Knochenenden mit Draht ver¬
näht wurden. (Verfahren von v. Bergman n). Die anfangs be¬
merkbare Muskelatrophie an dem verkürzten Gliede ist durch ent¬
sprechende Behandlung völlig beseitigt worden.
(Autoreferat.)
Herr Stegmann: a) lieber neuere Operationsverfahren
für die Entfernung von Halsdrüsen, b) Demonstrationen.
Die Tuberkulose der Halsdrüsen ist meist die erste Lokali¬
sation der Tuberkulose im menschlichen Körper; die Halsdrüsen
bieten den ersten Schutzwall gegen die Tuberkelbazillen, die vom
Luftstrom in Mund und Rachen getragen und von den Lymph-
bahnen in die Lymphdrüsen des Halses geführt werden. Vor¬
tragender hat die Beobachtung gemacht, dass sehr häufig bei ein¬
seitiger Erkrankung der Halsdrüsen die Lungenspitze der
gleichen Seite tuberkulös affiziert war. Sind daher die Drüsen
des Halses tuberkulös erkrankt, so empfiehlt sich eine möglichst
baldige und gründliche Entfernung. Die Operation der Hals¬
drüsen ist nur bei Publikum und Arzt in Verruf gerathen, weil
die Operation erstens bei Erkrankung mehrerer zerstreut liegen¬
der Drüsen eine entstellende und zweitens in Folge der Rezidive
eine unzulängliche ist. Es empfiehlt sich daher ein Operations¬
verfahren, wie es von Dower angegeben ist, wie es im hiesigen
Diakonissenhaus seit mehreren Jahren mit dem besten kos¬
metischen und therapeutischen Erfolg angewandt ist. Das
Wesentliche des Verfahrens ist die Bildung eines Hautlappens,
durch welchen die Möglichkeit gegeben ist, den ganzen Hals frei¬
zulegen. Der Hautschnitt verläuft etwas unterhalb des unteren
Kieferrandes bis etwa zur Spitze des Proc. mastoideus, wendet
sich dort in langsamem Bogen nach abwärts zum Vorderrand des
Kukullaris und endigt etwas oberhalb der Klavikula. Der ITaut-
lappen wird nun zurückpräpariert, die oberflächlichen Drüsen
entfernt und bei Erkrankung der tieferen Schicht der Muse,
sternocleidomastoideus etwa in seiner Mitte temporär durchtrennt
und die Vena jugularis von den sie oft völlig einmauemden, er¬
krankten Drüsen befreit. Schliesslich wird der N. accessorius, in
dessen Verlauf fast immer erkrankte Drüsen zu finden sind,
sauberpräpariert. Auch die Fossa supraclavicularis ist voll¬
ständig zugänglich. Bei Ausräumung der Submaxillargegend
entsteht öfters eine entstellende Schiefstellung des Mundes, die
durch die Durchtrennung der mit der Art. und Vena maxillaris
ext. emporsteigenden Anastomose des N. cervicalis I und des
Ramus marginalis des N. facialis bedingt ist. Diese Schief¬
stellung zu beseitigen, wurde nachträglich auf der anderen Seite
die Maxillaris ext. freigelegt und ein etwa 1 cm langes Stück
der Anastomose mit vollem kosmetischem Erfolg reseziert; es
gleicht sich übrigens die Schiefstellung des Mundes nach Jahren
spontan aus. — Der Vortragende demonstriert nun einige Pa¬
tienten, an welchen die Operation mit bestem Resultat in kos¬
metischer und therapeutischer Beziehung ausgeführt wurde.
Ausserdem macht er an der Hand mehrerer Fälle auf die vorzüg¬
lichen Ergebnisse des Kocher sehen Kragenschnittes bei
Kropfoperationen aufmerksam und führt zuletzt einen inter¬
essanten Fall von Thyreoptose mit intrathorazischer Struma vor,
bei welchem die Resektion des tief hinter dem Sternum sitzenden
hühnereigrossen Knotens durch Emporziehen mittels Seidenliga¬
turen gelang, die mit langen Nadelhaltern durch die Struma ge¬
legt waren. (Autoreferat.)
Verein der Aerzte in Halle a. 8.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 14. Mai 1902.
V orsitzender : Herr G e n z m e r.
Herr Sobernheim: Die neueren Anschauungen auf
dem Gebiete der Lehre von der Immunität.
Seitdem Pasteur zuerst die Möglichkeit der Immuni¬
sierung mit Hilfe abgeschwächter Bakterienkulturen gezeigt hatte,
ist man auf diesem Wege alsbald in erfolgreicher Weise vor¬
gegangen und hat für die meisten Infektionserreger ganz all¬
gemein die Tatsache bestätigt gefunden, dass Tiere, denen zu¬
nächst eine krankmachende Dosis eines pathogenen Mikroorganis¬
mus einverleibt wird, nach Ablauf der Reaktion über deutliche
Immunität verfügen.
Vortragender bespricht die verschiedenen, früher zur Er¬
klärung der erworbenen bezw. künstlich erzeugten Immunität
gegebenen Hypothesen, weist deren Unhaltbarkeit nach und zeigt,
dass erst durch die Arbeiten Behrings und E h r 1 i c h s der
entscheidende Fortschritt in der Erkenntnis des Immunitäts¬
phänomens gewonnen wurde. Die weitere Forschung deckte be-
1440
No. 34.
MUENCHENER MEDIOINISC1IE WOCHENSCHRIFT.
merkenswerte Unterschiede in dem Charakter der Immunität bei
den verschiedenen Infektionen auf und liess die Notwendigkeit
zu Tage treten, den Zustand eigentlicher Infektions-
festigkeit von dem der Giftfestigkeit, antibak¬
terielle Immunität von antitoxischer, antibak¬
terielle Immunsera von antitoxischen Seris
streng zu scheiden. Die Ergebnisse, zu denen das von zahlreichen
Forschern unternommene Studium der Eigenschaften, Herkunft
und Wirkungsweise der spezifischen Schutzstoffe des Immun¬
serums führte, veranlassen Ehrlich schliesslich zur Auf¬
stellung seiner bekannten Seitenkettentheorie.
Diese Ehrlich sehe Hypothese wird an der Hand schema¬
tischer Zeichnungen vom Vortragenden ausführlich erläutert
und deren experimentelle Begründung sowohl für die anti-
toxischen als auch für die antibakteriellen Immunsera im ein¬
zelnen dargetan. Im besonderen wird betont, wie dadurch die
früher scheinbar unvermittelt sieh gegenüberstehenden Anschau¬
ungen von dem bakteriellen Ursprung der spezifischen Antikörper
einerseits, ihrer Erzeugung durch den tierischen Organismus
andererseits in befriedigender Weise in Einklang gebracht und
dem Verständnis näher geführt worden sind.
Den Schluss des Vortrages bildete der Hinweis auf die
physiologisch bedeutsame Tatsache, dass die bei der Bakterien¬
immunität gemachten Erfahrungen sich nicht auf dieses eng um¬
grenzte Gebiet nur beschränken, vielmehr allgemeine Gültigkeit
besitzen, insofern, als der Organismus auf die Einverleibung der
allerverschiedensten Zellelemente, ja auch auf die Zufuhr ge¬
wisser gelöster, eiweissartiger Substanzen mit der Erzeugung von
Gegenstoffen zu antworten pflegt. Die Analogie der antitoxischen
und antibakteriellen Immunsera mit den immunisatorisch er¬
zeugten Hämolysinen, Präzipitinen u. s. w. hat der Ehrlich-
scheu Hypothese nicht nur eine neue und sehr wichtige Stütze,
sondern zugleich auch den Charakter einer Lehre von allgemeiner
physiologischer Bedeutung verliehen.
Besprechung: Herr Weher wirft die Frage auf, oh
die Bakterien als solche oder nur ihre Gifte als die
eigentliche Ursache der Krankheit anzusehen seien.
Herr Sobernheim erwidert, dass ohne Zweifel letzteres
der Fall, da man im stände sei, aus Bakterienkulturen Giftstoffe
zu gewinnen, welche genau die gleiche spezifische Erkrankung
liervorrüfen, wie die lebenden Infektionserreger. Auch wo der
Nachweis derartiger Giftstoffe bisher nicht gelungen, sei deren
Existenz doch mit grösster Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Herr Weber hebt hervor, dass wir diese Gifte aber bisher
nicht in chemisch greif b a r e r Form darstellen, sondern
nur Beobachtungen über ihre Wirkungen machen können. Die
Lehre von den Toxinen und Antitoxinen ist daher noch eine Hypo¬
these, wenn auch eine sehr wahrscheinliche und der Gewissheit
nahe kommende. Eine, wenn auch nicht vollkommene, Immunität
gegen manche Gifte kann durch langsame Ge wöhnung an die¬
selben erzeugt werden. Hier kennt man die chemische Zusammen¬
setzung der Gifte, weiss aber nicht, welche Veränderungen im
Körper die Immunität herbeiführen, z. B. bei Arsenik, Nikotin;
Alkohol. Bestehe liier eine Analogie mit der durch die Bakterien¬
gifte hervorgerufenen Immunität?
Herr Sobernheim bestreitet, dass wir es auf dem Ge¬
biete der künstlich erzeugten bezw. erworbenen Bakterien¬
immunität nur mit Theorien zu tun hätten. Es sei hier vielmehr
ein ganz gewaltiges Tatsachenmaterial während der
letzten Jahre zusammengetragen worden und nur die Erklä¬
rung sei vielfach mehr oder weniger hypothetischer Natur.
Wenn man die Gifte und die mit ihnen wohl unmittelbar iden¬
tischen immunisierenden Substanzen auch noch nicht in chemisch
reiner Form habe gewinnen können, so sei man doch im stände,
mit ihnen auf das genaueste zu experimentieren.
Die G e w öhnung an das Arsen und ähnliche Stoffe sei
k eine echte I m m u n i t ä t und führe nicht zur Entwickelung
von spezifischen Antikörpern im Blut der betreffenden Individuen.
1 >as letztere sei eben das charakteristische Merkmal für die
eigentliche, durch Bakterien erzeugte Immunität.
Herr Genzme r wirft die Frage auf, ob denn nicht bei der
Behandlung mit chemischen Giften oder bei fortgesetztem Genuss
derselben doch auch im Blute oder Serum der Tiere ähnliche Ver¬
änderungen nachgewiesen werden könnten, wie nach der Ein¬
führung von Bakteriengiften mit analogen Eigenschaften.
Herr Sobern li e i m verneint das im allgemeinen auf das
entschiedenste, wie z. B. Versuche mit Tetanustoxin auf der einen,
mit Strychnin auf der anderen Seite gezeigt hätten. Beide Zu¬
stände müssen streng auseinander gehalten werden. Die Gewöh¬
nung an Alkohol, Morphium, Kokain etc. lässt keine spezifischen
Antikörper im Blute entstehen. Nur gewisse Giftstoffe eiweiss-
a r t i g e r Natur (Schlangengift, Abrin, Iticin etc.) verhalten sich
hier ähnlich wie die Bakteriengifte, indem sie die Möglichkeit der
Immunsierung und Antitoxinerzeugung bieten.
Herr Nebel thau bezweife’t. ob die vom Vortragenden er¬
wähnten Versuche von Wassermann in der Tat für die
E h r 1 i c li sehe Theorie verwendet werden könnten.
Herr R i s e 1 wünscht zu erfahren, welche Zellen des Tier¬
körpers denn eigentlich der spezifischen Beeinflussung unterliegen.
Herr Sobernhei m erwidert, dass das wahrscheinlich für
jedes Gift besondere Zellen seien; freilich sei das bisher noch nicht
mit Bestimmtheit für alle Infektionskrankheiten ermittelt; bei
dem Typhus und bei der Cholera seien als Bildungsstätte für die
Antikörper namentlich das Knochenmark und die Milz anzusehen,
bei dem Tetanus wahrscheinlich Gehirn und Rückenmark.
Die Wassermann sehen Versuche zeigen freilich noch eine
Lücke; es fehlt der endgültige und einwandfreie Nachweis,
dass die im Gehirn des normalen Tieres vorhandenen Stoffe die¬
selben seien wie die im Immunserum gefundenen.
Herr Tsclier m a k hebt hervor, dass die Ehrlich sehe
Theorie von der anpassungsweisen inneren Sekretion der Immun¬
körper sehr gut übereinstimme mit unseren neueren Kenntnissen
von der anpassungsweisen äusseren Sekretion im Intestinaltrakt
und mit dem plausiblen Gedanken an eine gleichfalls anpassungs¬
weise innere Sekretion überhaupt. Die Idee der quantitativen und
qualitativen Anpassung der Arbeit der Verdauungsdrüsen und die
Idee der spezifischen Reizbarkeit derselben (Pawlow) haben die
Physiologie der Sekretion völlig umgestaltet. Zwischen den
Immunkörpern und den Fermenten bestehen mehrfache Analogien,
so die spezifische Beziehung zwischen Ferment und Substrat
(E. Fischer). Einen Unterschied bedeutet vielleicht das Ge¬
bundenwerden der Immunkörper, während die katalytisch wirk¬
samen Seitenketten der Fermente anscheinend am Eiweisskern
haften bleiben. Doch scheinen sich künstlich die wirksamen
Seitenketten bestimmter Fermente, so jene des Trypsins (Hüfner)
und der Diastase (Barth-Zulkowsk i), abspalten zu lassen,
ohne ihre Wirksamkeit zu verlieren.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. J uni 1902.
Vorsitzender : Herr E. Fraenke 1.
Schriftführer : Herr Molt -recht.
I. Demonstrationen:
1. Herr Molt recht demonstriert Magen und Duodenum
eines 7 j ä hrigen Mädche n s, welches an Blutung' aus einem
Ulcus duodeni zu Grunde gegangen war. Die Pat. litt an einer
eitrigen Wurmfortsatzerkrankung, welche zur Peritonitis geführt
hatte. Der Tod war ganz plötzlich erfolgt, nachdem reichlich
schwarzes Blut durch den Stuhl abgegangen war. Bei der Ob¬
duktion fand sich neben der Peritonitis etc. im Magen ein über
mannesfaustgrosser, schwarzroter Blutklumpen, welcher einen völ¬
ligen Ausguss des Magens darstellte, desgleichen ein Ausguss des
Duodenums, ferner noch reichlich Blut in den tieferen Darm¬
abschnitten. ln der Magenschleimhaut, nahe der Einmündung der
Speiseröhre, lag ein schmales, etwa 1(4 cm langes, scharf räudiges
Geschwür, in dessen glattem Grunde die Muskularis sichtbar war.
Ein zweites, bohnengrosses Geschwür von gleichem Bau fand sich
im Pylorusring. Aus beiden konnte eine so profuse Blutung nicht
erfolgt sein. Etwa 1(4 ein unterhalb des Pylorus fand man da¬
gegen ein kreisrundes, etwa % cm im Durchmesser betragendes,
kraterförmiges Geschwür mit derben, glatten, etwas erhabenen
Rändern und glattem, die Muskularis blosslegendem Grunde,
dessen Umgebung nichts Besonderes darbot. Im Grunde des Ge¬
schwürs lag eine in Stecknadelkopfgrösse arrodierte, für eine feine
Sonde bequem durchgängige Arterie, welche sich als Arteria
gastro-duodenalis erwies. Aus dieser hatte also die Blutung statt¬
gefunden. Auffallend ist bei diesem Fall das geringe Alter der
Pat., das multiple Auftreten von Magen- und Darmgeschwüren
und das Vorkommen eines Duodenalgeschwürs beim weiblichen
Geschlecht, welches beim Manne etwa 10 mal häufiger auftritt
als bei der Frau. Das vorliegende Ulcus hat mit der Peritonitis
und der Wurmfortsatzerkrankung nichts zu tun, sondern ent¬
spricht in seinem Bau durchaus einem alten, typischen Ulcus ex
digestione.
Herr E. Eraenkel berichtet über grosse Metastasen, die
von einem nur kleinen primären Karzinom ausgegangen sind.
Solange diese Metastasen innere Organe betreffen, sind sie von
geringer praktischer Bedeutung, anders aber, wenn es sich um
leicht zu palpierende Gegenden handelt, wie Hals und Leisten¬
gegend. Herr Fr. will heute nur über die sekundären Karzinome
der Halsregion reden. Man findet oft grosse Tumoren der Hals-
lymphdrüsen, deren Natur durch Probeexzision festgestellt wer¬
den muss. Handelt es sich dann um Karzinome, so ist die se¬
kundäre Natur des Tumors, der durch seine Grösse oft das ganze
Krankheitsbild beherrscht, bewiesen und es bedarf nun einer ge¬
nauen Untersuchung der Wurzelgebiete dieser Lymplidrüsen. Es
gelingt oft nicht, den primären Tumor zu finden, da er sehr ver¬
steckt liegen kann, wie z. B. im Sinus piriformis, und da oft nur
einer kleine primäre Geschwulst vorliegt, welche grosse Drüsen¬
metastasen gemacht haben kann. So hat F. einen Fall gesehen,
bei welchem eine Ausräumung der Halsdrüsen einer Seite vor¬
genommen wurde und wo man dann bei der Obduktion (Pat. starb
an einer Blutung") ein primäres Karzinom der Epiglottis fand.
26. August 1902.
MUENCHEHER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1441
Ein weiterer Sitz solch kleiner, versteckter Tumoren kann
der Oesophagus sein. Fr. legt den Oesophagus eines Mannes vor,
welcher zwischen den Köpfen des Sterno-cleido-mastoideus eine
Geschwulst aufwies, die inzidiert, später entfernt wurde. Mikro¬
skopisch handelte es sich um Plattenepithelkrebs. Schon nach
3 Wochen waren grosse lokale Rezidive vorhanden, nach 8 Wochen
erfolgte der Tod. Bei der Obduktion fand sich der vorliegende
kleine, warzige Tumor des Oesophagus an der Bifurkationsstelle.
Da keine Stenose, keine Schluckbeschwerden vorhanden waren,
ist es erklärlich, dass die Aufmerksamkeit sich nicht auf den
Oesophagus gerichtet hatte.
Ein anderer Pat. zeigte zunächst als einziges Symptom
Drüsenschwellung am Halse, später Lähmungen in beiden Armen.
Man diagnostizierte einen malignen Tumor der Wirbelsäule. Die
Obduktion ergab nun ausser den schon makroskopisch als Krebs¬
metastasen imponierenden Drüsenschwellungen ein kleines Kar¬
zinom des Oesophagus, ebenfalls an der Bifurkation (Demon¬
stration). Es handelt sich hier um die infiltrierende Form des
Karzinoms. Durch Ueberwuchern ltrebsiger Drüsen auf die
Wirbelsäule ist es zu einer schweren Zerstörung der letzteren ge¬
kommen. 2 Wirbel am Uebergang von Hals- in Brustwirbel¬
säule sind völlig vernichtet und ein starker Gibbus daselbst ent¬
standen. Sehr gut illustriert diese Knochenveränderung die de¬
monstrierte Röntgenplatte. Am stärksten sind der 7. Hals- und
1. Brustwirbel zerstört, die anderen sind stark komprimiert.
Fr. hält es für angezeigt, da, wo Drüsentumoren am Halse
auftreten, vor ihrer Exstirpation eine mikroskopische Unter¬
suchung vorzunehmen, um entscheiden zu können, ob nicht nur
Metastasen vorliegen. Zu achten ist darauf, dass die Probe¬
exzision in gehöriger Tiefe vorgenommen wird. Findet man dann
Karzinom, so ist es ja sicher, dass man Metastasen vor sich hat,
schwerer ist die Entscheidung beim Sarkom.
Diskussion: Herr S i m m onds hat ebenfalls mehrfach
die Erfahrung gemacht, dass Lyinphdrüsentumoren am Halse sich
bemerkbar machten, bevor die primäre Geschwulst in Kehlkopf
und Rachen gefunden war. Ein paarmal gab der mikroskopische
Nachweis eines Kankroids in den Drüsen erst den Anlass zu
einer genaueren Revision jener Organe. Kürzlich bekam er eine
eiterähnliche Flüssigkeit aus einem spontan perforierten Abszess
am Halse zu untersuchen; mikroskopisch fand sich erweichter
Plattenepithelkrebs. Erst dann wurde bei genauer Inspektion des
Kehlkopfeingangs der primäre Tumor entdeckt.
Herr Edlefsen fragt, wie häufig von den Anatomen
Drüsenmetastasen am Hals bei Magenkrebsen beobachtet werden.
Herr Schottmüller hat einen Fall gesehen, bei dem die
Drüsengeschwulst am Halse als Abszess imponierte, bis eine mikro¬
skopische Untersuchung ihre krebsige Natur ergab. Der Pat.
ging dann nach 1(4 Jahren an Oesophaguskrebs zu Grunde.
Herr Fraenkel: Man beobachtet nicht selten schon sehr
frühzeitig bei Oesophagus- und Magenkrebsen Drüsenmetastasen
in den Supraklavikulardriisen und zwar besonders links, wie schon
von Virchow angegeben. Die Drüsen sind oft gar nicht gross,
doch sehr hart, so dass man schon bei diesem Befunde bisweilen
die Diagnose auf Magen- oder Oesophaguskrebs stellen kann, wie
es ihm selbst bisweilen bei Obduktionen gelungen ist.
Herr Simmonds: Ueber Nebennierenblutungen. (Der
Vortrag wird in extenso publiziert.)
Vortr. kommt auf Grund von Beobachtungen von 12 Fällen
und der in der Literatur gemachten Mitteilungen zu folgenden
Resultaten :
1. Kleine Ekchymosen der Nebennieren kommen bei ver¬
schiedenen Infektionskrankheiten häufig vor und sind als toxische
Blutungen aufzufassen.
2. Hämorrhagische Infarzierung beider Nebennieren führt
oft unter peritonitisartigen Erscheinungen zum Tode. Der
Symptomenkomplex kann indes auch fehlen.
3. Nebennierenblutungen können gelegentlich zu mächtigen,
operative Eingriffe bedingenden Hämatomen führen.
4. Nebennierenblutungen kommen unter folgenden Beding¬
ungen vor:
a) durch traumatische Einflüsse (hierher sind auch die bei
Neugeborenen beobachteten Blutungen meist zu rechnen) ;
b) bei hämorrhagischer Diathese;
c) durch Nebennierenvenenthrombose;
d) durch bakterielle Kapillarembolien.
Die Venenthrombose stellt die häufigste Ursache dar; näclist-
dem am häufigsten veranlassen die Kapillarembolien Blutungen.
5. Die Thrombosen können Stamm oder Hauptäste der Neben-
merenvene betreffen, sie kommen in beiden oder nur in dem rechts¬
seitigen Organ vor. Sie sind als marantische Thrombosen auf¬
zufassen, kommen in der Regel nur bei chronisch erkrankten In¬
dividuen vor. Die eigenartige Gefässverteilung der Nebennieren
begünstigt ihre Entstehung. Eine primäre Nebennierenerkran¬
kung liegt in derartigen Fällen nicht vor.
6. Auf Bakterienembolien beruhende Blutungen wurden auch
111 Fällen beobachtet, wo weder klinisch noch anatomisch eine
septische Erkrankung nachgewiesen worden war. In allen der¬
artigen I ällen ist daher das Organ auf Bakterien zu untersuchen.
(. Einseitige Nebennierenblutungen können nach Resorption
des Extravasats zu Verödung des Organs führen.
Diskussion: Herr Lau enstein fragt, ob Herr S.
auch die malignen Tumoren bei seinen Untersuchungen berück¬
sichtigt habe, ferner ob bei den durch Blutungen bedingten Zer¬
störungen der Nebenniere Bronce-skin beobachtet sei.
Herr S c h o 1 1 m ii 1 1 e r beobachtete einen akut erkrankten
und im Kollaps zu Grunde gegangenen Mann, dessen Sektion
ausser hämorrhagischer Infarzierung beider Nebenniei*en gar
nichts ergab. Die Erklärungen, die Herr Simmonds gegeben
hat, erscheinen ihm sehr einleuchtend. Nur das möchte er be¬
tonen, dass alle die Fälle, in denen durch die Thrombose beide
Nebennieren ausgeschaltet werden, wohl bald zu Grunde gehen.
Nur diejenigen können ausheilen, wo ein Rest normalen Gewebes
bleibt, welcher die Funktion übernehmen kann. Herrn Lauen-
stein bemerkt er, dass bei so plötzlich auftretenden Zerstörungen
der Nebennieren eine Bronzehaut wohl nicht zur Entwicklung
kommen könne.
Herr Philipp: M. H.! Ich habe hier das Präparat eines
Falles von Nebennierenblutung beim Neugeborenen, das im Hafen¬
krankenhause zur Sektion kam.
Die kleineren Hämotrhagien der Nebenniere in den Leichen
von Fötus und Neugeborenen sind sehr häufig; Maf fei fand bei
90 Früchten 75 mal teils Kongestion, teils Apoplexien, ich selbst
habe mehrere Früchte daraufhin untersucht und vermisste bei
keiner eine kleine Apoplexie. Ueber umfangreichere Blutungen
jedoch, die die Grösse der Nebennieren verändern, liegen nur ver¬
einzelte Mitteilungen vor und zwar von Maf fei, Steffens,
F i e d 1 e r, A li 1 f e 1 d und Besser, In den Fällen von
Fiedle r und A h 1 f e 1 d war die apoplektisclie Nebenniere von
Hühnereigrösse, in dem Fall von Besser, den Sie hier im Atlas
der gerichtlichen Medizin abgebildet sehen, etwas kleiner. In
unserem Fall ist. sie gut hühnereigross. Die Blutung hat hier,
wie die mikroskopische Untersuchung ergab, in das Parenchym
stattgefunden. Die Substanz der Nebennieren ist durch dieselbe
auseinandergerissen worden, so dass wir an verschiedenen weit
von einander entfernten Teilen Bruchstücke derselben finden. Die
linke, in ihrer Grösse normale Nebenniere zeigt mikroskopisch
Spuren von Blutungen.
Aus der Anamnese unseres Falles ist bemerkenswert, dass,
nach Angabe der Hebamme, die Geburt eine ziemlich schwere war;
das Kind kam stark aspliyktisck zur Welt, erholte sich jedoch in
einigen Tagen ganz gut. Am 5. Lebenstage bemerkte die Heb¬
amme, dass es etwas blass aussah, sich aber ganz wohl befand.
Am Abend dieses Tages begann es plötzlich zu keuchen und zu
zucken, dazu kam eine Art Krampf und im Verlaufe einer halben
Stunde starb es.
Aus dem Sektionsberichte ist hervorzuheben, dass sich in
der Bauchhöhle eine grössere Menge flüssigen Blutes fand. Zahl¬
reiche kleine Blutungen zeigten sich auf den Schädeldeckknochen,
einige kleine auf der Oberfläche des Herzens, im vorderen Mittel¬
fellraum und auf dem Zwerchfell.
Für die Entstehung der Nebennierenblutung beim Neu¬
geborenen werden verschiedene Ursachen angegeben: Zunächst
der Geburtsakt selbst, während dessen der periphere Kreislauf
gehemmt wird, so dass sich in den inneren Organen, besonders
in der Bauchhöhle, das Blut staut. Jeder Druck auf die Leber
und damit auf die Vena cava hindert den Rückfluss aus den
Nebennierengefässen noch mehr. Da die Nebennieren die weich¬
sten Organe des Unterleibes sind, so entsteht hauptsächlich in
ihnen Kongestion und Blutung. Eine schwere und langdauernde
Geburt wird dieses Moment noch verstärken.
In gleicher Weise wirkt eine allgemeine venöse Stauung in¬
folge mangelhafter Entwicklung des Lungenkreislaufes.
In unserem Fall, wo nach schwerer Geburt ein stark
asphyktisches Kind geboren wurde, wirken diese beiden Momente
zusammen.
Ferner werden noch als ursächlich angesehen: Fettdegene¬
ration und Amyloiddegeneration der Nebennieren und zufällige
Momente, wie Thrombose der Nierenvene, die Reposition eines
Nabelbruches.
Klinisch sind die Symptome der Blutung zu ungenau, um
zu einer sicheren Diagnose zu führen, wenn nicht auf beiden
Seiten deutlich ein Tumor in der Nierengegend zu palpieren ist.
Bei dem Fehlen aller anderweitigen Krankheitssymptome
wird man jedoch bei plötzlichem Tode eines Neugeborenen in den
ersten Lebenstagen an die Nebennierenblutung denken müssen.
Bei der Sektion kann, wie in unserem Fall, zu einem Irrtum
leicht Anlass gegeben werden, indem der Verdacht einer Neu¬
bildung nahe liegt.
Herrn Lochte ist es aufgefallen, dass bei langem Liegen
der Leichen, wobei sich Gasorgane bilden, die Nebennieren am
ehesten und stärksten von der Gasfäulnis ergriffen werden. Das
Nebennierenparenchym und seine Gefässe sind sehr leicht zer-
reisslich, weshalb gerade in diesem Organ leicht Blutungen zu
stände kommen.
Herr E. F r aenlcel fragt Herrn S i m m o n d s, ob seine
Sektionstechnik bei den Nebennieren von der üblichen (dem Durch¬
schneiden in situ) abweicht. Er selbst habe nur wenige Er¬
fahrungen über Nebennierenblutungen. Grössere Hämorrhagien
1442
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
■würden der Beobachtung natürlich auch beim einfachen Durch¬
schneiden des Organs nicht entgehen, aber auch davon habe er
nur einen Fall gesehen, in dem es ausserdem sekundär zur Bil¬
dung von Knochen in dem hämorrhagischen Herd gekommen sei.
Weiter fragt er Herrn S i m m o n d s, wie sich bei grossen Neben¬
nierenblutungen das Ganglion coeliacum verhalte. Bei den durch
Tuberkulose verursachten Zerstörungen der Nebennieren fänden
sich doch oft hochgradige Veränderungen in diesem Ganglion.
Mit der Erklärung des Herrn S i m m o n d s, dass die Throm¬
bosen für die Blutungen verantwortlich gemacht werden müssen,
ist Fr. nicht einverstanden. Er hält diese Thromben nicht für
marantische, denn sonst sei es doch auffallend, dass in anderen,
sonst bevorzugten Venen, wie den Schenkelvenen, keine Thromben
vorhanden gewesen seien. Seiner Ansicht nach ist es umgekehrt:
Erst entstehen die Blutungen und durch sie wird die Thromben¬
bildung veranlasst. Nur bei akuter Entstehung von Thromben
könne man sich auch das Auftreten von Blutungen erklären, des¬
halb müsse man nachselien, ob hier ältere oder frische Thromben
vorliegen.
Herrn Lochte gegenüber betont Fr. den Unterschied zwi¬
schen den durch Fäulnis entstandenen lufthaltigen Organen und
den durch den Bac. emphysem. bedingten sog. „Schaumorganen“.
Bei letzteren werden die Nebennieren gerade äusserst selten be¬
troffen. Fr. hat bei menschlichen Nebennieren niemals solche Gas¬
bildung beobachtet. Wichtig ist die leichte Zerreisslichkeit des
Organs, auf welche Herr Lochte hingewiesen hat. Die Neben¬
niere ist im Bereich der Marksubstanz oft so weich, dass man sie
wie ein Buch auseinanderklappen kann.
Herr Lochte wollte nicht über die durch den Bac. em-
physem. bedingten Schaumorgane reden, sondern nur über die
Gasentwicklung durch Fäulnis, wobei mehrere Bakterien, beson¬
ders Bact. coli, beteiligt sind, und erwähnen, dass oft in Fällen,
wo Leber und Niere von Gas ganz frei seien, solches sich in der
Nebenniere reichlich finde.
Herr Simmonds: Ich habe glücklicherweise nicht so viel
Erfahrung wie Herr Lochte über Fäulnisveränderungen der
Nebenniere, da bei uns die Autopsien frühzeitig ausgeführt werden.
Darin stimme ich ihm bei, dass die grosse Weichheit des Organs
die Hämatombildungen begünstigt. Die grosse Weichheit ist aber
auch die Ursache, weshalb bei unvorsichtiger Behandlung des Or¬
gans so viele pathologische Veränderungen unentdeckt bleiben. Ich
pflege daher die Nebennieren nicht in situ zu zerschneiden, sondern
sie sorgfältig herauszupräparieren. Das Ganglion coeliacum habe
ich in einem Teil der Fälle auch mikroskopisch untersucht, niemals
indes nennenswerte Veränderungen angetroffen. Sicherlich hat
Herr S c li o 1 1 m ü 1 1 e r darin Recht, dass die Ausdehnung der
blutigen Infiltration bei der Entstehung der klinisch wahrnehm¬
baren Störungen ein wichtiger Faktor ist; indes kommen doch auch
Fälle vor. wo eine enorme hämorrhagische Infarzierung beiderseits
erfolgt, ohne dass Symptome beobachtet werden. Bronzefärbung
ist in keinem meiner Fälle zu beobachten gewesen und es ist auch
nicht wahrscheinlich, dass eine so rasche Zerstörung des Organs
diesen Effekt haben wird. Trotzdem liegen aber auch in dieser
Richtung positive Angaben in der Literatur vor. Herrn
Fraenkel, der die Durchblutung des Organs für das Primäre,
die Thrombose für das Sekundäre hält, möchte ich erwidern, dass
die mikroskopische Untersuchung mit Sicherheit erkennen lässt,
dass die älteren geschichteten Thromben in der Zentralvene und
den Hauptästen sitzen, dass hingegen die kleineren Venen neu mit
frisch geronnenem Blut erfüllt sind; wäre die Blutung des Organs
das Primäre, so müsste die erste Thrombenbildung in den kleinen
Venen ihren Sitz haben und später erst würde die Gerinnung des
Blutes in den grösseren Venen folgen. Als weiteren Beweis gegen
seine Anschauung möchte ich darauf hinweisen, dass in den
4 Fällen, wo Kapillarembolien die Blutung veranlasst hatten,
diese sekundär nicht zu Thrombose der Vene führte. Dass der
Verschluss der Nebennierenvene starke Hämorrhagien in dem
Organ veranlassen kann, scheint mir fraglos, da neben der Zentral¬
vene nur wenige zarte in die Venae diaphragmaticae mündende
Gefässe das Venenblut aus der Nebenniere ableiten. Als maran¬
tische hatte ich die Thromben aufgefasst, weil sie bei vorher er¬
krankten Individuen spontan ohne nachweisbare lokale Verände¬
rungen aufgetreten waren. Ein wirklicher Marasmus ist bei der
Bildung des marantischen Thrombus doch nicht immer vorhanden.
Denken Sie doch an die Sinusthrombose bei Clilorotischen, bei akut
erkrankten Kindern u. s. w. In meinen Fällen habe ich andere
Venenthrombosen gleichzeitig nicht gefunden; das will aber nichts
gegen die Auffassung der Thrombenbildung als marantische
sagen.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 10. Juni 1902.
Vorsitzender : Herr Curschmann.
Schriftführer : Herr Brau n.
Herr W i 1 m s zeigt, anschliessend an Herrn Friedrichs
Demonstration B i e r’scher Amputationsstümpfe in der vorigen
Sitzung, einen Mann, bei dem ein sehr brauchbarer tragfähiger
Unterschenk eistumpf durch Ueberschlagen der erhaltenen Achilles¬
sehne über die Sägefläche der Knochen gewonnen wurde.
Herr Köster stellt vor;
1. Einen Fall von Myotonia congenita, dessen Vater und
Bruder gleichfalls an dieser Affektion leiden. Die Myotonie ist an
den Muskeln des Nackens und Halses und der Extremitäten, be¬
sonders an der Muskulatur der Unterarme und Hände gut aus¬
geprägt, während im Gesicht und an den Augenmuskeln myo-
tonische Erscheinungen fehlen. Bei dem Kranken stellte sich vor
5 Jahren ohne jedwede Schmerzen und allmählich zunehmend eine
Atrophie des rechten Daumenballens und Kleinfingerballens und
der Mm. interossei der rechten Hand ein. Ein halbes Jahr später
schwanden die analogen Muskeln der linken Hand. Vor 4 Jahieu
wurden die Muskeln der Oberarme und Schultern, vor ca.
3 1/ Jahren die der Unterarme atrophisch. \ or 3 Jahren schwand
die Gesichtsmuskulatur und es traten Bulbärerscheinungen auf.
Patient verschluckte sich von da ab fast bei jeder Mahlzeit und
seine Sprache wurde verwaschen und monoton. Elektrisch liess
sich die typische myotonische Reaktion in den nicht oder nur
wenig atrophischen Muskeln (z. B. Deltoides, Biceps, Pectoralis
major) gut nachweisen, während in den Muskeln der rechten und
linken Hand zum Teil eine Herabsetzung und sogar ein Fehlen
jeder Erregbarkeit sich vorfand. Es handelt sich also um eine Kom¬
bination von Myotonia congenita und spinalei
progressiver Muskelatrophie, welch 1 e t z t e i e
d u rch frühes Auftreten von B u 1 b ä r s y m ptomen
sich auszeichnet. Vortragender weist darauf hin, dass von
.Toll y, Bernhardt, H offmann u. a. derartige Kom¬
binationen von Myotonie und spinaler Muskelatrophie beschlieben
worden sind, dass man aber nach dem spärlichen, bisher vor¬
liegenden Material noch nicht berechtigt sei zu der Annahme
eines kausalen Zusammenhanges der beiden Krankheiten.
2. Einen Fall von traumatischer Fazialislähmung mit Lokali¬
sation der Lähmung in der Gegend des Ganglion geniculi. Es
handelt sich um einen Arbeiter, der im Jahre 1868 durch Ueber-
fahrenwerden eine Fraktur des rechten Felsenbeines erlitt. Als
der vor dem Unfall völlig gesunde Kranke aus der mehrere Tage
anhaltenden Bewusstlosigkeit erwachte, war er auf dem rechten
Ohre taub und mit einer Lähmung des rechten Fazialis behaftet.
Andere Gehirnnerven als der 7. und 8. waren nicht gelähmt. Der
Geschmack auf der rechten Zungenhälfte soll verschwunden sein.
Die Untersuchung ergab, dass Patient eine Lähmung der ganzen
rechten Gesichtshälfte und eine Akustikustaubheit besass. Andere
Nerven, speziell der Sympathikus und Trigeminus, waren frei von
Störungen, ebenso das Gaumensegel und Zäpfchen. Auf den
vorderen 4/5 der rechten Zunge schmeckt Patient nichts, während
im linken Chordagebiet der Geschmack ungestört ist. Elektrisch
fehlt jede Erregbarkeit auf der rechten Gesichtshälfte mit Aus¬
nahme des rechten Levator menti und Depressor amguli oris, deren
Innervation wahrscheinlich von der linken Seite übernommen
worden ist. Auf dem rechten Auge fehlt noch heute, d. h. 33 Jahre
nach Eintritt der Lähmung, jede orbitale Tränenabsondexung.
Während auf der rechten Seite ein in den Bindehautsack gelegtes
Fliesspapier völlig trocken bleibt, ist ein in den linken Kon-
junktivalsack gelegtes, 1 cm breites Papier nach % Stunden
35 cm Aveit durchfeuchtet.
Die Lähmung, d. li. die Kontinuitätsunterbrechung des la-
zialis, muss hier, Avie Vortragender durch frühere Untersuchungen
ausführlich dargetlian hat, in der Gegend des Ganglion geniculi
erfolgt sein. Auf diese Lokalisation Aveist uns ausser der
Akustikustaubheit der Verlust der Tränensekretion hin. Die
excitolacrimalen Fasern treten nach den Untersuchvmgen des Vor¬
tragenden im Fazialisstamm herunter, um diesen in der Gegend
des Knieganglions im N. petrosus superficialis major wieder zu
verlassen. Auch die Geschmacksfasern der Chorda treten, von
unten kommend, in diesen Nerven über und werden daher aou einex
Läsion in der Gegend des Ganglion geniculi mitbetroffen. Während
die gustato rischen Fasern in das Ganglion Gassei’i gelangen,
ziehen die excitolacrimalen durch Vermittelung des 2. Quintus-
astes (N. subcutaneus malae) durch eine konstante Anastomose
in den N. lacrimalis des 1. Astes und mit diesem zur Tränendrüse.
3. Einen Fall von allgemeiner und totaler Anästhesie bei
einem 22 jährigen Arbeiter. Als der Kranke vor einem Jahre zürn
ersten Male der Poliklinik zuging, machte er folgende Angaben:
Er stürzte im Juni 1900 13 m hoch herab und durchschlug mit dem
unverletzt bleibenden Kopf den iy2 Zoll dicken I ussboden einet
Kiste. Nach 10 Minuten langer BeAVUSStlosigkeit arbeitete er
weiter und hat bis heute nicht mit dev Arbeit ausgesetzt. Ebenso¬
wenig hat er irgend welchen Anspruch auf Unfallrente erhoben.
Drei Tage nach dem Unfall tropfte geschmolzenes Pech auf den
rechten Unterarm und Handrücken, ohne dass er etAx-as davon
merkte. Seitdem wurde ihm klar, dass er am ganzen Körper nichts
fühlte. Weder Tast- noch Schmerzreize, noch heisse oder kalte
Temperatur will er Avalirnehmen. Auch hat er kein Gefühl für die
Lage seiner Glieder, Aveiss nicht, ob er die Zunge vorstreckt, den
Mund öffnet u. s. w. Den Gang muss er, um nicht zu fallen, mit
den Augen kontrollieren. Libido und Wohllustgefühl beim Coitus
sind A’erschAvunden, doch soll die Erektionsfähigkeit nicht gelitten
haben. Stuhl- und Harndrang besitzt er, ebenso Hunger- und
Durstgefühle. Die vor einem Jahre bei der Aufnahme des Kranken
vorgenommene Untersuchung ergab einen muskulösen, mässig ge-
nährten Mann von gesunden inneren Organen. Die Pupillen waren
gleichweit, reagierten prompt. Die Hirnnerven xvaren frei von
Störungen. Auf der Haut lebhafter Autographismus. Die Patellar-
reflexe gesteigert, ebenso die Achillessehnenreflexe bis zur An¬
deutung A7on Fussklonus. Alle Hautreflexe deutlich vorhanden.
Dnick auf die beiden Hypochondrien, namentlich rechts, ruft eine
26. August 1902.
MUENCHENER MEDicmiSOHE W 0 CHENSCiERlET.
144Ö
unklare dumpfe Empfindung hervor. Auf der Haut des ganzen
Körpers war der Kranke gefühllos und spürte weder Berührungen,
noch Nadelstiche, noch heisse oder kalte Temperaturen. Aus¬
genommen, d. h. fühlend für alle die genannten Reize, waren
die behaarten Partien der Achilleshöhlen, der Schamberg, die
Rima pudendi bis zu dem Beginn des Hodensackes, der Eingang
der Harnröhre und zwei schmale, spindelförmige symmetrische
Zonen über der Gegend des Leistenkanales beiderseits. Er fühlt
nicht, ob seine Finger gekrümmt oder gestreckt sind, ob er geht
oder steht, doch setzt er hinzu: „Ich fühle es nicht, aber ich weiss
es.“ Mitunter zuckt er zusammen, wenn er unvermutet bei ge¬
schlossenen Augen in eine anästhetische Stelle gestochen wird
und trotzdem bestreitet er, dass er eine Empfindung von dem
Stiche gehabt habe. Wenn er den Stich mit den Augen kon¬
trolliert, zuckt er nie zusammen. Im letzten Jahre trat eine Aende-
rung des Befundes ein. Patient erblindete hysterisch auf dem
linkem Auge, der Geruch ging verloren und nur beizende Sachen
werden jetzt schwach wahrgenommen. Die rechte Achselhöhle
bekam Gefühl für alle Qualitäten und dasselbe galt für 2 brillen¬
artig die Augenhöhlen umrahmende runde Zonen von der Grösse
eines silbernen 5 Markstückes. Auch die Augäpfel fühlten wieder
vollständig. Während der Demonstration sticht sich Patient, zum
Beweise seiner totalen Anästhesie 6 — 15 cm lange Nadeln bis an
den Knopf in die verschiedensten Teile seines Körpers. So bohrt
er sich z. B. eine 15 cm lange Nadel durch die Muskulatur des
Oberschenkels. Er zerschlägt sich auf dem Kopf ein 3 cm dickes
Tannenbrett und einen Ziegelstein, den er von einem Neubau mit¬
gebracht hat. Der im Verlaufe der letzten 2 Jahre mehrfach vor¬
genommene Schlaf versuch ist nie gelungen, jedoch gibt Patient
an, dass er zu Haus zu jeder Tageszeit sofort einschlafe, wenn
er sich lange auf ein Sopha oder Bett ausstrecke.
Vortragender geht sodann auf die übrigen ca. 20 bisher in der
Literatur auffindbai'en allgemeinen totalen Anästhesien ein (Be¬
obachtungen von R e i d, Strümpell, A r n d t, W e s t p h a 1,
O p penhei m u. a.) und stellt fest, dass ein grosser Teil post-
traumatisch, der kleinere Teil nach akuten Infektionskrankheiten
oder im Verlaufe chronischer Nervenkrankheiten entstanden ist.
Während gewöhnlich die Reflexe in solchen Fällen fehlen, waren
sie im vorliegenden Falle gesteigert. Die Beteiligung der Sinnes¬
nerven findet sich bei vielen Fällen in ähnlicher Weise wie bei
dem unseren. Der anscheinende Widerspruch, dass Patient die
Lage seiner Glieder nicht zu „fühlen“ aber zu „wissen“ behauptet,
dass er bei mangelnder Kontrolle durch das Auge mitunter bei
einem Stiche zusammenfährt, erklärt sich aus dem Intaktsein des
1. sensiblen Neurons. Die Anästhesie ist in diesem Falle im Gehirn
und zwar in der Rinde lokalisiert. Die Prognose ist auch im vor¬
liegenden Falle wie meistens nicht günstig. Denn die Anästhesie
besteht mit nur geringfügigen Aenderungen schon im 3. Jahre.
(Autoreferat.)
Herr F r ey t a g demonstriert einen Kranken, an dem in der¬
selben Weise, wie an zwei früher Operierten, Prof. Friedrich
ein doppelseitiges, hartnäckiges Empyem der Highmorshöhle der
Heilung zugeführt hat.
Bei den Highmorshöhlenempyemen alten Bestandes, wo schon
Eröffnungen von Mund- oder Nasenhöhle her ohne bleibenden Er¬
folg bewerkstelligt worden sind, kommt es darauf au, eine voll¬
kommene Uebersiclit über die Höhle zu gewinnen, die ganze
kranke Schleimhaut zu entfernen und fortan die Kommunikation
mit der Highmorsliöhle zu erhalten. Wenn hiebei erreicht werden
kann, dass die Operation ohne kosmetische Entstellung, mit Ver¬
meidung der Highmorshöhlenmundfistel, zur Heilung führen kann,
so ist es ein doppelter Gewinn.
Um ihn zu erreichen, wurde der Nasenflügel abgeklappt, die
nasale und faziale Wand der Higmorshölile gleächweit abgetragen,
die kranke Schleimhaut sorgfältig ausgeräumt und dann der Nasen¬
flügel wieder angelegt. Bei dem demonstrierten Kranken, welcher
seit 14 Jahren an stinkenden Empyemen litt, führte dieses Vor¬
gehen beiderseits zu einem vollen Erfolg.
Herr Heller demonstriert einen Papptriangelverband für
Humerusfrakturen, der von dem Grundgedanken der alten
Middeldorpf sehen Triangel ausgeht, sich von dieser jedoch
wesentlich dadurch unterscheidet, dass der Unterarm nicht wie bei
dieser nach abwärts fixiert wird, sondern auf einer senkrecht sich
an die Triangel ansetzenden Unterarmschiene in vollkommen freier
Haltung ruht, und dass der Abduktionswinkel kein konstanter ist,
sondern beliebig geändert werden kann. Die Herstellung des Ver¬
bandes ist folgende: Ein breiter, langer Pappstreifen wird vom
Rippenbogen bis in die Axilla an den Thorax angelegt, dort um¬
gebogen, so dass er als Schiene der Innenseite des Oberarms an¬
liegt, sodann vom Ellenbogen rechtwinklig nach abwärts geführt
und an dem Thoraxteile befestigt. An den einzelnen Abschnitten
sind nun entsprechende Modifikationen vorzunehmen. Der Thorax¬
teil soll etwa 25 cm breit sein und sich nach der Axilla zu ver¬
jüngen; an die schmälere Humerusschiene muss sich an ihrem
unteren Ende die Unterarmschiene rechtwinklig nach vorne an¬
setzen; die Länge des Sclilusstückes endlich ist nach dem für den
einzelnen Fall gewünschten Abduktionswinkel zu bemessen. Die
sorgfältig gepolsterte Schiene wird unter Extension am recht¬
winklig gebeugten Vorderarm mit breiten Cambrikbinden an
Thorax, Schulter und Arm fixiert und durch leichtes Ueberwickeln
mit Gips- oder Stärkebinden dem ganzen genügende Festigkeit
gegeben. Die Vorteile des Verbandes bestehen in seiner leichten
Herstellbarkeit und Anpassungsfähigkeit an die Grösse des Pa¬
tienten und die Bedingungen des einzelnen Falles, in seiner
Leichtigkeit und Bequemlichkeit, in der Möglichkeit einer ambu¬
lanten Behandlung und der Gewährleistung guter Ileilresultate.
Herr Kroenig demonstriert: 1. Fabrikmässig in Cumol
sterilisiertes Katgut (s. diese Wochenschrift 1901, No. 44);
2. Sublaminpastillen (Schering) als Händedesinfektions¬
mittel.
Die Frage der Händedesinfektion darf heute in dem Sinn als
entschieden angesehen werden, dass keine Methode existiert,
welche die Hände sicher keimfrei macht. Der Operateur muss
sich damit abfinden, dass nur eine relative Keimarmut erzielt
werden kann. K. hat sich bei seinen Versuchen auf den prak¬
tischen Standpunkt gestellt und folgende Frage zu beantworten
gesucht: Wann ist die Hautoberfläche so desinfiziert, dass sie mit
grösster Wahrscheinlichkeit nicht mehr infizieren kann? Es wird
z. B. folgender Fall zu Grunde gelegt: Man ist genötigt, einen
Abszess mit virulenten Streptokokken zu eröffnen, oder man hat
eine septisch infizierte Wöchnerin zu untersuchen gehabt, kurz
danach muss man eine aseptische Operation, sagen wir eine La¬
parotomie ausführen. Auf welche Weise verhüten wir am
Sichersten die Uebertragung der Keime und schützen die zu
operierende Frau vor einer Infektion. Um diese Frage zu lösen,
schienen Tierversuche unumgänglich notwendig, weil nur diese
eine absolute Analogie mit den klinischen Verhältnissen gestatten.
Versuche mit dem Streptococcus pyogenes verbieten sich, weil der
Kliniker unmöglich seine Hände mit so gefährlichem Material
häufiger beschicken darf. Es wurde der Mikrococcus tetragenus
verwertet, weil dieser für Menschen nicht pathogen, dagegen
virulent für gewisse Versuchstiere, vor allem für Mäuse und für
Meerschweinchen ist, während er in seiner Resistenz den Eiter¬
bakterien ungefähr gleich kommt. Von den Resultaten erwähnt
Kr. nur, dass die mechanische Reinigung mit Seife und Bürste
oder mit der Schleich sehen Marmorseife (10, 15 und 20 Minuten
fortgesetzt) die Haut noch so wenig keimarm macht, dass sämt¬
liche Versuchstiere an der Tetragenusinfektion zu Grunde gingen.
Bessere Resultate ergab die mechanische Desinfektion in Ver¬
bindung mit der chemischen Desinfektion. Es wurde zunächst
das Sublimat in wässeriger Lsung in der üblichen Konzentration
1,0 — 1000,0 verwendet. Die Resultate besserten sich wesentlich;
nur ganz vereinzelt gingen noch einige Mäuse und Meerschwein¬
chen an Tetragenus zu Grunde. Das Sublimat hat in der Praxis,
besonders des vielbeschäftigten Operateurs, aber zweifellos Nach¬
teile; dadurch, dass das Sublimat eine stark ätzende Wirkung aus¬
übt, entsteht oft auf der Haut ein schuppendes Ekzem, ein Um¬
stand, der ausser der Unannehmlichkeit, dass es den Arzt fast
gesellschaftsunfähig macht, auch noch den Nachteil in sich
schliesst, dass die spätere Desinfektion sehr erschwert ist, weil
— wie Haegier mit Recht betont — nur eine gut gepflegte Hand
auch gut desinfiziei’t werden kann.
Wenn K r ö n i g und B 1 u m b e r g statt des Sublimats das
Sublamin empfehlen, so sind sie bei der Wahl dieses Mittels nicht
willkürlich vorgegangen, sondern sie sind von ganz bestimmten
Grundsätzen ausgegangen, zu welchen sie durch die von Paul
und Krönig schon früher gefundenen gesetzmässigen Bezieh¬
ungen zwischen Lösungszustand und Wirkungswert der Des¬
infektionsmittel geführt wurden. Die von Paul und Krönig
angesteilten grossen Versuchsserien zeigten, dass bei Quecksilber¬
salzen in reine n Lösungen der Desinfektionswert im allgemeinen
steigt nach Massgabe des Dissoziationsgrades; sobald es sich aber
um Lösungen mit organischen Verbindungen handelt, ist die Kon¬
zentration der Metallionen von geringerer Bedeutung. Kr. demon¬
striert die bezüglichen Tabellen aus der Arbeit (Iv r ö n i g und
Paul: Die chemischen Grundlagen der Lehre von der Giftwirkung
und Desinfektion. Sep.-Abdruck a. d. Zeitschr. f. Hyg. u. Infek-
tionskrankh. 1897, Bd. 25.)
Da bei der Desinfektion der Hautoberfläche das Quecksilber¬
salz mit organischen Substanzen in Berührung kommt, so ist bei
der Wahl des Quecksilbersalzes zur Desinfektion der Haut nicht
in erster Linie die Desinfektionskraft des betreffenden Salzes in
reinen Lösungen massgebend, sondern es können, weil bei Gegen¬
wart organischer Substanzen alle Quecksilbersalze, wie schon
Behrin g nachgewdesen hat, im allgemeinen nach Massgabe
ihres Gehaltes an Quecksilber desinfizieren, auch solche Queck¬
silbersalze gewählt werden, welche gewisse Vorteile vor dem
Sublimat bei der Desinfektion der Hautoberfläche haben. Es
kommen hier als Eigenschaften in Betracht eine möglichst ge¬
ringe Aetzwirkung und möglichst starke Tiefenwirkung im Ge¬
webe. Vorversuche lagen vor von Schaeffer und Blumberg
aus der Breslauer Klinik; aus diesen Untersuchungen ging hervor,
dass eine Aethylendiaminverbindung des Silbers (Argentamin) sich
durch eine starke Tiefenwirkung bei Einwirkung auf tierische Ge¬
webe auszeichnete. Dies gab Veranlassung, die Firma Scheridfcg
zu ersuchen, eine Aethylendiaminverbindung des Quecksilbers her¬
zustellen. Es bedurfte langwieriger Versuche, ehe eine Verbindung
gefunden wurde, welche in den für die Praxis brauchbaren Pa¬
stillenformen in den Handel gebracht werden konnte. Allen An¬
forderungen genügt z. Z. das Sublamin, ein Quecksilberäthylendia¬
minsulfat. Soweit die Untersuchungen ergeben haben, und diese
decken sich im allgemeinen mit denen von Paul und S a r w. e y
aus der Tübinger Klinik, ist das Sublamin bei der Desinfektion
der Haut dem Sublimat gleichwertig. Das Sublamin hat vor dem
Sublimat den grossen Vorteil voraus, dass es nicht ätzend wirkt,
dass es keine Fällung mit Blut gibt, so dass die Hände nach den
Operationen durch einfaches Absptilen wieder vom Blut gereinigt
werden können. Kr. desinfiziert ausschliesslich mit Sublamin und
1444
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
trotz reichlichen Gehrauchs bei grosser operativer Tätigkeit zeigen
seine und die Hände seiner Assistenten, welche früher oft unter
dem schuppenden Ekzem zu leiden hatten, keine Reizerscheinungen.
Es wird verwendet in wässeriger Lösung in einer Konzentration
1,0:1000,0 — 1,0:300,0, je nachdem die Hände infektionsverdächtig
sind oder nicht. Man kann die Konzentration noch steigern, ohne
dass Heizerscheinungen auf treten. Wenn Schleich neuerdings
vor dem Sublamin warnt, weil es infolge seiner grossen Tiefen¬
wirkung von der Hautoberfläche zu stark resorbiert würde, so dass
Intoxikationserscheinungen bei dem Operateur zu fürchten wären,
so kann Kr. dies nur als Gespenstersehen beizeichnen. Kr. fügt
hinzu, dass er auch bei der Nahtseide, welche er im allgemeinen
nach der Koch ersehen Methode sterilisiert, an Stelle des Subli¬
mats das Sublamin in einer Konzentration 1,0:300,0 verwendet,
um bei gleich starker Entwicklungshemmung den Heiz des Subli¬
mats im Gewebe auszusehliessen.
3. einen klinischen Fall, welcher besonderes Interesse des¬
wegen verdient, weil es sich um ein gleichzeitiges Vorkommen des
Karzinoms im Uterus und Magen handelte. Beide Karzinome
sind als primäre Bildungen anzusprechen und kamen in noch
operablem Zustande zur Operation. Kr. operierte in 2 Sitzungen,
zunächst wurde die abdominelle Totalexstiraption des Uterus mit
Ausräumung der hypogastrischen Drüsen nach Freilegung der
Ureteren gemacht. Einige Wochen später wurde in einer zweiten
Sitzung die Resektion des Pylorus, eines Teils des Duodenums und
des Magens ausgeführt; der Magenrest wurde blindsackartig ver¬
schlossen und dann eine Verbindung des Magenrestes mit dem
Jejunum hergestellt nach der K o c li e r sehen Methode der Gastro-
jejunostomia antecolica inferior. Pat. hat beide Eingriffe gut
überstanden. Zurzeit ist nur die lange Narbe vom Processus ensi-
formis bis zur Symphyse noch sichtbar. Pat. befindet sich zur
Zeit der Demonstration in der 4. Woche nach der Operation.
Herr Curschmann: Zur Technik der subkutanen und
innerlichen Gelatineanwendung bei Blutungen.
Ich habe schon vor längerer Zeit, nicht lange nachdem die
ersten Mitteilungen über das Verfahren aus Frankreich zu uns
gekommen waren, Ihnen die Methode der subkutanen Gelatine¬
injektionen bei grossen, der chirurgischen Hilfe unzugänglichen
Blutungen als wirksam empfohlen. Nach meinen und nach
meines Assistenten Wagner Mitteilungen folgten rasch zahl¬
reiche Publikationen, die die Brauchbarkeit des Verfahrens be¬
stätigten.
Die theoretischen Erörterungen über die Wirkungsweise der
Methode haben mit ihrer praktischen Verwertung nicht gleichen
Schritt gehalten. Noch heute herrschen in dieser Richtung Un¬
klarheiten und Widersprüche. Auch in meiner Klinik begon¬
nene experimentelle und mikroskopische Untersuchungen muss¬
ten, da sie kein rechtes Ergebnis in Aussicht stellten, wieder
aufgegeben werden.
Wir haben uns aber durch die Lücken in der Theorie von
der praktischen Weiterverwendung des Verfahrens nicht abhalten
lassen und ich kann heute meine früheren Erfahrungen be¬
stätigen und erweiternd sagen, dass ich unter allen nichtchirur¬
gischen oder überhaupt unmittelbar auf die blutende Stelle an¬
wendbaren Methoden keine kenne, die dem Gelatineverfahren
in Bezug auf Wirksamkeit an die Seite gestellt werden könnte.
Neben der subkutanen Anwendungsweise hat sich die Ein¬
verleibung der Gelatine vom Magen aus in letzter Zeit mehr und
mehr Freunde erworben. Ich habe den Eindruck, dass auch diese
Darreichungsform nicht allein örtlich bei Magen- und Darm¬
blutungen, sondern auch bei Blutungen aus entfernteren Teilen
von deutlicher Wirkung ist. Freilich ist sie der subkutanen
Anwendung nicht an die Seite zu stellen und meines Erachtens
vorzugsweise zur Nachbehandlung nach schweren Blutungen und
prophylaktisch bei Neigung zu Rückfällen angezeigt.
Subkutan pflegen wir das Mittel in der Klinik gewöhnlich
so anzuwenden, dass baldmöglichst nach Eintritt der Blutung
4,0 g, an den folgenden Tagen je 2,0 g Gelatine in Lösung in¬
jiziert und diese Einspritzungen darauf nach Bedürfnis noch
mehrmals mit einem Tag Pause wiederholt werden. Wir haben
zu diesen Einspritzungen uns nach der Vorschrift von Carnot-
Lancereaux anfänglich einer 2 proz. Lösung bedient. Doch
bat dieses Verfahren insofern Nachteile und Unbequemlich¬
keiten, als man verhältnismässig grosse Mengen von Flüssigkeit
einspritzen muss. Sie sind für den Praktiker nicht recht hand¬
lich und empfindliche Kranke scheuen die durch die Flüssig¬
keit smenge bedingte schmerzhafte Ilautspannung. Wir vermeiden
diese Nachteile seit längerer Zeit dadurch, dass wir 20 proz.
Gelatinemischungen mit Wasser zur Anwendung bringen. Die
Dosis von 4 g Gelatine ist dadurch auf eine Gesamtmenge von
nur 20 g Injektionsflüssigkeit herabgesetzt, die mit einer kleinen
Spritze bequem an einer einzigen Stelle der Haut eingespritzt
werden kann.
Das 20 proz. Gelatine-Wassergemenge ist nicht flüssig, son¬
dern gallertig fest.. Wenige Minuten Eintauchen des die Masse
enthaltenden Fläschchens genügt aber, sie so zu verflüssigen,
dass sie leicht durch eine verhältnismässig enge Kanüle zu
treiben ist.
Wir halten abgemessene Mengen von 20 proz. Lösung sterili¬
siert in sicher verschlossenen Fläschchen vorrätig und haben so
die Injektionsmasse in bequemster Form jeden Augenblick bereit.
Noch ein Wort über die Sterilisierung der Masse!
Es war von vornherein klar, dass ihr besondere Aufmerksamkeit
zuzuwenden sei, da zur Bereitung der Injektionsflüssigkeit ja
nur die käufliche weisse Gelatine verwandt werden kann, bei
deren fabrikmässiger Herstellung der Asepsis kaum Beachtung
geschenkt werden wird. Zu ganz besonderer Vorsicht fordern
aber in der fraglichen Richtung einige neuere Beobachtungen
auf, die den Nachweis virulenter Tetanusbazillen in der Gelatine
erbrachten.
Eine nach meiner Erfahrung sichere Sterilisierung der Lö¬
sung' wird in unserer Krankenhausapotheke *) in folgender Whise
erzielt: Nach der üblichen Neutralisation wird durch die Lösung,
gemäss der Anaerobie der Tetanusbazillen, eine halbe Stunde
lang bei 36 — 38" C. ein Kohlensäurestrom durchgeleitet. Der
Flüssigkeit wird dann V» Proz. Karbolsäure zugesetzt. Sie wird
darauf in Fläschchen gefüllt, die je 20 g der Lösung fassen und
mit Watte keimdicht verschlossen werden. Die Fläschchen
werden nun noch 2 mal je V* Stunde mit 1 Tag Pause im
Dampfstrom erhitzt. Längeres Erhitzen würde die Gerinnbar¬
keit der Gelatine beeinträchtigen. Der Karbolsäurezusatz hat
in der angegebenen Stärke nach reichlichen Erfahrungen keiner¬
lei Schädigung des Kranken und keine Beeinträchtigung der
Wirksamkeit des Verfahrens zur Folge.
Wenn die so sterilisierten und wohl verschlossenen Gelatine¬
fläschchen in Blechkasten aufgehoben werden, deren Deckel einen
mit 5 proz. Karbolsäurelösung getränkten Flanellappen enthält,
so ist ihr Inhalt längere Zeit aseptisch und wirksam zu erhalten.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. J u n i 1902.
Herr Kirste berichtet über einen Fall von Leberabszess
nach einer Pneumonie des linken unteren Lungenlappens. Am
13. V. 02 wurde K. zu einem 49 Jahre alten Patienten gerufen,
der vor 8 Tagen in Hamburg plötzlich erkrankt war. Der Kranke
hatte dort plötzlich eiuen Schüttelfrost bekommen und starkes
Stechen in der linken Seite gespürt. Er sei dann unter grossen An¬
strengungen von Hamburg heim nach Nürnberg gereist und hier
in einem sehr desolatem Zustande angekommen. Ein zu Rate ge¬
zogener Arzt habe dann erklärt, dass es sich um eine linksseitige
Rippenfellentzündung handele. Als K. am 8. Krankheitstage den
Kranken sah, fand er einen gut genährten Mann vor, der in klarer
Weise den Verlauf seiner Krankheit erzählte und dabei bemerkte,
dass er sich seit heute bedeutend besser fühle. Anamnestisch
teilt er mit, dass er früher stets gesund gewesen sei, nur vor
20 Jahren habe er auf leiner Reise in Spanien den Typhus akqui¬
riert. Bei der Untersuchung fand sich 1. h. u. eine Dämpfung bis
zur Spitze der Skapula, Knisterrasseln über dem 1. unteren Lungen¬
lappen, rechts über die ganze Lunge zerstreut grossblasige Rassel¬
geräusche. Am Herzen war nichts abnormes wahrzunehmen, der
Puls war klein, ca. 90 in der Minute, Temperatur 38,2°. Die Leber
war stark vergrössert, auf Druck nicht schmerzhaft, die Venen
der Bauchdecken nicht erweitert. Milz war nachweisbar ver¬
grössert. Urin frei von Ehveiss und Zucker, kein Ikterus, keine
Hämorrhoidalknoten. Das Sputum war braunrot gefärbt, die
Zunge stark belegt.
Die Diagnose lautete zunächst: Pneumonie des linken unteren
Lungenlappens und zwar wurde angenommen, dass die Krisis eiu-
getreten sei, da unter starkem Schweissausbruch die Temperatur
stark heruntergegangen war. Ob die Vergrösserung der Leber
schon früher bestanden hatte, liess sich nicht eruieren.
Nach 2 Tagen trat plötzlich ein Schüttelfrost auf. Temp. 39,3.
Puls 100, klein. Von jetzt ab wiederholten sich die Schüttelfröste
öfter, der Puls blieb stets klein, über 100. Es war jetzt klar, dass
es sich nicht mehr um eine einfache Pneumonie handelte, sondern
es wurde mit grösster Wahrscheinlichkeit ein Leberabszess an¬
genommen. Bei der grossen Schwäche des Kranken und da sich
kein Anhaltspunkt bot, wo der Abszess in der Leber sich befand,
*) Das Verfahren ist von dem Vorsteher der Apotheke, Herrn
Dr. Stich, ersonnen, der die hier folgenden Angaben schon in
der Pharm. -Zeitg., No. 41, Jahrg. 1902, gemacht hat.
26. August 1902.
MITEN CTIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1445
so wurde von einem chirurgischen Eingriff abgesehen und es trat
am 21. Y. der Exitus letalis ein.
Die Sektion ergab: Infiltration des 1. unteren Lungenlappens,
sehr schlaffes Herz, der ganze Herzmuskel blass und atrophisch,
an den grossen Gelassen keine Veränderungen. Die Leber fast
um die Hälfte ihres normalen Volumens vergrössert, von hell¬
brauner Farbe, im rechten Leberlappen an der konvexen Seite
ca. 2 Querfinger unter der Oberfläche ein Abszess von der Grösse
eines kleinen Apfels. Der Eiter war gelb, die Abszesswand un¬
eben, zerklüftet, flottierend und fetzig. Leider wurde der Eiter
nicht bakteriologisch untersucht. Milz leicht vergrössert, Nieren
normal.
IC. spricht sich noch des näheren über das Entstehen der
Leberabzesse aus und ist der Ansicht, dass es sich hier um einen
metastatischen Leberabszess gehandelt hat, dass derselbe höchst
wahrscheinlich durch Einwanderungen von Pneumokokken ent¬
standen ist.
Herr Weigel demonstriert ein von ihm durch Total¬
resektion gewonnenes, von einem 9jährigen Mädchen stammendes
Präparat einer rechtsseitigen Unterkieferhälfte. Die Operation
war durch ein auf den aufsteigenden Ast übergreifendes myelo¬
genes Riesenzellensarkom nötig geworden, welches, vom Körper
ausgehend, die ICortikalis sowohl nach innen wie nach aussien halb¬
kugelig vorgewölbt hatte und nach der Mundhöhle zu durch¬
gebrochen war, in der Weise, dass es eine breite, den Raum vom
Eckzahn bis zum letzten Mahlzahn einnehmende, oberflächlich
ulzerierte Masse bildete.
Es findet hierauf eine sehr lebhafte Diskussi o n ii b e r
neuere Arzneimittel (Aspirin, Dionin, Heroin, Tannalbin,
Tannigen, Urotropin etc.) statt.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 21. Februar 1902.
Herr Rudolph Eischi demonstriert ein 1 y3 Jahre altes
Kind, das an den 4 oberen Schneidezähnen seines Milchgebisses
typische Hutchinson sehe halbmondförmige Erosionen dar¬
bietet Die Geschwister der Kleinen wurden von F. wegen here¬
ditärer Lues behandelt, während sie selbst bisher keinerlei syphi¬
litische Erscheinungen darbot. Er bespricht weiter die dia¬
gnostische Bedeutung derartiger Veränderungen an den Zähnen
und die Seltenheit des Vorkommens derselben bei den Milchzähnen.
Herr Leopold Fischt spricht über die Seekrankheit.
Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Aetiologie
der Affektion. besonders über die Ursachen der Schiffsbewegung,
bringt Herr F. ein über 300 Fälle umfassendes kasuistisches Ma¬
terial. das sich auch auf Tiere erstreckt.
Therapeutisch wurde neben der subkutanen Morphininjektion
die Bromisierung nach Beard wirksam gefunden. Von der Be¬
obachtung ausgehend, dass die Retinagefässe im Anfalle verengert
sind, wandte der Vortr. Tieflagerung des Kopfes, später nebstdem
Einwickelungen der Extremitäten mit elastischen Binden an. die
selbst in schweren Fällen einen leidlichen Zustand zur Folge
hatten. Oeftere Zufuhr trockener, fester Nahrung i§t zu empfehlen.
Sitzung vom 28. F e b r u a r 1902.
Herr Eckstein demonstriert ein neugeborenes Kind, das
er wegen Hernia funiculi umbilicalis operierte.
Herr G ö t z 1 demonstriert einen Patienten mit Prostata¬
hypertrophie und einer parenchymatösen Eiterung der Prostata
infolge Selbstkatheterismus, dessen Beschwerden nach Massage
der Prostata, bei der sich massenhaft Eiter entleerte, schwanden.
Herr Bissau bespricht 4 interessante Fälle von Abortus,
weiter einen Fall von Hymenalblutung nach stürmischer Ko-
habitation. O. W.
Rostocker Aerzteverein.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 12. Juli 1902.
Herr Kobert: Ueber die Schwierigkeiten bei der Aus¬
wahl der Kranken für die Lungenheilstätten und über den
Modus der Aufnahme in dieselben. (Der Vortrag ist in No. 33
dieser Wochenschrift erschienen.)
Herr Zabel: Ueber das Zwerchfellphänomen.
Herr E h r i c h : Das Operieren im ersten Aetherrausehe.
Vortragender berichtet über die Erfahrungen, die in der
Rostocker chirurgischen Klinik, speziell in der Poliklinik, mit
der Verwendung des ersten Aetherrausch.es zu Anästhesierungs¬
zwecken gemacht wurden. Die Methode, auf die von Sudeck
hingewiesen worden ist, beruht auf der Beobachtung, dass nach
wenigen Inhalationen von Aether sich ein Rauschzustand ein¬
stellt, in dem bei den meisten Menschen die Schmerzempfindung
vollständig aufgehoben ist, während die taktile Sensibilität und
die Motilität noch erhalten sind. E. betrachtet das Verfahren
als eine sehr wertvolle Bereicherung unserer Methoden der An¬
ästhesierung und hält die Verwendung desselben namentlich in
den Fällen indiziert, wo die Erzielung der Lokalanästhesie
grössere Schwierigkeiten bereitet oder ganz versagt, die Ein¬
leitung einer allgemeinen Narkose aus bestimmten Gründen ver¬
mieden werden soll. Bisher wurde es von ihm nur bei kurz¬
dauernden Eingriffen, der Spaltung von Phlegmonen, Exstir¬
pation von Karbunkeln, Zahnextraktionen, ferner zur Einrich¬
tung von Frakturen, der Vornahme Schmerzhafter Verband¬
wechsel etc., geübt, während S udeck es auch bei länger dauern¬
den Operationen mit Erfolg angewandt hat. Die Vorzüge der
Methode sind folgende. Die Technik ist eine überaus einfache
und erfordert keine besondere Einübung: es werden ca. 30 ccm
Aether in die Maske — E. verwendet die' J u i 1 1 a r d sehe —
gegossen, und nach wenigen tiefen Inspirationen des Pat. kann
man den Eingriff schmerzlos ausführen, bei oberflächlicher
Atmung muss man etwas länger warten. Die Zeitdauer, die die
Anästhesierung in Anspruch nimmt, ist dementsprechend die
denkbar kürzeste, ein Vorteil, der die Methode für poliklinische
Zwecke besonders brauchbar erscheinen lässt. (TJeblo Nach¬
wirkungen fehlen fast vollständig.) Die Pat. sind bereits während
der Anlegung des Verbandes wieder ganz wach.
Zum Erbrechen kam es überhaupt nicht, selbst nicht bei
Patienten, bei denen der Aetherrausch gleich nach dem Essen
zur Anwendung kam.
Der besondere Vorzug vor den Narkoticis, die bislang bei
kurzdauernden Eingriffen hauptsächlich verwandt wurden, be¬
steht in der völligen Hngefährlichkeit des Verfahrens. Selbst bei
Patienten mit nicht intakten Respirationsorganen, bei denen die
allgemeine Aethernarkose kontraindiziert gilt, erscheint die Ein¬
leitung des Aetherrausch.es ganz unbedenklich.
Versagt hat die Methode unter einigen 60 Fällen eigentlich
nur 2 mal, bei sehr aufgeregten, nervösen weiblichen Personen,
die nach wenigen Aetherinhalationen in einen hochgradigen,
deliriumartigen Erregungszustand gerieten, eine Beobachtung,
die auch von anderer Seite gemacht worden ist. Dagegen erwies
sie sich selbst bei sehr muskelkräftigen Männern stets als aus¬
reichend. Während Sudeck die Analgesie im Aetherrausch
als eine fast reine medikamentöse Wirkung des Aethers auffasst,
glaubt E. dem psychischen Moment eine etwas grössere Bedeu¬
tung beimessen zu müssen und hält eine suggestive Einwirkung
auf den Pat. durch persönliches Zureden und Beruhigung des¬
selben für die Erzielung prompter Erfolge für empfehlenswert.
Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Würzburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 10. Juli 1902.
Herr v. Frey: Kleinere Mitteilungen physiologischen
Inhalts, betreffend
1. Den Ortssinn der Haut. E rühere, in der Gesell¬
schaft mitgeteilte Untersuchungen des Vortragenden haben er¬
geben, dass man bei der Prüfung des Ortssinnes der Haut nicht
eine, sondern 3 Raumschwellen zu unterscheiden habe, nämlich
die Simultan,- die Sueoessiv- und die Richtungsschwelle. Die
Untersuchungen, über die der Vortragende beute berichtet, be¬
treffen die Simultanschwelle. Ausgeführt wurden dieselben
mittels zweier Hebel, die durch einen Elektromagneten nieder¬
gedrückt werden. Es hat sich nun ergeben, dass bei simultaner
Reizung 2 benachbarte Tastpunkte, d. h. an behaarten Stellen
2 Haarbälge nur unterschieden werden können, wenn sie minde¬
stens 20 mm auseinanderliegen (Vorderarm), dann aber auch nur
unter günstigen Bedingungen, oft genügen erst 100 mm. Wenn
2 Punkte gleichzeitig gereizt werden, so unterstützen sich die
Reize. Namentlich kann man konstatieren, dass bei simultaner
unterschwelliger Reizung eine Summation derart eintritt, dass
eine Tastempfindung ausgelöst wird. Die Summation tritt auch
noch ein, wenn die Reizpunkte soweit auseinander liegen, dass
sie als getrennt empfunden werden. In Fällen, wo die Unter¬
scheidung zweier Punkte möglich ist, kann die Versuchsperson
jedoch noch nicht lokalisieren; d. h. sie kann nicht angeben, ob
die gereizten Stellen in der Längsrichtung oder in der Qucr-
richtung des Gliedes auseinanderliegen.
2. Den Einfluss der Temperatur auf die Mus¬
kelzuckung.
3. Den sogen, laugenhaften und metallischen
Geschmack. Wenn man Geschmacksempfindungen analy-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 34.
1446
siercn will, muss man die Lösungen möglichst verdünnt nehmen :
es treten dann die einzelnen Geschmackskomponenten allmählich
hervor. So kann man bei Laugen zunächst einen süssen Ge¬
schmack konstatieren, bevor der bittere auftritt. Bei noch ge¬
ringeren Konzentrationen der Lösungen fand Vortragender schon
den spezifischen laugenhaften Geschmack auftreten. Wie er
ferner konstatieren konnte, handelt es sich dabei aber nicht um
einen eigentlichen Geschmack, sondern um eine Geruchsempfin¬
dung, weil die Empfindung bei geschlossener Nase fehlt. Ganz
ähnlich ist es mit dem sogen, metallischen Geschmack. Auch hier
handelt es sich um eine Geruchsempfindung und ganz geringe
Verdünnungen von Metallsalzen genügen Schon, um ihn hervor¬
zurufen. Der metallische Geruch ist sehr andauernd und bleibt
bisweilen stundenlang zurück.
Was die Ursache dieser Goruchsempfindung anlangt, so
glaubt Vortragender, dass beim laugenhaften Geschmack das
Ammoniak, das sich bei der Berührung von verhornten Epithelien
mit der Lauge in geringen Mengen entwickelt, eine Rolle spielt.
Heber die Entstehung des metallischen Geruches ist zur Zeit noch
nichts Sicheres bekannt.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie de medecine.
Sitzung vom 22. .T u 1 i 1 902.
Die Mikroorganismen der Dysenterie.
C h a ntemesse glaubt, nun endlich in sicherer Weise die
Natur und die Bolle der beiden Hauptagentien der Dysenterie fest¬
stellen zu können. Die epidemische oder die sporadisch auftretende
Ruhr wird durch die Kultur von zwei durchaus verschiedenen Mi¬
krobenarten, einer Amöbe und eines Bazillus, im Darmkanal er¬
zeugt.
1. Die Amöbendysenterie entwickelt sich mehr in
sporadischer wie in epidemischer Weise; sie befällt besonders den
erwachsenen Menschen. Zuweilen kann sie den Kranken in we¬
nigen Wochen dahinraffen, gewöhnlich hat sie aber einen chro¬
nischen, wenig febrilen Verlauf. Die Kranken zeigen häufige
Stühle, welche Schleim, Blut, Eiter, Amöben enthalten. Die Krank¬
heit dauert Monate und Jahre mit Perioden von Obstipation und
Diarrhoe; sie kann in Heilung übergehen oder mit Erschöpfung,
Darmperforation und besonders mit einem Leberabszess enden.
Diese Varietät der Dysenterie hat nur eine gelänge Tendenz zu
epidemischer Ausbreitung. Von Wichtigkeit ist, dass das Blut
dieser Kranken den Dysenteriiebazillus nicht agglutiniert (Osler).
2. Die bazilläre Dysenterie ist besonders epi¬
demischen, infektiösen Charakters; sie kann rasch den Tod herbei-
fiihren durch ihr eigenes Virus oder sie verursacht sehr häufig,
in chronischer Weise sich entwickelnd, Ulzierationen und beträcht¬
liche Verdickungen der Darmwandungen. Unabhängig von ihrem
epidemischen Charakter kann diese Varietät in isolierten Fällen
auch als Komplikation bei verschiedenen chronischen Krankheiten
auftreten. Sie wird verursacht durch einen spezifischen Bazillus,
welcher im Darmkanal, in den Wandungen des Dickdarms,
in den Mesenterialdrüsen, in der Milz und oft in anderen paren-
chyrrfatösen Organen sich vermehrt und welcher durch das Blut
der Kranken, die seit einer gewissen Reihe von Tagen von der
Ruhr ergriffen sind, agglutiniert wird.
Seit 14 Jahren wurden über diese Befunde zahlreiche Kontroll-
untersuchungen in der ganzen Welt gemacht; Leute, welche sich
der Einnahme dieser Bakterienart unterzogen, hatten die voll¬
ständig charakteristische Dysenterie. Wie wichtig diese Resultate
sind, versteht man, wenn man die hohe Mortalität der Dysenterie
unter verschiedenen Völkerschaften der Erde in Betracht zieht,
die nach Colin grösser sein soll wie jene an Pest, Gelbfieber und
Cholera.
Die pestartigen Krankheiten im Jahre 1901.
Proust gibt hier einen zusammenfassenden Bericht über
die Cholera-, Gelbfieber- und Pestepidemien, welche im Jahre 1901
auf der ganzen Erde geherrscht haben; letztere nehmen natür¬
lich den breitesten Rahmen ein. Die den Ratten als Ueberträger
der Epidemien zugeschriebene Rolle zeigt sich immer mehr als
hervorstechendes Moment; die sanitäre Ueberwacliung dieser Tiere
und deren möglichste Vernichtung ist daher unbedingte Notwendig¬
keit. Die Ratten entgehen oft der Desinfektion der Schiffe durch
Schwefelsäure, indem sie in Teile des Schiffes, welches von der¬
selben nicht betroffen werden, schlüpfen. Gegen die Mosquitos
hingegen, welche die Hauptträger des Gelbfieberkontagiums sind,
wirkt die Schwefelsäure vollständig genügend; leider zerstört die¬
selbe auch gewisse Waren.
L a v e r a n verlangt systematische Desinfektion aller auf
Gelbfieber verdächtigen Schiffe mit Schwefelsäure.
R o u x erinnert an die von den Amerikanern auf den Antillen
erzielten Resultate und die Untersuchungen von Ritz, wonach
das Virus des gelben Fiebers unsichtbar wie das der Pocken und
sogar nach Passage durch ein Berkefieldfilter noch wirksam sei.
Ster n.
27. Versammlung des Deutschen Vereins für Ge¬
sundheitspflege
zu München am 17., 18., 19. und 20. September 1902.
Tagesordnung:
Dienstag, den 10. September, 8 Uhr Abends: Gesellige Ver¬
einigung und Begriissung iin Hofbräuhauskeller (innere \\ iener-
strasse 12).
Mittwoch, den 17. September, 9 Uhr Vormittags: Erste Sitzung
im grossen Festsaale des Hotel Bayerischer Hof (Promenade¬
platz 19). Eröffnung der Versammlung. Rechenschaftsbericht
und geschäftliche Mitteilungen. I. Die hygienische Ueberwacliung
der Wasserläufe. Referenten: Geh. Hofrat Prof. Dr. A. G ü r t n e r-
Jena, Wasserbauinspektor S c li ii m a n n - Berlin. — Frühstücks¬
pause. _ II. Der Einfluss der Kurpfuscher auf Gesundheit und
Leben der Bevölkerung. Referent: Dr. med. K. Grassmann -
München. — G Uhr Abends: Festessen mit Damen im grossen Saale
des alten Rathauses (Frieds des Gedeckes ohne Wein 5 Mark).
Donnerstag, den 18. September, 9 Uhr Vormittags: Zweite
Sitzung. III. Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Land in
gesundheitlicher Beziehung. Referent: Regierungs- und Geh.
Med.-Rat Dr. E. R o t li - Potsdam. — IV. Das Bäckergewerbe vom
hygienischen Standpunkt für den Beruf und die Konsumenten.
Referent: Prof. Dr. R. E m m e r i c h - München. — Von SV2 Uln-
Nachmittags Besichtigungen: 1. Schulhausbauten, 2. Volksbad,
3. Elektrizitätswerk an der Staubstrasse, 4. Armenversorgungs¬
haus, 5. Oestlicher Friedhof, 0. Waisenhaus. — Abends 7 Uhr:
Fest in sämtlichen Räumen des Künstlerhauses (Maximilians¬
platz 24), gegeben von der Stadt München.
Freitag, den 19. September, 9 Uhr Vormittags: Dritte
Sitzung. V. Bericht über die von den Städten eingegangenen
Fragebogen, betr. die Fürsorge für bestehende und die Beschaffung
neuer kleiner Wohnungen. Referent: Oberbürgermeister Dr.
E b e 1 i n g - Dessau. — VI. Feuchte Wohnungen: Ursache, Ein¬
fluss auf die Gesundheit und Mittel zur Abhilfe. Referenten: Re¬
gierungs- und Medizinalrat Dr. Abel- Berlin, Baupolizeidirektor
II. O 1 s li a u s e n - Hamburg. — Abends 5 Uhr: Mit Allerhöchster
Genehmigung Sr. K. Hoheit des Prinzregenten: Festvorstellung
im Prinzregententheater „Die Meistersinger“ von R. W a g n e r.
Samstag, den 20. September: Gemeinsamer Ausflug auf den
im Besitze der Stadt München befindlichen und zum Wasser¬
versorgungsgebiet gehörigen Taubenberg.
T e i 1 n a li m e a n der Versam m 1 u n g: Die Teilnahme
an der Versammlung in München ist nur den Mitgliedern des
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege gegen Vor¬
zeigung ihrer Mitgliedkarte gestattet. Nach § 2 der Satzungen
ist zur Mitgliedschaft jeder berechtigt, der Interesse an öffent¬
licher Gesundheitspflege hat und den Jahresbeitrag von G Mark
zahlt. Die Mitgliedkarte für das Jahr 1902 berechtigt zur Teil¬
nahme an der Versammlung, d. li. zur Teilnahme an
den Sitzungen und geselligen Vereinigungen des Vereins
und an allen Besichtigungen, zum Bezug der Festschrift, der
Karten für das Festessen, für das Fest im Künstlerhause, zum
Theater und für den Ausflug auf den Taubenberg. Für Damen
der Mitglieder werden Karten unentgeltlich abgegeben, die die¬
selben Berechtigungen wie die Mitgliedskarten gewähren.
Das Anmeldebureau im Hotel „Bayerischer Hof“
(Promenadeplatz 19. I. Stock, im Marmorsaal) ist geöffnet: Diens¬
tag, den IG. September von Vormittags 11 Uhr bis Abends G Uhr,
an den übrigen Tagen von Vormittags 8 Uhr bis nach Schluss der
Sitzung.
Dienstag, den 16. September von 7 — 10 Uhr Abends befindet
sich das Anmeldebureau im Begriissungslokal „Hofbräuhaus-
keller“ innere Wienerstrasse 12.
Im Bureau werden auch Anmeldungen neuer Mitglieder ent¬
gegengenommen. Behörden, Stadtgemeinden und Korporationen
können dem Verein mit einem oder mehreren Vertreteni als Mit-
gieder beitreten und zahlen für jeden Vertreter G Mark pro Jahr.
Verband Deutscher Bahnärzte
5. Versammlung zu M ii n c h e n. am 18. /19. September 1902.
Progra m m.
Mittwoch, den 17. September 1902. Abends 8 Uhr: Begriissung
der Gäste und ihrer Damen im Hotel „Roter Hahn“.
Donnerstag, den 18. September 1902. Vormittags 9 Uhr:
Sitzung des Ausschusses des Verbandes deutscher Bahnärzte.
Sitzungslokal neben dem Königssalon des Zentralbahnhofes. Nach¬
mittags 2 Uhr: Allgemeine Sitzung im Saale des Hotels „Bayer
rischer Hof“.
Eröffnung der Versammlung durch den Geschäftsführer. —
Geschäftliche Mitteilungen seitens des Vorsitzenden. — Universi¬
tätsprofessor Dr. Eversbusch - München: Praktische Prüfung
des Farbensinns mit den beim Eisenbahnbetriebe gebräuchlichen
Signallichtern. — Dr. Zeitlmann - München: Die Erkrankungs-,
Invaliditäts- und Sterblichkeitsverhältnisse der bayerischen Eisen¬
balmbediensteten. — Hofrat Dr. Stich- Nürnberg: Entwurf eines
einheitlichen Formulars für die Untersuchung des Personals in
Bezug auf körperliche Tauglichkeit samt Instruktion für den
untersuchenden Bahnarzt. — Dr. R a ab - Nürnberg: Der Alkohol-
26. August 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET.
1447
missbrauch bei dem niederen Eisenbahnpersonal und dessen Ver-
liütung. — Die Rettungseinrichtungen bei den verschiedenen
deutschen Eisenbahnverwaltungen. Referenten: Sanitätsrat Dr.
Sch Wechten - Berlin, Dr. Beck- Mengen (Württemb.), Dr.
B 1 u m e - Philippsburg (Baden), Hofrat Dr. Beetz- München,
Dr. Gilbert- Dresden.
Abends 7 Uhr: Gemeinsames Festessen mit Damen im Hotel
„Bayerischer Hof“.
Freitag, den 19. September 1902. Vormittags 9 Ulif: Fort¬
setzung der Verhandlungen (in einem noch zu bestimmenden Lo¬
kale), falls dieselben am Tage vorher nicht zu Ende geführt werden
konnten. Besichtigung des Rettungswagens und Rettungszimmers
im Zentralbahnhofe und eines neuen preussischen Arztwagens.
Vormittags 11 Uhr: Gemütlicher Frühschoppen nach Münchener
Art im k. Hofbräuliaus (Kartensaal). Nachmittags 2 Uhr: Treff¬
punkt im Cafe Luitpold, Briennerstrasse 8. Alsdann je nach Wahl
Besichtigung der Stadt, Besuch des Museums für Wohlfahrtsein¬
richtungen, der physikalisch-therapeutischen Abteilung im Kran¬
kenhaus 1. I., des Volksbades, der Volksheilstätte zu Planegg unter
sachkundiger Führung.
Bei genügender Teilnehmerzahl ist für Samstag, den 20. Sep¬
tember ein Ausflug an den Tegernsee oder Starnberger See (Rott-
mannshölie, Bismarckturm) beabsichtigt.
Verschiedenes.
Ueber Neuerungen an elektrischen Bogen¬
lichtbädern schreibt uns die elektrotechnische Fabrik
Reiniger, Gebbert & Schall in Erlangen: Bei den bis¬
herigen Bogenlichtbädern für Gleichstrom wurde dem Umstände
nicht Rechnung getragen, dass eine Bogenlampe mit senkrecht
stehenden Kohlen infolge des kraterförmigen Ausbrennens der
oberen positiven Kohle ihr Licht kegelförmig nach unten wirft.
Dadurch erhielt der in dem Lichtkasten sitzende Patient auf seiner
oberen Körperhälfte nur wenig Bogenlichtstrahlen. Ausserdem
ging sehr viel Licht verloren, da die nach hinten gerichteten, dem
Zentrum des Kastens abgewendeten Lichtstrahlen durch ihre un¬
günstige Richtung kaum in das Innere des Kastens reflektiert
werden konnten. Die Firma fertigt daher nunmehr Bogenlicht-
bäder an, bei welchen die Kohlen mit ihrem unteren Ende nach
dem Innern des Kastens zu geneigt sind, so dass der von dem
Krater der oberen positiven Kohle ausgehende Lichtkegel kon¬
zentrisch in das Innere des Lichtbades strahlt. Dadurch wird
nicht allein die Lichtquelle ausserordentlich viel besser aus-
geniitzt, sondern auch die Bestrahlung eine viel gleichmässigere.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Münche n, 2G. August 1902.
— Zur Vorbereitung des XIV. internationalen medi¬
zinischen Kongresses in Madrid (23. — 30. April 1903)
hat sich ein Deutsches Reichs-Komitee unter dem Vorsitze der
Herren V ircho w und v. Bergmann gebildet, das einen Auf¬
ruf zur Teilnahme an dem Kongress erlässt. Vorträge können bei
dem Schriftführer des Komitees, Prof. Dr. C. Pos n er, Berlin
SW., Anlialtstr. 7, angemeldet werden. Die Mitgliedschaft des
Kongresses kann schon jetzt durch Einzahlung von 30 Pesetas
= 20 Mark 50 Pf. bei dem Reisebureau Carl Stange n, Berlin W.,
Friedriclistr. 72, erworben werden, welches als offizielles Verkelirs-
bureau fungiert, und alle Auskünfte über Reise, Wohnung u. dergl.
erteilt, auch auf Wunsch das vorläufige Programm des Kongresses
übersendet. Die Mitglieder erhalten für ihren Beitrag ausser den
noch bekannt zu gebenden Reisevergünstigungen ein Exemplar
eines Allgemeinen Berichtes über die Arbeiten des Kongresses, so¬
wie der Verhandlungen derjenigen Sektion, bei der sie sich ein¬
geschrieben haben. Die Damen der Mitglieder gemessen die den
Mitgliedern zustehenden Reisevergünstigungen etc., falls für die¬
selben eine Damenhafte zu 12 Pesetas gleich 8 Mark gelöst wird.
— Der langjährige Medizinalreferent des Grossherzogtums
Baden, Geheimrat Dr. Battlehne r, ist in den Ruhestand
getreten. Als sein Nachfolger wurde Medizinalrat Dr. Greift in
Mannheim berufen.
• — Die durch den Tod des Oberstabsarztes Dr. Kühler er¬
ledigte Stelle eines Referenten bei der Medizinalabteilung des
preuss. Kriegministeriums ist dem Oberstabsarzt Dr. P a a 1 z o w in
Spandau übertragen worden.
— In Dresden werden von dem zu diesem Zwecke ge¬
gründeten Verein in der Zeit vom 0. bis 25. Oktober d. J. Fort¬
bildungskurse für Aerzte abgehalten werden; nähere
Auskunft gibt die auf dem Umschlag dieser Nummer abgedruckte
Anzeige.
— Nach dem Tode des Herrn Prof. Reinebot li in Halle
werden vom 1. Oktober d. J. ab die Herren Prof. Dr. Rudolf
Kob er t und Dr. Hermann Kramer in Rostock die Redaktion
der „Zeitschrift f ii r Iv rankenpfle g e“ übernehmen.
— Cholera. In Kairo sind vom 30. Juli bis 5. August
Ui Choleraerkrankungen und 152 Todesfälle gemeldet.
— Pest. Russland. Nach einer amtlichen Erklärung im
Regierungsanzeiger vom 10. August sind in Odessa vom 22. Juli
bis zum 2. August neue Fälle pestverdächtiger Erkrankungen nicht
vorgekommen. Die 5 Personen, welche bis zum 22. Juli erkrankt
waren, wurden als genesen betrachtet. Am 2. und 3. August
waren in das städtische Krankenhaus neuerdings 2 Erkrankte,
beides Ortseinwohner, eingeliefert worden mit den Krankheits¬
erscheinungen, die auch bei jenen ersten 5 Kranken beobachtet
worden waren. Die Kranken wurden unverzüglich abgesondert;
in betreff ihrer Wohnungen, des Hausrats, sowie der Personen, die
mit ihnen in Berührung gekommen waren, wurde das Nötige ver¬
anlasst. Nach weiteren Mitteilungen vom 11. August hatte die
Zahl der pestartigen Erkrankungen in Odessa angeblich eine Zu¬
nahme erfahren. In Aksai sind zufolge einer amtlichen Erklärung
im Reg.-Anzeiger vom 10. August neue verdächtige Erkrankungen
seit dem 28. Juli nicht beobachtet. Von den seit dem Ausbruch der
Seuche erkrankten 28 Personen waren 16 gestorben; eine war voll¬
ständig genesen, von den übrigen 11 Kranken gingen 9 der Wieder¬
herstellung entgegen. Nach einer Mitteilung vom 6. August hatten
die nach Aksai entsandten ärztlichen Sachverständigen erklärt,
dass die betreffenden Erkrankungen durch die „sibirische Pest"
veranlasst seien.*) — Aegypten. Vom 2. bis 5. August sind aus
Alexandrien 5 Pestfälle (2 Pesttodesfälle) und aus Tukh 1 Pestfall
gemeldet. — Hongkong. In der Zeit vom 15. Juni bis 5. Juli sind
125 Fälle von Pest zur Anzeige gelangt; dieselben sind alle
tödlich verlaufen. — Kapland. In der Zeit vom 29. Juni bis
12. Juli sind noch 3 neue Erkrankungen an der Pest in Tort
Elizabeth beobachtet, und 2 Pestleichen ebendaselbst gefunden.
Vom 12. bis 23. Juli waren weitere Pestfälle in der Kolonie nicht
bekannt geworden.
— Pocken. Grossbritannien. Während der vier Berichts¬
wochen des Monats Juli sind zufolge neuerer Mitteilung in London
nacheinander 58, 51, 48, 23 Pei'sonen an den rocken erkrankt und
15, 13, 13, 4 der Seuche erlegen. Am Ende* des Monats befanden
sich noch 326 Pockenkranke in den Spitälern Londons in Behand¬
lung, gegen 814 am Ende des Juni. Ausserhalb Londons starben
während der letzten Juliwoche 3 Personen an den Pocken, und
zwar je 1 in Tottenham, Birmingham und Swansea.
— In der 32. Jahres wache, vom 3. bis 9. August 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Bonn mit 40,5, die geringste Schöneberg mit 6,4 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Königshütte; an Masern in
Flensburg, Lübeck; an Diphtherie und Krupp in Elberfeld.
V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Als Nachfolger Gerhardts sind, Zeitungsnach¬
richten zufolge, vorgeschlagen: F. M ü 1 1 e r - München, v. Noor¬
den - Frankfurt a. M. und K r e h 1 - Tübingen.
Göttinge n. Dem Privatdozenten der Chirurgie Dr. S u 1 -
t a n hierselbst ist der Professortitel verliehen worden.
A 1 g i e r. Dr. S o u 1 i e wurde zum Professor der allgemeinen
Pathologie, Mikrobiologie und Parasitologie ernannt.
Auge r s. Dr. M o t a i s wurde zum Professor der ophthal-
mologischen Klinik ernannt.
Kopenliage n. Am 7. September wird die feierliche Ein¬
weihung des hiesigen neuen Seruminstituts stattfinden.
Rio-de-Janeiro. Dr. P. de A 1 m e i d a M a g a 1 h a e s
wurde zum Professor der Pathologie und medizinischen Klinik er¬
nannt.
T o u r s. Dr. Parisot wurde zum Professor der Histologie
ernannt.
W i e n. Prof. Dr. Gustav Riehl in Leipzig wurde zum
ordentl. Professor der Dermatologie und Syphilis an der Universität
Wien ernannt.
(Todesfälle.)
In Meran starb der Nestor der dortigen Aerzte Hofrat Dr.
v. T a p p e i n e r. T. lieferte als einer der ersten den experimen¬
tellen Nachweis von der Uebertragbarkeit der Tuberkulose. Er
hat ausserdem die grössten Verdienste um das Aufblühen des Kur¬
ortes Meran.
Der frühere Professor der Embryologie an der Universität
Wien, Dr. Leopold Schenk, der durch sein Buch: „Einfluss auf
das Geschlechtsverhältnis des Menschen und der Tiere“ eine
traurige Berühmtheit erlangt hat, ist gestorben.
in Ofen-Pest starb der Professor der medizinischen Chemie
Dr. Paul P 1 o s s, 57 Jahre alt.
Der Generalstabsarzt der russischen Armee Adolf v. R e in -
m ,e r t ist gestorben.
In Swakopmund ist Assistenzarzt Dr. B o r r am 31. Juli au
Typhus gestorben.
(Berichtig unge n.) In der Arbeit des Herrn Dr.
Reiche: „Die Dauererfolge der Heilstättenbehandlung Lungen¬
schwindsüchtiger“, d. W. No. 33, sind folgende Druckfehler zu ver¬
bessern: S. 1370 1. o. muss es heissen: „Heilbehandlung“ statt Zeit¬
behandlung; S. 1372, Sp. 2, Z. 25: „Die üblichen mehrmona¬
tigen Heilstättenkuren“ statt mehrmaligen, und ebenda Z. 64:
„in diesen allein“ statt in diesen allen.
Ferner sind in der Arbeit des Herrn Prof. G. Klein: „Zur
Geschichte der Extraktion und Expression des nachfolgenden
Kopfes“ d. Wochensehr. No. 31 folgende Fehler zu korrigieren:
Auf S. 1310 muss es im Abschnitt „Der Vollständigkeit halber“
statt 1694 richtig heissen 1649, wie auch gleich darnach und im
Literaturverzeichnis richtig geschrieben ist. Ferner im Abschnitt
„Et aduenant cela ’■ — “ am Schlüsse nicht „Vers le las“, sondern
vers le bas.
*) Mit dem Namen „sibirische Pest“ wird in Russland all¬
gemein der Milzbrand belegt.
MUENCHENER MEDIClNlSCÜE WO CIlEN SCHRIET.
1448
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse in Preising. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorscliriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten K. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 5. September 1. J. einzureichen. — Die Bezirksarztstellen
I. Klasse in Wolfratshausen, St. Ingbert und Dürkheim sind zu
besetzen. Bewerber haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten K. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 1. September <1. J. einzureichen. — Die Bezirksarztstelle
I. Klasse in Neustadt a. A. Bewerber um dieselbe haben ihre vor¬
schriftsmässig belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten K. Re¬
gierung, Kammer des Innern, bis zum 1. September einzureichen.
Verzogen: Sedlmair Franz Xaver von Amerdingen, Bez.-
Amts Nördlingen, nach Königstein, Bez.-Amts Sulzbach.
In den dauernden Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt
I. Klasse Dr. Gustav Büschel in Neustadt a. A. seinem An¬
suchen entsprechend wegen nachgewiesener physischer Gebrech¬
lichkeit unter Anerkennung seiner langjährigen treuen Dienst¬
leistung.
Zugeteilt: der Generaloberarzt Dr. Petri, Garnisonsarzt
beim Gouvernement der Festung Ingolstadt, unter Stellung zur
Disposition mit der gesetzlichen Pension als diensttuender Sanitäts¬
offizier dem Bezirkskommando Nürnberg.
Befördert: zum Oberarzt der Stabsarzt Dr. Kolb, Bataillons¬
arzt im 3. Train-Bat.
Ernannt: zum Korpsarzt des III. Armeekorps der mit Wahr¬
nehmung der Geschäfte dieses Korpsarztes beauftragte General¬
oberarzt Dr. Schiller, unter Beförderung zum Generalarzt;
zum Garnisonsarzt beim Gouvernement der Festung Ingolstadt der
Generaloberarzt Dr. Hekenberger, Regimentsarzt im 11. Inf.-
Iieg. ; zum Chefarzt des Garnisonslazaretts München der Ober¬
stabsarzt Dr. Fischer, Regimentsarzt im 7. Feld- Art. -Reg; zu
Regimentsärzten die Oberstabsärzte Dr. Hummel, Dozent beim
Operationskurs für Militärärzte, im 7. Feld-Art.-Reg.; Dr.
Fleisch mann im 9. Feld-Art.-Reg.; zum Dozenten am Opera¬
tionskurs für Militärärzte der Stabsarzt Dr. F r i e d r i c h, Ba¬
taillonsarzt im 1. Iuf.-Reg. ; zu Bataillonsärzten die Oberärzte
Dr. Hasslaue r vom 9. Inf.-Reg., Dr. Voigt vom 14. Inf. -Reg.,
beide unter Beförderung zu Stabsärzten.
Versetzt: der Oberstabsarzt Dr. Seel, Reg. -Arzt im 9. Feld-
Art.-Reg., zum 11. Inf.-Iteg.; der Stabsarzt Dr. Büx, Bataillons¬
arzt im 23. Inf.-Reg., zum 1. Inf.-Reg.
Korrespondenz.
Zur Geschichte der Extraktion und Expression des nachfolgenden
Kopfes.
Einem Wunsche des Herrn Dr. H. Michaelis entsprechend
füge ich meinem Aufsatze in No. 31 dieser Wochenschrift folgendes
hinzu: Ich habe Herrn M ichaelis das Thema und die Mehrzahl
der hierfür nötigen Bücher aus meiner Privatsammlung gegeben.
Herr Michaelis hat die Untersuchung zum grössten Teile in
meiner Wohnung und unter meiner dauernden Mitarbeit, späterhin
selbständig ausgeführt und einen Teil der Ergebnisse selbst ge¬
funden, wie ich dies in meinem Aufsatze schon klargelegt zu haben
glaubte. Ich denke, den Anteil des Herrn Michaelis an den
Ergebnissen dieser Untersuchung jetzt genügend hervorgehoben zu
haben. Dr. G. Klein.
Amtlicher Erlass.
(Bayern.)
No. 3810. München, den 3. August 1902.
K. Staatsministerium des Innern.
An die k. Regierungen, Kammern des Innern.
Betreff: Die V erhandlungen der Aerzte-
kammern im Jahre 1901.
Auf die Verhandlungen der Aerztekammern Bayerns vom
28. Oktober 1901 ergeht nach Einvernahme des k. Obermedizinal¬
ausschusses nachstehende Verbescheidung:
1. Die Revision der k. Allerhöchsten Verordnung vom 20. Die>-
zernber 1875, die Vergütung für ärztliche Amtsgeschäfte betr., ist
in Verhandlung begriffen.
2. Bezüglich der Anträge der Aerztekammern, die Novelle
zum Krankenversicherungsgesetz betr., wird auf Ziffer 10 der Ent-
scldiessung des k. Staatsministeriums des Innern vom 27. Juli 1901,
die Verhandlungen der Aerztekammern im Jahre 1900 betr., Bezug
genommen.
Ob und inwieweit hiezu eine weitere Einvernahme der ärzt¬
lichen Standesvertretung veranlasst erscheine, wird dabei er¬
wogen Averden.
3. Was das beantragte Vorgehen gegen die öffentlichen An¬
preisungen von Heilmitteln und Heilmethoden anbelangt, so finden
darüber Verhandlungen im Bundesrate statt, Avelche noch nicht
zum Abschluss gediehen sind.
4. Hinsichtich der Anregung, Warnungen gegen Sclnvindel-
mittel und Heilkünstler zu erlassen, muss Erwägung von Fall zu
Fall Vorbehalten bleiben, Avie in der Entschliessung des k. Staats-
No. 34.
ministeriums des Innern vom 20. September 1901 an die k. Polizei¬
direktion München bereits angedeutet wurde.
5. Die Anträge, die Schulhygiene betr., wurden dem zu
ständigen k. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und
Schulangelegenheiten zur Würdigung mitgeteilt.
0. Der Anregung, eine Warnung vor dem Studium der Medizin
an die Absolventen der bezüglichen Mittelschulen ergehen zu
lassen, sind nur die Aerztekammern von Mittelfranken und von
Unterfrauken und Aschaffenburg beigetreten.
Es besteht kein Anlass, zu derselben Stellung zu nehmen.
7. Den auf Abänderung einzelner Bestimmungen der k. Aller¬
höchsten Verordnung vom 29. Dezember 1900, die Zubereitung und
Feilhaltung der Arzneien in den Apotheken betr., abzielendeu Be¬
schlüssen der Aerztekammern kann entspi-echeud der gutachtlichen
Aeusserung des K. Obermedizinalausschusses im Hinblick auf
den erst kurzen Bestand der bezeichneten Verordnung eine Folge
nicht gegeben Averden.
8. Der Antrag auf Gewährung der Postportofreiheit bei Ein¬
sendung der Zählkarten für die Morbiditätsstatistik der Infektions¬
krankheiten au die Amtsärzte wurde dem k. Staatsministerium
des k. Hauses und des Aeussern zur zuständigen Würdigung
übermittelt.
9. Bezüglich des Antrages der oberbayerischen Aerztekammer.
Zustellungen an Aerzte in rein persönlicher Angelegenheit des
Empfängers betr., wird auf die Ministerialbekanntmachung vom
28. April 1901, die Vereinfachung des dienstlichen Verkehrs betr.,
hingewiesen, wonach in geeigneten Fällen der unmittelbare Ge¬
schäftsverkehr mit Privatpersonen den Behörden bereits vor¬
geschrieben ist.
10. Der Antrag der oberbayerischen Aerztekammer, die Visi¬
tation der Stallungen durch die Bezirkstierärzte betr., ist zu all¬
gemein gehalten und entbehrt einer genügenden Begründung,
weshalb derselbe zu einer Berücksichtigung sich nicht eignet.
11. Der Antrag der oberpfälzischen Aerztekammer, dass
künftig alle diejenigen Nummern des Reichsgesetzblattes, in
Avelclien für die amtsärztliche Tätigkeit Avichtige reichsgesetzliche
Bestimmungen enthalten sind, den Amtsärzten auf Staatskosten
zur Verfügung gestellt werden mögen, wurde vorläufig zur Kennt¬
nis genommen; weitere Erhebung und Würdigung werden er¬
folgen.
12. Bezüglich des Antrages der oberbayerischen und mittel-
fränkischen Aerztekammer auf regelmässige Veröffentlichung der
Verhandlungen des verstärkten Obermedizinalausschusses wird
bemerkt, dass eine Veröffentlichung nicht in allen Fällen an¬
gemessen erscheinen kann, und dass auf eine solche, soAveit Be¬
denken nicht bestehen, wie bisher wird Bedacht genommen
Averden.
13. Der Antrag der pfälzischen Aerztekammer, dass die Zu¬
lassung zur Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst in Zukunft
schon unmittelbar nach dem praktischen Jahre gewährt werden
möge, kann als sackförderlich nicht erachtet werden.
14. In Bezug auf den Antrag der pfälzischen Aerztekammer,
die Ausschreibung und Besetzung ärztlicher Stellen an Staats¬
anstalten betr., Avurde mit dem k. Staatsministerium der Justiz
ins Benehmen getreten.
Ein Exemplar der anruhenden drei Abdrücke gegenwärtiger
Entschliessung ist dem Vorsitzenden der Aerztekammer zur Kennt¬
nisnahme und geeigneten Verständigung der ärztlichen Bezirks-
Vereine zuzustellen.
gez. Dr. Frhr. v. Feilitzsch.
Morbiditätsstatistikd. Infektionskrankheitenflir München.
in der 32. Jahreswoche vom 3 bis 9. August 1902.
Beteiligte Aerzte 107. — Brechdurchfall 35 (16*), Diphtherie U.
Krupp 3 (6), Erysipelas 9 (9), Intermittens, Neuralgia interm.
— (1). Kindbettfieber — ( — ), Meningitis cerebrospin. — ( — ),
Morbilli 16 (17), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 1 (2), Parotitis
epidem. 1 (2), Pneumonia crouposa 2 (6), Pyämie, Septikämie
— (-), Rheumatismus art. ac. 14 (14), Ruhr (Dysenteria) — ( — ),
Scarlatina 4 (!), Tussis convulsiva 37 (31), Typhus abdominalis —
( — ), Varicellen 2 (5', Variola, Variolois — ( — ), Influenza — (1).
Summa 124 (110). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 32. Jahreswoche vom 3. bis 9. August 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen : Masern 2 ( — *) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u. Krupp — (1), Rotlauf 2 (3), Kindbettfieber — ( — ), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 1 (1), Brechdurchfall 11 (11), Unterleib-Typhus —
(— ), Keuchhusten 9 (6), Kruppöse Lurgenentzündung 2 (1), Tuber¬
kulose a) der Lunge 31 (19), b) der übrigen Organe 6 (7), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
7 (1), Unglücksfälle 1 (4), Selbstmord — (I), Tod durch fremde
Hand - (-).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 210 (194), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 21,6 (19,9), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 12,5 (10,1).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der VorAVoehe.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.G., München
Die Munch. Med. Wochenschr. erscheint wöehentl.
In Nummern von durchschnittlich 5—6 Boeen
Preis in Deutschi, u Oest. -Ungarn vierteliährl. 6 M.
ins Ausland 8.— Jt. Einzelne No. 80 -4.
Münchener
Zusendungen sind zu adressiren : Für die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE W OCHENSCHKHT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausg-egeben von
0. v. Angerer, Ch. Bäumler, 0. Bollinger, H. Curschmann, W. v. Leube, G, Merkel, J. v. Michel
München. Freiburg L B. München. Leipzig. Würzburg. Nürnberg. Berlin.
F, Penzoldt,
Erlangen.
No. 35. 2. September 1902, Redaktion: Dr. B. Spatz, Amnlfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
H. v. Ranke, F. v, Winckel,
München. München.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus der medizinischen Klinik zu Marburg.
Ueber das Wesen des Diabetes.*)
Von Privatdozent Dr. Otto Hess, Oberarzt der Klinik.
Das Tierexperiment, welches manche Frage des gesunden
und kranken Stoffwechsels gelöst hat, schien auch dazu berufen
zu sein, die Erkenntnis des in seiner Aetiologie und in seinem
V esen so rätselhaften Diabetes zu fördern, nachdem es ge¬
lungen war, beim Tier ein dem Symptomenbild des menschlichen
Diabetes völlig entsprechendes Krankheitsbild hervorzurufen.
Auf die verschiedenste Weise lässt sich experimentell
Diabetes erzeugen: durch Eingriffe in das Nervensystem, durch
\ ergif tungen und durch Drüsenexstirpation ; als Typen dieser
3 Gruppen nenne ich die Piqüre Bernards1) aus dem
Jahre 1849, die Phlorhizinvergiftung v. Merings
aus dem J ahre 1886 und die Pankreasexstirpation
v. Merings und Minkowskis aus dem Jahre 1889. —
Von weniger grossem Interesse ist der Diabetes nach Verletzung
des Unterwurms des Kleinhirns beim Kaninchen (E ckha r d),
nach Verletzung des obersten Brustganglions des Sympathikus
(des Ganglion stellatum), der reflektorische Diabetes nach elek¬
trischer Reizung des zentralen Endes der Nervi vagus, depressor,
ischiadicus, der toxische Diabetes nach Curare-, Morphin-,
Strychnin-, Amylnitrit-, CO- Vergiftung, endlich der inkonstant
auftretende Diabetes nach Speicheldrüsen- und Schilddrüsen-
exstirpation.
. Dm Piqüre, ein Einstich an der Spitze des Calamus
scriptorius im 4. Ventrikel, ruft bei verschiedenen Tieren einen
i or übergehenden Diabetes- hervor und versagt, wenn die
Leber glykogenfrei oder aus jedem Zusammenhänge mit dem
Nervensystem gelöst ist, ebenso nach Durchschneidung des
Neu us splanchnicus. Es handelt sich bei ihr demnach (ebenso
wahrscheinlich auch bei den anderen Glykosurien nach Eingriffen
in das Nervensystem und bei vielen Vergiftungen) um eine
durch nervöse Vorgänge vermittelte „Ausschüttung des Glykogen-
lorrates in der Leber“, um eine „h epatogene Glyko-
s u r i e“ (v. N o o r d e n).
Ganz andere Verhältnisse bietet der Phlorhizin-
diabetes. Durch konsequente Darreichung des Glykosides
Fhlorhizin, per os oder subkutan, gelingt es bei Mensch und Tier,
einen dauernden Diabetes schwerster Form zu erzeugen. Doch
le Sehnlichkeit desselben mit dem echten menschlichen Diabetes
hegt nur in den Symptomen, nicht in der Aetiologie; denn der
Blutzucker ist bei dem Phlorhizindiabetes vermindert,
Rnd diese Verminderung ist die Folge einer primären Vergiftung
er Ni eie und einer daraus resultierenden Insuffizienz des
•Nierenfilters, die normale Blutzuckermenge zurückzuhalten.
Zum Ersätze des verloren gegangenen Zuckers werden fort¬
während neue Zuckermengen im Organismus gebildet, doch nur
um durch die insuffiziente Niere herausgeschwemmt zu werden.
*) Nach einem Vortrage.
^ 9 Vollständige Literaturzusammenstellungen finden sich bei
Jser: „Die Erkrankungen des Pankreas“ in Nothnagels Hand-
Duell der spez. I'ath. u. Therap. Bd. XVIII und
Paris 3898° m ”DiabiHe Pnncrßatique“. Travaux de Physiologie..
No. 35.
Im Gegensätze zu diesem „renalen Diabetes“*2) steht der
Diabetes . nach Pankreasexstirpation. Er ist die
Folge einer primären Vermehrung des Blutzuckers, einer
II y p e i g 1 y k ä m i e infolge verminderten Zuckerverbrauches
im Organismus. Die Glykosurie ist sekundär, da auch das ge¬
sunde Nierenfilter nur einer bestimmten Konzentration des
Blutzuckers gewachsen ist. Es liegt somit dem Pankreasdiabetes
dieselbe Störung des Stoffwechsels wie dem menschlichen Dia¬
betes zu Grunde, nämlich die Störung des Zuckerver¬
brau c li e s, und auch seine Symptome, wie Polyurie, Poly¬
phagie, Polydipsie, Abmagerung, Kräfteverfall, Ausscheidung
von Azeton und Azetessigsäure etc. stimmen durchaus mit den
Symptomen des Diabetes mellitus des Menschen überein.
Was lag unter diesen Bedingungen näher als die Hoffnung,
durch wissenschaftliche Ausbeutung des Pankreasdiabetes dem
Wesen und vielleicht auch der Therapie des menschlichen Dia¬
betes näher zu treten? Eine Unsumme von Arbeit ist aufgewandt
worden und wenn wir auch ein wesentliches Stück vorwärts ge¬
kommen sind, so liegt die endgültige Lösung der Diabetesfrage
doch noch in weiter Ferne. Es soll eine kurze Schilderung der
wichtigsten Theorien versucht werden.
Auf den Zusammenhang zwischen Diabetes und Pankreas¬
erkrankung wurde Cowley bereits im Jahre 1788 aufmerksam;
weitere Erfahrungen sammelten C hopart, Bright, Fre-
l i c h s, Bouchardat, Lanceraux u. a. Es fanden sich
Pankreas Veränderungen in Form von Atrophie, Verfettung,
Induration, Steinbildung, Karzinom, Cysten, Abszess, Blutung,
Nekrose.
Audi die Versuche, diese klinischen Erfahrungen durch
das Tierexperiment zu stützen, liegen bereits lange Zeit zurück;
die Totalexstirpation des Pankreas scheiterte jedoch stets an
gewissen Schwierigkeiten, welche erst v. Mering und M i n -
k o w s k i im J ahre 1889 zu überwinden lehrten. Die Grund¬
bedingungen für das Gelingen der Operation beim Hunde sind:
1. strenge Asepsis und 2. die Schonung gewisser Gefässverbin-
dungen, welche mitten durch das Pankreasgewebe verlaufen und
gleichzeitig Duodenum und Pankreas mit Blut versorgen, der
Arteria und Vena pancreatico-duodenalis superior und inferior3).
Verstösse gegen die Asepsis führen fast ausnahmlos zu tödlicher
Peritonitis, Unterbindung der genannten Gefässe zur Nekrose
eines Teiles des Duodenums und damit ebenfalls zu Peritonitis.
Im Anschluss an die grundlegenden Beobachtungen
v. M erings und Minkowskis beschäftigte sich eine grosse
Anzahl anderer Autoren aller Länder mit derselben Frage4). Ich
möchte einige Resultate dieser Forschungen liervorheben.
Das Pankreas ist eine echte Drüse, d. h. es besitzt einen
Ausführungsgang, durch welchen ein der Resorption der Nah¬
rungsstoffe dienendes Sekret in den Dünndarm geleitet wird.
Der normale pankrea tische Saft enthält 3 Fermente: ein
9 Die Existenz eines spontanen „renalen Diabetes“ beim
Menschen ist noch nicht mit Sicherheit erwiesen; cf. Lepine:
Semaine medicale 6. XI. 01 und Minkowski: Münch, med.
Wochenschr. 1902,, S. 637.
9 Eine gute Abbildung dieser Gefässe findet sich bei H 6 d o n,
loc. cit. p. 13.
9 Einen ausführlichen Ueberblick gibt neuerdings II e d o n:
..Physiologie normale et pathologique du pancreas.“ Paris,
Masson et Cie., 1901.
1
r
No. 35.
1450
MUENCIIENER MEDICINISCHE
WOCHENSCHRIFT.
proteolytisches Ferment, das Trypsin, welches
die Spaltung der Eiweisskörper vollendet und dieselben bi& in
ihre kristallinischen Endprodukte überführen kann (Kutscher
und Seemann6), ein amylolytisches Ferment, die
Pankreasdiastase, welche Amylum und Glykogen durch
Verzuckerung, d. h. durch Umwandlung in Dextrine, Maltose,
Dextrose zur Resorption vorbereitet, und endlich das Steapsin,
welches die Fette teils spaltet, teils in eine äusserst feine, nach
CI. Bernard auch bei saurer Reaktion beständige, der Milch
ähnliche Emulsion verwandelt.
Ein Verlust dieser Fermente, die notwendige Folge der
totalen Pankreasexstirpation, wird naturgemäss eine erhebliche
Verschlechterung der Ausnutzung von Eiweiss, Kohlehydraten
und Fett zur Folge haben. So beträgt nach Abelmann,
Sandmeyer u. a. und eigenen Versuchen °) der Eiweiss-
Verlust im Kote ca. 50 Proz.; der Verlust an Kohle¬
hydra t e n ist geringer, ca. 20 — 40 Proz., weil diastatische
Fermente im Körper weit verbreitet sind; emulgierte Fette,
z. B. Milch, gehen etwa zur Hälfte, niclitemulgierte fast völlig
verlustig.
Es ist auffallend, dass nach partieller Pankreasexstir¬
pation, selbst dann, wenn das zurückgebliebene mitunter nur
wenig umfangreiche Stück gar nicht mit dem Darme in Ver¬
bindung stand, z. B. unter die Bauchdecken transplantiert war,
die Ausnutzung der Nahrungsstoffe stets als etwas besser ge¬
funden wurde wie nach totaler Exstirpation (cf. Versuch II des
Anhanges). Eine Erklärung hierfür ist vielleicht in der An¬
nahme zu suchen, dass die von dem zurückgelassenen Pankreas-
stiiek gebildeten Fermente resorbiert und auf den Darm aus-
geschieden werden ). Diese Annahme wird dadurch gestützt,
dass Injektionen von Pankreasemulsionen in das Peritoneum
ebenfalls eine Besserung der Resorption bewirken (Cappa-
relli). Am besten lässt sich die Wirkung der im Pankreas
enthaltenen Fermente demonstrieren, wenn man dem pankreas¬
losen Tiere rohes Pankreas zur Nahrung zulegt; dann wird die
Ausnutzung der Eiweisskörper und Fette erheblich besser
(A b e 1 m a n n) ; sie kann nach Sandmeyer sogar normal
werden.
Neben dieser Störung der Resorption ruft die Pankreas¬
exstirpation jedoch eine zweite bereits erwähnte schwere Stöiung
des Gesamtstoffwechsels hervor, einen Diabetes mellitus.
Der Diabetes kommt nach totaler Exstirpation unbedingt
zu stände ; er fehlt nach partieller Exstirpation oder nach
Transplantation eines Drüsenstückes entfernt vom Darme, z. B.
unter die Bauchhaut, wenn das im Organismus verbleibende
Stück eine gewisse Grösse besitzt. Ganz kleine Stücke, etwa
y — yi5 des Gesamtpankreas, können die Ausbildung eines
schweren Diabetes nicht verhindern; etwas grössere, ca. 1/ 8 / 12’
lassen eine leichte alimentäre Form des Diabetes zu stände kom¬
men ; noch grössere, 14 — bä, ersetzen das Gesamtpankreas voll¬
ständig (v. Mering und Minkowski); Sandmeyer
zeigte, dass auch nach Zurücklassung grösserer Drüsenreste sich
mit der Zeit ein leichter und später mit fortschreitender Atrophie
des Stückes ein schwerer Diabetes entwickeln kann.
Wir sehen also, dass das Pankreas neben seiner „äusseren
(digestiven) Sekretion“, der Sekretion des Pankreas¬
saftes, noch eine „innere Sekretion* ) vermittelt, welche
dem Zuckerverbrauche im Organismus dient, dass es demnach
ausser seiner Tätigkeit als echte Drüse (man vergleiche da¬
mit die Lunge, Niere, Tränendrüse und Speicheldrüsen) Funk-
°) Kutscher und Seemann: „Zur Kenntnis der Verdau-
ungsvorgänge im Dünndarm.“ Hoppe-Seylers Zeitschr. f. physiol.
Chemie XXXIV, Heft 5/6, 1902.
°) Hess: „lieber Plasmon-Tropon.“ Münch, med. Wochen¬
sehr. 1901, 13. , „
•) Vergl. auch Rosenberg: „Ueber den Einfluss des Pan¬
kreas auf die Resorption der Nahrung.“ Pflügers Arch. Bd. 70,
S. 371. . ,
s) Die Versuche, die innere Sekretion mit den „L a n g e r -
h a n s sehen Insel n“ — Drüsenzellgruppen im Zentrum der
Aeini ohne Ausführungsgang — in Beziehung zu bringen, scheinen
einiges für sich zu haben (Diamare: Internat. Monatssclir. f.
Anal. XVI, S. 155, Abbild.). Diese Inseln gehen nach Unter¬
bindung des Duct. Wirsungianus nicht zu Grunde (S s o b o 1 e w,
Schulze: Arch. f. mikrosk. Anat. 56, S. 491) und werden andrer¬
seits bei Diabetikern öfters degeneriert gefunden, während das
übrige Pankreas intakt war (Opie: Journ. of experim. med.
1900/1901).; s. neuerdings Schmidt: d. Wochenschr. 190‘-, S. 51.
tionen vollzieht, wie wir sie bei unechten Drusen finden
(Nebenniere, Thyreoidea, Thymus, Milz). Wir besitzen übrigens
Analoga bei anderen Drüsen; wir wissen, dass z. B. die Leber
neben ihrer äusseren Sekretion, der Gallebildung, durch innere
Sekretionen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel der Eiweiss¬
körper, der Fette und Kohlehydrate spielt; wir dürfen annehmen,
dass z. B. der Hoden ausser dem Sperma Stoffe liefert, welche
für die Entwicklung des wachsenden Organismus notwendig
sind.
Die äussere und innere Funktion des Pankreas vollziehen
sich völlig unabhängig voneinander. Nur de Dommicis
behauptet auf Grund seiner Versuche einen gewissen Zusammen¬
hang zwischen beiden Sekretionen. Es beweisen jedoch die
Transplantationsversuche Minkowskis, bei welchen d e r
Diabetes ausbleibt, direkt, dass die innere . Funktion
nicht an die Anwesenheit des pankreatischen Saftes im Darme
oder überhaupt nur an die Sekretion des Pankreassaftes ge¬
bunden ist; denn auch bei völlig ausbleibender Saftsekretion
braucht kein Diabetes aufzutreten. Andrerseits konnte Thiro-
1 o i x bei intakter Saftsekretion eines transplantierten Stückes
einen schweren Diabetes feststellen, welcher auf cystisclie De¬
generation des Stückes zu beziehen war. Ich will hier anfügen,
dass auch in den Fällen von echtem Pankreasdiabetes ") in der
menschlichen Pathologie keine Resorptionsstörung und umge¬
kehrt bei Pankreas-Fettdiarrhöen kein Diabetes vorhanden zu
sein braucht.
Wir kommen auf die Frage nach dem Wesen der inneren
Sekretion des Pankreas zurück, welche mit der Frage iden¬
tisch ist: „Welche Vorgänge spielen sich nach der Pankreas¬
exstirpation im Stoffwechsel des Organismus ab?
Schon Minkowski präzisierte zwei Möglichkeiten. Er
sagt : ,
Entweder kommt nach der Pankreasexstirpation eine be¬
stimmte Funktion des Pankreas resp. eine vom Pankreas
in den Organismus gesandte Substanz in Wegfall, auf
deren Fehlen der Diabetes zurückzuführen ist, oder es h ä u f t
sich eine abnorme, unter normalen Verhältnissen durch das
Pankreas paralysierte Substanz im Organismus an, durch
deren Vorhandensein der Diabetes zu stände kommt.
Diese letztere Theorie, die man auch als „humorale be
zeichnen kann, würde eine Autointoxikation und zwar
eine dyskrasische oder histogene Autointoxi¬
kation (Senator)9 10) nach Wegfall des Pankreas supponieren
und würde vielleicht in den Vergiftungserscheinungen, welche
im Gefolge des Diabetes auftreiben können (Koma etc.), eine
Stütze finden. .
Oder endlich, wir kombinieren beide Theorien und nehmen
an, das Pankreas habe die Aufgabe, eine für den Zuckerumsatz
notwendige Substanz zu liefern und ferner auf gewisse Stoff¬
wechselprodukte entgiftend zu wirken. Durch diese Auffassung
würden wir eine Beziehung zu den Funktionen der Schild¬
drüse und Nebennieren finden, denen ebenfalls neben
der Lieferung einer für Gehirn und Nervensystem lebenswich¬
tigen Substanz eine entgiftende11) Wirkung zugesprochen worden
ist (Buse h a n u. a.).
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die genannten Theorien
experimentell zu erhärten.
Den Nachweis der für den Zuckerverbraueh not¬
wendigen Substanz hat besonders Lepine versucht.
L e p i n e nimmt an, dass das Pankreas ein „g 1 y k o lyti¬
sches“, den Zuckerverbrauch, bedingendes Ferment er¬
zeuge, welches in Blut und Lymphe übergehe, in den Leuko-
cyten auf gespeichert werde und mit Zerfall derselben seine Wir
9) Vielleicht ist jeder Diabetes mellitus des Menschen ein Pan¬
kreasdiabetes (H a n s e m a n n, M i n lc o w s k i) ; denn der nega¬
tive Befund am Pankreas post mortem beweist nichts gegen eine
Funktionsanomalie desselben intra vitam.
i») Senator: „Die Autointoxikationen und ihre Behand¬
lung.“ Deutsche Klinik 1901.
m Auf die Annahme, dass der Organismus des Tieres nach
Entfernung der Schilddrüse ein Gift enthalte, welches die spe
zifische von der Schilddrüse — bei Morbus Basedowii im Ueber-
niass _ erzeugte Substanz zu paralisieren im stände sei, gründet
sich die moderne Serotherapie des Morbus Basedowii mit dem
Serum schilddrüsenloser Hammel (vergl. Möbius, MI. Ver ■
mitteldeutsch. Psych. u. Neurol. u. Münch, med. Wochenschr. UU-,
S. 834).
2. September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1451
kung auf den Zucker des Blutplasmas entfalte. Er fand, dass
im normalen Aderlassblute der Zuckergehalt nach einiger Zeit
sinke, und glaubt, diese „Glykolyse“ auf Fermentwirkung zurück¬
führen zu müssen, weil dieselbe in Uebereinstimmung mit an¬
deren fermentativen Prozessen bei höherer Temperatur (54 bis
58 °) sistiere, ein bestimmtes Temperaturoptimum (50—52 °) be¬
sitze und durch niedere Temperaturen in ihrem Eintritt ver¬
zögert werde, weil sich ferner durch Zentrifugieren des Blutes
mit Na Cl-Lösung energisch glykolytisch wirkende Flüssigkeiten
darstellen liessen. Er zieht als Beweis die Tatsache heran, dass
die Diastase, das amylolytische Enzym des Speichels und
des Pankreas, durch Behandeln mit H, S04 1 prom. in ein
glykolytisches Enzym übergeführt werden könne,
und kennzeichnet endlich den ganzen Prozess als einen „vitalen“,
da durch Reizung der Pankreasnerven oder des peripheren
Vagusstumpfes das glykoly tische Vermögen des Blutes erhöht
werden könne. Diese normale Glykolyse soll nach
Lepine beim Diabetes vermindert sein. Lepine
wies diese Verminderung sowohl beim Menschen, als auch ex¬
perimentell an 150 Hunden mit Pankreasdiabetes nach.
Die Theorie Lepinea hat viele Anfeindungen erfahren.
Was die Theorie an sich anlangt, so konnten Nasse und
K a t z die Umwandlung der amylolytischen Enzyme in glyko-
lytische nicht bestätigen; es suchten ferner Seegen, Ivatz,
Colenbrander, Minkowski u. a. nachzuweisen, dass
die Glykolyse kein vitaler Vorgang sei, da z. B. das zellen¬
tötende Chloroform die Glykolyse nicht hindere, sie im Gegen¬
teil steigere, da die Glykolyse auch in faulem Blute zu stände
komme und 2 — 3 Stunden nach der Blutentnahme, wenn die
Lebensbedingungen schlechter würden, am stärksten sei u. dgl. m.
Der Nutzanwendung der Le pineschen Theorie auf den Dia¬
betes steht endlich das Faktum entgegen, dass sowohl beim
menschlichen wie beim experimentellen Diabetes nicht regel¬
mässig eine Verminderung der Glykolyse nachgewiesen werden
konnte.
Es kann somit dieser Theorie, so geistreich sie ist und so
sicher gestützt sie erschien, keine allgemeine Gültigkeit zuge¬
sprochen werden. Ein Teil der berichteten Einwände wurde
übrigens später von Lepine dadurch zurückgewiesen, dass er
den Angriffspunkt des Fermentes statt in das Blut in die Ge¬
webe verlegte.
Auch die zweite erwähnte Theorie, welche den Diabetes auf
die Anhäufung einer giftigen Substanz im Or¬
ganismus zurückführt, kann noch nicht als sicher bewiesen
gelten, wenn auch einige positive Resultate . für sie zu sprechen
scheinen.
Schon Minkowski versuchte den Nachweis dieses Giftes
zu erbringen. Er transfundierte das Blut eines diabetischen
Hundes einem gesunden Hunde, ohne bei dem letzteren Diabetes
erzeugen zu können, und bemerkt dazu, dass, so wichtig und
beweiskräftig ein positiver Ausfall dieses Versuches gewesen
wäre, der negative gar nichts, d. h. nichts für, aber auch
nichts gegen die Annahme einer Giftübertragung beweise, da ja
der gesunde Hund sein normales Pankreas besitze, dem es ein
leichtes sei, den Giftüberschuss im Organismus zu paralysieren
(man erinnere sich an die Leistungsfähigkeit kleiner Pankreas¬
teile). Derselbe Einwand gilt für einen Versuch II e d o n s,
welcher das Blut eines pankreaslosen Hundes einem Hunde mit
geringer Zuckerausscheidung (nach teilweiser Entfernung des
Pankreas) injizierte und keine Steigerung des Diabetes erzielte;
auch hier war ja noch funktionierendes Pankreasgewebe vor¬
handen.
Im Gegensatz zu diesen negativen Versuchen gelang es
Lepine neuerdings 12), bei einem mittelgrossen Meerschwein¬
chen dadurch eine mehrtägige Glykosurie hervorzurufen, dass er
demselben das wasserverdünnte Alkoholextrakt von 5 g Blut eines
pankreaslosen Hundes injizierte, während dieselbe Menge Ex¬
trakt aus normalem Hundeblut nur eine rasch verschwindende
Glykosurie erzeugte. Man könnte aus diesen Versuchen folgern,
lass der diabetische Organismus spezifisch „diabetogene Stoffe“
(„leukomaines diabetogenes“) enthalte. Die Spezifität dieser
Stoffe wird jedoch dadurch in Frage gestellt, dass sich auch aus
1J) Lepine: „Sur l’existcnce de leucomaines diabetogenes“.
Perl. klin. Wochen sehr. 1902, IG.
dem Blute von Nichtdiabetikern, besonders Pneumonikem, diese
Stoffe darstellen liessen (Lepine et Boulud 13).
Dieselben Bedenken lassen sich gegen Versuche von Leo14)
erheben, welcher Hunde diabetisch machte, indem er ihnen pro
Kilo 100 ccm Urin von Diabetikern oder Extrakt aus dia¬
betischem Urin injizierte (zur Kontrolle diente normaler, künst¬
lich mit Zucker versetzter Urin). Denn auch der Urin von
Nichtdiabetike rn kann bei Hunden diabetogen wirken
(Lepine et Boulud ls).
Unter der Voraussetzung, dass das Pankreas eine diese
hypothetische Giftsubstanz neutralisierende Sub¬
stanz erzeuge, wurden Pankreasemulsionen, wässrige und Gly¬
zerin-Pankreasextrakte per os, subkutan, intravenös, intraperi¬
toneal bei zuckerkranken Hunden eingeführt (W i 1 1 i a m s ,
H e d o n, Capparell i), in der Hoffnung, eine Verminderung
des Diabetes zu erreichen. Alle diese Versuche, welche im Hin¬
blick auf die Erfolge der Schilddrüsentherapie von vorneherein
nicht aussichtslos erschienen, riefen keine Besserung, oft sogar
Verschlimmerung des Diabetes hervor.
II e d o n endlich suchte die N eutralisationssub-
stanz nicht im Pankreas, sondern im B 1 u t e des gesunden
Tieres; er liess Hunde mit Pankreasdiabetes fast verbluten
und transfundierte ihnen dann direkt in die Jugularvene das Blut
gesunder Hunde bis zum Verbluten der letzteren; ein Erfolg, d. h.
eine Herabsetzung der Glykosurie konnte nur in einem Falle
vorübergehend konstatiert werden. De Domini cis erhielt
sogar bei einem Pankreashunde nach Injektion des Pfortader¬
blutes eines gesunden Hundes, der sich auf der Höhe der Fleisch¬
verdauung befand, eine Steigerung der Zuckerausscheidung auf
das Doppelte, eine Tatsache, die Lepine unter den vorliegenden
Bedingungen auf das Ueberwiegen des „saecharifizieren-
den Fermentes“ über das „glyko lytische Fer¬
ment“ im Pfortaderblute, II e d o n dagegen wegen der Glyko¬
genarmut des pankreaslosen Hundes nicht auf eine Zuckermehr¬
bildung im Organismus, sondern auf die Umwandlung der durch
die Transfusion eingeführten Nährsubstrate in Zucker zurück¬
führt.
Ich selbst ging in einer Reihe von Ver¬
suchen10) von der Annahme aus, dass der ge¬
sunde Organismus dieses supponierte Neu¬
tralisationsprodukt gerade dann in beson¬
derer Menge enthalten müsse, wenn ihm eine
erhöhte Menge von Giftsubstanz zugeführt
und damit das Pankreas zu vermehrter innerer
Sekretion angeregt worden sei — und habe deshalb
zunächst gesunden Hunden grössere Mengen (50 — 150 ccm)
Blutserum pankreasloser Hunde intravenös eingeführt und dann
das mehrere Stunden später (9 — 14 s. Versuche) entnommene
Blutserum dieser gesunden Hunde — die, wie schon Min¬
kowski feststellte, nicht diabetisch werden (s. o.), so dass eine
äusserst prompte Neutralisierung der eingeführten Giftstoffe
angenommen werden muss — wiederum zuckerkranken Hunden
injiziert und hoffte, falls jetzt eine bedeutende Verminderung
der Glykosurie der letzteren oder eine auffallende Aenderung in
den anderen Diabetessymptomen eintrete, auf diese Weise ge-
wissermassen indirekt den Nachweis des Giftes und Gegengiftes
zuführen.
Bei einzelnen dieser Tiere liess sich zwar am Tage der
Seruminjektion ein deutliches Absinken des Zuckers konstatieren
(s. Versuch I und III); doch dieser Erfolg ging rasch vorüber
und fehlte bei anderen Tieren gänzlich (s. Versuch II). Es
konnten ferner die zum Tode führenden Intoxikationserschei¬
nungen (Schwäche, Azetonurie, Konvulsionen und besonders die
Herzverfettung, die bei allen Hunden kolossal
und als direkte Todesursache an zu sehen war)
in keinem Falle durch die Seruminjektion verzögert werden.
Es haben somit auch diese Versuche, abgesehen von den ge¬
nannten Schwankungen in der Zuckerausscheidung, die sichere
Schlüsse nicht zulassen, zu keinem greifbaren Resultate geführt.
15) Lepine et Boulud: „Sur la glycosurie asphyxique“.
Compt. rend. de l'acad. des Sciences, 10. 3. 1902.
u) Leo: „Ueber Wesen und Ursache der Zuckerkrankheit“.
Berlin 1900.
16) L 6 p ine et Boulud: „Substance diabetogene dans
rurine“. Lyon medical, 27. 5. 1900, p. 127.
Il!) Einige Versuchsprotokolle findep sich inj Anhang.
1*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
1452
Der negative oder nicht eindeutige Ausfall aller dieser Ver¬
suche, Gifte und Gegengifte des Stoffwechsels im Organismus
nachzuweisen, hat bereits zu dem Vorschläge geführt (v. Cyon,
Adler, G o e b e 1 u. a. 17), man sollte die Autointoxikations¬
hypothese völlig aufgeben und annehmen, dass die innere Sekre¬
tion gewisser Organe nicht eine Giftsubstanz zu neutralisieren,
sondern ausschliesslich unter Einwirkung auf das Nervensystem
gewisse trophische, den Blutlauf und Stoffwechsel regulierende
und anregende Funktionen zu vermitteln habe.
Es erübrigt noch, kurz auf die „n ervöse n“ Theorien des
Pankreasdiabetes einzugehen, welche ebenfalls eine gewisse Be¬
rechtigung haben, da wir wissen, dass Verletzungen des Nerven¬
systems nicht nur einen vorübergehenden (Piqüre), sondern auch
einen länger dauernden Diabetes auslösen können (Gehirnver¬
letzungen, Apoplexien 7ä).
17) v. Cyon: Pflügers Arch., Nov. 1901; Adler: Münch, med.
Wochenschr. 1902, S. 570; Goebel: Ibidem, S. 835.
JS) Folgender interessante Fall eines länger dauernden Dia¬
betes nach Apoplexie wurde vor kurzer Zeit in der me¬
dizinischen Klinik zu Marburg beobachtet:
Clara Sch., 59 Jahre alt, früher Seiltänzerin, erlitt am 25. XII.
1901 unter Schwindelgefühl einen apoplektischen Insult, welcher
Verlust der Sprache, Lähmung des rechten Fazialis, des rechten
Armes und rechten Beines zur Folge hatte. Während des 1. Auf¬
enthaltes in der Klinik vom 26. XII. 1901 bis 24. I. 1902 w a r
der Urin bei gemischter Diät dauernd zucker¬
frei. Bei der Entlassung bestand noch eine geringe Behinderung
der Sprache, sowie eine geringe spastische Parese im rechten Fa-
Es sind dies die Theorien von Chauveau-Ivauf-
m a n n, T li i r o Po i x. Lancerau x, der Gebrüder Cavaz-
z a n i u. a. Diese Theorien nehmen auf die nahen Beziehungent
zwischen Nervensystem, Pankreas und Leber bezug und führen:
den Diabetes auf eine „Vermehrung der Zuckerbildung in der
Leber“ zurück. Chauveau und Kauf m a n n nehmen an,
dass das Pankreas die Zuckerbildung in der Leber reguliere und
zwar sowohl direkt, als durch den Svmpathicus und 2 Zentra,
ein Hemmungszentrum für die Zuckerbildung in der Medulla
oblongata, auf welches das Pankreas reizend, ein Reizungs¬
zentrum im oberen Zervikalmark, auf welches es hemmend wirke.
zialis und den rechten Extremitäten. Eine Zunahme dieser Motili¬
tätsstörungen führte Pat. am 10. II. 02 wieder in die Klinik und
jetzt wurde ein Diabetes mellitus festgestellt.
Bei der Aufnahme fanden sich 5,5 Proz. Zucker; am 15./10. II. 02
wurden bei 97 g Kohlehydraten in der Nahrung 1930 ccm I lin
mit 75 g Zucker (3,9 Proz.) entleert; unter allmählicher Ent¬
ziehung der Kohlehydrate sank die Zuckerausscheidung und der
Urin war am 23. /24. II. 02 bei völliger Kohlehydratentziehung:
zuckerfrei. Nach einer Kohlehydratabstinenz von 14 Tagen stei¬
gerte sich die Toleranz auf 60 g Kohlehydrate. Entlassung am
18. III. 02 unter einer Gewichtszunahme von 5 Pfund und Besse¬
rung der Motilitätsstörungen. Bei der 3. Aufnahme am 31. III. 02.
enthielt der Urin 3,2 Proz. Zucker; die Toleranz betrug bei der
Entlassung am 28. IV. 02 120 g Kohlehydrate; die Gewichts¬
zunahme 4 Pfund. Die Ferrichloridreaktion trat nur ganz voi iibei-
gehend und schwach während der Kohlehydratentziehung auf. Am
2S. und 29. VII. 02 stellte sich Pat. wieder vor: Urin völlig
zucker f r e i.
Versuch 1. (Prot Nr. 8.j
Weisser Terrier Q. 9. 11. 00 Totalexstirpation des Pankreas1) (in Morphium-Aethernarkose) ; Subkutane Infusion von o00 erm
physiol. NaCl-Lösung2); am Schluss der Operation wurden 130 ccm Urin mit 2,4 Proz. D (= 3,12 g)3), am folgenden Morgen 255 ccm
mit 5,4 Proz. (= 13,77 g D) durch Katheter entleert. Pas folgende ergibt die Tabelle :
Datum
1900
Gewicht
kg
Tem¬
peratur
Nahrung
Urin
Bemerkungen
Menge 4)
(spez.
Gew.)
Pathol. Be¬
standteile
ausser D
N5)
D6)
D : N
10.— 11. XI.
6,4
38.7 M
38.8 A
Milch
Fleisch
600
(1052)
Spur Eiweiss
10,92
(+7,3)
43,8
4,01
11.— 12. XI.
6,0
39,9
38,6
Fleisch
440
(1057)
Aceton
positiv
10,259
(+ 7,4)
32,56
3,1
12.— 13 XI.
5,6
38,5
38,5
Fleisch, Tropon,
Plasmon
400
(aufgefüllt
dto.
8,35
(+3,4)
25,6
3/6
13.— 14. XI.
5,7
38,5 M
ca 300 g Fleisch
100 ccm NaCl-
Lös. subkutan
500
(1046)
Spur Eiweiss
Aceton .
schwach +
9,59
(4- V)
28,5
2,97
13. XI. 3l/i Uhr Nm. Entziehung
v. ca. 1 00 ccm Blut aus d. linken
Femoralvene. (S. hint. Tabelle.)
14.-15. XI.
5,4
39,0
ca. 450 g
Fleisch
470
(aufgefüllt)
dto.
13,552
(+5,5)
25,85
1.9
(14. XI. 11 Uhr V. Infusion v.
50 ccm Bl utserum (s. hint Ta¬
belle) in die rechte Femoralvene.
15.-16. XI.
5,3
38,2
sehr wenig
Fleisch
500
(aufgefüllt)
dto
5,936
(+3,0)
15,0
2,53
16.— 17. XI.
5,02
34,6
sehr wenig
350 ccm NaCl-
Lös. subkutan
350
(aufgefüllt)
dto.
5,096
(+3,0)
10,5
2,06
17.— 18. XI.
5,01
31,3
dto.
300
(aufgefüllt)
Aceton
stark -|-
3,125
(+ 2,2)
6,6
2,11
Eiterung der Bauchwunde.
18.— 19. XI.
5,08
35,2
35,6
ca. 80 g
Fleisch
300
(aufgefüllt)
dto.
3,309
(+2,1)
6,3
1,9
19.— 20. XI.
4,8
34,8
0
250 ccm NaCl-
Lös. subkutan
305
(aufgefüllt)
dto.
2,989
(+ 1,5)
4,575
1,5
sehr matt.
20.-21. XI.
4,75
33,8
0
400 ccm NaCl-
Lös. subkutan
21. XI. Vorm. 5 Uhr Exitus letalis.
Sektion: Herz im höchsten
Grade der Verfettung (lehm¬
farbig).
Zum 13.— 14. XT. Von der dem Versuchshunde am 13. XI. 3’/« Uhr N. entzogenen Blutmenge werden 50 ccm Serum, die sich
im Brütofen abgeschieden hatten, um 6'/2 Uhr N. einem kleinen gesunden Rattenpinscher (Gewicht 5,12 Iv) in die linke Femoralvene
injiziert; der von demselben am anderen Morgen entleerte Urin ist zuckerfrei. _
Zum 14. _ 15. XI. 14. XI. V. 8 Uhr werden dem Rattenpinscher ca. 100 ccm Blut entzogen und die im Brutofen abgeschiedene
Serummenge (ca, 50 ccm) wiederum dem Versuchshunde um 11 Uhr V. in die rechte Femoralvene injiziert.
Resultat: Am Tage der Seruminjektion zeigt sich ein deutliches Absinken des Quotienten D:N; dasselbe ist auf
eine (relative) Verminderung der Zuckerausscheidung im Verhältnis zu der infolge der grösseren Fleischzufuhr vermehrten
Stickstoffausscheidung zurückzuführen.
1) Für die liebenswürdige Unterstützung bei den Operationen danke ich auch an dieser Stelle Herrn Dr. Brandt herzlicbst,
2) Die subkutane Infusion von Kochsalzlösung erwies sich besonders bei hungernden und brechenden Hunden als treffliches
Mittel zur Aufrechterhaltung der Kräfte ; durch ihre Anwendung gelang es bei einzelnen Tieren, Allgemeininfektionen wirksam zu bekämpfen.
s) Nach fast allen Totalexstirpationen erschien die Zuckerausscheidung unmittelbar im Anschluss an die Operation (bis zu
5,6 Proz.), nur in einem Falle (Prot. Nr. 9) erst 7 Stunden später. (Nach Minkowski ist die Zuckerausscheidung am 1. Tage meist
gering; nach Sandmeyer tritt sie frühestens 8 Stunden nach der Operation auf.
4) Die 24 ständige Urinmenge wurde jeden Morgen zu bestimmter Zeit durch Katheterisieren abgegrenzt. (Es wurden nur
weibliche Hunde nach Spaltung der Scheide verwandt.)
b) N-bestimmung nach Kjeldahl.
°) D-bestimmung durch Polarisation vor und nach der Vergährung.
145:
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1454
MUEKCHEHER MEDICIHISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Versuch III. (Prot. Nr. 18)
Schäferhund 9. 25. HI. 02 Exstirpation des Pankreas mit Tr«nsp,anU«^o„ ^Je"';,.Ucker entleer,.
Verband. — Höchste Temp. 39,5. Direkt im Anschluss an (Pe Operation J'erc cn ( n c kürf rei> IV. 02. Entfernung <les Irans-
A"' Verband (ve,.l. Vers. ,1,. Das heitere gibt die «X -
Datum
1902
Tem¬
peratur
Urin
2. -3 IV.
3. -4. IV.
4. -5. IV.
5. 6. IV.
<*,.—7. IV.
7.-8. IV.
8.-9. IV.
38,4 M
38,5
38,5
38,1
38,2
38,4
38,5
Nahrung
Menge
(spez. Gew.)
Patholog.
Bestandteile
ausser D
N
D
1
D : N
460 g
reines Rind¬
fleisch
470
(1050)
—
10,449
(+ 3,8)
31,96
3,05
170 g
Rindfleisch
290
(1046)
—
6,772
(fl- 5,6)
16,24
2,4
240 g
Rindfleisch
310
(1049)
—
6,913
(-F 5,6)
17,36
2,5
300 g
Rindfleisch
280
(1053)
Aceton
schwach -f-
6,476
(+ 3>6)
18,48
2,8
ca. 100 g
Rindfleisch
200
(104z)
dto.
4,178
(+4,0)
8,0
1,9
geringe
Mengen
Kochfleisch
212
(1057)
£ Acetonj
,*■ stark + %
5,68
(+ 7,4)
15,68
2,8
fast 0
120
(1059)
dto.
4,43
(+7,4)
8,88
2
Bemerkungen
Morgens Entfernung des Drüsen¬
restes (s. o.).
Wunde gut.
6 IV 8 Uhr Morgens. Infusion von
60 ccm Blutserum in die rechte
Schenkelvene (s. liint. Tabelle).
geringe Fresslust.
9 IV M. 8 Uhr heim Kathetcrisiercn kurze
tonische Krämpfe und Kxitus unter dem
Bilde der Herzlähmung Sektion: Herz
im höchsten Grade verfettet (1 ehm-
farbig).
Zum 6.— 7. IV. Die dem Versuchshunde injizierten w ccm oeium w» — *
“f ‘ f Femoralvene injiziert (dev
Urin desselben bleibt zuckörfrei).
ö IV Morgens 8 Uhr. Blutentziehung bei diesem gesunden Ilunde.
Besold X' rÄX des Quotienten D=N infoige Vermin-
derung der Zulkerausscheidung, jedoch-keine Besserung der Sohwacheersoheinungen.
Pankreasexstirpation müsse desshalb eine doppelte Hemmung der
Zuckerproduktion beseitigen und schweren Diabetes liervorruien
Auch diesen Theorien kann ein schwerwiegender Einwand
gemacht werden. Denn es handelt sich beim Diabetes offenbar
nicht um eine Vermehrung der Zuckerbildung, sondern um eine
Störung des Zuckerverbrauchs, eine Tatsache, die
Minkowski, Schabad u. a. experimentell gestutzt haben.
Die vorliegenden Zeilen enthalten den Versuch, die wichtig¬
sten Theorien über das Wesen des Diabetes, soweit sie beim ex¬
perimentellen Diabetes gewonnen wurden, kurz darzulegen, um
zu zeigen, wie weit wir noch von der wahren Erkenntnis des¬
selben entfernt sind. Mögen weitere Forschungen zum Ziele
führen! Denn es gilt nicht nur theoretische Fragen zu losen;
wir dürfen vielmehr die Hoffnung hegen, durch die richtige Ei
kenntnis der Ursachen und des Wesens des Diabetes zu einer
ätiologisch-spezifischen Therapie desselben zu gelangen.
Für jetzt allerdings haben fast noch die Worte Gültigkeit,
mit welchen Ererichsim Jahre 1884 das Schlusskapitel seiner
Monographie „Ueber den Diabetes“, welches vom Wesen des Dia¬
betes handelt, beschliesst : „Das Räthsel dieser Sphinx dürfte
noch lange ungelöst bleiben und noch manches Menschenkind
ihm ziun Opfer fallen, ehe die Lösung gefunden sein wird. Aber
von welcher Krankheit gilt nicht dasselbe, wenn wir mit Ernst
nach dem Wesen derselben fragen? Hier, wie überall in der
Heilkunde, gilt es, nicht voreilig abzuscliliessen und da von
wahrer Erkenntnis zu reden, wo in der Tat nur ein mehr oder
minder beglaubigtes Vermuten vorliegt.“
Aus dem hygienischen Institut der Universität München.
Zur hämolytischen Wirkung des normalen Menschen-
serums.
Von Prof. Martin Hahn und Dr. R. Trommsdorff.
Die Erscheinungen der Hämolyse haben in den letzten
Jahren mit Recht Hie Aufmerksamkeit weiter medizinischer
Kreise in Anspruch genommen. Es handelt sich um eine e-
aktion, die in schneller und leicht auszuführender Weise die
Orientierung über eine enzymartige Wirkung des Blute* ge¬
staltet, uie zwar an sich ziemlich bedeutungslos ist, aber wegen
ihrer engen Beziehungen zuin bakteriziden Vermögen des Flute,
und damit zur natürlichen Resistenz schon jetzt eine grosse W Hei¬
ligkeit gewonnen hat und vielleicht auch zur Losung ernährungs¬
physiologischer Probleme beitragen wird. Als eine der grössten
Errungenschaften auf diesem Gebiete nach der mehr praktischen
Seite hin darf man die durch die Arbeiten Ehrlielis um
seiner Schüler, sowie Bordets u. a. gewonnene Erkenntnis
bezeichnen, dass der Immunkörper bezw. Zwischenkorper ( m
ceptor) eines Serums nicht durch jedes beliebige Komplement
reaktiviert werden kann. Schon Ehrlich hat wiederholt
hervorgehoben, dass diese Anschauungsweise auch ihre praktisch!
Bedeutung für die Serotherapie gewinnen muss, dass ein künst¬
lich erzeugter Immunkörper nur eben dann seine volle W lrksam-
keit im menschlichen Organismus entfalten kann, wenn er duic.i
das menschliche Serum komplettiert wird. Von diesem Gesichts¬
punkte aus muss auch das Studium der Hämolyse, sowohl dei
normalen wie der spezifischen, mit menschlichem Serum ein
hervorragendes Interesse gewinnen. Wir haben daher versue i ,
zunächst bezüglich der normalen Hämolyse durch Menschenserum
festzustellen, wie dieselbe durch Zusatz von inaktivem Hammel¬
und Pferdeserum beeinflusst wird. Es wurden diese beiden liei
spezies gewählt als solche, die für die praktische Gewinnung
grösserer Mengen von spezifisch bakteriziden Sens in Betiac r
kommen. Von vornherein war es klar, dass das Studium
normalen Hämolyse durch Menschenserum nicht zu bindenden
Schlüssen bezüglich der Wirksamkeit spezifisch a enzi
Tiersera im menschlichen Organismus führen konnte, lmmei-
ldn hofften wir auf diese Weise feststellen zu können, ob im all¬
gemeinen normales inaktives Hammel- und Pferdeserum e
hämolytische Wirkung des normalen Menschenserums zu unter¬
stützen oder zu hindern vermag und so eine Grundlage für wei^
tere Versuche über den Ablauf spezifisch bakterizider und hämo¬
lytischer Vorgänge unter den gleichen Bedingungen zu ge¬
winnen, wie wir sie bereits in Angriff genommen haben.
Als Material diente uns menschliches Plazentarblutserum,
welches uns durch die Güte des Herrn Geheimrat Professor
v. W i n ekel stets in frischem und sterilem Zustande zur er
fügung stand. Die Blutkochsalzlösungen waren sämtlich
und zum Versuche wurden immer 2 oem der Lösung verwandt.
Die Beobachtung erfolgte 2 Stunden hindurch bei 37 , danacn
wurden die Röhrchen im Eisschrank aufbewahrt und nacn
2. September 1902.
1455
MUENCHENER MEDICI'NISCl IE WOCHENSCHRIFT.
24 Stunden kontrolliert. Bekanntlich löst Menschenserum Ka¬
ninchen- und Meerschweinchenblut sehr rasch. Setzt man zum
Meerschweinchenblut inaktives Hammelserum und nach lVz stän¬
diger Digestion bei 37 0 zu dieser Mischung aktives Menschen¬
serum, so tritt gegenüber den Kontrollproben eine Verzögerung
der Lösung in dieser Mischung ein, die aber in diesem Falle
bei der ausgiebigen und schnellen Wirkung des Menschenserums
nicht so stark in Erscheinung tritt. Bei der Hämolyse des
Kani nchen blutes wird die Verhinderung der hämolytischen Wir¬
kung erst bei Zusatz von grossen Dosen inaktiven Hammelserums
(3 ccm auf Vz ccm aktives Menschenserum) deutlich. Ebenso
bewirkt der Zusatz von inaktivem Hammelserum eine Verzöge¬
rung der Hämolyse, die Menschenserum auf Rinder- und Pferde¬
blut ausübt. Die Mengen von Hammelserum, welche zur Ver¬
zögerung bezw. zur Verhinderung der Lösung erforderlich sind,
variieren in einzelnen Fällen allerdings ganz erheblich. Es
kommt hier vor allem auch auf das Lösungsvermögen an,
welches das betreffende Menschenserum an sich besitzt. Im all¬
gemeinen kann man sagen, dass bei gutlösendem Menschenserum
schon 0,5 ccm inaktives Hammelserum eine deutliche Verzöge¬
rung der Wirkung hervorruft. Bei schlecht lösendem Serum,
das also z. B. erst in Mengen von 2 ccm innerhalb von 30 Mi¬
nuten oder länger eine vollständige bezw. auch unvollständige
Lösung herbeiführte, trat häufig auf Zusatz von kleinen Mengen
(bis 0,5 ccm) inaktiven Hammelserums sogar eine Beschleunigung
des Lösungsvorganges ein, und erst grosse Dosen (2 — 3 ccm) des
inaktiven Serums führten eine Verzögerung herbei. Die be¬
schleunigende Wirkung kleiner Dosen trat allerdings mitunter
auch bei Verwendung von gut lösendem Menschenserum ein. Die
gleichen Erscheinungen konnten beobachtet werden, wenn man
Rinder- und Hammelblut durch Menschenserum unter Zusatz
von inaktivem Pferdeserum zu lösen versuchte. Und auch frem¬
des, inaktives Menschenserum wirkte entsprechend. Sehr be-
m erkenswert i s t d a g e g e n, dass, wenn man die
Menge des Zwischenkörpers durch Zusatz von
inaktiviertem Serum desselben Menschen ver¬
stärkte, eher die Hämolyse beschleunigt
wurde und selbst sehr grosse Dosen keine V e r -
1 a n g s a m ung hervor riefen.
Als Beispiele seien die folgenden Versuche angeführt, die
aus einer grossen Anzahl von Versuchsreihen herausgegriffen
sind :
I. Wirkung des Hammelserums
5 Proz.
Pferde-
Blut
inaktives
Haminel-
Serum
physiol.
NaCl-
Lösung
aktives
Mensch.-
Serum
Resultat
1.
2 cc.
_
2,0 cc.
2 cc.
15 Min. fertig gelöst.
2.
dto.
0,25 cc.
1,75 „
dto.
25
yy >) yy
3.
dto
0,5 „
1,5 „
dto.
1/2 Std. fertig.
4.
dto.
L0 „
1,0 „
dto.
1 Std fertig.
5.
dto.
2,0 „
—
dto.
24 Std. wenig Lösung.
II.
In kleinen Dosen beschleunigende Wirkung des
Hammelseru m s.
1.
2 cc.
—
1,0 cc.
1 cc.
6 Minuten fertig.
2.
dto.
0,5 cc.
0,5 „
dto.
21/* „
3.
dto.
1,0 „
—
dto.
24 Std. keine Lösung.
III. Wirkung des Pferdeserums.
5 Proz.
Rinder-
Blut
inaktives
Pferde-
Serum
physiol.
NaCl-
Lösung
aktives
Mensch. -
Serum
Resultat
1.
2 cc.
—
2,0 cc.
2 cc.
10 Min. vollst, gelöst.
2.
dto.
0,1 cc.
1,9 „
dto.
12 „
3.
dto.
0,25 „
1,75 „
dto.
15 „ ,, ,,
4.
dto.
0,5 „
1,5 „
dto.
20 ,, „ ,,
5.
dto.
1,0 „
1,0 „
dto.
l1/* std. „
6.
dto.
2,0 „
—
dto.
24 Std. wenig gelöst.
IV. Wirkung des fremden Menschenserums.
5 Proz.
Rinder-
Blut
inaktives
Mensch -
Serum
physiol.
NaCl-
Lösung
aktives
Mensch .-
Serum
Resultat
1.
2 cc.
—
2,0 cc.
2 cc.
10 Min. völlig gelöst.
2.
dto.
0,1 cc.
1,9 „
dto.
12
yy yy yy
3.
dto.
0,25 „
1,75 „
dto.
1J ,, ,, „
4.
dto.
0,5 „
1,5 „
dto.
24 Std. unvollst. Lös.
5.
dto.
1,0 „
1,0 „
dto.
desgl.
6.
dto.
2,0 „
—
dto.
24 Std. wenig gelöst.
V. Wirkung desselben inaktiven Menschenserums.
1.
2 cc.
—
5,0 cc.
2 cc.
15 Min. fertig gelöst
2.
dto.
0,5 cc.
4,5 „
dto.
15
yy yy yy
3.
dto.
1,0 „
4,0 „
dto.
yy yy yy
4.
dto.
2,0 „
3,0 „
dto.
12 „ „ »,
5.
dto.
3,0 „
2,0 „
dto.
H ,, ,, ,,
6.
dto.
5,0 „
—
dto.
7
• yy yy yy
Um diesen Erscheinungen auf den Grund zu kommen, such¬
ten wir zunächst festzustellen, ob die Pferdeblutkörperchen über¬
haupt den Zwischenkörper des Hammelserums binden und ob
andererseits der Zwischenkörper zum menschlichen Komplement
passt. Behandelt man Pferdeblutkörperchen mit inaktivem
Hammelserum, und entfernt dann die Zwischenflüssigkeit nach
2 ständiger Digestion, so ergibt sich, dass die Blutkörperchen
vom Menschenserum nach dieser Behandlung bald etwas
schneller, bald gleich schnell, wie die nicht behandelten Blut¬
körperchen gelöst werden. Mitunter aber bleibt die Lösung der
vorbehandelten Blutkörperchen sogar ganz aus. Es scheint auch
hier von Bedeutung zu sein, ob es sich um ein an sich gut lösen¬
des oder erst in hohen Dosen wirkendes Menschenserum handelt.
Die Resultate lagen mithin so, dass durch diese Art der Ver¬
suchsanordnung keine sichere Entscheidung zu treffen war. Erst
Versuche, in denen wir durch Behandlung des Menschenserums
mit Pferdeblut bei 0° den Zwischenkörper für Pferdeblut aus
dem Menschenserum entfernten, zeigten uns, dass tatsächlich das
Hammelserum die Blutkörperchen nicht präpariert, denn von
so behandeltem Menschenserum wurden nunmehr auch Pferde¬
blutkörperchen überhaupt nicht mehr gelöst, und zwar auch
solche nicht, die mit Hammelserum vorbehandelt waren. Setzte
man dagegen inaktives Menschenserum hinzu, so trat sofort
wieder Lösung ein. Also entscheidend ist in allen diesen Ver¬
suchen nur die Gegenwart des menschlichen Zwisehenkörpers im
Serum. Wo er in genügender Menge vorhanden ist, da wird auch
nur dieser von den Blütkörperchen gebunden und der Zwischen¬
körper des Hammelserums bleibt frei in der Flüssigkeit. Ist
der menschliche Zwischenkörper, wie das in schlecht lösen¬
dem Serum der Fall sein kann, vielleicht in geringerer Menge
vorhanden, so scheinen sich die Aviditätsverhältnisse zu ändern
und so kann gelegentlich eben durch kleine Dosen von inaktivem
Hammelserum eine Bindung des Zwischenkörpers an die Blut¬
körperchen bewirkt und damit eine Beschleunigung der Lösung
h,ervorgerufen werden. Mit den ersterwähnten Tatsachen stimmt
auch gut überein, dass frisches Hammelserum an sich Rinder¬
und Pferdeblut in einem von uns angestellten Versuche nicht
löste. Dieselben Resultate wurden durch die gleichen Versuchs¬
anordnung für die Beziehungen des Hammelzwischenkörpers zu
Kaninchenblutkörperchen erhalten.
Erwähnt sei hier gleich, dass durch Behandlung des Men¬
schenserums mit Pferdeblut bei 0° nur der Pferdeblutzwischen-
körper entfernt wird, das Serum aber noch gegen Rinderblut
wirksam bleibt, eine Tatsache, die entschieden geeignet ist, die
Anschauungen von der Pluralität der normalen Zwischenkörper
(Ehrlich, Morgenroth u. a.) zu stützen.
Zur Erklärung der verhindernden Wirkung des Hammel¬
und Pferdeserums, sowie des fremden inaktiven menschlichen
Serums in den obigen Fällen von Hämolyse möchten wir die so¬
genannte Komplementablenkung, die von Neisser und
um
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
W e clisl) e r g ') in Fällen von spezifischer Bakterizidie be¬
obachtet wurde, heranziehen. P. Th. Müller ) hatte ähn¬
liche Beobachtungen, wie wir, auch schon in Fällen normaler
Hämolyse gemacht, und sie auf die Gegenwart von Antihämo¬
lysinen zurückgeführt. Metschnikoff ) hatte derartige
Erscheinungen durch normal vorkommende Anticytase erklärt,
eine Anschauung, die Li p stein4) durch eine Anzahl von \ ei-
suchen zu widerlegen unternommen hat. Für unseren Fall, wo
auch inaktiviertes Serum der eigenen Spezies das Phänomen ge¬
zeigt hat, erscheint uns die Annahme eines Antikörpers wenig
wahrscheinlich. Ueberhaupt erscheint es im Interesse des wissen¬
schaftlichen Fortschrittes auf diesem Gebiete notwendig, sich
von der Annahme von Antikörpern möglichst solange fernzu¬
halten, als nicht die exaktesten experimentellen Beweise für eine
solche Auffassung vorliegen: Andernfalls bedeutet die Ein¬
führung neuer Antikörper in die Theorie nichts weiter, als dass
man die beobachtete Erscheinung durch ein neues Wort um¬
schreibt.
Nach N e i s s e r und Wechsberg besteht das Wesen der
Komplementablenkung darin, dass „bei bestimmten Aviditätsver-
hältnissen ein Uebersehuss von Amborezeptoren ablenkend und
gleichsam verdünnend auf das Komplement wirkt. Das Kom¬
plement verbindet sich dann nicht mit den an die Bakterien \ei-
ankerten Amborezeptoren, sondern mit den überschüssigen freien
Amborezeptoren, während die an die Bakterien verankerten
Amborezeptoren komplementfrei bleiben. Da aber nur die mit
Hilfe der Amborezeptoren verankerten Komplemente bakterizid
wirken, so wird in dem beschriebenen I alle die Bakterizidie aus-
bleiben“ (L i p s t e i n). Auf unseren Fall übertragen, würde der
im allgemeinen nicht von den Blutkörperchen verankerte, frei
in der Flüssigkeit befindliche Zwischenkörper des PIampiel-,
Pferde-, fremden Menschenserums das menschliche Komplement
gebunden und es auf diese Weise einem Teil der Blutkörperchen,
die sich mit menschlichem Zwischenkörper beladen hatten, ent¬
zogen haben. Deswegen blieb die Lösung bei hohen Dosen von
inaktivem Hammelserum aus, bezw. war unvollständig. Es
könnte auf den ersten Blick wunderbar erscheinen, dass hier das
menschliche Komplement eine grössere Affinität z. B. zum Ham-
melzwischenkörper zeigt, als zu seinem eigenen Zwischenkörper.
Man muss aber immer bedenken, dass hier eben der menschliche
Zwischenkörper wahrscheinlich schon die Blutkörperchen ver¬
ankert hat, also eine neue Verbindung entstanden ist, deren
Affinität zum Komplement nicht mehr die gleiche zu sein
braucht, wie die des nichtgebundenen Zwischenkörpers.
Es sind uns auch einige Fälle vorgekommen, wie oben er¬
wähnt, in denen die mit Hammelserum vorbehandelten Blut¬
körperchen gar nicht mehr vom Menschenserum gelöst wurden,
während bei gleichzeitiger Mischung von Hammelserum, Blut¬
körperchen und Menschenserum in gleichen Mengenverhältnissen
Lösung eintrat und die von den vorbehandelten Blutkörperchen
gewonnene überstehende Flüssigkeit sogar schnellere Lösung
zeigte. Bemerkenswerter Weise handelte es sich hier um ein
Menschenserum, das an sich die Blutkörperchen schlecht löste.
Hier könnte man die von Ehrlich und Sachs ) für solche
atypische Fälle gegebene Erklärung heranziehen, wonach „ein
Amborezeptor (Hammel) an sich unbefähigt, sich mit der Zelle
zu verbinden, durch die Verankerung des Komplements eine Er¬
höhung seiner Affinität erfährt und dadurch erst reaktionsfähig
wird“. Man müsste in diesem Falle, wie in den Fällen, in denen
kleine Dosen von Hammelserum beschleunigend wirkten, an¬
nehmen, dass hier ein Mangel an Zwischenkörper im mensch¬
lichen Serum, das ja an sich schlecht löste, vorhanden war. Dann
wären die Zellen nicht vom menschlichen Zwischenkörper voll-
-tändig besetzt, und die inzwischen eingetretene Verbindung,
llammelzwischenkörper-Mensehenkomplement, könnte infolge
ihrer grösseren Affinität von den Zellen verankert werden.
Die beobachteten Erscheinungen betreffen zwar vorläufig nur
ein sehr kleines Gebiet der enzymatösen Wirksamkeit des mensch¬
lichen Serums, sie zeigen aber jedenfalls, dass in Fällen von
noimaler Hämolyse fremde Zwischenkörper ablenkend auf das
menschliche Komplement wirken können, und somit unter Um-
') Münch, med. Woclienselir. 1901, S. 697.
-i (’entralbl. f. Bakteriol. Bd. XXIX, S. 860.
:1i Iäiinmunite dans les maladies infectieuses, pag. Slö.
'i Centralbl. f. Bakteriol. Bd. XXXI, S. 404.
*) Beil. klm. Wochenschr. 1902, S. 490.
ständen eine ungünstige Wirkung hervorbringen. Damit ist aber
auch die von Ehrlich vertretene Anschauung gerechtfertigt,
dass bei serotherapeutischen Versuchen zunächst festgestellt
werden muss, wie das eingeführte fremde inaktive Immunsei um
in dem betreffenden Fall sich zu dem menschlichen Komplement
verhält, ob seine Wirkung überhaupt vom menschlichen Serum
aktiviert wird, und ob nicht unter Umständen sogar die normale
bakterizide Wirkung, welche z. B. Menschenserum auf Typhus-
bazillcn ausübt, durch die Komplementablenkung, welche das
fremde Serum hervor ruft, ungünstig beeinflusst wird.
Aus dem Elisabeth-Krankenhaus Kassel.
Die pernasale Tubage.
Von Dr. Franz Kuhn.
Anschliessend an meinen vor einiger Zeit in dem Central¬
blatte für Chirurgie erschienenen Artikel1) über perorale In¬
tubation, in dem ich zeigte, wie gut es möglich, mit Hilfe eines
Metallschlauches das Innere der Luftwege, des Kehlkopfes und
der Trachea mit der Aussenluft und der Oberfläche des Körpers
ohne Tracheotomie in dauernde Wegverbindung zu bringen und
in solcher auf längere Zeit zu erhalten, sei es zum Zwecke der
Atmung, Lufteinblasung oder Zufuhr von Chloroform und an¬
deren narkotisierenden Gasen, soll als Fortsetzung und Vervoll¬
ständigung der Frage hier in Kürze ein Verfahren von Intubation
Besprechung finden, welches für viele Fälle noch geeigneter und
unter bestimmten Voraussetzungen noch wesentlich leistungs¬
fähiger ist als die perorale Tubage.
Es besteht dieses neue Verfahren in der Einführung eben
desselben Tubus, der bei der peroralen Methode durch den Mund
geführt wird, durch die Nasen weg e.
Die Technik des Verfahrens ist einfach und für jeden, der
sich einige Male damit versucht, leicht zu erlernen; die Leistungs¬
fähigkeit des Verfahrens ist eine in die Augen springende und
berechtigt zu weitgehenden Erwartungen.
Wenn ich in dem folgenden die Vorzüge der Methode in
Kürze skizziere, verweise ich auf die alsbald folgenden kasui¬
stischen Mitteilungen aus meiner Klinik J).
Die Vorzüge des per nasalen Verfahrens, vor allem
auch gegenüber der peroralen Tubage, zu der die
Indikation für viele Fälle natürlich auch fernerhin zu Recht
bestehen bleibt, sind folgende :
1. Die A t m u n g ist durch ein pernasales Rohr natür¬
licher und nähert sich mehr der physiologischen Respiration,
bei welcher der Luftstrom durch die Nase nach dem Larynx
geht. Dabei ist die Kurve, welche das Metallschlauchrohr be¬
schreibt, eine flachere, was die Reibung des Luftstroms sehr ver¬
ringert und sehr zur Erleichterung des Luftein- und Austrittes
beiträgt. Diese Reibung des Luftstromes, die mit der Weite des
Rohres bekanntlich abnimmt, ist begreiflicherweise bei der
Länge der Metallschlauch-Tubageröhren für alle Fragen dieser
Art von Intubation, ob peroral oder pernasal, sehr zu berück¬
sichtigen. Man wird, was hier nur nebenbei Erwähnung finden
soll, daher auch die Rohre so weit zu gestalten suchen als mög¬
lich; wenn dies bei dem in das Innere reichenden Rohre seine
Grenzen hat, so wird es für das äussere zum Trichter gehende
Leitungsrohr sehr in Geltung bleiben. Dieses nur nebenbei.
2. Das pernasal eingelegte Tubagerohr kommt besser zu
liegen als das perorale ; das erstere lässt vor allem den M u n d
ganz frei, was das perorale zunächst nicht tut. Auch die
Befestigung ist leichter und angenehmer und natürlicher. Der
Rachen kann ebensogut, teilweise besser, austamponiert werden,
weil das Rohr der hinteren Rachenwand anliegt. Bei dieser
Tamponade empfiehlt es sich namentlich, zuerst einen Schwamm,
der an einem Faden befestigt ist, einzulegen. Kommt dieser in
einen Teil der Speiseröhre, hinter den Aditus laryngis und den
Kehlkopf zu liegen, so gibt er einen vollständigen Verschluss der
Speiseröhre nach oben ab. Am besten liegt aber der Schwamm
hinter dem pernasalen Tubagerohr. Kommen dann von vorne
auf das Rohr Kompressen (wenn man keimfrei arbeitet, auch
sterile) zu liegen, so ist der Abschluss des Rachens für Mund-
x) F. Kulin: Die perorale Intubation. Centralbl. f. Chirurg.
1901, No. 52.
-) vergl. Floren: Kasuistik der peroraleu und pernasalen
Tubage. Therapeut. Monatsh. 1902, Okt.
2. September 1902.
Operationen ein fast idealer zu nennen. Seine Zuverlässigkeit,
auch bei starken Würg- und Brechbewegungen, habe ich des
öfteren erprobt.
Die. Zunge kann weit vorgezogen, wenn solches erwünscht,
oder auch nach hinten gedrängt werden. Ein Atmungshindernis
kann sie ja, wie bekannt, bei dem Einliegen des Rohres nicht
abgeben.
Der Mund und der Gaumenbogen, die Uvula und der
Zungengrund, der Mundboden, die Innenseite der Wangen werden
sehr gut zugänglich. Indem nämlich der Unterkiefer so weit
nach unten und hinten gedrängt werden darf, als seine Artikula¬
tion es gestattet, können die Kiefer ad maximum dilatiert werden.
Eine Abklemmung der Luftwege und des Kehlkopfeinganges
durch den nach hinten sinkenden Unterkiefer und Zungengrund
ist ausgeschlossen und mir durch die häufige Erfahrung bewiesen.
Eine bequemere und ausgiebigere Zugänglich¬
keit der hintere n Mund- und Rachen teile, o h n e
Angst vor Asphyxie, Aspiration, Würgen oder
Erbrechen ist nicht denkbar.
Zur ferneren Vervollständigung der Annehmlichkeiten sol¬
cher Arrangements bei Mundoperationen dient noch die, dass bei
der Tubage der Narkotiseur stets zur Seite bleibt und die Maske
weitab vom Gesichte ist, sowie die Möglichkeit, die Narkose
raschestens wieder zu vertiefen, was noch erörtert werden soll.
3. Ein besonderer Vorzug der pernasalen Tubage ist des
ferneren in dem Wegfall aller Würg- und Brechbewe-
g unge n gegeben, wie sie sonst die Narkose begleiten und
namentlich bei Operationen an Mund, Hals oder Gesicht sehr
störend werden. Da nämlich das nasal liegende Metallrohr sich
bei seinem Austritt aus der Choane zunächst der hinteren Rachen¬
wand anlegt und von dieser aus nach dem Larynx umbiegt,
berührt es den Zungengrund, von dem aus Würgen und Erbrechen
sehr leicht ausgelöst wird, gar nicht. Es fällt daher zunächst
das Würgen, das beim Elachw erden der Narkose bei der per-
oralen Tubage beobachtet werden kann, bei der pernasalen In¬
tubation, in welcher Tiefe der Narkose der Patient immer sich
befindet, weg, weil der Tubageschlauch den Zungengrund nicht
reizt. Aber aüch das gewöhnliche, durch das Chloroform allein
bedingte Würgen fehlt, wenigstens soweit, als es den Operateur
stören könnte, weil das Hochkommen von Speisen durch die Tam¬
ponade des Rachens unmöglich und durch leichten Druck auf die
Tamponade von seiten des Operateurs zu verhüten ist. Zudem
fehlt schon dem Brechakt seine erste, wichtigste Voraussetzung,
nämlich der Schluss der Glottis.
4. Ein integrierender Vorzug der pernasalen Tubage gegen¬
über der peroralen verdient besondere Beachtung, nämlich der,
dass das pernasale Rohr auch im wachen Zustande gut vertragen
wird, und zwar nicht nur beim Aufwachen des Narkotisierten,
sondern auch später noch auf viele Stunden, und zwar ohne son¬
derliche Unbequemlichkeit, ohne Husten, ohne Würgen oder Er¬
brechen. Selbst Trinken von Flüssigkeiten oder Nahrungsauf¬
nahme ist möglich.
Diese Tatsache ist wichtig; denn sie ermöglicht ein
Offenhalten der Luftwege unter allen Voraussetzungen auf viele
Stunden, selbst Tage, was unter Umständen, z. B. wenn die Luft¬
passage im Gefolge einer Operation sich fraglich gestalten könnte
(wie bei Strumen mit häutiger Degeneration der Trachealringe
oder bei Glottisödem oder sonstiger Verlegung der Luftwege),
sehr von Bedeutung ist.
5. Noch ein Wort über das Instrumentarium: Auch dieses
ist bei der pernasalen Intubation zunächst einfacher: ein ein¬
facher Metallschlauch genügt allen Ansprüchen. Er wird in einer
Länge von 20 — 25 cm mittels stark gebogenen Mandrins durch
den unteren Nasengang, erst nach dem Cavum pharyngis, dann
unter Leitung des Zeigefingers der linken Hand nach dem Kehl¬
kopfeingang geführt.
In der engen Nase liegt der Schlauch ruhig und unverscliieb-
lich; ein Befestigungsschild ist kaum nötig. Jeder Seiden- oder
Gummifaden, um das äussere Rohrende gelegt, würde genügen.
Auch das Zerbeissen des Rohres durch einen ungestümen
Patienten, wie es bei der peroralen Tubage möglich ist und wes¬
halb die Erfindung' eines zwischen diu Zähne reichenden Konus
zum Schutze des Metallrohres nötig war, ist bei der pernasalen
Tubage ausgeschlossen.
No. 35.
1457
Soweit die Vorzüge der pernasalen vor der peroralen In¬
tubation. Dass natürlich alle sonstigen vorteilhaften Eigen¬
heiten, die in der peroralen Intubation liegen und an anderen
Stellen3) geschildert wurden, auch dem pernasalen Verfahren
nicht fehlen, bleibt zu erwähnen.
So bleibt vor allem der Methode erhalten :
a) Die Ausschaltung der Reflexe von seiten der
oberen Luftwege, der Nase und des Rachens, welche zu reflek¬
torischer Asphyxie etc. führen;
b) die absolute Gewährleistung für das Offensein der
Luftwege, trotz Glottiskrampf, trotz Blutens und Würgens;
c) das F e r n s e i n der Chloroformmaske vom
Munde und Gesichte des Patienten und die Bedienung der Maske
ohne Behinderung des Operateurs; ferner
d) die unmittelbare, momentane Vertiefung der
Narkose, sobald es gewünscht wird, mit relativ geringen Mengen
von Chloroform; und endlich
e) die Kontinuierlichkeit der Narkose ohne
Unterbrechung des Operierenden.
Wenn in dem Vorliegenden die beiden Methoden der per¬
oralen und der pernasalen Tubage4) einander gegenüber gestellt
wurden, verwahre ich mich ausdrücklich dagegen, dass die letz¬
tere der ersteren Konkurrenz machen sollte. Sie werden beide
gerne nebeneinander bestehen und in edlem Wettbewerb ruhig
dem Ermessen des Narkotiseurs es überlassen, welchem Wege
derselbe bei Einführung des Rohres den Vorzug geben will.
Aus dem St. Vincenz-Krankenhaus zu Hanau (leitender Arzt:
Sanitätsrat Dr. Noll).
Zur Kenntnis der Knochenmetastasen bei Schild¬
drüsentumoren.
Von Dr. med. Richard Wagner, Arzt am St. Vincenz-
Krankenhaus.
Die malignen Schilddrüsentumoren, welche mit Vorliebe in
bereits kropfig entarteten Drüsen zur Entwicklung gelängen,
machen bekanntlich nächst den Lungen am meisten im Knochen¬
system Metastasen, so dass v. E i s e 1 s b e r g J) ausdrücklich
betont, man solle in allen Fällen, wo Knochentumoren vorliegen,
die den klinischen Eindruck von Sarkomen machen, eine Struma¬
metastase mit in den Bereich seiner Erwägungen ziehen, ohne
sich durch die in der Anamnese angegebene lange Dauer der
Geschwulst beirren zu lassen. Als Beweis für die Richtigkeit
dieser Lehre will ich den von mir vor kurzem im St. Vincenz-
Krankenhaus zu Hanau beobachteten Fall mitteilen, wo lediglich
durch Ausschluss aller sonstigen Möglichkeiten mit der Wahr¬
scheinlichkeitsdiagnose einer vorhandenen Metastase im linken
Femurhals, ausgehend von einem Neoplasma in der Struma, ge¬
rechnet wurde. Die Sektion bestätigte diese Annahme. Ich
halte mich zu dieser Mitteilung um so mehr berechtigt, als ja
solche Beobachtungen nicht allzu häufig Vorkommen und jeden¬
falls Interesse beanspruchen.
Krankengeschichte: M. R., Witwe, 48 Jahre alt, aus Gr.-A..
wurde am 30. XI. 1901 in das Krankenhaus aufgenommen. Die
Krau stammt aus gesunder Familie, will als Mädchen skrofulös
(geschwollene Halsdrüsen) gewesen sein, mit 14 Jahren Menses,
drei gesunde Kinder im Alter von 14 bis 22 Jahren, normale, leichte
Geburten. Abort oder Frühgeburt hat nie stattgefunden. Letzte
Menstruation war vor 4 Monaten. Der vorhandene Kropf soll sich
schon in den Mädchenjahren entwickelt haben, hat nie Be¬
schwerden verursacht; ein Stärkerwerden in der letzten Zeit ist
nicht bemerkt worden, nur will Patientin seit einigen
T a g e n b e i m Schl u c k e n ein Gef ii hl de r „S p a n -
n u n g“ li a b e n.
Vor nicht länger als 0 Wochen bekam die Frau Schmerzen
in der linken Hüfte und Oberschenkel, welche nach 14 Tagen bei
Bettruhe und Einreibungen bedeutend zurückgingen. Am 14. XI.
1901, Abends beim Zubettgehen, wurde Patientin, als sie das rechte
Bein erhob und so einen Moment allein auf dem linken Bein stand,
ganz plötzlich von so heftigen Schmerzen in der linken Hüfte be¬
fallen, dass die Frau noch bei Ankunft des alsbald erschienenen
3) K r u g: Die perorale Tubage nach Iv u h n. Wien. med.
Wochenschr. 1902, No. 7.
F, Kuhn: Technik der peroralen Tubage. Deutsch, med.
Wochenschr. 1902, No. 30.
*) Instrumente gefertigt von Evens & Pi st. o r, Kassel.
9 Verhandlungen des Chirurgenkongresses 1893, XXY1I:
lieber Knochenmetastasen des Schilddrüsenkrebses. Deutsch.
Chirurg. 1901, Lief. 38: Die Krankheiten der Schilddrüse.
3
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1458
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
•Vrztes wie „wahnsinnig“ geschrieen haben soll. Sie fiel nicht um,
sondern wurde vom Stehen aus ins Bett gehoben. Seit dieser Zeit
lie-t Patientin anhaltend, hält ihr Bein ziemlich unbeweglich und
hat beständig mehr oder weniger arge Schmerzen im linken Ober-
Schenkel
S t a t. praes.: Leidlich gut genährte Frau von fahler Haut¬
farbe. Gesichtsausdruck entschieden leidend. Puls voll und
weich, regelmässig, 80 Schläge in der Minute. Temperatur normal.
Pupillen gleich und mittelweit, reagieren prompt. Urin hat ein
spezifisches Gewicht von 1018, enthält weder Eiweiss noch Zucker.
Zu beiden Seiten des Halses finden sich am vorderen Rande
des Muse, sternocleidomastoideus bis zum Kieferwinkel verein¬
zelte, etwas verschiebliche hasel- bis walnussgrosse Geschwülste
von fest-weicher Konsistenz. Dicht oberhalb des Brustbeins liegt
ziemlich symmetrisch am Halse ein gut faustgrosser, umschrie¬
bener, mit Haut und Muskeln nicht verwachsener, gleichmassig
derber Tumor, der, wenn jtucli von vorn und seitlich gediuckt.,
keinerlei Atembeschwerden verursacht. Nur beim Schlucken von
festeren Speisen will die Frau zwar keine eigentlichen Schmerzen,
auch keine Behinderung, sondern bloss ein unbestimmtes Ziehen im
Kropf seit etwa 3 Tagen haben.
Lungen und Herz sind ohne krankhafte \ eranderung. i>ie
Leber reicht in der rechten Mammillarlinie vom unteren Rand der
VI. Rippe bis zum Rippenbogen, ihr Rand ist scharf. Auch die
übrigen Bauchorgane erscheinen gesund.
Das linke Bein, im ganzen etwas schwächer an Umfang als
das rechte, wird im Hiift- und Kniegelenk leicht gebeugt, adduziert
und nach innen rotiert gehalten und wird in dieser Lage vom
anderen Bein gestützt. Die ganze linke Inguinalgegend ist leicht
infiltriert, bis bohnengrosse, schmerzlose Lymphdrüsen sind ver¬
einzelt vorhanden. Oberhalb des Poupart sehen Bandes fühlt
man in der Tiefe eine schmale, geringe Resistenz, die nach Angabe
des anwesenden behandelnden Arztes vor 8 Tagen noch viel grösser
gewesen sein soll. Der ganze linke Oberschenkel ist zwar gegen
Fingerdruck empfindlich, jedoch ruft jede Berührung des vorderen
unteren Femur offenbar die hefügsten Schmerzen hervor, während
ein ziemlicher Druck auf den Trochanter kaum schmerzhaft be¬
zeichnet wird. Patientin richtet sich im Bett selbständig auf
und kann hier im Sitzen, wenn sie den Oberschenkel mit beiden
Händen umgreifen und stützen darf, das Bein nach allen Rich¬
tungen ausgiebig bewegen, wobei die Ferse auf der Unterlage
schleift. Der Trochanter ist nicht verbreitert und hat bei allen
Stellungen des Oberschenkels seinen normalen Stand. Im Liegen
macht die Frau aus Angst vor Schmerzen nicht den geringsten Ver¬
such, zu einer aktiven Bewegung des Beines. Passiv gelingt es
bei sorgfältigstem Halten und Heben des ganzen Beines ausgiebige
Bewegungen im Hüftgelenk auszuführen, nur muss man jede Ex¬
tension vermeiden. Der geringste Zug an der Ferse ruft laute
Schmerzäusserung hervor.
Die Wirbelsäule ist gerade, nichts von lordotischer Haltung
bemerkbar. Druck auf die einzelnen Dornfortsätze bedingt keine
Schmerzhaftigkeit, ebensowenig wird solche geäussert, wenn man
mit einem warmen Schwamm über die Rückenwirbelsäule fährt.
Die Articulatio sacro-iliaca ist beiderseits ohne jeden ent¬
zündlichen Prozess.
Bei der Messung beider unterer Extremitäten findet man
keinerlei Differenz.
Bemerkungen zur Diagnose: Die diagnostischen Er¬
wägungen mussten nach Ausschluss aller sonstigen etwa in Be¬
tracht kommenden entzündlichen Prozesse sehr bald an die
Existenz eines mit Zerstörung des Knochengewebes einher¬
gehenden malignen Neoplasmas im Schenkelhals denken lassen.
(Zur Zeit stand der Röntgenapparat im Krankenhause nicht zur
Verfügung.) Eine solche Neubildung erklärte:
1. den ziemlich akuten Krankheitsverlauf;
2. die urplötzlich aufgetretene ausserordentlich heftige
Schmerzattacke vom 14. XI., wenn man annimmt, dass die Kor-
tikalis des Schenkelhalses durch die momentan stärkere Be¬
lastung des linken Beines verletzt worden war;
3. den infolgedessen hervorgerufenen, zur Zeit aber schon
sehr im Zurückgehen begriffenen entzündlichen Prozess in den
bedeckenden Weich teilen;
4. die Beweglichkeit im Gelenk selbst und die ausserordent¬
lich heftigen Schmerzen bei der geringsten Extension, sowie bei
Druck auf den distalen Teil des Femur.
Wenngleich die vorhandene Struma objektiv ohne weiteres
keinen direkten Anhaltspunkt für ein metastasierendes Neo¬
plasma bot, wurde sie. immerhin als suspekt angesehen, zumal
da die Geschwulst beim Schlucken doch neuerdings zu stören
schien.
Therapie: Lagerung des linken Beines zwischen zwei
schmale Sandsäcke. Subkutan Morphium.
Von dem weiteren Krankheitsverlaufe will ich nur erwähnen,
dass am 4. XII. von einer Infiltration der linken Inguinalgegend
und einer Resistenz in der Tiefe oberhalb des Lig. Poupartii nichts
mehr nachweisbar war. Das Allgemeinbefinden der Frau ging be-
s .lig zurück, ihr Aussehen wurde ausgesprochen kachektisch.
Am 3. I. 02 wurde über zunehmende Schluckbeschwerden geklagt.
Die Struma nimmt entschieden an Umfang zu. 16. I. Es stellen
sieh dyspnoische Erscheinungen ein. Puls wird f requentei un¬
regelmässiger. Temperatur Abends 39,2 0 G. in der Achselhöhle.
Nichts Pneumonisches nachweisbar.
18. I. Die dyspnoisehen Beschwerden nehmen zu. Subtebrue
Temperaturen. Lungen frei. 24. I. Unter dem Bilde einer allge¬
meinen Intoxikation (zwei Tage komatös) Exitus.
Eine vollständige Sektion konnte bei der Patientin aus
äusseren Gründen nicht stattfinden. Ich musste mich darauf be¬
schränken, den linken Femur und die Struma in Eile zu exstir-
pieren. Bei der Luxation des Oberschenkelkopfes aus der Pfanne
brach der mürbe Schenkelhals durch. Die Präparate wurden
au das pathologische Institut nach Marburg geschickt.
Bericht über die Präparate (Privatdozent Di*. Borrmann):
In der Schilddrüse befindet sich ein ca. walnussgrosser, grau-
weisser, leicht rosa gefärbter Knoten, der nicht scharf abgegrenzt
und histologisch ein Spindelzellensarkom mit zahlreichen Iliesen-
zollen ist. Die ganze übrige Schilddrüse bietet histologisch das
typische Bild der in soliden, seltener in hohlen Schläuchen
wachsenden, jugendlichen Struma. Im Zentrum teils schleimiges,
teils derbfaseriges Bindegewebe.
Mit diesem Tumor stimmen überein die gefetzten Geschwulst¬
massen im Schenkelhals des linken Femur. Hier geht dei Tumoi
noch mehrere Zentimeter in die Knochensubstanz hinein, wie
man nach dem Aufsägen erkennen kann. Ausserdem finden sich
in der Markhöhle des Femur noch multiple bis kleinnussgrosse
Metastasen von grauweisser Farbe und markiger Beschaffenheit,
die histologisch genau dasselbe Bild bieten. Später wurde mir
noch mitgeteilt, dass bei der mikroskopischen Untersuchung sich
in der Schilddrüse ganz in der Nähe des beschriebenen Knotens
weitere kleine Tumoren fanden. Ob diese als Lokalmetastasen
aufzufassen sind oder auf Serienschnitten mit dem primären
Tumor kontinuierlich Zusammenhängen würden, muss dahin ge¬
stellt bleiben. Letzteres ist wohl das Wahrscheinlichste. In durch¬
ziehenden Venen waren deutliche Geschwulstthromben vorhanden.
Um jedem etwaigen Bedenken, ob es sich nicht um ein
primäres Knochensarkom mit Schilddrüsenmetastasen gehandelt'
haben könnte, zu begegnen, führe ich gleich die Gründe an,
welche für den Sitz des metastasierenden Tumors in der Schild¬
drüse sprechen :
1. das Fehlen weiterer Metastasen in den übrigen Organen;
2. das seltene Vorkommen metastatischer Geschwulstknoten
in der Schilddrüse und demgegenüber
3. die Vorliebe der Schilddrüsentumoren, gerade im Knochen -
system Metastasen zu setzen;
4. das Vorhandensein weiterer absolut sicherer meta¬
statischer Sarkomknoten in der Markhöhle des 1. Femur ;
5. die diffuse Ausbreitung des Tumors in der Schilddrüse
und demgegenüber
6. die scharfe Begrenzung der Knochentumoren;
7. vielleicht auch noch die zahlreichen Einbrüche der Tumor¬
massen in die Venen der Schilddrüse, die für einen längeren
Bestand des Schilddrüsensarkoms sprechen könnten.
Unser Fall muss also wohl so aufgefasst werden, dass in
einer Struma parenchymatosa an einer zirkumskripten Stelle ein
Spindelzellensarkom sich entwickelte. Dies brach sehr frühzeitig
in das Blutgefässystem hinein und setzte neben kleinen Meta¬
stasen in der Markhöhle des 1. Femur eine grössere und sehr
schnell wachsende Metastase im Halse dieses Knochens, so dass
in der ersten Zeit das ganze Krankheitsbild lediglich von dieser
Metastase aus beherrscht wurde.
Im allgemeinen bieten die langen Röhrenknochen für Meta¬
stasen am Skelett keineswegs eine Prädilektionsstelle, viel öfters
scheinen die platten Knochen befallen zu werden, und zwar zu¬
nächst die des Schädels, dann das Brustbein, die Rippen und
die Beckenknochen 2). Solche Metastasen entstehen in der
Regel ausnehmend frühzeitig und kommen zumeist solitär vor.
Aber während das an und für sich schon seltenere Schilddrüsen¬
sarkom kaum ein J ahr überdauert, wissen wir, dass die mit ganz
besonderer Vorliebe ins Knochensystem metastasierende Form
des Schilddrüsenkrebses, die als Adenokarzinom, malignes Ade¬
nom bezeichnet wird, ein ausserordentlich langsames, über Jahre
hinausgehendes Wachstum zeigt.
Was die Frage der Operabilität von Knochenmetastasen be¬
trifft, so ist jeder Tumor, der das klinische Bild einer Schild¬
drüsensarkommetastase auf weist, für den Chirurgen ein Noli
me tangere. Dagegen wird bei einer Karzinommetastase in ge¬
eigneten Fällen, wie auch v. Eiseisberg in den oben an¬
geführten Arbeiten erörtert, ein chirurgisches Eingreifen zum
2) Cf. Dr. F. Li mach er: Virch. Arch. Bd. 151, Supplement-
j band, pag. 146 ff.
2. September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET.
1459
mindesten berechtigt sein, ja es ist vielleicht unter Umständen
sogar die Exstirpation des primären Schilddrüsentumors in Be¬
tracht zu ziehen. Handelt es sich freilich um multiple Meta¬
stasen, so ist natürlich auch hier beim Adenom jedes operative
Vorgehen ausgeschlossen3).
Aus dem Alexandra-Stift für Frauen zu St. Petersburg.
Beitrag zur Gelatinebehandlung der Melaena neo¬
natorum.
V on Dr. E. Fuhrmann.
Die Therapie der Melaena neonatorum ist in der letzten Zeit
wiederholt Gegenstand verschiedener Arbeiten geworden, die ins¬
gesamt bestrebt sind, eine Lanze zu brechen für die subkutane
Gelatinein j ektion.
Wer das niederschmetternde Bild einer rapid verlaufenden
Melaena gesehen und sich von der Machtlosigkeit aller älteren
blutstillenden Mittel überzeugt hat, der wird mit Freuden und
Zuversicht zu jedem neuen Mittel greifen, das einig-© Aussicht
aut Erfolg zu versprechen scheint. Und dieses ist nach den
vorausgegangenen Arbeiten über die blutstillende Eigenschaft der
Gelatine für die letztere der Fäll.
Auch ich habe Gelegenheit gehabt, im Laufe des Winter¬
semesters 1901 — 1902 unter den zahlreichen, meiner Obhut an¬
vertrauten Säuglingen im Alexandra-Stift für Frauen 3 Fälle
von Melaena zu beobachten, von denen 1 Fall zur Sektion ge¬
langte, die beiden anderen als geheilt entlassen werden konnten.
Der verschiedenen Arbeiten über die Gelatinebehandlung ge¬
denkend, und im Hinblick auf meine eigenen Erfahrungen bei
Ilämophilikern u. dergl. beschloss ich, auch in meinen Fällen
von Melaena zur subkutanen Injektion einer 2 proz. Gelatine¬
lösung zu greifen. Und es war mir eine Genugtuung, in zwei
Fällen günstige Resultate erzielt zu haben, wie sie auch — was
ich später aus der Literatur ersah - — - schon von anderen Autoren
beobachtet waren. Da das Verfahren aber noch nicht allgemein
verbreitet zu sein scheint, so glaube ich mich berechtigt, meine
Fälle zu veröffentlichen.
Bevor ich an die Darlegung meiner Beobachtungen gehe,
möchte ich vorausschicken, dass es sich in allen 3 Fällen um die
Melaena vera handelte, die Döllner1) als Melaena
idiopathica bezeichnet wissen möchte. Ich glaube, dass
man diese am 2., spätestens am 3. Tage gesunde Kinder be¬
fallende Melaena durchaus — und strenger als es bisher ge¬
schehen — scheiden müsse von jener später auftretenden Form,
die — eine Folge verschiedener konstitutioneller Krankheiten
oder septischer Natur — den Namen Melaena überhaupt nicht
führen sollte. Allenfalls liesse sich, im Gegensatz zur Melaena
v e r a, noch von einer Melaena symptomatica reden ;
vielleicht aber wäre es besser, in diesen Fällen schlechtweg die
Bezeichnung „Haemorrhagia intestinalis ex haemophilia, sep-
tica“ oder dergl. zu wählen.
Die echte Melaena hat ihr typisches Bild. Sie setzt mit
grosser Pünktlichkeit am 2. oder 3. Tage ein, urplötzlich, und
befällt dabei fast ausschliesslich starke und gesund aussehende
Kinder; auch lassen sich meistens — und dieses ist wichtig — •
kaum irgendwelche Komplikationen während der Geburt : wie
Extraktion, Zangen, protrahierte Geburt oder dergl. anschuldigen.
Dieses letztere ist wichtig, indem Darmblutungen, wie v. P reu-
sehen ) hervorhebt, als Teilerscheinung bei Verletzungen des
Hirns oder der Hirnhäute auftreten können. So sind mir selbst
neuerdings 2 I älle begegnet, wo die Säuglinge unter Blutbrechen
mul umfangreichen Extravasaten eingingen und die Sektion
Blutergüsse unter die Dura ergab, als Folge einer protrahierten
Geburt, die eine Zange bezvv. eine schwierige Extraktion erfordert
hatte. Dieses wären dann die Fälle von Melaena symptomatica.
Dagegen ist e si typisch für Melaena, dass
sie keine Veränderungen an den inneren Or¬
ganen zeigt und nur der oft prall mit Blut gefüllte Darm
der einzige positive Sektionsbefund ist, ausgenommen natürlich
die Erscheinungen der hochgradigen sekundären Anämie. Ob
3) Cf. Dr. K. Middeldorpf: Zur Kenntnis der Knochen¬
metastasen bei Schilddrüsentumoren (Versammlung der deutschen
Gesellschaft für Chirurgie 1S94, XIII).
') Döllner: Münch, med. Wochensehr. 1902.
") v. Pr eu sehen: Centralbl. f. Gynäkologie 1894.
es sich in der Pathogenese der Melaena vielleicht wirklich um die
Gefässwand schädigende Substanzen handelt, mag dahingestellt
bleiben, unwahrscheinlich braucht diese Annahme keineswegs zu
sein, vielmehr sollte sie, wie ich weiterhin ausführen will, in der
Therapie berücksichtigt werden. Hier sei auch nochmals betont,
dass eine ganze Reihe von I ällen echter Melaena zweifellos spon¬
tan heilen kann; zu diesen müssen wohl alle durch Eisenchlorid
u. dergl. geheilte Fälle gezählt werden, ist doch diese Thera¬
pie, wie IL oltschmidt ) mit Recht hervorhebt, von vorn¬
herein als machtlos anzusehen.
Paul Car not4 * *) war es, der, zuerst im Jahre 1896 und
dann 1898, in der Gelatine ein hervorragendes blutstillendes
Mittel empfehlen zu dürfen glaubte, doch hat er dieselbe nur
äusserlich angewandt und warnt eindringlich vor dem sub¬
kutanen Gebrauch. Lanoereaux und Paulesco haben
darauf in Paris die Gelatine subkutan injiziert bei Aneurysmen
der Aorta und wollen von dieser Therapie einen guten Erfolg ge¬
sehen haben. A. Fraenkel ’’), der daraufhin einen Fall von
Aortenaneurysma mit Gelatineinjektionen behandelt, spricht sich
mit grosser Zurückhaltung über den Wert dieser Therapie aus
und verweist auf die heilkräftige Wirkung der gleichzeitig durch¬
geführten strengen Bettruhe. Litten0) schliesst sich der An¬
sicht Fraenkel s an. Nun wollen ja seitdem verschiedene
Autoren gute Heilerfolge der subkutanen Injektion zuschreiben.
Es ist diese Behandlungsweise bei Blutungen verschiedensten
Ursprungs in Anwendung gebracht worden; so bei Blutern
(Hahn7), IL e y m a n n s) u. a.) ; desgleichen haben Ham¬
melbacher und Pisohinger“) und T li ieme 10) bei
Lungenblutungen gute Erfolge beobachtet und Schwabe11)
bei hämorrhagischer Nephritis.
Alle diese Autoren nehmen an, dass die Gelatine die Ge¬
rinnungsfähigkeit des Blutes erhöhe und so die Blutung zum
stehen bringe. Wenn nun auch über manche unwillkommene
Nebenerscheinung berichtet wird, wie Temperatursteigerung,
Schmerzhaftigkeit und unter Umständen Hautnekrose und gar
Hämoglobinurie, so scheint das Mittel doch des Versuches wert.
Ich möchte nun kurz über meine Fälle berichten, um dann
zum Schluss noch einige Worte in Betreff der Gebrauchsweise
folgen zu lassen.
Fall I. Kind der Ii., Knabe, geboren am 1. II. 1902 um
10 Uhr Vormittags, vollkommen ausgetragen, 51 cm lang, wiegt
3380 g, Kopfumfang 37 cm. Die Geburt gebt gut und leicht vor
sich; Dauer derselben 20 Stunden. Keine Kunsthilfe, keine
Asphyxie. Die Mutter ist eine Erstgebärende, seit 2 Jahren ver¬
heiratet, anscheinend gesund. Die Schwangerschaft verlief nor¬
mal. Der Vater des Kindes soll gesund sein, Potatorium und Lues
in Abrede gestellt.
1. II. Das Kind ist ruhig, schläft gut, schreit dazwischen
laut und kräftig.
2. II. Am Morgen nichts Auffallendes. Gewicht 3170 g. Gegen
2 Uhr plötzlich kopiöses Blutbrechen, teils frischen, teils koagu¬
lierten Blutes, gleichzeitig gehen auch per anum grosse Mengen
Blutes ab; von da ab ungefähr halbstündlich Blutbrechen und
blutige Stühle. Das Kind verfällt zusehends. Es wird Liq. ferri
sesquichlor. gleichzeitig per os und im Klysma veroi’dnet. Ferner
erhält das Kind nur gekühlte Milch vom Löffel. Um 7y8 Uhr Vor¬
mittags — öy3 Stunden nach dem ersten Anzeichen der Erkran¬
kung — ist das Kind ganz matt, Hautdecken und Schleimhäute
wachsbleich und schlaff. Die Haut ist kühl und klebrig feucht.
Nun werden je 20 ccm einer 2 proz. Gelatine-Kochsalzlösung sub¬
kutan an der Aussenseite der beiden Schenkel injiziert. Das Kind
wird zwischen Wärmeflaschen gebettet. Die Blutung setzt in
der gleichen Weise fort; um 12 Uhr Nachts nochmals die gleiche
Menge Gelatine medianwärts vom inneren Band der Schulter¬
blätter. Um 1 Uhr Nachts Exitus letalis.
Hier mag betont werden, dass irgend welche Hirnsymptome
in diesem, wie auch in den weiteren Fällen durchaus vermisst
wurden. Pupillen gleich weit und reagieren gut, keine Krämpfe,
Schlucken gut, Herztöne gut und gleichmässig u. s. w.
Sektionsbefund. Leiche eines gut ausgetragenen Kin¬
des. Hautdecken blass, leicht ikteriscli. In der Bauchhöhle wenige
Tropfen einer klaren serösen Flüssigkeit. Die Pleuren leer. Im
Perikard gleichfalls etwas klare, gelbe Flüssigkeit. Herz von nor-
3) Holtschmidt: Münch, med. Wochenschr. 1902.
4) Paid C a r not: La presse medicale 1898.
5) A. Fraenkel: Sitzungsbericht des Vereins für innere
Med., zitiert nach der Münch, med. Wochenschr. 1900.
7) Hahn: Münch, med. Wochenschr. 1899.
s) Hey mann: Münch, med. Wochenschr. 1900.
s) Hammelbacher und Piscliinger: Münch, med.
Wochenschr. 1901.
10) T hie me: Münch, med. Wochenschr. 1902.
1J) Schwabe: Münch, med. Wochenschr. 1900.
3*
1460
MUENCPIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
maler Grösse. Herzfleisch selir blass. Klappen und Getane nor¬
mal Lungen srtark mit Luft gefüllt, hellrot, aut der Schmttflaete
ziemlich trocken. Pleuren zart. MUz braunrot, von derbei Kon¬
sistenz, Leber eher etwas klein, Gewebe blass, etwas gelblich,
Zeichnung eben wahrnehmbar. Nieren klein, fötale Lappung, Ge¬
webe blass, Harnsäureinfärkte in den Pyramiden. Magen staik
auf betrieben, dunkelschwarzrot; schon im Oesophagus schwarzrote
Koagula dieselben füllen auch den Magen aus, sowie auch das
stark gedehnte Duodenum, letzteres ist bis zum I mfang eines
starken Zeigefingers aufgetrieben. Im ganzen Darmkanal ins zum
Mastdarm findet sieh nur koaguliertes Blut. Die Schleimhaut zart,
durchweg ohne auffallende Veränderungen. Auch die mikro¬
skopische Untersuchung der Darmwand ergab nichts I ätio¬
logisches. Am Hirn und an den Hirnhäuten nichts
Fall II Kind der P.. Knabe, geboren am 2.>. XII. 1901 am
0 Uhr Nachmittags. Vollkommen ausgetragen. Gewicht 408)0 g.
bei einer Körperläuge von 52 cm. Kopfumfang 30 ein Spontane
Geburt, Dauer derselben IS Stunden. Mutter, /\\eitgeb<u ende,
stammt aus gesunder Familie, selbst gesund und kräftig. \ atei
angeblich gesund. __
20 XII. Kind normal. Gewicht 3920 g.
27. XII. Gewicht 3810 g. Das Kind saugt gut.
28. XII. Gewicht 3700 g. Unruhig; ziemliche Menge Blut im
Stuhl, zum Teil noch frisch. Big. ferri sesquiehl. per os. Kmd
wird abgesetzt — stündlich gekühlten dünnen Tee. Die Stuhle
bleiben auch weiterhin stark blutig. Am Abend um 8. Uhr je zu
•20 ccm Gelatinelösung unter die Haut der Oberschenkel. Kmd
ist matt und bleich. Wärmeflaschen.
29. XII. Die der Injektion unmittelbar folgenden Stuhle ent¬
halten schon bedeutend weniger Blut. Temp. 37,8.
30. XII. Gewicht 3480 g. Von da an stetige Gewichts¬
zunahme. , ... iQno
Fall III. Kind der M., Mädchen, geboren am 13. v. 190-,
um 7V2 Uhr Nachmittags, vollkommen ausgetragen, Länge 50 cm.
Gewicht 3300 g. Kopfumfang 35 cm. Dauer der Geburt 1(> Stun¬
den. Mutter Erstgebälirende, gesund. Vater angeblich gesund.
Kind schreit gleich nach der Geburt kräftig und laut.
14. V. Gewicht 3200 g. Das Kind wird 3 mal angelegt.
Typisches Mekonium.
15. V. Um IVo Uhr Morgens plötzlich grosse Mengen teils
frischen, teils geronnenen Blutes auf den Windeln. Um 8 I ln
neuerdings kopiöse blutige Entleerung per anum. Gewicht
2990 g (!). Kind sehr matt, stöhnt kläglich; sehr bleich, Haut
kühl. ~ Um 9 Uhr Gelatineinjektion, je zu 25 ccm zwischen den
Schulterblättern. VTirmefla sehen. Kind abgesetzt, erhält nur ge¬
kühlten, dünnen Thee.
15. V. Abends. Auf die Injektion stand die Blutung sofoit.
Temperatur im Rektum 35,1. .
10. V. Keine frische Blutung. Stuhl sehr dunkel, erinnert an
Kindspech. Gewicht 2890 g. Kind wird 3 mal angelegt.
17. V. Gewicht 2790 g. Stuhl graugelb. 4 mal am Tage.
18. V. Gewicht 2840 g.
Von da ab stetige Gewichtszunahme. Temperatur zeigte seit
dem 16. V. keine Erhöhung.
Im I. Falle Hess uns die Gelatine vollständig im Stich, aller¬
dings konnte ich erst spät zur Injektion schreiten. Im III. Falle
war die plötzliche Wendung zur Besserung doch sehr auffallend.
Der II. Fall war sehr leicht und es hat den Anschein, dass ei
ohne den Eingriff zur Heilung neigte12). Somit möchte ich
jedenfalls auch meinerseits zur Gelatinebehandlung raten.
Vor allen Dingen kommt es aber darauf an, möglichst f r ii h
zu injizieren und in nicht zu geringer Menge. Zur Injek¬
tion eignet sich wohl am besten die Gegend zwischen den
Schulterblättern, hier ist das Unterhautzellgewebe sehr locker,
die Injektionsflüssigkeit wird ungeheuer rasch resorbiert, wozu
wohl auch die Lagerung des Kindes auf dem Rücken beitragen
mag. Auch ist nicht zu unterschätzen, dass hier die Injektions¬
stellen nicht mit den Exkrementen in Berührung kommen.
Ferner kommt es auch auf die Gelatinelösung an ; die 2 p r o z.
Lösung sollte wohl immer mit Hilfe einer
physiologischen Kochsalzlösung’ her gestellt
werden. (Also etwa in der Form: Rp. Gelatinae albae 1,0,
Natr. chlor, chemiee pur. 0,3, Aq. dest. 50,0.) Es muss nämlich
ein Teil der unangenehmen Komplikationen wohl dem Mangel
an Natron zugeschrieben werden. So hat T hi eine (1. c.) nach
Gelatineinjektionen ohne Natron Hautnekrosen beobachtet.
Endlich möchte ich meinerseits auf die grösseren Mengen
Hinweisen, die gut resorbiert werden und gleichzeitig zweien In¬
dikationen genügen, von denen die eine gewiss allgemein als
dringend anerkannt werden dürfte, ich meine die Infusion von
Flüssigkeit, um die unmittelbaren Folgen des grossen Blutver¬
lustes zu beheben ; und zweitens dürfte die Melaena denn doch in
manchen Fällen auf Intoxikation beruhen. Dann wäre die durch
ausgiebige Injektionen herbeigeführte „Spülung des Or¬
ganismus“ die zweite von den angedeuteten Indikationen.
Ich injiziere stets mindestens 40 — 50 ccm auf einmal.
i-) in diesem Fall stieg die Temperatur nachträglich (37,8),
was ich auch sonst in Uebereinstimmung mit anderen Autoren
nach Gelatineinjektionen beobachtet habe.
Aus der Dr. V ulpiussehen orthopädisch-chirurgischen Heil¬
anstalt in Heidelberg.
Ein neuer Bewegungsapparat.
Von Oscar V ulpius.
Wir besitzen eine ganze Reihe von Vorrichtungen, welche
unseren heinleidenden Patienten das Gehen zu ermöglichen bezw.
zu erleichtern bestimmt sind. Und zwar lassen sich 2 Arten von
solchen Apparaten unterscheiden: Die einen rollen mit dem
Kranken fort, cs sind dies die einfachen Laufstühle wie die kom¬
plizierten Laufwagen mit Krücken und Suspensionsgestell.
Andere Apparate sind stabil, der Patient bewegt sich m denselben
vorwärts — Laufharren. . .
Mit Hilfe von Stuhl und Barren kann der m den Beinen
geschwächte Patient sich fortbewegen unter 2 Voraussetzungen:
Erstlieh muss das Terrain eben sein, zweitens muss der Wille zum
Gehen vorhanden sein. Letzteres trifft nun keineswegs immer
zu, insbesondere macht es oft rechte Mühe, Kinder zum Gehen
zu bewegen. Und was das Terrain anlangt, so wäre es ja zur
Kräftigung der Muskulatur häufig recht erwünscht, wenn ein
Steigen auf mässig geneigter Bahn ermöglicht würde. .
In beiderlei Hinsicht bedeutet nun. ein Apparat einen er¬
heblichen Fortschritt, der seit einem halben Jahr m meinem
Gymnastiksaal in Gebrauch ist.
Die der Konstruktion zu Grunde liegende Idee ist von der
Firma II e 1 d m a n n & Be n d e r, Holzwaarenfabrik in Bens-
heim (Hessen) — dieselbe hat den Apparat zum D.R.P. ange¬
meldet — in geschickter Weise und solider Ausführung in die
Praxis übertragen worden.
Der tägliche Gebrauch des Apparates durch eine grosse. Zahl
von Patienten hat mich von dem Wert desselben überzeugt, so
dass ich mich für berechtigt, ja verpflichtet halte, den Kollegen
eine Beschreibung desselben zu geben.
Der Apparat stellt einen Barren mit starken Griffstangen aa
da-, der auf einem Rahmengestell b ruht
Die H dme d*-s Harrens lassen sich auf-
und abwärts verschieben und in jeder Höhe
feststellen. Der Boden e besteht aus schmalen,
ineinander gefalzten Leisten und gleicht einer
Jalousie, die endlos beweglich ist. Er gleitet
auf einer grossen Zahl von Gummirollen,
welche unter dem Boden so verteilt sind,
dass eine Ei Senkung desselben unter der
Last des Uebenden nicht möglich ist und
dass die Bewegung ungemein leicht vor sich
geht. —
Auf beiden Seiten des Barrens sind
Krücken dd angebracht, welche auf
Spiralfedern ruhen und bequem d'
seitlich und der Höhe nach ver¬
stellbar sind. Sie können dadurch
für jede Körpergrösse und für
jede Brustbreite
leicht angepasst
werden.
Am vorderen
Ende des Stell¬
rahmens befin¬
den sich am
Kopfende des
Barrens 2 grosse
Schrauben e, sie
ermöglichen es
ohne jede Schwie¬
rigkeit, dem Ap¬
parat, spez. dem
gleitend. Boden
jede beliebige
Neigung zumlio-
rizont zu geben.
Ein Schwungrad f reguliert die Bewegung des rollenden Bodens,
die durch eine Bremsschraube g nach Wunsch gehemmt bezw.
aufgehoben werden kann.
Zu beiden Seiten des Gleitbodens angeschraubte kussbretter
hh dienen dazu, nach Wahl nur ein Bein üben zu lassen, während
das andere auf dem feststehenden Rahmengestell ruht.
Vor den Krücken endlich befindet sich eine ebenfalls \ er¬
stellbare Reckstange i.
2. September 1902.
MUENClIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1461
Die Art der Verwendung des Apparates und seine grossen
V orzuge lassen sich der Abbildung ohne weiteres entnehmen. Der
Roden wird zunächst festgebremst, der Patient auf denselben
gestellt wobei er sich auf die entsprechend angepassten Krücken
r; I1I.oll"e •StÜtft oder sich an das Reck hängt, so dass in keinem
lall die Beine die volle Korperlast zu tragen haben. Dann wird
der Roden freigegeben, der alsbald durch die Schwere der Beine
zu rollen beginnt und den Patienten zwingt, auszuschreiten. Je
schneller die Gangart desselben, desto rascher auch die Um¬
drehung des endlosen Bodens.
Allmählich kann die Arbeitsleistung durch Schieferstellen
des Bodens gesteigert werden.
Die Vorzüge des Apparates sind gegenüber den bisher zum
Gehen lernen gebrauchten Vorrichtungen sehr einleuchtend-
Dei- Apparat zwingt zum Gehen. Letzteres wird ermöglicht
unter beliebig weitgehender Entlastung der Beine und unter will¬
kürlicher Dosierung der Arbeitsleistung durch Schiefstellen des
Bodens. Der Apparat ist für Kinder und Erwachsene zu ge¬
brauchen.
Der Apparat empfiehlt sich überall da, wo ein Patient an den
Gebrauch der Beine allmählich wieder gewöhnt werden soll. Er
kann aber auch zu Bewegungskuren, zu Bergsteigübungen im
/immer u. dergl. sehr gut verwendet werden.
Aus dem Hygiene-Institut der Universität Zürich.
lieber ein einfaches Bakterienfilter zur Filtration
kleiner Flüssigkeitsmengen.
Von Privatdozent Dr. W. S i 1 b e r s c h m i d t, Assistenten am
Institut.
. Bedürfnis, behufs Filtration kleiner Flüssigkeitsmengen
einen einfachen Apparat zur Verfügung zu haben, welcher, bei
sicherer Funktionierung, handlich und leicht sterilisierbar ist,
wird zurzeit wohl allgemein anerkannt werden. In den letzten
Jahren sind auch verschiedene derartige Bakterienfilter ange¬
geben worden. Im folgenden möchte ich ein weiteres nach meinen
Angaben hergestelltes Modell empfehlen, das mir schon gute
Dienste geleistet hat.
Fig 1. ('/,) Fig. 3 (•/,) Fig. 2. (’/x)
•• , d)ei" -^PPai’at besteht aus einem dickwandigen Reagens-
o li r c h e n mit seitlichem Ansatz, aus einer Filter kerze
und aus einer durchlöcherten Gummikappe. Die ans Por-
-e“eSn aaff^tigte Filter kerze ist, wie dies in den bei-
t'Sn.n AbblldVngen veranschaulicht ist, von zylindrischer
«enn öetinTem °be£en £reiten Rand und mit einer unteren, ab¬
gerundeten Kuppe. Der Rand und der o b e r e T e i 1 des Filters
dass n,!raa 1Grt+ (mmFlg‘ 1 durch Schraffierung angedeutet), so
R(SLr t --lei\UlAere TeÜ als Filter dient- Das Filter ist mit dem
i E n°ffC ieU mittels einer eng anschliessenden, oben mit einer
Der verseheuen (Fig. 2) G u m m i k a p p e verbunden.
thch?.Ansatz wird mit Watte verschlossen. Die Sterili-
uag geschieht am einfachsten im Autoklaven: Das Filter wird
nna i ausgeglüllt- (lie Gummikappe wird in Wasser ausgekocht,
zusammengestellte Apparat wenige Minuten im Auto-
L-riA AV 120lerwärmt Topf würde bei vor-
schraru I h! ,zl'r'g der Kerze nebst Reagensröhrclien im tteissluft-
riihiSl WObl/a(:h zur Sterilisierung genügen). Ein kleines Glas-
net'/on u Wwd aber den seitlichen Ansatz gesteckt, um das Be-
''/an der Watte zu vermeiden.
No. 35.
Die Filtration gieht in der Weise vor sich dass nachdem riq«
seitliche Ansatzröhrchen mit der Säugpumpe verbunden worden
isfi die zu filtrierende Flüssigkeit mittels Pipette in die Aushöhhmg
der Kerze gebracht wird; dabei ist darauf zu achten dass die
h Bissigkeit nicht über den Rand hinausreicht, um ein Durchsickern
zwischen Gummikappe und Filter zu vermeiden. Bei richtiger
nicht allzustarker Aspiration geht die Filtration rasch vor sfeh!
ccm einer Bouillonkultur werden in einigen Minuten filtriert
v n PL fvT- d » r» •». »« .«bt. .1, dass die G „ m m i kappe
*Ut SCl ! ®lne Gummikappe kann mehrmals benutzt
werden, sobald der Verschluss aber nicht mehr vollkommen ist
eibe ersetzt werden. Die Filterkerze wird nach jedem
äcwm r n Wasser gewaschen, ausgekocht, getrocknet und aus-
ge glüht. Das Ausgluhen kann in einem kleinen Muffelofen oder
und dies betrachte ich als einen grossen Vorteil gegenüber den
grosseren Kerzen, auch mit einem gewöhnlichen Brenner vor¬
genommen werden. Die Kerzen sind dauerhaft; ich habe einige
derselben schon etwa 10 mal benutzt, ohne dass die Gebrauchs-
fahigkeit darunter gelitten hätte.
Ist die Filtration beendigt, so werden Gummikappe und Filter
zusammen abgenommen; um ein Ausfliessen des Rückstandes zu
vermeiden, kann das Lumen mit einem kleinen Gummipfropfen
verschlossen werden. Bei sorgfältiger Handhabung scheint mir
das nicht notwendig. Das Filtrat kann in demselben Röhrchen auf¬
bewahrt oder mit steriler Pipette aspiriert und weiter verarbeitet
werden; im ersteren Falle genügt es, das Röhrchen mit steriler
Watte zu verschliessen.
Der Apparat eignet sich nicht nur zur Filtration von Kul¬
turen; es können auch eiweisshaltige Substrate (Urin, Aszites-
ddss!gkeR etc.) filtriert werden, welche als Nährböden oder zur
1 liifung auf Hämolysine, Präzipitine u. s. w. verwertet werden
können.. Für den Kliniker und für den praktischen Arzt wird
der kleine Apparat für die Sterilisierung von Lösungen und
von Medikamenten, welche eine höhere Temperatur nicht er¬
tragen, auch von Wert sein.
Neben der 6 cm langen wird noch eine kürzere 3,5 cm lange
Kerze hergestellt (Fig. 3).
Ls können ziemlich grosse Mengen I lüssigkeit (25 ccm und
noch mehr) in einem Apparat filtriert werden ; selbstverständlich
sind auch etwas grössere Röhrchen verwendbar. Der Hauptvorteil
besteht darin, dass auch ganz geringe Mengen (1 ccm und sogar
noch weniger) ohne grossen Verlust das Filter passieren, durch
\ erlängeiung der Glasur aussen und innen wird die filtrierende
Fläche noch weiter reduziert.
Durch Verwendung verschiedener poröser Materialien und
durch Herstellung von Kerzen verschiedener Dicke könnten die
in neuerer Zeit, aufgetauchten Fragen der Filtrierbarkeit gewisser
Ki ankheitserreger oder einiger Eiweisskörper eingehender ge¬
prüft werden.
Die Sterilisierung im Autoklaven hat häufig eine Ansamm¬
lung von etwas Wasser im Röhrchen zur Folge, das Wasser ver¬
dunstet aber ziemlich rasch; für genaue quantitative Unter¬
suchungen (Bestimmung des Gehalts an Toxin etc.) kann mittels
Aspiration bei gleichzeitigem gelinden Erwärmen das Verdunsten
beschleunigt werden ').
Ein neues Mittel gegen Dekubitus.
Von Sanitätsrat Dr. S t r ä t e r, Oberarzt des Marienhospitals,
in Düsseldorf.
Da Dekubitus durch Druck entsteht, so ist die Behandlung
immer darauf gerichtet gewesen, die gefährdete oder bereits
durchgelegene Stelle, welche sich meistens in der Gegend der
beiden letzten rudimentären Dornfortsätze des Kreuzbeins be¬
findet, vor Druck zu schützen. Man bedient sich zu diesem
Zwecke der Luft-, Wasser-, Spreu-, etc.-Kissen. Alle haben den
Uebelstand, dass sie nur dann ihren Zweck erfüllen, solange der
Kranke unbeweglich liegen bleibt, was tatsächlich fast niemals
vorkommt. Macht er nur eine geringe Bewegung, so liegt er
mit der schmerzhaften oder bereits wunden Stelle auf dem Rande
der Kissen und die affizierte Hautpartie wird von neuem ge¬
reizt. Daher ist es auch so schwer, einen Dekubitus bei fort¬
dauernder Bettlage zur Heilung zu bringen.
Ich habe nun eine Unterlage konstruiert, die sich dem
Kranken in jeder Beziehung anpasst. Sie beruht auf demselben
Prinzip und besteht aus einer 10 cm breiten und 12 cm langen
’) Die Miniaturfilter werden von der Firma Wagner & Münz
in München hergestellt. Der Apparat kostet mit der grösseren Kerze
1.25 M., mit der kleineren 1 M. Die Firma liefert ferner einen
kleinen ganz bequemen Dreifuss zum Aufstellen des Röhrchens
während der Aspiration.
4
1452
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Filzunterlage, die eine Oeffnung von 4 cm Durchmesser hat und
auf der oberen Fläche mit Klebestoff versehen ist, vermittels
dessen sic am Körper fest anhaftet, deshalb jede Bewegung des
Kranken mitmacht und so die schmerzhafte oder wunde Stelle
in jeder Lage vor Druck schützt.
Die seit 6 Monaten von befreundeten Kollegen und mir an-
gestellten Versuche haben ergeben, dass die Schutzplatte in jeder
Weise ihren Zweck erfüllt. Nach Anlage derselben ist der Schmerz
sofort verschwunden. Ohne jede weitere Medikation wird die
hochrot gefärbte, sezernierende, durchgelegene Hautstelle inner¬
halb 24 Stunden blassrot ; nach weiteren 24 Stunden hat sie sich
in einen Schorf verwandelt. Der trockene Schorf lässt sich nach
r _ q Tagen entfernen; unter demselben, ist die Haut wieder
normal. Zweckmässigerweise lässt man die Schutzplatte noch
länger liegen oder, falls sie inzwischen zu locker geworden sein
sollte, was bei starker Schweissekretion Vorkommen kann, er¬
setzt man sie durch eine neue. ,
Es hat sich als praktisch erwiesen, die Oeffnung m der
Schutzplatte exzentrisch anzulegen, so am Kreuzbein, Tro¬
chanter, Vertebra colli prominens.
Die folgenden Fälle geben Zeugnis für die Wirksamkeit des
Mlt Bei* einer TS jährigen Dame, die ich wegen einer grossen iinilti-
lokulären Ovariencyste operiert hatte, heilte der o Jage nach dei
Oneration GiusrötrctenG DGkiibitus in WGiiigGii
Einer 77 jährigen Patientin mit Schenkelhalsfraktur wurde der
heftige Schmerz über dem Kreuzbein nach Anlage der Schutzplattc
sofort beseitigt und Dekubitus verhindert. r»0vniütn« einer
Innerhalb 4 Monaten 3 mal auttretender Dekubitus emei
7t) jährigen Frau wurde jedesmal nach Anlage der Schutzplatt,
in wenigen Tagen zur Heilung gebracht.
bemerkenswert war auch ein Fall von vorgeschrittener Lun¬
gentuberkulose bei einem Manne von 36 Jahren. Infolge ständigen
T Jegens auf dem Kücken trat Dekubitus am Kreuzbein aut, clei
mich Anlage der Schutzplatte sofort schmerzlos war und m wei
„(>n Tagen heilte. Bald darauf trat Perforation der rechten Lunge
ein mit folgendem Pneumothorax, welcher es dem Kranken un-
mÜLdicii machte, auf dem Rücken zu liegen. In Seitenlage bildete
sich schon nach 2 Tagen Dekubitus auf dem rechten Trochanter.
Auch dieser heilte nach wenigen Tagen nach Anlegung dei Schutz
platte. Der Schmerz war sofort verschwunden.
Ein 69 jähriger Diabetiker litt an spontaner Gangrän des lecli-
ten Fusses umf wurde dieserhalb am Unterschenkel amputiert,
r Tage nach der Amputation trat Dekubitus am Kreuzbein auf.
'Vieh Anlegung der Schutzplatte verwandelte sich das nassende
Geschwür in einen Schorf, welcher sich nach (» Tagen entfernen
Sßei einer 84 jährigen Patientin, die an chronischer Bronchitn*
litt, trat oberflächlicher Dekubitus am Kreuzbein aut ^cMem
die Schutzplatte angelegt war, sagte sie: „Jetzt fühle ich nichts
mehr“. Der sehr schmerzhafte Dekubitus heilte in wenigen la»ei .
Die Schutzplatte gegen Durchliegen hat für die Kranken
noch den Vorzug-, dass sie ihnen keinerlei Unbequemlichkeiten
bereitet, ja nicht einmal als Unterlage empfunden wird wahrend
dieselben auf den Gummi-Luft- oder -Wasserkissen anfangs sehr
wenig bequem liegen und sich oft gar nicht daran gewöhnen.
Einen Nachteil habe ich bei dem Gebrauch der Schutz-
platten niemals konstatieren können, speziell war die umgebende
Haut, auf welcher sie festkleben, niemals auch nur in der ge¬
ringsten Weise gereizt. Die Haut ist eben nur gegen Druck
empfindlich und verträgt ihn auf die Dauer nicht; einen solchen
übt die Schutzplatte aber, wie die Erfahrung m mehr als
40 Fällen gezeigt hat, nicht aus. _ .
Die Schutzplatte wird von dem „Medizin. Ein- und Aus¬
fuhrhaus (Inh.: F. u. W. Serres)“ Hochdahl-Düsseldorf her¬
gestellt,
Beitrag zur unblutigen Phimosen-Behandlung.
Aus der Praxis für die Praxis.
Von Dr. med. Orlipski, Arzt zu Halberstadt.
Es scheint mir immer noch nicht genügend bekannt zu sein,
welche vortrefflichen Erfolge man auf unblutigem Wege mittels
Dehnung in der Therapie selbst hochgradigster Phimosen erzielen
kann. Wenigstens höre ich noch häufig, dass vom ärztlichen
Publikum der operative Weg als der allein gang-bare und zum
Ziele führende betrachtet wird. Wenn nun auch neulich erst
in No. 7 dieser Wochenschrift von berufener Seite (V e n z e 1 -
Bonn) der mechanischen Behandlung der Phimose das Wort ge¬
redet worden ist, so kann es meines Erachtens einer noch nicht
Allgemeingut der Aerzteschaft gewordenen Heilmethode nichts
schaden, wenn ihr auch von anderer Seite Lobredner entstehen,
und darum glaube ich mit dieser kurzen Mitteilung auf ein ge¬
wisses Interesse rechnen zu dürfen.
Ich habe die mechanische Dehnungsbehandlung nicht nur
bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen mit gutem Erfolge
verbucht. Ich bahne mir, genau wie Wenzeles beschreibt, erst
mit einer Pinzette einen Weg- durch den Engpass der Vorhaut¬
mündung und dehne nun bis zu einem gewissen Grade so lange
und so oft, bis es mir gelingt, ein nach Art der gefensterten
Nasenspekula konstruiertes Dilatatorium einzuführen. Das
kann schon in der ersten Sitzung, spätestens in der zweiten
Sitzung geschehen. Unter Benutzung der am Ende des Dila¬
tators befindlichen Schraube erweitere ich in vorsichtiger Weise
das Instrument und damit die verengte Vorhaut und lasse es
etwa 5 Minuten geöffnet unter der gedehnten Vorhaut liegen.
Indem ich diese Prozedur einmal in der horizontalen und dann
in der vertikalen Ebene vornehme, erreiche ich eine Dehnung
der Vorhaut nach allen Richtungen hin. Diese Behandlung er¬
folgt je nach Bedürfnis mehrere Male hintereinander m grosse¬
ren0 Zwischenräumen, die Patienten erhalten den Rat, zu Hause
öfters zu versuchen, die Vorhaut über die Eichel zuruck zu
schieben und auf diese Weise den in der Sitzung erreichten
Dehnungseffekt zu unterstützen. Für die Phimosen der Er¬
wachsenen habe ich mir ein besonderes Dehnungsinstrument kon¬
struieren lassen, welches aus 4 Branchen besteht, die aneinander
liegend eingeführt und dann durch Schraubenbenutzung von¬
einander entfernt werden können. Hierdurch erreiche ich eine
Dehnung nach allen 4 Richtungen zu gleicher Zeit. F ür Kinder
erscheinen mir die gefensterten Spekula empfehlenswerter, weil
bei ihrer Anwendung die Druckgefahr eine geringere ist. Ich
bin mit dieser Methode stets zum Ziele gekommen und habe mit
ihr nicht nur Erfolge auf Zeit, sondern Dauererfolge er¬
zielt.
Arzt und Unfallgesetz.1)
Von Prof. Dr. W. Müller in Rostock.
M. IT,! Einer Aufforderung, nicht dem inneren Drange
folgend, habe ich mein Thema gewählt, welches sich den Vor¬
trägen der Herren Geffken, Lechler und Martius an¬
reiht und das ja in neuerer Zeit so viel bearbeitet und diskutiert
worden ist. Ich beabsichtige dabei nicht, in erschöpfender
Weise die hier spielenden Fragen zu behandeln, sondern wesent¬
lich auf Grund eigener Ergebnisse und Erfahrungen und nur mit
Einflechtung weniger statistischer Tatsachen einige Hauptpunkte
zu berühren, welche Bezug haben auf die Tätigkeit der Aerzte
bei der Durchführung des Unfallversicherungsgesetzes.
18 Jahre sind ja ins Land gegangen, seitdem die Aerztewelt
und speziell die Chirurgie unter dem Einfluss der Unfallgesetz¬
gebung stehen. Licht- und Schattenseiten des grossartigen Ge¬
setzes haben wir ja wohl fast alle kennen gelernt und erfahren
wir täglich. Wer an der Bedeutung des Gesetzes etwa noch
zweifeln sollte, der braucht nur ganz flüchtig vergleichend die
Berichte des Reichsversicherungsamtes anzusehen. Gestatten
Sie einige wenige Zahlen:
Im Jahre 1899 waren tätig im Reiche:
113 Berufsgenossenschaften,
928 Sektionen,
1106 Mitglieder der Genossenschaftsvorstände,
5 837 Mitglieder der Sektionsvorstände,
229 anges teilte (besoldete) Beauftragte,
1 026 Schiedsgerichte,
4 195 Arbeitervertreter,
5154 374 Betriebe,
17 847 642 versicherte Personen,
also etwa % der Gesamtbevölkerung des Reiches.
Die Zahl der Unfälle, für welche 1899 zum ersten Male
Entschädigungen gezahlt wurden, belief sich auf 100 462 (80
mehr als 1898 !). . ,
Darunter Unfälle mit tödlichem Ausgang 8124, mit dauernd-
dc-r Erwerbsunfähigkeit 1326. Ueberhaupt zur Anzeige gelangt
sind in dem Berichtsjahre bei den Berufsgenossenschaften
406 779 Unfälle (d. i. 30 000 mehr als 1898!).
') Abgekürzt nach einem Vortrage im Rostocker Aerzteverein.
MUEN CIIEN ER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT
1463
2. September 1902.
leb führe diese Zahlen an, weil sie mir eine deutliche Spruche
zu reden scheinen, weil sie zeigen, ein welch mächtiger Faktor die
Tätigkeit des Unfallversicherungsinstituts im öffentlichen Leben
geworden ist, wie diese Tätigkeit ins Riesenhafte anwächst.
I1 iir die hier im Lande besonders interessierende landwirt¬
schaftliche Arbeiterbevölkerung ergibt sich das Anwachsen
der Ansprüche aus folgendem Vergleich:
1889, also 2 Jahre nach Ausdehnung des Gesetzes auf die
landwirtschaftlichen Berufszweige, kamen im ganzen Reiche
zur Entschädigung 6631 landwirtschaftliche Unfälle, 1899 da¬
gegen 51 287 !
1 iir die übrigen Berufsgenossenschaf teil berechnen sich diese
Vergleichszahlen (ausser Baugewerk- und Tiefbauberufsgenossen-
scliaft)
1889 = 31 019 entschädigte Unfälle,
1899 = 104 811
Berücksichtigt man dabei, dass die Zahl der Versicherung's-
liehmer sich in dem Zeiträume von 10 Jahren zwar, wie die
Bevölkerung überhaupt, vermehrt hat, aber auch nicht annähernd
in dem Verhältnis der Zunahme der Unfallentschädigungen, so
sagen uns diese Zahlen ausser manchem andern m. E. auch, dass
sich die Welt der Versicherten recht gut und
jedenfalls mit wachsendem Verständnis in
die Wohltaten der grossartigen Gesetzgebung
einzuleben verstanden hat. In erfreulicher Weise
war dabei nicht nur die aufklärende Belehrung der Betriebs¬
leiter und ihrer Angestellten und der ausführenden Behörden
fördernd, sondern auch die Mitwirkung der Aerzte, ohne die ja
die gerechte Durchführung des Gesetzes eine Unmöglichkeit
wäre, ln unerfreulicher Weise hat sich andrerseits vielfach die
hetzende und habgierige Tätigkeit falscher Anwälte, z. T. höchst
fragwürdige Elemente, der speziellen Unfall- Winkelkonsulenten
geltend gemacht, die an sich ordentliche arbeitsame Menschen
unzufrieden zu machen wussten und sie anspornten, aus der
neuen Gesetzgebung herauszupressen, was sich irgend heraus¬
pressen liess — oft zum Nachteil ihrer Mitarbeiter.
Im Rheinland z. B. gab es früh schon Bezirke, auf die man
unschwer schliessen konnte aus der Art des Schemas, nach wel¬
chem die Klagen, das ganze Vorgehen irregeleiteter Arbeiter ein¬
gerichtet war. Nun, m. H., wie oft wir alle Gelegenheit haben,
die wachsende Sehnsucht nach Rente, die Sucht zur Ueber-
trei bring der Beschwerden zu beobachten, darüber brauche ich
in diesem Kreise wohl nichts zu sagen. Ich berühre da nach
den Lichtseiten des Gesetzes eine wahre Plage für den Aerzte-
stand, eine wahre Schatte ns eite der sozialen Ge¬
setzgebung.
Die so häufig ärztlicherseits zu hörende Klage, dass der
Arzt kaum mehr im stände sei, Unfallverletzte dauernd zu
heilen, hat ihre Berechtigung, und jeder Arzt, der sich mit der
praktischen Unfallheilkunde beschäftigt und auch schon vor
der modernen Gesetzgebung in gleichem Sinne tätig war, wird
den enormen Unterschied in beregter Frage zwischen einst und
jetzt bestätigen. Nie ist mir persönlich der Unterschied so klar
gewesen als während meiner langjährigen Tätigkeit in der
industriereichen Stadt Aachen. Aus dem dicht angrenzenden
Lande Belgien kamen viele Arbeiter in unser Krankenhaus,
welche die Wohltaten der Unfallgesetzgebung nicht hatten.
Diese brauchten oft nur die Hälfte, ein Drittel der Zeit bis zur
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit als die meisten unserer
Landsleute! Auch diese Tatsache redet unzweideutig. Jeden¬
falls möchte ich hier soviel vorwegnehmen und darin werden
Sie . mir wohl alle beistimmen : Wir müssen solchen
Zeiterscheinungen gegenüber auf der Hut
sem, sie stehen einer wirklich gerechten
Durchführung der Sozialgesetzgebung als
ernstes Hindernis im AV e g e.
, Folgern Sie, m. H., daraus nicht, dass ich es etwa für die
Aufgabe der Aerzte halten möchte, der Anwalt der Berufs-
k* 'Wissenschaften zu sein, die Geschäfte dieser zu besorgen.
Ganz gewiss nicht. Was die rein ärztliche Tätigkeit angeht,
so gehört unser Mitempfinden schon a priori eher dem leidenden
j 1 Güter, ihm sollen wir unsere Fürsorge unbedingt angedeihen
assen ; ich sage, was die rein ärztliche Tätigkeit be-
tiifft, und das bringt mich auf den ersten Teil meines eigent¬
lichen Themas.
Das Unfallversicherungsgesetz verlangt vom Arzte nicht nur
ärztliche I ätigkeit, deren Aufgaben hier keine anderen sein
können als diejenigen, welche die ärztliche Ethik überhaupt vor¬
schreibt. ln diesem Sinne erkenne ich mit anderen eine beson¬
dere Unfallheilkunde als Spezialität nicht an, das tun auch nicht
alle Vertreter dieser Spezialität, d. h. solche, deren Tätigkeit vor¬
nehmlich der Behandlung von Unfallkranken gewidmet ist.
Anders steht es mit der so häufig in Wort und Schrift
ventilierten Frage der Begutachtu n g Unfallverletzter. Sie
.bildet eigentlich das punctum saliens, das aller Voraussicht nach
noch lange Zeit einer einheitlichen Auffassung seitens der
Aerzte harren wird. Wie viel unliebsamer Streit ist nicht schon
durch Begutachtungen unter den Kollegen angeregt worden, wie
oft sind solche die Quelle tiefgehender Verstimmungen gegen¬
über den ausführenden Organen resp. Behörden gewesen ! Die
Gründe dafür sind keineswegs nur in der Verschiedenheit der
ärztlichen Ansichten bei konkreten Fällen zu suchen. Diver¬
gierende Ansichten, wofern sie nur in sachlicher Weise zur Gel¬
tung gebracht werden, sind unvermeidlich und die ausführenden
Organe sind sich seit Beginn der Geltung des Gesetzes bewusst,
dass sie mit solchen zu rechnen haben, und sind in anerkennens¬
werter Weise bestrebt, die Differenzen in einer Weise zum Aus¬
gleich zu bringen, die man im ganzen und grossen als durchaus
human und gewiss nicht als arbeiterfeindlich bezeichnen kann.
Das gilt hauptsächlich von der Jurisdiktion des Reichsversiche¬
rungsamtes und den analogen Instanzen anderer Länder. Eine
wie wichtige Rolle den Aerzten durch die Aufgabe der Begut¬
achtungen Unfallverletzter zufällt, das sollte eigentlich von allen
Aerzten gleielmiässig anerkannt werden und alle sollten bestrebt
sein, sich in den Geist dieses Zweiges der sozialen Gesetzgebung
so weit hineinzuleben, dass sie sich über die Tragweite ihrer
Gutachten, über die Bedeutung derselben im Sinne einer ge¬
rechten Durchführung der Unfallversicherungsgesetze ganz klar
wären. Aber wie verschieden werden in Wirklichkeit diese Dinge
noch immer beurteilt !
Kauf m a n n, der Verfasser des bekannten Lehrbuches der
Unfallkrankheiten, sagte bei Gelegenheit der I. Sitzung der
Sektion für Unfallheilkunde auf der Naturforschervorsammlung
in Vien (1894): „Die Unfallheilkunde ist. heute noch für die
Mehrzahl der Aerzte mehr eine Gefühlssache als eine Wissens¬
sache“. Viele, die sich jahrelang mit der Begutachtung Ver¬
letzter befasst und Einblick in andere Gutachten genommen
haben, werden dieser Ansicht unbedingt beipflichten. Aber ich
möchte behaupten, dass in den 8 Jahren, welche seitdem ins Land
gegangen sind, vieles bereits besser geworden ist. Gar mancher,
der sich früher von den Aufgaben der sozialen Gesetzgebung
in gedachtem Sinne fern gehalten hatte, ist aus der Reserve
hervorgetreten, hat sich vertraut gemacht mit den Forderungen
der Gesetzgebung, besonders auch in formaler Hinsicht.
Aber trotzdem wird doch gerade die formale Seite tagtäglich in
oft geradezu hohn sprechend er Weise unbe¬
rücksichtigt gelassen und das gereicht dem Aerzte-
stand gewiss nicht zum Vorteil.
Es liegt in der Verschiedenheit der Veranlagung begründet,
dass einerseits mancher Arzt bei noch geringer Erfahrung und
mässigen Kenntnissen treffende, logische Gutachten abzufassen
im stände ist und bei genügender Gelegenheit bald ein Routinier
wird, dessen Gutachten in formaler Beziehung an massgebendem
Orte imponieren, dass weiter so mancher ein vortrefflicher, er¬
fahrener, begabter Arzt ist, der in seinem Leben es nicht lernt,
ein objektives Gutachten abzugeben. So kann es kommen,
dass ein erster Gutachter einen Unfallpatienten für geheilt und
arbeitsfähig erklärt, ein zweiter ihm nur auf Grund seiner
subjektiven Klagen 50 — 75 Proz. Rente zuspricht. Dies
liegt nicht nur im Bereich der Möglichkeit, es ereignet sich dieser
Fall sehr häufig und trotzdem können beide Gutachter bona fide
handeln. Aber für die ausführenden Organe, für die entschei¬
denden Instanzen erwachsen aus solchen Differenzen unendlich
viele Schreibereien, viel Mühe und Arbeit, ehe sie in tunlichst
gerechter Weise zu ihren Entscheidungen kommen. Dass es
dabei olme Reibungen, ohne Erregungen, ohne Kränkung ärzt¬
lichen Selbstbewusstseins oft genug nicht hergeht, ist eine be¬
trübende, aber in absehbarer Zeit kaum zu vermeidende Tatsache.
Gleichwohl glaube ich, kann gerade hier ein sehr wirksamer Hebel
einsetzen, auf welchen so oft schon von berufener Seite hinge-
4*
1 434
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
wiesen worden ist, um die Stellung der Aerzte
gegenüber allen in Betracht kommenden Fak¬
toren zu verbessern. Dazu ist in erster Lime aber er¬
forderlich, dass wir alle Anteil nehmen an der praktischen, vor
allem aber an der tunlichst gerechten Durchführung der
sozialen Gesetzgebung, dass wir bestrebt sind, weiter und weiter
zu lernen aus den praktischen Ergebnissen ihrer Anwendung,
wie ja auch der Gesetzgeber und die ausführenden Organe viel¬
fach erst lernen mussten, und danach Verbesserungen des Ge¬
setzes und seiner Handhabung schon vielfach sich notwendig er¬
wiesen haben und wohl auch in Zukunft sich noch erweisen
WO Es Hesse sich das Gesagte durch eine ganze Fülle von Bei¬
spielen aus der Praxis leicht illustrieren. Man braucht nur ein¬
mal einige Jahrgänge der Monatsschr. f. Unfallheilkunde u. In¬
validenwesen (Thiem) durchzublättern. Das Studium der¬
selben ist lehrreich für jeden und zeigt die Ergebnisse der Er¬
fahrungen auf seiten der Aerzte wie der ausführenden Organe
und Behörden — im grossen und ganzen in Form eines s t e t e n
Fortschritte s. Dieser bezieht sich aber nicht allein aut das
wachsende Interesse, auf die allgemeiner werdende Mitwirkung
der Aerzte an der Lösung so segensreicher Einrichtungen, wie sie
die Unfallgesetzgebung involviert, sondern auch, und das mochte
ich ganz besonders hervorheben, auf den Einfluss der Gesetz¬
gebung auf Fragen wissenschaftlicher Forschung, wissenschaft¬
licher Erkenntnis, wachsender Sorgfalt in der ärztlichen Be¬
obachtung und Behandlung. Ich stehe nicht an, zu behaupten,
dass in dieser Beziehung die moderne Gesetzgebung schwer¬
wiegenden Nutzen gestiftet hat und erinnere nur einmal an die
Frage der Nachbehandlung jetzt und vor 2 Dezennien. Bei aller
Last und Mühe, die vielen Aerzten tagtäglich aus der neuen
Gesetzgebung erwächst; sie hat auch Vorteile (nicht nur
materieller Art) ; sie hat auch Anregu n g nach vielen Seiten
hin gebracht und das sollten wir dankbar alle anerkennen ! Eine
ganze Reihe bestimmt formulierter Fragestellungen, wichtiger
Enqueten — ich erinnere nur an die Frage „Neurose nach
Trauma“, „Hernien und Trauma“, Osteomyelitis und Trauma“,
„Thrombose und Trauma“ und andere mehr — haben wertvolle
Abhandlungen gezeitigt, und immer und immer wieder tauchen
neue, zum Teil sehr anregende Fragen in dieser Richtung aut,
die der Wissenschaft nicht minder, als der immer . besseren
Durchführung der Unfallgesetze zu gute kommen. Leider wird
diesen Fragen auch heute noch lange nicht das allgemeine ärzt¬
liche Interesse entgegengebracht, das sie ohne Zweifel verdienen.
Darin liegt auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die Ver¬
teilung der ärztlichen Mitwirkung bei Handhabung der sozialen
Gesetzgebung noch nicht nach einem so allgemeinen Plane er¬
folgen kann, wie es im Interesse des Aerztestandes wünschens¬
wert wäre. .....
Wie gesagt, es kann sich hier nicht um Gleichmässigkeit
der Ansichten handeln, es wäre ein Unding, zu erwarten,
dass in konkreten Fällen seitens mehrerer Gutachter m der
Beurteilung eines Falles, in der Diagnose jemals etwa
nach einem Schema verfahren werden könnte. In fonnalei Le
ziehung aber sind Schemata, wie sie sich an der Hand dei Ei
fahrung ja vielfach herausgebildet haben, keine Erschwerung,
sondern vielmehr eine Erleichterung der ärztlichen Gutachter
tätigkeit und zumal für Anfänger kann, abgesehen von
manchen oft kaum bestimmt zu beantwortenden Einzelfragen
in den Formularen, das Frageformular nur förderlich sein. Sind
doch diese Formulare vielfach ganz in Uebereinstimmung mit
den ärztlichen Ratschlägen entstanden und allmählich vervoll¬
kommnet worden. Weitere Erfahrungen dürften noch weitere
Vervollkommnung auch hier zeitigen und die letzten Scliwieng-
lieiten hinsichtlich der richtigen Beurteilung und Beantwortung
von Einzelfragen noch aus dem Wege räumen helfen, iibei die
mit Recht noch vielfach geklagt wird.
Ich meine damit nicht allein die Beurteilung der Arbeits¬
fähigkeit, nach Prozenten, wie sie jetzt von den meisten Berufs-
genossenschaften gewünscht wird, sondern z. B. auch die \ ei-
logenlieit, in welche so mancher Anfänger gerät, wenn er die
Erwerbsschädigung nicht nach dem Berufe des Verletzten, son¬
dern nach dem allgemeinen Arbeitsmarktc beurteilen soll, odei
wenn der Arzt, auch der in der „sozialen Medizin“ erfahrene,
ein Urteil abgeben soll, ob ein Verletzter oder Erkrankter „noch
% des ortsüblichen Tagelohnes verdienen kann“ u. dgl. m. Wie
häufig müssen wir gerade da den Weg der vollkommenen
Objektivität verlassen!
Den letzteren aber stets bei der Gutachter¬
tätigkeit streng innezuhalten, ist das v o i
nehmste Ziel, welchesder Aerztestand 1 “ _s e 1 n ® r
Mitwirkung an der Durchführung der Unfall -
gesetze im Auge haben soll. Diese Forderung muss
immer und immer wieder inter collegas betont werden und soll
auch schon an die Spitze gestellt werden beim Unterricht der
Anfänger, mag letzterer, wie es gewiss wünschenswert erscheint,
in besonderer Form, als Spezialfach, geübt werden, mag ei
in den klinischen Unterricht eingeflochten sein. Es kann vom
Arzte nicht gefordert werden, dass er all die Fragen, die seitens
der ausführenden Organe an ihn gerichtet werden, präzise mit
„ja“ oder „nein“ beantwortet. Es entspricht der Objektivität
oft weit mehr, wenn der Gutachter auch zu rechter Zeit das
„ignoramus“ ausspricht, mag er es zunächst nur auf sich selber
beziehen. Wird dann der Weg der Einholung weiterer Gutachten
betreten, so liegt darin keine Kränkung für den ersten Erachter,
sondern meist doch nur das richtige Bestreben, zu einei tunlichst
gerechten Beurteilung des Emzelfalles zu kommen.
Mit viel mehr Grund entsteht oft das Gefühl der Kränkung
durch die Form, in welcher ein zweites oder drittes Gutachten
abgefasst erscheint. Das bringt mich auf einen weiteren wich¬
tigen Punkt : die Verletzung der guten kollegialen
Sitte durch die Form mancher Gutachten.
Diese Frage freilich fällt zusammen mit einer so oft schon be¬
tonten Forderung im ärztlichen Berufe, die nach dem natür¬
lichen ärztlichen Ehrenkodex sich von selber beantwortet. Dit
Gutachten sollen sich ebenso wie die ärztlichen Konsilien tun¬
lichst der K r i t i k der Vorgutachter enthalten, wenigstens der
beleidigenden Kritik, auch schon der Kritik, die den Vor¬
gutachter zu diskreditieren geeignet ist. Es könnte überflüssig
erscheinen, diese Frage hier zu streifen. Aber, m, H., jeder,
der Gelegenheit hat, öfters vergleichenden Gutachtenstudien ob¬
zuliegen, wird bestätigen, dass auch diese formale Seite der
Gutachten nicht selten Unerhörtes bietet. Das ist bedauerlich
und fördert das Ansehen des ärztlichen Standes weder bei den
Versicherungsnehmern, noch bei den ausführenden Organen.
In ganz besonderem Masse sind da mit Recht die sog. „Ge¬
fälligkeitsatteste“ abfällig zu beurteilen, mit deren Ausstellung
man stets vorsichtig sein sollte!
Irrtümer werden wie in der Diagnose so auch folgerichtig
im Gutachten oft und werden gelegentlich von jede m be¬
gangen, das ist nicht nur „menschlich“, sondern auch noch be¬
sonders „ärztlich“. Solche Irrtümer des Gutachters „X“ ge¬
gebenenfalls richtig zu stellen, ist eine berechtigte Aufgabe des
Gutachters „V“, aber dieser soll dabei eine sachliche, nie¬
mals eine persönliche (oder wo etwa durch die Fragestellung ge¬
boten, höchstens entschuldigende, erklärende) Form wählen.
Bei Beherzigung dieses Grundsatzes lässt sich viel Bittei-
keit vermeiden. Eine andere in dem Gutachten zum Ausdruck
gebrachte Auffassung eines konkreten Falles aber hat nichts
Verletzendes und wer darüber ägriert ist, der ist eben zu seinem
eigenen Nachteil zu empfindlich.
Anders liegt oder besser lag die Frage der Empfindlichkeit
der Gutachter gegenüber einer Gepflogenheit, die bis vor wenigen
Jahren nicht selten bei den Schiedsgerichtsentscheidungen an¬
zutreffen war. Erscheint es schon unbegreiflich und gänzlich
verfehlt, dass aus Laien zusammengesetzte Schiedsgerichte ohne
jeglichen Sachverständigen-Beisitzer ihre Entscheidungen ^ge¬
troffen haben, so lag etwas den ärztlichen Stand geradezu Ver¬
letzendes in vielen Entscheidungen, die öfter entgegen den ärzt¬
lichen Gutachtern gefällt wurden mit der einzigen Begründung,
dass das Schiedsgericht sich durch den „Augenschein“ überzeugt
habe, dass der „X“, entgegen den ärztlichen Ansichten, doch
um so und so viel in seiner Erwerbsfähigkeit geschädigt sei.
Ich habe es erlebt, dass leicht zu entlarvende Simulanten auf
diese Weise, d. h. unter Nichtbeachtung aller ärztlichen
Erachten unverliiiltnismässig hoch entschädigt wurden. Nun,
diese Art von Gesetzesausführung fällt ja den neueren Bestim¬
mungen zufolge weg, wir haben jetzt auch ^ bei den Schied—
gerichten die ärztliche Mitwirkung vor der Entscheidung sozu¬
sagen als unerlässliche Vorbedingung. Ein weiterer Teil des
1465
.^lUENCHEXER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
2. September 1902.
eingangs erwähnten Fortschrittes in den Ausführungsbestim¬
mungen der sozialen Gesetzgebung!
Ich habe bislang im wesentlichen die Arbeiterunfallver¬
sicherung im Sinne gehabt. Ich möchte meine Ausführungen
nicht beenden, ohne auch noch der ärztlichen Tätigkeit gegen¬
über den Privatunfallversicherungen gedacht zu haben.
Da liegt die Gefahr des Abweichens vom streng objektiven
Wege a priori noch etwas näher. Ich berühre damit eine heikle
Frage, denn wenn irgendwo, so begegnen wir gerade in diesem
Zweig der ärztlichen Gutachtertätigkeit mannigfachen Ent¬
gleisungen aus sozialer Rücksicht ! Heiner Auffassung nach
soll der Arzt auch hier keinen andern Grundsätzen huldigen als
dem der Objektivität, er soll nicht in dem Sinne der Anwalt
seiner Privatklientel sein, dass er ihr hilft, über Gebühr Ent¬
schädigung zu verlangen.
In einem der bekanntesten Handbücher der Unfallheilkunde
ist die Tatsache berichtet, dass ein Arzt ein Unfallattest, das
für den Versicherungsnehmer nach Ansicht des Gerichts wohl zu
günstig ausgefallen war, nachträglich durch Eid bestätigen
sollte, worauf er geäussert habe, er sei im Glauben gewesen, da
es sich um ein Unfallattest gehandelt habe, käme es so genau
nicht darauf an.
Wenn jedes Gutachten „an Eidesstatt abgegeben“ gefordert
würde, wären solche schwere Missverständnisse wohl ein für alle¬
mal abgeschnitten.
Es leitet mich dieses Beispiel unschwer zum Schlüsse meiner
Ausführungen. Ich habe den Schwerpunkt der ärztlichen Mit¬
wirkung bei der Durchführung der Unfallgesetzgebung in die
Gutachtertätigkeit verlegt. Vorbedigung für diese ist selbst¬
verständlich die Forderung, die für uns alle gilt, dass wir Hand
in Hand mit den Fortschritten der ärztlichen Kunst und Wissen¬
schaft die Unfallkranken behandeln, beobachten und beurteilen.
Wer den einzelnen nach seiner Ansicht nicht selbst genügend
beurteilen kann, der bedarf der Mitwirkung anderer (Spezia¬
listen). Einmalige Untersuchungen geben oft eine ungenügende
Handhabe zur Beurteilung. Wo dies der Fall, müssen Beob¬
achtung, wiederholte Untersuchungen mit allen zu Gebote
stehenden Hilfsmitteln erfolgen.
Was aber die Grundsätze bei Abfassung aller Gutachten
betrifft, so bringt kaum eine andere Formel jene Grundsätze so
präzise zum Ausdruck als die uns allen bekannte: „Unparteiisch
nach bestem Wissen und Gewissen“.
Wer diese Formel als Richtschnur bei all seinen
Attesten und Gutachten nimmt, d^er vermeidet un¬
liebsame Kollisionen mit allen korrekt denkenden Kollegen, der
fördert nach Kräften die gerechte Durchführung der segens¬
reichen sozialen Gesetzgebung.
Teilweise und veränderte Arbeitsfähigkeit.
Von Dr. L. H o e f 1 mayr in München.
Immer mehr macht sich in den letzten Jahren in den Kreisen
der Aerzte das Bestreben bemerkbar, Kranke mit rein funktio¬
nellen Störungen oder Unfallkranke, bei denen die objektiv nach¬
weisbaren Symptome verschwinden, und nur noch subjektive,
meist nervöse Beschwerden vorhanden sind, möglichst frühzeitig
wieder zur Arbeit anzuhalten. Man geht dabei von der Ansicht
aus, dass das Faulenzen und die hierdurch geförderte Selbst¬
beobachtung am meisten die Arbeitslust und den Eintritt der
Arbeitsfähigkeit hintanhalten. Der Erfolg hat uns Recht ge¬
geben. Wenn man es versteht, dem Kranken das Misstrauen zu
nehmen, als veranlasse man ihn zur Arbeit, weil man seine An¬
gaben über Beschwerden nicht glaube, und wenn man ihm klar
macht, dass die Arbeit in seinem Fall ein besserer Heilfaktor ist,
wio alle andere äussere oder innere Behandlung, dann erlebt
man es fast jedesmal, dass der Patient in einigen Wochen oder
Monaten seine Arbeitsfähigkeit wieder vollkommen erlangt und
ass er selbst über den Verlauf der Besserung erstaunt ist.
Es ist nun wohl klar, dass ein solcher Kranker nicht vom
ersten Tage an wieder so arbeiten kann, wie vor seiner Erkran¬
kung- oder vor seinem Unfall. Würde ihn auch nicht eine meist
wirklich vorhandene Innervationsschwäche oder Schmerzen an
dein ausgiebigen Gebrauche seiner Muskeln hindern, so ist es doch
die durch die meist lange ausgesetzte Arbeit entstandene Ent¬
wöhnung von angestrengter Muskeltätigkeit, welche es als ver-
No. 35.
nünftig erscheinen lässt, den Kranken langsam und allmählich
wieder an seine frühere Beschäftigung gehen und sich nach und
nach einarbeiten zu lassen. Auch der Wunsch des Arztes, dass
der Patient noch eine Zeit lang die Möglichkeit hat, hydro-
! her apeutische oder sonstige therapeutische Anwendungen neben
der Arbeit zu gebrauchen, und genügend Zeit zur Erholung
durch Ruhe und Aufenthalt im Freien aufzuwenden, wäre bei
diese Frage zu berücksichtigen. So ist es z. B. für viele Neur¬
astheniker, die in allen möglichen Behandlungen gewesen sind,
von grösstem Vorteil, wenn man sie Vormittags arbeiten und
Nachmittags baden und spazieren gehen lässt. Mit dem wieder¬
kehrenden Selbstvertrauen und der neu entstehenden Kraft
kommt dann ganz von selbst der Moment, in dem der Patient
den Arbeitstag verlängert und die Zeit nach der Arbeit
und an Sonn- und Feiertagen als genügend zur Erholung findet.
Nun steht aber einem solchen Vorgehen von Seite des Patienten
und Arztes das Krankenversicherungsgesetz, wie es heute besteht,
hindernd im Wege. Nach diesem gibt es nur ein erwerbsfähiges
oder ein erwerbsunfähiges Mitglied der Kasse. Ein Zwischen¬
ding, das in den von uns angeführten Fällen so notwendig wäre,
eine teilweise Arbeitsfähigkeit, gibt es nicht. Arbeitet der Ge¬
nesende auch nur eine halbe Stunde im Tag, so gilt er für
arbeitsfähig und verliert seine Krankenunterstützung. Da nun
aber ein halber Tag Arbeit nur halben Verdienst und oft bei der
schwächeren Arbeitskraft des Genesenden nicht einmal diesen
bringt, und andererseits jedes Krankengeld wegfällt, so ist der
Arbeitswillige in einer schlechteren Page als der Faulenzer, der
auf den wohlgemeinten Vorschlag des Arztes überhaupt gar nicht
eingeht. Dabei muss man noch berücksichtigen, dass gerade
solche Leute sich gut verköstigen müssen, um nicht rückfällig
zu werden.
Man hat ja nun versucht, derartige Patienten in eigens dazu
eingerichteten Anstalten für Beschäftigungstherapie über diese
Febergangsperiode hinweg zu bringen. Aber das wirkliche Ein¬
arbeiten, wie es in dem gewohnten Milieu mit allen seinen hygie¬
nischen und sozialen Nachteilen in unseren Fällen geschieht,
kann man nicht ersetzen und abgesehen davon läge es doch wohl
im Interesse der Krankenkassen und der Aerzte, dass die Kran¬
kenunterstützung, die während der Kur in solchen Instituten
voll gewährt wird, möglichst frühzeitig wenigstens teilweise, wie
wir es erstreben, in Wregfall kommt. (Die Berechtigung und
Nützlichkeit solcher Institute soll durch diese Erörterungen in
keiner Weise angetastet werden!)
Obigen Ausführungen entsprechend wäre es anzustreben,
dass bei der bevorstehenden Revision des Krankenversicherungs¬
gesetzes eine Bestimmung aufgenommen würde, die es in ge¬
eigneten Fällen dem Arzte ermöglicht, einen Kranken oder Ge¬
nesenden als teilweise arbeitsfähig zu erklären. Eine Bestim¬
mung nach Prozenten, wie sie bei der Begutachtung von Unfall¬
kranken eingeführt ist, möchte ich jedoch keinesfalls eingeführt
wissen; es würde wichtiger sein, die teilweise Arbeitsfähigkeit
nach Stunden bestimmen zu lassen, während für die übrig¬
bleibende Tageszeit das ebenfalls nach Stunden leicht aus¬
zurechnende Krankengeld zu beziehen wäre.
Vom Verwaltungsstandpunkt aus sind keine besonderen
Schwierigkeiten zu erwarten, da eine solche Berechnung in
einem Augenblick gemacht werden kann und da derartige Kranke
stets nur in geringer Zahl vorhanden sein werden. Aber es sollte
wenigstens durch das Gesetz den Krankenkassen die Möglichkeit
gegeben werden, in solchen Fällen den Absichten des Arztes ent-
gegenzukommen. Bis jetzt besteht diese nicht.
Meine Versuche bei verschiedenen Krankenkassen, dies¬
bezüglich etwas zu erreichen, sind sehr verschieden ausgefallen.
Einige haben von vorneherein auf Grund der gesetzlichen, auch
in ihren Statuten festgelegten Bestimmungen von kurzer Hand
abgelehnt, eine andere wieder benutzte die Mitteilung, dass der
Kranke als teilweise arbeitsfähig zu betrachten sei, um dem¬
selben das Krankengeld sofort ganz zu entziehen, und liess sich
auch nicht mehr eines Besseren belehren. Nur eine grosse Fabrik¬
krankenkasse resp. deren mir persönlich bekannte Direktoren
genehmigten meinen Plan.
Ein Analogon der von mir befürworteten teilweisen Ar¬
beitsfähigkeit haben wir bei den privaten Unfallversicherungs¬
gesellschaften. Wäre eine schlechte Erfahrung damit gemacht
worden, so hätten diese längst eine Aenderung getroffen.
5
1466
MUENC1IENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Der Umstand, dass die von mir angeregte Neuerung den
Interessen von Kassen und Aerzten entspricht, dürfte wohl auch
als günstig zu berücksichtigen sein.
Schwieriger liegen die Verhältnisse, wenn es sich um die
veränderte Arbeitsfähigkeit handelt. Eine solche besteht meiner
Ansicht nach in den Fällen, in denen ein Arbeiter durch lang
jährige Beschäftigung in einem und demselben Spezial teil seines
Handwerks dauernd Schädigungen ausgesetzt ist, die nur einen
ganz bestimmten Teil seines Organismus erkranken lassen, wäh¬
rend der übrige Körper gesund und arbeitsfähig bleibt. Einige
Beispiele mögen es kurz erläutern: Ein Kesselschmied leidet an
progressiver Schwerhörigkeit, die zur Taubheit führen muss,
wenn er dem Getöse beim Nieten im Kessel sich nicht entziehen
kann — ein Kunstschlosser bleibt heiser und wird schliesslich
aphonisch, wenn er dauernd den Säuredämpfen beim Aetzen des
Metalls ausgesetzt bleibt — ein Fabrikschreiner, der jahrelang
nur poliert hat und an Beschäftigungsneuritis im rechten Arm
leidet, kann seine Nervenschmerzen und Bewegungshemmung
im Arm nicht verlieren, wenn er, aus der Behandlung zur Arbeit
zurückgekehrt, wieder dauernd polieren muss.
Solche Leute sind für die Arbeit, die ihre Erkrankung
herbeigeführt hat, gewiss nicht mehr als arbeitsfähig zu be¬
trachten, während sie für jede andere meist vollkommen zu ge¬
brauchen sind.
Sache einer humanen Gesetzgebung wäre es nun, solchen
Leuten mit veränderter Arbeitsfähigkeit einen gewissen Schutz
vor Arbeitslosigkeit zu gewähren. Denn sehr häufig hört man
als Arzt von einem Patienten, dem man bei der Entlassung sagt,
er müsse sich eine andere Art der Arbeit in seiner F abrik er¬
bitten : „Ja, Herr Doktor, damit darf ich nicht kommen,- sonst
werde ich ausgestellt. Kranke Leute kann man nicht brauchen.
Man könnte wohl eine gesetzliche Bestimmung ungefähr folgen¬
den Sinnes in Erwägung ziehen : Hat ein Arbeiter durch dauernde
Beschäftigung in einer Sparte des Betriebes eine Schädigung
seiner Gesundheit erlitten, die nach dem Gutachten eines Arztes
auf die anhaltend gleichmässige Arbeit zurückzuführen ist, so
ist die Weigerung des Arbeiters, diese spezielle Arbeit weiterhin
zu versehen, allein kein Grund zur Entlassung.
Ich verkenne nicht, dass es grosse Schwierigkeiten hat, ge¬
rade in solchen Fragen mit gesetzlichen Schutzbestimmungen
etwas wirklich Gerechtes und Brauchbares zu erreichen, aber
andererseits muss zugegeben werden, dass unsere ganze soziale
Gesetzgebung aus solchen Anfängen herausgewachsen ist. In
den von mir berührten Punkten kommen, was sonst auch nicht
stets zum Vorteil eines neuen Vorschlages anzuführen ist, die
Interessen beider Parteien, d es Arztes und des Patienten, in
Frage, während niemand geschädigt wird.
Humor in der Unfallversicherung.
Mitgeteilt von Sanitätsrat Dr. Eduard Fischer in Magde¬
burg.
Der Arbeiter A. B. in C. erlitt am 1. V. 1890 einen Bruch des
rechten Unterschenkels, der so gut heilte, dass B. — freilich erst
nach einer Schiedsgerichtsverhandlung — eine Rente von 25 Proz.
zugebilligt erhielt. Da B. im Laufe der langen, seit dem Unfall
verflossenen Jahre sich dem Vagabondieren ergeben hatte, so dass
er in dieser Zeit 42 mal seinen Wohnsitz wechselte, ist es mir nur
2 mal gelungen, ihn zu untersuchen, das letzte Mal mit dem Erfolg,
dass die Rente aufgehoben werden konnte, was vom Schiedsgericht
und Reichsversicherungsamt bestätigt wurde; trotzdem bildet das
Aktenstück einen stattlichen Band von 205- Seiten, da B. durch eine
grosse Schreibseligkeit ziemlich gewandten Stiles die Beamten der
Berufsgenossenschaft über seine Aufenthaltsorte auf dem Laufen¬
den erhielt, auf die Entziehung der Rente mit allerlei Beschwerden
über den Vertrauensarzt, Klageliedern über die ungerechte Be¬
handlung seitens des Vorstandes und ähnlichen Eingaben ant¬
wortete'. Fast alle diese Schriftstücke enthalten einen köstlichen
Humor, der, voll von Erinnerungen an die Gymnasialzeit des Ver¬
letzten, eine weitere Verbreitung verdient.
Auf den ersten ablehnenden Bescheid antwortet B. entrüstet:
„Der Bescheid ist mir um so unverständlicher, als es im Sinne des
Gesetzgebers unbedingt nicht gelogen hat, dein unverschuldet von
einem Unfall Betroffenen ein vae victis zuzurufen“. Als ihm sein
Koffer mit den Quittungsformularen „auf unerklärliche Weise“
abhanden gekommen ist, schreibt er an den Vorstand: „O Vare,
Vare, redde mihi legiones meas; ceterum censeo — ich brauche
neue!“ Als er nach vielfachem Suchen am Rhein aufgefunden
und zur Untersuchung nach Köln beordert wird, wreist er die Vor¬
würfe wegen seines unstäten Lebenswandels auf enggeschriebener
Karte zurück, in der er die ganze Schuld an dem häutigen
Wohnungswechsel der Berufsgenossenschaft zuweist: „V enn ich
mehr Anlage zum Schriftsteller hätte, so könnte mir das alles
Stoff zu einem Roman geben und ich mir selbst bildlich Vor¬
kommen wie ein moderner Don Quixote, denn ich habe schon mit
mehr denn Windmühlen zu kämpfen gehabt“. Bei der Gestellung
in Köln kam er nicht gleich zuerst an die Reihe, führte sich bei
mir mit den zürnenden Worten ein: „Quo usque tandem, wie lange
soll ich denn warten, verehrter Herr und Freund?“; erwiderte aut
die Frage nach seiner Beschäftigung: „Ich unterwerfe diejenige
Frucht, 'welche Franz Drake einst nach Europa gebracht, einem
Schälungsverfahren“, und als ich ihm auf seine Bitte, die Rente
auf einmal zu zahlen, da die allmonatlichen Wege nach der Post
ihm doch allmählich lästig geworden seien, entgegnete, diese Muhe
könne er sich wahrscheinlich in Zukunft ersparen, da ich ihn tur
ausgeheilt und nicht mehr geschädigt hielte, empfahl er sich mit
den geflügelten Worten: „Es gibt noch Richter in Berlin!“ Der
1 — * —-1 - mathe-
grossen
Gegen-
zu Ge-
herum-
Entziehungsbescheid wird mit folgendem Ausbruch
malischer Weisheit begrüsst: „Ich hatte bisher mit dem
Rechenmeister Not zu kämpfen, sonst hätte ich mit dei
partei schon längst ganz anders abgerechnet; derselben
fallen soll ich als pythagoräisclier Lehrsatz in der Welt
laufen, indem das gesunde Bein die Rolle der Hypothenuse, das
verletzte die einer armseligen Kathete übernehmen muss!“ Nach¬
dem ihm die Berufungsgegenschrift zugestellt ist, antwortet er:
„Für das feierliche Requiem seitens des Vorstandes, sage ich
meinen verbindlichsten Dank mit dem Bemerken, dass ich die ver¬
zuckerte Pille nicht schlucken kann. Glaubt denn die Genossen¬
schaft. dass alles blind ist und sie allein den Teilapfel abscliiessen
kann? Da will ich ihr die Lehre geben: Incidit in Scyllam, qui
vult vitare Charybdim! Mein bestes Beweismittel, das Zeugnis
eines Arztes, der fast ebenso gescheit ist, wie der Dr. Fischer
in Magdeburg, wird einfach wie eine Flasche Sekt kalt gestellt.
Fiat justitia!“ Die Zusammensetzung des Schiedsgerichtes, ausser
den Arbeitgebern „lauter unbekannte Grössen“, dem er seine Zu¬
weisung zur Last legt, nötliigt ihm die Worte ab: „Vor uralten
Zeiten lebte in Griechenland ein Mann, der hiess Diogenes, der
ojng am hellen Tage mit einer brennenden Laterne umher und
suchte Menschen, aber die Lichtstrahlen der Laterne blendeten ihn
so, dass er sie vor lauter Lichtflut nicht sah; mir geht es mit der
Entscheidung des Schiedsgerichtes ebenso, und wenn ich auch
Röntgenstrahlen zu Hilfe nehmen wollte, so finde ich in Wahr¬
nehmung meiner Interessen keine mich überzeugenden Gründe,
sondern nur ein Volkssprichwort, welches von Krähen handelt.
Referate und Bücheranzeigen.
Joh. Schmidt und Fr. Weis; Die Bakterien. Natur-
historische Grundlage für das bakteriologische Studium mit
einem Vorwort von Ch. Hansen. Aus dem Dänischen über¬
setzt von Porsild. 205 Figuren. 416 S. Verlag von Gustav
Fischer. Preis 7 M.
In einer kurzen Vorrede empfiehlt der bekannte lief en-
forscher Hansen das Werk seiner in Deutschland bisher un¬
bekannten Landsleute. Das Buch will mehr die theoretische als
die praktische Seite der Bakteriologie darstellen und eine wissen¬
schaftliche Grundlage bilden für weitergehendes Studium der
Bakteriologie, sei es, dass letzteres theoretische, sei es, dass es
rein praktische Zwecke verfolgt.
Dementsprechend ist auf 268 Seiten ziemlich ausführlich
die Morphologie und Biologie geschildert, die Morphologie wohl
etwas zu ausführlich, die Biologie ist recht gut und geschickt
geschrieben und dieser Abschnitt stellt entschieden den wert¬
vollsten und originellsten Teil des Buches dar. Sehr knapp sind
die pathogenen Eigenschaften der Bakterien geschildert (5 Seiten
über Toxine im allgemeinen Teil ist alles). Gänzlich ungenügend
ist, was über Agglutination gesagt ist (eine einzige Anmerkung
von 14 Zeilen auf p. 234!). Kein Leser wird dadurch von der
Ausführung und Bedeutung der „W i d a 1“ sehen Probe (sic)
einen Begriff bekommen.
Im speziellen Teil wird dem Mediziner die Schilderung der
pathogenen Arten öfters zu kurz sein. Eine Differentialdiagnose
fehlt fast ganz, die pathogene Bedeutung ist nur mit zwei Worten
gestreift. Ueberhaupt macht der ganze spezielle Teil den Ein¬
druck, sehr wenig eigenes zu enthalten. Dass unter den 205 Ab¬
bildungen kaum ein Original ist, verstärkt diesen Eindruck noch
erheblich. Die nicht pathogenen Arten sind relativ etwas aus¬
führlicher behandelt, aber auch hier fehlt scheinbar ausgedehnte
eigene Erfahrung. Lieber die bakteriologische Technik enthält
das Buch absichtlich fast nichts, was bei einem einführenden
Buche doch etwas befremdet.
Sehr zu bedauern ist die Annahme der willkürlichen und
höchst unpraktischen Definition von M i g u 1 a für „Bazillus *
2. September 1902.
1467
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
und „Bakterium“, nach der „Bazillus“ die beweglichen, „Bak¬
terium“ die unbeweglichen Stäbchen umfasst. Es werden so
die nächstverwandten sporentragenden Arten auseinandergerissen
(„Bacterium anthracis“ steht an einer andern Stelle des Buches
wie „Bacillus subtilis“), die koliartigen beweglichen und un¬
beweglichen Formen sind ebenso unglücklich getrennt (Bacterium
lactis aerogenes und Bacillus coli). Unter Bakterium finden sich
hintereinander aufgezählt: Bacterium anthracis, Bacterium pneu¬
moniae (== Streptococcus lanceolatus), Bacterium pneumonicum
(F r i e d 1 ä nders^ Pneumonieorganismus), Bacterium tubercu-
losis, Bacterium diphtheriae, womit doch wohl jeder Versuch
einer naturwissenschaftlichen Gliederung aufgegeben erscheint.
Schon die Gruppierung jedes Genus in pathogene und nichtpatho-
gene Arten stellt mit der Absicht naturwissenschaftliche Prin¬
zipien in den Vordergrund zu stellen in schwer zu vermittelndem
Gegensatz. Zitate fehlen wohl absichtlich fast ganz. Trotz dieser
Mängel vermag auch dieses Buch bei dem grossen Bedürfnis nach
bakteriologischen Werken die Ansprüche eines gewissen Leser¬
kreises im wesentlichen zu befriedigen.
K B. L e h m a n n.
D u n b a r und Thumm: Beitrag zum derzeitigen Stande
der Abwasserreinigungsfrage, mit Berücksichtigung der bio¬
logischen Reinigungsverfahren. München und Berlin, R. Ol¬
den bourg, 1902. 141 Seiten. Preis 4 M.
In vorliegender Arbeit geben die Autoren zunächst einen Be¬
richt über die Tätigkeit des letzten Jahres und über die Be¬
obachtungen, welche in dieser Zeit bei der Kläranlage in Ham¬
burg-Eppendorf mit dem Oxydationsverfahre n ge¬
macht wurden. Sie ziehen aber den Kreis ihrer Betrachtungen
noch weiter, indem sie alle seit 1897 dabei gemachten Er¬
fahrungen zur allgemeinen Kenntnis bringen und auch die übri¬
gen angewendeten Klärverfahren einer kritischen Besprechung
unterziehen. Ausserdem erfahren eine Reihe technischer Be¬
triebe, wie die Zuckerfabrikation, die Bier¬
brauerei, Presshefefabrikation und Leder-
fabrikatio n, in denen das Oxydationsverfahren für die
Reinigung ihrer Abwässer eingeführt ist, eine besondere Be¬
leuchtung.
Die ausserordentlich zahlreichen und eingehenden Unter¬
suchungen über die Verhältnisse und Leistungen des Oxydations-
vei fahre-ns sind um so wertvoller, als letzteres mehr und mehr
berufen zu sein scheint, andere Verfahren zu verdrängen. So
macht es ganz den Eindruck, als ob das B e.r ieselungs-
S y stem an Bedeutung gegenüber dem biologischen Rei¬
nigungsverfahren abnähme, da durch letzteres nicht nur
eine durchgreifendere Reinigung der Wässer gewährleistet wird,
sondern auch die kostspieligen Rieselanlagen in Wegfall kommen.
Den Mitteilungen über die Ergebnisse der experimentellen Prü-
fung gehen theoretische Erwägungen über die Zersetzungsvor¬
gänge im Oxydationskörper voraus, welche vielleicht nicht in
allen Punkten von der Allgemeinheit geteilt werden. Ihnen folgen
untei Skizzierung der Hamburger Kläranlage die Wirkungen des
einfachen und doppelten Oxydationsver¬
fahrens, des Einflusses gröberen oder feineren
Material s, sowie der Oxydationskörper überhaupt ;
die Bedeutung der Reinig u n g, L ü f t u n g und des L e er¬
st e h e n s der Filter, die Ursachen der Schlammbil¬
dung, der Verlust bei Reinigung der Schlacken,
^eit und Dauer der Reinigung u. s. w. Auch das
l1 aulverfahren wird in eingehender Weise in seiner Be¬
deutung gewürdigt.
Durch die Einfügung des u m fangreichen Ana¬
lysenmaterials und Beigabe von zahlreichen
Kostenberechnung e n, nebst den Vergleichen mit
anderen Verfahren gewinnt das Buch ganz bedeutend an Wert.
Die Verfasser kommen auf Grund ihrer Studien zu dem Re¬
sultat, dass die an der Hamburger Anlage gemachten günstigen
rfahrungen geeignet sind, das Oxydationsverfahren
für die Mehrzahl der Fälle bei Neuanlagen dringend empfehlen
zu können, da es in der verschiedensten Weise anwendbar ist.
Das Studium dieses lehrreichen Buches ist deshalb wegen der
üUe von interessantem und beachtenswertem Material allen
nteressenten aufs Wärmste empfohlen.
R. O. Neuma n n - Kiel.
H. Kionka; Grundriss der Toxikologie, mit besonderer
Berücksichtigung der klinischen Therapie. Leipzig, Verlag
von Veit & Co., 1901. Preis 11 M.
Obwohl in den letzten Jahren der Büchermarkt mit wert¬
vollen loxikologien bereichert wurde, muss das Erscheinen vor¬
liegenden Werkes doch hochwillkommen geheissen werden. Es
hält zwischen den grossen und ausführlichen Handbüchern, die
mehr zu Spezialstudien bestimmt sind, und den oft höchst dürf¬
tigen Kompendien die Mitte und dient, wie der Verfasser im Vor¬
worte erwähnt, den Studierenden als Lehrbuch, den praktischen
Aerzten als Nachschlagebuch, weshalb besonders die Therapie bei
Vergiftungen ausführlich, aber doch mit sorg'fältig'er Auswahl
besprochen ist. Auch die klinischen Symptome und die patho¬
logisch-anatomischen Befunde bei Vergiftungen sind gebührend
berücksichtigt. \ on den Methoden des Giftnachweises sind be¬
sonders diejenigen hervorgehoben, welche der praktische Arzt
leicht ausführen kann, wie die mikroskopischen und spektro¬
skopischen Methoden. Eine dem Buche beigefügte Spektraltafel
dürfte vielen erwünscht sein.
Dem allgemeinen Teile des Buches — Bestimmung des Be¬
griffes Gift, die Giftwirkung und ihre Bedingungen, Wesen der
Giftwirkung, das Erkennen einer Vergiftung, Therapie der Ver¬
giftungen — schliesst sich der spezielle an, bei dem eine Tren¬
nung der akuten Vergiftungen von den chronischen durchgeführt
ist. Diese Trennung hat Verfasser zum grossen Teile wohl aus
dem Grunde gewählt, um die Stoffe, welche zu akuter Vergiftung
führen, übersichtlich einzuteilen in Aetzgifte und lokal reizende
Gifte, in Blut- und Parenchymgifte, in Methämoglobinbildner,
in Nervengifte und in Herzgifte. Ohne Trennung der akuten
von den chronischen Vergiftungen wäre diese Einteilung nicht
möglich, da manche Stoffe in kleinen Mengen dem Organismus
einverleibt und zu chronischen Vergiftungen führend, bald eine
Giftwirkung auf die parenchymatösen, bald auf die nervösen
Organe ausüben.
Di^ klare Darstellung, insbesondere bei Schilderung von
Untersuchungsmethoden, machen das Buch besonders wertvoll.
J odlbauer.
R. Olshausen: Beitrag“ zur Lehre vom Mechanismus
der Geburt. Stuttgart 1901. F. Enk e.
Olshausen erläutert in den vorliegenden Mitteilungen
verschiedene noch strittige Punkte aus der Lehre des Geburts¬
mechanismus. Er stützt seine hierüber schon früher geäusserten
Anschauungen durch neue Beweismittel.
Die Hauptergebnisse der Untersuchungen lassen sich in fol¬
gende Sätze zusammenfassen :
Der Uterus steht bei Kreissenden annähernd senkrecht auf
der Beckeneingangsachse, bei Mehrgebärenden und bei Hänge¬
bauch liegt er vor ihr. In der Erweiterungszeit vor dem Blasen¬
sprung wirkt der allgemeine Inhaltsdruck, in der Austreibungs¬
zeit und nach dem Blasensprung aber kommt es in der Regel zum
Fruchtachsendruck. Dies wird wahrscheinlich gemacht durch die
Mehrzahl der Gefrierdurchschnitte Kreissender, durch die geringe
Menge des Nachwassers (besonders bei Erstgebärenden), durch
manche Erscheinungen im Mechanismus normaler und patho¬
logischer Geburten (Senkung des Hinterhauptes, seine tiefe Ein¬
stellung beim allgemein gleichmässig, beim ankylotisch schräg
verengten Becken). Die Wehen haben neben der Bauchpresse bis
zur Geburt des Kopfes grosse Bedeutung. Die Einwirkung des
Rumpfes auf den Kopf ist der wesentlichste Grund für die sogen,
zweite Drehung des Kopfes. Diese wird bedingt und eingeleitet
durch das Nachvornetreten des Rumpfes, vollendet und gesteigert
aber durch den Einfluss des Beckenbodens. Die Austrittsbewe¬
gung des Schädels begreift sich in ihrem grössten und letzten
Teile dadurch, dass der Schädel bei ihr zum einarmigen Ilebcd
wird und der Fruchtwirbelsäulendruck nun das Kinn nach ab¬
wärts treibt, somit dadurch den Schädel um die quere Achse dreht.
A. Gessner - Erlangen.
G. Müller: Kursus der Orthopädie für praktische Aerzte.
Mit 25 Abbildungen im Text, Verlag von O. E n s 1 i n, Berlin,
1902.
Verfasser hat die Form von 10 Vorlesungen gewählt, um in
„präziser und ungekünstelter Vortragsweise“ Interesse für die
Orthopädie zu erwecken.
5*
1468
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
No. 35.
Es wäre wohl zweckmässig gewesen, wenn M.. schon m der
Vorrede seine Auffassung von der Orthopädie und ihren Grenzen
hervorgehoben hätte. Er rechnet zu ihr nur die unblutig-mecha¬
nische Behandlung, verzichtet also auf grosse Gebiete und wich¬
tige Methoden, welchen wir den Aufschwung der Orthopädie mit¬
verdanken. Es behandelt das etwa 7 Druckbogen starke Buch
im wesentlichen nur die mechanische Orthopädie und in 1 olge
des recht beschränkten Raumes nicht alle Kapitel gleich aus-
M. ist eifriger Anhänger der Apparatbehandlung und steht
noch auf dem Standpunkt, dass dieselbe bei der Iluftluxation
gleichwertig mit den modernen Verfahren sei. Aus der einseiti¬
gen Verwendung mechanischer Methoden erklärt es sich auch,
dass M. für die Behandlung des Genu valgum 6 Monate bis
mehrere Jahre rechnet, einen Zeitraum, den heute wohl niemand
opfern wird. .
Nicht ganz zutreffend ist die Darstellung der unblutigen
Einrenkung der angeborenen Hüftverrenkung, wahrend die
Schilderung der eigenen Apparatbehandlung des Verf. unverhalt-
nismässig breit ausgefallen ist.
Dafür hat dann wieder die spinale Kinderlähmung nur
kurzen, die Gruppe der spastischen Lähmungen gar keinen Raum
Der Druck ist gut, Druckfehler wie „Phelbs“, „Callot“ fallen
unangenehm auf. ^ u 1 p i u s - Heidelberg.
Neisser: Stereoskopischer medizinischer Atlas. Oph¬
thalmologie, redig. von U h t h 0 f f. Leipzig 1902. J. A.
Barth. Preis einer Eolge 5 M.
Die 5. Folge bringt ganz hervorragend gute Abbildungen
von En- und Ektropium, eines Gumma des oberen und unteren
Lides, eines syphilitischen Kondylomes, von Frühjahrskatarrh
und Tuberkulose der Bindehaut, eines Leukomes der Hornhaut
mit Symblepharon. Keratokonus, kavernösen Tumors der Orbita
und von Orbitalphlegmone mit beginnender Eintrocknungs¬
keratitis. Diese 12 Fälle sind aus der ophthalmologischen I. Uni¬
versitätsklinik zu Wien von Prof. Elschnig ausgewählt und
mit einem von ihm hierzu konstruierten Apparat aufgenommen
worden. Mit einem guten, auch von der Verlagsbuchhandlung
gelieferten stereoskopischen Apparate geben die Tafeln so über¬
raschend naturgetreue und zugleich charakteristische Darstel¬
lungen, dass sie die klinische Vorstellung fast vollständig zu er¬
setzen im Stande sind. .
Die 6. Folge bringt 12, nach einer neuen stereophotographi-
sclien Methode von Doc. Dr. Heine angefertigte Tafeln mit
Originaldarstellungen aus der vergleichenden und entwicklungs¬
geschichtlichen Hirntopographie. Mittels dieser Methode wird
die Lage des Gehirnes im Schädel durch succesive Aufnahme
auf dieselbe Platte so dargestellt, als befände sich ersteres in
einer durchsichtigen (gläsernen) Hülle. Die Technik der Her¬
stellung wird vom Erfinder beschrieben und bedarf nur noch ge¬
ringer Vervollkommnung. Es sind jedoch die plastischen Bilder
verschiedener Tierhirne einer-, embryonaler und ausgebildeter
Menschenhirne andererseits dadurch, dass sie. ihre ganz genaue
Lage im Schädel einnehmen, so ungewöhnlich instruktiv, dass sie
schon jetzt in entwicklungsgeschichtlicher, vergleichend- und
topographisch-anatomischer Hinsicht ein äusserst wertvolles
Hilfsmittel zur Selbstbelehrung und für den Anschauungsunter¬
richt bieten. Auch der Anthropologe und Chirurg wird sie mit
Interesse betrachten. Segge .
W. Weressajew: Bekenntnisse eines Arztes. Ueber-
setzung aus dem Russischen. Verlag von Robert Lutz m
Stuttgart. Preis 2 M.
Ungezügelte Subjektivität mit allen ihren Vorzügen und
Mängeln ist die Signatur dieses Buches. In glänzender Sprache,
mit dem psychologischen Geschick eines geborenen Ronian-
schreibers gibt W. ein Bild seiner Entwicklung als Arzt. Wie
lebhaft weiss er die ersten Eindrücke auf der Klinik zu schildern,
die erste Sektion, die Härten, welche die Lehrzwecke der Klinik
den Kranken bisweilen zumuten müssen, den ersten Eindruck
des gebärenden Weibes, den ersten Todesfall infolge einer Ope¬
ration, die Zweifel an dem Wert der medizinischen Wissenschaft
und hinwiederum die Begeisterung des jungen Mediziners für
seinen Beruf, seine nosophobischen Anwandlungen und schliess¬
lich die Examina. Er scheut sogar nicht davor zuruck, sich selbst
einer gewissen Lächerlichkeit preiszugeben wegen der über¬
triebenen Gewissenhaftigkeit und Unbeholfenheit, die ihn zur
Ausübung der Praxis geradezu unfähig machten, da er m Gegen¬
wart der Kranken seine diagnostischen und therapeutischen
Notizen hervorholte und schliesslich nicht einmal den Mut hatte,
auf eigene Verantwortung eine Bandwurmkur emzuleiten. Von
der Unzulänglichkeit seiner Ausbildung ganz zu Boden gedruckt,
kehrt er zurück, um unter harten Entbehrungen an Spitalern
weiter zu lernen. Sein Ungeschick bei Vornahme einer Tracheo¬
tomie, nach welcher das Kind stirbt, lässt ihn auf operative 1 atig-
keit für alle Zeit verzichten. Diese Erlebnisse umgibt ein Ge¬
webe von kritischen Reflexionen über den ärztlichen Beruf,, die
durch ihre neurasthenisch hypochondrische Färbung literarisch
erst recht effektvoll werden; vor einer sachverständigen
ruhigen Kritik können sie jedoch nicht bestehen und sie
verletzen oft durch eine unnötig herabwürdigende Ausdrucks¬
weise. Es sind die Gedanken eines jungen Mannes, den der
Gegensatz zwischen hochgesteckten Idealen und wirklichen
Dingen und Menschen einmal in Gefahr gebracht hat, an seinem
Beruf irre zu werden. Bei seinem Naturell wären dem ^ erfasser
ähnliche Kämpfe und Zweifel gewiss nicht erspart geblieben,
wenn er sich der Theologie oder Jurisprudenz oder irgend einem
Berufe gewidmet hätte, wo dem Mann eine besonders hohe innere
Verantwortlichkeit auf erlegt ist. In Bezug auf die so wie tige
individuelle ärztliche Ethik und individuelle Ausbildung
bietet die Schrift, selbst wenn man von spezifisch russischen
Dingen absieht, manches Beherzigenswerte, auch für die aka¬
demischen Lehrer, welche die jungen Aerzte ja nicht bloss zu
unterrichten, sondern auch zu erziehen haben. Objektiver, und
daher wertvoller wird das Buch, wo es den Antivivisektionisten
eine treffende Abfertigung gibt, wo es von den Beziehungen des
Arztes zum Publikum handelt, von dem in Russland noch be¬
stehenden Hilfezwang, von der sozialen Lage des Aerztesta.ndeo,
namentlich des russischen Landschaftsarztes, von bedenklichen
ärztlichen Versuchen u. s. w. Auffallend arm ist der scharfe
Kritiker und Grübler Weressajew an eigenen positiven
Vorschlägen; an ihre Stelle pflegt das Zugeständnis zu treten,
dass äussere Verhältnisse stärker sind als unser guter Wille und
ein Ausweg nicht zu finden ist. Die Schwächen der Schrift
treten mit besonderer Schärfe zu Tage, wenn wir sie von einem
zweiten Gesichtspunkt beurteilen: sie ist ausdrücklich auch für
Laien bestimmt. Sicher wird ein hochgebildeter und welt¬
erfahrener Laie auch dieses Buch mit Nutzen lesen, mancher
wird es mit erhöhter Wertschätzung des ärztlichen Berufes aus
der Hand legen und sich mit dem Verfasser durch alle Zvveifel
zu dem Bekenntnis durchdenken und durchringen: „Ich glaube
an die Medizin“. Um so mehr sind wir uns aber klar darüber,
dass in den Händen des grossen Publikums das Buch keinen
Nutzen stiften wird. Wenn W. schon in dem U ebereifer eines
Reformators glaubte, die Laien — welche positive Rolle er ihnen
zudenkt, sagt, er nicht — zu Richtern und Helfern herbeirufen
zu müssen, so war die Anlage des Buches erst recht ein Fehler,
er durfte sich der Pflicht weiser Mässigung in Stoff und Wort
erst recht nicht verschliessen. Für die allermeisten wird das
Buch die Dienste eines aufregenden Romans tun, den Zweck
einer tiefgründigen Aufklärung, welche die . Laien zu kom¬
petenten Beurteilern machen könnte, aber nie erfüllen. el
den minder gebildeten, von Sensation zu Sensation hastenden
Lesern werden nur die aufregenden Eindrücke haften und
die sehr wohlfeile Entrüstung und Geringschätzung, welche
Verf steigert, indem er die Mediziner, wenn auc i nur
hypothetisch, mit Kraftausdrücken, wie verlogen, armselig,
Mörder, Auguren u. dgh, überreich bedenkt. V as soll das
Publikum denken, wenn es Sätze liest, wie „das Bestehen eines
ärztlichen Studiums ist nicht denkbar ohne Beiseitelassen jeder ( I
auch nur elementaren Humanität“, wenn in der blühendsten
Sprache die Medizin und das Können der Aerzte verhöhnt wird
wenn ein Arzt selbst da auf seinen Beruf schilt,, wo soziale i o
seine Bemühungen vereitelt. Wie soll das Publikum die . rüg
Schlüsse und Denkfehler richtig würdigen, mit denen der junge,
unreife Brausekopf über die Medizin philosophiert; wozu werden
ihm in aller Länge und Breite wirkliche oder, scheinbare Herz¬
losigkeiten einzelner Aerzte wiederum in rücksichtsloser
Schärfe vorgeführt ? Diesen höchst leidenschaftlich geschriebenen
2. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1469
Szenen und Argumentationen fehlt fast jedesmal das aus¬
reichende Gegengewicht belehrender und auf klärender Vernunft¬
gründe, die eigentlich die Hauptsache bilden sollten, statt dessen
aber in resigniertem und nüchternem Tone hintennach kommen.
Wer wird das Buch oft genug lesen, um diese Gegengründe
auf sich wirken zu lassen? Wozu ferner werden alle die Irrwege
und nach heutigen Anschauungen sträflichen Uebergriffe der
Syphilisforschung bis zum Jahre 1850 zurück mit aktenmässiger
Treue vorerzählt? Glaubt Verf. wirklich, dass es der Aufreizung
der Laien bedarf und die Aerzte nicht im stände wären, aus sich
selbst heraus mit solchen Gewissenlosigkeiten aufzuräumen ? Für
Deutschland hoffen wir das bestimmt. Einige grosse Fragen
lassen die „Bekenntnisse“, denen das Versöhnende fast ganz und
vor allem der überlegene Humor ganz fehlt, dem Leser unbeantwortet.
Was hat den Verf. auch in den Zeiten der schwersten Zweifel
bei der Medizin festgehalten? Würde er heute seinen Beruf als
Arzt mit irgend einem anderen vertauschen wollen? Warum
haben zu allen Zeiten grosse Geister und wahrhaft humane Cha¬
raktere den Beruf eines Arztes ergriffen, ihn mit Begeisterung
ausgeübt und in ihm ihre Befriedigung gefunden?
W. vergisst nur zu leicht, dass in der heutigen streitbewegten
Zeit ein schlimmes Wort über die Medizin durch hundert gute
nicht aufzuwiegen ist. Die Zeiten sind zu ernst zu geistreichen
Antithesen, aus denen das Volk doch meist nur durch Agitatoren
das grell aufgeputzte Contra beigebracht bekommt.
Wenn Verfasser, der, nach seinem Vorwort zu schliessen, der
Kritik nicht gerne weicht, auch uns nicht gelten lassen will, so
möge er das Begleitzirkular lesen, mit dem eine gewinnbegierige
Leipziger Verlagsfirma sein Buch unter dem Titel „Beichten
eines praktischen Arztes. Versehen und Fehlschlüsse“ in die
Welt schickt. „Mit wahrhaft verblüffender Offenheit“, heisst es
da, „geisselt der Verfasser die offen liegenden Schäden des medi¬
zinischen Studiums, der Schulmedizin und der ganzen ärztlichen
Praxis, deren Geheimnisse mit ängstlicher Sorgfalt bis jetzt be¬
hütet wurden. Kein Wunder, wenn diese rücksichtslose Auf¬
deckung der Krebsschäden der Medizin einen wahren Sturm der
Entrüstung in ärztlichen Kreisen hervorgerufen haben.“ Was
haben wir Aerzte von all den Lesern zu hoffen, die mit diesem
Rezept an die Lektüre gehen? Die Verlagsbuchhandlung weiss
hoffentlich nicht, welche Gewalt und Schmach zugleich sie damit
dem Buche Weressajews antut, aber es zeigt dieser Pro¬
spekt, zu welcher Sorte von Aufklärung dasselbe sich miss¬
brauchen lässt und welcher Mitarbeit für unseren Stand wir
uns von der Laienwelt zu versehen haben.
Wir schliessen mit einem Vergleich. In gewissem Sinn tritt
W. als Arzt unseres leidenden ärztlichen Standes und der Medizin
auf, gewiss mit den besten Absichten. Aber im Grunde er¬
innert er uns sehr oft an den Professor seines Buches, der seine
Patientin bis aufs Hemd auszieht, dann schonungslos vor den
Zuschauern untersucht, um dann festzustellen, dass er ihr nicht
helfen könne. W. macht es unserer Medizin nicht viel besser.
Und das alte primum non nocere hat er in den Wind geschlagen.
L. Külz: Antwort auf die Beichten des Arztes Weres-
s a j e w. (36 S.) Leipzig, Verlag von August Hoffman n.
In den meisten Punkten mit uns auf demselben Boden stehend,
ist die Kritik K.s fast ausschliesslich ablehnend. In Form eines
belehrenden, an W. persönlich gerichteten offenen Briefes ver¬
wahrt er sich dagegen, dass der ärztliche Stand sich etwa mit
jenen Bekenntnissen zu identifizieren hätte; dieselben seien
vielmehr der Ausdruck einer neurasthenisch-pessimistischcn Auf¬
fassung bei einem Manne, der mehr oder minder in seiner Be¬
rufswahl sich vergriffen habe. Es sei verkehrt und unrecht, die
Verfehlungen einzelner dem ganzen Stande, die Unvollkommen¬
heiten des Könnens und Wissens und die in den sozialen Ver¬
hältnissen liegenden Hindernisse der medizinischen Wissen¬
schaft als solchen zur Last zu legen. Speziell auch mit Bezug
auf deutsche Verhältnisse fällt es dem Verf. nicht schwer, durch
Beispiele des täglichen ärztlichen Lebens die Schroffheiten und
Einseitigkeiten Weressajews auf das Tatsächliche zurück¬
zuführen. Den Zukunftsgedanken über medizinische Anthropo¬
logie und „Anthropotechnik“ kann K. so wenig wie wir einen
Geschmack abgewinnen. Dr. B e r g e a t.
Neueste Journalliteratur.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 64. Band, 4. Heft.
Juni 1902. Leipz:g, Vogel.
20) K r o g i u s - Helsingfors: Ueber die primären Sarkome
des Sinus frontalis.
Die Geschwulst betraf einen 29 jährigen Patienten und be¬
stand über 5 Jahre. Die Operation brachte glatte Heilung. Mikro¬
skopisch erwies sicli der Tumor als ein Spindelzellensarkom,
welches die knöcherne Stirnwand allenthalben durchwachsen hatte.
Das Knochengewebe war dadurch in immer kleinere Stücke zer¬
sprengt. Verfasser hat den Schnitt zur Operation längs der Haar-
grenze geführt und glaubt, denselben behufs Vermeidung einer
Entstellung empfehlen zu können.
Aus der Literatur sind bisher noch 7 Fälle bekannt geworden.
21) Schmieden: Hygroma colli cysticum congenitum.
(Chirurgische Klinik Bonn.)
Der beschriebene Tumor betraf die linke Submaxillargegend
eines 13 jährigen Mädchens, dem schon im ersten Lebensjahre
eine Geschwulst entfernt worden war. Die Geschwulst bestand
aus vielen grösseren und kleineren Cysten, die zum Teil Blut, zum
Teil gelbliche Flüssigkeit enthielten. Die Geschwulst zeigte mit
dem umgebenden Gewebe sehr feste' Verbindungen, besonders auch
mit der Parotis.
Verfasser rechnet den Fall zu den cystischen Lymphangiomen.
Ihr Hauptbestandteil sind Bindegewebszüge von sehr wechselnder
Breite und unregelmässiger Form, in welcher dieCysten eingestreut
liegen. Die letzteren sind mit Epithel ausgekleidet. Zwischen die
Parotisläppchen ist die Drüse derart eingedrungen, dass sie den
Drüsenkörper in zahllose kleinste Läppchen zerrissen hat. Häufig
fanden sich Kommunikationen einiger Cysten mit Venen, die wohl
als sekundär entstanden aufgefasst wrerden müssen. Weiter ent¬
hielt die Geschwulst viel glatte Muskulatur und zahllose An¬
häufungen lymphadenoiden Gewebes.
22) Wolter- Köln: Ueber Myositis ossificans traumatica
mit Bildung von Lymphcysten.
W. beschreibt sehr genau 2 Fälle von ossifizierender Myositis
im Quadriceps femoris, die sich innerhalb einiger Wochen nach
einem Trauma ausgebildet hatte. Das Merkwürdigste in beiden
Fällen bestand darin, dass sich in der ossifizierenden Muskel¬
geschwulst eine Cystenbildung zeigte von 8: 3:1% und von
7:5:2 cm Durchmesser mit klarem, bernsteingelben Inhalt von
synoviaähnlicher Beschaffenheit, der im 2. Falle etwas Blut bei¬
gemischt enthielt. Verfasser führt aus, dass diese Cysten als
Lymphcysten auf traumatischer Basis anzusehen seien.
Betreffs des Ausgangspunktes der Ossifikationsvorgänge
glaubt Verfasser auf Grund seiner Präparate, dass sowohl Periost
Avie intermuskuläres Bindegewebe sich je nach der ihnen inne-
Avohnenden Intensität aktiv daran beteiligen. Es gibt Fälle, avo
nur das Bindegewebe und der Knochen überhaupt nicht beteiligt
ist; das Trauma Avar kein sehr intensives. Erst bei starkem
Trauma wird das Periost in Mitleidenschaft gezogen.
23) N ö s s k e: Untersuchungen über die als Parasiten ge¬
deuteten Zelleinschlüsse im Karzinom. (Pathologisches Institut
Leipzig.)
Die wesentlichen Ergebnisse von des Verfassers Unter¬
suchungen wurden schon auf dem diesjährigen Chirurgenkongresse
vorgetragen (s. das entspr. Referat). Bei der Bedeutung, die der
unter Marchands Leitung ausgeführten Arbeit des Verfassers
ZAveifellos zuzuerkennen ist, soll doch aber auch hier kurz darauf
eingegangen Averden.
Nach einer literarischen Uebersicht über die bisher als Kar¬
zinomparasiten beschriebenen Gebilde, berichtet Verfasser über
seine eigenen Untersuchungen, die zunächst eine Nachprüfung der
von P 1 i m in e r erhobenen Befunde zum ZAveck hatten. 1’ 1 i m -
mer hat bei der Untersuchung A’on 1278 (!) Karzinomen 1130 mal
die A’on ihm als Parasiten gedeuteten Gebilde gefunden: runde
Körper mit sog. Kern und einer Kapsel. N ö sske untersuchte
87 Karzinome und 10 nicht karzinomatöse Tumoren, meistens
Sarkome. Die P 1 i m m e r sehen Körperchen fehlten völlig in den
Karzinomen der Haut und der mit Plattenepithel überdeckten
Schleimhäute (Lippe, Zunge, Pharynx, Oesophagus, Vagina, Portio,
Anus). Regelmässig fanden sich die Körperchen in den Karzi¬
nomen der Mamma. Aehnliche Befunde hat auch Gaylord bei
einer Nachprüfung der Pli mm ersehen Angaben erhoben.
Bezüglich der Bedeutung der Flimmer sehen Körperchen
kommt N. zu dem Schluss, dass dieselben nichts Aveiter als be¬
stimmt charakterisierte, mit einer gerinnungsfähigen, nach Kon¬
zentration und Quantität sehr wechselnden Substanz erfüllte,
hauptsächlich im Protoplasma von Drüsenkarzinomzellen sich
findende, gelegentlich aber auch in wuchernden Drüsenzellen gut¬
artiger GeschAvülste und bei entzündlichen Prozessen vorkommende
Vakuolen darstellen.
Zum Schluss führt N. aus, dass auch den von a\ Leyden
und Feinberg beschriebenen Gebilden irgend Avelche Bedeutung
nicht zukommt. Krecke.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 15. Bd.
5. Heft.
1) W a g n e r - Karlsruhe: Ueber die Therapie bei Gravidität,
kompliziert durch Karzinom des Uterus.
Vaginale Totalexstirpation eines im 5. Monat schAvangeren
Uterus mit Portiokarzinom. Operation leicht, ohne vorherige Ver-
1470
No. 35.
MUEN CHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
kleinerung (los Uterus durch Entleerung des Fruchtwassers.
10 Monate post oper. ausgedehntes Rezidiv. Verfasser rät in allen
Fällen, in denen Schwangerschaft durch Karzinom kompliziert
ist, den vaginalen Operationsweg durch Entleerung und Ent¬
fernung der Gebärmutter zu wählen. Im I. — IV. Monat erfordert
die Totalexstirpation keine Entleerung der Uterushöhle, im V. — VI.
Monat kann die Verkleinerung durch Ablassen des Fruchtwassers
nötig werden. Bei lebensfähigem Kind ist dem vaginalen Kaiser¬
schnitt der Vorzug zu geben, wenn nicht besondere Indikationen
den abdominalen Weg vorschreiben.
2) IC. I*. Ulesko-Stroganowa-St. Petersburg: Die
anatomischen Veränderungen des Eibettes bei der extrauterinen,
interstitiellen Schwangerschaft.
Haselnussgrosse Vorwölbung der Uteruswand in der Nähe
des Ursprungs des rechten Ligam. rotundum mit einer erbsen¬
grossen Oeffnung. in der sich ein dreiwöchentliches Ei vorwölbte.
Untersuchung und Beschreibung des keilförmig exzidierten inter¬
stitiellen Eibettes.
3) M. Hoenigsberg-AVien: Ein Fall von angeborener
Missbildung des Urogenitaltraktes.
Das Präparat stammt von einem 18 jährigen Mädchen. Uterus
unicornis dexter, Mangel der linken Niere, der linken Nebenniere
und des Ureters. An Stelle der linken Tube rudimentäres Horn.
Das linke Ovarium liegt im grossen Becken an der Linea ter-
minalis; der Hilus ovarii ist mit dem Mesokolon der Flexur durch
zwei straffe Bauchfellfalten verbunden. Paraovariuin fehlt. Be¬
merkenswerte Abweichungen zeigt die Gefäss Versorgung der
linken Seite, besonders des Ovarium s, das in atypischer AVeise
vou zwei Arterien versorgt wird. Der Ursprung der Arteria
ovarica entspricht dem Anschein nach der Arteria renalis, die im
weiteren Verlauf verkümmert ist. Das Endstück der Art. ovarica
geht zum Hilus ovarii. Daneben geht eine gleichstarke Arterie
ins Ovarium, die aus der Art. epigastrica inferior ihren Ursprung
nimmt.
4) E. H e r m a n n - Prag: Ein Beitrag zur Stellungsfrage
des Adenoma malignum in der Onkologie.
40jälirige Frau. Seit 4 Jahren starker schleimiger Ausfl-uss.
Blutung. An Stelle der Portio apfelgrosser, derber, höckeriger,
exulzerierter. leicht blutender Tumor, der auf die Scheide über¬
greift. Parametrien stark infiltriert. Patientin wurde im Ver-
laufe von 21/, Jahren wiederholt exkochleiert und kauterisiert.
Jetzt Befund derart, dass die infiltrierte Scheide in einen tiefen,
leicht blutenden Krater übergeht. Allgemeinbefinden der Patientin
gut. Starker zähschleimiger Abfluss mit dem Charakter des reinen
Zervixschleimes.
Die mikroskopische Untersuchung öfter exzidierter Stückchen
ergab in einem fast rein bindegewebigen Grundstock langgestreckte
und gewundene Drüsen, Drüsen mit evertierendem und inver¬
tierendem AVucherungstypus, alle durch schmälere und breitere
Bindegewebssepte geschieden und durchwegs mit einschichtigem,
scharf charakterisiertem Zylinderepithel ausgekleidet.
Verfasser hält für diese Geschwulst, die klinisch maligne,
histologisch gutartig ist, bei der bis dahin jede Anaplasie fehlt,
die Bezeichnung Adenoma malignum für gerechtfertigt. Seinem
bisherigen Verlauf nach spricht der Fall für die Existenzberechti¬
gung derartiger Geschwülste als eigene Geschwulstspezies.
5) A. H e n g g e - Greifswald: Beobachtungen von gutartiger
Mehrschichtung des Epithels im Corpus uteri.
Beschreibung einer Oberflächenepithelwucherung mit stelleu-
weiser Wucherung des Drüsenepithels des Corpus uteri bei einer
Frau von 44 und einer Frau von 49 Jahren. Charakter der Wuche¬
rung gutartig. Ursache unbekannt. Einzelheiten über diese bis
jetzt noch nicht beschriebene Epithelveränderung sind im Original
nachzulesen.
(») Neek und N a u w e r k - Chemnitz: Zur Kenntnis der
Dermoidcysten des Ovariums.
In einer kindskopfgrossen Ovarialeyste fanden sich vier von
einander getrennt liegende Dermoide, zwei von der Grösse einer
Bohne, zwei walnussgross. Die Ergebnisse der Untersuchung
dieser Dermoide können in kurzem Referat nur zum Teil angeführt
werden. Zwei Cysten zeigen Abweichungen von den AAr i 1 in s -
sehen Befunden. Sie setzen sich lediglich aus Bestandteilen
zweier Keimblätter, des Ektoderm und Mesoderm, zusammen,
während Bestandteile des inneren Keimblattes auf allen Serien¬
schnitten fehlten. Ebenso fehlen in einer dieser Cysten die von
AV i 1 m s auf der Innenseite der Eierstockdermoide stets ge¬
fundenen Vorsprünge. Der Bau dieser Cyste, die eine reine
Dermoidcyste nur mit dem Bau der äusseren Haut und ihrer
Anhänge darstellt, sowie die Untersuchung der Wandbesehaffen-
liei't beliebig gewählter Dermoide lassen einen Zusammenhang mit
Follikeln sehr unwahrscheinlich erscheinen und sprechen mehr für
die selbständige Bildung von Dermoidcysten des Ovariums ohne
genetische Beziehung zu den Follikeln.
AV e i n b r e n n e r - Erlangen.
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 35. Bd.,
3. Heft. 1902.
Hitzig- Halle: Alte und neue Untersuchungen über das
Gehirn. III. (Mit Abbildungen.)
Eine Reihe von A'ersuelien einfacher Freilegung der Pia an
verschiedenen Regionen des Hundegehirns hat ergeh, n, dass dieser
Eingriff Krankheitserscheinungen zur Folge hat. die sich nur
quantitativ, aber nicht qualitativ von den Folgen lokalisierter Ex
stirpationen oder anderer Eingriffe an den entsprechenden Gehirn¬
regionen unterscheiden. Die A’ersuclie haben ferner erwiesen,
dass auch von anderen Regionen als von der Sehsphäre M u n k s,
nämlich auch vom Gyrus sigmoides aus Seli Störungen her¬
vorgebracht werden können und zwar bei strengem Ausschluss
aller durch AVundinfektion oder Nebenverletzungen bedingten Ver-
suclisfehler.
F. Queu sei -Leipzig: Zur Kenntnis der psychischen Er¬
krankungen durch Bleivergiftung. (Mit zwei Tafeln.)
In ausführlicher Besprechung der klinischen und anatomischen
Zeichen der E n c e p li a lopathia s a t. urni n a teilt der Ver¬
fasser mehrere eigene Krankengeschichten und einen auch mikro¬
skopisch in allen Einzelheiten sorgfältig festgestellten Sektious-
befund mit.
AV. Spiel m ey er- Halle: Ein Beitrag zur Kenntnis der
Enkephalitis. (Mit einer Tafel.)
Die Mitteilung betrifft einen anatomisch untersuchten Fall,
in dem es sich nach den Darlegungen des A^erfassers um einen in
Schüben verlaufenden nichteitri g e n enkeplial irischen Pro¬
zess handelte, der disseminierte, mikroskopisch kleine bis hirse¬
korngrosse Herde, vornehmlich im Marklager des Gross- und Klein¬
hirns erzeugte und sich klinisch in einigemale wiederholten epi-
leptiformen Anfällen, zum Schluss unter dem Bilde des senilen
Blödsinns, äusserte.
AL Probst-AVien: Zur Anatomie und Physiologie des
Kleinhirns. (NI it drei Tafeln.)
Um die Funktionen des Kleinhirns und seine Beziehungen zu
anderen Teilen des Zentralnervensystems klarzulegen, hat P. viel¬
fache Exstirpations- und Durchschneidungsversuche an Hunden
und Katzen gemacht. Nach den Ergebnissen dieser Experimente
steht das Kleinhirn, indem es von der Peripherie her auf mannig¬
fachen Bahnen sensible Eindrücke empfängt und diese auf den
motorischen Apparat in gewissem Sinne überträgt, dem geordneten
Spiel der willkürlichen Alnskeln in Dienste der Körperhaltung wie
der gewollten, der anatomischen und der reflektorischen Bewegung
als Regulator vor. Störungen im Kleinhirn oder seinen zu-
bezw. ableitenden Bahnen bewirken eine Ordnungsstörung in der
Aluskeltätigkeit, das Bild der zerebralen Ataxie.
G. Al ex an der- Wien: Zur Klinik und pathologischen
Anatomie der sogen. ,, rheumatischen“ Fazialislähmung. (Alit
einer Tafel und zwei Zinkographien.)
Ein 56 jähriger Mann starb infolge verjauchten Speiseröhren¬
krebses 26 Tage nachdem, angeblich durch Zugluft auf einer Bahn¬
fahrt, vollkommene linksseitige „rheumatische“ Fazialislähmung
plötzlich bei ihm aufgetreten war. Der anatomische Befund ergab
(üne degenerative Entzündung des Nervus fazialis und des Ganglion
geniculi, wobei die rein degenerativen Veränderungen (Zerfall der
Achsenzylinder und Markscheiden) den ganzen Nervenstamm peri¬
pher vom äusseren Knie, die peripheren Aeste, sowie das Ganglion
geniculi betrafen, während die entzündlichen Veränderungen
(kleinzellige Infiltration) sich auf das Knieganglion und den im
Fazialiskanal verlaufenden Abschnitt des Gesichtsnerven be¬
schränktem. Im knöchernen Iv a n a 1 selbst bestanden keinerlei
Eutzündungserschieiinungen oder sonstige pathologische Verände¬
rungen. Bakterien konnten nicht als Krankheitserreger nach¬
gewiesen werden.
St. Kekule v. Stradonitz: Ueber die Untersuchung von
Vererbungsfragen und die Degeneration der spanischen Habs¬
burger.
Zur Beurteilung der „erblichen Belastung“ einer Person ist
die Aufstellung von Ahnentafeln der Benützung von Stamm¬
bäumen vorzuziehen, d. h. es sollen alle Personen, möglichst
viele Generationen hinauf, von denen die in Frage kommende ab¬
stammt, untersucht und dabei noch möglichst viele Geschwister
der zu berücksichtigenden Ahnen in Betracht gezogen werden.
Das Beispiel der spanischen Habsburger zeigt, dass selbst bei den
regierenden Familien, deren Ahnentafeln sich hinsichtlich der Per¬
sönlichkeiten am weitesten zurückverfolgen lassen, das Material
bezüglich der Eigenschaften historisch weniger hervorstechender
Familienglieder noch vielfach sachverständiger Ergänzung bezw.
Erschliessung, bedarf.
K i r c h h off- Neustadt in Holstein:
trum im medialen Kern des Sehhügels.
Im Anschluss an einen Fall linksseitiger Parese der unteren
Gesichtsmuskulatur, die bei unwillkürlichem Minenspiel,
z. B. Lachen im Affekt, sehr deutlich hervortrat, bei stärker aus¬
geführter will k ii r 1 i c li e r Mimik dagegen vollständig ver¬
schwand, mit dem anatomischen Befund eines Eiweich u ngsherd es
im rechten Sehhügel, der den ganzen medialen Kern zerstört hatte,
bespricht der Verfasser analoge Alitteilungen aus der Literatur
und neigt zu der Annahme eines mimischen Zentrums im Thala¬
mus, welches in dessen mittlerem Drittel der oberen Arentrikel-
oberfläche zugekehrt liegt, d. h. in der Gegend des medialen Kerns.
L. Kaplan- Herzberge-Berlin: Nervenfärbungen (Neuro¬
keratin, Markscheide, Achsenzylinder). Ein Beitrag zur Kennt¬
nis des Nervensystems. (Alit einer Tafel.)
Es ist dem Verfasser gelungen, in der Färbung mit Säure¬
fuchsin und Differenzierung nach P a 1 in Müller scher Flüssig¬
keit vorbehandelter Präparate des Nervensystems eine elektive
Darstellungsmethode für das Neurokeratingerüst zu finden und mit
dessen Hilfe die Struktur und Verteilung des Ewald-Kühne-
sclien N euro k e r a t i n s zu studieren. Färbung mit A n t h r a -
ceneisengallustinte ergab bei sonst gleich behandelten
Ein mimisches Zen-
2. September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1471
Präparaten eine elektive Tinktion der A c li s e n z y 1 i n d e r oder
vielmehr der perifibrillären Achsenzylinderkittsubstanz und noc h
eines Bestandteils der Markscheide, nämlich der Zwischentrichter¬
kittsubstanz an den Einkerbungen und Schnörringen. Die Färbun»-
zeigte aber nur die Achsenzylinder der markhaltigen Nervenfasern”;
die perifibrilläre Substanz der Ganglienzellen, im transmedullären
Grau bezw. in marklosen Fasern blieb ungefärbt. Daher ergab
sich die Folgerung, dass die Axoplasmasubstanz im markhaltigen
Teil der Nervenfaser zu einer ganz besonderen, in nahen Be¬
ziehungen zur Markscheide stehenden Substanz differenziert ist.
die der 1 erfasser Myelo-axostro m a nennt. Dieses Axo-
stroma entwickelt sich gleichzeitig mit der Markscheide und geht
mit ihi zu Giun.de. Aus den mit der neuen Färbung gewonnenen
Befunden und aus der neueren Literatur über dies vielumstrittene
Gebiet seid i esst der \ erfasser, dass der Achsenzylinder nicht ein
in die Länge ausgewachsener Teil einer Ganglienzelle sei, sondern
ein zusammengesetztes Entwicklungsprodukt jenes G e ’w e b e s.
welches als Nervenfaser an den Achsenzylinderfortsatz der Gan¬
glienzelle sich anscliliesst. Dennoch wird die Lehre vom Neuron
in der Form erhalten, dass die Nervenfaser mit der angeschlossenen
(Janglienzelle eine Betriebseinheit, gewissermassen eine soziale
Einheit darstelle, nachdem wenigstens beim Erwachsenen die in
der Faser repräsentierte Gesamtheit von Zellen ihre funktionelle
und ökonomische Selbständigkeit im Laufe der Entwicklung voll¬
ständig eingebüsst habe.
A. Boetti ge r- Hamburg: Erwiderung auf die „sachlichen
Bemerkungen etc.“ des Herrn Prof. Krause.
S. A u e r b a c h - Frankfurt a. M. : Nachtrag zu dem Artikel
über myasthenische Paralyse. (Im 2. Heft dieses Bandes, vergl.
lief, in No. 14 dieser Woohensclir.)
Die Kranke ist im Februar dieses .Jahres an Itespirations-
hilimung gestorben. Obduktion wurde nicht vorgenommen.
Ij. M inor- Moskau: Nachruf auf Prof. A. Koschewni-
k 0 f Ja m i n - Erlangen.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 21. Bd. 5 u
6. Heft. 1902.
II. Stark: Die psychogene Pseudomeningitis. (Aus der
medizinischen Klinik in Heidelberg.)
Beschreibung eines Patienten, der das ausgesprochene Krank¬
heitsbild von Meningitis cerebrospinalis bot. Der Kranke war
schon in verschiedenen (14) anderen Krankenhäusern, wo die Dia¬
gnose auf Hydroceplialus acutus, Cerebrospinalmeningitis chro¬
nica, Tetanus traumaticus gestellt wurde. Es handelte sich aber
lediglich um ein psychisch abnormes Individuum, das teils durch
wissentlichen Betrug, teils auf „unbeabsichtigtem psychogenen
M ege im stände war, eine organische Krankheit vorzutäuschen,
die so getreu imitiert war, dass ihre wahre Natur ärztlicher Be¬
obachtung meist entging. Während seiner langen Spitalpraxis hat
der betreffende Patient wohl einen oder mehrere Fälle von Menin¬
gitis gesehen, die sich seiner Psyche so lebhaft einzuprägen ver¬
mochten, dass eine „Reproduktion auf psychogenem Wege gelegent¬
lich zum Vorschein kam“.
Rolly: Ueber periependymäre Wucherung, Kanalbildung
und abnorme Entwicklungsvorgänge am kindlichen Rücken¬
mark. (Aus der Heidelberger Kinderklinik.)
Auf Grund mikroskopischer Forschungen kommt R. zu dar
I ebei zeugung, dass sämtliche um den Zentralkanal herumliegende
Zellen direkt aus der V and des Zentralkanals hervorgegangen
also Ependymzellen sind, und dass diese Zellen in Gebilde
übergehen können, die sich in nichts mehr von den Glia-
zellen unterscheiden. Entwicklungsanomalien, wie Offenbleiben
<lcs Zentralkanals, W ucherung der Zellen desselben zu Strängen,
Zellnestern, sekundären Kanälen finden sich verhältnismässig
häufig und sind dann oft auch mit diffuser Wucherung der Glia
verbunden.
JV. Strohmayer - Jena: Zur Kritik der „subkortikalen“
sensorischen Aphasie.
Verfasser war in der Lage, einen reinen Fall von sensorischer,
nach L i c h t h e i m „subkortikaler“ Aphasie zu beobachten. Bei
einem Kranken, der an ausgesprochener Hirnlues litt, war die will¬
kürliche Sprache und Schrift ebenso wie das Schriftverständnis
erhalten; trotz intaktem Hörvermögen war dagegen das Sprach¬
verständnis, das Diktatschreiben und das Nachsprechen aufge¬
hoben.
. üer Leichenöffnung fand sich ein kleiner Erweichungsherd
im linken Thalamus opticus, in den Schläfenlappen konnte aber
keine makroskopische Erkrankung nachgewiesen werden. Da¬
gegen zeigten sich bei der mikroskopischen Untersuchung in den
lemporalwindungen, dort, wo die Endstationen des Schnecken¬
nerven zu suchen sind, schwere Veränderungen an den Ganglien¬
zellen, auch in den Meningen waren dort die Zeichen frischerer
luetischer Entzündung nachzuweisen. Verfasser ist gegen die
1 uferscheidung von Zentrums- und Leitungs-(„subkortikaler“)
Aphasie; eine solche konnte durch Sektionen bisher noch nicht ge¬
nügend begründet werden. Er macht den verständigen Vorschlag,
(he bisherige Nomenklatur dieses klinischen Bildes aufzugeben
und durch die anatomisch nichts präjudizierende Bezeichnung
„reine Worttaubheit“ zu ersetzen.
■r ’ 11 •s:.a z z i n i: Klinische und pathologisch-anatomische
eitrage über Aphasien. (Aus dem pathologisch-anatomischen
Laboratorium der Irrenanstalt in Rom.)
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
Sarkomatose
N o n n e - Hamburg-Eppendorf: Ueber diffuse
der Pia mater des ganzen Zentralnervensystems.
Die Neubildung stellte sich in diesem Falle als eine gleicli-
mässige Infiltration der Leptomeningen des Hirns und Rücken¬
markes dar, welche teilweise auf das benachbarte nervöse Ge-
webe übergewuchert war. Es gelang nicht, irgend eine Stelle' als
pi imäre anzusprechen; die sarkomatose Zellinfiltration war aller¬
orts gleiclnnässig entwickelt, sie nahm ihren Ausgang von den
Endothelien der die Gelasse1 umgebenden Lymphsücke, also den
sogen. Perithelien. In der Zartheit der sarkomatösen Durch¬
wucherung der weichen Häute soll dieser Fall einzig dastelien.
Makroskopisch konnte kaum etwas krankes am Gehirn und
Rückenmark gefunden werden, erst die mikroskopische Unter¬
suchung legte die Verhältnisse klar und machte die klinischen
Erscheinungen verständlich; die Neubildung senkte sich mit den
Gelassen der Pia in die Spalten des Zentralnervensystems ein.
Der anatomische Befund hat manche Aelinlichkeit mit dem Auf¬
treten der Syphilis an Gehirn- und Rückenmarkshäuten.
Theodor Zahn: Zur Kenntnis der vererbten Rückenmarks¬
ki ankheiten und der Degeneration der Vorderseitenstrangreste.
(Aus der psychiatrischen Klinik in Würzburg.)
Aus dieser eingehenden Mitteilung ist wieder zu ersehen,
welch wechselvolles Bild die hereditären Rückenmarksdegenera-
tionen bieten, und dass es oft nicht möglich ist, eine solche einer
der bisher bekannten, typischen Form zuzuteilen.
F inkelnbur g: Beitrag zur Symptomatologie und Dia¬
gnostik der Gehirntumoren und des chronischen Hydrokephalus.
Aus dem ungemein reichen neurologischen Material der Bonner
medizinischen Klinik werden hier die ungeschminkten und dadurch
sehr lehrreichen Erfahrungen über die Diagnose und die Lokali¬
sation von Gehirnerkrankungen und über das Resultat der opera¬
tiven Eingriffe mitgeteilt. L. R. Müller- Erlangen
Archiv für Hygiene. 44. Bd. 1. Heft. 1902.
1) M. Wilde- München: Ueber die Beeinflussung der Alexin¬
wirkung durch Absorption.
Der ausführlichen Arbeit sind folgende Schlussätze zu ent¬
nehmen:
Die bakterizide und hämolytische Wirkung der Alexine von
Rinder-, Hunde1- und Kaninchenserum kann durch Kontakt mit
lebenden und besonders abgetöteten Bakterien, Hefezellen, roten
Blutkörperchen und zertrümmerten Organzellen, durch unlösliche
Eiweisstoffe (Aleuronat) A7ollständig beseitigt werden. Die Auf¬
hebung der aktiven Eigenschaften der Sera erfolgt durch Bindung
des Alexius an den Reaktionskörper und beruht auf chemischer
und physikalischer Absorption. Von Einfluss ist dabei Menge des
Serums, Zeit und Temperatur, welche miteinander in Verbindung
treten. Eine Regeneration des einmal gebundenen Alexius findet
nicht statt.
Auch im Tierkörper kann die Bindung des Alexius eintreten,
so dass Meerschweinchen der intraperitonealen Infektion einer
an sich nicht tödlichen Dosis von Cholera- und Typhusbazillen
erliegen, wenn zugleich mit diesem eine gewisse Menge solch’
absorbierenden Materials den Tieren einverleibt wird.
Das Absorptionsvermögen der oben genannten Substanzen
wird durch Erhitzen auf Siedetemperatur nicht aufgehoben.
2) F. Krause- Posen: Beitrag zur kulturellen Typhus¬
diagnose.
Den vielen bereits bekannten Typhusnährbödan wird vom
Verf. ein neuer hinzugefügt. Das Prinzip beruht darauf, dass die
Typhusbakterien zu Involutionsformen und Aus¬
läufer b i 1 d u n g i n d e n Kolonien angeregt werden.
Der Nährboden besteht daher aus einem Agar gelatine-
g e m i s c h (1 Proz. Agar und 13 Proz. Gelatine), welches bei
37 0 gerade so weich ist, dass die Ausläufer der Typhuskolonie
ungehindert sich ausbreiten können. 100 ccm des Nährbodens
müssen 0,3“ Proz. Milchsäure enthalten und es muss demselben
ausserdem 2,5 Proz. Harnstoff zugesetzt werden.
Die T y p huskolonie n erhalten dann sowohl in der
Platten,- als auch in der Stichkultur nach 24 — 48 Stunden cha¬
rakteristische Ausläufe r, während die Colikolo-
n i e n durch einen glassplitt er ähnlichen H o f in ihren
tiefliegenden Kolonien besonders hervortreten.
R. O. Neum a n n - Kiel.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1902.
40. Bd. 3. Heft.
1) Iv o 1 b - München: Die Verbreitung der bösartigen Neu¬
bildungen in Süddeutschland und Schlussfolgerungen über ihre
Aetiologie.
Die Krebssterblichkeit scheint im Westen Süddeutschlands
geringer zu sein als im Osten. Am höchsten zeigt sie sich im
ganzen Süden zwischen Donau und Alpen bis zum Wiener Becken.
Auch das hessische Rheintal zeigt eine beträchtliche Sterblichkeit.
Es macht den Eindruck, als ob die Tertia r f o r in a tion und
das I) i 1 u v i u m einen befördernden Einfluss ausübte, in dem
Sinne, als der Wasserreichtum der Gegend, die moorigen und
sumpfigen Strecken eine Rolle spielen.
Aus den Hausendemien und lokalen Endemien muss auf einen
Parasiten als Krebserreger geschlossen werden, frei¬
lich spielen, auch hier die Disposition und Gelegenheit zur Infektion
eine Rolle; auch das Geschlecht ist von Bedeutung. Die italienische
Rasse scheint etwas seltener befallen zu werden als die ger¬
manische. Krebs und T u b e r k ulo.se üben keinen entschieden
1472
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
fördernden Einfluss auf einander aus, sie seliliessen sich aller¬
dings geg( nseitig auch nicht aus.
Verf. wünscht, (lass prophylaktisch bis zur definitiven Ent¬
scheidung der Aetiologie der Krankheit Krebskranke und ihre
Abgänge als ansteckungsverdächtig behandelt werden.
2) L. P a u 1 - Breslau: Ueber die Bedingungen des Ein¬
dringens der Bakterien der Inspirationsluft in die Lungen.
Durch zahlreiche Versuche an Kaninchen wurde festgestellt,
dass bei hohem Keimgehalt der Luft mit der Inspirationsluft sehr
zahlreiche Bakterien bis in die Lungen gelangen und zwar bis in
die Alveolen und feinsten Bronchien. Andrerseits konnte fest-
gestellt werden, dass von dem reichlich bakterienhaltigen Schleim
des II' spirationstraktus durch Losreissen feinster Tröpfchen Mikro¬
organismen in die Lungen gelangen können.
Zweifellos ist der Weg durch die Bronchien, welchen die
Bakterien in die Lunge nehmen, der gewöhnlichere als der durch
die Lymphbahnen. Trotz der Aufnahme vieler Bakterien in die
Lunge kann man doch eine Iv e i m a r m u t konstatieren, welche
ihren Grund in der schnellen Beseitigung der eingedrungenen
Keime hat. Die Beseitigung erfolgt entweder mittels des Lymph-
stromes oder durch bakterizide Stoffe des schleimigen Sekretes
resp. durch Fliagocytose.
8) Quensel - Stockholm: Untersuchungen über das Vor¬
kommen von Bakterien in den Lungen und bronchialen Lymph-
drüsen gesunder Tiere.
Durch diese Arbeit findet die vorhergehende in gewisser Weise
ihre Bestätigung und gleichzeitig eine Erweiterung. Bei den
Untersuchungen, die sich auf Kälber, Schafe, Pferde, Binder und
Schweine erstreckten, finden sich in den Lungen mit Sicher¬
heit Ke i m e, wenn auch in geringer Anzahl. Auch bei der
Untersuchung von 94 L y m p h d r li s e n wurden in 28 Fällen
Keime nachgewiesen, am häufigsten in den vom Schwein stam¬
menden Proben. Unter den gefundenen Keimen fanden sich patho¬
gene und nichtpathogene.
4) Hüne r mann: Bakteriologischer Befund bei einer
Typhusepidemie.
Die Typhusepidemie, welche beim Infanterieregiment No. 70
in Saarbrücken ausbrach, umfasste 88 Fälle. Bei diesen war die
Wi dal sehe Probe in Verdünnung 1:100 nur in 42 Proz. der
Fälle positiv. Die weitere Untersuchung ergab, dass die gefun¬
denen Erreger mit dem bekannten Typhusbakterium nicht über-
einstimmten. Von T y phus unterschieden sie sich in Trauben¬
zuckerbouillon und in Neutralrotagar, sowie durch die grosse
Virulenz gegenüber Kaninchen, von B a c t. coli durch das Wachs¬
tum auf Kartoffel, Milch und Indolbildung. Die Stäbchen ähneln
dem Bacillus Bremensis febris gastricae, dem
Faratyphus von Schottmülle r und dem bei der
Itumflether Fleischvergiftungsepidemie gefun¬
denen Bakterium.
5) R a b i n o witsch- Berlin: Ueber desinfizierende Wand¬
anstriche mit besonderer Berücksichtigung der Tuberkulose.
Untersucht wurden Amphibolinfarbe, Hyperolin-
färbe, Zoncafarbe, Emaillefarbe, Porzellan¬
emaillefarbe, P e f t o n, B 1 e i w e i s s und Zinkweiss¬
ölfarbe und w e i s s e Wasserfarb e. Es zeigte sich, dass
die Porzellanemaillefarben von Rosenzweig und
B a u m a n n in Kassel, die Emaillefarbe und die Zonca-
f a r b e hervorragende keimvernichtende Eigenschaften, besonders
dem tuberkelbazillenhaltigen Sputum gegenüber aufweisen. Da
die Porzellanemaillefarben auch gegen Desinfektionsmittel wider¬
standsfähig sind und leichte Streichbarkeit und grosse Deckkraft
aufweisen, so werden sie besonders für Krankenhäuser empfohlen.
(fl P f u h 1 - Berlin: Vergleichende Untersuchungen über die
Haltbarkeit der Ruhrbazillen und der Typhusbazillen ausser¬
halb des menschlichen Körpers.
It u lir- und Typhusbazillen wurden auf .ihre Halt¬
barkeit geprüft in feuchter Gartenerde, im trocknen Sande, in
feuchter Torfstreu, au Leinwand angetrocknet, im Wasser, im
Selterswasser, in Milch, in der Butter und im Gervaiskäse. Im
allgemeinen sind die Ruhrerreger nicht so resistent wie die Typhus -
bakteriell, namentlich vertragen sie die Austrocknung schlecht.
Jedoch halten auch sie sich im Mittel 2 — 3 Wochen in der ver¬
schiedenen Medien, so dass eine Weiter Verbreitung recht wohl
auf diesem Wege erfolgen kann. Es müssen also prophylaktisch
zur \ erhütung der Weiter Verbreitung dieselben Vorsiclitsinass-
regeln bei der Ruhr ergriffen werden wie bei dem Typhus.
7) P e t r u s c h k y - Danzig: Versuche zur spezifischen Be¬
handlung des Typhus abdominalis.
8) Ivolle und Otto- Berlin: Vergleichende Wertprüfungen
von Pestserum verschiedener Herkunft.
9) Schüde r und P roskauer - Berlin: Versuche mit dem
fahrbaren Trinkwasserbsreiter von ßietschel & Henne¬
berg.
I )er von der Firma Rietschel & Henneberg gelieferte
fahrbare Trinkwasserbereiter erfüllt in seiner jetzigen um¬
gearbeiteten Gestalt folgende Bedingungen: Pro Stunde werden
normalerweise 300 Liter Trinkwasser geliefert. Die Höchsttem¬
peratur des gewonnenen Wassers ist 5° über der Eintrittstem-
peratur. Die Reinigung des Wassers von erdigen Beimengungen
lässt sich leicht erreichen. Das Wasser wird vollständig steril.
Der Kessel ist von Kesselstein leicht zu befreien. Alle Teile des
Kessels, welche mit dem Trinkwasser in Berührung kommen, sind
vorher sterilisierbar. Das Maximalgewicht des fahrbaren Appa¬
rates beträgt insgesamt 1300 kg.
Die Prüfung des Apparates bezw. die Prüfung des sterilisier¬
ten Wassers ergab, dass die dem Wasser zugesetzten Cho¬
lera-, T y p hus- und R u li r b a k t e r i e n mit Sicherheit ab¬
getötet werden. Auch bei doppelter Leistung (000 Liter) des Appa¬
rates war die Sterilisation eine ausgiebige.
R. O. N e u m a n n - Kiel.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. 32. Bd. No. 3. 1902.
3) Gri m m e - Marburg: Eie wichtigsten Methoden der Bak¬
terienfärbung in ihrer Wirkung auf die Membran, den Proto¬
plasten und die Einschlüsse der Bakterienzelle. (Fortsetzung.)
2) Toyama- Tokio: Ueber die Widerstandsfähigkeit der
Pestbazillen gegen die Winterkälte in Tokio.
Die Untersuchungen wurden im Februar und März bei
einer Mindesttemperatur von —2,5 0 ausgeführt. Die Lebens¬
fähigkeit und die Virulenz der Pestbakterien wurde nicht
verringert, sie erhielt sich im Gegenteil besser als in der Brut¬
wärme. Die Virulenz war nach 3 Monaten fast unverändert.
Bei 37° gezüchtete Bakterien zeigten dagegen nach 5G Tagen eine
bedeutende Abnahme der Virulenz. Die Bildung von Involu¬
tionsformen wurde in der Kälte gehemmt. Die Wachs¬
tumsgeschwindigkeit wurde in der Kälte zuerst ein
wenig verringert, nach 3 Monaten war sie aber grösser als bei den
bei 37 0 gehaltenen Kulturen.
3) A. de Schweinitz and M. D o r s e t - Washington:
The composition of the tubercle bacilli derived from various
animals.
4) L. ,T e li 1 e - Wien: Ueber eine neue Bakterienart im
Sputum.
Verfasser hat etwa in 30 Fällen von Tuberkulose, Lungen¬
gangrän, Pneumonie, Bronchitis und Typhusbronchitis aus dem
abgespülten Sput u m einen dem Fraenkel sehen Pneu-
m oniekokkus ähnlichen Organismus gezüchtet, der aber stets
grösser und plumper aussah und in seinen Kulturen einen ausser¬
ordentlichen P o 1 y m o r p li i s m u s aufwies. Das Bakterium
entfärbt sich leicht nach Gram, wächst nie auf Gelatine, dagegen
üppig auf Löffler- und Pferdeserum. Die Kolonien sind hell, gross,
irisierend. Bei 45° gehen sie leicht zu Grunde. In den Kulturen
finden sich überwiegend lange, unbewegliche, vielfach gekrümmte,
zum Teil gegliederte Fäden neben kurzen, unbeweglichen Stäbchen.
Kapseln konnten nicht beobachtet werden. Gewöhnlich finden sich
die Organismen vermischt mit Influenza- und Fried¬
länderbakterie n. Für Meerschweinchen scheinen die Kul¬
turen pathogen zu sein, allein die Tiere gingen erst später ein.
Aus denselben konnten die fraglichen Organismen wieder gezüchtet
werden.
Ob sie mit der Krankheit in irgend welchem Zusammenhang
stehen, liess sich noch nicht definitiv ermitteln, auch war es bis¬
her unmöglich, wegen des Polymorphismus zu sagen, welchen Platz
die Bakterien im System haben würden.
5) A. S c 1 a v o - Siena: Ueber die toxischen Lähmungen kar-
bunkulöser (milzbrandiger) Natur.
Aelinlich wie man nach Diphtherieheilserum -
injektionen zuweilen Lähmungen bei den Versuchstieren an
den Extremitäten auftreten sah, so konnte Verfasser nach Injek¬
tionen von Antimilzbrandserum und Milzbrand-
k u 1 1 u r bei 9 Kaninchen (von 352) beobachten, dass die sen¬
siblen und motorischen Funktionen der hinteren Extremitäten ver¬
nichtet waren. Es handelte sich hier offenbar um eine Affektion
des Rückenmarkes. Die Lähmungen zeigten sich am 16. — 31. Tage,
worauf die Tiere meist eingingen. Eine 2. Injektion in ein schon
gelähmtes Kaninchen hatte keine Allgemeininfektion zur Folge.
6) A. B o r i n i - Turin: Die Leukocytose nach Digitalis¬
gebrauch bei Pneumonieinfektion.
Nach Injektionen mit Digital in tritt, wie schon Gazza
gezeigt hat, starke Leukocytose ein, ähnlich wie nach Injek¬
tionen mit Aleuron. Bei Digitalininjektionen wird jedoch die
Pneumonie günstig beeinflusst, was nach Einspritzung mit Aleuron
nicht der Fall ist. Es erhält sich auch eine Hyperleukocytose
nach Digitalininjektion viel länger als eine nach Aleuroininjek-
tion gewonnene. Wahrscheinlich wirkt auch die Digitalininjektion
auf Herz und Gefässe günstig.
7) G r o m a k o w s k y - Kiew: Diplococcus pneumoniae bei
chronischer Bronchitis.
In dem Sputum von 33 an typischer primärer chro¬
nischer Bronchitis erkrankten Soldaten wurde stets der
Fraenkel sehe Pneumonieerreger gefunden. Spritzte
man das Sputum in Quantitäten von 1 — 1(4 ccm Kaninchen sub¬
kutan ein, so konnte keine Septikämie hervorgerufen werden,
wenn dagegen frisch gesammeltes Sputum mit Bouillon vermischt
24 Stunden bei Bruttemperatur gestanden hatte, und dann ein¬
gespritzt wurde, so gingen die Tiere in den meisten Fällen zu
Grunde. Verfasser findet es zweckmässiger, die Virulenz der
Pneumokokken nicht zu prüfen, wenn sie rein gezüchtet sind,
sondern wenn sie sich noch im Sputum befinden, da in Rein¬
kulturen die Virulenz rasch verloren geht.
8) C. Gor ini-Rom: Ueber die bei den Hornhautvaccine-
herden vorkommenden Zelleinschlüsse. (Schluss.)
9) S e y d e w i t z - Greifswald: Untersuchungen über die
keimtötende und entwicklungshemmende Wirkung des Lyso-
forms.
2. September 1902.
MUE N CH EN ER MEDICINISCI I E WOCHENSCHRIFT.
1473
Lösungen von 1 — 4 proz. Lysol sind im Stande, Aussaaten
von Bakterien abzutöten und zwar wirkt eine 2 proz. Lösung etwa
_ 8 mal so schnell wie eine 1 proz. Coli, Diphtherie,
T y p h u s, S t r e p tokokken und Choler a gingen in 3 proz.
Lösung nach 2 Minuten zu Grunde. Staphylokokken
brauchten, um abzusterben. 3 Minuten. Bei 4 proz. Lösung waren
alle Bakterien in einer Minute abgestorben. In Kulturen
dringt das Lysoform nur allmählich ein. weshalb die Abtötung
längere Zeit erfordert; dagegen können Bouillonkulturen leichter
durch das Desinfiziens vernichtet wei’den. Milzbrandsporen
wurden vernichtet, wenn sie 22 Tage in Konzentrationen von
1:500 — 1:800 gelegen hatten. Handbürsten, welche mit
S t a p li y loko k k e n und Coli infiziert wurden, konnten nach
G ständigem Einwirken einer 5 proz. Lysollösung als steril be¬
funden werden. Weitere interessante Einzelheiten sind im Ori¬
ginal nachzulesen.
10) K o k u b o - Göttingen: Die kombinierte Wirkung che¬
mischer Desinfektionsmittel und heisser Wasserdämpfe.
Die Wirkung des reinen Wasser da m pf es und die
Wirkung von Wasserdampf unter Zusatz von Sublimat 1:1000
waren gleich. Es wurden Kartoffelbazillen in 130 Minuten,
Trommelschlägerbazillen in 7 — 8 Minuten, Milzbrand in
1 Minuten abgetötet. Der Zusatz von Schwefelsäure zum
dampfenden Wasser verbesserte die Desinfektionswirkung nicht,
dagegen ein Zusatz von Essigsäure. Günstiger wie Wasser¬
dampf wirkten auch Zusätze von Karbolsäure und Tri-
k r e s o 1 und ätherische O e 1 e, dagegen Kreolin. Be-
s o r <• i n und Chloroform verbesserten die Wirkung kaum.
Cliinosol und Nitrobenzol stehen in ihrer Desinfektions¬
wirkung ungefähr dem Trikresol gleich.
R. O. Ne u m a n n - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 34.
1) J. O r t h - Göttingen: lieber einige Zeit- und Streitfragen
aus dem Gebiete der Tuberkulose.
Verfasser beschäftigt sich in diesem 2. Teile hauptsächlich
mit den Anschauungen, welche das Wesen der Perlsucht, resp.
deren Verhältnis zur Menschentuberknlose betreffen und kommt
zunächst zu dem Schlüsse, dass die Perlsucht des Rindes diejenige
Krankheit ist und bleibt, welche der Tuberkulose des Menschen
entspricht. Verfasser hat im Verein mit E s s e r - Göttingen nun
neue Versuche angestellt, ob die menschliche Tuberkulose auf
Tiere, speziell Kälber, Schweine, Ziegen übertragen werden kann.
Es gelang, auf ein Kalb menschliche Tuberkulose zu übertragen,
so dass bei dem Tiere eine progrediente, tödliche Tuberkulose ent¬
stand. Auch bei einem Schwein und 3 Ziegen fielen die Versuche
positiv aus. Damit ist die Koch sehe Behauptung, dass mensch¬
liche Tuberkulose nicht auf das Vieh übertragen werden könne,
widerlegt. Es ist bis jetzt nichts beigebracht worden, was gegen
die Identität von Perlsucht und Tuberkulose spräche. Das perl¬
süchtige Vieh kann also nicht ohne Gefahr für den Menschen sein.
Die Vorbeugungsmassregeln dürfen daher nicht vernachlässigt
werden.
2) II. S t r a u s s - Berlin: Zur Frage der Beziehungen
zwischen perniziöser Anämie und Magendarmkanal. (Schluss
folgt.)
3) Mir coli und S o 1 e r i - Genua: lieber den Stoffwechsel
bei Tuberkulösen. (Schluss folgt.)
4) T a u s c h - Berlin: Zwei Fälle von Lysolvergiftung.
In dem ersten der mitgeteilten Fälle befand sich die 31 jährige
Patientin, welche 2 Esslöffel Lysol aufgenommen hatte, anfäng¬
lich in einem sehr schwer kranken Zustande, der sich während der
Magenspülung noch verschlechterte, dann aber besserte, so dass
Heilung eintrat. Bei dem 54 jährigen zweiten Kranken war der
anfängliche Zustand nicht so ernst, doch erfolgte der tödliche Aus¬
gang an einer Pneumonie der Unterlappen.
5) M. Klopstock - Berlin: Beitrag zur Differenzierung von
Typhus-, Koli- und Ruhrbazillen.
Verfasser arbeitete mit 2 Nährböden, von denen der eine
Milchzucker, Kochsalz und Nutrose, der andere statt des Milch¬
zuckers Traubenzucker enthielt. Sowohl der Typhus- wie der Ruhr-
bazillus Hessen den ersteren Nährboden dauernd unverändert,
während Bacterium coli innerhalb 24 Stunden Säure bildete. In
dem 2. Nährboden trat durch Bacterium coli und Typhusbazillus
binnen 24 Stunden Säurebildung ein sowie Gerinnung, durch die
Ruhrbazillen nur Säurebildung. Grass m a n n - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 34.
1) E. Grunmach und A. Wiede mann: Ueber die
aktinoskopische Methode zur exakten Bestimmung der Herz¬
grenzen.
Mit Hilfe des von E. G r u n m a c li neu konstruierten aktino-
skopischen Mass- und Zeichenapparates, der hauptsächlich bei auf¬
rechter oder sitzender, aber auch bei horizontaler und zwar absolut
sicherer Einstellung der Versuchsperson zur Massvorrichtung An¬
wendung finden kann, wurden zahlreiche Untersuchungen der
Herzgrenzen hei gesunden und kranken Personen unter verschie¬
denen Bedingungen mittels der X-Strahlen ausgeführt.
Aus dieser Versuchsreihe zur Bestimmung der Herzgrenzen
hei verschiedener Körperstellung dürfte besonders hervorgehen,
dass mit Apparaten, die nur bei horizontal gelagerten Personen
Herzmessungen auszuführen gestatten, Herzvergrösserungen mäs-
sigen Grades, z. B. akute Dilatationen infolge von Ueberau streng-
ung oder starkem Alkoholgenuss, der Untersuchung leicht ent¬
gehen können. Deshalb werden, um Fehlerquellen zu vermeiden,
Ilerzmessungen in der Regel bei aufrechter oder sitzender Stellung
der Versuchsperson auszuführen und nur so gewonnene Werte
der Herzgrenzen zur Feststellung der Wirkung z. B. nach Ueber-
anstrengungen, Intoxikationen oder differenten Bädern von aus¬
schlaggebender Bedeutung sein. Aus den Experimentalunter¬
suchungen ergibt sich ferner die praktisch wichtige Leistung der
aktinoskopischen Methode zur e x a lc t e n Bestimmung der Ilerz-
grenzen und die Uebeirlegenheit dieser Methode gegenüber dem
alten Untersuchungsverfahren durch die Perkussion, deren Lei¬
stung allen Anforderungen an Zuverlässigkeit nicht genügt, aber
nunmehr aufs genaueste durch die X-Strahlen kontrolliert werden
kann. Bezüglich der Wertschätzung der absoluten und relativen
Herzdämpfung gegenüber den durch die aktinoskopische Methode
gewonnenen Herzbildern ging aus den Untersuchungen der höhere
Wert der relativen Dämpfung hervor, da diese den mit dem neuen
Apparate gezeichneten Herzfiguren in einem grossen Prozentsatz
sehr nahe kommt, ohne dieselben jedoch an Zuverlässigkeit zu
erreichen und mit denselben in der Form übereinzustimmen.
2) P. M ü h 1 e n s - Hamburg: Beiträge zur Frage der gegen¬
wärtigen Verbreitung der Malaria in Nordwestdeutschland.
Aus diesen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass die
Malariafrage in den nordwestdeutschen Marschen und den an¬
grenzenden Geestgebieten wieder erhöhte Aufmerksamkeit bean
spracht. Seit dem Jahre 11)01. mehr noch im Jahre 1902, tritt,
die Malaria wieder in einzelnen Gegenden epidemisch auf, nach¬
dem seit 20 — 30 Jahren Fieberarkrankungen zur Seltenheit ge¬
worden waren. Die Fälle haben bisher gutartigen Charakter. Die
Ausbreitung beschränkt sich auf die Marsch und die daran un¬
mittelbar angrenzenden Gebiete der Geest, entsprechend der Ver¬
breitung der Anopheles und ihrer Larven, welch letztere in den
Wasseransammlungen der Marsch (insbesondere den „Kuhlen“
und „Schloten“) ihre Entwicklungsstätte haben.
Besondere Aufmerksamkeit verdient nach Ansicht des Verf.
die Beobachtung, dass die meisten der Erkrankten nicht in ärzt¬
licher Behandlung sind, dass viele überhaupt kein Chinin nehmen
und dass unter den Kranken besonders viele Schulkinder sind.
Die Ursachen des plötzlichen Wiederauftretens endemischer
Malaria an verschiedenen Orten zugleich konnte vorläufig noch
nicht sicher festgestellt werden. Untersuchungen darüber sind
im Gange.
Nach den Beobachtungen des Verf. wäre eine weitere Zunahme
der Malaria in nächster Zeit zu erwarten.
3) F. B a n n e s - Gleiwitz O.-S.: Zur Kasuistik der Luxatio
carpo-metacarpea.
Mitteilung eines Falles von dorsaler Luxation des 2. und
3. Metakarpalknochens mit Röntgenbildern.
4) .T. M a r e k - Ofen-Pest: lieber die Entstehungsweise der
Atemgeräusche. (Schluss folgt.)
5) M. Levy-Dorn: Sternum, Brustaorta und Wirbelsäule
im Röntgenbilde.
Abbildung von Zeichnungen eines Röntgenbildes nach den
von Holzknecht angegebenen Durchleuchtungsrichtungen.
Das allerdings etwas umständliche Verfahren wird von Verf.
für geeignete Fälle sehr empfohlen.
6) P. H a 1 le r - Saratow: Rose und Scharlach gleichzeitig
bei derselben Person.
7) E. M ü 1 1 e r - Minden: Beitrag zur Pneumoniestatistik.
8) H o 1 z - Berlin: Ein einfacher Apparat zur Xolpeurynter-
massage. (Mit Abbildung.)
9) Atmann - Erfurt: Zum elektrischen Luftbad.
M. Lache i\
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 32. Jahrg. No. 16.
Oskar Bernhard: Ein Fall von mehreren penetrierenden
Stichwunden des Bauches. Exstirpation der durchschnittenen
Milz. (Aus dem Kreisspital Oberengadin in Samaden.)
Beschreibung und Epikrise eines vielfach interessanten Falles
(ausser Titelangaben: zentrale Zwerchfell wunde, Milz nicht — wie
gewöhnlich — prolahicrt, Blut mikroskopisch ohne Veränderung
nach der Milzexstirpation; Platzen der Bauchwunde, wegen Altera¬
tion der Fibrinbildung?, günstige Beeinflussung der Granulationen
durch Besonnung).
W. Kesselbach: Zum Aspirationsverfahren bei deszen¬
dierendem Krupp tracheotomierter Diphtheriekranker. (Aus dem
Kantonsspital Altdorf.)
Der frappant günstige Ausgang eines Falles wird in erster
Linie der Serumtherapio zugeschrieben, welche eine rechtzeitige
Lösung des Pfropfens bewirkte; so konnte dieser gerade noch aspi¬
riert werden.
Paravicini jr. - Albisbrunn: Der Hemiplegiker auf dem
Zweirad.
Der Kranke, der noch deutliche Paresen einer Unterextremität
und Schwindel hatte, konnte vollkommen beschwerdefrei rad-
faliren. Dr. O. Pis e li i n g e r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No.. 34. 1) Di P u p o v a c - Wien: Zur Technik der Nearthro-
senbildung bei ankylosierten Gelenken.
Tierversuche zeigen, dass es durch Zwischenlagerang von
resorbierbaren Plättchen gelingt, die knöcherne Wiedervereinigung
von resezierten Gelenksenden zu verhüten. Analoge Versuche am
No. 35.
1474
MFENCUENEE MEDICTNISCIIE WOCHENSCHRIFT.
Menschen sind mit ■wechselndem Erfolge nachgemacht worden.
Verfasser beschreibt einen Fall, in welchem er bei der 24jälirigen |
Patientin, welche ein steifes Ellenbogengelenk aufwies, die Ellen¬
bogengelenkskörper möglichst glättete und dann Magnaliumplätt-
clien dazwischen legte. 6 Wochen nach der Operation konnte durch
Röntgenaufnahme konstatiert werden, dass ein feiner Gelenkspalt
zwischen den beteiligten Knochenflächen bestand. Das schliess-
liehe funktionelle Resultat war nicht gerade sehr günstig, vielleicht
auch aus dem Grunde, dass die Nachbehandlung nicht entsprechend
durchgeführt werden konnte. Jedenfalls ermutigt der Fall zu
äln fliehen Versuchen.
2) N. Damianos-Wien: Appendizitis bei Linkslagerung
des Coekums.
Hinsichtlich der Behandlung der Appendizitis vertritt Ver¬
fasser auf Grund der Erfahrungen an 95 Fällen den Standpunkt, |
möglichst bald zu operieren. Bei Appendizitis Simplex war kein
Todesfall infolge der Operation zu verzeichnen. Von den Fällen
mit allgemeiner Peritonitis konnte immerhin noch fast ein Viertel |
durch die Operation gerettet werden. Die Operation darf nicht j
vom Bestehen eines Abszesses abhängig gemacht werden. In dem
speziell beschriebenen Falle, einen IS jährigen Taschner betreffend,
hatte vor der Operation kein Zeichen darauf hingedeutet, dass das j
Coekum mit dem Wurmfortsätze links gelagert war. ln einem
zweiten mitgeteilten Falle zog der Processus vermif. ebenfalls nach
links; der Kranke starb einige Zeit nach der Operation an einem
in den Bauchraum durchgebrochenen Abszess, der zwischen Dünn- j
darmschlingen abgesackt vorhanden gewesen war. Aus einem Vor- j
wiegen der lokalen Symptome kann übrigens nicht auf Verlagerung
dos Coekums nach links geschlossen werden. Verfasser bespricht
dann noch des näheren die Lageanomalien des Coekums, auf deren
Einzelheiten hier nicht eingegangen werden kann.
3) P. F 1 e g e r - Leipzig: Beitrag zur Kasuistik der Syringo¬
myelie und über die bei dieser Krankheit vorkommenden Haut¬
störungen.
Bei dem 20 jährigen Kranken fand sich Muskelatrophie an
den oberen Extremitäten, Analgesie und Thermoanästhesie bei
fast vollkommen intaktem Tastgefühl, Skoliose, halbseitige Bulbär-
symptome, Herabsetzung der Reflexe an den oberen und Er- j
liühuug an den unteren Extremitäten, ferner trophische Störungen J
an der Haut. Verfasser bespricht eingehend die Differential¬
diagnose an der Hand der Literatur, sowie die sehr verschieden¬
artigen Hautanonialien, welche der Syringomyelie eigen sind.
G r a s s m a n n - München.
Französische Literatur.
Bar d-Genf: Klinische und experimentelle Untersuchungen
über den Druck bei Pleuraergüssen. (Revue de medecine, März u.
April 1902.)
Die genauere Kenntnis der Druckverhältnisse bei Ergüssen in
den Brust f (41 raum ermöglicht, deren Grade oder Veränderungen
festzustellen und so die Diagnose zu erleichtern. Nach diesen
umfangreichen Untersuchungen kann diese Messung in einer für
die Klinik genügenden Weise geschehen, aber sie erfordert Vor-
sichtsmassregeln, welche in den bisherigen Arbeiten nicht beob¬
achtet worden sind. Das Verfahren, welches die exaktesten An¬
gaben über den intrapleuralen Flüssigkeitsdruck macht, beruht
auf Beobachtung desselben in einer Glastube, welche, mit einer
Kanüle verbunden, vertikal längs des Brustkorbes des sitzenden
Kranken angebracht ist und nach Art des Spiegels eines Wasser¬
reservoirs funktioniert. Aus den Untersuchungsresultaten der ein¬
gehenden Arbeit R.s sei hier nur das Wichtigste angeführt. Im
Gegensatz zu der klassischen Ansicht, dass die flüssigen Ergüsse
einen positiven Druck darstellen, welcher von 10 — 30 mm Queck-
silber schwanke, ergab sich, dass der Oberfi ächendruck der aus¬
gedehntesten Exsudate bei der Inspiration sicher immer negativ,
bei der Exspiration in der grossen Mehrzahl der Fälle ebenfalls
negativ ist. Die Experimente am Kaninchen zeigen, dass es un¬
möglich ist, einen positiven Druck der intrapleuralen Flüssigkeit
zu erhalten. Der plötzliche Tod in Füllen ausgedehnten Exsudats
kann daher dem raschen Eintreten eines positiven Inspirations¬
druckes, was durch Nachlass der kompensatorischen Kräfte (Er¬
schöpfung der accessorischen Atemmuskeln) der Fall ist, zuge¬
schrieben werden. Der mechanische Einfluss der flüssigen Er¬
güsse ist im Gegensatz zu den gasförmigen unabhängig von ihrem
Druck und vollständig ihrem Volumen unterworfen. Für die
Praxis ergibt sich die Lehre, die Aspirationspunktionen vermittels
eines einfachen Syphons zu machen, was in allen Fällen unter
einfachen Vorsichtsmassregeln vorzunehmen möglich ist. Man
kann so (hm Druck zu wiederholten Malen im Verlaufe der Flüssig¬
keitsentnahme messen; wichtig ist es, jedesmal sich zu ver¬
gewissern. dass keine Luftblase in der Flüssigkeitssäule sich
findet, gegen Ende der Punktion muss man auch daran denken,
dass der Druck durch die Applikation der Kanüle auf die Lungen-
oberfliiehe sich falsch darstellen kann, die Unbeweglichkeit der
Flüssigkeit in der Glassäule belehrt einen darüber. Jeder Zufall
der Punktion, jede Komplikation wird hierbei vermieden und, was
noch das Wichtigste ist. man erhält das beste therapeutische Re¬
sultat. wenn man sich zur Regel macht, mit der Punktion auf¬
zuhören. sobald der reine Inspirationsdruck schwach negativ wird
(das Flüssigkeitsniveau in der Glassäule 0.01 — 0,02 cm unter dem
Punktionsniveau bleibt). B. glaubt, dass die Anwendung des
Syphons, nach seiner Methode geregelt, allein es ermöglicht, die
Entleerung auf die notwendige Menge zu beschränken; sie gibt das
Mittel, die Tliorakocentese mit grösserer Sicherheit auszuführen
und besonders mit günstigeren Resultaten, als sie Aspirations¬
apparate geben.
Constant Mathis: Zwei Fälle von Malariapolyneuritis.
(Iltid., April 1902.)
Den in der Literatur bekannten 20 Fällen dieser Affektion
fügt M. 2 weitere, durch verschiedene Einzelheiten interessante
hinzu. Sie wurden in Guyana beobachtet; der eine betraf einen
zu Zwangsarbeit verurteilten Weissen, welcher am Nervus cubi-
talis einen wahren Knoten nach Art der Lepraknoten hatte, der
andere einen Schwarzen, welcher ganz ausgesprochene Motilitäts¬
störungen — komplette Lähmung der Unterextremitäten — auf¬
wies.
Marandon de Montyel: Behandlung des epileptischen An¬
falls durch die Bettruhe. (Ibid., Mai 1902.)
Verfasser, Chef eines grossen Asyls für Epileptiker, versuchte
diese jetzt so vielgerühmte Therapie bei 19 seiner Patienten, führt
die bei jedem mit demselben gemachten Erfahrungen an, die jedoch
nur bei einem Patienten günstige waren, und kommt auf Grund
derselben zu folgenden Verhaltungsmassregelu. In erster Linie
versichert er sich über Dauer, Intensität und Symptome des epi¬
leptischen Anfalls und, wenn all diese Punkte genau eruiert sind,
verordnet er bei dem nächsten Anfall die Bettruhe. Wird damit
kein günstiges Resultat erzielt, was fast immer der Fall ist, so
greift er wieder auf die alte Therapie zurück, welche für den
Kranken viel angenehmer ist.
Charles Valentino: Die rhythmischen Kopfbewegungen
(M u s s e t sches Zeichen) bei Aortenaffektionen. (Ibid.)
V. hatte Gelegenheit, diese rhythmischen Bewegungen bei
einem Kranken mit Aorteninsuffizienz genau zu beobachten und re¬
sümiert im Anschluss an diesen und einen weiteren, von Prof.
It o li d o t in Bordeaux ihm zur Verfügung gestellten ähnlichen
Fall die Literatur über die 14 bis jetzt beschriebenen Fälle dieser
Art. S davon betrafen Aortenaneurysma. 5 Aorteninsuffizienz und
1 Pleuritis; letzteren (von Frenkel publiziert) findet V. nicht
ganz einwandfrei. Hingegen scheinen Aorteninsufüzienz und
Aneurysma des Aortenbogens bei der Pathogenese des M usset-
sehen Zeichens eine völlig ähnliche Rolle zu spielen. Was nun die
Erklärung dieses Zeichens betrifft, so ist bei beiden Affektionen
eine Blutstauung vorhanden und diese Kopfbewegungen sind ein
Zeichen dieses gleichzeitig vorhandenen, mit der Diastole zu¬
sammenhängenden Blutrefluxes. Der klinische Wert dieser Affek¬
tion liegt darin, dass bei Ausscheidung jeder nervösen Störung
(Tic douleureux u. s. w.) und der genannten Beobachtung von
F r e n k e 1 dessen Vorhandensein, das meist sehr klar und aus¬
geprägt ist, unmittelbar die Aufmerksamkeit des Arztes auf die
Herzgegend lenken muss und für ihn das erste Anzeichen einer bis
dahin latenten oder nicht erkannten Herzaffektion bilden kann.
V a s c h i d e und Vurpas: Das psychische Schwindel¬
gefühl. (Ibid.)
Verfasser halten das Schwindelgefühl, welches manche Leute
beim Blick von einem erhöhten Standpunkt in die Tiefe erfasst,
nicht für ein solches Gefühl an sich, sondern für eine wirkliche
Obsession, welche zu den Zuständen gehört, wovon z. B. die Platz¬
angst (Agoraphobie) nur eine weitere klinische Modifikation ist.
Anführung eines Falles.
Rogen: Ueber Anomalien der Genitalien. (Presse medicale
1902, No. 24.)
It. gibt einen kurzen üeberbliek über die verschiedenen Arten
des Hermaphroditismus, über die in der Literatur niedergelegten
Fälle und beschreibt sodann eingehend den von ihm selbst be¬
obachteten Fall eines Gynandroiden, wo es sich um sogen, trans¬
versalen Hermaphroditismus handelte. Das 19 jährige Individuum
(Kellner), ward Zeitlebens als Mann angesehen und starb in diesem
Alter an Diphtherie. Es zeigte sich, dass die äusseren Geschlechts¬
organe, d. li. Penis, Perineum, Urethra nach dem männlichen
Typus entwickelt waren, während die inneren Organe, Uterus
und Ovarien, vollständig weiblichen Typus hatten. Die Vagina
hatte, anstatt sich nach aussen zu öffnen, die Form angenommen,
welche beim Manne die Ueberreste der Müller sehen Gänge
zeigen. Das Ovarium war bloss einseitig vorhanden (2 Abbild.).
R. hält den Ausdruck Hermaphroditismus für Fälle dieser Art,
wovon 2 weitere von B o u i 1 1 a u d und Luigi de Grecchio,
aber mit wohlentwickelter Prostata, beschrieben sind, nicht für
zutreffend, sondern für weit besser obige Bezeichnung (Gynan-
droid). Durch Rektaluntersuchung konnte man übrigens (las Ge¬
schlecht eruieren: man fühlte im vorliegenden Falle den Uterus
und den Mangel einer Prostata.
Louis Bruandet: Experimentelle Coccidienkarzinose.
(Ibid., No. 34.)
I». präparierte aus 2 Coccidienarten, die beim Kaninchen ge¬
funden wurden (in der Leber und in einem Cysticercus des Epi-
ploon) eine wässerige, aseptische Flüssigkeit, welche keinen Leber¬
oder Cysticercusinhalt mehr enthalten durfte, und machte damit
Impfungen bei Kaninchen und einigen anderen Tieren; das Re¬
sultat war die Entstehung von epithelialen und karzinomatösen
Neubildungen bei verschiedenen dieser Tiere. Als Schlussergebnis
seiner Untersuchungen, welche er jedoch keineswegs für abge¬
schlossen und definitiv angesehen wissen möchte, führt I». an, dass
eine bemerkenswerte Analogie zwischen der Coccidienkrankheit
und der Karzinose bestehe; es sei jedoch diese Regel erwiesen, dass
man, um einen Epithelialparasiten rein zu züchten, ihn auf Epithel
verpflanzen muss.
E. Tavel: Die Natriumsalzlösung in der Chirurgie. (Revue
de Chirurgie, Mai 1902.)
M tlEN CI J ENER MED 101 NISCHE WOCIIENSCILRlh i\
il. September 1902.
1475
F ussend auf den Forschungen Buchne r s, welcher in exak¬
ter Weise den konservierenden Einfluss der physiologischen (und
noch stärkeren) Kochsalzlösung auf die bakterientötende Kraft
der Körpersäfte nachgewiesen hatte, machte T. schon seit längeren
Jahren (1892) in der Chirurgie von dieser aseptischen Wirkung der
Kochsalzlösung Gebrauch. Er beschreibt in dieser Arbeit aus¬
führlichst seine experimentellen Studien über diese Frage, welche
ihn zu dem Resultate brachten, statt der gewöhnlichen physio¬
logischen Kochsalzlösung folgende Zusammensetzung zu wählen:
0,75 Na CI : 100,0 -(- 0,25 Na. C03 : 100,0, welche, in obiger Weise
benannt, nicht nur den entsprechenden Gehalt an Blutsalz, son¬
dern auch dessen alkalische Reaktion besitzt. Die Lösung findet in
sehr ausgedehnter Weise Verwendung als desinfizierendes Mittel
bei Siedetemperatur wie bei Körpertemperatur und in erkalteter
Form. Sie dient zu Irrigationen bei Wunden, zu subkutanen oder
intraperitonealen Injektionen und hat als aseptisches Reinigungs¬
mittel in einer Reihe von Fällen die prima reunio und tadellose
Heilung herbeigeführt. Zur Sterilisation der Instrumente hin¬
gegen ist diese NaCl-Lösung nicht zu verwenden, zu diesem Zwecke
empfiehlt T. 2 proz. Boraxlösung (nach Seiler).
Potarea - Crajova: Eine neue Operationsmethode der
Hämorrhoiden. (Ibid.)
Dieses von Vercesco im Jahre 1900 auf dem XIII. inter¬
nationalen medizinischen Kongress mitgeteilte Verfahren besteht
in kurzem darin, einen Korkpfropfen (mit Kupferhalter präpariert)
in den Anus (nach entsprechender Dilatation) einzuschieben (siehe
Abbildungen); rings um die Analöffnung, an der Grenze zwischen
Ilaut und Schleimhaut, fixiert man quer von aussen nach innen
in Abständen von je 1 cm sogen. Karlsbader Stecknadeln, welche
gleichzeitig in den Schleimhaut-Hautrand und in den Korkpfropfen
eindringen. Es wird nun rasch ein zirkulärer Hautschnitt ge¬
macht, die Haut zurückgeschoben und das Paket der Varizen,
welches auf dem Korkzylinder fixiert bleibt, exzidiert. Sind auch
extrarektale Varizen vorhanden, so wird die äussere Haut in ent¬
sprechender Ausdehnung exzidiert. Die Nähte werden sodann pro¬
portional zu den entfernten Nadeln angelegt. Die ganze Operation,
deren Heilerfolg ein tadelloser war, soll höchsten 15 — 20 Minuten
dauern, mit Ausnahme der für die Narkose oder die Rachikokaini-
sation nötigen Zeit. In den 5 von P o t a r c a operierten Fällen
erfolgte die Vernarbung in 10 — 14 Tagen. Als Vorteile dieser Me¬
thode gegenüber den anderen führt er folgende an: 1. Erfordert
sie nicht die zahlreichen und schwierigen Vorbereitungen innerer
und äusserer Asepsis, welche z. B. bei der Whiteliea d scheu,
der jetzt, wohl verbreitetsten Operationsart der Hämorrhoiden,
wenigstens eine Woche in Anspruch nimmt. 2. Garantiert sie für
die Reinheit und Blutleere des Operationsfeldes während der ganzen
Operationszeit dadurch, dass die Afteröffnung vollständig ver¬
schlossen und die Mastdarm wände dilatiert sind; diese Vorteile
sind besonders hervorzuheben vor allen anderen, bis jetzt gebräuch¬
lichen Methoden, 3. Bildet sie einen neuen Sphincter ani unter
den besten physiologischen Bedingungen. 4. Kürzt sie mehr wie
jede andere Methode den Operationsakt ab, wras für den Chirurgen
und besonders für die Kranken, meist blutarme Hämorrhoidarier,
welchen Blutverluste möglichst zu ersparen sind, ein grosser Vor¬
teil ist. Die 6 Abbildungen illustrieren trefflich die Methode.
Cat hei in: Die Unschädlichkeit der epiduralen Injek¬
tionen im Kindesalter. (Revue mensuelle - des maladies de l’en-
l'ance, April 1902.)
C. hat bis jetzt nach dieser, von ihm erdachten, Methode
11 Kinder behandelt, 4 Knaben und 7 Mädchen, und zwar wegen
Incontinentia urinae, meist mit Erfolg. Das Alter schwankte
zwischen 7 und 15 Jahren und die Zahl der Punktionen zwischen
1 und 9; die Gesamtzahl der Injektionen betrug 51. Die gewöhn¬
liche Injektionsflüssigkeit war physiologische Kochsalzlösung, in
der Dosis von 5 — 15 ccm, so dass ein und dasselbe Kind bis zu
85 — 40 ccm dieses Serums erhielt. In anderen Fällen hatte C.
(bei 7 Kranken) y2 — 1 proz. Kokainlösung injiziert, ohne dass der
geringste Zufall eintrat. Unter jenen 51 Injektionen hatte ein Kind
ein einzigesmal Abends Erbrechen, -wobei aber nur 10 ccm injiziert
worden sind. Merkwürdigerweise wurden alle Fälle ambulant
behandelt und brauchten nach diesen Injektionen nicht das Bett
zu hüten. Die kleine Operation wird beinahe ebenso wie beim
Erwachsenen ausgeführt, ist keineswegs schmerzhaft und selbst
bei den ungeschicktesten Kindern nicht schwierig. Sie kann also
ohne Gefahr beim Kinde wie beim Erwachsenen vorgenommen
werden; sie ist vor allem eine Methode der Beruhigung und
Schmerzstillung, kann aber auch, dank der reichen, im Rücken¬
markskanal vorhandenen Venenplexus, eine Methode allgemeiner
Resorption sein.
Haushalter u. G u e r i n - Nancy: Stoffwechselstörungen
beim Myxödem, nach dem Urinbefunde geschätzt. (Ibid., Mai
1902.
Die Untersuchungen wurden an 2 Kranken mit Myxödem,
einem 25-Jährigen und einem Kinde von 0 Jahren ausgeführt und
ergaben folgendes Resultat, das jedoch Verfasser nur als vor¬
läufiges anselien möchten. Der N-Koeffizient ist merklich unter
dem gewöhnlichen Mittel. Die Harnstoff- und Ilarnsäureabsonde-
rung zeigt eine beträchtliche Verminderung. Die Ausscheidung
von Chlor im Vergleich zur totalen N-Menge ist bedeutend ver¬
mehrt. Die Verhältniszahl der Phosphormenge zeigt eine relativ
intensive Phosphaturie. Die Ausscheidung von Magnesia ist ge¬
ring im Vergleich zu jener von Calcium, welche eine enorme Pro¬
portion erreicht. Diese Tatsachen lehren in überzeugender Weise,
dass die Unterdrückung des stimulierenden und zugleich regu¬
lierenden Einflusses, welchen die Schilddrüsenresektion normaler¬
weise ausübt, Störungen im Stoffwechsel herbeiführt.
Felix B a u d o u i n - Tours: Die tuberkulöse Cirrhose im
Kindesalter. (Ibid.)
Die 2 Fälle, welche hier B. in ihrem Verlaufe genau beschreibt.
Kinder im Alter von 13 und 11 Jahren betrafen und beide tödlich
endeten (autoptischer Befund) sind für Verfasser ein aus¬
gesprochener Beweis, dass es eine rein tuberkulöse Lebercirrhose
im Kindesalter, also eine 4. Kategorie von Cirrhose neben den
schon beschriebenen 3 Arten (1. tuberkulöse Lebercirrhose mit
Herzaffektion, 2. Lebercirrhose von gleichzeitig tuberkulösen und
mit Alkoholismus behafteten Kindern, 3. Lebercirrhose mit gleich¬
zeitiger tuberkulöser Peritonitis) gibt. In dem einen der beiden
Fälle zeigten 2 aufeinander folgende Laparotomien die Unversehrt¬
heit des Peritoneums, der histologische Sektionsbefund in dem
anderen die tuberkulöse Natur des cirrhotischen, rein systemati¬
sierten Prozesses. Bei beiden Kindern hat sich die Cirrhose
ohne Beteiligung des Herzens entwickelt und erst in einem vor¬
gerücktem Stadium der Infektion wurden die 3 serösen Häute
gleichzeitig ergriffen; diese verschiedenen Erscheinungen sind kli¬
nisch und anatomisch festgestellt worden. Uebrigens glaubt B..
dass in einer Anzahl von Fällen eine Cirrhose mit Bauchfelltuber¬
kulose existieren muss, wo der Beginn sich, wie hier, nur auf
erstere beschränkt, um schliesslich die grosse Peritonealserosa zu
befallen. Was hier praktisch bewiesen ist, dafür gab es schon
genügend theoretische Gründe: Bei einer Infektion des Organismus
gehen die Bazillen oder deren Toxine notwendigerweise durch die
Leber, welche sie zurückhält; ist ihre reizende Wirkung langsam
genug, damit sich die verschiedenen Phasen der „Leberdefensive“
entwickeln, so können sie ebenso wie der Alkohol Cirrhose ver¬
ursachen.
L. G. Simon-Paris: Ein Fall von Spasmus nutans (Tic
Salaam). (Ibid.)
Ein typischer Fall dieser Affektion bei einem 15 Monate alten
Kinde: Beginn in der ersten Kindheit, wie immer vor den ersten
20 Monaten, ohne erkennbare Ursache, Zitterbewegungen des
Kopfes von vorn nach rückwärts, mit leichter seitlicher Neigung,
welche sehr rasch, regelmässig, wenig ausgedehnt sind, komplett
während des Schlafes oder bei abgelenkter Aufmerksamkeit des
Kindes aufhören; rascher Nystagmus, welcher meist bilateral ist.
Zuweilen partizipieren die Muskeln des Stammes und der Schultern
au den Zitterbewegungen. S. glaubt, man könne 2 Kategorien
des Tic Salaam unterscheiden: Die eine kann das Vorstadium
der Epilepsie bilden und zeichnet sich durch isolierte Attacken,
2 — 10 oder mehr pro Tag aus und ist besonders charakteristisch,
wenn während des Anfalls Bewusstseinsverlust, Blässe, Pupillen¬
erweiterung vorhanden ist; diese Kinder sind meist hereditär be¬
lastet (alkoholischer Vater, epileptische Eltern) und erfahren spe¬
ziell Besserung durch Brom. Bei der zweiten Kategorie von Fällen
tritt der Tic nicht in isolierten Anfällen auf, sind die intelektuellen
Funktionen nie gestört, besteht nicht obige hereditäre Belastung
und tritt nach 2, 4 Monaten oder später vollständige Heilung ein,
ohne dass sich später Epilepsie einstellt; zu letzterer Kategorie ge¬
hört vorliegender Fall.
C h a put: Die verschiedenen Arten von chirurgischer An¬
ästhesie (Aether, Chloroform, Chloräthyl, Kokain lokal und
lumbal). (Presse medicale 1902, No. 47.)
Ch. gibt aus der Summe seiner Erfahrungen — er zog be¬
sonders die 40G chirurgischen Fälle, welche vom 1. April 1901 bis
1. Mai 1902 mit Anästhesie behandelt worden sind, in Betracht —
folgendes Resume. Die lokale Kokainanästhesie scheint zu¬
gleich mit der Chloräthylnarkose die empfehlenswerteste für die
kleinen Operationen, für furchtsame Patienten und solche, die
mit einer Diathese behaftet sind, zu sein, sie kann angewandt wer¬
den bei oberflächlichen Laparotomien, bei Hernien u. s. w., ist aber
kontraindiziert bei Kindern und für komplizierte Laparotomien.
Die R a c hikolcainisatio n ist die Methode der Wahl für
alle Operationen an den Unterextremitäten, am Anus und Rektum,
den Geschlechts-Harnorganen bei Männern und Weibern; sie ist
indiziert bei den Operationen am Thorax und bei schwierigen
Laparotomien, wenn die Allgemeinnarkose gefährlich ist. Diese
nur ist bei Kindern möglich, ist die Methode der Wahl für mittel¬
schwere und schwere Operationen an Körperstollen oberhalb des
Beckens bei sonst gesunden Leuten. Kontraindiziert ist sie immer
bei schlechtem Allgemeinbefinden. Der A e t h e r ist das beste
allgemeine Narkotikum, er ist nur kontraindiziert bei alten Leuten,
bei Fettsucht, bei Husten, bei Operationen an Gesicht und Kopf;
oft wird er schlecht vertragen (wegen des Geschmackes). Das
Chloroform sei nur eine Ausnahmemethode, welche in den
Fällen zur Anwendung komme, wo die anderen Methoden nicht
erlaubt sind. Das Chloroform ist das Antidot des Aethers und
umgekehrt.
Fernand Cat hei in: Der graduierte Blasendiviseur. (Ibid.,
No. 48.)
Das sehr sinnreich nach den Angaben Guyons konstruierte
Instrument gestattet die Einführung einer (elastischen) biegsamen
und nach Belieben ausdehnbaren Scheidewand in die Blase, so dass
diese vollständig in 2 Hälften geteilt ist und in glücklicher Weise
den Katheterismus der Ureteren zum getrennten Auffangen des
Urins ergänzt. Die Einzelheiten dos Instruments und seines Ge¬
brauchs sind nur vermittels der Zeichnungen verständlich.
Ster n.
1478
No. 35.
MUENCII KN KU MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Russische Literatur.
A. T a u b e r: Ueber die Beseitigung undurchgängiger
Strikturen des Oesophagus durch temporäre Gastrotomie.
(Wojenno-med. Journal, Januar 1902.)
lh>i einem Manne und einer Frau, welche beide au einer für
die kleinsten Sonden undurchgängigeu, durch Verschlucken kau¬
stischer Flüssigkeit verursachten Verengerung des Oesophagus
litten, hat Verf. nach Anlegung einer gastrischen Fistel eine
Wiederherstellung der Wegsamkeit der Striktur eint roten sehen.
Dies Resultat, wurde erhalten nach 8 Tagen im ersten und nach
21 Tagen im zweiten Fall; es war so vollständig, dass die Er¬
nährung durch den Mund wieder möglich wurde und zwar auf
die Dauer. Die früher unmögliche Einführung der Magensonde
konnte jetzt anstandslos ebenso durch den Mund als durch die
Magenfistel (retrograde Sondierung) ausgeführt werden.
Was war die Ursache so einer unerwartet günstigen Wirkung
der temporären Gastrotomie auf die ösophageale Striktur V Vert.
erblickt sie nicht in der Magenfistel selbst, sondern in dem bei
dieser Operation ausgeführten Annähen eines Teiles der Magen¬
wand an die Bauchdecken. Diese Gastropexie hat, indem sie eine
permanente Ausdehnung der gastro-ösophagealen Oeffnung b©-
w irkte, nach Verf. Meinung die narbigen Falten, welche das Lumen
dos Oesophagus verschlossen, zur Abflachung gebracht und so die
Permeabilität dieses Kanals wieder hergestellt.
Etwas später hot sich dem Verf. die Gelegenheit, diese Hypo¬
these bei der Obduktion eines anderen Kranken zu prüfen. Es
handelte sich in diesem Falle um einen älteren Mann, bei dem
wegen einer ebenfalls undurchgängigen Striktur des Oesophagus
vor 2 Jahren die Gastrotomie ausgeführt wurde. Einige Zeit nach¬
her konnte Fat., wie die oben erwähnten Kranken, sich per os
ernähren, ohne dass man bei ihm irgend eine mechanische Dila¬
tation der Stenose vorgenommen hätte. Der Mann ging nun au
den Folgen einer Inversion des Magens durch die noch bestehende
Bauchfistel zu Grunde. Dies ereignete sich unter dem Einfluss
einer starken Anstrengung und führte zur Einklemmung und
Gangrän des prohibierten Organs. Als Reste der ehemaligen Ver¬
engerung fand man in der Leiche nur einige kaum merkliche
Längsfalten im unteren Teil des Oesophagus.
Sich auf diese 3 Beobachtungen stützend, schlägt Verf. vor,
die narbigen Strikturen des Oesophagus durch die Gastropexie
ohne Gastrotomie zu behandeln. Dazu sollte man immer im frühen
Stadium des Uebels, solange der Kranke noch nicht durch langes
Fasten erschöpft ist, operieren. In späteren Perioden wäre die
Gastrostomie jedenfalls nicht zu entbehren. Bei der einfachen
Gastropexie wegen Verengerung des Oesophagus müsste man ein
besonderes Gewicht auf das Aunähen an die Bauchdecken gerade
des oberen Teils der vorderen Magenwand legen, um so eine
maximale Dilatation der gastro-ösophagealen Oeffnung zu be-
wirken. .
L. Len ie witsch: Das Oleum terebinthinae bei Gebar-
mutterblutungen. (Medizinskoje Obosrenije 1902, No. 0.)
Seit ca. 5 Jahren bedient sich Verf. mit Erfolg bei der Be¬
handlung uteriner Blutungen der mit Oleum terebinthinae getränk¬
ten Wattebäuschchen, welche in die Gebärmutterhöhle eingeführt
werden.
Dabei werden zuerst die Wände des Zervikalkanals mit einer
25 proz. Lösung von Karbolsäure in Glyzerin touchiert und, wenn
nötig, die Zervix unmittelbar darauf mit H e g a r sehen Sonden
dilatiert. Alsdann tamponiert man die Uterushöhle mit Gaze¬
streifen, die 5 — 10 Proz. Jodoform enthalten und die man ins Oleum
terebinthinae eintaucht. Diese Gazestreifen werden ganz nass
(ohne vorherige Expression) in die Gebärmutter eingeführt; das
untere Ende des Tampons muss frei in die Scheide hineinhängen.
Die Scheide selbst wird abgewischt und mit trockener hydrophiler
Watte tamponiert. Die Kranke verbleibt im Bette. Nach un¬
gefähr 2 Stunden, wenn die durch das Oleum terebinthinae be¬
dingten Uterinkoliken ziemlich heftig werden, entfernt man den
Tampon. Im Falle man Patientin nicht bald Wiedersehen kann,
gibt man ihr eine Dosis Ergotin. Während der nächsten 3 oder
4 Tage hat die Frau einen mehr oder weniger starken serös¬
blutigen Ausfluss. Mit seinem Verschwinden schwindet auch die
Metrorrhagie gewöhnlich. Nur selten wäre man gezwungen, einen
zweiten mit Oleum terebinthinae getränkten Tampon (4—5 Tage
nach dem ersten) in den Uterus einzulegen.
Diese Behandlung ist, nach Verf., ein sicheres, wenngleich
manchmal nur temporäres Mittel gegen Uterusblutungen. Sie ist
hauptsächlich angezeigt bei interstitiellen Myomen und Endo¬
metritis liaemorrliagica, besonders wenn das Tamponnement ohne
Herunterziehen des Uterus und künstliche Dilatation der Zervix
gelingt, und auch bei Metro- und Menorrhagien des Klimakteriums.
Gegen die Blutungen post partum hat aber Verf., aus Furcht vor
Luftembolien, das Verfahren nicht angewandt.
R. W reden: Bildung einer Nase auf Kosten eines Fingers.
(Roussky Wratsch 1902, No. 19.)
Anno 1874 hat ein englischer Chirurg, .1. Hardie, in einem
Falle kompletter Zerstörung der Nase dieselbe durch Implantation
der kleinen Phalanx des linken Zeigefingers wieder herzustellen
gesucht Da das von Herrn W rede n angewandte Verfahren
eigentlich nur eine Vervollkommnung der 11 a r il i e sehen Me¬
thode ist, so muss diese letztere hier kurz beschrieben werden.
Hardie ist in seinem Falle folgendermassen zu Werke ge¬
gangen: Nach Abtragung der Haut der zu implantierenden Finger¬
spitze erhob er auf der volaren Fläche der betreffenden 3. Phalanx
2 llautlappen, die er mit den lateralen Weichteilen der Nase ver¬
nähte. Die benutzte Hand wurde 3 Monate lang in Kontakt mit
dem Gesicht durch einen aus Diachylonstreifen bestehenden Ver¬
band immobilisiert. Nachher separierte man allmählich (dazu
brauchte man mehrere Tage) die implantierte kleine Phalanx von
dem übrigen Finger und entfernte den Verband. Das Resultat
war nicht befriedigend, da die transplantierte Phalanx infolg*'
narbiger Retraktion in die Apertura pyriformis hineinsank.
Nun hat Herr W rede n in 2 Fällen von Nasenzerstörung
dieses Verfahren mit bedeutenden Verbesserungen angewandt.
Dieselben bestanden erstens in der Anwendung (für die Wieder¬
herstellung des Nasenrückens) des 4. Fingers der linken Ilaml
(anstatt des in funktioneller Beziehung wichtigeren Zeigefingers).
Zweitens hat Verf. mit der 3. auch die 2. Phalanx transplantiert.
Eine weitere wichtige Verbesserung bestand in folgendem: Vor
der Vornahme der Transplantation des Fingers wurden der Nagel,
dessen Matrix und die Weichteile der Fingerspitze entfernt und
die Spitze des Knochens von ihrem Periost entblösst, damit man
sie in eine kleine in der vorderen Fläche des Processus nasalis
des Stirnbeins angebrachte Grube einlegen und einheilen könnte.
Nach Vollendung (unter lokaler Kokainanästhesie) dieser
Operationsmanöver immobilisierte man den ganzen Arm mittels
eines Gipsverbandes in solcher Weise, dass der 4. Finger in der
Richtung der medialen Linie des Gesichts verblieb, während die
Hand mit dem Processus nasalis des Stirnbeins einen Winkel von
40 0 bildete. Der Kranke konnte somit anstandslos sich ernähren.
Nach Verfiuss eines Monates entfernte man den Gipsverbanu und
schritt sogleich zur Amputation (immer unter lokaler Kokain¬
anästhesie) des 4. Fingers im Phalango-Metakarpalgelenk und zur
Bildung einer Nasenscheidewand aus der von den übrigen Teilen
der Hand jetzt vollkommen separierten 1. Phalanx. Dazu brauchte
man nur diese 1. Phalanx auf der 2. (die untere Hälfte des Nasen¬
rückens bildenden) Phalanx zu beugen und deren freies Ende durch
einige Nähte in eine am unteren Ende der Apertura pyriformis an¬
gebrachte kleine Vertiefung zu befestigen.
Dies sind die wesentlichsten Züge der W reden sehen Opera¬
tion. Was aber deren kosmetische Resultate betrifft, so ist es un¬
möglich, darüber bei einfacher Lektüre des betreffenden Artikels
zu urteilen. Zwar sagt Verfasser, sein Verfahren verschaffe eine
solide knöcherne Stütze für die Nase, deren Profil sich unter dem
Einflüsse der Narbenretraktion nicht mehr verändert, aber er gibt
uns nicht photographische Abbildungen seiner Patienten, sich mit
einer einfachen schematischen Zeichnung begnügend, die selbst¬
verständlich nur das Operationsverfahren, nicht aber seinen Er¬
folg illustriert. Jedoch macht Verfasser die Bemerkung, dass er
sich in der Periode der ersten Versuche befindet und dass seine
Methode _ wie auch alle neuen Operationsverfahren — noch eine
weitere Ausbildung erfahren muss.
A. Solo wie ff: Ein neues Zeichen von Tetanie. (Roussky
Wratsch 1902, No. 20.)
In 2 Fällen von Tetanie bei Jünglingen hat Verfasser, neben
den Phänomenen von Trousseau und Chvostek, ein noch
nicht beschriebenes Symptom beobachtet, das in rhythmischen und
ziemlich heftigen Kontraktionen der linken Hälfte des Zwerchfells
bestand. Dieselben waren sichtbar und fühlbar, mit den Herz¬
systolen synchronisch und von einer Einziehung der unteren Inter¬
kostalräume begleitet. Zu gleicher Zeit vernahm man ein leises
Pfeifen oder Giemen, welches durch Eindringen von Luft in die
bei jeder systolischen Kontraktion des Zwerchfells plötzlich ge¬
dehnte Lunge entstand. Solche spasmodische diaphragmale Zuck¬
ungen - — deren wirkliche Existenz Verfasser auch durch Unter¬
suchung mittels Röntgenstrahlen festzustellen in der Lage war —
ereignen sich, nach Solowieffs Meinung, infolge einer direkten
Reizung des linken N. phrenicus (der sich bei Tetanisehen in einem
Zustande von Uebererregbarkeit befindet) durch die Herzbewe¬
gungen. Sie lassen nach nur bei tiefer Inspiration und bei grösse¬
ren Kraftanstrengungen. Das neue Symptom der Tetanie schlägt
Verfasser vor, mit dem Namen „Phrenikusphänomen“ zu be¬
zeichnen.
L. Gokieloff: Das heisse Wasser bei der Behandlung des
durch Wirkung der Antiseptica entstandenen akuten Ekzems.
(Berichte der Kaukasischen medizinischen Gesellschaft, Februar
1902.)
Entgegen der allgemein verbreiteten Meinung, das Ekzem ver¬
trage die Feuchtigkeit nicht, hat Verfasser die Erfahrung gemacht,
dass ein vortreffliches Mittel zur Behandlung akuter ekzematöser
Ausschläge — solcher nämlich, die durch eine lokale Wirkung
reizender Stoffe, besonders antiseptischer Substanzen, manchmal
auch unter einem einfachen feuchten Verband entstehen — in der
Anwendung des heissen Wassers, so heiss wie Patient es nur ver¬
tragen kann, bestehe. Der befallene Teil wird in das heisse Wasser
mehrmals nacheinander (jedes Mal nur auf kurze Zeit) eingetaucht
oder man begiesst ihn mit Wasser von genügend hoher Temperatur.
Dabei lindert sich zuerst das Jucken, dann schwinden die Eut-
zündungserscheinungen und die Genesung erfolgt rasch. Im An¬
fangsstadium der Eruption angewandt, sei diese Behandlung fähig,
eine Abortivwirkung auf die durch lokal** Irritation bedingten
Ekzeme auszuüben.
W. Nemtschenkoff: Eine neue Behandlung des Tra¬
choms durch saturierte Karbolsäurelösung. (Wojenno-med. Jour¬
nal, April 1902.)
In 43 Fällen von tracliomatöser Augenentzündung hat Ver¬
fasser vortreffliche Erfolge durch subkonjunktivale Einspritzungen
einer 5 proz. Lösung von Karbolsäure erhalten.
2. September 1902.
MIXEN CI I ENER MEDICTN IS CII E
WOCHENSCHRIFT.
1477
Die Injektionen wurden mit der P r avaz selten Spritze an
jedem Augenlide an 2 Punkten vorgenommen: an der äusseren
und an der inneren Kommissur, und zwar in die beim Heraus¬
stülpen des Lides entstehende konjunktivale Falte. An jedem dieser
Punkte wurde ein Viertel des Inhaltes der Spritze eingeführt. Die
Lösung wurde so nahe als möglich an die Schleimhaut deponiert
und dabei ganz langsam zu Werke gegangen, um eine zu starke
Dehnung der Gewebe zu meiden. Bei ängstlichen Subjekten
machte man die Einspritzungen durch die Augenliderhaut. Die
Schmerzempfindung war ziemlich bedeutend im ersten Augenblicke,
verschwand aber rasch, da die Karbolsäure, wie bekannt, lokal-
anästhetisch wirkt. Bald nach der Injektion nahmen die Sym¬
ptome okulärer Reizung (Ausfluss, Schmerzen, perikorneale Hyper¬
ämie) in solchem Masse ab, dass Patienten eine ungewohnte
Euphorie seitens ihrer Augen fühlten. Aber später erfolgte eine
subkonjunktivale entzündliche Reaktion: die Augenlider schwollen
an und es zeigte sich ein serös-eitriger Ausfluss. Um das Auge
nicht zu erwärmen, wurde kein Okklusivverband angelegt. Vom
nächsten Tage an nahm die pälpebrale Schwellung ab. so dass die
Lider geöffnet werden konnten. Man fand jetzt die Konjunktiva
stark hyperämisch; die Trachomkörner erschienen röter wie zu¬
vor und waren wie versunken in der geschwollenen Schleimhaut.
Nach 10 — 14 Tagen schwinden diese reaktiven Erscheinungen
vollkommen und dann schwinden auch die Trachomkörner. Manch¬
mal aber braucht man dazu eine zweite oder sogar dritte Ein¬
spritzung an Punkten, wo die trachomatösen Läsionen noch be¬
stehen. Bei Wiederholen der Einspritzungen müssen dieselben in
Zwischenräumen von 10 — 12 Tagen gemacht werden.
Es ist hervorzuheben, dass die Karbolsäure nur auf die Tra¬
chomkörner selbst wirkt, die narbigen Veränderungen und papil¬
lären Exkreszenzen aber nicht beeinflusst. Letztere erheischen die
Kauterisation mit Cuprum sulfuricum in Substanz.
Die beschriebene Behandlung wird natürlich nicht auf beiden
Augen zugleich eingeleitet. Man fängt mit dem am meisten er¬
krankten Auge an und erst nach 5 — 7 Tagen geht man zur Be¬
handlung des anderen Auges über.
Die subkonjunktivalen Einspritzungen einer 5 proz. Lösung
von Karbolsäure, wenn sie mit allen Kauteleu der Asepsis vor¬
genommen werden, hätten keine Nachteile. Verfasser erblickt in
ihnen das wirksamste und bequemste Mittel zur Bekämpfung der
granulösen Ophthalmie, besonders bei Arbeitern und Soldaten. Da
der Kranke nur einmal wöchentlich beim Arzte erscheinen muss, so
braucht er seine Arbeit oder den Militärdienst nicht zu unter¬
brechen. Es entsteht dadurch auch für den Arzt eine bedeutende
Zeitersparnis.
W. Bialobschesky: Der Phosphor bei der Behandlung
der Alopecia areata. (Medizinskoje Obosrenije 1902, No. 9.)
Verfasser hat bei der Area Celsi günstige Resultate nach inner¬
lichem Gebrauch einer Mischung a’oh Phosphor und Arsen be¬
obachtet. Die von ihm gebrauchte Formel war folgende:
Phosphori . 0,06
Solve in:
Olei olivar. q. s.
Adde :
Acidi arsenicosi . 0,10
Extr. et pulv. liquirit. q. s.
F. pilul. No. CXX collodio obduct.
I)S. Täglich 1 — 4 Pillen zu nehmen.
Diese Pillen werden 2 — 3 Monate lang gebraucht mit mehreren
Unterbrechungen für eine Woche. Die Bildung neuer Alopecie-
herde zessiere nach einem Monat und das Wiederwachsen der
Haare beginne bald nachher.
Weliamowitsch: Die Formaldehydderivate bei der
Behandlung des Intertrigo, der Hyperhydrosis und einiger
Formen des Ekzems. (Medizinskoje Obosrenije 1902, No. 9.)
Neben schon bekannten Tatsachen, betreffend die günstige
Wirkung des Tannoforms auf Schweisse und Intertrigo, enthält der
Aufsatz eine interessante Notiz über die Behandlung des inter-
digitalen Ekzems des Fusses. Diese peinliche und den gewöhn¬
lichen Mitteln äusserst refraktäre Erkrankung ist, nach Verfasser,
von dem Intertrigo der Bromhydrosis streng zu scheiden. Sie
zeige sich nämlich bei Leuten, die an Fusseliweissen nicht im
mindesten leiden, entstehe jedoch meistens während der heissen
Jahreszeit. Eine Interdigitalfalte am Fusse, welche bis dahin ganz
trocken und gesund aussah, rötet sich plötzlich und wird stark
pruriginös. 12 — 24 Stunden später entsteht dort eine seröse Ex¬
sudation; die Haut wird mazeriert und bedeckt sich mit sehr
schmerzhaften Fissuren. Das starke Jucken raubt den Schlaf;
die Schmerzen machen das Gehen fast unmöglich. Alle Mittel
versagen, mit Ausnahme des Tannoforms, welches diese Art des
Ekzems zu kurieren rasch im Stande wäre. In Verfassers Be¬
obachtungen genügte es, die kranke Stelle mehrmals täglich mit
einer Mischung von 1 Teil Tannoform und 4 Teilen eines indiffe¬
renten Pulvers zu bestreuen, um das Jucken, die seröse Exsudation
und die Fissuren in 3 — 4 Tagen zu beseitigen.
Laryngo-Rhinologie.
1) B. Fraenltel - Berlin: Pachydermie und Karzinom nebst
Bemerkungen über die Entwickelung und die mikroskopische
Diagnose des Karzinoms. Mit 12 Tafeln und 4 Abbildungen im
Text. (Arch. f. Laryngol. u. Rliinolog. Bd. 13, Heft 1.)
Im Anschluss au 2 Fälle von Larynxkrebs, die* operativ ge¬
heilt wurden, bespricht Fraenkel Pathologie und Differential¬
diagnose von Karzinom, Pachydermie, Tuberkulose und Lues und
führt uns an der Hand einer Reihe von Serienschnitten der opera¬
tiv entfernten Tumoren anschauliche Bilder der Erkrankungs¬
herde vor, die namentlich in ihrer differentialdiagnostischen Be¬
deutung zwischen Pachydermie und Karzinom Interesse bieten.
Details müssen im Original nachgelesen werden. '
2) u. 3) Die K i 1 1 i a n sehe Radikaloperation chronischer
Stirnhöhleneiterungen.
I. Iv r a u s - Freiburg i. Br.: Historische Entwickelung der
Methode, an der Hand der Kasuistik bearbeitet.
1 • Öustav Killian - Freiburg i. Br.: Weiteres kasuistisches
Material und Zusammenfassung. Mit 2 Tafeln und 0 Abbildungen
im Text. (Ibid.) ö
Die Arbeit K r a u s’ berichtet uns an der Hand von 9
in ex-
den Eut¬
in der
in extenso
genau
am
ge-
tenso angeführten Kranken- und Operationsgeschichten
wicklungsgang der Killian sehen Operationsmethode
folgenden Publikation teilt Killian 5 weitere Fälle
mit und bespricht anschliessend unter kritischer Beleuchtung der
anatomischen, physiologischen und pathologischen Verhältnisse
das endgültige Resultat seiner Erfahrungen, die er in der
Ende der Arbeit noch einmal zusammengefassten und
schilderten Operationstechnik niederlegt.
Sowohl in Bezug auf Heilung als in kosmetischer Beziehung
sind die Operationsresultate vorzügliche. Das Wesentliche der
Killian sehen Methode besteht darin, dass er unter Erhaltung
einer Supraorbitalknochenspange (Erhaltung des oberen Randes
der Orbita aus kosmetischen Rücksichten) die ganze Vorderwand
und den Boden der Stirnhöhle reseziert, um eine Verödung der
starrwandigen Stirnhöhle zu erzielen. Durch die Resektion des
Stirnhöhlenbodens ist den Weichteilen der Orbita die Möglichkeit
gegeben, in die Stirnhöhle einzudringen und durch Anlagerung an
die zerebrale Wand derselben einen Teil der ursprünglichen Stirn¬
höhle auszufüllen. Im weiteren Verlauf der Operation wird der
Processus frontalis des Oberkiefers reseziert, wodurch eine aus¬
giebige Freilegung und Resektion der meist miterkrankten vorderen
und eventuell auch mittleren Siebbeinzellen ermöglicht und ein
breiter Zugang zu der Nase geschaffen wird. Wenn nötig, lässt
sich von dieser Stelle aus auch die Keilbeinhöhle in Angriff nehmen.
Bei Erkrankung beider Stirnhöhlen werden beide hintereinander
in einer Operation eröffnet und — im Gegensatz zu der früheren
Methode — das Septum interfrontale reseziert. Die ursprüng¬
liche Schnittführung in Y-Form wird bei beiderseitiger Stirnhöhlen¬
eröffnung zweckmässiger Weise durch je einen bogenförmigen
Schnitt unter Erhaltung einer Hautbrücke von der Glabella zur
Nase aus kosmetischen Rücksichten ersetzt. Die sehr instruk¬
tiven Abbildungen erleichtern wesentlich das Verständnis der
Operationsmethode.
4) K i 1 1 i a n - Freiburg i. Br.: Hilfsmittel für den laryngo-
rhinologischen Unterricht. Mit 7 Abbildungen. (Ibid.)
Zur Demonstration der komplizierten Verhältnisse der Nase
und ihrer Nebenhöhlen liess Killian ein Modell in vergrössertenn
Masstabe anfertigen, das ebenso Avie die übrigen in der Arbeit
abgebildeten Modelle zur Einführung in das Gebiet der Laryngo-
Rliiuologie und zur Einübung der Technik ein Avertvolles Unter¬
stützungsmoment bilden dürfte. Die Apparate und Modelle sind
von der Instrumentenfabrik F i s c li e r in Freiburg i/Br. zu be¬
ziehen und bestehen aus:
1. Phantom zur Einübung der Sondierungen unter Leitung
des Kehlkopfspiegels,
2. Bronchoskopiephantom und
3. Vorlesungsmodell der Nase und ihrer Nebenhöhlen.
5) Johann F ein- Wien: Zur Operation der adenoiden Wuche¬
rungen im Nasenrachen. Mit 6 Abbildungen. (Ibid.)
Angabe einer modifizierten Nasenrachenkürette. Die Aende-
rung besteht in einer bajonettförmigen Abknickung des Schaftes
und einer seitlichen Abbiegung des Griffes, wodurch ein grösserer
Aktionsradius ermöglicht Avird. Die in 3 Grössen angefertigten
Küretten sind durch H. Reine r, Wien I, Franzenring 22, zu be¬
ziehen.
0) u. 7) II e y m a n n - Berlin: Ein neuer Watteträger und
ein neuer Pulverbläser für den Kehlkopf. Mit 2 Abbildungen; und
R i c h t e r - Plauen i. AT.: Ein neuer Zerstäuber für Nase,
Bachen, sowie Kehlkopf. Mit 1 Abbildung. (Monatsschrift für
Ohrenheilkunde etc. 1902, No. 3.)
Abbildung und Beschreibung der betreffenden Apparate.
S) V e i s - Frankfurt a. M. : Ein Beitrag zum Verlaufe von
Larynxtuberkulose in der Gravidität. (Ibid. No. 4.)
Unter Bezugnahme auf das Referat Kuttners (cf. diese
Wochenschrift 1902, No. 1. S. 3S, Referat No. 10) berichtet V e i s
über einen Fall Aon Kelilkopflungenphtliise bei einer 23 jährigen
Primapara, bei der nach Ablauf der Schwangerschaft der tuberku¬
löse Prozess progredient fortscliritt und rasch unter hohem Fieber
zum Tode führte. Auf Grund der in der Literatur niedergelegten
diesbezüglichen Erfahrungen, denen sich V e i s’ Fall als weiterer
anschliesst, erblickt Autor in der b e g inne n d e n Larynxtuber¬
kulose bei nicht sehr weit vorgeschrittener Lungenerkrankung eine
absolute Indikation zur Einleitun g des Abortus.
9) Choussaud: Prothese mittels Paraffininjektionen.
(Methode Eckstein.) Mit 2 Abbildungen. (IieA'ue hebdoma-
daire de laryngologie etc. 1902, No. 13.)
Nach eingehender Besprechung der Geschichte und Entwick¬
lung der Paraffininjektionen empfiehlt Choussaud das neuer¬
dings von E ckstein venvandte Paraffin und berichtet an-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
1478
scliliessend über 2 nach dieser Methode behandelte Fälle aus der
M oure scheu Klinik, von denen der erste ein negatives, der zweite
ein schönes, positives Resultat ergaben. Die Krankengeschichten
sind in extenso angeführt, und die dem zweiten Fall beigefugten
2 Photographien des Kranken vor und nach der Injektion lassen
das schöne kosmetische Resultat durch Beseitigung der Sattelnase
gut erkennen. Den Schluss bilden Erwägungen über zweckmassi¬
gen weiteren Ausbau dieser Paraffin inj ektionstherapie auch an
anderen Teilen des Gesichtsschädels.
10) J o a 1 - Mont-Dore: Pharyngitis sicca und Morbus Brighti.
(lbid. No. 10.) ,.x _ . , .
J o a 1 weist erneut auf den Zusammenhang — ähnlich wie hei
Diabetes — zwischen Pharyngitis sicca und Nephritis hin. In all
den Fällen, in denen die Pharyngitis nicht die Folge einer etwa
bestehenden Nasen- oder Nasenrachenaffektion darstellt, sollte man
den Urin auch auf Eiweiss untersuchen, um eine im Entstehen be¬
griffene Nephritis möglichst frühzeitig zu diagnostizieren. Bis¬
weilen wird diese trockene Pharyngitis als Vorläufer einer Nephri¬
tis manifest, noch ehe Eiweiss im Urin nachgewiesen werden kann.
5 Krankengeschichten sind in extenso der Arbeit beigegeben.
11) Delli e-Ipres: Paraffininjektionen bei Difformitaten
der äusseren und Erkrankungen der inneren Nase. (Ibid. No. 2-.)
Die bisher angegebenen Methoden finden eine kritische Be¬
sprechung. Ausser bei den bereits früher erwähnten Difformitaten
des Nasengerüstes (Sattelnase etc.) konnte Autor auch durch su D-
m u k ö s e Paraffininjektionen unter die Schleimhaut der Nasen¬
muscheln Erfolge erzielen in den Fällen, in denen sei es durch
operative Massnahmen, sei es aus pathologischen Ursachen — eine
Atrophie der Muscheln und dadurch eine zu grosse Weite des
Cavum nasi bestand. So wurde z. B. bei der Rhinitis atrophica
durch submuköse Paraffininjektionen das Volumen der unteren
Muscheln dauernd vergrössert, und hierdurch eine Verengerung des
zu weiten Cavum nasi erzielt. Als Folge sah Autor die Stagnation
und Eintrocknung des Sekretes schwinden und auch die sekundäre
Pharyngitis sicca besser werden. Auch bei genuiner Ozaena sah
4utor durch eine gleiche Therapie wenigstens symptomatische
Besserung. Je nach dem Ort der Einspritzung (Haut, Schleimhaut)
und dem zu erreichenden Resultat muss die Zusammensetzung des
Paraffins eine verschiedene sein. Der Schluss der Arbeit enthalt
die Angabe des Instrumentariums und die Beschreibung der
Technik.
12) Brindel - Bordeaux: Neue Behandlungsmethode der
Ozaena mittels interstitieller Parafläninjektionen. (Ibid. No. -o.)
Auch in der M o u r e’schen Klinik wurden mit auffallendem,
raschem Erfolg Ozaenakranke mit Paraffininjektionen behandelt.
Das flüssige Paraffin wurde in die hinteren Enden der unteren
Muscheln injiziert, und der Effekt war neben Verengerung der
vorher zu Aveiten Nasenhöhlen eine Beseitigung der Sekretstag¬
nation, dadurch Ilintanhaltung der Krustenbildung und Verschwin¬
den des Foetors. Bei einigen der Kranken zeigte sich auch eine
Aenderung in der Qualität des Sekretes. Ob der Erfolg, der bei
einer Reihe von Kranken bereits mehrere Monate anhalt, ein
dauernder sein wird, muss die Zukunft ergeben. 10 Kranken¬
geschichten in extenso.
13) Sebileau: Die Tracheotomie zur Behandlung der
krikotrachealen Papillome. (Annales des maladies de l’oreille etc.
1002, No. 4.)
Im Anschluss an einen nach dieser Methode behandelten Fall
empfiehlt Sebileau bei ähnlichen Affektionen, auch bei Fremd¬
körpern, ein gleiches Vorgehen: Lagerung des Patienten nach
T rendelen b u r g, Fixierung und Hervorziehung der Trachea
mittels zweier vom Assistenten zu haltender Nähte, Operation
o h n e Kanüle und primären Nahtverschluss der Operationswunde.
14) T a p t a s - Constantinopel: Nebennierenextrakt bei intra¬
nasalen Operationen. (Ibid.)
T a p t a s operierte eine grosse Anzahl intranasaler Affektionen
(Kristen, Deviationen, papillomatöse Hypertrophien etc.) bei Ver¬
wertung einer Abkochung von Nebennierenextrakt unter voll¬
kommener Blutleere und schildert die hierdurch bedingten Vor¬
leih' gegenüber den bisherigen Massnahmen bei alleiniger Kokain¬
anästhesie. Er empfiehlt auch für Warzenfortsatzoperationen
Tamponade mit präparierter Nebennierenextraktgaze zur Vermei¬
dung der Blutung und grösserer Uebersichtlichkeit des Operations¬
feldes.
15) Licht w i tz - Bordeaux : Die Behandlung des Ohren-
und Nasenlupus mittels heisser Duft. (Archives internationales
de laryngologie etc. 1902, No. 1.)
Das von Holländer angegebene Instrumentarium zur
Iledsslufttlierapie ermöglicht es nicht, den Hitzegrad der Luft zu
messen und zu dosieren. Um diesem Mangel abzuhelfen, verwandte
Lichtwitz die von Lermoyez und Mahn bei der intra¬
nasalen Heisslufttherapie angegebenen Tuben und Apparate (cf.
(liest' Wochenschrift 1900, No. 43, S. 1588, lief. No. 5), an Stelle der
zum Betrieb verwandten komprimierten Luft den von ihm an¬
gegebenen „propulseur d’air chaud“. Diese Modifikation ermög¬
licht eine genaue Dosierung des Temperaturgrades der heissen
Luft, ein exakteres Arbeiten mit Erzeugung eines zirkumskripten
Brandschorfes unter Erhaltung Arorliandener gesunder Hautinseln.
Eine Erhitzung der Luft auf ca. 80° genügt zu einer erfolgreichen
Verschorfung. Die Heissluftapplikation ist wenig schmerzhaft
und erfordert keine allgemeine oder lokale Anästhesie; der Opera-
tionsnachsclnnerz ist unbedeutend. Die Heilung der Schorfe er¬
folgt rasch ohne entstellende Narbenbildung. Ob die bis jetzt er¬
folgreich behandelten Fälle als dauernd geheilt zu betrachten sind,
lässt sich erst nach einer längeren Beobachtung über eine Reihe
von Jahren hin beurteilen.
IG) Mignon-Nizza: Die B-olle der Nasenhöhlen in der
Prophylaxe und Behandlung der Lungen- und Kehlkopf tuber¬
kulöse. (Ibid. No. 2.)
Unter Berücksichtigung der physiologischen Bedeutung der
Nasenatmung (Reinigung und Erwärmung der Respirationsluft,
Sättigung mit Wasserdämpfen), der bakteriziden Eigenschaft des
Nasenschleimes und der, im Vergleich zu den weiteren Ab¬
schnitten des Respirationstraktus, relativen V iderstandsfähigkeit
des Cavum nasi gegen die Tuberkulose macht Mignon auf die
Bedeutung der ausschliesslichen Nasenathmung als 1 lopli.A lakti-
kum aufmerksam und weist auf die Vorzüge hin, die auch bereits
an Tuberkulose erkrankten Personen die freie Nasenatmung im
Gegensatz zu der Mundatmung gewährleistet.
Hecht- München.
Inaugural-Dissertationen.
Universität Göttingen. April— August 1902.
9. Abesser M.: lieber die Herkunft und Bedeutung der in den
sogen. Naevi der Haut vorkommenden Zellhaufen.
10 Axmacher F. : Beitrag zur Behandlung der Sklerose der
Paukenhöhle, mit besonderer Berücksichtigung des Pilokarpins.
11. Bahr F.: Ein Beitrag zur Lehre von den Fremdkörpern in
der Harnblase. .
12. Bennecke A.: Beitrag zur Kenntnis der Parovarialcystome.
13. Berkofsky K.: Vergleichversuche zwischen Jodipin- und
Salometliode.
14. Faber O.: Beitrag zur Statistik der Klappenfehler des
rechten Herzens.
15. G ä de k e II. : Ueber die chirurgische Behandlung von Varizen
und varikösen Geschwüren des Unterschenkels.
IG. Graff A.: Ein Fall von KLeinhimtumor. Beitrag zur Sym¬
ptomatologie und Diagnostik der Kleinhirngeschwülste.
17. II ei ne mann A.: Zur Statistik der in der medizinischen
Klinik zu Göttingen beobachteten Fälle von akuten und chro¬
nischen Intoxikationen.
IS. Heissmeyer L.: Beitrag zur Statistik der Pleuritis.
19* Nit sc he P.: Ueber Gedächtnisstörung in zivei Fällen von
organischer Gehirnkrankheit.
20. Reinhard F.: Beitrag zur Kasuistik der operativ be¬
handelten Fälle von Cholelithiasis.
21. R u 11 g e C. : Ueber die Basedow sehe Krankheit.
22. Schl epegrell J.: Ueber Tuberkulose der Mundhöhle.
23. G. Schulze: Beitrag zur Statistik der Herzklappenfehler
auf Grund der vom 1. April 1882 bis zum 21. Dezember 1900 in
der medizinischen Klinik zu Göttingen beobachteten Fälle.
24. S a 1 i e H. : Ueber die Erfolge der Tuberkulinbehandlung bei
Konjunktivaltuberkulose.
25 Wolter-Peksen J. : Die Fälle von Diabetes mellitus, be-
’ handelt in den Jahren 1888—1900 in der Kgl. medizinischen
Universitätsklinik zu Göttingen.
Universität Kiel. Juni und Juli 1902.
71. Krücke Ludwig: Ein Fall von eitrig entzündeter Pacliy-
meningitis haemorrliagica bei Diphtherie.
72. Küchenho f f Norbert: Ueber den otitischen Gehirnabszess
und seine Folgeerscheinungen, insbesondere die sensorische
Aphasie.
73. Waltermann Anton: Die Laparotomie bei Darminvagina-
tion im Kindesalter.
74. Grevsen Lauritz: Ueber die in der Kieler chirurgischen
Klinik im Etatsjahre 1899/1900 vorgekommenen Fälle von
Herniotomie.
75. Krause Paul: Zur Kasuistik der Exstirpation des Ganglion
Gasseri. Mitteilung eines Falles aus der Kieler chirurgischen
Klinik, bei welchem die Operation in imgewöhnlicher Weise
und mit gutem Erfolge vollzogen wurde.
7G. Meyer Fritz: Ueber die Endresultate der operativen Behand¬
lung tuberkulöser Lymphome.
77. W agener Oskar: Ueber die Methoden der Freilegung des
Herzens zur Vornahme der Naht nach Verletzungen.
7S. W i 1 p Johannes: Zur Kasuistik der Kukullarislähmungen.
79. D e i t m e r Franz: Ueber einen Fall von fötaler Peritonitis.
80. Müller Reinhold: Die Gallensteinoperationen der chirur¬
gischen Klinik zu Kiel aus den Jahren 1899 — 1901.
81. II off mann Wilhelm: Zur Kasuistik der Duodenalstenose
und deren Behandlung durch Gastroenterostomie.
82. Leefhelm Friedrich: Ein Fall von Epitheliom des Unter¬
kiefers nebst Bemerkungen über die Epitheliome der Kiefer
im allgemeinen.
83. Bergemann Walter: Ueber die in der Kieler chirurgischen
Klinik in den Etatsjahren 1899/1900 vorgekommenen Fälle
von Osteomyelitis acuta.
84. L iihmann Otto: Ein Fall von Spindelzellensarkom des
Uterus mit multipler Metastasenbildung.
85. Nicks Wilhelm: Zwei Beiträge zur Kasuistik der Tuber¬
culosis heniiosa.
8G. Sauer Fritz: Ueber einen eigentümlichen Fall von Luxatio
patellae lateralis. Absprengung eines Stückes von der Patella
und Verhakung derselben an der Kaute des Condylus externus
femoris. _
2. September 1902.
MTJENCHENER MEDIC1NISCHE WOCHENSCHRIFT.
1479
87. Ti t schack Fritz: Zur Kasuistik des Mal perforant du pied
mit besonderer Berücksichtigung der hereditären Anlage.
88. Buchholz Otto: Bruchoperationen bei Kindern in den ersten
zwei Lebensjahren.
89. Mehnert Gottreich: Ein seltener Fall von Splitterfraktur
der oberen Tibiaepiphyse mit Zerreissung der Arteria poplitea
und nachfolgender Gangrän des Unterschenkels bei einem
Tabiker.
90. Müller Heinrich: Ueber die in der Kieler chirurgischen
Klinik in den Jahren 1S99, 1900 und 1901 beobachteten Fälle
von Kryptorchismus.
91. Roosen-Runge Caesar: Ueber die Bedeutung des Trauma
in der Aetiologie der disseminierten Fettgewebsnekrose.
92. W aldschmidt Max: Ueber die Erfahrungen bei der opera¬
tiven Behandlung von Retrodeviationen des Uterus durch Ver¬
kürzung und Fixation der Ligamenta rotunda.
Universität Leipzig. Oktober 1901.
97. Gebhardt Curt: Chloroform oder Aether?
98. K weiter Fritz: Ueber die Hernien der Linea alba.
99. Piltz Max: Die Kompressionsfrakturen der Wirbelsäule.
100. Rabe Wilhelm: Ueber die therapeutische Verwendung des
Aspirin (Acetylsalizylsäure).
101. Schafe r Heinrich: Ein Beitrag zur Kasuistik des primären
Tubenkarzinoms.
102. St oh mann Friedrich: Behandlung der Endometritis post
abortum und post partum mit intrauteriner Formalinätzung.
103. Wagner Abraham: Ein Beitrag zur Diagnose des Darm¬
krebses.
November 1901.
104. Jacobi Siegfried: Ueber Gravidität im rudimentären Horn
des Uterus bicornis.
105. Kanin Nathan: Ueber chirurgische Analgesie mittels Ivo-
kainisierung des Rückenmarkes.
100. Magnus Fritz: Ueber Schleimhauterysipele der Luftwege.
107. So liege Max: Beitrag zur Behandlung des Gebärmutter¬
krebses am Ende der Schwangerschaft.
108. Winter Bruno: Ein Fall von Cysticercus cellulosae im
III. Ventrikel des Gehirns.
109. Grund mann Paul: Fibromyom der vorderen Scheiden¬
wand mit Druckusur derselben.
110. Heilemann Hugo: Das Verhalten der Muskelgefässe
während der Kontraktion.
111. Iv aulfers Karl: Ueber einen Fall von lumbo-sakral-kypho-
tischem Becken.
112. Itöhrig Martin: Ueber den angeborenen Verschluss des
Tkarynx und des Oesophagus.
113. Sam 1 and Fritz: Zur operativen Behandlung der Granulöse
unter besonderer Berücksichtigung der gegen dieselbe ge¬
machten Einwände und der Rezidivfrage.
114. Bamberg Johannes: Beiträge zur Lehre vom primären
Leberkarzinom.
Dezember 1901.
115. Cassens Wiard: Zur Totalexstirpation des Kehlkopfes
wegen Karzinom.
11G. Böckelmann Carl: Gleichzeitiges Vorkommen von Kar¬
zinomen der Ovarien und des Uteiruskörpers.
117. Hentzschel Arthur: Ueber Uterusabszess und die Fähig¬
keit der Gonokokken, Bindegewebe und Muskulatur eitrig ein¬
zuschmelzen.
118. Prinz Leopold: Ueber klassischen Kaiserschnitt bei
Eklampsie.
119. Seiler Franz: Ueber Spätepilepsie.
120. T idem an Hermann: Ueber die Indikation der Entfer¬
nung des zweiten Ovarium bei Tumorbildung des anderen
Ovarium.
121. Weiss Hugo: Das Wesen der wichtigsten Störungen der
Magentätigkeit bei der chronischen Lungenschwindsucht.
(Preisgekrönte Arbeit.)
122. Schiff Fritz: Ueber einen Fall von Symblepharon con-
genitum des linken Oberlides, verbunden mit Syndaktylie und
Hypospadie.
ioi' Rrand.es Richard Max: Amputatio foetus intrauterina.
24. K er k siek Wilhelm: Ueber Dysenterie-Leberabszess in
Kamerun.
125. Overhof Heinrich: Zur Therapie des Uterus, speziell des
Portiokarzinoms.
12G. Z o 1 k i Leo: Beiträge zur Lehre von den gutartigen Tumoren
der Mandel.
ml' ülemm Richard: Beitrag zur Maladie des Tics impulsifs.
i-S. Key her Paul: Die Beziehungen zwischen der klinischen und
190 t)aktei’iellen Aetiologie der Pleuritis.
-9. N eu m ann Wladislaus: Ueber progressive perniziöse Anä¬
mie, mit Berücksichtigung von 30 Sektionsfällen aus dem
pathoiogisch-a-mitomischen Institut zu Leipsig aus den Jahren
1889—1899.
Io0. Mehlhorn Werner: Ein Beitrag zu der Lehre von den
Hautödemen.
Januar 1902.
o p ü li n e Walther: 8 Fälle von Pankreaskrebs.
— R all u sen Hermann: Ueber die verschiedenen Methoden der
abdominellen Totalexstirpation des Uterus.
3. Scliinze Wilhelm : Beitrag zur kongenitalen Lungeu-
syphilis.
Februar 1902.
4. v. Beesten Heinrich Alexander: Kasuistischer Beitrag zur
Lehre von der Magen Verletzung.
5. Fl ist er Willi: Ueber Schussverletzungen peripherer Nerven.
G. Heuer Klemens: Ueber Hufeisenniere.
7. Littauer Max: Ueber den Regenerationsmodus der Leuko-
cyten.
8. Töpfer Hans Willi: Ueber Muskeln und Knorpeln in den
Tonsillen.
9. Apelt Friedrich: Ueber die Endotheliome des Ovariums.
10. C o h n 1 ictor: Ein Fall von Hernia diaphragmatica congenita
beim Kinde als Beitrag zur klinischen Diagnose.
11. H o m a n n Paul: Ueber Bubonen und ihre neuere medikamen¬
töse Therapie, insbesondere Mercurcolloid.
12. Schwinke Siegfried: Beitrag zur Kenntnis der Adams-
Stokes sehen Krankheit.
13. Tribukait Clemens: Ein Fall von Ovarialdermoid bei
gleichzeitig bestehendem infantilem Habitus der Genitalorgane.
14. Tugendreich Gustav: Der Krebs in den Provinzen Ost-
und Westpreussen (Beitrag zur Krebsstatistik).
15. E b e r s b a c h Hugo: Ueber ein Ureterdivertikel.
IG. Kaiserling Otto: Zur Lehre der chronischen Myositis.
17. Krüger Johannes: Ueber Chorea gravidarum.
18. Raffel Richard: Ueber die Aetiologie der traumatischen
Syringomyelie.
19. W olt ha us Heinrich: Ein Beitrag zur Therapie des chro¬
nischen Ekzems.
20. Zimmermann Reinhard: Ueber die Glyzerinbehandlung
der Nephrolithiasis.
Vereins- und Kongressberichte.
Verein Freiburger Aerzte.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 27. Juni 1902.
Herr K i 1 1 i a n: Demonstration eines Nasenphantoms.
Herr v. Eicken berichtet über einen in der laryngo-rhi uo-
logisclien Universitätsklinik in Freiburg i/Br. beobachteten Fall
von Sarkom des Oesophagus, welches unter dem Bilde eines tief¬
sitzenden Speiseröhrenabszesses verlief. Als erstes Symptom trat
intensiver Schluckschmerz auf, zu dem sich bald Fieber und stei¬
gendes Unvermögen zu schlucken gesellten. Später wurde viel
Eiter von üblem jauchigen Geruch und nekrotische Gewebsfetzen
ausgewürgt. In den letzten Tagen erfolgten schwere Blutungen
aus der Speiseröhre, wegen derer noch die Gastrostomie vorge¬
nommen wurde. Die anatomische Diagnose lautete auf: Phleg¬
mone oesopliagi dissecans. Erst die mikroskopische Untersuchung
klärte die Sachlage auf. Es handelt sich um ein von der Sub¬
mukosa ausgehendes, zwischen Mukosa und Muskularis hinein¬
wucherndes mischzelliges Sarkom, welches grosse Tendenz zu
nekrotischem Zerfall zeigt. Neben Spindelzellen finden sich mittel-
grosse und zum Teil sehr grosse runde und ovale Zellen mit grossen
Kernen, von denen viele meist atypische Mitosen aufweisen;
ausserdem zahlreiche Riesenzellen.
(Der Vortrag erscheint in extenso in der Deutsch. Zeitsclir.
f. Chir.)
Herr Ziegler: Ueber Rhachitis und Osteomalacie. Mit
Projektionsbildern.
Rhachitis und Osteomalacie zeigen die gemeinsame Er¬
scheinung, dass das Skelett in mehr oder minder grosser Aus¬
breitung weich und nachgiebig oder auch abnorm brüchig wird,
Bei der Rhachitis wird dies im allgemeinen darauf zurückgeführt,
dass sich statt eines festen Knochens nur osteoides Gewebe bildet,
bei der Osteomalacie soll dagegen eine Entkalkung des vor¬
handenen Knochens stattfinden. Es fehlt indessen nicht an
Autoren, welche annehmen, dass auch bei der Osteomalacie das
kalklose Knochengewebe neu gebildet sei, oder dann wenigstens
neben der Entkalkung des alten Knochens auch eine Neubildung
von osteoidem Gewebe vorkomme. Es wird ferner auch die Mei¬
nung vertreten, dass bei Kindern neben der Neubildung von
osteoidem Gewebe auch eine Entkalkung von bereits aus¬
gebildeten Knochen, eine Osteomalacie, vorkomme.
Herr Ziegler weist unter Demonstration von Projektions-
bildem nach, dass in der Tat Rhachitis und Osteomalacie ein¬
ander näher .stehen als gewöhnlich angenommen wird.
Eine Entkalkung von alten Knochen ist bei der Osteomalacie
festgestellt und bildet eine charakteristische Erscheinung. Da¬
neben kommt aber auch eine Neubildung von osteoidem Gewebe
vor, und zwar nicht nur da, wo Brüche, Knickungen und Bie¬
gungen des Knochens eingetreten sind, auch nicht nur da, wo der
Knochen häufigen Stosswirkungen ausgesetzt ist, sondern auch
da, wo solche mechanische Einwirkungen nicht angenommen
1480
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
werden können, so z. B. in der Diploe des Schädeldaches. Ein¬
geleitet werden diese osteoiden Gewebsneubildungen durch eine
Wucherung des Periostes und des Endostes, wobei im Innern des
Knochens das Mark durch eine von der bindegewebigen Be¬
deckung der Knochenbalken ausgehenden fibrösen Gewebsneu¬
bildung verdrängt wird.
Bei Rhaehitis tritt die Bildung von osteoidem Gewebe in
den Vordergrund und findet sich sowohl periostal als auch
endostal. Manche Bilder sprechen dafür, dass auch, neben ge¬
wöhnlicher Knochenresorption durch Osteoklasten, eine Hali-
sterese, eine Entkalkung fertiger Knochen verkommt, doch stösst
der sichere Nachweis dieses Vorganges auf grosse Schwierig¬
keiten. Die Neubildung des osteoiden Gewebes vollzieht sich in
derselben Weise wie bei der Osteomalacic. Zellig fibröse V uehe-
rungen des Periostes und des Endostes leiten den Prozess ein;
das osteoide Gewebe entsteht innerhalb dieses Gewebes durch
metaplastische Vorgänge. Die bekannten Wachstumsstörungen
an den endochondralen Ossifikationsgrenzen der knorpelig prä-
formierten Knochen sind Folgezustände der pathologischen V u-
cherung des Endostes und Periostes, welche an den Diaphyscn-
enden einen besonders hohen Grad zu erreichen pflegt.
Die V orgänge am Knochen sind darnach bei Osteomalacie
und bei Rhaehitis einander sehr ähnlich. Die bestehenden \ er-
schiedenheiten lassen sich darauf zurückführen, dass bei der er-
steren fertig entwickelter oder bereits in Rückbildung begriffener
Knochen, bei der letzteren wachsender Knochen erkrankt.
Die Annahme einer nahen Beziehung zwischen Osteomalacie
und Rhaehitis wird sodann auch durch experimentelle Unter¬
suchungen von Morpurgo unterstützt. M o r p u r g o, unter
dessen weissen Versuchsratten sich zahlreiche Fälle von .Osteo-
malacie zeigten, konnte aus dem Organismus der erkrankten
Ratten einen Kokkus züchten, dessen Einimpfung bei alten
Ratten eine der Osteomalacie, bei jungen Ratten eine der Ilha-
chitis entsprechende Knochenkrankheit erzeugte. I ibröse Wu¬
cherungen des Periostes und des Endostes, die zur Bildung
osteoiden Gewebes führten, zeigten sich in ähnlicher Weise wie
bei der Rhaehitis und der Osteomalacie des Menschen. Ob die
Rhaehitis und die Osteomalacie des Menschen die nämlichen Ur¬
sachen haben, lässt sich zurzeit nicht sagen. Wahrscheinlich ist,
dass die Erkrankungen des Periostes und des Endostes, welche
bei demselben Vorkommen, durch toxisch wirkende Schädlich¬
keiten, die vielleicht, wie bei den Ratten, die Produkte einer oder
verschiedener Infektionen sind, zu stände kommen. Die Ur¬
sache der Skeletterkrankung in einer mangelhaften Kalkzufuhr
zu suclten und darnach die therapeutischen Massnahmen zu
treffen, dazu bietet das genauere Studium des Wesens der Er¬
krankungen keinerlei Handhabe, sie scliliesst vielmehr die Rich¬
tigkeit der darüber aufgestellten Hypothesen aus.
(Autoreferat.)
Psychologisch-forensische Vereinigung in Göttingen
Im Laufe des Sommersemesters sind eine Anzahl praktischer
Juristen und Aerzte, soAvie Angehörige der juristischen, philo¬
sophischen und medizinischen Fakultät unserer Hochschule zu
einer: Göttinger psychologisch - forensischen
V e reinig u n g zusammengetreten, welche sich die Erörterung
der Grenzgebiete ZAvischen Philosophie, Medizin und Jurisprudenz
zur Aufgabe gestellt hat, d. h. die Besprechung solcher wissen¬
schaftlicher und praktischer Fragen, welche für mindestens ZAvei
der bezeichneten Gebiete von Interesse sind.
Es sollen in jedem Semester ca. 2 Versammlungen stattfinden,
bei denen aus einem der erwähnten Gebiete ein Vortrag gehalten
wird, dem sich freie, zwanglose Diskussionen anscliliessen.
Bei der am 1. Juli stattgehabten ersten Versammlung fanden
sich eine grosse Anzahl AA'issenschaftlicher und praktischer Ver-
treter der erwähnten Berufe ein.
Zum Vorsitzenden wurde Landgerichtspräsident H einrot li.
zu seinen Vertretern Prof. Dr. E. Müller (Psychologie) und
Prof. Dr. Craiuer (Psychiatrie) gewählt. Die Kassenführung
besorgt Prof. Dr. jur. v. II i p p e 1, die Schriftführung Privatdozent
Dr. med. Weber.
Sodann hielt Prof. C r a m e r den angekündigten Vortrag
über: Die sogen. Degeneration im Zusammenhang mit dem Straf-
und Zivilrecht.
Vortragender versteht unter „Degeneration“ eine angeborene
minderwertige Veranlagung des Individuums in körperlicher und
dadurch auch in psychischer Beziehung. Die durch die Beobach¬
tung festzustellenden Zeichen der Degeneration sind die als kör¬
perliche „Stigmata“ bezeichneten bekannten Entwicklungs¬
hemmungen einzelner Organe, AA'ie Gesichts-, Schädel-, 1 Un¬
bildung etc. Für sich allein haben die körperlichen Degenerations¬
zeichen keine besondere pathologische Bedeutung, wie ihr Vor¬
kommen bei vielen völlig normalen und leistungsfähigen Menschen
beweist. Viel Aviclitiger sind die „psychischen Stigmata“, AA’orunter
Vortragender alle Formen von Nerventic, ferner gewisse mit Angst
einhergehende ZAvang’szustände (auch konträrsexuelle Empfin¬
dungen), endlich Defekte auf einzelnen Gebieten des geistigen
Lebens zusammenfasst. Zu den letzteren gehören namentlich aus¬
gesprochene ethische Defekte bei erhaltener oder sogar hochent¬
wickelter Intelligenz, besondere Begabung für einen bestimmten
WisseuszAA'eig bei ausgesprochener l nfäliigkeit auf anderen Ge¬
bieten des AllgemeiiiAvissens; dann eine geAvisse Disharmonie in
der ganzen Lebensführung, eine stark hervortretende Impulsivität
des Handelns, Züge, Avelclie namentlich die sogen. Degeneres
superieures (..Instahles. Desetiuilibres“) der I ranzoseii kenn¬
zeichnen. Das Vorhandensein eines oder des anderen, namentlich
der körperlichen Degenerationszeichen rechtfertigt es noch nicht,
ein Individuum als Degenerierten zu bezeichnen. Es bedarf dazu
der Häufung einer Anzahl A’on körperlichen und psychischen De¬
generationszeichen. Ein derartiger Degenerierter ist aber noch
nicht geisteskrank im medizinischen oder juristischen Sinne. Je¬
doch wird der Strafrichter nicht selten dazu kommen, einem der¬
artigen Menschen mildernde Umstände zuzubilligen, wenn der
Sachverständige eine Häufung solcher Degenerationszeichen,
namentlich auch psychischer, bei ihm nachweist.
Dagegen können auf dem Boden der Degeneration leicht
Geisteskrankheiten entstehen, Avelclie in ihrem Verlauf, ihren Sym¬
ptomen mancherlei für ihre Entstehung charakteristische Zeichen
auf weisen. Diese Kranken unterliegen natürlich in zivil- und
strafrechtlicher Hinsicht denselben Bestimmungen wie die übri¬
gen, aus einer anderen Ursache geisteskrank Gewordenen. I einet
haben die Degenerierten die Eigentümlichkeit, dass sie unter be¬
sonderen Verhältnissen, namentlich unter der Einwirkung irgend-
Avelcher schädlicher Beize, den Anforderungen, welche an ihre
geistige Leistungsfähigkeit gestellt Averden. eher versagen, als
nicht degenerierte Individuen. Solche besondere Reize sind hoch¬
gradige Affekte, Alkoholgenuss (besonders bei den Intoleranten),
und bei Frauen die Zeiten der Menstruation und Schwangerschaft.
Liegen bei einem Degenerierten derartige Momente zur Zeit
der Begehung einer strafbaren Handlung vor, so wird der Sach¬
verständige häufig zu dem Schluss kommen, dass einer der Zu¬
stände des § 51 Str.-G.-B. A’orliegt.
Vortragender Aveist dann darauf hin, AA’ie bei allen Begut¬
achtungen solcher Grenzzustände eine strenge Individualisierung
erforderlich ist. Damit, gelingt es aber auch, auf Grund der v o r -
h a. n d e n e n gesetzlichen Bestimmungen jedem einzelnen Fall
gerecht zu Averden. W e b e r - Göttingen.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 28. Mai 1902.
Vorsitzender : Herr C. F raenkel.
Herr Franz: Demonstration einiger junger menschlicher
Eier.
Herr Franz bespricht die Aron Peters an einem jungen
menschlichen Ei und die vom Grafen Spee am MeerscliAvem-
ehenei gefundenen Vorgänge bei der Eieinbettung. Dann demon¬
striert. er 2 schwangere Uteri mit Eiern, einen von der 3. — 4. Woche
und einen vom 3. Monat der Gravidität. Ausserdem zeigt er mikro¬
skopische Durchschnitte durch Uterus und Ei vom 3. SchAvangci-
schaftsmonat, Zeichnungen über Plazentarentwicklung und die
Verhältnisse der Eihäute in den ersten Monaten der Schwanger-
schaft. ..
Besprechung: Herr F raenkel hebt hervor, dass die
vom Vortragenden erwähnte rasche und tiefgreifende Zer¬
störung der Schlei m h a u t des Uterus durch das sich
einbettende Ei einigermassen auffällig erscheine, und richtet die
Frage an den Vortragenden, ob diese Beobachtung über jeden
Zweifel sichergestellt sei.
Herr F r a n z bejaht dies, da soavoIü Peters Avie Graf S p e e
diesen Vorgang in der nämlichen Weise hätten konstatieren
Herr F r a e n k e 1 fragt weiter, ob schon ettvas genaueres
über die Zeit bekannt sei, die beim Menschen bis zur Einbettung
des Eies verstreicht.
Herr F r a n z erwidert, dass das nicht der Fall, dass man
hier vielmehr auf Schätzungen angeAviesen sei.
Herr Tscliermak bemerkt zu der ersten Frage des Herrn
F raenkel, dass im Hühnereiweiss bereits ein tryptisclies Fer¬
ment nacligeAviesen sei (G a y o n 1875 und besonders M r o -
czoAvski 1889), welches auch einen zerstörenden Einfluss aut
das benachbarte GeAvebe ausüben könnte.
Herr F r aenkel hebt demgegenüber hervor, dass der Körper
doch sonst über einen goAvisscn Selbstschutz gegen Substanzen
A’erfiige, die er hervorbringe, wenn denselben auch sonst schäd¬
liche Eigenschaften inneAvohnten.
Herr Fries erinnert zu der Frage, A'on welchen Einflüssen
die Einbettung des Eies abhänge, an neuere Untersuchungen, die
an eine von dem verstorbenen Breslauer Embryologen B o r n
2. September 1902.
'.! i’ IHN KR JV1 EDI CIN I S( M IE WOCI I ENSCIIRIFT.
1481
hmterlassene Vorstellung anknüpfen, dass nämlich (las Corpus
luteum verum als eine Drüse mit innerer Sekretion zu betrachten
sei und in das Blut diejenigen Stoffe abzusondern habe, welche
den 1 terus für die Anheftung des Eies vorbereiten und überhaupt
den Anstoss zu den die Gravidität begehenden Veränderungen im
Organismus gebe. Diese Idee sei von Fränkel und Colin in
Breslau experimentell verfolgt worden und das im „Anatomischen
Anzeiger" (Nov. 1901) vorläufig mitgeteilte Ergebnis ihrer an
Kaninchen angestellten Untersuchung gehe dahin, dass tatsächlich
das Luteingewebe des Ovariums die Funktion besitze, die In¬
sertion des Eies im Uterus zu veranlassen und bei Entfernung
der Corpora lutea die Einnistung ausbleibe. Ob sich dieses Er¬
gebnis bei weiterer, sicher notwendiger Nachprüfung bestätigen
werde, bleibe freilich abzuwarten.
Herr Urfey: Ueber Placenta marginata und circurn-
vallata. (Mit Demonstrationen.)
Nach einer kurzen Schilderung des anatomischen und kli¬
nischen Verhaltens werden an der Hand mehrerer Schemata die
bisherigen Theorien über die Entstehung dieser Anomalie er-
läutert. Urspiünglich hielt man das Ganze für einen ringförmig
auftretenden weissen Infarkt, der durch entzündliche Verände¬
rungen der Uterusschleimhaut bedingt sei. v. II e r f f u. a. gehen
von der Annahme aus, dass bei der Plazentarbildung ausser der
beiotina die benachbarte Partie der Vera herangezogen werde,
indem letztere durch die exzentrisch in sie eindringenden Zotten
gespalten und aufgerollt werde. Das Choriun solle dann erst
sekundär über diese neu hinzugewonnenen Partien hinüber-
wachsen. Bei bestehender Endometritis werde es aber daran ge¬
hindert, indem dann schon frühzeitig eine fibrinöse Verklebung
von Vera und Reflexa an dieser Stelle eintrete. Nach Klei n
soll am Aufbau der Plazenta ausser der Serotina der „Rand-
reflexa benannte, besser entwickelte und drüsenreiche Nachbar-
abschnitt der Reflexa beteiligt sein. Wird dieser Teil infolge
endometritischer Prozesse schwartig verdickt und starr, so kann
sich das wachsende Ei erst weiter oberhalb ausdehnen, wird aber
schliesslich doch bei immer zunehmendem Innendruck den Wider¬
stand der Randreflexa überwinden, sie nach aussen umklappen
und so den wallartigen Rand entstehen lassen. Die allen bis¬
herigen Theorien gemeinschaftliche Annahme einer alten Endo¬
metritis dürfte wohl oft schwer zu beweisen sein, ebenso wie das
gürtelförmige Auftreten dieses Prozess.es. Plausibler scheint eine
auf Wachstumsbehinderung fussende Erklärung, auf die u. a. be¬
reits Ahlfeld aufmerksam gemacht hat. Wir fanden bei Pla¬
centa marginata fast immer den Plazentaransatz in einem stark
ausgebildeten Uterushorn. Wenn dies Horn in den ersten
Schwangerschaftsmonaten stärker wächst als der übrige Uterus¬
körper, muss an der Uebergangsstelle eine Stauchung der Eihäute
stattfinden. Das Chorion und eventuell auch das Amnion wer¬
den eine Falte bilden, in welche von aussen die Reflexa hinein-
iagt. Diese kalte haben wir bei allen Marginatae leicht nach-
weisen und durch Auseinanderziehen des Chorion ausgleichen
Können. (Das Nähere wird mit dem Ergebnis der mikroskopi¬
schen Untersuchung anderweitig ausführlich veröffentlicht
werden.)
. Herr B u m m: Zur Therapie der Eklampsie. (Der Vortrag
wird in dieser Wochenschrift veröffentlicht.)
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 24. Juni 1902.
Vorsitzender : Herr Curschma n n.
Schriftführer : Herr B r a u e r.
, , 'lei'r Möllmann: Demonstration zum Katheterismus
uei u reteren.
,im. ,IUT K ° 1 1 m a n n demonstrierte ein für den Katheterismus
in-.,1,'1’.™ bestimmtes neueres Oystoskop, welches — wie das
,\<n,llte .'"»ffcre Modell von Casper — 2 elastische Ufeter-
1,1 Mcacüzeitig in sich birgt. Das K.sche Instrument ist
7 „ . nach dem gleichen Frinzipe gebaut wie sein älteres nur
i erneu Katheter bestimmtes Instrument (siehe z. B. Nitze-
S,mfIaiooA?CheS CentraJbl. f. d. Kränkln d. Harnorgane, I.Bd., II. 9,
L1 . Mso wie jenes einen Verschlussehieber und
Tv ‘ ,'snahüie der Optik in allen Teilen auskochbar.
Die Einrichtung, welche es ermöglicht, das Cystoskop statt
‘ m.e“ omzigen Katheter gleichzeitig mit zwei solchen zu ver-
das« ei?.e iehv. einf<acke; sie besteht in der Hauptsache darin,
A, i . 1 10 in’ : bchieberdeckel abgeschlossene Katheterrinne eine
‘ ' i|*t‘ Ai'-o!?*1 erhielt’ durch welche dieselbe in eine linke und eine
IPilff > U Oe getrennt wird. Die periphere Fortsetzung der beiden
m geschieht in zwei gesonderten Rohren, deren Konstruktion
aber eine andere ist, als diejenige, wie sie bei dem älteren In¬
strument das einfache Rohr trug. Bei der älteren Einrichtung
bestand dieses Ende der Kathetei-führung aus 3 Teilen, während
bei der neueren Einrichtung nur ein einziger Teil vorhanden ist
welcher sich, abgesehen von den 2 Richtungsmuffen, nicht weiter
zerlegen lässt; seine Befestigung am peripherischen Teil des
Soliieberdeckels geschieht durch eine einfache Schraubvomchtuug
Diese neue Konstruktion soll, iveil sie einfach ist und trotzdem
Genügendes leistet, daher künftighin für diejenigen Instrumente,
welche nur einen Katheter in sich tragen, benutzt Averden.
K. liess das beschriebene Instrument weniger darum au-
feitigen, A\eil er glaubte, dass Cystoskope für ZAArei Ureterkatlieter
Besseres leisten als solche mit einem einzigen, sondern mehr um
einer gegenwärtig herrschenden Geschmacksrichtung eine Kon¬
zession zu machen. K. glaubt, dass die öftere Nachfrage nach
derartigen Instrumenten in der Hauptsache dem Umstande zuzu¬
schreiben ist, dass Casper, der erste Erfinder dieser neueren
Modelle, zugleich derjenige war, der das meiste wichtige klinische
Beobaehtungsmaterial jüngeren Datums über den fraglichen
Gegenstand geliefert hat. Ein Umstand durchaus nicht neben¬
sächlicher Art spricht sogar zu Gunsten derjenigen Uretercysto-
skopo. Avelehe nur einen Katheter besitzen; er ergibt sich am
schnellsten aus dem folgenden Zahlenvergleich, Avelcher absolut
genommen natürlich nur für die hier erwähnten K. sehen In¬
strumente, relativ genommen aber auch für alle anderen Gültig¬
keit hat; Gesamtumfang des für einen Katheter bestimmten In¬
strumentes 25 Charr.; Stärke des hierzu benutzbaren elastischen
Katheters 7 Charr. Gesamtumfang des für 2 Katheter bestimmten
Insti umentes -< ( harr. ; Stärke jedes einzelnen der ZAvei hier¬
für benutzbaren elastischen Katheter 5 Charr.
Das ^ für 2 Katheter bestimmte Instrument ist also um
2 Charrierenummern im Gesamtumfange dicker als das andere,
jeder der 2 elastischen Katheter jedoch um 2 Cliarrierenummerii
dünner als der des einfachen Instrumentes. Bei dem alten ein¬
fachen Instrument ist sonach die Möglichkeit gegeben, trotz eines
geringeren Gesamtumfanges des Cystoskops einen dickeren ela-'
stischen Katheter zu benutzen, was jedes für sich einen Vorteil
bedeutet.
Ueber die Anwendungsart des neuen Modells ist nichts beson¬
deres zu sagen; sie ist genau die gleiche Avie hei dem Casper -
sehen jüngeren Modell. Bezüglich des älteren einfachen Instru¬
mentes möge aber hier noch bemerkt werden, dass sich seine Hand¬
habung auch bei Einführung eines zweiten Katheters als wirk¬
lich recht leicht herausstellt. Die Notwendigkeit, das Cystoskop,
nachdem der eine Katheter herausgehoben ist — es geschieht dies
bekanntlich durch Herausziehen des Deckels und Wiederein-
schieben desselben unterhalb des Katheters — , mit einem zweiten
elastischen Katheter zu versehen, bedingt nicht eine Unannelim-
keit, welche in Betracht kommt.
Das neuere Instrument stammt, ebenso Avie das ältere aus
der mechanischen Werkstatt von C. G. Heyneman n in Leipzig.
Diskussion; Herr Fütli; Herr Professor K o 1 1 m a n n
sprach davon, dass hei Benutzung des mit einem eingeschobenen
Prisma arbeitenden Cystoskops, mit dem er, Avie er sich ausdrückt,
um die Ecke sieht, zur Sondierung der Ureteren eine grössere
Technik nicht nötig ist als bei dem gerade auf den Ureter zu¬
gehenden Instrumente und deshalb wird man im Anfang bei An¬
wendung des ersteren schon eher einmal auf Schwierigkeiten
stossen. Ich selber habe es mehrere Male als praktisch befunden,
die Portio mit einer Kugelzange anzuhaken und sie an derselben
nach verschiedenen Richtungen zu beAvegen. Dabei geht das Tri¬
gonum entsprechend mit und man ist so in der Lage, die Ureteren-
mündung gewissermassen dem Katheter entgegegenzuführen. Auf
diese Weise gelang es mir besonders in einem Falle, in dem ieli
mich schon länger bemüht hatte — es handelte sieh um ein links¬
seitiges Nierenkarzinom — , auffallend leicht, den linken Ureter
zu sondieren. Im einzelnen gestaltete sich das Verfahren so, dass
ich mit der einen Hand die Zange des Cystoskops hielt und mit
der anderen die Kugelzange bezw. die Portio und das Trigonum
dirigierte.^ Von einer Assistenz wurde dann der Ureterkatlieter
je nach Kommando vor- und rückwärts geschoben.
Mittels dieses Anhakens der Tortio kann man sich gewiss auch
in solchen Fällen die Uretermündung leichter sichtbar machen,
in denen infolge entzündlicher Schwellung des Orificium intern um
das Trigonum stark unterhalb des Orifizialrandes liegt oder die
Blasenschleimhaut Aron so vielen Falten und Grübchen besetzt ist,
dass die Unterscheidung, ob Ureterenmündung oder Faltungspro-
dukt, schwer ist. Kalischer, nach dessen bekanntem Werke über
die Erkrankungen der Aveiblichen Harnröhre und Blast« diese Mög¬
lichkeiten zitiert sind, empfiehlt in solchen Fällen, mit dem vorderen
Ende des Instrumentes etwas nach abAvärts zu drücken, um da¬
durch nach Möglichkeit die Niveaudifferenzen auszugleichen, oder
mit dem Finger in die Scheide zu gehen und das Grübchen dem
Cystoskopfenster entgegenzustülpen, falls es nicht gelingt, den
Ejakulationswirbel hervorströmen zu sehen.
Ob anderwärts dies Anhaken der Portio zu den genannten
Zwecken schon empfohlen ist, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls
AATollte ich die guten «Erfahrungen, die ich persönlich damit machte,
liier zur Sprache bringen.
Herr Brüning:
Kinder mit ,,0dda“.
Zur Frage der Ernährung kranker
14S2
MUEN( III'.XEU AI EDICTX ISC1IE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
IE berichtet über die am Leipziger Kinderkrankenhaus an
87 Kindern mit der neuen v. Hering sehen Kindernahrung
() d d a an gestellten Ernährungsversuche. Das Alter der
Kinder schwankte zwischen 2 l agen und 1 "i Jahren, betrug abei
in der Mehrzahl der Fälle weniger als 1 Jahr. 48 Kinder standen
in klinischer, 39 in poliklinischer Behandlung. Die Dauer der
Oddadarrcichung betrug durchschnittlich 5—6 Wochen. Die
T a g e s m e n g e n schwankten zwischen 10 und 180 g. Odda
wurde stets als Zusatz zur Milchnahrung und nur in 18 kli¬
nischen Fällen vorübergehend als a 1 1 e i n i g e Nahrung gegeben.
In der Mehrzahl der Fälle, unter 87 E allen 61 mal, handelte es
sich um krankhafte Affektionen der Digestions-
o r g a n e (Dyspepsien, Enterokatarrhe, Gastroenteritiden und
Enteritiden, chronische Obstipation und Dysenterie) ; in vielen
Fällen bestanden Komplikationen von seiten anderer Or¬
gane (Anämie, Rhachitis, hereditäre Lues, Intertrigo u. dgl.). Die
R esultate waren bei dem klinischen Materiale weniger gün¬
stig als bei den poliklinisch mit Oddazusatz genährten Kindern;
bei den letzteren waren in einer Reihe von Fällen ganz erfreu¬
liche Erfolge zu verzeichnen. (Die ausführliche Arbeit über die
Versuchsreihe erscheint in der Therapie der Gegenwart.)
Diskussion: Herr .1. Lange ist der Ansicht, dass die
Empfehlung des Herrn Brüning etwas verfrüht sein dürfte.
Die von B. mitgeteiten Resultate erscheinen nicht so glänzend,
als dass sie nicht mit anderen Ernährungsmethoden erreichbar
wären. Prinzipiell ist daran festzuhalten, dass auch dem
v. Mering sehen „Odda“ der gleiche Fehler anhaftet wie den
meisten Kindermehlen: der zu geringe Fettgehalt. Die Kinder¬
nahrung „Odda“ enthält nach der ersten Analyse von v. M ering
4 78 Froz. Fett, nach den Angaben auf den in den Handel ge¬
langenden Packeten 6,5 Proz. Bedenkt man, dass diese Nahrung
mit etwa dem 12 fachen Volumen Wasser verdünnt wird, so
schrumpft die Fettmenge fast auf dieselben zu geringen . Werte
zusammen wie bei den eigentlichen Kindermehlen. Qualitativ
handelt es sich um andere Fette. Hoher Lecithin- und Vitellin¬
gehalt sollen eine günstige Wirkung auf Wachstum, Knochen¬
bildung und Nervengewebe ausüben. Insbesondere der Nachweis
für stärkeren Ansatz für Nervengewebe erscheint zunächst noch
recht hypothetisch. Die an nur wenigen Kindern ausgeführten
Versuche Langes ergaben Resultate, wie sie auch mit anderen
Nährmitteln ohne Schwierigkeiten erzielt wurden. Es handelt
sich sicherlich um ein ganz gutes Präparat — wenn es Kindern
nach dem ersten Lebenssemester, womöglich mit Milch zusammen,
verabreicht wird; ob es aber hält, was v. Mering will, nämlich
vom 3. Lebensmonate eine ausreichende Nahrung ohne Milch¬
zusatz darzustellen, das bedarf noch sehr der Bestätigung. Der
Preis von M. 1.25 für 400 g ist nicht billig, da der Konsum ziem¬
lich gross ist.
Herr F riedeman n stimmt den Ausführungen Herrn
Langes bei und hält die Einführung neuer Kindermehle nicht
für wünschenswert.
Herr B r ii n i n g wiederholt, dass bei einer Anzahl von Kin¬
dern durch Ernährung mit Odda eine sehr erhebliche Gewichts¬
zunahme erzielt worden sei.
Die Herren L a n g e und I1 riedem a n n bemerken, dass
das auch bei reiner Milchnahrung vorkomme und an sich nichts
für den Wert des Odda beweise.
Herr Köster spricht über die ätiologischen Beziehungen
der Chorea zu Infektionskrankheiten, insbesondere zur rheu¬
matischen Affektion. (Der Vortrag ist in No. 32 d. Woehenschr.
abgedruckt.)
Sitzung vom 8. Juli 1902.
Vorsitzender : Herr B a h r d t.
Schriftführer : Herr Brau n.
Diskussion über den Vortrag des Herr Köster: Ueber
die ätiologischen Beziehungen der Chorea zu Infektionski ank-
heiten, insbesondere zur rheumatischen Affektion.
Herr Windscheid möchte gegen die Einseitigkeit der vom
Vortragenden besprochenen W o 1 1 e n b e r g sehen Theorie sich
wenden. Es geht nicht an. fast alle Fälle von Chorea als Infektion
erklären zu wollen. Vor allem ist der Begriff der Infektion zu weit
gefasst. Gewiss gibt es infektiöse Chorea, aber diese tritt nur nach
Infektionskrankheiten auf: Typhus, Scharlach, Influenza, und der
Typus dieser Fälle ist die nach akutem Gelenkrheumatismus auf-
i rötende Chorea. Wenn aber der Vortragende in einer zerklüfteten
Tonsille bei einem Kinde den Nachweis einer vorher durchgemach-
ton Infektion erblickt und dementsprechend die nachfolgende
Chorea als eine infektiöse erklärt, so kann W. ihm darin nicht bei-
stimmen. Es wird überhaupt viel zu viel die Chorea als eine
einzige Krankheit betrachtet. Der Begriff Chorea ist ein Symp-
t omenkomplex, der sehr verschiedenartige Aetiologien haben kann.
Man denke nur an den enormen Unterschied in ätiologischer Be¬
ziehung zwischen einer echten hysterischen Chorea und einci
solchen, die im Anschluss an einen apoplek'tischeu Insult, meistens
durch Beteiligung des Sehliügels, entsteht! Bei beiden ist der
Symptomenkomplex völlig derselbe. Wenn man daher auch der
infektiösen Chorea gewiss einen grossen Raum zubilligen kann,
so darf man doch darüber nicht das Suchen auch nach anderen
ätiologischen Möglichkeiten vergessen und dieser Gefahr unterliegt
pntsphiptfpil.
w nlipnhp r sr-hp Theorie
Herr C B a c k h a u s bemerkt bezüglich des ätiologischen Zu¬
sammenhangs von Chorea und Gravidität (infolge veränderten
Stoffwechsels), dass er früher (1899) in einem Vortrage in der
Leipziger geburtshilfl. Gesellschaft die Sonderstellung der Chorea
gravidarum bestritten habe. Die Beantwortung dieser Frage sei
'von besonderer Bedeutung, da hiermit zugleich die praktisch wich¬
tige Frage erledigt werde, ob bei Chorea gravidarum die Untei-
brechung der Schwangerschaft indiziert sei. B. glaubt nicht dass
bei der Chorea während der Gravidität ein engerer ursächlicher
Zusammenhang bestehe, wohl könne die Schwangerschaft auf die
Schwere der Erkrankung einen Einfluss ausüben. Dos Knmk-
heitsbild bei Chorea gravidarum erscheine allerdings öfter
schwerer, doch sei zu bedenken, dass überhaupt die Chorea bei
Erwachsenen einen schwereren Verlauf nehme als bei Kindern;
bei letzteren betrage die Mortalität 5 Proz., dagegen bei Er¬
wachsenen ca. 20 Proz. Eine einheitliche Auffassung sei noch
nicht erzielt. Bezüglich der Behandlung hätten sich Z w e i f e 1
und J o 1 1 y im vorigen Jahre auf der Naturforscherversammlung
zu Hamburg in einer gemeinsamen Sitzung der Neurologen und
Geburtshelfer ganz bestimmt für Unterbrechung der Schwanger¬
schaft in jedem Falle von Chorea gravidarum ausgesprochen.
B. fragt den Herrn Vortragenden, ob er auf Grund seines Materials
die grössere Heftigkeit der celiten Chorea bei Personen jenseits
des Kindesalters bestätigen könne.
Herr Köster (Schlusswort): Herr Windsclieid scheint
mich in manchen Punkten nicht verstanden zu haben. Ich habe
mich vorwiegend mit den infektiösen Formen der Chorea m
meinem Vorfrage beschäftigt, nicht weil ich die Chorea stets für
infektiös halte, sondern weil ich durch ausführliche Einbeziehung
der nicht infektiösen Aetiologien in meinen Vortrag die durch die
Wahl des Themas gezogenen Grenzen hätte erheblich überschreiten
müssen Auch habe ich ausdrücklich betont, dass ich ausschliess¬
lich ein kritisches Referat der wesentlichsten über die Aetiologie
der infektiösen Cliorea verbreiteten Anschauungen habe
geben wollen und dass icli die nicht infektiösen Aetiologien nur
insoweit berücksichtigen würde, als dies zum Verständnis un¬
bedingt erforderlich sei. Ich selbst habe mich durchaus nicht als
unbedingten Anhänger der W o 1 1 e n b e r g sehen Theorie be¬
zeichnet. glaube aber, dass man den Tatsachen Rechnung tragen
und eine Chorea z B. dann als infektiös bezeichnen muss, wenn
eine Angina oder ein Schnupfenfieber, eine Bronchitis, eine Otitis
oder dergl. dem Ausbruch der Chorea unmittelbar vorausgegangen
ist. Selbst diejenigen, welche nur dem Gelenkrheumatismus
choreogene Tätigkeiten zusprechen, werden bei den anerkannten
engen Beziehungen zwischen Gelenkrheumatismus und Angina
auch die letztere als einen Ausdruck der rheumatischen Infektion
und zur Erzeugung einer Chorea für fähig ansehen müssen. Der
Begriff der rheumatischen Infektion muss eben weiter gefasst
werden als früher, wie ich dies auf Grund der Wollenbe l g -
sollen Theorie in meinem Vortrag auseinander gesetzt habe. Die
Choreafrage wird durch die möglichst genaue Erforschung der
vorausgegangenen rheumatischen Infektion keineswegs verein¬
facht, sondern eher erschwert. Denn es bedarf einei lecht gc
n auen Anamnese und Untersuchung, um in jedem Falle nach¬
zuweisen, ob und auf welchem Wege eine Infektion vorher statt¬
gefunden hat. Wenn ich also auf 71,15 Proz. infektiöse Chorea
gekommen bin, so habe ich einfach den Tatsachen in möglichst
objektiver IV eise Rechnung getragen. Ich gebe Herrn Wind-
s c h e i d zu, dass die Fälle von Chorea, bei denen sich hyper¬
trophische und zerklüftete Tonsillen oder Geräusche am Herzen
als wahrscheinliches Residuum einer vorausgegangenen rheu¬
matischen Infektion fanden, nicht mit voller Bestimmtheit den
Anspruch auf die Bezeichnung „infektiöse Chorea“ machen
können. Es ist dies aber an sicli ganz unwesentlich, da ich Hin¬
über 4 derartige Fälle verfügte, durch welche sieb die Prozent zahl
' der infektiösen Fälle von 71,15 nur auf 74,3 Proz. erhöbt liab ‘ii
I würde. Auch ich halte gleich Herrn Wind scheid die Chorea
für einen Symptomenkomplex, der einer einheitlichen Aetiologie
entbehrt und ich glaube, dass ich dies in meinem Vortrage ge¬
nügend deutlich hervorgehoben habe. Befanden sich doch unter
meinen 125 Fällen 35. bei denen sieb keinerlei vorausgegangene
Infektion nachweisen Hess. Daher habe ich zum Schluss meiner
Ausführungen den Anspruch O p penlieims herangezogen, det
die Chorea in Bezug auf ihre Entstehung in Analogie zur Epi¬
lepsie setzt, da beide Erkrankungen durch Vererbung, durch re¬
flektorische Ursachen, durch psychische mul körperliche Traumen
und schliesslich durch Infektion wie Intoxikation hervorgerufen
werden können. Die Frage des Herrn Backhaus, ob a|mlicl1
wie bei der Chorea gravidarum auch bei den infektiösen < hoiea-
forrnen Leute in vorgeschritteneren Jahren schwerer erkranken
als junge Individuen, kann ich nicht direkt bejahend beantworten.
Es gibt bei Personen von 20—40 Jahren schwere und leichte in¬
fektiöse Choreaerkrankungen, sowie es auch schwere und leichte
rheumatische Infektionen gibt. Gerade in dem erwähnten Bebeus-
alter kann übrigens eine geringfügige rheumatische Infektion
leicht übersehen werden und andererseits muss stets der veraacn
2. September 1902.
MUENÖHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1488
bestehen, dass es sich um eine degenerative Form der Chorea
handelt, welche bekanntlich stets eine trübe Prognose hat.
Mitteilungen aus dem Diakonissen hause.
Herr J. Lange demonstriert:
1. Einen Fall von A d d i s o n scher Krankheit, der beson¬
deres Interesse bietet durch die Entwicklung der Haut- und
Schleimhautpigmentierung während seiner klinischen Behandlung,
durch den akuten Beginn der Erkrankung und durch die schnelle
und zunächst fortdauernde Besserung der subjektiven Symptome
im Anschluss an die Verabreichung von Nebennierensubstanz.
Die Bronzefarbe blieb dabei bestehen, verbreitete sich sogar weiter.
Auf Tuberkulininjektion reagierte Patient nicht, so dass die ge¬
wöhnlich angeführte Tuberkulose der Nebennieren vermutlich
ätiologisch in diesem Falle nicht in Betracht kommt. Eine ge¬
nauere Veröffentlichung des Falles soll gelegentlich nach längerer
Beobachtungsdauer erfolgen.
Diskussion: Herr C. Backhaus erwähnt, dass er im
vorigen .Talire einen schweren, klinisch typischen Fall von Morbus
Addisonii ebenfalls mit Nebennierenextrakt behandelt hat, doch
ohne Besserung zu erzielen. Der Fall war besonders auch patho¬
logisch-anatomisch sehr bemerkenswert, da er das recht seltene
Vorkommnis, eine hochgradige Atrophie der Nebennieren aufwies.
B. wird später eingehender berichten.
2. Einen Fall von myasthenischer Paralyse, oder Bulbär-
paralyse ohne anatomischen Befund (Oppenheim), oder
Myasthenia gravis pseudoparalytica (J o 1 1 y). Der sehr typische
Fall betrifft ein 21 jähriges junges Mädchen mit partieller Opli-
thalmoplegia externa, sowie mit der charakteristischen schnellen
Erschöpfung der Muskelkraft, hier besonders an den oberen Ex¬
tremitäten, Nacken- und Rumpfmuskulatur. Die von J o 1 1 y be¬
schriebene myasthenische Reaktion wird in klassischer
Weise demonstriert. Ausführliche Publikation erfolgt in nächster
Zeit.
Diskussion: Herr Köster: Zu der hochinteressanten
Ermüdungsreaktion, welche uns Herr Lange soeben demon¬
strierte, möchte ich bemerken, dass ich eine typische Ermüdungs¬
reaktion bei Phthisikern und Krebskranken im vorgeschrittenen
Stadium und besonders schön bei perniziös Anämischen wiederholt
durch systematische Untersuchung feststellen konnte. Schliess¬
lich möchte ich daran erinnern, dass ich bei experimentell an Ka¬
ninchen erzeugter chronischer Schwefelkohlenstoffvergiftung eine
sehr ausgesprochene Ermüdungsreaktion beobachtet habe, welche
anfangs mit Steigerung, späterhin mit Herabsetzung der elek¬
trischen Erregbarkeit sich verknüpfte Die Rollen des Induktions¬
apparates mussten vom Auftreten der ersten Zuckung (Reizung
vom N. ischiadicus aus mit Einzelschlägen des Oeffnungsstromes)
an gerechnet infolge der Ermüdung allmählich um 30 — 50 mm
einander genähert werden, um überhaupt eine Kontraktion des
Muskels zu erzielen.
Herr Windscheid bemerkt, dass die Myasthenie ja
zweifellos eine sehr seltene Krankheit sei, aber doch wahrschein¬
lich häufiger, als man denkt, denn sicher werden einige Fälle öfters
übersehen und als Neurasthenie gedeutet. Bildet doch das Haupt¬
symptom der Myasthenie, die leichte Ermüdbarkeit der Musku¬
latur, auch ein Hauptsymptom der einfachen Neurasthenie. W.
möchte daher die Kollegen ersuchen, bei diesen Klagen immer auf
die Eigenart der Myasthenie zu achten, nämlich auf die Kom¬
bination von Schwäche der von Gehirnnerven versorgten Muskeln
mit Schwäche der Rumpf- oder Extremitätenmuskeln, eine Ver¬
bindung, die sich bei der Neurasthenie nie findet. Der Nachweis
der myasthenischen elektrischen Reaktion ist nicht durchaus not¬
wendig zur Diagnose des Leidens.
Herr Braun demonstriert einen neuen Fall von operativ
geheilter Milzruptur.
Ein 38 jähriger Mann fiel am 11. .Juni vom Bock eines nicht
beladenen Lastwagens, den er führte. Die Räder sollen ihm über
den Körper gegangen sein. Er wurde bewusstlos aufgehoben,
und erbrach einmal. 2 Stunden nach der Verletzung wurde er
ins Diakonissenhaus gebracht. Der Mann war jetzt halb bei Be¬
wusstsein, reagierte auf Anrufen, roch stark nach Alkohol. Ueber
dem linken Rippenbogen, in der Axillarlinie, war ein Rippenbruch
nachweisbar. Sonst fand sich keine äussere Verletzung, der Mann
war nicht anaemisch, am Abdomen war nichts Abnormes nach¬
weisbar. Der Puls war schwach, besserte sich auf Kamplier. Im
Laufe der nächsten 10 Stunden stellten sich die Zeichen einer zu¬
nehmenden intraabdominalen Blutung ein. Dämpfung in den ab¬
hängigen Teilen des Leibes, welche bei Lagewechsel sich ver¬
änderte und nur links bestehen blieb; die Leberdämpfung war er¬
halten. Leib bretthart gespannt, überall schmerzhaft; wieder¬
holtes Erbrechen. Zunehmende Anämie. Verschlechterung des
Pulses bis zum Verschwinden, starke Erregung abwechselnd mit
Bewusstlosigkeit. Deshalb wurde 12 Stunden nach der Verletzung
die Bauchhöhle in der Mittellinie geöffnet. Sie war mit enormen
Mengen flüssigen und geronnenen Blutes gefüllt. Ein Griff in die
Milzgegend förderte dieses Organ zu Tage. Es war ganz in zwei
Stücke zerrissen, jedes Stück hing an einem Stiel, aus der Riss¬
fläche sickerte langsam, Tropfen für Tropfen, Blut hervor. Die
beiden Milzhälften wurden nach Unterbindung der Stiele entfernt,
das im Abdomen enthaltene Blut, so weit das ohne Schwierigkeit
möglich war, durch Austupfen entfernt und die Bauchwunde ver¬
wird
Man
näht. Nun wurden 2 Liter Kochsalzlösung in die Vena mediana
cubiti injizirt, ein integrierender und wichtiger Teil der Therapie
derartiger Verletzungen. Sofort erwachte der Kranke, der vorher
nicht fühlbare Puls wurde fast normal und blieb es auch weiter¬
hin. Es folgte ungestörte Rekonvaleszenz, am 5. Juli hat der
Kranke das Bett verlassen und fühlte sich bis auf eine noch vor¬
handene Schwäche wohl. Die Blutuntersuchung ergibt eine
starke Verminderung der roten und Vermehrung der weissen
Blutkörperchen. (Zahl der roten Blutkörperchen am 20. VI.
2 470 000 — am 3. Juli 2 300 000 — , Zahl der weissen Blutkörper¬
chen an beiden Tagen 24 700, Hämoglobingehalt 70 Proz.) Sonst
sind irgend welche Ausfallserscheinungen nicht bemerkbar. Die
Lymphdrüsen sind nicht geschwollen.
Herr B. weist auf die Förderung hin, welche die Kenntnis
und Behandlung der Milzruptur durch Herrn Trendelenburg
und seine Schüler gewonnen hat. Seit der Publikation T r e n"-
delenb urgs über diesen Gegenstand (Deutsch, med. Wocheu-
selir. 1890) haben sich die operativ behandelten Milzrupturen sehr
vermehrt und es sind jetzt schon 20—30 mit Glück operierte Fälle
bekannt.
Herr Braun demonstriert ferner die in seinem Operations¬
saal übliche Verwendung der Naht- und Unterbindungsfäden.
Das Material ist der von ihm empfohlene Celloidinzwirn '), der
nach dem grossen Vertrieb des Verfertigers (A. Scliaedel in
Leipzig) zu urteilen, eine sehr weite Verbreitung gefunden hat.
Seide lässt sich aber in gleicher Weise verwerten. Der Faden
auf einen Glasstab aufgewickelt, wie die Abbildung zeigt,
fasst den Glasstab
nebst den Anfang des
Fadens mit der linken
Hand und wickelt mit
der rechten Hand, in¬
dem man den Faden
unter fortwährendem Ziehern des Glasstabes abwechselnd nach
rechts und links über den bereits gewickelten Teil lierumschliigt.
So entsteht ein regelmässiger lockerer Knäuel. Schliesslich wird
das Ende des Fadens einige Male zirkulär um den Knäuel herum¬
geführt und mit einem Tropfen Jodoformkollodium festgeklebt,
ebenso werden die Knäuelränder mit einer Spur Jodoformkollodium
versehen. Jetzt kann der Glasstab entfernt werden, ohne dass der
Knäuel seine Form verliert und der Fadenanfang kann fortlaufend
herausgezogen werden. Jeder dieser Knäuel wird in einen kleinen
nussförmigen Glasbehälter (Ligaturkugel) gelegt, wie sie von
L a u r 2) empfohlen worden sind. Sie haben sich B. als sehr prak¬
tisch erwiesen, besonders nachdem er sie (von G o e s s e, Leipzig,
Hartelstr. 4) aus verschiedenfarbigem Glas (gelb, blau und weiss)
machen liess, für starke, mittlere und feine Fäden. (Demon¬
stration.) Sie werden mit ihrem Inhalt im strömenden Dampf
sterilisiert und dann bis zum Gebrauch in Sublimat aufbewahrt.
Ihre Vorteile bestehen in dem Schutz, den sie dem Faden gegen
nachträgliche Infektion gewähren, und ferner darin, dass man.
die Glaskugel in der linken Hohlhand fassend, den in ihr ent¬
haltenen Faden fortlaufend, ohne Unterbrechung, zu Unter¬
bindungen gebrauchen kann.
Herr J. Lange demonstriert ferner ein Präparat von
Thymushyperthrophie bei plötzlichem Tode eines 8 monatlichen
Säuglings, Avobei vermutlich die grossen Gefässe, Aorta, Pul-
monalis und die Vv. caA’ae durch die dieselben umgreifende
Thymus dauernd gedrückt Avurden und eine kolossale Hypertrophie
des ganzen Herzens bedingten. Der Tod ist vielleicht als Herztod
aufzufassen Avie bei gewissen Fällen von Struma substernalis.
Die Trachea ist frei. Von einem „Status lymphaticus“ im Sinne
Palt aufs kann hier nicht die Rede sein.
Herr Lämmerhirt demonstriert den Kehlkopf
Kindes mit multiplen Papillomen der Kehlkopf Schleimhaut.
eines
Herr v. Criegern berichtet über einen Kranken mit
gallenhaltigem pleuritischen Exsudat.
M. H.! Diese dunkelbraune Flüssigkeit, die ich Ihnen hier zu
zeigen mir die Ehre gebe, habe ich am 19. Juni durch die Punktion
aus der linken Pleurahöhle einer Frau gewonnen. Gestatten Sie
mir. Ihnen zunächst das Nötigste über die Kranke mitzuteilen.
Sie ist 49 Jahre alt, Wäscherin, lebt vom Manne getrennt, der ein
notorischer Trunkenbold und Herumtreiber ist. Als Schulmädchen
ist sie nach ihrer sehr bestimmten Angabe wegen eines tuber¬
kulösen GeschAvüres am linken Naseneingang operiert worden.
Späterhin hat sie noch Syphilis durchgemacht — erst noch vor
3 Jahren wurde sie in unserer Poliklinik Avegen einer Ophthalmo¬
plegie antiluetisch behandelt, mit dem Erfolge völliger Heilung.
Seit einem halben Jahre nun Aval* sie stark abgeinagert, hatte
Atemnot und Beklemmung bekommen, ferner Brustschmerz, auch
Husten, durch den indessen niemals Auswurf befördert wurde.
Dabei hatte sie Aveder Fieber noch Nachtschweisse gehabt. Im
Vordergrund ihrer Beschwerden stand die stetige Abnahme der
Kräfte. Am 22. V. wurde wegen dieser Klagen von anderer Hand
die linke Pleura punktiert, und mir wurde die Kranke am 24. VI.
überwiesen mit der Diagnose „Carcinoma pulmonis“ und der Notiz,
dass das Pleuraexsudat sehr viel Blut enthalten habe. Der Status
praesens am 24. VI. liess diese Diagnose nicht ungerechtfertigt er¬
scheinen: Die Frau war stark abgemagert, die Haut bildete Aveite,
sackige Falten, die auf früher vorhandenen Fettpolster schliessen
Hessen, und zeigte miliare Angiome, ein Befund, dem ich zwar,
9 Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 15 — 16.
2) Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 15.
1484
No. 35.
MtfENOIIENEtl MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
nebenbei bemerkt, keinerlei diagnostischen Wert beimessen kann,
da ich ihn öfter bei nicht krebskranken Leuten finde, als um¬
gekehrt, der aber mit Rücksicht auf die abweichenden Anschau¬
ungen anderer Autoren hier bemerkt werden mag. An der linken
Nasenspitze und dem linken Nasenloch fanden sich weissliche,
etwas deformierte Narben (wohl Folgen der Operation des tuber¬
kulösen Geschwürs in der Kindheit), auf der linken Hornhaut ein
Leukom. Auf der rechten Seite bestand Lungenschall vorn herab
bis zur (*. Rippe, neben dem Sternum noch durch eine zweifinger¬
breite Zone von der 6. Rippe ab eingeengt (Verlagerung des Her¬
zens!); hinten fand sich bei aufrechter Haltung eine noch nicht
handbreite Dämpfung; bei rechter Seitenlage liess sich deutlich das
Vorhandensein von freier Flüssigkeit nachweisen. Die linkt* Seite
war kleiner als die rechte; sie gab überall gedämpften Schall, der
besonders hinten und unten sehr intensiv, aber nirgends ohne eine
Spur von tympanitischean Beiklang war. Weder Lungen- noch
nerzgrenzen konnten bestimmt werden, freie Flüssigkeit liess sich
nicht nachweisen. Das Atemgeräusch war bronchial, am lautesten
hinten oben neben den ersten 4. Dorsalwirbeln, an der Seite unten
kaum zu hören, und strahlte etwas nach rechts aus. Das Röntgen¬
bild ergibt: Totale Verdunkelung des linken Lungenfeldes, Aus¬
hebung des rechten, Verlagerung des Mediastinums nach rechts,
geringe Menge freier Flüssigkeit rechts (ich erlaube mir. Ihnen hier
diese Photographie herumzureichen). Die Kranke verschlimmerte
sich weiter und am 19. VI. wurde wieder eine Punktion der linken
Seite vorgenommen. Hs wurden (»00 ccm Flüssigkeit entleert,
dann erfolgte kein weiteres Ausfliessen; die Erleichterung war nur
ganz gering, der objektive Befund kaum geändert, im Röntgen¬
bilde ein geringes Zurückgehen des Mediastinums festzustellen
(ich reiche Ihnen hier die zweite, nach der Punktion auf genommene
Photographie herum, die das recht schön erkennen lässt), aber
keine Aufhellung des linken Lungenfeldes. Die bei der Punktion
entleerte Flüssigkeit nun ist es, welche Sie hier sehen. Zuerst
fällt natürlich der Blutgehalt derselben ins Auge, und nach
längerem Stehen setzt sich eine untere, blutkörperchenreiche
Schicht ab, von der sich diese zweite, entschieden anders gefärbte
abziehen lässt. Dieselbe enthält nur mehr wenig Blut, ist kaum
oder gar nicht dichroitisch und erzeugt beim Schütteln rahmig
gelben Schaum, kurz sie erinnert in ihrem Verhalten sehr an den
bekannten bierbraunen Urin bei Ikterus. Noch auffälliger unter¬
scheiden sich beide Schichten bei etwa 10 facher Verdünnung mit
Wasser. Die untere Partie erscheint dann fleischwasserähnlich,
während die obere dunkelgelbe Färbung zeigt, die eigentlich fast
genau der Farbe entspricht, die wir sonst an solchen Pleura¬
exsudaten wahrzunehmen gewohnt sind. Schüttelt man diese
obere Schicht mit Chloroform aus, so reisst dies in grosser Menge
einen gelben Farbstoff nieder, der sich durch die G m e 1 i n sehe
Reaktion als Gallenfarbstoff zu erkennen gibt. Auch an der nur
mit etwas Wasser verdünnten ursprünglichen Flüssigkeit, am
besten aber, wie mir schien, am unverdünnten Exsudat, nachdem
man mit Alkohol die Hauptmenge des Blutfarbstoffes und einen
grossen Teil des Eiweisses entfernt hat, erhält man die Gallen¬
farbstoff rea ktion, und zwar stets in solcher Intensität, dass dies
auf das Vorhandensein von grossen Quantitäten schliessen lässt,
wie es ja auch der Augenschein lehrt. Nun aber kommt die
Hauptfrage: „Wie kommt der Gallenfarbstoff in das Pleura¬
exsudat und kann man seine Anwesenheit etwa diagnostisch ver¬
werten, da ja doch der Befund einer solchen Menge in dieser so
oft besichtigten Flüssigkeit nicht häufig ist?“ Hs bestehen offen¬
bar zwei Möglichkeiten: erstens kann der Gallenfarbstoff durch
eine Gallenfistel aus den Gallenwegen in die Pleura gelangt sein.
Da die Anamnese bezüglich vorausgegangener Leberkrankheiten
keinen Anhalt bietet und auch die Verbindung zwischen der Leber
und der linken Pleura nicht die kürzeste ist, erregt dies Be¬
denken. Es finden sich jedoch besonders in der alten Literatur
verstreute Nachrichten über ähnliche Fisteln, und zwar hat es
sich dann meist um durchgebrochene Echinokokken gehandelt.
Wenn auch die Anamnese keinen Anhalt bot, so haben wir doch
auf Bernsteinsäure gefahndet, indessen ohne positiven Erfolg.
Mehr verspricht eine andere Ueberlegung. Stammt der Gallen¬
farbstoff aus den Gallenwegen, so wird er von gallensauren Salzen
begleitet sein, vorausgesetzt, dass diese keiner anderen Eliminie¬
rung unterliegen als jener. Aber es gelang mir nicht, den positiven
Ausfall einer der mir bekannten Proben auf Gallensäuren zu
sehen, insbesondere auch nicht den der Pettenkofe r sehen. Es
wird demnach schwer angehen, wegen der Anwesenheit von
Gallenfarbstoff in unserem Exsudate auf das Vorhandensein einer
Gallenfistel zu schliessen, und wir müssen uns wohl mehr der
zweiten Möglichkeit zuneigen, nämlich der, dass sich derselbe
erst im Exsudate selbst gebildet hat und zwar aus Blutfarbstoff.
Bekanntlich hat Virc li o w 1847 zuerst in alten Blutextravasaten
einen kristallinischen gelben Farbstoff studiert, den er Häma¬
toidin genannt hat. Es hat sich im Laufe der Zeit hierüber eine
kleine Literatur entwickelt; heute weiss man, dass das Virchow-
sclie Hämatoidin nichts anderes ist als eben Gallenfarbstoff. Und
in unserem Falle bestellt nun offenbar schon lange Zeit ein blut¬
haltiges Exsudat in der Pleura, das sich unter günstigen Be¬
dingungen für diese Umwandlung befindet. So würden wir nun
zwar einen wesentlichen diagnostischen Nutzen von unserem im
ersten Augenblicke so frappierenden Befunde nicht haben, als
vielleicht einen Hinweis darauf, dass die Dauer der Krankheit
gewiss beträchtlich gewesen ist, indessen glaubte ich mir doch
wegen der Seltenheit derselben diese Demonstration gestatten zu
sollen.
N a c li t r a g. Kurz nach der obigen Demonstration ist die
Kranke ihrem Leiden erlegen und von Herrn Professor Saxer
seziert worden. Seiner Güte, sowie der des Herrn Geheimrat Prof.
M a r c h a n d verdanke ich eine Abschrift des Sektiousprotokolles.
aus der ich folgendes hier anfügen will: Die linke Pleura war stark
verdickt und von stark liöckrigen Geschwulstknoten durchsetzt,
ihre Höhle enthielt reichlich Flüssigkeit, die derjenigen völlig ent¬
sprach. welche im Leben durch Punktion gewonnen wurde. Die
linke Lunge war stark zusammengedrückt, völlig luftleer, der
grösste Tlühendurchmesser betrug nur 11 cm, der grösste Quer¬
durchmesser nur G — 7 ein: sie war völlig durchsetzt von kleinen
Karzinomknoten. Auch die rechte Lunge war von zahlreichen
kleinen Karzinomknoten durchsetzt. In der rechten Pleura eine
kleinere Menge von gleichfalls hämorrhagischem Exsudat. Kar¬
zinommetastasen in den bronchialen und retroperitonealen
Lymphdrüsen und der rechten Niere. Leber klein, von (luetischen)
Narbensträngen durchzogen, enthält im linken Lappen einen
kleinen, obsoleten Echinokokkus
Angeregt, durch den Umstand, dass der von den abgesetzten
Blutkörperchen abgegossene, bierbraune Teil unseres Exsudats
Hei starker Verdünnung dieselbe hellgelbe Färbung zeigte, die
gewöhnlich dem durch Punktion gewonnenen Exsudat zukommt,
iiabe ich seither die Punktionsflüssigkeit in 7 weiteren Fällen von
Pleuritis (sicher tuberkulösen und wahrscheinlich tuberkulösen
Ursprungs) auf das Vorhandensein von Gallenfarbstoff unter
sucht und zwar bisher stets mit positivem Erfolg. Es fanden sich
zwar immer nur geringe Spuren; indessen schien mir doch einiger-
massen eine Parallele vorhanden zu sein zwischen der Menge der
gleichzeitig vorhandenen roten Blutkörperchen resp. Schatten, die
ja bekanntlich in keinem Exsudate fehlen, und vielleicht auch der
Dauer des Krankheitsprozesses. Sollte sich das alles auch bei
einem grossen Materiale bestätigen, so kann man folgende Sätze
für die diagnostische Verwertbarkeit dieses Befundes aufstellen:
1. Das Vorkommen von Gallenfarbstoff in pleuritischen Ex¬
sudaten ist sehr häufig; in Spuren hat es keine diagnostische Be¬
deutung. i
2. In den seltenen Fällen, in denen es sehr reichlich ist, be¬
deutet es einen stärkeren Blutgehalt des Exsudats, jedoch mit
der Modifikation, dass es auf längeres Bestehen desselben hinweist.
3. Nur wenn sich gleichzeitig auch gallensaure Salze nach¬
weisen lassen, sollte man das Bestehen einer Gallenfistel ver¬
muten.
Aerztlicher Verein München.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 11. J uni 1902.
1. Herr Krecke: Operation eines Hirntumors. (Mit
Kranken Vorstellung.)
M. H. ! Lassen Sie mich Ihnen in aller Kiii’ze über eine
am 19. IX. 1900 vorgenommene Operation eines Hirntumors be¬
richten. Ich bemerke von vornherein, dass das erzielte Resultat
kein ideales genannt werden darf, immerhin dürfte der Fall aus
mehreren Gründen Ihr Interesse in Anspruch nehmen.
Es handelt sich um eine damals 27 jährige Patientin. Die¬
selbe gab an, im November 1899 mit dem Rade gestürzt und auf
die linke Kopfseite gefallen zu sein. Einige Zeit nach
dem Sturz Iv r i b b e 1 n und Zucken im linken Bein. Nach
vorübergehender Besserung Schwächegefühl im linken
Arm. Im Juni 1900 heftiges fortwährendes Erbrechen mit
hochgradigen rechtsseitigen Kopfschmerze n. Gleichzeitig
Flimmern vor den Augen und Abnahme an Sehkraft, be¬
sonders links.
Nach verschiedenen Behandlungsversuchen konsultierte Pa¬
tientin im Juli Herrn Kollegen Seif, der die Diagnose auf einen
Tumor im oberen Teil der rechtsseitigen Zentralwindung, iin Bein¬
zentrum, stellte, zur sofortigen Operation riet und mich zuzog.
Leider leistete die Patientin den eindringlichen Vorstellungen des
Herrn Kollegen Seif keine Folge. Erst als Anfang September
am» 1 1 k o m m e n e E r b lind u n g eingetreten war, kam sie am
ir>. September zur Operation in meine Anstalt.
Ueber die diagnostischen Punkte der Krankengeschichte wird
vielleicht Herr Seif noch einige Worte sagen. Ich nenne nur
kurz die bei der Untersuchung gefundenen objektiven Zeichen:
Sehvermögen völlig erloschen, Augenhintergrund
zeigt beiderseits die Zeichen der Stauungspapille. Die
Gegend der rechten Zentralwindung auf Beklopfen empfindlich.
Zungen- und Fazialisbewegungen völlig frei. Bewegungen des
linken Armes sämtlich schwächer wie rechts, am linken Bein
Hüft- und Kniebewegungen normal, Fuss- und Zehenbewegungen
vollkommen aufgehoben. Steigerung der Reflexe links, leichte
Sensibilitätsstörungen. Klagen über heftigen Druck im Kopf.
Von Zeit zu Zeit leichte klonische Zuckungen im linken Bein. Nach
diesem Befund musste ich mich der Seif sehen Diagnose: „Tumor
im oberen Teil der rechten Zentralfurche“ vollkommen ansehliessen
und legte am 19. IX. diesen Teil des Gehirns frei.
Bildung eines W agne r sehen Lappens. Nach Spaltung der
Dura präsentierte sich sofort im oberen Teil der Wunde ein etwas
über taubeneigrosser dunkelblauroter Tumor. Leichte Auslösung
desselben. Dabei plötzlich ausserordentlich reichlicher Abfluss
von Liquor cerebro-spina lis. Sorgfältige Revision der Wunde auf
etwaige Tumorreste. Dabei ziemlich lebhafte Blutung aus einer
2. September 1902.
MUENCHENER
MEDICINISOHE
WOCHENSCHRIFT.
1485
Vene, die die Tamponade der Wunde nötig machte. Darüber der
Lappen vorläufig zurückgeklappt.
Der Tumor mass 2:2y2 cm, war auf der Schnittfläche von
graurotlicher narbe, mit grauweissen Einsprenkelungen. Mikro¬
skopisch erwies er sich als Spindelzellensarkom, wie Herr
Dr. D ii r c k mir zu bestätigen die Güte hatte.
• , !?e!' V®rIiuf war fieberfrei. Von Anfang an bestand sehr
reichlicher Abfluss von Zerebrospinalflüssigkeit und dazu gesellte
sich am zweiten Tage ein Hirnvorfall, der nach und nach ge¬
waltige Dimensionen bis zur Grösse einer Mannesfaust annahm
Von der Oberfläche desselben stiessen sich bei jedem Verband¬
wechsel matsche Gehimteile ab. Mit Entstehung des Hirn¬
prolapses trat nun gleichzeitig eine ziemlich beträchtliche Parese
der ganzen linken Körperhälfte einschliesslich Fazialis und Hypo-
glossus auf. Die Blindheit blieb völlig gleich, die Kopfschmerzen
und das Erbrechen waren jedoch seit der Operation gänzlich ver¬
schwunden.
Patientin verliess die Anstalt am 25. Oktober, also 5 Wochen
nach der Operation, bei gutem Allgemeinbefinden, aber noch be¬
stehender linksseitiger Parese, hühnereigrossem Hirnprolaps,
massiger Absonderung von Liquor cerebro-spinalis. Der Hirn¬
prolaps bildete sich nur sehr langsam zurück und war erst im
Sommer 1901 ganz verschwunden. Jetzt findet man nur noch
den etwas über die Schädeloberfläche hervorragenden Knochen¬
lappen und die lebhaft pulsierende Schädellücke. Fazialisparese
ist nahezu, Hypoglossuslähmung ganz verschwunden, die Parese
der linken Hand und des linken Beines bestehen noch an der Hand
sind besonders die Extensoren, am Bein die vom Peroneus ver¬
sorgten Muskeln gelähmt. Das Allgemeinbefinden der Patientin
ist. sehr gut, ihre einzigen Klagen beziehen sich auf das Unver¬
mögen, zu sehen. Nach der Untersuchung des Kollegen Z e n lce r
besteht vollständige Atrophie des Sehnerven: Papillen porzellan-
weiss, Gefässe eng und atropliiert.
M. H. ! Bei der Kürze der mir zugemessenen Zeit will ich
mich in Bezug auf allgemeine Bemerkungen ganz kurz fassen.
Der Fall ist ein Schulfall für die Tumoren am oberen Teil des
Sulcus Rolandi. Für die Chirurgen sind die Tumoren der
Zentralfurche, am häufigsten die Veranlassung zu chirurgischen
Eingriffen gewesen, nach v. Bergman n unter 116 Operationen
87 mal. Hier wandelt die chirurgische Therapie auf durchaus
sicheren Bahnen, und v. Bergmann empfiehlt ja auch, die
Operation bei Gehirntumoren auf die der motorischen Region
und der ihr benachbarten Hirnprovinzen im allgemeinen zu be¬
schränken.
Der Erfolg der Operation ist insofern ein vollständiger, als
die Patientin seit 1 % Jahren rezidivfrei ist. Wenn trotzdem
der Zustand der Patientin in Anbetracht der Blindheit und der
noch vorhandenen Parese kein erfreulicher genannt werden kann,
so ist dafür nicht die Operation verantwortlich, sondern nur die
späte'Ausf ührung derselben. Wäre die Patientin dem
Rate des Kollegen Seif gefolgt und hätte sich 2 Monate früher
operieren lassen, zu einer Zeit, wo das Sehvermögen noch vor¬
handen war, so wäre sicher das Augenlicht erhalten geblieben.
Vielleicht wäre es damals auch noch nicht zu dem starken Ilirn-
prolaps gekommen, der ja wohl zum Teil als Ursache der noch
bestehenden Parese angesehen werden muss. Der Fall mahnt uns
darum vor allen Dingen, bei ähnlichen Erscheinungen die Ope¬
ration möglichst frühzeitig auszuführen. Dann werden die ope¬
rativen Erfolge diejenige Vollkommenheit erreichen, die wir im
Interesse unserer Kranken fordern müssen.
Im Anschlüsse an den Vortrag verbreitete sich Herr Seif
eingehend über Diagnose, Verlauf und Therapie von Gehirn¬
tumoren.
Sodann sprach Herr T r u m p p über Aetiologie und Therapie
dir Magen-Darm-Krankheiten im Säuglingsalter. (Publikation
des Vortrages erfolgt voraussichtlich anderweitig.)
Der sich anschliessende Vortrag von Theilhaber: Ueber
Ui sache und Behandlung der Insuffizienz des nichtschwangeren
Uterus wird später in der Münch, med. Wochenschr. veröffent¬
licht werden.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. Juni 1902.
rw,Ir^rr e 1 11 1 e 1 11 Kilt den interessanten Krankheits- und
p aV°+fbetUnd eines Knterleibsbruches mit. Bei einer 30jähr.
WoJ-i er vor 2 Jahven Bass in is Radikaloperation eines
Shehen rechtsseitigen Leistenbruches mit Erfolg be-
» A;:,ein Bruchband war in der Folge nicht mehr getragen, der
h„m® f vou Baucheingeweide in der operierten Gegend nicht mehr
Rn, pW W+°rdeu' Vor 3 Wochen traten nun plötzlich in der rechten
einp fi/r01’ten£egencl Schmei'ze11 auf, zugleich bemerkte dort Pat.
e teste, unbewegliche Geschwulst, bald erfolgte auch Erbrechen,
das sich nach einigen Stunden nochmals wiederholte. 3G Stunden
nach Beginn der Erscheinungen fand II. bei der grazilen, blassen
Frau eine mannsfaustgrosse, kaum verschiebliche,- derbe Ge-
schwulst, deren grösster Durchmesser der Verlaufsrichtung des
1 oupai t sehen Bandes entsprach. Letzteres war wegen der
Grösse und des starken Gespanntseins der Geschwulst nicht sicher
fühlbar, so dass die Entscheidung, ob es sich um ein Rezidiv des
vor 2 Jahren exstirpierten Leistenbruches oder um einen ein¬
geklemmten, frisch entstandenen Schenkelbruch handelte, nicht
mit Bestimmtheit gewonnen werden konnte. Annähernd über die
Geschwulstmitte verlief eine lineäre, völlig glatte Operationsnarbe.
Direkt oberhalb derselben in Chloroformnarkose langer Schräg¬
schnitt. welcher sofort in derbes, von dem früheren Eingriff zu-
i iickgebliebenes Narbengewebe fiel, so dass die Isolierung des
Bruchsackes nur in kurzen Messerzügen mit Vorsicht betätigt
werden musste und nur langsam von statten ging. Gleichwohl
wurde die Eröffnung der freien Bauchhöhle nicht vermieden.
Letztere wurde sofort vorläufig durch einen Gazetampon ver¬
schlossen und in der Freilegung des Bruchsackes fortgefahren.
Bald wurde der Ursprung des letzteren aus der S c he nkel-
biuchpforte klar; er wurde eröffnet, nach Entleerung ziemlich
reichlicher Mengen hämorrhagischen Bruchwassers stellte sich als
Inhalt ein 8 cm langes. 4 cm breites, plattes, schwarzblaues Netz¬
stück dar mit starken Stauungserscheinungen und thrombosierten
Gefässen. Durch die nicht verengte, für die Kleinfingerspitze fast
durchgängige, glattwandige Bruchpforte tritt der sehr dünne Netz¬
stiel frei in die Bauchhöhle ein, und ist im Bereich des Bruchsack¬
halses 2 mal um seine Achse gedreht, nirgends mit dem Bruchsack
verwachsen. Letzterer ist stark verdickt, die Serosa hochrot,
sammetartig. Das hervorgezogene Netz wird oberhalb der Tor¬
sionsstelle abgetragen, der Stumpf in die Bauchhöhle versenkt.
Sodann Nahtverschluss der Bauchfellwunde in der Leistengegend,
weiter Verschluss des obersten Endes des Schenkelbruchsackes
durch Tabaksbeutelnaht, Abtragung des letzteren. Bruchpforten¬
verschluss durch Salzers Pectineusfaszienmuskellappen, Haut-
nalit. Heilung per prim. reun.
Bei der anschliessenden eingehenden epikritischen Erörterung
der geschilderten Beobachtung weist II. u. a. auf die grosse Selten¬
heit der innerhalb eines Bruchsackes entstehenden Netztorsion hin,
über deren sichere Beobachtung als erster Oberst _ cf. Cen¬
tral) ,1. f. Chirurgie 1S82, No. 27 — berichtet hat. Derselben stehen
mehrere Mitteilungen von intraabdominellen Netztorsionen, in der
Literatur gegenüber. Aeussere mechanische Einwirkungen als
Entstehungsursachen konnten in dem berichteten Falle nicht fest¬
gestellt werden: die oben erwähnte starke Verdünnung des Netz¬
stieles war vielleicht begünstigende Ursache. Die starke Span¬
nung der grossen Bruchgeschwulst war der örtlichen Orientierung
zum Zwecke der Feststellung, ob Leistenbruchrezidiv oder frische
Schenkelbrucheinklemmung, bei der an sich engen räumlichen
Begrenzung der beiden Bruchpforten gegeneinander nicht förder¬
lich, so dass die unbeabsichtigte Eröffnung der freien Bauchhöhle
dicht oberhalb der BruchgescliwUlst bei der derben narbigen Be¬
schaffenheit der Gewebsteile des Operationsgebietes zu entschul¬
digen ist. In Bezug auf die klinischen Anzeichen der Netztorsion
und Netzeinklein mung glaubte H. keine sicher unterscheidenden
Merkmale, auf stellen zu können; die Zeichen beider Störungsformen
dürften sich vielleicht, je nach der Höhe ihrer Entwicklung, an¬
nähernd gleichwertig verhalten. Dabei soll im Auge behalten
werden, dass der Netzbrucheinklemmung im allgemeinen im Ver¬
gleich zur Darmeinklemmung ein weniger stürmischer Verlauf
eigentümlich ist, dass aber jene durch Fortschreiten des Ent¬
zündungsprozesses von dem Bruchsack auf die Bauchhöhle durch
Darmlähmung ebenso sicher letal verlaufen kann, wie die Darm¬
einklemmung. Therapeutisch kommt nur operatives Handeln in
Betracht. Ferner wird hervorgehoben, dass noch vor wenigen
Jahrzehnten von gewichtiger Seite das Vorkommen von wahrer
Netzeinklemmung in Abrede gestellt und durch klinische und ex¬
perimentelle Arbeit zu begründen versucht wurde. Dieser Tat¬
sache gegenüber erinnert Heinlein daran, dass ein früheres
verdientes Mitglied der Gesellschaft, Heinrich Stadelmann,
bereits im Jahre 1852 auf Grund kasuistischer Mitteilung einer
Reihe von Bruchschnitten die baldigste operative Beseitigung der
Einklemmung der Eingeweidebrüche im allgemeinen und der Netz¬
brüche im besonderen mit Nachdruck zur Forderung erhob und
„den frühzeitigen, innerhalb der ersten 24 Stunden der Einklem¬
mung verrichteten Bruchschnitt — bei kleineren Brüchen — als
eine wenig eingreifende, bezüglich der Unterleibsentzündung ge¬
fahrlose Operation“ bezeichnete. (S t s. interessante Mitteilungen
finden sich in der Deutsch. Klinik, Jahrg. 1851, No. 51 und Jahrg.
1852, No. 10.)
Auswärtige Briefe.
Briefe aus London.
(Eigener Bericht.)
Juli 1902.
Allgemeine Betrachtungen über London und den dort
herrschenden Alkoholismus.
Als Bulwer in seinem bekannten Werke : „Die letzten
Tage von Pompeji“ den Himmel beschrieb, wie er sich in jenen
Tagen über der unglücklichen Stadt ausspannte, da mag ihm
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
1486
wohl der Himmel Londons als Muster vorgeschwebt haben.
Während der drei Wochen, die ich in London zubrachte, bekam
ich nicht einmal ein Stückchen wahrhaft blauen Himmels zu
sehen und wir waren doch in der guten Jahreszeit und das
Wetter, wie man mir immer versicherte: „very nice“. Ich bin
der Ueberzeug'ung, dass dieser aschenfarbene Himmel einen
grossen Einfluss auf den Gemüts- und Gesundheitszustand der
Bewohner ausübt, und ich erinnere mich, gerade in London in
der grossen Halle des Natural-History-Museums etwas gesehen
zu haben, was als Beweis dieser Theorie dienen kann. Dort be¬
finden sich in Glaskästen, in denen auf kunstvoll nachgeahmtem
Boden verschiedene Tiere, bezw. deren Anpassung an die Ver¬
hältnisse der Umgebung, gezeigt werden. Den Lesern, die D a r -
w i n s Lehre kennen, brauche ich darüber ja nichts weiter zu
sagen. Es fällt mir natürlich auch nicht ein, mit dem an¬
geführten Beispiel etwa behaupten zu wollen, dass der Londoner
sich der Farbe seines Himmels anpasst, aber mutatis
mutandis, bin ich doch überzeugt, dass der Londoner Himmel
seinen Einfluss auf die Bewohner ausübt. Wenigstens habe ich
selbst das stark empfunden. Ich stand, dem Rate des weisen
Bädecker folgend, ziemlich zeitig auf und dadurch gelang es
mir manchmal, einige Strahlen der Sonne zu erwischen, soweit
man das, was sich durch die dicke, aschenartige Atmosphäre
Bahn brach, noch Strahlen und Sonne nennen konnte. Jeden¬
falls schmerzten mich nie die Augen, wenn ich dieser Sonne
auch noch so fest ins Antlitz sah, und der Himmel über meinem
Haupte blieb immer gleich grau, wie schweres Unwetter drohend.
Ich wurde ordentlich melancholisch und bekam Heimweh nach
unserem römischen Himmel. „Und im Winter, wie ist s denn
da?“, fragte ich meine Wirtin: „Oh, da muss ich den ganzen
Tag Licht brennen und dass man dann oft nicht die Lland vor
den Augen sehen kann, werden Sie ja wohl schon gehört haben.
Aber wir haben doch ein gutes Mittel gegen den schrecklichen
Nebel: feinen Whisky.“
Das ist’s ; ein paar Gläser guten Whiskys machen Nebel,
Kohlendunst, Feuchtigkeit und alles erträglich. Der Schnaps
ist ja überall im Norden der grosse Tröster der Mühseligen und
Beladenen; aber nirgends wird dieser Tröster so sehr in An¬
spruch genommen, als gerade in London. U eberall, an allen
Ecken und Enden der Riesenstadt sieht man die riesigen, pracht¬
vollen Lampen der Bars aufleuchten und sie locken nicht ver¬
gebens, denn alle diese zahllosen Lokale sind erfüllt mit Männern
und Frauen, die stehend und hastig, wie hier alles geschieht,
einige Gläser Whisky oder die schweren, englischen Biere
hinunterstürzen. Viel seltener als bei uns sieht man Limonade¬
oder Eiswasserverkäufer, obwohl die Hitze während meines Auf¬
enthalts sicher nichts zu wünschen übrig liess. Diese unschäd¬
lichen Erfrischungsmittel scheinen sich beim Volk keiner be¬
sonderen Beliebtheit zu erfreuen, der Alkoholteufel hält hier alle
in seinen Banden, man sieht überall sinnlos Betrunkene, be¬
sonders auch Frauen und das war es, was mir in London den
nachhaltigsten und schmerzlichsten Eindruck gemacht hat. Da¬
mit hängt es wohl auch zusammen, dass man überall so elende,
verlumpte Gestalten sieht, gegen die der ärgste neapolitanische
Lazzaroni noch einen günstigen Eindruck macht. Es mag Zu¬
fall sein, dass ich bei den wenigen Autopsien, denen beizuwohnen
ich Gelegenheit hatte, jedesmal sklerotische Alterationen der
Aorta und der Arterien sah, aber dass die Trunksucht bezw.
ihre Folgen sich auch in den Krankenhäusern etc. sehr unlieb¬
sam bemerkbar machen, ist klar. Was nützen dagegen alle Be¬
strebungen der Regierung, der Temperenzler und dergleichen?
Man erschwert den Speiserestaurants die Konzession für W ein-
und Bierverkauf und dieselben helfen sich, indem sie ihren
Gästen die gewünschten Getränke vom nächsten Shop oder Bar
holen lassen und für den, der nur trinken will, gibt’s ja Bars
genug. Solange die Regierung nicht den Mut hat, die Schnäpse
und starken Biere mit solch hoher Steuer zu belegen, dass sie
durch alkoholfreie Getränke oder doch das leichte Lagerbier ver¬
drängt werden, wird die Alkoholklage nicht leicht verschwinden.
Die kolossale Grösse der Stadt und der ausserordentliche
Verkehr bringt auch noch viele andere sanitäre und hygienische
Misstände mit sich; Unglücksfälle, nervöse Krankheiten,
Schwierigkeit, die Abfälle etc. zu entfernen, die Strassen rein
zu halten etc. Als ich englischen Unterricht bei einer Tochter
Albions nahm und zu den Worten „town“ und „city“ kam, wollte
ich Rom eine City nennen, wofür mich meine Lehrerin auslachte.
Jetzt werde ich nicht mehr darauf bestehen, aus der „town Rom
eine „city“ zu machen. Meiner Ansicht nach sollte man Städte
nicht ins Unendliche wachsen lassen und besonders in London
jede weitere Um- und Einbauung zu verhindern und noch mehrere
Parks einzuschieben versuchen, denn die vorhandenen reichen
schon längst nicht mehr aus, um diesem unabsehbaren Häuser¬
gewirr mit seinen zahllosen Fabriken und Schornsteinen Luft
zuzuführen. Die Londoner suchen sich ja insofern zu helfen,
dass jeder, der es machen kann, eines der netten und sehr be¬
quem eingerichteten Häuschen in den äusseren V ierteln bezieht,
oder gleich jeden Abend aufs Land hinaus fährt. Dadurch wird
das Zentrum der Riesenstadt allerdings immer mehr entvölkert
(d. h. für die Nacht), aber die Luft und der Himmel der armen,
reichen Stadt wird dadurch auch nicht verbessert. Ein witziger
deutscher Kollege, der in London eine gute Praxis hat, beklagte
sich darüber und sagte mir : „Bei dieser fortschreitenden De¬
zentralisation müssen wir zu Grunde gehen, meine Patienten zer¬
streuen sich nach allen Richtungen und überhaupt werden
dabei weniger krank.“ Aber leider kann nur ein verschwindend
kleiner Teil sich den Luxus einer Landwohnung leisten, die
meisten müssen in der Riesenstadt ausharren und für sie sucht
man so gut als möglich vorzusorgen. Für grosse Uebel gewaltige
Heilmittel. Es gibt unzählige Krankenhäuser, sogar spezielle für
Herzkranke, Krebskranke, Vegetarianer etc. Wenn man eine
Karte von London betrachtet, auf der die Krankenhäuser, bezw.
Ambulanzstellen rot eingezeichnet sind, kann man sich leicht
davon überzeugen, wie gut deren Anordnung ist, um sie bequem
von jedem Punkt erreichen zu können. Oeffentliche Bäder sind
ebenfalls sehr zahlreich vertreten, und wenn auch viele davon
nicht an besonderer Eleganz leiden und nicht als Muster moderner
Bäder gelten oder noch viel weniger mit dem Müll er sehen
Volksbad in München konkurrieren könnten, so sind sie doch
— für Londoner Verhältnisse wenigstens — billig.
Auch im „Rowton-house“ (das für den den Lesern
dieser Zeitschrift schon lange bekannten Albergopopo 1 a r e
in Mailand vorbildlich war, aher von demselben weitaus über¬
troffen wurde) und im „P e o p 1 e’s P a 1 1 a c e( , nächst dem
riesigen London-Hospital, diesen nur für die Volkswohlfahrt
bestimmten Anstalten, sind die Preise so niedrig, wie sie nie
in unserem Institut für physische Therapie sein können.
Sehr unzeitgemäss und für solche Riesenstadt doppelt
schauderhaft ist die Art, "wie die Abfälle entfernt werden. In
alten Kisten oder Körben werden sie von den Hausbewohnern an
den Rand des Fussteiges gestellt, wo ich diese unverdeckten Be¬
hälter oft noch um 9 Uhr Morgens und später stehen sah. End¬
lich kommt ein offener Karren und die betreffenden Bediensteten,
welche den mannigfachen Inhalt der Kisten — gewiss nicht
staubfrei — ihrem Karren einverleiben. In diesem Fall sind die
Berliner mit ihren verschlossenen Wagen und ebensolchen
eisernen Behältern den Londonern doch weit über. Peinliche
Reinlichkeit und Ordnung habe ich aber in den verschiedenen
Krankenhäusern gefunden. Grosse Säle für wenige Kranke, Luft
und Licht, reine Wäsche und im allgemeinen sehr gute Bade¬
einrichtungen. Doch über die Krankenhäuser, besonders auch
das German-Hospital, will ich im nächsten Brief etwas ausführ¬
licher berichten. Dr. Giovanni G a 1 1 i.
Verschiedenes.
Eine neue Verwendung des Troikarts.
Bei Phlegmonen und ausgedehnten Eiterungen, überhaupt
überall da, wo Gegenöffnungen nötig sind, wraren bisher die Lister-
sonde und das Messer im Gebrauch. Man kann sich aber von der
Anfangsöffmmg des Eiterherdes aus viel leichter eine Gegenöffnung
verschaffen. Ich erreiche dies durch einen Troikart und meine
hier einen solchen, wie man ihn zur Punktion der Hydroeele odei
des Abdomens oder der Gelenkhöhlen braucht. Derselbe nauss
armiert sein mit der über die Troikartspitze hin- und hersclneb*
baren Hülse. Hat man mit dem Messer die erste Oeffnung ge¬
macht., und glaubt man von da aus Gegenöffnungen anlegen zu
müssen, so schiebt man die Hülse bis über die Troikartspitze um
geht nun stumpf durch die Eiterhölile hindurch und bis an d i e
Hautgegend heran, wo man die Haut verdünnt und sich vonvolben
sieht; alsdann zieht man die Hülse zurück und schiebt den iroi-
kart selbst mit seiner Spitze vor und macht nun durch einen Sticii
die Gegenöffnung. Die Hülse lässt man vorläufig liegen, bis man
sich schlüssig ist. ob man einen Drain einführen oder ob man von
der Gegeuöff innig aus wreiter spalten will; entschliesst inan sich
September 1Ö02.
MÜENGTiKffEft MEMCmiSCHE WOCHENSCHRIFT.
1487
fürs erstere, so hat man eben mit der liegen gelassenen Hülse
den Vorteil, in aller Ruhe und Sicherheit, und namentlich ohne noch
einmal dem Kranken Schmerzen zu machen, den Drain durch die
Wunde durchführen zu können, denn der Drain lässt sich durch
die Hülsenkanüle schieben. Das Anstechen von Gegenöffnungen
nach obiger Methode vereinfacht ganz wesentlich das Operations¬
verfahren, verkürzt die Narkose oder es macht unter Umständen
die letztere ganz unnötig. Dies Verfahren hilft ebenso erleichternd
und schmerzlindernd auch bei den nur kurze Zeit nachhaltenden
örtlichen Schmerzstillungen; der Troikart erspart ferner manche
Aufregung und manches Messer, das sonst so leicht stumpf wurde
beim Anlegen von Gegenöffnungen auf der Listersonde.
A. Rahn- Krippen a. Elbe.
Therapeutische Notizen.
Zur Arseniktherapie bei Phthise (s. Ausf. von
Dr. Cybulski No. 33 d. W.) teilt uns Herr Dr. La quer mit,
dass in Davos, Arosa, Hohenhonnef, Schömberg u. s. w. vielfach
die von einem holländischen Arzte t e n Kate Hoedemaker
angegebenen Arsen-Salizyl-Pillen bei Behandlung des Fiebers
von Lungenkranken mit Erfolg angewandt werden. Die Verord¬
nung lautet:
Rp. Ac. arsenic. 0,01
Natr. salicyl. 10.
Arnyli q. s. u. f. ope aqu. dest. q. s. pil. No. 100.
Ne consp. S. 3— 4 mal tgl. nach der Mahlz. 10 Pillen zu nehmen.
Turban-Davos in: „Die Anstaltsbehandlung im Hoch¬
gebirge“, 1899, Wiesbaden, E. F. Bergmann, und Schroe d & r -
Schömberg in Meissens „Beiträge“, ersch. ebendaselbst, heben
den Wert dieser Verordnung hervor.
Kassowitz’ Ausführungen über die angebliche
W i rkungslosigkeit des Diphtherieheilserums
ei falnen in den Thierap. Monatsh. No. 7 u. S eine sehr energische
Abweisung durch Siegert- Strassburg und Erich M ü 1 1 e r -
Berlin. Beide weisen nochmals nachdrücklich darauf hin, dass die
Diphtheriemortalität mit Einführung des Diphtherieheilserums in
ganz auffälliger Weise gesunken ist. Kr.
Ueber die Wirksamkeit verschiedener Band¬
wurmmittel hat Sobotta einige Beobachtungen angestellt
(Thierap. Monatsh. 1902, 8). Als bestes Mittel bewährte sich dar¬
nach 1 ilixextrakt in Dosen von 7 — 8 g. Diese Dosis genügt auch
für Erwachsene, wenn man schon vorher für ausgiebige Darm¬
entleerung sorgt. Toxische Erscheinungen wurden dabei nicht be¬
obachtet, wenn inan bald nach Einnehmen des Mittels für schleu¬
nige und reichliche Darmentleerung sorgt. Statt des Riciiiusöles
kann man zum Entfernen des Filixextraktes auch Senna
nehmen. Tv-„
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ü nclie n, 2. September 1902.
— Wie aus einer von der preussischen Regierung veranstal¬
teten Umfrage hervorgeht, hat die Anstellung von Schul¬
arzt e n in der Umgebung von Berlin im letzten Jahre bedeutende
Fortschritte gemacht. Eine ganze Reihe von Vororten hat Schul¬
ärzte aufgestellt. In Neu-Weissensee beschloss die Gemeinde¬
vertretung in ihrer letzten Sitzung, einen Schularzt anzustellen,
während die Schaffung dreier weiterer Schularztstellen in Aussicht
genommen wurde. Von den grösseren Vororten ist nur Wilmers¬
dorf der Frage bisher nicht nähergetreten. Rummelsburg hat sich
entschieden gegen die Anstellung von Schulärzten erklärt. An¬
erkannt wurde, dass gerade in diesem Orte mit seiner starken
Arbeiterbevölkerung Kinderkrankheiten häufig genug auftreten.
Das Institut der Schulärzte wäre bei der Armut eines erheblichen
Teiles der Einwohner nur dann von wirklichem Nutzen, wenn es
möglich wäre, die erkrankten Kinder, besonders bei den häufig
au?1^enc\en Augen- und Ohrenleiden, in einer Gemeindeanstalt
auf Gemeindekosten behandeln zu lassen. Da dies zur Zeit der
finanziellen Schwierigkeiten wegen nicht möglich ist, will man
erst die Erfolge abwarten, die andere Vororte mit den Schulärzten
erzielen. In Ober-Schöneweide, wo ein Schularzt angestellt ist,
sind die leitenden Kreise auf die neue Einrichtung nicht sonder¬
lich gut zu sprechen. Sie behaupten, es handle sich dabei um
eine kostspielige Modefrage ohne wirkliche Vorteile für die Kinder,
und weisen darauf hin, dass sich, trotz der energischen Tätigkeit
des Schularztes, die Masern unter den Schulkindern nicht haben
eindammen lassen. Dagegen ist man in Lichtenberg mit der
Tätigkeit der Schulärzte sehr zufrieden, ebenso in Pankow und
Reinickendorf. In den meisten Vororten beträgt das jährliche
Honorar für jeden Schularzt 500 M„ wofür die Aerzte in jeder
Woche zwei- oder dreimal die Klassen und die einzelnen Kinder zu
besichtigen oder zu untersuchen haben, um darüber dem Gemeinde-
i orstande Bericht zu erstatten.
~ .Wi.e das Komitee des XIV. internationalen
medizinischen Kongresses in Madrid mitteilt, wurden
Kongressteilnehmern folgende Fahrpreisermässigungen ge-
,va;!rt: Von der nordspanischen Eisenbahn, ebenso von Madrid
c i Saragossa und Alicante 50 Proz.; von den fran- j
„Napolitana“ und
Kompagnie (span.)
Rome, erteilen un-
zösischen Eisenbahnen (Ost, Süd, Nord, West, P.-L.-M.,
Staatseisenbahn und Orleansbahn) 50 Proz.; von der Navigazione
generale Italiana, der Compagnia „Puglia* ,
„Siciliana“ 50 Proz.; von der transatlantischen
33 Proz.
Die „Voyages Pratiques“, Paris, 9 rue de
entgeltlich Auskunft über alle die Reise betreffenden Fragen.
Das Wohnungsbureau in Madrid ist konstituirt und wolfe man
sich zur Sicherung passender Wohnung direkt an dasselbe wenden
(Bureau des logements, Faculte de Medecine, Madrid).
oitiäge, v eiche in das definitive Programm aufgenommen
werden sollen, sind bis 1. Januar 1903 dem Generalsekretariat an¬
zumelden.
— Geheimrat Virchow ist am 30. v. Mts. von Harzburo-
wo er nach Beendigung seiner Kur in Teplitz mehrere Wochen
verweilt hatte, nach Berlin zurückgekehrt. Das Befinden des
gleisen Geleinten gab in letzter Zeit leider neuerdings zu ernsten
Besorgnissen Anlass.
— Seinen 70. Geburtstag feierte am 29. d. Mts. Geh. San.-Ilat
Dr. Brock in Berlin, Generalsekretär der Deutschen Balneo-
logischen Gesellschaft und hochverdient um die Begründung und
Entwicklung der freien Arztwahl bei den Krankenkassen. °
Im pi eussischen Kultusministerium hat in vergangener
Woche unter dem Vorsitze des Ministerialdirektors Althoff
eine Konferenz von Sachverständigen in der Cholerafrage
stattgefunden.
C li o 1 e r a. Russland. Nach den im Regierungsanzeiger
vom 15. August veröffentlichten amtlichen Mitteilungen traten in
den bedeutenderen Städten der Mandschurei längs der chinesischen
Ostbahn — nach den bis zum 13. August eingegangenen Be¬
richten — die Erkrankungen an der Cholera in dem oisherigen
Umfange auf, nur in Inkou war eine Abnahme der Seuche beob¬
achtet. Die im Bereiche Sibiriens von der Cholera betroffenen
Oite hatten zumeist nur vereinzelte Fälle g’ehabt. — Aegypten.
Vom 29. Juli bis zum 4. August waren in ganz Aegypten 18o neue
Erkrankungen (und 278 Todesfälle) au der Cholera amtlich fest¬
gestellt, davon in Kairo 73. Unter allen Neuerkrankten (bezw.
Gestorbenen) befanden sich nur 2 (2) Europäer in Kairo; von den
278 Todesfällen entfielen 117 auf die Spitäler, ln Behandlung be¬
fanden sich am 4. August insgesamt 1U9 Cholerakranke. In den
betroffenen Ortschaften sind Choleraspitäler errichtet und alle
Massregeln getroffen, um die Verbreitung der Seuche zu ver¬
hindern; in Kairo hat die Sanitätskommission die dauernde Schlies-
sung aller städtischen Brunnen, deren Wasser verunreinigt er¬
scheint, empfohlen, zugleich um der weiteren Ausbreitung des
Typhus in der Stadt entgegenzuwirken Die Gesamtzahl. der
Cholerafälle in Aegypten vom 15. Juli bis <j. August betrug an¬
geblich 981; 819 derselben waren tödlich verlaufen. Nach dem
amtlichen Bulletin quarantenaire hiebdomadaire vom 14. August
waren vom 5. bis 13. August in Alexandrien an der Cholera 8 Per¬
sonen erkrankt und 6 gestorben, darunter 1 Europäer, in Kairo,
woselbst am G. August 52 Cholerakranke im Bestände waren, sind
vom 7. bis 13. August 92 Personen neu erkrankt und 8G der Cho¬
lera erlegen. Anderweitigen Nachrichten zufolge sind vom 7. bis
einsclil. 13. August in ganz Aegypten 2G4 Erkrankungen (und
184 Todesfälle) an der Cholera zur amtlichen Kenntnis gelangt,
darunter 79 (70) in Kairo. — Philippinen. Während der ersten
Hälfte des Monats Juli sind in Manila G55 Personen an der Cho¬
lera erkrankt (und 504 gestorben), in den Provinzen 4G40. Unter
den in Manila Erkrankten befanden sich nur 3 Europäer. —
China. Nach den vom Gesundhieitsamte in Shanghai veröffent¬
lichten Angaben sind dort unter der chinesischen Bevölkerung
während der 3 Wochen vom 16. Juni bis G. Juli zusammen
366 Choleratodesfälle zur amtlichen Kenntnis gelangt. Gleich¬
zeitig wurden unter den rund 7000 nichtchinesischen Bewohnern
von Shanghai nacheinander 2, 2, 4 Fälle von Cholera gemeldet.
Aus Nanking wurde unter dem 3. Juli gemeldet, dass auch dort
und in Chinkiang die Cholera unter der chinesischen Bevölkerung
ausgebrochen sei. — Korea. Zufolge einer Mitteilung vom
18. August sind im nordwestlichen Teil von Korea Cholerafälle
festgestellt worden. - — Japan. In der Stadt Karatsu war zufolge
einer Mitteilung vom 1. Juli die Cholera seit einigen Tagen er¬
loschen und in den benachbarten Distrikten nach amtlichen Mit¬
teilungen in Abnahme begriffen. Auf der Insel Iki im Hafen von
Katsumoto, wo seit dem 14. Juni gleichfalls die Cholera aus¬
gebrochen war, sind 3 Fälle festgestellt worden und 2 der Er¬
krankten gestorben. Während die Stadt Nagasaki bis zum 1. Juli
von der Cholera verschont geblieben war, sind an Bord des seit
dem 27. Juni daselbst in Quarantäne liegenden japanischen
Dampfers „Fujisan Maru“ 7 Erkrankungen an Cholera vorge-
kommen.
— Pest. In der Woche vom 1. bis 8. August sind 7 Er¬
krankungen festgestellt, davon 6 in Alexandrien, 1 in Tukli. Vom
8. bis 15. August sind aus Alexandrien 4 Erkrankungen und
1 Todesfall an der Pest gemeldet. — Aden. Nach einer in
Britiscli-Ostindien am 23. Juli eingegangenen amtlichen Nachricht
waren in Aden 2 an der Pest erkrankte Heizer des Dampfers
„Hispania“ an Land gesetzt. — Britisch-Ostindien. In der Prä¬
sidentschaft Bombay sind während der am 25. Juli abgelaufenen
Woche 1581 neue Erkrankungen (und 1040 Todesfälle) an der Pest
zur Anzeige gelangt, darunter 34 (30) in der Stadt Bombay, 17 (13)*
in Stadt und Hafen von Karachi. — Vereinigte Staaten von Ame¬
rika. Aus San Franzisko sind am 19., 25., 29. Mai und am 13.,
19., 20. Juli je 1 Erkrankung und je 1 Todesfall an der Pest ge-
1488
MTJENCHENER MEDICINISCITE WOCHENSCHRIFT*
No. 35.
m: Brasilien. MH te August wurden in Rio de .Janeiro 5 fest- !
todesfälle festgestellt und auch in Viktoria sind am 20. August
pestverdächtige Fälle beobachtet. — Queensland. In Townsville
ist zufolge einer Mitteilung vom 19. August wieder 1 Pesttodes¬
fall vorgekommen.
_ In der 33. Jahreswoche, vom 10. — 16. August 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Königshütte mit 35,2, die geringste Flensburg mit
7.1 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Masern in Oberhausen, an Diphtherie
und Krupp in Bamberg und Gleiwitz. V. d. Iv. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
E r 1 a n g e.n. Die Umwandlung der ausserordentlichen Pro¬
fessur für Hygiene und Bakteriologie an der k. Universität Er¬
langen in eine ordentliche Professur wurde genehmigt.
' C h icag o. Dr, G. E. Kriege r in Chicago ist zum ordent¬
lichen Professor der Chirurgie am Harvey Medical College in
Chicago ernannt worden. Er war ehemals Assistent an der chi¬
rurgischen Klinik zu Würzburg, später erster Hausarzt am
deutschen Hospital zu New-York, Direktor am Chicago-Hospital
und Medizinalinspektor am Chicago Health Departement.
Bologna. Habilitiert: Dr. A. Gnu di für medizinische
Pathologie. .
Boston. Drei Frauen, welche an der Bostoner Universität
den medizinischen Doktorgrad errangen, sind jetzt Mitglieder des
Lehrkörpers dieser Universität; Dr. Sara Sweet liest über Augen¬
heilkunde, 1 )r. B u c li m a n n -Caliil über Gynäkologie, Dr.
Martin Coon hält Vorlesungen über die Morphologie der Tiere.
Genua. Habilitiert: Dr. S. Genta für Oto-Rhino-Laryngo-
logie.
G r a z. Habilitiert: Dr. W. Scholz für innere Medizin.
K r a k a u. Privatdozent Dr. A. Rosner wurde zum ausser¬
ordentlichen Professor der Geburtshilfe und Gynäkologie ernannt.
Laus a n n e. Dr. A. M e r m o d wurde zum ausserordent¬
lichen Professor der Otologie und Laryngologie an Stelle des ver¬
storbenen Prof. Secretan ernannt.
Mail a n d. Fräulein Dr. Rina Martio ist zum Professor
der Anatomie an die Universität Mailand berufen worden.
Mode n a. Dr. G. G a 1 1 i, Privatdozent an der medizinischen
Fakultät zu Parma, habilitierte sich für chirurgische Pathologie.
Moskau. Habilitiert: Dr. Maliutin für Oto-Rhino-
Laryngologie.
(Todesfälle.)
Dr. Pasternazki, Professor der inneren Medizin an der
militärmedizinischen Akademie zu St. Petersburg.
Der holländische Dermatologe Dr. Broes van Doert
ist nach kurzer Krankheit verstorben.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Max Klar zu Albisheim und Dr. Hans
Schmitt zu Landstuhl. Dr. S t o e c k 1 e (nicht S t ö r k 1 a),
approb. 1900, als Assistenzarzt an der Kreisirrenanstalt Wer neck.
Verzogen: Dr. Jul. Oster von Kandel und Dr. G u n d 1 i n g
von Landstuhl.
Ernannt: Der Privatdozent mit dem Titel und Rang eines
ausserordentlichen Professors und Leiter der Kinderpoliklinik im
Iteisingerianum Dr. Karl S e i t z ohne Aenderung seiner Lehrauf¬
gabe zum ausserordentlichen Professor in der medizinischen
Fakultät der k. Universität München; der Privatdozent mit dem
Titel und Rang eines ausserordentlichen Professors an der k. Uni¬
versität München Dr. Fritz V o i t zum ausserordentlichen Pro¬
fessor in der medizinischen Fakultät der k. Universität München
und demselben die Leitung der medizinischen Poliklinik über¬
tragen.
Befördert: Der ausserordentliche Professor an der k. Uni¬
versität Erlangen Oberstabsarzt ä la suite des Sanitätskorps Dr.
Ludwig II e i m zum ordentlichen Professor der Hygiene und Bak¬
teriologie in der medizinischen Fakultät der k. Universität Er¬
langen.
Korrespondenz.
Zur Ernennung des seitherigen Professors der Dermatologie Dr.
Schweninge r zum Professor der Geschichte der Medizin.
I n ein ganz eigentümliches Licht wird die be¬
kannte Erteilung eines Lehrauftrages für Geschichte der Medicin
an der Berliner Hochschule durch die Auslassung der ,, Kreuz¬
zeitung“ gesetzt, die da lautet: „Charakteristisch für die Unkennt¬
nis weiter Kreise über Universitätsverhältnisse ist wiederum die
Art, wie die Erteilung eines neuen Lehrauftrages an Professor
Scliweninger vielfach besprochen wird. Jeder, der nur
„ein wenig“ (soll wohl heissen: intim) mit den Dingen vertraut ist,
weiss, dass es sich allein darum gehandelt hat, die Klinik der
Hautkrankheiten, der Prof. Scliweninger Vorstand, mit der
Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten zu vereinigen.
Nachdem nun S c h w eninger auf seinen Lehrauftrag für Haut¬
krankheiten verzichtet hatte, musste ihm, der eine etatsmässige
Professur bekleidet, ein anderer Lehrauftrag erteilt werden. Hier
bei waren naturgemäss seine Wünsche in erster Linie (also nicht
seine Leistungen) massgebend, und so hat er einen Lehrauftrag
für Geschichte der Medizin und ausserdem für Allgemeine Patho¬
logie und Therapie erhalten. Dass Scliweninger auf diesen „Ge¬
bieten“ (es war nur von Geschichte der Medizin die Rede) noch nichts
literarisch geleistet habe (wo sind seine Leistungen auf dem Ge¬
biete der Geschichte der Medizin V), trifft nicht zu, ist aber auch
für uns (auch für die Disziplin und die Lernenden?) ohne Inter¬
esse. Denn, wie die Dinge lagen, handelte es sich um die Frage:
ob die Unterrichtsverwaltung einen Mann, der wegen seiner her¬
vorragenden Verdienste um den Fürsten Bismarck zum Professor
ernannt worden war, jetzt, nachdem Fürst Bismarck nicht mehr
unter den Lebenden weilt, einfach aufgeben und fallen lassen
sollte. Diese Frage stellen, heisst sie beantworten. Dass sich die
Unterrichtsverwaltung zu einem so pietätlosen Vorgehen nicht
hergegeben hat, können wir nur mit aufrichtiger Genugthuung be-
grüssen. Und was schliesslich den umstrittenen Lehrauftrag be¬
trifft, so trösten wir uns auch damit, dass bei der Lernfreiheit der
Studierenden niemand gezwungen ist, bei Herrn Schweninge r
zu hören, falls ihm dessen Vorlesungen nicht Zusagen sollten.“
Unserer Ansicht nach war es früher schon ein Fehler’, für
Verdienste um den Fürsten Bismarck eine etatsmässige Professur
der Hautkrankheiten zu verleihen. Eine solche darf doch nur für
Verdienste um diesen Zweig der Wissenschaft verliehen werden.
Ausserdem hatte die Professur für Hautkrankheiten sogar einen
unangenehm juckenden Beigeschmack gerade als Belohnung für
hervorragende Verdienste um den Fürsten Bismarck, der doch
nicht hautkrank war. Statt der Professur hätte man damals viel
richtiger eine hohe Dotation oder eine höchste Ehrung, etwa den
schwarzen Adlerorden, verleihen können und sollen, und das hätte
man selbst jetzt noch nachholen können, aus wissenschaftlichen
Gründen Hätte dagegen nichts eingewendet werden können. Statt
dessen aber wieder eine Professur resp. einen Lehrauftrag und
zwar zur Abwechslung diesmal die der Geschichte der Medizin (und
der Allgemeinen Pathologie und Therapie) als Ersatz für die ver¬
lassene der Hautkrankheiten zu verleihen, ist ein zu ernster Schritt,
um ihn mit der Bemerkung abzutun, dass ja die Lernfreiheit an
unseren Hochschulen etwaige Nachteile verhüten werde. Das
klingt fast wie Hohn.
Die Hereinziehung der Verdienste um die Person des Fürsten
Bismarck in den Kampf für eine richtigere und höhere Wert¬
schätzung eines Wissenschaftszweiges heisst nichts anderes, als
ein Gaukelpiel treiben, um kritiklose Köpfe zu liaranguieren. Die
Pietät gegen den Schöpfer des Deutschen Reichs wäre, wenigstens
in wissenschaftlichen Kreisen, sicher eher gesteigert worden, als
das Gegenteil, wenn man einen anerkannten Fehlgriff jenes be¬
seitigt hätte, anstatt ihn zu erneuern, ja zu verschlimmern. Auch
hätte die Unterrichtsverwaltung wissen müssen, dass seit kurzem
eine „Gesellschaft für Geschichte der Medizin“ besteht, deren
Streben dahin geht, Forschung, Studium, Lehre und Darstellung
dieser von der seither notgedrungen mehr oder weniger ihnen an¬
haftenden Liebhaberpflege zur strengen Methode der neueren
historischen Wissenschaft überzuführen, was selbstverständlich
durch Hochschullehrer, die doch hierbei zuerst in Betracht kommen,
ohne tüchtige oder gar ohne jede historische Vorbildung nicht ge¬
schehen kann. Wie können Lehrer ohne derartige, allergründ-
lichste Vorbildung medizinisch - historische Semi¬
nare e i n f ii h r e n und leiten, die unserer Ueber-
zeugung nach vor allem in Zukunft notwendig
s i n d, soll der seitherige zum richtigen Betrieb geändert werden?
Dass auch dieser Kampf auf das politische Gebiet, vielmehr
in politische Zeitungen übergeleitet worden ist, ist sehr zu be¬
dauern; denn dadurch wird der allein beabsichtigte wissenschaft¬
liche Charakter desselben gefährdet. H. B.
Morbiditätsstatistikd. Infektionskrankheitenfür München-
in der 33. Jahreswoche vom 10 bis 16. August 1902.
Beteiligte Aerzte 97. — Brechdurchfall 29 (35*), Diphtherie u.
Krupp 4 (3), Erysipelas 8 (9), Intermittens, Neuralgia interm.
1 ( — ); Kindbettfieber — ( — ), Meningitis cerebrospin. — (— ),
Morbilli 15 (16), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 2 (1), Parotitis
epidem. 2 (1), Pneumonia crouposa 4 (2), Pyämie, Septikämie
— ( — ), Rheumatismus art. ac. 12 (14), Ruhr (Dysenteria) 2 ( — ),
Scarlatina — (4), Tussis convulsiva 24 (37), Typhus abdominalis 1
( — ), Varicellen 2 (2;, Variola, Variolois — ( — ), Influenza — ( — ).
Summa 106 (124). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 33. Jahreswoche vom 10. bis 16. August 1902.
Bevölkerungszahl : 493 932.
Todesursachen ; Masern 1 (2*) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u Krupp — ( — ), Rotlauf — (2), Kindbettfieber 1( — ), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 4 (1), Brechdurchfall 6(11), Unterleib-Typhus —
(— ), Keuchhusten 4 (9), Kruppöse Lungenentzündung 1 (2), Tuber¬
kulose a) der Lunge 2 1 ^31), b) der übrigen Organe 4 (6), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
3 (7), Unglücksfälle 2 (1), Selbstmord 2 ( — ), Tod durch fremde
Hand 1 ( — ).
Die Gesamtzahl der SterbtfUle 183 (210), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 18,8 (21,6), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 10,5 (12,5).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann ln München. — Druck von E. Mühlthalcr’s Buch- und Kunstdruckerei A.G., München
Die Munch. Med. Wochenschr. erscheint wöohentl
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MÜNCHENER
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mann, Henstrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE W OCHENSCHRIFT
(früher Ärztliches intelligenz-blatt)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. ». Angerer, Ch. Bäumler, 0. ßollinger, H. Cursehmann, W. v. Leute, G, Merkel, J. v. Michel, F, Penzoldt, H. v. Ranke F v Winckel
München. Freiburg i. B. München. Leipzig. w.wu,™ ... ' 1 . ITMILHCI,
Würzburg.
Nürnberg.
Berlin.
Erla: gen.
München.
München
No. 36. 9. September 1902,
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem pharmakologischen Institut in Kiel.
Ueber das Verhalten einiger Glukoside, sowie über
die Entstehung gepaarter Glukuronsäuren im Tier¬
körper.*)
Von A. Falck.
E. Fischer und O. P i 1 o t y haben in ihrer Mitteilung
über die Synthese der Glukuronsäure sich auch über deren Ent¬
stehung im Organismus ausgesprochen. Indem sie darauf hin-
weisen, dass die Bildung der Glukuronsäure aus Glukose durch
Oxydation sehr unwahrscheinlich sei, sprechen sie die Ansicht
aus '), „dass beim Durchgang von Kampher oder Chloral durch
den Tierkörper zunächst eine Verbindung derselben oder ihrer
Umwandlungsprodukte mit Traubenzucker entsteht, in welcher
die Aldehydgruppe des letzteren festgelegt und vor weiterer
Oxydation geschützt ist und dass dann diese Zwischenprodukte
durch weitere Oxydation in Kampherglukuronsäure und Uro-
chloralsäure übergehen“. Später hat sich E. Fischer über
diese gepaarten Säuren dahin ausgesprochen '), dass sie „höchst
wahrscheinlich glukosidartige Verbindungen des Ivampherols und
des Tri chloräthylalkohols mit der Glukuronsäure sind“. Diese
Aussprüche E. Fischers darf man wohl dahin ergänzen, dass
z. B. aus dem Kampher zunächst das Kampherol und aus diesem,
unter Verbindung mit Traubenzucker, das Kampherolglukosid
entsteht, das darauf, unter Erhaltung der glukosidartigen Ver¬
bindung, zur Kampherolglukuronsäure oxydiert wird oder all¬
gemeiner ausgedrückt: die Alkohole und Phenole, welche im
I ierkörper in gepaarte Glukuronsäuren umgewandelt werden,
werden zunächst mit Traubenzucker zu einem Glukosid vereinigt
und dieses dann zur Säure oxydiert.
Es schien mir möglich, durch Untersuchungen am Tiere über
die Richtigkeit dieser Annahme Aufschluss zu erhalten.
Die Glukoside werden z. T. sehr leicht in ihre Bestandteile
zerlegt. Diese Spaltung kann auch im Tierkörper erfolgen.
Daher muss, wenn aus dem Verhalten des Harns ein Schluss
gezogen werden soll, zu den Untersuchungen ein Glukosid ge¬
wählt werden, dessen mit Glukose verbundener Paarling in dem
Tierkörper nicht in gepaarte Glukuronsäure umgewandelt wird.
Denn wollte man dem Tiere z. B. T richlo r ä thylgl nkosi d geben,
so würde man ans dem Nachweis der Urochloralsäure nicht
schliessen können, dass die Säure durch Oxydation des Glukosids
entstanden sei, weil dieses im Tiere hätte gespalten werden
können: aus dem bei dieser Zerlegung gebildeten Alkohol muss
abor T rochloralsäure entstehen.
. Schmiedeberg hat für den Benzylalkohol naohge-
w lesen ), dass er durch tierisches Gewebe zu Benzoesäure oxy¬
diert wird. Mit Rücksicht hierauf habe ich zu meinen Unter¬
suchungen das Benzylglukosid, sowie seine Derivate benutzt, von
denen man annehmen muss, dass, falls sie in dem Tiere ge¬
spalten werden, im Harn ITippursiäuren, aber nicht gepaarte
Glukuronsäuren nachweisbar sind.
, . Na<* einem Vortrag, gehalten am 7. Juli 1902 im physio¬
logischen Verein in Kiel.
T Berichte d. deutsch, ehern. Gesellsch. 1891, Jahrg. 24, 8. 524.
> Berichte d. deutsch, ehern. Gesellsch. 1893, Jahrg. 20, S. 2405.
No. 36.
Hunde und Kaninchen erhielten Gaben von je 5 g Benzyl¬
glukosid, Gaben von 3,5 und 8 g des Nitroderivats : in dem Harn
konnten gepaarte Glukuronsäuren nicht nachgewiesen werden,
wohl aber Hippursäuren. Diese sind zweifellos, nachdem die
sehr leicht spaltbaren Glukoside im Tiere zunächst zerfallen
waren, in normaler Weise entstanden.
Leider war die zur Verfügung stehende Menge der Glukoside
sehr gering. Deshalb konnten Versuche mit Einspritzung unter
die Haut oder in das Blut noch nicht ausgeführt werden, Unter¬
suchungen, deren Ergebnisse von den bisher erhaltenen ver¬
schieden sein könnten. Ich muss mir deshalb Vorbehalten, diese
Lücke in meiner Untersuchung der Benzylglukoside selbst aus¬
zufüllen, sobald neue Mengen dieser Stoffe, mit deren Dar¬
stellung wir bereits beschäftigt sind, zur Verfügung stehen.
B a u m a n n hat in seinen Mitteilungen über ■ Aether-
schwef eisäuren auf das verschiedene Verhalten kleiner und
grosser Gaben Phenol hingewiesen. Gestützt auf seine Ver¬
suche sagt er ): „Nach stärkeren Phenolgaben treten aber noch
weitere Veränderungen des Harns ein; derselbe lenkt die Ebene
des polarisierten Lichtes nach links ab. Diese Linksdrehung des
Harns tritt nicht ein nach kleineren Dosen von Phenol“.
Nachdem inzwischen festgestellt war, dass nach Darreichung
von I henol im Harn eine gepaarte Glukuronsäure ausgeschieden
wird, hielt ich es für möglich — mit Rücksicht auf die so be¬
stimmt ausgesprochenen Angaben Baumanns über das ver¬
schiedene Verhalten kleiner und grosser Gaben Phenol — , unter
Benutzung des Phenolglukosid zum Ziel zu gelangen.
Ein ca. 7 kg schwerer Hund erhielt 1 g Phenolglukosid :
der in den nächsten Stunden entleerte Harn enthielt gepaarte
Glukuronsäure. Da die in 1 g Glukosid enthaltene Menge Phe¬
nol (0,37 g) nicht vergiftend wirkt und nicht zu den stärkeren
Phenolgaben Bau m a ii n s gerechnet werden kaitn, so war das
Ergebnis dieses Versuches, wreil positiv, für die Untersuchung
von grösster Bedeutung.
Da die Angaben Baumanns als Grundlage für die Deu¬
tung der Versuchsergebnisse dienen sollten, so erschien es mir
notwendig, sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Deshalb erhielt
derselbe Hund einige Tage später 0,37 g Phenol: der in den
nächsten Stunden entleerte Harn enthielt gepaarte Glukuron¬
säure ! Da dies Ergebnis B a u m a n n s Angabe widerspricht,
so erhielten 5 Hunde Gaben von 0,05 — 0,5 g Phenol : auch nach
Einspritzung der kleinsten Menge konnte in dem Harn, der in
den ersten 2 Vs bis 3 Stunden entleert wurde, g-epaarte Glukuron¬
säure nachgewiesen werden. Aus diesen Versuchen geht hervor,
dass selbst dann, wenn recht kleine Mengen Phenol in das Blut
und zu den Geweben gelangen, wie es schon normal infolge der
Darmfäulnis geschieht, stets ein Teil (bis über 30 Proz.) in ge¬
paarte Glukuronsäure umgewandelt wird3 * 5).
Wie konnte B a u m a n n dieses Verhalten des Phenol über¬
sehen ? Wohl nur deshalb, weil er bei seinen Untersuchungen
den meist erst nach ca. 24 Stunden von den Tieren freiwillig ent-
3) Arcli. f. exper. Path. u. Pharm. 1881, Bd. 14, S. 291.
I Zeitschr. f. physiol. Chemie 1879, Bd. 3, S. 159.
5) Auch nach kleinen Gaben Benzol, sowie solcher Phenole,
für welche bisher nur die Ausscheidung als Aetber Schwefelsäuren
festgestellt wurde, sind im Harn gepaarte Glukuronsäuren nach¬
weisbar.
1
1490
MÜENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
leerten Harn untersuchte : solche Hammischung kann optisch-
inaktiv erscheinen, während der Ham von bestimmten Stunden
Linksdrehung erkennen lassen würde.
Nachdem Baumanns Angabe über das Verhalten kleiner
Phenolgaben als unrichtig erkannt war, musste für den Versuch
mit Phenolgl ukosi d die Annahme berücksichtigt werden, dass das
Glukosid in dein Tierkörper zunächst in seine Bestandteile zer¬
legt wurde: das so frei gemachte Phenol würde, genau so wie das
für sich in den Körper eingeführte, in die gepaarte Glukuron-
säure u mge wandelt. Obwohl diese Erklärung nicht zurück¬
gewiesen werden konnte, so habe ich doch die Untersuchung des
Phenolglukosid fortgesetzt und bisher folgendes festgestellt.
5 Hunde erhielten, in den Magen oder unter die Haut gc
spritzt. Gaben bis zu 6 g Phenolglukosid. Von dem in 6 g Gluko¬
sid enthaltenen Phenol (= 2,22 g) konnten in dem Harn
ca. 60 Proz. wieder nachgewiesen werden: 40 Proz. waren ver¬
schwunden, während T a u b e r feststellte, dass von ca. 0,5 g
Phenol, dem Hunde gegeben, 45 Proz. zerstört werden. Sulfate
waren in dem Harn, 2 bis 2V» Stunden nach der Einnahme des
Glukosids, nicht mehr nachzuweisen, dagegen war die Menge der
gepaarten Schwefelsäuren erheblich vermehrt. Von dem m 6 g
Glukosid enthaltenen Phenol wurden ca. 16 Proz. als Phenol-
schwefelsäure, ca. 44 Proz. als Phenolglukuronsäure ausge¬
schieden.
Diese Tatsachen sind vereinbar mit der Annahme, dass das
Glukosid im Tierkörper gespalten werde. Diese Zerlegung kann
aber nicht schnell erfolgen, ’ weil sonst schon nach 2 g Glukosid
heftige Krämpfe eintreten müssten. Diese treten aber selbst
dann nicht hervor, wenn man dem Hunde 6 g Glukosid = 2,22 g
Phenol (d. h. 0,3 g Phenol für 1 kg Körpergewicht) gibt, während
sie sich schnell schon nach 0,5 g Phenol (entsprechend 0,07 g
Phenol für 1 kg) einstellen.
Das Glukosid ist somit relativ ungiftig, jedoch nicht un¬
wirksam, da, nach Einspritzung von 2 g unter die Haut oder
3 g und mehr in den Magen, in dem Harn Zucker nachweisbar
ist ; diese Glukosurie kann vielleicht mit der nach Phlorhizin
beobachteten verglichen werden.
Diese Wirkung konnte leider aus Mangel an Material noch
nicht völlig klargestellt werden, doch wird dies demnächst ge¬
schehen, sobald die Neudarstellung des Glukosids beendet ist. Ich
muss mir deshalb Vorbehalten, alsdann auch die "V eränderungen
des Glukosids im Tierkörper weiter zu verfolgen: ich hoffe, dass
eine genaue, quantitativ und zeitlich vergleichende Untersuchung
des Phenol und seines Glukosid es möglich machen kann, ein
besseres Urteil über die oben erwähnte Annahme der Entstehung
der gepaarten Glukuronsäuren abzugeben.
Aus der königl. medizinischen Universitätsklinik zu Göttingen
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E b s t e i n).
Einfluss des Levicowassers auf den Stoffwechsel
(Nach einem gemeinschaftlich mit Dr. phil. Iggena, Assistent
am landwirtschaftlichen Institut, durchgeführten Versuch.)
Von Privatdozent Dr. med. Ernst Schreiber.
Die günstige Wirkung des Levicowassers, das bereits im
17. Jahrhundert gegen Blutarmut, Skrofulöse, Nerven- und
Hautkrankheiten etc. angewandt wurde, ist allgemein anerkannt.
Deshalb muss es auffällig erscheinen, dass bis jetzt nur ein Ver¬
such, nämlich von Ewald und D r o n k e (Berl. klin. W oehen-
sclir. 1892, S. 456 u. 486) unternommen ist, auf experimentellem
Wege eine Erklärung für die günstige Heilwirkung zu suchen.
Auch über den Einfluss der beiden wirksamen Bestandteile des
Levicowassers, des Arsens und des Eisens, liegen nur spärliche
Untersuchungen vor. Speziell über die Wirkung des Arsens in
pharmakologisch kleinen Dosen finden sich in der Literatur nur
wenige Versuche, während über die Wirkung toxischer Dosen
eine grössere Reihe Untersuchungen gemacht ist. Ausser dem
bereits von Ewald und Dronke zitierten Giess sehen Ver¬
such (Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 8, S. 175) fin¬
den sich noch mehrere Tierversuche von Schmidt und
Stiirzwage sowie von F o k k e r und ein am Menschen an-
gestellter Versuch von Salt et, die indessen nicht jeder Kritik
standhalten, sowie endlich noch ein einwandsfreier Versuch von
W e i s k e, welcher zu dem Resultat kommt, dass unter der An¬
wendung von kleineren Dosen Arsen beim Hammel eine bessere
Ausnutzung des Futters und ein reichlicherer Ansatz von Ei-
weiss eintreten, wie das auch die anderen genannten Unter¬
sucher gefunden haben (s. Voit: Handbuch der Physiologie
von II e r m a n n, VI. Bd., 1. Teil, S. 182). Ueber die Wirkung
des Eisens auf den Stoffwechsel im allgemeinen finden sieh
2 ältere Versuche von Rabuteau, der eine Steigerung der
Harnstoffausscheidung bei gleicher (?) Ernährung beobachtet
haben will, und von J. M u n k, der keinen Einfluss unter der
Darreichung von Eisenchlorid konstatieren konnte (s. Voit:
1. c .S. 180).
In neuerer Zeit dagegen ist in ausgedehnterem Masse der
Einfluss des Eisens auf den Hämoglobingehalt des Blutes ge¬
nauer studiert worden, z. B. von Abderhalden. Im allge¬
meinen ergab sich aus diesen Versuchen eine günstige Beein¬
flussung der krankhaften Blutveränderungen, wie bei der
Chlorose etc., die aber bei den einzelnen Präparaten sehr ver¬
schieden gross war. Es mag übrigens erwähnt werden, dass von
v. Noorden (Nothnagels spez. Pathol. u. Therap. VIII. Bd.,
S. 164) unter der Darreichung von Arsen eine Zunahme der
Blutkörperchen und des Hämoglobingehaltes konstatiert wurde,
die erstere wurde auch von Ewald und Dron k e unter . der
Einwirkung des Levicowassers beobachtet. Im Allgemeinen
nimmt man an, dass die anorganischen und organischen, be¬
sonders die kohlensauren Eisensalze günstiger wirken, als gerade
die schwefelsauren Eisenwässer, zu denen das Levicowassei . ge¬
hört, Bekanntlich enthält das Levicowasser neben der arsenigen
Säure noch Eisen in Form von schwefelsauren Eisensalzen
(ebenso wie das Roncegno- und das Guberwasser) und zwar in
saurer Lösung, so dass, wie Ewald und D r onke richtig be¬
merken, „eine Wechselbeziehung beider pharmakodynamischer
Agentien von vornherein nicht ausgeschlossen ist“. Die Zu¬
sammensetzung des Starkwassers ist folgende:
Tabelle 1.
In 10,000 g Starkwasser sind enthalten :
Saures schwefelsaures Kalium . 0,068 g
>} Natrium . 0,108 „
’’ Ammonium . 0,081 „
Schwefelsaures Calcium . ”
„ Magnesium . 4, 773 „
„ Zink . 3,178 „
Kupfer . 0,723 „
„ Blei . °>019 »
„ Mangan . 0,145 „
Eisenoxydul . • 46,027 „
„ Aluminium . 2,697 „
Freie Schwefelsäure . 19>999 ”
Arseniksäureanhydrid . 9,060 „
Kieselsäureanhydrid . 9,330 „
Organischer Kohlenstoff ......... • 0,127 „
Lithium, Strontium, Kobalt, Nickel, Antimon, | g pUren
Chlor, Phosphorsäure, Titansäure • ■ • • 1 _
Summe der gelösten Bestandteile 78,577 g.
Es lassen sich also die Versuchsergebnisse über Arsen und
Eisen nicht ohne weiteres auf das Levicowasser übertragen, ich
führe sie deshalb auch nicht eingehender an. Es war unter
diesen Umständen ein dankenswertes Unternehmen, die Ein¬
wirkung des Levicowassers auf den Stoffwechsel zu untersuchen.
Ewald und D r onke führten ihren Versuch an einer 21 jalir.
Erzieherin durch, die an Neurasthenie mit Magendarmerschei-
nungen litt, und zwar teilten sie den Versuch in zwei Abschnitte
von 20 resp. 8 tägiger Dauer. Unter der Darreichung des Arsens
trat eine völlige Heilung der Kranken ein. Die anfangs geringe
Nahrungsaufnahme steigerte sich mit der Besserung des Allge¬
meinbefindens, ebenso schwanden im Laufe der Behandlung die
Magendarmevscheinungen. Das Resultat der \ ersuchsreihe selbst
ergab einen sehr erheblichen Ansatz von Stickstoff in beiden
Perioden, und zwar betrug der Stickstoffansatz in der ersten
Periode 45,90 g, entsprechend 1294,38 g Fleisch und in der
zweiten Periode 37,82 g Stickstoff, entsprechend 1066,5 g Fleisch.
Dem Stickstoffansatz entsprach eine Gewichtszunahme von
9 Pfund. Ewald und Dronke bezeichnen daher das Resultat
ihrer Untersuchungen mit vollem Recht als ein sehr günstiges.
Sie selbst geben aber zu, dass „die Versuchsordnung dem ge¬
wöhnlichen Schema von Ernährungsversuchen nicht entspräche .
Man darf fordern, dass auch eine Periode mit gleichmässiger Er¬
nährung ohne Arsen stattgefuiiden hätte, um den Einfluss der
Ernährung allein dem des Levicowassers gegenüber vergleichen
zu können. Ich gehöre nicht zu denjenigen, „welche den Erfolg
9. September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
nicht sowohl dem Levicowasser als den günstigen Verhältnissen,
in welche die Patientin versetzt war, zuschreiben wollen“, sondern
nach unseren klinischen Beobachtungen, welche ich an anderer
Stelle mitteilen werde, glaube ich, dass der Erfolg in der Tat
durch Levicowasser bedingt ist. Aus der von Ewald und
Dr o nke gewählten Versuchsanordnung, die allerdings dem
praktischen Gebrauch des Arsenwassers am meisten nachkommt
geht aber meines Erachtens nicht hervor, wieviel von der günsti¬
gen V irkung auf Konto des Arsens und wieviel auf das der
zweckmässigeren Ernährung kommt. Denn dass ein Teil sicher
durch die diätetische Behandlung bedingt ist, ist wohl kaum zu
bestreiten, zumal im Laufe der Zeit mit Besserung der gastrischen
Beschwerden und der Appetitlosigkeit, die Nahrungszufuhr eine
reichlichere wurde.
. Aus diefem Grunde, und um jeden Einwand zu beseitigen,
schien es mir wünschenswert, den Versuch an einem gesunden
Individuum mit allen für einen exakten Stoffwechselversuch
nöthigen Vorsichtsmassregeln zu wiederholen. Allerdings liess
sieh dieser nicht in der langen Dauer durchführen, wie der
Ewald sehe, und er entspricht daher nicht vollkommen der in
praxi geübten Einverleibung des Arsenwassers. Wenn auch für
die Annahme Ewalds und D r o n k e s, dass in einer kürzeren
Zeit eine Wirkung des Arsenwassers nicht einträte, keine abso¬
luten Beweise Vorlagen, so erschien es doch ratsam, zu dem Ver¬
such von Anfang an das wirksamere Starkwasser zu nehmen.
Ich wiederholte den Versuch an mir selbst in zwei Perioden
von 6 tägiger Dauer. Die Menge der aufgenommenen Nahrung
war in beiden Perioden konstant die gleiche. Leider schwankt
aber der Stickstoffgehalt derselben etwas, er war in der zweiten
Periode etwas höher, ich komme darauf bei der Besprechung der
Resultate noch einmal zurück. Die aufgenommene Nahrungs¬
menge betrug nämlich pro Tag 490 g Milch, 250 g Fleisch, 150 g
Kartoffelbrei, 50 g Butter und 150 g Brot.
Die Analysen wurden zum grössten Teil in dem Herrn Prof.
Lehmann unterstellten Laboratorium des landwirtschaftlichen
Instituts gemacht. lieber die Untersuchungsmethoden selbst sei
folgendes bemerkt:
Die Untersuchung der Nahrungsmittel und des Kotes er¬
streckte sich auf Trockensubstanz, Stickstoff, Fett und Asche. Die
gefundenen Werte, ausgenommen bei Milch und Butter, sind auf
absolut trockene Substanz umgerechnet. Von dem Fleisch, Brot
und Kartoffelbrei wurde eine Durchschnittsprobe aus der für die
ganze Periode berechneten und abgewogenen Menge genommen, in
nussgrosse Stücke zerkleinert, in tarierten Glasschalen gewogen
und bei 95 0 im Wassertrockenschrank getrocknet. Vor der zweiten
Wägung wurde aus dem Fleische und Kartoffelbrei, um die weitere
Verarbeitung desselben zu erleichtern, die Hauptmenge des Fettes
durch Aether extrahiert und nach dem Trocknen gewogen. Ge¬
trocknet blieben die Substanzen ca. 24 Stunden an der Luft stehen,
damit sie sich mit dem Wassergehalt derselben ausglichen: sogen.
..gev ogen-lufttroekene“ Substanz. Unverzüglich wurden sie dar¬
aut in der H e n n e b e r g sehen Mühle gemahlen und soweit zer¬
kleinert, dass die Gesamtmenge durch das 1 mm-Sieb ging, und
dann Proben für die absolute Trockensubstanz (zugleich ..Analysen¬
trockensubstanz“) entnommen. Diese Trockensubstanzbestim-
muug wurde in L i e b i g sehen Enten ausgeführt, und zwar wur¬
den in denselben 3 g Substanz 5 Stunden lang in einem Trocken¬
apparat auf 105 — 110 0 unter gleichzeitiger Durchleitung von
Wasserstoff erhitzt, alsdann der Wasserstoff durch trockene Luft
verdrängt und die Enten nach dem Erkalten gewogen. Die Trock¬
nung wurde bis zur Gewichtskonstanz, welche in der Regel schon
nach dem zweiten 3 stündlichen Erhitzen eintrat, wiederholt. Die
1 rockuung des Kotes musste etwas modifiziert werden, weil bei
zu langem und starkem Erhitzen im Trockenapparat Fettsäuren
und stickstoffhaltige Substanz ausgetrieben wurden, so dass Ge¬
wichtskonstanz kaum zu erzielen war. Es stellte sich heraus, dass
ein dreistündliches Erhitzen bei 100 0 in zwei Absätzen zu
genügenden Vergleichsresultaten führte. Der Stickstoffgehalt
wurde in 2 g, bezw. bei stickstoffreichen Substanzen in 1 g, nach
uer von W i 1 1 f a h r t h modifizierten K j e 1 d a li 1 sehen Methode
unter Zusatz von 20 ccm konzentrierter Schwefelsäure und einem
tropfen Quecksilber bestimmt. Bei Butter und Milch wurden
ca. 5 bezw. 20 g in vorher tarierten Kölbchen abgewogen und oxv-
diert. Zur Fettbestimmung in der festen Substanz wurden 3 g
ui eine aus fettfreiem Fliesspapier hergestellte Patrone gebracht,
<iese bei 95° 2 Stunden lang getrocknet und vermittels des
> ° x n i e t sehen Extraktionsapparates 24 Stunden lang extrahiert,
gi Aetlierrückstand wurde nach zweistündlichem Trocknen ge-
Die Fettbestimmung in der Milch geschah ebenfalls ge-
lcütsanaiytisch, die in der Butter nach Gerber. Zur Aseiie-
e Stimmung wurden 3 g Substanz im Porzellantiegel über kleiner
unterhalb Rotglut langsam verascht. In der weiss- bis
g augeLirbten, aber kohlenfreien Asche wurde der Gehalt an
vo i < nsjiure ermittelt, welcher, von der Rohasche abgezogen, die
lieferte. Die Analyse der Nahrungsmittel ergab fol-
ge?Me Zusammenstellung:
1491
Tabelle 2.
Analytische Belege für die Nahrungsmittel.
Trocken¬
substanz
Stickstoff Fett
Asche
in absolut trock, Substanz
Proz.
Milch I . 10,53
II . 14,14
HI . 10,89
Fleisch I . 94,73
II . 92^81
Kartoffelbrei I . . . 94,30
II . . . 93,03
Butter . 87,04
Brot . 92,38
Dazu sei bemerkt, dass Brot und Butter für die mnze
Periode reichten, Fleisch I., sowie Kartoffelbrei I. wurden” vom
!•— 1 6- Tage incl., Fleisch II. und Kartoffelbrei II. vom 7. _ 12. Tage
Milch I. vom 1 — 5. Tage inc-1., Milch II. vom 6.-8. Tage incl. und
Milch III- vom 9.— 12. Tage genossen. Aufgenommen wurden mit
diesei Xalnimg“ in der I. PcriodG von 1. — 6. Xcige folgende Mengen i
Proz.
0,494
0,408
0,554
13,55
14,22
1,70
1,68
0,109
1,62
Proz.
2.78
3,77
2,50
8,00
3,20
1,69
1.79
86,18
0,28
Froz.
0,788
0,86
0,836
9,42
7.78
7,85
9,26
1,67
1.78
Tabelle 3.
I. Periode: Tag 1.-
-6.
Ges. -Menge
luft¬
trocken
absolut
trocken
Milch
5640 g
Fleisch
1500 g
Kartoffelbrei
900 g
Butter
309 g
623,49
Stick¬
stoff
g
27,04
Fett
Asche «[Sf1-
Substanz
g
166,09
301,95
590,64
63,66
158,52
45,12
44,22
g
554,64
546,42
284,76
4,14
45,90
19,08
265,68
3,27 ! 258,54 5,02
261,12
Brot
900 g
640,89
592,08
9,60
1,68
16,02
576,06
Summa
107,71
640,73
129,46
2203,92
i i
In der II. Periode vom 7. — 12. Tage wurde dagegen 11,34 g N
mehr und 29,63 g Fett weniger genossen, wie sich aus der Ta¬
belle 4 ergibt. Diese Ungleichheit war bedingt durch die
wechselnde Zusammensetzung des Fleisches und der Milch; die
von vornherein abgewogenen und sterilisierten Nahrungsmittel
hielten sich leider nicht bis zum Schlüsse des Versuches, so dass
ich gezwungen war, in der II. Periode andere zu wählen. In
dieser II. Periode nahm ich ausserdem 3 mal täglich 2 Esslöffel
Starkwasser mit einem Gehalt von 0,2 mg Arseniksäureanhydrit
und 138 mg schwefelsaurem Eisenoxydul, im ganzen also täglich
0,6 mg Arsen und 414 mg Eisen.
Die Ausscheidungen durch den Kot, der durch Kohle ab¬
gegrenzt wurde, geben die beiden Tabellen 5 und 0 (mit den ana¬
lytischen Belegen Tabelle 6 a) wieder und die Ausscheidungen
durch den Harn die Tabellen 7 und 8.
Tabelle 4.
II. Periode: Tag 7 — 12. (Arsenperiode.)
Ges.-Menge
luft¬
trocken
absolut
trocken
Stick¬
stoff
g
Fett
g
Asche
g
organ.
Substanz
g
Mich
5640 g
—
—
28,52
164,88
47,38
580,93
Fleisch
1590 g
637,35
591,60
73,50
91,50
40,20
551,40
Kartoffelbrei
900 g
360,45
337,44
4,16
94,50
22,92
314,52
Butter
300 g
—
3,27
258,54
5,02
261,02
Brot
900 g
640,89
592,08
9,60
1,68
16,02
576,06
Summa
I
119,05
611,10
131,51
2284,03
1*
1492
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
Tabelle 5.
I. Periode: Kot vom 1. — 6. Tage.
Ges.-Menge
frisch
s
luft¬
trocken
absolut
trocken
Stick¬
stoff
g
Fett
g
Asche
g
organ.
Substanz
g
73 4,0
145,15
137,10
7,26
24,21
23,94
113,16
Tabell e 6.
II. Periode: Kot vom 7. — 12. Tage.
Ges.-Menge
frisch
luft¬
trocken
absolut
trocken
Stick¬
stoff
g
Fett
g
Asche
g
organ.
Substanz
g
889,2
169,96
159,53
8,58
44,00
27,45
132,08
Tabelle Ga.
Analytische Belege für den Kot.
Trocken¬
substanz
Stickstoff
Fett
Ast he
in absolut trock. Substanz
Proz.
Proz.
Proz.
Proz.
Kot der I. Periode
94, 45
5,29
18,07
17,46
Kot der II. Periode .
93,86
5,38
27,58
17,21
I.
Tabelle 7.
Periode : Harn pro die.
IT.
Tabelle 8.
Periode: Harn pro die.
Tag
Ges.-Menge
ccm
Ges-
Stickstoff
g
Tag
Ges.-Menge
ccm
Ges.-
Sticksloff
g .
1.
1265
14,32
7.
1248
18,63
2.
1098
15,23
8.
1340
18,40
3.
1070
16,27
9.
1142
18,04
4.
1156
17,54
10.
1035
17,39
5.
1068
16,95
11.
1184
18,61
6.
1150
17,89
12.
1306
19,82
Sa.
6807
98,20
Sa.
7255
110,89
Wenn wir nun an die Betrachtung der Tabellen herangehen,
so ergibt sich zunächst die Frage: Wie verhält sich die Aus¬
nutzung der Nahrungsmittel in den beiden Perioden?
In der I. Periode wurden aufgenommen 107,71 g K.
durch den Kot abgegeben .... 7,26 g N.
mithin wurden resorbiert .... 100,45 g N. pro die, also
16 74 g N. = 93,26 Proz.
In der II. Periode wurden aufgenommen 119,05 g N.
durch den Kot abgegeben .... 8,58 g N.
mithin wurden lesorbiert .... 110,47 g N. pm d'e, also
18,41 g N. = 92,79 Proz
Aus dieser Uebersicht über Stickstoffeinfuhr wie -ausfuhr
ergibt sich zunächst, dass der N in der Arsenperiode um
0,47 Proz. weniger ausgenutzt wTurde, als in der arsenfreien
Periode. Das ist nun eine geringe Differenz, auf die ganze auf¬
genommene Stickstoffmenge umgerechnet beträgt sie nur 1,32 g,
so dass in Wirklichkeit nicht 11,34 g, sondern 10,02 g Stickstoff
in der zweiten Periode mehr resorbiert wurden.
Für die Ausnutzung des Fettes ergibt sich folgendes:
In der I. Periode wurden aufgenommen 640,73 g Fett
durch den Kot abgegeben . . . 24.21 g Fett
mithin wurden resorbiert .... 616,52 g Fett = 96,22 Proz.
In der II. Periode wurden aufgenommen 611,10 g Fett
durch den Kot abgegeben . . . 44,00 g Fett
mitbin wurden resorbiert .... 567,10 g Fett = 92,79 Proz.
Diese Zahlen zeigen, dass während die Stickstoffausnutzung,
wie wir eben gesehen haben, kaum Differenz erfährt, die Fett¬
ausnutzung dagegen um 3,43 Proz. schlechter war. Es wurden,
n ie sich aus den Zahlen ergibt, 49,42 g Fett weniger verdaut,
so dass die oben gegebene scheinbare Mehraufnahme von Fett
(29,63 g) sich in das gerade Gegenteil verwandelt. Diese
schlechtere Ausnutzung des Fettes erklärt sich durch die leicht
abführende Wirkung, die das Arsenwasser bei mir hatte, wie
auch ein Vergleich der beiden Kotmengen, sowohl im frischen
wie im luftrocknen Zustande ergibt. Es ist ja eine bekannte
Tatsache, dass in solchen Fällen die Fettresorption stärker leidet,
als die Stickstoff- und Kohlehydrat Ausnutzung. Die abführende
Wirkung erklärt sich wohl dadurch, dass ich von vornherein
meinem an das Levicowasser nicht gewöhnten Körper das Stark¬
wasser zuführte. Bei den klinischen Beobachtungen, wo die an¬
fängliche Darreichung des Schwachwassers den Körper an das
Levicowasser gewöhnt, habe ich die abführende Wirkung nicht
beobachtet. Ich bin daher der Ansicht, dass die schlechtere Aus¬
nutzung des Fettes nicht direkt dem Levicowasser, sondern
höchstens indirekt durch die Versuchsanordnung zuzuschrci-
ben ist.
Was nun die Stickstoffbilanz anbetrifft, so ergibt sich fol¬
gendes :
In der I. Periode wurden resorbiert
pro die
durch den Harn wieder verloren . .
mithin wurden vom Körper zugesetzt
In der II. Periode wurden resorbiert
pro die 18,41 g N.
durch den Harn wieder verloren . . 18,46 g N.
16,74 g N.
17,18 g N.
0,44 g N.
(Mittel der ganzen Periode.)
(Mittel der letzten 4 Ta»e.)
(Mittel der ganzen Periode.)
(Mittel der letzten 4 Tagf.)
mithin wurden vom Körper zugesetzt 0,05 g N.
Zur Erklärung der angegebenen Zahlen füge ich hinzu, dass
ich für die pro Tag resorbierte N-Menge das Mittel aus der in
den einzelnen Perioden resorbierten Gesamtstickstoffmenge ge¬
nommen habe, da die Resorption in den wenigen Tagen wohl
kaum so erhebliche Schwankungen gehabt haben wird, dass sie
sich nicht ausgeglichen hätten. . Für die pro Tag durch den
Harn verloren gegangene Stickstoffmenge 17,18 g’ resp. 18,45 g
nehme ich das Mittel von den letzten 4 Tagen der einzelnen
Perioden. Wie ein Blick auf die Tabelle 7 und 8 lehrt, würde
in der 1. Periode das Stickstoffgleichgewicht etwa am 3. Tage
erreicht, ein Vergleich der
Stickstoffeinfuhr
und Ausfuhr
IC* 74
-tr’nn ^ ergibt hier noch eine N.-Retention von
16,27 g °
während am 4. Tage
0,47 g,
0,b0 g vom Körper abgegeben werden:
16,74 N.-Aufnahme
17.54 N -Ausfuhr
0.80.
Während der 2. Periode bin ich bereits am 2. Tage voll¬
kommen im Stickstoffgleichgewicht gewesen, die Einnahme be¬
trug für diese Periode 18,41 g und die Ausfuhr an diesem Tage
18,40 g. Mithin glaube ich mich berechtigt, vom 3. Tage ab das
Mittel für die Stickstoffausfuhr nehmen zu dürfen.
Ich verlor also während der ersten Periode täglich 0,44 g
Stickstoff, während ich in der Arsenperiode nur täglich 0,05 ein-
büsste, d. h. 0,39 weniger. Diese Zahl würde noch grösser, wenn
ich annehmen wollte, dass ich erst nach 3 Tagen das Stickstoff-
gleichgewicht erreicht hätte. Ich hätte dann in der ersten Periode
0,73 g Stickstoff verloren und in der Arsenperiode 0,19 g Stick¬
stoff, wie aus folgender Berechnung hervorgeht:
I. Periode täglich resorbiert . 16,74 g N.
„ ausgeschiedim .... 17,47 g N
,, vom Körper abgegeben 0,73 g N.
II. Periode täglich resorbiert . 18,41 g N.
„ ausgeschieden .... 18,60 g N.
„ vom Körper abgegeben 0,19 g N.
mithin Differenz 0,54 g N.
Aus den angegebenen Berechnungen geht hervor, dass das
Arsen bei mir im stände war, eine Stickstoffersparnis herbei¬
zuführen. Mein Gewicht (145 Pfd.) änderte sich in der Arsen¬
periode nicht. Damit stimmt mein Versuchsergebnis mit den von
Ewald und Dronke erzielten überein. Ich glaube daher, dass
man in der Tat die von den verschiedensten Klinikern bestätigten
ausserordentlich günstigen Wirkungen des Levioowassers durch
seinen den Stickstoffansatz fördernden Einfluss erklären muss.
Wenn mich unsere klinischen Erfahrungen bereits veranlassen,
das Levicowasser für die oben genannten Zustände zu empfehlen,
so tue ich es jetzt um so mehr auf Konto des experimentellen
Nachweises.
Zum Schluss erlaube ich mir, meinem hochverehrten Lehrer
und Chef, Herrn Geh. Med.-Rat Dr. Ebstein, für das der
Arbeit gewidmete lebhafte Interesse, sowie Herrn Prof. Leh¬
mann für sein mir so oft erwiesenes gütiges Entgegenkommen
meinen ergebensten Dank auszusprechen.
9. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1493
Aus der medizinischen Klinik und Poliklinik zu Bonn
(Direktor : Geheimrat Schnitze).
Beitrag zur Behandlung der Ruhr mit Radix Ipeca-
cuanhae.
Von Dr. Julius Strasburger,
Privatdozent und Assistenzarzt der Poliklinik.
Tn der Aprilsitzung des Rostocker Aerztevereins lenkte Prof.
K o 1) e r t ’) die Aufmerksamkeit auf die antidysenterischen
Eigenschaften der Ipecacuanhawurzel und sieht sich, im An¬
schluss an das Auftreten der Ruhr bei unseren Soldaten in China
und nach ihrer Rückkehr von dort, veranlasst, das Mittel bei den
Praktikern in Erinnerung zu bringen.
Im Anschluss an einen geschichtlichen Rückblick sagt K o -
bert: „Ich gehöre zur Partei derjenigen, welche diese damals
zahllosemale geprüfte Wirkung bei dysenterischen Durchfällen
nicht für völlig aus der Luft gegriffen halten.“
In unseren gebräuchlichen Lehrbüchern wird nun allerdings
bei Besprechung der Ruhrbehandlung der Ipecacuanha durchweg
Erwähnung getan. Man muss jedoch zugeben, dass das Medika¬
ment in der Regel erst an zweiter oder dritter Stelle genannt
wird, neben zahlreichen anderen Stoffen, die als Ruhrmittel nur
massige Beachtung beanspruchen können. Im Gegensatz hierzu
steht die grosse Wertschätzung, deren sich die „Ruhrwurzel“
in den Tropen erfreut. Wird sie doch z. B. von englischen
Aerzten in Indien geradezu als Spezifikum gepriesen * 2).
Es dürfte im Anschluss an diese Verschiedenheit der Auf¬
fassungen von Interesse sein, zwei kürzlich hier beobachtete Fälle
von tropischer Ruhr bekannt zu geben, bei denen die Behandlung
mit Ipecacuanha sehr auffallende Erfolge zu verzeichnen hatte.
Der erste Kranke, Emil B., 23 Jahre alt, wurde vom 10. XII.
1001 bis zum 15. Y. 1902 in der medizinischen Klinik zu Bonn be¬
handelt. — Für die gütige Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses
Falles sage ich Herrn Geheimrat Schultze meinen ergebensten
L)auk. — Der Patient überstand im 16. Lebensjahr Diphtherie, war
sonst stets gesund. Er diente 4 Jahre bei der Marine. Ende Juli
1000, bei den Wirren in China, war er längere Zeit auf den
Märschen genötigt, schmutziges, nicht abgekochtes Wasser zu
trinken. Er bekam danach schleimige Stühle, die am 6. Tag-
blutig wurden. Die Entleerungen erfolgten etwa 15 mal täglich.
Nach 8 Wochen versah B. wieder seinen Dienst, fühlte sich aber
noch schwach und magerte stark ab; sein Stuhl war ziemlich
dünn. Im April 1001 nach Europa zurückgekehrt, wurde er vom
Militär entlassen und beschäftigte sich anderweitig. Am 1. Mai
setzten von neuem blutige Durchfälle ein, 7 — 8 mal am Tage. Der
Patient begab sich Ende Juni in ein Krankenhaus, wo er bis An¬
fang Dezember 1901 verblieb. Die blutigen Defäkationen hielten
aber Tag und Nacht an. Der Kranke verspürte starkes Schneiden
im Leibe und Appetitlosigkeit. Das Körpergewicht war angeblich
von 155 auf 115 Pfund gesunken.
Wir erhoben in der Klinik folgenden Status praesens:
Ernährungszustand mässig reduziert. Geringe Blässe. Kein
Oedem. Lungen und Herz ohne Besonderheit. Das Abdomen ist
etwas eingezogen, diffus druckempfindlich, besonders in den oberen
Partien. Milz und Leber sind nicht vergrössert. Per rectum
fühlt man nichts Besonderes; am palpierenden Finger haftet kein
Blut. Der Urin enthält weder Eiweiss, noch Zucker. Das Nerven¬
system weist keine Abnormität auf. Der Stuhl ist dünn, enthält
reichlich Schleim und Blut. In den ganz frischen, warm auf¬
gefangenen Entleerungen finden sich zahlreiche grosse Amöben,
die bis 40,« messen und ausser einem Kern und eingeschlossenem
Detritus eine Anzahl roter Blutkörperchen enthalten. Auf dem
heizbaren Objekttisch untersucht, kriechen sie mit erheblicher Ge¬
schwindigkeit durch das Gesichtsfeld. Abgesehen von den Amöben
bemerkt man noch Exemplare von Megastoma entericum, in leb¬
hafter Bewegung begriffen.
Es handelte sich nach diesem Befund um einen Fall von
typischer, in China akquirierter Amöbendysenterie, die seit
5/4 Jahren bestand, zeitweise gebessert, aber nie ganz geheilt
worden und seit 7 x/3 Monaten wieder in ein akutes Stadium
eingetreten war. Die Behandlung wurde nun energisch in die
Hand genommen. Der Patient musste das Bett hüten und er¬
hielt strenge Diät. Nacheinander fanden die verschiedensten
Medikamente Anwendung. Ich zähle auf: Rizinusöl, Opium,
Darmausspülungen mit Aluminium acetico tartar. (14 — Vs proz.),
später lange Zeit hohe Einläufe von Vs proz. Tanninlösung; inner¬
lich des weiteren Tannokol und Bismutum subnitricum etc. Die
ersten 6 Wochen zeigte sich so gut wie kein Erfolg. Es wurden
’) Münch, med. Wochenschr. 1902, S. 1027.
2) S. u. a. Scheube: Die Krankheiten der warmen Länder.
2. Aufl.. Jena 1900. S. 520.
No. 36.
im Durchschnitt täglich 7 Stühle produziert. Dann kamen
2 Wochen entschiedener Besserung; auf 3 — 4 tägige Verstopfung
folgte je ein Tag mit 2 — 3 Stühlen. Letztere waren aber noch
dünn und enthielten etwas Schleim und Blut. Während dieser
Zeit nahm das Körpergewicht um 2 kg zu. Ohne nachweisbare
äussere Ursache stellte sich jedoch wieder eine Verschlechterung
des Befindens ein, die Stühle nahmen dasselbe Aussehen wie
Anfangs an und enthielten wieder Amöben. Wir mussten uns
am 18. Februar 1902 das Geständnis ablegen, dass die Krankheit
im wesentlichen wieder auf dem Standpunkt wie vor 2 Monaten
angelangt sei.
Nunmehr verordneten wir Pulv. Ipecac. 1,0 (das von uns
gebrauchte Medikament war laut Ausweis des Apothekers Kio-
Ipecäcuanha), dazu Tct. Opii spl. gtt. 10. Eine Dosis Morgens
und eine Nachmittags zu nehmen. Beidemale wurde ein Teil
des Pulvers erbrochen. Trotzdem fiel der Erfolg auf, denn schon
am nächsten Tag schloss sich eine entschiedene Besserung an.
Als 8 Tage später der Stuhl wieder blutig wurde, wiederholten
wir die Behandlung, diesmal aber mit je 25 Tropfen Opium¬
tinktur, die der Kranke 14 Stunde vor dem Pulver einnahm.
Wieder zeigte sich bereits am nächsten Tag der Wechsel. Die
Fäzes waren bald durchaus normal geformt. Bei mittlerer Diät
bestand etwas Obstipation. Im übrigen fühlte sich der Patient
bis auf geringe Leibschmerzen gesund und wurde 2 Monate
später aus der Klinik entlassen mit 10,6 kg Gewichtszunahme.
Ende Juni erschien er allerdings wieder in der Poliklinik mit
einem Rezidiv und amöbenhaltigen Fäzes. Durch die Eingabe
von 5 g Ipecacuanha im Verlauf mehrerer Tage konnte dieses
wieder vollkommen beseitigt werden. Die Ipecacuanha hat also
in diesem Fall zwar kein Rezidiv verhütet, aber doch zu drei
verschiedenen Malen prompt gewirkt, nachdem andere Mittel
vorher lange Zeit ohne Effekt geblieben waren. Den Erfolg dem
zu gleicher Zeit gereichten Opium zuzuschreiben, ist nicht an¬
gängig, da Opium ja schon früher ohne jeden dauernden Effekt
gegeben worden war.
Der zweite Fall, Wilhelm K., 38 Jahre alt, stammt aus der
Poliklinik. Ich verdanke ihn der Freundlichkeit der Herren Prof.
Leo und Prof. Sch m i d t. Vor 2 Jahren wurde R. in Südafrika,
von Ruhr befallen und nicht wieder von ihr verlassen. Vor einem
Jahre gesellte sich dazu Malaria, die auf reichliche Chiningaben
verschwand. Anfang des Jahres 1902 wurde die Dysenterie in
Hamburg ohne Erfolg behandelt. Als R. am 5. II. 1902 die Poli¬
klinik aufsuchte, bestand ca. 10 mal täglich blutiger Durchfall.
Der Status praesens ergab: Blasses Aussehen, kein Fieber.
Lungen und Herz frei. Die Milz ist vergrössert fühlbar, nicht
druckempfindlich. Desgleichen die Leber. Das Colon descendens
lässt sich als harter Strang palpieren. Der Leib zeigt keinen
Druckschmerz. Urin frei von Eiweiss und Zucker. Blut ohne
Malariaparasiten. Der frisch entleerte Stuhl ist dünn, schleimig-
blutig und enthält zahlreiche typische Amöben.
Der Fall ist dem zuerst geschilderten ziemlich ähnlich. Es
wurden im Laufe eines Tages mittlere Mengen von Ipecacuanha-
pulver gegeben. 3 Tage später erklärte der Patient, erheblich
gebessert zu sein. Als ich ihn Endo J uni aufsuchte, fügte er
noch hinzu, dass er sich seit dieser Zeit vollkommen wohl fühle
und normale Stuhlentleerungen habe.
Die günstige Wirkung der Ipecacuanha bei unseren beiden
Ruhrfällen war sehr deutlich ausgesprochen. Wenn nun bei
anderen Gelegenheiten, gerade in unseren Gegenden, ein Erfolg
vermisst wird, so findet dies vielleicht seine Erklärung in der
verschiedenen Aetiologie der Dysenterie. Gerade in der letzten
Zeit ist ja bekanntlich durch die Untersuchungen von Kruse
diese Frage ihrer Lösung wesentlich näher gerückt. Wir wissen
jetzt, dass die Tropendysenterie meist durch Amöben, die ein¬
heimische Ruhr in der Regel durch spezifische Bazillen hervor¬
gerufen wird. Dass die Ipecacuanha gegen Amöbendysenterie
in vielen Fällen hilft, beweisen die Erfahrungen der Tropenärzte
und wird durch unsere beiden Beobachtungen nur wieder be¬
stätigt. In wie weit hingegen dies Medikament auf die bazilhii o
Ruhr einen Einfluss hat, ist natürlich eine ganz andere Frage.
So sagt Kruse3): „Was die Behandlung unserer Ruhr angeht,
so möchte ich hier nur feststellen, dass es vorläufig kein Spe¬
zifikum für sie gibt.“ Und auf persönliche Anfrage teilte mir
Herr Professor Kruse freundlichst mit, dass bei der Ruhiepi-
demie, die er im Kreise Ruhrort zu untersuchen Gelegenheit fand,
Ipecacuanha häufig, aber ohne jeden Erfolg verabreicht worden
war. Bei der Sammlung weiterer Erfahrungen über die Behand-
3) Deutsche Aerzteztg., 15. Jan. 1902.
2
1494
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
lung der Dysenterie mit Ipecacuänha wäre also die Frage nach
der jeweiligen Aetiologie an erster Stelle zu berücksichtigen.
Das Heroinum hydrochloricum als Anaphrosidiacum.
Von Dr. Arthur S t r a u s s, Spezialarzt für Haut- und Harn¬
krankheiten in Barmen.
Mitteilungen über die anaphrodisierende Wirkung des salz¬
sauren Morpliindiessigsäureester, der unter dem Namen Ileroi-
num hydrochloricum von den Farbenfabriken vorm. Fr. Bayer
& Co. in die Therapie eingeführt worden ist, liegen bisher in der
Literatur nicht vor. Alle dieses Mittel betreffenden Arbeiten er¬
strecken sich auf seine Eigenschaft, vorzugsweise die Respira¬
tionsorgane zu beeinflussen, und zwar eine hustenreizstillende
Wirkung auf diese auszuüben. In diesem Sinne wird es all¬
gemein gelobt. Nur eine Veröffentlichung beschäftigt sich mit
Versuchen und Erfahrungen in der Gynäkologie, diejenige
Dr. Mirtls aus dem Maria-Theresia- Frauenhospital in Wien
(Wiener klin. Rundschau 1899, No. 29), nach welcher das Heroi¬
num hydrochl. schon in geringen Dosen ohne Nebenwirkungen
eine prompte, schmerzstillende Wirkung hei para- und peri-
metritischen Entzündungen, sowie bei Adnexerkrankungen ent¬
faltete, in der Form von in die Vagina eingeführten Tampons.
Im folgenden möchte ich über das Resultat meiner Versuche
berichten, welche ich mit dem Heroinum hydrochl. bei sexuellen
Erregungszuständen, sowie bei gesteigerten und schmerzhaften
Erektionen erzielte, diese so häufigen Begleiterscheinungen
akuter Entzündungen der Erkrankungen der Harnwege.
Zunächst prüfte ich das Heroin in einer Reihe von Fällen
(10) von Pollutiones nimiae. Es handelte sich zumeist um junge
Leute, welche mich mit der Klage konsultierten, dass sie allzu
häufig, zwei-, drei- bis viermal wöchentlich an nächtlichen Samen¬
ergüssen litten, und als Folge derselben am anderen Tage ein
grosses Schwächegefühl hätten. Häufig klagten diese jungen
Leute auch über Kreuzschmerzen und mehr oder weniger starkes
Eingenommensein des Kopfes. In allen diesen Fällen nahmen
die Pollutionen unter der Einwirkung des Heroin an Häufigkeit
schnell ab. In einem Falle, bei einem 21jährigen jungen Manne,
der fast nächtlich von Pollutionen geplagt wurde, war in der
nächsten Woche keine einzige aufgetreten, und zwar unter der
Einwirkung von je 0,01 ITeroin als Pulver abendlich genommen.
Auch in den folgenden Wochen waren die Pollutionen selten und
das Befinden besserte sich zusehends. Im allgemeinen gab ich’
in der ersten Woche jeden Abend ein Pulver und liess dann, je
nach der Häufigkeit, 2 — 3 Abende pausieren. Natürlich liess ich
auch allgemeine Vorschriften (Schlafen auf harter Matraze, auf
der Seite, nicht zu kräftige Mahlzeiten Abends, Vermeiden
geistiger Getränke, kalte Abreibungen, oft auch lauwarme) be¬
obachten. In diesen Fällen habe ich konstatieren können, dass
das Heroin von derselben guten Wirkung ist, wie das Bromkali
in Verbindung mit Kampher und Lupulin, ohne die Ueber-
zeugung gewonnen zu haben, dass es vor diesen Mitteln einen
besonderen Vorzug hätte.
Eine zweiteGruppe vonFällen erstreckte sich auf jene Formen
von sexueller Neurasthenie, in denen es infolge von geschlecht¬
lichen Ausschweifungen zu physischer Impotenz, zu Samenfluss
und jenen nervösen Beschwerden gekommen war, die meist die
Folge von Onanie sind: Schwäche, Mangel an Selbstbewusstsein,
Kopfschmerzen, Müdigkeit, Gedächtnisschwäche etc. Hier wirkte
in 4 Fällen das Heroin nicht so prompt, wie in den Fällen ge¬
steigerter Pollutionen, ln einem Falle liess es ganz im Stiche;
die hier vorhandene Spermatorrhöe wich nicht, obwohl ich mit
der Heroinbehandlung (abendlich ein Suppositorium ä 0,01) In¬
stillationen mit Arg. nitric. auf den Samenhügel verband. Da¬
gegen hatte es, in derselben Form angewandt, in einem anderen
Falle eine schnelle und nachhaltige Wirkung. Auch hier war
namentlich die in Folge von exzessiver Onanie aufgetretene Sper-
matorrhöe zu bekämpfen, die so stark war, dass sogar bei Husten-
stössen und beim Springen Entleerungen von Samen erfolgten.
Hier trat schon nach 3 Suppositorien, ä 0,01 abend¬
lich eingeführt, eine bedeutende Besserung ein. Der be¬
treffende junge Mann ist im Verlauf einiger Wochen völlig ge¬
heilt worden. In den beiden anderen Fällen genügte Heroin
(abendlich 0.01) allein nicht, die Spermatorrhöe zu beseitigen.
Erst in Verbindung mit örtlicher Behandlung und allgemeinen
diätetischen und hygienischen Massnahmen vollzog sieh die Hei¬
lung.
Eine dritte Gruppe von Erkrankungen der Harnwege betraf
das grosse Gebiet der Gonorrhöe, namentlich der akuten und
subakuten, mit ihren Begleiterscheinungen, wie Nebenhoden-
entzündung, Voi Steherdrüsenentzündung, Erkrankungen der hin¬
teren Harnröhre und der Blase. In etwa 20 Fällen der ver¬
schiedensten Art gab ich das Heroin zur Beseitigung von Erek¬
tionen, von Schmerzen in den IToden resp. in der Harnröhre bei
akuter Entzündung, sowie bei Blasenkatarrh ; ferner
bei den Beschwerden, die mit der Vorsteherdrüsenent¬
zündung einhergehen. Es würde zu weit führen, wollte ich
diese Fälle einzeln ausführen. Fast stets sah ich gute Erfolge.
Die Schmerzen liessen nach, die Erektionen desgleichen, die
Kranken wurden ruhiger und auch die entzündlichen Erschei¬
nungen schienen mir günstig beeinflusst worden zu sein. Es
ist selbstredend, dass eine allgemeine und örtliche Behandlung
die Hauptbehandlung bildete, aber es ist jedenfalls das Heroin
ein wichtiges Unterstützungsmittel derselben und es kann auch
hier in abendlichen Dosen ä 0,01 innerlich oder in der Form von
Suppositorien warm empfohlen werden.
Endlich prüfte ich das Heroin bei operativen Eingriffen, bei
denen Erektionen und Schmerzen im Gefolge sind, namentlich
nach Phimosenoperationen, welche unter dem Verbände oft
schmerzhafte Erektionen und Schlaflosigkeit zur Folge haben,
liier wirkt das Fleroin sehr besänftigend, beruhigend und
schlafbringend. Ich konnte das mehrfach eklatant fest¬
stellen, wenn ich zunächst nichts gab und unruhige Nächte
folgten. Eine Dosis von 0,01 Heroin brachte den Operierten
Erquickung, die sie sofort meist am nächsten Tage ungefragt
konstatierten. Einigemale wirkte es besser als Sulfonal oder
Bromkali.
Nach allen diesen Versuchen eignet sich das Heroin jeden¬
falls ausgezeichnet für alle jene Fälle in der Urologie, bei denen
i es sich darum handelt, anaphrodiatisehe Zustände, sowie auch
j entzündliche, und schmerzhafte Erscheinungen günstig zu beein¬
flussen. In allen Fällen wurde es anstandslos vertragen; irgend¬
welche unangenehme Nebenwirkungen wurden niemals be¬
obachtet. Auch auf den Verdauungstraktus blieb es ohne den
ungünstigen obstipierenden Einfluss des Morphins. Es kann,
weil es der unangenehmen Nebenwirkungen dieses Mittels er¬
mangelt, als ein vorzügliches anaphrodisierendes, sowie bei opera¬
tiven Eingriffen und bei Entzündungen der Harnwege als reiz-
lind schmerzstillendes Ersatzmittel desselben empfohlen werden,
sowohl in der Form von innerlichen Gaben, als auch in der¬
jenigen von Suppositorien.
Aus dem Laboratorium der Krankenhausapotheke München r/1.
Die Dauerhefepräparate des Handels.
Von Oberapotheker Dr. phil. Rudolf Rap p.
In der medizinischen Presse und auch in dieser Zeitschrift
ist schon des öfteren der therapeutische Wert der Hefe be¬
handelt worden. Unbestritten steht ihr Erfolg bei Furunkulose,
Obstipationen und bei Katarrhen der Vagina; empfohlen wird
Hefe ferner bei Anthrax, Akne, Skorbut, selbst akuten Infek¬
tionskrankheiten, dann bei Diabetes und Krebs. Es finden aber
auch Aufzeichnungen von schädlichen Folgen nach Hefeein¬
nahme, herbeigeführt durch Weiterwuchern der eingeführten
Hefemassen, in der Literatur Erwähnung.
liefe lässt sich nur kurze Zeit auf bewahren; selbst im Eis¬
schranke nimmt sie bald unangenehmen, käseartigen Geruch an.
Man wird schon deshalb zu medizinischer Verwendung den
Dauerhefepräparaten den Vorzug geben müssen. Von solchen
sind verschiedene im Handel; auf Grund mehrjähriger Erfahrung
auf diesem Gebiete sollen im folgenden vergleichende Versuche
über die bekanntesten unter ihnen mitgeteilt werden. Zunächst
aber seien einige allgemeine Gesichtspunkte für die Herstellung
medizinisch brauchbarer Hefepräparate erörtert.
Der therapeutische Wert der Hefe beruht nicht direkt auf
den Lebensvorgängen derselben, sondern scheint durch ihren
Gehalt an Enzymen bedingt zu sein. In einer ausführlichen Ex-
perimen t al u ntersuchung über die „Einwirkung steriler Dauerheft'
auf Bakterien“ hat L. G e r e t ') gezeigt, dass auch getötete, aber
’) Münch, meil. Wochensehr. 1901, No. 40.
9. September 1902.
MUENCHENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
1495
noch gärkräftige Dauerhefe in vitro bei Zuckerzusatz eine bak¬
terizide Wirkung ausübt. Die Lebenstätigkeit ist also dazu
durchaus nicht nötig. Da. ferner gärunwirksame sterile Dauer¬
hefe oder gä wirksame ohne Zuckerzusatz eine viel geringere
Wirkung äussern, so muss man schliessen, dass der Gärungs¬
vorgang als solcher mit der bakteriziden Wirkung zusammen¬
hängt. Die alkoholische Gärung des Zuckers wird nun nicht,
wie man früher glaubte, durch die Lebenstätigkeit der Ilefezellen
bewerkstelligt, sondern, wie E. Büchner 1897 zeigte, durch
ein abtrennbares Enzym, die Zymase. Die Erhaltung der Zymase
muss also für ein Verfahren, welches medizinisch brauchbare
llefoprä parate liefern soll, erste Bedingung sein. Für die Wir¬
kung der Dauerhefe dürften ferner auch die in den Zellen vor¬
handenen proteolytischen Enzyme grosse Wichtigkeit besitzen,
welche Martin H a h n ') zuerst im Pressaft aus Bierhefe nach¬
gewiesen und gemeinschaftlich mit L. Ger et3) unter dem
Namen Hefe-Endotrypsin ausführlich beschrieben hat. Diese
ei weissverdauenden Enzyme scheinen wirkliche Kampfenzyme zu
sein, welche mit den Hefezellen konkurrierende Organismen,
z. B. Bakterien, zurückdrängen und sie in ihren Lebensäusse-
rungen hemmen. Sie wirken bei niederen Temperaturen (10 bis
25 0 C.) langsam, viel stärker aber zwischen 30 und 45 0 C. und
werden erst bei 55 bis 60 0 C. zerstört ; sie sind bedeutend re¬
sistenter als die Zymase, welche schon bei 35 bis 40° C. ziemlich
rasch vernichtet wird, wahrscheinlich infolge Verdauung durch
das gleichzeitig anwesende Endotrypsin. Diese verdauende Wir¬
kung des letzteren Stoffes tritt natürlich nur bei Gegenwart von
Wasser in Erscheinung, nicht also in einem möglichst ge¬
trockneten Präparate.
Die Zymase repräsentiert von allen bisher bekannten Inhalt¬
stoffen der ITefe den unbeständigsten, welcher am leichtesten
zerstört wird. Ihre Anwesenheit in einem Hefepräparate bildet
demnach einen guten Beweis für zweckmässiges und schonendes
Verfahren bei Herstellung derselben; wenn die Zymase gärkräftig
erhalten blieb, werden auch die übrigen Zellinhaltsstoffe noch
unverändert vorhanden sein.
Für die therapeutische Verwendung ist endlich das Vor¬
handensein lebender Hefezellen in einem Hefepräparat keines¬
wegs wünschenswert ; bei Verabreichung per os können Ver¬
dauungsstörungen eintreten; besonders bedenklich sind solche
Präparate aber, wenn es sich um Ausspülungen innerer Körper¬
höhlen handelt, wie in der Gynäkologie.
Auf Grund dieser Betrachtungen sollen die gegenwärtig be¬
kanntesten Hefepräparate nunmehr einem Vergleiche unterzogen
werden. Als für medizinische Zwecke ungeeignet, weil bei der
Bereitung die wichtigsten Enzyme zerstört wurden, scheiden so¬
fort die durch Extraktion aus Hefezellen hergestellten, als Ersatz
für Fleischextrakt dienenden Genussmittel, wie Aubron, Siris,
Wuk, Ovos u. s. w. aus. Es verbleiben dann d i e Präparate,
welche im wesentlichen aus den ILefezellen selbst bestehen. Hin
Hefe haltbar zu machen, muss der Wassergehalt derselben,
welcher in frischem Zustande 60 — 70 Proz. beträgt, auf ein
Minimum herabgesetzt werden. Dies gelingt auf zwei Wegen.
Entweder werden die Hefezellen zunächst bei Zimmertemperatur,
dann bei 30 0 und erst schliesslich bei höherer Temperatur ge¬
trocknet; die Zellen bleiben dabei in der Regel trotz aller Aus¬
trocknung am Leben und vermehrungsfähig. Oder man trägt,
die durch Abpressen äusserlich getrocknete Hefe in wasserent-
zichende, aber sonst möglichst indifferente Mittel — als solches
hat sich besonders das Azeton bewährt — ein, wäscht dann mit
Aether und trocknet schliesslich bei 45 0 C. ; die Hefezellen
werden dabei durch das Eindringen des wasserentziehenden
Mittels getötet und können sich nicht mehr vermehren.
Nach dem ersten Verfahren sind bcispielweise folgende Ilcfe-
präparate hergestellt :
a) Furonculine oder trockenes Bierhefepräparat, Verfahren
von H. de Pury, dargestellt von der A.-G. für industrielle Bak¬
teriologie La Zyma in Montreux. Dasselbe stellt mikroskopisch
ein Gemisch von getrockneten Ilefezellen und von Stärke dar. 4)
-) Berichte d. Deutsch, chemischen Gesellschaft 31, 200 (1898)..
3) Zeitschr. f. Biologie 40, 117 (1900).
4) Nach Abschluss dieser Arbeit wurde mir noch ein Hefe¬
präparat, genannt „Levurinose“, übersandt. Dasselbe ist sowohl
iiusserlich, als auch in seiner Zusammensetzung der Furonculine
vollständig nachgebildet. Es muss als eine schwer zu kon¬
trollierende Mischung von Hefezellen und Stärke be¬
zeichnet werden.
b) Levure de Biere Seeurite, dargestellt von Societe anonyme
„Seeurite“ in Tirlemont (Belgiquo).
c) Bierhefetabletten nach Prof. Dr. Boos in Freiburg i. B.,
bezogen durch die Glockenapotheke in Freiburg.
d) Hefetabletten, bezogen von einer Münchner Firma.
Nach dem zweiten Verfahren kommt ein Präparat in den
Handel :
e) Sterile Azeton-Dauerhefe (Zymin), hergestellt von Anton
Schröder. München. Landwehrstrasse 43. Die Bereitungs¬
weise ist kürzlich von R. Albert, E. Büchner und dem
Verfasser an anderer Stelle ausführlich beschrieben worden5).
Die fünf Dauerhefepräparate sind vergleichend untersucht
worden auf :
I. Wassergehalt,
II. Gärkraft.
III. Keimgehalt,
IV. verdauende Wirkung,
V. bakterizide Wirkung.
Eine Zusammenstellung der Resultate findet sich im fol¬
genden :
I. Wassergehaltsbestim in u n g.
Dieselbe wurde bei 105 0 C. bis zur Gewichtskonstanz aus¬
geführt.
Gefunden Trockensubstanz fyezw. Wassergehalt
a) Furonculine .
87,6
Proz.
12,4
b) Levure de biere , Söcurite .
90,7
9,3
c) Hefetabletten n. Prof. Roos
87,9
12,1
d) Münchner Hefetabletten . .
88,5
11,5
e) Sterile Azetondauerhefe (Zymin)
94,5
5,5
Je trockener ein Hefepräparat ist, je trockener es aufbewahrt
wird, desto länger halten sieh die Enzyme wirksam, desto weniger
treten die proteolytischen Enzyme in Aktion.
II. G ä r k r a f t b e s t i m m u n g.
Dieselbe wurde in der Weise angestellt, dass je 2 g Hefe und
4 g Rohrzucker mit 10 ccm Wasser angerührt und in Erlenmeyer-
külbehen von 100 g Inhalt mit Meissl schein Schwefelsäurever-
schluss und B u n s e n schein Gummiventil der CO.,- Verlust, durch
Wägen vor und nachher bestimmt wurde. Um eine Vermehrung
der Hefezellen und Bakterien hinanzulialten, wurde Tliyinol und
Toluol beigegeben. Am Schlüsse wurde die in den Gärkölbchen
angesammelte Kohlensäure durch Luft verdrängt. Auf gestellt
wurden die Proben bei 22 — 24 0 C.
Bestimmung I
a) Furonculine ........ 0
b) Levnre de biere, Söcuritö . . 0,6 g CO2
c) Hefetabletten n. Prof. Roos 0
d) Münchner Hefetabletten . . 0
e) Sterile Azetondauerhe fe(Zymin) 1,06 gC04
Gärungsvermögen besitzt demnach nur
(Zymin) und Levure de liiere Seeurite.
Bestimmung II
0,5
c
0
g CO2
0
0
1,10 gC02
Azeton-Dauerhefe
ifjO
d a d
ö ö
bo
e
5,
G
III. II e b e r den Kei m g e li a 1 1.
Je 0,5 g fein gepulverte Substanz wurde in 5 ccm sterilem
Wasser gleic-hmässig verteilt. H i e r v o n wurden
je 0,1 ccm steril in je 2 Röhrchen Bierwürze,
je 0,5 ccm steril in je 2 Röhrchen Bierwürze-Gelatine,
je 0,1 ccm steril in je 2 Rökrclien Fleischwasser-Gelatine
gegeben und in bekannter Weise mittels des Plattenverfalirens
untersucht.
(Tabelle siebe nächste Seite.)
Furonculiue und Levure de biere Seeurite enthalten nach diesen
Untersuchungen grosse Mengen von lebenden Hefezellen; ebenso
bedeutend ist bei beiden der Gehalt an Bakterien. Azeton-Dauer¬
hefe (Zymin) hingegen ist frei von lebenden Hefezellen und ent¬
hält nur wenige Bakterien, wie solche z. B. jedes Trinkwasser in
dieser Menge aufweist.
IV. Verdau ungsversuc h e.
Nach einigen Vorversuchen wurden dieselben ausgeführt
a) durch einfaches Ueberscliichten von Hefeauszügen über Karbol¬
gelatine oder b) durch Verdauenlassen von Fibrin.
a) 4 g des Hefepräparates wurde mit 12 ccm Wasser und etwas
Thymol bei 25° C. 36 Stunden lang aufgestellt. Nach dieser Zeit
wurden die Proben zentrifugiert und filtriert. Von diesem Filtrat
wurde je 1 ccm über 5 proz. Karbolgelatine in möglichst gleich-
weiten Röhrchen überschichtet. In die Flüssigkeit wurde ein
Stückchen Thymol gegeben. Die Grenze zwischen Flüssigkeit
und Gelatine wurde markiert. Die Proben wurden bei Zimmer¬
temperatur gehalten. Ausserdem wurde nach Schluss des Ver¬
suches die verflüssigte Schicht abgegossen und zur Wägung ge¬
bracht.
b) . Feuchtes, ausgewaschenes Fibrin wurde mit dem doppelten
Gewichte des o.bigen Auszuges bei 37° C. aufgestellt und die
Verdauung beobachtet. Als Antiseptikum diente hier Chloroform
und Thymol.
9
Berichte d. Deutsch, chemischen Gesellschaft 35, 2376
(1902).
2*
1406
MUENCIIENER MED1CINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
Es ergab
in Bierwürze
in Bierwürze-Gelatine
in Fleisch wasser Gelatine
a) Furonculine
Gärung am 2. Tage
19 200 Hefekolonien in je 0,1 g
Substanz
in je 0,1 g Substanz 42 240 Kolon.
b) Levure de biere, Securitö
Gärung am 2. Tage
13 200 Hefekolonien in je 0,1 g
Substanz
20 280 Kolonien.
c) Hefetabletten nach Prof. Roos
keine Gärung nach 10 Tagen
1500 Kolonien einer Torula-
art; ausserdem Schimmel und
Mykoderma
300 Gelatine nicht verflüssigende
Kolonien.
1 Gelatine verflüssigende Kolon.
d) Münchner Hefetabletten
in einer Probe Gärung am 4. Tage
mehrere Hefekolonien und Ober¬
flächenschimmel
1 verflüssigende Kolonie.
e) Sterile Azetondauerhefe (Zymin)
keine Gärung nach 10 Tagen
keine Hefekolonien
Oberflächenschimmel
12 verflüssigende Kolonien.
Verflüssigte Gelatine¬
schicht nach 14 Tagen
Fibrin
bei 3T° C.
verdaut
nach 4 Tg.
in mm
in g ange¬
geben
a) Furonculine . . .
4
1,12
nicht
b) Levure de biere, Securite . .
10
1,92
gut
c) Hefetabletten n. Prof. Roos
18
3,81
gut
d) Steril e Azeton dauerhef e (Zymin)
14
2,45
gut
Y. Bakterizide Wirkung.
ln No. 4(5 der Münchener ined. Wochenschrift 1901 hat
L. G e r e t. solche Versuche mit steriler Dauerhefe veröffentlicht.
Meine Versuchsanordnung war dieselbe. In 2,5 ccm Bouillon und
2.5 ccm 40 proz. Rohrzuckerlösung und einer Spur CaCo3 (alles
steril) wurde ein Tropfen einer eintägigen Typhus- oder Staphylo¬
kokkusbouillonkultur und 1 g der präparierten Hefe gleiclimässig
verteilt. Da, wie bei dem Kapitel über den Keimgehalt mitge-^
teilt wurde, Furonculine und Levure de biere eine grosse Menge*
von lebenden Hefezellen enthalten, in der Azeton-Dauer-
liele (Zymin) aber keine vorhanden sind, so konnte keine ver¬
gleichende Untersuchung angestellt werden, bevor die zu unter¬
suchenden Präparate nicht in dieser Hinsicht einigermassen ein-
nnder gleichgestellt waren. Um dies zu erreichen, liess ich auf
jedes Präparat 15 Minuten lang Azeton und nach dem Absaugen
15 Minuten lang Aether einwirken. Dadurch wurden wohl die
1 eben, <1 eil Hefezellen in den Präparaten abgetötet, die vor¬
handenen Enzyme jedoch nicht geschädigt, was dadurch bewiesen
wird, dass Levure de biöre Securite nach dieser Behandlung noch
stark bakterizide Wirkung zeigte (siehe die Tabelle). Als Kon¬
trolle zu diesen Versuchen diente dieselbe Hefe, die bei 100° C.
io Stunden lang erhitzt worden war. Levure de biere Securite und
Azeton-Dauerhefe (Zymin) mussten sogar noch höher, und zwar
auf 120° c, erhitzt werden, bis die ganze Gärkraft verloren ging;
dann war in allen Präparaten kein Enzym und dementsprechend
auch keine bakterizide Wirkung mehr naehzuweisen.
a) Versuche mit Bacill. Typh.
Proben entnommen:
Sofort
nach
Aussaat
nach
6 Stun¬
den
nach
24Stun-
den
nach
48Stun-
den
a) Furonculine .
3 240
10 680
21 840
Kol. pro Oese
CD
„ erhitzt, als Kontrolle
1 920
39 120
51360
CD
b) Levure de biere, Sdcurite . .
1550
420
160
9
„ erhitzt, als Kontrolle
3 720
4 320
10 920
CD
c) Hefetabletten n. Prof. Roos
9 840
8 520
13 920
CD
„ erhitzt, als Kontrolle
11 040
13 920
24 000
CD
d) Sterile Azetondauerhefe (Zymin)
10 200
1476
0
0
„ erhitzt, als Kontrolle
12 360
24 200
CD
CD
b) Versuche mit Stap
a) Furonculine .
tiylococ<
3 360
3. pyoge
1 680
n. aur.
37 680
CD
„ erhitzt, als Kontrolle
3 600
11520
CD
C/D
b) Levure de biere, Securite
5 520
1620
12
2
„ erhitzt, als Kontrolle
9 840
51840
CD
CD
c) Hefetabletten n. Prof Roos
3 480
18 240
CD
CD
„ erhitzt, als Kontrolle
3 600
46 080
CD
cn
d) Sterile Azetondauerhefe(Zymin)
2 880
1 440
4
2
„ erhitzt, als Kontrolle
9 960
30 480
CD
CD
ln Uebereinstimmung mit den Resultaten von L. Ger et er¬
gibt scli aus diesen Tabellen, dass nur gärwirksame Ilefezellen
von den hier untersuchten Hefepräparaten Azeton-Dauerhefe
(Zymin) und Levure de Biere Securitß — pathogene Keime abzu¬
töten vermögen, während nicht gärkräftige oder durch Erhitzen der
Zymase beraubte Hefenpräparate diese Eigenschaft entbehren.
Schliesslich seien die Ergebnisse der Untersuchung dieser
fünf Dauerhefepräparate kurz zusammengestellt:
I. Den geringsten Wassergehalt besitzt weitaus Azeton-
Dauerhefe (Zymin), dann folgt Levure de Biere Securite mit
um zwei Drittel vergrössertem Wassergehalt.
II. Die höchste Gärkraft kommt Azeton-Dauerhefe (Zymin)
zu, dann folgt Levure de Biere Securite mit etwa halb so grosser
Gärwirkung; die übrigen Präparate zeigen überhaupt keine Gär¬
kraft.
III. Als pi*aktisch steril und insbesondere frei von lebenden
Ilefezellen können nur die Azeton-Dauerhefe (Zymin) und die
Hefetabletten der Münchener Firma, die aber keine Gärkraft
besitzen, bezeichnet werden. Levure de Biere Securite enthält
grosse Mengen lebender Hefe.
IV. Die verdauende Wirkung war am stärksten bei den Hefe¬
tabletten nach Prof. R o o s, die aber überhaupt keine Gär¬
wirkung und grosse Mengen lebender Hefe aufweisen; dann folgt
Azeton-Dauerhefe (Zymin).
V. Bakterizide Wirkung besitzen nur Azeton-Dauerhefe
(Zymin) und Levure de Biere Securite, welch letztere aber den
Nachteil eines hohen Gehaltes an lebenden Hefezellen auf weist.
Als Gesamtresultat ergibt sich demnach eine beträchtliche
1 Überlegenheit der Azeton-Dauerhefe (Zymin).
Zur Darmwirkung des Atropins.
Von Dr. Paul Ostermaier in München.
Unter diesem Titel berichtete ich vor IVa Jahren in dieser
Wochenschrift (No. 49, 1900) über die auffallend günstige Wir¬
kung, die ich durch Atropin in einem Falle von mechanischem
Ileus, sowie in verschiedenen Fällen von Darmfunktionsstörungen
beobachtete. Einen Fall jedoch verwertete ich damals nicht,
da ich ihn nicht auf Rechnung des Atropins setzen zu dürfen
glaubte, sondern ein zufälliges post hoc vermutete! Es war fol¬
gender :
30. IX. 1900. P. L., Pfründner, 68 Jahre, klagte seit ca. 5 Stun¬
den über schmerzhafte Anschwellung in der rechten Leistengegend.
Daseihst taubeneigrosse, nicht besonders druckempfindliche Hern,
incarc. Allgemeinbefinden ungestört. Nach viertelstündigem
vergeblichem, schonendem Taxisversuch 1 mg Atrop. sulf. sub¬
kutan in der Nähe der Bruchpforte. Nachdem die Spritze gereinigt
und wieder verpackt war, war die Hernie, als ich nun wieder mit
der Taxis beginnen wollte, verschwunden.
Seither konnte ich jedoch folgende weitere 5 Fälle beob¬
achten :
28. I. 1901. ,T. N.. Pfründner, 80 Jahre. Seit langer Zeit be¬
steht rechtsseitige irreponible, kleinkindskopfgrosse Inguinalhernie,
die sich seit 3 Stunden jedoch erheblich vergrössert hatte und sehr
schmerzhaft wurde. Ebensolange besteht Brechneigung, zu¬
nehmende Auftreibung des Leibes, Sistieren der Flatus. Pat. hat.
schon seit 2 Stunden am Bruche „fest herumgedrückt“. Der prall¬
gespannte Skrotalbrucli ist inkarzeriert, an der Bruchpforte sehr
druckempfindlich. Puls 10S, klein, unregelmässig. Keine Taxis,
dagegen 1 mg Atr. subkutan, diesmal in den Vorderarm. Beim
nunmehrigen Ergreifen der Hernie ohne Taxisversuch sofortige
spontane Reposition mit subjektiver und objektiver Besserung;
Puls 76, voll, regelmässig. Am 21. IV. 01 Wiederholung der Ein¬
klemmung unter fast gleichen Erscheinungen. Diesmal wollte ich
es ohne Atropin probieren. Taxis zuerst ohne, dann mit Chloro¬
formnarkose. Eine halbstündige Arbeit, die zum Glück dem Pat.
nicht schadete, benimmt mir alle Lust zu event. weiteren Ver¬
gleichen.
6. II. 01. A. N., Pfründner, 66 Jahre. Nach mehrstündigem
heftigem Hustenreiz plötzliches Auftreten einer hühnereigrossen,
schmerzhaften Geschwulst in der linken Leistengegend. Seit
7 Stunden besteht Hern, inguin. incarc. sin. mit Auftreibung des
9. September 1902.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Abdomens Erbrechen, Gassperre; Puls 102, ziemlich voll, regel-
massig Keine Taxis; 1 mg Atr. subkutan in den Yorderanir
< ine halbe Stunde spater abermals 1 mg. Nach etwa 2 Minuten
Puls 96° eP°Siti0n Uml Wiedereintritt völligen Wohlbefindens“
i i i i.i ’ iW R-> rii\ atiere, 50 Jahre. Seit ca. 10 Stunden
>esteht sehr schmerzhafte, taubeneigrosse, prallgespannte, linlts-
seitige, mkarzerierte Leistenhernie. Pot. hat sich früher schon
-“jj? e^folö reich mit Taxis selbst behandelt. Diesmal jedoch
£ a.1'uckbnnfeilTgar nicht gelingen. Allgemeinbefinden
imgestoit, Puls normal. Keine Taxis, 1 mg Atr. in den Vorder¬
arm; nach einer Viertelstunde abermals 1 mg; 2 Stunden später
nochmals 2 mg, diesmal in der Gegend der Bruchpforte, worauf
lif1 (^Minuten die Hernie spontan zurückgeht. In den nächsten
Jagen Klagen über grosse Trockenheit im Munde, sonst kein»
Storung. ’
... 7-1J‘ °2- W. B„ Pfründnerin, SO Jahre, klagt seit 0 Stunden
über Schmerz und Schwellung in der linken Leiste, wo eine wal¬
nussgrosse, harte, inkarzerierte Cruralhernie besteht, Schwindel
Krechnmgung, Aufgetriebenheit des Leibes, Sistieren der Flatus!
uls .L., gut. Keine Taxis; ly, mg Atr. sulf. subkutan in die Ge-
gegend der Bruchpforte. Nach 2 Minuten Spontanreposition, so-
lort Al ohlbefinden. Puls 84.
S<?- Efl'ülldnerin, 75 Jahre. Seit 3 Stunden
bringt Pat. ihren Bruch nicht mehr zurück, was ihr sonst leicht
gelang. Ls handelt sich um einen rechtsseitigen, ca taubenei¬
grossen, eingeklemmten Schenkelbruch, der sehr schmerzhaft ist,
Pei deu scll01ienden Repositionsversuchen, die von
Seite der Umgebung gemacht wurden, laut aufschreit. Allgemein¬
befinden nicht gestört. Keine Taxis. 2 Minuten nach 1 mg Atr.
subkutan in den Vorderarm Spontanreposition.
Aus^ dem Umstande, dass sich in allen meinen Fällen (leider
ist die Zahl eine sehr kleine, nur 6) das Atropin so vorzüglich
bewährte, bin ich nun weit entfernt, den Schluss zu ziehen, es
müsse immer so gehen. Es mögen die Fälle auch recht leichte
gewesen sein. Die Spontanreposition gelang 4 mal sofort nach
der ersten, 1 mal sofort nach der zweiten und 1 mal sofort nach
der dritten Atropininjektion. Ob der Ort der Injektionsstelle
(Gegend der Bruchpforte oder Vorderarm) dabei von Einfluss
war, möchte ich bezweifeln. Eine günstige Beeinflussung des
Allgemeinzustandes in subjektiver und objektiver Beziehung trat
stets nach der ersten Injektion beinahe momentan ein. Der
Grund, warum ich diese Fälle publiziere, ist jedoch lediglich der,
die Atropinfrage wieder in Fluss zu bringen, die — wie ich
sagen möchte leider seit Monaten in ein unverdientes Stocken
geraten ist.
Die Belladonna stand, hauptsächlich in Salbenform, sel¬
tener im Klysma verabreicht, in der ersten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts bei eingeklemmten Brüchen in hohem Ansehen,
und zwar nicht nur bei erfahrenen Praktikern, sondern auch
bei berühmten Chirurgen. Die nicht kleine, oft sehr inter¬
essante, meist französische Literatur fst aus den Arbeiten von
1 > a nzel [1], Hage n [2] und S c h u 1 z [3] ziemlich voll¬
ständig zusammenzustellen. Hier möchte ich nur hervorheben,
dass Reiche [4] seinerzeit sich äusserte: „Seit richtiger An¬
wendung der Belladonna wird vielleicht nicht mehr der 4. Teil
der Herniotomien gemacht wie früher“ und dass R a de¬
in a c h e r ) sehr darüber erbittert ist, dass eine so vorzügliche
Behandlung unter seinen Kollegen so wenig bekannt ist. Da
man aber durch die Belladonnabehandlung die Herniotomie er¬
setzen wollte oder sie wenigstens viel zu lange hinausschob, so
konnte es nicht ausbleiben, dass erstere immer mehr in Miss-
kredH- und schliesslich beinahe ganz in Vergessenheit geriet.
Allerdings nur beinahe, denn im Jahre 1890 erschien aus dem
Sc hmiede b e r g sehen Laboratorium zu Strassburg von Kurt
Hagen [2] eine Arbeit, in deren erstem Teil er über die bei
Inkarzerationen durch Belladonnapräparate erzielten Erfolge
aus der Praxis seines Vaters berichtet und die er in einem
zweiten Teil durch Experimente an Katzen und Kaninchen
pharmakologisch zu begründen sucht. Dies ist ihm, soweit ich
zu urteilen vermag, nun auch glänzend gelungen. Er kommt zu
< em Schluss. Die Atropiuwirkung beruht auf einer Erregung
der Peristaltik, die 1—2 Minute nnach der Injektion
gleichzeitig mit einer Verengerung der Mesenterialgefässe in die
Krscheinuitg tritt.
Während nun bei der Applikation in Salbenform die Wir-
kung erst, sehr spät eintrat, durchschnittlich nach 18 Stunden,
9 Rademachers „Erfahrungsheillehre“ 3. Aufl., p. 121:
,. ", scheint, das Praktischnützliche unserer heutigen Literatur
sinkt in der Springflut des Unnützlichen gar leicht zu Boden und
entzieht sich den Blicken derer, die desselben hoch bedürftig
waren.
No. 36.
1497
wurde die Sache schon wesentlich besser, als Hagen scn. an-
hng, Belladonnalösungen zu injizieren. Bei Dosen von 0,05 — 0,2
war die Durchschnittsdauer nur mehr 11, um sich bei den Atrö-
pimnjektionen nach einer Gesamtdose von 1 — iy2 mg auf 4 bis
5 Stunden zu verringern. Die Injektionen wurden meist in
3 4 ständigen Zwischenräumen in Dosen von 0,025—0,05 Extr.
Bell, und % mg Atrop. wiederholt. Dieser Zeitdauer gegenüber
muss es auffallen, dass bei Verwendung des Infuses per elysma
aus Blättern, ^ besonders wenn bei der häuslichen Bereitung
noch „einige“ frische Tollkirschen zugesetzt wurden, relativ liäm
fig eine sofortige Spontanreposition zur Beobachtung gelangte,
wobei es freilich öfters zu den allerschwersten Vergiftungs¬
erscheinungen kam. Es scheint eben, dass je nach dem Fall
eine ganz bestimmte Dosis Atropin im Blute
kieisen muss, bis die für den Darm notwendige
Wirkungerzielt wi r d. Die Dosis dürfte zwischen 1 mg
und 10 mg liegen, mag vielleicht noch höher sein. Ich halte es
daher für das zweckmässigste, einer nicht zu kleinen
Anfangsdose, z. B. von 1 — 2 mg in kurzen, viel¬
leichthalbstündigen Pausen so lange 114 mgzu-
z u legen, bis die Darm Wirkung erzielt ist oder
bis Vergiftungserscheinungen eine weitere Gabe verbieten. Dieser
Art der Medikation gebe ich auch in letzterer Zeit bei schweren
Darmatonien, wie ich glaube, mit Nutzen den Vorzug gegenüber
d* n früheren kleineren, seltenen, aber mehrere Tage notwendigen
Dosen.
V t un auch beim ^ftropin die letale Dosis von der toxischen
sehr weit entfernt zu liegen scheint, so ist die Zahl der Fälle, in
denen 5 mg auf einmal zur Verwendung kamen, doch noch keine
so grosse, dass man heute schon berechtigt wäre, mit Sicherheit
anzunehmen, dass sich wie bisher auch künftig immer die schein¬
bar schweren Vergiftungserscheinungen nach einigen Tagen als
völlig harmlos heraussteilen müssen. Auch in dieser Beziehung
dürfte die oben in Erwägung gezogene Art der Verabreichung
den Vorzug verdienen.
Was nun die Wirkungsweise des Atropins betrifft, so be¬
haupteten seiner Zeit B e z o 1 d und B 1 ö b a u m, dass es die
Peristaltik lähme, Keuchel aber, und später Rossbach,
gleich Hage n, dass es dieselbe anrege. Dagegen kommt T r a -
v e r s a [5] 1898 auf Grund exakter Versuche an Hunden und
Pferden wieder zu dem Schlüsse, Atropin sei bei Darmobstruk¬
tion kontraindiziert, weil es die Darmkontraktionen hemme, da es
die Ganglien- und Nervenelemente der Darmwand lähme. Viel¬
leicht beruht dieser Widerspruch der Pharmakologen auf einer
Verschiedenheit der Grösse der angewandten Dosen, die das eine
Mal schwach toxisch, das andere Mal der letalen nahe waren,
ähnlich wie es Binz [6] bei dem Streite über den Einfluss des
Atropins auf die Athmung nachzuweisen vermochte. Die Er¬
fahrungen aber am Krankenbette, und gerade die neueste Zeit
ist reich an solchen Erfahrungen, sprechen ausnahmslos und
unzweideutig dafür, dass Atropin die Peristaltik
a n r e g t, und dass, um dies zu erreichen, je nach
der Art der Erkrankung k 1 e i n e re oder grössere
Gaben nötig sind. Niemals trat weder nach kleinen, noch
nach den grössten Dosen eine Lähmung der Peristaltik ein, wenn
Peristaltik vorher vorhanden war, und stets trat eine solche bei
genügender Dose ein, wenn sie vorher fehlte und auch beiden
grössten Gabe n war sie dann niemals eine zu starke, son¬
dern immer eine normale.
Ausser dieser, oder besser gesagt gleichzeitig mit
dieser die Peristaltik anregenden W i r k u n g
besitzt das Atropin eine krampfstillende,
durch die eine stürmische Peristaltik beruhigt wird und krampf¬
hafte Darmkontraktionen universeller Natur, wie sie z. B. bei der
Bleikolik bestehen, oder partieller, wie- wir sic bei den auf gewisse
Darmabschnitte lokalisierten spastischen Zuständen in Form
eines Tetanus sehen, sicher behoben werden. Diese krampf-
stillende Wirkung beruht nun nach Traversa [5] auf einer
Lähmung der nervösen Elemente in der Darmwand. Die weitere
Annahme T ravers a’s aber, dass durch diese Lähmung der
Ganglien die Peristaltik aufgehoben werde, ist eine irrige, denn
sie scheint sofort wieder durch direkte Wirkung auf die glatten
Muskelfasern des -Darms in normalem Grade ang-eregt zu werden.
Wie verwickelt diese Verhältnisse, betreffend die lähmende
und die erregende Wirkung des Atropins auf die Peristaltik, vom
3
1498
MÜENCHENER MEDICINISCjlE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
pharmakologischen Standpunkte aus sein müssen, erhellt am ^
besten aus den einzelnen Bemerkungen in den neuesten Auf¬
lagen der verschiedenen Arzneimittellehren. Da kann man lesen :
„Das A. lähmt die Peristaltik“, „das A. regt die Peristaltik an“,
„es geht der die Peristaltik lähmenden Wirkung häufig eine er¬
regende voraus“, „das A. lähmt alle glatten Muskelfasern des
Körpers“, „das A. regt in kleinen Dosen durch direkte Wirkung
auf die Muskulatur die Peristaltik an“, „in grösseren Dosen wird
die Darmmuskulatur durch Lähmung ihrer nervösen Elemente
zum Erschlaffen gebracht“ u. s. w. Es ist vermutlich kein Zu
fall, wenn Penzoldt[7], der an anderer Stelle erwähnt, dass
A. sowohl störende, nutzlose Peristaltik beseitigt, als fehlende
anregt, 1900 diesen Satz, der zweifellos der Erfahrung am Kran¬
kenbett entsprungen ist, in seiner klinischen Arzneibehandlung
nicht aufgenommen hat.
Auf der narkotischen Wirkung, die gleichfalls dem Atropin
in nicht geringem Grade eigen ist, kann dieser lähmende Ein¬
fluss auf die Peristaltik oder die antispasmodische Eigenschaft,
wie sie auch genannt wird, wohl nicht beruhen. Denn bei den¬
jenigen spastischen Zuständen, bei denen der Spasmus durch eine
tiefer abwärts sitzende Atonie bedingt ist, und diese sind ent¬
schieden die häufigsten, wirken sogar stärkere Narkotika, wie
z. B. die Opiate, gar nicht, weil der notwendige Endeffekt, die
Behebung der Atonie, durch dieselben nicht erreicht wird; auch
wird durch sie häufig die stürmische Peristaltik nicht behoben,
nämlich wenn ihr, wie so oft beim mechanischen Ileus, eine
schwere Atonie zu Grunde liegt, ln Ql’ diesen Fällen ist das-
Atropin das souveräne Mittel.
Ohne Einfluss jedoch ist die narkotische Wirkung sicher
nicht bei den Einklemmungen, wo sie zur Entspannung der
Bruchpforte nicht unwesentlich, wenn auch weniger als die des
Opiums oder Chloroforms beizutragen vermag. Bei den letzteren
Mitteln ist dieser entspannende Einfluss wahrscheinlich der
einzige, den sie auf eingeklemmte Brüche auszuüben vermögen,
weshalb die erzielten Resultate stets weit hinter denen der Bella¬
donna zurückgestanden sind.
Die Verengerung der Mesenterialgefässe nun, wie sie
H agen [2] gefunden, ist nach zweifacher Richtung von grosser
Bedeutung. Von vielen Seiten wird betont, und jeder, der ein¬
mal Atropin einem kollabierten Darmkranken injiziert hat, wird
dies bestätigen, dass derselbe über Erwarten schnell aus dem
Kollaps herauskommt, dass beinahe momentan die vorher leere
oder schlecht gefüllte Radialis einen kräftigen, vollen Puls auf¬
weist, der nicht mehr arrhythmisch ist und der, wenn er vorher
sehr beschleunigt war, verlangsamt wird und, wenn er verlang¬
samt war, wieder etwas in der Frequenz steigt. Das Darm¬
mittel muss gleichzeitig zum Herzmittel werden, wenn das im
Pfortadergebiet angestaute Blut zu den vorher schlecht ernährten
inneren Organen, besonders dem Gehirn und dem Herz, abgeleitet
wird. Sahli [8] wendet, wie er sagt, schon seit längerer Zeit
mit Vorteil Atropin an, um pathologisch verminderte Puls¬
frequenz zu steigern und gewisse Pulsarrhythmien zu beseitigen.
Ob sich diese Anwendung auf bestimmte Zustände bezieht, die
mit der weiter oben geschilderten splanchni sehen Stauung Zu¬
sammenhängen, lässt sich auis seiner Andeutung nicht ent¬
nehmen. Vielleicht trägt zu der günstigen Beeinflussung des
Kollapses auch die narkotische Wirkung einen kleinen Teil bei;
denn auch durch Morphium wird, allerdings seltener bei Darm-,
als bei Ilerzaffektionen, ein gesunkener Blutdruck wieder zur
Norm erhöht. Was aber eine Verengerung der
M esenterialgef ässe bei Inkarzerationen be¬
ll eilte t, liegt klar : es müssen die räumlichen Ver¬
hältnisse im eingeklemmten Bezirk auf das
günstigste beeinflusst werden.
Bei der Frage des Zustandekommens einer Einklemmung
haben die handgreiflichen mechanischen Verhältnisse stets den
Mittelpunkt des Interesses gebildet. Aber auch andere Dinge
sind hiebei von Wichtigkeit. Warum treten im Bruchsacke der¬
artige Zustände ein, dass der zuführende oder abführende
Schenkel des Darmrohres eine Knickung erfährt, warum kommt
es an der Bruchpforte zu einem Ventil- oder zu einem Keilver¬
schluss, oder warum kommt es im Bruchsack zu einer Inkarzera¬
tion durch Invagination oder Achsendrehung? Tritt im Bruch¬
sack durch die Vorwärtsbewegung des Darminhaltes ein räum¬
liches Missverhältnis ein, so wird der Darm mit einer abnormen
Muskeltätigkeit reagieren, deren Endeffekt im ungünstigen Fall
ein atonischer Zustand, vieleicht von allerkleinstem (räum
liehen) Umfang ist (für stärkere Dehnung hat dies jalvoc h e r
experimentell nachgewiesen), auf welchen atonischen Zustand
das anstossende höhere Darmstück mit gesteigerter Motilität (mit
Spasmus oder vermehrter Peristaltik) antworten wird. Dies sind
aber Funktionsstörungen, die ihrerseits wieder das räumliche
Missverhältnis ungünstig beeinflussen müssen, und dies wird
wieder die Atonie vermehren — ein bedenklicher circulus vitiosus.
Je nach der Enge der Bruchpforte und dem Füllungsgrade des
Darms wird dem eingeklemmten Stück mehr oder weniger (oder
unter Umständen gar nicht), schneller oder langsamer nach¬
rückender Inhalt zugeführt.. Tritt nun in günstig gelagerten
Fällen eine spontane Reposition ein, so kann das nur dadurch
geschehen, dass entweder durch gesteigerte motorische Tätigkeit
des nicht eingeklemmten Darmes der eingeklemmte aus dem
Bruchsack herausgezogen wird, oder dass im atonischen Stück
sich wieder peristaltische Bewegungen einstellen, dass der nach¬
teilige Spasmus gelöst wird und die räumlichen \ erhältnisse im
Bruchsacke wieder günstiger werden, was wiederum auf die
motorische Tätigkeit des eingeklemmten Darmes vorteilhaft
wirken muss: Diesmal ein Circulus heilsamer Art. Aehnliche
Bedingungen werden auch durch eine schonende Taxis geschaffen.
Das Atropin aber erleichtert durch seine vielseitigen Fähigkeiten
das Zustandekommen der für die Restitutio notwendigen natür¬
lichen Faktoren in zartester Weise, der gegenüber die schonendste
Taxis noch ein brutales Verfahren genannt werden muss.
In vielen Krankheitsprozessen nun, die zum mechanischen
Ileus führen, spielen bei ihrem Entstehen gleichfalls die gestörte
motorische Funktion, die Atonie und der Spasmus, und der
Füllungsgrad der Mesenterialgefässe eine hervorragende Rolle.
Beim Zustandekommen einer Spontanheilung müssen Aende-
rungen dieser Verhältnisse in erster Linie in Frage kommen.
Und Spontanheilungen gibt es: „Es kommt nicht selten vor, dass
Patienten, die von den Aerzten aufgegeben sind, oft unerwarteter
Weise genesen“, schreibt Graser. Warum sollte dabei eine
Beeinflussung durch Atropin völlig ausgeschlossen sein? Wenn
Kü nun eil [9] auch sagt: „Soviel steht fest, dass ein richtiger
mechanischer Ileus durch Atropin nicht beeinflusst wird“, so
könnte es doch möglich sein, dass in dieser F r a g e das
letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Auf Grund von G ungünstigen Ausgängen bei ca. 45 publi¬
zierten Fällen von mit Atropin behandeltem Heus, wurden gegen
eine solche Behandlung verschiedene Einwände erhoben, zum
Teil mit Recht, zum Teil aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Mit
vollem Rechte wurde von chirurgischer Seite hervorgehoben, dass
bei den lleuskranken, die bisher schon viel zu spät zur Operation
kamen, die notwendige Operation durch die Atropindarreichung
einen weiteren bedauerlichen Aufschub erlitt. Sie weisen auf die
durch das Atropin hervorgerufene verderbliche Verschleierung
des Krankheitsbildes und die dadurch bedingte Verschleppung
der Fälle hin. Es sei mir ferne, diesen wohlbegründeten Ein¬
wurf auch nur im geringsten entkräften zu wollen; das wäre
auch gar nicht möglich. Betonen möchte ich nur, um die Schuld
vom Atropin abzuwälzen, dass es nicht nur zu lange, sondern
auch zu spät und in viel zu kleinen Dosen zur Verwendung kam.
Wird man künftig in den dazu geeigneten Fällen innerhalb
4 — 5 Stunden in kurzen (halbstündigen?) Pausen Atropin bis zu
10 mg (wenn keine Vergiftungserscheinungen eintreten) in¬
jizieren und sofort zur Operation schreiten, wenn nach 6 bis
8 Stunden (von der 1. Injektion gerechnet) ein gesichertes
Resultat nicht erzielt ist, dann wird man der Gefahr der Ver¬
schleppung aus dem Wege gehen. Ist die Atropinbehandlung
eingeleitet, dann kann man die Chancen eines Erfolges durch
Magen- und Darmspülung noch wesentlich verbessern.
Geb eie [10] schreibt anlässlich eines ungünstigen Aus¬
ganges bei einer Kotsteinobturation : „Das Atropin hätte bei
dem ohnehin nicht grossen Stein wirken müssen.“ Ich würde
seine Ansicht voll teilen, wenn der betreffende Pa¬
tient nicht 3 mg, sondern 10 mg erhalten hätte.
Wenn von atropingegnerischer Seite gesagt wurde, die einzelnen
ungünstigen Fälle beweisen genügend, die günstigen beweisen
nichts, so ist dies kein einwandsfreier Standpunkt: audiatur et
altera pars.
9. September 1902
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1499
Vielfach hat man behauptet, dass, was das Atropin ver¬
möge, das leisten die Opiate viel besser. Dabei hat man wohl
übersehen, dass die überwiegende Anzahl von Patienten Opiate
in hinreichender Dosis bereits erhalten hatten, dass sich unter
den Opiaten das Krankheitsbild zusehends verschlechterte, das
dann unter Atropin wie mit einem Zauberschlag zum günstigen
umschlug.
Um mich gegen den Vorwurf eines ungerechtfertigten Opti¬
mismus zu Gunsten des Atropins zu decken, sei es mir hier ge¬
stattet, im Wortlaut einige Stellen einer Arbeit von Bios [11]
aus der unter Prof. Beckers Leitung stehenden chirurgischen
Abteilung des Karlsruher städt. Krankenhauses zu zitieren, um
sie durch die grosse Verbreitung dieser Wochenschrift einem
weiteren Leserkreis zugänglich zu machen.
„In der Nachbehandlung (der Appendizitisoperation) ist das
Atropin neuerdings das souveräne Mittel geworden. Es vereinigt
in sich die schmerzstillenden Eigenschaften des Morph, mit spe¬
zieller günstiger Beeinflussung der Darmmotilität. Bei der Per¬
forationsperitonitis wandten wir das Atropin an dem 1. oder 2. Tag
post oper. an, wenn sich die Peritonitis gelegt hatte und die Darrn-
atonie sich zum paralytischen Ileus steigerte. Die Wirkung war
('ine auffallende: Die quälenden Spannungschmerzen schwanden,
es stellte sich Schlaf ein oder doch eine, im Gegensatz zu dem
kurz vorher bestehendem Bilde der Jaktation wunderbare Be¬
ruhigung und oft auf die erste Dosis schon eine geregelte Peri¬
staltik. Nicht weniger gefährlich ist das Stadium des mecha¬
nischen Ileus, das eintritt, wenn eine Woche post oper. die Granu¬
lationen zwischen den Darmschlingen anfangen, fester zu werden
und zu schrumpfen . . .“ „Die Darmatonie mit ihren sehr quälen¬
den subjektiven Beschwerden nach der kalten Amputation wird
durch Atropin ebenso günstig beeinflusst. Es ist oft geradezu er¬
staunlich, wie die heruntergekommenen Pat. nach Atropin sich
wohl fühlen und die Peristaltik sich zu heben beginnt . . .“ „Wir
lernten so Morph, und Opium in der Nachbehandlung, wie in der
internen Behandlung der Appendizitis überhaupt, ganz ent¬
behren . . .“ „Wir haben schon 10 mg innerhalb 5 Stunden ge¬
geben ohne nennenswerte Vergiftungserscheinungen.“
Diese Worte, die nicht verfehlen werden, allenthalben Ein¬
druck zu machen, veranlassen hoffentlich manchen, der bisher
behauptet hat, das was Atropin leistet, das vermag Opium eben¬
sogut, ja noch besser, das Atropin selbst zu versuchen und sich
selbst von der oft geradezu zauberhaften Wir-
k u n g zu überzeugen. Er wird diesen Entschluss nicht zu be¬
reuen haben.
Erwähnen möchte ich noch, dass es zweckmässig ist, jedes¬
mal frische Lösungen zu verwenden, da sonst die Injektionen
durch die frei werdende Schwefelsäure (beim Atr. sulf., dem
einzig zweckmässigen Präparat) äusserst schmerzhaft werden.
Um nun wieder auf die eingangs mitgeteilten 6 Fälle von
Inkarzerationen zurückzukommen, sei hier noch auf die Vorteile
einer Reposition durch Atropin aufmerksam gemacht: Eine
Massenreduktion, die, \vie L a n z [12] betont, auch ohne An¬
wendung von nennenswerter Kraft möglich ist, sowie das Zurück¬
gehen eines gangränösen Darms, ist hier ausgeschlossen. Diese
häufigen üblen Folgen der Taxis haben Lanz [12] veranlasst,
in einem Artikel: „Weg mit der Taxis“ vor ihrer An¬
wendung dringend zu warnen und vorzuschlagen, sofort die
ITerniotomie zu machen. Aber noch ein anderes schlimmes Er¬
eignis ist denkbar. Es kann bei der Taxis ein durch Invagination
oder Achsendrehung inkarzerierter Darm zurückgehen und In¬
vagination und Achsendrehung fortbestehen. Es ist anzunehmen,
dass bei der Atropinbehandlung eine solche Hernie nur zurück¬
geht, wenn Volvulus und Invagination beseitigt ist.
Zum Schlüsse möchte ich die Vermutung aussprechen, dass
unser Arzneischatz im Atropin ein Mittel be¬
sitzt, das neben der Digitalis, neben Jod, Quecksilber, Chinin
und den vorzüglichen Narkotizis und Anästhetizis an erster
Stelle genannt zu werden verdient.
Besonders aber sei hier noch hervorgehoben, dass der Zweck
dieser Zeilen ausschliesslich der sein soll, zu empfehlen, bei
ä usscren Inkarzerationen die At-ropiubehand-
lung an Stelle der Taxis, nicht aber der Her-
uiotomie treten zu lassen, beim Ileus aber die¬
selbe an Stelle der ungeeigneten Opiumthera-
pie einzuleiten nicht aber um einen opera¬
tiven Ein g r i f f, wenn ein solcher sich nicht aus anderen
( Künden verbieten sollte, länger als höchstens einige
Stunden hinauszuschieben.
Litera t u r :
1. Danzel: Herniologische Studien, 1854 und 1855. —
2. Ilagen: Ueber die Wirkung des Atropin bei inkarzerierten
Hernien. Dissert., Strassburg 1890. — 3. Schulz: Münch, med.
Wochenschr. 1901, No. 33. — 4. Reiche: Deutsche Klinik 1854.
— • «>• G. Traversa: Natura e mecanismo di azione delTatr. etc.
Policlinico IV. Med. S. 601. — 6. Berl. klin. Wochenschr. 1896,
No. 40. — 7. P e n z o 1 d t und S t i n t z i n g„ Bd. IV, 1, S. 493. —
8. Sahli: Kongr. f. innere Med. 1903, S. 60. — 9. Kümmell:
Deutsche med. Wochenschr. 1901, No. 27, Vereinsbeil. _ 10. G e -
bele: Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 33. — 11. Bios: Bei¬
träge zur klin. Chirurgie 32, 2, 1902 — 12. Lanz: Münch, med.
Wochenschr. 1902, No. 5.
Aus der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses der Elisa-
bethinerinnen in Breslau (Prof. Pfannenstiel).
Zur Frage der Uterusruptur in frühen Monaten der
Schwangerschaft.
Von Dr. Karl Kober, Assistenzarzt,
Perforationen des nicht graviden Uterus oder des Uterus
in den ersten Monaten der Schwangerschaft sind überaus selten
Gegenstand operativer Eingriffe geworden. Wohl den meisten
der vielbeschäftigten Gynäkologen ist es gelegentlich einmal vor¬
gekommen, dass bei intrauterinen Eingriffen ihre Sonde, ihre
Kürette plötzlich in bedeutende Tiefe eindrang. Dabei hat es
sich wohl fast immer um eine Perforation der Uteruswand ge¬
handelt ; das zufällige Hineingelangen des Instrumentes in das
Tubenlumen, woran dgcli überhaupt nur bei Verwendung der
Sonde zu denken wäre, scheint mir doch ein zu seltenes Vor¬
kommnis zu sein. Wenn der Eingriff unter allen Kautelen der
Anti- bezw. Asepsis geschah, dann hat dies Missgeschick auch
weiter nichts auf sich. Man wird nur davor abstehen, weitere
intrauterine Manipulationen, Spülungen vorzunehmen. Ein
leichter Temperaturanstieg, etwas grössere Schmerzempfindlich¬
keit der Unterbauchgegend ist vielleicht die einzige Antwort auf
dieses Vorkommnis.
Die Mehrzahl der Fälle von Perforationen in den ersten Mo¬
naten der Gravidität haben ihre Ursache in dem verbrecherischen
Bestreben, eine vorzeitige Unterbrechung der Schwangerschaft
herbeizuführen. Unzweckmässige Instrumente, von unkundiger
Hand verwendet, bringen da die Durchbohrung der Gebärmutter
zu stände. Die dann meist sich anschliessende Peritonitis macht
ärztliche Hilfe nötig; dass die Perforation als solche das Ein¬
greifen des Arztes erfordert hätte, ist mir aus der Literatur nicht
bekannt. Es ist daher gewiss von Interesse, wenn ich in nach¬
folgenden Zeilen über einen Fall berichte, bei dem eine Per¬
foration des Uterus im 2. Monat der Gravidität von einer so
lebensgefährlichen Blutung gefolgt war, dass schliesslich die
Exstirpation des Organes nötig wurde. Der Fäll ging in Ge¬
nesung über.
W. E„ 24 J„ 1901, J.-No. 240.
Die Patientin stammt aus gesunder Familie: bis auf rheuma¬
tische Beschwerden war sie früher stets gesund. Die Periode setzte
mit dem 14. Lebensjahre ein. war regelmässig, massig stark und
dauerte 4 — 5 Tage. Vor ca. 1 Jahr machte Pat. ihre erste Ent¬
bindung durch, die durch den Forceps beendet werden musste.
Es erfolgte eine schwere Nachblutung, die nur mit Mühe erfolg¬
reich bekämpft werden konnte. Nur langsam erholte sich die
Patientin wieder; sie litt zeitweise stark unter Beschwerden von
seiten ihres Herzens, als deren Grund das Vorhandensein einer
Mitralinsuffizienz aufgedeckt wurde. Seit nunmehr 6 Wochen ist
sie wiederum verfallen; starke vorhandene Herzbeschwerden
lassen es durchaus wünschenswert erscheinen, die Schwangerschaft
zu unterbrechen. Der behandelnde Arzt ging nun in der Weise
vor, dass er in einer Sitzung — ohne den Eintritt von Wehen
abzuwarten — die TJterushöhle soweit dilatierte, dass er eine
ziemlich schmale, scharfe Kürette einführen und mit ihr die Ent¬
fernung der Frucht vornehmen konnte. An den Eingriff schloss
sich sofort eine profuse Blutung; die Patientin wurde fast pulslos.
Erst nach fester Tamponade des Uterus, der Scheide, reichlicher
Anwendung von Exzitantien gelang es, sie wieder zu sich zu
bringen. Die Blutung kam zum Stillstand. Nach 2 Tagen wurde
der Tampon entfernt; bald setzte wiederum eine heftige Blutung
ein. die eine erneute Tamponade nötig machte. Nunmehr wurde
Herr Professor Pfannenstiel konsultiert, dessen Meinung
zunächst dahin ging, dass vielleicht noch Eihaut- oder Plazentar¬
reste zurückgeblieben seien und die Blutung unterhielten. Eine
daraufhin vorsichtig unter Leitung des Fingers ausgeführte Abrasio
zeigte indess, däss die Uterushöhle leer war. Die Blutung kam
nicht zum Stillstand. Dagegen liess sich hinter dem
leicht vergrösserten antef Iektierten Uterus
(>ine deutliche, teigige Resistenz fest stellen
und es drängte sich auf Grund dieses Befundes
3*
1500
MUEN CIIEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
(F i o b e r w av nicht vorhanden) die Ansicht an f,
dass es s i c h mit der grössten W a hrscheinlich-
k e i t u m eine Perforation des Uterus handle mit
Verletzung eines grösseren Gefässes, die so-
av o hl zu den Blutunge n nach aussen als a u c h z u r
Ausbildung eines retrouterinen Blutergusses
g e f ü li r t h a b e. Die Ueberführung der Patientin in unser
Krankenhaus erschien nötig und kam auch bald zur Ausführung.
Kaum war die Patientin hier angelangt, so machte auch schon
Avieder eine heftige Blutung die Tamponade erforderlich. Nach
-IS Stunden wurde der Tampon entfernt; auf einige Stunden blieb
alles ruhig. Dann aber setzte — wieAArohl Patientin die äusserste
Kulie beobachtete - — Avieder eine stärkere Blutung ein und ver-
anlasste, zu tamponieren. Dies Wechselspiel wiederholte sich
durch 5 Tage. Als nun aber keine Besserung eintrat, Patientin
immer schwächer wurde und leichte Temperatursteigerungen ein¬
zusetzen begannen, schien eine weitere Behandlung in demselben
Sinne Avie bisher unstatthaft. Herr Professor Pfannen stiel
entschloss sicli zu folgendem Plan. In Narkose sollte die Uterus¬
höhle soAveit dilatiert werden, dass sie eine Austastung mit dem
Finger gestattete. Das bei dieser Untersuchung gewonnene Resultat
sollte das weitere Vorgehen bestimmen: die Naht des Risses,
Unterbindung des blutenden Gefässes in loco oder des Stammes
der Arterie kamen in Frage. Als ultima ratio wurde auch die
Totalexstirpation des Uterus erwogen. Die Tastung ergab nun,
dass die hintere Uteruswand in der Höhe des inneren Mutter¬
mundes von einer Perforation durchsetzt w ar, die bequem den
Finger passieren liess, der nun in eine zirka kleinfaustgrosse, mit
Blut gefüllte Höhle (die Hämatocele retrouterina) gelangte. Sie
entleerte während der Untersuchung ihren übelriechenden Inhalt.
Da der Riss recht gross war, seine Ränder sich stark zersetzt
erAviesen, die ganze Uterusmuskulatur eine so stark brüchige
Beschaffenheit autwies, dass die Portio bei vorsichtigem Anziehen
fast zirkulär abriss, erschien die Totalexstirpation als das zweck-
massigste Verfahren. Sie wurde in der typischen Weise aus¬
geführt; beide Adnexe Avurden, Aveil sie völlig normal waren,
zurückgelassen. Nur in einer Hinsicht wurde von dem sonst bei
uns gebräuchlichen Verfahren abgewichen. Es wurde wegen der
doch sicher leicht infiziert gewesenen Hämatocele kein völliger
Verschluss der Peritonealhöhle vorgenommen, sondern auf
4N stunden ein schmaler Jodoformgaze streifen in der suspekten
Gegend eingeführt, ln 25 Minuten Avar die Operation beendet;
die Rekonvaleszenz verlief glatt. Am 15. Tag nach dem Eingriff
verliess Patientin geheilt unser Krankenhaus.
Fibrin
auflngcrmigen
Riss in Folge forcierter
Dilatation.
Perforation durch die Kürette
verursacht.
Kiickfiäehe des Uterus (2/„ der natürl. Grösse.)
Das gcAVounene Präparat, das zu skizzieren Herr Kollege
K rö m e r die Liebenswürdigkeit hatte, entspricht in seiner Grösse
dem normalen Uterus. Die Unterseite des Organes bietet keine
Besonderheiten. Grosses Interesse beansprucht indes die Ober¬
seile. ZAvei GoAvebsdefekte fallen uns sofort ins Auge. Der eine
ha) seinen Sitz nahe dem Fundus, liegt ziemlich genau in der
Mittellinie und hat eine Länge von ca. 1 cm. Seine Ränder sind
scharf; die in ihn eingeführte Sonde gelangt glatt in die Uterus¬
höhle. Der ZAveite Defekt ist ungleich grösser; er hat unregel¬
mässig zerfetzte Ränder. Sein Sitz findet sieh in der Höhe des
inneren Muttermundes etwas nach rechts von der Mittellinie. Um
ihn herum finden sich an der Uterusfläche Fibringerinnsel. Die
Fingerkuppe dringt durch den Riss leicht in das Uterusinnere ein.
Der auf der Schleimhautseite entsprechende Defekt ist weit grösser;
seine Länge beträgt ca. 2% cm. Eine mikroskopische Untersuchung
der 1'terusAvand Avurde, um das Präparat nicht zu zerstören, zu¬
nächst nicht vorgenommen.
Wenn wir nun jetzt den Fall einer Würdigung unterwerfen,
so können Avir bei Anerkennung der Berechtigung des künst¬
lichen Aborts die Art seiner Ausführung doch, nicht als ein-
Avaudsfrei gelten lassen. Es ist durchaus unangebracht, die Aus¬
räumung eines Abortes in einer Zeit vorzunehmen, in der noch
keine Spur von Wehen vorhanden ist. Die scliAversten Nach¬
blutungen sind dann meist die Folge \’on solchem Vorgehen. Ge-
Aviss ist ja zuzugeben, dass die schwere Blutung in unserem Falle
nicht allein durch eine Atonie bedingt war, sondern hauptsäch¬
lich wohl durch die Rupturierung des Uterus hervorgerufen war.
Allein einen geAvissen Anteil mag sie dabei doch Avohl auch ge¬
habt haben.
Wie steht, es nun mit der Perforation des Uterus?
War sie vermeidbar? Diese Frage möchte ich mit „ja“ beant¬
worten. Es ist Sache des Gefühles, zu rechter Zeit zu merken,
wann das dilatierende Instrument anfängt, die Uteruswand zum
Bersten zu bringen. In einem solchen lalle wird man dann
lieber von einem augenblicklichen weiteren "\ ergehen abstehen,
einen Laminariastift einlegen und den Eingriff auf den folgenden
Tag verschieben — namentlich dürfte sich das für solche Fälle
Avie den vorliegenden empfehlen, da der Fremdkörper noch kräftig
AArehen anregend wirkte. Handelt, es sich nicht um Ausräumung
eines Abortes, sondern um Exploration der Uterushöhle aus einem
anderen Grunde, und Avill man durchaus in einer Sitzung den
Eingriff beenden, dann empfiehlt es sich, das Gewebe des inneren
Muttermundes durch multiple Inzisionen einzukerben, am besten
mit einem geknöpften Messer. Von diesem Verfahren haben wir
bei Austastungen der Gebärmutter, wenn starker Widerstand
gerade am inneren Muttermund zu überwinden war, ausgiebigen
Gebrauch gemacht und waren mit dem Erfolg sehr zufrieden.
Was nun die zweite Perforation im Fundus angelit, die
offenbar durch die Kürette gesetzt worden ist, so legt sie, wenn
sie auch klinisch keine wesentlichen Erscheinungen gemacht hat,
die Frage nahe: „Was ist bei der Abortbehandlung zweck¬
mässiger, den Finger oder die Kürette zu verwenden?“ Im
Jahre 1898 erhitzte diese Frage die Gemüter lebhaft; von einer
Seite erscholl der Ruf: Weg mit der Kürette (bei der Abort¬
behandlung). Mir scheint aus Gründen der Asepsis die Aus¬
räumung mit dem Instrument schon das zweckmässigere Ver¬
fahren zu sein; dann aber ist es doch sicher auch das schonen-
dere, kann ohne Narkose ausgeführt werden, Avas doch bei Ver-
Avendung des Fingers kaum angängig ist. In der Hand des Ge¬
übten wird die Kürette nie einen Schaden anrichten; der in
unserem Falle begangene Fehler lag in der Verwendung eines
scharfen, schmalen Instrumentes. Ein entschuldigendes Moment
bildete aber die Mürbheit und Weichheit der Uteruswand. Bei
Ausräumung von Aborten sind bei der weichen Beschaffenheit
der Uteruswand nur breite stumpfe Küretten zu benützen.
Nun noch ein Wort über die eingeschlagene Therapie. Es
wurde, Avie bereits erwähnt, in unserem Fall die Totalexstir¬
pation des Uterus vorgenommen. Eine eventuelle Unterbindung
der Art. uterin, dextr. Aväre unzweckmässig geAvesen; zunächst
hätte eine rasche Ausbildung des Kollateralkreislaufes leicht das
Resultat stören können, dann aber Avar der Gewebsriss zu gross
und die Wunde infiziert, als dass man auf eine Heilung durch
Narbenbildung hätte rechnen können. Wenn man also ganz kon-
servativ hätte Vorgehen wollen, hätte man eine Naht des De¬
fektes vornehmen müssen. Dies erschien indes aus mehreren
Gründen unzweckmässig. Der Eingriff selbst hätte sicher die¬
selbe Zeit oder noch mehr in Anspruch genommen. Man hätte
die Zervix spalten, eventuell den Douglas öffnen müssen, um
sich den Riss deutlich zu Gesicht zu bringen. Die Naht, wäre
bei der konstatierten Brüchigkeit der Gewebe ausserordentlich
schAvierig, vielleicht überhaupt nicht angängig gewesen. Ferner
ist es eine bekannte Tatsache, dass Narben der UterusAvand im
Falle einer späteren Gravidität die Gefahr der Uterusruptur
nahe legen. Die Literatur kennt eine Anzahl von Fällen, in
denen Kaiserschnittnarben bei einer späteren Schwangerschaft
Ritz von Uterusrupturen wurden. Ja selbst Narben von Per¬
forationen durch die Kürette herrührend scheinen, Avie ein im
vorigen Jahre von Herzfeld berichteter Fall lehrt, diese Ge¬
fahr nahe zu legen. Zudem hätte die Narbe noch im unteren
Uterinsegment gelegen, der Gegend, die doch in der Austreibungs¬
periode die stärkste Dehnung erfährt. Schliesslich kam auch
der Gesichtspunkt noch in Betracht, dass die Patientin der Ge¬
fahr, noch einmal gravid zu werden, für immer überhoben
bleiben sollte.
Wenn ich nun am Schluss meiner Arbeit die aus ihr ge-
Avonnenen Resultate kurz resümiere, so möchte ich sei in fol¬
gende Sätze zusammenfassen :
Die Ausräumung eines Abortes geschehe
nie, bevor W eheu eingetreten sin d.
Ö. September 1902.
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Eine forcierte Dilatation des Uterus ist
wegen der Gefahr schwerer Gewebszerreis-
jungen zu unterlassen; statt dessen mag in
den frühen (ersten 3) Monaten der Gravidität
die allmähliche Dilatation durch Lamina ria,
in den späteren durch Metreuryse Verwendung
finden.
Sind Wehen vorhanden und ist genügende
Erweiterung ein getreten, aber war die Aus-
stossung der Frucht eine nur unvollkommene,
dann empfiehlt sich für die Entfernung der
zurückgebliebenen Massen zunächst die Ver¬
wendung des Doppellöffels. Sollte er sich
nicht wirksam erweisen, dann mag die Kürette
i n i h r Recht treten; nur ist der Gebrauch von
breiten, stumpfen Instrumenten erforderlich.
Nunmehr habe ich noch die angenehme Verpflichtung,
meinem früheren hochverehrten Chef Herrn Prof. Pfannen-
s^tiel für seine Anregung zur Arbeit und Ueberlassung des
Falles meinen herzlichsten Dank auszusprechen.
1501
geworfen. Ein eigentümlicher Zufall wollte es, dass der prak-
tische Arzt Dr . M in A. unmittelbar nach dem Einsturz den Ort
und die Uuglucksstatte passierte und bei den Rettungsarbeiten zu¬
gegen sein konnte. Er berichtet, dass der Kopf, mit dem Ge¬
sichte auf Backsteinen liegend, sich von Balken und Schutt frei
befand Ueber dem Körper lag ein Balken quer über den Rücken,
senkrecht zu diesem ein zweiter, welcher die ganze linke Seite be¬
deckte Der Verletzte wurde nach Hinwegräumen des Schuttes
nach Hause getragen. Hiebei bemerkte man, dass das linke
Bein nach aussen rotiert und stark abduziert war. Der Verun¬
glückte war bei Bewusstsein, klagte über Schmerzen im linken
Bein, im Kücken und Kreuzbein. Aeusserlicli waren Kontusionen
und zahlreiche Hautaufschürfungen geringgradiger Art wahrnehm¬
bar. Die Schmerzen erstreckten sich allmählich auf den Unter-
l(‘ib und die Brust, es erfolgte häutiges Erbrechen, es gingen keine
flatus ab. Die Atlimung wurde frequent und oberfläcldieh und
unter Unruhe und Kollapserscheinnngen erfolgte am 4 Tage nach
der Verschüttung der Tod. Die Temperatur, welche am 2 Tage
auf über 38° gestiegen war, fiel am 3. Tage auf 37,7.
Aus diesen Mitteilungen des behandelnden Arztes geht her¬
vor, dass anfänglich die subjektiven Beschwerden sich auf die
Quetschungen und die Duxation beschränkten, dagegen im weiteren
Verlaufe sich die Störungen von Seiten des Magens und Darmes
deutlichei zeigten. Leibschmerz, Aufhören der Elatus, Erbrechen
und Kollaps bekunden den Eintritt der Inkarzerationserschei¬
nungen, welchen B. unterlag.
Unfallverletzung mit Todesfolge.
Tod durch Inkarzeration einer traumatischen Hernia dia-
phrag-matica.
\ on Landgerichtsarzt Dr. E r d t in Schweinfurt.
Zerreissungen des Zwerchfells durch Trauma werden öfter
bei schweren tödlichen Unglücksfällen als Nebenbefunde ange¬
troffen, doch sind Fälle von Zwerchfellrupturen mit Hernien¬
bildung, bei welchen die Inkarzeration der entstandenen Hernie die
alleinige Todesursache bildet, immerhin selten. Es dürfte des¬
halb der im Lachstehenden erwähnte Fäll, welcher zur gericht¬
lichen Obduktion kam, einiges Interesse erwecken.
Veranlassung zur Entstehung von traumatischen Zwerch¬
fellhernien geben meistens Stichverletzungen. So berichtet
v. Frey (Wiener klin. Wochenschr. 1893) über 33 Stichver¬
letzungen des Zwerchfells, von denen 4 geheilt wurden, 29 starben.
Bei 21 hievon war die Inkarzeration der in die Brusthöhle ein¬
gedrungenen Baucheingeweide Todesursache. T h o m a (Münch,
med. Wochenschr. 1899) hat 253 Fälle von Hem. diaphr. spur!
getroffen, 217 links, 36 rechts, wovon der grösste Teil trauma¬
tischen Ursprungs war. Bergmann (Münch, med. Wochen¬
schrift 1898) beschreibt einen Fall von Stichverletzung des
Zwerchfells, welche erst nach 10 Monaten durch Inkarzeration
des in die linke Brusthöhle eingetretenen Magens plötzlich zum
Tode führte. * .
In unserem Falle handelt es sich um Einwirkung einer
schweren stumpfen Gewalt (Auffallen von Balken), welche die
ganze linke Seite des Körpers betraf. Die Zwerchfellruptur
war mit Rippenfraktur, jedoch ohne Verletzung der Lungen
kompliziert. Albert (Lehrb. d. Chir.) bezeichnet diese Kom¬
plikation als ziemlich selten. Malgaigne macht aufmerk¬
sam, dass eine im Bereich des muskulösen Teiles des Zwerch¬
fells befindliche Ruptur meist durch Contre-coup hervorgebracht
M erde. Weil (Maschka: Handb. d. ger. Med.) erwähnt als
Ursache der nicht sehr häufigen Zwerchfellrupturen das Auffallen
schwerer Lasten, Sturz aus grosser Höhe, U ob erfahre n werden .
Von 37 genau beobachteten Fällen (Popp: Deutsche Zeitschr.
f. Chir.) waren 1 mal Ueberfahrenwerden, 1 mal Drehbewegung,
1 mal Ueberanstrengung, 10 mal Sturz von grosser Höhe, ausser¬
dem Schuss- und Stichverletzungen Ursache, dass die Ein¬
geweide in die Brusthöhle drangen; in diesen Fällen befanden
sich 32 mal die Baucheingeweide in der linken, 5 mal in der
rechten Brusthöhle. Die Zeit von der Verletzung bis zum Tode
schwankte von wenigen Minuten bis zu mehreren Jahren.
Der Verlauf des vor kurzem beobachteten Falles, welcher
durch Ruptur des Zwerchfells mit Entstehung einer Hernie
durch Inkarzeration derselben tödlich endete, war folgender:
In H. wurde ein kleines Wohnhaus umgebaut und es sollte das
Dachgebälke um 30 cm in die Höhe geschoben werden. Der ledige,
24 jährige Zimmergeselle B. war bei dem Heben des Balkengefüges
beschäftigt und versuchte, -während der Bauführer kurze Zeit ab¬
berufen wurde, durch schräge Bolzen das Gebälk zu unterkeilen.
Dadurch kam das Hauptgewicht auf einen Punkt, die Balken ge¬
rieten in Bewegung, fielen zusammen und stürzten herab. Obwohl
B. die Bewegung bemerkte und zu entfliehen suchte, wurde er
dennoch von den herabstürzenden Balken getroffen und zu Boden
No. 36.
Ein Transport in eine Klinik war nach den Angaben des be¬
handelnden Arztes wegen des desolaten Zustandes nicht rätlich,
die Luxation konnte nicht reponiert werden, da B. auch leichte
Narkose nicht vertrug.
Auf Antrag der k. Staatsanwaltschaft erfolgte am Tage nach
dem Tode die gerichtliche Obduktion. Aus dem Sektionsprotokolle
sind folgende Ergebnisse bemerkenswert, welche der Hauptsache
nach viedergegeben werden sollen.
Der äussere Befund ergab eine ca. 40 cm breite, blauschwarze
Verfärbung der ganzen linken Körperseite, liervorgerufen durch
Bluterguss unter die Haut bis in die tieferen Muskelpartien.
(Diese Verfärbung entspricht der Lage, in welcher ein schwerer
Balken auf B. angetroft'en wurde.) Zahlreiche Haut Verletzungen,
ausgedehnt auf dem Rücken zwischen den Schulterblättern (Lage
des 2. Balkens) bestehen nur aus oberflächlichen Hautabschür¬
fungen: nirgends tiefgreifender Bluterguss.
Das linke Bein ist stark abduziert, der Schenkelkopf befindet
sich nicht im Gelenke. Trotz der Todtenstarre ist das gestreckte
Bein an der Hüfte beweglich.
Die linke Brustseite ist hervorgewölbt, auf Druck Plätschern
im Innern hörbar; Tympanie.
„ ,, I? innere Besichtigung ergibt folgenden Stand des Zwerch¬
fells: Rechts, oberer Rand der 5., links unterer Rand der
0. R l p p e. Nach Entfernung des Brustbeins zeigt sich das
Z w e r c h f e 11 in einer Ausdehnung von Handbreite
nahe den Rippen in seinem muskulären Teile
unregel m ä s s i g zerrissen, mit Blut getränkt, der
starkgefüllte Magen nebst einem grossen Teile
des Colon transversum und einem Stücke Netz
in die Brusthöhle eingetreten, die ganze linke
Brustseite bis zur 2. Rippe ausfüllend.
Der Magen stand aufrecht, die grosse Kurvatur lag den Rip¬
pen an, die kleine war dem Mittelfellraum zugekehrt.
Von der linken Lunge erblickte man oberhalb des linken
Sternoklavikulargelenkes ein schmales Stückchen von Dreimark
stuckgrösse und blassgrauer Farbe. Da sich der gefüllte Magen
und Darm durch den Riss nicht zurückbringen lässt, wird dieser
erweitert und die natürliche Lage hergestellt. Bei dem Herab-
senken des Magens ergisst sich eine grosse Menge dünner Flüssig¬
keit aus dem Munde. (Dies ist durch die Behebung der an der
Pars cardiaca durch Emporsteigen des Magens entstandenen In¬
karzeration leicht erklärlich.)
In der Tiefe der Brusthöhle befindet sich etwa 14 Liter blutig
seröser Flüssigkeit. Die linke Lunge zeigt sich stark komprimiert,
blassgrau. Der Herzbeutel ist voll s Händig in die
rechte Brusthöhle gedrängt und komprimiert den rechten
Mittellappen der Lunge.
Bei Besichtigung der Innenseite der linken Brusthöhle zeigen
sich die 0., 7., 8. und 9. Rippe in der Axillarlinie (der blauschwarzen
Verfärbung entsprechend) gebrochen, die Pleura costalis in einer
Ausdehnung von 5 cm an der 7. Rippe zerrissen. Die Pleura pul-
monalis ist unverletzt.
Der Unterlappen der rechten Lunge ist stark blutreich, der
Mittellappen, fleischähnlich aussehend, luftleer. Die Bronchialäste
zeigen Verkalkungen, sind mit zähem, rötlichem Schleim bedeckt.
Das Herz zeigt schlaffe Muskulatur, Blutfüllung im rechten Vor¬
hof, sonst keine krankhaften Störungen. Klappen intakt. (NB. Soll
früher an Gelenkrheumatismus gelitten haben.)
Der Befund der Bauchhöhle ergibt einen Bluterguss von Nuss¬
grösse in der Milz an der äusseren Fläche (welche der Pars costalis
diaphragm. anliegt). Die Beckenmuskulatur ist blutgetränkt, be¬
sonders der Ileopsoas.
Der Femurkopf ist nicht gebrochen; er findet sich nach vorne
und unten gegen das eirunde Loch luxiert (Luxatio obturatoria).
Am linken Hoden ist sow'ohl an der Haut des Hodensackes,
als an der Oberfläche des Hodens selbst, bläuliche Verfärbung
(Bluterguss) wahrzunehmen.
4
1502
MUENCILENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
Die Wirbelsäule und Beckenknochen zeigen keine Beschädi¬
gungen, die Besichtigung der Kopf höhle bietet nichts Erwähnens¬
wertes.
Als Todesursache muss die Zerreissung des Zwerchfells mit
Eintritt des Magens und Hannes in die Brusthöhle und In¬
karzeration dieser Eingeweide angenommen werden.
Gegen die Annahme, dass der Tod durch die Zerreissung
der Pleura infolge von Rippenbruch und daraus entstehender
infektiöser Pleuritis eingetreten sein könnte, spricht die Beob¬
achtung und der Ar erlauf des Krankenbettes, welches die Ein-
* klemmungserscheinungen deutlich vorwiegend erscheinen liess.
Die Behinderung der Atmung lässt sich aus der Kompression
des linken und des Mittellappens der rechten Lunge erklären.
Leichtenstern (Berl. klin. Wochenschr. 1874) glaubt,
dass in solchen Fällen die enorme Ausdehnung des im Thorax
inkarzerierten Magens resp. Kolons nicht nur zu einer wesent¬
lichen Behinderung der Respiration, sondern auch der Zir¬
kulation führe. Die Veränderung der Druckverhältnisse in der
Brusthöhle und vielleicht die mechanische Verdrängung des Her¬
zens nach rechts spielen eine nicht unwesentliche Rolle. Die Art
der Entstehung der Einklemmung hat Leichtenstern in
vivo beobachtet und beschrieben. Es handelte sich hiebei um
eine kongenitale Diaphragmahernie, durch welche infolge In¬
karzeration des Magens der Tod herbeigeführt wurde.
Leichtenstern füllte den Magen des Patienten
mit Wismuth und blähte ihn auf; die Schirmunter¬
suchung liess das Wismuth an der Magenwandung als
feinkörnige Flecken erscheinen. Ein mit Quecksilber
gefüllter Schlauch wurde sodann eingeführt; das Dia¬
gramm zeigte deutlich, wie die Sonde in der Gegend der
Kardia eine starke Krümmung machte, bergauf ging und sich
an der Kuppe des Magens bogenförmig umbog. Daraus schloss
Leichtenster n, dass die Pars cardiaca eine Knickung er¬
fuhr, Pylorus resp. Duodenum unter der Kardia wieder durch
das Loch des Zwerchfells in die Bauchhöhle gelangten.
In dem Falle B. war die Lage des Magens die gleiche; als
infolge allmählicher Senkung des gefüllten Magens die Knickung
an der Pars cardiaca aufgehoben wurde, ergoss sich aus dem
Munde der Leiche in grösserem Bogen ein Teil des Magen¬
inhaltes.
Die Diagnose am Lebenden ist in manchen Fällen schwierig;
Verwechslung mit Ilämato-Pneumothorax erscheint möglich.
Struppler (Münch, med. Wochenschr. 1901) betont, dass die
Hervorwölbung der betr. Thoraxhälfte, die plätschernden Ge¬
räusche, die Volum Veränderung nach Aufnahme flüssiger Nah¬
rung und unabhängig von den Bewegungen des Herzens und der
Lunge Anhaltspunkte zur Diagnose geben. Die Orthodiagraphie,
ja schon einfache Schirmuntersuchung — wie in dem
Leichtenstern sehen Falle — wird gleichfalls die Erken¬
nung in vivo ermöglichen. Leichtenstern macht aufmerk¬
sam, dass manche Fälle von isolierter Dextrokardie die Annahme
eines Zwerchfelldefektes und Eintritt der Baucheingeweide in
die Brusthöhle nahelegen.
Im beschriebenen Falle B. konnte es sich um Einriss eines
schon bestehenden, kongenitalen Zwerchfelldefektes infolge des
Traumas nicht handeln. Schwalbe (Münch, med. Wochen¬
schrift 1899) fordert Nachweis des Traumas und macht auf die
verschiedene Beschaffenheit der Ränder aufmerksam. Während
die Bruchpforten bei lange bestehenden oder kongenitalen De¬
fekten sehnig, dünn und abgerundet sind und ihr Sitz meist
hinter dem Sternum am Foramen oesophageiun sich befindet,
waren bei B. die Ränder zerrissen, zackig, befanden sich im
muskulären Teile an der Pars costalis. Das Bestehen einer schon
früher vorhandenen und durch das Trauma eingerissenen Oeff-
nung im Diaphragma kann daher im B. sehen Falle ausgeschlossen
werden.
Gegen den verantwortlichen Bauleiter wurde Untersuchung
eingeleitet; da aber die Erhebungen das Vorhandensein eines
strafbaren Verschuldens nicht ergaben, erfolgte Einstellung des
Verfahrens.
Ein Riesenlipom.
Von Dr. H. Pfeiffer in Pasewalk.
Schon häufig hat die Beobachtung gezeigt, dass nichtbös¬
artige Geschwülste zu einer geradezu fabelhaften Grösse an-
wachsen können, ohne das Allgemeinbefinden des betreffenden
Individuums wesentlich zu beeinträchtigen. Der Zufall brachte
mich dazu, eine gleiche Beobachtung zu machen. Ich wurde bei
Gelegenheit der im Dorfe herrschenden Diphtherieepidemie zu
einer kleinen Patientin in der Familie H. gerufen. Nach der
Untersuchung derselben, die sich auch auf Perkussion und Aus¬
kultation der Lungen bezog, und der Seruminjektion sagte die
im andern Bett befindliche Grossmutter zu mir, dass sie an
leichtem Husten litte, ich solle ihr etwas dafür geben, aber das
müsste sie mir gleich sagen, „Klopfen und Horchen“ ginge bei
ihr nicht. Nach meinen zweifelnden Worten zog sie ihr Hemd
in die Höhe — und was ich da zu sehen bekam, lehrt ein Blick
auf die nebenstehende Abbildung zunächst besser als alle Worte.
Wir haben es mit der S4 jährigen Taglöhnersfrau H. aus Z„
einem Dorfe bei Pasewalk, zu tun. Die Frau ist mittelgross mit
leidlich kräftigem Knochenbau und massigem Fettpolster. Ap¬
petit und Stuhlgang seien trotz ihres hohen Alters gut, wie sie
angibt; sie habe 5 Kinder gehabt und sei nie wesentlich krank ge-
wesen. lieber ihre Geschwulst, den Anfang und das Wachsen der¬
selben erzählt sie mir folgendes: ln ihrem 54. Lebensjahre habe
sie zum erstenmale die Geschwulst bemerkt, sie sei von der Grösse
eines halben Apfels gewesen und habe ihren Sitz gehabt am
unteren Ende des Genicks — sie zeigt die Gegend des 7. Hals- und
1. Brustwirbels. Trotzdem die Geschwulst gewachsen sei, dabei
sich sehr langsam vergrössert habe, sei sie in keiner Weise davon
in ihrer Arbeitsfähigkeit oder ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt
worden. Nach etwa 8 — 9 Jahren, gegen ihr 63. Lebensjahr, habe
die Geschwulst die Grösse eines halben Kindskopfes erreicht;
während sie bis dahin breit aufgesessen habe und halbkugelig ge¬
wesen sei, habe sie nunmehr angefangen, Kugelform anzunehmen
und durch ihr Eigengewicht herabzuhängen; mit diesem Zeitpunkte
sei die Geschwulst schneller gewachsen und sei auch mit ihrem
oberen Rande mehr und mehr hinuntergerückt. Auf meine Frage,
warum sie zu jener Zeit das Gewächs nicht habe entfernen lassen,
antwortete die Frau, dass sie wohl einen Arzt danach gefragt
habe; als sie aber über das Ungefährliche belehrt sei, habe sie
gemeint, da sie mit 63 Jahren doch nicht recht mehr arbeiten
könne, könne sie sie auch behalten (!). Im Laufe der letzten
beiden Jahrzehnte sei dann das Wachstum der Geschwulst lang¬
sam, unaufhaltsam Aveiter vorgeschritten bis zu der jetzigen
Grösse.
Wie haben es mit einem Riesenlipom zu tun, das wie ein
vollgepfropfter Rucksack über den Rücken herabhängt. Seine
obere Grenze hat das Gewächs in der Höhe der Schulterblatt¬
gräten, die untere Grenze der Basis, die im allgemeinen runde
Form hat. geht über den Dornfortsatz des 12. BrustAvirbels, die
seitlichen Grenzen gehen über die beiden Schulterblattwinkel, und
der Umfang der Basis beträgt 75,0 cm. Der Umfang der Ge-
schwulst in der Sagittalebene misst von oberer zu unterer Basis¬
grenze 68 cm. Von der Basis aus verbreitert sich das Lipom, um
nach etwa % seiner Länge zu seinem grösstem Umfange —
85 cm — anzuwaehsen, dann läuft es in einen schiefen, abgeplat¬
teten, mit dem stumpfen Ende nach links weisenden Kegel aus,
der seinerseits 3 — 4 knollenartige, eiergrosse Verdickungen hat.
Die Konsistenz der Fettgeschwulst ist im grossen und ganzen
Aveieli, sie fühlt sich an, wie der Leib eines sehr fettleibigen
Patienten; nirgends fühlt man eine festere oder derbere Partie im
Gewebe. Umfasst man die Basis der Gesclnvulst mit beiden
Händen, so nimmt man in der Tiefe Pulsation wahr; ob diese
aber von einer oder mehreren Arterien lierrülirt, lässt sich nicht
entscheiden.
Es Avar schAver, das GeAvicht der ganzen Geschwulst zu be¬
stimmen. Auf die Wage gelegt, war die Unterstützung durch die
breite Basis zu gross. Das Gewicht einer Menge aufgehäuften,
frisch geschlachteten Fettes, dessen Volumen dem der Geschwulst
fast gleich war, betrug nahezu 30 Pfund. Nach meiner und der
Schätzung der Schwester, die ein über den andern Tag die Ge-
schAvulst revidieren und verbinden muss und dabei häufig hebt,
wiegt die Geschwmlst 28 bis
30 Pfund. Die Haut des
Lipoms und ihre Farbe zei¬
gen dieselbe Beschaffenheit
Avie am Körper. Dicht an
der Basis sind einige quer¬
verlaufende Striae Avalirzu-
nelnnen. Die unter der Ge-
schw-ulst befindliche, sich
nach dem Rücken umschla¬
gende Hautfalte ist fast
immer in mazeriertem Zu¬
stande, Avie häufig unter der
Mamma einer fetten Frau.
Von der Mitte abwärts sind
auf allen Seiten Adele Venen
unter der Haut zu sehen, die
sich, je näher dem Apex der
Geschwulst, mehr und mehr
schlängeln und zu einem
ziemlich engmaschigen Netz sich vereinigen, dabei nimmt auch
der Durchmesser der Venen nach unten zu, einige «ind von Blei¬
stiftdicke.
Der ganze Apex des Lipoms wird von einer Reihe von Epithel¬
defekten eingenommen (auf der Abbildung an der dunkleren
9. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1503
Färbung zu erkennen), zur Zeit im ganzen 8, deren Grösse und
Tiefe verschieden ist, einzelne sind markstückgross, andere nahezu
wie ein Handteller. Diese ulzerierten Partien, deren Grund von
blassen, mürben und weichen Granulationen bedeckt ist, nässen
stark, sondern reichlich Sekret ab; die kleineren zeigen Neigung,
sich zentrale ärts mit Epithel zu bedecken, andere vergrössern
sich, gänzlich zum Schwinden zu bringen sind sie nicht; kurz, ihrem
Aussehen, \ erhalten und der Hartnäckigkeit nach, jedem Hei-
luugsversucli zu widerstehen, zeigen diese ulzerierten Flächen
starke Aehnlichkeit mit Unterschenkelgeschwüren. Die in jenem
Dorfe stationierte Schwester touchiert bisweilen die Granula, be¬
streut alles mit Zinkpuder, polstert gut mit Holzwatte und zieht
dann über die ganze Geschwulst einen bis an die Basis reichenden
Leinenbeutel, der nach Art eines Rucksackes mit Tragebändern
versehen ist. Der alten Frau wird dadurch das Tragen wesent¬
lich erleichtert, und die Verbandstoffe sitzen gut.
Wenn auch Frau II. sich eines guten Wohlbefindens erfreut,
so ist sie durch die Grösse und vor allem das Gewicht des Lipoms
sehr behindert. Sie muss, um das Gleichgewicht zu behalten,
stets beim Gehen vornübergeneigte Haltung — bis fast zu einem
Winkel von 45 0 — einnehmen. Gewöhnliche Lehnstühle kann sie
nicht benützen, sie hat sich einen besonderen Stuhl konstruieren
lassen mit niedriger, aber breiter Lehne, auf die sie die massige
Geschwulst auflegt — sie hat so einen guten Unterstützungspunkt.
Sie schläft sitzend, und lehnt sich seitwärts an ein an die Wand
gelegtes Kissen.
Nachtrag.
Bei einem kürzlich erfolgten Besuche, den ich der Frau II.
machte, nachdem ich sie ein Vierteljahr nicht gesehen hatte, fand
ich die alte Frau recht matt vor, sie hatte eine Infiuenza Über¬
stunden; und ihre Kräfte waren sehr im Verfall. Das Lipom
hatte die bekannte Grösse, alles war beim alten, nur die Ulzera
waren zum Teil verschwunden, und zwar gerade die ältestem: an
deren Stelle waren vollständige Hautdefekte getreten. Epidermis,
Korium und Tela subcutanea waren nicht mehr vorhanden, man
erblickt an deren Stelle verschieden grosse Löcher, meistens von
Talerumfang, mit einem, w ie mit einem Locheisen geschlagenen
scharfen Rande, durch welche die Fettmassen der Geschwulst,
angeordnet zu ungleich grossen, mit ihrer Faszie überzogenen Fett¬
läppchen. hindurchsahen; und diese Löcher sassen alle an Stellen,
wo die Geschwulst knollenartige Auftreibungen hatte ■ — also alle
zweifellos durch die Druckusur allmählich entstanden. Mehrere
solcher vollständiger Hautverluste waren noch im Entstehen be¬
griffen.
Zur akuten Formalinvergiftung.
Von Dr. A u g. G e r 1 a c li, Stadtarzt in Lauchheim.
Im Anschluss an 2 in dieser Zeitschrift veröffentlichte
Fälle über akute Formalinvergiftung von Klüber1) und
Zorn 2) möchte ich hier einen weiteren von mir beobachteten
Fall folgen lassen :
„Am 15. Oktober, Abends S Uhr wurde ich eiligst zu der
21 jährigen Dienstmagd V. R. gerufen, ohne Angabe des Grundes.
Um 9 Ulir dort angekommen, erfuhr ich, Patientin habe sich
Avegen Unwohlsein um G Uhr zu Bett begeben; nach etwa y2 Stunde
sei jemand in ihr Zimmer gekommen,, habe sie „laut schnaufen
und stöhnen“ gehört, sie angerufen und geschüttelt, aber nicht
zum Bewusstsein zu bringen vermocht.
Das Mädchen lag schweratmend zu Bett, 35 Ateimziige pro
Minute, Puls 90, aber kräftig und regelmässig, der ganze Körper
ist leicht mit Scliweiss bedeckt, Temperatur in der Achselhöhle
37,8. Der Hornhautreflex ist gut.
Durch lautes Anrufen, Schütteln und Kneifen erwacht sie,
bleibt liegen, starrt mich gläsern an. Ich versuche, sie an der
ITand zum Aufsitzen zu bringen, da erbricht sie plötzlich ein wenig;
(las Erbrochene zeigt einen scharf stechenden Geruch. Patientin
ist wieder völlig bewusstlos und atmet angestrengt weiter.
Ein Blick auf den Tisch belehrt mich über alles: Patientin
war 3 Tage vorher bei mir gewesen, hatte wegen starken Fluor
albus zu Spülungen Formalin (S c h e r i n g) bekommen, ebenso
innerlich eine Kal. jodat.-Solution. Allem Anschein nach hatte sie
das Formalin nun innerlich genommen, der Geruch des Erbrochenen
war der charakteristische Formaldehydgeruch. Die Diagnose war
also leicht gestellt.
Da Patientin, ausser dem Wenigen in meiner Gegenwart, noch
nicht erbrochen hatte, hiess es schnell den Magen entleeren.
Schlucken konnte sie wegen der Bewusstlosigkeit nicht, Apo¬
morphin war nicht vorhanden, Magenschlauch auch nicht (Ent¬
fernung zu meiner Wohnung betrug 1 Stunde). Also hiess es
schnell etwas improvisieren: Der Nachbar, ein Wirth, musste
schnell einen Weinschlauch hergeben, ein Trichter war aus der
Haushaltung schnell beschafft. Der Schlauch wurde am einen
Ende mit der Scheere geglättet und abgerundet und gut eingeölt.
Zwei Personen hielten Patientin aufrecht sitzend, eine hielt den
Kopf, so gelang die Einführung des Schlauches und die Magen¬
spülung; es kam viel Schleim und ziemlich viel Speisereste, kein
Blut, alles nach Formaldehyd riechend.
Erbrechen folgte nicht mehr nach; Patientin wurde öfters auf¬
gerüttelt, kam aber nie recht zu Bewusstsein, nur einmal konnte
ihr ein tüchtiger Schluck Rothwein beigebracht werden.
Da der Puls gut war und das Gift ja nach Möglichkeit ent¬
fernt, ging ich weg mit dem Auftrag, Patientin öfters aufzurütteln
und ihr, wenn möglich, viel Wasser zu trinken zu geben.
Am folgenden Morgen 8 Uhr war ich wieder dort; im wesent¬
lichen war noch der gleiche Zustand vorhanden, Puls 80, Atmung
30. Auf Anrufen öffnete sie ein wenig die Augen und stiess
lallende Laute aus, wie im Rausch; zum Bewusstsein kam sie
nicht.
Urin hatte sie nicht gelassen; deshalb wird Katheter ein¬
gelegt; es entleerten sich nur 3 — 4 Tropfen dunklen Urins.
Nachmittags 1 Uhr sah ich Patientin wieder; inzwischen war
seit 10 Uhr 3 mal Stuhlgang erfolgt, den letzten sah ich, er war diar-
rhoisch, stark übelriechend, Adel Schleim dabei, Blut sah ich nicht;
es wurde mir aber gesagt, im ersten Stuhl seien Blutklümpchen (?)
gewesen.
Seit dem ersten Stuhl war Patientin bei leidlichem Bewusst¬
sein. Puls und Atmung Avie früh Morgens, Temperatur 3G,9. Sie
klagte noch über starken Schwindel und Brennen im Hals, die
Mundschleimhaut sah normal aus; bei einem Versuch, zu stehen,
fiel Pat. gleich um. Sie konnte mir jetzt erzählen: Gestein Abend
habe sie schon zu Bett gelegen, habe dann noch ihre Arznei ein¬
nehmen wollen; da aber kein Löffel vorhanden gewesen sei, habe
sie einen Schluck genommen; gleich nachher habe sie Brennen
im Halse gespürt und gedacht, sie müsse die Arzneien Avohl ver-
Avechselt haben; weiter wisse sie nichts mehr. Es liess sich nun
feststellen, dass sie aus dem 200 g haltenden (NB. sechseckigen
mit rotem Etikett) Glas 2 mal je 1 Esslöffel zu Spülungen ge¬
braucht hatte; der in dem Glas befindliche Rest betrug etwa
100 ccm, sie hatte demnach etwa GO — 70 ccm geschluckt. Das
Formalin war das offizineile Formaldehyd, solut. Schering (also
35 proz.).
Erbrechen war nicht mehr eingetreten, Urin konnte sie nicht
lassen. Sie bekam nun Adel Wasser (bei einer Nachbarin war
Wernarzer vorrätig) und Milch zu trinken.
Abends nach 9 Uhr kam ich abermals zur Patientin; es war
inzwischen 5 oder G mal Avenig Urin gegangen, im ganzen doch
fast y4 Liter, dunkelgelb, etwas trüb. Puls 75, Atmung 24, Tem¬
peratur 37,0.
Angeordnet Avurde fleissiges Weitertrinken des Wassers und
leichte Suppen. • j
Die Untersuchung des Urins ergab Spuren von Ehveiss, keinen
Zucker, kein Blut, keine Formalinbestandteile, jedoch deutlich
Ameisensäure. (Letztere Reaktion stellte ich erst an, nachdem
ich inzwischen den K 1 ü b e r sehen Fall gelesen hatte.)
Am nächsten Tage früh 8 Uhr waren Puls und Atmung an¬
nähernd normal; sie hatte ziemlich gut geschlafen, noch leichte
Kopfschmerzen, konnte gut im Zimmer umhergehen; Nahrung war
gut vertragen Avorden. 2 mal Stuhlgang in der Nacht, Aveicli,
aber ohne Schleim. Etwa y2 Liter Urin, dunkler, ohne Eiweiss.
Als ich am folgenden Tage wieder kam, fand ich Patientin in
der Küche beschäftigt, sie fühlte sich ganz wohl und hatte guten
Appetit.
Die wesentlichen Symptome dieser unzweifelhaften akuten
Formalinvergiftung waren also: 15 stiindige starke Bewusst¬
losigkeit (Rauschzustand), starker Schwindel, etwa 12 stiindige
Anurie, leichte Nierenreizung, leichter Darmkatarrh, beschleu¬
nigte Atmung, leicht beschleunigte Herztätigkeit.
Vergleicht man diesen Fall mit den beiden früher veröffent¬
lichten Fällen, so ergibt sich ein gewisses Zusammentreffen der
Symptome: Bei dem Ivlii berschen Fall traten mehr Erschei¬
nungen von seiten des Sensoriums auf, bei dem Zorn sehen
mehr Beteiligung des Darmtraktus und der Nieren; bei dem inei¬
nigen am hervorstechendsten ebenfalls Symptome von seiten des
Zentralnervensystems, gleichzeitig aber, wenn auch geringer,
Nieren- und Darmerscheinungen.
Auch aus diesem Fall, der zwar mit den beiden früheren
eine geAvisse Gesetzmässigkeit teilt, kann natürlich noch nichts
Allgemeines über die Wirkung des Formaldehyds auf den Or¬
ganismus geschlossen werden, vielmehr werden dies erst viele
weitere Beobachtungen ermöglichen.
Nachschrift zu dem „Bericht über eine Wieder-
käuerfamilie“
in dieser Wochenschrift No. 31, S. 1293.
Zu meinem unliebsamen Erstaunen brachte eine grosse Reihe
von Tageszeitungen eine Inhaltsangabe über den obengenannten
Aufsatz; dadurch wurde der wissenschaftlichen Mitteilung ein
sensationeller Beigeschmack gegeben, was ich bedauere. Ein
Gutes aber hatte das Bekanntwerden derselben in weiteren
Kreisen, es gingen mir mehrere Zuschriften zu, welche von ganz
ähnlichen Fällen berichteten. Ich bin allerdings nicht in der
Lage, die Richtigkeit der einzelnen Angaben zu prüfen; merk¬
würdig erscheint nur auch hier wieder die Uebereinstimmung der
4*
b Münch, med. Wocliensclir. 1900, No. 41, pag. 1416.
2) Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 4G, pag. 15S8.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
1504
einzelnen Schilderungen sowohl untereinander als mit den früher
beschriebenen Fällen.
So teilt mir ein Herr aus Berlin mit, dass bei ihm „ganz so“,
wie ich es beschrieben hätte, der Akt des Wiederkauens vor sich
ginge. Seine Schwester in Hamburg habe dieselbe Angewohnheit,
ferner vermute er, dass seine Mutter Ituminantin gewesen wäre.
Er selbst sei ein starker und hastiger Esser. Seit Kinderjahren
habe er die Gewohnheit des Wiederkauens und hätte dabei niemals
einen üblen Geschmack oder irgend welche Beschwerden.
Ein 42 jähriger Beamter aus W. bei Würzburg schreibt: „Seit
meinem 11. Lebensjahre leide ich an dem widerwärtigen Wieder¬
kauen“, er schildert die Erscheinungen dann eingehend, woraus
zu ersehen ist, dass das „widerwärtig“ in ästhetischer, nicht in
somatischer Bedeutung aufzufassen ist, und spricht die Ueber-
zeugung aus, dass der Vorgang der Rumination bei ihm durch
zu hastiges Verzehren grosser Mahlzeiten bedingt wäre. Herr Th.
erklärt sich bereit, zur eingehenden Untersuchung nach Erlangen
zu kommen.
Aus Remscheid erhielt ich eine Mitteilung von einer Frau,
die nach ihrer Verheiratung „mit Staunen“ wahrgenommen hat,
dass ihr Mann ca. y2 Stunde nach dem Essen die eingenommenen
Speisen noch einmal heraufbefördere und durchkaue. Sie könne
diesen Vorgang jetzt seit 6 Jahren beobachten.
Ein Herr aus Wien macht mich darauf aufmerksam, dass er
von dem „Uebel“ des Wiederkauens durch eine Kaltwasserkur
(Halbbäder und Abreibungen des Magens), welche ihm Herr Pro¬
fessor Winternitz verordnet habe, geheilt worden sei.
Durch einen eingehenderen Selbstbericht eines 72 Jahre alten
Herrn G. S. in Hannover erfahre ich, dass er schon seit
00 Jahren (!) der Gewohnheit des Wiederkauens nachkommt und
dass auch sein Vater, der 80 Jahre alt wurde, Ruminant war.
Er schreibt u. a.: „Das Behagen beim Wiederkauen stellt sich auch
bei mir ein und ich habe ein Unbehagen, wenn das Wiederkauen
nicht zu stände kommt; ich nehme dann Wasser oder andere
leichte Flüssigkeit zu mir, um das Wiederkauen zu fördern.“
Ein 32 jähriger Gastwirt aus einem kleinen Orte bei Königs¬
berg i. Pr. ' tut mir auf einer Postkarte zu wissen, dass er, so¬
lange er denken könne, die aufgenommenen Speisen Wiederkauen
müsse, gerade so wie es in der Zeitung geschildert gewesen wäre,
„ich kann gut essen und trinken und habe keine Magen¬
beschwerden“.
Schliesslich bekam ich noch ein längeres Schreiben von einem
Herrn R. W. in Rostock. Er teilt mir mit, dass er seit seiner
Kindheit bis heute die meisten der genossenen Speisen und zwar
oft „stundenlang“ wiederkaue. Bei grösseren Radtouren bleibt
das Wiederaufstossen der Mahlzeit häufig aus, dann stellt sich
aber auch vollständige Appetitlosigkeit und Unlustgefühl ein.
„In Gesellschaft habe ich das Aufstossen nach Möglichkeit unter¬
drückt, weil, wenn ich verstohlen kaue, gewöhnlich angenommen
wird, ich kaue Tabak, was ich nie getan habe. Zuhause suche
ich das Wiederaufstossen der Speisen ebenfalls zu unterlassen,
da meine Frau es nicht gerne sieht, gänzlich kann ich es jedoch
nicht vermeiden.“
Aus den hier mitgeteilten Zuschriften lässt sich entnehmen,
dass das Wiederkauen beim Menschen kein aussergewöhnlich
seltenes Vorkommnis ist1). Die davon betroffenen Leute suchen,
da sie sich vollständig wohl dabei fühlen und gar keine Be¬
schwerden davon haben, die ärztliche Hilfe gewöhnlich nicht
nach und bemühen sich auch die „üble Gewohnheit“ ihrer Um¬
gebung zu verbergen. So kommt es, dass sowohl in ärztlichen
Kreisen als auch bei Laien wenig von dem menschlichen Wieder¬
kauen bekannt ist.
Für die Behandlung scheint mir der von einem der
Zusender gegebene und befolgte, allerdings naheliegende Rat,
langsam zu essen und gleich das erstemal sorgfältig zu kauen,
recht verständig. Das Wiederhochkommen der Speisen ist nach
Möglichkeit hintanzuhalten. Dass eine zweckmässig durch¬
geführte Llydrotherapie günstigen (suggestiven) Einfluss dabei
hat, ist durchaus glaubwürdig. Wenn aber, wie mehrfach be¬
richtet wird, bei der Unterdrückung des Wiederkauens dauernd
stärkere Beschwerden auftreten, so ist von einer weiteren Be¬
handlung abzusehen, denn die Ruminatio humana ist wohl nicht
als eine krankhafte, sondern mehr als eine merkwürdige Er¬
scheinung aufzufassen. L. R. Müller- Erlangen.
Ueber Stickstoff sammelnde Bakterien und ihre
Bedeutung für die Landwirtschaft.* *)
Von Stabsarzt Dr. Jacobitz in Halle a. S.
M. H.! Jahrhunderte lang hatte man geglaubt, dass der in
der Natur nur in verhältnismässig geringer Menge, im Ammoniak,
in der salpetrigen und Salpetersäure und ihren Salzen sich vor¬
J) K. Loewe (Ueber Ruminatio humana. Münch, med.
Woclienschr. 1892, No. 27) konnte 15 Fälle von menschlichem
Wiederkauen beobachten.
*) Vortrag, gehalten im Verein der Aerzte zu Halle a. S. am
30. April 1902.
findende gebundene Stickstoff allein an der Einälixung
und dem Stoffwechsel der Fflanzen beteiligt sei, während die ganze
grosse, frei in der Atmosphäre vorhandene Menge
dieses Gases hierbei gar nicht oder so gut wie gar nicht in
Betracht kommen sollte. Einen Vorgang allerdings kannte man,
bei dem freier Luftstickstoff in den gebundenen Zustand über-
gefiihrt wird. Beim Gewitter nämlich, beim Durchschlagen des
elektrischen Funkens durch ein Gemisch von Stickstoff, Sauer¬
st off und Wasserdunst wird salpetrig- und salpetersaures
Ammoniak gebildet, das mit dem Regen in den Boden gelangt.
Doch ist die so dem Boden zugeführte Menge gebundenen Stick¬
stoffs nur sehr gering, sie beträgt nicht annähernd so a iel, als
notwendig ist, um den Stickstoffgehalt des Bodens auf der zur
Erzeugung dei' jährlichen Ernten genügenden Höhe zu eihalten.
Dass aber der Stickstoffgehalt mancher Boden¬
art e n, die d a u e r n d ungedüngt bleiben, von grosser
Beständigkeit ist, das lehren uns Wald und Wiese, wo die
Vegetation dem Boden stetig Stickstoff entnimmt, ohne dass der¬
selbe irgendwie erschöpft wird, das zeigt uns weiter die z. B. hier
in Halle auf dem Versuchsfelde des landwirtschaftlichen In¬
stituts gemachte Beobachtung, dass eine Parzelle, die 20 Jahre hin¬
durch ununterbrochen mit Winterroggen bebaut worden ist, ohne
dass jemals Stickstoffdünger zugeführt wurde,
trotzdem keine Vermi n derung des Ernteertrages aufwies.
In allen diesen Fällen kommt als Stickstoffquelle das
frei in der Atmosphäre vorhandene Nitrogenium
in Betracht. Durch irgend welche Vorgänge im Boden muss das¬
selbe also in gebundenen Zustand übergeführt und so den Pflanzen
nutzbar gemacht werden. Und dass dies tatsächlich der Lall, dass
auch der freie Luftstickstoff eine Rolle im Haushalte der Natur
zu spielen bestimmt ist, dass auch er an dem Kreislauf des Lebens
teilnimmt, das haben uns Forschungen der neuesten Zeit gelehrt,
und die letzten Errungenschaften auf diesem Gebiete scheinen
darauf hinzudeuten, dass die Mitwirkung des ungebundenen Stick¬
stoffes noch eine grössere ist, als man zuerst und bislang allgemein
angenommen hatte.
H e 1 1 r i e g e 1 und W i 1 1 f a r t h haben Mitte der achtziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts auf Grund sorgfältiger und
mustergiltiger Untersuchungen den Beweis erbracht, dass die
schon von P 1 i n i u s erwähnte, längst bekannte und von dei
Praxis ausgenutzte Tatsache, dass die Kultur von Leguminosen
die Kraft eines stickstoffarmen Bodens für die folgenden Ernten
in ganz hervorragendem Masse zu erhöhen vermöge, darin ihre
Ursache habe, dass diese Pflanzen ihr Stickstoffbedürfnis nicht
nur aus dem im Boden, sondern auch aus dem frei in der Luft
vorhandenen Anteil dieses Elements zu decken vermögen. Doch
nicht die Schmetterlingsblütler selbst besitzen die Fähigkeit den
Luftstickstoff zu assimilieren, sondern sie bedürfen
hierzu der Unterstützung gewisser Mikroorganismen des
Bodens, die in den an ihren Wurzeln entstandenen Knöll¬
chen sich ansiedeln. Dass diese Wurzelknöllchen mit der Assimi¬
lation des freien Stickstoffs in einem ursächlichen Zusammenhang
stehen, ersehen wir aus der Beobachtung, dass ein sichtliches
Wachst u m der Leguminosen im stickstoffarme n
Bode n immer erst nach Entwicklung der Knöllchen
statthat. Die Tatsache aber, dass im sterilisierten und während
der Vegetationszeit steril erhaltenen Boden eine Bildung dieser
Wurzelanschwellungen niemals vor sich geht, beweist, dass
schliesslich eine im Boden liegende Ursache hierbei die ausschlag¬
gebende Rolle spielen muss. Als diese Ursache haben sich nun, wie
eben erwähnt, bestimmte Mikroorganismen des Bodens
herausgestellt. Diese reinzuzüchten war, nachdem die bahn¬
brechenden Untersuchungen Hellriegels durch Nach¬
prüfungen voll und ganz bestätigt und seine daraus gezogenen
Schlüsse und Lehrsätze in der wissenschaftlichen Welt fast all¬
gemeine Anerkennung gefunden hatten, die nächste Aufgabe.
Denn nur mit Hilfe von Reinkulturen war es ja möglich,
das Wesen der Stickstoffanreicherung durch die in die Pflanze
eingedrungenen und in den Knöllchen sich findenden Bodenbak¬
terien näher zu studieren. Die Reinzüchtung gelang zuerst
Beyerinck, nach ihm haben sich noch Frank, Praz-
m o w s k i u. a. dieser Aufgabe unterzogen und auch in der Litera¬
tur die Ergebnisse ihrer Untersuchungen mitgeteilt. Nach dem
heutigen Stande unseres Wissens handelt es sich hier um eine
bestimmte Bakteriena r t, um den von Beyerinck „B a -
c i 1 1 u s r a d i c i c o 1 a“ genannten Mikroorganismus. Die i n
den Wurzelknöllchen der einzelnen Schmetter¬
lingsblütler sich vorfindenden spezifischen Bak¬
terie n unterscheiden sich zwar durch gewisse, kleine, äussere
Kennzeichen im Aussehen, im Wachstum und auch dadurch, dass
sie infolge dauernder Gewöhnung in der Regel nur gerade bei der
Pflanzenart Knöllchenbildung veranlassen, sich also gerade nur
für die virulent erweisen, an die sie allmählich im Laufe der Jahre
angepasst sind, sie sind aber trotzdem nur Varietäten ein
und derselben Art. Versuche von N o b b e und H i 1 1 n e r,
denen es durch besondere Anordnung gelang z. B. mit Hilfe von
Erbsenbakterien bei der Bohne, Wicke und Linse reichliche Knöll¬
chenbildung hervorzurufen, haben uns das bewiesen. Ihre Be¬
funde sind im hiesigen hygienischen Institut
nachgeprüft und bestätigt worden.
Der Bacillus radicicola stellt ein kleines, schlankes,
lebhaft bewegliches Stäbchen dar. Die Grösse der Stäbchen
schwankt, man findet neben sehr kleinen auch grössere, meist
9. September 1902. _ MUENCHENEB MEDICINISCHE WOCHENSCHEIFT.
weniger lebhaft bewegliche. Sporenbildung ist nicht be¬
obachtet. Die F ii r b u ng gelingt mit den gewöhnlichen Anilin¬
farben. allerdings in der Kälte nur schlecht, am besten, wenn man
sie etwas erwärmt. Der Gram scheu Färbung sind die Stäbchen
nicht zugänglich. Die geeignetsten Nährböden bilden Agar und
Gelatine mit Zusatz von wässrigen Auszügen der Blätter und
Stengel der Leguminosen und Asparagin und Traubenzucker, doch
gelingt die Züchtung auch leicht, wenn man die Pflanzenauszüge
fortlässt und nur Asparagin und Traubenzucker in bestimmtem
■Verhältnis zufügt. Erheblich schwieriger ist dieselbe allerdings
auf den gewöhnlichen Nährböden, auf Fleischgelatine und Fleisch¬
agar. doch kommt man auch hier zum Ziele. Die Reaktion des
Nährbodens ist am besten schwachsauer. Die Gelatine wird
langsam verflüssigt. Nach 5—7 Tagen werden auf der Asparagin-
Iraubenzucker-Gelatineplatte die ersten Kolonien als kleine, weisse
Punkte sichtbar. Diese nehmen dann langsam an Grösse zu
werden mehr mattglänzend, wachsen schliesslich bis zu ca. 1 ccm
im Durchmesser und zeigen etwa das Aussehen eines grossen
Stearintropfens. Während sich auf schräg erstarrtem Asparagin-
Traubenzuckeragar ein meistens farbloser, vielleicht etwas grau-
weisslicli aussehender, stark fadenziehender Belag bildet, ist der¬
selbe auf gewöhnlichem Agar mehr weisslicli aussehend und nicht
fadenziehend. In einem Dekokt der Leguminosenblätter oder
-stengel ohne Zusatz von Gelatine oder Agar tritt nach 3 _ 4 Tagen
eine leichte, allmählich zunehmende Trübung auf, es bilden sich
kleine, zarte Häutchen, die im Laufe der nächsten Tage zu Boden
sinken und hier einen flockigen Niederschlag bewirken, während
die obersten Schichten der Flüssigkeit klar werden. Das T e m -
peratur optimum für das Wachstum des Bac. radicieola liegt
bei Zimmertemperatur, zwischen 60—70° stirbt er sicher ab
während er bei 0° und auch noch darunter noch lebensfähig
bleiben soll. Einer besonderen Form des Bac. radicieola
muss noch gedacht werden: In den Knöllchen flnden sich näm¬
lich neben den Stäbchen noch eigentümliche, Y -förmige, ver¬
zweigte oder auch an dem einen Ende geschwollene, bimförmige
oder auch kugelige Gebilde, die sogen. „Bakteroiden“. In künst¬
lichen Kulturen sieht man dieselben gewöhnlich nicht, doch haben
H i 1 1 n e r und Stutzer auch in diesen die Bakterienbildung
erreicht, und zwar dadurch, dass sie den Nährsubstraten Wurzei¬
extrakt von Leguminosen oder saure phosphorsaure Salze oder
endlich auch organische Säure hinzusetzten. Nach der fast all¬
gemein angenommenen Anschauung stellen diese Gebilde I n -
volutionsf ormen des Bacillus radicieola dar.
Die Infektion der Pflanzen und die K n ö 1 1 c li e n-
b i 1 d u n g geht nun in der Weise vor sich, dass die lebhaft be¬
weglichen Stäbchen sich an den jüngeren, nicht allzuweit von der
Wurzelspitze entfernten Wurzelhaaren ansammeln. Durch ge¬
wisse, von den Bakterien gebildete Stoffe nehmen die Haare eigen¬
tümliche Verkrümmungen an, werden gelockert, quellen auf und
ermöglichen so den Mikroorganismen den Eintritt. Hier ver¬
mehren sich die Bazillen und bilden den zunächst das Wurelliaar,
dann auch die Rindenzellen der Wurzel selbst durchwachsenden
Infektionsschlauch oder -faden, in dem zahlreiche Bakterien in
einem Schleim eingebettet sind. In der Wurzel wird nun das
Rindengewebe durch das Eindringen der Mikroorganismen zu leb¬
hafter Wucherung angeregt, die in der Knöllchenbildung ihr Ende
findet. ’ -
Dass der eben kurz beschriebene Bac. radicieola auch
tatsächlich im stände ist, freien atmosphärischen
Stickstoff zu assimilieren, und so die Schmetterlings¬
blütler nicht nur befähigt, auf stickstoffarmem Boden gut zu ge¬
deihen, sondern diesen auch dadurch mit Stickstoff anzureichem,
ist durch Versuche von B e y e r i n c k, Frank, Berthelot und
vor allem von Maze sichergestellt, die gezeigt haben, dass der
genannte Bazillus auch in geeigneten, künstlichen Nährsubstraten
Luftstickstoff in erheblicher Menge zu binden vermag. Man ver¬
wendet zu diesem Nachweis möglichst stickstoffarme Nährböden,
durch die Luft gesaugt oder getrieben wird, die zuvor eine Vorlage
mit Natronlauge und eine mit Schwefelsäure passiert hat, also frei
von gebundenem Stickstoff ist. Durch Bestimmung und Berech¬
nung wird der Stickstoff gehalt vor und nach dem Versuch fest¬
gestellt und aus der Differenz ergibt sich dann, ob event. Anreiche¬
rung stattgefunden hat oder nicht.
Als Stelle, wo die Assimilation dieses Gesetzes vor sich
geht, müssen wir auf Grund beweiskräftiger Versuche verschie¬
dener Autoren die Wurzelknöllchen selbst ansehen.
Darüber aber, wie die Fixierung geschieht und i n
w elcher Form eigentlich das elementare Stickgas
von den Pflanzen aufgenommen wird, ist bisher noch keine
Uebereinstimmung erzielt worden. Die einen halten es für am
wahrscheinlichsten, dass die Leguminosen den in den Bakteroiden
m Form von Eiweissubstanzen niedergelegten freien Luftstickstoff
durch Auflösen und Aufzehren sich aneignen und für sich ver¬
werten. Von anderer Seite aber sind hiergegen immerhin be¬
achtenswerte Einwände erhoben und geltend gemacht worden.
Jedenfalls bedürfen die verschiedenen Hypothesen noch vollkräf¬
tiger Beweise.
Ebenso ist das Verhältnis zwischen Wirts-
P flanze und den eingedrungenen Knöllchenbakterien
noch nicht geklärt. Es handelt sich dabei nach der einen Ansicht
um einen^ Fall von echter Symbiose, indem die Fflanze den
Bazillen Zucker liefert, die organische Nahrung, deren sie be¬
dürfen, während die Mikrobien ihrerseits der Pflanze den Stick-
1505
Stoff zugänglich machen. Andere haben die Auffassung, dass nicht
ein Zusammenwirken, sondern ein K a m p f zwischen Pflanze und
Bakterien statthat, bei dem ein Teil der letzteren, nachdem sie in
die Pflanze eingedrungen sind, von dieser vernichtet und auf-
gezehit wild, die Pflanze aber selbst an ihrem Körper hierbei
Schädigungen erleidet. Endlich hat man auch das Verhältnis von
Papilionaceen und Bac. i*adicicol. als einen Parasitismus, ein
Schmarotzen der ersteren auf dem Bazillus betrachtet. ’ Die
Pflanzen locken die Bakterien an, bieten denselben günstige Be¬
dingungen, damit sie den für ihr eigenes Gedeihen so notwendigen
Stickstoff sammeln, um sie nachher zu vernichten und das in
ihrem Körper aufgespeicherte kostbare Nährmaterial sich an¬
zueignen. Wie dem auch sei, so viel wissen wir heute
sicher, dass die in den Wurzelanschwellungen
der Leguminosen lebenden Knöllchenbakterien
ungebundenen Stickstoff zu assimilieren ver¬
möge n. Ob sie diese Fähigkeit aber auch allein für sich unter
natürlichen Verhältnissen im Boden besitzen, darüber sind wir
heute noch nicht unterrichtet. Wohl aber kennen wir andere i m
Boden hausende Mikroorganismen, denen auch
ohne jede Vereinigung mit höheren Pflanzen
die Kraft, elementaren Stickstoff in demselben
anzureichern, innewo li n t. Wahrscheinlich häufen die¬
selben den atmosphärischen Stickstoff in irgend einer Form in
ihrer Leibsubstanz und damit im Boden an. Den höheren Pflanzen
kommt der so gesammelte Luftstickstoffvorrat dann dadurch zu
gute, dass sie die abgestorbenen Mikroorganismen entweder direkt
oder durch Vermittlung anderer Bakterien für sich zu verwerten
vermögen. Genauere Kenntnisse über die sehr komplizierten Vor¬
gänge haben wir noch nicht.
Zu dieser Gruppe Stickstoff sammelnder Bakterien gehört der
anfangs von mir erwähnte, aus der Parzelle des hiesigen land¬
wirtschaftlichen Instituts isolierte Spaltpilz, dessen nähere Be¬
schreibung allerdings noch aussteht, von dem wir aber wissen,
dass er auch in künstlichen Nährsubstraten nicht unerhebliche
Mengen von Stickstoff zu sammeln vermag.
Weiter gehört hierher das von dem russischen Forscher
W inograds k y aus dem Gartenboden des Instituts für
experimentelle Medizin in Petersburg isolierte
,.C lostridium Pasteuri a n u m“. Dieses ist ein nur an¬
aerob, nicht auf den gewöhnlichen Nährböden, sondern nur auf
Möhren- und Kartoffelscheiben wachsendes, 1—2 /j. breites und
2 mal so langes Stäbchen, das mittelständige Sporen bildet, die
eine spindelförmige Anschwellung bewirken. Auf Kartoffel- und
Möhrenscheiben entstehen kleine, nicht über 1 mm im Durch¬
messer betragende, warzige, gelblich aussehende Kolonien. Zucker¬
haltige Nährflüssigkeit werden hauptsächlich unter Bildung von
Buttersäure vergoliren. Die Fähigkeit, Luftstickstoff zu binden,
ist nach Winogradskys Mitteilungen nicht unerheblich.
Derselbe fand z. B. nach einem 20 tägigen Versuch, zu dem 500 ccm
einer stickstoffreien Dextroselösung benutzt worden waren,
28.27 mg Zunahme. Winogradsky hat das Clostridium dann
auch noch in verschiedenen anderen Erdproben, so in solchen, die
aus Südrussland stammten, nachweisen können. In Deutsch¬
land ist dasselbe nach den bisherigen Angaben von Behrens
im Kalkgestein des badischen Taubertales gefunden worden *).
Genauere Untersuchungen und Nachprüfungen der von W i n o -
g r a d s k y den genannten Mikroorganismen zugeschriebenen
physiologischen und biologischen Eigenschaften sind bisher noch
nicht erfolgt.
. Schliesslich ist noch von einem von dem Rittergutsbesitzer
Caro n auf dem Boden .seines Gutes Ellenbach reingeziieh-
teten Mikroorganismus, dem Bacillus ellenbachensis a,
die Fähigkeit, Stickstoff zu sammeln, behauptet worden. Caron
hat, namentlich durch die Untersuchungen Berthelots und
A\ i n o g ra dskys veranlasst, diesbezügliche Prüfungen seines
Ellenbacher Bodens vorgenommen und hierbei schliesslich einen
Spaltpilz gefunden, der nach von ihm angestellten Topfversuchen
eine Stickstoffanreicherung des Bodens bewirkte. Hierdurch er¬
mutigt, ging er mit ebenso günstigem Erfolge zu Versuchen im
Grossen über und hat seit 1893 die Impfung des Saatgetreides mit
diesem Bakterium in seinem Betrieb eingeführt. Der Bacillus
ellenbachensis ist hinsichtlich seiner morphologi¬
schen und biologischen Eigenschaften viel um¬
stritten worden und auch heute sind die Meinungen über ihn
noch nicht geklärt und geeignet. Die einen haben ihn als identisch
mit dem Bac. megatherium, die anderen mit dem Heu¬
bazillus betrachtet, andere behaupten, dass er dem Wurzel-
b a z i 1 1 u s nahestehe, wieder andere, dass er zu der Anthrax-
g r u p p e gehöre, F rank glaubt, dass er nichts anderes, als
sein Bac. terrigenus sei. Soviel ist heute wohl mit Sicher¬
heit zu sagen, dass der Bac. ellenbach. mit keinem der genannten
Mikrobien identisch ist, sondern eine Art für sich bildet, die wohl
in die Gruppe der heubazillenähnlichen Mikroorganismen gehört,
denen er besonders in manchen kulturellen Eigentümlichkeiten
sehr ähnelt. Es handelt sich also um ein Stäbchenbakterium mit
abgerundeten Ecken, das kleiner als der Bac. megatherium und
deutlich breiter als . der Bac. subtilis, also äusserlich schon von
diesem verschieden ist. Der Bazillus, der einzeln, oft zu zweien
hintereinander gelagert oder auch zu langen Scheinfäden an¬
geordnet sich findet, besitzt Eigenbewegung, die ganz an die
9 Auch Vortr. fand das Clostridium in Gartenerde.
1506
HTJEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
(los Bac. subtilis erinnert. Er bildet mittelständige Sporen,
unterscheidet sich aber in der Art der Sporexiauskeimung von
Bac. subtil, und megatli. Auf den gewöhnlichen N ä li r in e d i e n
wächst, er ohne Schwierigkeiten. Seine Kolonien auf der Gela¬
tine platte, die er verflüssigt, ähneln denen des Heubazillus. In
B o u i 1 1 o n bildet er anfangs leichte Trübung der Flüssigkeit
und bald an der Oberfläche ein Kahmhäutchen. Sein Wachstum
auf schräg erstarrtem A g a r bietet nichts besonders Charakteri¬
stisches, es entsteht ein grauweisser Feberzug. Der Caronsche
Bazillus wächst bei Zimmertemperatur und auch bei 37 °. Die
Färbung gelingt leicht mit den gewöhnlichen Anilinfarben,
auch nach der G r a m sehen Methode ist er färbbar.
Darüber, w i e der Bac. eilen b. die Ernteerträge
erhöht, ob er den Stickstoff organischer Bodenbestandteile auf-
scldiesst oder ob er selbst atmosphärischen Stickstoff assimiliert,
hat Caro n keine bestimmte Ansicht geäussert. Mit der Frage,
ob ihm diese letztgenannte Eigenschaft tatsächlich zukommt,
haben sich eine ganze Reihe von Untersuchern beschäftigt, die
meisten allerdings mit einem negativen Resultat. Allein S t o -
klasa hat immer wieder von neuem für den Bazillus das Ver¬
mögen, freien Stickstoff zu binden, behauptet. Bei uns
im hygienischen Institut angestellte Unter¬
suchungen gestatten allerdings den Schluss,
d a ss der Bac. eile n b a c h. in künstlichen Nähr-
s u b strafen diese Fähigkeit besitzt, .1 e d o c li nur
in so geringem G r a d e, dass es mindestens
zweifelhaft ist, ob seine Wirksamkeit bei einer
Anreicherung des L u f t s t i c k s t o f f s im Boden
überhaupt mit in Betracht ko m m t. Bemerkt sei noch,
dass die an verschiedenen Orten im Grossen augestellten Feld-
v e r s u c h e zum Teil recht widersprechende Ergebnisse gezeitigt
haben. Die praktischen, durchaus günstigen Erfahrungen
C a rons mit dem genannten Bazillus lassen es aber trotzdem
nicht zu. seine Wirksamkeit ohne weiteres in Abrede zu stellen,
und man muss immerhin an die Möglichkeit denken, dass derselbe
unter ganz bestimmten, vielleicht selten sich vorfindenden Boden¬
verhältnissen in dem besprochenen Sinne zu wirken im stände ist.
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass man bereits versucht
hat, die Ergebnisse der bakteriologischen Bodenuntersuchung für
die Praxis dienstbar zu machen Man hat sowohl Reinkulturen
der Knöllchenbakterien als auch solche des Caron sehen Bazillus,
die ersteren unter dem Namen Nitragin, die letzteren unter
der Bezeichnung A 1 i n i t als Düngemittel in den Handel ge¬
bracht. Die erwarteten Erfolge sind aber nicht eingetreten, man
hatte sogar die Fabrikation des Nitragin aufgegeben, allerdings
jetzt wieder, auf Grund neuerer Untersuchungen über die zur
vollen Wirksamkeit der Knöllehenbakterien notwendigen Be¬
dingungen, begonnen, ein neues Nitragin herzustellen. Ob dies
den Erwartungen entsprechen wird, lässt sich naturgemäss nicht
voraussehen.
Wenn nun auch der Bac. radicicol a, ferner das von
dem hiesigen Versuchsfelde isolierte Bakte-
r i u m, weiter das Clostridium Pasteurianu m und
vielleicht auch der B a c i 1 1. ellenbachensis bisher die
einzigen sicher bekannten stickstoffsammelnden Spaltpilze sind,
so können wir doch heute schon mit grosser Wahrscheinlichkeit
behaupten, dass ausser diesen noch eine ganze Reihe anderer
Mikroorganismen im Boden vorhanden sind, die die gleiche Fähig¬
keit in mehr oder minder hohem Grade besitzen. Es wird also
Aufgabe weiterer bakteriologischer Forschung sein, diese so gün¬
stig wirkenden Kleinwesen mit Hilfe geeigneter Untersuchungs¬
methoden aufzufinden, ihre kulturellen und biologischen Eigen¬
schaften zu studieren und für die Landwirtschaft nutzbar zu
machen.
Zum 65. Geburtstage des Prof. S. v. Basch.
Von Dr. Alexander Strubell in Dresden.
Es gibt Menschen, die auf der grossen Heerstrasse des Lebens
gleichsam im Triumphe einherfahren. Als Militärs, als Staats¬
männer steigen sie rasch von Stufe zu Stufe, als Gelehrte werden
sie rasch bekannt. Man verschlingt ihre Arbeiten, ohne viel
Kritik daran zu üben, es sterben plötzlich alle Vordermänner
und nun ruft man sie von Universität zu Universität, zu Kö¬
nigen und Kaisern. Feiert ein solcher Mann ein Jubiläum, so
werden ihm auf wissenschaftlichen Kongressen Ovationen be¬
reitet und von allen Orten kommen Kollegen, Bewunderer und
Schmeichler, um dem Lieblinge des Glückes, der so viel Er¬
gebenheit mit feinem Lächeln entgegennimmt, die grosse und
edle Hand zu schütteln. Zu diesen Beglückten gehört S. v. Basch
nicht, der am 9. September dieses Jahres seinen 65. Geburtstag
feiert. Vielmehr kann man von ihm sagen, dass er meistens
im Schatten gestanden hat, im Schatten grosser Vorgänger und
mächtiger Gegner, dass sein Leben gleichsam auf einem Neben-
gelcise langsamer verlaufen ist; hat er doch das Ziel, das jene
Beglückten mit 40 Jahren erreichten, den Titel und Charakter
eines Ordinarius, erst jetzt als Sechziger erhalten. Wie alles
im Leben, so hat auch das seinen Grund: Jene Beglückten, von
denen wir sprechen, wissen oft den Diplomaten, den geschmei¬
digen Weltmann mit dem Gelehrten zu vereinigen, verfügen über
mächtige, weitverzweigte Verbindungen u. s. w.
Basch ist stets nur er selbst geblieben : ein stiller, ernster
Gelehrter, treu und ehrlich, rückhaltslos in der \ erteidigung
seiner Ueberzeugung. Wer ihn zum ersten Male sieht in seinem
kleinen Laboratorium, eine alte Seidenmütze auf dem kahler-
werd enden Haupte, wie er, gehüllt in ein kurzes, über und über
mit Blut bespritztes Mäntelchen, vergnügt rauchend herum¬
hantiert, wird jedenfalls den Eindruck haben, dass dieser Mann
allen äusseren Schein verachtet. Aber die Verwunderung über
solche Aeusserlichkeiten wird zur Bewunderung, zur Verblüffung,
sobald man Basch bei der Arbeit sieht. Wenn irgendwo, so
gilt beim Experimentieren der Satz: Können heisst Kunst. Was
Paderews k i, was Eugen d’A 1 b e r t und Emil Sauer auf
dem Gebiete der Klaviertechnik sind, das ist Basch auf dem
Gebiete des Tierexperimentes. Für ihn gibt es keine Schwierig¬
keiten, die von ihm geschaffene und ausgebildete Methodik des
Kreislaufexperimentes ist schon schwierig genug. Aber Basch
ist auch sein eigener Mechaniker, Glasbläser, Schlosser u. s. w.
Alle die komplizierten Apparate seines Institutes sind von seiner
Hand gemacht und in seinem Laboratorium feiert die experi¬
mentelle Technik seit Karl Ludwig, dessen Schüler Basch
ist, die höchsten Triumphe.
Baschs Lebenslauf ist merkwürdig genug. Geboren zu
Prag am 9. September 1837 hat er daselbst das Gymnasium
absolviert und 3 Semester Medizin studiert. Er ging dann nach
Wien und trat 1858, also mit 21 Jahren mit einer Arbeit über das
cbylopoetische und uropoetische System der Blatha orientalis an
die O effentl i chkei t . Die Arbeit erschien in den Sitzungsberichten
der k. Akademie der Wissenschaften. Seine ersten Studien gal¬
ten der vergleichenden Anatomie ; dann war er llistologe, dann
pathologischer Anatom. Als solcher sollte er auch in Mexiko
wirken; denn nachdem er 5 Jahre im allgemeinen k. k. Kranken¬
hause in Wien tätig gewesen war, ging er nicht als Abenteurer,
sondern weil ihm dort eine Professur für pathologische Anatomie
in Aussicht gestellt worden war, mit Kaiser Maximilian nach
Mexiko. Sein Aufenthalt dort bildet den historischen Hinter¬
grund seines Lebens; bei all den politischen Wirren, in die er
in Mexiko als Leibarzt des Kaisers Maximilian hineingezogen
wurde, hat B a s c h es dennoch fertig gebracht, dort wissenschaft¬
lich tätig zu sein. Er ist durch seine Dysenteriearbeit, wie ihm
kein Geringerer als V i r c li o w persönlich zugestand, einer der
Mitbegründer der neuen bakteriologischen Richtung geworden.
Aber nicht allzu lange sollte er Müsse für wissenschaftliche
Studien haben. Der Zusammenbruch der von Napoleon III. auf¬
gebauten kaiserlichen Herrlichkeit stürzte auch Basch in
schwere Gefahren. Einer meiner Freunde, ein Lieblingsschüler
Baschs, sah, als er diesen kürzlich besuchte, auf einem Tisch¬
chen ein kleines Stück Tuch von wunderlich fremdartiger Farbe.
Auf seine Frage, wras das sei, antwortete Baschs Gattin : „Ach,
das hat mein Mann getragen, als er im Gefängnisse sass“. Mein
Freund war äusserst betroffen; er wusste nicht, dass der alte
Herr sich jemals hatte etwas zu Schulden kommen lassen. Die
Aufklärung erfolgt auf dem Fusse: Mit diesem Stück Tuch, gross
genug, um einen Badeschurz zu bilden, als einziger Bekleidung,
hatte der kleine, zarte Mann wochen- und monatelang, von Fieber¬
frost geschüttelt, in dumpfen mexikanischen Kerkern ge¬
schmachtet, bis er herausgeführt wurde, um seinem kaiserlichen
Herrn in der letzten schweren Stunde zur Seite zu stehen. Nach
dem Tode Kaiser Maximilians wurde Base li freigelassen und
kehrte 1868 in die Heimat zurück. Hier hatte er die traurige
Pflicht, S. M. dem Kaiser Franz Joseph die klägliche Kunde vom
Tode seines Bruders zu überbringen. Baschs Verdienste um das
Erzhaus Oesterreich wurden später durch die Verleihung des
hohen Ordens der eisernen Krone anerkannt, dazu wurde er in
den Ritterstand erhoben.
Er hatte nun die Absicht, als pathologischer Anatom weiter*
zu arbeiten, aber er fand keine Stelle, und so habilitierte er sich
denn, um der Wissenschaft treu zu bleiben, 1869 in Wien für
experimentelle Pathologie und betrat hiermit das Feld, auf dem
er die meisten Lorbeeren geerntet hat, sein eigentliches Arbeits¬
gebiet, In den folgenden 33 Jahren seines Lebens bis heute hat
Basch grösstenteils auf diesem Gebiete unermüdlich gearbeitet
9. September 19Ö2.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1507
und trotz Neid und Missgunst, der Ungunst der Verhältnisse
sich seinen Platz unter der Sonne erkämpft. 1877 wurde er auf
Anregung Karl Ludwig s, der ebenso wie Brücke sein
Meister war, zum Extraordinarius befördert. Mit vielen Kämpfen
errang Basch sich 1881 das Laboratorium, das er noch heute
leitet, und trat in diesem Jahre auch als Abteilungsvorstand in
die allgemeine Poliklinik ein. Im Juni des Jahres 1902 wurde
Basch der Titel und Charakter eines Ordinarius verliehen.
Den Sommer verbringt er seit 25 Jahren praktizierend in
Marienbad.
Die Zahl von Baschs Arbeiten ist Legion und ich muss
darauf verzichten, ein nur annähernd vollständiges Verzeichnis
derselben zu geben; ein solches Verzeichnis müsste schon deshalb
gänzlich unvollständig sein, als Basch seit 15 Jahren fast alles
durch seine Schüler publizieren lässt. Er schreibt, wie er selbst
sagt, nur alle 10 Jahre einmal ein Buch. Das Hauptwerk seines
Lebens : Die Physiologie und Pathologie des
Kreislaufes ist eine Monumentalarbeit : aere perennius. Karl
Ludwig, Baschs Lehrer, nannte dieses Buch eine Mathe¬
matik in Worten, ein stolzes Lob aus dem Munde des grossen
Physiologen! In seinem neuesten Werke über Arteriosklerose
sucht Basch die Ergebnisse des Experimentes mit denen der
Klinik in Einklang zu bringen.
Am bekanntesten ist Basch wohl durch sein Sphygmo¬
manometer geworden. Er hat durch diesen ingeniös konstruier¬
ten Apparat die klinische Blutdruckmessung eigentlich inaugu¬
riert, ein Verdienst, das in seinem Vaterlande Oesterreich und
speziell in Wien vielfach unterschätzt, ja unterdrückt, jedenfalls
weniger geschätzt wird als in Deutschland, wo kein Geringerer
als der verstorbene Ziemssen einmal auf einem Kongresse
Basch halb im Scherz, halb im Ernst als A u e n b r u g g e r
den Zweiten anredete. Baschs Hauptverdienst ist es aber,
dass er die Lehre vom Kreislauf in den Bahnen seines grossen
Lehrers Ludwig und über diesen hinaus weiter entwickelt hat ;
die Versuche mit dem von ihm selbst konstruierten doppelten
Kreislaufmodell, deren Resultate er dann auf das Thierexperi¬
ment und den Menschen übertragen hat, seine Methode der mit
der Arteriendruckmessung kombinierten Messung des Druckes
im linken Vorhof haben uns ein vorher nicht geahntes tieferes
Verständnis der Vorgänge im Kreislauf ermöglicht und unsere
Vorstellungen über denselben einer in vielen Dingen völligen Re¬
volution unterworfen. Baschs Lehre von der Lungen-
Schwellung und Lungenstarrheit ist eine der wich¬
tigsten Früchte dieser exakten Methodik.
Sein unermüdlicher Kampf gegen die Kompensationstheorie
Traubes sichert ihm ein bleibendes Gedächtnis. Ein bleiben¬
des Denkmal hat sich Basch aber auch an einem anderen Orte
gesetzt und das ist in den Herzen seiner Schüler, denen er mit
rührender Treue anhängt.
Heute sind es 65 Jahre her, dass er das Licht der Welt er¬
blickte. Und so sei denn ihm, dem verehrten, hochverdienten
Manne von ganzem Herzen ein Glückwunsch dargebracht. Möge
ihm ein froher Lebensabend besehieden sein und möge ihm noch
lange vergönnt sein, was stets sein Ideal war : Otium litte-
ris et scientiae!
Bericht über das Konzentrationslager Merebank
(Natal).
V on Dr. Leo Hoenigsberger.
Wohl die brennendste Frage in der Geschichte des süd¬
afrikanischen Krieges bildeten die Konzentrationslager, viel¬
umstritten war der Grund ihrer Errichtung und die Art der
m ihnen den Insassen gegenüber geübten Behandlung. In letz¬
terer Beziehung hatte ich während meines unlängst stattgehabten
Aufenthalts in München gelegentlich mehrerer von mir gehal¬
tener Vorträge zu der Frage Stellung genommen auf Grund
meiner früher gemachten Erfahrungen, die sich durchaus nicht
mit der über die Konzentrationslager allgemein verbreiteten An¬
sicht deckten. Nunmehr wieder nach Südafrika zurückgekehrt,
hatte ich das höchste Interesse daran, einen Einblick in den
gegenwärtigen Stand der Dinge zu gewinnen, wozu sich mir Ge¬
legenheit bot durch den Besuch der Konzentrationslager, die sieh
in der Nähe meines. Landungsplatzes, Durban in Natal, be¬
finden. Der Besuch wurde mir von den britischen Behörden
bereitwilligst gestattet, wie jedem, der den Zweck seines Be¬
suches, sei es auch für mehrere Tage, genügend begründet. Ich
gab meinerseits als Grund an, als früherer Ambulanzarzt der
Buren mich von dem Zustand vieler mir bekannter Familien,
sowie von der allgemeinen Einrichtung der Lager überzeugen
zu wollen. Unter Führung des Oberarztes Dr. Hardy machte
ich die Runde durch die sanitären Anstalten des grössten der
hier angelegten Sammellager, Merebank, um dann von meinem
Führer allein gelassen im Kreise alter und neuer Bekannter
meine Eindrücke zu vervollständigen, deren Schilderung ich hie-
mit gebe:
Die in der Nähe von Durban befindlichen Konzentrations¬
lager bestehen aus 3 in demselben Stile angelegten Abteilungen,
Jacobs, Wendworth und Merebank, mit zusammen ungefähr
15 000 Insassen, von denen gegenwärtig 8264 auf das zu schil¬
dernde Merebank kommen. Ungefähr je 3 Kilometer von¬
einander entfernt sind diese 3 Abteilungen in einer Küsten¬
niederung gelegen, die teilweise an die Durban-ILafenbucht an¬
grenzt und durch eine Vorgebirgshü gelkette von der 2 Kilometer
entfernten offenen See entfernt ist. Diese Lage bedingt eine
beträchtliche Bodenfeuchtigkeit in der Umgebung, die mir bei
der Hinfahrt nicht das günstigste Urteil über die gesundheit¬
liche Lage erweckte. Doch fand ich die Lager selbst an voll¬
ständig trockenen, im Umkreis noch durch Drainage ausgiebig
geschützten, ansteigenden Stellen, in denen besonders für Lei¬
tungen guten Trinkwassers gesorgt ist. Die Lager machen mit
ihren Wellblechhäuschen äusserlich den Eindruck, wie ihn ent¬
stehende Minenstädte darzubieten pflegen. Beim Eintritt in das
Lager findet man regelmässig angelegte Häuserreihen, mit zweck¬
dienlichen Buchstaben- und Nummernbezeichnungen, die ziem¬
lich breite sandige Strassen zwischen sich einschliessen, während
die Verpflegungsanstalten, wie Spital, Apotheke, Bäckerei, Metz¬
gerei etc., sowie die öffentlichen Zwecken dienenden Gebäude auf
entsprechenden freien Plätzen errichtet sind.
Das Spital zunächst, bestehend aus Wellblechbaracken mit
innerer Holzverschalung, machte einen wohltuenden Eindruck
durch Ordnung und Reinlichkeit, besonders aber durch die ziem¬
liche Leere der zahlreichen Betten. Ich traf im ganzen 20 Pa¬
tienten darin, meist Typhusrekonvaleszenten. Eine grössere An¬
zahl Berufspflegerinnen waren in Küche und Krankensälen be¬
schäftigt, unterstützt von zahlreichen Burenfräuleins, die, als
Pflegerinnen eingekleidet, sich dem Krankendienst widmen.
Unter anderen traf ich dort die Schwester des mir aus dem
Feldzug bekannten unglücklichen Kommandanten Scheepers, der
standrechtlich von den Engländern erschossen worden war.
Die Einrichtung des Spitals ist eine den Grundsätzen mo¬
derner Kranken- und Gesundheitspflege entsprechende, mit
hohen, gut zu lüftenden und belichteten Sälen und besonders
ist in der Typhusbaracke der Bäderbehandlung zweckmässigst
Rechnung getragen. Eigene Baracken für kontagiöse Krank¬
heiten sind vorhanden, hervorzuheben ist die Isolierungsstation
für die kontagiös-exanthematischen Krankheiten. Dieselbe be¬
steht aus der Verdachtsabteilung, in welcher der Patient bis
zur Feststellung der Diagnose gehalten wird, und der eigent¬
lichen Isolierabteilung, welche die festgestellte ansteckende
Erkrankung aufzunehmen hat.
Für die Unschädlichmachung der Se- und Exkrete ist aus¬
giebig gesorgt: Mit Kreolin teilweise gefüllte, luftdicht schlies-
sende Behälterkarren sind in grosser Anzahl bestimmt, die Aus¬
scheidungen nach einer Zentralstation zu bringen, von wo aus sie
weitergepumpt und ausser Bereich der Schädlichkeit gebracht
werden. Ebenso war die Desinfektion und Sterilisation der Ge¬
brauchsgegenstände, besonders der Wäsche, in chemischer und
thermischer Weise sorgfältig durch Anlage grosser Apparate ge-
handliabt. Für Wegschaffung der Abwässer etc. ist eine aus¬
gedehnte, teilweise freilich offene Kanalisation angelegt. Für
die chirurgische Abteilung besteht eine zweckmässig gebaute und
ausgestattete Operationsbaracke, ebenso für Entbindungen ein
eigener Saal, der aber trotz der nicht seltenen Geburten von dem
Vorurteil der Frauen gemieden wird.
6 Aerzte und, 3 Apotheker sorgen für die medizinischen Be¬
dürfnisse der Insassen des Lagers, für die durchschnittlich täg¬
lich 240 Ordinationen aus der reichhaltig ausgestatteten Apo¬
theke an die meist ambulanten Patienten verabfolgt werden. Der
Diät der Kranken war das nebenstehend angegebene Schema
15Ö8
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
der englischen Militärspitäler zu Grunde gelegt, wobei die iiber-
sehri ftliche Bezeichnung der einzelnen Rubriken den Grad der
Diät von der leichtesten zur kräftigeren angibt und je nach dem
Diätgrad, der für den Kranken verordnet ist, besteht die ein¬
zelne JYlahlzeit für Frühstück, Mittag- und Abendessen aus den
darunter rubrizierten Nahrungsmitteln.
Militärhospitäler: Artilcel, die verschiedene Diät für den Tag bildend.
Ausschliessl.
Milch
Milch
Beeftea
Huhn
Konvaleszenz
Braten
V ariiert
Milch 3 pints
Brot
12 Unz
Rindfl.
8 Unz.
Huhn
V*
Fleisch :
Braten
Rind- 10 Unz.
Fleisch :
Reis
2 „
Brot
14 „
Brot
16 Unz.
Rind- 8 Unz.
Kotelett
Schaf- 10 „
Rind- „i,„ ,p„;„ i o TTrw
Milch
3 pints
Salz
7* „
Kartoffel
8
Schaf- 8
))
oder
ohne Bein
Scliaf ^ ^ ^ unz*.
Zucker
lUnz.
Thee
7* „
Salz
V*
»
Brot 16
Steak
8 Unz.
mit Bein
15 „
Zucker
iv* »
Thee
J/4
Kartoffel 8
Brot
18 Unz
Brot
18 „
Milch
6 „
Zucker D/2
Salz 4/2
Kartoffel 8 „
Kartoffel
14 „
Butter
1 „
Milch
6
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Thee 7*
Salz
V* „
Salz
7* „
Butter
2
Zucker l3/4
Thee
74 „
Thee
74 „
Milch 6
Zucker
17* »
Zucker
17* „
Butter 1
Milch
6 „
Milch
G „
Gemüse 4
Gemüse 4 „
Gemüse
6 „
Mehl 7 4
)1
Butter
1 „
Butter
1 „
U r ü
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ü c 4c.
Milch 1 pint
Milch
1 pint
Thee
1 pint
Thee
1 pint
Thee 1 pint
Thee
1 pint
Thee
1 pint
Brot
4 Unz
Brct
5 Unz.
Brot
6 Unz.
Brot 6 Unz.
Brot
6 Unz.
Brot
6 Unz
Butter
V* »
Butter
7*
Butter 1
n
Butter
V3 »
Butter
73 »
1VI i t t a
essen.
Milch 1 pint
Reismilch 1 pint
Beeftea
15 Unz.
Huhn 8 Unz.
Suppe
15 Unz.
Fleisch
8 Unz.
Brot 4 Unz.
Brot
4 „
gebraten od. gek.
Fleisch
8 „
Brot
6 „
Zucker 1 „
als Chickentea zu¬
Brot
4 „
Kartoffel
8 „
bereitet 12 Unz.
Kartoffel
8 „
Gemüse
4 „
Brot 4 „
Kartoffel 8 „
Fleisch
Brot
Kartoffel
Gemüse
Abendessen.
Milch 1 pint
Milch
1 pint
Thee
1 pint
Thee
1 pint
Thee
1 pint
Thee
1 pint
Brot
4 Unz.
Brot
5 Unz.
Brot
6 Unz.
Brot
6 Unz.
Brot
6 Unz.
Butter
72 „
Butter
72 „
Butter
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Butter
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Brot
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Ausser den in der Tabelle vorgesehenen Krankenmahlzeiten
wies das Buch zahlreiche ärztlich verordnete Extrarationen auf.
Von den Bewohnern des Lagers waren im Mai 1902
954 Männer, 3461 Frauen, 3849 Kinder, auf welche eine tägliche
Durchschnittserkrankung von je 7,75; 30,25 und 38,5 sich ver¬
teilt. Die Sterblichkeit für Monat Mai betrug 7 Erwachsene und
11 Kinder oder 18,96 Prom. bezw. 34,2 Prom. per Jahr oder zu¬
sammen 26,02 Prom. per Jahr. Die Todesursachen dieser
18 Fälle verteilten sich f olgendermassen : Pneumonie 2, Broncho¬
pneumonie 3, Krupp 2, Marasmus 2, chronische B r i g h t sehe
Krankheit 1, Malaria 1, Typhus 3, Kinderdiarrhöe 4. Verglichen
mit der Sterblichkeit des Monats Mai betrug diejenige der 3 vor¬
hergehenden Monate die folgenden Zahlen, bei jedesmal ge¬
ringerer Bevölkerung im vorhergehenden Monat, da die Flücht¬
lingstransporte vom Inlande immer Zunahmen. Die Todesfälle
waren im Februar 36, im März 33, im April 23. Von der exakten
Prozentualberechnung sowie Erhebung der damaligen Morbidität
musste ich der Umständlichkeit halber absehen.
Ein Bild von der Nahrungsversorgung der gesunden Mit¬
glieder des Lagers gibt folgende Rationstabelle pro Woche.
Erwachsene Unter 12 Jahr. Unter 5 Jahr.
Fleisch
4 lb.
3 lb.
—
Brot
7 lb.
37a lb.
—
Kaffee
7 Unz.
7 Unz.
—
Zucker
14 „
14 „
—
Kartoffel
372 lb.
3‘/2 lb.
—
Salz
372 Unz.
372 Unz.
—
Milch
—
—
4 Büchsen
Seife
8 Unz.
8 Unz.
4 Unzen
Mehl
—
—
372 lb.
Holz
28 lb.
28 lb.
23 lb.
Die zur Unterkunft bestimmten Wcllblechbaracken sind in
je 4 — 6 quadratische Einzelräume von 5 m Ausdehnung und
314 m Höhe eingeteilt, in denen je 4 bis 6 Personen Aufnahme
finden. Grösseren Familien sind 2 oder mehr ineinander gehende
Räume angewiesen. Der Fussboden ist gehärtet und mit Säcken
belegt, während der Anblick der nackten, auf ein Balkengerüst
genagelten Wellblechwände den Wunsch einer Verbesserung er¬
weckt, der auch leicht erfüllt werden könnte durch Auskleiden
der Wände mit Säcken zum Schutz gegen die sehr intensive
Wärmestrahlung, besonders im subtropischen Sommer. Selbst¬
hilfe hat hiebei das nötige zu veranlassen. Vor den Türen sieht
man die Bewohner mit der Zubereitung des Mahles beschäftigt,
was in der Regenzeit seine Schwierigkeiten hat, die aber auch
hier die Findigkeit der Boeren leicht überwindet. Im all¬
gemeinen sehen die Leute wohlgenährt aus, wenn ich auch bei
vielen meiner Bekannten, besonders bei Frauen, das sonst so be¬
häbige Fettpolster erheblich geschwunden fand.
Gelegenheit zur Beschäftigung ausserhalb der häuslichen
Pflichten ist genügend vorhanden. Viele der männlichen In¬
sassen sind als Beamte in den Bureaus gegen gute Bezahlung be¬
schäftigt, viele als Arbeiter im Lager mit einem täglichen Lohn,
von 1 bis 714 M. variierend. Jungen Mädchen ist es gestattet, als
Dienstboten in der Stadt sich zu verdingen, wovon jedoch bei dem
Gefühl der Selbständigkeit seitens der Buren selten Gebrauch ge¬
macht wird. Die natürlich fühlbare Eintönigkeit wird durch
Erholungspausen erleichtert, daher werden Pässe zum Besuch der
Stadt — 50 pro Tag — - bewilligt, Badelustige können sich nach
7 Uhr Morgens bis Abends zum Strande begeben. Ausserdem
werden wöchentlich 60 Rekonvaleszenten gratis für einen Tag mit
der Eisenbahn nach der Küste gesandt. Die Sorge für das
geistige Wohl ist nicht vernachlässigt. Während der Gottesdienst
bei den Buren unerlässlich ist, nahm die Schule nur eine unter¬
geordnete Stelle ein. Im Lager ist für beides gesorgt. Für die
Schule sind aus den gebildeteren Bewohnern des Lagers zahl¬
reiche als Lehrer und Lehrerinnen angestellt, die gegen ein Ge¬
halt von 80 bis 100 M. monatlich Unterricht erteilen.
Im vertraulichen Gespräche mit vielen meiner alten Freunde
und Bekannten suchte ich über die Stimmung in Bezug auf die
erfahrene Behandlung Aufschluss zu erhalten. Um mancherlei
gegenwärtig Unerreichbares, z. B. Erlaubnis für Frauen, ihren
kriegsgefangenen, in Spitälern befindlichen Gatten sich zuge¬
sellen zu dürfen u. a. m., wurde meine Vermittlung angerufen,
im allgemeinen jedoch herrschte volle Zufriedenheit und nur die
Freiheitsbeschränkung warf ihre Schatten auf das sonst so un¬
gebundene Gemüt der Beengten. Doch die Morgenröte de3
nahenden Friedens hatte schon ihren Glanz vorausgesendet und
aller Sehnen bildete „der schöne Tag, da endlich der Soldat ins
9. September 1902.
MUENCHENEE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1509
Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit“ und zu ilnn die hier
Beengten. Möge ihr Sehnen bald erfüllt werden.
T) u r b a n, Natal.
Ein Beitrag zur Bekämpfung der sexuellen Krank¬
heiten: Das belgische Merkblatt für Geschlechts¬
krankheiten.
Von Dr. rned. II o p f, Spezialarzt für Hautkrankheiten
in Dresden.
Schon im Jahre 1897, als die Leprakonferenz in Berlin tagte,
und Belehrte aus allen Kulturstaaten zusammenkamen zur Be
ratlnmg von Abwelirmassregeln gegen die schon ganz erloschen
geglaubte, fast vergessene und nun wieder neu aufgetauchte
Seuche, schon 1897 wurden auf der damaligen Versammlung
Stimmen laut, welche ein gleich energisches Vorgehen der rnass-
gebenden Instanzen gegenüber der Syphilis und den venerischen
Krankheiten forderten.
Es ist ein nicht genug zu würdigendes Verdienst der belgi¬
schen Regierung, hierin den ersten entscheidenden Schritt getan,
nämlich die Anregung internationaler Verständigung über dies
Problem gegeben zu haben. 1899 tagte in Brüssel die erste Kon¬
ferenz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten; auf derselben
waren alle Kulturstaaten der fünf Kontinente vertreten und zwar
beteiligten sich an den Beratungen und Beschlussfassungen nicht
nur ärztliche \ ertreter, sondern auch Männer aus den übrigen
Ständen, in deren Wirkungskreis das Geschlechtsleben des Men¬
schen mit hinüberspielt, waren zugegen. Die Ergebnisse der ersten
Konferenz sind seinerzeit an dieser Stelle eingehend berichtet
worden. Inzwischen hat aber die belgische Regierung einen neuen
Schritt im Kampfe gegen die sexuellen Krankheiten getan, den
zur allgemeinen ärztlichen Kenntnis zu bringen der Zweck vor¬
liegender Mitteilung ist. Der oberste belgische Gesundheitsrat
hat nämlich, analog dem deutschen Tuberkulosemerkblatt, ein
Merkblatt über die Gefahren der Geschlechtskrankheiten heraus¬
gegeben und damit gezeigt, dass es ganz gut möglich ist, auch auf
diesem heiklen Gebiete das Licht der Wissenschaft bis in die
dunkelsten Tiefen dringen zu lassen, ohne dass das öffentliche
Sittlichkeitsgefühl Schaden erleidet. Die Ueberschrift der Merk¬
blätter zeigt von vornherein an, dass diese aufklärenden Worte dem
grossen Publikum gelten: „Instructions pratiques ä l’usage des
administratious et du p u b 1 i c pour prevenir l’apparition des
maladies transmissibles et combattre leur propagation.“ Wir be¬
ziehen uns hier nur auf das uns speziell interessierende M e r k -
blatt über Syphilis und Tripper. Der Vorgang der
belgischen Sanitätsbehörden ist ein derartig wichtiger Schritt vor¬
wärts, dass es wohl angezeigt erscheint, von dem Texte Kenntnis
zu geben. Um jedoch nicht zu weitschweifig zu werden, wollen
wir hier nur die wichtigsten und interessantesten Abschnitte der
beregten Veröffentlichung Revue passieren lassen.
1. S y p h i 1 i s.
„Die Syphilis ist eine der ansteckendsten Krankheiten, deren
Verbreitung mit Rücksicht auf die durch' sie bedingten persön¬
lichen wie sozialen Schädigungen energisch bekämpft werden muss. .
Die Syphilis ist keineswegs ausschliesslich, wie man zu
glauben geneigt ist, eine Krankheit der Unzucht, sondern sie be¬
droht die ehrbare Ehefrau wie das unschuldige Kind.“
Die folgenden Sätze betonen, dass die Krankheit zu schwerem
Siechtum und Tode führen kann, der Grund vielfacher Fehl¬
geburten und der grossen Kindersterblichkeit ist, demnach eine
entvölkernde Wirkung zeitigt.
„Die Syphilis wird stets direkt oder indirekt von einer syphi¬
litischen Person erworben.
Die Kenntnis ihrer Uebertragungs weisen ist darum von
grösster Wichtigkeit. Die häufigste Uebertragungsweise (Ge¬
schlechtsverkehr) ist zu bekannt, als dass man darauf besonders
hinweisen müsste. Wichtig ist es, zu wissen, dass die ansteckenden
Prozesse sich meist an den Schleimhäuten der Geschlechtsorgane
und des Mundes zeigen. Aus diesem Grunde vermag auch durch
Küssen Ansteckung zu erfolgen. Dieselbe droht auch bei der Luft¬
einblasung von Mund zu Mund von den syphilitischen Neu¬
geborenen und bei der Aussaugung von Wunden durch einen an¬
steckend erkrankten Mund.
Das Stillen der Kinder verbreitet die Syphilis ausserordentlich
Das Vorhandensein sekundärer Mundaffektionen bei syphilitischen
Säuglingen macht letztere zu sehr gefährlichen Wesen für eine ge¬
sunde Amme. Letztere wiederum bildet, wenn angesteckt, eben¬
falls eine Gefahr für ihr später anvertraute gesunde Säuglinge . . .
Eine Ansteckung vermag auch durch eine krank gewordene
Hebamme zu erfolgen, sei es bei der Entbindung selbst, sei es ge¬
legentlich irgendwelcher der Wöchnerin oder dem Kinde später
zu leistenden Hiilfeleistungen . . .
Die indirekte oder mittelbare Uebertragung vermag durch
lebendige oder leblose Träger zu erfolgen. Sie trägt hauptsäch¬
lich an Stellen grosser Menschenansammlungen und in den
Schichten der Bevölkerung, wo mehrere Familien zusammen-
wohnen, zur Verbreitung der Syphilis bei. Es genügt dazu die
Berührung eines verunreinigten Gegenstandes mit einer wunden
Laut- oder Schleimhautstelle. Trinkgläser, Löffel. Bleistifte,
reuermuier, Kurz aue uegenstanue der Wirtschaft oder des
tors können die Uebertragung des Syphilisgiftes vermitteln.
Saughütchen. Pfeifen, Blasinstrumente, Glasbläsermund
stücke, Rasiermesser, Mutterspiegel, Zungenspatel, Ilöllenstein-
stifte, Skarifikationsmesser und Lanzetten vermögen die Syphilis
ebenfalls zu übertragen und sie da zu verbreiten, wo man ihr am
wenigsten zu begegnen glaubt.“
Des weiteren wird in dem Merkblatt darauf hingewiesen, dass
der Ursprung jeder Syphilis schliesslich auf die venerische An¬
steckung zurückführt, dass das jugendliche Alter von 17 und
18 Jahren der Statistik nach die Zeit der häufigsten Ansteckungen
bildet und dass die Anfangserscheinungen der Syphilis bezüglich
der Uebertragung die gefurchtesten sind. Die Abwelirmassregeln
seien dreifache, nämlich moralische, administrative und thera¬
peutische. Die Aerzte werden aufgefordert alles zu tun, um die
schweren Schädigungen der Syphilis, welchen der Kranke und
seine Mitmenschen ausgesetzt sind, zu verhüten, Sie sowohl, wie
die öffentlichen Krankenanstalten sollen Druckblätter über die
Gefahren der Syphilis an die interessierten Patienten zur Vertei¬
lung gelangen lassen.
Der zweite Teil des Abschnittes über Syphilis der belgischen
Merkblätter wendet sich zu den Massregeln, mittels deren die
Krankheit zu bekämpfen und deren allgemeine Kenntnis ins Volk
zu tragen ist:
„Die Hauptquelle der Syphilis ist die Prostitution. Die jungen
Prostituierten müssen als die allergefährlichsten betrachter
werden. Die Prostitution Minorenner sollte mit allen Kräften
bekämpft werden. Da jedes syphilitische Individuum sein Leiden
während der gesamten ansteckenden Periode, welche 4 — 5 Jahre
dauert, auf die Personen seiner Umgebung zu übertragen vermag,
sollte es sich so lange jeder die Uebertragung vermittelnden un¬
mittelbaren wie mittelbaren Berührung enthalten.
Die richtige Erkennung der Krankheit und ihre frühzeitige
Behandlung sind prophylaktisch bedeutungsvolle und die Wahr¬
scheinlichkeit der Ansteckung herabmindernde Faktoren.
Die Syphilis ist keineswegs eine unheilbare Krankheit, doch
wird die Heilung nur durch eine mehrere Jahre fortgesetzte ärzt¬
liche Behandlung und Beobachtung erreicht. Dieselben sind auch
dann erforderlich, wenn sich das Leiden durch äusserlich sicht¬
bare Zeichen nicht bemerkbar macht.
Die Ansteckung geschieht gewöhnlich durch die Schleimhaut¬
erkrankungen. Diese müssen durch die geeigneten Mittel so
schnell als möglich zur Heilung gebracht werden . . .
Da der Tabak die Schleimhaut des Mundes reizt, ist er eine
Hauptursache des Auftretens solcher syphilitischer Munderschei¬
nungen. Ein Syphilitischer sollte deshalb nicht rauchen.
Die Syphilis ist vererblich, besonders durch die Mutter, zu¬
mal wenn dieselbe nur ungenügend behandelt wurde.
Ein Syphilitischer, welcher in den ersten Jahren nach der
Ansteckung heiratet, stellt für seine Frau sowohl. Avie für die der
Ehe entspringenden Kinder eine Quelle der Gefahr dar.
Das Kind eines syphilitischen Vaters oder einer syphilitischen
Mutter darf niemals einer Amme anvertraut werden.“
Soweit die Aufklärungen über die Syphilis und ihre Be¬
kämpfung! Das Blatt beschäftigt sich des weiteren mit dem
Tripper, dessen französische Bezeichnung „Blennorrhagie“ einen
gesellschaftlich passableren Namen darstellt, als es das Wort
Tripper tut. In einem deutschen Merkblatt Aviirde man jedoch
kaum mit der Signifikation Blennorrhoe oder Gonorrhöe aus-
kommen, sondern müsste sich wohl oder übel des Ausdrucks
Tripper bedienen.
2. Tripper.
„Der Tripper (Gonorrhöe) ist eine häufige, ausserordentlich
ansteckende Krankheit, die auf der Anwesenheit eines wohl-
bekannten, besonderen Kleinlebewesens beruht und sich durch
den G e s c h 1 ec li t s a’ e r k e h r übertragen lässt.
Wie die Syphilis, mit welcher sie nur bezüglich des Modus
der Ansteckung (Geschlechtsverkehr) eine Aelmlichkeit hat, ver¬
dient auch der Tripper die grösste Aufmerksamkeit, da er die Ge¬
sellschaft mit schweren Gefahren bedroht.
Von vielen Personen ganz mit Unrecht als eine gutartige
Krankheit angesehen, ruft der Tripper manchmal scliAvere Kom¬
plikationen, selbst todbringende, hervor.
Der Trippereiter erzeugt, ins Auge gebracht, eine der ge-
fiirehtesten Entzündungen, die den Verlust des Augenlichtes zur
Folge haben kann. Dieselbe wird besonders häufig bei neu¬
geborenen Kindern beobachtet.
Die soziale Wichtigkeit des Trippers tritt besonders in die
Augen, Avenn man seine Beziehungen zur Ehe und zur Mutter¬
schaft betrachtet. Wie die Syphilis trifft der Tripper jedenfalls auch
die Unschuldigen. Er zieht bei der Frau oft Unfruchtbarkeit nach
sich, indem er entweder deren Zeugungsorgane schwer verändert
oder sie derart krank macht, dass ihre chirurgische Entfernung
notwendig wird. Demnach ist auch der Tripper ein Faktor der
Entvölkerung.
Der Tripper ist eine heilbare Krankheit. Aber seine gründ¬
liche, endgültige Heilung, erfordert gewöhnlich eine viel längere
Zeit als man gemeinhin annimmt.
Der Erreger der Krankheit kann noch lange nach dem Ver-
schwinden auch der letzten sichtbaren Spur einer Absonderung
Aveiter vorhanden sein und aufs neue zu Rückfällen führen, Avenn
irgend ein zufälliger reizender Anlass hinzukommt.
1510
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 3G.
IVrsonen, welche früher tripperkrank gewesen sind, haben
die Verpflichtung, sich vor ihrer Vermählung ganz genau von dem
absoluten (lelieiltsein des Leidens zu überzeugen. Alle Männer
müssen über die Schwere der Zufälle aufgeklärt werden, denen
sie. wenn noch ungeheilt, die Frau und später die Kinder aus-
sctzeii.“
Soweit das belgische Merkblatt für venerische Krankheiten!
Ls stellt, wie gesagt, das erste Dokument dar, mit dem sich eine
Legierung in ihren Bestrebungen der sexuellen Hygiene und Pro¬
phylaxe* an die grosse Menge wendet. Schon früher haben ver¬
schiedene dermntologisch-venereologische Kliniker ihren veneri¬
schen Patienten gedruckte Erläuterungen über ihre Krankheiten
und Vorschriften für zweckmässiges Verhalten in die Hände ge¬
geben. Auch eine Reihe bekannter Dermatologen teilten an ihre
kranke solche Merkblätter in der richtigen -Erkenntnis aus, dass
um die Unwissenheit, die Missachtung der geschlechtlichen Kränk¬
lichen. sowie die Unterschätzung ihrer Uebertragbarkeit Schuld an
der immer wachsenden Verseuchung der Bevölkerung tragen.
Nun ist diese Art der Aufklärung auch von amtlicher Seite
beschritten worden.
Hoffentlich stellt sich der Weg als ein gangbarer und das Be-
st rohen desselben als ein segensreicher Fortschritt im Kampfe
gegen die Feinde der Menschheit, die Krankheiten, heraus!
Referate und Bücher anzeigen.
Dr. Werner Rosenthal: Die Pulsionsdivertikel des
Schlundes (Anatomie, Statistik, Aetiologie). Leipzig, Verlag j
von G. Thieme, 1902. 135 S. Preis M. 3.60.
Es ist ein Wagnis, nach der vortrefflichen, vor 2 Jahren er- j
echienenen Arbeit von Starck das gleiche Thema in Angriff j
zu nehmen, allein der Verfasser hat es verstanden, in der vor¬
liegenden, ausserordentlich gründlichen Monographie den um- j
fassenden Stoff in einer Weise zu behandeln, dass dieselbe ge¬
wiss nicht nur der Starck sehen Arbeit an die Seite gestellt
werden kann, sondern auch in mancher Hinsicht eine Ergänzung
und Erweiterung derselben bedeutet. Denn, wie Verfasser selbst
hervorhebt, hat Starck den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die
Symptomatologie, Diagnostik und Therapie der Pulsionsdiver¬
tikel gelegt, während die Pathogenese nur kürzer behandelt ist.
R. dagegen vertieft sich mehr in die Ursachen und die Ent¬
stehungsweise der vorliegenden Anomalie und nimmt in
kritischer Weise Stellung zu den bisher aufgestellten Hypo¬
thesen. Mit grossem Fleiss hat R. das sorgfältig gesichtete
Material zusammengetragen und konnte so einerseits mehrere
falsche Beobachtungen der früheren Autoren ausmerzen, anderer¬
seits aber auch manche bisher übersehene oder noch nicht ge¬
nügend verwertete Fälle heranziehen ; dazu bringt er ausserdem
5 neue noch nicht veröffentlichte Beobachtungen.
Was die Gruppierung des umfangreichen Stoffes betrifft, so
hat nach des Referenten Meinung durch die vielen Unterkapitel i
die ITebersichtliehkeit entschieden gelitten; R. hat 3 grosse Haupt¬
gruppen aufgestellt : die Pulsionsdivertikel I. des Pharynx,
II. des eigentlichen Oesophagus, IIT. die an der
Oesophagus-Pharynxgrenze (sog. „Grenzdiver-
t i k e 1“ nach Rosenthal). Bei allen 3 Gruppen finden sich
dargestellt die anatomischen Beobachtungen, das klinische
Material sowie die Aetiologie.
In der I. Gruppe referiert R. nur über 4 einschlägige Fälle;
die II. umfasst, anatomisch charakterisiert, die Divertikel
über Stenosen des Oesophagus, die Traktionspulsionsdivertikel
und endlich die sog. epibronchialen (nach Brosch) Divertikel,
bei denen freilich nach R.s Ansicht die Mitwirkung von T raktion
nicht ausgeschlossen werden kann; klinisch beobachtet werden
skizziert Divertikel im oberen; mittleren und unteren Drittel des
Oesophagus (letztere als sog. epiphrenische D.). Bei der Aetio-
logic dieser II. Gruppe findet auch die neue R i b b e r t sehe Ab¬
handlung (Virchows Archiv, 167. Bd., 1. H.) Berücksichtigung.
Weitaus das grösste Kapitel ist das der III. Gruppe (der Grenz¬
divertikel), von denen R. nach strengster Kritik 120 lalle zu-
sannnengestellt hat. Den 63 davon durch Sektion siehergestell-
tesn fügt er noch 5 sorgfältig untersuchte eigene Beobach¬
tungen an !
Die Aetiologie dieser Grenzdivertikel erfährt eine ganz be¬
sonders ausgedehnte Besprechung; die Hypothesen von der trau¬
matischen sowie die von der kongenitalen Anlage werden nach
kritischer Prüfung zurückgewiesen und diese Divertikel als er¬
worbene, aber ganz allmählich sich ausbildende Anomalien an¬
genommen. „Es müssen dabei jmjner zwei Reihen von Be¬
dingungen Zusammenwirken, von denen die eine eine primäre
Ausstülpung oder Schwächung der Wand bewirkt, die andere
eine Stauung der Speisen an der betreffenden Stelle“; für beide
Momente bringt R. Anhaltspunkte an der Hand bestimmter
Fälle.
So bietet die Arbeit mit ihrem sorgfältigen Literaturnach¬
weis ein wohl abgerundetes Ganze; dazu ist sie klar und flüssig
geschrieben. Bei der peinlichen Gewissenhaftigkeit aber, mit
der das Material zusammengestellt und kritisch gesichtet ist,
wird sie für jeden künftigen Beobachter, sei er Kliniker oder
Anatom, von grossem Wert sein. H. M e r k c 1 - Erlangen.
Dr. Max Fraenkel - Berlin : Die Samenblasen des Men¬
schen. Mit 4 lithographierten Tafeln. Berlin 1901. Verlag von
August H irschwald.
In einer dankenswerten monographischen Studie hat der
Verfasser die Resultate von Untersuchungen zusammengestellt,
die er unter der Leitung W aldeyers in dessen Institut über
die menschlichen Samenblasen angestellt hat. Die Literatur
über diese Gebilde ist nicht gerade reichhaltig, und das Unter¬
nehmen Fraenkel s, unsere Kenntnisse über die anatomischen
und physiologischen Verhältnisse der Samenblasen zu erweitern
und zu vertiefen, ist einem tatsächlichen Bedürfnisse ent¬
sprungen, um so mehr, als die Vervollkommung unserer thera¬
peutischen Bestrebungen in der neueren Zeit uns gelehrt hat, der
Beteiligung der Samen blasen an verschiedenen pathologischen
Vorgängen am Urogenitalapparate (Gonorrhoe, Tuberkulose,
Neoplasma) unsere Aufmerksamkeit in einem höheren Grade zu¬
zuwenden, als bisher das wohl im allgemeinen der Fall gewesen
war.
Struktur und topographische Beziehungen
der Samenblasen werden von Fraenkel in eingehender Weise
erörtert, und sein ganz besonderes Augenmerk hat der Verfasser
der Blutversorgung der Organe zugewendet. Es ist bis
jetzt noch von keiner Seite darauf aufmerksam gemacht worden,
dass der Reichtum der Samenblasen an arteriellen Gefässen ein
so sehr beträchtlicher ist, wie das diese neuesten Untersuchungen
ergeben haben.
In nicht minder ausführlicher und übersichtlicher Weise hat
Fraenkel den mikroskopischen Bau dargestellt. Von
den 3 Schichten, der bindegewebigen, der Muskel- und der
Schleimhautschicht kommt der letzteren das grösste Interesse
zu. In der strittigen Frage, ob in den Samenblasen Drüsen
vorhanden sind oder nicht, stellt sich Fränkel auf Grund
seiner Befunde an Serienschnitten durch die Samenblasen aller
Alterstufen auf den Standpunkt, welchen Kölliker und
Guelliot gegenüber Ilenle, Gegenbauer, Hyrtl u. a.
einnehmen. Die grubigen Vertiefungen, die Ausbuchtungen in
der Schleimhaut seien nicht als Drüsen anzusprechen; um jene
als besondere Organe ansehen zu können, müssten sie „eine
Aenderung im Bau, eine Verfeinerung der Schleimhaut“ auf¬
weisen; deswegen könne in den genannten Gruben doch Sekretion'
stattfinden, so gut als auf der Schleimhaut selbst. Was die Art
und Form des Epithels des Stratum mucosum betrifft, hat
F raenkel stets zylindrische Zellen vorgefunden. Auch zu
diesem Punkte ist die Auffassung unter den Forschern noch
keine einheitliche.
Das Samen blasensekret baschreibt F raenkel als
eine grauweissliche, manchmal bräunlich tingierte, geruchlose
Masse, von rahmartiger Konsistenz, alkalischer Reaktion. Er
ist der Ansicht, dass das Hauptquantum der Flüssigkeit des
Samens in den Samenblasen sezerniert werde. Schon durch ein
paar frühere Untersuchungen ist festgestellt worden, dass die
Samenblasen keineswegs ausschliesslich nur Reservoire für
Hodensekret darstellen, sondern dass in ihnen auch eine eiweiss¬
haltige Flüssigkeit produziert werde. Die reichliche arterielle
Blutversorgung der Organe spräche nach Fraenkel dafür,
dass die Hauptproduktion dieser Flüssigkeit bei der Libido vor
sich gehe. Die funktionelle Bedeutung des Sekretes ist nicht
sicher gestellt. Abgesehen von Schleim, Spermatozoen, weissen
Blutkörperchen, Epithelien, finden sich im Inhalte der Samen¬
blasen konstant noch jene amorphen, nicht krystallinischen,
transparenten Gebilde, welche R o b i n „Sympexions“ ge¬
nannt hat, über deren chemische Zusammensetzung und physio¬
logische Eigenschaft zur Zeit noch so gut wie nichts bekannt ist.
1511
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
9. September 1902.
Ein kurzer Hinweis auf die Pathologie der Samen¬
blasen, der sich auf die eingehenderen Darstellungen
Guelliots stützt, illustriert in prägnanter Weise, welch’
grosse Bedeutung einer genaueren Kenntnis der Anatomie und
Physiologie der Samenblasen zukommt.
Die Reproduktion der die topographischen und histo¬
logischen Verhältnisse darstellenden Abbildungen ist als eine
sehr gute zu bezeichnen. Br. J esionek.
Dr. L. Knapp -Prag: Grundzüg'e der gynäkologischen
Massagebehandlung. Ein Leitfaden für Studierende und
Aerzte. Berlin 1902. Fischers med. Buchhandl. (H. Iv orn-
f e 1 d). Preis M. 1.80.
lieber den Wert der Massage in der Gynäkologie kann man
geteilter Meinung sein; sie ist und bleibt ein zweischneidiges
Schwert, namentlich in der Hand des nicht speziell gynäko¬
logisch ausgebildeten Arztes, weil unter allen Umständen — und
das betont K. auch selber ausdrücklich — vor ihrer Anwendung
eine ganz sichere, durchaus eindeutige Diagnose notwendig ist;
und das ist oft genug auch dem Geübtesten nicht möglich.
Dem Leitfaden von K napp liegt ein ausserordentlich
fleissiges Literaturstudium zu Grunde, und es enthält in der Tat
alles, was wir über die gynäkologische Massage wissen. Sehr
klar und übersichtlich sind die Indikationen und die Kontraindi¬
kationen für die Anwendung der Massage bei den einzelnen
Leiden gegeben. Auch die Technik in ihrer mannigfaltigen Aus¬
übung ist ausführlich und sehr anschaulich beschrieben. Auf
Schritt und Tritt erkennt man die grosse Erfahrung und Uebung
des Autors, der ein begeisterter Lobredner für die Erfolge der
Massage in der Gynäkologie ist.
Für die Erlernung der Massage etc. hat K. ein Phantom an¬
gegeben (cfr. auch Centralbl. f. Gynäkol. 1901, No. 47). Ob
dieses sich in der Praxis bewähren wird, mag die Zeit lehren;
mir will es scheinen, als wären die gynäkologischen Krankheits¬
bilder doch zu wenig „typisch“, um die Erlernung ihrer Dia¬
gnostik und Therapie zum Gegenstände eines Phantomkurses
machen zu können.
Der Inhalt des Büchleins ist durchaus übersichtlich zu¬
sammengestellt, so dass die Orientierung keine Schwierigkeiten
bereitet. Am Schlüsse finden wir ein fast vollständiges Litera¬
turverzeichnis.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass der K.sehe Leitfaden
von jede m mit Interesse gelesen werden wird, mag er nun ein
Anhänger ausgedehnter Massagebehandlung in der Gynäkologie
sein oder nicht. Max Henkel- Berlin.
Dr. med. Oskar V ulpius: Das •Krüppelheim. Im Auf-,
trag Ihrer königlichen Hoheit der Frau Grossherzogin Luise von
Baden bearbeitet. Heidelberg 1902. Carl Winters Universi-
tii tsbuchhandlung.
Der Verfasser berichtet über die Ergebnisse einer Reise,
die er zum Studium der Krüppelheime unternommen hat, und
regt in dankenswerter Weise die Frage der Krüppelfürsorge an.
Zur Zeit existieren Anstalten für Krüppelhafte in Deutschland
und Frankreich, in der Schweiz, in Dänemark, Schweden und
Finnland.
Die Münchener Zentralanstalt für krüppelhafte Kinder ist
das älteste Krüppelheim. Es wurde durch die Hochherzigkeit
eines Münchener Bürgers, Johann Edler v. Kurz, im Jahre 1832
begründet und beschränkte sich, da bei dem damaligen tiefen
Stande der Orthopädie eine ärztliche Behandlung aussichtlos er¬
schien, auf die Erziehung der krüppelhaften Kinder. Bei den
in den letzten Jahrzehnten gegründeten Anstalten, wie z. B. der
Musteranstalt in Kopenhagen (150 Betten), wird dagegen mit
Recht die ärztliche Behandlung in den Vordergrund gestellt und
jeder Zögling muss sich derselben unterziehen, ehe mit einer be¬
sonderen Erziehung begonnen wird. Auch in Deutschland haben
wir bereits ähnlich eingerichtete Anstalten, z. B. in Nowawes bei
Potsdam (150 Betten), in Krakau bei Magdeburg (160 Betten)
und an anderen Orten.
Die Frage der Krüppelfürsorge ist speziell für Bayern von
grösster Wichtigkeit. Zur Zeit existiert in Bayern keine Stelle,
Wo unbemittelte orthopädische Kranke unentgeltliche Behand¬
lung von fachärztlicher Seite, d. h. durch einen ortho¬
pädischen Chirurgen, finden. Die Folge davon ist, dass in einer
Stadt wie München, nach der Schätzung des Referenten alljähr¬
lich mindestens 100 Menschen zum Krüppel werden, die durch
eine sachgemässe und rechtzeitige Behandlung sicher hätten ge¬
rettet werden können. Diese Zustände sind auf die Dauer un¬
haltbar und werden später noch eine ausführliche Darstellung an
dieser Stelle finden. F. Lange- München.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für innere Medicin. 1902. No. 33, 34 u. 35.
II. Ivun: lieber die Ausscheidungskurve gerinnungsalte-
rierender Eiweissubstanzen im Harn während der Pneumonie.
Veranlasst durch die Arbeiten von Le nobel und Loch-
b i li 1 e r, die im Harn bei Pneumonie Eiweissubstanzen mit ge-
rinnungsalterierenden Eigenschaften nachwiesen, bestimmt Verf.
die Menge ihrer Ausscheidung bei Pneumonie.
Die Menge wurde geschätzt an der Biuretreaktion, die die
Körper gaben. Die Eiweisskörper wurden getrennt in einen in
Essigsäure löslichen, durch Sättigung mit Kochsalz gewonnenen
Körper (Kochsalzkörper) und einen in Essigsäure unlöslichen
Körper (Essigsäurekörper) nach einem in der Arbeit genau be¬
schriebenen Verfahren. Die durch Anstellung der Biuretreaktion
geschätzte Menge wurde hin und wieder durch Iteindarstellung
der Körper kontrolliert. Der Kochsalzkörper wurde als albumosen-
artig, der Essigsäurekörper als ein Nukleoproteid nachgewiesen.
Das Ergebnis der Ausscheidung dieser Körper in 35 Pneu¬
moniefällen war folgendes:
„ln allen? typisch, d. li. kritisch verlaufenden Fällen verhielt
sich der Kochsalzkörper so, dass er im Beginn der Pneumonie
in geringer Menge vorhanden war, dann täglich an stieg, auf seinem
Höhepunkt durch einige Tage verblieb, um dann ziemlich plötzlich
am Vortage der Krise abzufallen oder gar ganz zu verschwinden
und nach der Krise wieder in geringer Menge durch einige Tage
zu erscheinen oder auch nicht mehr aufzutreten.
Der durch Essigsäure fällbare Körper tritt im Anfang stärker
als der Kochsalzkörper auf, steigt ebenfalls in den ersten Tagen
rasch an, und zwar rascher und höher als der Kochsalzkörper,
bleibt nicht so lange wie dieser auf der Höhe und fällt auch wieder
rascher ab. Man kann also sagen, er ist ihm fast immer um
1 — 2 Tage voraus.“
Eine Abweichung von dieser ganz typischen Ausscheidung bei
normal verlaufenden Pneumonien deutete auf eine nicht glatt ver¬
laufende, lytisch auslaufende, Schwankungen unterworfene (z. B.
Influenza) oder letal endende Pneumonie.
No. 34. B. Spiet hoff: Blutdruckmessungen bei Morbus
Basedow.
Verf. stellte bei 20 Fällen mit Morbus Basedow in der Jenenser
Universitäts-Poliklinik Blutdruckmessungen an und benutzte dazu
den Blutdruckmesser von Biva-Kocci, sowie den von
v. Recklinghausen angegebenen Apparat. Das Ergebnis
ist, dass der Blutdruck bei Morbus Basedow nicht konstant, ver¬
ändert ist. Bei schweren Formen kommen Blutdruckerniedrigungen
und -Erhöhungen vor, bei leichteren Formen entfernt sich der
Druck nicht wesentlich von der Norm.
No. 35. Ludwig Braun: Ueber das „Wanderherz“.
Verf. bespricht zunächst die normale Beweglichkeit des Her¬
zens und die anatomischen Verhältnisse dabei. Vermehrte Beweg¬
lichkeit des Herzens ist begleitet von anderen pathologischen Ver¬
änderungen, z. B. Grössenzunahme des Herzens oder Erweiterung
der Aorta ascendens und wird als Kardioptosis bezeichnet. Die
Kardioptosis ist stets sekundär; eine primäre, idiopathische, auf
angeborenen Mangel in der Entwicklung des elastischen Gewebes
des Gefässystems beruhende Kardioptosis kennt Verf. nicht. Herz¬
beschwerden allein auf erhöhte Beweglichkeit des Herzens
(Wanderherz) zurückzuführen, ist unberechtigt. Die Herz¬
beschwerden sind durch Veränderung des Herzens oder seiner
Umgebung zu erklären oder sie sind nervöser Natur. Den Be¬
griff Wanderherz sollte man deshalb überhaupt streichen.
K. L i e p e 1 1 - Berlin.
Archiv für klinische Chirurgie. 68. Bd., 2. Heft, Berlin,
Hirschwald, 1902.
13) F i c k - Leipzig: Bemerkungen zur Wolfsrachenbildung.
Die interessanten Bemerkungen F.s sind ohne die Abbildungen
schwer verständlich und muss deshalb auf das Original verwiesen
werden.
14) Payr: Beiträge zur Frage der Frühoperation bei
Appendizitis. ((Chirurg. Universitätsklinik Graz.)
An der Klinik Nicoladonis wird seit einiger Zeit «lie
prinzipielle Frühoperation der Appendizitis ausgeführt; P. teilt
die bei 9 Fällen gewonnenen Erfahrungen mit und bekennt sich
auf Grund derselben als unbedingter Anhänger dieser Methode.
Bei der Unsicherheit der genauen Diagnose der einzelnen Formen
der Appendizitis gelingt es durch prinzipielle Frühoperation, Fälle
zu retten, die sonst der allgemeinen Peritonitis zum Opfer fallen
würden; ausserdem verhütet die Operation die so überaus häu¬
tigen Rezidive und die in allen Stadien der Erkrankung auftreten¬
den schweren und lebensgefährlichen Komplikationen. Die Mor¬
talität der Friihoperation berechnet P. aus einer Anzahl von Sta¬
tistiken mit ca. 2 Proz., während die der exspektativen Behand¬
lung 12 Proz. beträgt. Der Eingriff ist im Frühstadium der Er¬
krankung technisch sehr leicht, die Infektionsgefahr für das Bauch-
1512
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36,
feil gering. Kurze Dauer, meist kleine Bauch wandschnitte, ein¬
fache Wundverhältnisse uml Einzeitigkeit sind iüs besondere Vor¬
teile anzusehen. Wenn der Prozess auf den Wurmfortsatz be¬
schränkt ist, kann die Bauchwunde völlig geschlossen werden;
wenn tamponiert werden muss, empfiehlt P. präventive Durch¬
legung von Seidenfädeu durch Peritoneum und Muskelschicht, die
nach einigen Tagen geknotet werden.
Auch nach Ablauf der ersten 48 — GO Stunden will P. trotz
der dann viel schlechteren Aussichten stets operieren, ln diesen
Fällen soll der Wurmfortsatz nur entfernt werden, wenn er ohne
Verletzung intakter Teile zugänglich ist. Beim Vorfinden von pro¬
gredienten oder diffusen Formen von Peritonitis empfiehlt I\, von
Spülungen Abstand zu nehmen und trockene .Todoformgazestreifen
nach allen Richtungen vorzuschieben.
17) v. W i s t i n g li a u s e n - Reval: Zur Kasuistik der
retrograden Inkarzeraticnen.
Beschreibung zweier Fälle von retrograder Inkarzeration von
Dünndarmschlingen in Leistenhernien; im einen Falle bestand
Gangrän der 80 cm langen in den Bauchraum hineinragenden
Schlinge.
19) Busalla: Ueber plastische Deckung von Knochen¬
höhlen, nebst einem Fall von osteoplastischem Ersatz des Os
cuboides. (Chirurg. Abteilung des städt. Krankenhauses Altona.)
Von allen Methoden der Osteoplastik hat bisher nur die An¬
wendung gestielter Haut-Periost-Knochenlappen nach Müll e r
befriedigende Resultate ergeben, während die Einheilung toter
oder frischer Knochenstücke von anderen Menschen oder derselben
Person in den Defekt (Heteröplastik, Homoplastik, freie Auto¬
plastik) fast stets misslingt. B. ging bei einem 'Patienten, bei
dem das Os cuboides und Teile der angrenzenden Fusswurzel-
knoehen wegen Tuberkulose operativ entfernt waren, so vor, dass
er von der äusseren Fläche des Caleaneus einen Haut-Periost-
Knochenlappen alnneisselte und in den Defekt hineinschlug; die
Brücke wurde nach 4 Wochen durchschnitten. Der Knochenlappen
heilte gut ('in, das funktionelle Resultat war sehr befriedigend.
28) K i r c hliei in: Ueber die sogen, diffuse, wahre Mamma¬
hypertrophie (Billroth) und ihr Verhältnis zum Fibrom. (Chi¬
rurg. Universitäts-Poliklinik Leipzig.)
Der von K. beobachtete Fall betrifft eine 15 jährige Jungfrau;
die Anschwellung der Mammae bestand seit °/4 Jahren. Die
rechte Mamma wurde exstirpiert (7 Pfund Gewicht), die linke
durch sektorenförmige Exzisionen verkleinert; ya Jahr später
wurde auch die zweite Mamma wegen erneuten, wenn auch ge¬
ringen Wachstums auf Wunsch der Patientin exstirpiert. Voll¬
kommene Heilung. Die Tumoren bestanden fast ganz aus Binde¬
gewebe von vermehrtem Kernreichtum; in den peripheren Ab¬
schnitten war Oedem des Bindegewebes nachzuweisen. Das
Drüsengewebe trat an Masse gegen das Stützgewebe vollkommen
zurück und wurde im wesentlichen durch das tubulöse Astwerk
der Milchgänge dargestellt. Makroskopischer und mikroskopischer
Befund sind ausführlich beschrieben.
Im Anschluss an 42 aus der Literatur gesammelte Fälle von
doppelseitiger Mammahypertrophie bespricht K. ferner die kli¬
nischen Erscheinungen, die Aetiologie und Therapie der Erkran¬
kung. Die Auffassung der Mammahypertrophie als einheitliches
Krankheitsbild hält K. nicht für berechtigt; als gut charakteri¬
sierte Gruppe lassen sich nur die Graviditätshypertrophien heraus¬
hoben, die auch allein den Namen der Hypertrophie rechtfertigen,
da hier das Wachstum des Organs mit Steigerung der Funktion
einhergeht und mit Sinken derselben wieder zurückgeht. Die
Hypertrophien ausserhalb der Gravidität, speziell die Pubertäts¬
hypertrophien, lassen die Zusammenfassung zu einem einheit¬
lichen Krankheitsbilde nicht zu; die Trennung . ihrer einzelnen
Formen ist aber nur durch weitere eingehende mikroskopische
Untersuchungen zu ermöglichen. Die Bindegewebswucherung der
Pubertätshypertrophie trägt oder trug wenigstens im Falle K.s
pathologischen Charakter; die Bezeichnung als Hypertrophie ist
demnach für diese Gruppe nicht zutreffend. Wahrscheinlich
nehmen die Mammahypertrophien ausserhalb der Gravidität eine
Mittelstellung ein zwischen Entzündung und Neubildung; K.
schlägt vor, dieselben als diffuses Fibrom zu bezeichnen.
29) Kleinere Mitteilungen.
S c h am - Dresden: Ein Fall von Luxation des Fusses nach
hinten.
15) S p r e n g e 1 - Braunschweig: Versuch einer Sammel¬
forschung zur Frage der Frühoperation bei akuter Appendizitis
und persönliche Erfahrungen.
IG) Lengemann: Die Erkrankungen der regionären
Lymphdrüsen beim Krebs der Pars pylorica des Magens. (Chi¬
rurg. Klinik in Breslau.)
18) Ritte r: Die natürlichen schmerzlindernden Mittel des
Org’anismus. (Chirurg. Klinik in Greifswald.)
20) S t r a u s s - Frankfurt a. M.: Zur Diagnostik der physio¬
logischen und pathologischen Nierenfunktion.
21) Ehrhardt: Ueber die Folgen der Unterbindung
grosser Gefässtämme in der Leber. (Chirurg. Klinik in Königs¬
berg.)
22) S o n n e n b u r g - Berlin: Lungenkomplikationen bei
Appendizitis.
2.°») v. K a h 1 d e n - Freiburg: Ueber Karzinomrezidive.
24) Payr: Ueber die Ursache der Stiel drehung intraperi¬
toneal gelegener Organe. (Chirurg. Klinik in Graz.)
25) F r i e d r i c li - Leipzig: Zur bakteriellen Aetiologie und
zur Behandlung der diffusen Peritonitis.
2G) S a m ter- Königsberg: Ueber Exarticulatio pedis mit
dem Zirkelschnitt.
27) Derselbe: Ueber den Wundverlauf nach Bruch¬
operationen.
Vorträge auf dem 31. Chirurgenkongress. (Referate siehe
No. 15—17 dieser Woclienschr.) Heineke - Leipzig.
Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P. v. Bruns.
3 l. Bd. mit 1 Porträt u. 27 Abb. i. Text, 24 Taf. Jubiläums¬
band für Vinzenz Czerny. Tübingen, Laupp, 1902.
Der 34. Band der Beiträge ist Vinc. Czerny zum 25 jährigen
Jubiläum als Direktor der Heidelberger Klinik von früheren und
jetzigen Assistenten Czernys gewidmet und mit dessen Porträt
o’eziert.
Ricli. Werner gibt experimentelle Epithelstudien, über
Wachstum, Regeneration, Amitosen- und Riesenzellenbildung
des Epithels, in denen er, durch E. Fürsts Arbeit angeregt, die
Resultate der Einwirkung des Aetliersprays (Kältetraumas) auf
die Gewebe, speziell die Epidermis studiert, die bei allen Geweben
als entzündliche Veränderung zu betrachten, die grösstenteils
durch direkte Schädigung der Zelle, zum kleinsten Teil durch
chemotaktische Wirkung der Aetherdämpfe hervorgerufen wird,
und teilt hauptsächlich auch klinische Erfahrungen mit, d. h. die
Besserung der Granulationen und schnelleres Vorschieben des
Epidermisrandes bei Fussgeschwüren, die täglich 1 — 3 mal 1 bis
15 Sekunden lang (meist unter Fettschutz) mit dem Aetherspray
behandelt wurden. W. sieht in der F ü r s t sehen Methode das
richtigste Mittel zur Beförderung des Hautersatzes.
E. v. Meye r bespricht einen seltenen Fall von akuter Ent¬
zündung des Wurmfortsatzes und dadurch bedingter Inkarzera¬
tion des Dünndarms iin Anschlüsse an einen Fall von Askariden¬
konvolut im pathologisch veränderten Wurmfortsatz, und gibt
weiterhin einen Beitrag zur Exstirpation des primären Scheiden¬
karzinoms mit Perforation des Mastdarms.
W. Zaugemeist e r berichtet über primäres Tubenkarzi¬
nom und bespricht dabei die betreffende Literatur und 3 eigene
Fälle (zusammen 51 Fülle), die 0,31 Proz. aller Laparotomien,
(1,33 Proz. der wegen Tubenerkrankungen ausgeführten) in der
Heidelberger Klinik darstellen.
Beruh, v. Beck gibt weitere Erfahrungen über operative
Behandlung der diffusen eitrigen Peritonitis und berichtet über
100 Fälle, deren Indikation, Verlauf etc. er bespricht, in 94 der¬
selben war freies Exsudat in der Bauchhöhle vorhanden, 2 mal
handelte es sich um perforiertes Magengeschwür, 2 mal um Ulcus
duodeni, 1 mal um Gangrän eines Meckel sehen Divertikels etc.,
in GG Fällen um Wurmfortsatzerkrankungen, wovon G2 mit Gan¬
grän und Perforation desselben, 4 Fälle mit Empyema proc. vermi¬
formis. 32 mal wurde der mediane, G8 mal der laterale Bauch-
schnitt ausgeführt, 91 mal liess sich der Herd chirurgisch angreifen;
GG mal Resectio proc. vermiformis, v. B. gibt den betreffenden
Operierten zur Anregung der Darmtätigkeit allabendlich Oelklys-
men zu 100 — 250 g, die die Nacht im Darme behalten werden, Mor¬
gens Kamillenwasserkly stiere zu 250 g. Bei fortgesetztem Auf-
stossen und Erbrechen wird 1 — 2 mal der Magen ausgespült, zur
Regelung der Peristaltik wird meist 1 — 2 Tage post operationein
1 — 3 mg Atropin (meist mit etwas Morphium) injiziert. Die Peri-
typlilitisperitonitisfälle, die in den ersten 24 Stunden nach Be¬
ginn der Peritonitis operiert wurden, sind alle genesen, die vom
3. Tag ergaben % Todesfälle, die am 4. Tag operierten erlagen
stets rasch ihrer Sepsis; das Heilresultat der Perityphlitisperitoni¬
tisfalle überhaupt ist 55 Proz.; die Prophylaxis dieser Peritonitis
besteht nach v. B. am besten darin, dass alle Fälle von Perityphlitis,
bei denen Verdacht auf Gangrän und Perforation vorliegt, sofort
im Anfall operiert werden und so für Entfernung des gefährlichen
Krankheitsherdes durch Resektion des gangränösen Fortsatzes ge¬
sorgt wird, auch für die Peritonitis überhaupt muss frühzeitige
Erkennung und sofortige Einleitung chirurgischer Behandlung als
das beste Mittel zur Heilung angesehen werden und hat v. B.
bei seinen Fällen diffuser eitriger Peritonitis 54 Proz. Heilungen
erzielt, er gibt eine kurze Darstellung der Krankengeschichten
sämtlicher 100 Fälle.
H. Gehle, zur Kasuistik der chronischen. Coekumtuberku-
lose, teilt 3 neue Fälle dieser Erkrankung mit, die er nach ana¬
tomischem Befund und Symptomen etc. analysiert.
O. Steinthal gibt aus dem Stuttgarter Diakonissenhaus
Erfahrungen über Gastroenterostomie, die er in den letzten
3 Jahren 28 mal ausführte (14 mal bei Magenkrebs, 12 mal bei gut¬
artigen Erkrankungen); so ungünstig im allgemeinen die Resultate
bei Karzinom (da 5 nicht mehr vom Krankenlager sich erhoben;
G, die in gutem Zustande entlassen wurden, doch meist vor 1 Jahr
starben), so erfreulich sind die Resultate bei gutartigen Magen¬
affektionen, von 10 kamen 9 zu voller Genesung. St. gibt auch
Ratschläge betreffs der Technik und rät, im allgemeinen keine zu
lange Schlinge zu nehmen.
Ara. Schiller gibt Beiträge zur pathologischen Bedeu¬
tung der Darmparasiten, besonders für die Perityphlitis, und gibt
darin interessante Kasuistik, u. a. einen Fall von Askariden, die
durch eine Flobertschussöffnimg in die freie Bauchhöhle gelangten;
den Fall einer Gallenblasenausräumung, bei der ein Spulwurm zur
Verlegung des Choledochusabflusses geführt hatte und erst nach
18 Tagen lebend extrahiert wurde; auch Fälle, die für die Aus¬
wanderung der Askariden in die Bauchhöhle sprechen, oder in
denen durch solche bedingtekleine Epitheldefekte zum Eintreten von
septischen Stoffen und Peritonitis Anlass gaben, werden erwähnt;
9. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
«lrs weiteren Fälle, in denen Trichokephalus dispar. (in grosser
Menge) zu schweren gastrischen Störungen mit Fieber Leih
schmerz etc. Anlass gab; und speziell Falle von Tvphlitis mit An¬
häufung von Oxyuris vermic. im Wurmfortsatz ‘
demMurBphyLLo|ffr *"* Erfah™«“ ttb» Operationen mit
0 . c k belichtet zur Behandlung der Verätzungen der
Speiseröhre und des Magens mit Gastroenterostomie und Jeiuno-
stomie. — Friedr. Mer mann berichtet (zur Frage der Heilbarkeit
der tuberkulösen Meningitis) über einen Fall auffallender Besserung
der meningitischen Symptome mit einer Maserneruption, die
dann allerdings später von Rezidiv und Tod gefolgt waren und
kommt zum Schluss, dass Intermissionen von mehrtägiger Dauer
nicht seltenes sind, dass aber auch tatsächliche „Heilungen“ reso
Scheinheilung von mehrmonatlicher Dauer Vorkommen können
wahrend welcher die Betreffenden nervengesund erscheinen.
•1 Eq^'hP 1 a a t z berichtet über Heilung einer Kranken nach
ihrer 3. Magenoperation.
O. S i m o .n gibt einen Beitrag zur Kenntnis der intra-
thoiazischen Strumen im Anschluss an einen schweren Fall bei
oo jahr.,_ seit dem 10. Lebensjahre an Atembeschwerden leidenden
lat , bei dem die verkalkte Wand einer intrathorazischen Struma¬
cyste nach Resektion des Manubrium Storni wegen fester Ver¬
wachsungen nicht ausgeschält werden konnte, resp. nur inzidiert
und heraufgenäht wurde, Pat. an Pneumonie erlag, so dass das
Präparat der grossen Struma intrathor. genauer beschrieben werden
kann.
Herrn. Kaposi berichtet über einen Fall von Anurie mit
Ikterus, Jungst über einen geheilten Fall von Unterbindung
der Artena subclavia am Aortenbogen (wegen Schussverletzung),
A. Stein über 110 Blasensteinoperationen, die grosse Mehrzahl
nach Litholapaxien und hohen Steinschnitten, die er betr. Resul¬
taten und Operationstechnik bespricht und in tabellarischer Ueber-
siclit registriert. Osc. Kulpins — zur orthopädisch-chirur¬
gischen Behandlung von Fällen schwerer spinaler Kinder¬
lähmung, besonders von sogen. Handgängern . — bespricht u. a.
'Lsolc.ke Handgänger, die durch entsprechenden orthopädischen
Eingriff wieder zu Fussgängern gemacht wurden und zeigt an
y3 Dutzend schwerer Lähmungen, dass man auch solchen nicht
mehr machtlos gegenüber steht, sondern durch Vereinigung mecha¬
nischer und chirurgischer Orthopädie (auch bei erwachsenen Pat )
noch recht grossen Nutzen leisten kann.
Em v. H er ezel gibt einen Beitrag zur totalen Exstir¬
pation des karzinomatösen Magens und zeigt durch einen Fall,
in dem % des Magens von der bösartigen Geschwulst ergriffen
war, dass das Fehlen des Magens betr. Ausnutzung der Nahrungs¬
mittel keine besondere Störungen mit sich bringt, bespricht
U solche Totalexstirpationen (mit 19,5 Proz. Mort.), in 50 Proz
war der Oesophagus direkt mit dem Duodenum zu vereinigen.
. * '• ® c b m i d t referiert über die B-adikaloperation der
Spina bifida und plädiert für die Operation so früh als tunlich,
da. bei Zuwarten die Prognose ungünstiger ist. Die jetzige Methode
der Radikaloperation mit 32 Proz. Mort, direkt nach der Operation
imd nur 18 Proz. Heilungen sei zu gefährlich und deshalb em¬
pfiehlt er ein Vorgehen, bei dem die Cyste unter strengster Anti¬
sepsis treigelegt, der Sack nicht eröffnet, sondern nur durch Punk¬
tion entleert und zum Verschluss der Knochenlücke benützt wird,
indem man nach der Entleerung die sich berührenden Aussen-
llaclien des Sackes vernäht, so dass das Involut einen festen Tam¬
pon auf die Knochenlücke bildet und darüber die entsprechend
verkürzten Hautlagen mit Zapfennähten vereinigt. 3 mit gutem
Erfolg so operierte Fälle werden im Anschluss mitgeteilt.
A. N e h r körn gibt histologische und experimentelle Bei¬
trage zur Frage der Schnittführung und Nahtmethode bei La-
paiotomien nach Untersuchung von 15 Laparotomienarben beim
Menschen und entsprechenden experimentellen Studien. Danach
haben die Aponeurosenwunden die besten Chancen zu rascher und
völliger Heilung, wenn primär ihre Wundflächen wieder lineär
auf einandergepasst werden und Beeinträchtigungen der Ernährung
durch Schnürung und Spannung vermieden wird.
i Cuarl V‘ E.ick.en — ein Kragenknopf im linken Haupt-
Di onchus — teilt eine interessante Fremdkörperkrankengeschichte
(mit. Kill ia nscher direkter Bronchoskopie beobachtet) mit. in der
< a Extinktion nach Tracheotomie durch ein in Narkose appliziertes
oronchoskoplsches Rohr gelang, obgleich zwischen Aspiration und
Extraktion ein Zeitraum von 4 y2 Monaten verstrichen war und sich
ein Lungenabszess im Oberlappen gebildet hatte, v. E. betont die
W ichtigkeit vorheriger Studien am Modell, bei denen man die Wir¬
kung und Chancen der Extraktionsinstrumente abwägen lerne.
M a tano witsch erörtert die Dauerresultate der Bas-
s i n i sehen Radikaloperation bei Leistenbrüchen, im Anschluss
•ui 1(1(5 Fälle (12(5 Operationen), d. h. 94 Fälle Bass ini scher
Operation (7(1 einseitige, 18 doppelseitige), darunter 12 inkarzerierte,
n i (‘ponibl? waren, ein Patient doppelseitiger Pneumonie und
Myodegeneration erlag. Die Nachuntersuchungen mindestens zwei
•laluv nach der Operation ergaben 2,5 Proz. Rezidive. Nach den
Mittheilungen der Literatur berechnet M. für die B a s s i n i sehe
Operation 3,6, für die Ko eher sehe 3.8 Troz. Rezidive; er kommt
zum S(,hluss, dass die C z e r n y sehe Radikaloperation bei Kindern
wegen Einfachheit mul guter Dauerresultate unentbehrlich ist,
das k o c li e r sehe Verfahren besonders bei mittelschweren und
un Komplizierten Fällen ebenfalls gute Resultate gibt, dass bei
schweren Fällen und einfacher liegenden inkarzerierten Hernien
(he Bassinische Radikaloperation das meiste leistet und als
-Normal verfahren anzusehen sei. Betreffs der Technik empfiehlt
1513
sich, die Obhquusaponeurose nicht zu weit von der Umgebung los¬
zulosen und die Nahte nicht zu fest zu knüpfen, hohe Abbindung
des Bmohsackes und exakte Bildung der hinteren Leistenkanal-
nioht ^ lin^ei^erunft beeinträchtigt die Dauerresultate nach M.
Prof. C. Marwedel bespricht Wanderniere und Gallen¬
stein, u. a. ihr überwiegendes Vorkommen bei Frauen (70 _ 80 Proz )
und die Möglichkeit, dass die bewegliche Niere durch Stamm-
die sie in den Gallenwegen erzeugt, event. zu Gallensteinbildung
An lass geben kann. Eine Reihe von Fällen zeigen, dass rechts¬
seitige Wanderniere zu Ikterus zu führen vermag, dessen Eintritt
meist ziemlich plötzlich, dessen Intensität wechselt mul meist nach
kurzer Dauer schwindet; nach M. kann eine rechtsseitige Wander¬
niere alle Symptome eines Gallensteinleidens (typische Kolik-
anfalle, Gallenstauung etc.) machen, ohne dass eine Erkrankun-
der Gallenwege selbst besteht. Die Störungen im Gebiet der Gallem
wege entstehen entweder durch direkten Druck der Niere auf die
Gallengange unter Anteversion des oberen Nierenpols oder durch
Zug am Lig. hepato-duodenale (bei hochgradiger Wanderniere
event. auch durch Zug am Duodenum). Es ist deshalb in diffo-
rentialdiagnostischer und therapeutischer Hinsicht besonders bei
Frauen wichtig, bei Gallensteinoperationen dem Verhalten der Niere
grösseres Augenmerk zu schenken, event. Bandagenbehandlung
oder lumbale Nephropexie einzuleiten. Bei Komplikation mit
Gallensteinen, die Beseitigung per Laparotomie erheischen, em¬
pfiehlt sich gegebenen Falls Nephropexie in der gleichen Sitzung
vom Bauchschnitt aus in Form von Transfixation der Niere.
Hugo St arck berichtet über multiple kartilaginäre
Exostosen und deren klinische Bedeutung und bespricht u. a.
die durch Autopsie bei der Operation bestätigte Diagnose einer
Kompressionsmyelitis in der Gegend des 3. — 4. Dorsalwirbels ver¬
anlassenden, in den Wirbelkanal vordringenden Exostose, deren
Entfernung allerdings die Rückenmarkserscheinungen nicht be¬
seitigte.
. T I o r d a n gibt eine Mitteilung über Thoraxresektionen
bei Empyemfisteln und ihre Endresultate und bespricht darin
21 Beobachtungen mit besonderer Berücksichtigung der End¬
resultate, die sämtlich die Thoraxresektion nach S c h e d e, 2 mal
mit Entrindung nach Delorme kombiniert, betrafen. Um ein
Auseinanderhalten der Esthlander sehen Operation und der
Schedesehen zu ermöglichen, empfiehlt J. den Ausdruck Thorako-
plastik fallen zu lassen, die erstere Operation als multiple -Rippen¬
resektion, die letztere als Thoraxresektion zu bezeichnen. Zweifel¬
los ist in auffallender Häufigkeit der hintere Thoraxraum Sitz der
die Fistel unterhaltenden Eiterhöhle und betont deshalb ,T., dass
für die unter die Scapula sich erstreckenden Fistelgänge die
Esthlander sehe Methode nicht in Frage kommen* kann und
iMn die Schede sehe Methode die Freilegung der hinteren Fistel¬
kanäle ermöglicht; erstere hat deshalb nur beschränkte Indikation,
da sie nicht erhebliche Retraktion voraussetzt und nur bei par¬
tiellen vorderen oder seitlichen Empyemen tunlich ist. beim Gros
der wirklich veralteten Empyeme ist die Simon-Estlander-
selie Methode deshalb unzulänglich, da man ohne breite Eröffnung
der Eiterhöhle überhaupt nicht im stände ist, die Grenzen der
letzteren zu bestimmen. Die praktische Erfahrung hat die Rich¬
tigkeit der S c h e d e sehen Annahme, dass die verdickte Pleura
costalis ein Hindernis für die Heilung ist, bestätigt und legt .T. spez.
grosses Gewicht auf die vorgängige genaue Diagnose der intra¬
thorazischen Verhältnisse und sieht in einem Vorakt, d. h. Ex-
plorativschnitt (Resektion der 2 an die Fistel angrenzenden Rippen
nebst Pleuraschwarte) das einzige zuverlässige Nüttel hierzu. Nach
J. verdient die Schede sehe Vorschrift der Bildung eines Iiaut-
muskellappens mit oberer Basis den Vorzug vor anderweitigen
Modifikationen und ist in der Mehrzahl der Fälle die Schnitt¬
führung, die das Schulterblatt in den Lappen einbezieht, deshalb
zweckmässig, da die Ausheilung gerade durch Höhlenbilduhgen an
der Hinterseite oft verhindert wird. J. hält es für zweckmässig,
den Lappen etwas grösser zu machen, als den Grenzen des späteren
Knochendefektes entspricht, der Allgemeinzustand (speziell der
Zustand von Lunge und Herz) muss entscheiden, ob die Resektion
des Thorax in einem Zug mittels einer starken Schere oder
schonender (nach Sehe d e) in 2 Abteilungen zuerst als sub¬
periostale Rippenresektion und dann Durchtrennung der Zwiselien-
rippen räume und Pleuraschwarte ansgeführt wird. Die Resektion
der Brustwand soll also so weit ausgedehnt werden, bis die
Empyemhöhle von jeglicher Knocheniiberdachung befreit ist. das
Zurückbleiben eines einzelnen eine Hohlraumbildung ermöglichen¬
den Rippenstückes kann bei starker Retraktion der Lunge den
Erfolg vereiteln. J. vermeidet die Anwendung von Antiseptizis
bei der Operation und empfiehlt Kombination der S e h e d e sehen
Operation mit der Delorme sehen Entrindung, in welch letz¬
terer er eine den Erfolg unterstützende Methode sieht, die in
jedem Fall von schwartiger Degeneration der Lungenpleura ver¬
sucht werden sollte. Wenn auch zugegeben wird, dass die Thorax¬
resektion einen recht schweren Eingriff darstellt, so hatte J. doch
bloss 1 Todesfall unmittelbar nach der Operation zu verzeichnen,
von 19 statistisch verwertbaren Fällen wurden 12 völlig geheilt,
2 sind als fast geheilt zu betrachten, 11 wurden wieder arbeits¬
fähig. Bei der nach Jahren angestellten Nachuntersuchung ergab
sich die Tatsache, dass der durch die Operation gesetzte Knochen-
defekt in 8 Fällen vollkommen regeneriert war, und kann deshalb
bei Kindern, falls die Indikation vorliegt, <1 ie Thoraxresektion um
so eher vorgenommen werden und soll deshalb besonders im
Kindesalter der richtige Zeitpunkt zur Ausführung der Operation
nicht versäumt werden, da die Regeneration nur dann zu idealen
No. 3G.
1514
M UENCTIENEK ME DI CI NISCIIE WO CHEN SCHRIET.
Hoilresultaten führt, wenn die retra liierte Lunge sich ausdehnen
kann. Hei tuberkulösen Phnpyemfisteln sind nach J. die Chancen
(h‘s Eingriffs im ganzen sehr gering, die Operation sollte nur in eiu-
zelnon. besonders günstig gelagerten Fällen und bei gutem All-
gemeinzustand ausgeführt werden
Otto Simon teilt zwei Fälle seltener Vulvatumoren mit,
S t e u d el gibt eine Mitteilung zur Behandlung und Operation der
Muskelbrüche, Friedr. Völker bespricht die Behandlung der
Frakturen mit primärer Knochennaht im Anschluss an ti M-
pliysenfrakturen (4 des Unterschenkels), die in der Heidelbergei K 1-
nik mit Naht behandelt wurden. Eine wesentliche Abkürzung der Be¬
handlung wurde hiedurch nicht erzielt, meist eine verzögerte Kon¬
solidation beobachtet. E. Lob stein gibt Beiträge zur opera-
Behandlung der Blasengeschwülste und darin eine u eber¬
sämtlicher in den letzten 20 Jahren in der Heidelberger
v beobachteten Blasengeschwülste (71), wovon 48 operiert
(mit 33 Proz. Mortalität), davon 42 mit hohem Blasjen-
17 betrafen gutartige, 31 bösartige Geschwülste (12 Sar-
tiven
sieht
Klini'
wurden
schnitt;
l l uciuucu Jjuuu Ufev,, - - r, -
kome, 19 Karzinome) und werden die Krankengeschichten kurz mit¬
geteilt. W. Rindfleisch berichtet über nahtlose Darmaus¬
schaltung (Invaginationsmethode), W. Peter sen über Hei¬
lungsvorgänge im Karzinom. W ii r t h v. M ü r t h e n a u be¬
spricht die modernen Prinzipien in der Behandlung der pene¬
trierenden Bauchwunden und schildert speziell im Anschluss an
entsprechende Kasuistik die in der Heidelberger Klinik geübte
Technik; er kommt zum Schluss, dass in der Kriegspraxis bei
penetrierenden und perforierenden lcleinkalibrigen Gewehrschuss-
Verletzungen des Abdomens die exspektativ-operative, bei. gross
kalibrigen die operative Behandlung durch Laparotomie in den
Vordergrund tritt und dass letztere bei Unterleibsverletzten mit
beginnender Peritonitis und Anzeichen innerer Verblutung prin¬
zipiell in jedem Fall vorzunehmen ist. Bei Bauchschussverletzten
mit Friedenswaffen ist die möglichst baldige Laparotomie angezeigt
(jedenfalls bei Sicherstellung der Diagnose auf Perforation sofort
vorzunehmen), der exspektativen Behandlung gebührt hier (nament¬
lich bei Stichverletzungen) nur dann der Vorzug, wenn die Mög¬
lichkeit geboten ist, bei eventuell beginnender Peritonitis oder
drohender innerer Verblutung sofort zu laparotomieren. Die
Opium- und Morphiumbehandlung vor Sicherstellung der Diagnose
ist zu verwerfen, auf dem Schlachtfeld aber etwa in Form iou
Tabletten zu empfehlen. Die Anwendung des Murphyknopfes zur
Dünndarmvereinigung von Ende zu Ende, zu Gastroenterostomie
und Enteroanastomose ist anzuraten besonders bei lange dauern¬
den operativen Eingriffen, zu widerraten bei Dickdarm Vereinigung
von Ende zu Ende. Die einreihige Bauchdeckennaht mit tief¬
greifenden Knopfnähten (mittels Seide oder besser Silkworm) ist
besonders auch im Felde andern Bauchdeckennähten vorzuziehen.
Zum Schluss gibt er eine kurze Uebersicht der in der Literatur
seit 1890 niedergelegten Kasuistik der Friedenspraxis und der
Militärliteratur. — Der gleiche Autor bespricht weiterhin die
Dauerresultate der vaginalen Uterusexstirpationen an der chi¬
rurgischen Klinik in Heidelberg 1878—1900, speziell deren End¬
resultate und berücksichtigt dabei 152 kurz mitgeteilte Falle (ol
wegen Karzinom, 30 wegen Myom, 29 wegen Endometritis und
10 wegen Adnextumoren etc. ausgeführter vaginaler Uterus¬
exstirpationen). A. Blau gibt Beiträge zur Klinik und opera¬
tiven Behandlung der Ovarialtumoren und referiert darin über
die 1877 _ 1900 an Czernys Klinik operierten Fälle (391 ab¬
dominale Ovariotomen, 2 sakrale und 4 mit vaginaler Total¬
exstirpation des Uterus vorgenommene). Prof. H. Braun gibt
eine Mitteilung über angeborenen Verschluss des Dünndarms und
seine operative Behandlung, bespricht im Anschluss an einen
betr. Fall und die reiche in der Literatur deponierte Kasuistik
die verschiedenen Formen des kongenitalen Darmverschlusses und
speziell deren Diagnose und operative Behandlung, welch letztere
19 mal als Enterostomie (erfolglos) ausgeführt wurde. B. schlägt
bei Annahme eines kongenitalen Darmverschlusses vor, etwa am
2._3. Lebenstag in der Medianlinie mit einem kleinen, unterhalb
des Nabels geführten Schnitt das Abdomen zu öffnen, nach Fest¬
stellung einer Dünndarmatresie die beiden verschlossenen Darm-
emlen nebeneinander einzunähen und zu eröffnen und später
durch Dupuytren sehe oder sonstige Darmklemme die Verbin¬
dung herzustellen, was mehr Aussicht auf Erfolg bietet als eine
zweite Laparotomie und Enteroanastomose mit Naht.
Sehr.
Archiv für Gynäkologie. 66. Bd. 3. Heft. Berlin 1902.
D Hjalmar Bergholm: Ueber Mikroorganismen des
Vaginalsekretes Schwangerer. (Aus dem Laboratorium dei ge¬
burtshilflich-gynäkologischen Universitätsklinik in Ilelsingfors.
Vorstand: Prof. G. Heinricius.)
Die unter entsprechenden Kautelen vorgenommene Unter¬
suchung des Vaginalsekretes von 40 Schwangeren ergab stets saure
Reaktion dieses Sekretes. Von den gefundenen Bakterien waren
mir wenige obligate Anaeroben. Es wurden weder Stapliylococcus
pyogenes noch Bacterium coli angetroffen. Die Flora des Vulva-
sekretes zeigte sich wesentlich verschieden von der des Vaginal¬
sekretes. (9 Mikrophotographien.)
2) \V. Poten: Die Verschleppung der Chorionzotten.
Auf Grund der Untersuchung von 7 neuen Fällen scliliesst.
Poten, dass Verschleppung abgerissener Chorionzotten in die
mütterliche Blutbahn wahrscheinlich in jeder Schwangerschaft
vorkommt. Seines Erachtens hat jedoch diese V erschleppung
weder eine physiologische noch eine pathologische Bedeutung für
den mütterlichen Organismus (entgegen den Anschauungen von
J. Veit Ref.), ausser in Fällen von maligner Entartung des Cho¬
rions (Syncytioma malignum) und von Uebertragung der Lues
durch Choc en retour auf die gesunde Mutter bezw. von der post¬
konzeptionell infizierten Mutter auf das Kind.
3) Max W e g s c h e i d e r - Berlin: Einiges aus der Geburts¬
hilfe und Gynäkologie des Aetios von Amida. Ein Beitrag zur
Geschichte der Medizin.
Aetius lebte um 540 n. Chr. am Hofe in Byzanz als Arzt
und hinteriiess in einem Sammelwerk von 1<> Bänden einen wert¬
vollen Ueberblick über die medizinische Wissenschaft seiner Zeit.
W e g s c li e i d e r gibt hier einen Auszug aus dem von ihm über¬
setzten 10. Band, der über Geburtshilfe und Frauenkrankheiten
handelt.
4) Josef v. Breitenberg: Ein Fall von akutem
Hydramnion bei eineiigen Drillingen. (Aus der geburtshilflichen
Klinik in Innsbruck. Vorstand: Professor Ehrendorfer.)
Eine 37 jährige I. Para gebar 3 lebende weibliche Früchte
von 25, 20 und 21,5 cm Länge mit einer gemeinsamen Plazenta
und einem gemeinsamen Chorion. Die Ursache des Hydramnion.
das sich innerhalb dreier Wochen entwickelt hatte und einen
Bauchumfang von 102 cm veranlasste, liess sich nicht nachweisen.
5) Wilh. D a r g e r: Zur Kenntnis der Kraurosis vulvae.
(Aus Dr. Pr o cli ow nick s Privatklinik in Hamburg.)
Auf Grund eines mikroskopisch untersuchten Falles ist
D arger geneigt, die Kraurosis als primäre Gefässerkrankuug
anzusehen mit sekundärem Oedem des Papillarkörpers und spä¬
teren atrophischen Vorgängen. Bestätigt sich fernerhin diese An¬
nahme. so lässt sich die Kraurosis den rein entzündlichen, fast
ausnahmslos infektiösen Erkrankungen der obersten Hautschicht
( Pruritus vulvae) gegenüberstellen. Therapeutisch führt die Ex-
cisio vulvae am ehesten zur Heilung.
6) J. Voigt: Ueber gleichzeitiges Bestehen von papillären
Adenomen in Niere und Uterus mit Metastasenbildung. (Aus der
k. Frauenklinik in Dresden.)
Die Erkrankung betraf eine 38 jährige Frau. T nmittelbar
nach Entfernung des myomatösen Uterus durch supravaginale
Amputation wurde ein Tumor in der Gegend der linken Niere ge¬
fühlt. Am 23. Tage nach der Myomotomie starb die Frau plötzlich
an Lungenembolie. Es fand sich ein mannskopfgrosser Tumor der
linken Niere, welcher in die Vena cava inf. durchgebrochen war
und allenthalben Metastasen veranlasst hatte. Der Nierentumor
und die Metastasen zeigten mikroskopisch unleugbare Aehnlich-
keit mit Geschwulstknoten in den Myomen und V o i g t hält es
für sehr naheliegend, den Ursprung auf eine gemeinsame Basis
zurückzuführen, nämlich auf Reste der Urniere, welche in der
Niere und im Uterus eingeschlossen waren und zum Ausgang für
die gleichen malignen Neubildungen wurden.
7) Georg Fleck: Beitrag zur Aetiologie der Hydrorrhoea
gravidarum. (Aus der k. Universitäts-Frauenklinik in Göttingen.
Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Runge.)
Bei einer 30 jährigen VT. Gravida trat im 4. Monat der
Schwangerschaft plötzlich Abgang von blutig wässeriger Flüssigkeit
ein und von da ab bestand kontinuierlich wTässeriger Ausfluss, zu¬
letzt mit häufiger Blutbeimengung. Nach spontaner Geburt des
lebenden Kindes und der Plazenta zeigte sich eine Placenta mar-
ginata. die Eihäute waren nur im Bereich der Plazenta erhalten,
so dass die Eihöhle nur eine tellerförmige Schüssel darstellte. Die
Frucht hatte sich also in der nackten und offenen Uterushöhle
bis zur Reife entwickelt. Wohl infolge der Raumbeschränkung
hei mangelndem Fruchtwasser zeigte das Kind Kontrakturen der
Flexoren.
8) Richard v. Braun-Fernwald: Zur Aetiologie, Dia¬
gnostik und Therapie der Extrauteringravidität.
Die zahlreichen Theorien über die Aetiologie der Extrauterin¬
gravidität werden kritisch besprochen; wahrscheinlich wirken ver¬
schiedene Ursachen zusammen. Zumeist wird die Extrauterin¬
gravidität durch Blutung vorzeitig unterbrochen, wobei das Ei ent¬
weder in der Tube liegen bleibt oder aus derselben austritt, dabei
ist der Tubenabort weit häutiger als die Ruptur. Die Diagnose
kann in jedem Stadium die grössten Schwierigkeiten bereiten und
die Unterscheidung zwischen Ruptur bezw. Abort und akut ein
Ileus kann unmöglich sein. Die Therapie wird in neuester Zeit
wieder etwas konservativer, doch erscheint die dabei gegenüber
der Patientin übernommene Verantwortung in gewisser Hinsicht
grösser als bei operativem Vorgehen, da die Erfolge der Operation
vorzügliche sind. Für die Operation empfiehlt Br. den abdomi¬
nellen Weg; in unkomplizierten, frühen Fällen operiert er vom hin¬
teren Scheidengewölbe aus. Nach Laparotomie leistete das Ein¬
giessen von warmer, steriler Kochsalzlösung in die Bauchhöhle
wiederholt gute Dienste. Mitteilung von 17 eigenen Beobachtungen.
Anton H e n g g e - Greifswald.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 34 u. 35.
No. 34. 1) A. Theilhaber- München: Ein neues Spe¬
kulum.
Nach Aufzählung der Nachteile der- gewöhnlichen Spekula be¬
schreibt Th. das von ihm angegebene Modell, welches eine Nach¬
bildung des kurzen B a n d 1 sehen Spekulums ist, aber einige Modi¬
fikationen aufweist. Das Spekulum ist vorn 10, hinten 12 cm lang,
trichterförmig gebaut, da die äussere Oeffnung 1 — 12 cm weiter als
die innere ist, und wird aus Milchglas und Hartgummi angefertigt.
Zu haben bei M e t z e 1 e r in München.
9. September 1902.
MtTENCIIENER MEDICINISCHE
WOCHENSCHRIFT.
1515
t“\P- H a S en-Torn: Was ist intraabdomineller Druck?
n. Meyer hat vor kurzem (ref. in dies. Wochensehr 1902 No 23
p 975) den intraabdominellen Druck für ein Phantasiegespenst’ er-
klart. H ist anderer Ansicht. Er betont die Wichtigkeit der
Körperhaltung — ob horizontal oder aufrecht — für die Versuche
und halt einen beständigen allgemeinen Druckwechsel in der
Bauchhöhle für erwiesen; für gewöhnlich ist der Druck positiv er
kann aber auch negativ werden. Nach II. ist der positive intra-
abdominelle Druck die alleinige Ursache der Hernienbildun-- Vis
Ausgieichsmitte1 der Druckdifferenzen dienen das Omentum, das
Gefassnetz der Bauchhöhle, die Appendices epiploicae und die Ver-
la gerungsf ähigkeit der Darmschlingen.
No. 85. 1) L. Knapp -Prag: Zur Kasuistik des Accouche-
ment force unter Anwendung von B o s s i s Dilatator.
Der von Leopold unlängst warm empfohlene Dilatator von
Rossi (cf. diese Wochensclir. 1902, No. 20, p. 848) wird auch von
1\. sehr gerühmt. K. berichtet über eine Erfahrung an einer mori¬
bunden 28 jährigen Phthisika, wo der Muttermund für knapp
” mgei durchgängig war und bei der es in 7 Minuten gelang
denselben völlig zu eröffnen. Die Frucht war allerdings tot. Die
( lesamtdauer der künstlichen Entbindung belief sich auf nur
10 Minuten.
IV. meint, dass der Kaiserschnitt sich hierdurch besonders bei
Eklampsie, in Agone und plötzlichen Todesfällen Gebärender we¬
sentlich einschränken lassen wird.
2) F. A li 1 f e 1 d - Marburg: Die Zukunft unseres Heb¬
ammenstandes.
A. klagt über die Mängel der jetzigen Hebammenschülerinnen.
P’ unteiw irft die ihm vom Kreisarzt als geeignet überwiesenen
Schülerinnen nochmals einer geistigen und körperlichen Prüfung,
ln einer IG jährigen Zusammenstellung fand er reichlich ein Vier¬
teil. das den einfachen Forderungen nicht genügte. A. hält die
Forderungen, die Hebamme müsse aus dem Dorfe selbst sein und
jeder Ort müsse seine eigene Hebamme haben, auf die Dauer nicht
mehr für haltbar. A. verlangt überall Berufshebammen und
wünscht, dass das Hebammenwesen der Provinzialverwaltung
wieder genommen und einer Abteilung des Ministeriums der me-
diziniselien Angelegenheiten unterstellt würde.
8) Jahreiss - Augsburg: Zwei vaginale Kaiserschnitte bei
Eklampsie.
.. ^ 011 den beiden nach Dührssens Methode operierten
Fallen verlief der erste günstig, der zweite letal.
4) V . Grusde w- Kasan: Urethroplastik nach der Idee von
Subbotin in der gynäkologischen Praxis.
Die \ on Subbotin sehr geistvoll erdachte Operation zur
Beseitigung der Epispadie und Ektopie der Harnblase beruht auf
dem Prinzip, die untere Partie des Rektums der Länge nach bis
zum Anus abzugrenzen, dies Abgrenzungsgebiet mit der Blase zu
verbinden und damit eine komplementäre Harnblase resp. eine
neue, vom übrigen, fäkalen Teil des Rektums gesonderte und mit
eigenem Sphinkter versehene Urethra zu bilden. Das Resultat der
von S. operierten Fälle, wobei das Steissbein reseziert wurde, war,
dass der urethrale Teil des Rektums vom fäkalen völlig ab¬
gesondert blieb; die Patientinnen schieden nach der Operation
den Urin von den Fäzes gesondert ab, wobei beide willkürlich
zurückgehalten werden konnten.
G. hat die Operation auch auf die gynäkologische Praxis aus¬
gedehnt, speziell auf mit grösseren Zerstörungen der Urethra ein¬
hergehenden Vesikovaginalfisteln. Hierbei konnte er die Exzision
des Steissbeins und Durchschneidung der hinteren Rektalwand ganz
umgehen. Seine Operation ist eine Kombination der Episiokleisis mit
dei 8 u b b o ti n sehen Urethroplastik, deren Beschreibung jeder Chi¬
rurg und operierende Gynäkolog im Original nachlesen muss. Den
Zugang zum Operationsgebiet erreichte G. durch einfache Erweite-
lung des Analrings. In dem von ihm operierten sehr komplizierten
Falle handelte es sich um eine grosse Blasenscheiden- und kleine
Rektovaginalfistel, hochgradige Strikturen der Vagina, völlige Zer¬
störung der Harnröhre und Cystitis nebst Pyelitis. Es gelang G.
in 8 glänzend durchgeführten Operationen, die Patientin von
ihren Beschwerden zu befreien.
Die Subbotin - Grusdew sehe Operation dürfte als eine
wertvolle Bereicherung der plastischen Chirurgie anzusehen sein.
J a f f e - Hamburg.
Archiv für Kinderheilkunde. 34. Bd., 3. u. 4. Heft.
J. A. Schabad: Die Diphtherie und der Diphtheriebazillus
bei Scharlach. Beitrag zur Kombination des Scharlachs mit Di¬
phtherie. (Aus dem Peter-Paulhospital in St. Petersburg.)
Umfangreiche Arbeit, welche die Komplikation von Scharlach
mit Diphtherie behandelt; dieses Zusammentreffen kann in jedem
Zeitpunkt der Scharlacherkrankung eintreten; gesichert ist die
Diagnose nicht nur durch Vorhandensein von Diphtheriebazillen,
sondern es müssen auch klinische Diphtheriesymptome vorhanden
sein. Die Virulenz der bei Scharlach gefundenen Diphtherie¬
bazillen ist eine sehr verschiedene; manchmal scheinen sie auch
nls Saprophyten ohne besondere pathologische Bedeutung bei
Scharlach vorzukommen.
A. Tobeitz: Zur Pathologie und Therapie des Scharlachs.
(Aus dem Laboratorium der Grazer mediz. Klinik.)
T. wendete — angeregt durch Pujador — bei Scharlach
innerlich das Oleum therebinthinae rectif. bis 25 Tropfen pro die
an und fand diese Medikation prophylaktisch gut zur Verhütung
von Albuminurie und Nephritis; wo diese Affektionen schon be¬
standen, horten sie nach Darreichung des Mittels auf. Schädliche
Nebenwirkungen, etwa auf die Niere selbst, kamen nicht zur Be¬
obachtung; die günstigen Befunde können auch nicht durch Zufall
<x ei geringe Infektiosität der Epidemien erklärt werden sondern
scheinen dem Mittel zuzuschreiben zu sein. _ Ferner untersucht*'
1., ob, wie von E r vant behauptet worden, das Auftreten von
Pepton im Harn von Scharlachkranken immer auf Komplikationen
hin weise und daher prognostisch ungünstig sei; er kommt aber
dazu, diese Frage zu verneinen und dem Auftreten von Pepton
im Harn eine prognostische Bedeutung abzusprechen.
tt , 11 1 m a 11 11 " Osnabrück und Pritzsche - Landsberg-
Ueber Sauglmgsernährung. (Aus der Provinzial-IIebainmen-
lehranstalt zu Osnabrück.)
Ol© Verf. behandeln die Diätetik und Verdauungsphysiolog-ie
des Säuglings. Sie erklären sich als Gegner der von Sch le -
Singer u. a. vertretenen Ernährung mit Vollmilch von Anfang
an, aber auch als Gegner der zu grossen Milchverdünnungen mil
Wasser. Sie beginnen mit Milch und einer GOprom. Milchzucker¬
lösung zu gleichen Teilen, steigen alsbald mit dem Milchzusatz
und kommen im Lauf des 4. Monats auf Vollmilch. Im 7. Monat
kommt dazu Fleischbrühe und Amylaceen. Zahlreiche physio¬
logische und andere Details, Tabellen sind im Original nachzu¬
sehen.
W . P. Shukowsky: Angeborener syphilitischer Pem¬
phigus ohne Affektion der Fussohlen und Handteller. (Aus der
Kinderabteilung der Gebäranstalt zu St. Petersburg.)
Krankengeschichte eines Falles mit Sektionsbefund; es han¬
delte sich bei einem Neugeborenen um angeborene Syphilis; am
Rumpf und den Extremitäten bestand hochgradiger Pemphigus.
Handteller und Fussohlen waren davon frei geblieben, während
sonst das Befallensein gerade dieser Partien mit Pemphigus bei
kongenitaler Lues die Regel bildet.
Johann Landau- Krakau : Geschichte des St. Ludwig¬
kinderspitals in Krakau, umfassend den 25 jährigen Zeitraum
vom Jahre 1876 — 1900.
' S. A. v a n L eer: Einige Formeln für das Kindesalter.
Mehrere medizinisch-mathematische Formeln für Durch¬
schnittsberechnung von Längen- und Gewichtsmassen.
Referate. Lichten stein - München.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 56. Bd. Heft 1 u. 2.
1) F. So et beer: Ueber Phosphaturie. (Aus der Kinder¬
klinik zu Heidelberg.)
Die Phosphaturie des G jährigen Mädchens beruhte auf einer
extrem verstärkten Ilarnkalkaussclieidung bei entsprechender
Fäzeskalkverminderung. Schmerzattacken des Unterleibes, Diek-
(larmkatarrh, Hambeschaffenheit und Ernährungsstörung kenn¬
zeichnen die Phosphaturie.
2) J. S c h o e d e 1 - Chemnitz: Einseitige Bildungsfehler der
Blustwandung und der entsprechenden oberen Gliedmasse.
Zu kurzer Wiedergabe ungeeignet.
3) M. A dam: Nahrungsmengen künstlich ernährter Kinder
nebst einem neuen Vorschlag zur Nahrungsmengenberechnung.
(Aus der Universitäts-Kinderklinik in Graz.)
Verf. bestimmt nach dem Vorgehen seines Lehrers Esche-
r i e h die tägliche Nahrungsmenge des Säuglings derart, dass er
% des dem Alter nach ihm zukommenden Volumens von Gaert-
n e r scher Fettmilch mit seinem Gewicht multipliziert und den
zur Erreichung des ganzen Volumens nötigen Rest als Gproz.
Zuckerlösung zufügt. Durch verschieden starken Eiweissgehalt
sind alle Variationen zwischen vorsichtiger und kräftiger Er¬
nährung dabei leicht durchzuführen.
4) Gonser: Ueber akute Osteomyelitis im Kindesalter mit
besonderer Berücksichtigung der Endresultate. (Aus dem Kinder¬
spital in Basel.)
Zu kurzer Wiedergabe ungeeignet.
5) Nord li e i m : Beobachtungen an einem natürlich ge¬
nährten Kinde.
Durch den Umstand, dass dem Säugling die Bestimmung der
Grösse der Mahlzeiten wie der Pausen im wesentlichen ganz über¬
lassen blieb, gewinnt die an und für sich interessante Beobachtung
besonderes Interesse.
G) Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin: a) Wiehu r a:
2 Fälle von Anencephalie.
Im Anschluss an 2 Fälle aus Heubners Klinik werden
die Aetiologie dieser Missbildungen und deren Lebenserschei¬
nungen besprochen. (Mit 5 Abbildungen.)
b) O 1 o f f : Erfahrungen über die B ü 1 a u sehe Aspirations¬
drainage bei der Behandlung eitriger Brustfellergüsse.
Von 15 Fällen heilten 7 nach durchschnittlich 58 Tagen. Verf.
ist geneigt, in der Heberdrainage für viele Fälle einen Ersatz der
Rippenresektion zu sehen.
c) S kor min: Ueber die verschiedenen Formen des Ikterus
im Säuglingsalter.
Dieselben werden nach ätiologischen Gesichtspunkten behandel t
nls gutartiger hämatogener I. neonatorum, I. septicus, Winc köl¬
sche Krankheit, intestinaler Infektionsikterus. I. pleiochromicus.
I. catarrhalis, I. toxieus, I. bedingt durch akute Leberatroph io,
I. durch kongenitale Anomalien der Gallengänge, r. durch Peri¬
phlebitis congenita.
7) S c h o e n - L a d u i e w s k i - Lemberg: Ueber Kalomel in
der Kinderheilkunde.
1516
No. 36.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Yerf. will „als Epigone des unsterblichen T müsse au auf-
treten“, um den guten Huf des Kalomel zu rehabilitieren, da zum
grössten Schaden der leidenden Kinderwelt der Kalomel in Ver¬
gessenheit geraten könnte. Er empfiehlt ihn als Desinfiziens des
Verdauungsapparates, als ableitendes Mittel, obwohl er dabei „nie
einen eklatantem Erfolg gesehen“, ferner als Diuretikum, Anti-
syphilitikum und Ophthalmikum. Hei der \ erabreichung von
Kalomel rät Verf. 2 stündlich nach dem Pulver einen Kaffeelöffel
Kali ehloricum (1 — 2 proz.) nehmen zu lassen (!). Pie Wirkung
scheint ihm „eine im Magen und Darin üusserst stark bakterizide
und antifermentative“ zu sein (!!). Selbst der Ductus clioledochus
wird durch Kalomel gründlich desinfiziert (!!!). Die Wirkung
des Kalomel ist vielfach so eklatant, rasch, sicher, „dass sie
geradezu an das Wunderhafte grenzt“.
8) A. Horst: Erstickung durch Aspiration nekrotischer
Massen aus einer perforierten, tuberkulösen trachealen -L.ym.pli-
drüse. . ,
Kleine Mitteilungen: Steinhardt- Nürnberg: Ein
Fall von Hemia ventralis lateralis congenita.
V ereinsberi c h t. L i t e r a t u r b e r i c h t.
Carl Gerhardts Werden und Walten von H e u b n e r.
Siegert- Strassburg.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 35.
1 ) E. v. N i e s s 1 - Leipzig: lieber Stauungserscheinungen
im Bereiche der Gesichtsvenen bei der progressiven Paralyse.
Verf. betont, dass bei Paralytischen sehr häufig eine
Cynnose des Gesichtes zu beobachten ist. Besonders wichtig ist
hiebei die Beteiligung der Augenlider in Begleitung einer mehr
oder minder ausgesprochenen Ptosis. Auf diese Erscheinungen
legt Verf. ein ziemlich hohes diagnostisches Gewicht. Es können
allerdings auch andere Krankheiten mit der Cyanose des Gesichtes
einhergehen, doch ist das Zeichen ein Wink, an progressive Para¬
lyse zu denken. Das Wesen der letzteren fasst N. auf als eine
Gefässlähmung der verschiedensten Aetiologie.
2) J. M orgenroth und H. Sach s- Frankfurt a. M.: Ueber
die quantitativen Beziehungen von Amboceptor, Komplement
und Antikomplement.
Eignet sich nicht zu kurzem Auszug.
3) O Z e 1 1 e r - Berlin: Beitrag zur Chirurgie der, Gallen¬
wege. ,
Einige von Verf. gemachte Beobachtungen sind geeignet, die
Schwierigkeiten der Differentialdiagnose zwischen obturierendem
Verschluss des Ductus clioledochus oder Kompression des Ganges
von aussen, etwa durch eine bösartige Neubildung des Pankreas
oder Narbenstränge zu beleuchten. VTie einer der mitgeteilten
Fälle zeigt, gelingt es auc h nach e. Laparotomie nicht immer,
einen im Duktus sitzenden Stein zu finden. Sobald nun in einem
Kalle die Ursache des Choledochusverschlusses nicht erkannt wer¬
den kann, wählt Verf. zur Sondierung jetzt stets den W eg vom
Duodenum und der Papille her, indem er quer zur Längsrichtung
des Darmes, genau in der Mitte des absteigenden Duodenumteiles
einschneidet und dann die Sondierung der Papille vornimmt. Verf.
gibt eine Krankengeschichte, aus der der Nutzen des Verfahrens
ersehen werden kann. Ferner wird ein E all berichtet, clei untei
der Wahrscheinlichkeitsdiagnose „Choledochusverschluss durch
einen eingeklemmten Gallenstein“ zur Operation kam, wo es sich
aber um einen Leberkrebs handelte. Bei der Operation des b alles
wurde die Vena portae verletzt, die Kranke starb 3 Stunden nach
dem Eingriff.
4) H. S trau ss -Berlin: Zur Erage der Beziehungen zwi¬
schen perniziöser Anämie und Magendarmkanal.
Verf. hat in 10 Fällen von perniziöser Anämie das Verhalten
der Leukocyten in der Magenschleimhaut untersucht und fand in
der Hälfte derselben eine starke, 2 mal eine mittelstarke Ver¬
mehrung, 3 mal keine ausgeprägte Veränderung. Eine bestimmte
Beziehung zum Verhalten des Drüsenparenchyms konnte nicht
festgestellt werden. Der Befund kann in eine gewisse Parallele
zur Lymphocytenvermehrung im Blute bei Fällen von perniziöser
Anämie gesetzt werden. Im 2. Teile seiner Arbeit berichtet Verf.
über den Einfluss künstlich erzeugter Koprostase auf die Blut-
zusammensetzung. Bei den an Kaninchen vorgenommenen Ver¬
suchen konnte ausser leichter Vermehrung von Leukocyten keine
auffallende Abweichung vom normalen Blutbild gefunden werden.
Die hämolytische Kraft des Serums zeigte bei chronischer Ob¬
stipation am Menschen keine Unterschiede gegenüber Nicht-
obstipierten. In Bezug auf die Entstehung perniziöser Anämie
bei chronischen Erkrankungen des Magendarmkanals ist Verf. der
Ansicht, dass eine individuelle Disposition die Hauptrolle spielt,
wenn sie auch noch nicht wissenschaftlich definiert weiden kann.
Die praktischen Erfolge einer Diätbehandlung der perniziösen
Anämie sprechen für einen Zusammenhang zwischen der Krank¬
heit und dem Zustande des Magendarmkanals.
5) Mircoli und S o 1 e r i - Genua: Ueber den Stoffwechsel
bei Tuberkulösen.
Die reinen Tuberkulösen zeigen in der ersten progressiven
Phase der Krankheit bei geringer Tendenz zur Produktion von
autitoxischen Erscheinungen und von bindegewebigen Sklerosen
die tiefsten Mittelzahlen von Harnstickstoff; bei den Formen mit
Tendenz zur Abgrenzung sind die Mittelzahlen höher; bei der sog.
Pyotuberkulose-Komplikation mit Staphylo- und Streptokokken-
näliert sich der Stickstoff wert den normalen Mittelzahlen. Tiefer
1 1 a rnstickstoffprozentsatz bedeutet daher das Bestehen einer reinen
latenten Tuberkulose. Grass mann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 35.
1) Bai sch -Tübingen: Ueber die Gefährlichkeit der
T a v e 1 sehen Kochsalzsodalösung bei subkutaner Anwendung.
(Schluss folgt.)
2) W. Weich ardt- Dresden: Experimentelle Studien über
die Eklampsie.
Verf. geht von dem Gedanken aus, dass der Mangel an Anti¬
toxin gegen die aus den Syneytialzellen frei werdenden Gifte das
eigentlich Ausschlaggebende für die Genese der Eklampsie sei.
Einer Anzahl Kaninchen wurde unter aseptischen Kautelen am
Ohr von Blut vollkommen befreites, in physiologischer Kochsalz¬
lösung fein verteiltes menschliches Plazentargewebe von Zeit zu
Zeit injiziert, bis das Blutserum dieser Tiere, wie sich am hängen¬
den Tropfen leicht nackweisen lässt, Plazentargewebe löste.
In derartigem syncytiolysinhaltigen Kaninchenserum wurde
wiederum blutleeres " menschliches Plazentargewebe durch Ver¬
reiben sorgfältigst verteilt und je 1 ccm dieser Emulsion unter
aseptischen Kautelen kräftigen weiblichen Kaninchen an der Ohr
wurzel injiziert. Durch das Syncytiolysin waren die Syneytial¬
zellen aus ihrem Molekularverbande gelöst und die jetzt frei
werdenden Toxine waren in so grosser Menge vorhanden, dass
die normalerweise vorhandenen Antitoxine des Kaninchenorganis¬
mus zu ihrer Sättigung nicht genügten.
Während 6 Kaninchen die Injektion reaktionslos ertrugen,
starben 3 von den Tieren unter Krämpfen, und zwar stets nach
einer Latenzzeit von 3 Tagen.
In den Kaninchenleichen waren alle die für Eklampsie charak¬
teristischen Erscheinungen nachweisbar: anämische und hämor¬
rhagische Lebernekrosen, Thrombosen kleinerer Gefässe und
albuminös getrübte Nierenepithelien.
3) A. Blumenthal - Berlin: Typhus ohne Darmerschei-
nung’en.
Nach einem im Verein für innere Medizin am 28. April 1902
gehaltenen Vortrag. Referat hierüber siehe diese Wochensclir.,
No. 19, pag. 815.
4) II. Neumann-Berlin: Bemerkungen zur Barlow-
schen Krankheit.
Nach einem im Verein für innere Medizin am 16. Mai 1902
gehaltenen Vortrag. Referat hierüber siehe diese Wochensehr.,
No. 26, pag. 1114.
5) B. F i s c h e r - Bonn: Fremdkörper in der Herzwand und
Karies der Wirbelsäule bei einem 13 jährigen Knaben.
Kasuistische Mitteilung nach einem in der Sitzung der Nieder-
rheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde am 17. Fe¬
bruar 1902 gehaltenen Vortrag mit Demonstration.
6) J. Marek- Ofen-Pest: Ueber die Enstehungsweise der
Atemgeräusche. (Schluss aus No. 34.)
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet. (Die Arbeit wird
in extenso im Arch. f. wissenschaftl. u. prakt. Tierheilk. publiziert.)
7) V. Zangemeister u. M. Wagner: Ueber die Zahl
der Leukocyten im Blute von Schwangeren, Gebärenden und
W öchnerinnen.
Kurzer Nachtrag zu dem Aufsatz in No. 31.
8) H. C i t r o n - Berlin: Zur Technik der mechanischen Be¬
handlung des Hydrops.
Nach einem im Verein für innere Medizin am 16. Juni 1902
gehaltenen Vortrag. Referat hierüber siehe diese Wochenschr.,
No. 26, pag. 1114. Lacher- München.
f AA' .
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 35. 1) E 1 s c h n i g - Wien: Diagramm der Wirkungs¬
weise der Bewegungsmuskeln des Augapfels.
E. hat das Schnabel sehe Diagramm in der Weise ver¬
ändert, dass die Abhängigkeit der Wirkung jeden Muskels von der
Stellung des Auges aus dem Diagramm sofort erkannt werden
kann. Bezüglich des Diagramms selbst ist die im Original ge¬
gebene Zeichnung zu vergleichen.
2) L. Harm er- Wien: Klinik der Oesophagoskopie.
Verf. berichtet über die an 50 Fällen gemachten Erfahrungen
unter eingehender Darstellung der Technik des Verfahrens, wie
es an der Klinik von Chiari geübt wird. Es werden immer die
M i li u 11 c z sehen geraden Röhren verwendet, welche bei
sitzender Stellung des Kranken eingeführt werden, während die
Untersuchung selbst in Rückenlage des Patienten gemacht wird,
nachdem vorher der Kehlkopfeingang anästhesiert worden ist. In
den 6 Fällen, wo wegen Fremdkörpern untersucht wurde, konnten
dieselben jedesmal mit der Pinzette entfernt werden, ohne dass
Verletzungen gesetzt wurden. Schwieriger erweist sich natürlich
die Entfernung der Fremdkörper, welche in strikturierten Stellen,
wie sie durch Laugenverätzung bewirkt werden, sitzen. Bei
10 Fällen handelte es sich um Fremdkörpergefühl, wenigstens
konnte ein Fremdkörper faktisch nicht aufgefunden werden. In
11 Fällen wurde ein Karzinom der Speiseröhre mittels des In¬
strumentes beobachtet. Doch kann auch auf diesem Wege die
Diagnose des Karzinoms nicht immer sicher gestellt werden.
1 mal wurde Hautemphysem nach geringfügiger Verletzung der
Oesophagusschleimhaut beobachtet.
3) H. H a berer- Wien: Ueber einen seltenen Fall von Spät¬
rezidiv nach Karzinom. ....
Mitteilung eines Falles, in welchem bei einem 75 jährigen
Manne, der vor 14 Jahren wegen eines Unterkieferkarzinoms in
9. September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1517
der B i 11 r ot li sehen Klinik operiert worden war, neuerdings ein
Karzinom der linken Mundhöhlenhälfte zur Beobachtung gelangte.
Yerf. kommt zur Anschauung, dass es sich hier tatsächlich um
ein nach dieser langen Zeit aufgetretenes Spätrezidiv von Kar¬
zinom handle. Grassmann-München.
Italienische Literatur.
Ardissone: Ein Fall von Persistenz des Foramen Botalli.
(II Morgagni, Juli 1902.)
Zur Kasuistik der obigen Anomalie führt A. einen Fall an,
in welchem die Trägerin ein Alter von 78 Jahren erreichte, und
doch handelte es sich um eine elliptische Oeffnnng von 11 und
5 mm Durchmesser. Das Herz zeigte sich in allen Dimensionen
enorm hypertrophisch und das Myokard fettig degeneriert. Die
Diagnose lautete: Mitralinsuffizienz, relative Insuffizienz der Tri-
cuspidalis, Persistenz des Foramen ovale.
Das bemerkenswerteste Zeichen bei der Auskultation war am
Ra n d e der Sternalinsertion der linken 3. Rippe
ein präsystolisches Geräusch, welches sich
langsam abschwächte nach der Spitze hin,
während es in transversaler Richtung deutlich blieb. Dieser Be¬
fund, im Verein mit der hochgradigen Cyanose erleichterte die
Diagnose.
Villani: Bemerkungen zur Semiotik des Herzens. (II
Morgagni, Juni u. Juli 1902.)
So lautet der Titel der umfang- und inhaltreichen, aus der
inneren Klinik Bolognas hervorgegangenen Arbeit, deren Inhalt
wir hier nur kurz zu skizzieren vermögen.
Ein grosser Teil derselben ist der Ausbildung der Unter¬
suchungsmethoden gewidmet; namentlich betont V., wie die dor¬
sale Untersuchungsmethode die Differentialdiagnose der Herz¬
geräusche erleichtert.
So z. B. soll das systolische Geräusch, welches durch arterio¬
sklerotische Dilatation der Aorta ascendens entsteht, im Gegensatz
zum Geräusch der Aortenstenose selten im Rücken abwärts an der
Wirbelsäule zu hören sein, sondern nur an einer mehr um¬
schriebenen Stelle der Fossa supraspinata dextra.
Auch das durch Anämie bedingte Herzgeräusch, welches seine
grösste Intensität über der Pulmonalarterie hat, ist im Rücken und
an der Y\ irbelsäule nicht zu hören, nur in der Fossa supraspinata
sinistra, dem obersten Teil der linken Achselhöhle und ab¬
geschwächt weiter in der Linea axillaris. Auch bei allen übrigen
Geräuschen und bei den Affektionen des Myokardiums ist die
Dorsalauskultation ein nicht zu verachtendes Hilfsmittel zur
Diagnose.
Auch über die Spaltung des zweiten Tones resp. die Verdoppe¬
lung desselben bei Mitralstenose handelt der Verfasser ausführ¬
lich, ferner über die Wichtigkeit der Palpation eines Fremitus bei
gewissen Herzfehlern mit den Fingerspitzen. Eine Anzahl von
Krankengeschichten illustriert die Angaben und Beobachtungen
des Autors, von denen manche bisher in den Lehrbüchern über
Herzkrankheiten nicht gefunden werden dürften.
Dionisi: Ueber atheromatöse Fylephlebitis. (II policliuico
Mai 1902.)
Anlässlich der Beobachtung eines Falles von Pfortader¬
verkalkung im pathologisch-anatomischen Institut zu Rom
macht D. darauf aufmerksam, dass derartige Fälle geeignet sind,
die Anschauung Thomas von der Entstehung der
Arteriosklerose, i. e. dass dieselbe abhängig von
den mechanischen Bedingungen des Blutlaufs
sei, zu stützen.
Es handle sich in den Fällen von Pfortaderverkalkungen, ob¬
wohl dieselben fast immer mit entzündlichen Prozessen, Leber-
cirrhose oder chronische Peritonitis kombiniert Vorkommen, doch
nicht um eine Fortleitung der Entzündung auf die Intima, son¬
dern diese Fortleitung erstrecke sich nur auf die Adventitia. Die
Muskularis der Gefässe zeigt keine Zeichen von Entzündung und
die Hyperplasie der Intima ist abhängig von der Stasis und Druck¬
erhöhung in der Pfortader.
Zanaldi: Heroin soll blutdruckerniedrigend wirken. (Gaz-
zetta degli ospedali 1902, No. 51.)
Es empfiehlt sich dasselbe in all’ den Fällen, wo man bei ab¬
norm erhöhtem Blutdruck ein Ersatzmittel für das Morphium
sucht. Die Erniedrigung des Blutdrucks tritt meist erst nach
24 Stunden ein; sie beträgt über 10 mm.
De Renzi: Ueber Diabetes. (Gazzetta degli ospedali 1902,
No. 60.)
In einer von F i 1 1 i p a 1 d i registrierten Vorlesung über Dia¬
betes betont der Neapolitaner Kliniker die Beteiligung des
Rückenma r k s bei dieser Krankheit. Dieselbe geht von ein¬
facher Schwäche, Fehlen der Reflexe, gewissen unwillkürlichen,
automatischen Bewegungen der unteren Extremitäten bis zu Läh¬
mungen, schweren Störungen der Sensibilität, Dissoziation der
Empfindungen. Das Rückenmark kann, wie auch experimentell
an diabetisch gemachten Tieren festgestellt wurde, bei Diabetes
Befunde wie bei Syringomyelie bieten.
Ferner betont De Renzi, dass, trotzdem das legitime Ende
mancher Diabetiker an Tuberkulose zu erfolgen scheine, doch diese
Kranken sich fast einer gewissen Immunität gegen
den Bazillus Koch zu erfreuen scheinen. Auf dem Sektions¬
tisch hat man mikroskopisch oft das Bild der Tuberkulose; es
fehlen aber miliare Tuberkel und die Kulturen aus dem Kaveruen-
nihalt ergeben meist den Diplococcus Fränltel, fast nie den
K o c li sehen Tuberkelbazillus.
P a n c i n i und B e n e n a t i: Ueber einen Fall von
Addison scher Krankheit mit Schwellung der Thymusdrüse,
Hyperthrophie der Glandula thyreoidea und Glandula pituitaria.
(II policliuico, April u. Mai 1902.)
1 on der umfassenden Abhandlung der Autoren über das
Thema Morbus Addison interessiert am meisten die Erörterung
der Frage der Pigmentbildung. Mit Waldeyer, Schwalbe,
K a p o s i und Port vertreten die Autoren den Standpunkt,
dass das Pigment nicht aus dem Blutpigment
stammt, sondern ein Produkt der Zellen des Rete
M a I p i g h i i s t. Es wird durch eine exzessive Tätigkeit des
Protoplasmas dieser Zellen erzeugt. Da es von dieser seiner
Bildungsstätte durch die Blutbahn weggeschafft wird, so erklärt es
sich, wie man bei Addison gelier Krankheit Pigment in den
Lymphdrüsen und in seltenen Fällen auch in inneren Organen
findet.
Wie ist die unleugbare Beziehung zwischen der Pigment¬
produktion der M a 1 p i g h i sehen Zellen und der Nebennieren¬
läsion aufzufassen?
Das Pigment ist vielleicht als ein Produkt innerer Sekretion
der Zellen aufzufassen und hat die Bedeutung, einen Schutz zu
gewähren gegen die Lichtstrahlen und noch mehr gegen die che¬
mischen Strahlen. Vielleicht ist die übermässige Ausscheidung
dieser Produkte als toxisch wirkend aufzufassen: die toxischen
Produkte werden ins Blut resorbiert und durch die Nebennieren
entgiftet und unschädlich gemacht.
Ein aus der Nebenniere dargestellter Parenchymsaft enthält
ein Chromogen, welches an der Luft eine karminrote Färbung
annimmt und nach Krukenbe r g Reaktionen bietet wie das
Brenzkatechin. Der Nebennierensaft experimentell Fröschen in¬
jiziert bleicht die Haut derselben und in einigen Fällen von
Addison, welche mit Nebennierensaftinjektionen behandelt wurden,
hat man die dunkle Hautfärbung sich merklich aufhellen sehen.
Andere Erfahrungen scheinen mehr für eine Art Kompensations¬
verhältnis zwischen M a 1 p i g h i sehen Zellen und ihrer Pigment¬
bildung und der Neibennierentätigkeit zu sprechen. In manchen
Fällen von Addison kommt es nicht zu Melanodermie und solche
Fälle zeichnen sich nach Greenhow durch eine ganz rapide
Entwicklung der allgemeinen und zum Tode führenden Sym¬
ptome aus.
O e c o n i und F ornaca: Ueber Diplokokkämie mit Spät¬
lokalisation in der Lunge. (Gazzetta degli ospedali 1902, No. 54.)
Zu der Frage: Ist die Eintrittspforte des infektiösen Agens
bei Pneumonie das Blut oder sind es die Luftwege? bieten die
Autoren aus der B o z z o 1 o sehen Klinik in Turin in vorstehender
Beobachtung einen beachtenswerten Beitrag. Pier a cini und
B a n t i sind diejenigen italienischen Autoren, welche f ü r
den Infektion s m odus durch die Blutbahn am
lebhaftesten eingetreten sind und ihn im Gegensatz
zu dem auf dem Wege der Atmung nicht nur für den häufigen,
sondern wahrscheinlich für den ausschliesslichen halten.
Longo: Bakteriologischer Befund in einem Falle von
Noma. (II policliuico 1902, Mai.)
L., Assistent an der Kinderklinik zu Rom, hat die Zahl der
für Noma als ätiologisch hingestellten Mikroorganismen um einen
neuen vermehrt. Derselbe soll grosse Aehnlichkeit mit Proteus
vulgaris, auch mit dem von B a b e s als ätiologisch angesehenen
Pilze haben und ferner soll er ausgedehnte Nekrosen erzeugen,
auch in Bezug auf Begleitsymptome beim Versuchstier die meiste
Aehnlichkeit mit dem Krankheitsverlauf bei Noma bieten.
C li i a d i n i: Wie lange erhält sich ein Diphtherieheilserum
wirksam? (Gazzetta degli ospedali 1902, No. 60.)
Nach den von C. im pharmakologischen Institut zu Bologna
an verschiedenen Serumarten, auch dem Behring sehen, an-
gestellten Prüfungen sind nach einer Dauer von 4 Jahren die
Antitoxine des Serums unwirksam, mit 3 Jahren ist die Kraft
derselben schon erheblich herabgesetzt. 2 Jahre lang kann
ein Sern m gut s ein e W irksamkeit b e w a h r e n, Ver¬
änderung der physischen Beschaffenheit (Trübung) braucht nicht
diese Wirksamkeit zu beeinträchtigen. Antiseptische Zusätze haben
auf die Wirksamkeit der Toxine keinen Einfluss. Das Licht und
Temperaturdifferenzen, wie sie für gewöhnlich in Betracht kom¬
men, schädigen die Wirksamkeit nicht.
Messedaglia und C o 1 e 1 1 i veröffentlichen aus der
inneren Klinik Paduas ihre Untersuchungen über den Gefrier¬
punkt der Galle. (II Morgagni, Mai 1902.)
Derselbe soll bei der frischen Rindergalle zwischen — 0,540
und — - 0,580 liegen.
Bei der Galle, welche aus 23 menschlichen Leichen kryo¬
skopisch untersucht wurde,, waren die Schwankungen bedeutend
grösser und die Autoren stellten als geringste Zahl A = — 0,630
und — 1,050 als grösste fest. Eine praktische Wichtigkeit dürfte
die Ivryoskopie der Galle wohl kaum beanspruchen.
Buonsanti: Zum Bericht der k. preussischen Kommission
zum Studium der Maul- und Klauenseuchenbehandlung nach der
Baccelli sehen Methode. (II policliuico 1902. Juni.)
Bekanntlich haben Löffler und Uhlen hut li (Deutsche
med. Woeliensehr. No. 14, 1902) die günstigen Erfolge der von
Baccelli inaugurierten intravenösen Sublimattherapie bei Maul¬
und Klauenseuche - nicht bestätigen können. B., Direktor der
Veterinärschule in Mailand, will in der vorliegenden Abhandlung
diese Frage der Wirksamkeit des Verfahrens nicht berühren,
sondern ihre Entscheidung der Zukunft überlassen; aber er wendet
sich gegen die in dem Bericht mehrfach wiederholten Angaben
von der Gefährlichkeit dieser Injektionen und beweist durch seine
1518
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
eigenen und andere Versuche, dass die Toleranz des Rindviehes
gegen diese Behandlungsart eine allgemeine ist. Läsionen, wie
sie (irawitz beschrieben habe, seien in der Tat der Maul- und
Klauenseuche eigentümlich und keineswegs dem Sublimat zuzu¬
schreiben.
Masini: lieber die Resistenz der Kolloidsubstanz der
Schilddrüse gegen Fäulnis in der Leiche. (11 policlinico 1902,
Juni.)
Der obige Autor berichtet aus dem Institut für gerichtliche
Medizin zu Kassa ri: Die Schilddrüse soll verhältnismässig schnell
der Fäulnis anheimfallen und sich innerhalb 12 — 13 Tagen bei
einer Temperatur von etwa 1.0° und in massig feuchtem Raum
vollständig auflüsen.
Dagegen widersteht die Ivolloidsu bst anz
d e m F iiulnisprozesse in gleich e in G r a d e w i <e die
f i b r i n ö sen Gewebe und gestattet noch lange
Zeit eine Identifizierung d e r Lei c h e.
Mazzarotto: Ein Fall von wahrer Superfötation.
(Gazzetta degli ospedali 1902, No. 54.)
In der Geburtskunde unterscheidet man bekanntlich zwischen
Superfoecundatio, i. e. Befruchtung mehrerer Eier derselben Ovu¬
lationsperiode durch verschiedene Coitus, und zwischen Super¬
fötation, i. e. der Befruchtung von Eiern verschiedener Ovulation
nacheinander. Für diese Superfötation gibt es nach M. keine oder
jedenfalls nur wenige gut beglaubigte Beispiele. M. bereichert
die Kasuistik um einen Fall prägnanter Art. Eine 42 jährige
VIII. Para gebar am 20. März ein gut ausgetragenes Kind von
3070 Gramm. Am 20. März während des Säugens trat eine Wehe
ein und es erfolgte die Geburt einer frischen, gut erhaltenen
Frucht, welche als eine 3 monatliche von M. konstatiert wurde.
Auffallend erscheint, dass der normal entwickelte Fötus 6 Tage
vor dem unvollkommen entwickelten ausgestossen wurde. Dafür,
dass es sich um eine wahre Superfoetatio handelte, spricht das
frische Aussehen der zweiten. 3 monatlichen Frucht.
M a s i redet der Beleuchtung durch Acetylengas in hygie¬
nischer Beziehung das Wort auf Grund von Experimenten, welche
er in den Annali d’igiene sperimentale 1902 veröffentlicht.
Diese Beleuchtung, welche sich seit dem Jahre 1895 in
Italien einer beständigen Zunahme erfreut, wie der Verbrauch von
Kalziumkarbid beweist, bietet gegen die anderen Beleuchtungs¬
arten folgende Vorzüge: Kie gibt ein weisses, ruhiges Licht, reich
an violetten Strahlen und dem Auge zuträglich. Den Sauerstoff der
Luft konsumiert sie in geringerem Grade als die anderen Be¬
leuchtungsarten mit Ausnahme des elektrischen Lichts. Sie er¬
zeugt weniger Kohlensäure und Wasserdampf als die anderen
Lichtquellen, ausgenommen die elektrische, ebenso weniger Wärme.
Sie erzeugt kein Ammoniak, keine salpetrige Säure, keinen
Schwefelwasserstoff (? Ref.), kein Kohlenoxyd. Die Explosions¬
gefahr ist die gleiche wie beim Gas und beim Petroleum (? Ref.).
Die Kosten sind geringer wie die der anderen Beleuchtungsarten;
zu ihrer Einrichtung bedarf es keiner besonderen Arbeit, da man
einen Gasometer in jedem. Kaum, am besten in einem offenen,
anbringen kann.
Die Erzeugung des Acetylens erfordert kein technisches Per¬
sonal. die Kosten der Einrichtung wie des Verbrauchs, auch der
Lampen und der Leitung sind ganz erheblich billiger als die bei
Gas und elektrischem Licht (? Ref.).
Hager- Magdeburg-N.
Inaugural-Dissertationen.
Universität Bonn. August 1902.
40. Blake .T. E.: Versuche über Vioform, mit besonderer Be¬
ziehung auf dessen möglichen Gebrauch als ein Ersatzmittel
für Jodoform in der konservativen Behandlung tuberkulöser
Gelenke.
41. Frank Moses: Ueber Trachealstenosen und deren Behand¬
lungsmethoden.
h2. van Husen Hermann: Beobachtungen über 200 Fälle von
progressiver Paralyse bei Männern.
43. Jungbluth Georg: Experimentelle Untersuchungen über
den Einfluss des Alkohols auf das putride Fieber.
44. Roe mer Theodor: lieber die Wendungsoperation nach der
Statistik der Bonner Frauenklinik.
45. Breli mer Karl: Ueber die operative Behandlung der Tu¬
moren des Kleinhirns.
40. I) ramm er Carl: Ueber radikale und konservative Therapie
bei Hodentuberkulose.
47. Günther Anton: Ueber Atresia ani.
48. Höynck Paul: Ein Fall von ischämischer Lähmung nach
Arterienverschluss mit anatomischen Untersuchungen der
Nerven und Muskeln.
49. Richter Heinrich: Behandlung der Strikturen der männ¬
lichen Harnröhre. Nach Kraukenmaterial der k. Chirurg. Uni¬
versitätsklinik in Bonn aus den Jahren 1895 — 1900.
50. Schwenker Otto: Beiträge zur Prognose und Therapie
schwerer Verbrennungen.
Universität Erlangen. August 1902.
10. S a k a m o t o Ikutaro: Ueber 2 Fälle von \V e i 1 scher Krank¬
heit.
17. C o n s t a n t i n i d e s Janko: Klinische Beiträge zur Kenntnis
der Dystrophia musculorum progressiva.
IN. Rad icke Paul: Schützt das Empyem vor Erkrankung an
Lungentuberkulose ?
19. Ham a j i W.: Ein Fall von doppelseitiger progressiver totaler
Ophthalmoplegie.
20. B e n c k e r Hermann: Cystennieren einer Missgeburt.
21. Fuchs Richard Friedrich: Zur Physiologie und Wachstums¬
mechanik des Blut gef ässystems. (II. Mitteilung.) Habili¬
tationsschrift.
22. En sl in Richard: Ein Beitrag zur Kasuistik der Darm-
invaginationen infolge von Darmtumoren.
23. Briigel Paul: Ein Fall von Pyämie im Anschluss au einen
subphrenischen Abszess bei chronischer Cholelithiasis.
24. Bi ekel man u Albert: Ueber angeborene Verschliessung des
Mastdarms und Afters und die Missbildungen im Bereiche des
inneren und äusseren Dammes.
25. Schütt Eduard: Allgemeine pharmakodynamische Wir¬
kungen von Toxinen und Fermenten.
Universität Halle. August 1902.
20. Bau in gar th Hans: Cor biloculare mit Dextrokardie.
27. Hövel Paul Clemens: Ueber Ulcus serpens corneae, seine
Ursachen und seine Folgen.
28. Loening Karl: Die Behandlung der Schussverletzungen des
Abdomen im Frieden und im Kriege.
29. Marquardt Lenz: Die Wirkung der Schwitzbäder bei
Lebercirrliose.
30. Na über t Carl: Ueber Elephantiasis unter Anführung eines
im S.-S. 1901 in der k. c-liir. Univ.-Klinik zu Halle a. S. beob¬
achteten Falles von Elephantiasis eruris sinistri lymphor-
rliagica.
31. Seyfferth Paul: Ueber die Prognose der Kolonkarzinome.
Vereins- und Kongressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 4. Juni 1902.
Vorsitzender : Herr 0. Fraenkel.
Herr Stieda berichtet über einen Fall von Atresia ani
praeputialis (mit Demonstration des Präparates).
Es handelte sich um einen 3 Tage alten Knaben, der in wenig
gutem Zustande in die chirurgische Klinik mit einem voll¬
kommenen angeborenen Darmverschl us s eingeliefert
wurde. Es zeigte sich bei bestehender Atresia ani an der Untei-
seite des Penis ein perlschnurartiger, geschlängelter Strang, der
prall gefüllt durch seine sehr dünne Wandung einen grünschwärz¬
lichen Inhalt durchschimmern liess, um am Präputialumschlage
mit einer kleinen knötchenförmigen weisslichen Anschwellung zu
endigen.
Es wurde eine pro ktoplasti sehe Operation aus¬
geführt, die ohne Schwierigkeit von Statten ging. Bei der Eröff¬
nung des strangartigen Gebildes an der Penisunterseite entleerte
sich Mekonium von demselben Aussehen, Avie aus der neu an¬
gelegten Afteröffnung. Man konnte ferner einen durch das Skro¬
tum nach dem Rektum hinziehenden Strang fühlen, und durch die
eröffnete Stelle am Strang bei Druck auf die Umgebung Mekonium
weiter austreten sehen. < _ .
24 Stunden post Operationen! erfolgte der Exitus letalis. Bei
der Sektion gelang es unschwer durch Sondierung einen Gang
nachzuweisen, der von der vorderen Zirkumferenz des Rektal¬
rohres durch das Skrotum hindurch zur Peniswurzel verlief, sich
hier in das Lumen des äusserlicli schon sichtbaren, ganz oberfläch¬
lich gelegenen Stranges an der Unterseite des Penis fortsetzte und
ohne in den Fräputialsaek einzumünden, blind endigte. Ausser
einem Offenbleiben des Foramen ovale und einer Durchgängigkeit
des Ductus Botalli bestanden keine angeborenen Anomalien,
linkerseits war eine Erweiterung des Ureters bis zu Bleistiftdicke,
sowie des Nierenbeckens A'orlianden, infolge Kompression durch
die sehr gefüllte und stark dilatierte Flexura sigmoidea.
Vortragender führt dann noch die verschiedenen bei Kindern
männlichen Geschlechtes bekannten Arten \ron Atresia ani mit
sogen, i n n e r e n (cum fistula A’esicali, uretlirali) und ä u s s e r e n
Fistel n (cum fistula perineali, serotali, suburethrali) auf und
glaubt für den A'orliegenden Fall von Atresia ani prae¬
putialis Unregelmässigkeiten bei der Dammbildung als Ent¬
stehungsursache annehmen zu müssen.
(Der Fall soll an anderer Stelle ausführlich Aviedergegebeu
werden.)
Herr Tschermak: Neueres über die Gliederung der
Hirnrinde.
Der Vortragende erinnert zuerst an die geschichtliche Ent¬
wicklung der Lehre, dass das Gehirn aus ungleichwertigen 1 eilen
zusammengesetzt sei, die Hirnrinde demgemäss eine funktionale
Gliederung nach sogen. Zentren aufweise. Er beschränkt sich
hier darauf, vorzüglich auf Grund der Forschungen Flech¬
sig s, die neueren Anschauungen über die tektonische
Gliederung (d. h. Gliederung nach Ursprung oder Endigung der
verschiedenen Fasersysteme) der menschlichen Hirnrinde und
deren Beziehung zur funktionalen Felderung zu besprechen.
Flechsigs myelogcnetisches Grundgesetz besagt, dass 1. die
9. September 19ÖÖ.
mttenchener mediciniscre Wochenschrift.
I asern eines und desselben Systems, also die Neuronen von homo¬
loger Beziehung nach Ursprung und Endigung, zu gleicher Zeit
ihre Markhülle erhalten; 2. die Markscheidenentwicklung vom
Zelleib (Perikaryon) entlang dem Achsenzylinder, also ccllulo-
fugal fortschreitet; 3. die Reihenfolge in der Markscheidenent¬
wicklung der verschiedenen Systeme eine gesetzmässige ist, wobei
die zentralaxonen Systeme im allgemeinen sich früher ent¬
wickeln als die distalaxonen. Ausgehend von seiner Entdeckung
bezüglich der Sehstrahlung und von seinen entwicklungs¬
geschichtlichen Studien an Rückenmark und Oblongata ist
i lechsig auf Grund eines Serienschnittmaterials von
43 Gehirnen, die 41 Stadien zwischen 8. Monat ante und 8'/> Mo¬
nate post partum repräsentieren — zur Aufstellung von 36 Rin-
denfeldem von typischer Lage, Ausdehnung (im Durchschnitt
20 ccm) und Reihenfolge gelangt.
Seine Zeittafel (vom Vortragenden wiedergegeben)
unterscheidet 3 chronologische Gruppen : X. 10 P r i m o r d i a 1 -
g e biete, welche bei der reifen Geburt überwiegend markhaltig
sind, II. 21 (No. 11 31) Intermediärgebiete, welche
sieh von der Geburt bis zum Schlüsse des ersten Monats ent¬
wickeln, III. 5 (No. 32 36) Terminal gebiete, welche erst
nach Ablauf des 1. Monates mit der Markbildung’ beginnen. Die
Primordialgebiete zeigen durchweg’s doppelsinnige Verbindung
mit der subkortikalen Region (durch zentralaxone wie distal-
axone Systeme). Die Summe der um die Zentralfurche gelegenen
Primoi dialgebiete deckt sich mit der von 0 li a r c o t klinisch
abgegrenzten Zone motrice, die um die Fissura calcarina ge¬
legenen mit der Sehsphäre Menschen s. Flechsig be¬
trachtet die Primordialgebiete als (sensorisch-motorische) Sinnes¬
sphären. Die Verwertung der entwicklungsgeschichtlichen Fel-
derung wird wohl zu einer feineren Abgrenzung der Sinnes¬
sphären, d. li. der Einstrahlungsgebiete der Sinnesleitungen,
führen, als sie die Pathologie bisher zu geben vermochte: so be¬
züglich des Ausschlusses des Gyrus angularis von der Sehsphäre,
des vorderen Drittels der ersten Temporalwindung von der Iiör-
sphäre u. a.
Neben der chronologischen Verschiedenheit hat Flechsig
tektonische Differenzen in der menschlichen Hirnrinde fest¬
gestellt und darauf seine Lehre von der tektonischen
Dualität der Hirnrinde begründet, welche die vom Vor¬
tragenden wiedergegebene tektonische Tafel veranschaulicht
(nicht zu verwechseln mit der chronologischen Tafel!). Die
.Luterscheidung ist durch die ungleichmässige Verteilung der
Stabkranzsysteme, d. li. der zwischen Rinde und subkortikaler
Region verlaufenden Systeme gegeben. Es erweisen sich nämlich
alle 10 Primordialgebiete, sowie die ersten 5 Intermediärgebiete
CN°. 11 15), also 15 der 36 Felder als stabkranzhaltig, während
die übrigen 21 Felder, wenigstens bis zum Alter von 3*4 Monaten,
keine Stabkranzbündel (regulär nur vereinzelte Stabkranzfaserig
ganz ausnahmsweise und an wechselnden Stellen atypische, ab-
errierte Stabkranzbündel) aufweisen. Bis zu dieser Grenze für
die Übersichtlichkeit sind bereits alle bekannten Stabkranz¬
bündel markhaltig und an die 15 Stabkranzfelder verteilt. Eine
spätere Ausbreitung der Bündel auf die bisher stabkranzlosen
Zwischenfelder ist sehr unwahrscheinlich. Die menschliche
Hirnrinde erscheint demnach in zweierlei Felder gegliedert : in
Stabkranzgebiete und in stabkranzlose Binnen- oder Kom¬
missurenfelder; die letzteren sind bloss mit anderen Rinden¬
stellen, also durch ungekreuzte oder via Balken gekreuzte Binnen¬
fasern verknüpft. Obzwar kurze Binnenfasern auch in den Stab-
ranzgebieten nicht fehlen, sind doch die Binnenfelder durch den
Stabkranzmangel (die letztentwickelten oder Terminalgebiete
noch durch den Zusammenhang mit den langen Binnensystemen)
hinlänglich charakterisiert. Die Stabkranzfelder uin-
scldiessen das Gehirn als ein Ring, welcher um die Zentralfurche
durch die Fissura Sylvii verläuft und den Balken umgreift; zu¬
dem bilden sie die Occipitalkappe mit dem Cuneuszipfel und die
Kieme Insel am Gyrus subangularis. — Die Binnen gebiete
nehmen geschlossen den Stirnpol und die vordere Hälfte der
zweiten Stirnwindung, die zweite und dritte Schläfewindung,
endlich den grössten Teil des Scheitellappens ein.
Gegen die Flechsigsche Lehre von der tektonischen
Dualität der Hirnrinde, welche in Gegensatz tritt zu der bis¬
herigen Vorstellung einer allgemeinen Stabkranzvertei-
ung in der Hirnrinde (mit striktem Aneinandergrenzen oder mit
1519
Randmischung der verschiedenen Systeme), haben zahlreiche
forscher Widerspruch erhoben. Dieselben bestreiten entweder
das myelogcnetische Grundgesetz überhaupt und erklären die
chronologische Gliederung als ein äusserliches Produkt kon¬
zentrisch fortschreitender Markbildung (Vogt) oder ungleich¬
seitige! \ askularisation (M o n a k o w). Demgegenüber ist u. a.
an den unleugbar systematischen Charakter der Mark¬
scheidenentwicklung in Rückenmark und Oblongata und an das
sozusagen sprungweise Fortschreiten in der Entwicklung der
Rindenfelder zu erinnern. Andererseits wurde che tektonische
Dualität bestritten durch die Angabe von Stabkranzgehalt auch
dei Binnenfelder auf Grund von pathologischer Sekundär¬
degeneration. Doch stehen einer solchen Schlussfolgerung die
Einwände : unreine Läsion, eventuell fernabliegende Zirkulations¬
störung (II i t z i g), Durchflechtungskompression (R othman n)
entgegen. Bezüglich der Tierversuche (IT. Munk) ist zu be¬
merken, dass die Binnengebiete, z. B. das parietale, bei Hunden
(mit kaum 20 Feldern: Döllken) und niederen Affen zweifel¬
los weit beschränkter sind als beim Menschen, dessen Vorrang
m der Hirnausbildung in erster Linie gerade die Binnenfelder
zu betreffen scheint.
Die Rindenhistologie hat neuerdings, im Gegensätze
zu der früheren Vorstellung eines allgemein gleichmässigen Baues
der Hirnrinde (M eynert), sehr erhebliche regionale Differenzen
aufgedeckt, welche die Schichtungsweise und die Zelltypen be¬
treffen (Hammerberg, Schlapp, S. Meyer, Nissl, St.Ramon
y C a j a 1). Das Hauptinteresse war dabei allerdings auf die Ge¬
winnung eines detaillierten Strukturbildes, nicht so sehr auf
exakte Abgrenzung bestimmter Rindenterritorien gerichtet ; eine
solche bezüglich der Riesenpyramidenzellen hat Kolmer
(Nissl) gegeben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass den
myelogenetischen Rindenfeldern, speziell den Stabkranzgebieten,
ebensolche Strukturareale entsprechen.
Bezüglich der funktionalen Bedeutung der myelo¬
genetischen Rindengliederung ist einerseits an die teils erwiesene,
teils sehr wahrscheinliche Uebereinstimmung der Primordial¬
gebiete mit den funktionalen Sinnessphären zu erinnern. Anderer¬
seits liegt für die Binnengebiete — angesichts ihrer späteren Ent¬
wicklung, ihres Stabkranzmangels, ihrer Verknüpfung durch
zum Teil lange Binnensysteme, ihrer anscheinend immer ge-
lingeren Ausbildung auf den tieferen Stufen der Tierreihe — die
Hypothese einer höheren Funktion gewiss nahe, speziell einer
Verknüpfung oder Assoziation der Sinneseindrücke als Vorbedin¬
gung des höheren psycho-physischen Lebens. Gewisse klinische
Beobachtungen bei Erkrankung der Binnengebiete, z. B. gewisse
Formen von Sprachstörung oder partieller Amnesie bei Erkran¬
kung des Scheitellappens, lassen sich schon heute hiefür an¬
führen. Gewiss liefert die Erforschung der myelogenetischen
und tektonischen Gliederung, Flechsigs Lehre von der tek¬
tonischen Dualität der Hirnrinde nicht unmittelbar funktionale
Daten, doch schafft sie für die Physiologie und Pathologie der
Hirnrinde eine ausserordentlich wertvolle Grundlage und bietet
zahlreiche heuristische Hypothesen zur weiteren Arbeit.
B esprec li u n g: Herr Nebelthau weist auf den grossen
Wert der Flechsig sehen Methode für den Nachweis gewisser
Projektionssysteme hin. Es sind gerade diejenigen. Systeme früh¬
zeitig deutlich markhaltig, deren Funktion uns zur Zeit am ver¬
ständlichsten, da sie zu den Sinnessphären führen. Die Anschau¬
ung Flechsig s, dass in seinen Assoziationszentren Projektions-
fasern von erheblicher Menge nicht auftreten, hat einen starken
Widerspruch erfahren, so von Siemerling, Vogt, Mo n a -
k ow u. a. Auch Römer, der mit Vortragendem G kindliche Ge¬
hirne untersuchte, konnte feststellen, dass sich ausserhalb der
Sinnessysteme Projektionsfasern entwickeln. Für die Beurteilung
der Flechsig sehen Auffassung von der Gehirnoberfläche dürfte
die genaueste klinische Beobachtung mit nachfolgender anatomi¬
scher Untersuchung von Bedeutung sein. Einer Erklärung be¬
darf vor allen Dingen noch die Auffassung der Assoziations-
Zentren.
Herr Aschaffenburg macht darauf aufmerksam, dass
die hervorragendsten Forscher auf dem Gebiete der Hirnanatomie,
z. B. Nissl, Vogt, S a c li s, Sie in erling die Richtigkeit der
Flechsig sehen Beobachtung anzweifeln ; Flechsig habe
ausserdem in seinen Anschauungen fast von Jahr zu Jahr grund¬
legende Wandlungen gezeigt, so dass man auch heute nicht wissen
könne, ob er das, was er jetzt als letzte Wahrheit bezeichnet, nicht
schon binnen kurzem wieder wesentlich verändern wird. A. hält
vor allem die physiologischen Schlüsse Flechsigs, der sogar
alle möglichen psychischen Leiden in bestimmter Weise lokali¬
sieren und oft schon bei den betreffenden Kranken durch die blosse
1520
MtJEtt CIIENER MEDIClNlSClIE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
äussere Untersuchung diagnostizieren will, für ausserordentlich ge- 1
wagt. .
Herr Tscliermak betont demgegenüber aut das ent¬
schiedenste, dass F 1 e e h s i g seine eigentlichen grundlegenden
Ansichten niemals geändert habe; im einzelnen freilich hätten sich
seine Vorstellungen auf Grund der tatsächlichen Befunde und der
fortschreitenden Ergebnisse seiner Forschungen logisch weiter ent¬
wickelt.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Eine modifizierte Methode des Schröpf ens
beschreibt S. Eubinstein in den Therap. Monatsh. 1902, t>.
Die Methode besteht darin, dass an den Schröpfköpfen ein Rohr
mit Hahn angebracht ist, aus welchem mittels einer Spritze die
Luft ausgesaugt wird. Nach einer Mitteilung von It. v. J & k sch
in No. 7 derselben Zeitschrift hat dieser Autor denselben Apparat
schon vor 10 Jahren angegeben. Kr-
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ii n c li e n, G. September 1902.
_ No. 41 des Gesetz- und Verordnungsblattes veröffentlicht
die Allerhöchste Verbescheidung der Landratsbesch 1 üs s e
der 8 bayerischen Regierungsbezirke und die Rechnungsübei -
sicliten über die Kreis- Ausgaben und -Einnahmen für das Jahr 1902.
1 )ie Ausgaben für Wohltätigkeitszwecke und Erziehungsinstitute,
für Blinden-, Taubstummen-, Gebär- und Irrenanstalten figurieren
darin mit grossen rosten; zur Ermöglichung spezialärztlicher
Ohrenuntersuchung der Taubstummen, sowie für den besonderen
Unterricht der mit Hörresten Begabten haben mehrere Kreise be¬
sondere Aufwendungen beschlossen. Für A e r z t e in ar m e n
Gegenden gewähren aus Kreismitteln Remunerationen: Obei-
bayern 7412 li., Niederbayern 4900 M., Pfalz 2200 M., Oberpfalz
11000 M., Oberfranken 9300 M., Mittelfranken 6300 M., Unter¬
franken 14 450 M., Schwaben und Neuburg 830 M., somit alle
Kreise zusammen 5G372 M. (1901: 56 072 M.). Zur Unterstützung-
dürftiger Hebammen bezw. des pfälzischen Hebammenvet-
eins bewilligte der pfälzische Landrat 400 M. und der mittel¬
fränkische zur Unterstützung an die zu Repetitionskursen einzu¬
berufenden Hebammen 500 M.
_ Für das tierärztliche Studium ist nunmehr durch
eine Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 2G. Juli 1902 das
Reifezeugnis eines Gymnasiums, Realgymnasiums, einer Obei-
realschule oder einer als gleichstehend anerkannten höheren Lehr¬
anstalt vorgeschrieben. Die neue Bestimmung tritt am 1. Juli 1903
in Kraft.
— Zur Erne n nung Sc li weningers zum Pro¬
fessor der Geschichte der Medizin wird uns noch
geschrieben: „Die Kreuzzeitung hat Recht. Dass Schweninger
auf dem Gebiete der Geschichte der Medizin noch nichts geleistet
habe, trifft nicht zu. Er hat im S.-S. 1902 in einem Berliner
studentischen Verein einen Vortrag über „Medizinische Moden“
gehalten, d. h. abgelesen, damit man ihm nicht wieder etwas nach-
reden könne, was er nicht gesagt habe. Dieser Vortrag ist in der
„Zukunft“ No. 39 vom 28. Juni 1902 abgedruckt. Dort heisst es
auf S. 504 (Anfang des zweiten Absatzes): „Wer nun nicht die
Zeit oder die Fähigkeit zum Historiographen hat — und ich
bekenne offen, dass beides mir fehlt — “. Sapienti sat.“
_ Mit Ermächtigung des grossherzoglich badischen Mini¬
steriums des Innern hat die grossherzogliche Badeanstalten-
Kommission zu Baden-Baden beschlossen, auch in diesem Jahre
theoretisch-praktische Kurse der physikalisch¬
diätetischen Heilmethoden und der Balneo-
ther a p i e für Aerzte und Studierende der Medizin einzurichten.
Diese Kurse finden in den mustergültigen grossherzoglichen Bade¬
anstalten zu B a d en-B a d e n statt und ist der Inhalt derselben
den praktischen Bedürfnissen der Aerzte angepasst. Folgende
Herren sind mit der Abhaltung der Vorträge und praktischen
Uebungen betraut: Geheimrat Prof. Dr. Bäumler - Freiburg:
Die Balneotherapie in ihrem Verhältnis zur Gesamtmedizin.
Medizinalrat Dr. Frey: Hydrotherapie, ihre Methodik und prak¬
tische Einführung in ihre Anwendungsformen. Dr. Gilbert:
Diätetik in der Balneotherapie und diätetischen Heilmethoden.
Dr. Heiligenthal: Die physikalische Therapie der funktio¬
neilen Neurosen. Medizinalrat Dr. Neumann: Die Thermo-
therapie mit Demonstrationen im grossherzoglichen Landesbad.
Ilofrat Dr. Obkircher: 1. Die Thermen, ihre Anwendungs¬
weise und Indikation; 2. Die Massage und Heilgymnastik und ihre
Stellung in der Therapie; 3. Inhalationstherapie mit Demon¬
stration; 4. Demonstration der grossherzoglichen Badeanstalten.
Dr. li ö s s 1 e r: Chemie der Mineralquellen mit besonderer Be¬
rücksichtigung der Quellprodukte und der medizinischen Deutung
der Quellenanalysen. Hofrat Prof. Dr. Steinmann- Freiburg:
Die geologischen Beziehungen der Thermen. Der Beginn der auf
8 Tage berechneten Kurse ist auf den 13. Oktober gelegt. Die
Anmeldungen zur Teilnahme haben spätestens bis zum 10. Oktober
zu erfolgen unter gleichzeitiger Einsendung eines Teilnehmer¬
beitrages von 20 M. — zur Deckung der laufenden Unkosten —
an einen der Schriftführer der Balneologischen Kurse der gross-
lierzogl. badischen Badeanstalten-Kommission: Dr. W. H. Gilbert
oder Dr. Curt Hoff mann- Baden-Baden und erteilen diese
Herren bereitwilligst jedwede gewünschte weitere Auskunft
— Gegen einen Berliner Arzt ist wegen Verstoss gegen die
vom Kultusminister Dr. G o s s 1 e r erlassenen Anordnungen über
die Vivisektion vom Vorstande des Tierschutzvereins An¬
zeige erstattet worden. Der betr. Arzt soll in seiner Wohnung die
Vivisektion ausgeübt haben. Das Polizeipräsidium hat die An¬
gelegenheit zur weiteren Verfügung an den Kultusminister über¬
wiesen.
— Die Jahresversammlung der Belgischen
Gesellschaft für Chirurgie findet vom 8 — 10. September
in Brüssel statt. Auf der Tagesordnung stehen: Behandlung der
Appendizitis; Behandlung der Frakturen; Asepsis (Vorbereitung
der Hände, des Operationsfeldes und des Naht- und Unter¬
bindungsmateriales). Ausserdem wird das Projekt der Gründung
einer Internationalen Gesellschaft für Chirurgie besprochen
werden.
_ _ _ Oberstabsarzt a. D. Dr. Gotthold Pann w i t z, General¬
sekretär des Deutschen Zentralkomitees zur Errichtung von Heil¬
stätten für Lungenkranke, ist zum Professor ernannt -worden.
_ Der Kurator des Petersburger Lehrbezirkes und frühere
Direktor des Instituts für Experimentalmedizin Vasili v. Anrep
ist zum Direktor des Medizinaldepartements des russischen Mini¬
steriums des Innern ernannt worden. Zum Direktor des Instituts
für Experimentalmedizin wurde der Staatsrat Winogradski
ernannt.
(Hochschulnachrichten.)
B e r 1 i n. Der Privatdozent für experimentelle Psychologie
Dr. Friedrich Schn m a n n, Assistent am psychologischen Seminar
der Universität, wurde zum Professor ernannt.
Pra g. Der ausserordentliche Professor Dr. E. H ering
wurde zum ordentlichen Professor der allgemeinen und experi¬
mentellen Pathologie an der deutschen Universität in Prag ernannt.
(Todesfälle.)
Bei Schluss der Redaktion dieser Nummer (der wegen des
katholischen Feiertags am Montag früher erfolgen muss) erhalten
wir die Trauerkunde, dass Rudolf Virchow am 5. ds. in
seinem Heim in Berlin, das er nach langer Abwesenheit vor we¬
nigen Tagen noch erreicht hätte, gestorben ist. Das Ereignis
kommt nicht unerwartet, die schlimmen Berichte der letzten
Wochen hatten auf die nahe bevorstehende Katastrophe genügend
vorbereitet, der Gedanke aber, dass nun auch der grösste der
Reformatoren, denen wir den glänzenden Aufschwung der Medizin
im vorigen Jahrhundert verdanken, von uns geschieden ist, wirkt
darum nicht minder erschütternd. Virchows Wirken ist be¬
reits anlässlich der Feier seines 70. Geburtstages im Jahre 1891
in dieser Wochenschrift von berufener Seite gewürdigt worden.
Eine neuerliche abschliessende Darstellung, wie sie der Bedeutung
des Mannes entspricht, wird folgen.
(Berichtigung.) In No. 35, S. 1483, Sp. 2, Z. 2G v. u.
ist zu lesen: „gallenfarbstoffhaltiges pleuritisches Exsudat“ statt
gallenhaltiges; ferner ebenda S. 1484, Sp. 1, Z. 39 v. o. „reichlich“
statt rahmig und ebenda Z. 44 v. o. „hellgelbe“ statt dunkelgelbe.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Gestorben: Dr. Heinrich Amon, k. Strafanstaltsarzt a. D. in
München.
Morbiditätsstatistikd.lnfektionskrankheitenfür München.
in der 34 Jahreswoche vom 17 bis 23. August 1902.
Beteiligte Aerzte 93. — Brechdurchfall 30 (29*), Diphtherie u.
Krupp 3 (4), Erysipelas 3 (8), Intermittens, Neuralgia interm.
— 1(). Kindbettfieber — (— ), Meningitis cerebrospin. — (— ),
Morbilli 9 (15), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 1 (2), Parotitis
epidem. 2 (2), Pneumonia crouposa 4 (4), Pyämie, Septikämie
— ( - ), Rheumatismus art. ac. 9 (12), Ruhr (Dysenteria). — -(2),
Scarlatina 4 ( — ), Tussis convulsiva 27 (24), Typhus abdominalis 1
(1), Varicellen 6 (2’, Variola, Variolois — ( — ), Influenza — ( ).
Summa 99 (10G). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 34. Jahreswoche vom 17. bis 23. August 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen: Masern — (1*) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u Krupp 1 (-), Rotlauf 1 (-), Kindbettfieber 2 (1), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) — (4), Brechdurchfall 10 (6), Unterleib-Typhus —
(— ), Keuchhusten 6 (4), Kruppöse Lungenentzündung 3 (1), Tuber¬
kulose a) der Lunge 31 (21), b) der übrigen Organe 8 (4), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
1 (3), Unglücksfälle 3 (2), Selbstmord 3 (2), Tod durch fremde
Hand — (1).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 210 (183), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 21,6 (18,8), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 12,4 (10,5).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdrucken* a.G,, München.
t)Io Munch. Med. Wochenschr. erscheint wöehentl
in Nummern von durchschnittlich 5-6 Botren.’
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MÜNCHENER
Zuwendungen sind zu adressiren: Für die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J F Leh¬
mann, Henstrasse 20. - Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEJJ10INISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Angerer, Gh. Bäumler, 0. Bollinger, H. Curschmann, W. v. Leute, G. Merkel, J.v, Mi
München. Freiburg i. B. r ... _ . _ .
München.
Leipzig.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
F. Penzoldt, H. v. Ranke, F. v. Winckel,
Erlangen. München. München
No. 37. 16. September 1902,
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
\ erlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 2U.
49. Jahrgang.
In in ein o ri am Rndolfi \MrclroNv.
Sumtno cum increnio
Morbos illustravit;
Explorando mortuos
Vivos adjuvavit.
Vitae persecutus est
Intima arcana
Et ubique somnia
Dissipavit vana.
,,Omnisu dixit .,cellula
E cellula exorta“;
Tum doctrinae lucidae
Patefacta porta.
Quae reliquit opera
Perdiu vigebunt —
Magna liaec vestigia
Non evanescebunt.
A. W.
Originalien.
Zum Nachweis der Simulation bei Hysterischen und
Unfallskranken.
^ on Ilofrat Dr. R. v. II ö s s 1 i n, dirigierendem Arzt der Kur¬
anstalt Neuwittelsbach bei München.
Der Zusammenhang zwischen Trauma und Hysterie ist ge¬
wiss m vielen Fällen ein ganz anderer, als der Unfallkranke seihst
angibt.
Dass bei einer bestehenden Hysterie nach einem Unfall, sei
er mit einer Verletzung oder auch nur mit einem grossen Schreck
verbunden, eine Aggravation eintreten kann, dass aus einer laten¬
ten Hysterie durch ein Trauma eine paroxysmale werden kann,
leugne ich ebensowenig, wie dass bei einem Gesunden nach einem
Trauma, besonders wenn es mit Commotio cerebri einhergeht, sich
eine schwere Neurose entwickeln kann.
Aber ebenso überzeugt bin ich, dass sehr viele der sogen, trau¬
matischen Neurosen lediglich als Produkte der Uebertreibung
und Simulation anzusehen sind, die sich um so häufiger zeigen
werden, je schwerer wir Aerzte als Gutachter uns entschlossen,
das Kind beim rechten Namen zu nennen.
Wenn wir im Anschluss an ein Trauma hysterische Erschei-
nungen beobachten, müssen wir an die Mögliclikeit denken, dass
ci vianke schon vor dem Unfall hysterisch gewesen sein kann.
Rei der dem hysterischen eigenen Charakterveranlagung nützt er
. n Unfall für sich aus, übertreibt bestehende Beschwerden und
simuliert neue dazu. Dies ist besonders dann sehr wahr¬
scheinlich, wenn die angegebenen Folgen in gar keinem
er aältnis zu dem erlittenen Unfall stehen, wenn mit dem Un-
& weder eine schwere Verletzung, noch ein grosser psvchischer
No. 37.
Schock verbunden war. Der Nachweis, dass der Kranke schon
vor dem T rauma hysterisch war, ist oft nicht zu erbringen, da¬
gegen kann sehr oft mit Bestimmtheit erwiesen werden, dass die
Beschwerden, die der Kranke als Unfallsfolge beschreibt, gar
nicht vorhanden, sondern übertrieben oder simuliert sind; für
den Nachweis der Simulation gibt die Untersuchung des Gesichts¬
feldes sehr wichtige Anhaltspunkte, besonders wenn ein röhren¬
förmiges Gesichtsfeld besteht, wie es Greef in der
Berl. klin. V ochenschr. No. 21 d. J. beschreibt. Mir war
der Name röhrenförmiges Gesichtsfeld, der mir das Symptom
sehr wohl zu charakterisieren scheint, nicht bekannt, dagegen
habe ich in ärztlichen Gutachten, welche ich in Unfall- und Ent¬
schädigungssachen abzugeben hatte, dieses Symptom schon seit
längerer Zeit verwertet, allerdings nicht ganz im Sinne Greefs.
Bei Gelegenheit eines Vortrages, den in der Münchener gynäko¬
logischen Gesellschaft Herr Sittmann über die Hysterie
hielt, habe ich in der Diskussion das Verhalten des Gesichts¬
felds, wie es Greef beschreibt, erwähnt. Für mich war aber
diese Form des Gesichtsfeldes, welches bei Entfernung des Fixier¬
punktes vom Auge in seinem Durchmesser nicht zunimmt, nicht
charakteristisch für Hysterie, sondern nur charakteristisch für
Simulation. Finde ich ausser diesem Gesichtsfeld keine Sym¬
ptome, welche die Diagnose Hysterie stellen lassen, so halte ich
den Kranken auf Grund dieses Gesichtsfeldbefundes nicht für
einen Hysterischen, sondern für einen Simulanten ; finde ich
aber andere unzweifelhafte Symptome, die für bestehende
Hysterie sprechen, so sage ich, es handelt sich um einen Hyste¬
rischen, der simuliert. Simuliert ist das röhrenförmige Gesichts¬
feld unter allen Umständen, ob der Kranke hysterisch ist, oder
nicht. Symptome, die physikalisch unmöglich sind, wie das
Gleichbleiben des Gesichtsfclddurclnnessers bei verschiedenen
1
1522
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Entfernungen des fixierten Punktes, können nie wirkliche Krank¬
heitssymptome sein, sondern geben den untrüglichen Beweis, dass
der Kranke unrichtige Angaben über seine Empfindungen macht.
Dass wir gerade bei Hysterischen sehr oft diese Erfahrung
machen, liegt im Wesen der Hysterie, in den der Hysterie eigen¬
tümlichen Charakterveränderungen, zu denen auch die Neigung
zu übertreiben, zu lügen, zu simulieren gehört. In welch raffi¬
nierter Weise Hysterische zu simulieren verstehen, zeigt in be¬
sonders schöner Weise ein Fall von hysterischer Pseudomeningitis,
den S tarck im 5. Heft des 21. Bandes der Deutsch. Zeitsohl . f.
Nervenheilk. veröffentlicht. Dem Kranken war es gelungen, in
einer Reihe von Krankenhäusern und Kliniken das Bild einer
schweren, fieberhaften Gehirn- und Rückenmarksei krankung,
speziell einer Meningitis vorzutäuschen, so dass nicht nur wieder¬
holt die Lumbalpunktion, sondern sogar eine operative Eröffnung
des Wirbelkanals vorgenommen wurde, während es sich stets nur
um erlogene Anamnese und vorgetäuschte Krankheitszustände
handelte.
Es liegt weder im Interesse solcher Kranker, noch im Inter¬
esse des ärztlichen Ansehens, wenn diese simulierten Krankheits¬
erscheinungen mit allen möglichen Heilmethoden, Medikamenten,
physikalischer Therapie, Hypnose, gynäkologischen und anderen
Operationen behandelt, statt einfach als Simulation erkannt und
dadurch zu raschem Verschwinden gebracht werden.
Es gelingt freilich oft schwer, die Simulation objektiv zu er¬
kennen, nicht nur zu vermuten, und darum müssen wir auch be¬
strebt sein, sichere Methoden zur Entlarvung der Simu¬
lanten auszubilden. Gerade bei derartigen Kranken, bei
denen es uns darum zu tun ist, den Nachweis der
Simulation zu führen, scheint mir die Konstatierung des von
G r e e f treffend röhrenförmig genannten Gesichtsfeldes sehr
wertvoll zu sein, wie überhaupt die Simulation durch keine Prü¬
fungen so sicher wie durch die optischen nachgewiesen werden
kann. Noch ein anderes Symptom, welches ich vor
Jahren paradoxe Kontraktion der Antagonisten
genannt habe, lässt sich für den Nachweis der Simu¬
lation sehr oft verwerten. Ich habe auf dieses ^Sym¬
ptom seit jener Zeit bei einer grossen Zahl von Krank¬
heitsfällen, bei durch organische Erkrankung bedingten Paresen
und Paralysen, bei funktionellen Lähmungen und endlich bei
allen denjenigen Kranken geachtet, welche über eine nach einem
Trauma zurückbleibende Schwäche einer Extremität zu klagen
haben. Die Prüfung wird in folgender Weise vorgenommen: Ich
verlange die Ausführung einer bestimmten Bewegung, z. B. Beu¬
gung im Ellenbogengelenk und Annäherung der Hand an das
Gesicht (Abbildung I); dabei erschwere ich durch eine ent¬
sprechende Widerstandsbewegung diese Bewegung, indem ich den
Ellenbogen des Untersuchten auf meiner linken Hand ruhen
lasse und durch Druck meiner rechten Handfläche gegen die
Volarfläche des Handgelenks des Untersuchten der Flexion im
Ellenbogengelenk entgegenarbeite. Den Widerstand, welchen ich
* der Bewegung des Untersuchten entgegensetze, bemesse ich nach
der Kraftleistung des letzteren. Je kräftiger der Untersuchte die
Bewegung ausführt, um so stärker kann der Widerstand sein,
und umgekehrt. Nie soll der Widerstand so gross sein, dass da¬
durch die Ausführung der Bewegung unmöglich gemacht wird,
die Bewegung soll nur erschwert und verlangsamt werden.
Tn dem Augenblick, in welchem ich meinen Widerstand
plötzlich auf gebe, schnellt der Vorderarm, wie eine schnellende
Feder in der Richtung der intendierten Bewegung, im gegebenen
Fall also, gegen das Gesicht des Untersuchten. Genau das gleiche
Verhalten beobachten wir ceteris paribus bei allen anderen Be¬
wegungen. Mit dem plötzlichen Auf hören des
Widerstandes schnellt das Glied immer in die
Richtung der intendierten Bewegung. Es
ist leicht, für jede Parese oder Funktionsstörung die
richtige Widerstandsbewegung zu finden; in den nebenstehen¬
den Zeichnungen I — III ist ersichtlich, wie solche Widerstands¬
bewegungen auszuführen sind. Das soeben beschriebene \ er¬
halten beobachten wir bei allen Gesunden, ferner bei
allen durch organische Erkrankungen bedingten Lähmungen,
soweit es sich nicht um absolute Paralysen, welche die Aus¬
führung einer Bewegung überhaupt verbieten, sondern um Pa¬
resen handelt. Je bedeutender die Parese ist, einen um so ge¬
ringeren Widerstand dürfen wir nun anwenden. Haben wir z. B.
eine Parese des rechten Armes infolge einer Apoplexie und ich
lasse eine Elevation im Schultergelenk ausführen, während ich
durch leichtes Andrücken des rechten Oberarms an den Rumpf
diese Bewegung erschwere, so schnellt der Arm in der Richtung
der Elevation, sowie ich meinen W iderstand plötzlich aufgebe.
Ich habe seit Jahren bei jeder anatomisch begründeten Parese
hierauf geachtet und noch nie eine Ausnahme gefunden. Eine
Ausnahme ist auch bei normalem Gelenkapparat aus mecha¬
nischen Gründen unmöglich. Eine Ausnahme ist nur möglich,
wenn schmerzhafte Gelenkerkrankungen vorliegen, die den Kran¬
ken veranlassen, eine beabsichtigte Bewegung durch gleichzeitige
Kontraktion der Antagonisten willkürlich oder reflektorisch zu
hemmen. Ganz anders aber ist das Verhalten bei simulierten und
den sog. funktionellen oder hysterischen Lähmungen. Lässt man
derartige Kranke eineBewegung mit der scheinbar paretischen Ex¬
tremität ausführen, so fühlt man sofort, dass gar kein energischer
Versuch gemacht wird, den Widerstand, den man der Bewegung
entgegensetzt, zu überwinden; wird wirklich ein gewisser Kraft¬
aufwand geleistet, dann geschieht es nicht mit denjenigen Mus¬
keln, welche die verlangte Bewegung ausführen müssten,
sondern es werden gleichzeitig die Antago¬
nisten kontrahiert (durch einfaches Befühlen der
Muskeln gelingt durchaus nicht immer der Nachweis, dass
die Antagonisten kontrahiert werden), so dass die
Muskeln gegenseitig ihre Wirkung aufheben, oder es werden
überhaupt alle Muskeln der Extremität gleichzeitig gespannt, so
dass es zu keinem Bewegungseffekt kommt. Infolge dessen
schnellt nun das untersuchte Glied beim
plötzlichen Auf hören des Widerstandes nicht
in die Richtung der verlangten Bewegung,
weil eine Intention, das Glied in diese Richtung zu bringen, über¬
haupt gar nicht gemacht wurde; diese Kranken machen keinen
Versuch, die von ihnen geforderte Bewegung auszuführen, son¬
dern sie wollen den Untersucher davon überzeugen, dass sie eben
nicht die Kraft haben, die von ihnen verlangte Bewegning aus¬
zuführen; um diesen Zweck zu erreichen, kontrahieren sie Mus¬
keln, welche ein Zustandekommen der verlangten Bewegung
direkt verhindern. Man mache nur selbst den Versuch, eine
Muskelschwäche vorzutäuschen und man wird sich leicht von
diesem Verhalten überzeugen können. Bei Hysterischen ist die
Kraft, welche sie aufwenden, um einen ihnen entgegengesetzten
Widerstand mit einer scheinbar paretischen Extremität zu über¬
winden, viel geringer, als es den im gewöhnlichen Leben ge¬
leisteten Funktionen entspricht. Sie ist tatsächlich oft gleich Null,
16. September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1526
j.
so dass nach diesem Kriterium eine absolute Paralyse vorliegen
müsste, während wir doch sehen, dass der Patient mit dieser
gleichen Extremität geht, hebt oder andere Funktionen ausübt.
Dass es sich bei diesen sogen, hysterischen Lähmungen meist um
absichtliche Täuschungen handelt, steht für mich fest, daher
kommt es auch zu oft vor, dass wir Hysterische ihre angeb¬
lich gelähmten Extremitäten frei bewegen sehen, wenn dieselben
sich ganz sicher unbeobachtet glauben. Allerdings können
Monate vergehen, bis es einmal gelingt, eine derartige normale
Kraftleistung einer angeblich gelähmten Extremität zu be¬
obachten. Ich halte diese Lähmungen der Hysterischen ebenso
für simuliert, A\de viele andere Krankheitserscheinungen; ich war
so z. B. noch immer in der Lage, das bei Hysterischen auftretende
Fieber, das nicht durch andere interkurrente Krankheiten er¬
klärt werden konnte, als simulierte Temperatursteigerung zu
entlarven. Ich darf vielleicht einige Fälle kurz erwähnen.
Hysterisches Mädchen mit Ovarie, heftigen Schmerzen im
Unterleib. In Narkose objektiv negativer Befund an den Geni¬
talien. Unter Steigerung der Abendtemperatur bis 39.0 in der
Achsel gleichzeitig heftigere Reizerscheinungen an den Genitalien.
Grosse Druckempfindlichkeit der Parametrien und des Uterus; auf
Grund der abendlichen Temperatursteigerungen wird nun doch
vom beigezogenen Gynäkologen an eine Peri- und Parametritis
gedacht. Da das Allgemeinbefinden nicht dem einer Fiebernden
entspricht, wird vom 4. Tage an das Thermometer aus der Axilla,
wo 39,0 abgelesen wurde, unmittelbar in den Darm gelegt, wo das
Thermometer unter Kontrolle 5 Minuten liegen bleibt. Hier
wird 37,4 abgelesen. Mit der Entlarvung hören auch die anderen
Krankheitserscheinungen auf.
Ein anderer Fall:
Eine Hysterische klagt seit einigen Tagen über Schmerzen in
den Knie- und Fussgelenken, auch in beiden Handgelenken. Mor¬
gens und Abends kleine Temperatursteigerungen 37,5 bis 38,5 in
axilla. Die Gelenke sind zwar druckempfindlich, aber nirgends
geschwellt. Die Kranke macht objektiv keinen fiebernden Ein¬
druck. Es wird nun auch das Thermometer unmittelbar aus der
Axilla, wo 38,3 abgelesen wurde, in den After gelegt, es bleibt dort
5 Minuten unter Kontrolle liegen, nach welcher Zeit 37,3 abge¬
lesen wird.
Wir haben in solchen Fällen regelmässig gesehen, dass
die nächsten Achseltemperaturen auch normale waren, mit
anderen Worten, dass die Kranken sich überzeugten, dass ihre
Manipulation durchschaut wurde.
Dass es wirklich hysterisches Fieber gibt, muss man ja nach
den vielen Angaben hierüber glauben; ich selbst habe nie ein
solches beobachtet und in diesbezüglichen mir bekannten Publi¬
kationen die strikte Angabe, dass eine streng kontrollierte Anal¬
messung vorlag, stets vermisst.
Ebenso sind ja viele andere Erscheinungen der Hysterie, wie
motorische Krampfanfälle, Respirationskrämpfe u. s. w. simu¬
liert, was zur Evidenz daraus hervorgeht, dass alle diese Dinge
sofort aufhören, wenn man den Kranken ganz in der Lland hat
und er die Ueberzeugung gewinnt, dass" diesen simulierten Krank-
heitserseheinungen nicht die geringste Beachtung geschenkt
wird. Aber wir machen die Erfahrung, dass die Hysterischen, die
in dieser Weise alle möglichen Krankheitserscheinungen simu¬
lieren, gerade die schwersten Fälle sind, und wenn es auch leicht
gelingt, unter geeigneten äusseren Verhältnissen die simulierten
Symptome zum Verschwinden zu bringen, ist in diesen Fällen,
in welchen so schwer simuliert wird, die Prognose recht trübe;
hier nehme ich nur die jugendlichen Formen aus. Bei Kindern
habe ich z. B. oft das Bild der Chorea major beobachtet; kaum
sind sie einige Tage in der Anstalt, so hören die Anfälle auf
und kommen die Kinder nach der Entlassung in entsprechende
pädagogische Behandlung, so können sie gesund bleiben.
Bei den Hysterischen ist die Simulation und Uebertreibung
nur ein Symptom der Allgemeinerkrankung, der psychischen Ver¬
änderung, der abnormen Charakteranlage. Finden wir daher
neben einer ausgesprochenen hysterischen Veranlagung ein oder
mehrere Erscheinungen, die wir für simuliert oder übertrieben
kalten, so werden wir diese Simulation ebenso unter die Sym¬
ptome der Hysterie rechnen und den Kranken nicht wie einen
Simulanten, sondern wie einen Hysterischen behandeln. Ebenso
werden wir uns, wenn wir uns gutachtlich über einen derartigen
Hysterischen zu äussern haben, dahin aussprechen, dass der
Kranke zwar übertreibt, und die oder jene Symptome simuliert,
dass aber diese Simulation nur eine Teilerscheinung der Grund¬
krankheit, der Hysterie sei. Wir werden vielleicht auch darauf
hinweisen, wenn es sich um einen Unfallkranken handelt, dass
auch bei Flysterischen, die keine Rentenansprüche machen, ge¬
nau die gleichen Uebertreibungen und Simulationen Vorkommen.
Nun finde ich die beiden weiter oben geschilderten, sicheren
Simulationszeichen, das röhrenförmige Gesichtsfeld und die para¬
doxe Kontraktion der Antagonisten, bei sehr vielen Unfall¬
kranken, bei denen gar keine anderen Anhaltspunkte für Hysterie
vorliegen, in welchen, wenn die simulierten und übertriebenen
Beschwerden nicht in Betracht gezogen werden, überhaupt kein
Krankheitssymptom mehr überbleibt. In diesen Fällen müssen
wir uns eben doch anders verhalten. Es geht nach meiner An¬
sicht zu weit, wenn wir bei einem Menschen, der in der aus¬
gesprochenen Absicht, einen materiellen Nutzen zu erzielen,
Krankheitssymptome vortäuscht, aus ganz unkontrollierbaren und
unwahrscheinlichen Beschwerden, sowie aus den als übertrieben
und simuliert erkannten Erscheinungen eine Unfallsneurose kon¬
struieren wollen.
Klagen Kranke über alle möglichen Beschwerden, die sich
durch einen objektiven Organbefund nicht erklären lassen, son¬
dern nur durch eine hypochondrische Verstimmung, so bin ich
nur geneigt, diesen Kranken Glauben zu schenken und eine nach
Unfall entstandene Depression anzunehmen, wenn diese Kranken
dabei keine Symptome darbieten, welche als simuliert erkannt
werden; der wirkliche Hypochonder gibt seine krankhaften Sen¬
sationen an, er simuliert aber keine Krankheitserscheinungen ;
der Nachweis der Simulation, der beabsichtigten Täuschung des
Arztes, spricht also gegen Hypochondrie und spricht dafür, dass
auch die anderen subjektiven Beschwerden nicht wirklich em¬
pfunden, sondern nur erlogen sind. Wenn wir objektive Anhalts¬
punkte finden, um bei suspekten Unfallkranken die Simulation
aufzudecken und dadurch zur Einstellung der nicht gebührenden
Rente behilflich sind, so nützen wir der guten Sache. Denn
durch das häufige Vorkommen von Uebertreibungen oder direkter
Simulation von T infallfolgen musste das Ansehen einer so wohl¬
tätigen Einrichtung, wie sie durch die Unfallgesetzgebung ge¬
troffen wurde, entschieden leiden. Man hat schon viel darüber
gesprochen, dass durch die Unfallgesetzgebung eine Korruption
unter den von Unfällen Getroffenen gezüchtet worden sei, dass
die Begehrlichkeit und die höchst unmoralische Bestrebung, statt
eines für Arbeit geleisteten Lohnes eine durch Uebertreibungen
erpresste Rente zu erhalten, durch das Gesetz entstanden sei. Es
ist ganz natürlich, dass in Folge der vielfachen ungünstigen Ein¬
drücke, welche die Aerzte bei der Untersuchung von Unfallkranken
gewinnen, diesen letzteren leicht ein zu grosses Misstrauen ent¬
gegengebracht wird. Je leichter wir im stände sind, eine Ueber¬
treibung objektiv nachzuweisen, um so günstiger werden wir den¬
jenigen begutachten, bei dem eine derartige Uebertreibung nicht
nachgewiesen werden kann, der also wirklich die Rente verdient.
Bei allen denjenigen Unfallkranken, bei denen der objektive Be¬
fund die von den Kranken angegebenen Beschwerden erklärt, habe
ich das Symptom der paradoxen Kontraktion der Antagonisten
regelmässig vermisst; dagegen konnte ich sehr häufig Unfall¬
kranke, welche trotz völlig normaler anatomischer Verhältnisse
noch über verminderte Leistungsfähigkeit klagten, durch den
Nachweis der paradoxen Kontraktion der Antagonisten bei
Widerstandsbewegungen der Simulation überführen.
Seit etwas mehr als einem Jahr habe ich nicht weniger als
37 mal dieses Phänomen notiert in Fällen, über welche bereits
Vorgutachten von anderen Aerzten Vorlagen. 35 von diesen
Kranken, die alle eine höhere Rente beanspruchten, als die Be-
rufsgenossenchaft ihnen zugebilligt hatte, waren auch von meinen
Vorgutachtern ungünstig beurteilt worden. Entweder wurde von
denselben das Bestehen einer Unfallfolge oder einer Erwerbs¬
beschränkung in Abrede gestellt oder aber es wurden die Be¬
schwerden als unglaubwürdig, übertrieben und mit dem objek¬
tiven Befund nicht erklärlich bezeichnet. Der Nachweis der
Uebertreibung oder der Simulation war in keinem Fall mit
Sicherheit erbracht worden, in vielen der Fälle war auch noch
eine Rente, wenn auch reduziert gegenüber den Forderungen
des Verletzten, zugebilligt worden, weil eben doch ein sicherer
Beweis für die Uebertreibung nicht geführt werden konnte.
Durch den Nachweis der paradoxen Kontraktion der Anta¬
gonisten, durch den Nachweis, dass der Kranke vielfach ganz,
andere Muskeln kontrahiert, als er kontrahieren müsste, um die
verlangten Bewegungen auszuführen, gelang es mir häufig, den
Verletzten mit Bestimmtheit der Täuschung zu überführen.
Wiederholt war es mir auch möglich, den Richter selbst von der
beabsichtigten Simulation zu überzeugen.
1*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
1524
Besonders auffallend gestaltet sich das Phänomen, wenn
man die Schultermuskulatur untersucht und zu diesem Zweck
den stehenden Kranken auffordert, den horizontal seitwärts aus-
gestreckten Arm abwärts zu bewegen, also den Arm gegen den
Rumpf zu adduzieren. Während der Arm seitlich hinausgestreckt
wird, leistet man durch leichtes Gegenhalten am Handgelenk
(Abbild. III) einen mässigen Widerstand, der den Arm in der
horizontalen Stellung hält, während der Kranke den Versuch
machen soll, den gestreckten Arm dem Rumpf zu nähern. Lässt
man den Widerstand durch plötzliches Nachgeben mit der Hand
aufhören, so muss natürlich der Arm sofort federnd nach unten
schnellen. Nur bei denjenigen Kranken, welche, statt den Arm
abwärts zu bewegen, den Deltoideus und andere Muskeln kon¬
trahieren, die die Adduktion im Schultergelenk verhindern, bleibt
der Arm ausgestreckt. Es ist dies absolut beweisend für Simu¬
lation.
Ich möchte nun einige Beispiele anführen, in welcher Weise
das Symptom der paradoxen Kontraktion der Antagonisten sich
verwerten liess.
.T. P., 47 Jahre alt, Arbeiter, erlitt am 22. III. 1900 eine Kon¬
tusion der Brust; infolge dieser Kontusion sei er noch heute nicht in
vollem Grade arbeitsfähig und hat daher gegen die Herabsetzung
der Rente von 40 Proz. auf 20 Proz. Berufung ergriffen. Die Ent¬
scheidung der Berufsgenossenschaft stützte sich auf das Gutachten
ihres Vertrauensarztes, welcher objektiv nur geringe Veränderung
findet und den Eindruck hat, dass der Kranke stark übertreibt.
Bei der Untersuchung des Kranken finde ich keine Veränderung der
Brustorgane. Bei der Prüfung der groben Kraft der Arme zeigt
sich, dass der Kranke gar keinen Versuch macht, den seiner Muskel¬
bewegung entgegengesetzten Widerstand zu überwinden, so dass
beim plötzlichen Aufgeben des Widerstandes keine schnellende Be¬
wegung eintritt. Da weder Veränderungen an den Gelenken, noch
an "den Muskeln bestehen, so kann nur Simulation vorliegen. Die
Berufung wird abgewiesen.
M. W., 20 Jahre, Arbeiter, erlitt am 3. \ II. 9< Kontusion
des rechten Schienbeins. Schon im Vorgutachten werden die An¬
gaben des W. als unglaubwürdig und übertrieben bezeichnet. Bei
der Untersuchung findet sich nichts, als eine massige Verdickung
an der Tibia. Ich lasse nun den Kranken, dessen Oberschenkel¬
muskulatur ganz normal entwickelt und dessen Kniegelenk frei
beweglich ist, eine Extension im Kniegelenk ausführen, während
ich durch Druck auf die Vorderseite des Fussgelenkes das Bein an
der Streckung hindere. Lasse ich nun plötzlich aus, so muss der
Unterschenkel in der Richtung der Streckbewegung schnellen, bei
dem Untersuchten bleibt das Knie flektiert, weil er eben keinen
ernsten Versuch der Extension gemacht hat, sondern um seine
Kraftlosigkeit zu beweisen, gleichzeitig mit den Streckmuskeln
auch die Antagonisten ausspannt. In der Natur der Krankheit
liegt dies Verhalten keinesfalls, sondern es handelt sich um eine
willkürliche Anspannung der unrichtigen Muskeln, um den Arzt
zu täuschen. Die Berufung wurde abgewiesen.
J. N., 30 Jahre, Arbeiter, Splitterbruch des rechten Armes.
Die Muskulatur des rechten Vorder- und Oberarmes ist noch
etwas weniger gespannt, als auf der linken Seite, auch ist der Um¬
fang des Armes etwas geringer als der des linken. Dabei sind
aber alle Bewegungen im Ellenbogengelenk völlig frei. Lasse ich
nun den Arm ausstrecken, während ich durch einen mässigen
Widerstand gegen die verlangte Bewegung den Arm im Ellenbogen¬
gelenk gebeugt halte, so verharrt der Arm beim plötzlichen Nach¬
lass des Widerstandes in dieser Stellung, statt in die Streckstellung
zu schnellen, ein Beweis dafür, dass der Patient gar nicht den Ver¬
such gemacht hat, meinen Widerstand zu überwinden. Auf Grund
dieses Befundes kann dem Wunsche des Kranken um Renten¬
erhöhung nicht entsprochen werden.
Ich könnte die Zahl ähnlicher Untersuchungsergebnisse be¬
liebig vermehren, fürchte aber, damit die Geduld meiner ver¬
ehrten Leser zu sehr in Anspruch zu nehmen. Dagegen möchte
ich' noch einige Fälle erwähnen, die dafür sprechen, dass das
Fehlen der paradoxen Kontraktion der Antagonisten bei Wider¬
standsbewegungen gegen hysterische resp. simulierte Lähmungen
spricht.
Ich erinnere mich an 3 Fälle, in welchen ich nach den übri¬
gen Erscheinungen geneigt war, eine funktionelle Störung resp.
Simulation anzunehmen, in welchen aber das Fehlen der para¬
doxen Kontraktion der Antagonisten auffiel. In allen 3 Fällen
stellte es sich heraus, dass wirklich eine organische Störung
vorlag.
In einem Fall handelt es sich um einen seit Jahren hysterischen
Herrn; derselbe bekam während einer Behandlung in meiner An¬
stalt eine Parese des linken Beines; die paradoxe Kontraktion der
Antagonisten fehlte; das Bein verhielt sich bei Widerstands
bewegungeil, wie ein gesundes (Knie) Bein. Im Verlauf mehrerer
Monate traten ausgesprochene spastische Symptome im linken Bein
ein, welche dafür sprachen, dass doch eine zerebrale Störung mit
konsekutiven Veränderungen in den Pyramidenbahnen eingetreten
war.
In einem anderen Fall, es handelt sich auch um einen seit
Jahren für hysterisch gehaltenen Kranken, machte sich eine auf¬
fallende Kraftlosigkeit der Arme bemerkbar; ich hielt die Paresen
für hysterisch, war aber überrascht, das Symptom der paradoxen
Kontraktion der Antagonisten bei Widerstandsbewegungen nicht
zu finden. Eine wiederholte Untersuchung ergab Analgesie und
Tbermanästhesie im Gebiet bestimmter Zervikalsegmente und
gleichzeitige Veränderung der elektrischen Erregbarkeit an den
Muskeln der Arme. Ich konnte nun die Diagnose einer beginnen¬
den Syringomyelie stellen.
Der 3. Fall betraf eine Unfallkranke; die Kranke
klagte über eine Schwäche im rechten Daumen, die nach
einer Schnittverwundung zwischen Daumen und Zeigefinger zu¬
rückgeblieben sei; objektiv war bei oberflächlicher Untersuchung
ausser der etwas druckempfindlichen Narbe, nichts nachzuweisen;
der Arzt hatte daher Abweisung der Rentenansprüche beantragt
und die Klagen als unglaubwürdig bezeichnet. Bei der Unter¬
suchung mit Widerstandsbewegung fiel mir sofort auf, dass das
Phänomen der paradoxen Kontraktion der Antagonisten negativ
ausfiel, dass also der Verdacht auf Simulation doch wohl un¬
begründet sei. Eine genaue Untersuchung ergab, dass doch Ver¬
änderungen in der Daumenballenmuskulatur, besonders im Ad-
ductor pollicis brevis, bestanden. Daraufhin wurde die verlangte
Rente gewährt.
Ich selbst habe den Eindruck gewonnen, dass die oben be¬
schriebene Prüfung mit plötzlich nachlassenden Widerstands¬
bewegungen nicht nur eine sehr rasche Unterscheidung der or¬
ganischen und der funktionellen Paresen, sondern, wie schon er¬
wähnt, vor allem auch einen sicheren Nachweis der Simulation
ermöglicht. Ich möchte daher die Kollegen, welche viel mit Un¬
fallkranken zu tun haben, um eine Nachprüfung des geschilderten
Verfahrens bitten.
Aus der Dr. Decker sehen Privatheilanstalt für Magen- und
Darmkranke zu München.
Zur Diagnose des Sanduhrmagens.*)
V on Dr. J. Decker.
Zu den schwierigsten Diagnosen auf dem Gebiete der Magen¬
erkrankungen gehört die des chronischen Magengeschwürs, weil
die Symptome, unter denen dasselbe auftritt, so vielgestaltig sind,
dass es schwer ist, sie in einen einheitlichen Rahmen zusammen¬
zufügen. Hand in Hand mit der Schwierigkeit der Diagnose
geht auch die Schwierigkeit der Heilung, insofern als Rezidive
leider nur allzuhäufig sind und selbst, nach erfolgter Heilung
Komplikationen eintreten können, die das Leben des Patienten
in ernstester Weise gefährden.
Gestatten Sie mir, m. H., heute Abend eine dieser Kompli¬
kationen an der Hand von 2 Fällen meiner Praxis zu besprechen
und zwar die des sogen. Sanduhrmagens.
Die Literatur über diese Komplikation ist eine verhältnis¬
mässig nicht sehr grosse und dürfte dies wohl damit Zusammen¬
hängen, dass die Diagnose desselben grossen Schwierigkeiten be¬
gegnet und daher viele Fälle unerkannt bleiben. In manchen der
veröffentlichten Fälle hat auch erst die Probelaparotomie die
Diagnose ermöglicht.
Soweit ich die Literatur überblicken konnte, scheint diese
Form Veränderung des Magens, freilich sehr selten, auch an¬
geboren vorzukommen; in der grössten Mehrzahl der Fälle ist sie
dagegen akquiriert und zurückzuführen auf: 1. strikturierendes
Karzinom, 2. perigastrische Verwachsungen und 3. auf Na'rben-
kontrakturen im Anschluss an ein Ulcus. Aetiologisch am
häufigsten dürften wohl die letzteren sich geltend machen.
Bevor ich zur Besprechung der Symptome übergehe, möchte
ich Ihnen die Krankengeschichte der beiden Fälle vorführen, die
für die Entwicklung der Krankheit sehr instruktiv sind.
Frl. Sch., 28 Jahre alt, erkrankte im IG. Lebensjahre an
Bleichsucht uml Magenkrämpfen. Uebelkeit und Erbrechen
selten. Starke Abmagerung. Diagnose: Magengeschwür. Auf
verordnete strenge Diät langsame Besserung. Durch 13 Jahre hin¬
durch wechselten sodann Schmerzen, Uebelkeit und Erbrechen
mit y, — 1 jährigen beschwerdefreien Pausen ab. Im 26. Lebens¬
jahr wurden die Schmerzen heftiger und kontinuierlicher; es stellte
sich ausserdem starkes Druck- und Völlegefühl ein. Auf eine
2 malige Kur im hiesigen Krankenhaus 1. il. I. verschwanden die
Beschwerden eine Zeitlang fast vollständig, kehrten aber nach
1 ys Jahr wieder, der Druck nach dem Essen wurde unerträglich
und das Erbrechen sehr schmerzhaft. Fortwährende Uebelkeit,
gänzliche Appetitlosigkeit und beim Essen immer das Gefühl, dass
der Magen zu wenig fassen könne.
*) Vortrag, gehalten im Münchener ärztlichen Verein am
14. Mai 1902.
16. September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCILE WOCHENSCHRIFT.
1525
In diesem Zustande trat Pat. in meine Behandlung. Meine
Diagnose lautete auf chronisches Magengeschwür. Da dem Er¬
brochenen häufig Blut beigemischt war, nahm ich mit Rücksicht
nul die Gefahr einer eventuellen Blutung eine Magenausspülung
nicht vor und verordnete Pat. eine 14 tägige strenge Diät- und
Liegekm, v äliiend welcher die Beschwerden fast vollständi0'
nachliessen. Nach diesen 14 Tagen stand Pat. auf und erhielt
leichte Eleischdiät. Schon nach mehreren Tagen traten ohne
irgend eine äussere Veranlassung, die alten Beschwerden mit er-
ntutci Heftigkeit v ledei auf und kam ich infolgedessen zur Ueber-
zeugung, dass iigend eine Komplikation des Ulcus vorliegen müsse.
Ich nahm daraufhin eine Ausspülung des Magens vor und war
überrascht, nach anfänglichem klaren Ausfiiessen der Spülflüssig¬
keit plötzlich Speisereste aus dem Trichter ausfiiessen zu sehen
Damit war die Situation geklärt. Es unterlag keinem Zweifel,
dass der Magen aus 2 Säcken bestand, von denen der dem Pylorus
zunächst gelegene Teil die Speisereste enthielt. Auf Grund dieses
Symptoms stellte ich die Diagnose auf Sanduhrmagen und nahm
zur Sicherstellung derselben eine Aufblähung des Magens mit
CD, vor. Hierbei zeigte sich eine ungleiclimässige Auftreibung
des ziemlich kleinen, nach links gelegenen Magens. In der Mitte
des aufgetriebenen Magens konnte man deutlich eine Furche er¬
kennen, die der Einschnürungsstelle entsprechen musste.
Ich beobachtete nun bei dieser Untersuchung ein Phänomen,
das bisher noch nicht beschrieben worden, aber gewiss zur Siehei-
steilung der Diagnose beizutragen im stände ist. Setzte ich das
iiünohi auf den Pylorusteil des aufgeblähten Magens auf und
übte mit der Hand einen Druck auf den Kardialteil aus, so konnte
mau deutlich ein quatschendes Geräusch durchgepresster Gase
erkennen und umgekehrt. Uebte ich aber einen Druck mit dem
Finger auf die Einschnürungsstelle aus, so blieb im Magen alles
ruhig, im höchsten Falle hörte man ein leises Geräusch wie aus
weiter Ferne. Auf diese Weise konnte ich die Stelle der Ein¬
schnürung ganz genau feststellen und erwies sich diese Bestim¬
mung bei der Laparotomie auch als vollständig zutreffend und
möciice ich daher auf dieses neue Symptom besonders aufmerksam
machen. Auch die elektrische Durchleuchtung des Magens er¬
wies sich als diagnostisch sehr gut verwertbar. Während man
bei derselben bei normaler Figuration des Magens eine gleich-
massig leuchtende Fläche sieht, sah man in unserem Falle eine
ungleielimässig, in der Mitte stark beschattete, leuchtende Fläche,
die uns dasselbe Bild wie bei der Aufblähung lieferte.
Pat. entschloss sich zur Operation und wird Ihnen Herr Prof.
Schmitt über dieselbe des Näheren berichten. 2 Monate nach
derselben blieb Pat. beschwerdefrei. Alsdann stellten sich neben
Uebeikeiten Schmerzen in der rechten Seite und das Gefühl
starken schmerzhaften Zerrens ein, das sich beim Gehen ver¬
stärkte. Da schon bei der Laparotomie eine heftige Perigastritis
konstatiert worden war, lag der Verdacht nahe, dass sich frische
Verwachsungen gebidet haben und die erneuten Beschwerden ver¬
ursachen konnten. Ausserdem musste auch an die Möglichkeit
gedacht werden, dass sich die Gastroplastik als ungenügend er¬
wiesen resp. die neue Narbe sich wieder kontrahiert habe. Nun
ländlich ausserdem rechts in der Gegend des Pylorus eine finger¬
starke, derbweiche Verdickung, die mich an eine muskuläre Hyper¬
trophie des Pylorus denken liess, um so mehr, als sich der ziem¬
lich kleine Magen nach der Operation als ddatiert erwies. Die
tapfere Pat. entschloss sich zur zweiten Laparotomie und fanden
wit bei derselben in der Tat zahlreiche ausgedehnte perigastrische
\ erwaclisungen und an der Stelle, die ich als muskuläre Pylorus-
hypertrophie gedeutet, einen fingerdicken Strang zwischen Magen
und vorderer uauchwand. Seit dieser zweiten Operation, die vor
S Monaten stattfand, ist Pat. vollständig gesund und hat an
Körpergewicht bedeutend zugenommen.
Die zweite, 27 jährige Pat., Frl. li., erkrankte vor G Jahren
an Magenschmerzen, die 4 — G Wochen andauerten und dann wieder
füi längeie Zeit vollständig verschwanden. Erbrechen war nicht
vorhanden. Die Beschwerden kehrten jedes Jahr 1—2 mal wieder
und nahmen vor 2 Jahren so zu, dass sie fast täglich sich eiu-
steilten. Erbrechen war auch jetzt noch selten und trat nur ein
nach schweren Speisen. Dasselbe wurde aber seit November
vorigen Jahres häufiger und stellte sich auch nach den leichtesten
Speisen ein. Von dieser Zeit an hatte Pat. oft das Gefühl, als ob
der Magen platzen wollte und war der Brechakt selber stets mR
den heftigsten Schmerzen verbunden. Ausserdem traten, bald
gleichzeitig mit den Magenschmerzen, bald unabhängig von den
selben, Schmerzen rechts und links vom Magen auf.
Auch in diesem Falle lautete anfangs meine Diagnose auf
chronisches Magengeschwür, wahrscheinlich kompliziert durch
Verwachsungen mit den Nachbarorganen. Auf strenge Diät und
Liegekur erfolgte auch hier ein Nachlassen der Beschwerden,
die sich aber beim Aufstehen und bei kompakterer Nalirungs-
zufuhr sofort wieder einstellten. Die Ausspülung und Aufblähung
des Magens ergab auch hier das Vorhandensein eines Sandulir-
niagens, der durch die Laparotomie bestätigt wurde. Die Ein
Schnürung lag auch hier, wie im ersten Fall, genau in der Mitte
des Magens.
Bezüglich der Ausspülung möchte ich auf ein sehr beachtens¬
wertes Moment hinweisen. Es empfiehlt sich nämlich, die Pa¬
tenten auszuspülen, nachdem sie ein Zeitlang vorher in sitzender
jesp. stehender Stellung zugebracht. Spülen Sie dagegen den
atienten im Bett aus, so kann Sie das Symptom, dass bei der
. usspiilung zuerst reines Wasser und dann erst Speisereste ab-
No. 37.
lliossen, im Stiche lassen, indem bei der horizontalen Lage der
Inhalt des Pylorusteiles sich leichter in den kardialen Sack ent-
Je«!™u infolgedessen dann bei der Ausspülung sofort ge¬
trübte Flüssigkeit abfliesst. Ausserdem empfiehlt es sich aus dem-
selben Grunde, den Pat. bei der Ausspülung den Oberkörper nach
«ler Seite, wo der Magen liegt, beugen zu lassen.
Wenn feie diese beiden Krankengeschichten analysieren, dann
finden Sie in ihnen, zeitlich genau abgegrenzt, die einzelnen Ent-
wicklungsphasen der Krankheit deutlich wiedergegeben. Heide
Patienten sind vor einer Reihe von J ahren an Magengeschwür
ei krankt, das ausheilte und von Zeit zu Zeit immer wieder re-
zidivierte. Solange der Geschwürsgrund ein eng lokalisierter war,
blieb die Narbenbildung ohne schädliche Wirkung und die Pa¬
tienten fühlten sich daher in diesen Stadien der Vernarbung
fiei von Beschwerden. Aber die immer wiederkehrenden Re¬
zidive haben die Geschwürsfläche allmählich immer mehr ver-
grössert und damit trat die Schattenseite der von der Therapie
erstrebten Narbenbildung ein, es bildeten sich an dieser Stelle
Narbenkontrakturen und je mehr dieselben fortschritten, um so
kontinuierlicher wurden die Beschwerden. Der Mageninhalt
konnte nur mehr unter den schmerzhaftesten Zerrungen der
stenosierten Stelle vom kardialen Teil in den Pylorusteil hin¬
durchgepresst werden und auch umgekehrt konnte der stag¬
nierende Inhalt des Pylorusteiles nur unter den schmerzhaftesten
Zerrungen der Stenose wieder erbrochen werden.
Deshalb ist das hervorstechendste Symptom dieser Erkran¬
kung äusserst heftiger Schmerz im Magen, der sich vom Magen¬
krampf beim einfachen Ulcus dadurch unterscheidet, dass er viel
länger andauert und weniger ein Krampf als ein intensiver
Spannungsschmerz ist, wie bei zu starker künstlicher Aufblähung
des Magens mit CÜS. Ein ferneres charakteristisches Zeichen ist,
dass der Schmerz nicht unmittelbar nach dem Erbrechen auf-
hört, sondern noch ca. Yz Stunde andauert. Der Schmerz wird
eben hier nicht nur wie bei anderen Magenerkrankungen durch
den Reiz des stagnierenden Mageninhaltes hervorgerufen, son¬
dern auch und hauptsächlich durch die intensiven Zerrungen,
die durch den Brechakt an der stenosierten Stelle stattfinden.
Nur dadurch, dass die Patienten nur flüssige Nahrung und auch
diese nur in nicht zu grossen Portionen geniessen, lassen sich die
Schmerzen einigermassen mildern. Differentialdiagnostisch zu
verwerten scheint mir auch der Umstand zu sehr, dass die
Schmerzen, die bei Liegekur und flüssiger Diät verschwanden,
sofort wieder in alter Heftigkeit einsetzten, als die Patienten
wieder auf standen und eine kompaktere Nahrung zu sich nahmen.
Das tut ein einfaches Ulcus nicht. Lassen bei demselben in der
gewöhnlich 14 Tage dauernden Ruhekur die Schmerzen nach,
dann dürfen sie unter keinen Umständen sofort wieder auftreten,
wenn I atient auf steht und eine kompaktere Nahrung zu sich
nimmt. So unbedeutend dieser Umstand an und für sich scheinen
mag, so messe ich ihm doch eine besondere pathognomonische Be¬
deutung bei der Diagnose des Sanduhrmagens bei.
Das zweite Hauptsymptom ist das Erbrechen, in Eolge der
schweren Passierbarkeit der Striktur erfolgt dasselbe gewöhnlich
nicht in einem Guss, sondern in kleinen Portionen. Ist die
Stenose aber sehr eng geworden, so kann das bis dahin regel¬
mässig auftretende Erbrechen ausbleiben, weil dieselbe nichts
mehr durchlässt. Damit tritt aber für den Patienten ein äusserst
qualvoller Zustand ein, der nur durch regelmässige Ausspülungen
einigermasser erleichtert werden kann.
J e nach dem Sitze der V erengerung wird das Erbrechen bald
früher, bald später nach der Nahrungsaufnahme auftreten. Ist
die Stenose, was wohl selten Vorkommen dürfte, nahe der Kardia,
dann wird das Erbrechen, wie bei einer Oesophagusstenose, bald
nach der Nahrungsaufnahme erfolgen; ist sie nahe dem Pylorus,
erfolgt es gegen Ende der Verdauung; sitzt sie aber, wie in
unseren Fällen, in der Mitte des Magens, dann beginnt das Er¬
brechen gewöhnlich 2 — 3 Stunden nach dem Essen.
Wenn somit die eigentümliche Art des Auftretens des
Schmerzes und Erbrechens den Verdacht auf Sanduhrmagen in
uns erwecken muss, so wird dieser Verdacht doch erst zur Sicher¬
heit, wenn wir nachweisen können:
1. Dass bei Ausspülung des Magens anfangs das Wasser rein
ausfiiesst und dalrn plötzlich Speisereste nachfolgen.
2. Dass das Wasser, das man durch die Schlundsonde in den
Magen eingeführt hat, in die Tiefe verschwindet, ohne wieder
zum Vorschein zu kommen. Es wird dies dann der Fall sein,
V
f'4
1526
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
wenn der Pylorussack grösser ist wie der Kardiasack und infolge¬
dessen das Wasser zu seinem Speiseninhalt fassen kann, ohne
überzulaufen. Es ist deshalb für jeden Fall geraten, 2 Trichter
Wasser hintereinander einlaufen zu lassen.
3. Dass nach Aufblähung des Magens mit Luft oder C02 eine
ungleichmässige Auftreibung sieh zeigt, bei der meistens eine
Einschnürung deutlich zu erkennen ist. Besonders chai ak¬
teristisch ist hierbei, wenn sich zuerst der kardiale Sack aufbläht
und erst nachträglich der Pylorussack.
4. Dass bei elektrischer Durchleuchtung des Magens eine un-
gleichmässig leuchtende, an der Stelle der Einschnürung be¬
schattete Fläche sich zeigt.
5. Dass sich bei Aufblähung des Magens das Phänomen
zeigt, dass bei Druck auf die eine Magenhälfte ein Geräusch
durchgepresster Luft deutlich zu vernehmen ist, dass dagegen
dieses Geräusch bei Druck auf die Einschnürungsstelle fehlt.
Zum Schluss noch einige allgemeine, praktische Bemer¬
kungen. Dass Patienten, die jahrelang von derartigen heftigen
Schmerzen heimgesucht sind, in ihrem Nervensystem stark er¬
schüttert werden, ist sehr begreiflich; nur das Gegenteil könnte
uns wundern. Nun haben Sie aus der Krankengeschichte ei-
fahren, dass die Beschwerden bei absolut strenger Diät anfangs
bessser wurden und anscheinend ganz unmotiviert sich wieder
verschlimmerten. Weim Sie nun einen solchen Patienten immer
wieder untersuchen und keinen greifbaren Anhaltspunkt für die
Erklärung der Schmerzen finden, was liegt da näher, als die
Schmerzen in Zusammenhang mit der ja in der Tat vorhandenen
Nervosität zu bringen und das ganze Leiden für nervös zu er¬
klären. Je weiter wir aber in das Verständnis der einzelnen
Krankheitserscheinungen eindringen, um so mehr engt sich der
Kreis der von uns für rein nervös gehaltenen Erkrankungen ein
und wir überzeugen uns immer mehr, dass doch häufiger als wir
glauben die organische Veränderung irgend eines Organs die
Ursache für die nervösen Beschwerden abgibt.
Beim zweiten Fall hätte ein Symptom ebenfalls leicht zu
der Diagnose „nervös“ verleiten können. Die Pat. empfand
nämlich schon bei der leichtesten Berührung der Magengegend
intensive Schmerzen, die nur als Hyperästhesie der Haut ge¬
deutet werden konnten. Jetzt, wo die Pat. geheilt ist, ist auch
diese Hyperästhesie verschwunden, womit erwiesen ist, dass die¬
selbe in direktem ursächlichen Zusammenhang mit der Magen¬
erkrankung gestanden. Deshalb seien wir mit der Diagnose
„nervös“ sehr zurückhaltend.
Zur chirurgischen Therapie des Sanduhrmagens.*:
Von Prof. Dr. Adolf Schmitt in München.
Die chirurgische Behandlung des Sanduhrmagens ist häufig
etwas schwieriger wie jene der übrigen mit Stenosenerschei¬
nungen einhergehenden Magenerkrankungen, weil beim Sanduhr¬
magen die Verhältnisse oft komplizierter und vielgestaltiger sind
und weil es im einzelnen Fall gar nicht leicht ist, unter den
verschiedenen möglichen Operationsverfahren das richtige aus¬
zuwählen.
Beim stenosierenden Pyloruskarzinom z. B„ das nicht mehr
durch Resektion entfernt werden kann, oder bei der gutartigen,
narbigen Pylorusstenose, die sich infolge ihrer Derbheit oder
wegen Verwachsungen mit der Nachbarschaft nicht zur Pyloro-
plastik eignet (die Resektion kommt ihrer im Verhältnis zur Gut¬
artigkeit der Erkrankung grossen Gefährlichkeit wegen doch nur
selten in Betracht), ist die Wahl eigentlich nur zwischen den
verschiedenen Modifikationen der Gastroenterostomie zu treffen
und bei dem Widerstreit der Meinungen und nach den veröffent¬
lichten Resultaten kann man sich vorstellen, dass es in der Tat
vielfach Sache der Erfahrung ist, die der einzelne Chirurg mit
einer bestimmten, von ihm vorwiegend geübten Methode gemacht
hat, ob er die vordere oder die hintere Gastroenterostomie aus¬
führt, oh er Hilfsoperationen, die Enteroanastomose z. B., für
nützlich und notwendig hält u. s. w. — die Indikation zur Gastro-
enteroanastomie an sich ist im allgemeinen leicht zu stellen.
Beim Sanduhrmagen kommen von vornherein mehr Operations-
methoden in Betracht als bei der Pylorusstenose; allen gemein¬
sam ist natürlich der Zweck, die oft ungemein heftigen Be¬
schwerden und Schmerzen, die Erscheinungen der Stenose, das
eigentümlich auftretende Erbrechen, die Erweiterung des einen
oder beider Magensäcke zu beseitigen. Es ist einleuchtend, dass
bei der ungemein grossen Verschiedenheit der einzelnen I alle
und hei der Mannigfaltigkeit der Komplikationen, die sich am
erkrankten Magen finden, von einem schematischen Vorgehen,
von einer „Normalmethode“ nicht gesprochen werden kann.
Als Operationsverfahren kommen in Frage: 1. Die digi¬
tale oder instrumenteile Erweiterung der
E insehn ii r u n g durch stumpfe Dehnung von einem Magen-
sclmitte aus (als L o r e t a sehe Methode bezeichnet) ; 2. die
Gastroplastik nach Art der Pyloroplastik bei gut¬
artigen Pylorusstenosen (H ei neke - Mikulicz) quere
Vernähung einer Längsinzision in die einschnürende 1 artie,
3. die Gastroanastomose (W ö 1 f 1 e r ') — Herstellung
einer Verbindung zwischen den beiden Magensäcken; 4. die
Gastroenterostomie (Hacker, W ö 1 f 1 e r) — '\ erbin-
dung zwischen einem der beiden Magensäcke und dem untersten
Duodenum bezw. einer oberen Jejunumschlinge; 5. die Resek¬
tion der einschnürenden Partie; endlich 6. die Kombination ver¬
schiedener dieser Methoden.
Ich habe im letzten Jahre drei F älle von Sanduhrmagen
operiert (im Verhältnis zu den recht zahlreichen operativen Ein¬
griffen am Magen eine geringe Zahl); v. E i s e 1 s b e r g ') teilt
mit, dass er unter 100 Fällen von Magenoperationen, die er inner¬
halb dreier Jahre ausführte, 7 Fälle von Sanduhrmagen fand.
Unter den 82 Fällen von Magenoperationen, die ich in den
letzten 214 Jahren ausführen oder mitbeobachten konnte, habe
ich keinen weiteren Fall gesehen; von den 3 Sanduhrmagen
stammen 2 aus der Praxis des Herrn Kollegen Dr. Deck e r,
in dessen Privatheilanstalt ich die beiden Fälle operierte; über
das Symptornenbild, das in diesen beiden 1 allen die Diagnose
vor der Laparotomie zu stellen erlaubte, hat Decker oben
berichtet; der 3. Fall entstammt der k. chirurgischen Klinik.
Auch hier konnte ich die Diagnose „Sanduhrmagen“ vor der
Operation stellen, allein die Ursache der Einschnürung war,
wenigstens zur Zeit der Operation, eine andere als in den beiden
ersten Fällen, bei denen typische Ulcusnarben die Einschnürung
verursachten; hier hatte sich auf dem Boden des Ulcus bezw.
seiner Narbe ein Karzinom der kleinen Kurvatur
entwickelt.
Es handelte sich in dem Falle (I) aus der chirurgischen Klinik
(auf genommen 14. IX. 01) um einen 32 Jahre alten Schlosser, der
vor 9 Jahren einen hartnäckigen Magenkatarrh durchmachte. Im
Anschluss daran blieben ständig Schmerzen im Magen bestehen,
die last regelmässig 1 y3 Stunden nach dem Essen auftraten. \ or
3 Jahren hatte Patient zum erstenmale Blutbrechen — der be¬
handelnde Arzt diagnostizierte Magengeschwür. Seit dieser Zeit
trat Blutbrechen wiederholt auf, zuletzt im Mai 1901. Nach dem
Genüsse von leichten Speisen trat kein Erbrechen auf. das sonst
oft bestand, doch hatte Patient immer das Gefühl von Schwere
und Geblähtsein des Magens. Patient ist schlecht genährt, mager
und blass. Beim Aufblähen des Magens steht die untere Magen¬
grenze 2 Querfinger breit unterhalb des Nabels; der Magen scheint
etwas vertikal gestellt. Oberhalb und unterhalb des Nabels er¬
kennt man am aufgeblähten Magen eine leicht ausgeprägte
Schn ii r f urclie; der nach rechts gelegene Abschnitt des
Magens, der pylorisclie Theil, bläht sich erst sekundär auf, d. h.
es wird erst links von der Mittellinie eine deutliche Vorwölbung
sichtbar, bis nach einigen Sekunden auch rechts die Aufblähung
und damit die erwähnte Schnürfurche erkennbar wird. Der
Pylorusteil erscheint dabei etwas grösser als der kardiale Teil.
Ein wenig nach rechts von der Einschnürung, 2 Querfinger ober¬
halb des Nabels, dicht an der Mittellinie, ist eine leichte Resistenz
zu fühlen, besonders wenn der Magen aufgebläht ist; die Resistenz
erscheint leicht höckerig, uneben. Der ausgeheberte Mageninhalt
enthält viel freie Salzsäure. Die Spülflüssigkeit läuft bald ganz
rein ab; lässt man aber den Kranken auf die linke Seite legen
oder im Sitzen sich nach links beugen, so werden von neuem
reichliche Speisereste bei der weiteren Spülung ent¬
leert. Bei zwei Ausspülungen fand sich die Spülflüssigkeit etwas
blutig gefärbt. . .
Auf Grund der Anamnese, die auf früheres Ulcus ventricuh
mit Sicherheit hinwies, ferner auf Grund des objektiven Befundes
— Einschnürung bei aufgeblähtem Magen, dessen beide Teile zeit¬
lich verschieden gebläht wurden und des auffallenden Verhaltens
bei der Magenspülung, Spülwasser läuft klar ab. in Seitenlage
werden danach wieder reichliche Mengen von Speiseresten ent-
’) Wölf ler: Ueber die Gastroanastomose beim Sanduhr¬
magen. Beitr. z. klin. Cbir., Bd. XIII, H. 1. (Mit ausführlichem
Literaturverzeichnis.)
'-) v. Eiseisberg: Zur Kasuistik des Sanduhrmagens. Ver-
handl. d. Deutsch. Gesellsch. f. Chir. 1899. (Mit Literaturangaben.)
*) Nach einem Vortrage im ärztlichen Verein in München.
16. September 1902.
MUENCHENEB MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1527
leert — , liess sich die Diagnose Sand u h r m agen mit grosser
Wahrscheinlichkeit stellen. Die höckerige Resistenz am oberen
Magenrande und das zeitweise Auftreten von Blutbeimischung bei
der Ausspülung, sowie der äüsserst schlechte, kachektische All¬
gemeinzustand liess trotz des relativ jugendlichen Alters und der
reichlichen freien Salzsäure im Magensaft die Annahme eines
K a r z i n o m s auf dem Boden des früheren Ulcus bezw. einer
Narbe gerechtfertigt erscheinen.
Bei der am 27. IX. 01 ausgeführten Laparotomie fand
sieh das Karzinom an der kleinen Kurvatur so gelegen, dass ein
Drittel der letzteren dem pylorisclien, zwei Drittel dem kardialen
teil des Magens angehörten. Der ans drei über wallnussgrossen,
harten Knoten bestehende Tumor war mit dem unteren Rande
der Leber breit verwachsen, im Lig. liepato-gastricum waren
mehrere harte Drüsen fühlbar. Eine Exstirpation des Tumors
schien deshalb, sowie mit Rücksicht auf den sehr schlechten Zu¬
stand des Kranken nicht ratsam. Die Umgebung des Tumors er¬
wies sich bis auf Daumenbreite ringsum derb infiltriert (Narbe).
Ton dem Tumor nach abwärts zogen mehrere breite peritonitische
Adhäsionen fächerförmig gegen die grosse Kurvatur hin. Ent¬
sprechend dem Tumor fand sich eine deutliche Einsattelung des
Magens in der Art, dass die grosse Kurvatur gegen die kleine
hingezogen und dadurch der Magen in 2 Säcke geteilt wurde; von
diesen Säcken war der kardiale der wesentlich
g r ö ssere. Bei der Aufblähung des Magens schien das Ver¬
hältnis umgekehrt zu sein, es schien deT pylorische Teil grösser,
doch fand sich bei der Operation, dass der grössere kardiale Sack
zum Teil unter dem Rippenbogen in der Zwerchfellwölbung ver¬
deckt lag, so dass nur sein unterer Abschnitt bei der Aufblähung
bemerkbar wurde, während an dem etwas vertikal stehenden
Organ der pylorische Sack deutlicher hervortrat; auch an diesem
Abschnitte konnte nach seinem Volumen eine Dilatation an¬
genommen werden. Die Passage zwischen den beiden Magen¬
säcken erschien durchaus nicht übermässig eng — ich schätzte nach
der Eröffnung des Magens die Weite auf gut 2(4 — -3 Querfinger¬
breite — , doch war die peristaltische Kraft des stark erweiterten
und in seiner Wandung verdünnten kardialen Sackes sicher er¬
heblich vermindert und nur schwer im stände, die Ingesta vom
tiefstehenden Grunde des kardialen Sackes über die Einsattelung
an der grossen Kurvatur hinweg in den pylorisclien Sack zu be¬
fördern. Da die Verbesserung in der Entleerung des grösseren
kardialen Sackes und die Ausschaltung der Passageerschwerung
am meisten Vorteil versprach, machte icli nach Lösung einiger
Stränge auf der vorderen Magenwand in typischer Weise die
Gastroenter ostomi a posterior (retrocolica) mit
kurzem, zuführenden Schenkel. In den ersten Tagen post, operat.
bestand etwas Singultus und Brechneigung; doch erholte sich'
Patient rasch, vertrug bald auch reichliche Nahrungszufuhr ohne
Beschwerden und hatte bei seiner Entlassung am 9. XI. 01 über
S Pfund zugenommen.
Anfangs Mai 1902, 0(4 Monate post operat., sah ich
den Kranken wieder — er sieht vortrefflich aus, verdaut
gut, erbricht nicht, fühlt sich völlig gesund und erklärt
Meli für vollständig arbeitsfähig, doch hat er von der
Gewichtszunahme von ca. 25 Pfund seit der Operation in
letzter Zeit wieder etwas verloren (ca. 9 Pfund), wie er glaubt,
weil er sein- schwere und anstrengende Arbeit leisten müsse. Bei
6er Aufblähung des Magens ist eine Einkerbung nicht erkennbar,
die untere Magengrenze reicht bis Fingerbreit unter die Nabellinie,
der Tumor ist als undeutliche Resistenz, anscheinend nicht grösser
ids vor der Operation, zu fühlen. Jedenfalls hat die Gastro¬
enterostomie hier vollauf ihre Schuldigkeit getan.
Der Sanduhrmagen war in diesem Falle wohl schon primär
durch die schrumpfende Ulcusnarbe, die breit in der kleinen
Kurvatur lag und auf die vordere und hintere Magenwand Über¬
griff, bedingt worden; das sekundär in der Narbe entstandene
Karzinom mag die Schrumpfung und damit die Einkerbung
des Magens vermehrt haben; die peritonitischen Stränge tragen
zur Bildung des Sanduhrmagens nach ihrer Lage wohl nichts
bei, sie können aber sehr gut die Schmerzen und Beschwerden
von seiten des Magens vermehrt haben.
Weit komplizierter bezüglich des operativen Verfahrens ge¬
staltete sich der zuerst von mir operierte, auf Grund des von
Kollegen Dr. Decker geschilderten Symptomenkomplexes als
Sanduhrmagen diagnostizierte Fall.
II. Frl. Sch. (Fall I bei Dr. Decke r), 28 Jahre alt, leidet
seit ihrem 16. Lebensjahre an Bleichsucht und Magenbeschwerden,
die abwechselnd mit relativ guten Zeiten über 10 Jahre bestanden.
Danach andauernde Schmerzen, Druck und Gefühl von Völle im
Magen. Wiederholte Ulcusliur bringt Besserung auf 2 Jahre, dann
neue, unerträgliche Beschwerden. Erbrechen, starke Abmagerung.
Neue Ulcuskur ohne Erfog. Aufblähung mit Kohlensäure zeigt
eine deutliche Einschnürung; Plätschergeräusch bei Druck auf
einen der beiden Magenabschnitte, das fehlt, wenn an der Ein-
niiinchingsstelle gedrückt wird. Sondenphänomen: Spülwasser
läuft erst ganz klar ab, dann entleert sich plötzlich wieder Speist*
bei weiterer Ausspülung. Bei der Laparotomie am 6. XI. 00
land sich die ganze Vorderfläche des Magens leicht gerötet, mit
ausgedehnten flächenhaften, aber zarten und dünnen peritoni-
tischen Adhäsionen überzogen. Gegen das Lig. gastro-eolicum zu
wurden die Stränge etwas derber und zogen das Colon trans-
■\ ersum bis auf 1 — 2 cm Abstand gegen die grosse’ Kurvatur hin.
1 ngefähr in der Mitte des Magens fand sich dieser durch eine
breite, derbe, scheinbar zirkulär den ganzen Magen umfassende
N a r b e in zwei annähernd gleich g r o s se Säcke
geteilt. Die grosse Kurvatur erwies sich etwas tiefer ein¬
gezogen als die kleine, doch war auch an letzterer die Einkerbung
sehr deutlich erkennbar. Die Höhe der Einschnürung, von der
grossen zur kleinen Kurvatur gemessen, betrug ca. 5 cm. die Breite
der Narbe, in der Längsrichtung des Magens gemessen, ca. 7 cm.
Die beiden Säcke zusammengerechnet, stellte sich eine recht be¬
trächtliche Erweiterung des Magens heraus. Soweit sich bei der
Starrheit der Narbe durch Einstülpung der vorderen Magenwand
am Rande der Narbe schätzen liess, war die Stenose eine sehr
enge, kaum für einen Finger durchgängig. Bei der ziemlich gleich
grossen Ausdehnung der beiden Magensäcke lag der Gedanke nahe,
nach V ölflefs (1. c.) Vorgang eine Verbindung der beiden
Säcke, durch Gastroanastomose herzustellen. Die Schwierigkeit
für diese Operation lag aber einmal in der relativ bedeutenden
Breite und in der grossen Starrheit der Narbe, welche ein An¬
einanderfügen der Säcke erschweren musste, dann aber auch
darin, dass sich insbesondere der pylorische Sack infolge von offen¬
bar auf seiner Hinterfläche liegenden Adhäsionen nur schwer
gegen den kardialen Sack anziehen liess, während mir ein
stärkeres Anziehen des letzteren wegen der an ICardia bezw. Oeso¬
phagus wohl eintretenden Spannung untunlich erschien. Ich
führte desshalb die Gastroplastik nach Analogie der Pyloro-
plastik aus, indem ich einen durch die stenosierende Narbe durch
und beiderseits über ihren Rand 2 cm in gesundes Gewebe reichen¬
den Längsschnitt von 10 cm Länge in der vorderen Magenwand
anlegte. Dabei liess sich feststellen, dass die Stenose in der Tat
nur für wenig mehr als einen Finger durchgängig war. Das Innere
des Magens, das sich nun ziemlich weit übersehen liess, zeigte
keine frischen Geschwüre, die hintere Magenwand war zum Teil
von Narbe frei, so dass diese nicht ganz zirkulär war. sondern nur
ca. % der Zirkumferenz des Magens betraf. Nach Vernäliung der
Längsinzision in quer zur Magenachse gestellter Richtung durch
doppelte Nahtreihe war die Sanduhrform zwar nicht vollständig
beseitigt, aber die Einkerbung doch so bedeutend verringert, dass
eine wesentlich freiere Verbindung zwischen den beiden Magen-
säckeu angenommen werden durfte, die sich bei der Einstülpung
auf 3 — 4 Querfinger Weite schätzen liess. Da die Naht in der
derben Narbe nicht ganz leicht anzulegen war und einige Fäden
beim Knüpfen durefirissen. suchte ich bei der zweiten Knopf naht¬
reihe möglichst viel von der gesunden Magenwand von beiden
Seiten zu fassen und beizuziehen. Am ersten Tage post operat.
trat einigemale Erbrechen auf. der Leib war etwas aufgetrieben,
vom dritten Tage ab normaler Verlauf; Milch wurde vom zweiten
Tage an gegeben, vom vierten Tage ab legierte Suppen, Milch,
vom achten Tage ab Kalbswürstchen, Bries u. dergl. Die Ver¬
dauung war gut, Schmerzen nach der Nahrungsaufnahme in den
ersten 4 Wochen aber noch in mässigem Grade vorhanden. Nach
einer von Schmerz, Erbrechen und sonstigen Beschwerden freien
Pause begannen 2 Monate nach der Gastroplastik von neuem
intensive Schmerzen am Magen, bald auch die Zeichen von Re¬
tention des Mageninhaltes, ab und zu Erbrechen, kurz Symptome,
die zum Teil auf die früheren und jedenfalls auch frisch nach der
Operation am Magen entstandenen entzündlichen Verwachsungen,
auf eine Perigastritis, hinwiesen, zum Teil aber auch auf
erschwerte Entleerung des Magens und Retention durch eine Ste¬
nose bezogen werden mussten; das Ergebnis der Ausspülungen
wies auf eine derartige Störung jedenfalls hin und da mau an
eine Wiederverengerung der bei der ersten Operation er¬
weiterten, den Sanduhrmagen bedingenden Stenose oder an
eine n e u entstandene Verengerung, auf Avelche eine finger¬
dicke Resistenz in der Pylorusgegend hinwies, denken musste,
lag die Indikation zu einer neuen Operation vor, die auch
von der Patientin gewünscht wurde. Die zweite Laparo-
t o m i e wurde am 20. X. 01, über 10 Monate nach der
ersten, ausgeführt. Es fanden sich in der Tat zahlreiche Ver¬
lötungen des Magens durch entzündliche Adhäsionen gegen die
Leber, das Querkolon und leichtere Verwachsungen mit der vor¬
deren Bauchwand, letztere wurde ohne Mühe und ohne Blutung
stumpf gelöst, die übrigen soweit möglich nach doppelter Unter¬
bindung durchtrennt, so besonders ein daumenbreiter, derber
Strang, der über den Pylorus nach der Lebe r
u n d der vorderen Bauchwand z o g. Die Sanduhr¬
form des Magens war nur eben angedeutet; um aber sicher über
die Weite der ehemaligen Stenose orientiert zu sein, schnitt ich
dicht an der gut tastbaren Nahtlinie, etwas gegen die Ivardia zu,
die vordere Magenwand ein, so dass ich 2 Finger in das Magen¬
innere einführen konnte — die ehemalige Stenose war
sicher für 4 Finger bequem durc h gängig — , hier
konnte das Hindernis nicht sitzen. Dieses fand sich vielmehr am
Pylorus, der an einer deutlichen, derben Verdickung — die
ganz den Eindruck einer festen Narbe machte — gut kenntlich
war. Es machte durchaus den Eindruck und schien auch nach der
Anamnese am wahrscheinlichsten, dass in der Zeit zwischen
erster und ^weiter Operation eine intensive
Perigastritis abgelaufen, sowie ein neues Ulcus
a m Pylorus entstanden und vernarbt war und so
eine Pylorusstenose verursachte; bei der ersten Operation
war der Pylorus bestimmt frei von Narbe oder Verdickung, er
2*
1528
wurde, da sich ja dort Geschwüre mit besonderer Vorliebe lokali¬
sieren. genau untersucht. Auf entzündliche Vorgänge, die sich
in der Pylorusregion abgespielt hatten, wies auch der oben er¬
wähnte derbe Strang hin, der seinerseits sehr wohl zu einer Er¬
schwerung der Passage beitragen konnte. Um nun möglichst vor
jeder Passagebehinderung geschützt zu sein, machte ich nach
Vemähung der Probeinzision in der vorderen Bauchwand die
typische Gastroenterostomia posterior (retrocolica)
und zwar etwas kardialwärts von dem Sitze der ehemaligen Ein¬
schnürung. Der Wundverlauf war völlig normal.
Wolil bestanden noch ca. 5 Wochen nach dieser zweiten
Operation zeitweise Schmerzen in der Magengegend, besonders
nach den Mahlzeiten, die auf Perigastritis hindeuteten, aber
die Stenosenerscheinungen schwanden sofort vollständig und die
Beschwerden verminderten sich allmählich so, dass die Patientin
sich jetzt ganz wohl fühlt, fast alle, nicht allzu schweren Speisen
geniessen kann ; sie hat im Winter fleissig getanzt und nach ihrer
Mitteilung bedeutend an Gewicht zugenommen. Dass sich zwi¬
schen erster und zweiter Operation ein neues Ulcus entwickelt
hat, das nach seiner Abheilung (Pat. wurde entsprechend be¬
handelt) eine narbige Stenose am Pylorus verursachte, ist nach
dem Operationsbefunde zweifellos. Ich glaube, dass eine schon
primär ausgeführte Gastroenterostomie diesem üblen Zufall hätte
Vorbeugen können; übrigens sind schon mehrere Fälle beschrieben,
in denen nach dem ersten operativen Eingriff (nach Gastroplastik
besonders) weitere (2 und 3!) Operationen erforderlich waren,
teils wegen Bildung von neuen Geschwüren, teils um Ver¬
wachsungen, die heftige Beschwerden machten, zu lösen u. s. w.
(cf. v. Eiseisberg: 1. c. — Schwarz: Mitteil. a. d. Grenz¬
geb. d. Med. u. Chir., Bd. V, H. 4 u. 5. — Wiener klin. Wochen¬
schrift 1896, p. 548.)
In meinem 3. Falle (Fall II Dr. Deckers) war die jetzt
27 jälirige Patientin, Frl. H., vor 6 Jahren an Magenbeschwerden
erkrankt, die nach 4—6 Wochen für längere Zeit schwanden, um
dann in jedem Jahre wiederzukehren. Seit 2 Jahren fast täglich
heftige Beschwerden. Erbrechen selten. Seit y2 Jahr häufiges
schmerzhaftes Erbrechen, starkes Spannungsgefühl am Magen
und in seiner Umgebung. Aufblähung lässt deutliche Einkerbung
erkennen; Ausspülung im Sitzen ergibt erst klare, darnach mit
Speise gemischte Flüssigkeit. Diagnose: Sanduhrmagen nach
Ulcus. Da trotz Ulcuskur, entsprechender Diät u. s. w. die Be¬
schwerden bestehen bielben, wird am 30. III. 02 die Laparo-
t omie ausgeführt. Es findet sich der Magen überzogen mit viel¬
fachen peritonitischen, flächenhaften Strängen, die gegen den
pylorischen Teil des Magens zunehmen und doi't den Magen nach
hinten wie gegen die Debet' hin fixieren. Der obere Abschnitt
des Duodenums ist durch die Adhäsionen ganz verdeckt und
schwer sichtbar zu machen. Der Magen selbst ist ungefähr i n
seiner Mitte eingeschnürt, so dass er durch eine
5 cm lange, 3 cm breite Narbe in einen etwas
grösseren kardialen und einen kleineren pylo¬
rischen Sack geteilt wird; der kardiale Sack liegt noch
zum Teil unter dem Rippenbogen, sein Fundus steht etwas höher
als jener des pylorischen Teiles, da der ganze Magen leicht vertikal
gestellt ist. Gleichzeitig ist der p.vlorische Sack etwa um 45°
um seine Längsachse in der Art gedreht, dass die
kleine Kurvatur mehr nach vorne, die grosse mehr nach hinten
gerichtet ist. Die Wandung des kardialen Sackes lässt trotz
deutlicher Ektasie eine Atrophie der Magenmuskulatur nicht er¬
kennen. Trotz Lösung zahlreicher Verwachsungen gelingt es
nicht, die beiden Magensäcke an der derben einschnürenden Narbe
vorbei einander so zu nähern, dass die Wölfl er sehe Gastro-
anastomose ohne erhebliche Spannung sich hätte ausführen lassen,
besonders der pylorische Sack des Magens, der fest fixiert wrar.
iiess sich zu wenig mobilisieren. An eine Resektion der Ein¬
schnürung war bei dem elenden Zustande der Pat. und den vielen
Vei'wachsungen nicht zu denken: die Gastroplastik aber schien mir
nicht ratsam, die Narbe war äusserst derb und fest, ich musste
fürchten, bei der quei'en Vernäliung auf erhebliche Schwierigkeiten
zu stossen, und fürchtete auch nach den Erfahrungen im voi'igen
Falle, dass eine neuerdings einsetzende Perigastritis neue Stränge
bilden und dadurch die Möglichkeit neuer Vei'wachsungen und
Passageerschwerung bedingen könnte. Durch eine möglichst fi'eie
und sichere Entleerung des Magens, an dem so lange Jahre
Ulzerationsprozesse sich abgespielt hatten, hoffte ich die Aus¬
heilung etwa noch bestehender Ulzerationen und vor allem die
Neubildung eines Ulcus, das im vorigen Falle zu einer Pylorus¬
stenose trotz Gastroplastik geführt hatte, verhüten zu können.
Ich machte deshalb am kardialen Sack, der sich nach Unter¬
bindung und Lösung einiger Adhäsionen gut umklappen und vor¬
wälzen liess. die hintere Gastroenterostomie. Nach
Eröffnung des Magens konnte ich die Striktur abtasten; sie war
oben für einen Finger durchgängig, die Narbe betraf
mehr als % der ganzen Zirkumferenz des Magens und fühlte sich
auch vom Mageninnem aus enorm fest und derb an. Aus dem
oröffneten kardialen Magen, der vor der Operation völlig leer aus-
gespiilt war. floss eine ungewöhnlich grosse Menge klaren Magen¬
schleimes ab - trotz aller Sorgfalt floss bei Wechsel der ganz
No. 37.
durchtränkten abschliessenden Kompressen doch noch ein wenig
Magensaft in die Bauchhöhle; darauf ist es wohl zuriickzuführeii,
dass in den ersten 4 — 5 Tagen post Operationen» leichte peri-
tonitische Reizerseheinungen bestanden (Meteorismus massigen
Grades, Druckempfindlichkeit besonders in der Magengegend,
einige Male Erbrechen, 2 Tage lang Temperaturen bis 38.5, Puls
bis 130). Diese Erscheinungen waren am 5. Tag geschwunden.
Flatus und Stuhl gingen spontan ab, von da an völlig normaler
Verlauf, Heilung p. p. Pat. stand nach 16 Tagen auf, hat sich
ausserordentlich erholt und ist bei tadelloser Verdauung frei xon
allen Beschwerden.
Es wurde demnach in den 3 Fällen von Sanduhrmagen
2 m a 1 die Gastroenterostomia retrocolica po¬
sterior allein, 1 mal die Gastroplastik und 10 Mo¬
nate später die hintere Gastroenterostomie au>-
geführt (in Fall II auch noch bei der zweiten Laparotomie eine
Inzision in die vordere Magenwand, um die Durchgängigkeit der
durch Gastroplastik erweiterten Stenose zu prüfen). In allen
3 Fällen war ausserdem eine mehr oder weniger ausgedehnte
„G a s t r o 1 y s i s“, die Lösung voxx peritonealen Verwachsungen,
erforderlich. Von dem grossen Nutzen, den die Gastrolysis bei
solchen Verlötungen besonders für die Beseitigung von Schmer¬
zen und die Besserung der motorischen Funktion des Magens
hat, habe ich mich auch in einer Reihe anderer Fälle iiberzeixgen
können ; nach Appendizitis z. B., die in ihren vei’schiedenen An¬
fällen zu . Peritonitis und Verwachsungen geführt hatte xxxxd
ausserhalb des Anfalles operiert wurde, habe ich auch bei glat¬
testem Wundverlauf später wiederholt heftigste Magenschmerzen
und Verdauungsbeschwerden gesehen, die nach Lösung der den
klagen umgebenden Stränge und Schwielen verschwanden. Dass
nach lang bestehendem Magenulcus in der Umgebung des Magens
Entzündung (Perigastritis) und Vei’wachsungen häufig ent¬
stehen, ist bekannt ; die Beseitigung derartiger Stränge u. s. w.
übt in Verbindung mit dem sonstigen Eingriff natürlich auch
beim Sanduhrmagen wohltätigsten Einfluss aus.
Nach den Erfahrungen an den 3 von mir operierten Fällen
und nach dem Eindi’ucke, den ich über die Ei’folge der verschie¬
denen Operationsverfahren aus der Literatur gewonnen habe,
möchte ich die Anwendbarkeit der einzelnen Methoden folgender-
massen abwägen:
Die Gastroenterostomie bietet, wo sie anwendbar
ist, die grössten Vorteile bezüglich der prompten und sicheren
Entleerung des Magens, der Beseitigung der durch die Narbe
oder ein etwa gleichzeitig noch bestehendes Ulcus bedingten Be¬
schwerden und ei'möglicht am ehesten die Abheilung eines solchen
Ulcus; sie beugt wegen der prompten Entleerung am sichersten
der Entstehung von neuen Geschwüren vor und schaltet von
vorneherein am besten die Unannehmlichkeiten einer etwa neu,
von einem bestehenden oder schon abgeheilten Geschwür aus sich
entwickelnden Stenose, am Pylorus z. B., aus (cf. Fall II). Die
Gastroenterostomie allein kann sei b st v e i’s t ä n d 1 i ch nur am
kardialen Magensack, am „Vormagen“, angelegt werden ;
dieser Vormagen ist, wie meine und viele der beschriebenen Fälle
zeigen, in einem sehr grossen Prozentsatz, mindestens in der
Hälfte der Fälle nicht wesentlich kleiner, ebenso gross oder
sogar grösser wie der pyloi'ische Magensack, der „Nachmagen“;
in ihm stauen sich zunächst die Ingesta vor der zum Nachmagen
führenden Stenose, die Beseitigung dieser Stauung wird also
sicher angezeigt und für den Kranken von Vorteil sein. Die von
W ö 1 f 1 e r (1. c.) ausgesprochene Befürchtung, dass die Eta-
blierung einer Magen-Dünndarmfistel am kardialen Sacke „iden¬
tisch wäre mit einer dauernden Verzichtleistung auf die Tätig¬
keit des zweiten Magens“, vennag ich nicht zu teilen. Der zweite
(Nach-) Magen ist in vielen Fällen ganz sicher in seiner mo¬
torischen und chemischen Funktion schon stark beeinträchtigt;
er ist häufig erweitert infolge Inaktivitätsatrophie und mus¬
kulärer Insuffizienz; die Narhe bildet eine Unterbrechung in der
Muskulatur, in den Gefässen und Nexwen des Magens, so dass
die Muskelbewegung des „ersten“ Magens sich an der Narbe er¬
schöpft und seine Tätigkeit nicht mehr auf den „zweiten“ Magen
zu übertragen vermag; dadurch kommt es zur Inaktivitäts-
ati'ophie, da die unter grosser Anstrengung vom ersten in den
zweiten Magen gepumpten Nahrungsmittel in letzterem lange
Zeit liegen hleiben und zu einer mehr oder weniger starken
Ektasie Veranlassung geben (nach Wölflerl. c. p. 232 u. 233).
Die motorische Funktion eines so erweiterten Magenteiles mit
atrophischer Muskulatur wird also wohl recht gering sein und
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
16. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1529
dass auch seine chemische Funktion vermindert oder verändert
ist, unterliegt nach den bei Magenektasien sonst gemachten Er¬
fahrungen keinem Zweifel. Uebrigens glaube ich, dass der Ver¬
zicht auf die Tätigkeit des zweiten Magens auch dadurch in seiner
Bedeutung vermindert wird, dass ja das etwaige Produkt dieses
Magenteiles an Salzsäure u. s. w. durch den Pylorus hindurch
in das Duodenum und von diesem aus mit der Galle und dem
I ankreassekret in den am Magen angehefteten abführenden
Dünndarmschenkel abfli essen kann (letzteres verlangen wir ja
bei jeder Gastroenerostomie). Auch zeigt die Erfahrung, dass
die Erleichterung und Beschleunigung der Magenentleerung bei
Gastroenterostomie wegen Pylorusstenose für die Verdauung
und Ernährung an sich keine besondere Schädigung, bei ek-
tatischem und atrophischem Magen aber besonders für die
Wiederherstellung der motorischen Funktion erhebliche Vorteile
mit. sich bringt3). Ist also der Vormagen nicht wesent¬
lich kleiner wie der Nachmagen, ist er ebensogross
oder gar grösser wie letzterer und bilden nicht allzu aus¬
gedehnte, unlösbare Verlötungen unüberwindbare technische
Schwierigkeiten, was sicher nur selten der Fall sein wird, möchte
ich die Gastroenterostomie am kardialen Teil des Sand-
ulirmagens wegen der vorliegenden grossen Vorteile an erster
Stelle empfehlen. Welche Methode der Gastroenterostomie den
\ orzug verdient, soll hier nicht erörtert werden ; ich persönlich
übe fast ausschliesslich die G.-E. retrocolica posterior (Hacker-
sche Methode) mit der von Petersen4) besonders empfohlenen
Modifikation — möglichst kurzer zuführender Schenkel — und
bin sehr zufrieden damit; ich habe z. B. in den letzten 40 nach
dieser Methode ausgeführten Gastroenterostomien keinen Todes¬
fall und niemals den sonst so gefürchteten Circulus vitiosus
erlebt. In meinen 3 Fällen von Sanduhrmagen hat die G.-E.
völlige Beseitigung aller Beschwerden und vortrefflichen Er¬
nährungszustand erreicht.
Die Gastroanastomose liefert zweifellos eine vorzüg¬
liche Verbindung zwischen den beiden Magensäcken, besonders
wenn sie wie in dem W ö 1 f 1 e r sehen Falle unterhalb der Ste¬
nose nahe der Kurvatur an den einander zugekehrten Wölbungen
der beiden Säcke ausgeführt werden kann, was möglich ist, wenn
die schrumpfende Narbe oben an der kleinen Kurvatur sitzt und
die grosse Kurvatur gleichsam zu sich heraufzieht. Die An¬
legung einer Gastroanastomose auf der Vorderfläche des Magens,
mit Ueberlagerung der Einmündungsstelle, wie es v. Eiseis¬
berg (1. c. Fig. 3) zeichnet, hat den grossen Nachteil, dass dem
doch sehr oft ektatischen und atonischen Vormagen die grosse
Arbeit zugemutet werden muss, den Mageninhalt aus seinem
tief ausgebuchteten Fundus heraus über den „Sporn44 hinweg¬
zuheben und zu pumpen, welcher durch die hinter der Anastomose
hegende Narbenpartie beim Gegeneinanderklappen der beiden
Magenhälften entstehen wird. Ist der kardiale Magen erheblich
kleiner als der pylorische Sack, wenn also die Stenose näher der
Kardia liegt, oder sind beide Magenabschnitte in ihrer Grösse
nicht sehr verschieden und lassen sie sich ohne zu grosse, durch
Verwachsungen bedingte Spannung aneinander bringen und ver¬
einigen, am besten möglichst nahe der grossen Kurvatur und
ohne Spornbildung, ist die Narbenbrücke zwischen den beiden
Säcken nicht allzu breit und fehlen die Zeichen, dass noch ein
Ulcus an der Narbe oder an anderer Stelle des Magens besteht,
dann tut die Gastroanastomose sicher gute Dienste, da sie eine
weite Verbindung zwischen den beiden Säcken herstellt und die
Ausnützung der ganzen Magenverdauung gestattet. Bei Ver¬
dacht oder ^ei Gewissheit, dass noch Ulzerationsprozesse be¬
stehen, ist die Gastroenterostomie wenn irgend möglich vorzu¬
ziehen, da bei ihr infolge der rascheren und sichereren Ent¬
leerung des Magens die Chancen für die Ausheilung und Ver¬
hütung von Geschwüren erfahrungsgemäss sehr günstige sind,
wahrend die Gastroanastomose, welche dem Magen die ganze ihm
zukommende Arbeit überlässt, wohl für ein etwa noch bestehendes
Geschwür in der Narbe, weit weniger aber für Geschwüre an
anderen Magenstellen (Pylorus z. B.) heilwirkend oder für neue
Geschwüre prophylaktisch wirkend sein wird.
3) cf. P e t e r s e n und M a c h o 1: Beiträge zur Pathologie und
J lierapie der gutartigen Magenkrankheiten. Bruns’ Beitr. z. klin.
Clnr., Bd. XXXIII, H. 2, 1902.
4) Pete
U--E. Bruns’
No. 37.
rsen: Anatomische und chirurgische Beiträge zur
Beitr. z. klin. Cliir., Bd. XXIX, H. 3, 1901.
Die Gastroplastik — Längsinzision mit querer Ver¬
nähung die einfachste und am raschesten ausführbare, wohl
auch am meisten bis jetzt ausgeführte Operation, hat den Nach¬
teil, dass sie i n der Narbe, also in schlechtem Gewebe ausgeführt
werden muss, dass bei ihr leicht ein in der Narbe etwa noch be¬
stehendes Geschwür angeschnitten werden kann, dass in dem
Narbengewebe die Gefahr neuer Schrumpfung und Verengerung,
des Rezidivs der Stenose besteht, dass sie weiter bei grossem kar¬
dialen Sack mit tiefem Fundus die Arbeit des Vormagens, die
Hubhöhe für die Ingesta bis zur erweiterten Stenose, nicht
wesentlich verringert. Bei verhältnismässig kleinen, schmalen
Narben mit erheblicher Stenosenbildung, bei nicht tief ausge¬
buchtetem kardialen Magenfundus, beim Fehlen von Geschwüren
und intensiveren Verwachsungen, besonders auch in der Pylorus-
gegend, wo mit neuer Passageerschwerung gerechnet werden
muss, bei der durch starke Verwachsungen bedingten Unmöglich¬
keit die Gastroenterostomie oder Gastroanastomose auszuführen
und bei schlechtem Allgemeinzustand der Kranken, der eine mög¬
lichst rasche Ausführung der Operation verlangt, mag die Gastro¬
plastik am I lat.ze sein. In meinem lalle II habe ich übrigens
gesehen, dass die quere Vernähung einer grossen Längsinzision
durch eine breite Narbe auch nicht erheblich rascher ausführbar
ist, als eine Gastroenterostomie, die sich im gegebenen Falle durch
den Murphyknopf noch wesentlich abkürzen lässt. Bei kleiner,
beweglicher Narbe, die nur einen Teil der Zirkumferenz des
Magens an der Einschnürungsstelle betreffen, kann mit der
Gastioplastik ganz gut die Exzision der Narbe, eine partielle
Magenresektion verbunden werden. Auch kleinere Geschwüre
sind schon mitexzidiert worden.
Findet sich nach Eröffnung des Magens, dass bei der Gastro¬
plastik die Erweiterung der Stenose nicht vollkommen sicher ge¬
nügend werden würde, oder werden noch weitere Narben oder Ge¬
schwüre entdeckt, könnte an die Gastroplastik sofort die Gastro¬
enterostomie angeschlossen werden.
Eine vollständige quere Resektion der steno¬
siel ten I artie nach Art der Billroth sehen Pylorusresektion
ivird sich wohl nur in seltenen, günstig gelagerten Fällen, mit
nicht allzu breiter, gut beweglicher Narbe, nicht allzu vielen
Verwachsungen und relativ kräftigem Zustand des Kranken aus¬
fühl en lassen. Die straffe Fixation eines oder beider Magenteile,
besonders des kardialen, durch solche Verwachsungen mit der
Nachbarschaft, mit Leber, Pankreas u. s. w. könnte die Sicher¬
heit dei zirkulären Magennaht in höchstem Grade gefährden.
Die totale Resektion der Narbe mit Vernähung der beiden Magen¬
teile und Zurücklassung des narbigen Teiles, nach
Analogie der Darmausschaltung, wird wohl kaum jemals zulässig
ei scheinen, die sogen. L o r e t a sehe Operation aber, die stumpfe
Dehnung der Stenose von einem Magenschnitt aus, ist wegen
ihier vollständigen LTnsicherheit bezüglich der Wiedervereng’e-
rung beim Sanduhrmagen wohl kaum jemals zulässig.
Der angeborene Sanduhrmagen wird wohl sehr selten
Anlass zu operativer Behandlung geben — das Organ ist an den
Zustand adaptiert, es macht keine oder nur geringe Beschwerden;
dass ein Sanduhrmagen überhaupt besteht, wird häufig erst bei
der Sektion entdeckt.
Der erworbene Sanduhrmagen aber, gleichviel ob er
durch schrumpfende Ulcusnarbe, durch Karzinom oder starke
Stränge bedingt ist, macht oft die heftigsten Beschwerden und
schwersten Ernährungsstörungen; er bildet ein dankbares Objekt
für die operative Behandlung und es empfiehlt sich sehr, die
Operation nicht hinauszuschieben, bis der Kranke ganz elend ge¬
worden ist, da durch Ausspülungen, die den pylorischen Teil des
Sanduhrmagens ja doch meist nicht erreichen und entlasten, ob¬
wohl er es am nötigsten hätte, höchstens eine bald vorübergehende
Erleichterung, aber keine dauernde Beseitigung der vielen Be¬
schwerden erreicht werden kann. Wenn unter der Diagnose Ver¬
wachsungen am Magen nach Ulcus, Magenstenose u. s. w. operiert
oder bei unsicherer Diagnose wegen heftiger Magenbeschwerden
die Probelaparotomie gemacht wird, ist eine recht genaue Be¬
trachtung des möglichst weit zugänglich gemachten Magens sehr
anzuraten; der Sanduhrmagen wird gewiss manchmal über¬
sehen, besonders wenn ein kleiner kardialer Sack hoch oben
unter der Zwerchfellwölbung liegt.
Anmerkung: Eine ausführliche Zusammenstellung der
Literatur wird in der demnächst erscheinenden Dissertation des
Kollegen W i s 1 i c e n u s enthalten sein.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
1530
Grundsätze der Syphilisbehandlung.
Von Dr. E. v. Düring in Konstantinopel.
Seit Jahren ist die Frage nach den Grundsätzen für eine
zweckmässige Syphlisbehandlung nicht von der Tagesordnung
verschwunden. Während die Mehrzahl der Autoritäten und
Praktiker Anhänger der chronisch-intermittierenden Behand¬
lungsmethode nach Fournier-Neisser sind, wird von der
anderen Seite, in letzter Zeit z. B. besonders eingehend und be¬
redt von B 1 a s c h k o, weiter von H e u s s, Caspary u. a. m.,
diese Methode bekämpft und die symptomatische Behandlungs¬
methode verteidigt. Auf beiden Seiten werden mit theoretischen
Erwägungen mehr, als mit praktischen Ergebnissen die leitenden
Grundsätze verfochten. Die Anhänger der chronisch inter¬
mittierenden Methode führen überdies Statistiken vor zur Stütze
ihrer x\nsiehten, die den praktischen Beweis erbringen sollen,
dass die Häufigkeit des Tertiarismus und anderer Folgeerschei¬
nungen der Syphilis direkt abhängig sind von einer genügenden
oder „ungenügenden“ Behandlung.
In solchen Fragen mit theoretischen Gründen den Gegner
überzeugen zu wollen, ist ein missliches Ding; denn unsere
theoretisch-wissenschaftlichen Anschauungen sind schwankende
Dinge und stehen häufig mehr unter dem Einfluss unserer sonsti¬
gen praktischen Ansichten, als umgekehrt.
Mit Statistiken, d. h. mit den Statistiken, die die Syphi-
lidologen bis heute machten, ist aber absolut nichts und absolut
alles zu beweisen; ganz besonders nicht mit den Statistiken
F ourniers, dessen grosse Beredsamkeit und blendender Stil
ihn selbst und andere leider nur schon zu lange darüber täusch¬
ten, dass durch häufige Wiederholung ein Irrtum doch niemals
Wahrheit wird. Vielleicht werden die letzten Arbeiten über
die Folgen der hereditären Syphilis und über Parasyphilis, die
von Fournier selbst oder unter seiner Autorität veröffentlicht
sind, eine gewisse Reaktion hervorrufen; denn zweifellos sind
Fourniers Veröffentlichungen mehr glänzend, als wissen¬
schaftlich und kritisch. Dass man aus F ourniers Statistiken
genau das Gegenteil beweisen kann von dem, was der Verfasser
beabsichtigt, ist sicher, und in einem Falle von Seligsohn1)
in sehr guter Weise ausgeführt worden.
Die eigenartige Arbeit an einem Massenmaterial bei Unter¬
suchungen über endemische Syphilis in Kleinasien hat mir das
Studium statistischer Fragen und statistischer Werke in den
letzten Jahren nahe gelegt. Je länger ich mich damit beschäftige,
um so grösser erkenne ich die Schwierigkeiten; ich verstehe jetzt
die Berechtigung der sarkastischen Aeusserungen, die auf dem
Brüsseler Kongress über unsere Syphilisstatistiken laut ge¬
worden sind.
Um zu Syphilisstatistiken zu kommen, müssen wir ganz
andere Grundlagen haben und ganz besonders erst Vorstudien
über Statistik überhaupt machen!
Wir sind uns ja über die grundlegendsten Fragen nicht ein¬
mal einig. Wir wissen nichts Bestimmtes über die Verbreitung
der Syphilis2); wir sind nicht darüber einig, wie viele vom
Hundert tertiäre Syphilis bekommen; ja wir sind uns offenbar
nicht einmal ganz darüber klar, was sekundär und tertiär ist.
Denn sonst wäre es ganz unmöglich, dass z. B. Fournier und
Ehlers die Ilauptzahl oder eine grosse Zahl der Tertiären im
zweiten Jahre angeben. Entweder wir verstehen unter tertiären
Symptomen etwas verschiedenes, oder die Syphilis in Paris und
Kopenhagen entwickelt sich anders, als an anderen Orten. Denn
fast überall, und so auch nach meinen Erfahrungen hier im
Orient, fällt die Häufigkeit der tertiären Syphilis ins dritte bis
fünfte Jahr nach der Infektion.
Wenn wir uns nun über so grundlegende Fragen unklar und
uneinig sind — wo wollen wir denn eine Basis für Statistiken ge¬
winnen?
J) So weist z. B. Seligsohn nach, dass durch eine andere,
aber durchaus logischere Gruppierung der F ourni er sehen
Zahlen es sich ergibt, dass gar keine Behandlung in Bezug
auf den Tertiarismus günstigere Zahlen gibt, als eine Behandlung
von einjähriger Dauer u. s. w.
2) Gerade diese Frage hat mich beschäftigt, und ich habe die
Unmöglichkeit eingesehen, mit einiger Sicherheit aus konventio¬
nellen Daten Rückschlüsse auf die Häufigkeit der Syphilis über¬
haupt zu ziehen. S. die besten Versuche in dieser Hinsicht bei
B 1 a s c h k o.
Sämtliche Statistiken — ich wiederhole hier Altbekanntes,
oft Gesagtes — welche den Zusammenhang zwischen Häufigkeit
des Tertiarismus und ungenügender Behandlung beweisen sollen,
kranken an dem einen Fehler, dass wir über die Häufigkeit der
Syphilis überhaupt, und über die Zahl der überhaupt, wenn auch
ungenügend Behandelten gar nichts wissen.
Darüber kann doch im Ernst eine Meinungsverschiedenheit
nicht bestehen, dass de facto — nicht nur im Sinne Fournier-
Neissers — die Zahl der ungenügend Behandelten, ja gar
nicht Behandelten bei weitem ein Vielfaches beträgt von der Zahl
der nur einigermassen genügend Behandelten. Ich bin über¬
zeugt, dass in Deutschland und in Frankreich noch lange nicht
ein Viertel der Patienten behandelt, sicher nicht genügend be¬
handelt wird.
Zunächst kommt die Abneigung der Patienten gegen die
Behandlung und gegen die Kosten derselben in Betracht. Man
hat gut dem Patienten sagen, er müsse, auch ohne Symptome,
nach einiger Zeit die Behandlung wiederholen! Bei vielen hält
es schon schwer, während des Bestehens einer floriden Syphilis
sie zur gewissenhaften Beobachtung aller "V orschriften anzu¬
halten.
Die erwähnte Abneigung und Leichtsinn spielen hier eine
grosse Rolle. Allerdings lässt sich nicht läugnen, dass bei dem
gebildeten Publikum hierin eine gewisse Erziehung zu bemerken
ist; gleichwohl ist auch unter ihnen die Zahl der „Negativen“
nicht gering. Wenn man schon während des Bestehens der Sym¬
ptome Schwierigkeiten hat — wie viel weniger werden dann ge¬
sunde, kräftige, etwas leichtsinnige Menschen sich zu einer Be¬
handlung entschliessen, wenn ihnen nichts zu fehlen scheint.
Weiter gibt es doch auch sehr viele Spezialisten, praktische
Aerzte, die gar nicht Anhänger der chronisch-intermittierenden
Methode sind.
Und schliesslich das Gros der arbeitenden Klassen, die doch
sicherlich eine beträchtliche Prozentzahl der Syphilitiker stellen,
werden doch zweifellos weitaus in der grossen Mehrzahl höchstens
dann behandelt, wenn sie sehr sichtbare, sie störende Erschei¬
nungen haben.
Unbedeutende Rezidive, einzelne Papeln werden mit einem
Hausmittel, mit einem „blutreinigenden Kräuterthee“, höchstens
mit etwas Höllenstein — aber nicht spezifisch behandelt. Sie
heilen spontan.
Also jedenfalls kann man sagen, dass allerhöchstens ein
Viertel aller Syphilitiker einigermassen „genügend“ behandelt
wird. Demgemäss müssen sich, auch wenn die Behandlung gar
keinen Einfluss hätte, unter 100 Tertiären die Verhältnis¬
zahlen der „ungenügend“ (-f- gar nicht) Behandelten zu den „ge¬
nügend“ Behandelten = 75 : 25 stellen — was absolut nicht der
Fall ist. Noch viel weniger aber finden wir eine Verhältniszahl
wie etwa 95 : 5, oder, noch viel auffallender, wie 98 : 2, die sich
ergeben müsste, wenn bei den genügend Behandelten die Zahl
der Tertiären von 10 Proz. der Infizierten auf 1 — 3 Proz. herunter¬
ginge! De facto zeigen alle Statistiken nur wenige Prozente
Unterschied zwischen den Zahlen der genügend und ungenügend
Behandelten.
Selbst die beste Statistik der Verteidiger der F ournier-
N e i s s e r sehen Methode, die Raff sehe, beweist höchstens,
worauf schon Blaschko aufmerksam macht, dass eine Be¬
handlung überhaupt — noch nicht einmal etwa eine ge¬
wissenhaft durchgeführte symptomatische — , sondern
eine Behandlung überhaupt geeignet ist, die Prognose in Be¬
zug auf den Tertiarismus zu verbessern.
Wir stimmen Raff demgemäss vollständig bei — aber auch
gegen seine eigene Arbeit — , dass wohl noch lange Zeit ver¬
gehen kann, ehe die Richtigkeit der Methode statistisch be¬
wiesen oder widerlegt sein wird. Also mit Statistiken
können weder wir unseren Gegnern, noch unsere Gegner uns vor¬
läufig etwas anhaben.
Wissenschaftlich- theoretische Erwägungen anderer Art könn¬
ten uns nun zur Wahl einer Methode bestimmen. Die Entschei¬
dung der Frage, ob das Hg mikrobizid oder als Antikörper
wirkt, würde zweifellos von entscheidendem Einfluss auf die
Grundsätze der Syphilisbehandlung sein — aber sie ist eben doch
noch nicht entschieden. Da wir uns hier auf absolut hypo¬
thetischem Boden bewegen, so wird, worauf ich schon hindeutete,
sehr häufig die theoretische Erklärung durch die praktische An-
16. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1531
sicht, nicht die praktische Ansicht durch die Theorie bestimmt
werden !
Wenn uns also Statistik und theoretisch-wissenschaftliche
Begründung im Stich lassen, so bleibt uns doch wohl vorläufig
nichts übrig, als uns auf unsere „Eindrücke“ zu verlassen —
trotz der Geringschätzung, mit der man vom IV ert der Eindrücke
spricht und Statistiken verlangt. Denn die Reihe und Fülle der
„Eindrücke muss beim denkenden Arzte das erzeugen, was wir
„Erfahrung“ nennen! IJnd Raff selbst, der eine Bemerkung
gegen die „Eindrücke“ macht, sagt pag. 7 : „Diesem Eindruck
(dass Hg in gewissem Umfange vor dem Tertiarismus schützt)
kann sich niemand entziehen, der bei einer grösseren Anzahl
tertiärer Fälle festgestellt hat, wieviele von ihnen gar nicht mit
Hg behandelt worden sind“. Die kleine Berechnung, die ich
oben angestellt habe, könnte doch auch diesen „Eindruck“ er¬
schüttern !
Die heute herrschenden Anschauungen bringen es mit sich,
dass viele von uns Syphilidologen als überzeugte Anhänger der
chronisch-intermittierenden Behandlung in die Praxis treten.
Zweifel, die bei uns aufsteigen, bringen uns in eine sehr schwie-
rige innere Lage. Statistik und theoretische Erwägungen ver¬
mögen uns keine sichere Ueberzeugung zu geben; wir selbst
haben, wenn auch durch gewisse „Eindrücke“ und Erfahrungen
stutzig gemacht, doch eine zu schwere Verantwortung, um durch
Unterlassen einer chronisch-intermittierenden Behandlung viel¬
leicht spätere Rückfälle zu veranlassen — wie soll der einzelne
die Verantwortung auf sich nehmen, an seinen Kranken selbst die
entscheidenden Erfahrungen zu sammeln? Und wie viele Jahre
sind dazu nötig?
Diese Erfahrungen hat mir nun ohne mein Zutun meine
eigenartige Praxis gegeben. Und besonders auf Grund meiner
praktischen Erfahrungen, viel weniger durch Statistik und
Theorie, bin ich zu meinen Grundsätzen für die Syphilisbehand¬
lung gekommen.
Das Material, welches mir während länger als einem Jahr¬
zehnt zur Beobachtung gedient hat, ist ein sehr eigenartiges und
hat in einem Teile den ausserordentlichen Vorzug, dass die
Patienten einem fast nie ganz aus den Augen kommen; in einem
anderen Teile hat man Gelegenheit, die Erfolge der verschieden¬
sten Methoden mit einander zu vergleichen.
Die E remdenkolonie einer Stadt wie Konstantinopel ist immer¬
hin nur ein Kleinstädtchen in einer grossen Stadt. Man kennt
den grösseren Teil der besseren Familien, besonders der jungen
Leute aus der deutschen, österreichischen, englischen, französi¬
schen Kolonie und der Levantiner. Man trifft sie im Vereins¬
haus, im Klub, in Gesellschaften, auf der Strasse; man kann
jeder Zeit sie persönlich über ihr Befinden fragen oder unver¬
dächtig Erkundigungen einziehen; ja, ein nicht geringer Teil der
jungen Leute muss sich wieder an uns Wenden, wenn sie ihr
Leben versichern lassen wollen.
Wenn man nun unter dieser Klasse nur eine kleinere An¬
zahl — einige siebzig — während einer längeren Reihe von Jahren
verfolgen kann, so ist diese Zahl zur Aufstellung von Statistiken
nicht geeignet — gleichwohl bilden diese Patienten ein vorzüg¬
liches Feld um Erfahrungen zu sammeln. Ueber den Gesund¬
heitszustand dieser Patienten habe ich mich mit der denkbar
genauesten Sicherheit unterrichten können, ich bin ihr Arzt ge¬
blieben, ich habe ihre Kinder gesehen, oder habe sie sonst be¬
obachtet.
Unter diesen Patienten sind nun nicht wenige, die nach ein
oder zwei Behandlungen die Begeisterung an der Sache verloren;
die wohl kamen, wenn sie wieder Symptome hatten, oder eine
Behandlung nach längerer Zeit begannen, wenn man sie sehr er¬
mahnte. Aber sie waren doch sehr nachlässig in der Durch¬
führung der Behandlung. Nun, diese Patienten sind jetzt über
5, 6, 10 ja 12 Jahre hinweg, zum Teil verheiratet, Väter gesunder
Kinder, subjektiv und objektiv vollständig gesund — ohne dass
sie die klassische Behandlungsmethode durchgemacht haben.
Ob sie nach 20 Jahren oder später ein Syphilid oder Syphilis
des Nervensystems bekommen werden, weiss ich nicht — dass
davor aber selbst die konsequenteste Eournier sehe Methode
mcht schützt — dafür habe ich traurige Beweise!
Auf der anderen Seite sah ich unter meinen Dauerpatienten
solche, die kräftig und gesund waren, aber ein unregelmässiges
Leben führten; besonders viel kneipten, bis tief in die Nacht
spielten, oder auch solche, die als Handlungsreisende oder als
Inspektoren für grössere Institute viel unterwegs waren und
nicht legelmässig leben konnten, bei ihnen folgten sich die Re¬
zidive, rasch, sie wurden sehr ausgiebig behandelt — und trotz¬
dem sind eine Reihe von ihnen mit tertiären Erkrankungen ge¬
kommen und sind eigentlich auch objektiv nie recht gesund.
Dann kommt die Klasse derer, die nervös, neurasthenisch,
hysterisch, anaemisch, kachektisch sind — diese Patienten behält
man nur sehr ungleichmässig, sie wechseln alle Augenblick Arzt
und Behandlung • ; bei ihnen ist die Behandlung besonders
schwierig, denn das Hg greift sie an, und kaum ausgesetzt, macht
die Syphilis von neuem Symptome. Hier ist von dem Fest¬
halten eines starren Prinzipes schon gar nicht die Rede — man
muss die Behandlung durchaus den gegebenen Bedingungen an¬
passen.
Wenn ich nun diese Reihen meiner Patienten miteinander
vergleiche, so habe ich daraus den Eindruck gewonnen, dass —
soweit wir für Heilung im Einzelfalle Beweise erwarten können
— ein grosser Teil meiner Patienten mit recht geringen Dosen
Hg geheilt worden ist; dass bei anderen Patienten von vorne-
herein die Symptome sehr rebellisch sind, aus Ursachen, die in
ihrer Konstitution oder in ihrer Lebensweise bedingt sind. Und
obwohl in diesen Fällen — de facto, nicht aus Prinzip — die
Grundsätze der chronisch-intermittierenden Methode angewendet
sind, so sind die Resultate doch nicht so günstig, wie in der
ersten Gruppe.
Natürlich habe ich auch nicht wenige Fälle, in denen ich
aus alter Ueberzeugung und weil die Patienten es wünschten,
die chronisch-intermittierende Methode durchgeführt habe, vor
J ahren — dass die äussere Anwendung des Hg in dieser
Form gefährlich sei, kann ich nicht behaupten.
Als ganz eigenartiges Beobachtungsmaterial steht mir nun
das Massenmaterial der endemischen Syphilis in Kleinasien zur
Verfügung. Venn auch meiner Ansicht nach von früheren Be¬
obachtern die Prozentzahl der Tertiären bei endemischer Syphilis
zu hoch angegeben ist — auch von mir selbst früher3) — , so
beträgt sie doch mindestens 25 — 30 Proz. aller Fälle. Diese
Patienten haben nun weitaus in der Mehrzahl gar keine Behand¬
lung durchgemacht oder eine einmalige, oft ganz verhängnis¬
volle Räucherungs- und Hungerkur. Ihre ungenügende Haut-
und Mundpflege, Unterernährung, Unreinlichkeit, Ungeziefer
sind wohl unterstützende Reize, die beim Fehlen der Behandlung
zu der hohen Zahl von Syphiliden der Haut und der Schleim¬
häute Veranlassung geben.
Dass eine geringe Menge Hg und das Fehlen der eben an¬
geführten äusseren Umstände schon einen grossen Einfluss haben
auf die grössere oder geringere Höhe der Zahl des Tertiarismus,
dafür geben wieder meine Erfahrungen im Innern Kleinasiens
den Beweis.
In den kleinen Städten im Innern leben meist die wohl¬
habenderen Grundbesitzer, wenigstens während eines grossen
Teils des J ahres und die Handwerker. Hier sind die hygienischen
Bedingungen günstiger und es gibt Arzt und Apotheker. Hier
ist die tertiäre Syphilis sehr viel seltener als auf dem Lande.
Anfänglich glaubte ich, dass die Syphilis überhaupt auf die
Dörfer beschränkt sei. Aber die Erfahrungen der letzten Jahre,
mehrmonatlicher Aufenthalt in solchen Städten, hat uns den
Beweis geliefert, dass auch hier Syphilis massenhaft vorkommt
— aber sie wird eben, wenn auch nach unseren Ideen ungenügend,
behandelt !
So hat sich bei mir zunächst die Ueberzeugung befestigt,
dass wir in vielen Fällen mit bedeutend geringeren Dosen, als
die chronisch-intermittierende Methode verlangt, das erreichen
können, was wir erstreben. Aber eine andere sehr ernste Er¬
fahrung hat mich zum Gegner der klassischen chronisch -inter¬
mittierenden Methode gemacht.
Meine Gegnerschaft richtet sich übrigens vorwiegend gegen
die innerliche Darreichung des Hg, also speziell gegen die
klassische, auch in den südlichen Ländern noch unbedingt die
Oberhand behauptende Methode Fourniers.
Ich erwähnte schon oben, dass ich — immer in der Hand
eines denkenden, individualisierenden Arztes — die Gefahren der
chronisch-intermittierenden Behandlung bei ausser lieber
_ • ■, » • r r rr
8) S. meine diesbezüglichen Studien über endemische Syphilis
im Archiv für Dermatologie und Syphilis 1902.
3*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
1532
Anwendung nicht hoch anschlagen möchte. Gleichwohl bin ich
gegen dieselbe, weil ich sie für unnötig halte; ich werde bei Dar¬
legung meiner Grundsätze noch näher darauf eingehen.
Diese Methode, besonders die der Injektionen, kann nie so
verhängnissvoll werden, schon aus dem Grunde, weil der Patient
zum Arzt kommen muss, unter Beobachtung bleibt; bei der
Schmierkur gilt das nur beschränkt, aber doch viel mehr, als
bei der innerlichen Darreichung des Hg. Also k a n n der Arzt
doch eher individualisieren. Und Neuras thenische. Anämische
zwingen den Arzt zur Aenderung der Behandlung — Pillen
schlucken sie, wie ich aus massenhaften Beispielen erfahren habe,
ruhig weiter ; besonders wenn sie von einer Autorität verschrieben
und ihre Neurasthenie und Anämie als . „syphilitische“ be¬
zeichnet sind.
Was ich als Eolgezustände der chronisch-intermittierenden
Methode bei innerer Darreichung des Hg gesehen habe, ist ge¬
radezu erschreckend und verdichtet sich für mich zu einer
schweren Anklage der Eournier sehen Methode.
Schon in einer Dissertation von G. v. Wedel, die im Jahre
1896 auf meine Veranlassung geschrieben ist, wird darauf hin¬
gewiesen :
„Es ist leicht, dem Praktiker zuzurufen, er müsse indivi¬
dualisieren. Die Patienten kommen von der Autorität mit
fertigen Vorschriften zum Praktiker zurück. Sie haben es
schriftlich, dass sie in den nächsten 4 Jahren so und so viel
Behandlungen in so und so viel Zwischenräumen machen sollen.
Häufig genügt ihnen diese von der Autorität gegebene Vor¬
schrift; sie behandeln sich selbst. Was weiss der Spezialist, der
den Kranken einmal untersucht hat, aber von der Individualität
des Kranken und den Antezedentien im Krankheitsverlauf, die
doch nur durch fortgesetzte und lang währende Beobachtungen
kennen gelernt werden können. Der Kranke geht nach einigen
Jahren noch einmal in die Sprechstunde (der Autorität), und
es wird bei Wiederauftreten von Symptomen die Behandlungs¬
dauer wieder auf Jahre festgelegt. So treffen wir Kranke, die
— viel klüger als ihre Aerzte, denn sie haben ja eine schriftliche
Anweisung für ihre Behandlung — jahrelang Hg gleichsam als
Nahrungsmittel nehmen.“
Was hier steht, ist der Ausdruck der traurigen Erfahrungen,
die ich gerade mit den Patienten in Konstantinopel gemacht
habe. Es sind nicht etwa obskure Aerzte, sondern erste Autori¬
täten, die so die Syphilitiker behandeln — und die trotzdem von
der Pflicht des Individualisieren und von der Möglichkeit des
Individualisieren sprechen.
Geradezu trostlos sind die Folgen der internen chronisch¬
intermittierenden Methode. Ist vielleicht in etwas die mit em¬
pfindlicherem Nervensystem begabte romanische und überhaupt
die südeuropäische Rasse Ursache, dass wir in diesen Ländern
häufiger Syphilis des Zentralnervensystems sehen — für mich
unterliegt es gar keinem Zweifel, dass die geradezu erschrecken¬
den, mit den Erfahrungen aller anderen Länder im Widerspruch
stehenden Statistiken Eourniers und die zahlreichen Fälle
von schwerer Neurasthenie, Anämie, Kachexie und Syphilis des
Nervensystems, die ich in Konstantinopel gesehen habe, eine
Folge der inneren, chronischen Darreichung des Hg sind. Ich
habe oft die grössten Schwierigkeiten gehabt, die Patienten
zum Aufgeben der ihnen schriftlich mitgegebenen, auf Jahre fest¬
gelegten Behandlung zu veranlassen, und es ist ganz unglaublich,
wie schwere Fälle von Tertiarismus ich bei solchen Patienten
gesehen habe. Warum fehlen diese Erfahrungen nun bei den
von mir von vorneherein behandelten Südländern ? Sollten die eben
erwähnten Erfahrungen etwa daraus zu erklären sein, dass nur
die schweren, unheilbaren Fälle der nach auswärtiger Vorschrift
behandelten Kranken schliesslich noch zu mir kamen? Ich
kann dem entgegenhalten, dass mir sehr zahlreich frische, d. h.
im ersten oder zweiten Jahre der Behandlung stehende Fälle zu-
kamen, die nach denselben Grundsätzen in Konstantinopel be¬
handelt waren, bei denen trotz monatelang fortgesetzter interner
Darreichung des Hg die Symptome nicht schwinden wollten —
die nun bei Aussetzen der Behandlung von selbst schwanden, und
zwar doch wohl, weil die Anämie, die Verdauungsstörungen der
Patienten nach Aussetzen des Hg wie von selbst aufhörten !
Leider zwingen uns die Verhältnisse — poliklinische Massen¬
behandlungen, Reisende • — und manchmal die Bequemlichkeit,
in Bezug auf die innere Darreichung des Hg Konzessionen zu
machen. Für kürzere, Aushilfskuren mag man sie hin und
wieder anwenden. Aber die chronisch-intermittierende innerliche
Darreichung des Hg halte ich nach meinen nicht geringen Er¬
fahrungen für direkt schädlich, ja durch die Schwächung des
Organismus direkt für eine der unterstützenden Ursachen des
Tertiarismus und der Syphilis der Nervensystems.
Es ist hier auch der Platz, ein Wort über gewisse sogen,
parasyphilitische Erkrankungen, besonders über Tabes und pro¬
gressive Paralyse zu sagen. Dass Syphilis an und für sich nicht
die Ursache dieser Erkrankungen ist, darüber kann gar kein
Zweifel bestehen, denn unter zehntausenden von Syphilitikern
hier in Kleinasien findet man kaum einen Tabetiker oder Para¬
lytiker! Und Glücks Erfahrungen in Bosnien sind die
gleichen. Es müssen also andere Ursachen alleine, vielleicht
unterstützt durch die Syphilis, zur Tabes und Paralyse führen.
Dass aber bei nervösen, neurasthenischen Individuen eine schwere
Schwächung des Organismus und Schädigung des- Nervensystems
durch länger fortgesetzte innere Darreichung von Hg eintritt,
ist doch wohl recht begreiflich und wahrscheinlich.
Es ist denen, die ihre Erfahrungen an einem so zu Ver¬
gleichen auffordernden Material machen, wie ich, durchaus nicht
zu verargen, wenn sie für die Häufigkeit der Tabes und Paralyse
bei Syphilitikern in Frankreich mindestens ebensosehr die
Schädigungen des Nervensystems durch übertriebene, zur Anämie
und chronischen Erkrankungen der Verdauungsorgane führende
innere Darreichung des Hg anschuldigen, als die Syphilis.
Bei dieser Methode noch vom Individualisieren zu sprechen,
wirkt fast komisch. Die Patienten bringen auf ein Jahr, ja
auf mehrere Jahre ihre Behandlung schriftlich mit. Und Medi¬
kamente schlucken tut, trotz aller Reaktion dagegen, der Durch¬
schnittsmensch gewissenhaft. Dazu kommt, dass es bequem, dis¬
kret, billig und reinlich ist, wenn man seine Syphilis zu Hause
mit Pillen behandeln kann — Gründe genug, die Patienten zum
festen Vertrauen auf die Autorität zu veranlassen. Die F o 1 -
g e n sehen aber mehr andere Leute.
Also gerade die Methode, welche schon an und für sich die
schlechteste ist, ist es, die ohne jede ärztliche Aufsicht, ohne
Kontrole, als Schablone dem grossen Publikum — und damit
dem Gros der Praktiker — in vielen Ländern empfohlen wird.
Dass sich damit die Schädlichkeiten der an und für sich viel
weniger zweischneidigen, stets ärztliche Kontrolle verlangenden
Injektionskur selbst in der Hand des enragiertesten Propliy-
laktikers gar nicht vergleichen lassen, liegt auf der Hand.
Ich kann meine Erfahrungen dahin zusammenfassen, dass
im allgemeinen eine weit geringere Menge von Quecksilber hin¬
reicht, um die Patienten von Tertiarismus und den übrigen Fol¬
gen der Syphilis zu bewahren, als diejenige ist, welche im Laufe
einer chronisch-intermittierenden Behandlung nach Neisser-
F ournier angewandt wird ; dass weiter zweifellos die Queck¬
silberbehandlung vor dem Tertiarismus schützt; dass für das
Auftreten des Tertiarismus aber trotz Quecksilber andere Fak¬
toren, Anämie, Neurasthenie, Fieber, Alkohol, unregelmässige
Lebensweise, geistige Ueberanstrengungen, Sorgen, Aufregungen,
von der grössten Bedeutung sind.
Schliesslich behaupte ich direkt auf Grund meiner Er¬
fahrungen — Statistik habe ich nicht — , dass ein lang fort¬
gesetzter innerlicher Gebrauch von Quecksilber zu den eben an¬
geführten Ursachen für das Auftreten des Tertiarismus und Er¬
krankung des Nervensystems hinzutritt.
Was nun die praktische Ausführung der Behandlung an¬
geht, so stehe ich auf einem mehr vermittelnden Standpunkt,
ich bin weder ein Anhänger der chronisch-intermittierenden
Methode, noch der rein symptomatischen Behandlung. Ich
glaube an einen bestimmten Nutzen einer Präventivbehandlung.
Es ist bedauerlich, dass das Wort so todgehetzt ist, und dass es
jeder für sich in Anspruch nimmt: das Individualisieren scheint
mir das Wesentliche.
Bei der grossen Unsicherheit unserer theoretischen Anschau¬
ungen, die doch immer dem augenblicklichen Stande unserer
Kenntnisse in der Pathologie angepasst sind, und mit den sich
jetzt erst bildenden, rasch veränderlichen Erfahrungen in der
Bakteriologie und Humoralpathologie sich ändern müssen, kommt
mir jeder schroff prinzipielle, auf theoretische Erwägungen
gegründete Standpunkt etwas unberechtigt vor. Und da auf
beiden Seiten ernste Leute stehen, an deren Streben, richtig zu
10. September 1902.
MtJENCHENEH MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1533
sehen und die Erkenntnis zu finden, nicht zu zweifeln ist, und
da auf beiden Seiten die Fehler, die man der betreffenden
Methode vorwirft, bestritten werden — so wird wohl auch hier
die Wahrheit in der Mitte liegen. Ich habe schon in meinen
klinischen "S orlesungen über Syphilis darauf hingewiesen, dass
mir in praxi ein so gewaltiger Unterschied zwischen beiden
Methoden nicht vorzuliegen scheint — die Rezidive der Syphilis
zwingen eben jeden Arzt zu wiederholten Behandlungen und die
Verschiedenheit der Naturen, die grössere Empfindlichkeit oder
L nempfmdlichkeit gegen Quecksilber zwingt schon eo ipso zum
1 ndividualisieren.
Wogegen ich midi aber mit aller Entschiedenheit erhebe,
das ist das zum Gesetzerheben d,er chronisch-intermittierenden
Methode und gegen die jeder Kritik baaren Schlussfolgerungen,
die von gewisser Seite auf das Unterlassen einer solchen Behand¬
lung gebaut werden.
Zwei Punkte sind bei der Behandlung nicht aus dem Auge
zu verlieren: 1. dass die Syphilis und viele ihrer Erscheinungen
auch spontan zurückgehen ; und 2. dass die individuelle Empfind¬
lichkeit — sowohl des Individuums, wie der Symptome — gegen
Quecksilber ausserordentlich verschieden ist.
Wann ist nun die Behandlung zu beginnen? Auch hier
nehme ich gewissermassen einen vermittelnden Standpunkt ein.
Sobald die Diagnose wirklich sicher ist, kann man die Be¬
handlung beginnen. Nun ist meiner Ansicht nach — und je
grösser meine Erfahrung wird, desto unsicherer bin ich in der
Diagnose — mehr als die Hälfte aller Eiille zweifelhaft. In der ^
Mehrzahl der Fälle, als Regel, warte ich deshalb, bis weitere Er¬
scheinungen der Syphilis aufgetreten sind. Ich warte aber auch
noch aus einem anderen Grunde. Gerade die erste Behandlung
gibt uns einen guten Massstab für die eben erwähnte individuelle 1
Empfindlichkeit gegen Quecksilber und bestimmt damit unser
weiteres Tun.
In dem Zuwarten sehe ich in keiner Weise einen Nachteil !
für den Kranken; ich halte es für gut, sich selbst und dem !
Kranken die Tatsächlichkeit der Krankheit ad oculos demon¬
striert zu haben. Andererseits halte ich aber auch alle Angaben,
dass der Verlauf der Syphilis gestört, unregelmässig werde, durch '
frühzeitige Behandlung für vollkommen unberechtigt. In allen I
Fällen, in denen eine besonders mächtige Sklerose oder Neigmag !
zum Verfall, auffallendes allgemeines Uebelbefinden, beginnende
Anämie eine schwerere Infektion anzukünden scheinen, beginne
ich die Behandlung sofort, und habe nie einen Nachteil davon ge¬
sehen 4).
Ich ziehe allen Präparaten das Hg salicylic. vor, und zwar
gebe ich sofort starke Dosen, 2 Injektionen wöchentlich von
0,08—0,1.
Bei den, sicher 100 000 weit übersteigenden Injektionen, die j
ich selbst und meine Assistenten seit 6 Jahren gemacht haben, I
ist mir niemals ein ernster Zufall vorgekommeu. Ich stimme mit I
Blaschko darin überein, dass die Paraffinembolien vollständig
bedeutungslos sind. Ich habe übrigens erst bei 2 Patienten
diesen Zufall erlebt, und zwar bei einem Patienten 2 mal. Irgend¬
welche, über die nächsten 24 Stunden hiuausgehende Folgen
habe ich nicht gesehen.
Die erste Behandlung wird fortgesetzt, bis alle Symptome
verschwunden sind und dann noch etwas f ortgef ahren ; wenn
z. B. nach der 6. oder 7. Injektion alle Symptome verschwunden
sind, so erhält der Patient im ganzen 10 Injektionen.
Dass ich natürlich alle übrigen allgemeinen und speziellen
Verbal tungsmassregeln gebe, wie jeder Arzt, in Bezug auf Mund¬
pflege, Lebensweise, versteht sich von selbst.
Von grossem Nutzen sind die türkischen Bäder. Ich lasse
fast alle Patienten am Tage vor der Injektion oder unmittelbar
nach der Injektion ins türkische Bad gehen.
Für alle Schleimhautaffektionen, auch die merkuriellen,
hat sich mir Chromsäurelösung in Konzentrationen von 2 bis
20 Proz., sofort neutralisiert durch Spülung mit gesättigter
Lösung von Natron bicarbonicum, ausserordentlich bewährt.
Im zweiten Monat nach der Injektionskur muss der Patient
täglich 0,50 — 1 g J odkali nehmen und sich am Ende des zweiten
9 Einige solche Vorurteile, ohne Beweis, schleppen sich durch
die Lehrbücher. So auch die Angabe, dass eine extragenitale In¬
fektion häufig schwerer verliefe, als eine genitale. Aus hunderten
Fällen kann ich das Unberechtigte dieser Angabe erweisen.
Monats - wenn er bis dahin nicht durch ein Rezidiv von selbst zu
mir geführt wird wieder melden. Ich untersuche ihn und wenn
er sowohl frei von Symptomen ist, als auch subjektiv sich wohl
befindet, so entlasse ich ihn, um ihn nach 14 Tagen, und nach
abeimals 14 Tagen nochmals zu untersuchen. Hat er nach Ab¬
lauf des dritten Monats keine Erscheinungen, so leite ich doch
eine leichte Behandlung ein, die Hälfte von der in der ersten
Behandlung verabfolgten Dosis. Und so fahre ich fort, indem
ich die Behandlungen sehr bald entfernter mache, so dass auf
das zweite und dritte Jahr oft nur zwei oder gar eine Behandlung’
kommt.
Von beiden Seiten wird man mir entgegenhalten, dass in
dieser Art der Behandlung kein richtiges Prinzip sei.
Vielleicht. Aber ich bin eben von der Anhängerschaft der chro¬
nisch-intermittierenden Methode aus auf diesen Weg gekommen;
ich weiss nicht sicher, trotz aller Auseinandersetzungen der ver¬
schiedenen Autoren, ob das Hg bakterizid oder antitoxisch wirkt;
ich weiss aber, dass diese Dosen nichts schaden. Und ich über¬
lege mir, dass ein Rezidiv nicht immer gerade unbedingt mit,
äusserlich sichtbaren Symptomen zu verlaufen braucht, dass das
Wiedererwachen und Inzirkulationtreten der Mikroben vielleicht
unter der „Schwelle einer Eruption“ bleiben und sich nur durch
geringes allgemeines Uebelbefinden, Abgeschlagenheit, unruhigen
Schlaf, Appetitlosigkeit und Blässe äussern kann. Da mir in
solchen Fällen eine Quecksilberkur gute Dienste geleistet hat,
da ich einen Schaden nie gesehen habe und bis jetzt eher noch
ein Anhänger der bakteriziden Wirkung des Hg bin, so stelle ich
mich auch nicht auf den ausgesprochenen Standpunkt der sym¬
ptomatischen Behandlung. Ich erkenne sogar eine gewisse Be¬
rechtigung der intermittierenden Behandlung an, betone aber
nochmals, dass bei der klassischen Form der Behandlung im all¬
gemeinen viel grössere Dosen Hg verbraucht werden, als nötig.
Gegen die F ournier-Neisser sehe Methode wird noch
ein Grund angeführt, der in gewisser Weise berechtigt, durch
Verallgemeinerung aber übertrieben wird.
Man sagt, dass bei der Einleitung von wiederholten Behand¬
lungen auch dann, wenn keine Symptome bestehen, die Wirkung
des Hg ausbleibt, uns im Stiche lässt gerade dann, wenn wir es
brauchen, wenn also während einer Behandlung oder unmittelbar
nach ihr Erscheinungen auftreten.
Dass eine Gewöhnung an das Hg eintritt, und dass bei kritik¬
loser, übertriebener Merkurialisierung des Körpers selbst be¬
deutende Dosen von Hg ohne jeden Einfluss auf syphilitische
Symptome bleiben, ist eine allgemeine Erfahrung. Zweifellos
nach meiner Erfahrung tritt die Wirkungslosigkeit viel häufiger
und viel verhängnisvoller bei innerer Darreichung ein.
Aber eine Tatsache darf hier nicht vergessen werden. Es
handelt sich da meistens um Fälle, die überhaupt sehr hartnäckig
sind und sehr zu Rückfällen neigen. Diese Fälle erfordern, ganz
unabhängig von den allgemeinen Grundsätzen, nach denen ein
Arzt handelt, stets eine sehr überlegte Anwendung des Hg. Man
kann bei solchen Patienten sehr häufig gezwungen sein, auf das
einzelne Symptom wenig Gewicht zu legen und auf eine Behand¬
lung einzelner Symptome zu verzichten. Nicht selten sieht man,
wenn eine allgemeine Behandlung, eine Badekur, ein Gebirgs-
aufentlialt den allgemeinen Ernährungszustand gebessert, ge¬
hoben hat, solche Symptome von selbst verschwinden, oder nach
einer Pause von einigen Monaten auf Dosen von Hg verschwin¬
den, die vor dieser Pause vollständig wirkungslos blieben. Also
hier werden sich tüchtige Aerzte, seien sie Prophylaktiker oder
Symptomatiker, immer auf gleichem Wege treffen.
Allerdings lässt sich nicht läugnen, dass gerade die Neigung
solcher Patienten, immer noch eine Autorität, noch einen Arzt zu
konsultieren, zu unglaublichen Missbräuchen führt. Immer
wieder werden die schon mit Hg übersättigten Organismen
wieder einer anderen ILg-Behandlung unterworfen, und die Er¬
fahrungen, die man auf diesem Gebiete macht, sind sehr trübe
und es ist besser, nicht in Einzelheiten einzugehen.
Für die Mehrzahl der normalen Fälle kann ich aber die Ge:
fahr der Gewöhnung und das Versagen des Hg im kritischen
Moment nicht so gross anschlagen. Wenn nach einer Behand¬
lung unmittelbar wieder ein Symptom auftritt, so lasse ich mich
von folgenden Grundsätzen leiten. War die Behandlung ener¬
gisch und ist das Symptom unbedeutend, z. B. eine Papel an der
Zunge, so lasse ich zunächst nur eine lokale Behandlung ein-
No. 37
4
5534
treten — und komme häufig damit aus. Denn Syphilissymptome
heilen auch spontan!
War die Behandlung eine sehr milde, so nehme ich sie ein¬
fach wieder auf.
Tritt das Symptom an einem durch die Erkrankung ge¬
fährdeten Organ auf, handelt es sich z. B. um eine Iritis, so
nehme ich die Behandlung natürlich sehr energisch wieder auf
und habe ein Versagen durch Gewöhnung nicht gesehen.
Ich kann es nicht genug betonen, dass meiner Ansicht in
praxi der Unterschied der Behandlung in der Hand gewissen¬
hafter, individualisierender Aerzte nicht sehr gross ist zwischen
beiden Methoden; dass aber zweifellos in der chronisch-inter¬
mittierenden Methode für eine grosse Zahl von Aerzten die Ge¬
fahr des Schablonisierens, Charlatanisierens liegt. Blaschlco
hat vollständig recht, wenn er darauf hinweist, dass durch solche
Erfahrungen den Antimerkurialisten in die Hände gearbeitet
wird.
Ich muss es. mir versagen, in Einzelheiten der Behandlung
näher einzugehen — es handelte sich hier nur um Aufstellung
der Grundsätze.
Castamuni, 24. Mai 1902.
Aus dem kgl. hygienischen Institute der Universität Berlin.
Untersuchungen über die Wirkung des Sublamins
(Öuecksilbersuifat-aethylendiamin) als Desinfektions¬
mittel.
Von Dr. M. Blumberg, Spezialarzt für Frauenkrankheiten
und Chirurgie in Berlin.
Ueber die im folgenden geschilderten Versuche habe ich
schon kurz in einem Vortrage auf dem vorjährigen Chirurgen¬
kongress1 * 3) berichtet. In dem Vortrag war es jedoch bei der Kürze
der zu Gebote stehenden Zeit nicht möglich, die Einzelheiten
der angestellten Versuche so eingehend zu schildern, wie dies für
eventuelle Nachprüfungen erforderlich ist. Diese genaueren
Angaben zu bringen ist der Zweck dieses Aufsatzes; zugleich
füge ich auch einige Bemerkungen über die praktische Verwen¬
dung des Sublamins bei.
Nachdem durch meinen früheren Chef, Herrn Geheimrat
v. Mikulicz der Anstoss dazu gegeben worden war, dass man
die Frage der Sterilisierbarkeit der Hände und Haut bei Opera¬
tionen einer erneuten scharfen experimentellen wie klinischen
Revision unterwarf, ist eine überaus umfangreiche Literatur
über diesen Gegenstand die Folge gewesen. Während anfangs
die von der Mikulicz sehen Schule auf Grund der Gott¬
stein sehen und meiner Untersuchungen vertretene Ansicht,
die sieh der früher schon von K rönig ausgesprochenen näherte,
heftigem Widerstand begegnete, ist sie in den letzten Jahren
fast allseitig akzeptiert worden; es wird heute der Beweis als er¬
bracht angesehen, dass es bisher keine Methode gibt, welche eine
völlige Sterilisierung der Hände und Haut gewährleistet. Wenn
man vor Anstellung zahlreicher Versuchsreihen die Hoffnung
liegen mochte, dass es entweder besonders vervollkommne-
ten mechanische n Desinfektionsmethoden oder der Kom¬
bination . mechanischer und chemischer Desinfektion ge¬
lingen müsste, die Hände von allen Keimen zu befreien, so hat
sich durch Untersuchungen, die ich in Gemeinschaft mit Prof,
lvroenig an der Leipziger Universitäts-Frauenklinik ange¬
stellt habe '), sowie kurz darauf durch die Arbeiten von Paul
und Sarweys), von Schenk und Z a u f a 1 4) u. a. gezeigt,
dass die rein mechanische Methode mittels der Schleich sehen
Seife ganz verblüffend schlechte Resultate ergibt. Ich möchte
hier nur ein Beispiel aus unseren eigenen Untersuchungen an-
fiihren: Nachdem die mit Tetragenusbouillonaufschwemmung
infizierten Hände mit Schleich scher Seife 10 Minuten lang
in exakter Weise nach den Angaben des Autors gewaschen waren,
Hessen sich von den Händen noch so viel Keime entnehmen, dass
die 13 damit geimpften Mäuse sämtlich innerhalb 2 — 5 Tagen
') Arcli. f. ltlin. Chirurgie, G4. Bd, Heft 3.
-) Kr oenig und Bl um her g: Beiträge zur Hände¬
desinfektion. Monographie 1900; ferner: Vergleichende Unter¬
suchungen über den Wert . . . Münch, med. Wochenschi*. 1900,
No. 29 u. 30.
3) Münch, med. Wochenschr. 1901.
4) Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 45.
No. 37.
an Tetragenusseptikämie starben. Dieses Resultat, welches durch
die nachfolgenden Autoren in ähnlicher Weise bestätigt wurde,
muss den Wunsch, durch rein mechanische Mittel unsere
Hände zu sterilisieren leider als ein pium desiderium er¬
scheinen lassen.
Wie unsere Untersuchungen ferner lehrten, müssen wir auch
die A h 1 f e 1 d sehe Heisswasser- Alkohol-Desinfektion als durch¬
aus unzureichend ansehen, und — indem ich bezüglich der
näheren Begründung auf unsere früheren Abhandlungen ver¬
weise — will ich nur hervorheben, dass das bei weitem günstigste
Resultat in den Untersuchungen, welche ich gemeinsam mit Proi.
Kroenig an der Klinik unseres früheren Chefs, Herrn Ge¬
hei mrat Zweifel ausgeführt habe, uns die Kombination
der mechanischen Desinfektion mit der Im¬
prägnation der Haut mit einer Quecksilber -
salzlösung ergeben hat. Schon vom theoretischen
Standpunkt aus ist der Erfolg einer derartigen Desinfektions¬
methode sehr wahrscheinlich, wissen wir doch schon seit langem,
dass wässrige Quecksilbersalzlösungen sich mit der Oberhaut
unserer Hände ausserordentlich intensiv verbinden. Es ist be¬
kannt, dass, wenn man sich oft mit Sublimat desinfiziert, man
jederzeit auf den Händen die Quecksilberreaktion erzeugen kann,
indem durch Auftropfen von Schwefelammon infolge des noch
anhaftenden Sublimats Braun- bezw. Schwarzfärbung der Hände
eintritt. So begegnete es Herrn Geheimrat v. Mikulicz, dass,
als er ins Schwefelbad in Baden bei Wien stieg, sich seine Hände
und Unterarme infolge des in der Oberhaut noch befindlichen
Sublimats schwarz färbten, so dass ihn die Mitbadenden erstaunt
fragten, ob er denn „schmiere“, und doch waren schon viele Tage
seit der letzten Desinfektion mit Sublimat vergangen.
Wir wissen nun weiter, dass die Quecksilberverbindungen
auch in eiweisshaltigen Lösungen, also im Blutserum,
ausserordentlich starke entwicklungshemmende Eigenschaften
haben. Für die operative Praxis aber dürfen wir dann die Des¬
infektion unserer Hautoberfläche als genügend ansehen, wenn
bei Uebertragung von Teilen oder Abschabseln der Haut durch
die mitübertragene Quecksilber Verbindung eine derartige ent¬
wicklungshemmende Kraft noch ausgeübt wird, dass die etwa auf
der Haut noch befindlichen Bakterien im Tierkörper nicht zur
Entwicklung kommen können, oder, wie Krönig es kurz aus-
gedrückt hat: die Haut ist dann genügend desinfiziert, wenn sie
nicht mehr infizieren kann.
Bedingung für die Wahl einer bestimmten Queck¬
silberverbindung ist, dass dieselbe in möglichst tiefe
Teile der Haut einzudringen vermag.
Bei der Desinfektion unserer Hände werden zur Zeit ge¬
wöhnlich Sublimatlösungen angewendet, es lässt sich jedoch nicht
leugnen, dass gerade das Sublimat auch grosse Nachteile hat.
Es ist ein starkes Aetzmittel und kann von einer nicht geringen
Zahl von Aerzten überhaupt nicht angewendet werden, da sie
ein heftiges Ekzem darnach bekommen. Abgesehen von diesen
Aerzten, die eine direkte Idiosynkrasie gegen Sublimat haben, er¬
zeugt bei intensiverer Anwendung das Sublimat fast bei allen
Händen eine gewisse Rauhheit und Sprödigkeit. Handelte es sich
hier nur um kosmetische Rücksichten, so könnten wir leicht dar¬
über hinweggehen, wir wissen jedoch jetzt durch exakte Unter¬
suchungen, dass selbst bei leichten Rauhheiten, bei unbedeutender
Schuppung der Haut eine wiederholte Desinfektion der Haut
immer schwieriger wird. Ich will hier nur an Beobach 1 ungen
erinnern, die ich an der Mikulicz sehen Klinik gemacht
habe : hier konnte ich von den Händen mehrerer Assistenten
nach der Desinfektion keine Keime entnehmen, nur von ganz
oberflächlichen Epidermisunebenheiten dieser selben Hände
Hessen sich überaus reichliche Bakteren gewinnen.
Die gute Beschaffenheit der Hautober¬
fläche ist also ein erstes Erfordernis für das Gelingen
der Desinfektion, ein Postulat, dessen hohe Bedeutung alle
Autoren übereinstimmend anerkennen; ich nenne nur
Schleich, Gottstein, II a e g 1 e r etc.
Bei dieser starken Reizwirkung des Sublimats ist es natür¬
lich ausgeschlossen, in gewissen Fällen, wo es erwünscht wäre,
eine noch höhere Konzentration des Sublimats als die übliche
anzuwenden.
Ein weiterer Nachteil des Sublimats besteht in seiner man¬
gelnden Tiefenwirkung, welche speziell bezüglich der Ilautdes-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
16. September 1902.
MUENCHENER MEDIÜINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1535
Infektion von D o 6 d erlein, von Gottstein, von mir nach¬
gewiesen ist. Hie beiden ersteren Autoren schabten mit einem
Skalpell Haut in o Schichten ab und konnten nun nach weisen,
dass, wenn die obersten Schichten schon desinfiziert waren, in
den tief eien Teilen der Haut sich noch Reime zur Entwicklung
bringen Hessen.
Meine eigenen Versuche in dieser Beziehung stellte ich in
der W eise an, dass ich nach sehr gründlicher Besinfektion von
den Händen Keime zu entnehmen und mittels verfeinerter Unter¬
suchungsmethoden zur Entwicklung zu bringen suchte. Darauf
wurden auf diese desinfizierten Hände sterile Gummihandschuhe
gezogen und längere Zeit operiert. Es folgte nun wiederum die
Prüfung auf den Keimgehalt der Hände mittels derselben
Methode. Es zeigte sich hier, dass in 20 Untersuchungen nur
einmal auch nun von den Händen keine Keime zur Ent¬
wicklung zu bringen waren, dass dagegen in allen übrigen Eällen,
auch wenn unmittelbar nach der Desinfektion die Hände
steril zu sein schienen, doch nach der zweiten Entnahme
Keime aufgingen; stets aber war selbst dann, wenn vor dem An¬
ziehen der Handschuhe Keime aufgingen, die Zahl derselben er¬
heblich kleiner als diejenigen, die nach Ausziehen der Hand¬
schuhe auf den Nährboden übertragen wurden. Dieses Ergebnis
hisst sich wohl nur so erklären, dass während des Operierens die
in den tieferen Hautschichten befindlichen Keime an
die Oberfläche gelangt sind und so erst der bakteriologischen
Untersuchung zugänglich wurden.
Aber gerade darauf kommt es an, die Haut in möglichst
tiefen Schichten mit einem Quecksilbersalz zu imprägnieren;
hierbei war es auch schon a priori wahrscheinlich, dass Sublimat
wegen seiner Eiweissfällung nicht gerade das bestgewählte sei,
da man annehmen kann, dass es durch die Eiweissfällung dem
tieferen Eindringen des Desinfiziens gewissermassen einen Wall
entgegenstelle.
Diese Erwägungen führten Prof. B. Kroenig - Leipzig
und m ich dazu, nach einem Quecksilbersalz zu suchen, welches
von solcher Reizlosigkeit wäre, dass man es in beliebig hohen
Konzentrationen anwenden kann und das uns dadurch in Fällen,
wo unsere Hände mit hochvirulentem Eiter in Berührung ge¬
kommen sind etc., eine grössere Sicherheit für eine Desinfektion
gewähre ; ausserdem sollte die Tiefenwirkung möglichst
gesichert sein.
Wir Hessen uns von der chemischen Fabrik von Schering
in Berlin eine Verbindung des Quecksilbercitrats mit Aethylen-
diamin hersteilen, indem wir an die Erfolge dachten, welche die
Verbindung des Silbers mit Aethylendiamin, des Argentamin,
gerade durch seine Tiefenwirkung bei der Behandlung der
Gonorrhoe zu verzeichnen hat; ich weise hier nur auf die Ar¬
beiten von J. Schäffer und von m i r hin 5).
Mit dieser Quecksilbercitratäthylendiaminlösung stellten
wir nun an der k. Universitäts-Frauenklinik zu Leipzig ausge¬
dehnte experimentelle Versuche an, und wir konnten feststellen,
dass dieses Präparat einerseits bezüglich der desinfizierenden
Eigenschaften dem Sublimat nicht nachsteht, andererseits aber
selbst in höchsten Konzentrationen (2 proz.) keine Spur von
Reizerscheinungen auf der Haut der Hände hinterliess. Zudem
konnten wir — wenigstens bei mit Bakterien gleichmässig durch¬
setzten ausgeschnittenen Milzen von Mäusen — eine grössere
Tiefenwirkung gegenüber dem Sublimat nachweisen.
Wir hatten die Freude, dass kurz nach Erscheinen unserer
Arbeiten der Wert des Präparates auch von anderer Seite
nachgeprüft wurde, und zwar von den Herren Schenk und
Z a u f a 1 an der Prager Universitäts-Frauenklinik des Herrn
Prof. S a e n g e r. Diese Autoren kamen nun zu einem überaus
günstigen Resultat : bei 15 Desinfektionsversuchen mit Queck¬
silbercitratäthylendiamin 1 ; 300 blieben alle Platten steril,
ebenso bei 7 Versuchen mit dem Präparat in einer Konzentration
von 1 : 1000. Zum Vergleich sei erwähnt, dass dieselben Autoren
unter gleicher Versuchsanordnung bei Anwendung des 1 prom.
Sublimats unter 10 Versuchen 9 mal Sterilität und 1 mal Wachs¬
tum von Bakterien erzielten. Schenk und Zauf al empfehlen
daher zur Desinfektion der Hände und Haut das Quecksilber-
■ - - • ' 1 ' l'H
*) Schaffe r: Ueber die Bedeutung der Silbersalze für die
Therapie der Gonorrhöe. Münch, med. Wochenschr. 1895. No. 28
und 29. Blumberg: Experimentelle Untersuchungen über Des¬
infektion im Gewebe tierischer Organe. Zeitschr. f. Hygiene 189S.
äthylendiamin auf Grund ihrer V ersuche in einer Konzentration
von 1 :!000. Auch P a u 1 und S a r w e y, welche nach ihrer be¬
kannten Methode das Präparat untersuchten, kamen zu dein
Schluss, dass das Quecksilberäthylendiamin bezüglich seiner Des¬
infektionskraft „ungefähr dasselbe leistet wie die Für-
b ringer sehe Methode“ (d. i. die in drei Akten bestehende
Seifenwasser- Alkohol-Sublimat-Methode), welche jetzt als die
beste gilt und deshalb trotz ihrer Kompliziertheit die allgemeinste
Anwendung findet.
Einen Uebelstand suchten wir nun noch abzustellen, der für
die Handlichkeit des Präparates von grösster Wich¬
tigkeit ist: das Quecksilbercitratäthylendiamin ist eine Flüs¬
sigkeit. Durch zahlreiche Versuche ist es nun der S c he¬
rin g sehen Fabrik gelungen, durch die Verbindung des Queck¬
silbersulfats mit Aethylendiamin ein festes Präparat
herzustellen, welches sieh momentan bis zu höchsten Konzen¬
trationen in Wasser löst.
Meine Versuche am kgl. hygienischen Institut zu Berlin
gingen nun dahin, zu prüfen, ob auch dieses Präparat die er¬
wähnten Eigenschaften hat. Was zunächst die Beeinflussung der
Haut anbetrifft, so zeigte sich auch hier nie auch nur eine Spur
von Reizerscheinungen, vielmehr waren die Hände stets überaus
weich und zart nach der Desinfektion.
Die bakteriologische Prüfung ergab nun folgendes:
Die Untersuchungsmethode war diejenige, die ich gemeinsam
mit Kroenig an der Leipziger LTniv. -Frauenklinik ausgearbeitet
habe: Zunächst werden die Hände mit einer Bouillonaufschwem¬
mung des Micrococcus tetragenus, welcher für Mäuse hochpatho¬
gen, für Menschen dagegen nicht pathogen ist, eingerieben und
dann 5 Minuten lang antrocknen gelassen. Es folgt die Des¬
infektion mit den zu prüfenden Desinfektionsmitteln, darauf
werden die Hände mit sterilem Wasser, dann mit steriler
Bouillon und schliesslich mit einer eiweisshaltigen Körperflüssig¬
keit, in meinen Versuchen sterilem Rinderblutserum, gründlich
abgespült. Dann folgt die Entnahme der etwa auf den Händen
nun noch befindlichen Bakterien in der Weise, dass die Hände
mit sterilem Marmorstaub und steriler Bouillon mehrere Minuten
lang abgerieben und dieser Marmorstaubbouillonpressaft in ste¬
rilen Schalen aufgefangen wird. Dieser Pressaft wird nun einer
Anzahl Mäusen, etwa 9, zu gleichen Teilen subkutan injiziert.
Aus der Zahl der jetzt noch der Tetragenusseptikämie erliegenden
Mäuse lässt sich nun ein Schluss auf die Leistungsfähigkeit des
Desinfektionsverfahrens ziehen. Jedoch können wir auch mit
dieser Methode nur Vergleichs werte erhalten, so dass es
nötig ist, unter denselben Versuchsbedingungen stets Parallel¬
versuche mit einem bekannten Desinfektionsmittel zu machen;
ich wählte zu diesem Zweck einerseits Sublimat, andererseits das
Quecksilbercitratäthylendiamin, dessen Wirkungsweise uns aus
unseren früheren Versuchen bekannt ist.
Auf die näheren Einzelheiten und die Begründung der
Methode möchte ich hier nicht weiter eingelien, da dieselben
ausführlich niedergelegt sind in der von K roenig und m i r
publizierten Monographie „Beiträge zur Händedesinfektion“,
1900, und in unserem Aufsatz in der Münch, med. Wochenschr.
1900: „Vergleichende Untersuchungen über den Wert der mecha¬
nischen und Alkoholdesinfektion der Hände gegenüber der Des¬
infektion mit Quecksilbersalzen, speziell dem Quecksilberäthylen¬
diamin“.
Nur soviel möchte ich hervorheben, dass unsere Prüfungs¬
methode durch die Einschaltung des Tierversuches sich
den bei Operationen vorhandenen Verhält¬
nissen enganschliesst und mithin zuverlässigere
Schlüsse auf die Leistungsfähigkeit eines
Desinfektionsverfahrens gestattet, als die
f rü heren M ethoden .
In dem ersten Versuch wurde zunächst das Quecksilber¬
sulfa t äthylendiamin mit dem Quecksilberci tra t äthylendiamin
in seiner Wirksamkeit verglichen, und zwar wurden 3 prom. Lö¬
sungen angewandt.
Versuch vom 1. II. 1901.
Von der zweiten, auf Schrägagar gezüchteten Generation
einer aus dem K. hygienischen Institut zu Breslau bezogenen
Tetragenuskultur, die ich zweimal hintereinander durch den Tier¬
körper (Maus) geschickt hatte, wurde eine weisse Maus subkutan
geimpft. Nachdem sie der Tetragenusinfektion erlegen ist, wird
die Hälfte ihrer Milz einer zweiten Maus subkutan beigebracht.
4*
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37
1536
Von der im mikroskopischen Präparat unzählige Tetragenuskokken
auf 'weisenden Milz dieser zweiten Maus wird eine Agarplatte ge¬
gossen und von einer der reichlich gewachsenen Tetragenus¬
kolonien nach zwei Tagen auf Agarröhrchen weiter geimpft. Die
weitere Züchtung des Tetragenus erfolgte nun stets von dieser
Kultur aus auf Schrägagar.
Von der — von da an gerechnet — 5. Generation des Tetra¬
genus werden nun am 31. I. 01 20 Agarröhrchen geimpft und im
Brutschrank bei 37,6 0 24 Stunden lang gelassen bis zur Anstellung
des Versuches am 1. II. 01 Nachmittags 6 Uhr.
Am 1. II. 01 wird der reichliche Kulturrasen dieser 20 Agar¬
röhrchen in einen sterilen Porzellanmörser mit steriler Bouillon
übertragen und durch Verreiben mit sterilem Porzellanpistill eine
Kakterienaufsehwemmung hergestellt. Die Hälfte dieser Tetra-
genus-Bouillonaufschwemmung wird auf den Händen des Herrn
Dr. Weigert gründlich verrieben und 5 Minuten lang antrocknen
gelassen. Nun folgte 5 Minuten lange Waschung mit 42° C.
warmem Wasser, steriler Bürste und Schmierseife; die Hände
wurden dann durch Abspülen mit Wasser von anhaftendem Seifen¬
schaum befreit und hierauf 5 Minuten lang in 2 Litern einer
42° C. warmen Lösung von Quecksilber s u 1 f a t äthylendiamin
3: 1000 mit Hilfe einer sterilen Bürste gewaschen. Dann Abspülen
der Hände mit reichlicher Aq. dest. ster., danach mit ys Liter
steriler Bouillon. Die Entnahme der nun noch etwa auf den
Händen befindlichen Keime erfolgte in der Weise, dass etwas
sterile Bouillon und dazu steriler Marmorstaub in die Hohlhand
gebracht und nun hiermit 5 Minuten lang alle Teile der Hände
sorgfältig gegeneinander gerieben wurden. Dieser Marmorstaub-
Bouillonbrei wird nun aus den Händen ausgepresst und in sterilen
Petrischalen aufgefangen, der letzte noch der Handoberfläche an¬
haftende Rest von Marmorstaub wird mit sterilem Messer von
allen Teilen der Hand abgeschabt und ebenfalls in die Petrischalen
übertragen. Der so gewonnene Marmorstaub-Bouillonpressaft
w ird mittels graduierter, sterilisierter Spritze zu gleichen Teilen
10 weissen Mäusen subkutan injiziert.
Die zweite Hälfte der Tetragenussuspension wird in gleicher
Weise auf den Händen des Herrn Dr. Leopold 5 Minuten lang
verrieben. Die Desinfektion und Entnahme erfolgte in derselben
Weise wie bei Herrn Dr. Weigert, nur dass statt Quecksilber¬
sulfat äthylendiamin eine 3 prom. Lösung von Quecksilber-
e i t r a. t äthylendiamin verwendet wurde. (Diese Lösung stellte
ich so her. dass ich auf 2 Liter Aq. dest. ster. 42,857 g der von der
Sc he ring sehen Fabrik mir gelieferten Originallösung nahm;
100 g der Originallösung enthalten 10,0 g Quecksilbercitrat, 4 g
Aethylendiamin, 86 g Wasser; in 100 g der Lösung sind mithin
14 g Quecksilbercitrat -|- Aethylendiamin enthalten; 6 g Queck-
silbercitrat -4- Aethylendiamin mithin m — — — = 42,857 g). Der
14
Marmorstaubbouillonpressaft wird 8 weissen Mäusen zu gleichen
Teilen subkutan injiziert.
Von derselben zu Anfang des Versuchs hergestellten Tetra-
gcnusbouillönaufschwemmung werden 3 Kontrollmause subkutan
geimpft; dieselben starben nach 2—3 Tagen an Tetragenus-
septikämie, die Sektion ergab Riesenmilzen, in welchen sich reich¬
lichste Tetragenuskokken nachweisen liessen.
Von den Quecksilbersulfatäthylendiamin-Mäusen starben 5,
von den Quecksilbercitratäthylendiamin-Mäusen 4 an Quecksilber¬
vergiftung: diese Mäuse zeigten bei der Sektion kleine Milzen, in
welchen trotz genauester mikroskopischer Untersuchung sich kein
Tetragenus nachweisen liess, zum Teil hatten sie starken Durch¬
fall gehabt.
Auch von allen übrigen Mäusen ist bei einen
Monat hindurch fortgesetzter Beobachtung
keine an Tetragenus gestorben.
In diesem Versuch ist also trotz der In¬
fizierung der Hände mit einem überaus reich¬
lichen und höchst virulenten Infektions¬
material keine Infektion der geimpften
T li i e r e erfolgt, mithin in bakteriologischer Beziehung ein
voller Erfolg zu verzeichnen, soweit er durch die Versuchs-
methode überhaupt zu erweisen ist.
Hm nun die Wirkung des Quecksilberäthylendiamins mit der
des Sublimats zu vergleichen, wurde folgender Versuch an¬
gestellt :
Der Tetragenusstamm, welcher zu diesem Versuch verwandt
wurde, war von der im ersten Versuch benutzten Generation
durch Fortzüchtung teils auf Agar-Agar, teils durch Ueberimpfung
auf weisse Mäuse gewonnen. Am 28. II. 01 werden von einem
Agarröhrchen, auf welchem Tetragenus reichlich gewachsen, 21
Schrägagarröhrchen geimpft und bis zum nächsten Tage im Brut¬
schrank bei 37 0 gelassen Von dem Rasen dieser 21 Röhrchen
wird eine Bouillonaufschwemmung in ganz derselben Weise w'ie
beim ersten Versuch hergestellt; auch im übrigen ist die Versuchs¬
anordnung die gleiche wie in diesem. Das erste Drittel der Tetra-
genusaufschwemmung wird 5 Minuten lang auf den Händen des
Herrn Dr. Ehrlich verrieben. Es folgte dann Waschung mit
43" warmem Leitungswasser, Schmierseife, Bürste 5 Minuten lang,
die Seif«1 wurde nun zunächst mit Leitungswasser, dann mit Aq.
dest. ster. abgespült; hierauf Desinfektion mit 43° warmer
3 prom. Quecksilber su lfatäthylendiaminlösung
3 Minuten lang, unter Anwendung einer sterilen Bürste.
Schliesslich wurden «lie Hände mit reichlich Aq. «h'st.
ster.. dann mit Bouillon, darauf mit sterilem Rinderblut¬
serum und schliesslich wieder mit Bouillon abgespült. Nun
folgte die Entnahme mittels Bouillon und Marmorstaub. Von
dem Pressaft wurden 9 Mäuse geimpft. — Mit dem zweiten Drittel
der Aufschwemmung wurde in gleicher Weise ein Versuch an den
Händen des Herrn K olbe angestellt. Die Desinfektion erfolgte
hier ebenso wie bei Herrn Dr. Ehrlich, nur wurde als Des-
infiziens nicht Quecksilbersulfatäthylendiamin (Sublamin), son¬
dern Sublimat 1:1000 angewandt und zwar 5 Minuten lang.
Auch hier wurden schliesslich 9 Mäuse geimpft. — Das dritte
Drittel der Aufschwemmung wurde auf die Hände des Labora¬
toriumsdieners des K. hygienischen Instituts aufgebracht; hier
wurde — unter sonst gleichen Versuchsbedingungen — als Dex-
infiziens Quecksilbersulfatäthylendiamin 1 : 1000 5 Minuten lang
angewandt. Der Marmorstaubbouillonpressaft wurde ebenfalls
9 Mäusen subkutan injiziert.
Zur Kontrolle wurden wiederum zwei weisse Mäuse mit der
Originaltetragenusbouillonaufschwemmung geimpft.
Die Kontrollmause starben hier nach 1 — 114 Tagen an Tetra¬
genus, die Milzen waren bei der Sektion sehr stark vergrössert,
und es liessen sich in jedem von ihnen angefertigten mikro¬
skopischen Präparat sehr reichliche Tetragenuskokken nach¬
weisen. Das Ergebnis dieses Versuches war nun insofern ein
überaus günstiges, als hier von den sämtlichen 27 geimpften
Mäusen innerhalb einer Beobachtungszeit von 4 Wochen im
ganzen nur 3 an Quecksilberintoxikation starben, und zwar 2 von
den Sublimatmäusen, 2 resp. 4 Tage nach der Impfung, und eine
Queeksilbersulfatäthylendiamin(3 :1000)-Maus nach 13 Tagen;
diese 3 Mäuse hatten kleine Milzen, in denen kein Tetragenus
nachweisbar war. Alle übrigen 24 Mäuse sind am
Leben geblieben. In diesem Versuch ist also die Ein¬
deutigkeit des Resultats so gut wie gar nicht gestört durch den
sonst so häufigen Tod der Mäuse an Quecksilberintoxikation.
Ich möchte nicht verfehlen noch besonders darauf hinzu¬
weisen, dass wir nicht etwa annehmen, es sei durch diese Des¬
infektion die ITandoberfläche vollständig keimfrei gemacht.
Das wird, wie erwähnt, mit keiner der bekannten Desinfektions¬
methoden erreicht. Dagegen sind wir durch das Ergebnis unserer
Tierversuche zu der Behauptung berechtigt, dass Hautbakterien
welche bei Abimpfung auf künstliche Nährböden nach An¬
wendung unserer Desinfektionsmethode sich etwa zur Entwick¬
lung bringen lassen sollten, der Operationswu n d e nicht
schaden können, da ja mittels dieser Methode Hände, auf welche
vorher absichtlich pathogene Keime gebracht sind, so desinfiziert
werden, dass übertragene Hautabschabsel empfängliche Tiere
nicht mehr infizieren.
Um nun den Resistenzgrad des Tetragenus zu prüfen, stellte
ich noch einen Versuch mit 1 prom. Sublimat an, indem ich die
Dauer des Desinfektionsverfahrens verkürzte, und zwar auf je
3 Minuten, also Seifenwasserwaschung 3 Minuten und Sublimat
(1 prom.) 3 Minuten; der Versuch wurde an Herrn cand. med.
N e u m a n n ausgeführt. Es zeigte sich nun, dass hier inner¬
halb der ersten 3 Tage nach der Impfung von 7 Mäusen 5 starben,
und zwar 4 an Sublimat Vergiftung; die fünfte wies je¬
doch eine vergrösserte Milz mit überaus reich¬
lichen Tetragenuskokken auf.
Bei der Herabsetzung der Desinfektionsdauer hatte also auch
das Sublimat nicht hingereicht, um einen vollen Erfolg des Ver¬
fahrens zu erzielen.
Was die praktische Anwendung des Sublamins betrifft, so
will ich nur hervorheben, dass das Präparat von Herrn Prof.
Kroenig in seiner ausgedehnten operativen Praxis bei sämt¬
lichen Laparotomien und sonstigen Operationen zur Desinfektion
der Hände und Haut mit ausgezeichnetem Erfolge angewandt
wird, und dass die Hände bei dauerndem Gebrauch des Sublamins
sich beständig in tadellosem Zustand befinden.
Herr Prof. Kroenig hatte die Güte, mich zur Veröffent¬
lichung folgenden Berichtes zu autorisieren : „Prof. Iv r o e n i g
braucht in seiner Klinik Sublamin in Konzentrationen von 1 : 500
bis 1 : 1000 zur Desinfektion der Hände und der Haut der zu
Operierenden. Sobald die Hände mit infektionsverdäch tigern
Material in Berührung gekommen sind, wird die Konzentration
auf 1 : 300 bis 1 : 200 gesteigert, ohne dass jemals eine Reiz-
erscheinung der Hände beobachtet worden wäre. Ausserdem
wird die Seide ebenfalls mit wässriger Sublaminlösung 1 : 300
gekocht, in Anlehnung an das Kocher sehe Verfahren, nur
mit der Aeliderung, dass an Stelle des Sublimats die Lösung
lö. September 19Öä.
MTIENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIFT.
von Sublamin 1 : 300 gesetzt wird. Die aus der Fabrik be¬
zogenen Stränge No. 1 und 2 werden:
1. in Aether gelegt für 12 Stunden;
2. in Alkohol 12 Stunden;
3. 10 Minuten gekocht in ungefärbtem Sublamin 1:300;
4. aufgespult mit gereinigten Händen;
5. die Spulen 10 Minuten lang vor der Operation in der¬
selben Sublaminlösung nochmals gekocht;
6. die Fäden aus derselben Sublaminlösung, in der sie zu¬
letzt gekocht sind, zugereicht.“
Der \ orzug der Reizlosigkeit des Sublamins ist gegenüber
dem Sublimat von grösster Bedeutung, da ja nach den Unter¬
suchungen Haeglers u. a. über die Wichtigkeit der Haut¬
pflege für das Gelingen der Händedesinfektion kein Zweifel be¬
stehen kann ; eine Hand, die auch nur eine Spur
eines Ekzems aufweist, kann nie in genügen¬
der Weise desinfiziert werden.
Aus den mitgeteilten "V ersuchen glaube ich nun folgende
Schlüsse ziehen zu dürfen :
Das Quecksilbersulfatäthylendiamin (S u b 1 a m i n) ist ein
Desinfektionsmittel, welches folgende Eigenschaften hat :
1. Es steht dem besten der bekannten Des¬
infektionsmittel, dem Sublimat, an Desinfek¬
tion s k r a f t nicht nach.
2. Es hat vor dem Sublimat den Vorzug vor¬
aus, dass es selbst in höchsten Konzentra¬
tionen die Haut nicht reizt.
3. Es gewährt infolge seiner Reizlosigkeit
die Möglichkeit, in Fällen, wo unsere Hände
mit einem hochvirulenten Infektionsstoff in
Berührung gekommen sind, durch beliebig
hohe Steigerung der Konzentration der Lö¬
sung eine noch grössere Desinf ektionswir
k u n g zu erzielen als mit Sublimat.
4. Es übt voraussichtlich eine viel grössere
Tiefenwirkung aus als Sublimat.
5. Sublamin ist ein Salz, das sich momentan
selbst in hoher Konzentration in Wasser löst,
während Sublimat bezw. Sublimatpastillen
einer bedeutend längeren Zeit zu ihrer Lösung
bedürfen; ein Moment, welches bei der Anwendung des Des¬
infektionsmittels in der Praxis von einer gewissen Annehmlich¬
keit ist.
6. Sublamin lässt sich in Form von Pastil¬
len h erstellen, die sich bedeutend schneller
als Sublimatpastillen lösen.
Aus dem Allgemeinen Krankenhause Hamburg-Eppendorf
(II. medizinische Abteilung; Oberarzt Dr. Schütz).
Glykosurie und Tabes.
Von Dr. med. Ernst Meyer, Assistenzarzt.
So vielfach Krankheiten der nervösen Organe und Glykos¬
urie sich vergesellschaften und so mannigfach die Beziehungen
zwischen beiden sein können, so hat doch die Verbindung von
Tabes und Diabetes seit langer Zeit ein besonderes Interesse er¬
regt.
Beide können in zweifacher Beziehung zueinander stehen.
Es ist bekannt, dass auf Grund eines bestehenden Diabetes
sich sekundär nervöse Störungen etablieren können, die durch
ihre Lokalisation in den Hintersträngen (W illiamson ’),
Kalmus * 2 *), H e n s a y s) oder als Polyneuritis tabesähnliche
Krankheitsbilder Vortäuschen können.
Hinsichtlich der anderen Möglichkeit, dass eine bestehende
Tabes Glykosurie im Gefolge hat, ist die Literatur viel reicher
und sind die Mitteilungen viel präziser. Strauss4) hat vor
einiger Zeit die verschiedenen Meinungen zur Erklärung dieser
Kombination zusammengefasst. Es sei hier noch einmal kurz
daran erinnert.
') British Medical Journal 1804.
2) Zeitsclir. f. klin. Med. Bd. XXX.
s) Dissertation, Strassburg 1807.
4) Neurol. Centralbl. 1800.
No. 37.
1537
Einschlägige Fälle sind beschrieben von Althaus5),
Eulenburg ü), Oppenheim7), F i s c h e r s), Grube "),
Reumont ’"), G u i n o n und Soucques ”), N aunyn “)
u. a., und werden gedeutet entweder als zufälliges Zusammen¬
treffen oder als Uebergreifen des tabischen Prozesses auf den
Boden des IV. Ventrikels (Oppenheim, Reumont).
( i uinon und S oucques sehen in dieser Kombination den
Ausdruck der engen Beziehungen, die die famille arthritique und
die famille neuropathique verbinden sollen.
N a u n y n erklärt die Zuckerausscheidung bei den Erkran¬
kungen der nervösen Zentralorgane so, dass er — analog dem
motorischen — ein nutritives und sekretorisches Neuron suppo-
niert, das — wie jenes mit dem Muskel — mit einer sezemieren-
den oder trophisch wirksamen (Pankreas-, Leber- u. s. w.) Zelle
in Verbindung steht und dessen Alteration sich in einer anor¬
malen Tätigkeit dieser Zelle äussert. Des weiteren redet Nau-
n y n einer Prädisposition das Wort, zu der sich das auslösende
Moment (also die Tabes eventuell) gesellen müsse, um diesen
„organischen“ Diabetes zu erzeugen; was jedes dieser Momente
für sich allein nicht leisten könne, vermöge vielleicht ihre Ver¬
einigung. Damit will er die Tatsache erklären, dass bei der
grossen Verbreitung der Tabes in relativ wenig Fällen sich eine
Zuckerausscheidung im Urin nachweisen lässt.
Um nun der Lösung dieser Fragen näher zu kommen, hat
Strauss13) Versuche gemacht über die Auslösbarkeit alimen¬
tärer Glykosurie bei Tabikern, indem er von dem allgemeinen Ge¬
danken ausgeht, dass durch die Darreichung von Traubenzucker
eine eventuelle latente Disposition zum Diabetes bei einer be¬
stimmten Krankheitsgruppe offenbar werden musste — d. h. ob
für diesen Krankheitstypus eine Herabsetzung der Assimilations¬
grenze für Traubenzucker charakteristisch sei.
Das Resultat war, dass — unter Hinzurechnung analoger
Versuchsfälle von Bloch und van Oordt — unter 40 Tabi¬
kern nur bei einem einzigen eine alimentäre Glykosurie sich aus-
lösen liess — und dieser eine war schwer mit Diabetes belastet,
denn sein Vater war zuckerkrank und die Mutter litt an epilep¬
tischen Krämpfen und an Schlucklähmung.
Auf Grund dieser Beobachtung, dass von 40 Tabikern nur
ein mit Diabetesbelasteter zur Glykosurie disponierte,
meint Strauss, der Tabes' als solcher keinen wesentlichen Ein¬
fluss auf die Entstehung der Zuckerausscheidung beimessen zu
dürfen (jedoch bezieht er das nur auf Fälle ohne
Bulbärsymptome) und weist — mit Naunyn — auf die
hohe Bedeutung der Heredität und Prädisposition hin. Er er¬
innert an den Einfluss, den eine schwere Neurasthenie für das
Zustandekommen einer Glykosurie hat, und an die Tatsache,
dass sehr viele Tabiker gleichzeitig Neurastheniker sind, und
rechnet in den Fällen anamnestischer Syphilis mit der Möglich¬
keit einer luetischen Erkrankung des Pankreas oder der zuleiten¬
den Nerven. Er kommt — für Tabesfälle ohne Bulbär-
erscheinungen — zu dem Schluss, dass „das Auftreten von
Glykosurie bei Tabischen sich erklären lasse, ohne dass man den
eigentlichen tabischen Prozess an sich für die Glykosurie ver¬
antwortlich machen m u s s“.
In Fällen mit Ergriffensein des Bulbus gibt er die Möglich¬
keit einer Erkrankung am Boden des IV. Ventrikels zu.
Ich bin in der Lage, einen einschlägigen Fall mitteilen zu
können, der hier auf der II. medizinischen Abteilung (Oberarzt
Dr. Schütz) beobachtet wurde. Ich lasse einen kurzen Auszug
der Krankengeschichte hier folgen.
Frühere Anamnese ohne Belang. Fühlt sich seit ca. S Mo¬
naten schwach und ist seitdem erheblich abgemagert; häufig
Schwindelgefühl.
Seitdem sehr heftiges Durstgefühl. Seit langer Zeit Abnahme
des Sehvermögens, in den letzten Monaten Flimmern vor den
Augen.
Keine Beschwerden beim Gehen und Stehen. Kein Doppel¬
sehen. Keine lanzinierenden Schmerzen oder Pariisthesien.
Sphinkteren intakt.
r’) Sklerosen des Rückenmarks. 1884.
°) Virckows Archiv 1885.
7) Berl. klin. Wochensehr. 1885.
8) Centralbl. ,f. Nervenheilk. 1880.
") Neurol. Centralbl. Bd, XIV.
10) Berl. klin. Wochenschr. 1880.
“) Archives de Neurologie 1891/92.
12) Diabetes mellitus. Nothnagels spez. Patliol. u. Therapie.
13) Neurol. Centralbl. 1899.
5
1538
MHENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIEE.
No. 37*
Potus in massigem Grade konzediert. Gonorrhoe konzediert,
luetische Infektion strikt negiert (I’at. hat auch nie Sekundär-
erscheinungen beobachtet).
Keine hereditäre Belastung.
Status: Robuster Mann. Reichliches Fettpolster. Alter:
00 Jahre. Acne rosacea.
Zunge belegt, kommt gerade heraus.
Lungen: Massiges Emphysem, chronische Bronchitis.
Herz überlagert. Töne rein. Keine wesentliche Akzentuation.
Keine periphere Arteriosklerose.
Abdomen normal konfiguriert, keine palpablen Anomalien.
Leber, Milz normal.
Im Urin Zucker, kein Eiweiss. Urinmenge vermehrt, hohes
spezifisches Gewicht.
Nervensystem: Patellarreflexe fehlen, auch mit Jendrassik
nicht auszulösen. Hypotonie der unteren Extremitäten. Motili¬
tät und rohe Kraft intakt. Keine deutliche Ataxie. Romberg -|—
Hypalgesie an den unteren Extremitäten und am Rumpf. Keine
Verlangsamung der Schmerzleitung. Im übrigen Sensibilität intakt.
Pupillen r. — 1., mittelweit, reagieren bei konzentr. Beleuch¬
tung langsam und träge. Linksseitige Abduzensparese, doppel¬
seitige Optikusatrophie. Cataract. iucipiens. (Der Befund der
Augen ist kontrolliert von Herrn Prof. Deutschmann.)
Der Zuckergehalt hei der Aufnahme, nachdem Patient draussen
gemischte Kost gegessen hatte, betrug 5,2 Proz.
Es wurde darauf strenge Zuckerdiät verabreicht, gleichzeitig
Sal. Carolin. Bei dieser Ernährung anfänglich 6 Proz. Zucker,
später schwankt der Gehalt zwischen 3 und 5 Proz., nachdem
Patient 5 Wochen ausschliesslich antidiabetische Kost gehabt hat:
4,8 Proz.
Es wurde dann — unter Beibehaltung der Zuckerdiät — ein
Traitement mixte eingeleitet. Während dieser Zeit bei häufigen
Untersuchungen keine wesentliche Veränderung in der Zucker¬
menge, am Schluss der Kur 5 Froz.
Von nun ab gemischte Kost, dabei ungefähr die gleiche Zucker¬
ausfuhr, wie bei antidiabetischer Diät, schwankt zwischen 4 und
0 Proz.; nachdem Patient 10 Wochen gemischte Kost gegessen:
4 Proz.
Bei Darreichung von 100 g Traubenzucker findet keine ver¬
mehrte Zuckerausfuhr statt; in dem daraufhin gelassenen Urin
4,G Proz.
Es wird dann noch einmal ein Versuch mit strenger Zucker¬
diät gemacht, ohne dass die Zuckermenge sich geändert hätte
(zwischen 4,2 und 5,4 Proz.).
Dann musste der Mann auf seinen Wunsch entlassen werden.
Darf man die Glykosurie in diesem Falle mit Recht als von
der Tabes abhängig betrachten?
Ist die Tabes das Primäre?
Nun — ich glaube, man darf das mit gutem Recht an¬
nehmen — , selbst wenn die zeitliche Aufeinanderfolge sich weder
durch objektive Beobachtung, noch durch anamnestische Daten
seitens des Patienten konstatieren lässt. Letzteres ganz einfach
deshalb, weil der Patient auch heute noch keinerlei Beschwerden
von seiner Tabes hat und erst der eingetretene Diabetes ihn
ins Krankenhaus geführt hat. Zweifellos handelt es sich um eine
echte Tabes und nicht um tabesähnliche Pseudobilder, und diesen
absolut gutartigen, nicht ins ataktische Stadium getretenen
Krankheitstypus muss man bei dem Alter des Patienten
(60 Jahre!) wohl als lange bestehend anerkennen.
Gegen ein zufälliges Nebeneinanderbestehen sträubt sich das
gesunde Kausalitätsbedürfnis und — etwas wissenschaftlicher ! —
spricht dagegen das Resultat der diätetischen Versuche.
Denn es handelt sich in diesem Falle um eine Glykosurie
bei Tabes, wo die Zuckerausscheidung — von geringeren Schwan¬
kungen abgesehen — im wesentlichen dieselbe blieb, ohne jeden
Einfluss der Ernährung, ganz gleich, ob man die Kohlehydrate
völlig fernhielt oder ob man sie absichtlich in grösserer Menge
zuführte.
Man muss deshalb annehmen, dass es sich nicht um eine
genuine Stoffwechselerkrankung handelt, sondern dass die Zucker¬
ausscheidung hier von einer Stelle reguliert wird, die diätetischen
Beeinflussungen nicht zugänglich ist.
In dem vorliegenden Falle war es sehr verlockend, eine
Schmierkur einzuleiten, doch musste man — auch ohne Reu-
m o n t s negatives Resultat — sich von vornherein darüber klar
sein, dass dieselbe ohne Erfolg bleiben würde. Denn die Zucker¬
ausscheidung bei Tabes hat mit einem sogen. Diabetes syphiliticus
nichts gemein. Hemptenmacher14) hat kürzlich die Fälle
von Diabetes syphiliticus zusammengestellt und verlangt als Con¬
ditio sine qua non für die Diagnose, dass — nach stattgehabter
Infektion — die Glykosurie auf Diät nicht reagiere, auf spe¬
zifische Behandlung aber verschwinde. Den Sitz einer solchen
14) Mitteilungen aus den Hamburger Staatskrankenanstalten
1901, Bd. III, Heft 4.
Affektion verlegt er an den Boden des IV. Ventrikels; die Affek¬
tion selbst erklärt er in seinem Falle für eine spezifische Gefäss-
erkrankung, für andere Fälle kommt noch die Möglichkeit einer
gummösen Entzündung oder Neubildung in Betracht.
In unserem Fall aber ist die Glykosurie nicht auf dem Boden
einer Lues, sondern einer Tabes aufgetreten.
Ohne an der Tabes-Syphilis-Frage rühren zu wollen ■ —
eine frühere Lues ganz allgemein vorausgesetzt — könnte es sich
hier ja nur um eine sogen, „metasyphilitische“ Affektion handeln,
d. h. um Degenerationen nervöser Elemente, die auf Quecksilber
und auf Jod nicht reagieren können. In unserem speziellen Fall
war anamnestisch keine Lues nachzuweisen, auch fanden sich
objektiv keine Zeichen frischer oder überstandener Syphilis.
Im Bilde einer Tabes aber sind ganz gewöhnlich zerebrale
Kernerkrankungen, die in unserem Fall ganz einwandsfrei in der
Abducensparese sich dokumentieren. Diese Affektionen stellen
sich dar als primäre Degenerationen einer physiologisch zu¬
sammengehörigen Ganglienzellengruppe, und eine solche nehmen
wir zur Erklärung der Glykosurie an in dem Claude Bernard-
schen Zentrum am Boden des IV. Ventrikels und setzen sie ana¬
log der Erkrankung des Abducenskernes.
Wir berufen uns darauf, dass auch Oppenheim, Reu-
fflont und Naunyn bei Tabesfällen mit Bulbärsymptomen
eine solche Auffassung für zulässig halten, und erinnern daran,
dass Weichselbaum la) in einem Falle von Diabetes mul¬
tiple Sklerose des Gehirns und Rückenmarks fand, speziell zwei
Herde in der Rautengrube.
Da in unserem Fall die Zuckerausschei¬
dung völlig unabhängig ist von der Kohle¬
hydrataufnahme, da die Assimilationsfähig¬
keit des Körpers für Kohlehydrate gar nicht
alteriert ist (Traubenzuckerzufuhr!) so sch Hessen
wir für diesen Tabesfall (mit Bulbuserkrankung !),
dass die Glykosurie nicht die Folge ist einer
genuinen primären S t o f f w e c h s e 1 e r k r a n k u n g,
sondern dass sie der symptomatische Aus¬
druck einer tabischen Kernaffektion am B o -
d e n des IV. Ventrikels ist, dass es sich also ge¬
wiss e r m a s s e n um eine t a b i s c li e P i q ü r e han¬
delt.
Ich bin Herrn Oberarzt Dr. Schütz für die gütige Ueber-
lassung des Falles, sowie für die Durchsicht dieser Arbeit herz¬
lich verpflichtet.
Aneurysma varicosum eines Saphenaastes als
Schenkelbruch fehldiagnostiziert.* *)
Von Dr. Florian Hah n, Spezialarzt für Chirurgie.
M. II.! Ich erlaube mir. Ihnen über einen Fall zu be¬
lichten, den ich am 15. I. operiert habe und Herrn Kollegen
Dr. Treu m a n n verdanke.
Es handelt sich um eine 39 jährige Frau, die 7 mal entbunden
hat, zuletzt am 7. I. 1902. 8 Tage nach der Entbindung stand sie
auf. Die Hebamme bemerkte in der linken Schenkelbeuge eine
grosse Geschwulst, die sie für einen Bruch ansprach, brachte der
Frau eine Bandage mit einer riesigen Pelotte und legte sie auf
den Tumor. Nach kaum einer Stunde schon musste die Frau
wegen heftiger Schmerzen an der Stelle des Bruchbandes dasselbe
abnehmen und sich ins Bett legen, zugleich war eine Schwellung
der Haut aufgetreten, die im Verein mit den zunehmenden Schmer¬
zen die Frau veranlasste, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Herr Kollege Treu mann diagnostizierte einen irreponiblen,
über faustgrossen Schenkelbruch, der Netz enthielte und bat mich,
die Frau gegien Abend zu besuchen. Ich fand in der linken
Schenkelbeuge einen über mannsfaustgrossen, beweglichen, nach
unten scharf abgrenzbaren Tumor, der sich in das Abdomen durch
den Schenkelring kontinuierlich foi’tsetzte, es war ein daumendicker
Strang zu fühlen, der sich in den Annulus cruralis externus hinein
verfolgen liess. Nach dem Befunde und auf die Angabe der Frau
hin, seit Jahren an dem „Bruch“ zu leiden — nur sei er jetzt im
Wochenbett grösser geworden — jedoch eine Beschwerde nie ge¬
habt zu haben, nahm ich in Uebereinstimmung mit dem Herrn
Kollegen einen verwachsenen, irreponiblen Netzbruch an und
dachte mir, es sei vielleicht post partum noch eine grössere Netz¬
partie in den Bruchsack ausgetreten, zumal, da die Frau an dem
Tage zum erstenmale vom Wochenbett aufstand. Ich dachte mir
also, es hätte durch den letzten Partus die Bruchpforte eine Er¬
weiterung erfahren.
1 '’) Zitiert bei Oppenhei m : Berl. klin. Wochenschr. 1885.
*) Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein Nürnberg am
17. IV. 1902.
16. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1539
W ir verordneten zunächst Priessnit z’sehen Umschlag und
liessen das Bettende hochstellen. In der Nacht erfolgte StuhfgaSg
spontan Aufstossen, Erbrechen und dergl. hatte nie bestandet
frHjte.n syuiptome einer Behinderung der Darmpassage oder
^ner ^errunS' des Darmes durch den vermeintlichen Netzstran»-
Das Allgemeinbefinden war gut, kein Fieber, keine Pulsverände-
nnig. Am nächsten Morgen war der objektive Befund derselbe,
auch das subjektive Befinden blieb unverändert. Gleichwohl
einigten wir uns, einen operativen Eingriff vorzuschlagen in der
Annahim eines irreponiblen, event. strangulierten Netzbruchieis
namentlich deshalb, weil wir wegen des Oedems der Haut einen
fr sehen entzündlichen Brozess im Bruchsackinhalt nicht aus
sch hessen konnten, drängten aber nicht besonders. Die Frau ent
schloss sich rasch und am Nachmittag wurde zur Operation in
Ohloioformnarkose geschritten. Schrägschnitt in gewöhnlicher
M eise bis auf die Bruchsackhüllen. Die Umgebung derselben be¬
stand aus derben, diffusen Verwachsungen, die mit der Schere
und teilweise mit dem Messer gelöst werden mussten; dann erst
gelangte man auf den eigentlichen (vermeintlichen) Bruchsack
Dei Inhalt schimmerte dunkelblaurot durch die Wand, die Kon¬
sistenz des Bruch Inhaltes war ziemlich fest. Auffallend waren
einige Einkerbungen namentlich am Fundus. Am Fundus wo zu-
nachst die Isolierung begann, schlängelte sich eine Vene nach der
Hinterwand - so schien es die Vene durchschnitt ich und
/n’rvX/f 1 2 rC1 °bw1‘ -Nun kamen zwei Q«er verlaufende Wülste
zu Gesicht, die an \ anzen erinnern mussten. Aber immer noch
blieb nach oben, nach dem Schenkelring zu, die Hauptmasse des
Tumors bostel,™. und von dieser versprach ich m r „äch dem bis
l,e rigen Befund eine TJeberraschung, da ich nicht ohne wSteres
um n Zusammenhang mit den als Varizen gedeuteten queren
V a l lsten * hersteilen wollte und konnte. Dieser Tumor war aber
v eitei nichts als ein apfelgrosser, tumorartiger Varix. Lateral-
Stran- anfühff V-erlie.f die V‘ saph- ^ sich als solider
' V -ö. a+^uklt<?’ lcl1 präparierte sie frei und an der Stelle, wo
< oi eigentliche Tumor ihr anhaftete, riss die sehr brüchige Wand
des Tumors ein; es entleerten sich einige Tropfen flüssigen Blutes
aus dem Tumor; ohne weitere Versorgung der Oeffnung erfolgte
aweh kerne wertere Blutung. Nun verfolgte ich die Saphena weiter
zentralwarts es mussten noch einige Seitenäste der Vene unter-
i'"!jden w,e.ia t" ~ zn ihrem Uebergang in die V. cruralis. Bis
dicht an die Emmundungsstelle fühlte sich die Saphena solid an
kuapp an dl®ser stelIe wurde sie abgebunden, die Vene durch-
s< hnitten und nun der Tumor im ganzen entfernt. Ich hebe
dass an. dei‘ Fossa °valis und vor dem Annulus cruralis ex-
teanus sich 3 bohnengrosse, harte Drüsen fanden, eingebettet in
denselben derben Schwielen,
wie sie um den ganzen Tumor
herum sich vorfanden; denn so
erklärt sich unser Befund bei
der äusseren Untersuchung, wo
sich ein etwTa daumendicker
Strang ins Abdomen fortzu¬
setzen schien. Nun exstirpierte
ich noch einen Teil des Sapliena-
astes, dem der Tumor angehörte,
peripherwärts resp. median-
wärts und auch noch ein Stück
der Saphena peripherwärts und
vernähte diq. grosse Wunde nach
Anlegen einer Gegenöffnung.
Von einer ausgedehnteren Va¬
rizenoperation musste aus äusse¬
ren Gründen Abstand genommen
werden. Auf den Verband legte
ich einen Sandsack, stellte das
Bettende hoch und schärfte der
Frau ein, nachdem sie erfahren
hatte, um was es sich gehandelt
hatte, sich recht ruhig im Bette zu verhalten. Das Gespenst der
Lungenembolie durch Gerinnselverschleppung schwebte mir vor.
Es erfolgte glatte Heilung, in den ersten Tagen trat leichte Tem-
peratursteigerung ein. Nach 12 Tagen konnte die Frau ans der
Klinik geheilt entlassen werden.
Es handelte sich also, m. H., um einen geschwulstartigen Varix
eines Astes (hochabgehenden) der V. saphena magna, um ein
Aneurysma varicosum, und diesem seltenen Befunde zuliebe
freue ich mich über die Fehldiagnose. Bei dem Befunde der
äusseren Untersuchung bin ich sicher, dass jeder Kollege unsere
Diagnose „Netzbruch“ ohne Zaudern bestätigt hätte. Ich habe
6 läge nach dieser Operation eine Frau mit stranguliertem Netz¬
bruch operiert, hei welcher der Befund und das Allgemein¬
befinden ganz und gar dem in unserem Falle glich, und die
zahlreichen Fälle von Netzbrüchen, die ich hier im Kranken¬
haus als Assistent mitbeobachtete, unterschieden sich in nichts
von dem Befund bei unserer Patientin. Eine Erscheinung darf
ich Ihnen aber doch nicht verschweigen, die ich allerdings erst
post operat. richtig würdigte, nämlich die stärkere Entwicklung
von Varizen an der linken Extremität von den Zehen bis, zum
Knie im Gegensatz zur gesunden rechten Seite. Aber ich
glaube nicht, dass wir, selbst wenn wir dieses Phänomen richtig
gedeutet hätten, die richtige Diagnose gestellt hätten.
Im
Stehen wurde die Frau nicht untersucht, da es nicht rätlich er¬
schien, und die Untersuchung mit Zuhilfenahme der Bauch¬
presse hatte in unserem Falle auch keinen Aufschluss, ob Hernie
oder nicht, ergeben, da verwachsene Netzhernien den Bruchsack¬
hals verschliessen. Uebrigens ist es möglich, dass die Varizen
der unteren Extremität auch durch einen verwachsenen Netz¬
bruch und Druck auf die V. saphena sich ausgebildet hätten,
so dass dieses Symptom der stärkeren Varizenausbildung nicht
unbedingt gelten kann.
Die Lage des Tumors in unserem Falle, sein langes Be¬
stehen, seine zirkumskripte Gestalt, die Kontinuität nach dem
Abdomen zu sind lauter Anzeigen für bestehende Hernie.
Entschuldbar ist meines Erachtens die Fehldiagnose. Solche
geschwulstartige Varizen im Gebiete der Vena saphena magna
und ihrer Aeste sind sehr selten und noch seltener haben sie
zu Verwechslungen mit Hernien Veranlassung gegeben.
In der Literatur sind einige Fälle niedergelegt. So berichtet
M ü 1 1 e r - Rostock 9 von einem 49 jährigen Mann, der seit meli-
reren Monaten ein Bruchband trug wegen eines angeblichen
Schenkelbruchs. Die Gegend des Bruches wurde schmerzhaft
so dass der Arzt einen eingeklemmten Bruch annahm. In der
Klinik wurde aber eine frische Thrombophlebitis am Oberschenkel
festgestellt frei bestehendem Oedem bis zum Knie herunter. Dicht
unterhalb des Lig. Pouparti fand sich ein aprikosengrosser
schmerzhafter Tumor, von dem es zweifelhaft blieb, ob es sich
um strangulierten Netzbruch oder entzündlichen Varix handelt.
Der Tumor stellte sich als ein aneurysmatischer, entzündlicher
I Varixknoten heraus. Exzision des Sackes, Resektion eines 10 cm
langen Stückes der Saphena dicht unterhalb der Fossa ovalis
Glatter Verlauf.
Der Fall lag zur Diagnosenstellung günstiger wegen gleich¬
zeitig bestehender Thrombophlebitis, so dass wenigstens eine Wahr¬
scheinlichkeitsdiagnose gestellt werden konnte.
Auf die diagnostischen Schwierigkeiten derartiger Geschwülste
umist auch O. Loos-) hin, der aus der Tübinger Klinik einen
Fall eines geschwulstartigen Varix im Gebiete der Vena saphena
magna publiziert hat; der Tumor war 5 cm dick und 10 cm lang
und hatte seinen Sitz an der medianen Seite der Kniekehle. Zwar
konnte in diesem Falle kaum eine andere Diagnose gestellt werden,
aber die von ihm aus der Literatur zusammengestellten Fälle illu¬
strieren das wechselreiche Bild solcher Tumoren. Ich entnehme
der Arbeit von O. Loos folgende Fälle: „J. Grossmann beob¬
achtete eine faustgrosse Geschwulst an der Innenseite des 1. Ober¬
schenkels. Der im Laufe von 12 Jahren aus einer haselnuss¬
grossen Geschwulst herangewachsene Tumor wurde als Sarkom
diagnostiziert und erst bei der Operation als Venektasie erkannt.
ln einem Falle von S e g o n d handelte es sich um eine etwa
walnussgrosse, „irreponible“ Geschwulst im Verlaufe der V. saph.
von teigiger Konsistenz, „die ihr Volumen bei Ilustenstössen
nicht veränderte“. Der Tumor, welcher jahrelang als Hernie be¬
trachtet worden war, wurde erst bei der Operation erkannt.
Ueber einen ähnlichen Fall wurde von Dawbarn berichtet.
Bei einer GO jährigen Frau fand sich unter dem Leistenband ein
hühnereigrosser Tumor, der bei Pressen sich v.ergrösserte, bei
Taxisversuchen verschwand. Wahrscheinlichkeitsdiagnose: „ein¬
geklemmter Bruch“. Die Operation ergab eine sackartige Er¬
weiterung der V. saphena. — In der anschliessenden Diskussion
teilt Brewer einen Fall mit, wo ein doppelseitiger Varix der
Saphena eine doppelseitige Cruralhernie vorgetäuscht hatte,
ferner gibt Walker an, einige analoge Beobachtungen gemacht
zu haben.“
Einen dem unsrigen analogen Fall beschreibt Böger-
Osnabrück 3). In der rechten Schenkelbeuge eines 22 jährigen
Mädchens bemerkte man beim Stehen eine gänseeigrosse, weich
anzufühlende Geschwulst, welche in horizontaler Lage fast völlig
verschwand, beim Aufstehen sogleich wieder hervortrat. Die
Geschwulst wurde, wie auch von verschiedenen anderen Seiten,
für einen Schenkelbruch gehalten, stellte sich aber bei der Ope¬
ration als ein grosser Varix der V. saphena kurz vor ihrem Ein¬
tritt in die V. femoralis heraus. Die Geschwulst bestand schon
seit dem G. Jahre und hatte damals Taubeneigrösse. Pat. trug
schon seinerzeit jahrelang Bruchband. Dann sei der Bruch ver¬
schwunden, bis mit dem 19. Jahre wieder eine Geschwulst auftrat.
In der Leipziger Klinik wurde wiederum ein Bruchband ver¬
ordnet. Im ganzen war von nicht weniger als fünf Seiten aus
die Diagnose „Bruch“ gestellt worden und wer weiss, wie oft noch
späterhin sie bestätigt worden wäre.
Unter den angeführten Fällen der Literatur war also nie
die richtige Diagnose gestellt worden, nur in dem Falle Müller-
Rostock kam ein Var ix als Wahrscheinlichkeitsdiagnose in Be¬
tracht gegenüber einer Netzhernie.
Betrachten wir unser Präparat, so zeigt der Tumor im ganzen
etwa Traubenform; nach oben medianwärts sitzt der apfelgrosse
Hauptteil, dem sich nach unten zu ein pflaumengrosser Varix an-
schliesst, und dieser setzt sich fort in 2 querverlaufende Wülste
9 Arch. f. ldin. Chir., Bd. 66.
2) Beitr. z. ldin. Chir., Bd. 28, 1900, p. G54 (enthält auch die
hiezu gehörigen Literaturangaben).
9 Centralbl. f. Chir. 1902, No. 17, p. 478.
5*
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1540
von Kleinfingerdicke. Das Ganze ist noch teilweise überkleidet
von dicken Schwarten. Die Wände der Varizen sind stark ver¬
dickt, das Lumen ist ausgefüllt von zum grössten Teil geronnenem
Blut. Lateralwiirts schliesst sich an an den Tumor die 5 ena
saphena und diese ist ausgefüllt von einem grösstenteils organi¬
sierten Thrombus mit deutlichem spaltförmigen Lumen. Der
Thrombus endet knapp — etwa y2 cm — vor der Einmündungs¬
stelle der Saphena in die Femoralis (dicht an der Abbindungs¬
stelle), indem er kuppenförmig ins Lumen der Saphena hineinragt.
Ein Lumen ist an der Kuppe nicht zu erkennen, d. h. der Thrombus
im ganzen ist noch nicht kanalisiert. Zwischen Thrombus und
Saplienawand finden sich zarte, fibrinöse Verklebungen. V ie weit
sich der Thrombus peripherwärts erstreckte, ist ungewiss, da ein
reseziertes Stück der Saphena verloren ging.
Der Zustand des Thrombus gibt uns Aufklärung über die
Dauer der Thrombose, sie stammt jedenfalls find gewiss erst aus
dem letzten Wochenbett. Das Auffallende ist, dass die Pa¬
tientin gar keine Beschwerden hatte von der Thrombose, sie
hatte keine Ahnung davon, eine Erfahrung, die öfter gemacht
wird. Es kommen jedenfalls viel mehr Saphenathrombosen vor,
als man gemeinhin anzunehmen geneigt ist. Durch die Throm¬
bosierung der V. saph. nahm der an sich grosse \ arix in der
letzten Zeit post partum an Ausdehnung rasch und bedeutend
zu, die noch vermehrt wurde durch Anlegung eines Bruchbandes
mit unsinnig grosser Pelotte. Dass keine 1 axisversuche an der
vermeintlichen Netzhernie vorgenommen wurden, erwähne ich
nur nebenbei, betone aber die verhängnisvollen Folgen, die in
solchen Fällen durch Verschleppung von Thrombenmaterial er¬
folgen können. Dass bei dem oben erwähnten Fall von Daw-
bar kein Unglück geschah, ist wohl mehr Zufall und Glück
gewesen.
M. II. ! Die Ihnen eben mitgeteilte Beobachtung hat mir
zu Ueberlegungen Veranlassung gegeben, die sich beziehen auf
die operative Behandlung der Varizen der unteren Extremitäten.
Als operative Massnahmen kommen in Betracht die
Schede sehe perkutane Umstechung der Saphena, die T r e n -
delenburg sehe Ligatur der Saphena bezw. die Modifikation
dieser Operation, die Durchschneidung der Vene bezw. Re¬
sektion eines 5 — 10 cm langen Stückes der Saphena, die
Madelung sehe Varizenausschälung im Anschluss an die Re¬
sektion der Saphena. Nur erwähnen will ich die von Kramer4)
seit 10 Jahren angeblich mit gutem Erfolg geübte Längsspaltung
thrombosierter Varizen und Ausräumung der Thromben. Als
Radikaloperation kommt sie als zu schonend ebensowenig in Be¬
tracht wie die Schede sehe Operation. Schede machte
mehrfache perkutane Umstechungen der Saphena in Abständen
von 1 cm und knotete die Katgutfäden über Bäuschchen auf der
äusseren Haut. So sollte eine Verödung des Gefässrohres ein-
treten. Schede will damit Dauerheilungen erzielt haben.
Aber nicht selten kam es vor, dass das Gefässrohr wieder durch¬
gängig wurde oder dass sich kollaterale Venenbahnen aus¬
bildeten. Und diese Erfahrung hat auch Trend elenburg
veranlasst, zunächst die Durchschneidung, späterhin die Re¬
sektion eines grösseren Stückes der Saphena prinzipiell vorzu¬
nehmen. Gleichwohl traten Rezidive auf und zwar wiederum
wegen der sich bildenden Kollateralen, andrerseits auch von den
oberhalb der Resektionsstelle gelegenen Seitenästen der Saphena,
und um diese zu vermeiden, hat man die Resektion nicht mehr
im mittleren Drittel des Oberschenkels vorgenommen, sondern
im oberen Drittel. Da solche Seitenäste erfahrungsgemäss schon
dicht an der Einmündungsstelle der Saphena in die Cruralis sich
vorfinden (Vv. pudendae ext., Vv. epigastricae inguinales und
superficiales), hat sich als das radikalste Verfahren der Varizen¬
operation die Resektion an dieser Stelle herausgestellt, und diese
Stelle ist auch deshalb die einzig richtige, weil sich noch bei
Resektion im oberen Drittel gezeigt hat, dass ein Parallelast der
Saphena nicht selten vorkonnnt. Man ist dann überrascht, wenn
man den Stamm der Saphena hoch hinauf reseziert hat, nach
kurzer Zeit ein Rezidiv zu sehen, der Trendelenburg sehe
Kompressionsversuch fällt wieder positiv aus und als Ursache
fungiert der Parallelast; dieser soll gar nicht so selten sein.
Unter 17 Fällen hat G r z e s ’) ihn 2 mal gefunden. Mit Rück¬
sicht auf die hochabgehenden Aeste und auf das Vorkommen
eines Parallelastes ist in neuerer Zeit wiederholt die Resektion
der Saphena dicht an der Einmündungsstelle in die Cruralis an
der Fossa ovalis mit M a d el u n g scher Varizenausschälung
vorgenommen worden. Es ist ohne weiteres ersichtlich, dass nui
bei einem derartigen Vorgehen von einer Radikaloperation der
Varizen die Rede sein kann, streng theoretisch genommen
müssen alle anderen Massnahmen, was Dauererfolg anlangt,
minderwertig sein.
Die Gründe, die bei der Varizenbildung massgebend sind,
setze ich als bekannt voraus und betone nur, dass bei der vari¬
kösen Erweiterung der Venen der unteren Extremität dieselben
unter einem abnorm hohen, also pathologischen Drucke stehen,
der wegen der Insuffizienz der Klappen der V. saphena und der
Klappenlosigkeit der Femoralis, Iliaca und Cava der Blutsäulc
vom Varixknoten bis zum rechten Herzen entspricht bezw. bis
zu der Ligaturstelle der resezierten Vene. Ist nun nicht dicht
an der Einmündungsstelle der Saphena reseziert worden, so lastet
dieser Druck auf den wenigen Seitenästen der Saphena und
wird hier schädlich wirken, soferne nicht durch eine Thrombose
in der Saphena Varizenbildung hier hintangehalten wird, oder
aber es tritt das Ereignis ein, das ich schon vorher erwähnt
habe, dass nämlich ein Parallelast der Saphena ganz und gar
übersehen wird und dadurch gleichsam der Status quo ante er¬
halten bleibt.
Die Operation kann stets ohne allgemeine Narkose
(„Schleich“) vorgenommen werden und gestaltet sich keineswegs
schwieriger, wenn die Resektion an der Stelle der Einmündung
in die Cruralis gemacht wird, und diese Stelle sollte in Zukunft
der Ort der Wahl des Beginns der Operation sein. Die langen
Narben, die in der Regel nach der sich anschliessenden
Madelung sehen Varizenausschälung Zurückbleiben, liegen
sehr oberflächlich und sind für den Träger keineswegs störend,
selbst wenn sie in die Kniekehle zu liegen kommen.
Fälle von hohen Resektionen der Saphena sind in der
Literatur schon ziemlich zahlreich niedergelegt. Schon im
Jahre 1892 hat Mafia kowski einige Fälle publiziert,
Karewski u. a. haben das gleiche Verfahren empfohlen, das
er auch warm empfiehlt, wenn es sich um frische variköse
Phlebitis handelt. Die Heilung erfolge rasch und dauernd.
Neuerdings hat die hohe Resektion der Saphena eine be¬
deutend erweiterte Indikationsstellung erfahren durch Müller-
Rostock. Er rät nämlich auf Grund des Z auf al sehen Ge¬
dankens, bei eitriger Sinusthrombose durch die Unterbindung
der V. jugul. int. einer Verschleppung der Thromben nach dem
Herzen vorzubeugen, auch bei der gutartigen Thrombose und
bei der Thrombophlebitis des Unterschenkels (mit Geschwüren,
phlegmonösen Prozessen u. s. w.) die hohe Unterbindung, besser
Resektion der Saphena, ehe sie thrombosiert ist, vorzunehmen.
Nicht allein das. Er empfiehlt, auch in den Fällen die hohe
Resektion zu machen, in denen die Saphena bis zur Einmündung
in die Femoralis thrombosiert gefunden wird, nicht in der Ab¬
sicht, einer Gerinnselverschleppung vorzubeugen, sondern um
die Thrombophlebitis als Lokalerkrankung abzukürzen. An die
Resektion muss sich dann die Exstirpation der erkrankten \ enen
naturgemäss anschliessen. Die Gefahren eines derartigen Vor¬
gehens (Thrombenverschleppung) werden gewöhnlich überschätzt.
„Vielleicht wirkt die an der Einmündungsstelle der Saphena in
die Femoralis befindliche Venenklappe, trotzdem sie undicht ist,
im Sinne des gefahrlosen Abschlusses des Thrombus.“ Diese
Vermutung bestätigt unser Präparat.
Die Kasuistik der hohen Saphenaresektion bei infektiösen
Venenthrombosen ist noch klein, doch sprechen die von Müller
publizierten Fälle und die pathologisch-anatomischen Erwägungen
für Gefahrlosigkeit des operativen Eingriffs und fordern zur
Nachahmung auf. Und hiebei verweise ich auf die vor kurzem
erst erschienene Publikation Trendelenburgs0), die puer¬
perale Pyämie durch Resektion grosser Venenstämme (Flypo-
gastricae und Spermaticae) operativ zu bekämpfen.
Allein weniger die weitgehende Indikationsstellung der
Saphenaresektion beabsichtigte ich in meinen Ausführungen zu
befürworten, obwohl ich ganz und gar damit einverstanden bin,
ich lege viel mehr Gewicht darauf, dass womöglich prinzipiell die
hohe Resektion der Saphena vorgenommen wird, mit Made¬
lung scher V arizenausschälung, wenn man sich schon ent-
schliesst, eine radikale Varizenoperation auszuführen. Meine
Gründe sind die: die Gefahren der hohen Resektion, selbst bei
Thrombose, sind nicht grösser als die der tieferen, die Operation
4) Centralbl. f. Chir. 1901. 37.
F) Beitr. z. klin. Chir., 28. 2. 1900.
°) Diese Wochenschr. 1902, 13.
16. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
wird nicht erschwert; ausserdem können Rezidive auf treten, aus¬
gehend von den hochabgehenden Venenästen, oder es wird der
Parallelast der Saphena übersehen.
Im allgemeinen habe ich das Gefühl, dass der evident gün¬
stige Erfolg einer Saphenaresektion mit folgender Varizenaus¬
schälung ä la Madelung noch lange nicht ins Bewusstsein
der praktischen Aerzte übergegangen ist, dass sich die Kollegen
durch eine einfache und noch dazu ungefährliche Operation viel
Mühe und Zeit bei langwierigen Ulzera und Ekzemen ersparen
könnten und vielen Patienten das oft monatelange Krankenlager
wesentlich abgekürzt würde.
Ein Fall von Menstruatio praecox.
Von Dr. Otto S t ö m m e r in Plattling.
In unserem gemässigten Klima fällt bekanntlich der Eintritt
der Menstruation in die Zeit vom 12. bis 17. Lebensjahre und
geht unsere heutige, hauptsächlich durch Pflüger begründete
Anschauung über das Zustandekommen derselben dahin, dass
durch das Reifen der Follikel reflektorisch eine arterielle Kon¬
gestion der inneren Geschlechtsorgane hervorgerufen wird, welche
zum Fi ei werden des Eies, zur Ovulation, und zur Hyperämie
des Uterus mit Blutung, zur Menstruation, führt; mit der inne¬
ren geschlechtlichen Entwicklung geht parallel die der Brust¬
drüsen, die Behaarung der Schamgegend und der Achselhöhle,
sowie die Zunahme des Fettpolsters. Von Einfluss auf den Be¬
ginn dieser allgemeinen Geschlechtsreife ist das Klima, wie uns
die Tatsache lehrt, dass in südlichen Ländern die Mädchen durch¬
schnittlich schon mit 8—12 Jahren menstruiert sind; ferner ist
bekannt, dass Bewohnerinnen der Städte und namentlich intelli¬
gente Kinder zeitiger menstruiert sind als die des Landes, dass
also sitzende Lebensweise und Anregung des Geistes den Eintritt
beschleunigen, während schlechte soziale Verhältnisse, psychische
Depressionen und Krankheiten denselben verzögern.
Ls gehört zu den grössten Seltenheiten, wenn die Menstrua¬
tion schon im ersten Dezennium sich zeigt, und kennt die Litera¬
tur bis zum Jahre 1889 nur 64 solcher Fälle1). Hiernach trat
diese Menstruatio praecox 19 mal im 1., 15 mal im 2., 8 mal im
3., l n.al im 4., je 3 mal im 5., 6., 7., 9. und 10. und 1 mal im
8. Lebensjahr auf; in 3 Fällen fand die Menstruation sogar schon
von Gehurt an statt und zwar in typischer Wiederkehr, nicht als
einmalige Vaginalblutung, wie sie ja öfter beobachtet wird.
In den meisten Fällen traten die Menses ohne alle Vorboten und
Beschwerden auf, nur in 5 Fällen wurden solche erwähnt : all¬
gemeines Unbehagen, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Kopfkon¬
gestionen. Die Blutung dauerte 2 — 5, meistens 3 Tage ; sie war
nur in einigen Fällen sehr stark und kehrte fast ausnahmslos alle
4 Wochen wieder; Abweichungen, z. B. mehrmonatlicher Typus,
kamen nur in vereinzelten Fällen zur Beobachtung. Die Ent¬
wicklung der Brüste und der äusseren Genitalien fehlte nur in
3 Fällen, während in einem anderen Falle Brüste und äussere
Geschlechtsteile entwickelt waren, aber keine Menstruation, son¬
dern vikariierende Magenblutung vorhanden war. Dass es sich bei
Menstruatio praecox um eine wirkliche Ovulation, nicht um
blosse Genitalblutung handelt, ward in 7 Fällen durch den Ein¬
tritt von Konzeption bewiesen: 3 Mädchen wurden im 8. Lebens-
jahie, das eine von einem o monatlichen Fötus, das zweite von
einem 9 monatlichen toten und das dritte von einem lebenden
Kinde entbunden; 2 Mädchen gebaren im 9. Jahre reife Kinder;
in 2 Fällen, in welchen das eine 9 jährige Mädchen von einem
3 monatlichen Embryo und das andere von einem nur 24 Stunden
lebenden Kinde entbunden worden war, starben die Mütter bald
nach der Niedex-kunft an Phthisis.
Da jeder neue Fall") von Menstruatio praecox für die Klä¬
rung dieser seltenen Erscheinung von Wichtigkeit ist, möchte ich
nicht versäumen, den 64 Fällen die folgende Beobachtung hinzu¬
zufügen.
Marie W. ist das Kind eines Schreiners im Dorfe O. Letzterer
ist 36 Jahre alt, gesund und kann sich während seines ganzen
Lebens nur an eine einzige Krankheit, Lungenentzündung im
11. Jahre, erinnern. Die Mutter ist 31 Jahre alt, schmächtig ge-
9 vide Eugen Rudel: Beitrag zur Pathologie der Men¬
struatio praecox. Inauguraldisseitation, Wttrzbui'g 1889.
9 Aus neuerer Zeit haben Hofacker (Deutsch, med.
V ochenschr. 1898, Vereinsbeilage No. 30. S. 224) und Klein
(Deutsch, med. Wochenschr. 1899, No. 3) über Fälle von Frühreife
mit Menstruatio praecox belichtet.
1541
baut, hat ihre Menstruation seit dem 16. Lebensjahre, alle
4 Wochen, aber nicht ganz regelmässig; vom 17—19. Jahre litt sie
an Chlorose mit Amenorrhoe, sonst nur an häufigen Mandelent¬
zündungen. Der Grossvater väterlicherseits lebt noch, die Gross¬
mutter hatte 6 Kinder, war gesund und starb mit 58 Jahren im
Beginn des Klimakteriums. Der Grossvatei’ mütterlicherseits,
Potator, starb mit 36 Jahren rasch; die Grossmutter, welche i hre
Regeln immer sehr stark hatte, gebar 10 Kinder, darunter Zwil¬
linge, und Starb mit 47 Jahren an Lungenphthise. Von 2 Brüdern
ist einer, der immer schwächlich war, im 3. Lebensjahre gestorben,
der andere ist 7* Jahre alt; 2 Schwestern zeigten keinerlei Früh¬
reife, eine ist im 4. Jahr an Diphtherie gestorben, die andei'e war
immer ki'änklich bis zum 5. Lebensjahre und ist jetzt 7 Jahre alt.
Marie selbst kam am 15. September 1S92 als sehr grosses,
schweres Kind zur Welt. Sie litt in den ersten 8 Wochen an
Brechen und Dui'chfall und magerte
so sehr ab, dass sie aufgegeben
wurde; erst als ihr statt der bis¬
her nur ungenügend verdünnten
Kuhmilch Milch mit Eichelkaffee
gei'eicht wurde, nahm sie wieder
zu und fiel schon mit einem halben
Jahre durch starke Entwicklung
der Brüste auf; jedoch war sie erst
mit vollendetem ersten Lebensjahr
im stände, sich selbst aufzusetzen
und bekam auch um diese Zeit die
ersten Zähne; 6 Wochen später be¬
gann sie zu laufen Als sie 1 y3 Jahre
alt war, stellte sich, nachdem einige
Zeit vorher mehrtägiger milcli-
weisser Fluss vorausgegangen war,
ohne irgend welche Zeichen des
Unbehagens die erste Genitalblu¬
tung ein; diese war schwach, deut¬
lich rot, dauerte ein paar Tage und
wiederholte sich von da an ohne
Störung des Allgemeinbefindens
regelmässig alle 4 Wochen unter
starkem Wachstum des Körpers, so
dass sie mit 4 Jahren bereits
42 Pfund wog. Vom Ende des
5. Lebensjahres an trat die Men¬
struation nur mehr alle 6— 8 Wochen
auf, dunkelrot, 3 — 4 Tage lang.
Als ich das Mädchen nach eben vollendetem 6. Lebensjahre zum
erstenmale sah, fand ich ein gesundes, grosses und klüftig aussehen¬
des Kind ; stark O-förmiggekiümmte Bieinedeuteten,auf iiberstandene
Rliachitis hin. Die Brüste sprangen deutlich lialbkugelfönnig vor;
auf den stark gewulsteten, grossen Schamlippen fanden sich spär-
liclie, dunkle, ziemlich lange Haare; die Achselhöhle war frei von
Haarwuchs. In dem auffallend grossen Unterleib konnte ich
ausser dicken Bauchdecken keinerlei pathologische V eräudeiuug
nach weisen; der Appetit war gut, der Stuhl regelmässig, Harn-
bescliwerden wurden negiert. Von einer innerlichen Untersuchung
per rectum musste ich Abstand nehmen, da schon die äussere
Untersuchung mit grossen Schwierigkeiten verbunden war, das
Kind sich mit Händen und Füssen stiäubte und mit Gewalt von
der Mutter ins Zimmer liereingezeirt und ausgezogen werden
musste, so dass ich nicht wusste, ob es mehr Furcht oder Scham
oder Eigensinn wäie. Im September 1900 hörten die Menses, nach¬
dem sie zuletzt nur mehr in 8 wöchentlichen Pausen gekommen
waren, plötzlich auf, ohne dass ii'gend eine Störung, Krankheit
oder sonstige iiussei'e Veranlassung vorausgegangen wäre. Um
diese Zeit liess auch das auffallende Wachstum nach und die
Brüste verkleinerten sich wieder; und als ich das Mädchen vor
kurzem wieder sah. fand ich es für ihr Alter von 9 )4 Jahren
nicht besonders gross (127 cm), auch nicht gerade dick und die
Brüste nur wenig grösser als in diesem Alter normal. Geistig ist
das Kind ziemlich geweckt, zeigt sich in der Schule talentiert, ist
aber etwas faul. Das Schamgefühl ist ziemlich ausgeprägt, sie
sprach und spricht nie von ihrer Blutung, auch mit den Eltern
nicht. Sie spielt immer mit Mädchen, nicht mit Knaben, und zwar
lieber mit klelnei'en. Masturbation kam nicht vor.
Dieser neueste Fall von Menstruatio praecox zeigt beim Ver¬
gleich mit den übrigen die eine merkwürdige Abweichung, dass
die Menses, nachdem sie zu Beginn des 6. Lebensjahres seltener
geworden waren, zu Ende des 8. Jahres ganz sistierten, ohne dass
Klimawechsel, Chlorose oder eine sonstige Gesundheitsstörung da¬
für verantwortlich gemacht werden konnte Es legt diese Erschei¬
nung- den Gedanken nahe, dass im ersten Lebensjahre, vielleicht
im Anschluss an den Darmkatarrh unter Vermittlung des Bak¬
terium coli eine Affektion der inneren Genitalien entstand, welche
sich ohne innere Untersuchung nicht nachweisen liess, durch
deren Reiz es aber zur Kongestion und zur Ovulation bezw. Men¬
struation kam, wie bei regulären Katamenien, und zwar solange,
als dieser Reiz, diese Affektion anhielt, id est bis zum Ende des
8. Lebensjahres. Es wäre aber auch möglich, dass die Rliachitis
mit den Anstoss zur Frühreife des Genitalapparates gegeben
hätte, als Kompensation für die mangelhafte Knochenentwick-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
1542
lung; und drittens können wir noeli an eine Vererbung geschlecht¬
licher Produktivität denken, da die eine Grossmutter 10 Kinder,
darunter Zwillinge, die andere 6 Kinder und die Mutter bis jetzt
5 Kinder hatte; so dass hier vielleicht 3 Faktoren zusammen¬
gewirkt haben.
Diese theoretischen Deduktionen erhalten eine festere Grund¬
lage durch einen Blick auf die Literatur. Die meisten der 64 F alle
sind zwar nur mangelhaft beschrieben und beobachtet, 27 über¬
haupt nur erwähnt, aber manche lassen doch Schlussfolgerungen
zu; die exaktesten lassen jedenfalls diejenigen 6 Fälle zu, welche
zur Sektion gekommen sind, und wurden hiebei 5 mal Geschwülste
der inneren Genitalien gefunden : Eierstockssarkom, tuberkulöse
Eierstocksgeschwulst mit Eiterhöhlen, doppelseitige Eierstocks¬
cysten, Hterusfibromyom und Tuberkel in beiden Eierstöcken bei
allgemeiner Tuberkulose; es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass
liier die Tumoren direkt den Anstoss zur Entwicklung der inneren
Genitalien und zur Menstruation in der oben besprochenen Weise
gegeben haben. Im 6. Falle lag Hydrokephalus vor, wobei sich
an den Genitalien nichts Krankhaftes vorfand, nur waren Uterus
und Ovarien so gross wie bei Erwachsenen ; es ist naheliegend,
liier das Wachstum dieser Teile auf zentrale Beeinflussung zu¬
rückzuführen, da wir in der Literatur noch 2 analoge Fälle vor¬
finden, nämlich einen weiteren Hydrokephalus und eine Apo¬
plexie durch Kopfverletzung; auch 2 Fälle von Eklampsie wären
hierher zu rechnen. Von sonstigen Krankheiten werden erwähnt
4 mal Rhachitis, 2 mal Tuberkulose (ausser den zur Sek¬
tion gekommenen 2 Fällen) und einmal Aszites (vielleicht mit
Genitalaffektion). In 2 Fällen wird über Masturbation berichtet
und ist es begreiflich, dass auch hierdurch eine Hyperämie der
inneren Genitalien hervorgerufen werden kann, welche zur Men¬
struation führt. In 4 Fällen endlich muss an eine Vererbung -ge¬
schlechtlicher Individualität gedacht werden: In dem einen hatte
die Mutter 11 Kinder, darunter einmal Drillinge und einmal
Zwillinge, in einem zweiten hat die Mutter in 5 Jahren 7 reife
Kinder zur Welt gebracht und alle selbst gesäugt, in einem
dritten Falle hatte die Mutter 15 Kinder und in einem vierten
wird erzählt, dass das betreffende Mädchen im 11. Jahre ein ge¬
sundes, 8 Pfund schweres Kind gebar, welches selbst wieder sehr
rasch wuchs, so dass es nach einem Jahre 38 Pfund wog. ITeber-
haupt ist mit Rücksicht darauf, dass die Menstruatio praecox
weitaus am häufigsten in den beiden ersten Lebensjahren, 3 mal
sogar schon unmittelbar nach der Geburt auftrat, die Annahme
nicht von der Hand zu weisen, dass auch schon eine Anlage im
Ei bestehen kann, welche einen partiellen Riesenwuchs zur
Folge hat.
Fremdkörper im Mastdarm.
Kasuistischer Beitrag.
Von Assistenzarzt Dr. Scherenberg.
Es ist alles schon einmal dagewesen, wenn man Ben Akiba
glauben darf. Nachstehend beschriebener Fall lässt aber an der
Glaubwürdigkeit dieses oft zitierten Weisen berechtigte Zweifel
auf kommen.
Erschien da vor einiger Zeit in der Poliklinik des städtischen
Krankenhauses zu Ulm, an dessen chirurgischer Abteilung ich
Assistenzarzt war, ein etwa 30 jähriger Mann, dem die innere Angst
und Aufregung aus dem Gesicht sah. Nach einigen verlegen ge¬
stammelten Worten zog Patient einen glänzenden Gegenstand aus
der Tesche und präsentierte meinen erstaunten Augen (‘ine Rad-
fahrerluftpumpe; er gab an, dass er sich vor 2 Tagen ein solches
Instrument in den After eingeführt habe, um sich ein Klystier zu
gehen; dabei sei es seinen Fingern entglitten und in den Darm
gerutscht, in dem es sich noch befinde. Sein Arzt, den er zu
Kate gezogen habe, habe sich vergeblich bemüht, den Fremd¬
körper wieder zu entfernen, und schicke ihn jetzt, damit er sich,
nötigenfalls durch eine Operation, davon befreien lasse. In der
Zwischenzeit habe er mehrmals regelrechten Stuhlgang gehabt
ohne Schmerzen; besondere Beschwerden habe er nicht.
Die einfache Digitalaustastung des Rektums ergab nun zu¬
nächst einen negativen Befund. Bei der bimanuellen. in Rücken¬
lage des Patienten ausgeführten Untersuchung fühlte dann die auf
den Bauchdecken palpierende linke Hand 2 Querfinger über der
Symphyse in der Medianlinie eine Resistenz, die Kreisform und
2 — 3 cm Durchmesser hatte; sie setzte sich in die Tiefe des kleinen
Beckens hinein zylinderförmig fort und war noch auf mehrere
Zentimeter abtastbar. Offenbar handelte es sich um das obere
Ende der in der Flexura sigmoidea sitzenden Luftpumpe. Der
Versuch, sie gegen den After hinzuschieben, gelang leicht; beim
Tieferdrücken des oberen Endes fühlte der im Rektum liegende,
möglichst hoch hinaufgeführte Zeigefinger den unteren Pol in Form
einer glatten, kreisförmigen Fläche. Unter vorsichtigem Drücken
und Schieben seitens der linken Hand von den Bauchdecken aus
bei gleichzeitiger Führung des unteren Endes durch den in den
Mastdarm eingeführten Zeigefinger der rechten Hand war es mög¬
lich, den eigenartigen Fremdkörper allmählich zu Tage zu fördern.
Es war in der Tat eine Radfahrerluftpumpe, die mit dem
dünneren Ende, welches das zum Einschrauben des Sehlauchs an¬
gebrachte Loch in der Mitte seiner Platte trug, nach oben im Darm
gesessen hatte. Sie hatte folgende Masse: eine Länge von IG cm
in zusammengeschobenem, von 28y2 cm in ausgezogenem Zustande,
einen Durchmesser am oberen Pol von 23 mm, am unteren, der
durch den Handgriff des Kolbens etwas verbreitert wurde, von
20 mm. Das Gewicht betrug 120 g.
Was den Mann bewogen haben konnte, sich diese Stahl¬
rohre einzuführen, ob er wirklich sich hatte ein Klystier geben
wollen, was mit Hilfe dieses Instrumentes immerhin möglich ge¬
wesen wäre, oder ob nicht viel mehr die Motive in der patho¬
logisch-sexuellen Sphäre zu suchen gewesen sein dürften, bleibt
zweifelhaft. Da der Fremdkörper mangels scharfer Kanten und
Ecken Verletzungen der Darmwand nicht hervorrufen konnte
und bald wieder entfernt wurde, blieb die Heimtücke der Luft¬
pumpe, den Fingern des Unvorsichtigen zu entschlüpfen, für
diesen ohne schlimmere Folgen.
Ich habe mir die sonderbare Klystierspritze zur Erinnerung
an diesen wohl noch nicht dagewesenen Fall aufbewahrt.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Die Anstellungsverhältnisse der k. b. Amtsärzte.
Bezirksarzt Dr. Heissler hat in seiner den gleichen Be¬
treff behandelnden Arbeit (Münch, med. Wochensehr. 1902. No. 32)
nur die Verhältnisse der Amtsärzte sensu strictiore — also der Be¬
zirksärzte bei den Distriktspolizeibehörden und der Landgerichts¬
ärzte — in Betracht gezogen.
Es dürfte jedoch interessieren, auch einiges über die An¬
stellungsverhältnisse der Hausärzte an den Strafanstalten zu er¬
fahren, denen ja bekanntlich nach einer Funktionsdauer von 3 bis
7 Jahren auch Titel, Rang und Gehalt eines k. Bezirksarztes
I. Klasse verliehen werden. Eine Ausnahme hievon macht nur
der Hausarzt bei dem Zellengefängnisse Nürnberg, der gleich
b ei der Anstellung pragmatische Rechte und den Gehalt
eines Landgerichtsarztes erhält.
Die Bedingungen für Anstellung im Dienste desk. Staats¬
ministeriums des Innern sind in mehrfachen Erörte¬
rungen in der Abgeordnetenkammer von dem Minister des Innern
dargelegt worden; hiernach wird in diesem Ministerium nur auf
Qualifikation und auf die seit der Prüfung für den ärztlichen
Staatsdienst zurückgelegten Lebensjahre und ausserdem noch da¬
rauf gesehen, dass der Bewerber um eine Amtsarztstelle das
50. Lebensjahr nicht oder nicht allzu lange überschritten habe,
letzteres wohl aus dem Grunde, dass die Pensionslast nicht zu
sehr und zu schnell wachse.
Abweichend hievon sind nach der bisherigen Praxis die
Grundsätze, nach denen das k. Staatministerium der
Justiz bei der Anstellung der Hausärzte verfährt.
Gefordert wird die 1. oder 2. Note in der Prüfung für den
ärztlichen Staatsdienst. Auf die seit der Prüfung für den ärzt-
ielien Staatsdienst zurückgelegten Lebensjahre und auf das noch
nicht überschrittene 50. Lebensjahr wird nicht gesehen, wfle denn
das letzte halbe Jahr Ernennungen sowohl noch aus dem Kon¬
kursjahre 1873 als auch schon aus dem Prüfungsjahre 1897
gebracht hat.
Gefordert wurde ferner bis in die jüngste Zeit herein Zu¬
gehörigkeit. zu einem christlichen Bekenntnisse — siehe Protokoll
der J '’i'zb’kc mmer dev Pfalz vom Jahre 1901 (siehe hierzu Ziffer 14
der Entschli°ssung des k. Staatsministeriums des Innern vom
3. August 1902. die Verhandlungen der Aerztekammern im Jahre
1901 betreffend | Seite 1448 dieses Jahrganges), wonach das
k. Staatsministerium des Innern wegen der Ausschreibung u n d
Besetzung ärztlicher Stellen an Strafanstalten mit dem k. Staats-
niiuisterium der Justiz ins Benehmen getreten istl — . in einem
Falle, der wohl vereinzelt geblieben sein dürfte, wurde Zugehörig¬
keit zur katholischen Religion zur Bedingung gemacht.
Es sind also die Anstellungsverhältnisse der Strafanstalts¬
ärzte im allgemeinen ungünstig: relativ günstig sind sie nur in
denjenigen Fällen, in welchen beim ‘Ministerium des Innern eine
Anstellung als Amtsarzt nicht mehr oder noch nicht er¬
folgen würde. Von der Verschiedenheit der in den beiden ge¬
nannten Ministerien geltenden Grundsätzen dürfte es wohl auch
lierriiliren. dass Strafanstaltsärzte, sobald sie pragmatische Rechte
haben, nicht mehr w i e früher vom Ministerium des
Innern als Amtsärzte herübergenommen werden.
Drossbac h.
16. September 1902.
MÜElsr CHENER MEDiciNlSCIIE WOCHENSCHRIFT.
1543
Referate und Bücheranzeigen.
Diagnostic et Traitement des Maladies infectieuses par le
Schmitt, 1 roiesseur a la I aculte de medeeine de
Nancy. Paris, Librairie J. B. Bailiiere et fils, 1902.
Das Buch ist, wie Ver'f. in seiner Vorrede betont, für den
Studierenden und Praktiker bestimmt, der nicht Gelegenheit
hat, die gewaltige Spezialliteratur genügend zu verfolgen und zu
würdigen.
Im ersten Teil behandelt Verf. in knapper und klarer Weise
das Wesen und. die Wirkungsarten der pathogenen Mikroorganis¬
men und bespricht alsdann die Schutz- und Verteidigungsmittel
des Organismus gegen dieselben. Wir finden hierbei eine aus-
i ehrliche Darstellung der Metschnikof f sehen Theorie und
eine Würdigung der neuen und neuesten Lehren vom Wesen der
bakterizid resp. antitoxisch wirkenden Körper im Serum.
Die allgemeine Diagnostik, den 2. Teil, leitet Verf. u. a. mit
einem sehr beherzigenswerten Kapitel über gewisse feststehende
pathognomonische Symptome und ihre wahre Bedeutung ein.
Dann folgt die Besprechung der anatomisch-pathologischen Vor¬
gänge bei Infektionskrankheiten im allgemeinen und im beson¬
deren, so der Veränderungen des Blutes, der serösen Flüssig¬
keiten etc.. Besonders praktisch und klar ist die Schilderung
der bakteriologischen Untersuchung, ohne sich dabei in allzu
spezialistische Methodik zu verirren.
Bei Besprechung der Anwendung von Bakterienprodukten
zur Diagnostik schätzt Verf. die diagnostische Bedeutung des
K o c h sehen Tuberkulins nicht hoch ein und bestreitet ihm sogar
seine Spezifizität.
In dem Kapitel der Serodiagnostik, speziell der Aggluti¬
nation, nimmt naturgemäss die G r u b e r - W i d a 1 sehe Re¬
aktion den hervorragendsten Platz ein. Uebereinstimmend mit
den allgemeinen klinischen. Erfahrungen hält Verf. den positiven
Ausfall dieser Reaktion bei einer Verdünnung von 1:50 für dia¬
gnostisch beweisend.
Der Ehrlich sehen Diazoreaktion räumt Verf. in der Dia¬
gnostik des Abdominaltyphus, wie die besten deutschen Kenner
desselben, keine hohe Bedeutung ein.
Das 3. Kapitel bespricht in knapper und doch erschöpfender
Form die Prophylaxe, die wichtigste Waffe im Kampfe gegen
die Infektionskrankheiten, in Abschnitten über obligatorische
Anmeldung, Isolierungsmassregeln, Assanierung und Desinfek¬
tion von Menschen und Gegenständen. Alsdann folgt die Be¬
handlung der Therapie der Infektionskrankheiten, die mit einer
bei dem knappen Rahmen des Buches auffallend ausführlichen
Besprechung der antiseptischen Medikamente beginnt. An diese
schließet sich eine kurze Darstellung der Wirkung von Kälte,
Wärme und Licht an. Die letztere hätte vielleicht eine etwas
breitere Behandlung verdient.
Mit gebührender Ausführlichkeit, aber doch knapper Dar¬
stellung bespricht Verf. Theorie und Methodik der Immuni¬
sierung und die Serumtherapie.
Bei der Abhandlung des Diphtherieheilserums, das Verf.
übrigens therapeutisch recht hoch stellt, fällt dem deutschen
Leser das Fehlen des Namens B e h r i n g nicht angenehm auf.
3)as Typhusheilserum (Vidal-Chantemesse) beurteilt
Verf. nach den Erfahrungen von Chantemesse recht
günstig.
Alsdann folgt die Besprechung der Diätetik und der all¬
gemein ionisierenden Verfahren und endlich die Schilderung
der „Eliminateurs“, der diaphoretischen und diuretischen Mittel.
Das Schlusskapitel behandelt in sehr praktischer und de¬
taillierter Form die Fieberbehandlung durch Antipyretika und
Hydrotherapie und schliesslich die Therapie der Entzündungen
und Exsudate. In dem letzten Kapitel ist wohl der gerade für
den Praktiker so wichtigen mechanischen resp. chirurgischen Be¬
handlung ein etwas gar zu kurzer Raum gegönnt.
Alles in Allem haben wir ein Werk vor uns, daß die Fülle
der spezialistisehen F orschungen auf dem weiten Gebiet der Dia¬
gnostik und Therapie der Infektionskrankheiten in wirklich
praktischer, knapper und dabei hinreichend erschöpfender Form
vereinigt. II. C urschmann jun.-Heidelberg.
Dr. W. Stoeltzner und Dr. B. S a 1 g’ e : Beiträge zur
Pathologie des Knochenwachstums. Mit 8 Tafeln in Helio-
Verlag von S. Karger, Karlstrasse 15.
graviire. Berlin 1901.
Preis 12 M.
Die Verfasser bringen eine zusammenfassende Darstellung
der Rachitisuntersuchungen, die im Laufe der letzten 6Vz Jahre
an der II e u b n e r sehen. Klinik ausgeführt worden sind. Auf
en reichen Inhalt dieser wertvollen Untersuchungen näher ein¬
zugehen, ^ist an dieser Stelle unmöglich; erwähnt sei nur, dass
es den Verfassern nicht gelungen ist, an ihren Versuchstieren
echte Rhachitis zu erzeugen. Zum Schluss wird der Versuch ge¬
macht, eine neue Theorie der Rhachitis aufzustellen. Gewisse
Analogien im klinischen und anatomischen Verhalten des Myx¬
ödems und der Khachitis scheinen den Verfassern dafür zu
sprechen, dass auch die A e t i o 1 o g i e beider Krankheiten eine
ähnliche ist. Wie das Myxödem durch die Insuffizienz der
Schilddrüse entsteht, so könnte die Rhachitis durch die mangel¬
hafte Funktion eines anderen für den Haushalt des Organismus
wichtigen Organes bedingt sein.
Die Verfasser glauben aus theroretischen Gründen, dass die
Nebennieren dieses Organ darstellen und vermuten speziell in
der Erkrankung der Nebennierenrinde die Ursache der Erkran¬
kung an Rhachitis. Ein Beweis für die Richtigkeit der Theorie
auf Grund von pathologisch-anatomischen Untersuchungen steht
zur Zeit noch aus. Zunächst haben die Verfasser sich darauf
beschränken müssen, ihrer Theorie durch therapeutische Ver¬
suche — die in Behandlung von rhachitisclien Kindern mit
Nebennierensubstanz bestanden und zum grossen Teile günstige
Ergebnisse hatten — eine Stütze zu geben.
Dem Buche sind vortrefflich ausgeführte Photogramme
tpr. Saig e) von mikroskopischen Präparaten und rhachitischen
Knochen beigefügt. Die Lektüre des Textes (Dr. Stoeltzner)
wird durch die klare und lebendige Behandlung des an und für
sich spröden Stoffes sein- erleichtert. F. L a n g e - München.
C. L r e u s und A. Kolisko: Die pathologischen Becken¬
formen. Leipzig und Wien 1900. F. Deut icke. I. Bd.
1. Teil: Preis 12 M. ; 111. Bd., 1. Teil: Preis 14 M.
In dem vorliegenden, gross angelegten Werke wird auf
Grund sehr eingehender, ausgedehnter, selbständiger Unter¬
suchungen eine zusammenhängende pathologisch-anatomische
Darstellung der Regelwidrigkeiten des knöchernen Beckens ge¬
geben, wie sie der grossen geburtshilflichen Bedeutung dieses
Skelettabschnittes entspricht. Dabei findet besonders die Art,
wie die verschiedensten pathologischen Verhältnisse die Gestalt
und die Grösse des Beckens beeinflussen, die eingehendste Be¬
rücksichtigung. Das ganze Werk wird 3 starke Bände umfassen,
die wiederum in einzelnen Abteilungen erscheinen.
ln dem vorliegenden ersten Teile des ersten Bandes werden
in den einleitenden Abschnitten zunächst besprochen: Entwick¬
lung und gegenwärtiger Stand der Beckenlehre, die Becken¬
messung, die graphische und bildliche Darstellung (erstere wird
verworfen!), die Entstehung der Beckenform (Einfluss des
Knochenwachstums, Wachstumsdruck der Beckenorgane, Druck
der Rumpflast, Resistenz der Beckenknochen und -knorpel, Ein¬
fluss der Muskeln und Bänder), endlich die Einteilung- der
Beckenformen. Als vollkommenste und wissenschaftlichste Ein¬
teilung sehen die Verfasser eine vom genetischen Gesichtspunkte
ausgehende an, und sie teilen dementsprechend die patho¬
logischen Becken folgendermassen ein :
1. Abnorme Becken als Folge von Störungen der embryo¬
nalen Entwicklung und des extrauterinen Wachstums. II. Ab¬
norme Becken als Folge von Erkrankungen der Beckenknochen
und ihrer Synchondrosen. III. Abnorme Becken als Folge von
V irbelsäulenanomalien. IV. Abnorme Becken als Folge von
Anomalien der unteren Extremitäten. V. Abnorme Becken als
Folge von Anomalien des Zentralnervensystems.
Nach dieser Einteilung enthält die erste Abteilung des
Werkes : 1. Die Missbildungsbecken (pygopagische Becken,
Becken mit angeborenen Spaltbildungen, Becken mit Ossi¬
fikationsdefekten des Kreuzbeines). 2. Die Assimilationsbecken
(Becken, deren regelwidrige Form Ausdruck einer abnormen
Niveaubeziehung zwischen erster Anlage des Os ilei und jener
des gewöhnlich das Os sacrum bildenden Wirbelsäulenabschnittes
ist). 3. Die Zwergbecken. Dieser letzteren Abteilung wird eine
interessante Abhandlung über Zwerge und Zwergwuchs im all¬
gemeinen vorausgeschickt. Es wird unterschieden zwischen
1544
chondrodystrophischen, echten, cretinistischen, rhaclii tischen und
hypoplas tischen Zwergen. Sodann werden diese einzelnen
Beokenformen mit Ausnahme des rhachitischen, das nach der
Einteilung erst in einer späteren Abteilung zu besprechen ist,
abgehandelt.
Da den Verfassern aus der Untersuchung der in der ersten
Abteilung bearbeiteten Beckenformen klar geworden war, dass
für die Ausbildung der Beckengestalt der Entwicklung und dem
Wachstum der Knochen eine viel grössere Bedeutung zuzuschrei¬
ben sei, als ihr bisher zugeschrieben wird, und dass die Be¬
lastungstheorie von v. Meyer und Li tzmann eine zu weit
gehende Anwendung finde, so beschlossen sie, zunächst jene
Beckenformen zu bearbeiten, bei denen der Einfluss der Rumpf¬
last auf die Beckengestaltung am deutlichsten zum Ausdruck ge¬
langen muss. So erschien zunächst der erste Teil des III. Ban¬
des, der die Beckenformen bei Regelwidrigkeiten der V irbelsäule
(Spondylosthesis-, Kyphosen-, Skoliosen- und Kyphoskoliosen¬
becken) enthält.
Beide Abteilungen bringen eine Darstellung des Themas,
wie sie in ähnlicher Weise bisher noch nicht geboten wurde, und
es ist den Verfassern vortrefflich gelungen, die oft etwas spröde
Materie in eine Eorm zu kleiden, die das Studium des Werkes
zu einem Genuss macht. Die vorliegenden Arbeiten werden
einer strengen Kritik unterworfen, zu der die Verfasser ihre ein¬
gehenden Studien an den grossartigen Beckensammlungen der
Wiener, Grazer und Prager Institute berechtigten. Dem be¬
scheidenen Ausspruch: „Nicht um Anerkennung zu ernten, ist
dieses Buch geschrieben, sondern einzig und allein um der Sache
zu dienen“, darf man getrost erwidern, dass letzteres in reichstem
Masse der Fall ist, denn Breus und Kolisko erwerben sich
durch die Herausgabe des Werkes ein grosses und bleibendes
Verdienst um die Beckenlehre.
Die Ausstattung der beiden vorliegenden Abteilungen ist
vortrefflich. A. Gessner - Erlangen.
Oscar Vogt: Neurologische Arbeiten. Erste Serie : Bei¬
träge zur Gehirnfaserlehre. Erster Band: Cäcilie und Oscar
Vogt: 1. Zur Erforschung der Gehirnfaserung; 2. Atlas der
Markreifung des Kindergehirns während der ersten 4 Lebens-
monate und ihre methodologische Bedeutung. Mit 175 Tafeln
und 60 Figuren im Text. Jena, Verlag von Gustav Fischer,
1902. Preis 80 M.
Kaum ist der 2. Band des Dej er in eschen Werkes (Anatomie
des centres nerveux, Paris chez R u e f f) erschienen, so kommt
in Deutschland als 9. Band der Denkschriften der medizinisch¬
naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena ein Tafelwerk des
menschlichen Gehirns zu stände, das alles bisher Dagewesene
weit hinter sich lässt.
Das Werk von Oskar Vogt und seiner Frau ist kein Lehr¬
buch wie das D e j e r i n e s, sondern ein beispiellos grossartig
angelegter Alias des Gehirns. Stellen wir zunächst fest, dass
der 1. Band allein neben dem erklärenden Texte 175 Lichtdruck¬
tafeln enthält, welche 28 cm breit und 36 cm hoch sind, dass
diese Tafeln mittels Lichtdruck die getreue Wiedergabe von
mikroskopischen Schnitten durch das ganze Menschenhirn dar¬
stellen, welche mit der W eigert sehen Methode gefärbt sind;
endlich, dass diese Schnitte mittels elektrischem Projektions¬
apparat direkt photographiert oder gezeichnet werden konnten.
Zu diesem Behufe hat Vogt in Berlin ein eigenes neuro-
biologisches Zentralinstitut gegründet, in welchem unter der
Leitung seiner treuen Mitarbeiterin Frau L. Bosse eine ganze
Schaar Zeichnerinnen beschäftigt ist.
Der genannte 1. Band ist nur der Anfang des von V o g t
geplanten Monumentes des menschlichen Gehirns. Sein Pro¬
gramm ist folgendes :
I. Das Studium jugendlicher und erwachsener Gehirne, an
welchen a) eine möglichst detaillierte topographische Zerglie¬
derung der weissen Substanz durchgeführt, b) an einer Ein¬
teilung der grauen Substanz in ihre natürlichen Unterabteilungen
mitgearbeitet wird.
II. Mit Hilfe der Degenerationsmethode sollen die Fase¬
rungen der einzelnen topographischen Bezirke analysiert und auf
diesem Wege soll an dem Aufbau einer systematischen Faser¬
anatomie gearbeitet werden.
No. 3 1.
111. Nach Durchführung dieser die erste Grundlage bil¬
denden Arbeit will Vogt durch andere Methoden in noch fer¬
nere Details der Gehirnfaserung einzudringen sich bemühen.
Als Material werden nicht nur normale Menschengehirne,
sondern zur Vergleichung auch Gehirne von Affen, Katzen,
Hunden, Kaninchen, Igeln und Selachiern benutzt.
Man sieht, Vogt hat es fertig gebracht, ein Unternehmen
ins Leben zu rufen, vor welchem bis jetzt jeder Hirnanatom
zurückschreckte, nämlich das ganze Detail des menschlichen
Hirnbaues Schnitt für Schnitt naturgetreu, zunächst topo¬
graphisch und dann histologisch, darzustellen, soweit unsere For¬
schungsmethoden reichen. Dass die Anatomie des Gehirns an
sich allein nicht etwa nur ebenso kompliziert und ebenso gross¬
artig als die Anatomie des ganzen übrigen menschlichen Körpers,
sondern sogar viel komplizierter ist, das weiss man eigentlich
schon lange, aber Vogts Werk wird es graphisch darstellen.
Zu diesem ebenso kühnen wie meisterhaften Werke deutschen
Fleisses wünschen wir dem Verfasser und seinen treuen Ge¬
hilfen von Herzen Glück. Wir wünschen aber auch, dass es
in der wissenschaftlich-medizinischen Welt die gebührende An¬
erkennung finde. Dr. A. F o r e 1.
Jahrbuch der praktischen Medizin. Kritischer Jahres¬
bericht für die Fortbildung der praktischen Aerzte. Heraus¬
gegeben von Prof. Dr. J. S c h w a 1 b e - Berlin. Jahrgang 1902.
Stuttgart, Verlag von F. Enke, 1902. Preis 10 M.
Das bekannte Sammelwerk kritisch gehaltener Referate liegt
in einem Umfang von 573 Seiten vor. In der Anordnung des
Stoffes sind die im vorigen Jahre eingeführten Neuerungen bei¬
behalten worden. Zu den bisherigen Mitarbeitern ist Heinz-
Erlangen für den Abschnitt über Pharmakotherapie getreten.
Auch dieser Band stellt wieder ein vortreffliches Hilfsmittel für
die literarische Weiterbildung des praktischen Arztes dar. G.
Die bei der ersten deutschen Aerztestudienreise besuchten
Nordseebäder. Herausgegeben im Aufträge des Komitees zur
Veranstaltung ärztlicher Studienreisen in Bade- und Kurorte von
Dr. W. H. Gilbert- Baden-Baden, P. Meissner - Berlin,
A. Oliven- Berlin. Berlin 1902. Verlag „Die medizinische
Woche“.
Der vorliegende Reisebericht bringt zunächst Einiges über
die noch kurze Geschichte der Aerzte-Studienreisen, über ihre
technische und finanzielle Organisation, sodann die gedrängte Be¬
schreibung der vorjährigen Reise. Die hygienischen und bal-
neologischen Verhältnisse der einzelnen Bäder fanden seitens der
Badeärzte im 2. Teile des Berichtes eingehende Darstellung. Das
mit hübschen Illustrationen geschmückte Buch wird für die Teil¬
nehmer der Reise eine wertvolle Erinnerung, aber auch für andere
Aerzte ein praktischer Führer für die Nordseebäder sein. G.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. 32. Bd. No. 4. 1902.
1) A. Grimme- Marburg: Die wichtigsten Methoden der
Bakterienfärbung in ihrer Wirkung auf die Membran, den
Protoplasten und die Einschlüsse der Bakterienzelle. (Fort¬
setzung.)
2) G a b r i t s c li e w s k y: Ueber die Bedeutung der Kalzium¬
salze für Bakterien.
Zu gewöhnlichen Bouillon-, Agar- und Gelatinenährböden
wurde 2 proz. Natronoxalatlösung in verschiedenen Proportionen
von 0,1 — 1.0 ccm pro 5,0 ccm Nährmedium zugesetzt, was 0.04 bis
0,4 Proz. Natronoxalat entspricht. Dadurch fiel der Kalk aus.
Auf diese relativ dekalzinierten Nährböden wurden
Diphtheri e- und Pseudodiphtheriebazillen, Milz-
b r a n d. Pyocyaneus und Staphyloko k k e n geimpft.
Nebenbei fand auch Uschinski - Nährboden ohne Kalzin m
und ein Nährboden, bei dem das Kalzium durch Ivohlens ii u r e
ausgefällt war, Verwendung.
Es zeigte sich, dass die Anwesenheit des Kalkes doch von
Bedeutung ist, da in dem Wachstum der einzelnen Arten Ver¬
schiedenheiten auf traten; so konnten z. B. auf Uschinski-
Näilirböden Diphtherie- u n d P s e u d o d i p htherie-
b a z i 1 1 e n ohne Kalzium überhaupt nicht wachsen, während sich
(las Wachstum auf den relativ dekalzinierten Nähr¬
böden bei den Diphtherie- und anderen Bazillen ganz anders ver¬
hielt. Es scheint hier im wesentlichen auf die Wirkung der
O x a 1 a t e anzukommen, durch welche eine Hemmung der Ver¬
mehrung und eine Schädigung der zymogenen Eigenschaften der
Bakterien zu stände kommt. Diese Salze erweisen sich deshalb
als giftig, weil sie das in den Zellen enthaltene und für das lebende
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
16. September 2902.
MTJENCI-IENER MEPICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1545
iihorfliliiTn*1 Uotwendige Kalzium in unlösliches Kalziumoxalat
3) Abott und Beruey - Pennsylvania: The influence of
alcoholic mtoxication upon certain factors concerned in the nhe-
nomenon of haemolysis.. 1
4) II 1 a v a - Prag: Leuconostoc hominis und seine Rolle bei
den akuten exanthematischen Krankheiten (Scharlach, Masern
Flecktyphus).
Bei verschiedenen Affektionen der Mundhöhle, Angina phleg¬
monosa, diphtherica, searlatinosa, morbillosa, ebenso bei
Rhinitis morbillosa, diplitlierica und im Blute
i)ei Scharlach, Masern und Flecktyphus, auch in
k iinos e n / a h n e n und im Darm bei endemischer
I* y s e. 11 1 e r V', wur.(le vom Verf- eine Art Strept o k o k k e n
gelnnden. welche sich vom Strept. pyogenes durch ihre
Sch leim hüllen unterscheiden und deshalb den Namen
B e u c o nostoc ho m i n i s erhalten haben. Am besten gedeiht
dieser Leuconostoc in Zopf scher Bouillon oder Saccha-
roscagar oder auf Zuckerrübenagar. Der Zucker wird unter
M llclisaurebildung zersetzt. In Bouillon bildet sich eine Flaut
die später bedeutend dicker wird und dann am Boden des Glases
einen gelatinös knorpeligen Niederschlag bildet. Auf Zucker-
agar entstehen halbkugelige himbeerartige, glasige Kugeln die
fest in den Nährboden eingewachsen sind. M i k r osk o p j s c li
bilden sich mehr oder weniger lange Ketten, die mit Kapseln resp
II u 1 1 e n umgeben sind. Der Streptokokkus färbt sich nacli
Gr ^ e 1 g e r t, die Hülle färbt sich mit Karbolfuchsin:
alkalische Farben lösen die Hülle teilweise auf.
In t r a venöse Injektionen bei Mäusen, Ratten. *
Meerschweinchen, Katzen, Hunden, Schweinen mit Reinkulturen
luden negativ aus. S u b k utane Injektionen führten zu¬
weilen zu Abszessen. Eine Immunisierung mit den so wenig viru¬
lenten Streptokokken konnte nicht erzielt werden.
Verf. glaubt, dass der Organismus bei den exanthematischen
Krankheiten eine Rolle spielt.
5) W i 1 d b o t z - Bern: Erwiderung auf die Mitteilung von
Hei in Dr. Thal mann ,,Zur Biologie der Gonokokken“.
ui G r o m a k o w s k y - Kiew: Diplokokkus im Sputum als
Antagonist der pyogenen Staphylo- und Streptokokken.
Boi einigen Erkrankungen, besonders bei t u b e r k u löse r
u n d chronischer Bronchitis, finden sich im Sputum
Mikroorganismen, die sowohl an Pneumokokken als auch
an Streptokokken erinnern, mit diesen aber nicht identisch
sind. Sie färben sich nach G r a m und unterscheiden sich von
den erstgenannten scheinbar nur durch die Grössenverhältnisse.
1\ ichtig erscheint, dass die Bouillonkultur dieses Bak-
b'i iiiuifi aut S t a p h y i o k o k k e n aus dem Sputum chronisch er¬
krankter Lungen und Bronchien und ebenso auf den Strept o-
c o c c u s pyogene s aus Abszessen bakterizid wirkt.
Ti I e t e r s s o n - Upsala : Ueber die Lebensbedingungen des
Tuberkuloseerregers in der Salzbutter.
I iir die widersprechenden Resultate, die bei den verschiedenen
Untersuchungen der Butter auf Tuberkelbazillen zu Tage getreten
sind, macht Petersson den Salzgehalt und Azidität
der Lutter verantwortlich. In seinen Versuchen wurden verschie¬
dene Buttersorten, welche verschiedene Salzgehalte und Säuregrade
aufwiesen, mit Tuberkelbazillen infiziert und Tieren eingespritzt.
Hierbei zeigte sich, dass überall eine Abu a h in e
d e r \ i r u 1 e n z der der Butter zu gesetzten Bak¬
terien wahrzunehmen war. Nur wenn die Menge der
znge setzen Bakterien klein war, wurde die Infektionsfähigkeit
völlig aufgehoben.
8) Galli-Valerio: Botriocephalus latus Brems, chez le
chat.
Der bei Katzen gefundene Botriocephalus ist nach des
Verf. Untersuchung B. latus, nicht B. decipiens, wie
Ariola glaubt.
9) .1 a c o b i t z - Halle: Ueber Immunisierungsversuche mit
dem Kraus sehen Bazillus der Kanincheninfluenza.
Es gelang dem Verf. trotz mehrfacher und ausgedehnter Ver¬
sa« he nicht, eine I m m u n i s i e r u n g der K a ninchen gegen
1 n f 1 u e li z a zu erzielen. Zuerst wurden Versuche mit a k t i v e r,
später mit passiver Immunisierung gemacht, aber beides
ohne Erfolg. Eine agglutinierende Wirkung wurde eben¬
falls vermisst. Die Resultate stehen mit den von Volk erzielten
im Einklang.
bh V e r n e y - Zürich: Ueber die gegenseitige Wirkung auf¬
einanderfolgender Immunisierungen im tierischen Organismus.
(Schluss folgt.)
siten ^ G 1 e m s a ' Hamburg: Färbemethoden für Malariapara-
Naeli vielen Bemühungen hat Verf. durch Reindarstellung der
iin Methylenblau enthaltenen Körper ein Färbe verfahren ausge-
arheitet, welches bequem ist und sehr gute Resultate ergibt: Man
stellt sich eine beliebige Menge einer 0,8 prom. Lösung des
•'zur II her, ebenso eine 0,05 prom. wässerige Eosinlösung
• Losin Höchst extra wasserlöslich). Dann giesst man in ein gra¬
duiertes. genügend weites Reagensglas 10 ccm der Eosinlösung
um! I ccm Azurlösung zusammen und überschüttet damit
die mit der blutbestrichenen Seite nach unten liegenden Präparate
mi Blockschälchen. Nach 15—30 Minuten ist die Färbung beendet.
/ s ^°l"t alsdann das Abspülen mit Wasser und die Untersuchung
ui säurefreiem Kanadabalsam.
!*•) V o g e s - Buenos- Aires: Ein Beitrag zur Frage der An¬
wendung des Formaldehydgases zur Desinfektion.
\erf. schlagt vor, die Desinfektion mit Formaldehyd im
V a k u um vorzunehmen. Seine diesbezüglichen Versuche führten
zu dem Resultat, dass die Desinfektion von Testobjekten jeder
Art m e i n er Stunde beendigt war. Auf seine Veranlassung wurde
bereits in B uenos- A i r e s bei der Einrichtung eines neuen
• Sc lld<?s em ilörartiger grösserer Vakuumapparat zur Des¬
infektion des Reisegepäcks gebaut. R. o. n e u m a n n - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902 No. 3fi.
D B e 1 1 m a n n - Heidelberg: Ueber Herpes laryngis (men-
strualis), nebst Bemerkungen über den menstruellen Herpes.
Bei einei 2. > jährigen, an sekundärer Lues leidenden Frau
wurde eine Bläscheneruption in der linken Kehlkopfhälfte be¬
obachtet, gleichzeitig mit einer unzweifelhaften Herpeseruption
an der Nase. Diese Kombination, sowie der Umstand, dass
Herpeseruptionen bei der Patientin später wiederholt zusammen-
tallend mit den Menses auftraten und zwar an verschiedenen
Körperstellen, lässt den bestimmten Schluss zu. dass es sich hier
um einen Herpes laryngis und zwar um ein menstruelles Exan¬
them handelt, eine Form, welche offenbar sehr selten ist.
. ^ o 1 f f - Königsberg i. Pr.: Hämatologischer Befund
bei einem Fall von schwerer Bleianämie, zugleich ein Beitrag
zur Hämatopoiese.
Es handelte sich um einen 30 jährigen Maler, der 10 mal an
Bleikolik litt und unter zunehmender Schwäche starb. Ueber die
Einzelheiten des Blutbefundes muss das Original verglichen
werden. Im allgemeinen handelte es sich um eine leichte Insuf¬
fizienz des Knochenmarks gegenüber der Granulocytenbilduiv
ome stärkere gegenüber der Erythrocytenbildung, sowie um eine
myeloide Funktion der Milz. Verf. glaubt, dass die Auffassung
ihre Berechtigung hat, dass auch bei der myeloiden Leukämie
di«1 Milz und wahrscheinlich auch die Lymplidrüsen mveloid meta-
plasieren.
3) T. K a spar e k und T\. T e u n e r - Prag: Ueber einen Fall
von Ausbruch der Tollwut 7 Monate nach der Pasteur sehen
Schutzimpfung.
Der betreffende Hund, der mit Sicherheit als wutkrank be¬
funden wurde, hatte 4 Kinder gebissen, von welchen ein Tjähr
kräftiges Mädchen, nachdem 2 Wochen nach dem Biss die Schutz¬
impfung ausgeführt worden war, an den Erscheinungen der rasen¬
den Wut erkrankte und nach 8 Tagen zu Grunde ging. Die Dia
gnose war auch durch subdurale Impfung von Kaninchen be¬
stätigt worden. Die übrigen Kinder sind bis heute1 gesund. Das
gestoi bene Kind war am Haiulgelenk gebissen worden, aber auch
die übrigen Kinder all«* an den Händen und Vorderarmen, so dass
(ln Lokalisation des Risses wohl keine solche Bedeutung inne-
wohnt, als bisher angenommen wurde. Interessant ist der Fall
auch in Bezug auf die Prognose der Pasteur sehen Schutz¬
impfung und zwar hinsichtlich der langen Zeit bis zum Ausbruche
der Krankheit. Die Verf. können auf Grund ihrer Erfahrungen
nicht annehmen, dass die Länge der Inkubationsdauer abhängig
sei von der Länge der Nervenstrecke, von der Infektionsstelle bis
zum Gehirn.
4) .1 o a c h i m s t h a 1 - Berlin: Beiträge zur Lehre von dem
Wesen und der Behandlung der angeborenen Verrenkungen des
Hüftgelenks. (Schluss folgt.)
5) J. ,T o s e p h - Berlin: Ueber einige weitere operative
Nasenverkleinerungen. (Vgl. hierzu Münch, med. Wochenschr.
1901. No. 4G.) Gras s m a n n - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift.. 1902. No 36.
1) E. v. L e y den und F. Blumenthal- Berlin : Vorläufige
Mitteilungen über einige Ergebnisse der Krebsforschung auf
der I. medizinischen Klinik.
Veranlasst durch die Mitteilungen über die experimentellen
Versuche von Je n s e n - Kopenhagen, werden analoge Unter¬
suchungen aus der I. medizinischen Klinik in Berlin angeführt,
aus denen hervorgeht, dass die therapeutische Richtung derselben,
d. h. die Serumbehandlung des Karzinoms, berechtigt und ratio¬
nell zu sein scheint.
2) Gustav K i 1 1 i a n - Freiburg i/B.: Die diagnostischen und
therapeutischen Leistungen der modernen direkten endo¬
skopischen Untersuchungsmethoden bei Fremdkörpern in den
Luft- und Speisewegen.
Referat, erstattet in der laryngologisehen Sektion d«*r
1». Jahresversammlung der British Medical Association in Man¬
chester am 30. Juli 1902.
3j E. J e n d r a s s i k - Ofen-Pest: Ueber neurasthenische
Neuralgien. (Schluss folgt.)
4.1 Karfunkel- Cudowa: Eine neue Methode des Nach¬
weises von Jodalkalien im Blute.
Die in der dermatologischen Universitätsklinik von N eis sei*
und dem mineralogischen Institut der Universität Breslau aus-
gefiilirten Untersuchungen führten zu einer äusserst empfindlichen,
aut physikalischen Gesetzen, dem sogen. ..Pleochromismus“ (mit
der Richtung wechselnde farbige Absorption doppelbrochender Kör¬
per im polarisierten Licht) beruhenden Reaktion der Jodhämin¬
kristalle. Ion Interesse ist. dass mit dieser Methode nach Gaben
von 1 — 2 g Jodkali schon nach 5 Minuten im Blut Jod nachweis¬
bar war, und dass ferner noch am 5. bis (i. Tage nach Einnahme
derselben Dosis Jod im Blute nachgewiesen werden konnte.
5) B a i s c h - Tübingen: Ueber die Gefährlichkeit der
T a v e 1 sehen Kochsalzsodalösung bei subkutaner Anwendung.
(Schluss aus No. 35.)
1546
M U EN CI JENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Die von Tavol 1892 als Sterilisations- und Irrigationsflüssig-
krir angegebene Kombination einer Lösung von 7,5 g Kochsalz und
2.5 ir kalzinierter Soda auf 1000 g Wasser sollte die Fähigkeit be¬
sitzen. infektiöse Keime zu töten, ohne den Geweben zu schaden.
!>ie Untersuchungen in der Tübinger Universitäts-Frauenklinik er-
irah, n nun, dass zwar die erster** Eigenschaft in relativ beschränk¬
tem Grade der Lösung zukommt, die letztere aber sicher nicht.
Es werden 0 Fälle von mehr oder weniger starker Gangrän der
Haut nach subkutaner Anwendung der Tave Ischen Lösung be¬
schrieben. Die durch das Natriumkarbonat bedingte gangränes-
zierende Wirkung tritt nur dann nicht auf, wenn die Lösung durch
die Zirkulation sofort wieder entfernt und durch die Nieren aus¬
geschieden wird, wie das hei der intravenösen und intraperitonealen
Injektion der Fall ist.
0) H. N e u m a n n - Berlin: Bemerkungen zur Barlow-
schen Krankheit. (Schluss aus No. 35.)
Referat, siehe diese Wochenschrift No. 20. pag. 1114.)
7) TL ,T u n g e b 1 o d t - Volkmarsen: Kaiserschnitt an einer
plötzlich verstorbenen Schwangeren, mit Extraktion eines
lebenden gesunden Kindes; und
S) Thiele- Hooksiel: Ueber Malaria in der jeverschen
Marsch.
Kasuistische Mitteilungen aus der ärztlichen Praxis.
F. L.
Corresponrlenz'blatt für Schweizer Aerzte. 32.Jahrg. No. 17
C. Meyer- Wirz: Zur forensischen Bedeutung des Puer¬
peralfiebers. (Vortrag, gehalten in der Züricher kantonalen Aerzte-
gesell schaff.)
Kritische Besprechung der Aetiologie und der praktischen
Konsequenzen.
F. W u h r m a n n - Kilchberg-Zürich: Die bewegliche Niere
und ihre Anteversion. (Schluss folgt.) Pischinger.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 30. 1) K. II o o r - Klausenburg: Beiträge zum Wert der
Sympatnikusresektion gegen Glaukom.
Durch die Resektion des Ganglium eerv. supr. wurde bei dem
04 jährigen Kranken am linken Auge eine Besserung erzielt,
weiche über 3 Monate nach der Operation unverändert anhielt.
Trotz Besserung der zentralen Sehschärfe schränkte sich das Ge¬
sichtsfeld noch mehr ein. Rechts blieb das sehr stark geschwächte
Sehvermögen unverändert. Die Resektion des Sympathikus hatte
eine Verengerung der Pupillen und eine Verminderung des intra-
okulären Druckes zur Folge, Erscheinungen, welche noch an-
dauern. Eine am linken Auge früher vorgenommene Sklerotomie
erzielte eine ganz ähnliche Besserung.
21 A. Pilcz-Wien: Ueber postoperatives Irresein.
Vorzugsweise werden nach gynäkologischen Operationen und
solchen am Auge Geistesstörungen beobachtet. Die Mehrzahl
dieser Fälle zeigt Prädisposition durch Heredität. Auszuscheiden
ist das Delirium tremens und gewisse senile Psychosen. Im
Kindesalter scheinen sehr wenige derartige Störungen sich zu
ereignen. Wichtig für die Entstehung ist der Gesamtzustand vor
der Operation. Auch psychische Faktoren kommen natürlich in
Betracht. Es gibt übrigens auch eine Art präoperativer Psy¬
chosen. Eine gewisse Bedeutung beansprucht sicher auch die
Narkose. Früher kamen häufiger derartige Geistesstörungen in¬
folge von Sepsis vor. Klinisch zeigen sich Formen von Amentia,
hysterischen Delirien und besonders melancholische Zustände. Die
Prognose wird besonders durch die Gefahr des Suizidiums getrübt.
3) T^ H a r m e r - Wien: Klinik der Oesophagoskopie.
Dieser 2. Teil der Arbeit bringt die Krankengeschichten von
5 Fällen, wo es sich um Narbenstrikturen handelte. Die Erleich¬
terung der Sondierung wurde durch die Oesophagoskopie nicht
immer erreicht. Bei 8 anderen Fällen handelte es sich um sel¬
tenere oder diagnostisch schwierigere Krankheiten, z. B. Kardio-
spasmus. Ueble Zufälle sind übrigens bei der Oesophagoskopie
nicht völlig ausgeschlossen, doch in der Tat sehr vereinzelt; es
kommen hie und da Perforationen, besonders bei Karzinomen,
sowie Halsphlegmonen vor. Grassmann - München.
Rumänische Literatur.
Balacescu: Die Behandlung der Vesikovaginalfisteln.
(Revista de Chirurgie 1902, No. 6.)
Die von B. geübte Operationsmethode besteht darin, dass die
Vaginal wand von der Blase um die Fistel herum auf 1 y2 — 2 cm
weit abpräpariert und so. durch zwei seitliche Einschnitte, ein vor¬
derer und ein hinterer Vagina llappen hergestellt wird. Die blu¬
tig«» Blasenwand wird durch versenkte Nähte aneinandergelegt,
wodurch die vesikalen Fistelränder gegen das Vesikallcavum ge¬
stülpt werden. Ebenso werden auch die Vaginallappen genäht
und dabei die vaginale Fistelöffnung gegen die Scheide hin ge¬
stülpt. Auf diese Weise wird eine feste Vereinigung erzielt und
die Heilung geht glatt von statten.
P. II eres c u: Die Steine der Prostatagegend. (Spitalul
1902, No. ll.)l
Es handelt sich gewöhnlich um eingewanderte Harnsteine,
welche sich in einem Divertikel der prostatischen Harnröhre fest-
setzen und hier weiterwachsen. In sehr seltenen Fällen sind es
wahre Prostatasteine, welche ihren Sitz im Parenchym dieser
Drüse haben und auch eine ganz spezielle chemische Zusammen¬
setzung zeigen. Dieselben sind glasig, gelb mit weissen Punkten,
pnrzellanähnlicli, sehr hart, können mit dem Messer nicht gekratzt
worden und bestehen hauptsächlich aus neutralem phosphorsaurom
Kalk, kohlensaurem Kalk und Prostatasekret. Ihr Ausgangspunkt
dürfte infektiöser Natur sein.
Constantin Zamfirescu: Ueber Nephritis syphilitica
acuta praecox. (Ibidem.)
Diese Erkrankungsform ist im allgemeinen selten, doch von
grossem praktischem Interesse; sie erscheint im 2. Monate nach
der Infektion, hat am meisten Aelinliclikeit mit der skarlatinösen
Nephritis und verlangt ausser einer symptomatischen auch eine
energische spezifische Behandlung. Verf. beschreibt 2 selbstbeob¬
achtete Fälle, welche mit Heilung endeten.
Torna Jonnescu: Die Resektion des Sakralsympathikus.
(Revista de Chirurgie 1902. No. 7—8.)
Nach Darlegung der anatomischen Verhältnisse des Becken¬
sympathikus beschreibt .T. die Resektionsmethoden von Jaboulay
und Ruggi und gelangt schliesslich zur Beschreibung seines
eigenen Operationsmodus, bestehend in Resektion und gänzlicher
Entfernung beider Sakralsympathici. Nach Eröffnung der Bauch¬
höhle durch einen Medianschnitt werden die Viszera des in
Trendelenburgscher Lage befindlichen Patienten gegen
das Diaphragma hin gedrängt und durch 2 breite Er¬
weiterer die Ränder der Bauch wunde weit auseinander go-
* halten. Auf diese Weise wird das Operationsfeld leicht
zugänglich gemacht und gut beleuchtet. Durch einen
rechtsseitigen pararektalen Schnitt wird das Peritoneum in der
Höhe des Promontoriums und nach innen vom Ureter inzidiert,
der Schnitt nach abwärts verlängert und so der rechte Sakral¬
sympathikus freigelegt und exzidiert. Hierauf wird das Rektum
bis zum Steissbeine abgelöst und nach links gezogen, wodurch
auch der linke Sakralsympathikus blossgelegt wird und exzidiert
werden kann. .T. hat seine Methode bei tabetischen Schmerzen
der unteren Extremitäten, bei Vaginismus und hartnäckigen Neur¬
algien dos Ischiadikus mit gutem Erfolge angewendet. Nach¬
teilige Folgen wurden bei keinem Operierten beobachtet.
G. Antone scu: Eine neue Methode der künstlichen At¬
mung bei Asphyxie der Neugeborenen. (Spitalul 1902, No. 12 — 13.1
Dieselbe besteht darin, dass mit der linken Hand Nacken und
Hinterkopf des Neugeborenen gestützt werden, während mit der
rechten Hand ruckweise Hebebewegungen des kindlichen Thorax
ausgeführt werden.
Gh. Proca: Ueber die Tuberkulosenherde in Bukarest.
(Ibidem.)
P. hat statistisch zu ermitteln gesucht, in welchen Strassen
der Hauptstadt die Fälle von Tuberkulose gehäuft oder nach¬
einander Vorkommen, und eine Liste dieser Krankheitsherde auf¬
gestellt, damit durch geeignete hygienische Massregeln dem Fort-
selireiten der Krankheit entgegengearbeitet werde. Er konnte
im Laufe seiner Studien feststellen, dass während gewisse Strassen
gar keine Tuberkulose auf weisen, in anderen dieselbe mit Vorliebe
auf tritt und zwar namentlich in den von der armen Bevölkerung
bewohnten Vierteln. Trat Tubeikulose in einem bis dahin frei¬
gebliebenen Hause auf. so konnte man in einem relativ kurzen
Zeiträume ähnliche Fälle in demselben Hause oder in benach¬
barten beobachten, ein deutlicher Beweis für die Kontagiosität der
in Rede stehenden Krankheit.
.T. E 1 1 i n g e r: Die Behandlung der Migräne durch die Sym-
| pathektomia cervico-thoracica. (Revista de Chirurgie' 1902. No. 8.)
E., welcher diese Frage zum Gegenstände seiner Inaugural¬
dissertation gemacht hat. gelangt nach kritischer Besprechung
aller gegen Migräne empfohlenen Mittel zum Schlüsse’, dass in
hartnäckigen Fällen nur obige vonThoma Jonnescu empfohlene
und geübte Methode Heilung bringen kann. Dieselbe besteht in
Exzision beider Halssympathici und des ersten Ganglions des
Prustsympathikus. Nachteilige Folgen hat die Operation nicht,.
V. Sion und V. Negel: Ueber eine durch Trinkwasser ver¬
ursachte Hausepidemie, Typhus simulierend, hervorgerufen durch
einen Kolibazillus mit atypischen Charakteren. (Spitalul 1902,
No. 14—15.)
Die W i d a 1 sehe Serumreaktion gibt keine absolute Sicher¬
heit für Typhus, da dieselbe auch bei anderen Erkrankungsformen
positiv ausfallen kann. Von den 6 Familienmitgliedern, welche
unter typhusähnlichen Erscheinungen fast gleichzeitig erkrankten,
kam ein 24 jähriger Mann zur Sektion und wurde eine linksseitig«*
Hirnembolie und Bronchopneumonie konstatiert, aber keinerlei
Spuren eines wahren Typhus, trotzdem reichliche Diarrhöe be¬
standen hatte. Bei all diesen Kranken — ausser einem einzig«vn.
Avelcher sich in Rekonvaleszenz befand — wurde aus dem Blute
ein kurzer, beweglicher, sich mit G r a m nicht färbender Bazillus
kultiviert, aber bei keinem wurde «1er E b e r t h - G a f f k y sehe
Bazillus gefunden. Nichtsdestoweniger war die W i d a 1 sehe Re¬
aktion bei allen positiv ausgefallen. Als Ausgangspunkt dieser
Epidemie wurde ein infizierter Hausbrunnen gefunden, aus wel¬
chem ähnliche Razillen gezüchtet werden konnten.
C. Par hon und M. Gold stein: Ueber den kontra¬
lateralen Plantarreflex. (Ibidem.)
Bei vielen Hemiplegischen wird folgende Erscheinung beob¬
achtet: Reizt, man leicht die Fussohle der gesunden Seite, so er¬
folgt, ausser dem gewöhnlichen Reflex dieser Seite, noch «*ine
16. September 1Ö02.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1547
Beugebewegung der Zehen der gelähmten Seite. Mitunter
beugen sich nur die 2 letzten Zehen oder nur die letzte. In sel-
S-im1 i“ faUr Stdle der Beugung eine reflektorische
stieckung beobachtet, dies namentlich in den Fällen, wo auch an
der gesunden Seite der Plantarreflex in Zehenstreckung besteht,
l. und G. sind der Ansicht, dass dieser kontralaterale Reflex auf
konateraJ.e Bllseiu des Rückenmarks zurückzuführen sei
und dass dei Ausfall der betreffenden Hirninnervation das Zu¬
standekommen desselben begünstige.
Cli. Orescu: Die adenoiden Vegetationen. (Ibidem)
ü. betont die Notwendigkeit der frühzeitigen Diagnose ade¬
noider Vegetationen des Nasenrachenraumes bei Kindern nach¬
dem m einem grossen Prozentsätze der Fälle die Krankheit sich
mit eitriger Mittelohrentzündung kompliziert. Die beste Behand¬
lungsmethode ist die frühzeitige chirurgische Entfernung.
Dr. E. T off- Braila.
Inaugural-Dissertationen.
Universität Breslau. Juli und August 19U2.
II o f f m a n n Adolph: Die geburtshilfliche Bedeutung der
fötalen llydrokephalie. Klinische und poliklinische Beob¬
achtungen von Oktober 1893 bis Oktober 1901.
1 u c h s Bernhard: Die Oberkiefer- und Gaumengeschwülste
aus den Jahren 1891—1901.
Pau! Ludwig: Leber die Bedingungen des Eindringens der
Bakterien der Inspirationsluft in die Lungen.
Schmidt Heinrich: Beitrag zur diätetischen und operativen
Behandlung der diabetischen Gangrän, sowie der senilen und
spontanen Gangrän.
Fröhlich Fritz: Ein Fall von Itankenangiom der unteren
Extremität.
Teu her Karl: Ueber Sehnennähte.
W robel August: Beiträge zur Kenntnis der malignen Hoden-
geschwulste.
i 1 1 n e r Hugo: Ein kasuistischer Beitrag zur Kenntnis der
C hlorzmk v erg if t ung.
Bachmann Oskar: Ueber den Wert der sog. Wehenmittel.
Breslauer Erich: Beitrag zur Behandlung der bösartigen
Iviefergeschwulste.
Grospietsch Viktor: 100 Magensaftuntersuchungen zur
Bestimmung der freien Salzsäure und der Gesamtazidität unter
normalen \ erhältnissen für Breslau und Schlesien.
G a u s Friedrich: Beitrag zur Nahrungsaufnahme und Nah¬
rungsausnutzung des Neugeborenen.
Gildemeister Eugen: Beitrag zur Kenntnis der Mesen-
tenaltumoren.
Reich Otto: Zur Methodik der Bestimmung des Ammoniaks
im Harn.
V ! 1 111 f n 11 Joseph: Ueber die Beziehungen kariöser Zähne zu
Schwellungen der submaxillaren Drüsen bei Kindern.
Universität Jena. Juli 1902.
Nichts erschienen.
August 1902.
Gaus Lothar: Ueber ausgedehnte Aderhaut-Netzhaut- Ver¬
änderungen nach Contusio bulbi ohne Skleralruptur.
G i e s e c k e Konrad: Zur pathologischen Anatomie der Irido-
dialyse. . i
J ahr Rudolf: Ueber künstliche Reifung immaturer Katarakte
durch Massage.
Klemm Wilhelm: Menstruatio praecox.
Mannes Alexander: Ein Fall von posttyphöser Lähmung
mit begleitenden psychischen Störungen (K orsako w sehe
Psychose).
M ü 1 le r Ernst: Zur Statistik der Aneurysmen.
S p i e t h o f f Bodo: Ueber den Blutdruck bei Morbus Basedow.
Universität Strassburg. August 1902.
T h e o d o r e Ernst: Experimenteller Beitrag zur zeitlichen Ent¬
wicklung der sekundären Degeneration im Hunderückenmark.
c li a a f f Ernst: Die Methoden der Behandlung* des Kerato¬
konus.
M unsch V iktor: Ueber einen Fall von spontaner zirkum¬
skripter Hautgangrän.
Lehmann Willibald: Ueber die Blutmenge der Plazenta.
34,
35.
30.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
43.
44.
45.
40.
47.
48.
18.
19.
20.
21.
22
oo
24.
25.
20.
27.
28.
Vereins- und Kongressberichte.
9. Versammlung des Vereins süddeutscher Laryn-
gologen.
G
zu Heidelberg am 19. Mai 1902.
ckiirzter Bericht des Schriftführers Dr. Av eil is - Frankfurt a. M.
Unter der regen Beteiligung von 73 Mitgliedern wurde die
Versammlung durch den Vorsitzenden Fischen ich eröffnet.
Des verstorbenen Mitgliedes Robinson in Baden-Baden wurde
ehrenvoll gedacht. Die nächste (zehnte) Versammlung soll zu
('liier besonders festlichen, sich auf 2 Tage ausdehnenden Sitzung
sich gestalten, für die Geh. Rath Moritz Schmidt als Eliren-
lnäsident. Prof. Jnrasz und Prof. Seifert zu Vorsitzenden
gewählt werden. Die Mitgliederzahl ist auf 206 angewachsen.
Wissenschaftliche
Eulenstein: Demonstration
Sitzung,
eines Fremdkörpers
dem linken Ductus Stenonianus.
Im Ausführungsgang der linken Parotis
Mundende mit steiniger Kruste überzogene
hatte Anlass zur Speichelsteinbildung gegeben.
Diskussion: Iv i 1 1 i a n - Worms berichtet
aus
akuten Vereiterung der Gland.
steckte eine am
Borste. Diese
von einer
dringen
parot, die ebenfalls auf dem Ein-
Es wurde von aussen chirurgisch
b leibuig; Ein Kragenknopf im linken Haupt-
einer Borste beruhte,
eingegriffen.
v. Eicken
bronchus.
Der Fremdkörper hatte linksseitige Lungen- und Rippenfell¬
entzündung zur Folge. Ueber dem linken Unterlappen absolute
Dampfung und im II. Interkostalraum Kaverne. 3 schichtiges
Sputum expektoriert. Der Knopf stack im Anfangsteil des linken
Hauptbronchus. E. schildert die enormen Schwierigkeiten die du»
Entfernung auf bronchoskopischem Wege machte — es musste eine
besondere, mit Schlitz für die gesunde Lunge versehene Kanüle
zur Unterhaltung der Atmung und die Tracheotomie angewendet
werden — und beschreibt, wie es mittels eines besonders kon¬
struierten Häckchens gelang, den Fremdkörper zu entfernen
Wiederum ein glänzender Beweis der Iv i 1 1 i a n sehen bronclio-
skopischen Technik.
. K i 1 1 i a. n - Freiburg demonstriert ein Lungenpräparat eines
infolge aspirierten Fremdkörpers verstorbenen Kindes das ihm
Dr. Thost zur Verfügung gestellt hat. Es handelte sich um die
Blechhulse eines Federhalters. Leider war ein entsprechend
dünnes Rohr zur Trac-heoskopie nicht vorhanden, mit dem 9 mm-
Rolir gelang die Extraktion nicht. Auch erwies sich die Tracheo¬
tomie inferior als unpraktisch wegen des auftretenden Haut¬
emphysems. Mahnung, die neue Technik rechtzeitig zu erlernen
und sich mit genügenden Instrumenten zu versehen.
Feiner zeigt Killian eine Reihe schöner plastischer Prä¬
parate, die sein \ orgehen bei der Radikaloperation chronischer
Stirnhöhleneiterungen erläutern.
Trotz Resektion der vorderen und unteren Stirnhöhlenwand
bleibt eine Knochenspange am oberen Rand der Orbita stehen,
die entstellende Einsenkung verhindern soll. Das schöne kos¬
metische Resultat konnte Iv. an Bildern und Patienten beweisen.
I eruer zeigte Iv. ein sehr grosses Vorlesungsmodell zur
Erläuterung der Nasenanatomie.
R e i n e w a 1 d - Giessen: Demonstration eines Spülappa-
i’citcs.
Fabrikant ist Holzhauer- Marburg. Er dient rhino- und
otologischen Zwecken und macht eine Assistenz oft entbehrlich.
Fisch enich - Wiesbaden. Den zuerst von A v e 1 1 i s be¬
schriebenen Vorgang der Verkäsung eines Kieferhöhlenempyems
bestätigt F i s c h e n i c li durch drei eigene Beobachtungen. Er
fand besonders charakteristisch bei zweien derselben eine starke
Entwicklung des lateralen Schleimhautwulstes, der den Abfluss des
Höhleninhaltes spontan und auch bei künstlicher Durchspülung sehr
erschwerte. Es lässt sich leicht denken, dass durch solchen Schleim¬
hautwulst die Eindickung des Eiters zu Käse begünstigt wird.
Zugleich lasst I. das \ orhandensein des Wulstes als ein Zeichen
chronischer Eiterung auf.
Diskussion: A v e 1 1 i s schlägt vor, nicht jede Eite¬
rung in der Nähe oder in der Highmorshöhle schlechtweg als
Empyem zu bezeichnen; z. B. seien Tuberkulose, Osteomyelitis
des Oberkiefers, Frakturen des Knochens etc. a potiori zu be¬
nennen. Ob die beobachteten Fälle von Verkäsung einen akuten
Anfang hatten, lässt sich nicht erweisen. Die Anfrage an die Ver¬
sammlung, ob überhaupt jemand den chronischen Beginn
eines Nebenhöhlenempyems beobachtet hat, bleibt ohne Antwort.
Eulenstein erwähnt ebenfalls einen Fall mit käsigen
Massen, der nach einmaliger Ausspülung heilte.
Dreyfuss bestätigt speziell die rasche Heilung.
L ü d e r s sah zwei von der Kieferhöhle aus operierte Keil¬
beinhöhlen, wo die käsigen Massen so dick waren, dass man
sie nicht ausspülen konnte.
Kahsnitz erwähnt einen übelriechenden Kalkstein in ein¬
gedickter Masse, den er in der Kieferhöhle fand und der durch
Arrosion eine schwere Blutung gemacht hat.
Krebs erwähnt das Abfliessen eitriger Massen aus der Stirn¬
höhle in die Kieferhöhle.
A v e 1 1 i s: Nicht jeder Befund von „Käse“ ist eine Verkäsung
des Empyems. Letztere stellt das Ende eines Prozesses dar, der
nur noch als Fremdkörper wirkt und dessen Heilung sofort mög¬
lich ist. Mit dem „Pyosinus“, d. h. Einfliessen von Eiter aus
anderen Höhlen in die Kieferhöhle, ist die Verkäsung nicht zu ver¬
wechseln, denn beim Pyosinus ist die Kieferhöhle gar nicht er¬
krankt gewesen, es ist nur ein mechanischer, kein patho¬
logischer Vorgang.
Avellis - Frankfurt a. M. : Unterscheidungsmerkmale
zwischen der reinen Supraorbitalneuralgie und dem entzünd¬
lichen Stirnhöhlenschmerz.
Neuralgie beginnt plötzlich und ohne Katarrh, hat Paroxys-
men mit freien Intervallen, während der Stirnhöhlendruck allmäh¬
lich beginnt und' die Intensität geringeren Wechsel aufweist.
Neuralgie hat typische Druckpunkte (Foramen supraorbit., Nasal¬
punkt, Palpepralpunkt etc.), während der Stirnhöhlenschmerz nicht
der anatomischen Verbreitung des Nerven folgt, sondern der Figur
der Höhle („Klopfschmerzgrenze“). Durchleuchtung kann posi-
1548
• MTJENCITENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
tivos Resultat geben, beim Stirnhölilenschmerz fehlt zentrale
Irradiation. Konstanter Druck mildert Neuralgie, steigert Stim-
hölilenschmerz. Aeussere Temperatureinflüsse rut'en neuralgischen
Schmerz hervor, bei diesen zeigt sich auch Veränderung der Haut-
cmpflndliclikeit. Alkohol steigert Stirnhöhlenschmerz, Muskel¬
bewegungen die Neuralgie. Entzündliches Oedem des mittleren
Muschelkopfes vermisst man selten beim Stirnhöhlenschmerz, end¬
lich klärt der
manchmal erst
Erfolg der Behandlung die Differentialdiagnose,
die LTobeeröft'nung.
Kan- Leiden: Ueber die Entfernung des Bodens und der
vorderen VI and der Stirnhöhle als Hilfsoperation bei dei Ex¬
stirpation hochgelegener retrobulbärer Orbitaltumoren.
Vortragender bringt, obwohl Ausländer, seine vorwiegend
Chirurgen interessierende Arbeit in tadelloser deutscher Sprache
zur Verlesung.
Seifert- Würzburg: Die Angina chronica lacunaris.
Beschreibung des klinischen Bildes dieser häutigen Erkran¬
kung, Hinweis auf die Störungen der Stimme dabei, Knollengefühl,
Niesreiz. Schlitzung, Abtragung und auch Auslöffelung der
Lakunen mit S c h ä f f e r scher Sonde werden empfohlen.
Diskussion: W o 1 f.f empfiehlt Tonsillotomie. Sch u -
m a c h e r II betont die Fehldiagnose zwischen sekundärer Syphilis
und Mandelpfröpfe. Juras z empfiehlt die Schlitzung auch bei
der akuten Tonsillitis. Eulenstein warnt davor, weil er
Phlegmone dabei bekommen habe. Kahsnitz spült die La¬
kunen antiseptisch aus. Seifert befürwortet die Reinigung der
Lakunen bei der akuten Tonsillitis.
Bettmann - Heidelberg: Ueber Herpes laryngis.
Patientin litt an differenten Körperstellen an Herpes, dessen
Ausbruch der Menstruation jedesmal um eine Woche vorausging.
Es handelt sich also um ein Menstrualexantliem, das
auch im Kehlkopf Erscheinungen machte. (S. a. S. 1545 d. No.)
K i 1 1 i an - Worms: Akuter Verschluss der Speiseröhre bei
einem 5 jährigen Kinde. Beseitigung auf ösophagoskopischem
w Cg c.
Ein Stück Kalbfleisch tamponierte den untersten Teil des
Oesophagus vollkommen aus, so dass kein Tropfen Wasser hin-
durchging. Es wurde mit der Zange auf ösophagoskopischem
Wege gänzlich, aber unter grosser Mühe entfernt. Heilung. IJeber-
h genlieit der Oesopliagoskopie vor dem äusseren chirurgischen
Eingriff.
D r ey f u s s - Strassburg: Rhino-Laryngologie und Sprach¬
heilkunde.
Nach einer kurzen geschichtlichen Einleitung betont D. den
Nutzen des engeren Zusammenwirkens zwischen Laryngologen
uml Spracliärzten und empfiehlt der jüngeren Generation, sich
neben der lthino-, Laryngo- und Gtologie auch der Sprachheil¬
kunde zu widmen und bei Stottern, Stammeln, Aphasie etc. selbst
als Arzt und Lehrer aufzutreten. Auch die Vertretung der Sprach¬
heilkunde an der Universität wird verlangt und die Verdienste
G utzmanns in seinen Kursen hervorgehoben.
Diskussion: Flatau: Wo bleibt die Stimme? Er ver¬
misst die Hervorhebung einer Stimmhygiene, wie sie zuerst von
A v e 1 1 i s formuliert wurde und schlägt die Organisation einer
Zentralstelle für die Vereinigung der Stimm- und Sprachbildung
auf der gemeinsamen Grundlage der klinischen, physiologischen
und phonetischen Wissenschaften vor. (Leider fehlte es an Zeit,
diesen fruchtbaren Gedanken zu diskutieren.)
Z ö p f f e 1 - Norderney: Die pneumatische Therapie.
V. gibt einen U eberblick über die Wirkungen der pneumatischen
Therapie, speziell verdichteter und verdünnter Luft. Die pneu¬
matischen Kabinette sind veraltet. Die verbesserten Goebel-
schen Apparate werden empfohlen und sind durch Vortragenden in
N o rderne y und Nizza eingerichtet. Durch die Einatmung
komprimierter Luft wird die vitale Lungenkapazität dauernd er¬
höht, die Ausatmungskraft nimmt zu. Der Blutdruck wird günstig
geändert. Phthisische Anlage eignet sich vor allem zur pneu¬
matischen Therapie, initiale Spitzentuberkulose wird günstig be¬
einflusst, ferner Pleuritis, chronische Bronchitis, Asthma, Em¬
physem. Besonders befriedigt ist Z. von der pneumatischen
Therapie bei gleichzeitigem Aufenthalt an der See.
W o 1 f f - Frankfurt a. M.: Zur Behandlung der Ozaena.
Um auf die trockene Schleimhaut reizend einzuwirken, gibt
W. Jodnatrium in Tagesdosen von % — V2 S UI1(1 setzt diese Medi¬
kation lange Zeit fort, während gleichzeitig die üblichen Aus¬
spülungen vorgenommen werden.
Killian- Freiburg stellt eine Patientin vor, die beim leisen
Phonieren nur das linke Stimmband zur Mittellinie führt, bei
lauter Phonation aber beide Stimmbänder normal bewegt. Pa¬
tientin hat eine reine helle Stimme. Hinweis auf einseitige
hysterische Bewegungsstörungen.
Hegener - Heidelberg: Demonstration von Projektions¬
bildern und Stereophotogrammen.
Vortragender gibt einen stereoskopischen Atlas von Bildern
der Siebbeinregion menschlicher Embryonen heraus, die- er in der
Freiburger Halsklinik aufgenommen hat und zeigt heute eine
Reihe von Projektionsbildern, die die Kil Mansche Lehre von
der Entwicklung des Siebbeines und der Muscheln belegen.
Nach Schluss der Sitzung fand das übliche Festessen statt und
der Abend sah eine grosse Zahl der Teilnehmer in dem gastlichen
Hause von Prof. .1 urasz freundschaftlich vereint. Die nächste
Sitzung findet Pfingstmontag, und -Dienstag 11)03 statt.
Greifswalder medizinischer Verein.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 5. Juli 1902.
Vorsitzender : Herr G r a w i t z. Schriftführer : Herr B uss 0.
1. Herr Solger: Demonstration mit Goldchlorid impräg¬
nierter Zahnkanälchen.
Indem es L e s s i n g - Hamburg schon vor langen Jahren ge¬
lang, mit Blei- und Chromsalzen in den Zahnkanälchen einen dich¬
ten Niederschlag hervorzurufen, widerlegte er die alte Auffassung,
dass die Kanälchen mit Kalksalzen erfüllt seien. Solger ver¬
suchte seinerseits mit negativem Erfolge, die Kanälchen nach dei
G o 1 g i sehen Methode zu imprägnieren, dagegen gelang ihre Dar¬
stellung durch Goldchlorid in einer Anzahl von Fällen.
2. Herr Uhlen huth: Neue Ergebnisse meiner weiteren
Untersuchungen über die Unterscheidung der verschiedenen
Blutarten.
U h 1 e n h u t h berichtet über die praktische Verwendbarkeit
der von ihm angegebenen Methode, vermittels des Blutserums
spezifisch vorbehandelter Tiere die Blutarten genau zu be¬
stimmen und festzustellen. Es ist ihm gelungen, die _ von
früheren Prozessen herrührenden Asservate, die der preussische
Justizminister dem hygienischen Institut in Greifswald zur Prü¬
fung der Methode eingesandt hat, vor Einsichtnahme der Akten
unzweifelhaft und richtig zu bestimmen. Es sind im Ganzen
23 forensisch interessante Fälle untersucht worden. Durch die¬
selben wurden u. a. einmal Schweineblut, einmal Hühneiblut,
einmal Menschenblut und in dem kürzlich hier verhandelten
Verfahren gegen den Eustmörder I epno r in denselben Kleidern
Menschenblut und Schafblut in verdächtigen Flecken nach¬
gewiesen. Ulilenhut h bespricht den Gang der forensischen
Blutuntersuchung, der mit den chemischen Reaktionen, der
Teichman n sehen Probe begann, um zunächst einmal fest¬
zustellen, ob überhaupt Blut in den fraglichen Flecken vorhanden
sei, denn die Serumreaktion fällt auch positiv aus mit anderem
von der spezifischen Tierart herrührendem Eiweiss. Erst nach¬
dem also im allgemeinen festgestellt sei, dass die fraglichen
Flecke vom Blute herrühren, beginne die spezifische Blutunter¬
suchung zur Bestimmung der Blutart. Die spezifische Unter¬
suchung erfordert viel Uebung und sollte nach IT.s Vorschlag
unter staatliche Kontrolle gestellt werden, da dem Ungeübten
folgenschwere Irrtümer unterlaufen könnten. Die weiteren
Untersuchungen U.s auf diesem Gebiete gehen von folgenden
von ihm gemachten Beobachtungen aus : Das Serum eines
mit ITühnereiereiweiss vorbehandelten Ka¬
ninchens erzeugt in einer Hühnerblutlösung
eine sehr viel schneller auftretende und sehr
viel stärkere Trübung wie in einer Hahnen¬
blut 1 ö s u n g, wenn das Blut von geschlechts-
reifen Tieren he r rühr t. Der Unterschied ist so er¬
heblich, dass U. im stände ist, beide Blutarten von einander zu
unterscheiden. Er glaubt, dass es sich hier um eine „G e -
schlechtsr eaktion“ handelt, und ist damit beschäftigt,
festzustellen, ob sich auch bei anderen Tieren und beim Menschen
derartige Geschlechtsreaktionen auffinden lassen.
3. Herr Moritz gibt zur Frage der Errichtung einer
Lungenheilstätte bei Greifswald einen allgemeinen orientieren¬
den Bericht darüber, ob es zweckmässig sei, Lungenheilstätten
zu errichten, in welchen Stadien der Krankheit die Phthisiker
denselben überwiesen werden sollten und endlich ob unsere Ge¬
gend sich zur Errichtung einer Heilstätte eigne. Die guten
Erfahrungen, die man in guten Anstalten bei der Behandlung
der Tuberkulose nach der Brehmer-Dettweiler sehen
Methode gemacht hatte einerseits, das Fiasko der spezifischen
Tuberkulinbehandlung andrerseits haben zu dem rapiden An¬
wachsen der Heilstättenbewegung geführt. Es folgen zahlen-
mässige Angaben, aus denen die Ueberlegenheit der hygienisch¬
diätetischen Behandlung gegenüber der Krankenhausbehandlung
hervorgeht. Nun sind aber die Heilstätten nicht, wie das wohl
in dem ursprünglichen Plane lag, rein humanitäre Schöpfungen,
sondern die Heilstättenbewegung in dem heutigen grossartigen
Masstab ist nur durch das Eingreifen der gesetzlichen, der Ar¬
beiterfürsorge dienenden Organisationen, hauptsächlich der
Alters- und Invaliditätsversicherungsanstalten möglich geworden.
Diese haben ein grosses reales Interesse an der Verringerung der
Tuberkulosemortalität und Verlängerung der Arbeitsfähigkeit
der Tuberkulosekranken. Diese haben deshalb vermöge ihrer
.16. September 1902. _ MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Kapitalkräftigkeit die schnelle Schaffung zahlreicher Heilstätten
finanziell ermöglicht, in der bestimmten Hoffnung, dass diese
Anstalten „wirtschaftlich rentabel“ würden, indem die ungeheure
an Tuberkulöse zu zahlende Summe durch "Verlängerung’ der
Arbeitsfähigkeit erheblich verringert würde. Ob die an die
Heilstätten geknüpften Erwartungen nach dieser Richtung hin
wirklich erfüllt werden, erscheint höchst zweifelhaft auf Grund
der Ergebnisse des Tuberkulosekongresses zu Berlin und der
Berechnungen von II a m m e r (Münch, med. Wochensehr 1902
No. 26).
Der Grund hierfür liegt vielleicht darin, dass bezüglich der
Belegung dei Heilstätten nicht in geeigneter \ V eise verfahren
wird. Die Versicherungsanstalten schicken nur solche Phthisiker
in die Heilstätten, die im allerersten Stadium der Erkrankung
stehen, weil nur bei diesen zu erwarten ist, dass sie durch Wieder¬
erlangung voller Arbeitsfähigkeit die auf ihre Heilung verwandten
Kosten wieder einbringen werden. Es wäre aber möglich, dass
die Ueberlegenheit der Anstaltsbehandlung gegenüber der freien
Behandlung hauptsächlich bei den schwereren Tuberkulosen zur
Geltung käme, deren günstige Beeinflussung ja gerade auch den
Ruhm der Anstaltsbehandlung begründet hat, bei denselben
Fällen also, die man derzeit von der Heilstättenbehandlung mög¬
lichst ausschliesse. Obschon nun der wirtschaftliche Wert der
Heilstättenbehandlung in dem eben angedeuteten Sinne noch
keineswegs erwiesen ist, so sind sie doch als segenbringend und
zwar nicht nur in rein humanitärem Sinne zu begriissen. Die
Kranken selbst werden zu dem für sie selbst zweckmässigsten
Verhalten angeleitet und zur Vorsicht und Reinlichkeit hinsicht¬
lich ihres Auswurfs gewöhnt und damit wird die Gefahr der Aus¬
breitung der Tuberkulose und diese selbst erheblich eingeschränkt.
Diesei letzteren Gefahr würde noch viel mehr begegnet werden,
wenn man auch den schwerer Erkrankten Aufnahme gestattete
und damit zahlreiche Infektionsherde aus der Allgemeinheit aus¬
geschaltet würden. Auch hierdurch würden im weiteren Sinne
sich die Heilstätten in hohem Masse wirtschaftlich rentieren.
Die Spezialfrage, ob die Anlage einer Heilstätte in unserer
Gegend zu empfehlen sei, muss bejaht werden. Die grossen Wal¬
dungen in der Umgegend von Greifswald bieten die Möglichkeit,
die Anstalt gegen Wind und Staub zu schützen. Es ist durchaus
wünschenswert, die Kranken in ihrem heimatlichen Klima zu
heilen, weil nach Rückkehr der Geheilten aus wärmerem, mil¬
derem Klima in die rauhere Heimat die Gefahr einer erneuten
Erkrankung sehr viel grösser ist. Die Kosten der Errichtung
einer Heilstätte von 60 — 80 Betten ohne Bauplatz und Inventar
würden sich mindestens auf 150 000 — 200 000 M., die Betriebs¬
kosten jährlich auf etwa 70 000 M. belaufen.
Naturhistorisch-Mediziniscfrer Verein Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 27. Mai 1902.
1. Herr Bettmann: Ueber eine besondere Form des
Lupus vulgaris (Lupus miliaris disseminatus).
B. demonstriert eine 26 jährige Patientin mit folgendem
Krankheitshilde: Ueber das ganze Gesicht zerstreut findet sich
eine grosse Menge miliarer isolierter Effloreszenzen, die am
dichtesten an der Stirn und den Augenlidern stehen, weniger dicht
an der Nase, den Wangen und der Kinngegend Ein Teil dieser
kleinen Effloreszenzen — wohl die frischesten — erscheint deut¬
licher papulös, dabei intensiver rot; andere — ältere — Effiores-
zenzen sind mehr braunrot, liegen im Niveau der Haut oder sind
sogar etwas eingesunken und zeigen Andeutung einer Vernarbung.
An den allermeisten Effloreszenzen ist im Zentrum ein kleinster,
weisslicher Punkt sichtbar, der auf den ersten Blick Avohl auf eine
beginnende eitrige Einschmelzung schliessen liesse, in Wirklichkeit
aber ein Milium darstellt.
Die Affektion begann bei der Kranken im Juni 1900 an der
Stirn und breitete sich in wenigen Monaten über das ganze Ge¬
sicht aus. Dann sind noch einige Knötchen an den Fingern und
in der letzen Zeit auch an den Vorderarmen entstanden Die
Kranke hat \Ton der Affektion, abgesehen von dem kosmetischen
Nachteil, keine Beschwerden. Sie leidet seit frühester Kindheit,
gleich einem ihrer Brüder, an Ichthyosis, einem Zustand, der zu
der oben geschilderten Hautaffektion in keine Beziehung gebracht
Averden kann. Die Patientin war nie ernstlich krank, sie hat
speziell niemals Erscheinungen irgend einer Form der Tuberkulose
dargeboten. EbensoAvenig sind in der Familie der Patientin —
soweit sich das ermitteln lässt — tuberkulöse Erkrankungen voi’-
gekommen.
Die geschilderte Hautaffektion liesse nach ihrem groben
Aussehen, nach der Grösse der einzelnen Knötchen und ihrer Ver-
1549
teilung im Gesicht vielleicht zunächst an Acne vulgaris denken.
Aber es ergibt sich eine vollkommene Verschiedenheit von dieser
Afh ktion nach Al t und Zeitdauer der EntAvickelung der ein¬
zelnen Knötchen, nach ihrer Persistenz und der Art ihrer schliess-
li ehen Involution wie nach dem Mangel der Erscheinungen einer
akuten oder subakuten Follikulitis.
Anhaltspunkte für die Diagnose ergeben :
1. Die weiche und matsche Beschaffenheit der Knötchen (mit
dem leicht aufgesetzten Höllensteinstift lassen sich die Knöt¬
chen ohne weiteres herausbohren).
2. Das Verhalten gegen Glasdruck. Drängt man durch einen
aufgelegten Glasspatel das Blut aus den einzelnen Knötchen, so
bleibt ein bräunliches, gelatinöses, leicht durchscheinendes In¬
filtrat sichtbar.
Beide Momente legen die Diagnose des Lupus vulgaris nahe
und es ist versucht worden, diese Aveiter zu stützen.
1. Die mikroskopische Untersuchung junger exzidierter
Effloreszenzen ergibt, dass es sich um eine Bildung Avohl ab¬
gegrenzter Knötchen in der Cutis handelt, die ihrem Bau nach
Epitlieloidtuberkeln entsprechen; in diesen findet sich zentrale
Verkäsung und an einzelnen Stellen das Vorhandensein von
Riesenzellen in kleinen Gruppen.
Die makroskopisch als Milien angesprochenen Gebilde im
Zentrum der Knötchen erweisen sich mikroskopisch als kleine
Epithelcysten.
2. Die Untersuchung auf Tuberkelbazillen in einer grösseren
Anzahl \’on Schnitten blieb negativ.
3. Injektion von 8 mg Alt-Tuberkulin ergab bei der Pa¬
tientin eine sehr prägnante lokale Avie allgemeine Reaktion.
4. Die Ueberimpfung eines Knötchens auf ein Tier konnte
leider nicht vorgenommen werden.
Nach den geschilderten Charakteren der einzelnen Knötchen,
ihrem mikroskopischen Bau und dem positiven Ausfall der Tuber¬
kulinreaktion ist unser Fall dem seltenen Krankheitsbilde unter¬
zuordnen, von dem einzelne Fälle als Acne-Lupus, Lupus miliaris,
Lupus follicularis disseminatus etc. beschrieben Avorden sind, und
das als eine besondere, klinisch Avohl abgegrenzte Form der Ilaut-
tuberkulose aufgefasst werden muss. Der mangelnde Fund der
Tuberkelbazillen schliesst die Diagnose nicht aus; ihr Nachweis
ist in einem F alle von Finger geglückt.
Diskussion: Herren Jordan, Fl ein er, Sack,
Bettmann.
2. Herr Petersen: Ueber Heilungsvorgänge beim
Karzinom.
P. kommt zu folgenden Schlussätzen:
1. Die Karz inomzellen stellen im biologischen Sinne
eine dem Körper fremde und schädliche Zellart dar.
2. Der Körper produziert daher beim Karzinom ähnliche
Schutzstoffe (Cytolysine), wie etwa nach der Ein¬
führung von fremden Blutkörperchen.
3. Neben diesen Schutzstoffen kann auch noch die Binde¬
gewebswucherung in beschränktem Masse dem Ein¬
dringen der Karzinomzellen in den Körper entgegenwirken.
4. Je nach der Bösartigkeit des Karzinoms haben diese
Schutzmassnahmen des Organismus einen sehr verschiedenen
Erfolg; in sehr vielen Fällen sind sie vollkommen machtlos, in
anderen aber führen sie zu einem grösseren oder
geringeren Untergang von Karzinom zellen;
vereinzelt können sie sogar eine Ausheilung
des Karzinoms herbeiführen.
5. Diese Heilungsvorgänge im Karzinom
sind häufig charakterisiert durch das Auf¬
treten von Riesen zellen. Diese K a r z i n o m -
Riesenzellen sind von sehr verschiedener Form, Grösse
und Histogenese; sie können leicht den falschen Ver¬
dacht einer das Karzinom komplizierenden
Tuberkulose erwecken.
6. Die zuerst von dem Primärtumor sich loslösenden und
diskontinuierlich in den Organismus eindringenden Zellen ver¬
fallen den Schutzkräften desselben am ersten; sehr häufig
gehen die ersten Metastasen eines Karzinoms
wieder zu Grunde und es muss dann gewissennassen der
Boden in der Umgebung des Karzinoms erst mit zerfallenen
Karzinomzellen gedüngt sein, ehe Aveiterc Karzinomzellen in dem¬
selben zu gedeihen vermögen.
1550
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Hierauf beruht wahrscheinlich auch der auffallende Um¬
stand, dass das Karzinom, welches so frühzeitig
und so ausgedehnt in die Blutbahn einblicht,
doch so selten auf dem Blutwege s i c h . v er¬
breitet; es gehen die in die Blutbahn ein ge¬
drungenen Karzinom zellen in ausgedehntem
Masse zu Grunde und nur unter besonderen Umständen
vermögen sie zu haften und sich weiter zu entwickeln.
Der Vortrag, welcher ausführlich in den „Beitr. z. klin.
Chir.“ erscheint, wird erläutert durch mikroskopische Demon¬
strationen und Projektionsbilder.
Diskussion: Herren F 1 e i n e r, Petersen.
3. Herr Hammer: Heber die Heilstättenbehandlung der
Tuberkulose. (Der Vortrag ist in No. 26 dieser Wochenschr.
erschienen.)
Diskussion: Herren Fleiner, Mittermeier, Hammer.
Naturwissenschaftl.-medizinische Gesellschaft zu Jena"
(Sektion für Heilkunde.)
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 19. Juni 1902.
Herr Skutsch bespricht die verschiedenen Methoden der
Myomoperationen und demonstriert einige diesbezügliche b alle.
a) Frau J. R., 43 Jahre alt, hat 4 mal geboren, zuletzt vor
5 Jahren. Nach der letzten Geburt blieb der Leib stark; seit
1 Jahre starke Blutungen. .
Die Untersuchung ergab einen harten Tumor von Form und
Grösse eines etwa 32 Wochen graviden Uterus. An der Vorder¬
fläche ziemlich nahe der Symphyse Hessen sich deutlich bei äusse¬
rer Untersuchung beide Ligg. rotunda und die Adnexe tasten, so
dass schon hieraus zu erkennen war, dass der Tumor vom oberen
Teil der hinteren Korpuswand ausging.
Es wurde die Amput atio supravaginalis mittels
Laparotomie gemacht, dabei das von S. für diese Operation meist
geübte Verfahren angewandt, das eine Kombination der Methoden
von Schröder, Zweifel, Chrobak darstellt. Abbinden
des rechten Ligamentes lateral von den Adnexen bis zur Zervix
herab mit Partienligaturen, Abpräparieren eines vorderen Peri-
tonea llappens, dann umgreift die nächste Partienligatur die
schlanke Zervix, weitere Partienligaturen das linke Ligament lateral
von den Adnexen. Abtrennung der Ligamente, Amputation in der
Zervix. Ausbrennen, dann Ausschneiden der Zervixschleimhaut.
Einige Knopfnähte vereinigen die vordere mit der liintei'en Zervix-
wand; über diese Nahtlinie wird der vordei’e Peritoneallappen nach
hinten geklappt und mit dem Peritoneum der hinteren Wand der
Zervix vernäht. Uebernähung der Schnittfläche der Ligamente.
Schluss der Bauchwunde. Alle Nähte und Ligaturen in der Bauch¬
höhle mit Cumolkatgut.
Die Heilung ist ohne Störung erfolgt.
b) Frau H. K., 32 Jahre alt, leidet seit dem 20. Jahre an Vor¬
fall des Uterus. Heirat mit 24 Jahren. Eine Geburt vor 4 Mo¬
naten, Inzisionen in die prolabierte Zervix, Forceps. Das Kind
starb nach 2 Stunden. Der Arzt, der die Entbindung leitete, kon¬
statierte einen mannskopfgrossen Tumor der Wand des Coi*pus
utei’i. Fieber im Wochenbett.
Die Untersuchung ergab: Vaginalportion vor der Vulva,
Scheide z. T. invertiert, Zervix verlängert. Die Zervix geht nach
oben in einen kugligen Tumor über etwa von der Grösse eines
18 Wochen graviden Corpus uteri. Per rectum konnte man deut¬
lich beiderseits von der unteren hinteren Partie des Tumors die
Adnexe abgehend fühlen. Hieraus ergab sich, dass der Tumor
wesentlich dem Fundus uteri angehörte.
In diesem Falle wurde bei der noch jugendlichen Frau, deren
einziges Kind bald nach der Geburt gestorben war, beschlossen,
konservierend zu operieren und die abdominale Enuklea¬
tion zu machen.
Nach Hervorleiten des Tumors sah man hinten, weit unten
am Tumor die Adnexe abgehen; es handelte sich also um einen
Tumor der vorderen oberen Korpuswand. Längsschnitt über die
vordere Fläche, etwa 10 cm lang; nachdem die Muskulatur ca. 1 cm
durchtrennt ist. lässt sich die bindegewebige Kapsel gut erkennen;
während der Assistent manuell die Zervix komprimiert, wird der
kugelige Tumor leicht mit geringem Blutverlust enukleiert, ohne
dass das Cavum uteri eröffnet wird. Die Höhle verkleinert sich
gut durch Kontraktion und wird in 3 Etagen durch Ivatgutknopf-
nähte geschlossen. Hierauf wird wegen des Prolapses der Uterus
an die Bauchwand fixiert und zwar in der Weise, dass lateral von
der Uteruswundlinie das Uterusperitoneum mit dem Parietalperi¬
toneum in der ganzen Länge der Uteruswunde vernäht wird, so
dass diese innerhalb der Bauchwunde extraperitoneal zu liegen
kommt. Darüber wird die Bauchwunde geschlossen. Der ent¬
fernte Tumor hat einen Umfang von 30ya cm.
Die Rekonvaleszenz verlief ungestört bis auf eine mässige
Eiterung in der Bauchwunde. Da ti'otz der Ventroflxation die
lange Zervix noch tief herabragte, wurde noch Amputation der
Portio ausgeführt.
c) Frau F. H., 49 Jahre alt, hat 8 mal geboren. Sehr profuse
Blutung seit 3 Wochen. Die Untersuchung ergab einen gleich-
mässig vergrösserten Uterus, Grösse ungefähr wie bei 10 Wochen
Gravidität. , _ . , ,
In diesem Falle wurde die vaginale fotalexstir-
p a t i o n gemacht. Mit der Schei’e wird die Portio ringsherum
Umschnitten, weitere Scherenschläge machen den unteren Teil der
Zervix ringsherum frei. Eröffnung des Peritoneum der Excavatio
vesico-uterina, Vernähung mit dem vorderen Scheidenwundrand.
Eröffnung des Douglas sehen Raumes, Vernähung des Peri¬
toneum mit dem liintei'en Scheidenwundrand. Umstechung und
Abtrennung der Tarametrien. Der Uterus erweist sich als so
gross, dass er nicht ohne weiteres hervorgeleitet werden kann.
Es wird daher vom Muttermund beginnend die vordere
Uterus wand median succesive bis zum Fu n d u s
hin gespalten, dabei mit immer höher in die Schnittflächen
eingesetzten Zangen augezogen, bis es gelingt, den Uterus in die
Scheide zu bringen. Jetzt werden die Ligamente schrittweise vom
Uterus abgetrennt und iibernäht. Einnähen der Stümpfe in die
Ecken. Schluss der Peritonealscheidenwunde.
Die Länge des Schnittes in der vorderen Wand des entfernten
Uterus beträgt 14 cm. Auf der Hinterwand des Korpus sitzt ein
kugeliges submuköses Myom von 4 cm Durchmesser.
Die Heilung ist glatt erfolgt.
Weiterhin berichtet Herr S. über einen Fall von weit vor¬
geschrittener, interligamental entwickelter Tubarschwangei-
schaft
Frau L. P., 39 Jahre alt, hat 5 mal geboren, zuletzt vor
7 Jahren. Vor 0 Jahren Blinddarmentzündung. Letzte Men-
struation vor 7 y> Monaten; seit dieser Zeit Schmelzen in der
rechten Unterbauchgegend, besonders zur Zeit der erwarteten
Regeln. Seit 3 Monaten haben die Schmerzen so zugenommen,
dass Patientin bettlägerig wurde. Häufiger Urindrang. Vor
3 Wochen eine 1 tägige Blutung.
Die Untersuchung ergab einen festen, aus dem Becken bis
21 cm über die Symphyse emporragenden Tumor. Nichts von
Kindesteilen zu erkennen, keine Herztöne zu hören. Der Mutter¬
mund ist ganz links zu fühlen, hierher verdrängt durch einen
rechts tief bis in die Spinallinie herabreichenden Abschnitt des
Tumors. . , ,
Nach Eröffnung der Bauchhöhle präsentierte sich der blaulich-
graue Tumor, von Adhäsionen bedeckt; erst nachdem der Schnitt
über den Nabel empor verlängert ist, wird freies Peritoneum er¬
reicht. Rechts geht das Parietalperitoneum unmittelbar auf den
Tumor über. Hinten am Tumor ist Netz adhärent; nachdem dieses
abgelöst, blutet die freigemachte Stelle der Tumoroberfläche un-
gemein reichlich; jeder Stichkanal bei den Umstechungsvei suchen
blutet von neuem. Die Blutung ist so erheblich, dass ein Gaze¬
beutel nach Mikulicz auf die blutende Stelle geführt wird.
Jetzt wird der Tumor vorn median eingeschnitten; nach Durch¬
trennung der Wand erscheint der Kopf eines mazerierten, 32 cm
langen Fötus; dieser wird herausgezogen, die Nabelschnur durch¬
trennt; kein Fruchtwasser. Jetzt lassen sich die anatomischen
Verhältnisse klarer erkennen. Eingehen in den Fruchtsack und
Entgegeutasten von der Scheide (durch einen Assistenten) zeigen,
dass nun der tief ins Becken herabragende Tumorabschnitt ver¬
schwunden ist, dass er nicht der Zervixwand selbst angehörte, son¬
dern interligamental tief herabragend die Zervix stark nach links
herübergedrängt hatte. Das jetzt erkennbare Corpus uteri ist vei-
grössert und liegt ganz nach links herüber; die rechte Seitenkante
geht breit in den Tumor über. Die Plazenta sitzt hinten, ent¬
sprechend der Stelle, wo beim Lösen der Adhäsionen die starke
Blutung eingetreten war. Der schlechte Zustand der Frau, sowie
Störungen der Narkose lassen von weiteren Versuchen, den ganzen
Fruchtsack auszulösen, Abstand nehmen. Die Sackwand wird in
den unteren Teil der Bauchwunde eingenäht; die Plazenta bleibt zu¬
rück, die Nabelschnur sowie Gazestreifen, welche den Sack füllen,
werden nach aussen geleitet. Der oberste Teil der Bauchwunde
wird geschlossen bis auf die Stelle, wo der Gazebeutel nach
Mikulicz herausgeleitet ist. Verband.
Nach 2 Tagen wurde der Mikulicztampon entfernt, die Stelle
der Bauchwand durch Sekundärnaht geschlossen. Unter Behand¬
lung mit Salizylsäureeinstreuungen, sowie Ausspülungen des
Sackes mit Borsäurelösungen war der weitere Verlauf ein durch¬
aus günstiger. Die Plazenta stiess sich in einzelnen Stücken ab,
der Sack schrumpfte, die Oeffnung schloss sich durch Granu-
lo+mriOTi
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. Juli 1902.
Vorsitzender : Herr Goldsclimidt.
Herr Epstein stellt einen Fall von Lupus serpiginosus,
der sich an beiden Händen und Vorderarmen entwickelte, vor.
Herr August B eckh demonstriert: 1. eine durch Laparotomie
bei einer 52 jährigen Frau entfernte, fast mannskopfgrosse links¬
seitige Parovarialcyste mit blutig-serösem Inhalt (mit anderthalb¬
maliger Stieldrehung); beide Ovarien, kleincystisch degeneriert,
wurden ebenfalls entfernt; Ventroflxation des retroflektierten
Uterus und vordere und hintere Kolporrhapliie wegen Scheiden¬
vorfalls. Heilung.
2. Ein bei einer 53 jährigen Virgo entferntes gewaltiges
Cystadenoma pseudomucinosum des rechten Ovariums mit
16. September 1902.
MTJElSr CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1551
38 Liter Cystenflüssigkeit; 2 malige Stieldrehung; keine Verwach¬
sung, weder mit Darm noch vorderer Bauchwand. Grösster Leibes¬
umfang 140 cm. Entfernung zwischen Symphyse und Nabel 36 cm
zwischen Nabel und Processus xiphoideus 68 cm! Heilung.
3. Emen wegen Prolapsrezidiv per vaginam totalexstfrpierten
Uterus einer 42 jährigen Frau. Vorfall bestand seit 20 Jahren;
Oktober 1S99 Kolporrhaphia anterior und posterior; Januar 1900
Ventrofixation; im Juli 1900 zum ersten Male in der Sprechstunde
des Vortragenden mit der Angabe, seit April wieder die alten Be¬
schwerden zu haben, welche am 13. XI. 1900 die Veranlassung
zu einer 2. Laparotomie gaben, wobei sich zeigte, dass der seiner¬
zeit mit Silkworm fixierte Uterus sich vollständig losgerissen hatte.
Abei malige \ entiofixation mit 3 Seidennähten; wiederholte vordere
und hintere Scheidenplastik. Patientin wird nach 6 jähriger Ehe
zum 1. Male gravide (mit erstem Manne 9 Jahre steril verheiratet).
Anfangs März 1902 Forceps nach Inzisionen und manuelle Pla¬
zentarlösung in der Universitäts-Frauenklinik zu Erlangen.
5 Wochen nach der Entbindung wieder Prolaps vorhanden, weshalb
am 28. \. 1902 die Totalexstirpation vorgenommen werden muss,
da Patientin endlich von ihrem Leiden befreit sein will. Operation
nach Döderlein; die von beiden Tubenecken nach der vorderen
Bauchwand ziehenden breiten Ventrofixationsadhäsionen etwa 8 bis
10 cm lang gedehnt; vordere und hintere Kolporrliaphie zum
3. Male. Glatte Heilung.
4. Einen ebenfalls wegen Prolaps und auf Ivurettement nicht
sistierter Blutungen exstirpierten Uterus einer 59 jährigen Frau,
ebenfalls mit vorderer und hinterer Scheidenplastik. Heilung.
5. Eine von einer 32 jährigen Frau stammende linksseitige
Ovarialcyste mit Pyosalpinx
. und 6- eine von einer 33 jährigen Frau stammende rechts¬
seitige Pyosalpinx; bei beiden durch Laparotomie gewonnenen
Fällen ausgedehnte Verwachsungen mit dem Darm, welche zu
Ablösung der Serosa des Dünndarms führten, so dass zahlreiche
Serosanähte gelegt werden müssen; der 2. Fall kompliziert durch
totalen Uterusprolaps bei komplettem Dammriss; Ventrofixation
und Plastik. Heilung.
Sitzung vom 14. August 1902.
Vorsitzender : Herr Goldschmidt.
Herr Hahn stellt einen Knaben mit Lupus der behaarten
Kopfhaut vor. Die Affektion soll im Anschluss an ©inen Stein¬
wurf entstanden sein.
Herr G o 1 d s c h m i d t 1. demonstriert einen jungen Mann
mit Situs viscerum inversus,
2. bringt Mitteilungen über den 2. Jahresbericht der Nürn¬
berger Lungenheilstätte Engelthal.
Herr Hadelich berichtet über seine Resultate in der
Keuchhustenbehandlung.
Sitzung vom 21. August 1902.
Vorsitzender: Herr v. Rad.
Herr v. Rad demonstriert:
1. einen Patienten mit Akromegalie. 36 jähriger Mann, der
früher stets gesund gewesen sein will, kommt wegen sehr heftiger
in der Stirngegend lokalisierter und gegen beide Ohren zu aus-
strahlender Kopfschmerzen in die. Sprechstunde. Die weitere
Anamnese ergibt nichts Besonderes. Von den Veränderungen am
Kopf und den Händen will weder der Patient, noch seine Frau
etwas bemerkt haben. Eine Photographie aus früherer Zeit er¬
gibt jedoch, dass früher dieselben noch nicht bestanden haben.
Bei der Untersuchung des für seine Jahre gealtert aussehenden
Patienten ergibt sich folgender Befund: Psyche frei. Der Schädel
ist, leicht vergrössert, die Haut über demselben ist wulstig und
lässt sich leicht in Falten Zusammenlegen. Die Gesichtszüge sind
derbe (Facies leontina). Die Perkussion der Stirngegend ist ziem¬
lich schmerzhaft. Die Nase ist plump und stark vergrössert Die
Zunge ist breit und dick, etwas verlängert, stark rissig. In der
Nase finden sich Polypen. Der Augenhintergrund ist ohne Befund,
auch erweist sich das Gesichtsfeld als normal. Die Schilddrüse
ist nicht zu fühlen. Das Sternum ist entschieden verbreitert und
verdickt, der Schwertfortsatz springt leicht vor. Ueber der Haut
der Brust und des Rückens finden sich zahlreiche, dunkel pig¬
mentierte Fibrome. Eine auffallend starke Entwicklung weisen
ferner die Hände auf, die Finger sind vergrössert und verdickt,
wurstförmig. Die Füsse, die Schlüsselbeine, die Wirbelsäule zeigen
sich nicht verändert.
Die Untersuchung der inneren Organe und des Urins ergibt
normale Verhältnisse.
2. einen Pall von Thomson scher Krankheit. D., 20 Jahre
alt, Soldat im 21. Inf.-Regt., ist väterlicherseits polnischer Ab¬
kunft, arbeitete vor seiner Einstellung zum Militär als Steinhauer.
Pat. hat von jeher sehr unregelmässig gelebt, viel ge tranken. Sein
jetziges Leiden führt er darauf zurück, dass er vor 3 Jahren
mehrere kalte Nächte im Freien zubrachte; seitdem bemerke er
bei Bewegungen eine plötzlich auftretende Steifigkeit in seinen
Muskeln, die nach kurzer Zeit nachlasse. Beim Militär habe sich
«ein Leiden besonders unangenehm geltend gemacht, so habe er
beim Kommando „Marsch“ nie mit den anderen antreten und fort¬
marschieren können. Auch beim Grüssen und den Gewehrübungen
sei er sehr behindert gewesen. Manchmal sei er auch beim Oeffnen
und Schliessen des Mundes durch eine plötzlich auftretende
Steifigkeit behindert. In den Morgen- und Vormittagsstunden |
stelle sich die Steifigkeit der Muskeln viel stärker ein als gegen
Abend. b **
Die 1 rage, ob in seiner Familie das gleiche Leiden schon vor¬
gekommen sei, stellt er ganz bestimmt in Abrede, Sein Vater
soll nur viel an Rheumatismus leiden.
. ,.Pat- zeiS't eine ausserordentlich gut entwickelte, hypervolu-
mmose Muskulatur. Im Bereiche der Gehirnnerven und Gesichts¬
muskeln bestehen keinerlei Störungen.
Bei allen Bewegungen der Extremitäten ist die myotonische
Storung sehr deutlich. Der Krampf lässt meistens nach 5 _ 20 Se-
künden nncb und kann P<it. d<inn seine Muskeln frei bewe°*en
Bei Perkussion der Muskeln erfolgt eine deutliche träge tonische
Anspannung mit Nachdauer der Kontraktion. Bei direkter fara-
discher und galvanischer Muskelreizung deutliche myotonische
Reaktion. Das rhythmische Undulieren der Muskulatur bei sta¬
biler Anwendung des konstanten Stromes war nur bei sehr hohen
Stromstärken (25 M.-A.) und nach mehrfachem Wenden des
Stromes nachweisbar.
Den H ahn stellt einen Patienten vor mit einem grossen
Lipom der linken Schultergegend, das im Innern einen faustgrossen
derben, höckerigen Knoten (Sarkom?) enthält. (Der Vortra^ er¬
scheint in der Münch, med. Wochenschr.)
Herr H. Koch berichtet über einen schweren Fall von
Keuchhusten mit nachfolgender Polyneuritis.
Ein 3 jähriges Mädchen kam am 30. April d. J. wegen Keuch¬
husten in meine Behandlung. Die Erkrankung war keine leichte
und hatte einen sehr wechselnden Verlauf, indem sich mehrmals
recht schwere Bronchitiden und katarrhalische Pneumonien ein¬
stellten.
Schon schien das Kind seit Ende J uli der Genesung entgegen¬
zugehen, als es ganz plötzlich am 16. d. Mts. von neuem mit hef¬
tigem Fieber erkrankte. Es hatte sich eine Pneumonie im rechten
Unterlappen eingestellt.
Am 18. Morgens zeigte sich bei der Visite eine Parese beider
Beine mit Herabsetzung der Sensibilität und Erlöschen der Pa-
tellarreflexe, ferner eine vollständige Lähmung beider Arme, nur
die Finger konnten schwach gebeugt werden. Die Sensibilität
wmr symmetrisch bis zur Mitte beider Oberarme vollständig er¬
loschen.
Auch die Nackenmuskulatur war gelähmt. Das Kind konnte
seinen Kopf nicht mehr halten, er baumelte wie ein lose ange¬
bundener Körper am Rumpf.
An den Augen war keine Veränderung. Die Pupillen waren
gleich und reagierten auf Lichteinfall In der Nacht vom 1S./19.
stellten sich unter grosser Unruhe mässige Anzeichen von Dys¬
phagie ein, die sich rasch so steigerten, dass am 20. Morgens nichts
mehr geschluckt werden konnte. Am 20. Abends 8 Uhr trat plötz¬
lich der Tod ein. Das Bewusstsein war bis wenige Stunden vor
dem Tode erhalten.
Die Temperatur war stets zwischen 39 und 40,5. Nur am
19. Morgens war sie normal und bedeutete den kritischen Abfall
der Pneumonie.
Am 20. Morgens zeigten sich diffuse Ronclii über die ganze
Lunge verbreitet.
Der Puls war stets entsprechend der hohen Temperatur und
zeigte nichts Besonderes. Auch am Herzen war nichts Besonderes
nachzuweisen.
Der Urin, der meist ins Bett gelassen wurde, konnte erst am
letzten Tag untersucht werden und zeigte einen mässigen Eiweiss¬
gehalt.
Der Stuhlgang war retardiert und musste durch Klysmen er¬
zielt werden.
Wenn ich nun rekapituliere, so haben wir eine ziemlich lange
dauernde, schwere Erkrankung an Keuchhusten, bei welcher sich
plötzlich im Rekonvaleszenzstadium eine schwere Nachkrankheit
einstellt.
Dieselbe setzt mit einer Pneumonie ein, die kritisch verläuft.
Ihren schweren Charakter bekommt die Erkrankung durch eine
aufsteigende Lähmung der peripherischen Nerven. Wir haben es
also zweifellos mit einer akuten Polyneuritis zu tun, wie sie ja
nicht ganz selten bei anderen Infektionskrankheiten vorkommt,
beim Keuchhusten jedoch sicher zu den allergrössten Seltenheiten
gehört.
Herr Landau demonstriert die für das medizinisch-histo¬
rische Kabinet des germanischen Museums erworbenen Bildnisse
alter Aerzte und bringt zu den einzelnen biographische Notizen.
Unterelsässischer Aerzteverein.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 19. Juli 1902.
I. Demonstrationen:
Herr W o 1 f f stellt 2 Kinder von 5 resp. 6 Jahren vor mit
Lichen ruber planus.
Herr H. W. Freund zeigt den von K ehre r angegebenen
elektrischen Heissluftschwitzkasten, der ihm zur Resorption von
parametrischen Exsudaten gute Dienste erwies.
Herr v. Recklinghausen demonstriert die TJrachus-
cyste eines 30 jährigen Mannes, analog den viel kleineren von
Luschka, Wutz beschriebenen Tumoren. Auch Blasendiver¬
tikel wurden irrtümlicherweise als Urachuscysten beschrieben.
Die extraperitoneal gelegene Geschwulst kann als Enterokystom
nicht angesehen werden.
1552
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Herr M. B. Schmidt demonstriert einen Fall von plötz¬
licher Zerreissung der Aortenklappe und des vorderen Mitral¬
segels, sowie von mehreren Rupturen der Aorta. (Wird in dieser
Wochenschrift in extenso publiziert.)
In der Diskussion berichtete Herr A. Cahn über einen
F all von tödlicher Aorte n k 1 a p p e n r u p t u r infolge
von schwerer Quetschung des Thorax.
II. Vorträge:
Herr W o 1 f f : Die deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten.
W. gibt die Geschichte der Entstehung dieser Gesellschaft,
ihre Zwecke und eine Mitteilung des bisher Erreichten. Das ein¬
ladende Zirkular wird den Vereinsmitgliedern übergeben mit der
warmen Aufforderung, durch den Beitritt die gute Sache zu
unterstützen.
Herr Hoche spricht über spinale Kinderlähmung.
Aetiologisch darf jetzt deren infektiöser Charakter als sichei
gelten, und zwar wegen des epidemischen Auftretens, der posi-
1 iven Bef unde in der Spinalflüssigkeit, sowie der Möglichkeit de i
experimentellen Erzeugung.. Die Lokalisation in der grauen
Säule hängt ab von der arteriellen Gefässverteilung. Die Längs¬
ausdehnung des Prozesses begünstigt der bei Kindern offene
Zentralkanal. Therapeutisch darf man für später vielleicht auf
Serumbehandlung hoffen in frischen Fällen; in alten Fällen
bietet die Sehnenplastik (siehe folgenden Vortrag) ausgezeichnete
Aussichten für die Wiederherstellung der Funktion.
Herr Lange: Sehnenplastik bei Lähmungen.
In kurzer Besprechung des Wesens und der Methoden der
Sehnenplastik empfiehlt Lange diese moderne Behandlung der
Kinderlähmung zu allgemeinerer Anwendung'. Grobmechanisch
vorgestellt, wird ziemlich unbekümmert um die vorgeschriebene
Funktion der einzelnen noch vorhandenen Muskelkräfte ihre
Summe als ein gegebenes Kraftquantum aufgefasst, welches nach
Bedarf der wiederherzustellenden Ausfälle verteilt und äquili¬
briert wird. Selbst funktionell ganz differente Muskeln können
mit gutem Erfolge für einander substituiert werden, und diese
physiologisch interessante Tatsache ist für die umfangreiche An¬
wendbarkeit der Methode von der grössten Bedeutung. Wichtig
ist ferner, dass nach Beseitigung von Kontrakturen Muskeln, die
infolge ihrer Untätigkeit völliger Inaktivitätsatrophie verfallen
waren, sich wieder erholen und kräftigen können. Lange
streift kurz die Technik der Operation und bespricht an der Hand
typischer Beispiele die einzelnen operativen Eingriffe. In
manchen Fällen können wir mit der einfachen Sehnenver¬
kürzung zum Ziele kommen, wofür die Verkürzung der Sehne
des Extensor carpi rad. bei partieller Radiuslähmung in über¬
raschender Weise zeugt. Die plastische Sehnenverlänge¬
rung wird meist als Teiloperation bei komplizierten Sehnen¬
überpflanzungen ausgeführt. Der Hauptschwerpunkt des Ver¬
fahrens liegt in der eigentlichen S ehnenüberpflanzung,
die meist in der absteigenden oder aktiven Methode ausgeführt
wird (Vulpius). Die Sehne des kraftspendenden Muskels wird
mit einem Teil in ihrem Verlauf belassen, während 1 oder 2 seit¬
liche Zipfel abgespalten und zur Kraftübertragung auf die
Sehnen der gelähmten Muskeln überpflanzt werden. Als die auf¬
steigende oder passive Methode wird das Verfahren bezeichnet,
bei dem die Sehne des gelähmten Muskels seitlich an die un¬
geteilte, in ihrem Verlauf belassene Sehne des Kraftspenders
implantiert wird. Indirekte Sehnen Überpflanzung
nannte Mainzer einen sinnreichen Notbehelf, wobei er eine
benachbarte dritte Sehne benutzte, um die sonst unmögliche Ver¬
bindung zwischen Kraftspender und Kraftempfänger herzustellen.
L a n g e - München befürchtete eine nachträgliche Dehnung der
bei der Plastik benutzten gelähmten Seimen und damit eine Ge¬
fährdung des Dauerresultates, weshalb er die sog. periostale
Sehnenüberpflanzung ausführte. Er leitete die Sehne
oder den Sehnenzipfel des kraftspendenden Muskels an den für
die gewünschte Wirkung erforderlichen Knochenansatzpunkt und
vernähte sie hier direkt mit dem Periost. Bei dem Versuch
L a n g e s, den gelähmten Quadrizeps durch den Bizeps und
Semitendinosus zu ersetzen, waren die Sehnen beider Muskeln zu
kurz, um an der Tub. tibiae vernäht werden zu können. Er ver-
einig-to deshalb die Sehnen vor dem Knie und ersetzte das
fehlende Stück durch eine Reihe Seidenfäden, welche er am
Periost der Tub. tibiae festnähte. Die Fäden heilten reaktionslos
ein, es bildete sich um dieselben eine künstliche Sehne
aus richtigem Sehnengewebe, welche das Resultat garantierte.
Auf diese Weise gelang zum erstenmale der Ersatz des gelähmten
Quadrizeps in funktionell ausreichender Weise. Später wandte
L a n g e die Bildung künstlicher Sehnen aus Seide auch da an,
wo die Sehne des Kraftspenders zu schwach war, um zwecks
Plastik geteilt werden zu können, und erweiterte das Anwendungs¬
gebiet derselben noch allgemeiner, da er 15 — 20 cm lange Seiden¬
fäden mit guter Funktion einheilen lassen konnte. Nachdem
jetzt mehrere hundert Operationen an den verschiedensten Fällen
ausgeführt wurden, darf man wohl sagen, dass die Sehnenplastik
ein souveränes Heilmittel in der Therapie der Kinderlähmung
geworden ist und dass in der Tat die meisten Patienten der¬
selben zugänglich sind, da totale Lähmungen sehr selten sind.
Eine Reihe erfolgreich operierter Fälle sollen in einer der
nächsten Sitzungen demonstriert werden.
Die 70. Jahresversammlung der British Medical
Association
zu Manchester vom 29. Juli bis 1. August 1902.
(Eigener Bericht.)
Referent möchte über den allgemeinen und sozialen Teil des
Kongresses nur bemerken, dass Manchester seinen Ruf als Regen¬
stadt glänzend bewährt hat und dass im übrigen die verschiedenen
Festlichkeiten, die ja einen so bedeutenden Teil aller wissenschaft¬
lichen Kongresse ausmachen, in altgewohnter Weise von statten
gingen. Interessant war, dass die mit diesen Versammlungen
stets verbundene Ausstellung ärztlicher Apparate u. dgl. m. dies¬
mal auch eine Abteilung für Motorfahrzeuge, sowie eine weitere
für sanitäre Einrichtungen enthielt. Nach diesen kurzen Vor¬
bemerkungen gehen wir sogleich zu den Arbeiten der einzelnen
Sektionen über und beginnen mit der Chirurgie.
Abteilung für Chirurgie.
Die Sitzung vom 30. Juli wurde eröffnet durch einen längeren
Vortrag von Henry Morris- London über die Behandlung der
inoperablen Krebse. Redner fasste unter diesem Namen nach
englischer Sitte alle malignen Geschwülste zusammen. Nach ein¬
gehender Beschreibung der einzelnen Krebsformen, die als in¬
operabel gelten können, sowie der zu ihrer Behandlung angewen¬
deten Methoden stellte er folgende Thesen zur Diskussion: 1. Die
Serumbehandlung maligner Geschwülste hat bisher bei Kar¬
zinomen keinerlei Erfolge gehabt; Injektionen mit der Coley-
schen Flüssigkeit bringen bei weniger wie 50 Prozent der Fälle
von Spindelzellensarkomen Nutzen, bei anderen Sarkomarten und
bei Karzinomen sind sie erfolglos; da sie in jedem Falle äusserst
gefährlich sind, so dürfen sie nur in wirklich inoperablen Fällen
als letztes Hilfsmittel versucht werden. 2. Die Beatsonsclie
Behandlung des Brustkrebses durch Kastration und Thyreoidin
hat nur bei Brustkrebsen Erfolge, bei ihnen übrigens auch nur
in seltenen Fällen. 3. Für Ulcus rodens gibt es keine bessere Be¬
handlungsmethode wie die F i n s e n sehe Dichtmethode; auch ope¬
rable Fälle sollten wegen der Sicherheit des Erfolges und des
glänzenden kosmetischen Resultates nach Finsen behandelt wer¬
den, wenn auch zuzugeben ist, dass die Methode in Ausnahmsfällen
versagt; dann kann man immer noch die Exzision versuchen.
4. Alle malignen Geschwülste sollen womöglich frühzeitig ope¬
riert werden, da dies die einzige Methode ist, die Erfolg verspricht.
5. Die Indikationen zur Operation, die heute gültig sind, müssen
von Zeit zu Zeit revidiert werden, namentlich auch müssen sogen,
radikale Operationen bei manchen Tumoren abgeschafft und durch
palliative ersetzt werden (Magendarmkanal). 6. Alle Versuche,
den Krebs durch innere Mittel zu heilen, sind bisher fehlgeschlagen.
Zum Schlüsse seiner Rede betonte Morris noch die grosse Be¬
deutung der Krebshospitäler und der damit verbundenen Labo¬
ratorien für die Erforschung dieser Krankheit.
In der Diskussion sprach B e a t s o n über seine Behandlung
des Mammakrebses, die er aber nur in inoperablen Fällen an¬
wendet. Die besten Erfolge ergibt die Kastration bei Frauen jen¬
seits der 40, die aber noch menstruieren, nebenbei gibt er Thy¬
reoidin 0,2— 0,3 täglich 3 mal. Lokale Rezidive verschwinden dabei
oft rasch und vollständig, Drüsenmetastasen werden langsamer
beeinflusst, viszerale und Knochenmetastasen gar nicht. Für ihn
steht es fest, dass der Krebs keine ganz hoffnungslose Erkrankung
ist, da es Fälle spontaner Heilung gibt. Gegen starke Schmerzen
gibt er Phenacetin in grossen Dosen (2 — 3 g täglich), dies wirkt
gut und macht Morphium entbehrlich.
Bryant- London hat sehr gute Erfolge mit den Röntgen¬
strahlen gehabt, doch sollen nur wirklich inoperable Karzinome
damit behandelt werden. Die Schmerzen verschwinden, Ulzera-
tionen überhäuten sich und Tumoren (auch in den Drüsen) ver¬
schwinden. Auch bei Uterus- und Rektumkarzinomen sah er gute
Erfolge.
W i 1 d - Manchester hat ebenfalls spontane Rückbildung von
Krebsen gesehen, von den vielen unblutigen Methoden und von
Medikamenten hat er nie Erfolge gesehen, gegen den Schmerz ver¬
wendet er Opium, das auch von S n o w - London warm empfohlen
wird, der im übrigen in 12 Fällen, bei denen nach B e a t s o n
kastriert und behandelt wurde, keine Erfolge sah. J e s s e 1 1 -
IG. September 1902.
MÜENOUENElt MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1553
London hat 5 mal nach Beatson behandelt, 2 mal wurden die
Schmerzen gebessert, die Tumoren oder Ulzerationen wurden nie
günstig beeinflusst. Eine Reihe von Rednern sprachen noch teils
für, teils wider den Nutzen der Röntgenstrahlen bei Karzinomen;
31 a nders - London hat auch von Teslaströmen Nutzen gesehen.
Es folgten kürzere Vorträge über die Paraffinbehandlung der
Nasendefcrmitäten von J. P. zum Busch und Walker Downie
sowie die Demonstration eines neuen Anastomosenknopfes von
Stanmore Bishop und ein Vortrag von Valentine - New-
York über die Diagnose der Urethralerkrankungen.
Am 31. .T uli eröffnete Thomas M y 1 e s - Dublin eine Dis¬
kussion über die Behandlung der Tuberkulose der Hoden, der
Samenblasen, der Prostata und der Blase. Redner hält die Tuber¬
kulose der Nebenhoden häufig für primär, von ihr aus werden
die Samenblasen und die Prostata sekundär infiziert; die Blase
eiluankt sekundär von der Niere aus. Finden sich nur einige iso¬
lierte Herde im Nebenhoden, so genügt die alleinige Entfernung
der erkrankten Stellen mit Betupfung mit Formalin (5 proz.L Sind
zu gleicher Zeit auch Vesic. seminales und Prostata leicht er¬
krankt, so operiert er nicht. Bei schwerer Erkrankung (Ver¬
eiterung) eines Hodens ohne Beteiligung anderer Organe soll der¬
selbe entfernt werden; sind andere Organe erkrankt, so wird ex-
spektativ behandelt. Bel alleiniger Erkrankung beider LToden
müssen beide entfernt werden, doch erfolgen leicht psychische
Störungen. Besteht gleichzeitig Lungentuberkulose, so soll auch
die kleinste Operation unterbleiben. Eine chirurgische Behandlung
der Blasentuberkulose ist meist nicht indiziert, weil erfolglos.
N. Senn- Chicago betont die Wichtigkeit einer roborierenden
Allgemeinbehandlung vor, neben und nach etwaigen Operationen.
Jodoform ist von grossem Nutzen, da es die Phagocytose anregt.
Sind beide Hoden erkrankt, so verweigert er die Operation. Bei
Nierentuberkulose legt er die Niere frei und wäscht das Innere
und das Becken mit .Todchlor aus. Valentine- New-Yovk be¬
tont die Notwendigkeit der Prophylaxe. Da Tripper sehr zu Tuber¬
kulose disponiert, so sollen die Gonorrhöen sorgfältiger behandelt
werden, wie das bisher geschieht. Murphy hat von der chi¬
rurgischen Behandlung der Blasentuberkulose keinen Nutzen ge¬
sehen. die Tuberkulose des Hodens behandelt er mit Auskratzungen
und Jodoform. Jordan L 1 o y d - Birmingham betont, dass das
Genitalsystem und das Urinsystem seine eigene Tuberkulose habe,
die erst spat von einem System auf das andere übergreife. Er
hält primäre Tuberkulosen der Samenblasen oder der Prostata
für nicht sehr selten und empfiehlt die Entfernung dieser Organe
vom Damme aus. Das Urinsystem wird fast immer von der Niere
aus infiziert. M a c e w e n - Glasgow spaltet die Epididymis, kratzt
alle Herde aus. appliziert Jodoform, vernäht die Epididymis und
schliesst die Hautwunde ohne Drainage. In leichten Fällen macht
er nur Jodoforminjektionen. Das Vas deferens entfernt er mög¬
lichst. hoch oben, die Samenbläschen exzidiert er vom Damme aus.
Bei der Blasentuberkulose haben alle Operationen nur palliativen
Wert. Rutherf ord-Morison - Newcastle bekämpft den
Pessimismus der Vorredner, er entfernt auch bei weitgehender
Verbreitung der Genitaltuberknlose den Hoden. Von Jodoform hat
er bei keiner Form der Tuberkulose den geringsten Nutzen gesehen.
F. A. South am hält es für ganz erlaubt, beide Hoden zu ent¬
fernen, psychische Störungen sind selten; bei der Kastration
wegen Prostatahypertrophie sind sie ja häufig, doch handelt es
sich dabei um alte Leute, während- die Tuberkulösen meist im
besten Mannesalter stehen.
Dann sprach E. Owen- London über die Behandlung der
chronischen Pankreatitis durch den Bauchschnitt. Tn 2 Fällen,
in denen nur eine Probelaparotomie gemacht worden war, ver¬
schwanden alle Symptome, besonders auch der Ikterus, so dass
3 erf. eine spontane Heilung dieser Krankheit für möglich und
wahrscheinlich hält; ähnliche Fälle werden von mehreren An¬
wesenden erzählt.
^ Rushton Parker- Liverpool empfiehlt auf Grund von über
300 Operationen die frühzeitige und gründliche Entfernung der
tuberkulösen Lymphome. Redner hält jede andere Behandlung
für unzureichend und nutzlos und scheut auch vor den grössten
Eingriffen nicht zurück, wenn er nur alles Krankhafte entfernt.
(Ob er das in den meisten Fällen kann, ist doch sehr fraglich. Ref.)
Dann sprach Mc Adam E e c 1 e s - London über den Wert
des retinierten Hodens. Nur sehr selten, vielleicht nie kommt
ein im Leistenkanal zurückgehaltener Hoden dazu, Spermatozoon
zu produzieren. Auch nach der Befestigung im Hodensack durch
Operation erreicht er fast nie diese Fähigkeit. Redner empfiehlt
trotzdem im allgemeinen nicht die Entfernung bei Hernienopera¬
tionen (Hernien komplizieren den Zustand überaus häufig), son¬
dern rät an, den Hoden in die Bauchhöhle zu schieben; es besteht
keinerlei Gefahr, dass der im Bauche befindliche Hoden später
bösartig entartet. (Diese Operation wurde, soweit. Ref. bekannt,
schon vor mehreren Jahren, z. B. von K r a s k e, ausgeführt und
ist durchaus nicht neu.)
Rutherford M o r i s o n zeigte dann seine Inzision zur Frei¬
legung des Gallensystems. Dieselbe durchsetzt den ganzen rech¬
ten Rektus transversal und gibt guten Zugang. Unter 43 Fällen
trat nur 1 mal später ein Bruch in der Narbe auf.
Am 1. August hielt Freyer - London einen Vortrag über die
totale Exstirpation der Prostata von der Blase aus. Wir über¬
gehen Redners Polemik gegen diejenigen, welche (und wohl mit
Recht. Ref.) bezweifelt haben, dass man die Prostata mit ihrer
Kapsel ohne Störung der Venen und der Samenleiter entfernen
kann. Redner hat jedenfalls den grössten Teil der Prostata im
letzten Jahre in 21 Fällen entfernt und nur 2 Fälle verloren (1 am
24. Jage an akuter Manie, 1 am 9. Tage an plötzlicher Herz-
lälunung), die übrigen 19 Fälle konnten mit vorzüglichem funk¬
tionellen Resultate entlassen werden. In einzelnen Fällen gelingt
es, die Prostata in toto zu entfernen ohne Verletzung der Urethra
und der Duct. ejacul. ; in anderen werden die Seitenlappen jeder
für sich entfernt, aber zugleich die Harnröhre durchgerissen und
zum Teil mitentfernt, auch werden hierbei die Duktus zerrissen;
aber auch in diesen Fällen traten keinerlei unliebsame Störungen
auf. Alexander - New-York zeigte an prächtigen Photo¬
grammen die anatomischen Verhältnisse der Prostata und ihrer
Kapsel. Praktisch wichtig ist besonders, dass der Teil der Drüse,
welcher unter und hinter den Duct. semin. liegt, niemals Obstruk¬
tionserscheinungen hervorruft, sondern nur der Teil, welcher ober¬
halb der Urethra liegt. Der sogen. Mittellappen, in welchem
übrigens mit Vorliebe Karzinome sich entwickeln, ist stets ein
Auswuchs eines Seitenlappens. Er selbst entfernt die Prostata
häufig, aber nur vom Damm aus. Auch Parker S y m s - New-York.
der früher von der Blase her operiert hat. ist zur Dammroute
zurückgekehrt, die er in 21 Fällen mit glänzendem Erfolge be¬
treten hat. Er zeigt eine Art Kolpeurynter, der in der Blase auf¬
gebläht wird und welcher die Prostata nach abwärts drängt und
die Blutstillung erleichtert. Reginald H a r r i s o n - London hat
die Operation von der Blase aus 7 mal ausgeführt. 5 mal mit gutem
Erfolge. M a cewen - Glasgow ist zur perinealen Route zurück¬
gekehrt: er drainiert in einer Voroperation die Blase vom Damm
aus, die Prostata schrumpft darnach gewöhnlich und lässt sich
leicht in einer zweiten Sitzung ausschälen.
D a 1 z i e 1 - Glasgow berichtete über 30 Fälle von Gastro¬
enterostomie wegen gutartiger Erkrankung des Magens und Edo-
b o h 1 s - New-York empfahl bei chronischer Nierenkrankheit die
Niere freizulegen und ihre Kapsel in weitem Umfang abzulösen.
Abteilung für innere Medizin.
Am 30. Juli eröffnete Clifford A 1 1 b u 1 1 - Cambridge eine
Diskussion über die Ursachen, die Diagnose und die Behandlung
der Magenerweiterung. Nach einer eingehenden Würdigung der
Verdienste Kuss m a u 1 s schlug Redner vor, die Diskussion
hauptsächlich auf die atonische, nicht obstruktive Form der
Magenerweiterung zu beschränken. Was die akute Magenerwei¬
terung anlangt, so glaubt er, dass dieselbe dadurch zu stände
kommt, dass der schon etAvas erweitei’te Magen den Darm, an der
TJebergangsstelle von Duodenum und Jejunum komprimiert. Die
Ursachen der chronischen Eiuveiterung. ihr Zusammenhang mit
Gastroptosis und Krankheiten anderer Organe wird ausführlich
betont und dann mitgeteilt, dass die Diagnose eigentlich nur durch
die Magensonde gestellt werden kann. Wie Redner dann weiter
ausführt, ist diese Methode aber bei englischen Privatpatienten
kaum ausführbar (doch nur, AAreil die Aerzte sich nicht die Mühe
geben, die Kranken von der Notwendigkeit der Prozedur zu über¬
zeugen. Ref.). Ein fastender normaler Magen enthält stets 20 bis
30 ccm klarer Flüssigkeit; Mengen, die 100 ccm überschreiten, sind
sicher abnorm, auch darf der Saft keine als solche erkennbaren
Speisereste enthalten. Die Behandlung besteht wenn möglich in
Anwendung der Magensonde, in Regelung der Diät mit Vermei¬
dung von Flüssigkeiten: hydrotherapeutische Massnahmen sind
empfehlenSAvert. ebenso die Verabreichung von Papain. Ruhe vor
und nach dem Essen ist nötig. Bei mageren Personen ist oft eine
Mastkur erfolgreich.
N. Bardswell-Banchory betont die Häufigkeit, mit derTuber-
kulöse an Magenerweiterung erkranken; erwarnt deshalb vor der in
Sanatorien üblichen Ueberernährung, Aron der er häufig schlimme
Folgen gesehen hat. Rroadbent - London spricht über Blu¬
tungen aus dilatierten Magen ohne weitere erkennbare Ursache
und empfiehlt, die Erweiterung mit Sulphokarbollösungen Abends
auszuspülen.
Murser - Baltimore und S a v i 1 1 - London snrachen über
diagnostische Aufblähung des Magens, letzterer empfiehlt das sog.
Salisbury regime zur Behandlung. Der Kranke bekommt
dabei nur rohes Fleisch zu essen und darf während der Mahlzeiten
nichts trinken. Für sehr wichtig hält er die Galvanisation der
N. hypogastricJ. Obwohl sich die Diskussion durch die Beteiligung
A'ieler Redner recht lange hinzog, kam doch für den Fremden
nichts von Bedeutung zum Vorschein.
Dann sprach Mitchell B a n k s - Liverpool über die Behand¬
lung der Magenerweiterung durch Gastroplikation, Er empfiehlt
ein 6 Zoll langes und 3 Zoll breites Stück aus der vorderen Magen¬
wand zu entfernen. Ein von ihm 1899 so operierter Fall ist bisher
gesund geblieben.
Carl v. Noorden - Frankfurt hielt einen Vortrag über die
diätetische Behandlung der chronischen Schrumpfniere.
Er ist auf Grund genauer Stoffwechselversuche zur Ueber-
zeugung gekommen, dass bei akuten Nierenkrankheiten stickstoff¬
haltige Nahrung nur in geringen Mengen gegeben werden darf,
dass man dagegen bei chronischen Erkrankungen ziemlich grosse
Mengen geben darf und muss. Wasser darf bis zu 1500 ccm per
Tag getrunken werden, mehr Flüssigkeit ist des Herzens wegen
nicht erlaubt. Rotes Fleisch darf ebensogut gegeben Averden Avio
weisses; Behandlupgen in Karlsbad und Marienbad wirken direkt
schädlich. Im allgemeinen sind derartige Kranke am besten in
einem Sanatorium aufgehoben.
Am 31. Juli sprach B u z z a r d- London über die Differential-
diagnose zwischen funktionellen und organischen Lähmungen.
3554
MUENCJIENER MEHICTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
MorkAviirdigerAvoise begann Redner seine Ausführungen mit
der Behauptung, dass kontinentale Autoren den Ausdruck ..funk¬
tionelle“ Störungen so gut wie gar nicht kennen, sondern dieselben
immer als ..hysterische“ bezeichnet en. Stets sind die dia¬
gnostischen Schwierigkeiten sehr gross; selten oder nie wird bei
funktioneller Hemiplegie das Gesicht mitbetroffen. Charakte¬
ristisch ist auch der Gang der Kranken. Boi Armlähmungen ist
folgendes Symptom von Bedeutung: Bei funktionellen Kontrak¬
turen gelingt es. in einer Bewegung den Arm, die Hand und
die Finger zu strecken; dies ist hei organischen Kontrakturen
unmöglich. Bei Lähmungen der unteren Extremitäten ist Ba¬
li i n s k i s Zehenphänomen von grosser Bedeutung, sein Vor¬
handensein spricht mit Sicherheit für eine organische Läsion.
Wichtig ist auch, dass hei funktionellen Lähmungen der Patellar-
reflex gar nicht oder doch nur sehr schwer ausgelöst werden kann.
Ueberaus häufig werden die ersten Symptome der multiplen
Sklerose (massige und vorübergehende Lähmungen einer Extremi¬
tät) fälschlich als hysterische gedeutet, ein Umstand, der von
Broadbent bestätigt wird. .Tudson B u r y - Manchester hält
B a. b i n s k i s Boflex durchaus nicht für ausschlaggebend, da er
auch bei funktionellen Störungen beobachtet wird. Reynolds-
Manchester weist auf die grosse Zunahme der funktionellen Er¬
krankungen resp. der Simulation hin, die sich seit Einführung der
Arbeiterentschädigungsgesetze auch in England bemerkbar macht.
Mott- London glaubt, dass die von ihm angegebene Cholin-
analvse des Blutes wohl zur Differentialdiagnose verwendbar sei.
Bei Zerstörung von Nervensubstanz wird das Cholin vermehrt,
man muss 5 — 10 ccm Blut abzapfen, dies wird mit der 8 fachen
Menge Alkohol behandelt, um die Kaliumsalze auszufällen: die
übrigbleibenden Cholinkristalle werden mit Alkohol ausgewaschen.
Farves S t e w a r t - London legt, grosses Gewicht auf die Stellung
der gelähmten Glieder, die bei organischer Lähmung natürlich be¬
stimmten anatomischen Gesetzen gehorcht, bei funktioneller jedoch
mehr weniger willkürlich. Eine Beihe schöner Projektionsbilder
illustrieren das Gesagte. M a c C o r m a c - Belfast sprach be¬
sonders noch über die Augenlähmungen und betonte ausserdem,
dass bei organischen Erkrankungen, besonders bei disseminierter
Sklerose, nicht so selten auch funktionelle Symptome vorhanden
sind. Dreschfeld - Manchester hat Babinskig Reflex nie
bei Hysterischen gefunden, wohl aber bei anderen Erkrankungen,
wie solchen des Nervensystems, z. B. bei Skorbut. Immerhin be¬
deutet er ein wichtiges differentialdiagnostisches Symptom. Dann
sprach Hastings G i 1 f o r d - Reading über Infantilismus und
Senilismus, worunter er eine zu späte, resp. zu frühe Entwicklung,
namentlich auch der Geschlechtsfunktionen versteht. Weitere Vor¬
träge von Poynton und Pa ine über die Bakteriologie der Arthri-
1 is rlieumatica. von Cliowry-Mut h u über Sanatoriumsbehand¬
lung der Phthisiker und von Campbell- London über seltenere
Formen der Basedo w sehen Krankheit seien nur kurz erwähnt.
Abteilung für Pathologie.
Am BO. .Tuli eröffnete W. M o 1 1 - London eine Diskussion über
die Pathologie der Nervendegeneration. Bedner beschränkte sich
liaupsäehlieh auf den chemischen Teil der Frage. Er hat gefunden,
dass nach Durchschncidung des N. iscliiadicus der Plioshorgelialt
des Bückenmarkes umgekehrt proportional zur Färbefähigkeit des
Markes mit M a r c h i scher Lösung schwankt. Er schliesst daraus,
dass das Lecithin des normalen Nervengewebes in Fett und
Glyzerinphosphorsäure gespalten wird. Im Liquor cerebrospinalis
tritt dann Cholin auf. Bei allgemeiner Paralyse, Beri-Beri und
anderen Nervenkrankheiten ist der Cholingehalt des Blutes erhöht
und schlägt Bedner vor. diesen Umstand als differentialdiagnosti¬
sches Symptom zwischen organischer und funktionaler Erkran¬
kung des Nervensystems zu benutzen. (Siehe auch unter Ab¬
teilung für Medizin. Bef.) Der Stimulus, der von den Nerven¬
zellen ausgeht, ist von Wichtigkeit bei der Degeneration der
Nervenzellen: durchschneidet man die hinteren Wurzeln, so re¬
generiert sich der Nerv weniger rasch. Die Zellen des Neuri-
leinmas sind seiner Meinung nach wichtige Faktoren bei der De¬
generation der Achsenzylinder.
Purves Stewart- London demonstriert zahlreiche Prä¬
parate zur Regeneration durchschnittener Nerven. Stets treten
im distalen Ende degenerative Veränderungen auf, auch wenn es
direkt an das zentrale genäht wurde. Primäre Vereinigung ohne
Degeneration gibt es nicht. Auch das proximale Segment degene¬
riert in seinem äussersten Ende. Redner beschreibt dann genau
die Vorgänge bei der Bildung neuer Nervenfasern und betont die
grosse Bedeutung der Zellen des Neurilemmas bei der Neubildung
der Achsenzylinder und der Markscheiden. Im distalen Segment
eines durchschnittenen Nerven gehen dieselben Vorgänge einher,
nur erreichen hier die neugebildeten Nervenfasern nicht ihre ATolle
Reife. Redner wendet sich auf Grund seiner Studien gegen die
Neurontheorie Waldeyers, die er durch die Fibrillentheorie
A p A t h y s ersetzen will. Von grosser Wichtigkeit ist das
Zentralnervensystem, da ohne die von ihm ausgesandten Reize
die neugebildeton Fasern des distalen Endes nie zur Reife kommen.
Sh er rington und H o r s 1 e y, die ebenfalls in die Diskussion
eingriffen. verteidigten die Neuronlehre.
W ar ring’ ton - Liverpool sprach dann über die Anatomie
des Nervensystems bei einem Falle von afrikanischer Lethargie
(Schlafkrankheit). Es handelte sich in den von ihm untersuchten
Fällen um eine subchronische Leptomeningitis. Ueberall im Ge¬
hirn fand sich perivaskuläre Rundzelleninfiltration. Mikroorganis¬
men konnte er nicht finden.
Am 31. .Tuli sprach W oodhead - Cambridge über den Platz
der bakteriologischen Diagnose in der Medizin. Der Vortrag be¬
rücksichtigte namentlich die Diphtherie und war gegründet auf
BO (100 Untersuchungen bei 12172 Kranken, die Redner während
der letzten 3 Jahre ausgeführt hat. Nach seinen Beobachtungen
glaubt Bedner. dass Fälle, bei denen die langen Diphtheriebazillen
gefunden werden, Adel gefährlicher sind als solche, bei denen die
typische Form vermisst wird. Fanden sich die langen Bazillen
in Reinkulturen, so fand man eine Sterblichkeit von 21.4 Proz.,
bei Anwesenheit von langen und kurzen betrug die Mortalität
20 Proz., bei kurzen und atypischen Bazillen 18 Proz.. bei irregu¬
lären Formen allein 17,3, bei alleiniger Anwesenheit kurzer Ba¬
zillen sank die Mortalität auf 3 Proz. In Mischinfektionen mit
Streptokokken hatten die langen Diphtheriebazillen e'ne Sterblich¬
keit von 24,5. die kurzen eine solche von 10.4 Proz. Bei Misch¬
infektionen mit Staphylokokken hatten die langen eine Sterblich¬
keit von 42,5, die kurzen eine solche von 11,9 Proz. W o odhe a d
empfiehlt dringend, die Absonderung für Diphtheriekranke auf
mindestens 9 Wochen zu verlängern, da in seltenen Fällen sogar
noch nach dieser Zeit Diphtheriebazillen gefunden werden.
Der nächste Vortrag von F i r t h und Horrocks handelte
über die Lebensfähigkeit von Typhusbazillen im Boden und auf
Kleidungsstücken. Die Bedner haben gefunden, dass sich Typhus¬
bazillen wenigstens 18 Zoll tief in festliegende Erde waschen lassen
und dass sie darin bis 74 Tage am Leben bleiben. Die Lebens¬
dauer im Boden hängt ausschliesslich von der Feuchtigkeit des¬
selben ab und nicht etwa davon, ob er verunreinigt ist oder nicht.
Tn Torfboden stirbt der Bazillus sofort. Es fand sich ferner, dass
Typhusbazillen leicht durch die Luft von trockener Erde oder
Sand AA'eit himveggeführt werden konnten. Ferner liess sich fest-
stellen. dass noch am 87. Tage lebende Typhusbazillen von Uni¬
formsstücken (Khaki und Serge) gezüchtet werden konnten. Zum
Schlüsse weisen die Redner darauf hin. dass auch die gewöhnliche
Hausfliege Typhusbazillen verschleppen kann, und zwar passieren
dieselben nicht durch ihren Verdauungskanal, sondern haften am
Körper der Fliege. Es gibt also ausser dem Wasser noch eine
Reihe von anderen Verbreitungs wegen des Typhus, die namentlich
auch in Feldzügen zu berücksichtigen sind.
Abteilung für Kinderkrankheiten.
Am 30. .Tuli eröffnete R o t c h - Harvard University eine Dis¬
kussion über die Veränderungen der Milch in der Säuglings¬
ernährung. Er verlangt, dass die Milch nicht nur von gesunden
Tieren stamme, sauber aufgefangen und unverfälscht und ohne
Verunreinigung dem Säugling zugeführt werde, sondern er ver¬
wirft auch die bisher meist übliche Mischung der Milch durch
Mutter oder Pflegerin. Er verlangt die Einrichtung bestimmter
Milchlaboratorien, die im Zusammenhang mit Kuhställen stehen
und in denen die Milch genau analysiert und nach Rezeptur des
Arztes für jedes Kind täglich gemischt wird. In Amerika haben
die Gordon Walker-Laboratorien, die diesem Zwecke dienen, sich
durchaus bewährt. Die Milch wird hier nicht nur verdünnt, son¬
dern auch nach Wunsch des Arztes mit Fett, Zucker, Kasein etc.
versetzt, um jedem Falle gerecht zu werden. Baginsky-
Berlin teilt mit, dass er ähnliche Einrichtungen in Deutschland
ins Leben gerufen hat und mit ihnen sehr zufrieden ist.
H. de Rothschild- Paris hält derartige Laboratorien für
überflüssig, da die Mutter unter Leitung des Arztes alles Nötige
zuhause machen könne; auch Pritchard - London schliesst sich
dieser Meinung an, er hat das Gordon Walker-Laboratorimn in
London versucht, findet es aber für praktische Zwecke Adel zu
teuer. Northup - New-York verteidigt dagegen vom Stand¬
punkt des praktischen Arztes die Laboratorien auf das lebhafteste.
31. .Tuli. H. S t i 1 e s - Edinburgh sprach über die Chirurgie
des Zentralnervensystems im Kindesalter. Während bei Spina
bifida und Meningocelen schöne Erfolge erzielt wurden, hat die
Behandlung des Hydrocephalus internus congenitus, sowie des
M ikrokephalus bisher keine Erfolge gezeitigt. Auch die tuber¬
kulöse Meningitis sollte nicht operiert werden, die Meningitis
basilaris posterior Avird dagegen häufig durch Lumbal- oder Ven¬
trikelpunktion resp. durch Ventrikeldrainage günstig beeinflusst.
Bei Drucklähmungen (Abszess) bei Spondylitis muss man die
Laminektomie machen. Bei Epilepsie kann man nur dann Er¬
folge hoffen, wenn man durch Entfernung eines Teiles der Dura
ein dauerndes Ventil schafft. Thelwall Thom a s - Liverpool
glaubt, dass durch systematische Kollodiumbepinselung von Spina
bifida viele Operationen vermieden werden können; auch Dun-
Liverpool hat Adele Fälle spontan heilen sehen. Er verwirft
übrigens die Injektionen mit .Tod und empfiehlt die Exzision. Bei
Meningitis, ausser bei der tuberkulösen Form, hat er bei direktem
Eingehen in die Seitenventrikel öfters Erfolge gesehen. Bei Hydro-
kephalus empfiehlt er dauernde Drainage nach aussen. Verschie¬
dene Orthopäden sprachen dann noch über die Behandlung der
Spondylitis mit portablen Apparaten.
Abteilung für Hautkrankheiten.
30. Juli. Der Sekretär der Sektion Dr. Lancashire las
einen Vortrag des leider am persönlichen Erscheinen A’erhinderten
Dr. F r e und- Wien über die Behandlung der Hautkrankheiten
durch Licht und Elektrizität. Freu n d ist zu der Ueberzcugung
gekommen, dass alle diese Methoden auf derselben physikalischen
Grundlage beruhen und dass die Wirkung der Strahlen auf den
Körper gerade AA'ie bei chemischen Substanzen von der Dosierung
abhängig ist. Tn schwachen Dosen befördern die Strahlen or
16. September 1902.
MITENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1555
gallische Vorgänge, wie das Wachsen der Haare etc., in stärkeren
setzen sie die Lebensfähigkeit herab und erzeugen Entzündungen
I,le, Ohmschen Wirkungen aller lichttherapeutischen Methoden
sind ähnlich die physiologischen stehen in direktem Verhältnis
zur Intensität der Bestrahlung und im umgekehrten zur Wellen¬
länge. , i ome von hoher Frequenz wirken nur durch die Funken¬
entladungen und sind der Lichttherapie zuzuzählen. Sie sind von
.Nutzen bei Pruritus und Lupus erythematodes. Röntgenstrahlen
sind von Erfolg bei Herpes tonsurans, Favus, Sykosis und Ilyper-
Ä h; überall da, wo es sich um Entfernung von Haaren
handelt, bakterizide Wirkung besitzen sie nicht. Gegen Lunus
vulgans wirken Röntgenstrahlen und Finsens Methode gleich
gut, die Behandlung dauert etwa gleich lange und der kosmetische
Ei folg ist derselbe. Redner empfiehlt, zuerst die grossen Flächen
nach Röntgen zu behandeln, zurückbleibende kleinere Herde
nach L insen Hie ultraviolette Lampe hat die Finseulampe
noch nicht verdrängen können, da letztere eine grössere Tiefen¬
wirkung entfaltet.
S eq u ei ra- London hat SU Fälle von Ulcus rodens mit
Rontgenstrahlen behandelt und 34 geheilt, die übrigen sind meist
noch unter Behandlung, Rezidive bei zu frühem Aussetzen der
Behandlung sind häufig, lassen sich aber stets durch erneute Be¬
strahlung beseitigen. Trotz dieser guten Erfolge empfiehlt Verf.
,Z1U1’ Exzision geeigneten Fälle mit dem Messer zu behandeln
\\ irkliche Epitheliome werden zuweilen ebenfalls durch die Be¬
strahlung günstig beeinflusst, Drüsenmetastasen aber nicht Re¬
zidivknoten in der Haut nach Mammaamputationen weichen oft
dei' Bestrahlung. Lupus wird temporär geheilt durch die
X-Strahlen, doch sind häufige Rezidive zu erwarten. Lupus ery¬
thematodes wird gar nicht beeinflusst. Häufig bleiben nach der
Röntgenbestrahlung hässliche Teleangiektasien der Haut zurück
S. E. Höre- London hat mit Malcolm Morris 2 Jahre lang
in grossem Masstabe die Finsenbehandlung geprüft. Er warnt
vor Ueberschätzungen des Wertes dieser Methode. Betupfung der
Steilen mit Pyrogallol oder Hydrarg. nitr. erhont die Wirksamkeit
der Strahlen bedeutend. Blaue Strahlen sind wirksamer als ultra¬
violette. Auch M c L e v i - London empfiehlt die Betupfung der
zu bestrahlenden Stellen, er empfiehlt reine Karbolsäure, schwache
Jodlösung mit Eisessig und 1 proz. Lösung von Kal. permang. Er
wie auch Pli. S. Abraham- London haben Nutzen von der
L liisenbehandlung und den Röntgenstrahlen bei Lupus erythema¬
todes gesehen. Norman Walker ist enttäuscht über die Licht¬
behandlung des Lupus, hat aber von Röntgenstrahlen grossen
Nutzen gesehen; auch bei Ulcus rodens, das in geeigneten Fällen
exzidiert werden sollte, haben sich die Röntgenstrahlen bewährt
\\ 1 1 d - Manchester spricht über die Gefahren der Röntgenbestrah¬
lung, er sah unter anderem Panophthalmitis auftreten.
tarnet und Radcliffe Crocker - London berichten über
ihre Erfahrungen mit Tuberkulin (T. R.) in der Behandlung
des Lupus vulgaris. Wenn das Mittel auch besonders bei den
ulzerösen Formen junger Leute manchmal gut wirkt, so versagt
es doch bei anderen Formen sehr häufig; auch ist es sehr teuer,
langwierig in der Anwendung und schmerzhaft, weshalb von seiner
Anwendung abgeraten wird.
Abteilung für Pharmakologie.
30. Juli. Sir Lauder Brunton - London eröft'nete eine Dis¬
kussion über die Nebenwirkungen der Arzneimittel, sowie über
Toleranz und Idiosynkrasie. Aus -dem recht interessanten Vor¬
trage, der sich naturgemäss zu einem kürzeren Referate nicht
eignet, sei nur folgende, von Brunton sehr gelobte Behandlung
der Appendizitis hervorgehoben. Er gibt 2 stündlich Natr. salicyl.
m Dosen von 1,0 und 10 bis 15 Tropfen Tinct. Belladonnae. Beide
Mittel sind so lange zu nehmen, bis die ersten Symptome auf¬
treten, also Ohrensausen und Trockenheit des Mundes, Erweite¬
rung der Pupillen und Pulsbeschleunigung. Treten diese Zeichen
auf, so ist das betreffende Mittel auszusetzen oder sehr zu ver¬
mindern.
Am 31. J uli sprach Ralph Stockmann - Glasgow über den
therapeutischen Wert des Arsenik und seine toxischen Neben-
Wirkungen. Redner sowmhl wie die übrigen in die Diskussion
eingreifenden Aerzte sprachen besonders über die im vorigen
Jahre in Manchester beobachteten massenhaften Fälle von
Arsenikvergiftungen durch Bier und raten, bei Verabreichung von
Arsenik sorgfältig auf die ersten Anzeichen einer drohenden" Ver¬
gütung zu achten, da schwere Symptome oft sehr rasch und un¬
vermutet auftreten.
Dann sprach Nestor T i r a r d - London über die lokale und
allgemeine Behandlung der Diphtherie. Redner gibt zuerst inter¬
essante Ausweise über den Widerstand, den die Serumbehandlung
auch heute noch in England antrifft. Zahlreiche Fanatiker und
Antimenschen, sowie religiöse Narren machen es sich zur Aufgabe,
den Wert dieser Behandlung herabzusetzen oder sie als sündhaft
und der Bibel widersprechend zu bezeichnen. Auch die Aerzte
haben namentlich in den ärmeren Gegenden noch immer die Nei¬
gung, die Kinder erst dann in die Spitäler zu schicken, wenn es
zu spät ist, selbst aber das Serum nicht anzuwenden. Trotzdem
hat, auch in England die Serumbehandlung grosse Erfolge aufzu¬
weisen. Redner spricht dann noch über die Intubation, die er der
Tracheotomie weit vorzieht.
Abteilung für Hygiene und Gewerbekrankheiten.
Am 30. Juli eröft'nete King A 1 c o c k - Burslen eine Dis¬
kussion über den Wert systematischer Untersuchungen von Ar-
u ,nf lo Pffhrlic.hen Betrieben. Die Diskussion berücksicli-
dim (1° V ^lilltlnisse iu deu grossen Töpfereien und
den hier auttietenden Plumbismus. Nach Ansicht fast aller
Redner ist es unvermeidlich, dass jeder Arbeiter eine gewisse
Menge Blei wahrend der Arbeit absorbiert. Pflicht des Ai^tes ist
<vv,:,.,(|hLV.UI( : |Zn1 ,di'S,S dle Sicherheitslinie nicht überschritten
»xdohHlete Individuen sind sofort zu entlassen. Bond-
loole untersucht m seinem Distrikte alle Frauen und jungen Per¬
sonen 1 mal monatlich. Kolik und Magendarmstörungen kommen
viel mehr bei Anstreichern wie in Töpfereien vor; hier ist besonders
aut etwaige Schwangerschaft und auf Anämie zu achten Bei
diesen anämischen Mädchen sind regelmässige Blutuntersuchungen
notig und bei zunehmender Anämie ist die Arbeit auszusetzen,
iut man dies nicht, so wird mau nicht selten Fälle erleben, wo
Mädchen ohne bedeutende Symptome zu zeigen, plötzlich bewusst¬
los werden und sterben. Der Bleisaum fehlt sehr häufig und
zwar nicht nur bei zahnlosen Individuen. Prophylaktisch empfiehlt
er täglich Schwefel innerlich zu geben. Auch andere Redner be¬
tonen die Wichtigkeit periodischer Blutzählungen, Y o u n <*■ -
Liverpool auch für die Phosphorindustrie. Oliver- NewcastFe
dlf Häufigkeit der akuten explosivartig auftretenden
1 odestalle durch Bleivergiftung betont, empfiehlt neben sorgfälti¬
ger üeberwachung durch den Arzt besonders bessere Ventilation
und Beseitigung des Staubes in den Töpfereien; dann das Tragen
von Respiratoren, Abwechslung in der Beschäftigung, gute Er¬
nährung und sofortige Entfernung von der Arbeit" wenn Zeichen
der Vergiftung auftreten.
D e a r d e n - Manchester spricht dann noch über die Ge-
werbekrankh eiten der Färber mit Anilinfarben.
Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie.
30. Juli. G a 1 a b i n - London eröffnet eine Diskussion über
die moderne Indikation zum Kaiserschnitt. Nach Betonuiw der
überaus ungleichen Statistiken über die mütterliche und kindliche
Sterblichkeit des Kaiserschnittes sowie der übrigen bei Geburts¬
hindernissen angewendeten Methoden kommt Redner zu dem
Schluss, dass die Sterblichkeit der Mütter bei der Embryotomie
ungefähr doppelt so hoch ist wie beim Kaiserschnitt, und dass letz¬
terer deshalb stets zu empfehlen ist, wenn ein mit der Baucli-
chirurgie vertrauter Arzt zu haben ist. Für den praktischen Ar/.,
kommt meistens nur die Embryotomie in Frage. Kastriert soll nur
bei gleichzeitiger Anwesenheit eines Fibroms oder eines malEnon
Tumors werden. Bei Plazenta priivia ist der Kaiscrschnitt”nur
indizieit, \\ enn gleichzeitig Eklampsie auftritt, bei der sogen, ver¬
borgenen accidentellen Blutung ist der Kaiserschnitt oft indiziert.
Murdoch Cameron sprach über seine eigenen Erfahrungen an
oO Kaiserschnitten. Er empfiehlt, durch Andrücken eines Pessars
an den Uterus die Blutung zu verringern und die Uteruswunde mit
Ivatgut zu nähen. Er fügt stets die Kastration durch Resektion der
Tuben hinzu. Munro K e r r empfiehlt bei konservativem Kaiser¬
schnitt die Fundusinzision nach Fritsc h, während Spencer -
London davor warnt, da es leicht zu Verwachsungen der Narbe
mit Eingeweiden kommt. Im allgemeinen waren die schottischen
Redner ziemlich konservativ, sie wollen nur dann operieren, wenn
die Konjugata weniger wie 2% Zoll beträgt. Die gleichzeitige
Sterilisation verwerfen sie. Die Einleitung der künstlichen Früh¬
geburt halten sie im allgemeinen, namentlich in der Hospital¬
praxis, für sehr gefährlich.
Spencer- London spricht über abdominale Hysterektomie
bei Fibromen. Er hat 14 mal nach Doyens Methode operiert und
empfiehlt diese Methode als die beste. Man soll übrigens stets die
Totalexstirpation machen, da in der zurückbleibenden Zervix sich gar
nicht so selten maligne Geschwülste bilden. Kleinere Geschwülste
enukleirt er von der Scheide aus. Die Diskussion beschäftigte sich
vor allem mit der Frage, ob es ratsam sei, die Scheidenwunde zu
schliessen oder nach der Scheide zu drainieren. Eine Einigung
über diese Frage wurde nicht erzielt.
Am 31. Juli demonstrierte Curatulo - Rom ein Spekulum
zur Behandlung der Frauenkrankheiten mit Eicht. Dann sprach
Harrison - New-York über die Aetiologie, Diagnose und Be¬
handlung der Extrauterinschwangerschaft. Obwohl das Vor¬
kommen von Ovarialgravidität erwiesen ist, kommen praktisch
eigentlich nur die Tubenschwangerschaften in Betracht. Ihre
Aetiologie ist noch dunkel, auch ist noch unsicher, ob eine Dezidua
in der Tube gebildet wird. Ruptur ist nicht das gewöhnliche Ende
der Schwangerschaft, der Fötus geht vielmehr häufig viel früher
zu Grunde. Kann man die Diagnose vor dem Tode des Fötus
machen, so entferne man den Sack vom Bauch aus. Bei Hämato-
cele verhalte man sich abwartend. Bei Ruptur mit schwerem
Kollaps operiere man sofort. Tubenaborte sind sehr häufig, Rup¬
turen dagegen ziemlich selten. In der Diskussion nahmen die An¬
wesenden im allgemeinen einen ziemlich aktiven Standpunkt ein.
Eine diagnostizierte Tubenschwangerschaft ist vom Bauche aus
zu entfernen, auch bei Hämatocelen warte man nicht zu lange,
sondern entferne sie von der Scheide aus. Sehr empfohlen werden
grosse Dosen von Strychnin (35 Tropfen des Liqu. Stryclmb und
Koehsalzinfusionen vor und während der Operation eines geplatz¬
ten Sackes.
J ardine - Glasgow hielt dann einen Vortrag über den Ge¬
brauch des Chlorkaliums bei Fällen von habituellem Absterben
des Fötus in den späteren Schwangerschaftsmonaten. Er gibt
3 mal täglich 0,8 und hat trotz regelmässiger Anwendung für
6 Monate keine üblen Nebenwirkungen gesehen. Der Erfolg
No. 37.
1556
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
scheint ein guter zu sein. Mehrere Anwesende, die auf Rat von
S i m p so n das Mittel versucht haben, halten es für völlig nutzlos.
De-r nächste Vortrag handelte über die Eklampsie als eine
Folge mangelhafter Schilddrüsentätigkeit und die Behandlung
mit Thyreoidin. Nicholson- Edinburgh glaubt, dass die
Schilddrüse einen Stoff ausscheidet, der zur Erhaltung eines nor¬
malen Stoffwechsels unbedingt notwendig ist. M ährend der
Schwangerschaft wird mehr von diesem Stoff verbraucht und die
Schilddrüse hypertrophiert um den gesteigerten Anforderungen
entsprechen zu können. Manchmal versagt sie nun m der
Schwangerschaft und es treten toxische Substanzen m das Blut
über und erzeugen den eklamptischen Anfall. Füttert man nun
mit Thyreoidin, so wird einerseits der fehlende Stoff dem Körper
„•eüefert und andererseits wird die Diagnose gehoben, da das
Thyreoidin die Gefässe erweitert. Man muss grosse Dosen geben
und „Tliyreodismus“ erzeugen, um gute Resultate zu erzielen.
Der letzte grössere Vortrag war von Hart- Edinburgh und
handelte über die Behandlung des Uterusvorfalls. Er empfiehlt
Amputation der Zervix und hintere und vordere Elytrorrhaphie.
In schweren Fällen kommt die Ventrofixation sowie die Total-
exstirpation des Uterus und der Scheide in Frage. L d e b o li l s -
New-York will in jedem Falle ausser den vaginalen llastiken die
Ventrofixation sowie die Zervixamputation machen. Er zieht übri¬
gens laterale Kolporrhaphien vor. ln schweren FanenenUenite'i
Gebärmutter und Scheide. Er legt ein besonderes Gewicht daiaut,
seine Kranken früh, schon nach 8 Tagen aufstehen und aibeiten
zu lassen. I n g 1 i s - P a r s o n s - London empfiehlt wiederum
seine Methode, Chininlösungen in die breiten Mutterbänder zu
spritzen ln über GO Fällen, deren Operationen langer wie 2 Jahre
zurückliegen, ist völlige Heilung eingetreten, auch in sehr
schweren Fällen und trotz nachfolgender Geburten hat sich die
Methode bewährt. G a 1 a b i n - London empfiehlt nach allen
Operationen Jahre lang ein Hodgepessar tragen zu lassen. Bei
wohlhabenden Kranken kann man statt dessen mehrmonatlicke
Bettruhe nach der Operation verordnen. Er entfernt die ganze
muskulöse Wand der Vagina und das Mittelstück des Levator am,
wonach die Seitenteile aneinander genäht werden.
C a m e r o n spricht dann noch über die Behandlung der
Fibroide, nur ein Drittel aller Fälle bedürfen der operativen Be¬
handlung. Er wendet häufig die Kastration an und ist mit dem
Resultate derselben sehr zufrieden.
Es folgen noch ein Vortrag Curatulos ubei die Wnkunö
der Quellen von Salsomaggiore, sowie ein weiterer von M c C a n n
über Vaginofixation. J- B- zum Busch- London.
(Schluss folgt.)
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Clinical Society of Manchester.
Sitzung vom 20. Mai 1902.
A. W. W. Lea berichtete über seine Erfahrungen bei Fällen
von Enteroptose. Unter einer Beobachtungsreihe von 000 Frauen
will er die Anomalie 54 mal angetroffen haben. Er hat oftmals
das Colon transversum gerade oberhalb der Symphyse liegend ge¬
funden und den Magen unterhalb des Nabels. Bei <0 1 roz. die^1
Fälle war eine Nierensenkung zu konstatieren. Gleichzeitig landen
sich oftmals Verlagerungen der Gebärmutter, l’rolaps und Letro-
liexion. oder auch es fanden sich Adhäsionen infolge von Becken¬
peritonitis. Als ätiologische Momente sind zu nennen: allgemeine
Schwächezustände und Muskelatrophie, Anämie und Verdauungs¬
störungen, ferner Gravidität, Peritonitis und namentlich das
Tragen von engen Korsetts, wodurch die Bauckmuskulatui atio-
pkiert und die Eingeweide durch das Gewicht der angebangten
Kleider heruntergezogen werden. Die klinischen Erscheinungen
sind variabel und stehen nicht immer in direktem Verhältnis zu
den anatomischen Veränderungen. Obstipation hartnäckigster Art
ist ein gewöhnliches Symptom, zuweilen aber treten Attacken von
Diarrhöe auf. Das Abdomen ist schlaff nud nach beiden Seiten
hin prominent. Die Mm. reeti klaffen gewöhnlich sogar bis zu
mehreren Zentimetern. Auch der Magen ist ganz häufig dilatieit.
Aortenpulsation ist in vielen Fällen sehr markiert. Die Behand¬
lung wird neben der Beseitigung aller ätiologischen Momente die
Regelung der Verdauung und namentlich die Stärkung der Muskeln
der Bauchwand betreffen, ln letzterer Hinsicht sind gut aus¬
geführte gymnastische Hebungen folgender Art von grossem
Werte: 1. Patientin legt sich mit gekreuzten Armen flach hm und
hebt sich alsdann in die sitzende Stellung; 2. Patientin erhebt m
liegender Stellung das gestreckte Bein (resp. alle beide) bis zu
rechtwinkliger Stellung zum Abdomen; ö. Tiefatmen. Jede Uebung
soll je G bis 12 mal Morgens und Abends ausgeführt werden. In
Bezug auf Leibbinden ist zu betonen, dass dieselben bis unterhalb
der Hüften hinunterreichen müssen, um die Baucheingeweide von
unten her emporzuheben, andernfalls gewähren dieselben keine Er¬
leichterung. Zum Schluss erwähnt Redner die verschiedenen chi¬
rurgischen Eingriffe, welche in Betracht kommen können, nament¬
lich^ auch die Resektion von Haut und Faszie der Abdominalwand.
Am zweckmässigsten sei es, die Ränder der Mm. recti frei zu legen
und dieselben in einer gemeinsamen Scheide zu vereinigen. Bei
Symptomen von Peritonealadhäsionen kommt eventuell auch eine
Probelaparotomie in Betracht. Pkilippi-Bad Salzscklirt.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Berlin, den 9. September 1902.
Rudolf V i r c h o w R
Hoch ist kein Jahr vergangen, seit von allen Völkern des
Erdenrundes, soweit die Kultur vorgedrungen ist, Abgesandte
in der Hauptstadt des Deutschen Reiches zusammenströmten,
um einem Fürsten im Reiche der Wissenschaft eine Huldigung
zu bereiten, wie sie noch keinem vor ihm zuteil geworden ist.
Obwohl die Feier einem Achtzigjährigen galt, glaubte doch da¬
mals noch keiner, der die scheinbar unverwüstliche körperliche
und geistige Frische des greisen Gelehrten zu bewundern Ge¬
legenheit hatte, dass seine körperliche Kraft so bald gebrochen
sein würde. Und heute ist wieder der Name Virehow in
Aller Munde; trauernd steht die ganze zivilisierte Welt an der
Bahre des grossen Mannes, der ein halbes Jahrhundert hindurch
dem Kulturleben seiner Zeit den Stempel seines Geistes auf¬
gedrückt hat. In Berlin, wo Virehow zu den volkstümlichen
Persönlichkeiten gehörte, ist die Teilnahme an seinem ITin-
scheiden eine allgemeine; vom Tage seiner Rückkehr aus Ilarz-
burg an wurden täglich Berichte über sein Befinden veröffent¬
licht, und schon wenige Stunden nach seinem Tode war die Nach¬
richt durch die ganze Stadt verbreitet. Alle Zeitungen bringen
ausführliche Aufsätze über sein Leben und Wirken; auch in
denjenigen, welche seine politischen Anschauungen bekämpft
hatten, wird seiner immensen Bedeutung für die Wissenschaft
und die praktische Hygiene rückhaltlose Anerkennung gezollt.
Heute wurde er zur letzten Ruhe bestattet. Die lrauer-
feier gestaltete sich zu einer imposanten Huldigung der Stadt
Berlin für das Andenken ihres grossen Ehrenbürgers, der
Wissenschaft für ihren Reformator, der politischen Körper¬
schaften und Vereine für eines ihrer hervorragendsten Mit¬
glieder. Die Leiche war im grossen Saal des Rathauses auf¬
gebahrt, der ebenso wie der ganze Weg von der Strasse bis zum
Saal in einen Palmen- und Lorbeerhain umgewandelt war.
Ausser dem Magistrat und den Stadtverordneten, welche voll¬
zählig erschienen waren, nahm fast der ganze Lehrkörper der
Universität, Minister Studt und v. Rheinbaben, Ver¬
treter anderer Ministerien, eine Reihe hervorragender Par¬
lamentarier, Anton v. Werner als Vertreter der Akademie
und viele persönliche Freunde Virchows und fremde Abord¬
nungen an der Trauerfeier teil. Unter den Klängen einer vom
Domchor intonierten Ode betritt die Familie des Entschlafenen
den Saal und bald darauf ergreift der Geistliche das Wort. Mit
voller Würdigung der geistigen Grösse Virchows zeichnete
er in scharfen Umrissen ein charakteristisches Bild des Geistes¬
helden, dem niemals das Wahrscheinliche, sondern immer nur
das Erwiesene, das Unzweifelhafte zum Ausgangspunkt weiteren
Forschens werden durfte. Der Grundzug in allen seinen Arbeiten
war die Kritik, und eben dadurch gelang' es ihm, sicheren
Schrittes zur Erkenntnis des Wahren durchzudringen. So
wurde er ein weithin leuchtendes Licht, an dem viele andere ihre
Fackel entzündet haben und so das Licht hinaustrugen in die
Welt, so dass es nun überall leuchtet, wo seine Wissenschaft ge¬
lehrt wird. Aber dieses Licht hat nicht nur geleuchtet, sondern
auch erwärmt; er hat seine Wissenschaft auch dem Gemeinwohl
nutzbar zu machen gewusst und viele Tausende von Kranken
geniessen in unseren Krankenhäusern die Früchte seines Schaf¬
fens. Einer der stärksten Vorkämpfer im Kampfe der Mensch¬
heit gegen den Tod, ist er nun selbst dem Tode zum Opfer ge¬
fallen, und doch fühlen wir gerade hier die Ohnmacht des Todes,
denn bei dieser Trauerfeier umweht uns ein Hauch der Un¬
sterblichkeit.
Nachdem der Geistliche seine Rede beendet hatte, hielt
W a 1 d e y e r eine kurze Ansprache. Er erinnerte an das F est,
das am 13. Oktober des vorigen J ahres zu Ehren V i r c h o w s
im Abgeordnetenhause gefeiert wurde, dem nun so bald diese
Trauerfeier im Rathause folgen sollte. Abgeordnetenhaus und
Rathaus bezeichnen zugleich die Stätten, an denen ein grosser
Teil von Virchows Wirken sich entfaltete. Aber über dem
allem steht das, was der Entschlafene der Wissenschaft gewesen
ist; er war der Mann, den Johannes Müller vorausgeahnt
hatte, der auf Grund der Erfahrung die Pathologie erforschen
16. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1557
nnd neu begründen sollte. Und darum ist uns Virchow in
Wirklichkeit nicht gestorben, was sein Auge erschaut, seine Hand
erschaffen, sein Geist ersonnen hat, das ist unsterblich. Nach
diesen gewissermassen offiziellen Worten trat Waldeyer
dicht an den Sarg heran, um als Freund dem Freunde noch einen
warmen Abschied sgruss zuzurufen.
Nach ihm sprach Albert Träger, welcher besonders der
Gewissenhaftigkeit und des unermüdlichen Eifers gedachte, mit
dem Vircho w seine so unendlich vielseitige Kraft in den
Dienst der parlamentarischen Arbeit gestellt hat; und zum
Schluss ergriff der Oberbürgermeister Kirschner das Wort.
Ei entiollte ein Eild von dem mehr als 40 jährigen segensreichen
Wirken, welches Virchow im Dienste der Stadt entfaltet
hat, erwähnte die zahlreichen z. T. hochbedeutsamen Einrich¬
tungen, welche ihm ihre Entstehung verdanken. Und auch zu
einer Zeit, als er längst als I tirst im Reiche der Wissenschaft
anerkannt war, verschmähte er es nicht, als Bürger seiner Stadt
gemeinsam mit seinen Mitbürgern für das Wohl des Gemein¬
wesens zu arbeiten. Wenn daher die städtischen Behörden von
der Familie des Entschlafenen die Erlaubnis erbaten, die Trauer¬
feier für R udolf 9 irchow im Rathause zu veranstalten,
so sollte damit den Gefühlen der Verehrung, der Dankbarkeit
und der Liebe Ausdruck gegeben werden, welche alle Kreise der
Bürgerschaft für ihren grossen Mitbürger empfinden.
Nachdem der Oberbürgermeister geendet hatte, wurde der
Sarg unter den feierlichen Klängen eines Liedes vom Katafalk
gehoben und zur Strasse heruntergetragen; von hier aus setzte
sich sehr bald der ganze schier endlose Zug in Bewegung. Der
ganze etwa eine Stunde lange Weg vom Rathause zum Kirchhof
war von einer dichtgedrängten Menschenmenge umrahmt, und
wo der Sarg vorbeikam, da entblössten sich in andächtigem
Schweigen Aller Häupter; es schien, als ob ganz, Berlin dem
Toten das Geleite gab. So bewegte sich der Zug zum Friedhof,
wo unter den Trauerklängen der Musik und nach dem Segens¬
spruch des Geistlichen die sterblichen Ueberreste Rudolf
Virchows der Erde übergeben wurden. M. K.
Briefe aus China.
(Eigener Bericht.)
China ist in den letzten Jahren so in den Vordergrund
unseres Gedankenkreises getreten, dass man fast von einer Neu¬
entdeckung dieses originellsten aller Reiche reden kann. Den
bisher erschienenen „Ostasiatischen Briefen“, die zumeist aus
nordchinesischen Städten geschrieben wurden, ein Pendant aus
dem Süden an die Seite zu stellen, soll in folgendem unsere Auf¬
gabe sein. . 1 : ; i | j ;
Die Bewohner des „himmlischen Reiches“ unterscheiden
selbst sehr wohl zwischen Nord- und Südchinesen und behaupten,
dass das Klima seinen Einfluss auf die. so verschiedene Kon¬
stitution, die Anlagen und Aussprache des Volkes habe.
Unsere ärztliche Wissenschaft und Kunst ist bisher auf zwei
V egen mit Nord- wie Südchinesen in Berührung gekommen,
einmal in den Vertragshäfen oder fremden Kolonien durch Re-
gicrungs- und Zivilhospitäler und die dortigen Aerzte, dann im
Innern des Landes durch englische, amerikanische, schwedische
und deutsche Missionsärzte, deren es jetzt 224 gibt. Unter letz¬
teren finden wir auch 60 Doktorinnen. Es tritt uns hier die
merkwürdige Tatsache entgegen, dass das verknöcherte China
mehr (wenn auch fremde) Aerztinnen besitzt als das moderne
Deutschland. Nächst Indien ist aber auch wohl kaum ein Reich
der Erde so für lady-doctors prädisponiert, wie China, wo alles
Männliche vom Weiblichen durch eine grosse, gemachte Kluft
getrennt ist, mag es sich nun im Prinzip um Sonne oder Mond,
Himmel oder Erde, Gutes oder Böses handeln, oder um die Men¬
schen selbst.
Den nachhaltigsten Eindruck von allen modernen Aerzten
hat wohl der am 10. August vorigen Jahres verstorbene Ameri¬
kaner Dr. John G. Kerr auf die Chinesen ausgeübt, welcher
^>cit 1854 in Kanton als Missionsarzt gewirkt hat. Ein Jahr vor
feinem Ende war es ihm noch vergönnt, sein 50 jähriges Doktor¬
jubiläum. zu feiern, von Hoch und Niedrig gleich geehrt.
Während des chinesisch-japanischen Krieges diente sein Hospital
den 1 rauen und Kindern des chinesischen Vizekönigs von Kan¬
ton als Zufluchtsstätte, weil dieser wohl wusste, dass die Japaner
nicht auf ein Hospital mit der roten Kreuzflagge sch i essen
würden.
Südchina ist das Land der Steinoperationen. So hat
Dr. K e r r in seinem tatenreichen Leben mehr als 1300 mal die
Lithotomie ausgeführt. Als einst ein europäischer Minister in
Peking am Blasenstein erkrankte, konnte man keinen kundigeren
Arzt in China finden, als unseren jugendfrischen Nestor. Nach
Peking gerufen, führte er die Operation mit günstigem Erfolg
aus. Aber nicht nur in der Behandlung von Patienten, sondern
auch in der Ausbildung von mehr als 100 chinesischen Schülern
hat sich K e r r ein bleibendes Denkmal gesetzt. Zu diesem
Zweck . übersetzte er mehr als 12 medizinische Werke ins
Chinesische.
Der Chinese lernt schwer eine fremde Sprache; um nun gar
dem medizinischen Unterricht in einer fremden Sprache mit Er¬
folg beiwohnen zu können, muss er, wie in Hongkong z. B„ die
englischen Schulen durchlaufen haben. lieber die dortigen Stu¬
denten hörte ich von deutschen Kollegen, welche wie fast alle
Hongkonger Aerzte an der Erteilung des Unterrichts parti¬
zipieren, Klagen über das Auffassungsvermögen. Von den
57 Studierenden am Hongkong College of Medicine for Chinese
sind 21 wieder abgesprungen, 24 studieren noch und nur 12 haben
das Examen bestanden. Unter letzteren befindet sich auch
Dr. Sun Yat Sen, der sich als „Reformer“ einen Namen ge¬
macht hat.
Für die im Lande wohnenden Aerzte hat sich natürlich eine
andere Praxis herausgebildet, sie lernen zuerst Chinesisch und
erteilen dann den medizinischen Unterricht in der Landes¬
sprache.1) Die Kommission für Nomenklatur hat da eine ge¬
waltige Arbeit geleistet. Denn selbstverständlich mussten für die
meisten anatomischen, physiologischen, histologischen u. s. w. Be¬
griffe, soweit nicht schon unzweideutige Ausdrücke Vorlagen,
die passendsten Bezeichnungen ausgewählt oder gebildet werden.
Die chinesische Schrift bot hier eine grosse Schwierigkeit ; doch
ist dies Problem mit viel Geschick gelöst worden. Bekanntlich
hat jedes Wort sein eigenes Schriftzeichen2), Charakter genannt,
das einfach oder aus mehreren anderen zusammengesetzt sein
kann. Die Kommission hat sich nun folgendermassen geholfen:
Jedem Zeichen, welches einen Knochen des Kopfes bedeuten soll,
Wurde der Charakter „Kopf“ angegliedert, jedem Knochen des
Arms das Armzeichen u. s. w. Man sieht also beim Lesen der
Zeichen direkt, welchem Körperteil sie angehören, und hat somit
eine mnemotechnische Hilfe von grossem Wert gewonnen, da
man sonst kaum die vielen Zeichen behalten könnte.
Auch das Grammsystem liegt jetzt in seinen Bezeichnungen
vor. Denn bisher beherrschte die englische Unze und Drachme
unumschränkt dieses Gebiet. Freilich wird noch manche Welle
den gelben Fluss hinunterrollen, bis der Chinese ein tüchtiger
Chemiker geworden ist. Denn mit der Genauigkeit steht er auf
schlechtem Fuss. Die stereotypen Antworten, welche ich bei der
Anamnese auf die Frage nach der Dauer der Erkrankung erhalte,
lauten etwa: „Sehr lange.“ Wie lange? „Einige Monate.“ Wie
viele Monate? „Zwei Monate und etliche Tage.“ Smith
prophezeit daher wohl mit Recht, dass die erste Generation chi¬
nesischer Chemiker viele ihrer Jünger verlieren wird. Denn
wenn der bezopfte Mann dann „einige 10 g“ eines Stoffes mit
..etlichen 10 g“ eines anderen Stoffes mischt, ward kein anderes
Resultat zu erwarten sein, als dass eben alles gelegentlich in die
Luft fliegt.
Hongkong hat eine merkwürdige Blüte der Vermischung
chinesischer und europäischer Medizin geliefert. Tn dem Tung
V a-Ho-spital für Chinesen gibt es zwei Abteilungen. Jeder
Patient kann selbst wählen, ob er nach einheimischer oder nach
fremder Methode behandelt werden soll. Der Hausarzt für die
europäische Medizin ist ein intelligenter Chinese, der seine Aus¬
bildung am Hongkong College erhalten hat. Ich sah ihn bei
schweren Malariafällen Chinininjektionen unter Beobachtung
9 Bisher sind folgende medizinische Werke ins Chinesische
übersetzt oder neu erschienen: Anatomie, Physiologie, Pharmako¬
logie, Innere Medizin, Chirurgie, Pathologie, Gynäkologie, Geburts¬
hilfe, Kinder-, Augen-, Haut-, Geschlechtskrankheiten; Therapie,
Diagnose, Krankheiten von China, Fiebererkrankungen, Infektions¬
krankheiten, Vokabularium der Medizin, Vokabularium der Krank¬
heiten, Vokabularium der Arzneimittel, Vokabularium für Ana¬
tomie, Physiologie, Histologie, Pharmakologie und Pharmazie.
2) Solcher Zeichen gibt es jetzt über 50 000.
1558
MUEN CIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
aller aseptischen Kautelen machen. Auch zeigte er mir die ersten
Halbmondformen der Malariaparasiten, nach denen ich damals
im Hongkonger Regierungshospital vergeblich gefahndet hatte.
Hier im Tungwa-Hospital waren sie bei jedem zweiten oder
dritten Fall zu finden. Mit der chirurgischen Tätigkeit in diesem
Krankenhaus war es noch nicht gut bestellt, doch soll jetzt ein
neuer Operationssaal und Räume für die Aufnahme von Patienten
geschaffen werden. Die Oberleitung über die Abteilung, welche
den Regeln der europäischen Behandlungsweise folgt, liegt in
den Händen eines Regierungsarztes. Bei meinem letzten Besuch
lagen aber die Patienten beider Abteilungen noch durcheinander
in den Sälen. Charakteristisch für die chinesische Behandlungs¬
methode erschienen mir die vielen Holzkästchen, welche in dem
Hof aufgestellt waren. Für jeden Patienten ist eines bestimmt.
Täglich wird der Rest des Dekoktums in das Kästchen geschüttet,
so dass sich der Kranke selbst überzeugen kann, dass er auch
eine gehörige Dosis heilbringender Arzneien erhalten hat.
Dr. G. Olp p.
V erschiedenes.
Eine Uni versal-Schr. eil) platte, von zwei Hildes¬
heimer Lehrern konstruiert, geht uns von der Holzwarenfabrik
E e i s e in Hildesheim zur Besprechung zu. Der der Platte bei¬
gegebene Prospekt misst derselben u. a. folgende Vorzüge bei:
Durch die schwache Neigung der Platte, 1 : 5, erhält das Schreib¬
heft eine für das Auge günstigere Lage, so dass zum besseren Sehen
ein Vornüberneigen des Körpers nicht mehr nötig ist. Da die
Platte 20 cm resp. 10 cm über den Tischrand vorragt, so kann der
Schreibende seinen Sitz, ohne durch
die Zarge des Tisches gehindert zu
werden, vorrücken. Dadurch erhal¬
ten aber die Unterarme eine, unge¬
zwungene Lage und können den Ober¬
körper sicher unterstützen. Der Vor¬
derrand ist mit einem Brustausschnitt
versehen, damit jeglicher Druck auf
die Magengegend vermieden werde.
Ferner beansprucht sie wenig Raum
und kann nach Gebrauch beiseite ge¬
stellt werden, sie ist leicht transpor¬
tabel und kann an beliebiger Stelle
gebraucht werden, sie kann von alt
und jung benutzt werden, sie kann in Schülerstuben oder Inter¬
naten allgemeine Verwendung finden, da an einem Tische sich
mehrere Platten ansetzen lassen. Mit Hilfe des Bockuntersatzes
kann die Platte auch als Tischstehpult benutzt werden. Nach
eigener Kenntnisnahme scheint uns die Platte, die u. a. von Prof.
Hermann Cohn- Breslau empfohlen wird, den Anforderungen,
die an ein rationelles Schreibpult zu stellen sind, zu entsprechen.
Sie ermöglicht bequemen Sitz und gerade Körperhaltung und ist
dabei äusserst einfach und dementsprechend billig. Der Preis be¬
trägt M. 0,75, für den Untersatzhock zum Gebrauch als Stehpult
M. 2.25.
Therapeutische Notizen.
Gegen Epilepsie verwendete Pantschen ko-
St. Petersburg das Cerebrinum-Poehl, ein Gemenge der
drei im Gehirn enthaltenen Cerebroside, welches sowohl zum
inneren Gebrauch in Form von Pulvern und Tabletten als auch
in Form einer besonders hergestellten sterilisierten Lösung in
zugeschmolzenen Glasampullen zu subkutanen Injektionen em¬
pfohlen wird. Besonders geeignet für die Cerebrinbehandlung
sind nach P. diejenigen Epileptiker, die entweder keine Brom¬
therapie durchgemacht haben oder die Behandlung mit Cerebrin
erst längere Zeit nach der Brombehandlung, d. h. nach vollständiger
Ausscheidung des Brom, beginnen. Die Wirkung erfolgt bei sub¬
kutaner Einführung rascher wie bei innerlichem Gebrauch, im
übrigen besteht ein Unterschied nicht. Eine besondere Diät ist
nicht erforderlich, es genügt eine gewisse Einschränkung des
Fleischkonsums und Bevorzugung von Milch und Vegetabilien.
(Allg. med. Central-Ztg. 1902, No. 71.) R- S.
G e g e n p a r e n c h y m a t ö s e Blutungen (nach Ope¬
rationen in der Nase etc.) empfiehlt H e c h t - Beuthen 3— 5 proz.
t'hininlösungen:
Rp. : Chinin, hvdrochlor. 3,0 — 5,0
Sp'rit. rectificat. 15,0
Aq. dest. ad 500,0
Dem Chinin ist auch die blutstillende Wirkung von
Duc li a r d s und E k 1 u n d s Cliinin-Ergotin-Pdlen zuzuschreiben.
(Ther. d. Gegenw. 1902, 9.) R- S.
Innerliche Gelatinebehandlung bei Hämo¬
philie' hat II e s s e - Sebnitz mit gutem Erfolg versucht. Ein
s jähriger Knabe, hereditär belasteter Hämophile. bei dem alle er¬
denklichen therapeutischen Massnahmen, darunter auch eine drei¬
monatliche Trinkkur mit Levicowasser ohne jeglichen Erfolg ge¬
blieben waren, erhielt 6 Monate lang pro Tag 200 g einer 10 proz.
Gelatinelösung mit Beimengung von Himbeersaft oder Zitronen¬
saft. Die Kur wurde sehr gut vertragen, der Erfolg war sehr be¬
friedigend. nicht nur hinsichtlich des Allgemeinbefindens und des
Ernährungszustandes, sondern Patient blieb auch von den früher
häufigen schweren Nasenblutungen verschont, Gelenkblutungen
traten nicht mehr auf. bei äusseren Insulten entstehen zwar noch
Ekchymosen, aber nicht mehr in der früher beobachteten^ Aus¬
dehnung. so dass also doch eine günstige Beeinflussung der Krank¬
heit selbst angenommen werden darf. Da eine früher eingeleite e
vierwöchige Kur bei demselben Pat. ohne Wirkung geblieben war,
nimmt II. an, dass der nunmehrige Erfolg von der langen Dauer
der Behandlung abhängig war. (Ther. d. Gegenw. 1902, 99
IV. ü.
Nachdem in neuerer Zeit mehrfach darauf hingewiesen wurde,
dass der Wirkungswert der Digitalis- und Stro-
phanthusdroge und der daraus hergestellten Präparate je nach
Umständen in enorm weiten Grenzen schwankt — weshalb Kober t
und G o 1 1 1 i e b. sowie F r aenkel die Forderung einer staat¬
lichen Kontrollstation für die Prüfung der pharmakodynamisehen
Wirkung aller offizineilen Drogen und Präparate, welche auf ein¬
fachem chemischem Wege nicht genügend geprüft werden können,
erhoben — , hat nunmehr die Universitätsapotheke m Rostock
(Dr Brunnen gra b er) es unternommen. Digitalisblatter, Digitalis-
und Strophanthustinktur mit pliarmakodynamischem Titre in den
Handel zu bringen. Die frisch gesammelten Blätter werden inner¬
halb weniger Stunden im Vakuum schnell getrocknet, wodurch der
bei dem bisher üblichen langsamen Trocknen eintretende Fermen-
tierungsprozess vermieden und die Spaltung der Digitalisglykoside
verhindert wird. Die Tinkturen werden aus frischen, wirksamen
Blättern bezw. Samen hergestellt. Die Präparate wurden von
Prof. Robert geprüft, der die Digitalisblätter als vorzüglich ge-
eignet zu ärztlicher Anwendung empfiehlt und die Stroplianthus-
tinktur als eine sehr stark wirkende bezeichnet. (Dr. A. W o 1 f f -
Rostock: Ueber die physiologische Dosierung von Digitalisprapa-
raten. Therapie der Gegenwart 1902, Heft 9.) R- S.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 16. September 1902.
— Zur Bekämpfung der Kurpfuscherei be¬
absichtigt Dr. Max G o e t z - Leipzig der diesjährigen Plenarver¬
sammlung des k. sächsischen Landesmedizinalkollegiums folgende
Anträge vorzulegen: I. Die k. Staatsregierung wolle die gewerbs¬
mässige Ausübung der Heilkunde durch nichtapprobierte Peisonen
auf landesgesetzlichem Wege verbieten und unter Strafe stellen.
II. Die k. Staatsregierung wolle bereits vor Erlass eines solchen
Gesetzes den Amtsblättern die Aufnahme von Kurpfuscher- und
Geheimmittelanzeigen verbieten. Zur Begründung führt G. an,
dass die Kurpfuscherei in Deutschland durchaus nicht ausdrück¬
lich erlaubt, sondern nur mangels bezüglicher gesetzlicher Bestim¬
mungen nicht unter Strafe gestellt sei. Die Ausübung der Ur ¬
kunde unterstehe der Gewerbeordnung nur insoweit, als diese
ausdrückliche Bestimmungen darüber enthalte (§ G). Das seien
ausser § 6 die §§ 29, 30, 53, 56a, SO, 144 und 147, und in diesen
Paragraphen sei die Ausübung der Heilkunde durch Nichtappro¬
bierte nur indirekt erwähnt in § 56a (Ausübung der Heilkunde im
TTmherzielien). Die weitere Ausgestaltung der Gesetzgebung über
den Betrieb der Heilkunde unterliege der Landesgesetzgebung,
und kein Reichsgesetz, insbesondere auch nicht die Gewerbe¬
ordnung. hindere die Landesgesetzgebung, die Kurpfuscherei nicht
nur zu regeln, sondern auch zu verbieten. Die oben erwähnte \oi
sehrift des § 6 der Gewerbeordnung wurde in den Motiven zu dem
Entwürfe einer Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund
vom Jahre 1S09 in folgender Weise begründet: „Die Landesgesetze
über die Ausübung der Heilkunde mussten Vorbehalten werden,
weil cs nicht in der Absicht liegen kann, durch die Gewerbe
ordnung in die Medizinalverfassung der einzelnen Bundesstaaten
weiter einzugreifen, als es notwendig ist. um für das ärztliche mm
das Apothekergewerbe, wie es in § 29 geschehen, die 4 reiziigigkei
herzustellen. Es bewendet daher nicht nur bei den Bestim-
muntren über die Pflichten der Aerzte n. s. w., sondern auch be
den Vorschriften über die Bestellung des Hilfspersonals für die
kleine Chirurgie (der Heilgehilfen) und der Hebammen.“ Aus § >
der Gewerbeordnung und aus den oben angeführten Motiven gehe
hervor, dass die Gewerbeordnung ein Hindernis für das A erbot
der Kurpfuscherei nicht biete.
_ Aus Anlass des am 18. nnd 19. September in München
stattfindenden deutschen Bahnärztetages lässt die
k. preuss. Eisenbahndirektion Berlin einen Rettungs- un
A r z t w a g e n nach München befördern, der im Zentralbahnhot
München zur Besichtigung aufgestellt wird. Auch die General¬
direktion der k. b. Staatseisenbahnen stellt einen ihrer Rettungs¬
wagen aus. Solche Rettungswagen sind in Bayern in München,
Augsburg, Bamberg, Ingolstadt, Kempten. Nürnberg, Regensbuig,
Rosenheim, Weiden und Würzburg hinterstellt. Jeder dieser
Wagen ist für den Transport von 10 Verletzten eingerichtet mm
mit 10 Tragbahren ausgestattet, welche auf besonderen Ständern
16. September 1902.
MTTEN CIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1559
jiiit Gr und Seher Federanordnung an beiden Längswänden in
zwei Keihen übereinander aufgestellt sind. Die Wagen haben
Ofenheizung, Gasbeleuchtungseinrichtung, Eiskasten, Toilette und
eine grosse Anzahl praktischer Einrichtungsgegenstände zur Pflege
der Verwundeten, ärztliche Instrumente etc., auch werden stets
Erfrischungen (Kognak, Wein, Fleischextrakt, Cnokolade) mit¬
geführt.
■ Die Stiafkannner in Berlin verurteilte in 2. Instanz einen
vom Schöffengericht freigesprochenen Zahntechniker, der sich als
Spezialist für Zahn- und Mundkrankheiten bezeichnet hatte. Das
Gericht erkannte somit, entgegen früheren Entscheidungen die
Bezeichnung ,,S p e z i a 1 i s t“ als arztähnliche n T i t e 1 an.
— Der Kaiser hat in Abänderung der Verordnung über die
Ehrengerichte der Offiziere im preussische n
H eere bestimmt, dass in dem ehrengerichtlichen Verfahren gegen
einen Offizier die den Ehrengerichten unterworfenen Sanitäts¬
offizier e der Marine und der Schutztruppen als Zeugen nicht zu
vereidigen sind, sondern die Richtigkeit ihrer Aussage auf Ehre
und Pflicht zu versichern haben.
— Einen interessanten Vergleich z w i s c li e n f r a n -
zösischer und englischer Mortalität stellt das Brit.
med. Journ. (6. Sept.) auf Grund französischer Statistiken an. Zu¬
nächst ist auffallend, dass in Frankreich die Todesursache nur
von einem Drittel der Sterbefälle bekannt ist, während man über
die Ursachen des Todes von 2 Dritteln der Bevölkerung nichts
weiss. Die Sterblichkeitsziffer betrug im Jahre 1900 auf 3000 Ein¬
wohner in Frankreich 21,9, sie übertraf zum 4. Male in 11 Jahren
die Geburtsziffer, die nur 21,4 betrug. Ein Sechstel aller Geburten
waren illegitim, gegen ein Fünfundzwanzigstel in England. Die
Geburtsziffer ist die niedrigste in Europa, gegen 35,0 in Deutsch¬
land, 39,3 in Ungarn und 28,7 in England. Die Sterblichkeit in
Paris war 20,0, gegen 18,8 in London. In Paris betrug die Sterblich¬
keit an Phthise 4,01, in London nur 1,75 auf 1000. Die Sterblich¬
keit an Infektionskrankheiten war verhältnismässig doppelt so
gross in Paris als in London; nur Diphtherie macht mit einer Mor¬
talität von 1,27 in London gegen 0,78 in Paris eine Ausnahme; dies
dürfte vielleicht auf die allgemeinere Anwendung des Diphtherie¬
serums in Paris zurückzuführen sein. Auch in den Provinzstädten
waren die gesundheitlichen Verhältnisse wesentlich schlechter als
in ähnlich gelagerten englischen Städten; so starben in Havre
(110 000 Einw.) 320 Personen an Typhus und 021 an Diarrhöe, da¬
gegen in dem ungefähr ebenso grossen Brighton nur 11, resp. 94;
ebenso in Toulon (73 000 Einw.) 118 Todesfälle an Typhus und
230 an Diarrhöe, dagegen in Devonport (08 000 Einw.) nur 13,
resp. 35.
— Unterm 22. Juli d. J. hat das neue englische Feuer¬
bestattungsgesetz (Cremation Act 1902) die königliche
Sanktion erhalten und wird am 1. April 1903 in Kraft treten.
Durch dieses Gesetz erhält die Feuerbestattung in England ihren
rechtmässigen Platz neben der Erdbestattung und werden alle Vor¬
kehrungen getroffen, um einen geordneten Vollzug zu gewähr¬
leisten. Insbesondere wird Misbraueli der Feuerbestattung mit
schweren Strafen bedroht. Wer absichtlich falsche Angaben macht,
um die Verbrennung einer Leiche zu bewirken, wird mit Zucht¬
haus bis zu 2 Jahren bestraft; geschieht dies mit der Absicht, da¬
durch ein begangenes Verbrechen zu verheimlichen, so erhöht sich
die Strafe auf 5 Jahre.
— Die 33. Versammlung des Vereins der siid-
westdeutschen Irrenärzte wird am 1. und 2. Novem¬
ber in Stuttgart stattfinden. Vorträge sind bis spätestens Anfang
Oktober anzumelden Die Versammlung wird am ersten Tag in
dem Vortragsaal des Landesgewerbemuseums, am zweiten Tag
in dem Bürgerspital abgehalten werden. Falls beabsichtigt wird,
Kranke vorzustellen, so ist Gelegenheit gegeben, diese auf der
Irrenabteilung des Bürgerspitales unterzubringen. Geschäfts¬
führer sind die Herren Sanitätsrat Dr. Fauser, Urbanstr. 70/11,
und Sanitätsrat Dr. Wildermut h, Königstr. 20/1.
— Der Beginn des von Privatdozent Dr. Koeppe für die
F o rtbildungskurse für Aerzte in Giessen ange¬
kündigten Kurses über physikalische Chemie in der Medizin ist
auf Wunsch der Teilnehmer auf den 20. Oktober festgesetzt
worden.
— In Berlin feierte Sanitätsrat Dr. Salomon N e u m a n n das
seltene Fest des 60 jährigen Doktorjubiläums; er war Senior der
Berliner Stadtverordnetenversammlung und hat als Mitglied dieses
Kollegiums sich Verdienste um die sanitären Verhältnisse Berlins
erworben. Mit Vircliow zusammen hat er u. a. die Errichtung
des statistischen Amtes der Stadt Berlin durchgesetzt.
— Cholera. Russland. In Sibirien hat sich die Cholera im
Bereiche des Amurschen Gouvernements ausgebreitet. Am
9. August in Wladiwostok der 1. Fall, seither bis 14. August 12 Er-
krankungs- und 5 Todesfälle. — Aegypten. Während der am
18. August abgelaufenen Woche sind nach amtlichen Ausweisen in
ganz Aegypten 1127 Cholerafälle und 791 Choleratodesfälle fest¬
gestellt. Allein in Kairo kamen während dieser Woche 150 Cholera-
lälle gegen 97 während der Vorwoche zur Anmeldung.
Während der am 25. August abgelaufenen Woche hat die
Seuche sowohl in Ober- wie in Unterägypten weitere Ausdehnung
gewonnen: in dieser Woche wurden 144 Ortschaften neu betroffen
und 2040 Cholerafälle (sowie 1550 Choleratodesfälle) festgestellt,
gegen 1J27 (791) in der Vorwoche. Von den 1550 Choleratodes¬
fällen der letzten Berichtswoche entfielen 683 auf die Cholera¬
spitäler, 867 kälnen ausserhalb der Krankenhäuser vor; unter den
Verstorbenen befanden sich 6 Europäer, ferner erlag u. a. der
Gesundheitsinspektor des Distrikts Tala der Provinz Menefieh in
Ausübung seines Berufes der Cholera. Am 2. September wurde in
Port Said ein Todesfall an der Cholera festgestellt.
— Pest. Aegypten. In der Zeit vom 15. bis 28. August
sind 6 Erkrankungen und 5 Todesfälle an der Pest — alle in
Alexandrien — festgestellt. — Britiseh-Ostindien. In der Präsident¬
schaft Bombay sind während der am 1. August abgelaufenen
Woche 2270 neue Erkrankungen (und 1474 Todesfälle) an der Pest
zur Anzeige gelangt, darunter 39 (28) in der Stadt Bombay und
15 (<) in Stadt und Hafen von Karachi. Im Vergleich zur Vor¬
woche war hiernach eine Zunahme der Pesttodesfälle um 434,
der gemeldeten Erkrankungen um 689 eingetreten. Nach der
Zählung vom Jahre 1901 lebten in der Präsidentschaft 18 481362
Personen, von denen im April insgesamt 49 062 und im Mai d. ,T.
3< 856 gestorben sind. Während der am 8. August abgelaufenen
Woche sind in der Präsidentschaft Bombay 3461 Erkrankungen
(u. 2225 Todesfälle) an Pest angezeigt. — Kapland. Die Gesamt¬
zahl der in der Kapkolonie seit dem Ausbruch der Pest be¬
obachteten Erkrankungen (bezw. Todesfälle) an dieser Seuche be¬
trug nach dem letzten Ausweise vom 26. Juli: 907 (347), davon ent¬
fielen 745 (362) auf die Kaplialbinsel, 135 165) auf Port Elizabeth
13 (4) auf Mosselbay und 14 (6) auf 8 andere Ortschaften.
— In der 34. Jahreswoche, vom 17. bis 23. August 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Beutlien mit 35,3, die geringste Lübeck mit 7.9 Todesfällen pro
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Königshütte; an Masern in Heidelberg.
— In der 35. Jahreswoche, vom 29. bis 30. August 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb-
lichhkeit Ludwigshafen mit 35.5, die geringste Flensburg mit 5 1
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Masern in Brandenburg und Metz; au
Diphtherie und Krupp in Bamberg. V. d. Iv. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Erlangen. Die Funktion eines Oberarztes an der chirur¬
gischen Klinik der k. Universität Erlangen wurde dem I. Assisten¬
ten dieser Klinik, Dr. Wilhelm B u 1 1 e r s, in widerruflicher Weise
übertragen.
Greifs w a 1 d. Dr. Mülle r, früher Assistent von Geheim¬
rat C u rsch m a n n, wurde dem Ministerium als Oberarzt der
medizinischen Klinik vorgeschlagen. Geheimrat Prof. Dr. L a n -
d o i s, Direktor des physiologischen Instituts, der an einer Pleu¬
ritis schwer erkrankt war, befindet sich auf dem Wege der Besse¬
rung.
J e n a. Der Privatdozent Dr. Ernst Hertel ist zum ausser¬
ordentlichen Professor an der medizinischen Fakultät der hiesigen
Universität ernannt worden.
Bologna. Habilitiert: Dr. P. L. G a r d i n i für Geburts¬
hilfe und Gynäkologie.
Iv o p e n h a g e n. Am 9. September fand die feierliche Ein¬
weihung des Staatsseruminstituts statt. Die Eiuweiliungsrede
wurde von Prof. Karl Julius Salomonsen gehalten vor einer
sehr repräsentativen Versammlung von Männern der Wissen¬
schaften. Aerzten, Staats- und kommunalen Beamten. Unter den
ausländischen Gelehrten, welche der Einweihung beiwohnten, wur¬
den insbesondere bemerkt die Herren Geheimrat Ehrlich, Ge¬
heimrat Weigert, Prof. Libbertz und Prof. Lassar aus
Deutschland, Prof. Arrheniu s, Prof. Itetzius und Dr. S e -
lauder aus Schweden, Prof. H o 1 s t und der Lepraforscher
Armauer - Hansen aus Norwegen, Dr. Heymanns aus
Belgien. Dr. Dean (Direktor des Jennerinstituts), Dr. B u 1 1 o c k
und Prof. W oodhea d aus England, Dr. M ü n t e r aus Buffalo.
Das Institut wird das Serum für einen Preis von 25 Oere
(ca. 2S Pf.) pro Einzeldosis liefern. Das Institut ist ein stilvolles
Gebäude, sehr modern und praktisch, jedoch nicht verschwen¬
derisch eingerichtet und mit guten Ställen für Pferde, Ziegen,
Meerschweinchen u. s. w. sowohl als auch mit einem Froschteiche
versehen. Anlässlich der Einweihung erhielten der Direktor des
Instituts, Prof. Salomonsen, das Ehrenkreuz der Danebrogs-
männer und das Kommandeurkreuz des preussischen Kronen¬
ordens, der Direktor des Laboratoriums des Instituts, Dr. med.
Thorvald M adse n das Ritterkreuz des Danebrogordens und das
Ritterkreuz des roten Adlerordens. Das Laboratorium für medi¬
zinische Bakteriologie hat anlässlich der Einweihung als Mutter¬
institution des Seruminstituts eine 300 Seiten grosse Festschrift
herausgegeben. Unter den in englischer Sprache gedruckten
Abhandlungen der Festschrift, die später teilweise referiert werden
sollen, ist am meisten bemerkenswert eine Abhandlung über die
chemischen Verhältnisse bei der Hämolyse von Prof. A rrhenius
und Dr. Th. M adse n. — Dr. med. C. Lorentzen, Spezialist
für Verdauungskrankheiten, und Dr. med. E. Ehler s, Spezialist
für Hautkrankheiten, wurden zu Professoren (tit.) ernannt.
Neapel. Habilitiert: Dr. G. Velo für operative Medizin.
Lausanne. Dr. Iv. Strzyzowski wurde zum ausser¬
ordentlichen Professor der medizinischen Chemie ernannt.
P a v i a. Habilitiert: Dr. E. V e r a 1 1 i für Histologie.
Philadelphia. Dr. Th. G. A sh ton und Dr. .1. L. Su¬
linger wurden zu Professoren der medizinischen Klinik ernannt.
Prag. Die Privatdozenten Dr. H. Schloff er (Chirurgie),
Fr. Kleinh a n s und L. Iv n a p p (Geburtshilfe und Gynäkologie)
wurden zu ausserordentlichen Professoren an der deutschen medi¬
zinischen Fakultät ernannt.
Saint. Louis. Dr. G. L. Noyes wurde zum Professor der
Augenheilkunde am Missouri Medical College ernannt.
1560
MUENCIIENER MEDICINISCHE W O CHEN S CIIRIEf .
No. 37.
Saragossa. I>r. O. Oaroin wurde zum Professor der
all.n'eiiH'iueu Pathologie ernannt.
'1' u r i n. Der au-serordentliclie Professor an der medizinischen
Fakultät zu Koni Pr. G. D’Urso wurde zum ordentlichen Pro¬
fessor der chirurgischen Pathologie ernannt.
W a r s c li a u. Der Privatdozent, an der militärmedizinischen
Akademie zu St. Petersburg Dr. Gendre wurde zum ausser¬
ordentlichen Professor der Physiologie ernannt.
(Todesfälle.)
Pr. B. Alcina y Rance, Professor der Tlierapeutik und
Materia medica zu Cadix.
Dr. L. Switalski, Privatdozent für Geburtshilfe und
Gynäkologie zu Warschau.
Dr. J. A. S. B runell e, Professor der Chirurgie zu Montreal.
(B e r i c h t i g u n g.) In No. 35 dieser Wochenschrift muss es
b< i dem Referat über: „U ntersu c huug e n ü her die k e i m -
t ö t e n d e u n d e n t w i c klungshe m m ende W i r k u n g
d e s L y s o f o r m s“ heissen auf S. 1473, 1. Spalte, Zeile 1 und 14
statt Lysol Lysofo r m.
Personalnachrichten.
(Bayer n.)
Urlaub bewilligt: Dem Oberarzt Dr. F u li r m a n n ä la suite
des Sauitätskorps vom 1. Oktober d. J. au auf weitere 4 Monate.
Wieder angestellt: Der Stabsarzt Dr. Weindel mit seinem
Ausscheiden aus der Ostasiatischen Besatzungsbrigade unter Stel¬
lung ä la suite des Sauitätskorps mit seinem früheren Patent und
dem 2. Inf.-Reg. Zur Dienstleistung zugeteilt.
Gestorben: Dr. Otto IV ispaue r, k. Hof rat, prakt. Arzt in
Traunstein, G9 Jahre alt. Dr. Emil Matheus, prakt. Arzt in
Waldfischbach, 30 Jahre alt.
Worbiditätsstatistikd. Infektionskrankheitenfür München.
in der 35. Jahreswoche vom 24 bis 30. August 1902.
Beteiligte Aerzte 100. — Brechdurchfall 2G (30*), Diphtherie u.
Krupp G (3), Erysipelas 7 (3), Jntermittens, Neuralgia interm.
Kindbettfieber 3 (— ), Meningitis cerebrospin. 1 (— ),
Morbilli 10 (9), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 1 (1), Parotitis
epidem. 1 (2), Pneumonia crouposa 5 (4), Pyämie, Septikänue
— ( - Rheumatismus art. ac. 15 (9), Ruhr (Dysenteria) — (— ),
Scarlatina 1 (4), Tussis convulsiva 44 (27), Typhus abdominalis —
(1), Varicellen 5 (6), Variola, Variolois — (— ), Influenza — (— ).
Summa 125 (99). Kgl- Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 35. Jahreswoche vom 24. bis 30. August 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen : Masern 1 ( — *) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u Krupp 2 (1), Rotlauf - (1), Kindbettfieber — (2), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 1 (— ), Brechdurchfall 8 (10), Unterleib-Typhus -
(— ), Keuchhusten 6 (6), Kruppöse Lurgenentzündung 2 (3), Tuber¬
kulose a) der Lunge 33 (31), b) der übrigen Organe 4 (8), Akuter
Gelenkrheumatismus — (— ), Andere übertragbare Krankheiten
3 (1), Unglücksfälle 4 (3), Selbstmord — (3), Tod durch fremde
Hand — ( — ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 235 (210), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 24,2 (21,6), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 14,1 (12,4).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten in Bayern: Juni1) und Juli 1902.
Regierangs
bezirke
bezw.
Städte mit
über 30,000
Ein¬
wohnern
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Oberbayern
Niederbay.
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Oberfrank.
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Augsburg8)
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Ludwigshaf.
München8)
Nürnberg
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424
347,358
321
746
355
66
49
37
25
16
5
1141
995
43
39 149
1
87
1471
1005
28
24
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—
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2
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—
9
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—
45
18
8
—
1
4
13
5
—
—
90
25
Bevölkerungsziffern: Oberbayem 1'323 818, Niederbayern 678,192,
Pfalz 831,678, Oberpfalz 553,841, Oberfranken 608,116, Mittelfranken 815,895, Unter¬
franken 650,766, Schwaben 713,681. — Augsburg 89,170, Bamberg 41,823, Hof 32,781,
Kaiserslautern 48,310, Ludwigsbafen 61,914, München 499 932, Nürnberg 261,081,
Pirmasens 30,195, Regensburg 45.429, Würzburg 75,499.
Einsendungen fehlen aus den Aemtern Bruck, Friedberg, Bogen, Grafenau,
Wegscheid, Neumarkt, Neunburg v./W., Stadtsteinach, Eichstätt, Fürth, Gunzen¬
hausen, Neustadt a./A , Ilofheim, Königshofen, Mellrichstadt, Oclisenfurt. Würz-
b'irg, Augsburg, Kaufbeuien, Nördliugen und Oberdorf.
Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet
aus folgenden Aemtern bezw. Orten:
Brechdurchfall: Stadt Ludwigsbafen 245 beh. Fälle, hierunter 153 und
58 bei Kindern im 1. und bezw. 2. bis 5. Lebensjahre; Stadt- und Landbezirke
Frebing und Amberg je 34, Traunstein und Günzburg je 30, Aemter Speyer 33,
Zweibrücken 31 beh. Fälle
Diphtherie, Croup: Aemter Landau i. Pf. 17 (in der [Stadt Landau),
Gerolzhofen 12 beh. Fälle.
Influenza: Stadt- und Landbezirk Forchheim 27, Aemter Altötting 33,
Zweibrücken 18, Ilersbruck 21, Würzburg 17 beh. F^älle.
Morbilli: Fortsetzung der Epidemien in den Aemtern Ebersberg (33 be¬
handelte, zahlreiche nicht behandelte Falle), Dingolfing (Abnahme), Vilsbiburg
(33 beh. Fälle', Neustadt a /H. (in Neustadt und Meckenheim) Waldmünchen (im
Westen des Bezirkes, Schulschluss in Hiltersried), Wunsiedel (101 beh. Fälle),
Weissenburg (in Treuchtliugen und Pfraunfeld alle Schulen geschlossen), Alzenau
(in Schöllkrippen, hier äusserst heftig, teilweise mit Pseudocroup, Schnepr en-
bach, Kiombach und neben Tussis in Sommerkahl), Memmingen (in der Stadt)
und Zusmarshausen (im ärztl. Bezirke Altenmünster, besonders in Ilennhofen).
Epidem. Auftreten ferner in den Bezirken München I (28 beh Fälle in Feldmoching),
Landau i. Pf (in Oö'enbaeh) Nabburg (laut Schulanzeige in Diendorf und Tau-
ehersdorf), Forchheim (in der Stadt, 47 beh. Fälle, gutartig), Ebern (im östlichen
Teile des Bezirkes), Kitzingen (in Repperndorf), Kempten (in Altusried und Wild¬
poldsried) und Krumbacb (in Balzhausen).
Rubeolae: Stadt Nürnberg 20 beh. Fälle, ferner häufigere Erkrankungen
in Füssen.
Parotitis epidemica: Epidemisches Auftreten in Landau i. Pf. und
Ilbesheim, ferner in Herbolzheim (Uffenheim).
Scarlatina: Epidemisches Auftreten in Selchenbach (Kusel); Amt Neu¬
stadt a./WN. 54 beh. Fälle.
Tussis convulsiva: Fortdauer der Epidemien in den Aemtern Gries¬
bach (alleuthalben verbreitet, selten ärztlich behandelt; häufigere Todesfälle au
Folgekrankheiten), Laudaua/I, Landau i /F'f (noch in Landau, Dammheim,
Offenbich), Ludwigshafen (noch häufig in Böhl, Iggelheim, Neuhofen , Oggeis-
heim, aber wesentlich Abnahme), Neustadt a /H. (neben Morbillis in Neustadt
und Meckenhe m), Pegnitz (seit Anfang Juni in Pegnitz und Umgebung, selten
ärztlich behandelt), Ilersbruck (in Ilersbruck) und Alzenau (in Krombach neben
Morbillis). Epidemisches Auftreten ferner in den Aemtern Germersbeim (in
Rheinzabern), Weissenburg (in Ellingen, Schulschluss), Donauwöith (iu Wemding
und Umgegend), Krumbacb (in Krombach und Hü’ben) und Memmingen (iu
Steinbaeh) Aemter Rockenhausen 41, Neustadt a /WN 26 beh. Fäl’e.
Varicellen: Epidemie in Altfalter (Nabburg) laut Schulanzeige; im Amte
Landau a.,I. nur mehr sporadisches Auftreten; Stadt- und Landbezirk Kempten
16 beh. Fälle.
Aus dem Amte Pirmasens wird gemeldet, dass bei einer Schulvisitation in
Fehrbach sämtliche 106 Kinder mit Conjunctivitis cat behaftet waren,
deren Ursache iu dem bei Abbruch eines Hauses verbreiteten Staub zu suchen.
Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird um
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Beriehts-
monut folgenden Mouats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehl¬
anzeigen ersucht, womöglich unter anmerkuugsweiser Mittheiluug von F.pi-
demien. Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswerte
dass Fälle aus sog. Greuzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen
Amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern
mitgetbeilt werden.
Meldekarten nebst Umschlägen zur portofreien Einsendung an das
K. Statistische Bureau sind durch die k. Bezirksärzte zu erhalten. Diese Karten
dienen ebenso zu sog. S ammel k ar te n , welch’ letztere zur Vermeidung von
Verzögerungen ohne Rücksicht auf etwa ausständige Anzeigen gleich¬
falls bis längstens 20. jeden folgenden Monats einzusenden wären. Allenfalls
später eingekommene Meldungen wollen auf der nächstfolgenden Karte als
Nachträge gekennzeichnet, aufgenommeu werden. Noch in Händen be¬
findliche sog. Postkarten wären aufzubrauchen, jedoch durch Angabe der
behandelten Id fl uenz. afälle zu ergänzen und gleichfalls u n ter Um sc h lag ein-
znsenden. — Sog. Zählblättchen dagegen werden vom K Statistischen Bureau
weder beschafft noch versendet.
i) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No 32) eingelaufener Nachträge. - a) Im Monat Juni 1902 einschliesslich der Nach
trage 1140 — a) 23 mit 26. bezw. 27. mit 3t Jahreswoche.
Verlag von J. F. Lehmann iu München. — Druck von E. Mülilthaier's Buch- und KuiiaLiruvkeiev A.G., München.
Die Münch Med Wochensehr, erscheint wftohentl
ln Nummern von durchschnittlich 5—6 Bosen
Preis in Deutschi, u Oest. -Ungarn vierteliährl 6 M.
ms Ausland 8.— M.. Einzelne No. 80 *j.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressiren: Für die Redaktion
moI!^lf8ua<!Se 26‘ ~ ^ Abonnement an J. F. Leh-
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
°~r’ SÄ °Är’ w^e’ Ä J'« L» «•».«»-». L »• W'nckel,
Herlin.
Erlangen.
München.
München.
No. 38. 23. September 1902, Redaktion: Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26.
_ Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 2U.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus der I. medizinischen Abteilung des Eppendorfer Kranken¬
hauses m Hamburg (Direktor: Prof. Dr. Lenhartz).
Zur Pathogenese des Typhus abdominalis.
Yon Dr. H. S chottmiiller.
In meinen Mitteilungen über Paratyphus1)2) habe ich
hei vorgehoben, dass ich von Juni bis Dezember 1899 und im
Jahr 1900 bei allen dem Krankenhaus Hamburg-St. Georg zu¬
gegangenen Typhusfällen bakteriologische Blutuntersuchungen
ausgeführt habe und bei 50 Fällen des Jahres 1899 40 mal
= 80 Proz., bei den 69 Fällen des Jahres 1900 58 mal, also in
84 Proz. im Blute der Kranken intra vitam Typhusbazillen nach-
weisen konnte.
Es würde diesen Angaben, welche den hohen dia¬
gnostischen Wert der Blutuntersuchung bei Typhus ab¬
dominalis im Gegensatz zu den Resultaten früherer Autoren )
hinreichend illustrieren, und die inzwischen auch durch andere
Untersucher4)5)")')8) Bestätigung gefunden haben, kaum etwas
hinzuzufügen sein, wenn nicht meine Befunde auch noch in
anderer als diagnostischer Beziehung einiges Interesse böten.
Nachdem die Fortführung meiner Unter-
s u c h u n g e n auf der Abteilung von Herrn Prof. Lenhartz
nn Eppendorfer Krankenhaus im Jahre 1901/02 bei 101 Typhus-
kranken 84 mal also in 84 Proz. der Fälle ein positives Resultat
erzielt (cf. hierzu Lenhartz **), mithin zu Ergebnissen
geführt hat, welche im völligen Einklang mit
meinen Beobachtungen aus dem Jahre 1899 und
mit den aus diesen gezogenen Schlussfolge¬
rungen stehen, möchte ich in folgenden Zeilen auf diese
näher eingehen.
Vorausschicken möchte ich ein Wort über die Methode der
Untersuchung, obgleich sie wohl vielfach geübt wird.
• V ie Sittmann, Stern u. a. entnehme ich das Blut einer
,lc nach Umstanden etwas durch eine Gummibinde gestauten Arm¬
vene und zwar mittels der leicht und sicher zu sterilisierenden
Glasspritze von L u e r - Paris.
) Schottmiiller: Deutsche med. Wochenschr. 1900, No. 32.
/ Derselbe: Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. 1901,
30, pag. 395. — cf. auch Lenhartz: Mikroskopie u. Chemie
Krankenbett. 3. Auti., 1900, p. 52.
9 Literaturangaben s. in Volkmanns Samml. klin.Vortr., N
T1 138: Richard Stern: Klinisch-bakteriologische Beiträge
athologie u. Therapie des Abdominaltyphus.
9 Aldo Gas teil an i: Sul Reporto del Bacillo Tipico
Sangue. La Riforma Medica 1900, Vol. I., pag. 63, 76.
9 Max Auerbach u, E. Unger: Ueber den Nachweis
Bd.
am
No.
F„
zur
nel
von
Deutsche med. Wochen-
Typhusbazillen im Blut Typhuskranker
schrift 1900, pag. 796.
t i 0) Bufus C ° 1 e: Frequency of Typhoid Bacilli in the Blood.
•Johns Hopkins Hospital Bulletin, Vol. XII., 1901. pag. 203.
■ , j "W* 'i° 11 ^ ' Hewlett: On the presence of typhoid bacilli
' . /He blood of typhoid-fever patients. Medical Record 1901,
\ ol. (>0, 22.
■ ^1* J- Courmont: Diagnostic preevie de la fievre typhoide
** 3 . vonstation du bacille d’Eberth dans le sang. La semaine
medicale 1902, 1.
, . •*) Lenhartz: Ueber den diagnostischen Wert der bakterio¬
logischen Blutuntersuchung. v. Leyden-Festschrift, Bd. I. (Die
ih i gemachte Angabe hat sich inzwischen etwas geändert,
et. oben.)
No. 38.
Die betreffende Hautstelle wird zur Vereinfachung des Ver
iahrens nur mit Aether gereinigt. Aus demselben Grunde ver-
V1/' auch darauf, die zu pungierende Vene durch einen
Hautschnitt 1 reiz ulegen. Die Einstichwunde wird nach der Blut¬
entnahme durch ein Zinkpflaster geschützt Irgendwelche Nach
teile für den Patienten haben wir bei diesem VeHalmln trotz sehr
vieler Untersuchungen nie gesehen.
Spritze ist zweckmässigerweise mit einer ziemlich dicken
Hohlnadel zu armieren, damit das Blut leicht und schnell in die
fepntze einstromen kann. Man vermeidet dadurch Gerinnsel-
bildung und Kürzt die ganze Manipulation wesentlich ah. Der
j» u t druck ist meist so stark, dass der Stempel schon dadurch
zui uckgeschoben wird und ein Zug fast überflüssig ist. Wir ver¬
wenden Spritzen, die 20 ccm Flüssigkeit fassen, da geringe Blut¬
mengen nicht immer ein positives Resultat gewährleisten. Aus
der Spritze lassen wir das gewonnene Blut in flüssig gehaltene
aut abgekuhlte Agarröhrchen laufen und zwar beschicken
wir jedes etwa 6 ccm Agar enthaltende Röhrchen mit 2—3 ccm
Blut. Nach erfolgter Mischung wird der Inhalt der Röhrchen in
'. vbalen gegossen. Ich lege, wie Kühnau u. a., grossen Wert
tifranf’ dilS ,Blut mit Agar zu ui is eben und nicht etwa auf
dm Oberfläche von Agar anszugiessen oder statt mit Agar mit
Bouillon zu vermischen. Die Beobachtung auf keimender Kolonien
ist bei der erstgenannten Methode, durch welche die ausgesäten
veime fixiert werden, viel leichter. Das Blut wird verdünnt und
seine wachstumhemmende Wirkung dadurch ebensogut wenn
mellt besser, wie hei der Verwendung von Bouillon eingeschränkt
l einer erhält man ein klares Bild über die Zahl der in einer be¬
stimmten Menge enthaltenen Keime und endlich sind etwaige Ver¬
unreinigungen leicht als solche zu erkennen. Meist handelt es
sudi um einige Staphylokokken- oder Pseiulodiphtheriekolonien die
oltenbar aus der durchstochenen Hautschicht stammen; niemals
cina ich bewegliche typhiTSiihnliche Stäbchen als Verunreinigung.
Einen Vorteil bietet die Benutzung von Bouillon nach unseren
umfangreichen Kontroll Untersuchungen nicht.
\V enn auch hei der von uns aus praktischen Gründen ge¬
wählten Konzentration in gewissen Fällen Keime an der Ent¬
wicklung durch die bakterizide Wirkung des Blutes gehindert
werden, so ist eine stärkere Verdünnung des Blutes mit Agar
als 1:3 im allgemeinen zur Erzielung positiver Kul¬
tur resultate nicht erforderlich, andrerseits würde ich auch
nicht raten, das Verhältnis nach der entgegengesetzten Seite zu
verschieben. Die hergestellten Blutkulturen werden nun bei Brut-
temperatur von 37° gehalten und in den nächstfolgenden Tagen
regelmässig kontrolliert. Man erkennt dann die Typhuskolonien
als tiefgrünschwarze Punkte im Innern des Nährbodens, die all¬
mählich bis zu Linsengrösse heranwachsen. Noch grösser ent¬
wickeln sich die Oberflächenkolonien, welche einen" dunkel-
grauen Farbenton zeigen. Das Aussehen der Kolonie und die
Feststellung, dass dieselbe aus beweglichen Stäbchen besteht, ge¬
nügt z u n ä c li s t völlig, um die Krankheit als eine typhöse zu
charakterisieren. Man braucht dazu nicht erst die Identifizierung
der Keime durch die verschiedenen kulturellen und biologischen
Proben abzuwarten.
Wie gesagt wurde die Blutuntersucliung bei allen Typhus-
kranken in den ersten 12 Stunden nach erfolgter Aufnahme
vorgenommen, ohne Rücksicht auf die Höhe des Fiebers etc.
Ich wollte zunächst auf diese Weise feststellen, welcher Wert der
Methode in diagnostischer Beziehung beizumessen ist. Die
Tabelle gibt über die Resultate dieser Untersuchungen Auskunft.
Zur Lösung anderer Fragen wurde dann bei einer Anzahl von
Patienten (17) die Blutuntersuchung in verschiedenen Zeit¬
räumen wiederholt, und zwar im ganzen 28 mal, von diesen fielen
75 Proz. positiv aus. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die
Entnahme mehrfach absichtlich kurz vor der Entfieberung vor¬
genommen wurde. Ausserdem wurde von Fall 42 noch
2 mal vergeblich das Blut bakteriologisch geprüft.
als der .Patient nach 8 fieberfreien
Tagen
unter
1
1562
MUENCHENER MEDlClNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
hohem Fieber an einer kruppösen Pneumonie erkrankt
war. Die Zusammenstellung ergibt die Tatsache, dass
es uns bei 50 Fällen 39 mal gelang, aus dem am 1. Tage des Kran¬
kenhausaufenthaltes entnommenen Blute in verschiedenen Sta¬
dien der Krankheit die spezi tiselicn Erreger nachzuweisen. In
einem Fall (49), bei dem die erste Untersuchung negativ aus¬
gefallen war, wurde bei einem Rezidiv später ein positiver Be¬
fund erhoben, so dass der Nachweis der Bazillen überhaupt in
80 Proz. gelang.
Vielleicht hätte sich die Zahl noch erhöhen lassen, wenn wir
bei einzelnen Fällen, die anfangs nur negatives Resultat er¬
gaben, die Untersuchung hätten wiederholen können. Ab¬
gesehen von Fall 17 war das aus äusseren Gründen nicht möglich.
Wenden wir uns nun zu einer kritischen Betrachtung* der
gesammelten Erfahrung, so wäre zunächst zu bemerken, dass
nach Massgabe unseres Materials wesentlich mehr Männer als
Frauen untersucht wurden. Immerhin sind wir in der Lage zu
konstatieren, dass das Geschlecht keinen Einfluss auf die bak¬
teriologischen Befunde ausübt, was ja auch von vornherein höchst
unwahrscheinlich gewesen wäre.
In der beigefügten Tabelle sind Kinder nicht angeführt,
unter den Kranken meiner Untersuchungsreihe aus dem Jahre
1900 aber befinden sich 10 Kinder. Wenn diese beschränkte Zahl
ein Urteil gestattet, so geht es dahin, dass im jugendlichen Lebens¬
alter Typhusbazillen nicht ganz so häufig und auch nicht in
solcher Menge als bei Erwachsenen in entsprechender Quantität
Blut nachgewiesen werden können. Diese Tatsache steht im
Einklang mit der Beobachtung, welche wir eben auch bei unseren
10 Kindern machen konnten, dass der Typhus im Kindesalter im
allgemeinen weniger schwer und unter milderen Fiebererschei-
nungen als bei Erwachsenen zu verlaufen pflegt.
Ueber das Verhältnis von Krankheitstagen und positivem
Blutbefund gibt unsere Zusammenstellung ein anschauliches Bild.
Als erster Krankheitstag ist immer der angesehen worden,
an welchem mutmasslich das Fieber begonnen hat, nicht etwa der,
an welchem die Patienten das Bett auf suchen mussten. Trotzdem
verfügen wir über Beobachtungen, welche sich auf die ersten Tage
der Erkrankung beziehen.
Der früheste Termin, welcher sich im primärem Stadium
des Fiebers für unsere Forschung bot, war der 2. Krankheitstag
(Fall 21). Es ist bemerkenswert, dass hier schon Bazillen ge¬
züchtet werden konnten. Für den 3., 4., 5. etc. Fiebertag liegen
zahlreiche positive Befunde vor. Dass aber auch schon am
1. Fiebertag die Blutentnahme Erfolg verspricht, dafür möchte
ich als Beweis anführen, dass es uns mehrfach gelungen ist,
innerhalb der ersten 24 Stunden eines beginnenden Re- (
zidivs, auch wenn 2 — 3 fieberfreie Wochen voraufgegangen waren,
die spezifischen Krankheitserreger aus dem Blute zu kultivieren.
Der Einwurf, es könnten die zu diesem Zeitpunkt angetroffenen
Bazillen noch von der primären Fieberperiode her im Blute
kreisen, dürfte wohl von niemandem erhoben werden, dessen¬
ungeachtet habe ich auch über diesen Punkt zahlreiche, in der
Tabelle nicht angeführte Untersuchungen zu verzeichnen, aus i
denen hervorgeht, dass nach Ablauf des Fiebers das Blut steril
befunden wird.
Wie sich dann auf der Höhe der Erkrankung das bakterio¬
logische Ergebnis gestaltet, das zeigen zahlreiche Stichproben,
die während der 2. und 3. Krankheitswoche vorgenommen wur¬
den. Der Nachweis der Bazillen gelingt in dieser Zeit fast aus¬
nahmslos, sofern es sich um schwere oder mittelsclrwere Fälle
handelt. Nur bei 3 Patienten von 124, deren Krankheit aller¬
dings einen sehr milden Verlauf nahm, konnte ich während ihrer
kurzen, zwischen 39 und 40 0 schwankenden Continua kein posi¬
tives Resultat erhalten, freilich konnte eine Wiederholung der
Untersuchung nicht vorgenommen werden. Anders stellt sich das
Untersuchungsergebnis dar, wenn es sich um Fälle handelt,
welche entweder nach Ablauf der Continua im amphibolischen
Stadium oder überhaupt wenige Tage vor völliger Entfieberung
zur Beobachtung kommen oder welche nur unter Febris re-
mittens oder gar intermittens ablaufen.
Solche Fälle sind es hauptsächlich, bei denen unsere Methode
zuweilen im Stich gelassen hat. Immerhin lehrt andererseits ein
Blick auf die Tabelle, dass eine ganze Zahl erfolgreicher Unter¬
suchungen auch im amphibolischen Stadium oder bei remittieren¬
dem und intermittierendem Fiebertypus ausgeführt sind, und
ebenso kann ich berichten, dass ich mehrmals noch auf Blut-
platten vom 4. letzten Fiebertag Typhuskolonien fand. Wie ich
schon oben hervorhob, ergab aber eine nach der Entfieberung vor-
genommene Untersuchung des Blutes niemals ein positives
Resultat. Dass sich das bakteriologische Ergebnis beim Rezidiv
mit dem der primären Erkrankung deckt, sofern es sich nur um
gleich schwere Krankheitsbilder handelt, ist oben auch schon an¬
gedeutet worden. Als Beispiel dieser häufig gemachten Erfahrung
diene Fall 45.
Endlich habe ich noch eines sehr interessanten Befundes zu
gedenken. Gar nicht so selten beobachtet man in der Rekonvales¬
zenz Typhuskranker plötzliche ephemere Temperatursteigerungen
bis 40 11 und höher, man fürchtet ein Rezidiv, aber schon bis zum
nächsten oder übernächsten Tag ist die Temperatur zur Norm zu¬
rückgekehrt, und wenn nicht ein ähnliches Ereignis nochmal
oder Rezidiv eintritt, verläuft die Genesung ungestört. Die kli¬
nische Untersuchung vermag eine Ursache für die allarmierende
Temperaturerhöhung nicht ausfindig zu machen, es fehlt mithin
die rechte Erklärung für diese Art der Fiebererscheinung. Ich
wenigstens habe mich dabei niemals mit der Annahme eines
nachgewiesenen oder vermutheten Diätfehlers als causa peccans
beruhigen können.
Einige Male nun konnten bei solchen sporadischen Tempera¬
turanstiegen im Blute der betreffenden Patienten Typliuskeime,
wenn auch in spärlicher Zahl nachgewiesen werden. Daneben
sind auch verschiedentliche negative Resultate zu verzeichnen.
Nichtsdestoweniger dürften die positiven Fälle dieser
Art als Beleg dafür dienen, dass als Ursache der vorübergehenden
Temperatursteigerung die Anwesenheit der Bazillen im Blute an¬
zusehen ist. Die Misserfolge in anderen Fällen sprechen nicht
gegen diese Auffassung, da es sich ja sicher nicht um eine
grössere Zahl von Mikroorganismen im kreisenden Blute handelt,
wofür die niedrigen Zahlen bei den positiven Fällen sprechen.
Nachdem wir so über den Ausfall der bakteriologischen
Untersuchung im allgemeinen während der einzelnen Fieber¬
perioden des Typhus abdominalis berichtet haben, möchte ich die
Aufmerksamkeit noch auf die Zahl der Kolonien und auf den
Zeitpunkt ihres sichtbaren Auftretens in den Blutkulturen lenken.
Was den letzten Punkt anlangt, so konnte ich bei meinen ersten
124 Fällen vor Ablauf der ersten 24 Stunden nach Anlegung der
Kulturen nur ausnahmsweise in denselben Kolonien makro¬
skopisch erkennen, dagegen sind uns in letzter Zeit mehrfach
Fälle vorgekommen, bei denen schon nach ca. 20 Stunden Kolo¬
nien deutlich sichtbar waren und so vor Ablauf einer eintägigen
klinischen Beobachtungsdauer die Diagnose bakteriologisch be¬
stätigt werden konnte. Soviel ist aber sicher, dass Kulturen von
24 ständigem Alter nur sehr spärliche Kolonien erkennen lassen
im Vergleich zu der Gesamtzahl der überhaupt aufkeimenden
Kolonien. Ein grösserer Teil der Bakterienansiedelungen ist dann
am Beginn des 2. Tages wahrnehmbar, aber eine an den nächst¬
folgenden Tagen vorgenommene Revision der Platten lehrt, dass
sehr häufig am 3. und 4. Tag, ja sogar noch am 5. und 6. Tag
die Zahl der entwickelten Keime angewachsen ist. Unter ge¬
wissen Umständen vermisst man aber noch am 2. Tage jegliches
Wachstum und erst nachdem die Platten länger als 48 Stunden
im Brutschrank gestanden haben, bemerkt man die ersten Kolo¬
nien. Wie die Tabelle zeigt, konstatiert man dieses späte Er¬
scheinen der Kolonien namentlich dann, wenn die Blutentnahme
in einem späteren Stadium der Erkrankung, nicht im Beginn der¬
selben stattgefunden hat. Es bedarf keines Kommentars, dass die
soeben besprochene protrahierte Entwicklung der Keime zu Kolo¬
nien, die sich bei der von mir gewählten Konzentration der Blut¬
agarkulturen fast immer 2 — 3 Tage, zuweilen noch länger hin¬
zieht, auf die im Blute wirkenden bakteriziden Kräfte zurück¬
zuführen ist. Wenn bei verschiedenen, in gewissen Intervallen
wiederholten Blutkulturen eines einzelnen Falles eine zunehmende
Verzögerung der Keimentwicklung (cf. z. B. 42) beobachtet wird,
so kommt darin die mit dem Fortschreiten der Krankheit stei¬
gende bakterizide Wirkung des Blutes zum Ausdruck. Dem¬
gemäss wurde das verhältnismässig frühe Auftreten von Kolonien,
schon vor Ablauf des ersten Bruttages, bei gewissen Fällen damit
zu erklären sein, dass bei eben diesen Patienten das Blut zunächst
noch relativ geringe bakterizide Kraft besitzt. Auch darauf
möchte ich noch hinweisen, dass, wie mir scheint, nicht allein
dem in den Blutkulturen noch fortwirkenden bakterienfeindlichen
Körper die Entwicklungshemmung zuzuschreiben ist, sondern
dass auch die Bazillen an sich schon durch ihren Aufenthalt
23. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1563
im vasculären Blut geschädigt sein müssen und sich schon des¬
halb nur langsam in der Agarkultur vermehren.
Für diese Annahme dürfte unter anderem der Umstand
sprechen, dass auch dann, wenn ich nur sehr geringe Mengen
Blut, z. B. einen Tropfen für eine Agarplatte, verwendete, wie es
bei einigen Kontrolluntersuchungen geschah, auch in diesem Fall
die Kolonien (3 an Zahl) relativ spät und in erheblichem zeitlichen
Abstand sichtbar wurden, obgleich doch in dieser Verdünnung
von einer schädigenden Wirkung des Blutes nicht wohl die Rede
sein kann.
Was nun die Zahl der durch das geübte Kulturverfahren
nachzuweisenden Keime anlangt, so schwankt dieselbe, wie ein
Blick auf die Tabelle lehrt, in sehr bedeutenden Grenzen. Zu¬
nächst muss ich bemerken, dass schon die Menge der Kolonien
auf den einzelnen 1 latten von ein und derselben Blutentnahme
nicht unerhebliche Differenzen aufweist, und weiter, dass einmal
bei einem Patienten innerhalb weniger Stunden 2 bakteriologische
Untersuchungen vorgenommen werden konnten, die pro 100 ccm
256 und 175 Kolonien ergaben. Daraus folgt schon, dass die bei
den einzelnen Patienten gewonnenen Zahlen dem Zufall in ge¬
wissem Grade unterworfen sind und nur ein ungefähres Bild der
tatsächlichen Verhältnisse geben. Immerhin lässt sich bei Be¬
rücksichtigung des Gesamtmaterials sagen, dass im allgemeinen
die Keimzahl im geraden Verhältnis zur Höhe des Fiebers und
Schwere des Falles steht. Ist die Zahl trotz hohem Fieber und
schwerem Krankheitsbild relativ niedrig, so darf man wohl daraus
schliessen, dass das Fieber fallen wird. Aber freilich spielen in¬
dividuelle Verhältnisse auch hier eine grosse Rolle, und Aus¬
nahmen von der eben aufgestellten und ganz allgemein gültigen
Regel kommen nicht selten zur Beobachtung.
Bessere Vergleichswerte bilden die Keimzahlen, welche
wiederholte Blutuntersuchungen bei ein und derselben Person im
Verlauf der Krankheit liefern. Fast immer entspricht da Stei¬
gen bezw. Fallen der Zahlen einer entsprechenden Fieberbewegung
für die nächsten Tage. Hinweisend auf No. 16, 18, 45, führe ich
dafür noch folgenden Fall an :
8.
20.
29.
33.
Frau, 47 Jahre.
Kr.-Tag massige Continua (lyt/abfallend)
„ schwere Recrudesc.
n » »>
* y* ))
Exitus.
60 Kol. pro 100
130 „ „ 100
298 „ „ 100
750 „ „ 100
ccm
»
V
Ziehen wir nun aus den vorstehenden Mitteilungen unsere
Schlussfolgerungen, so steht zunächst der hohe diagnostische Wert
der Blutuntersuchung ausser allem Zweifel und dürfte an Zu¬
verlässigkeit von keiner anderen Methode erreicht werden. Wir
haben darin ein Mittel, in einem sehr hohen Prozentsatz der
Fälle und namentlich in einem sehr frühen Stadium der
Krankheit den Erreger derselben innerhalb von ca. 24 — 30 Stun¬
den mit derartiger Sicherheit nachzuweisen, dass eine negative
oakteriologische Blutuntersuchung bei hochfiebernden und schwer¬
kranken Patienten, bei dem klinische Symptome eine sichere
Diagnose nicht stellen lassen, die Annahme eines Typhus so gut
wie ausschliesst. Was die Technik anlangt, so ist dieselbe bei
der in Rede stehenden Methode mindestens nicht schwieriger und
umständlicher, als die der anderen bakteriologischen Unter¬
suchungsarten. Von diesen hat die Roseolenuntersuchung unserem
Verfahren gegenüber von vornherein schon den Nachteil, dass
sie bei einem nicht geringen Prozentsatz der Fälle überhaupt
nicht in Frage kommt, wenn nämlich die Effloreszenzen fehlen
oder doch erst im weiteren Verlauf der Krankheit auf treten.
Der Nachweis der Typhusbazillen im Stuhlgang ist bislang noch
mit Schwierigkeiten verknüpft gewesen, wofür schon der Um¬
stand spricht, dass keine der ersonnenen Methoden allgemeine
Anerkennung gefunden, sondern bald durch eine neue ersetzt
wurde. Ob das vor kurzem von v. Drygalski und C o n r a d i
bekanntgegebene Verfahren geeignet ist, gleiche Resultate zu
liefern wie die Blutuntersuchung namentlich im frühen Stadium
der Krankheit muss noch weiteren Prüfungen Vorbehalten bleiben.
Dass endlich der Nachweis der Typhusbazillen im Blute ein
wertvolleres diagnostisches Hilfsmittel ist als die Gruber-
W i d a 1 sehe Serumreaktion, bedarf nach allem, was darüber ge¬
schrieben ist, keiner weiteren Auseinandersetzung. Das Serum
einer erheblichen Zahl unserer Untersuchten verhielt sich zur Zeit,
als die Blutkultur schon die Diagnose gesichert hatte, im Sinne
der genannten Probe noch indifferent.
Es ist uns aber in der Blutplattenkultur nicht nur ein dia¬
gnostisches Hilfsmittel an die Hand gegeben, sondern auch für
die Piognose ergeben sich aus dem Verfahren, wie ich oben schon
andeutete, manche Schlüsse, welche die klinische Beurteilung des
Falles zu ergänzen geeignet sind. Man muss sich dabei nur ver¬
gegenwärtigen, dass die Schutzkräfte, welche dem Körper zur
Verfügung stehen, individuell erheblich verschieden sind, und
darf nicht erwarten, dass es möglich wäre, eine Zahlenskala auf¬
zustellen, an der man schematisch die Prognose ablesen könnte.
So ist z. B. der Kranke, welcher von allen Untersuchten die
höchste Keimzahl aufwies (Fall 24) genesen.
Gleichwohl darf man wohl sagen, dass eine absolut niedrige
Keimzahl während der Akme die Aussicht auf Abfall des Fiebers
bietet,, dass umgekehrt hohe Zahlen meist ein schweres Krank¬
heitsbild begleiten.
Liegen mehrere Untersuchungsergebnisse vor, so spricht
Sinken oder Fallen der Keimzahl für eine gleiche Tendenz des
Fiebers. Bei einigen letal verlaufenden Fällen zeigten die Keim¬
zahlen eine progressive Steigerung.
Meines Erachtens sind die vorstehenden Feststellungen auch
dazu angetan, in gewisser Weise unsere Anschauungen über die
Pathologie des Typhus zu beeinflussen bezw. zu stützen. Man
hegte bisher vielfach wohl noch, wenn ich recht unterrichtet bin,
die Anschauung, dass sich die Typhusbazillen zunächst im Lymph-
apparat des Darmes ansiedeln und sich dort der Krankheitspro¬
zess zunächst und zur Hauptsache abspielt. Von hier aus finde
dann eine Weiterbeförderung der Bazillen auf dem Blutwege in
andere Organe statt. Angesichts meiner Beobachtungen nun,
welche dartun, dass die Bazillen vom ersten Fiebertage ab, und
ich kann wohl behaupten während der ganzen Fieberdauer zum
Teil in recht erheblicher Menge im Blute kreisen, dass ins¬
besondere die Fieberschwankungen von einem Steigen resp. Fallen
der Menge der Keime im Blut begleitet werden (hohe Zahlen
während der Continua, niedrige im amphibolischen Stadium,
Wiederauf treten der Keime bei ephemeren Tempera tursteige-
rungen etc.), in Anbetracht dieser Tatsachen glaube ich, dass das
Krankheitsbild, speziell das Fieber bei Typhus durch die An¬
wesenheit der Bazillen im Blut, dem für "bakterielle Gifte em¬
pfindlichsten Organ des Körpers, sehr wesentlich beeinflusst,
wenn nicht beherrscht wird. Ziehe ich zum Vergleich die Er¬
gebnisse unserer Blutuntersuchungen bei septischen Erkran¬
kungen (Endocard. ulc., puerperale Sepsis etc.) heran, Krankheits¬
formen, deren Wesen ja in der Blutinfektion besteht, so haben
wir da nur unter 156 Fällen in 50 Proz. intra vitam ein positives
Resultat zu verzeichnen9), da diese Untersuchungen in genau der¬
selben Weise wie bei den Typhuskranken ausgeführt wurden, so
dürfte der Gegenüberstellung der gewonnenen Zahlen kein Be¬
denken entgegenstehen. Es wäre also durchaus logisch, jeden
Typhus als Bakteriämie oder Sepsis aufzufassen. Uebrigens sind
gewisse Typhusfälle schon mit diesem Namen bezeichnet worden,
und zwar diejenigen, bei denen in den Organen Typhusbazillen
gefunden wurden, ohne dass der Darm die bei unserer Krankheit
gewöhnlich zu beobachtenden Veränderungen dargeboten hätte.
Es sind derartige Fälle eine ganze Reihe in der Literatur be¬
schrieben worden, auch wir verfügen über eine einschlägige,
absolut einwandsfreie Beobachtung; schon intra vitam fand ich
bei dem klinisch typischen Typhus im Blut die spezifischen Er¬
reger. Es handelte sich um ein 1 jähriges Kind, dessen Ge¬
schwister gleichzeitig dieselbe Krankheit unter ebendenselben, in
jeder Beziehung charakteristischen Symptomen durchmachten.
Diese Fälle, welche der ihnen von manchen Autoren ein¬
geräumten Sonderstellung als Typhussepsis durch die
Blutuntersuchungen entkleidet sind, erachte ich für geeignet,
die oben skizzierte Auffassung über die Pathogenese des Abdomi¬
nalis zu bestätigen, sie beweisen jedenfalls, dass zum Bilde des
Typhus die Dannveränderungen nicht unbedingt erforderlich
sind, mithin kann in dieser Affektion nicht der Ilauptkrankheits-
herd gesehen werden. Dazu kommt noch, dass die Ausdehnung
und Zahl der Darmgeschwüre ganz unabhängig ist von der
Schwere des Falles.
Wenn ich mir erlauben darf, im Anschluss an vorstehende
Schlussfolgerungen, die sich auf bakteriologische Beobachtungen
°) Diese Angaben sind mit gütiger Erlaubnis meines Chefs
Herrn Prof. L/en hart z seinem demnächst erscheinenden Werk:
„Die septischen Erkrankungen“ entnommen.
I*
1564
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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dto.
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Continua
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dto.
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40
8
(kurz)
Continua
•
18
27
34
170
dto.
*) NB. Die Zahlenangaben über die bei den einzelnen Fällen gewachsenen Kolonien sind untereinander nur in der Reibe
vergleichbar, in welcher die Keimzahl, pro 100 ccm berechnet, angegeben ist, da die Menge des zur Kultur verwendeten Blutes bei den
einzelnen Fällen nicht gleich gross war.
**) Noch am 5. resp. 6. Tag sind neue Kolonien auf getreten.
am Lebenden gründen, der Frage näher zu treten, wie sich
im Hinblick auf die Feststellungen wohl der Gang des typhösen
Infektionsprozesses gestaltet, so möchte ich folgendes ausführen,
ohne etwa den Anspruch erheben zu wollen, damit etwas zu sagen,
was nicht auch schon früher gedacht oder ausgesprochen ist.
Ich nehme an, dass Typhusbazillen an irgend einer Stelle des
Magendarmtraktus in die Darmwand eindringen — ob die Lokal¬
infektion unter Bildung eines makroskopisch sichtbaren patho¬
logischen Produktes vor sich geht oder nicht, lasse ich dahin¬
gestellt sein — und sich dort in den Lymphgefässen an der Ein¬
gangspforte vermehren. Von da aus findet dann eine Weiterver¬
breitung der pathogenen Mikroorganismen in die abführenden
grösseren Lymphbahnen und die zugehörigen Lvmphdrüsen
statt. Man kann sich nun vorstellen, dass es Fälle gibt,
bei denen der Krankheitsprozess in dem oben bezeich-
neten Gebiet lokalisiert bleibt und bald zur Heilung kommt,
genau so wie eine Streptokokkenlymphangitis an äusseren Teilen
des Körpers heilen kann, ehe sie zu einer Blutinfektion führt.
Damit wäre eine Erklärung gegeben für jene leichtesten Fälle
von Typhus (Typhus abortivus, afebrilis, Typhe en petite dose
etc. cf. Curschnjann: Der Unterleibstyphus; pag. 275 ff.).
In den meisten Fällen schreitet aber, wie wir gleich sehen
werden, die Krankheit fort und für jene dürfte die bisherige
lokale Entwicklung des Leidens das Stadium der Inkubation
des klinischen Krankheitsbildes bedeuten. Es erfolgt nämlich,
wenn die Krankheitsparasiten den schützenden Wall der Mesen¬
terialdrüsen überwunden haben, eine Infektion des grossen
Lymphstammes und damit des Blutes, gerade -wie bei septischen
Erkrankungen nach Wundinfektionen von einem lymphangi-
tisclien oder thrombophlebi tischen Herd aus eine Einschwemmung
1565
2ö. September 1902. _ MUENCHENER MEBICHSTISCHE WOCIIENSCIIRIFT.
von Streptokokken ins Blut eintritt. Mit dem Blutstrom ge¬
langen die spezifischen Erreger in die verschiedenen Organe um
dort entweder mehr oder weniger charakteristische Erscheinungen
hervorzurufen oder nur deponiert zu werden.
Bass die Entstehung der Roseolen und der jüngst
von E. Fraenkel nachgewiesenen Entzündungsherde im
Knochenmark nur so zu erklären sind, darüber herrscht
wohl kein Zweifel mehr. Aber analog möchte ich auch
entschieden dafür eintreten, dass die Affektionen des
lymphatischen Apparates im Barm als Metastasen, entstanden
durch Einschleppung der Bakterien auf dem Blutwege, auf
zufassen sind. Schon Baumgarten zog bei Besprechung der
Pathologie des Typhus in seinem Lehrbuch der pathologischen
Mykologie diese Möglichkeit in Erwägung, liess sie aber fallen zu
Gunsten der landläufigen Theorie, welche die typhösen Verände¬
rungen der Follikulargebilde des Bannes durchweg auf direkte
Einwanderung der Parasiten von der Oberfläche der Schleimhaut
her zurückführt. Ber genannte Autor widerlegt die Ansicht,
nach welcher die Barmaffektionen bei Typhus durch die vom
Blute zugeführten Keime veranlasst würden, mit dem Einwurf,
dass man sonst eine ,,ganz besondere Prädisposition der genannten
Apparate (Follikel) für die Wucherung der Typhusbazillen an¬
nehmen“ müsste. Eine solche möchte ich in der Tat annehmen.
Sehen wir doch bei Typhuskranken sehr häufig Lymphdrüsen ge¬
schwollen, welche dem Barmtraktus sehr fern liegen, und auch bei
Sektionen finden sich z. B. die Bronchialdrüsen entzündlich ver¬
ändert, worauf auch Curschmann hinweist (pag. 227). Wenn
somit für diese Gebilde eine Prädisposition feststeht, kann es
nicht schwer sein, für den anatomisch nahe ver¬
wandten Follikelapparat' im Barm ein gleiches zu folgern.
Ferner beweist auch, ganz abgesehen von anderen Krankheiten,
der i undort der Roseolen, dass wir mit einer gewissen, uns zu¬
nächst noch unerklärten "V orliebe der pathogenen Keime zu
rechnen haben, an ganz bestimmten Körperstellen entzündliche
Erscheinungen hervorzurufen. Aber auch Baumgarten
kommt bei der von ihm bevorzugten, Theorie nicht ohne die
Voraussetzung einer Prädisposition aus, denn warum sollten sich
sonst die den ganzen Barmtraktus passierenden Bazillen nur
in den Follikeln ansiedeln?
V eiter dürfte die kurze Schilderung des Falles 45 dazu bei¬
tragen, die vorliegende F rage zu klären. Ber Patient machte
einen schweren Typhus von 29 tägiger Bauer durch, war 3 Tage
fieberfrei, dann setzt ein schweres Rezidiv ein, in dem er am
6. Tage an Herzschwäche zu Grunde geht. Im Barm finden sich
durchweg tiefe, gereinigte Geschwüre, ausserdem aber frische
markige Schwellung der Randpartien vieler Ge¬
schwüre und einer Anzahl anderer Plaques und Follikel. Nur
ein Plaque zeigt im Zentrum in hirsekorngrosser Ausdehnung
beginnende Verschorfung. Bie Geschwüre rühren offenbar von
der ersten Fieberperiode her, die markige Schwellung ist im Re¬
zidiv entstanden. Soll mau nun annehmen, dass während der 3.
und 4. Krankheitswoche die zweifellos im Barmkanal massenhaft
vorhandenen Typhusbazillen die Barmschleimhaut nicht affi-
zierten, dann aber mit Beginn des Rezidivs, Anfang der 5 Woche,
wie auf ein gegebenes Zeichen in die Geschwürsränder und in
bisher verschonte Plaques und Follikel eindringen, und so die
vielen bei der Sektion zu beobachtenden Herde markiger Schwel¬
lung erzeugen. Liegt es nicht viel näher, sich den Hergang so
vorzustellen und sich überhaupt das Eintreten eines Rezidivs so
zu erklären, dass von irgend einem der im Körper nach der Ent¬
fieberung noch zurückgebliebenen Bazillendepots, mag dies nun
in der Milz oder im Knochenmark oder im Lymphsystem zu
suchen sein, ein neuer Einbruch der Krankheitskeime in die Blut¬
bahn erfolgt und dass auf diese Weise eine Ansiedlung der Mi¬
kroben in dem Follikelapparat des Bannes stattfindet. Biese Auf¬
fassung würde meiner Meinung nach am besten das plötzliche
und gleichzeitige Aufflackern des Prozesses an vielen und
zerstreuten Punkten im Barm erklären. Uebrigens heben schon
E. Fraenkel und Simmonds 10) hervor, welche Bedeutung
für das Verständnis der Rezidive ihrer Beobachtung zukommt,
dass sich die Typhuserreger sehr lange in der Milz halten. Ich
kann hier nur andeuten, dass ich jenen beistimme, welche ge-
schwürige Prozesse an anderen Stellen des Körpers, vor allem die
10) Die ätiologische Bedeutung des Typhusbazillus. Verlag
von Leopold Voss. pag. 10.
No. 38.
Ulzerationen im Larynx oder auch in der Scheide, wo ich
zweimal im Beginn eines schweren Typhus mehrere markstück¬
grosse, schorfbedeckte Geschwüre unter indifferenter Behandlung
sich reinigen und heilen sah, auch als Metastase der spez. Ba¬
zillen auffassen möchte. Wenn die bakteriologische Forschung
F. F r a e n k e 1 s in diesen der Bakterienwelt sehr exponierten
Geschwüren wohl Eiterkokken, nicht aber Typhusbazillen fand,
so dürfte das nicht als ausschlaggebend anzusehen sein.
Bie Frage, ob bei Typhuskranken eine Vermehrung der
Erreger im Blute selbst intra vitam (eine postmortale
habe ich öfters nacliweisen können) stattfindet, oder ob nur
während der Fieberperiode eine beständige Einschwemmung aus
den Lymphbahnen erfolgt, habe ich nicht entscheiden können.
Weil dem Blute noch in vitro dem Typhusbazillus gegenüber
eine so erhebliche bakterizide oder entwicklungshemmende
Kraft innewohnt, wie sehr wenig anderen pathogenen Keimen
gegenüber, eine Tatsache, welche ich durch zahlreiche ver¬
gleichende Versuche kennen lernte, so neige ich der Anschauung
zu, dass die Vermehrungsfähigkeit der Mikroben im Blute, so
lange es dem Lebenseinfluss nicht entzogen ist, eine recht be¬
schränkte ist, nur bei den foudroyant letal verlaufenden
Fällen, bei denen entweder die Antitoxine in so geringer Menge
vorhanden oder die Zahl der einströmenden Bazillen eine so grosse
ist, dass die bakteriziden Kräfte paralysiert werden, dürfte eine
schrankenlose Entwicklung der Parasiten in Frage kommen und,
wie eben angegeben, erklärlich sein.
Aus dem pathologischen Institut zu Strassburg.
Ueber traumatische Herzklappen- und Aorten-
Zerreissung.*)
Von Prof. Br. M. B. Sch m i d t, I. Assistenten.
M. II. ! In der Biskussion über traumatische Entstehung
von Herzklappenerkrankungen, wTelche in Rücksicht auf die Un¬
fall sentschädigung in neuer Zeit lebhafter geführt wird, hat man
sich auf Fälle gewöhnlicher verruköser oder ulzeröser Endo¬
karditis berufen, bei denen die klinische Geschichte auf einen
Zusammenhang mit einem Tage oder Wochen vorhergegangenen
Trauma, namentlich einem Sturz hinweist. Indessen ganz reine,
unzweifelhafte Beobachtungen dieser Art weist die bisher vor¬
liegende Kasuistik nicht auf: Bei Chvosteks1) Patienten
z. B. ist die Endokarditis nicht als Effekt der lokalen Verletzung,
sondern nur als Teilerscheinung einer allgemeinen traumatischen
Pyämie aufzufassen, bei Leyden2) der Zusammenhang der akuten
Klappenentzündung mit einem Fall sehr zweifelhaft u. s. w.
Bie klinische Beobachtung spricht dafür, dass nach einer Brust¬
quetschung sich schleichend ein Leiden, namentlich Stenose der
Klappen des linken Herzens entwickeln kann [Oppenheim
(nach Stern8), A 1 b u 1 1 4), Ritter5), Heidenhain °),
Riedinger')]; es liegt bisher meines Wissens nur ein Sek¬
tionsbefund darüber vor in dem Fall von Kundrat8), in
welchem das Herz durch einen nur in die Rippe dringenden
Schuss eine Kontusion erfuhr; doch ist die unmittelbare Be¬
ziehung der Verdickung des freien Mitralisrandes zu der Ver¬
letzung deshalb nicht zweifellos, weil nach letzterer zugleich eine
Sprengung des Vorhofsendokards und eine Perikarditis ein-
getreten war.
Hauptsächlich kommen für die ganze Frage die Zer¬
re i s s u n g e n von Klappen mit oder ohne entzündliche Auf¬
lagerungen auf den Rändern in Betracht, deren anatomischer
Charakter nicht mit dem gewöhnlichen Bilde des perforierenden
Klappenaneurysmas übereinstimmt, und es liegen, allerdings in
geringer Zahl, derartige Beobachtungen vor, in deren Anamnese
*) Nach einem im unterelsässischen Aerzteverein am 19. Juli
1902 gehaltenen Vortrag.
’) Chvo stelc: Wiener med. Presse 1877, S. 1281.
2) Leyden: Chariteannalen 1894, XIX. Jahrg., S. 99.
3) Iiicli. Stern: Die traumatische Entstehung innerer Krank¬
heiten, Teil I, 1896.
4) Al butt: St. George’ s Hosp. Rep. 1S70; Schmidts Jalirb.
Bd. 163, S. 22.
s) Ritter: Berl. klin. Wochenschr. 1889, S. 699.
°) Heidenhain: Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 41, 1895,
S. 286.
7) Riedinger: Monatsschr. f. Unfalllieilk. 1894, S. 351.
Fall II.
s) Kundrat: Wiener med. Wochensclir. 1884, Vereinsbericht
S. 164.
3
MLJEN CHE NER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
1566
pr
eine äussere Einwirkung auf den Körper eine Rolle spielt, einer¬
seits eine besonders starke Kraftanstrengung, z. B. Heben
schwerer Lasten (von Bari e ') als „spontane Rupturen“ be¬
zeichnet), andererseits eine direkt den Thorax treffende, kom-
rimierende oder erschütternde Gewalt, so Hufschlag, Puffer-
)uetschung, Sturz aus grösserer Höhe (Baries „traumatische
Rupturen“); und sie betreffen, ebenso wie die nur am Lebenden
untersuchten Insuffizienzen, welche unter ähnlichen äusseren Be¬
dingungen plötzlich einsetzten, fast stets das Aortenostium. Ich
beschränke mich hier auf die Besprechung der nach direkter
Brustquetschung entstandenen und kann von solchen anatomisch
konstatierten Aorteninsuffizienzen nur 6 Beispiele aus der
Literatur anführen, die von B i g g s "), V e ö "), Duroziez '")
(F. I), Barie (Obs. XIII), Hayden13), Strassmann14),
ferner einen Fall (N. W e i s s '"), der das Pulmonalostium betraf.
In ihnen fand man bald eine vertikal eindringende, bald eine
quere Spalte in einer Klappe und namentlich eine Abreissung
einer solchen (bei Yeo zweier) von ihrer Insertion. An den
Atrioventrikularsegeln selbst sind traumatische Zerreisisungen
nicht gesehen, nur einmal von Barie (Obs. XXXIY, p. 319) an
der Mitralis, von Todd (Baries Obs. XXXYI1I) an der
Trikuspidalis eine Durchtrennung der Sehnenfäden und von
Legend re10) Abreissung eines Papillarmuskels des linken
Ventrikels beschrieben worden.
Die Frage gipfelt darin, ob eine auf den Thorax einwirkende
Gewalt eine g e s u n d e Klappe zum Bersten bringen kann; denn
das unterliegt ja keinem Zweifel, dass bei bestehender Endo¬
karditis, welche schon die Tendenz zur Zerstörung des Klappen¬
gewebes in sich trägt, eine äussere Einwirkung dieses Ereignis
herbeiführen kann. Das bisher beigebrachte Material wird von
manchen noch nicht als beweiskräftig angesehen; dies kam neuer¬
dings zum Ausdruck auf dem internationalen medizinischen
Kongress in Paris, wo im Anschluss an. das Referat von
Castiaux und Laugier 17) über das Thema von massgeben¬
der Seite Zweifel geltend gemacht wurden. Der Grund liegt
darin, dass teils das vorherige Bestehen einer Endokarditis nicht
sicher auszuschliessen, teils der kausale Zusammenhang mit einem
Trauma nicht klar ist; denn in der Regel waren Monate und
Jahre bis zum Eintritt des Todes verflossen. Es fehlt an Fällen,
in denen bald nach einem evidenten Trauma eine unzweifelhafte
frische Ruptur in unkompliziertem Zustand anatomisch demon¬
striert werden konnte.
Ich bin in der Lage, Ihnen über eine Beobachtung zu be¬
richten, welche diesen Anforderungen gerecht wird, und das
Präparat hier vorzulegen.
Dasselbe stammt von einem 85 jährigen Mann (A. Iv., sez.
(1. 13. IV. 1901), welcher bei Nacht aus dem Klosettfenster — ob
demjenigen des 1. oder 2. Stockes, war nicht zu eruieren — herab-
gestiirzt und 2 Stunden später unter demselben im Hofe tot auf¬
gefunden worden war. Danach ist es unbekannt, ob der Tod so¬
fort nach dem Fall eingetreten ist; nach dem Sektionsbefund
möchte ich es annehmen; denn das gesamte Blut war flüssig,
und die geringe Fettembolie der Lungen spricht nicht dagegen,
da dieselbe ja, wie vielfältige Erfahrungen lehren, momentan sich
ausbilden kann. Offenbar ist das Individuum auf die linke Körper-
und speziell Thoraxseite aufgefallen; denn ich fand Frakturen an
10 linksseitigen Kippen 2 — 3 cm neben den Köpfchen mit Ver¬
letzung der Pleura durch ein Fragment und massigem Bluterguss
(300 ccm) in die Brusthöhle, Hautschürf ungen am linken Ellen¬
bogen, Querfraktur des linken Humerus dicht über dem Gelenke,
mehrfache Rupturen in der Milz und zwei an der Vorderfläche des
linken Leberlappens, Zerreissung der linken Alt. renalis und sub¬
peritonealen Bluterguss um dieselbe. Ausserdem bestand eine
Querfraktur des 3. Brustwirbels mit leichter kypliotisclier Krüm¬
mung. Die hintere Aortenklappe trägt einen
ihre ganze Dicke durchsetzenden winklig g e -
knie k teil Bis s, die Spitze des Winkels nach rechts gekehrt
und etwas unterhalb des Schliessungsrandes liegend, der obere
Schenkel endet dicht unter dem Nodulus Arantii, der untere an der
1‘) Barie: Revue de medecine 1881, p. 133, 309, 482.
!") B i g g s: Cit. nach Ster u, S. 11.
n) B. Yeo: Med. Times and Gazette 1878. I, p. 180.
12) Duroziez: L’Union med. 1880, I, No. 72 u. 73.
J®) Hayden: Dublin Quart. Journ. 1807; ref. bei Drey-
l'uss: These de Paris, 1890.
1J) Strassmann: Zeitsehr. f. klin. Med. Bd. 42, S. 347.
1901.
13) N. Weiss: Wiener med. Presse 1-875, No. 1 und 2.
1C) Legend re: Soc. anatorn. de Paris 1839, p. 195.
17) Castiaux und Laugier: XIII. Congres Internat, de
med., Paris 1900; T. 10, med. lögale p. 33.
Ansatzstelle der Klappe; so ist ein dreieckiges Läppchen gebildet,
an dessen Basis man an der dem Sinus Valsalvae zugekehrten
Fläche eine kleine kalkige Härte fühlt. Jedoch ist die letztere
nicht gebrochen, der Riss läuft durch veränderte Klappensub¬
stanz, seine Ränder sind fetzig, leicht blutig gefärbt; auch in der
linken Klappe eine kleine Kalkeinlagerung an der Hinterfläche,
aber nichts von emlokarditischen Effloreszenzen oder von Schrum¬
pfungen. Ausserdem findet sich an der unteren Fläche
d e s v o r d e r e n Mitralsegels ein 2 m m langer Ein¬
riss mit blutiger Färbung in der nächsten Umgebung, und zwar
liegt derselbe genau über dem Ansatz einer Chorda tendinea 2. Ord¬
nung, welche etwas entfernt vom freien Rand an der Fläche
inseriert. Im übrigen sind die Mitralis und ihre Selnientäden
ebenso wie die rechtsseitigen Klappen unverändert, das Herz
etwas atrophisch, das Myokard frei von Degenerationen.
Will man den Mechanismus dieser Klappenzerreissung näher
bestimmen, so darf man wohl eine Verstärkung der Herzaktion,
die von manchen Seiten als massgebend dafür betrachtet wurde,
ausser acht lassen. Offenbar ist es der mechanische Druck des
Aortenblutes, welcher die arterielle Klappe sprengte, und zwar
im Zustand ihrer stärksten Dehnung, also unmittelbar nach Be¬
ginn der Diastole, während die Aortenklappen geschlossen und
die Aorta thoracica maximal gefüllt waren. Mit Rücksicht auf
die möglichen Ursachen einer solchen Zerreissung möchte ich
nicht, wie B a r i 6 will, eine Kompression der Brustaorta mit
Rückstauung des Blutes gegen die Klappen als notwendig, son¬
dern schon die Erschütterung der Blutsäule als wirksam ansehen ;
ein prall mit Flüssigkeit gefülltes Rohr kann bei starker Er¬
schütterung und beim Auffallen bersten, auch ohne dass von
zwei Seiten ein Druck darauf einwirkt. Diese Vorstellung
harmoniert auch am besten mit den Ergebnissen von Baries
Versuchen, der an menschlichen Leichen das Arteriensystem von
der Karotis oder Femoralis aus prall mit Wasser füllte und durch
Hammerschläge gegen die vordere Brustwand wiederholt eine
Zerreissung der Aortenklappen erzielte.
Eine Schwierigkeit liegt nur darin, die gleichzeitige
Ruptur an Semilunar- und Mitralklappe zu erklären. In allen
bisherigen Beobachtungen waren, soweit nicht grossartigere Zer¬
trümmerungen des Herzens Vorlagen, entweder die arteriellen
oder die venösen Ostien Sitz der Verletzung, je nachdem das
Trauma in der einen oder anderen Phase der Herzaktion einge¬
wirkt hatte. Ich glaube, der Einriss in dem Mitralsegel lässt sich
als Konsequenz der Aortenklappenruptur auffassen: Nach Ein¬
tritt der letzteren hat der plötzliche Rückstrom des Aortenblutes
durch die Rissöffnung in den hinteren Ventrikel die offene
Mitralis gewaltsam emporgeworfen und dabei die partielle Ab¬
lösung von ihrem Haftpfeiler, der Chorda tendinea, bewirkt.
Der Fall kann als Beweis dafür dienen, dass in einer den
Thorax treffenden äusseren Gewalteinwirkung die Möglichkeit
gegeben ist, eine Klappe zu sprengen, ohne dass eine Endokarditis
besteht, welche die Gefahr einer spontanen Destruktion in sich
trägt.
Schliesslich weise ich auf die multiplen Einrisse
in der Aorta hin, welche, mit fetzigen Rändern versehen,
sicherlich ebenfalls als Wirkung des Traumas anzusehen sind:
3 stehen untereinander an der rechten Wand der Aorta thoracica
descendens, schräg emporsteigend, 1,5 — 3 cm lang, der vierte quer-
verlaufende gehört der Aorta abdominalis, 4 cm über ihrer Bi¬
furkation, an; an seinem unteren Rand steht eine grössere Kalk¬
platte an, die 3 oberen liegen ausserhalb der fibrösen und z. I.
verkalkten Verdickungen, welche in grösserer Zahl die Intima
einnehmen. Mit Ausnahme des dritten, welcher nur bis in die
Media führt, durchtrennen diese Spalten die Gefässwand bis
auf die Advcntitia, und dieRänder sind überall mehr oder weniger
weit abgeschält. Der Befund ist bemerkenswert im Hinblick
darauf, dass in neuerer Zeit für eine immer grössere Zahl von
dissezierenden Aneurysmen die Ursache in einem vorausgegange¬
nen Trauma gesucht wird. Diese Entstehungsweise wird in der
Regel aus dem ausgebildeten Zustand des Aneurysmas er¬
schlossen; die Vorstadien desselben, wie sie hier vorliegen, un¬
mittelbar nach der Verletzung, hat man selten Gelegenheit zu
beobachten.
23. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aus der Heidelberger medizinischen Klinik (Geh.-Rat Erb).
Ueber traumatische Nephritis.
Von Dr. H. C ursch m a n n jun.
Durch die Reform unserer Unfallgesetzgebung hat die Frage
der traumatischen Entstehung von Krankheiten für die ärztliche
V isst nsc halt ein allgemeines, ein aktuelles Interesse gewonnen.
Auch der innere Mediziner ist heutzutage häufiger als früher vor
die Frage gestellt: Kann die oder jene innere Krankheit nicht
auch durch eine traumatische Einwirkung hervorgerufen, resp.
kann ihre Entstehung durch eine solche mechanische Läsion und
deren Folgen nicht begünstigt werden? So haben wir die trau¬
matische Entstehung von Krankheiten der Lunge, der Pleura,
des Herzens und anderer Organe kennen gelernt, und selbst in
dem dunklen und viel umstrittenen Gebiet der Aetiologie der
Rückenmai kskrankheiten nimmt der Unfall einen immer g-rös-
seren Raum ein.
Eines der am wenigsten bearbeiteten Kapitel dieses Gebietes
ist nun das der traumatischen Nephritis. Nicht als ob die
Kenntnis derartiger Erkrankungen erst neueren Datums wäre.
Im Gegenteil, schon 1839 betont der Franzose Rayer das Vor¬
kommen der „Ai ephrite traumatiqueu, ohne allerdings zwischen
eitrigen Entzündungen der Niere post trauma und echter Ne¬
phritis in unserem Sinne einen rechten Unterschied zu machen.
In den 50 er und 60 er J ahren haben dann Vogel, Holmes,
B i 1 1 r o t h, B ä u m 1 e r u. a. Fälle von traumatischer Nephritis
veröffentlicht.
\ on chirurgischer Seite, besonders durch die Arbeiten von
S i m o n, Maas und K ii s t e r, wurde ihre Eigenart auf dem
Wege der klinischen Beobachtung und auch des Tierexperiments
verfochten.
Die innere Medizin hat der traumatischen Aetiologie der
Nephritis stets skeptisch gegenüber gestanden. E. Wagner
führt sie als recht zweifelhaft an und Senator erwähnt in der
reichen Fülle der ätiologischen Möglichkeiten die Unfallsent¬
stehung nicht einmal.
ln neuester Zeit hat nun Stern die Frage der Nephritis
traumatica in allgemein pathologischer und klinischer Hinsicht
eingehend behandelt und das bisher bekannte Material gesichtet
und geordnet. Er kommt zur Aufstellung verschiedener Gruppen
der Krankheit, unter denen ich als in ihrer traumatischen Eigen¬
art am besten begründet und auch für unseren Fall massgebend
nur die eine hervorheben möchte : nämlich die Gruppe
jener lange Zeit, über Jahresfrist, dauernden
Eiweiss- und Zylinderausscheidungen nach
Nierenläsionen traumatischer Art, bei denen
es nie zur Ausbildung sonstiger nephritischer
Symptome kommt.
Zu diesen Fällen scheint mir nun auch der zu gehören, über
den ich in folgendem kurz berichten möchte.
Der medizinischen Klinik zu Heidelberg wurde am 3. XII.
1901 ein Patient zur Erstattung eines Gutachtens überwiesen,
in dem die Frage der eventuell traumatischen Entstehung einer
seit längerer Zeit beobachteten Albuminurie entschieden werden
sollte. Meinem hochverehrten Chef Herrn Geh.-Rat E r b sage
ich an dieser Stelle für die Ueberlassung des Falles und das Inter¬
esse, das er an dessen Bearbeitung genommen hat, meinen er¬
gebensten Dank.
Aus den Akten und den Aussagen des Pat. liess sich etwa
folgende Vorgeschichte entnehmen:
Pat. L. stammt aus gesunder Familie und will als Kind nie
ernstlich krank gewesen sein, speziell nie an Scharlach, Diphtherie
und Halsentzündungen anderer Art gelitten haben. Seitdem er
herangewachsen ist, arbeitet er in dem angestrengten Beruf
eines Tiefbauarbeiters und war bis zu seinem Unfall stets kräftig
mal leistungsfähig. Potatorium und venerische Infektion werden
entschieden negiert.
Am 3. Juli 1899 verunglückte Tat. nun auf folgende Art: Er
bediente gerade die Kurbel zur Oeffnung eines Schleusentors, als
ein Schiff mit grosser Gewalt gegen dies Schleusentor getrieben
wurde. Hierdurch geriet die Kurbel in wirbelnde Bewegung; H.
wurde gepackt und soll mehrere Male in die Höhe und dann auf
den Boden geschleudert worden sein. Der Verunglückte wurde
besonders an der rechten Seite von Brust und Bauch getroffen,
aber auch der linke Unterschenkel und Fuss erlitten erhebliche
Quetschungen. Nach dem Unfall war Pat. etwa % Stunde lang
schwer benommen, nicht ganz bewusstlos.
Als ihn der behandelnde Arzt noch an demselben Abend sah,
stand Tat. noch unter der Wirkung des schweren Schocks. An
äusseren Verletzungen bestanden leichte Quetschungen des Hinter¬
1567
an,
kopfes, des rechten Beines und Armes, erhebliche Verrenkung des
linken Fusses und eine starke Quetschung der rechten unteren
1 hoiaxh.dfte und der rechten Bauchseite, auf der sich auch eine
grössere Hautabschürfung fand.
Pat. litt an Uebelsein und Erbrechen. Der Leib war in
toto ziemlich aufgetrieben und druckempfindlich. In de r
rechte n I> auch seite, in der Nierengege n d, w a r
eine kopfgrosse Geschwulst durch Palpation
deutlich abzugr enze n.
Die Urinentleerung war an diesem und den folgenden Tagen
stark behindert. Zuerst best a n d A n u r i e. I >ann wurden
mit Anstrengung und Schmerzen nur geringe Mengen Urin auf
einmal entleert. lieber die Beschaffenheit des Urins finden wir
leider — trotz dieser auf eine Nierenläsion hindeutenden Sym¬
ptome — keine Angaben. Tat. selbst weiss über diesen Punkt wie
über die ersten Tage nach dem Unfall überhaupt, keine genauen
Angaben zu machen.
Leber den späteren \ erlauf der Erkrankung erfahren wir
leider nicht viel. Pat. war noch ca. 4 — G Wochen bettlägerig-
krank. Noch Anfang August war die oben "be¬
schriebene Resistenz resp. Geschwulst in de r
rechten Nierengegend in verkleinertem Umfan g
p a 1 p a b e 1. Von anderen Erscheinungen ist das Auftreten eines
pleuritisclien Exsudates 1. h. u. bemerkenswert. Ueber Erschei¬
nungen von Seiten der Harnorgane erfahren wir nichts. Das
Interesse des behandelnden Arztes und auch späterer Beurteiler
wendet sich von jetzt ab hauptsächlich der Fussgelenkquetschung
und anderen äusseren Verletzungen des Pat. zu.
In einem Gutachten vom Mai 1900 finden wir denn auch diese
Kontusionen, die die Arbeitsfähigkeit des Pat. noch immer beein¬
trächtigten. eingehend gewürdigt. Eine beiläufige Notiz gibt
dass der Urin keine pathologischen Bestandteile enthalte.
Die lokalen Beschwerden sowohl, wie eine allgemeine kör¬
perliche und nervöse Depression verliessen unseren Unfallkranken
j nicht, sondern scheinen sich im Sommer 1900 eher gesteigert zu
haben. Irgend welche akute Erscheinungen traten in der ganzen
1 Zeit nicht auf. Pat. scheint, wie so viele Unfallkranke, ein häufiger
‘ Besucher seiner Kassenärzte geworden zu sein. Bei Gelegenheit
einer solchen Untersuchung fand Dr. H. in Sp. im Herbst 1900
zum erstenmal geringe Mengen von Albuinen im Urin des Pat.
Die Beschaffenheit des Urins war völlig normal, er war hell und
klar und wurde in normaler Menge entleert.
Eine Erkrankung der unteren Harnwege, eine Urethritis oder
Gystitis bestanden nicht, noch hatten jemals bestanden. — Da die
Arbeitsfähigkeit des Pat. sich, wie gesagt, nicht gebessert hatte,
erfolgte eine nochmalige Einweisung in die chirurgische Klinik
zu Heidelberg zum Zwecke einer Begutachtung im Januar 1901.
Ausser den Residuen der alten Verletzungen und der Neurasthenie
wurde auch hier wieder eine geringe, nicht ganz konstante Albu¬
minurie gefunden. Irgend welche andere Symptome der Nephritis,
sowohl was Beschaffenheit des Urins, als Veränderungen von
Seiten des Herzens anbetrifft, fehlten.
Im Oktober 1901 erfolgte zur Nachprüfung der Erwerbsfähig¬
keit abermals eine Untersuchung in der chirurgischen Klinik,
die neben den anderen Symptomen wieder die geringe Eiweiss-
aussclieidung feststellte. Damals wurde von chirurgischer Seite
zur Beurteilung eines kausalen Zusammenhangs der Albuminurie
mit dem Unfall des Pat. dessen Ueberweisung in die medizinische
Klinik angeregt.
Am 3. XII. 01 bot Pat. folgenden Status: Mittelgrosser, leid¬
lich genährter Mann. Gesichtsfarbe etwas blass, Schleimhäute
und Lippen desgleichen. Gesiclitsziige etwas schlaff, nicht ge¬
dunsen. Keine Drüsenschwellungen, kein Exanthem. Nirgends
eine Spur von Oedemen. Lungen perkutorisch und auskultatorisch
völlig normal. Das Herz zeigte ganz normale Grenzen (III. bis
I. Rippe, linker Steriialrand, etwas einwärts von der linken
Mammillarlinie). Der Spitzenstoss war im Liegen kaum, im Stehen
schwach fühlbar, nicht verbreitert, im V. Interkostal raum etwas
einwärts von der linken Mammillarlinie. Die Herztöne waren
rein. II. Pulmonal- und Aortenton: beide vielleicht etwas lauter
klappend als normal.
Der Puls war äqual, regulär, von normaler Spannung und
Füllung, keine Rigidität des Arterienrohres. Auch die Art. tempor.
nicht geschlängelt, nicht abnorm palpabel. Frequenz zwischen
G4 und 70.
Der Blutdruck (Inittels des G ä r t n e r scheu Tonometers ge¬
messen am Mittelfinger der linken Hand) war etwas geringer als
normal, zwischen 80 und 90 mm Hg, erreichte niemals 100.
Die Abdominalorgane, Magen, Darm, Leber und Milz zeigten
keine Veränderungen. Beide Nieren waren nicht palpabel, auf
Druck weder die linke, noch die rechte Nierengegend besonders
empfindlich. A'on einer Vergrösserung der rechten Niere (siehe
Anamnese) oder einer abnormen Resistenz in ihrer Gegend war
nichts zu fühlen.
Das Nervensystem wies einige charakteristische Symptome
der Neurasthenie auf.
Das Sehvermögen war Aröllig normal, keine subjektiven Er¬
scheinungen einer Erkrankung des Augenhintergrundes.
Zu allen Zeiten der Beobachtung, also sowohl nach 24 stündigef
Bettruhe, wie nach längerem Spazierengehen, wies der Urin die¬
selbe geringe Eiweissausscheidung auf.
Der Urin wär von rotgelber Farbe, völlig klar, sauer, ohne
Sediment. Die Menge schwankte zwischen 1200 und 1000 ccm pro
Tag, das spezifische Gewicht zwischen 1015 und 1025.
Der Urin war frei von Zucker.
2*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
1568
Die Eiweissmenge betrug stets etwa % Prom. Esbach. Beim
Zentrifugieren liess sich (aus dem Urin jeder Tageszeit) ein mini¬
males Sediment gewinnen, das mikroskopisch enthielt: in spär¬
licher Anzahl hyaline und granulierte Zylinde r,
die erste ren seltener, w i e die letzteren, bis¬
weilen zylindroide, wenig Epithelien und einige
Leukocyten. Ausserdem ziemlich viel Urate (Wetzsteinformen
und amorph).
Dieser mikroskopische Befund blieb bei jeder Untersuchung
ziemlich derselbe. Ausserdem sei bemerkt, dass der steril aufge¬
fangene Katheterurin, wie die Abimpfung bewies, keine Keime
enthielt.
Pat. wurde ca. 10 Tage beobachtet und musste dann aus
äusseren Gründen entlassen werden.
Die beantragte Unfallsrente war eine ziemlich beträchtliche,
da die Form der Erkrankung uns in prognostischer Hinsicht nicht
ganz klar war.
Wenn wir nun zur Epikrise des Falles übergehen, müssen
wir uns zuerst die Frage beantworten : Kann nicht schon vor dem
Unfall eine latent verlaufende interstitielle Nephritis bestanden
haben? Man kann das nicht unbedingt verneinen, da der Urin
des Patienten früher nicht untersucht worden ist. Patient war
aber vor dem Unfall völlig gesund und arbeitsfähig und hatte
keine Erkrankung durchgemacht, aus der sich eine solche
schleichende Nephritis entwickeln konnte.
Die andere Frage, ob sich diese Nephritis wohl nach dem
Unfall, aber nicht auf Grund des Unfalls entwickelt haben
konnte, scheint mir leichter abzutun. Es würde spitzfindig sein,
wenn man bei dem absoluten Mangel anderer Aetiologien (akute
Infektionskrankheiten, Blei, Gicht, Arteriosklerose, Alkohol und
Lues) ein zweifellos starkes Trauma der Niere als 1 rsache einer
späteren Erkrankung ausschliessen will. Es sei denn, dass
man die traumatische Entstehung der Nephritis überhaupt
leugnet.
Die Frage: War der geschilderte Unfall geeignet, -eine
Nieren Verletzung hervorzurufen, können wir unbedingt bejahen.
Wir kennen aus den Arbeiten von Simon, Maas, Küster
u. a. die verschiedenartigsten direkten und indirekten Gewalt¬
einwirkungen, die zu Nierenläsion geführt haben.
Unser Patient wurde mit grösster Gewalt von der Winden¬
kurbel gegen die untere Brusthälfte und die rechte Bauchseite
getroffen und dann auf den Boden geschleudert. Wir können
also zwischen direkter und indirekter Gewalteinwirkung wählen.
Küster hat als Ursache mancher Nierenverletzungen an¬
genommen, dass bei reflektorisch bewirkter, plötzlich eintretender
starker Bauchpresse durch die plötzliche Erhöhung des intra¬
abdominellen Drucks eine derartige Steigerung des Flüssigkeits¬
drucks in der Niere bewirkt werde, dass cs zu einer Sprengung
der Nierensubstanz käme. Eine derartige hydraulische Nieren¬
sprengung können wir in unserem Fall ausschliessen, da diese
starke Risse, vom Nierenbecken ausgehend, bewirkt und damit
zu heftigen Blutungen führt. Und Hämaturie hat in unserem
Fall, wie ich noch unten ausführen will, wahrscheinlich gefehlt.
Der schwere allgemeine Schock, der bei Nierenverletzungen
fast nie fehlt, bestand auch bei unserem Pat.. Der Arzt hielt den
Zustand, wie ich noch nachtragen möchte, für durchaus lebens¬
gefährlich.
Das von vielen Autoren bei Nieren Verletzungen beobachtete
Erbrechen hat auch nach dem Unfall unseres Pat. bestanden,
ebenso starker Meteorismus. Der wesentlichste Befund jedoch
war der einer grossen palpablen Geschwulst¬
bildung in der rechten Nierengegend, die noch
einige Wochen bestand und später völlig zurückging.
Diese Geschwulstbildung in der Nierengegend durch Blut¬
erguss in das paranephritisclie Gewebe ist auch in fast allen
Fällen von subkutaner Nierenverletzung von Maas, Küster,
R e c z e y u. a. beobachtet. Oft waren diese Hämatome, wie in
unserem Falle, von beträchtlichem Umfang, von Kopfgrösse, und
wölbten die Bauchdecken erheblich vor. Eine blutige Quetschung
der Bauchdecken, wie sie bei unserem Pat. beobachtet wurde,
wurde häufig, aber nicht konstant gefunden, natürlich nur bei
d i rekten Gewalteinwirkungen.
Mehr oder weniger starke Störungen der Harnentleerung
sind, wie die meisten Autoren hervorheben, als Folge der sub¬
kutanen Nieren Verletzungen ungemein häufig, aber nicht ganz
konstant. Es kann auf reflektorischem Wege zur völligen Anurie
kommen, auch wenn, wie dies natürlich meist der Fall sein wird,
nur eine Niei*e verletzt worden ist. Häufiger als die komplete
Anurie sind allerdings die Oligurie und Poikilurie, die häufig,
und unter Schmerzen stattfindende Entleerung kleiner Mengen
von Urin. Unser Pat. litt direkt nach dem Unfall an Anurie,
die dann einer typischen Oligurie und Poikilurie Platz machte.
Ein wichtiges Symptom der Nieren Verletzung aber, die
Hämaturie, ist bei unserem Pat. nicht beobachtet worden. In
dem Bericht des behandelnden Arztes finden wir zwar die
Störungen der Urinentleerung genau geschildert, über die Be¬
schaffenheit desselben aber kein Wort.
Es ist nun nicht unmöglich, dass der Urin des Pat. durch
einen Zufall der Besichtigung und Untersuchung des Arztes ent¬
zogen wurde. Dem Einwand gegenüber, dass die Hämaturie vom
Pat. wohl stets selbst als ein besonders alarmierendes Symptom
dem Arzt gemeldet wird, möchte ich darauf hinweisen, dass in
einer grossen Anzahl von Fällen solcher subkutanen Nieren¬
läsionen die Hämaturie als recht geringfügig und für den Laien
nicht erkennbar geschildert wird. Auch die Dauer der Häma¬
turie ist häufig eine so geringe, dass sie schon deshalb, besonders
im Privathaus, übersehen werden kann.
Aber wenn auch in unserem Falle die Hämaturie wirklich
gefehlt hat, so bewiese das doch nichts gegen die Diagnose der
N i er en verletz ung. Bei Maas, Reczey, Perey Platon u. a.
finden wir eine Reihe von Fällen (etwa 8) zusammengestellt, in
denen trotz schwerer Nierenverletzung, die zum Teil durch Opera¬
tion oder Sektion bestätigt wurde, die Hämaturie makroskopisch
und mikroskopisch nicht nachzuweisen war. Eine Erklärung
dieser auffallenden Tatsache können wir mit Küster leicht
darin finden, dass es sich in solchen Fällen um Risse in der
Kapsel und Rindensubstanz, die von den Kelchen und dem
Nierenbecken entfernt liegen, handelt und daher eine Blutung
leichter in das paranephri tische Gewebe, als in das Nierenbecken
stattfinden kann.
Wenn wir uns nun nach dem ätiologischen Zusammenhang
zwischen Trauma und Nephritis bei unserem Patienten Umsehen,
so müssen wir uns mit der zunächst auffallenden Tatsache ab-
finden, dass zwischen dem Unfall und der Entdeckung der Al¬
buminurie ein relativ langer Zeitraum liegt. Zur Erklärung sei
bemerkt, dass die Eiweissmenge stets eine derartig geringe war,
dass sie bei einer Untersuchung, die sich ausschliesslich auf die
Folgen äusserer Verletzungen richtete, dem Untersucher wohl ent¬
gehen konnte. (Der Urin gab zeitweise bei keiner Probe, als der
mit Essigsäure-Ferrocyankalium, eine Eiweissreaktion in Gestalt
einer minimalen Trübung, enthielt aber mikroskopisch dann stets
Zylinder.)
Ausserdem scheint früher, wie zwei Beobachtungen aus der
chirurgischen Klinik zeigen, die Eiweissausscheidung bei unserem
Patienten nicht ganz konstant gewesen zu sein ; ein Grund mehr,
dass sie dem Untersucher bei einer nur einmaligen Untersuchung
des Uri ns entgehen konnte. Diesen intermittierenden Charakter
der Eiweissausscheidung finden wir übrigens auch in einem von
T h i e m publizierten Fall von traumatischer Nephritis ähnlicher
Art erwähnt.
Also liegt es nicht fern, anzunehmen, dass die Albuminurie
längere Zeit, bevor sie entdeckt wurde, schon bestanden hat, sich
wahrscheinlich, wie bei allen analogen Fällen, direkt an den
Unfall anschloss.
Wie haben wir uns nun weiter das klinische Bild unseres
Falles zu deuten? Der ganze objektive Befund stimmt auf¬
fallend ir.it dem Krankheitsbild, das, wie schon erwähnt, Stern,
wohl besonders auf Billroths und Till man ns Vorgang
hin. fixiert hat, mit der traumatischen zirkumskrip¬
ten interstitiellen Nephritis, bei der länger, selbst
über Jahre dauernde Albuminurie und Zylinderausscheidung be¬
obachtet wird, während sonst alle anderen Erscheinungen der
Nephritis ausbleiben. Sektionsbefunde fehlen noch, aber höchst¬
wahrscheinlich handelt es sich um zirkumskripte entzündliche
Herde im direkten Anschluss an die Verletzung der Niere.
Auch in unserem Fall liess der mikroskopische Harnbefund,
das konstante Auftreten von spärlichen granulierten und hyalinen
Zylindern eine gewöhnliche interstitielle Nephritis erwarten.
Aber schon die Menge und das spezifische Gewicht zeigten ein
von dem des Schrumpfnierenharns abweichendes Verhalten : Die
Tagesmenge schwankte zwischen 1000 und 1600, das spezifische
Gewicht zwischen 1015 und 1025.
Charakterisiert wird unser Fall vor allem durch das Fehlen
aller Veränderungen der Kreislaufsorgane : Bei einer so lang Iw-
23. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1569
stehenden Nephritis finden wir keine Spur von Hypertrophie des
linken Herzens, keine abnorme Spannung und Rigidität des
Pulses resp. des Arterienrohrs. Ja, der, wie schon ZiemsSen
hervorhob, feinste Gradmesser für die nephritische Kreislauf -
Störung, die Steigerung des Blutdrucks, fehlt in unserem Fall
willig. Ein Parallelfall, der kurze Zeit darnach von uns be¬
obachtet wurde, illustriere das Auffallende dieses Verhaltens:
Bei einem älteren Manne, der in seinem Allgemeinzustand und
(lern Verhalten des Urins das typische Bild der genuinen
Schrumpfniere bot, fehlte ebenfalls die Herzhypertrophie und die
Rigidität des Pulses, sein Blutdruck betrug aber stets — bei Bett¬
ruhe gemessen — zwischen 150 — 160 mm Hg (Gärtners Tono¬
meter), also 30 — 40 mm über der Norm. Unser Patient hin¬
gegen hatte meist einen Blutdruck zwischen 80 und 90 mm Hg,
selbst ausser Bett und im Sitzen gemessen.
Gerade die letztgenannten Momente, das Fehlen der typischen
nephri tischen Herz- und Krexslaufserscheinungen, berechtigen
uns also vor allem, unseren I all der Gruppe der traumatischen
Nephritis interstitialis circumscripta einzureihen.
Die anatomische Erklärung der Eigenart dieser Fälle durch
einen zirkumskripten entzündlichen Prozess, wie ihn vor Stern
iibiigens auch Z iemssen schon für eine Anzahl besonders
schleichend und gutartig verlaufende Fälle von Nephritis inter¬
stitialis angenommen hat, erscheint nach zwei Seiten sehr plau¬
sibel: Erstens trifft ein Unfall in den allermeisten Fällen nur
eine Niere. Wir wissen nun, dass, falls die andere Niere unver¬
letzt bleibt und normal fuidvtionieren kann, diese zur Aus¬
scheidung der harnfähigen Substanzen vollauf genügt. Und
wenn wir nun ferner in der betroffenen Niere nur einen um¬
schriebenen, nicht allgemein ausgebreiteten interstitiellen Prozess
annehmen, so können wir leicht einsehen, dass dadurch der dele¬
täre Einfiuss aut Herz und Gefäsisystem - — - dessen Qualität
ganz dahingestellt bleiben mag — in Fortfall gerät.
Diagnostisch zu beweisen wäre die einseitige Erkrankung
übrigens durch den Katheterismus der Ureteren und gesonderte
Untersuchung des Harns. Aus äusseren Gründen wurde diese
Methode bei unserem Pat. unterlassen.
Pathologich-anatomisch liegen über Fälle unserer Art noch
keine Erfahrungen vor. Ein Sektionsbefund wurde nie erhoben,
denn sämtliche bisher veröffentlichte Fälle, die von Billrot h,
B ä u m 1 e r, Beck, T h i e m u. a., endeten, da sie wie unser
Fall ohne jede Komplikationen von Seiten anderer Organe, be¬
sonders des Herzens, verliefen, innerhalb Monate, im B i 1 1 r o t h-
schen lall in mehr wie einem Jahr, günstig und gingen in
völlige Heilung über. 1 illmanns hat jedoch in seiner grund¬
legenden experimentellen Arbeit über die Einheilung aseptischer
Fremdkörper resp. toter Organteile in Leber und Niere gezeigt,
ivie es im Anschluss an die Narbenbildung zu zirkumskripten
interstitiellen Entzündungen kommen kann. Er fand schon
2 Monate nach der Verletzung in einiger Entfernung von der
Barbe Parenchymzellen in lebhafter Kernwucherung, massenhaft
. lusgewanderte Leukocyten und den Beginn einer ausgedehnten
( refäss- und Bindegewebsneubildung, die sich über relativ grosse
Abschnitte des Organs erstreckte und das normale Parenchym
hier zum grössten Teil zerstört hatte.
Diesen Befund hat später Grawitz durch ähnliche Tier¬
experimente bestätigt.
Zum Schluss möchte ich noch einer Erwägung Ausdruck
geben, die sich mir beim Studium des einschlägigen Materials
aufgedrängt hat: Wenn wir die auffallend leichte Lädierbarkeit
des Nierenparenchyms ins Auge fassen, die Tatsache z. B., dass
inan nach M enges A organg schon durch blosse Palpation
einer A\ anderniere relativ beträchtliche Albuminurie hervorrufen
kann, alsdann dass man auch nach leichten Unfällen (Erschütte¬
rungen etc.) längerdauernde Albuminurie auftreten sieht, so liegt
es vielleicht nicht fern, gerade unter jenen leichten, latent und
gutartig verlaufenden Formen von Schrumpf niere, wie sie
Ziemssen beschrieb, sich nach einem Unfall in der Anamnese
umzusehen. Vielleicht würde man häufiger, als man bisher an-
nimmt, eine traumatische Aetiologie dieser Nephritisform finden.
Literatur.
1. Simon: Chirurgie der Nieren. II. Stuttgart 1876. —
2. M a a s: Klinische und experimentelle Untersuchungen über die
subkutanen Quetschungen und Zerreissungen der Nieren. Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. X, 1878. — 3. E. Röczey: Ueber subkutane
Nieren Verletzungen. Wien. Klinik 1888. — 4. E. Grawitz: Ueber
l
I
Nierenverletzungen. Arch. f. klin. Cliir., Bd. 38. — 5. E. Küster:
Die chirurgischen Krankheiten der Nieren. 1. Hälfte Deutsche
Chir. 1896. - 6. E. Wagner: Der Morbus Brigthii Ziemssen!
Handbuch, Bd. IX. , — 7. S en at o r: Die Erkrankungen der Nieren
Nothnagels Handbuch, Bd. XIX. — 8. Billrot h: Chirurgische
Erfahrungen in Zürich 1860—1867. Arch. f. klin. Chir., Bd. X. —
9. I i a uz. Zur Kasuistik der subkutanen Nierenverletzungen. _
10. Th i ein: Handbuch der Unfallerkrankungen. Stuttgart 1898.
- 11. T illmanns: Interessante Veränderungen der Leber und
Nieren nach Trauma. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 19, 1884. —
12. Beck: Neue Beobachtungen über Zerreissungen lebenswich¬
tiger Organe des Unterleibs. — 13. Stern: Ueber traumatische
Entstehung innerer Krankheiten. Jena 1900. _ 14. Percy Patoir
British med. .Tourn. 1900.
Aus der inneren Abteilung des städtischen Louisenhospitals zu
Dortmund (dirig. Arzt: Oberarzt Dr. Burghart).
Zur Kasuistik der traumatischen Pneumonie.
Von Dr. med. Otto Schild,
z. Zt. Assistenzarzt am Bürgerkrankenhaus Elberfeld.
Traumen, insbesondere Traumen der Brust, sind als ätio¬
logisches Moment für die Entstehung genuiner Pneumonien
heute noch nicht von allen Klinikern anerkannt. Das zeigt
ein Blick in die neuen und neuesten Lehrbücher der inneren
Medizin. Der Grund dafür ist in den Schwierigkeiten zu suchen,
die sich der Erkennung der „traumatischen“ Pneumonie als sol¬
cher besonders in Krankenhäusern entgegenstellen. Wie schon
Litten in seiner Arbeit im Jahre 1882, die diese Aetiologie
als etwas ganz Neues klarlegte und aufdeckte, treffend ausführt,
kommt der Verletzte, wenn neben der Lungenaffektion äussere
Verletzungen (Rippenfrakturen etc.) bestehen, auf die chirur¬
gische Abteilung, wo die innere Affektion der äusseren Verletzung
gegenüber natürlich in den Hintergrund tritt, oder die äussere
Verletzung ist derart, dass auf eine genaue innere Exploration
im Interesse des Kranken überhaupt verzichtet werden muss.
Fehlt dagegen eine äussere Verletzung, so gelangt .der Patient
zwar auf die innere Abteilung, aber seine Pneumonie wird in
den meisten Fällen nicht als eine Kontusions-, sondern als eine
gewöhnliche Pneumonie aufgefasst, weil der Kranke, welcher
selbst den Unfall nicht als die Ursache seiner inneren und noch
dazu einige Tage später auftretenden Lungenaffektion ansieht,
denselben dem Arzte vollkommen verschweigt. Es muss demnach
die persönliche Erfahrung des einzelnen Klinikers seine Stellung
zur Frage, ob es traumatische Pneumonien gebe, bestimmen.
Litten gebührt das Verdienst, durch seine Arbeit über die
durch Kontusion erzeugten Erkrankungen der Brustorgane mit
besonderer Berücksichtigung der Kontusionspneumonie die Auf¬
merksamkeit auf die bis zum Jahre 1882 scheinbar vollkommen
unbekannte Aetiologie resp. Form der Pneumonien gelenkt zu
haben. Nur wenige Autoren schlossen sich der Litten sehen
Lehre an ; Gerhardt pflegte schon vor 18 J ahren, wie mir
Herr Oberarzt Dr. Burghart mitteilte, in seinen Vorlesungen
das Trauma mit als gelegentliches ätiologisches Moment anzu¬
führen. ln den letzten Jahren erst hat sich wohl infolge der
Entwicklung der auf Unfälle und Unfallfolgen sich beziehenden
kasuistischen und statistischen Literatur, hervorgerufen durch
die Unfallgesetzgebung, ein Umschwung insofern eingestellt, als
die Mehrzahl der Kliniker, teils bedingungslos bejahend, teils
zwar mehr oder weniger verklausuliert, aber doch nicht abspre¬
chend, die Frage behandelt. Um nur kurz eines der meist¬
gelesensten Werke zu zitieren, so schreibt Strümpell: „Pneu-
moniker aus der körperlich schwer arbeitenden Klasse geben zu¬
weilen an, infolge schweren Hebens oder infolge eines Stosses
gegen die Brust erkrankt zu sein. Wahrscheinlich ist in solchen
Fällen das hiernach auftretende Seitenstechen meist nicht die
Folge des Traumas, sondern ein Symptom der bereits vorher in
der Entwicklung begriffenen Krankheit. Doch mag immerhin
in einzelnen Fällen ein vorhergehendes Trauma durch die Schä-
di guug des Lungengewebes das Zustandekommen der Infektion
erleichtern.“
Tillmanns z. B. spricht bei der Besprechung von Brust¬
kontusionen nichts von einer eventuell daraus folgenden entzünd¬
lichen Infiltration der Lunge u. s. w. Ein wesentliches Verdienst,
einen Umschwung angebahnt zu haben, scheint nur Stern zu¬
zukommen, der in seinen klinischen Studien über traumatische
Entstehung innerer Krankheiten die erste grosse Statistik über
traumatische Pneumonien gab. Ster u stellt die bis dahin
No. 38.
1570
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
publizierten kleineren Statistiken von Litten, Demuth,
Jiirgensen etc. zusammen und fügt die in der Breslauer
Klinik gewonnene, eigene, bei weitem grösste hinzu. Insgesamt,
berichtet er über 3693 Fälle von Pneumonien. Nimmt man aus
den von ihm mitgeteilten Zahlen den Durchschnitt, so ergibt sich
ein Prozentsatz von traumatischen Pneumonien in Höhe von
rund 1,6 Proz. Die Zahl dürfte indes wohl zu hoch gegriffen
sein, da sie durch die Statistik Bittens, der unter seinen
320 Pneumonien innerhalb eines Zeitraums von 6 Jahren 14 mal
den Ursprung durch Kontusion nachweisen konnte (= 4,4 Proz.)
allzusehr beeinflusst wird. Litten selbst erklärt seinen hohen
Prozentsatz durch einen besonderen Umstand, nämlich durch
zahlreiche Unglücksfälle beim Bau der Berliner Stadtbahn.
Scheidet man die L i t t e n sehe Statistik aus, so ergibt sich ein
durchschnittlicher Prozentsatz von rund 1,3 unter insgesamt
3373 Pneumonien. Es wäre wünschenswert, dass weitere Sammel-
berichte grosser Anstalten veröffentlicht würden, welche eine
Kontrolle dieser Zahl auf ihre Allgemeingültigkeit ermöglichen
würden. Ich möchte glauben, dass sie sich eher noch um einige
Zehntel niedriger als höher stellen würde. J edenf alls ist der
Prozentsatz ein recht kleiner, und es scheint mir erlaubt, solche j
Fälle, welche mit grösster Wahrscheinlichkeit auf Traumen
zurückzuführen sind, zu veröffentlichen. Ein solcher kam seiner¬
zeit im Louisenhospital zur Beobachtung:
II. Tr., Zugführer (in aktivem Dienst), G4 Jahre alt, wurde
am 12. Februar 1902, Abends, eingeliefert. Patient gibt an, vor
2 Tagen plötzlich erkrankt zu sein. Am Vormittag dieses Tages,
also am 10. II. 02, fiel er infolge Glatteis auf der Strasse hin und
zwar auf die rechte Seite. Infolge heftiger Schmerzen in der
rechten Seite, besonders in der rechten Brustseite, war es ihm un¬
möglich, sich ohne Hilfe zu erheben, so dass er von Vorüber¬
gehenden aufgehoben und in seine Wohnung gebracht werden
musste. Vor dem Fall will Patient durchaus gesund gewesen sein,
habe keinerlei Schmerzen, keine sonstigen Beschwerden, des Be¬
sonderen weder Husten, noch Auswurf etc. gehabt. Im Bette er¬
holte er sich allmählich von dem Unfall, der keine schlimmen
Folgen zu haben schien; doch trat am Spätabend desselben Tages
plötzlich heftiger Frost ein. Auch am folgenden Tage stellten sich
Schüttelfröste ein. Patient fühlte sich sehr elend, so dass ein Arzt
hinzugerufen wurde. Inzwischen stellte sich Fieber ein, so dass
Patient die Hilfe des Spitals am 2. Tage nach dem Unfall auf¬
suchte. Bei der Aufnahme klagte er über heftige rechtsseitige
Brustschmerzen beim Atmen, Schmerzen in beiden Beinen, Kopf¬
schmerzen, Kurzatmigkeit, geringen Auswurf.
Status praesens: Patient, ein Mann von 64 Jahren, zeigt
mittlere Statur, relativ kräftigen Knochenbau, gut entwickelte
Muskulatur, geringes Fettpolster. Die Hautfarbe ist normal. Ge¬
sichtsfarbe bläulich rot. Auf Brust und Abdomen vereinzelt kleine
Angiome. Keine Exantheme, keine Oedeme. Temperatur 39,5 per
axillam. Puls 112, regelmässig, Pulswelle hoch, massige Span¬
nung. A. radialis geschlängelt, ihre Wand sklerotisch. Pupillen
gleich weit beiderseits, prompt reagierend. Sensorium frei. Zunge
grauweiss belegt. Der Bau des Thorax ohne Abnormitäten.
Zeichen von Verletzungen desselben, Rippenfrakturen, Infrak¬
tionen, Blutaustritte etc. sind nicht aufzufinden. Die rechte
Thoraxhälfte bleibt bei der Atmung erheblich hinter der linken
zurück. Atmung stark dyspnoiscli. Die untere Lungengrenze vorn
in der Mammillarlinie am oberen Rand der VII. Rippe, in der
Axillarlinie unterer Rand der VII., neben der Wirbelsäule in Höhe
des XI. Proc. spinosus der Brustwirbel. Untere Grenze schlecht
verschieblich. Die oberen Grenzen normal verschieblich. Rechts
hinten oben in Höhe des II. bis V. Brustwirbeldorns Dämpfung
und Bronchialatmen. Pektoralfremitus verstärkt. Rechts vorn
oben in einem kleinen Bezirk Dämpfung, Bronchialatmen und
Knisterrasseln. Rechts Mittel- und Unterlappen, sowie links die
ganze Lunge frei.
Herz zeigt normale Grenzen; Spitzenstoss schwach, innerhalb
der Mammillarlinie. Herztöne leise, rein. Abdomen von normaler
Wölbung, nicht aufgetrieben, nicht druckempfindlich, Hepar, Lien
• non ipalpabel. Refiexe normal. Keine Motilitäts- noch Sensi¬
bilitätsstörungen.
Urin klar, dunkel, schwach sauer. Albumen als starke
Trübung vorhanden. Chlorideausscheidung stark vermindert.
Sanguis-, Saccliar.-, Indikan-, Diazoreaktion negativ.
Diagnose: Rechtsseitige Oberlappenpneumonie.
T h e r a p i e: Ruhe, Alkoholika, Tct. Opii benzoica.
Der weitere Verlauf gestaltete sich folgendennassen:
. Am 13. II. Morgens 39, Abends 39,5. Puls 112, schwach,
Iiespirat. 32. Starke Cyanose; Haut feucht, Gesicht mit Scliweiss
bedeckt, Expektoration gering. Sputum schleimig, eitrig.
14. II. Temperatur 39,3—39,5. Puls 128. Ilespir. 36. Dys¬
pnoe stärker; im allgemeinen keine Veränderung. Therapie:
Digitalis, Kampher.
15. II. Temperatur 39,3—39,6. Puls 118. Ilespir. 40. Ange¬
strengteste Tätigkeit der auxiliären Atemmuskulatur. Cyanose
stärker. Lippen trocken. Gesicht mit Scliweiss bedeckt. Haut
feucht. Die Dämpfung wie Bronchialatmen über den ganzen
überlappen sich erstreckend. Pektoralfremitus deutlich verstärkt.
T herapie: Digitalis, Kampher.
16. II. Morgens 9 Uhr. Temperatur 3S,7. Puls 108. Ilespir. 40.
Agone. 11 Uhr Exitus letalis.
Die Sektion ergab: rneumonia crouposa lob. super, dextr.
Emphysema pulm. dextr. et sin. (Unterlappen). Hypertrophia ven-
tricul. sin. Stauungsleber, Stauungsniere. Arteriosklerose.
Keine Zeichen einer mechanischen Verletzung des Brustkorbes
oder der Organe oder sonst eines Körperteils.
In dem Safte, der von der Schnittfläche des infiltrierten
Lungenlappens gewonnen wurde, wurden massenhaft typische
Pneumokokken nachgewiesen.
Das Trauma und die Entzündung des Lungengewebes folgen
so auffallend aufeinander, dass der kausale Zusammenhang der
Pneumonie mit dem erlittenen Unfall zum mindesten wahrschein¬
lich ist. Nur wenige Stunden nach dem Unfall, und Schüttel¬
fröste deuten an, dass der Körper sich auf eine höhere Tem¬
peratur einzustellen im Begriff ist. In den Litten sehen
Fällen war die pneumonische Infiltration durchweg nach 2 Tagen
nach dem Trauma feststellbar. Ob im obigen Falle der Zeit¬
punkt der Aufnahme — nach 2 Tagen mit dem Auftreten
der objektiven Symptome zusammenfällt, ist nicht feststellbar.
Bemerkenswert ist im vorliegenden Falle, dass das Trauma die
rechte Brusthälfte direkt getroffen hat und die Pneumonie sich
rechtsseitig lokalisierte, ferner insofern, als ersichtlich, wie ge¬
ring die Zeit sein kann, welche zwischen Trauma, Infektion der
Lunge mit Pneumokokken und Ausbruch der eigentlichen Pneu¬
monie verstreicht. Der nähere Vorgang bei der Infektion der
Lunge durch das Trauma kann auf zweierlei Weise gedeutet
werden. Entweder hat die heftige Erschütterung des Thorax
und des ganzen Körpers eine momentane starke Beeinflussung
der Zirkulation, besonders der der rechten Brusthälfte, oder eine
mechanische Läsion des Parenchyms der Lunge zur unmittel¬
baren Folge gehabt und dadurch Aussäung und Ansiedlung von
Pneumokokken aus den oberen Luftwegen oder einem in der
Nähe belegenen latenten Pneumokokkenherde herbeigeführt.
Die Prädisposition zu der gesetzten Läsion des Lungen-
parenchvms würde in dem V erlust der Elastizität, dem „Volumen
au c tum“ der emphysematosen Lunge zu suchen sein. Eine me¬
chanische Aetiologie scheint mir das Näherliegende zu sein.
Zum Schluss ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn Ober¬
arzt Dr. Burghart meinen ergebensten Dank für die gütige
IJeberweisung des skizzierten Talles auszusprechen.
Aus dem hygienischen Institute der Universität Wien.
Ueber den Bazillus des malignen Oedems (Vibrion
septique).
Von R. Grassberge r und A. Sc hatten froh.
Die mannigfachen Beziehungen, welche die Buttersäurebak¬
terien zu pathologischen Prozessen aufweisen (Rauschbrand, Gas¬
phlegmone), veranlassten uns, uns auch mit einer Gruppe von
Bakterien eingehender zu beschäftigen, deren Eigenschaften, so¬
weit man aus der Literatur einen Schluss ziehen konnte, sie als
nahe Verwandte der Buttersäurebakterien erscheinen liessen : mit
den Bazillen des malignen Oedems.
Da wir demnächst unsere gesamten Untersuchungen über
die Bakterien des Rauschbrands und der Gasphlegmone ausführ¬
lich zu veröffentlichen gedenken, und im Anschluss an dieselben
auch die Bazillen des malignen Oedems besprechen wollen, genügt
es, an dieser Stelle das Wichtigste zu ihrer Charakterisierung
hervorzuheben.
Pathologisch-anatomisch ist „malignes Oedem“ gewiss ein
Sammelname, der in keiner Weise hinsichtlich der Erreger des¬
selben einen bestimmten Aufschluss gibt. Zweifellos ist auch von
pathologischen Prozessen Gasphlegmone und Rauschbrand mit
„malignem Oedem“ häufig zusammengeworfen worden, was bei
dem wechselnden Bilde beider Affektionen wohl verständlich
erscheint, die Sichtung der Literaturbefunde aber ungeheuer er¬
schwert.
In bakteriologischer Hinsicht lässt sich bei genauer Kennt¬
nis der Buttersäurebazillen, speziell auch der Rauschbrandbazillen,
verhältnismässig leicht eine Gruppe von Bakterien abgrenzen,
die durch eine Reihe konstanter Merkmale ausgezeichnet sind,
und wegen ihrer regelmässig zu beobachtenden biologischen Eigen¬
schaften — entsprechend der Literaturbenennung — als die
Bazillen des malignen Oedems lcat’ exochen bezeichnet werden
können.
23. September 1902.
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
. Unsere Untersuchungen über diese Gruppe von Bakterien
sind mit 4 Stammen angestellt. Der eine davon ist der Original-
stammP asteurs (vibrion septique), den wir der freundlichen
Vermittlung Herrn Prof. Metschnikoffs verdanken, der
zweite wurde aus Erde isoliert, der dritte aus der Peritoneal-
flussigkeit eines an Kolik verstorbenen Pferdes, der vierte Stamm
stammt aus einer Gasphlegmone“ des Menschen, und wurde uns
m freundlichster Weise von Herrn Dr. Ghon überlassen
Die Beschreibung dieser Bakterien, wie wir sie in folgendem
geben, deckt sich vielfach mit Angaben der Literatur, soweit die¬
selben sich auf das charakteristische Bild beziehen, das
LbL 6 “ T’ ° ° ’ ° “ f f k y’ S a n f e 1 i « e u. a. gesehen
Folgende kulturelle und biologische Eigentümlichkeiten sind
hervorzuheben :
1. Der Oedembazillus zeigt bei verschiedenen Kulturbedin-
gungen regelmässige Stäbchen, Fäden und Klostridien in wech¬
selnder Menge. Bei Behandlung der Trockenpräparate mit Jod
weisen die Vegetationen fast regelmässig reichliche Mengen von
Granulöse auf, die hierbei seltener einen blauschwarzen, meist
einen rothbraunen Farbenton zeigt. Wir werden seinerzeit be¬
richten, m welcher Weise sich diese Färbungsunterschiede diffe¬
rentialdiagnostisch verwerten lassen, und unter welchen Bedin¬
gungen die Stäbchen frei von Granulöse sind.
i ■ 1S* em breiig anaerobes Bakterium und zeigt schwache
Ins lebhafte Eigenbewegung ; durch das E r m e n g h e m sehe Ver¬
fahren lassen sich peritriche Geissein in grosser Zahl nachweisen.
• m- ^ei' 0edembazillus bddet in den Kulturen und im Tiere
reichlich Sporen, insbesondere befähigt ihn im ersteren Falle
hierzu das Wachsthum auf sterilem Fleische, auf welchem häufig
buchstäblich jedes Stäbchen versport. Es ergeben sich hinsicht-
hch des morphologischen Verhaltens bei der Versporung und hin¬
sichtlich der Erzeugung asporogener Rassen von Oedembazillen
bemerkenswerte Eigentümlichkeiten, deren genauere Detaillierung
von uns später mitgeteilt werden soll.
4. Sowohl bei 20 0 C. als auch bei Bruttemperatur wächst
er leicht auf den gebräuchlichen Nährböden. Die Kolonien in
Gelatine stellen kugelige, mit trüber Flüssigkeit erfüllte Hohl¬
raume dar, die Kolonien in Agar sind niemals glatt konturiert,
sondern weisen stets zahlreiche Ausläufer auf. In Gelatinestich¬
kulturen, in denen regelmässig rasche Verflüssigung auftritt, sieht
man häufig vom Vegetationszentrum aus strahlenförmige Aus¬
läufer in den Nährboden eindringen.
5. In biologisch-chemischer Hinsicht charakterisiert sich der
Oedembazillus als Fäulnis- und Gärungserreger. In ersterer Be¬
ziehung sind seine Zersetzungen nicht sehr weitgehend, zum Teil
wohl deshalb, weil ihm die Fähigkeit, koaguliertes Eiweiss wieder
m Losung zu bringen, regelmässig zu fehlen scheint. Als
Garungserreger greift er die Zucker — speziell Dextrose wurde
bisher untersucht leicht an. Er bildet aus letzterer neben
iuchtigen Säuren, wie Buttersäure und Ameisensäure, Milchsäure
und regelmässig kleine Mengen von Aethylalkohol.
In Milch wird, soferne überhaupt Wachstum eintritt, das
Kasein durch Säurewirkung gefällt, und das Koagulum, wie
Analysen des Stickstoffgehalts der Molke ergaben, nicht wieder
in Lösung gebracht. Hiebei wird auch Gasbildung gesehen. Die
Molke zeigt einen wechselnden Stickstoffgehalt, davon her¬
rührend, dass nicht alle Stämme in gleicher Weise und auch nicht
gleich regelmässig das Kasein vor der Fällung zum Teil
weitergehend verändern und lösliche Stickstoffprodukte daraus
bilden. Die Milchkultur zeigt entweder einen molkenartigen oder
einen leichten Fäulnisgeruch, Unterschiede, die nach unseren bis¬
herigen Erfahrungen zum Teil auf Rassenverschiedenheiten der
Stämme, zum Teil auf Einflüsse zurückzuführen sind, welche mit
der Vorbehandlung der zur Aussaat verwendeten Kulturen Zu¬
sammenhängen.
7. Charakteristisch ist die Entwicklung in bei 80 0 rasch er¬
starrtem Rinderserum. In diesem Nährboden tritt unter leb¬
hafter Gasbildung, die denselben zerklüftet, üppiges Wachstum
ein. Hierbei wird meist reichlich Flüssigkeit, die noch gerinn¬
bares Eiweiss enthält, ausgepresst, und weisen die Kulturen gleich¬
zeitig einen urinösen, bezw. einen Geruch nach Schwefelwasser¬
stoff auf. Eine L ö s u n g des geronnenen Serumeiweisses erfolgt
nicht, was auch daraus geschlossen werden konnte, dass in
Peptonbouillon eingebrachte Würfel von koaguliertem Serum
selbst nach Wochen unverändert blieben.
1571
8- Der Oedembazillus bildet lösliche Toxine, doch ist es uns
bisher nicht gelungen, dieselben in ähnlicher Konzentration wie
die Rauschbrandgifte herzustellen.
9. Der Oedembazillus ist für Meerschweinchen, anscheinend
ohne abgesehwacht werden zu können, hochgradig pathogen. Die
Bazillen sind postmortal gelegentlich im Herzblut anzutreffen,
und finden sich regelmässig noch intra vitam auf der Oberfläche
der Leber. Hiebei bilden sie stets, wenn auch manchmal nur in
vereinzelten Exemplaren, längere oder kürzere Fäden.
Ueberblickt man die angeführten Merkmale, so ergibt sich
dass der Oedembazillus durch eine Reihe von Eigenschaften
(räscho Gelatineverflüssigung , Erregung von Eiweissfäulnis,
-p G 1 ’T. a v °. 1 0 b i 1 d u n g etc.) dem „fäulniserregenden“
Buttersaurebazillus sehr nahe kommt. Er unterscheidet sich aber
von demselben, abgesehen von morphologischen Differenzen, durch
das fl e h 1 e n der Fähigkeit, die geronnenen Eiweisskörper wieder
m Losung zu bringen. Gegenüber dem Rauschbrandbazillus, der
geradezu den Typus des echten Buttersäurebazillus repräsentiert,
sind aber so zahlreiche Unterschiede vorhanden, dass es fast
schwerer fiele, Ärmlichkeiten anzugeben. Solche bestehen höch¬
stens hinsichtlich des makroskopisch beobachteten pathologischen
Bildes im Meerschweinchenkadaver, kulturell sind die beiden
Bakterien aber sehr leicht von einander zu unterscheiden. Das
Wachstum m Gelatine, wobei der Rauschbrandbazillus sehr oft
keine Verflüssigung bewirkt, die Entwicklung in er-
starrtem Serum, das für den Rauschbrandbazillus ein schlechter
Nährboden ist., der nie von Gasblasen durchsetzt erscheint, das
völlige Fehlen der Fäulniserscheinungen in allen Rauschbrand-
kulturen sind allein Merkmale, die die Differentialdiagnose er¬
möglichen. Hierzu kommt noch ein wichtiger Punkt, die
Aetliylalkoholbildung aus Dextrose, die niemals in
Rauschbrandreinkulturen beobachtet wird.
Auch der Leberbefund lässt sich für die Differentialdia<mose
verwerten, da m rauschbrandigen Kadavern niemals die charakte¬
ristische Fadenbüdung auf der Leber, wie sie der Oedembazillus
bei der Meerschweincheninfektion zeigt, beobachtet wurde.
I ur che Differentialdiagnose zwischen Rinderrauschbrand
und Wundbrand m der Praxis empfiehlt sich vielleicht am ein¬
fachsten die Prüfung der fraglichen Kultur mittels spezi-
rischen Serums an Meerschweinchen. *
Durch wiederholte Injektionen von Rauschbrandgiftlösungen
gewannen wir bei einem jetzt schon seit 1V2 Jahren behandelten
Jungrinde ein stark antitoxisches und antiinfektiöses Serum, das
m kleinen Dosen vor sämtlichen in unserem Besitze befindlichen
Rauschbrandstämmen (aus Amerika, der Schweiz, Niederöster¬
reich und Bayern stammend) Meerschweinchen schützte, hin¬
gegen letztere vor. der tödlichen Infektion mit 4 verschiedenen
Stämmen, des malignen Oedembazillus nicht bewahrte.
Es wird übrigens noch eingehenden Studiums bedürfen, um
festzustellen, in welchem Umfange beim Rinde ein natürlicher
Infektionsprozess vorkommt, der durch die Bazillen des malignen
Oedems hervorgerufen wird.
. Von unseren 4 Oedembazillenstämmen verursachten 3, in
Reinkultur (Meerschweinchensaft) Jungrindern injiziert, gering¬
fügige bis hochgradige, auch zur Abszedierung führende Schwel¬
ungen, ohne dass es hierbei zu schweren Allgemeinerscheinungen
gekommen wäre, während der vierte, aus der Peritonealflüssigkeit
cs Pferdes isolierte Stamm ein Kuhkalb bei subkutaner Appli¬
kation in 60 Stunden tötete.
Der bei der Sektion desselben erhobene Befund, der makro¬
skopisch von. den Veränderungen, die der Rauschbrand beim Rinde
setzt, sich nicht unterscheiden Hess, wird später ausführlich mit¬
geteilt werden.
Aus der chirurgischen Abteilung des städtischen Krankenhauses
zu Barmen (Oberarzt : Geh. Sanitätsrat Dr. Heusne r).
Der Extensionsverband nach Heusner.
Von Dr. Hans W ü 1 f i n g, Assistenzarzt.
Der Extensionsverband hat in neuerer Zeit bei der Behand¬
lung von Frakturen und von Gelenkaffektionen der unteren und
auch dei oberen Extremität immer mehr Anhänger gefunden. Die
weiteste Verbreitung hat zur Zeit wohl noch immer der Heft¬
pflasterstreckverband, und doch wird jeder, der denselben viel an¬
gewandt hat, auch seine Nachteile kennen und zu würdigen
wissen. Zunächst sind die oft recht unangenehmen Ekzeme zu
3*
1572
erwähnen, die so häufig bei zarter Haut, besonders bei Kindern
auftreten und die Anwendung der Extension direkt vereiteln,
dann die starken Schmerzen, die durch das Abziehen der Heft¬
pflasterstreifen jedesmal verursacht werden, besonders an behaar¬
ten Körperstellen, wenn man diese nicht vorher gründlich
rasiert hat.
End wenn dann das Heftpflaster nicht kleben will, oder an
der Unrechten Stelle sich anheftet, wenn die klebenden Seiten
aneinander haften und kaum mehr zu trennen sind — was ja bei
richtiger Technik nicht Vorkommen dürfte, in AV irklichkeit sich
jedoch nicht immer vermeiden lässt — , so haben diese kleinen
ärgerlichen Zutaten wohl schon manchem die Extension über¬
haupt mehr oder weniger verleidet.
Alle diese Nachteile finden sich nicht bei den Extensions¬
verbänden, die Herr Geheimrat TI e u s n e r bereits vor einigen
Jahren angegeben, in den letzten Jahren aber noch wesentlich
verbessert hat. Während sie in ihrer ursprünglichen Form noch
etwas umständlich waren — es wurden I ilzstreifen, die durch auf¬
genähte Leinwand verstärkt waren, als Extensionsstoif benutzt - ,
sind sie in ihrer jetzigen Form gerade so schnell und noch ein¬
facher anzulegen wie ein Heftpflasterstreckverband. Die Heus-
n e r sehen Extensionsverbände werden zwar zur Zeit in einzelnen
Kliniken, z. B. von TI e 1 f e r i c h, H o f f a, L ob leer u. a. an¬
gewandt, aber eine allgemeine Anwendung, die sie ihrer Vorzüge
wegen verdienen, haben sie noch nicht gefunden. Vereinzelt sind
auch Beschwerden laut geworden über nicht genügend festes und
nicht genügend langes Haften der TI e u s n e r sehen Streckver-
bände, sowie über Reizung der Haut durch dieselben. Ich er¬
laube mir daher, den Extensionsverband, wie wir ihn hier fast
täglich anlegen und in allen Fällen damit zufrieden sind, sowie
die Technik seiner Anlegung in folgendem zu beschreiben.
Zur Anlegung des Extensionsverbandes nach Heusuer ge¬
hören:
1. Ein Sprayapparat. Derselbe besteht aus einer gewöhn¬
lichen, etwa 100 — 150 ccm fassenden Flasche, sowie einem
T-förmig geformten Röhrchen, das in einem durchlochten Kork¬
stöpsel seinen Halt findet. Der senkrechte Schenkel dieses' T
überragt nach unten den Stöpsel nur um ca. Vz cm, neben dem¬
selben ist noch ein zweites Röhrchen in den Stöpsel eingelassen,
das mit seyiem unteren Ende in die Flüssigkeit eintaucht, mit
dem anderen an der dem Mundstück gegenüberliegenden Oeffnung
des horizontalen T-Schenkels endigt.
2. Die Sprayflüssigkeit. Die Zusammensetzung derselben ist
wie folgt :
Rp.: Ol. ricini 3,0
Resin Damarrh.
Coloph. äa 10,0
Terebinth. 1,0
Aether
Spirit.
Ol. therebinlh. aa 55,0
Filtra
Die Anfertigung und richtige Mischung dieser Masse ist
nicht ganz einfach, es müssen dabei verschiedene Technizismen |
angewandt werden, wodurch es gelungen ist, die Flüssigkeit
absolut reizlos zu machen ’). _ |
3. Extensionsstreifen von verschiedener Breite und Länge, je
nach dem zu extendierenden Glied und dem Alter des Patienten, j
Man kann dazu starke Flanellbinden benutzen, wir verwenden ^
jetzt ausschliesslich einen weissen, wolligen, flanellähnlichen Stoff,
sog. Buckskin oder Moleskin, der recht starken Zug verträgt und
in jedem Tuchgeschäft zu billigem Preise erhältlich ist. Die j
Streifen kann man sieh aus grösseren Stücken des Extensions¬
stoffes in gewünschter Länge und Breite leicht selbst reissen.
Sie werden so breit gemacht, dass sie zusammen fast die ganze
Oberfläche des Gliedes bedecken, um möglichst viele Haftpunkte i
zu gewinnen.
Sehr wichtig ist die Technik, die richtige Art und Weise der j
Anlegung unseres Extensionsverbandes. Der Klebestoff wird
nicht etwa auf das Glied oder gar auf die Extensionsstreifen ein¬
gepinselt, sondern das zu extendierende Glied wird vermittels des
mit dem Munde angeblasenen Sprayapparates von allen Seiten
’) Aus diesen Gründen verfertigen auch wir die Flüssigkeit
nicht selbst, sondern beziehen dieselbe aus der Schwanen- Apotheke
Barmen, welche sie in tadelloser Qualität liefert. Daselbst sind
auch alle anderen Gegenstände erhältlich, welche zu dem
Heusuer sehen Extensionsverband erforderlich sind.
No. 38.
leicht eingestäubt, aus einer Entfernung von Vz—% m. Nachdem
die Knöchel durch schmale Wattekränzchen geschützt sind, wird
der Extensionsstreifen angelegt und zwar so, dass derselbe überall
glatt anliegt und keine Falten bildet, dann wird derselbe mit einer
weichen Mullbinde fest angewickelt. Das feste Anlegen darf aber
nicht etwa durch Zug, sondern nur durch sorgfältiges „Nach¬
streichen“ bewirkt werden, indem man mit der linken Hand jede
Bindentour überstreicht und andrückt, möglichst ohne sogen.
„Renverses“ zu machen.
Wenn der Verband länger liegen soll, wird noch eine Stärke¬
binde über die weiche Binde gewickelt, wobei natürlich auch jedci
Zug- vermieden werden, vielmehr jede Tour mit der linken Hand
festgestrichen werden muss.
Ein solcher richtig angelegter Verband kann dann lange,
wochen-, monatelang liegen bleiben, ohne dass er lästig wird.
Man kann an demselben einen beliebig starken Zug ausüben, den
Zug kann man bis zur Zerreissung der Extensionsstreifen steigern,
ohne dass der Verband abrutschen würde. Und zwar braucht man
mit dem Anhängen der gewünschten Gewichte nicht zu warten,
dasselbe kann vielmehr unmittelbar nach Anlegung des Verbandes
geschehen.
Das Abnehmen eines solchen Streckverbandes lässt sich in
der denkbar einfachsten Weise bewerkstelligen: Nach Abnahme
der Bindentouren werden die Extensionsstreifen einfach abge¬
zogen, was gar keine Schmerzen verursacht, der Klebestoff lässt
sich mit etwas Olivenöl oder auch mit wenig Spiritus leicht von
der Haut entfernen.
Die Extensionsstreifen können gewaschen, geplättet und dann
noch mehrere Male wieder benützt werden, und so besitzt unsei
Verband auch noch den Vorzug grosser Billigkeit, während Heft¬
pflaster in guter, brauchbarer Qualität ziemlich teuer ist.
Eine hübsche und einfache Modifikation dieser Streckver¬
bände hat Dr. B r u n s, früher Assistenzarzt hier, angegeben.
Die Umwicklung des Gliedes fällt dabei überhaupt fort, über das
1 mit der Sprayflüssigkeit eingestäubte Glied wird einfach ein vor¬
her auf gerollter Trikotschlauch gezogen, dessen unten über-
! stehendes Ende vorne und hinten eingeschnitten wird. An den
beiden seitlichen Hälften wird dann der Gewichtszug befestigt.
Die Gegenstände, die wir zu unseren Streckverbänden be¬
nützen, sind nun ferner noch zu den verschiedensten anderen
Zwecken verwendbar. Ein wichtiger Faktor ist dabei, dass die
Sprayflüssigkeit, nach der bakteriologischen Untersuchung von
Herrn Dr. Marckwald, Prosektor am städt. Krankenhaus hier,
frei von Keimen, also aseptisch ist. Man kann dieselbe also ohne
Sorge auf oder in die Nähe von Wunden bringen. So kann man
bei Laparotomiewunden einen praktischen, nicht rutschenden
Verband in folgender Weise hersteilen: Nachdem man auf die ge¬
nähte Wunde selbst einen schmalen aseptischen Gazestreifen ge¬
legt hat, wird die Haut an Bauch und Rücken mit unserem
Spray eingestäubt. Sodann wird eine längere sterilisierte Binde
aus Extensionsstoff in Zirkel touren, die sich dachziegelförmig
decken, ums Abdomen gelegt. Dieser Verband schützt nicht nur
die Wunde sicher gegen sekundäre Infektion, sondern verleiht
auch dem Abdomen einen den Kranken oft recht angenehmen
Halt. In ähnlicher Weise lassen sich improvisierte Leibbinden
zur Nachbehandlung von Laparotomien herstellen.
Die Extensionsstreifen und Sprayflüssigkeit können ferner
verwandt werden zu gürtelförmigen Zugverbänden bei Becken¬
brüchen, bei Rippenfrakturen statt des zirkulären Heftpflaster¬
verbandes, ferner zu seitlichen Zügen, die nicht rutschen dürfen,
bei der Behandlung von Verkrümmungen der Gliedmassen, von
Skoliosen u. s. w.
Sehr wichtige Dienste leistet uns endlich die Sprayflüssigkeit
bei der Anlegung von Heusner sehen Filzkorsetts. Die Stütz¬
mieder derselben sind hergestellt aus einer Unterlage von weichem
Filz, welcher mit gestärkten Gazebinden in 3 — 4 facher Lage sehr
fest umwickelt wird. Zwischen diesen Lagen werden handbreite
Streifen einer Art Rohrgeflecht eingeschaltet, welches im Verein
mit Filz- und Gazebinden ein Gerüst von grosser Festigkeit,
Leichtigkeit und Schmiegsamkeit bildet ')• Durch vorheriges Be¬
stäuben der Haut wird das so wichtige glatte und faltenlose An¬
legen des weichen Filzes ganz bedeutend erleichtert, und vor
allem wird dadurch verhindert, dass sich während des Umwickelns
2) Näheres darüber s. Deutsche med. Wochensehr. 1892, No. 10;
L. Heusner: „Ueber die Behandlung der Wirbelkaries“.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
23. September 1902.
_ MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Falten bilden, da sich der Filz ja nun über der Haut nicht mehr
verschieben kann.
Zum Schluss möchte ich noch beiläufig erwähnen, das« die
Extensionsverbande nach Heusner auch wohl in der Kriegs-
ciirurgie mit Vorteil Anwendung finden könnten, anstatt des
Heftpflasters, das ja dem Verderben durch Feuchtigkeit und
Hitze m hohem Grade ausgesetzt ist.
1573
Aus dem Krankenhause Bergmannstrost (Prof. Oberst) in
Halle a. S.
Ueber die Luxatio tibiae anterior.
Von Dr. Brüning, Assistenzarzt.
Die Luxationen im Kniegelenk gelten allgemein für sehr
seltene Ae riet zu ngen. Eine Arbeit von Gramer1) aus dem
-Jahre 1895 zeigte jedoch, dass sich in der Literatur Aufzeich¬
nungen über eine grössere Anzahl von Fällen finden. Es gelang
ramer aus den deutschen, französischen und englischen
Zeitschriften 270 Falle zu sammeln, deren erster freilich schon
aut ( elsu s zurückgeht.
, ?f al * a ’ g.n,e’ der. zuerst im Zusammenhang die Luxationen
der 1 ibia bespricht, teilt dieselben in so zahlreiche (15) Unter¬
abteilungen ein, dass dadurch die Hebersicht sehr erschwert wird.
I)em praktischen Bedürfnisse genügt es vollkommen, wenn man
Abweichungen des Unterschenkels nach vorn und hinten, innen
und aussen unterscheidet; als seltenste Form wäre eventuell noch
die Kotationsluxation zu nennen.
Vergleicht man die verschiedenen Formen nach ihrer Häufig¬
keit, so ergibt sich unter Benutzung des von Cra m e r ge¬
sammelten Materials, dass hei weitem die häufigste Luxations-
forn, die nach vorn mit 40,4 Proz. ist, dann folgt die nach hinten
(19,6 Proz.), nach aussen (17,8 Proz.) und schliesslich die Lu¬
xation nach innen mit nur 6,3 Proz.; hierbei ist kein Unterschied
zwischen vollständiger und unvollständiger Luxation gemacht.
Das funktionelle Resultat war bei den seitlichen Luxationen
am günstigsten, während bei der Luxation nach vorn, also der
häufigsten, das Endresultat im allgemeinen am schlechtesten aus-
hel. Dieses Verhalten ist sehr leicht erklärlich aus der Art der
JN ebenverletzungen, von denen allein die Prognose abhängt. Die
Getasse und Nervenstämme in der Kniekehle werden am meisten
gespannt beim Ausweichen der Tibia nach vorn. Eine Verletzung
der Art popl. hat aber in jedem Falle die Gangrän des Unter¬
schenkels zur Folge gehabt.
Lon vollständigen Luxationen der Tibia nach vorn, auf die
ich hier nur näher eingehen will, waren bis 1895 im ganzen 97
bekannt. Da m fast allen Fällen die anatomische Bestätigung der
lagnose (Kontrolle durch Röntgenaufnahme) fehlt, so muss
dahingestellt bleiben, ob es sich nicht tatsächlich bei einer An¬
zahl dieser als vollständig beschriebenen Luxationen um unvoll¬
ständige gehandelt hat.
Seit 1895 sind noch 6 Fälle von vollständiger Luxation der
Jibia nach vorn bekannt gegeben.
Kj aer ) berichtete 1896 über einen solchen Fall. Die Re¬
position gelang ihm leicht, jedoch musste er nach monatelanger
Behandlung noch zur Amputation des Oberschenkels schreiten
. Wegen Zerreissung der Art. popl. eine ausgedehnte Gangrän
eingetreten war.
Die anderen 5 Fälle stehen insofern einzig da, als die Ver¬
letzung gleichzeitig erfolgte. Farnes3) berichtet:
18 Bergleute fuhren zusammen in einen Schacht ein. Aus
unbekannter Ursache verlor der Maschinist die Leitung über das
Jnebwerk und der Fahrstuhl stürzte aus einer Höhe von
Ellen in die Tiefe. 5 der Bergleute zogen sich hierbei eine
bux. tibiae anterior zu.
(1,-r K„ili Ti’ J,ahre alt- Die Kondylen des rechten Femur in
lZ die Haut darüber stark gespannt,
lid. oiJ d;yle,n der Tibia sind 2 Zoll nach oben verschoben und deut-
i< li abzutasten. Im Kniegelenk kein Erguss.
gross wio hoi’ r“7 ^ahre: Pie Verschiebung ist hier nicht ganz so
ruunizS? b Quemss der Haut in der Kniekehle, jedoch kom-
SiL liil Wunde nicht mit der Gelenkhöhle. Ausgedehnte
ugillationen am Oberschenkel. Starker Erguss ins Gelenk.
_ iiA- V- K., 66 Jahre. Status wie II, ebenfalls das linke Knie
Bm 21 Jahre- Dieser Fall gleicht in jeder Beziehung
<, , •• uur W11'd er dadurch komplizierter, dass noch ein
Schragbruch de *r luxii wten Tibia mit starker Dislokation hinzukam.
Erguss ms mÄ. F011 1 olme Hautverletzuug und ohne
n. J/ie Verletzten kamen direkt nach dem Unfall in Behandlung
Zug ™aOSjlXrrDraekf0rt TOI'gen0mmen un" sel,,Dff leicl" «»»*
Kiss™ ohne1'i'5enddlwe]Ll?s“fene“,™i
wegen extendiert. 1 uraxtui
- n r Nafh U, Taffen w,irde mit Bewegungen begonnen nach
m°nateU arbeiteten 4 der Leute, ohne Beschwerden zu haben Sie
smd angewiesen eine Kniekappe zu tragen. Fall IV ist ungünstig
verlaufen. Es besteht eine Lähmung der Extensoren am ^UnteS
gestützt werden^ KmegeIenk muss durch einen Schienenapparat
Vor kurzem hatten wir im Krankenhause Bergmannstrost
Gelegenheit, einen Fall von Luxatio tibiae ant. zu beobachten, der
dadurch an Interesse gewinnt, dass wir in der Lage waren,
Kontgenphotogramme davon anzufertigen, was meines Wissens
bislang anderwärts noch nicht geschehen ist.
Dm m den gebräuchlichsten Lehrbüchern vorhandenen Ab¬
bildungen von Luxationen des Unterschenkels betreffen vor¬
wiegend unvollständige Luxationen; eine so schwere Verschie¬
bung der Knochen, wie sie unser Fall zeigt, scheint bisher über¬
haupt noch nicht beobachtet.
A. W., Knecht, 45 .Talire, wurde beim Füttern der Pferde von
d u m ge worf en und mehrfach getreten. Er verlor das Bo-
J 30 T ev Uber <len Mechanismus der Verletzung nichts
,/ eies auzugeben vermag. Ein hinzugerufener Arzt fixierte die
Vi^t'<T',,'ltat..auf eiuer Schiene und veranlasste am nächsten Tage
die Ueberfuhrung des Verletzten nach Bergmannstrost.
Nach Entfernung des Notverbandes fiel sofort die Verkürzung
des linken Beines und die Verdickung des Knies, sowie das starke
7 rominieren der Femurkondylen nach hinten auf. so dass schon
dm ch die Inspektion die richtige Diagnose. Luxation im Knie
werten konnte. Als anderweitig VevlSzunien
fanden sich noch ein Bruch des rechten Schulterblattes und des
• >. rechten Mittelhandknochens.
„„h.D^.feaaiiere Untersuchung der linken unteren Extremität er-
gab. Die Temperatur der Unterschenkel ist herabgesetzt Der
Unterschenkel und Fuss sind blaurot verfärbt. Dicht' unter der
Kmeschmbe ist die livide Hautfärbung scharf abgegrenzt
mn dnseKn-erin0rmale-n Und bIälllich gefärbten Haut läuft rings
mn das Knie herum ein ca. 2 Finger breiter blasser Hautstreifen
J mEft-remltat vollkommen gestreckt, Unterschenkel und Fuss
sind leicht nach aussen rotiert. Der Unterschenkel erscheint
ca. 4 Finger breit verkürzt. Auf der Hinterseite der Kniegelenks¬
gegend springen die Kondylen des Oberschenkels, besonders des
ausseren, unter starker Spannung der Haut sehr deutlich hervor
C°rlyL ext ist die Haat stark verdünnt und sugilliert;'
«Jesgleuhen aber in geringerem Grade über dem Condvl. int. Die
Kondylen der Tibia, deren Gelenkfläche besonders innen deutlich
zu palpieren ist, springen stark nach vorn vor (Fig I) Die Pa
Fig. 1.
> Justus Crame r: Dissert., Würzburg 1S95.
") Kjaer: Hildebrandts Jahresbericht 1896.
' Lames: British medical Journal 1900.
No. 38.
tella, durch einen starken Bluterguss nach vorn gedrängt ist
leicht beweglich und steht mit ihrem oberen Rande leicht gegen
das Os femoris geneigt.
,. ,pn der . Fussohle ist an einer über handtellergrossen Stelle
die Epidermis blasig abgehoben. Nach Angabe des Patienten hat
seine Frau ihm hier einen heissen Ziegelstein gegengelegt da er
m dem Fuss „ein kaltes Gefühl“ hatte.
... .Per Pute der Art. tib. postica ist nicht zu fühlen. Die Sensi¬
bilität ist von der Mitte des Unterschenkels abwärts erloschen,
Fuss und Zehen können nicht bewegt werden.
Die Röntgenaufnahme bestätigt die Diagnose Totalluxation der
idua nach vorn. Die Tibia hat die Gelenkfläche des Femur völli-
verlassen und ist nach vorn und um 7ya— 8 cm nach oben verschoben!
Gleichzeitig ist, wie aus einer Aufnahme von vorn hervorgeht die
Tibia leicht medianwärts verschoben. Das Os femoris ist nach
laaea’ cbe Tibia nach aussen gedreht. Die Patella steht in einem
\\ mkel 's on 20 u zum Oberschenkel geneigt. Absprengungen von
4
1574
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Femur oder der Tibia sind nicht vorhanden
Die Reposition wurde 18. Stunden nach dei ’S ei letzuu-, in
Chlorofomnai-kose von Prof. 0 b er st leicht vollaogen dmch Zug
lK‘i geringer Flexion und durch duckten Druck aut
Knochenteilen vom
(Fig. 2).
Die Reposition
ringer
kondylen.
Fig. 2.
Desinfektion der Hautabschürfungen Abtragung der Dlasen
auf der Fussolile, Lagerung auf eine Volkma n sehe ^Schiene.
Unmittelbar nach der Reposition war in dei Alt. tib post
noch kein Puls zu fühlen; beim nächsten Verbandwechsel, am
•_>. Tage, fühlte man ihn jedocli deutlich. Die Sensibilitatsstorungen
liiiiifvHm sich erst nach geraumer Zeit zurück. _
Im weiteren Verlauf wurde an der äusseren unteren Seite des
Knies ein thalergrosses Stück der Haut gangränös die über d e
Feinurkondylen so stark gespannt gewesen war. Die AN unde heute
*1<ltt’\n der Fussohle bildete sich entsprechend der erwähnten
Rlase im Umfange von fast Handtellergrösse Gangrän aus; Haut.
Fascie plantar., Beugesehnen wurden nekrotisch; die I^Pf°®nf
II bis IV Mittelf ussknocheus lagen m der grossen A\ unde frei.
Die Muskulatur des Unterschenkels "nd J^Tb und ulter-
ständig gelähmt. Reizung des Nervenstammes obeihalb und unte
halb des Capit fibulae ruft keine Zusammenziehung des Muskels
hervorf8 Faradische und galvanische Erregbarkeit der Muskeln
ist fast ganz erloschen. u , , T
Die Sensibilität ist am ganzen Unterschenkel wiedeigekehit. I
Gebiete des Hautastes des Nerv, peroneus wird einfache Le
rühnnig und Temperaturunterschied ebenso empfunden, e\ie an
der unverletzten Extremität. Spitz und stumpf werden in üem
genannten Gebiet nicht unterschieden „lytischen
Unter diesen Umständen konnte von einer Plastischen
Deckung des Defektes, Freilegung und event Naht .des Nerve
ein gutes funktionelles Resultat nicht erwartet weiden, es wuidc
deshalb — 4 Monate nach der Verletzung — die Amputation nach
ti : ,r0f f gemacht. Der Stumpf ist jetzt (0 Monate nach d
Verlegung) gut belastungsfähig;
D-is Kniegelenk kann bis zu einem Winkel von ca. »euem,
Ina vollkommen Reoti-eckt werte»; keltte abnorme seitliche Bc-
wco-iichkeit kein Erguss im Gelenk. ,
" Das elelHHsche Verhalten ist dasselbe, wie bereits angegeben.
Wenn wir die bisher bekannten 104 Fälle von Luxation der
Tibia nach vorne (97 Fälle bei Gramer, 5 bei E am es 1 von
K i a e r und unseren Fall) näher betrachten, so ergibt sich dass
die Verletzung — aus leicht verständlichen Gründen — last nui
bei Männern beobachtet worden ist; von diesen sind alle Lebens
alter vertreten, welche in einem Berufe tätig sind, der grossei e
körperliche Anstrengungen erfordert oder die Arbeiter maschi¬
nellen Verletzungen aussetzt.
Bei weitem am häufigsten kamen die Luxationen zu stände
durch Fall aus grösserer Höhe auf die Eüsse, dann durch direkte
Gewalt, entweder durch einen Schlag von hinten gegen den
Unterschenkel oder von vorn gegen das lemur. Ueber die Starke
der Verschiebung der Tibia bei den vollständigen Luxationen und
die dadurch bedingte Verkürzung der Extremität konnten bisliei,
wenn die anatomische Untersuchung nicht möglich war, nur ganz
ungenaue Angaben gemacht werden. „Die Verkürzung wurde
wie es bei M a 1 g a i g n e heisst, „von verschiedenen Beobachtern
auf 2 2V:> und bis auf 3 und 4 Zoll geschätzt; man sieht aber
nicht,’ dass die Beobachter bemüht gewesen wären, die scheinbare
Verkürzung genügend von der wahren zu unterscheiden. ie
Fälle von denen in den verschiedenen Lehrbüchern Abbildungen
vorhanden sind, zeigen sämtlich nur eine unmerkliche oder doch
nur geringe Verkürzung. Eine so beträchtliche Verschiebung, wie
sie in unserem Falle durch die Röntgenaufnahme nachgewiesen
wurde, ist bisher bei konservativ behandelten Fallen überhaupt
110ch nicht mit Sicherheit beobachtet worden.
In allen Fällen von Luxation der Tibia nach vorne muss
es zu einer Zerreissung der Ligamenta cruciata und zu aus¬
giebigen Kapselrissen kommen; sie sind stets gefunden worden,
wenn man Gelegenheit hatte, Einblick in das Gelenk zu nehmen;
häufig ist ausserdem das Ligament, laterale externum, in vielen
Fällen auch das Lig. lat. intern, zerrissen; jedoch sind zweifellos
Fälle beobachtet worden, in denen beide Seitenbander unvei-
sehrt geblieben sind.
In unserem Falle konnte eine Verletzung der Seitenbänder
nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden. _ .
Ueber die Stellung, welche die Kniescheibe bei der m Rede
stehenden Verletzung einnimmt, finden sich bei den Autoren ver¬
schiedene Angaben.
Malgaigne gibt an, dass die Kniescheibe fast immer mit
iher hinteren Fläche glatt auf der Gelenkfläche der Tibia liegt;
in einigen seltenen Fällen sei sie nur in einem Winkel von etwa
45 0 getreu das Femur geneigt. Nach Hoff a ist die Patella steil
nach hinten gerichtet und lehnt sich gegen die Femurrolle an
oder liegt der Tibia wie ein Deckel auf. _
Unsere Beobachtung stimmt mit diesen Angaben insofern
nicht überein, als in unserem Falle die Patella nur wenig um
20 0 — gegen das Femur geneigt war.
Da das Lig. patellae stets unversehrt bleibt und die Streck¬
muskulatur des Oberschenkels -immer erschlafft ist, so kann die
Stellung der Patella nur durch mehr oder weniger starken Blut¬
erguss, den Grad der Verschiebung des Unterschenkels und der
Winkelstellung der Tibia zum Femur bestimmt sein. ^
Leichen versuche, die auf Veranlassung von Prof. Oberst
von Dr. R o 1 o f f vorgenommen wurden, ergaben, dass bei einer
Verschiebung des Unterschenkels bis zu 5 cm bei gefülltem oder
nichtgefülltem Gelenk die Patella seltener eine leichte Neigung
gegen das Os femoris zeigte. Niemals lag die Patella der
Tibia auf. , . . ,
Bezüglich der Komplikationen der Verletzung lassen sich
von den 104 bisher bekannten Fällen leider nur 72 verwerten,
in denen sich genauere Angaben finden. In 18 dieser Falle
(25 Proz.) waren Komplikationen vorhanden; von diesen 18 lallen
endeten 7 = 38 Proz. mit dem Tode. Die Komplikationen be¬
standen grösstenteils in Querrissen der stark gespannten Haut
in der Kniekehle mit oder ohne Läsion der Nerven oder Gefasse.
Bei den 18 komplizierten Luxationen war 6 mal die Art. poplitea
verletzt (ausserdem war bei den nicht mit Hautwunden kom¬
plizierten Fällen 3 mal die Arteria popl. subkutan durchrissen).
23. September 1902.
In allen diesen Fallen führte die Verletzung der Arterie zur
Gangrän des Unterschenkels.
. Ueber die -^erven Verletzungen bei Luxatio tibiae finden sich
mn wenige und grossen teils so unsichere Aufzeichnungen dass
sich bestimmte Schlüsse daraus nicht ziehen lassen; auch in un-
serem lalle muss es dahingestellt bleiben, ob es sich um Zerreis-
sung oder eine starke Quetschung des Nerven gehandelt hat.
GfiqP \ T beschriebenen Fällen kam es 16 mal
(16,3 Proz.) zur Amputation des Unterschenkels wegen Gangrän
öden anderweitiger grosser Weichteilwunden. Von diesen 16 Am¬
putierten starben 2 an Sepsis.
\ on sämtlichen 104 Fällen kam es 15 mal zum Exitus letalis
und zwar 4 mal an Nebenverletzungen, 1 mal an Delirium tre¬
mens, 1 mal an Karbolvergiftung, 2 mal aus unbekannter Ur¬
sache, 7 mal an Sepsis.
Von diesen letzten 7 Fällen stammen 2 (1881 u. 18901 ans
der antiseptischen Zeit.
Die Prognose der Verletzung hängt - abgesehen von der
begleitenden Weichteilverletzung — zu einem guten Teil von der
Zeit ab die von der Entstehung der Luxation bis zur Reposition
verstrichen ist. Leider ist hierüber in der Literatur nichts Be-
stimmtes verzeichnet. In unserem Falle hatte die Verletzung
18 Stunden vor der Einlieferung in das Krankenhaus statt-
gel linden. Diese Zeit genügte, um in der Fussohlc - begünstigt
durch den Druck des gegengelegten heissen Ziegelsteines — irre¬
parable Zirkulationsstörungen hervorzurufen. Es ist nicht un¬
wahrscheinlich, dass, wenn bei günstigen äusseren Verhältnissen’
die Reposition unmittelbar nach der Verletzung möglich gewesen
\\iiie auch die tiefgehende Gangrän etc. vermieden worden wäre
Die Reposition gelang in allen frischen Fällen leicht durch
Zug und direkten Druck bei leichter Flexion oder auch geringer
Ilyperextension des Unterschenkels; in 2 veralteten Fällen musste
die Kesektion gemacht werden.
Die günstig verlaufenden Fälle geben meist ein ganz gutes
tu n k t lonelles Resultat; so konnten verschiedene Verletzte später
ihrer Militärpflicht genügen; auch in den Fällen, in denen eine
Lockerung des Kniegelenks zurückblieb, war dieselbe nie so gross
dass das Tragen von Apparaten nötig war. Erhebliche Be-
wegungsbeschrankungen resultierten nie. 9 mal (und in unserem
halle) blieb eine Peroneuslähmung bestehen, die 1 mal das Tragen
einer Schiene notig machte. Ausgedehnte Gangrän des Fusses
führte m unserem Falle zur osteoplastischen Amputation des
Unterschenkels nach P i r o g o f f.
Dass die komplizierten Luxationen die schlechteren Resul¬
tate lieferten, ist verständlich.
MUENOHENER MEPiCiNlSCllE WOCHENSCHRIFT.
1575
Aus dem chemisch-mikroskopischen Laboratorium von Dr. M.
und Dr. Ad. J o 1 1 e s in Wien.
Eine einfache Methode zur quantitativen Bestimmung
der Eiweisskörper im Blute für klinische Zwecke.
Von Adolf Jolles in Wien.
. bekanntlich erfolgt die quantitative Bestimmung der Ei-
weisskorper im Blute in der Weise, dass man entweder mittels
blutiger Schröpf köpfe entnommenes Blut (ca. 0,8—1 g) oder
durch tiefen Einstich gewonnenes Blut (5—8 Tropfen) in einem
mit Kautschukkappen verschlossenen Kölbchen abwägt und einer
Stickstoffbestimmung nach Kjeld ah 1 in der von Jak sch
angegebenen Modifikation unterwirft; aus der Menge des ge-
^undenen Stickstoffes wird durch Multiplikation mit dem Faktor
J'7Ö dle Menge des vorhandenen Eiweisses berechnet. Es ist
se stverständlicji, dass diese Methode keine absoluten, sondern
nur relative Werte liefern kann, nachdem im Blute auch geringe
Mengen anderer N-haltiger Substanzen, wie Harnstoff, Ammoniak,
ainsauie, Xanthinbasen etc., enthalten sein können, deren
Stickstoff auch als Eiweiss in Rechnung gelangt. Aber wie
Jakseh ganz richtig bemerkt, gestattet diese Methode ein
gieichmassiges Arbeiten und liefert daher wertvolle Vergleichs-
r. täte. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Methode
eine analytische Wage und eingestellte Lösungen voraussetzt, da¬
tier eine gewisse Präzision in der Ausführung verlangt, zu welcher
nicht immer die nötige Zeit vorhanden ist. Ueberdies ist zu er-
Wiigen, dass bei einer chemischen Blutuntersuchung, die geeignet
erscheint, uns ein einigermassen anschauliches Bild über die Blut¬
beschaffenheit zu gewähren, ausser der Bestimmung des Eiweisses
noch eine ganze Reihe anderer erforderlich ist. Das hiezu not¬
wendige Blutquantum ist aber ein relativ grosses, gegen dessen
Entnahme nicht selten gewichtige Gründe geltend gemacht wer¬
den können. Aus diesem Grunde wird auch bei der klinischen
Blutuntersuchung in der Regel auf die Bestimmung aller jener
Blutelemente verzichtet, die grössere Blutmengen beanspruchen.
Diese Tatsache ist jedenfalls zu bedauern, da die Bedeutung der
chemischen Blutuntersuchung für diagnostische Zwecke sich
um so wertvoller gestalten wird, je mehr vergleichbare Daten
und Relationen zur Bestimmung gelangen. Diese Erwägungen
haben mich bereits seit einigen Jahren veranlasst, mich mit der
Ausarbeitung solcher einfacher Methoden zu beschäftigen welclio
gestatten, m minimalen, dem Individuum jederzeit leicht zu ent¬
nehmenden Blutquantitäten diagnostisch wichtige Blutbestand-
teile mit genügender Verlässlichkeit zu bestimmen.
Im nachstehenden beschreibe ich eine Methode zur quanti¬
tativen Bestimmung der Eiweisskörper im Blute, welche gestattet
mit 0,2 ccm, bei einiger üebung auch mit 0,1 ccm Blut zu voll¬
ständig brauchbaren Resultaten zu gelangen. Bei einiger Uebung
ist es keineswegs zu befürchten, dass die geringe Menge der an¬
gewandten Substanz Ungenauigkeit im Resultate verursacht.
Dies wird besonders dadurch vermieden, dass die Methode eine
gasvolumetrische ist, also die abgelesene Menge ein relativ grosses
Volumen einnimmt, so dass die Ablesezahlen hier weniger das
esultat beeinflussen, als es Wägefehler bei so geringen Substanz¬
mengen tun würden. Dass diese Erwägungen allgemein an¬
erkannt sind, beweist der zunehmende Gebrauch der gasvolu¬
metrischen Methoden, besonders in der technischen Analyse, wo
ja das hier massgebende Motiv, Schwierigkeit in der Beschaffung
genügender Mengen des Untersuchungsmaterials, nicht vorhanden
ist und trotzdem diese Methoden durch ihre Genauigkeit be¬
friedigen.
Meine Methode basiert nun auf folgender Tatsache.
Die Oxydationsversuche mit Eiweisskörpern ') haben ergeben,
dass die Eiweisskörper des Blutes nach der Oxydation einen be-
stmimten, sehr beträchtlichen Prozentsatz ihres Stickstoffes bei
der Einwirkung von unterbromigsaurem Natron in Gasform ent¬
weichen lassen. Wie ich mich durch Versuche, deren ziffern-
mässige Resultate später folgen werden, überzeugt habe, beträgt
der volumetrisch entwickelbare Stickstoff im Blute zwischen 79,9
bis 81,3 Proz. des Gesamtstickstoffes.
d*ese Beobachtung fussend, habe ich das nachstehende
V erfahren ausgearbeitet, welches an Stelle der K j e 1 d a h 1 sehen
Bestimmung die Abmessung des entwickelten Gasvolumens setzt
wobei ich hauptsächlich den Vorteil im Auge hatte, in ganz ge¬
lingen Blutmengen, wie sie leicht jedem Patienten entnommen
werden können, und in relativ kurzer Zeit ohne Zuhilfenahme
von titrierten Lösungen den Stickstoffgehalt im Blute zu be¬
stimmen. Die erforderliche Blutmenge beträgt 0,2 ccm, nach¬
dem aus dieser Blutmenge ca. 4—5 ccm Stickstoff entwickelt wer¬
den, so dass sich Schwankungen, die auf einen abnormen Stick¬
stoffgehalt des Blutes schliessen lassen, mit voller Schärfe be¬
obachten lassen. Bei einiger Uebung kann man auch mit 0,1 ccm
Blut sehr gut vergleichbare Resultate erzielen. Der chemische
Vorgang bei der Bestimmung beruht darauf, dass der Stickstoff
des Eiweisses in schwach saurer Lösung durch Permanganat in
der Kochhitze bei Einhaltung bestimmter Verhältnisse in über¬
wiegender Menge in Harnstoff überführbar ist, und dass der
Amidstickstoff in alkalischer Lösung unter ganz bestimmten Be-
dingungen quantitativ durch unterbromigsaures Natron abge¬
spalten und gemessen werden kann. Es sei jedoch ausdrücklich
an dieser Stelle bemerkt, dass für die analytischen Zwecke die
peinlich genaue Einhaltung des Oxydationsvorganges, namentlich
in Bezug auf Temperatur- und Konzentrationsverhältnisse, über¬
flüssig ist, nachdem der sekundäre Zerfall des Harnstoffes in
Ammoniak und Kohlensäure die Exaktheit der Methode in keiner
V eise beeinflusst, indem ja bekanntermassen auch Ammoniaksalze
durch Bromlauge quantitativ ihren Stickstoff in Gasform ab¬
geben.
Der Prozentsatz des entwickelten Stickstoffes ist für jeden
Eiweisskörper konstant und beträgt für Serumalbumin 81,10 Proz.,
für Oxyhämoglobin 91,30 Proz. etc. des Gesamtstickstoffes. Nach¬
dem im Blute bekanntlich verschiedene Arten von Eiweisskörpern
„ . ') Adolf .Tolles: Beiträge zur Kenntnis der Eiweisskörper.
Zeitschr. f. pliysiol. Chemie Bd. XXXII, g. 3G1 _ 392.
4*
1576
MtJENCSENER MEDlCINISCHE WOCHENSCHRIFt.
No. 38.
Vorkommen, so musste der Prozentsatz des volumetrisch ent¬
wickelbaren Stickstoffes erst experimentell — und zwar bei Men¬
schenblut — ermittelt werden. Wenn somit durch Vergleiche
fest gestellt ist, welches Verhältnis zwischen Gesamtstickstoff und
volumetrisch messbarem Stickstoff bei Blut besteht, so kann man
auf Grund dieses Verhältnisses aus dem volumetrisch gemessenen
Stickstoff durch einfache Multiplikation mit dem hier gütigen
Paktor den Gesamtstickstoff finden.
Wie aus den nachfolgenden Beleganalysen hervorgeht, be¬
wegt sich das Verhältnis von volumetrisch entwickelbarem Stick¬
stoff zum Kjeldahlstickstoff in Prozenten für die praktisch m
Betracht kommenden Fälle in engen Grenzen und betragt im
Mittel 80,5 Proz., d. h. man muss den volumetrisch gemessenen
N mit 7,86 multiplizieren, um den Gehalt des Blutes an Eiweiss¬
körpern zu bestimmen. Allerdings muss zugegeben werden, dass
die Methode insofern mit einem kleinen Fehler behaftet ist, als
der Faktor nicht in allen Fällen gleich ist, sondern Schwan¬
kungen um ca. 2 Proz. aufweist. Es muss aber andererseits be¬
rücksichtigt werden, dass derselbe Einwand bezüglich der Er¬
mittelung der Eiweisskörper des Blutes aus dem N-Gehalte nach
K j e 1 d a h 1 durch Multiplikation mit 6,25 geltend gemacht wer¬
den kann. Die Anwesenheit anderer N-haltiger Substanzen wird
weder in dem einen, noch in dem anderen i alle in Betracht ge¬
zogen, so dass den Resultaten dieser Methode ebenso wie denen
der Iv j e 1 d a h 1 sehen nur eine relative Bedeutung zugesprochen
werden kann. »
Die Ausführung der Methode ist folgende:
Nach erfolgtem Einstich an den seitlichen Teilen der Fin¬
gerspitzen oder am Ohrläppchen entnimmt man mit der Kapillar¬
pipette durch Ansaugen genau 0,2 ccm Blut, wobei der Eintritt
von Luftblasen zu vermeiden ist. Der Einschnitt soll ausgiebig
sein, so dass das Blut von selbst, ohne Drücken und Massieren,
gleich in grossen Tropfen herausquillt. Wenn die Pipette bis zur
Marke vollgesogen ist, wird die Spitze derselben mit einem rin¬
ger zugehalten, mit destilliertem Wasser abgespiilt und die Pipette
in ein Bechergläschen, in welchem sich ca. 120 ccm destilliertes
Wasser befindet, entleert. Man spült hierauf die Pipette mit dem
im Becherglase befindlichen destillierten Wasser 3 — 4 mal aus
und ist dann sicher, die entnommene Blutquantität quantitativ
entleert zu haben. Nunmehr setzt man 1 ccm konzentrierte
Schwefelsäure (spezifisches Gewicht 1,84) hinzu, erhitzt den In¬
halt auf einem Drahtnetze bei kleiner Bunsenflamme zum mässi-
gen Kochen und setzt hierauf aus einer Glashahnbürette Per¬
manganatlösung hinzu, welche im Liter 8 g KMn04 enthalt. Die
Oxydation geschieht derart, dass das Permanganat in Portionen
von etwa 2 — 3 ccm auf einmal zugesetzt wird und das durch das
fortwährende massige Kochen entweichende Wasser ersetzt wird;
das Volumen der Flüssigkeit soll nicht unter ca. 50 ccm sinken.
Gegen den Schluss des Prozesses zersetzt sich die Permanganat-
lösung beim Kochen unter Abscheidung von Braunstein, der bei
ca. La stündigem Kochen wieder in Lösung geht. Ist dies nicht
der Fall, so ist der Prozess als beendigt anzusehen. In der Regel
schwankt der Permanganatverbrauch für 0,2 ccm Blut zwischen
10 _ 15 Com. Der verbleibende geringe Braunsteinniederschlag
wird durch Zusatz einiger Tropfen Oxalsäurelösung unter Kochen
entfernt und hierauf der Inhalt des Becherglases bis auf etwa
25 ccm eingedampft. Nunmehr lässt man das Bechergläschen
durch Einstellen in kaltes Wasser auf Zimmertemperatur ab¬
kühlen, bringt ein Stückchen Lackmuspapier in das Bechergläs-
chen und neutralisiert mit Lauge (32 11 Be), mit der Vorsicht,
dass das Bechergläschen fortdauernd von kaltem
Wasser umspült wird. Der Zusatz der Lauge soll
sehr langsam erfolgen, und zwar so lange, bis der letzte
Laugenzusatz eine sehr schwach alkalische Reaktion hervorruft.
Hierbei beginnt sich ein flockiger Niederschlag von Manganoxy-
dulliydrat abzuscheiden und das Lackmuspapier wird gebläut.
Alsdann geht man sofort an die volumetrische N-Bestimmung
dieser Flüssigkeit heran, wozu man einen Apparat, II ä m o -
protometer ’) genannt, verwendet, der nach dem Prinzipe des
Knop - Wagner sehen Azotometers hergestellt wurde. Die
Grössenverhältnisse des Schüttelgefässes und der Apparat sind
aus beist ehender Figur ersichtlich. Man bringt nun die I liissig-
keit quantitativ in das mit einem Gummistopfen luftdicht ver-
scliliessbare Schüttelgefäss, wobei man darauf zu achten hat, dass
die Gesamtflüssigkeit in dem Schüttelgefäss nicht wesentlic
mehr als 80 ccm betragen soll. Das zweite kleinere Gef ass wird mit
25 ccm einer Bromlösung versetzt, die 80 g Natriumhydroxyd
und 25 g Brom im Liter enthält, und in das Schüttelgefäss vor¬
sichtig hineingestellt. Nun wird das Schüttelgefäss mit einem
doppelt durchbohrten Gummi¬
stopfen verschlossen, in dessen
einer Durchbohrung sich eine
kurze- Glasröhre befindet, wäh¬
rend in der anderen eine eben¬
falls kurze, zweckmässig nach
unten schräg abgeschnittene
Glasröhre angebracht ist, die
vorteilhaft noch kurz unter dem
Glasstopfen eine seitliche Oeff-
nung besitzt, um das Aufsteigen
etwa beim Schütteln in die
Röhre gespritzter Flüssigkeit zu
verhindern ; dieses Rohr ist durch
einen engen Gasschlauch mit
dem Hämoprotometer verbunden,
der aus zwei kommunizierenden
in 0,5 ccm geteilten Büretten be¬
steht. ln diesen Büretten, von
denen eine mit dem Schüttel¬
gefäss verbunden ist, die andere
ein unteres seitliches Ausfluss¬
rohr mit Quetschhahn besitzt,
wird destilliertes Wasser auf
gleiches Niveau gebracht, und ‘ h
der Stand des Meniscus ab¬
gelesen. Nunmehr wird der »
Quetschhahn von dem Druckaus- ' ■
gleichsrohre im Gummistopfen
des Schüttelgefässes und somit dieses geschlossen und nochmals
das Niveau der Wassersäulen auf Gleichstellung untersucht.
Hierauf wird das Schüttelgefäss, das zweckmässig eine Wärme¬
isolierhülle besitzt, um eine Temperaturerhöhung durch das An¬
fassen mit der Hand möglichst zu vermeiden, was aber übrigens
durch das Anfassen mittels irgend eines schlechten Wärmeleiters
erreicht wird, vorsichtig geneigt, ‘und sobald die Gasentwicklung
eingeleitet ist, das Gefäss derart geschüttelt, dass ein Aufspritzen
der mit dem Hämoprotometer verbundenen Glasröhre vermieden
wird. Dieses Schütteln wird dann so lange fortgesetzt, bis die
Wassersäule in dem Hämoprotometer durch das sich ent¬
wickelnde Gas nicht mehr zurückgedrängt wird, während man
gleichzeitig den Niveauunterschied der beiden Büretten durch
Ablassen am anderen Rohre bis auf ca. 1 ccm ausgleicht. Nach
ca. 10 Minuten langem Stehen — zum Zwecke des Temperatur¬
ausgleiches — wird das Niveau der Wassersäulen des ITämoproto-
meters genau gleichgestellt und dann abgelesen, um wie viel das
Wasservolumen gesenkt wurde. Die abgelesenen Kubikzentimeter
Stickstoff werden dann unter Berücksichtigung der Temperatur
und des Barometerstandes nach bekannter Methode in Grammen
Stickstoff berechnet, indem man bei der entsprechenden Tem¬
peratur und dem entsprechenden Barometerstand das Gewicht
von 1 ccm Stickstoff aus Tabellen entnimmt. Bei der volumetri¬
schen Bestimmung hat man darauf zu achten, dass die im Ap¬
parat befindliche Flüssigkeit Zimmertemperatur hat, demzufolge
soll der Apparat nur an einem Orte stehen, wo er Temperatur¬
schwankungen nicht ausgesetzt ist. Die Röhren vom Apparat
sind derart angebracht, dass die entsprechenden Teilstriche ab¬
solut in einer Ebene liegen, und muss die Ablesung zu Beginn
und nach Abschluss des Versuches sich ganz gleichartig gestalten.
Selbstverständlich ist der Apparat von Zeit zu Zeit auf dichten
Verschluss zu prüfen.
i) Hergestellt in der optisch-mechanischen Werkstätte von
Karl Reichert in Wien.
Bestimmung des Verhältnisses von volu in e t ri¬
sch e m Stickstoff zum Kjedahlstickstoff im
menschlichen Blute.
Eine abgewogene Blutmenge wurde mit den entsprechend
grösseren Mengen Reagentien oxydiert, auf ein bestimmtes Vo¬
lumen aufgefüllt und hiervon der Stickstoff volumetrisch be¬
stimmt. Gleichzeitig wurde mit einer anderen abgewogenen
Menge desselben Blutes eine Stickstoffbestimmung nach Kjel-
53. September 1905.
dahl vorgenommen. Drittens wurde nach dem beschriebenen
ei alnen m 0 2 ccm Blut der Stickstoff volumetrisch bestimmt
um darzutun, dass durch die verwendeten kleinen Mengen die
Genauigkeit nicht wesentlich alteriert wird, und viertens wurde
in jedem Falle das spezifische Gewicht des Blutes bestimmt.
Beispiel:
300 ccm Mfgfftnlt1 WUrde“ °Xy<llert' das O^UonsprMakt auf
742 1" = mg“8 S ergabeD 5’56 ccm N bel 18 "
742 mmB =“,3=2 mg,6® g 5'6° ccm N bel 18 °
1 ccm N bei 18 ° und 742 mm B - 1,12715 mg N.
o' hti{U 8 ®lut lieferteu nach Kjeld ah 1 3, 007 Proz N
and 3738°’mmB =%sfl S?N fc)^ ^ CCm N 20 ' 1
1 ccm N bei 20 0 und 738 mm B = 1,1102 mg N
4. Spezifisches Gewicht des Blutes 3 OG9
Prozentgehalt an volumetrisch gefundenem N:
a) 2,50 Proz. I
b) 2,44 „ l
c) 2,46 „ |
Die nachfolgende Tabelle fasst die erhaltenen Resultate zu¬
sammen :
MTTF NCITE NER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
157?
Tabelle II.
Mittel 2,46 Proz.
Tabelle I.
_2 W
T3 ©
ß §
© s
'S 9
3S
Laufende
N ummer
Stickstoff
nach Kjel¬
dahl pro
100 ccm Blul
Stickstoff
volumetrisch
pro
100 ccm Blut
Spez.
Gewicht
Verhältnis von
volumetrischem
zum Kjeldahl-N
in Prozenten
1
2,913
2,365
1,057
81,2
2
3,326
2,680
1,059
80,6
3
3,440
2,779
1,058
80,8
4
2,872
2,309
1,053
80,4
5
3,291
2,669
1,055
81,1
6
2,968
2,371
1,058
79,9
7
3,285
2,671
1,060
81,3
8
3,154
2,539
1,056
80,5
9
3,022
2,424
1,057
80,2
10
3,363
2,724
1,059
81,0
Im Mittel 80,7
Die hier erhaltenen Zahlen sind
Volumprozei
rte, d. h. Gramm
Spez.
Gewicht
Stickstoff
nach
Kjeldahl
Stickstoff
volumetrisch
Verhältnis von
volumetrischem
Stickstoff zum
Kjeldahlstickstoff
in Prozenten
1,062
3,007
2 I 1,064
1,066
3,154
1,054
3,62
3,20
1,062
3,59
1,059
3,09
1,057
10 1,064
2,98
3,21
3,05
3,24
2,44
2,46 } 2,46
2,50
2 52
2^55 \ 2,55
2,58 J
2,92 I
2,92 \ 2,92
2,94
2,54
2,50 } 2,52
2,52
2,86
2,88 \ 2,88
2,90 j
2,54 1
"2,48 2,51
2,52 j
2,38 )
2,36 2,38
Jh40 J
2,56 f
2.58 2,58
2.61 J
2,46)
2.45 2,46
2.46 j
2,64]
2.62 2,61
2.59 |
81,8
80,8
80,6
79,5
80,2
81,2
79,8
80,3
80,6
80,5
Im Mittel 80,5
v AUS.den erhaltenen Zahlen geht zunächst hervor, dass das
Verhältnis von volumetrischem Stickstoff zum Kjeldahlstickstoff
nn menschlichen Blute ein für klinische Zwecke genügend kon¬
stantes ist und sich zwischen 79,5 bis 81,8 Proz. bewegt. Im
ittel resultiert die Zahl 80,5. Ich habe überdies bei einer Reihe
von Individuen den Stickstoff im Blute nach Kjeldahl be¬
stimmt und unter Berücksichtigung des spezifischen Gewichtes
des Blutes berechnet, wie viel Gramm Stickstoff im Liter Blut
enthalten sind. Andererseits wurde bei denselben Individuen auf
volumetrischem Wege festgestellt, wie viel Gramm Stickstoff in
0,2 ccm Blut enthalten sind und ebenfalls auf 1 Liter Blut um¬
gerechnet. Aus diesen Zahlen ergeben sich nachstehende Re¬
lationen zwischen den beiden Stickstoffmengen :
No. 38.
r rDure!1 DlYlslon mit dem spezifischen Gewichte erhält man
die Gewichtsprozente. Für vergleichende Zwecke sind die Volurn-
prozente entschieden vorzuziehen, da die Ermittelung des spe-
zifischen Gewichtes hierbei entfällt. Aus den Ergebnissen der
abeile II gellt hervor, dass sich bei Anwendung von 0,2 ccm
Blut genügend konstante Relationen zwischen dem auf volume¬
trischem Wege gefundenen Stickstoff und dem Kjeldahlstickstoff
7QgQebpn' ?)ieoi/,a!1,Ie11 m Prozenten bewegen sich zwischen
^9,9 Proz. bis 81,3 Proz.; im Mittel resültiert die Zahl 80,7 Proz.
welche mit der aus der Tabelle I resultierenden Mittelzahl von
80,o Proz. fast übereinstimmt. Wir können somit an der Re¬
lation 80,5 Proz. für die volumetrischen Stickstoffbestimmungen
festhalten. Nachdem der Stickstoffgehalt nach Kjeldahl so¬
mit 1,24 mal 2) so viel beträgt als der volumetrisch gefundene
Stickstoff, so ist letzterer mit 7,76 (1,24 X 6,25) zu multiplizieren,
um den entsprechenden Eiweissgehalt zu finden.
Beispiel:
0,2 Blut lieferten bei der volumetrischen Bestim¬
mung 4,8- ccm N bei 20 0 und 738 mm B — 5,340 mg N
FixvPP 100 9oU4BiUt Sil^. enthalteu 5’340 X 7,76 X 500 = 20719 mg
Liweiss = 20,(2 Proz. Enveiss.
Die volumetrische Methode kann natürlich auch zur quanti¬
tativen Bestimmung der Eiweisskörper im Serum ver¬
wendet werden. Ich habe jedoch von der Ausarbeitung dieser
Methode für Blutserum abgesehen, weil einerseits nach den
Lj ntersuchungen von Jaksch3) und G o 1 d b a c h 4) der Ei-
wei.ssgehalt des Serums eine konstante Zahl zu sein scheinf, und
andererseits die quantitative Trennung von Blut in Blutkörper¬
chen und Serum noch viel zu wünschen übrig lässt.
Quantitative Bestimmung des bei der Oxy¬
dation verbrauchten Sauerstoffes.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es wünschens-
vvcit, ist, die I ermanganatmenge zu messen, die zur Oxydation
verbraucht wird. Das Verfahren involviert gar keine Kompli¬
kation, indem man den Zusatz der Permanganatlösung aus einer
Bürette macht und den Ueberschuss an Permanganat mit ein¬
gestellter Oxalsäure zurücktitriert. Der Zusatz muss immer in
gleicher Weise erfolgen, um vergleichbare Zahlen erhalten zu
können. Es kann selbstverständlich keine Rede- davon sein, dass
aus dem Ausfälle des Permanganatverbrauches Schlüsse auf die
Menge der in dem Blute vorhandenen Eiweisskörper resp. orga¬
nischen Stoffen gezogen werden können; trotzdem kann der Per¬
manganat- resp. Sauerstoffverbrauch von Wert sein, um auf
abnorme \ eränderungen in der Blutzusammensetzung hin •
zuweisen. . In normalen Fällen wird der Sauerstoffverbrauch und
der Liweissgehalt annähernd parallel gehen. Eine wesentliche
2) 100 : 80,5 = x : 1.
*) Zeitschr. f. klin. Med. 23, 188, 1893.
4) L. Goldbach: Heber den Stickstoff- und Wassergehalt
des Blutes. Zeitschr. f. Heilkunde Bd. XVII, S. 417.
5
1578 _ ....
weise im Blute einiger schwerer Diabetiker niear g
gehalt und hohen Sauerstoffverbrauch konstatieren könne .
Es wird mm die Aufgabe von Kliniken sein, festzustellen,
inwieweit die quantitative Besthumung der Eiwei^korj^. so¬
viel der verbrauchten Sauerstoftmenge im Blute »ee g
scheint^ den diagnostischen Wert der Blutuntersuchung zu er-
höhen.
M UENCHENEK MEDXCllnSCHn ; WOCHENSCHRIFT
No. 38.
1
2
3
4
5
G
7
8
9
10
11
12
13
14
Schwerer Diabetes,
Schwerer Diabetes . . .
Lebercirrhose . .
Lebercirrhose .
Leukämie .
Syphilis .
Syphilis .
Akute Nephritis .
Sekund. Anämie . . . .
Chron. Nephritis . . . •
Chron. Nephritis
Basedow .
Katarrh. Ikterus .
Influenza mit Fieber
Stickstoff
in 100 ccm Blut
nach der
volumetrischen
Methode
~IT
2,426
2,479
2,399
2,304
1,836
2,971
3,185
3,283
2,043
2,851
2,820
2,971
2,243
2,381
Berechnet
auf
Eiweiss
B lu t u n t er suc h u n gen mit spe z .eile r Ber «ek _
sichtigung des ktickstoii
Ich habe in einigen pathologischen K'1“
mit spezieller Berücksichtigung des Stickstotteehaltes
durchzuführen Gelegenheit gehabt, und lasse nachstehend die
Th trltate folgen. Die Stickstoffbestimmung erfolgte in allen
Fällen" nach der volumetrischen Methode, und der Gehalt des
Blutes an Eiweisskörpern wurde durch Multiplikation mi e
Faktor 7,76 berechnet.
weisse
4,130 000
4,050 000
4,602 000
4,700 000
3,030 000
5,450 000
5.800 0C0
4,260 000
3,040 000
4,73)000
4,650 000
4.800 000
3,720 000
4,920 000
7 600
7 300
8 450
8100
49 600
7 900
8 450
6 200
5 900
8 300
7 600
9 200
10 500
8 800
no gl obin
mometer-
zahl)
Eisen
'Ferrometer-
zahl)
V erbrauchte
sauerstoffmenge
n g pro 100 ccm
Blut
72
78 I
14,02
76
82
14,48
75
70
10,56
78
72
10,17
55
58
11,13
85
83
14,35
93
94
14,26
65
64
12,08
50
58
9,47
75
73
10,17
78
76
11,23
82
81
14,47
60
56
10,81
90
92
15,03
Die Zahl der untersuchten Fälle ist viel zu gering, um aus
den erhaltenen Daten irgend welche Schlüsse ziehen zu können,
th "mich daher mit der blossen Angabe, dass in den
untersuchten Fällen von Diabetes mellitus Lebe
cirrh.se, katarrhalischem “F^Vhoff r“ P
und Anämie ein verminderter Stickst
Eiweissgehalt im Blute konstatiert wurde. Bei den
untersuchten Fällen von S y p h 11 1 s, B a s ed o w und c ,
nischer Nephritis bewegen sich die Zahlen m _
malen Grenzen, während bei akuter Nephri 1 s un
im Fieber bei einem Falle von Influenza der Li-
wcissgehalt erhöht ist. Es bleibt Kliniken überlassen, diese
Ergebnisse an einem grösseren Krankenmaterial nachzuprnf
Ulld 7 um ^Schlüsse gebe ich der Hoffnung Ausdruck, dass die
voluTet rische Methode der Stickstoff bestimmung im
-Blute, welche nur eine m i n i m a 1 e B 1 u t m e n g e e r o r
dert und in ihrer' Ausführung sich wesentlich ein
facher gestaltet als die K j eldahl sehe Methode, dabei
11 e s u 1 1 a t e liefert, die für klinische ^ w e c v e i n
jeder Hinsicht befriedigen, einen erweiterten E
gang in die Methodik der klinischen Blutuntersuchung finden
wird. _
Akuter Verschluss der Speiserönre bei einem
5jährigen Kinde.*)
Beseitigung mit Hilfe der Oesophagoskopie.
Von Dr. J o h. A u g. K i 1 1 i a n in W orms.
M. II.! Ich möchte einen Fall hier zur Sprache bringen,
in welchem sich die Oesophagoskopie gut bewährt hat, sowohl bei
Stellung .1« Diagnose, als euch bei der Durchführung einer er-
fohrreichen Therapie. Durch die Arbeiten v. Hacker ,
Ko senheims, Gott stein s u. a. ist das Interesse für die
Oesophagoskopie neu belebt worden. Trotzdem steht man ihr m
weiten Kreisen noch recht kühl gegenüber. Ich glaube nun,
*) Vortrag, gehalten in der IX. Versammlung des Vereins süd¬
deutscher Laryngologen.
dass Erfahrungen, wie die folgende, wohl geeignet sind, uns für
<1U End^Felmiai-1 dieses Jahres wurde mir aus dem städtischen
ssssiis
ÄiÄÄ’verbin^B £
=■ sassrisilgH
der Junge Jedoch gut Kind nun bei
von ihm gemieden worden. Vor l lagen uane
das charakteristische matte, gurgelnde Geräusch, das beim ^mk
in der Speiseröhre entsteht, wenn sie verschlossen oder hochgradig
verengt ist, und gleich darauf würgte der Junge das " a^
wieder heraus. Es wurde in einer Schale aufgefaugon \m<\ <
fand demselben in Spuren Trümmer von Fasern weissen Fleisches
SSt Auf Grund dieser Wahrnehmung und der Vor¬
geschichte des Falles wurde die Diagnose auf Verstopfung dei
Speiseröhre durch genossenes Kalbfleisch über einer Aetzstiiktu
nSteen Grades gestellt. Da der kleine Patient recht aufgeregt
und ungeberdig war, so musste Narkose zu Hilfe genommen mei¬
den. ln derselben führte ich zunächst eine 9 mm weite und e y
r,lu,.. or. ianee Röhre in die Speiseröhre ein. Dieselbe gi
St mcT.äbwfrt8 bis sie in einer Entfernung von 20 cm von
i .m fi-pion Rand der oberen Schneidezahne auf ein Ilinderni
stiess welches' dem weiteren Vordringen Halt gebot. Beim Hinem-
hlicken sali man nach Reinigung des Gesichtsfeidesdassd^u^
ivi-e Rand der Röhre einer weisslichen, faserigen, trockenen IV ^
■uifsass die wie zusammengestampft aussah, deren Konsi
dln-ch AndSngen der Röhre sieh als festweich ertasten lie«s und
welche einem Tampon gleich die Speiseröhre so vollständig
23. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1579
füllte, diiss nirgends eine Spur eines in die Tiefe führenden
Spaltes sich erkennen liess. Offenbar war diese Masse das vor
2 Tagen genossene Kalbfleisch.
Um dasselbe zu entfernen, griff ich zunächst zu dem stumpfen
Häkchen, weil dieses Instrument unter allen das Gesichtsfeld1 am
wenigsten einengt. Das Häkchen wurde zwischen Fleischmats“
imd Speiserohrenwand vorgeschoben, dann die stumpfe Spitze
nach der Achse des Oesophagus gedreht und herausgezogen 1 Es
kam nichts mit heraus. Auf weitere Anwendung des Häkchens
wurde verzichtet, weil mir die Möglichkeit nahe zu liegen schien
t demselben die gespannte Speiseröhren wand zu verletzen u
zu durchstossen. Deshalb nahm ich die Zange zur Hand und
» langte die geöffneten Branchen derselben unter genauer Kontrolle
des Auges in die Fleischmasse hinein, schloss dieselben und konnte
Itdzt ein kleines Bündel Fleischfasern herausbringen. In dieser
Weise wurde nun weiter vorgegangen und unter Aufwendung
einiger Geduld liess sich denn allmählich eine deutliche Vermin¬
derung der Fleischmasse erzielen. Als dieselbe bis zu einem ge¬
wissen Grade gediehen war, stellten sich günstigere Verhältnisse
ein, indem die verstopfende Masse etwas beweglich wurde und
Ränder, Kanten -und Zacken dem Blicke darbot, welche für einen
Zangenangriff geeigneter waren. Zuletzt erschien eine grössere
I leischzacke in sehr vorteilhafter AVeise im Gesichtsfeld, setzte
jedoch, nachdem sie gefasst war, dem Zuge einen solchen AVider-
stand entgegen, dass ich es für das Geratenste hielt, sie zunächst
loszulassen und mich zu vergewissern, ob nicht vielleicht doch
Speiserohrenwand mitgefasst worden sei. Die Zangenbranchen
erwiesen sich aber frei von Blut und auch das Gesichtsfeld hatte
sich ganz rem erhalten. Unter genauester Kontrolle des Auges
wurde die Zacke dann nochmals gefasst und dann kräftig ange¬
zogen. Ein grosses Fleischstück kam zum AMrschein. Inzwischen
war die ösophagoskopische Röhre bis ans Ende hinabgeglitten und
betand sich in unmittelbarer Nähe der Kardia. Dem Auge bot
sich jetzt ein ganz anderes Bild dar. Die Lichtung der Speiseröhre
war frei; nur Spuren von Fleischfasern klebten noch an ihren
' i "ll611 ’ man sal‘ ,lie von der anliegenden Aorta mitgeteilten Er¬
schütterungen der Oesophaguswand und hörte das eigentümliche
respiratorische Geräusch, welches im offenen Oesophagus auftritt
wenn er durch Einführung einer starren Röhre die sozusagen tra-
cheale Fähigkeit erlangt hat, die Aussenluft ein- und austreten
zu lassen. Zur weiteren Orientierung wurde nun die kurze Röhre
entfeint und eine längere, ebenfalls 0 mm weite eingeführte. Die-
selbe glitt anstandslos durch die Kardia hindurch in den Magen
dessen grosse Kurvatur in einem Abstand von etwa 3(1 cm von
den oberen Schneidezähnen erreicht wurde. Eine Striktur der
Speiseröhre war aber nicht zu Gesicht gekommen. AVenn dem¬
nach überhaupt eine narbige Veränderung der Oesophaguswand
vorhanden war. so musste sie derart gewesen sein, dass sie einem
zylindrischen Körper von mindestens 9 mm Manteldurchmesser
einen g - “ 1 "
anz freien Durchgang gestattete.
Der Verschluss der Speiseröhre oberhalb der Kardia war nun
offenbar dadurch zu stände gekommen, dass ein grosses Stück
Heisch an dieser Stelle stecken blieb und zwar entweder, weil es
zu umfangreich war, um überhaupt hier durchtreten zu können,
oder weil hier eine Einbusse an Dehnbarkeit der Oesophagus¬
wand infolge narbiger Veränderung stattgehabt hatte, oder weil
hier ein Krampf der Ringmuskulatur, ein Cardiospasmus auf-
trat. Zu Gunsten dieser letzten Annahme sprach die feste Ein¬
klemmung des zuletzt entfernten und zuerst geschluckten Fleisch¬
stückes,
Der Junge erwachte bald aus der Narkose und konnte so¬
gleich Wasser trinken, wonach er gierig verlangte. Einige
Stunden später ass er eine Schleimsuppe. Von nun ab ging die
Ernährung gut von statten, und der kleine Patient erholte sich
rasch wieder.
So war es denn mit Hilfe der Oesophagoskopie gelungen, die
verstopfte Speiseröhre wieder frei zu machen und die Operation
zu vermeiden.
Wenn man die medizinische Tagesliteratur verfolgt, so sieht
man in derselben fortwährend Mitteilungen auftauchen über
Fremdkörperentfernungen aus der Speiseröhre durch Oesophago-
tomie oder Gastro tomie. Es kann nun gar keinem Zweifel unter¬
liegen, dass man in dem weitaus grösseren Teil dieser Fälle mit
Hilfe der Oesophagoskopie ohne Operation hätte zum Ziele ge¬
langen können. Keineswegs soll jedoch verschwiegen werden,
dass es selbst hervorragenden Oesophagoskopikern in verein¬
zelten Fällen nicht gelungen ist, einen Fremdkörper auf natür¬
lichem Wege herauszubringen, der dann durch die Operation mit
Erfolg entfernt wurde. Dafür ist es aber mit Sicherheit zu er¬
warten, dass mit der zunehmenden Vervollkommnung der öso-
phagoskopisc.lien Technik solche Fälle immer seltener sein
werden. Es sei hier an den unlängst aus der Freiburger Flals-
klinik mitgeteilten Fall erinnert, wobei ein im untersten Oeso-
phagusabschnitt festsitzendes Gebiss als Ganzes nicht, in Stücken
aber mit Leichtigkeit auf natürlichem Wege herausbefördert
werden konnte, nachdem es ösophagoskopisch in situ mittels der
galvanokaustischen Schlinge zerschnitten worden war1). So
mögen denn zum Schlüsse die Worte v. Hackers hier folgen,
die mir um so beherzigenswerter erscheinen, als sie von einem
Chirurgen herrühren: „Es kann wohl kein Zufall sein, dass mir
m einer Reihe von ca.. 27 Fällen mit Hilfe der Oesophagoskopie
c le Entfernung des im normalen oder verengten Oesophagus
steckenden Fremdkörpers immer, mit Ausnahme eines Falles von
Karzinom, ohne den geringsten Schaden für den Kranken ge¬
lang, und dass ich deshalb seit dem Jahre 1887 keine Oesophago-
tomie wegen eines Fremdkörpers mehr ausführen musste 2).“R
Zwei Fälle von Fremdkörpern des Uterus.
Von Dr. E. Toff, Frauenarzt in Braila (Rumänien).
Obwohl die Fälle, wo Fremdkörper in der Gebärmutter ge¬
funden werden, nicht zu den grossen Seltenheiten gehören, so
sind doch derartige Vorkommnisse vom praktischen Standpunkte
genügend interessant, um kasuistische Mitteilungen zu recht-
fertigen.
Meist handelt es sich um abortive Eingriffe, durch welche
Sondenstücke oder sondenähnliche Fremdkörper in die Gebär¬
mutter gelangen; in anderen Fällen sind dieselben therapeuti-
s/chen, oder seltener akzidentellen Ursprungs. Der weiter unten
angeführte Fall I scheint ein Unikum zu sein, sowohl was die
Natur des Fremdkörpers, als auch was die Zeit, während welcher
derselbe im TJteruskavum beherbergt wurde, anbetrifft. AVenig-
stens habe ich einen ähnlichen in der mir zur Verfügung stehen¬
den Literatur nicht gefunden.
Fall I. 18. Juni 1899. Die 31 jährige AVitwe A. G. kommt
nut der Klage m die Sprechstunde, dass sie seit etwa einem Jahre
an Gebarmutterschmerzen und weissem Flusse leide und dass sie
oft kurze Fäden in der abgehenden Flüssigkeit bemerke. Ana-
mnestiscli lässt sich feststellen, dass Patientin früher immer ge¬
sund war und 3 Kinder normal geboren hatte. Vor einem Jahre
abortierte sie im 3. Monate der Schwangerschaft; da die Nach¬
geburt nicht abging und starke Blutungen auftraten, liess sie sich
in ein Krankenhaus aufnehmen. Dortselbst wurde durch Ope¬
ration (Kürettierung) die Plazenta entfernt und ihr mehrere Jodo¬
formgazetampons eingelegt. Am folgenden Tage wurden die Tam¬
pons entfernt und Waschungen gemacht, welche durch einige Tagt'
fortgesetzt wurden. Kurz nach ihrer Entlassung aus dem Kranken¬
hause traten heftige Schmerzen in Bauch und Kreuz auf. Die¬
selben hielten seither mit kurzen Unterbrechungen, wenn auch mit
geringerer Intensität, an und sind namentlich während der Pe¬
riode äusserst heftig. Ausserdem stellte sich reichlicher Ausfluss
aus den Genitalien ein. welcher trotz mehrfacher Behandlung nicht
weichen wollte. Fieber bestand niemals. Zeitweilige Verstopfung
mitunter schmerzhaftes Urinieren.
Durch bimanuelle Palpation wurde die Gebärmutter in Ante-
version, hart, sehr gross und schmerzhaft gefunden. Adnexen
auf Druck ebenfalls sehr empfindlich, bieten aber sonst nichts
Abnormes. Die Portio sehr dick, rot und wundig; aus dem
Muttermunde entleerte sich ein zäher, graugrüner Schleim. Die
Sonde drang auf 5 — 0 cm leicht ein.
Die Kranke wurde aufgefordert, sich nach einigen Tagen
wieder vorzustellen und die erwähnten Fäden, falls sie noch solche
im Ausflusse finden sollte, mitzubringen. Dies geschieht und bringt
Pat. einige 2—3 cm lange, dünne Fäden mit, welche mikroskopisch
als Baum wollfä den leicht erkennbar sind. Die Diagnose, dass sich
in der Gebärmutterhöhle ein vergessener Jodoformgazetampon
befinde, war somit ziemlich plausibel und wurde im weiteren A7er-
laufe auch vollauf bestätigt. Nach vorhergehender Erweiterung
mit (hohlen) Laminariastiften, konnte ich einen fest zusammeii-
gedrückten, von grünem, krümmeligem, übelriechendem Schleim
durchsetzten Tampon extrahieren, welcher aus einem 30 cm langen
und etwa 2 Querfinger breiten, dünnen Gewebestreifen bestand.
Die Nachbehandlung bestand im wesentlichen in antiseptischen
intrauterinen Spülungen und konnte Pat. vollkommen wiederher¬
gestellt werden.
Fall II. 20. Sept. 1900. E. F., 27 jährige IV. Para befindet
sich im 4. Alonate der Gravidität und beruft den Arzt wegen
starker Gebärmutterblutungen. Patientin liegt im Bette in einer
förmlichen Blutlache, ist sehr blass und hat häufige Olinmachts-
an Wandlungen. Temp. 39,8°. Puls 120.
Nach antiseptischer Reinigung und Entfernung von zahl¬
reichen. grossen Blutklumpen aus der Vagina, war die Gebär¬
mutter fast kindskopfgross, weich und nach vorne gebeugt zu
tasten. Muttermund für einen Finger bequem durchgängig und
fühlte man das Uteruskavum von der Plazenta und vielen lockei'en
Blutgerinnseln erfüllt. Bei den Versuchen, die Plazenta zu lösen,
fühlte ich plötzlich einen ziemlich schmerzhaften Stich in die
Fingerkuppe und' konnte nach vieler Mühe ein 5 cm langes und
2y2 mm dickes, blutig durchquollenes Holzstäbchen extrahieren.
9 Deutsche med. AVoclierschr. 1900. S. 51.
2) Handbuch d. prakt. Cliir., I. Aufl., Bd. II, S. 425.
5*
1Ü6U
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Die Gebärmutter wurde dann digital und mit ßecamiersclier
Kürette von ihrem Inhalte befreit und reichliche antiseptische
Spülungen (Sublimat 1:5000) vorgenommen. Während 2 Tagen
waren noch febrile Schwankungen zu bemerken, dann kehrte die
Temperatur zur Norm zurück und die Frau erholte sich rasch.
Das im obigen Falle extrahierte Stäbchen ist ein Wurzel-
stiick von Hellebor us niger, ein hierorts vom Volke zu
abortiven Zwecken vielfach benützes Mittel. Es gibt Weiber,
welche dies gewerbsmässig betreiben und eine grosse Geschick¬
lichkeit im Einführen derartiger Stäbchen in den Muttermund,
resp. die Gebärmutter, besitzen und auf diese Weise oft Abortus
bewirken, mitunter auch die betreffenden Patientinnen septisch
infizieren. Leider steht man diesen Fällen mit gebundenen
Händen gegenüber, da die Patientin, dem Gesetze nach, Mit¬
schuldige ist und man die dem Arzt übrigens unbekannte Ur¬
heberin des kriminellen Abortus nicht denunzieren kann, ohne
die Kranke ebenfalls dem Gerichte auszuliefern und so das ärzt¬
liche Geheimnis preiszugeben.
Ob die im Helleborus niger enthaltenen Glykoside an sich
genügend örtlich reizen, um Fehlgeburt zu bewirken, ist mir
zweifelhaft. Ich glaube eher, dass es sich um Quellwirkung, wie
bei Laminaria, oder öfters um Perforierung der Fruchtblase
handle.
Ein Fall von gewohnheitsmässigem Digitalismissbrauch.
Von Dr. C. Schubert in Cudova.
Der über Jahre sich erstreckende gewohnheitsmässige Ge¬
brauch von Digitalis kommt nicht allzu häufig zur Beobachtung.
Es fehlt dem Herzmittel die narkotische Wirkung, die bei an¬
deren Heil- oder Genussmitteln die Veranlassung zu chronischem
Abusus wird. Immerhin führt dann und wann die Erleichterung,
die zumal bei Herzkranken die Darreichung des Fingerhut¬
krautes zur Folge hat, zu immer häufigerer Anwendung des¬
selben, bis sie für den Organismus schliesslich zum Bedürfnis
geworden ist. Der folgende, von mir jahrelang beobachtete Fall
ist wegen der beträchtlichen Zeitspanne, über die er sich er¬
streckt, und wegen des erheblichen Quantums der regelmässig
verbrauchten Digitalis vielleicht nicht ohne Interesse.
Der Fabrikschmied Karl M. zu P., meinem früheren Wohnorte,
war hei mir in den Jahren 1894 — 96 als Krankenkassenmitglied
ständig in Behandlung. Derselbe hatte seinen Angaben nach im
Jahre 1871 einen Gelenkrheumatismus durchgemacht, war damals
9 Wochen lang bettlägerig und in der Folge noch 3 Jahre lang-
leidend gewesen. WTährend der oben angegebenen Zeit bestand eine
Mitralinsuffizienz mit Hypertrophie des linken Ventrikels; jährlich
mehrmals auftretende Kompensationsstörungen — • Pulsfrequenz
120 — 150. hydropische Erscheinungen — nötigten dann zur Bett¬
ruhe und Gebrauch von Digitalis, worauf für einige Zeit leidliches
Wohlbefinden eintrat.
Da die anfallsfreien Intervalle immer kürzer wurden, kam M.
im Dezember 1896 in den Genuss der Invalidenrente und schied
damit aus der Krankenkasse aus. Da dadurch auch die freie ärzt¬
liche Behandlung in Wegfall kam, gebrauchte er seit dieser Zeit
regelmässig das ihm früher verordnete Digitalisinfus (1,5:150) auf
eigene Faust weiter. Der Patient und seine Angehörigen machten
mir hierüber folgende Angaben:
M. pflegt von seiner Medizin täglich gegen Abend einige
Esslöffel voll zu nehmen; wenn er dies unterlässt, hat er sofort über
dyspnoische Beschwerden und Schlaflosigkeit zu klagen. Er ist
bei solchem Verfahren befähigt, leichtere häusliche Verrichtungen
vorzunehmen. Ist er zeitweise genötigt, mehr zu arbeiten, so
muss er behufs Erhöhung seiner körperlichen Leistungsfähigkeit
auch tagsüber während der Arbeit mehrere Esslöffel der Medizin
einnehmen. Erkundigungen, die ich in der betreffenden Apotheke
einzog, ergaben in der Tat den Bezug von wöchentlich 1, zuweilen
2 Flaschen des Digitalisinfuses in der oben angegebenen Stärke
von dem genannten Zeitpunkte an. Da M. zur Bestreitung seiner
Lebensansprüche in der Hauptsache auf seine spärliche Invaliden¬
rente angewiesen ist, so ist als sicher anzunehmen, dass er bei
der für ihn so beträchtlichen Ausgabe die Medizin auch in der
geschilderten Weise verwendet. Ende September 1901 hatte ich
Gelegenheit, ihn noch einmal genauer zu untersuchen. Der Be¬
fund war folgender:
Schlecht genährter, dyspnoisc-her Manu, Bulbi etwas vor¬
stehend. Spitzenstoss bis dreifingerbreit ausserhalb der Mammillar-
linie stark vorwölbend sichtbar. Grenzen der Herzdämpfung oben
3. Interkostal raum, links dreifingerbreit jenseits der Mammillar-
linie, rechts einfingerbreit vom rechten Sternalrande. Lautes
systolisches Blasen über der linken Herzkammer, an der Spitze
am lautesten; leiseres systolisches Geräusch in der Aorta,
II. Aortenton paukend. Undeutlicheres Geräusch an Stelle des
I. Trikuspidal- und Pulmonaltones; II. Pulmonalton verstärkt.
Puls gross, hart, gespannt, regelmässig, Frequenz 56. Leberrand
zw* ifingerbreit unterhalb des Rippenbogens palpabel. Urin Spuren
von Albumen.
Auffallend ist hierbei die gegen früher ausgesprochene Puls-
verlangsamung, zweifellos eine Digitaliswirkung.
Im Laufe des Winters verschlimmerte sich der Zustand erheb¬
lich, trotz Steigerung der Digitaliszufuhr, am 24. März 1902 trat
der Exitus ein.
Nach vorsichtiger Schätzung hat Patient seit Anfang 1897
mindestens 500—600 g Digitalis konsumiert.
Ueber die Beziehungen von Körperbewegungen,
Körperwärme und Albumosurie zu einander und zum
Fieber im Verlauf der Phthise.
Entgegnung auf die Arbeit von Schröder und B r ü h 1 in
No. 33 u. 34 d. W. von Dr. A. Ott, Heilstätte Grünewald
bei Wittlich.
In dem oben genannten Aufsatz haben die Verfasser den Ver¬
such gemacht, die von mir in der Arbeit: „Ist die bei Phthisikern
nach leichten Körperanstrengungen auftretende Temperatursteige¬
rung als Fieber zu betrachten?“1) niedergelegten Resultate bezw.
die daraus gezogenen Schlussfolgerungen anzufechten; es sind
ihnen dabei jedoch eine Anzahl von Irrtümern unterlaufen, so dass
ich gezwungen bin, dieselben an dieser Stelle richtig zu stellen
Die Verfasser stellen folgende Behauptungen auf:
1. Die Beziehungen der Albumosurie zum chronischen Fieber
der Lungenkranken sind noch nicht geklärt; das soll heissen,
Albumosurie ist hier kein konstanter Befund und demnach das
Vorkommen von Albumosen kein Beweis dafür, dass es sich um
echtes Fieber handelt. Beweis: einige willkürlich herausgegriffene
Angaben aus der Literatur, nach denen mehrfach das Suchen nach
Albumose im Urin fiebernder Lungenkranker erfolglos war. Dem
muss entgegengehalten werden, dass das Gleiche auch für andere
Fieber aus der Literatur entnommen wrerden kann und dass z. B.
nach der Zusammenstellung von Schultess bei etwa 10 Proz.
aller Fiebernden insgesamt Albumosen vermisst werden. Damit
ist doch noch keineswegs bewiesen, dass hier Albumosen nicht
vorhanden waren, sondern nur, dass man sie nicht gefunden hat.
sei es wegen allzu geringer Menge, sei es wegen mangelhafter
Empfindlichkeit der Untersuchungsmethode. Dass es bei den von
den Verfassern aus der Literatur zusammengestellten, übrigens
keineswegs vollständigen, Angaben in einem höheren Prozentsatz
der Fall ist, erklärt sich leicht aus dem so überaus wechselnden
Typus des Fiebers bei der Tuberkulose; beim Hektiker z B. ist
es doch ganz gut möglich, dass Morgens bei normaler Temperatur
die Albumosen fehlen oder nur in so geringer Menge vorhanden
sind, dass sie dem Nachweis entgehen, während sie Abends leicht
aufzufinden sind. Aelinlich können die Verhältnisse auch häufig bei
Tuberkulösen liegen. Bemerkenswert ist, dass dieVerf. selbst unter
S ausgesprochen Fiebernden Albumose nur 1 mal vermissten; dass
sie dieselbe in den subfebrilen Fällen keinmal fanden, liegt an der
Mangelhaftigkeit ihrer Methode, wovon weiter unten noch die
Rede sein soll. Jedenfalls gilt hier, wie auch sonst in der Me¬
dizin, der Satz, dass positive Resultate viel mehr Beweiskraft
besitzen als negative. Endlich ziehen die Verf. aus dem Nicht¬
vorkommen von Albumosen im Urin beim Penzoldt sehen
Symptom selbst den Schluss, dass hier kein Fieber vorhanden sei:
also hätte es ihnen im gegenteiligen Falle doch als Beweis für
das Vorhandensein von Fieber gegolten.
2. Sollen 6 von den in meiner Tabelle aufgeführten Fällen
als verdächtig bezüglich der normalen Temperatur erscheinen;
37,4 bis 37,5 im After könne nur selten beim Phthisiker eine nor¬
male Temperatur genannt werden. Ueber diesen Punkt lässt sich
streiten; weder dafür, noch dagegen ist bis jetzt ein zwingender
Beweis erbracht worden. Die Mehrzahl der Autoren hält aber
trotz Marx und Schneider noch daran fest, dass 37,5 im
After als Maximum, namentlich wenn es Nachmittags eintritt, wie
in meinen Fällen, noch als normal zu bezeichnen ist. Indes, selbst
wenn wir aus meiner Tabelle alle Kranken, die in der Ruhe über
37,3 im After gemessen haben, fortlassen (es sind deren 10), so
bleibt das Prozentverhältnis der sicheren und wahrscheinlichen
Albuuiosebefunde ziemlich unverändert, nämlich 6 von 15 oder
40 Proz sichere und 11 von 15 oder 73 Proz. sichere und unsichere
zusammengenommen.
3. Die Verf. behaupten, dass Albumosurie im Anschluss an
das P e n z o 1 d t sehe Symptom beim Phthisiker nicht auftrete;
in der Tat ist in Tabelle V das Resultat jedesmal als negativ
bezeichnet, nur 2 mal als suspekt; damit stehen sie in direktem
Gegensatz zu meinen Resultaten. Wer sich indes die von den
\ erf. benützte Methode näher ansieht, der wird finden, dass sie
die an und für sich schon nicht sehr empfindliche Methode — ent¬
gehen doch nach M a 1 1 li e s etwa 35 Proz. der Albumosen der
Fällung durch Alkohol — noch möglichst unempfindlich gemacht
haben. So nehmen sie einmal nur 10 ccm Urin, Schultess
schreibt 25—30 ccm vor (ich selbst nahm regelmässig 25), dann
benützen sie 96 proz. (es handelt sich hier offenbar um Volum¬
prozente. entsprechend etwa 94 Gewichtsprozenten) Alkohol, statt
absoluten, der 99 Gewichtsprozente enthält; der die Albumosen
enhaltende, zum grössten Teil aus Phosphaten bestehende Nieder¬
schlag wurde in 15 ccm Wasser gelöst und endlich die Biuretprobe
nicht durch Ueberschichten, sondern durch Mischen der alkali¬
sierten Lösung mit Kupfersulfat angestellt; durch die Eigenfarbe
des Kupfers wird aber eine schwache Biuretreaktion leicht ver-
') Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 50.
23. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
deckt, ganz besonders wenn man die viel zu starke lOproz Kupfer¬
sulfatlösung beniitzt. Infolge all dieser Fehlerquellen ist es kein
uudei, wenn den \erf. die beim Penzoldt sehen Symptom
entsprechend der geringen Höhe und kurzen Dauer des Fiebers
nur sehr kleinen Albumosenmengen entgingen. Da die Kontroll-
probe von Ban g nicht empfindlicher ist, als die Alkoholprobe —
es entgeht auch hier ein Teil der Albumosen der Fällung, da nur
durch Aussalzen bei saurer und bei alkalischer Reaktion eine
Flüssigkeit albumosefrei gemacht werden kann — , und da bei
ihr die anderen oben erwähnten Fehlerquellen nicht vermieden
wurden, so ist es natürlich, dass sie mit derselben die gleichen
negativen Resultate erhielten. Damit die Verfasser eventuell in
der Lage sind, ihre Versuche mit besserem Erfolg zu wiederholen,
will ich ihnen liier kurz beschreiben, wie man der Alkoholmethode
die grösstmögliche Empfindlichkeit zu geben im stände ist. Man
nimmt 25—30 ccm Urin (je mehr, desto besser natürlich), giesst
dieselben unter Umrühren in das 6 fache Quantum absoluten
Alkohols und lässt stehen, bis der Niederschlag sich gut abgesetzt
bat. dann giesst man den Alkohol, soweit das ohne Verluste mög¬
lich ist, ab und filtriert den Rest und bringt den ganzen Nieder¬
schlag auf ein möglichst kleines Filter, lässt den am Filter haften¬
den Alkohol verdunsten, bringt das Filter in eine kleine Porzellan¬
schale, zerreisst es mit dem Glasstab, setzt 2 bis 3 ccm Wasser
hinzu und erwärmt, ohne zum Sieden kommen zu lassen, bis der
Niederschlag sich gelöst hat, filtriert dann durch ein ganz kleines
Filter, das nachher, ebenso wie die Stücke des ersten Filters,
vorsichtig mit dem Glasstab ausgedrückt wird. An einem kleinen
Teil des Filtrates erfolgt die Prüfung auf Mucin, Nukleoalbumin
und Albumin, die nacheinander an demselben Quantum ausgeführt
werden kann; mit dem anderen Teil stellt man die Biuretprobe an,
in der Weise, dass man die Flüssigkeit alkalisiert und nun mit
Hilfe einer Pipette eine sehr dünne, höchstens 1 proz. Kupfer¬
sulfatlösung darüber schichtet. Wenn man das Reagensglas nun
gegen ein Blatt weisses Papier hält und zwar nicht dicht daran,
sonst fällt zu viel Licht hindurch, sondern einige Zentimeter davon
entfernt, so kann man auch bei sehr geringen Albumosenmengen
den roten Ring an der Berührungsstelle beider Flüssigkeiten noch
deutlich erkennen. Wenn die Verfasser in dieser verfeinerten
Weise ihre Versuche wiederholen wollen, so werden sie zweifel¬
los zu ähnlichen Resultaten kommen, wie ich. Dann werden sie
auch ihren Schluss, dass das Penzoldt sehe Phänomen nur eine
lokale Hyperthermie der Aftergegend ist — ein Schluss, in dem
ihnen auch auf ihre negativen Resultate bezüglich des Auftretens
von Albumosen hin nur wenige beistimmen werden — aufgeben
müssen, ebenso wie die Ansicht, dass die bisher als die zuver¬
lässigste Methode angesehene Aftermessung Verwirrung stiften
könne und deshalb zu gunsten der ein klares Bild gebenden Muncl-
messung aufzugeben sei.
Erinnerungen an Karl Gerhardt.
Von Fr. M a r t i u s.
(Karl Adolf Christian Jakob Gerhar d t, 1833 zu
Speyer geboren, studierte von 1850 an in Würzburg, promovierte
dort 185G mit einer Abhandlung „Beitrag zur Lehre der erworbenen
Lungenatelektase“, wurde 1860 Privatdozent und 1 Jahr darauf
auf Grund seiner Arbeit über den Stand des Zwerchfells ordent-
licher Professor und Direktor dör medizinischen Klinik in Jena.
1872 kam er in gleicher Stellung als Nachfolger Bambergers
nach Würzburg, 1885 nach Berlin. Am 21. Juli 1902 starb er
nach längerer Krankheit auf seiner Besitzung Gamburg in Baden.
Hier fand er seine letzte Ruhestätte.)
Als Gerhardt im Jahre 1885 nach Frerichs Tode
aus W ürzburg an die Universität Berlin berufen wurde und hier
die II. medizinische Klinik übernahm, war er 52 Jahre alt.
Ein Mann von mittlerer Grösse, breitschultrig, stämmig, mit
frischer, blühender Gesichtsfarbe, aber bereits ergrautem Bart
und Haar, einfach in Kleidung und Haltung, aber fest und
sicher im Auftreten, in seiner ganzen Erscheinung eher an einen
wetterharten Landwirt oder Oberförster als den weltbekannten
Arzt und Gelehrten gemahnend — so sahen wir, seine neuen
Assistenten, ihn vor uns. Denn mit der neuen Klinik übernahm
der Chef auch einen neuen ärztlichen Stab. Nur Friedrich
M ü 1 1 e r, sein vertrauter Lieblingsschüler und Assistent aus der
Würzburger Zeit, begleitete ihn nach Berlin. Wir anderen,
Paul Ehrlich, W. Landgraf und ich waren ihm fremd und
sollten uns erst auf den neuen Chef einarbeiten.
Der erste Eindruck, den Gerhardt machte, war tief und
nachhaltig. Das war kein Mann, der mit sich spassen liess.
(„V oilä un homme serieux“, sagte später, wie Grawitz er¬
zählt, ein hoher türkischer Arzt, der die Klinik besuchte.) Kurz,
knapp, klar waren die ersten Fragen, ebenso kurz und entschieden
die ersten Befehle und Aufträge. Die klaren, leuchtenden Augen,
aus denen am Krankenbett menschliches Mitgefühl und tiefstes
Wohlwollen leuchteten, blickten im Dienst stahlhart und fest.
Sie sprachen von einem Willen, der keinen Widerspruch duldete.
Dementsprechend bekam der genau geregelte Dienst an der
Klinik von vorneherein einen militärisch straffen Zuschnitt. Es
ist kein Zufall, wenn die militärisch geschulten Stabsärzte, die
als Assistenten an der Klinik fungierten, Gerhardt, wie er oft
ausgesprochen hat, falls sie wissenschaftlich genügten, dienstlich
besonders angenehm waren. Es entsprach das ganz der innersten
Seite seines Wesens. Wie er selbst ein Mann der strengsten
1 flichterfüllung war, so verlangte er auch von seinen Assistenten
absolute Zuverlässigkeit. Es gehörte fast zu dten moralischen
Unmöglichkeiten, dass während der Klinik an den Krankenge¬
schichten etwas fehlte oder nicht in Ordnung war, ein plötzlich
geforderter Apparat nicht zur Stelle war oder versagte. Nicht
selten wurde dadurch bei der bekannten Tücke des Objekts die
Klinik auch für den sorgsamen und aufmerksamen Assistenten
zur Angstpartie. Man war täglich von neuem froh, wenn wieder
einmal alles glücklich abgelaufen war.
So erzog er systematisch zur Genauigkeit und Pflichttreue.
Aber und das rechne ich ihm hoch an — die Charakterschule,
in die er uns nahm, ging noch viel weiter. Z. B. verlangte er
von uns, dass wir — jeder auf dem ihm zugewiesenen Gebiete —
in der Klinik vor dem grossen Ilörerkreise der Studierenden völlig
aus dem Stegreif und ohne Vorbereitung experimentelle Mass¬
nahmen klinischer Art ausführten, z. B. Pulskurven aufnahmen,
elektrische Untersuchungen machten u. dergl. m., Dinge, zu deren
Durchführung eigentlich die Ruhe und Sannnlutng des Ex¬
perimentierzimmers gehört. Entschuldigungen, wenn es einmal
nicht klappte, g’ab es nicht. So lernten wir Geistesgegenwart,
Selbstbeherrschung, Ruhe im kritischen Moment, Eigenschaften,
die für den Arzt ebenso wichtig und für seine Erfolge mit ent¬
scheidend sind, wie für den Soldaten. Wohl weiss ich, dass diese
Experimente am Kranken in der Klinik in erster Linie den
Zweck hatten, die Studierenden zu belehren und ihnen zu zeigen,
wie es gemacht wird. Aber ich bin überzeugt, dass Gerhardt
in der Art, wie er sie ausführen liess, auch die Schulung seiner
Assistenten mindestens mit im Auge hatte. Jedenfalls wurde
dieser Zweck in hervorragendem Masse erreicht. Man musste
immer auf alles gefasst, immer „gefechtsbereit“ sein. Ging alles
gut, dann bekam man wohl einmal als Belohnung einen zu¬
friedenen Blick des Chefs. Ging es schief oder schwach, so ge¬
nügte eine ganz kurze scharfe Bemerkung vor der versammelten
Klinik zu dem festen Entschlüsse, das darf dir nicht wieder
passieren. Wenn aber einer gar ängstlich vor einer plötzlich ge¬
stellten Aufgabe zurückschreckte oder im kritischen Moment ver¬
sagte, so hatte er für immer bei ihm verspielt.
Lebhaft erinnere ich mich eines solchen kritischen Momentes.
Es handelte sich um eine schwere Kehlkopfstenose auf luetischer
Basis, die durch tägliche Einführung einer Sonde offen gehalten
wurde. Die Einführung der Sonde war bei den eigentümlichen
vorliegenden Verhältnissen nicht leicht und erforderte grosse
technische Gewandtheit und besondere Einübung- auf den vor¬
liegenden I all. Der Kranke wurde in der Klinik vorgestellt. Ich
vertrat den zufällig abwesenden Stationsarzt, der bis dahin täg¬
lich die Sondierung vorgenommen hatte. Gerhardt wollte
die Einführung der Sonde den Studierenden selbst demonstrieren.
Aber, wie das so geht, auch dem grossen Meister — und Ger-
h a r d t war bekanntlich ein laryngoskopischer Techniker aller¬
ersten Ranges — passiert einmal etwas menschliches. Die Sache
missglückte. Nach dem zweiten vergeblichen Versuche wandte
sich Gerhardt ärgerlich und ohne zu beachten, dass der eigent¬
liche Techniker fehlte, an mich mit den Worten: „Machen Sie’s.
Sie sind ja darauf eingeübt.“ Tatsächlich hatte ich in diesem
Falle ebensowenig, wie er selbst, je die Sonde eingeführt. Aber
ich kannte meinen Chef. Ohne ein Wort der Aufklärung ging
ich kurz entschlossen an die Sache heran und siehe da — es
glückte gleich beim ersten Versuch glatt und anstandslos. „Da
sehen Sie, was die Uebung tut“, sagte Gerhardt befriedigt.
Ein ängstliches Versagen hätte er nie verziehen. So erzog er —
bewusst und unbewusst — zur Entschlossenheit und Geistesgegen¬
wart.
Gewiss — ein bequemer Chef war Gerhardt nicht. Wer
aber, ohne zu scheitern, durch seine Schule gegangen war, der
nahm als Mensch und Arzt einen sicheren Gewinn fürs Leben
mit fort. Vor allem auch als Arzt. Denn wie er strengste Pflicht¬
erfüllung im Dienst überhaupt verlangte, so verlangte er auch
eine iiusserst genaue und sorgfältige Krankenuntersuchung.
1582
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Flüchtiges Wesen war ihm ebenso verhasst, wie Augendienerei.
„Blender“ hielten sieh an der Klinik nicht lange. „Diagnostische
Irrtümer beruhen viel häufiger auf mangelhafter Untersuchung,
als auf irrtümlicher Schlussfolgerung“, war einer seiner Lieb¬
lingssätze. Mit anderen Worten : „Dummheit lässt sich verzeihen,
Bummligkeit nicht. Und das Bummeln verlernte man schnell
an der G erliardt sehen Klinik.
G e r li a r d t s klinischer Vortrag war einfach, ruhig, sehr
klar, ganz sachlich, möglichst den Fall oder die Frage er¬
schöpfend. Alle Effekthascherei lag ihm völlig fern. Zu Ger-
h a r d t ging in die Klinik, wer ernsthaft etwas lernen wollte.
Gegen die Kranken war er, wenn auch wortkarg, so doch
stets voller Rücksicht. Nichts konnte ihn- mehr in Harnisch
bringen, als wenn ein ungeschickter Praktikant sich beim Aus¬
kultieren auf den Kranken stützte oder ihn sonstwie bei seiner
Untersuchung unnütz belästigte.
So war Gerhardt seinem ganzen Wesen nach der geborene
Kliniker. Und dieser Mann mit der kurzen, knappen, sicheren
Art stand, als er nach Berlin kam, auf der Höhe seines Könnens
und seines wissenschaftlichen Ruhmes. Schon mit 28 Jahren
ordentlicher Professor und Direktor einer Klinik, hatte er in J ena
und Würzburg reichlich Zeit gehabt, seine Eigenart voll aus¬
reifen zu lassen. In der physikalischen Diagnostik auf streng
exakter, naturwissenschaftlicher Grundlage lag seine eigentliche
Grösse. Wie er als einer der ersten nach T ii r k und C z e r m a k
die Laryngoskopie wissenschaftlich und technisch zur vollen Ent¬
faltung und Blüte hatte bringen helfen, war er in der physi¬
kalischen Untersuchung des Herzens und der Lungen anerkannter
Meister und der würdigste Nachfolger T rauhes. Aber auch
für den machtvoll aufstrebenden Chemismus in der Medizin hatte
er besonderes Verständnis und ausgesprochene Vorliebe. Seine
aus den sechziger Jahren stammende Eisenchloridreaktion bei
Diabetes ist dafür typisch.
Dazu kam seine pathologisch-anatomische Schulung, deren
Anfänge auf Virchows Würzburger Zeit zurückführten.
Seine klinischen Epikrisen der Obduktionsergebnisse waren
Muster ihrer Art. Ohne jeden Versuch einer Beschönigung wur¬
den etwaige klinische Irrtümer zugegeben und die Ursachen ihrer
Entstehung besprochen und aufgeklärt. Nie versäumte er ohne
zwingenden Grund eine klinische Obduktion. Der Gang mit ihm
zusammen ins pathologische Institut war für uns immer ein
Ereignis. Man war jedemal sicher, etwas zu lernen. Und die
Herren Obduzenten erklärten mir damals öfter, dass es: ihnen
eine besondere Freude sei, für Gerhardt klinische Leichen¬
öffnungen vorzunehmen. Sie rühmten seine Schärfe der Auf¬
fassung und sein eindringendes Verständnis. So kamen die —
cs darf wohl ausgesprochen werden, da es sich um längst histo¬
risch gewordene Dinge handelt — damals bei den eigentümlichen
Verhältnissen des Berliner pathologischen Instituts etwas miss¬
liebig gewordenen oder gefürchteten klinischen Obduktionen zu
unserer Freude durch Gerhardt wieder in das richtige Ver¬
hältnis.
Kein Wunder, dass sich bald ein äusserst lebhaftes wissen¬
schaftliches Leben an der II. medizinischen Klinik entwickelte.
Und doch liess Gerhardt jedem seiner Assistenten und Schüler
völlig seine Eigenart. Er griff wenig oder gar nicht in die Arbeit
des einzelnen ein. Wohl regte er gelegentlich eine bestimmte
Frage an, sonst aber liess er jeden arbeiten, was und wie er wollte.
Nur dass etwas Ordentliches geleistet werde, verlangte er. Wer
nicht von sich aus etwas zuwege brachte, das sich sehen lassen
konnte, an dem vei’lor er bald das Interesse. So erzog er auch
wissenschaftlich zur Selbständigkeit. In jener Zeit entstanden
unter anderem ein Teil der berühmten Blut Untersuchungen Paul
E h r 1 i c h s, die bekannten Stoffwechseluntersuchungen
Fr. Müll e r s und später v. Noorden s, meine Arbeiten aus
dem Gebiete der Elektrodiagnostik und der Herzstosslehre.
Andererseits war Gerhardt aber auch der erste, der einen
tatsächlichen wissenschaftlichen Erfolg eines seiner Assistenten
und Schüler rückhaltlos anerkannte und die praktischen Kon¬
sequenzen daraus zog. Wer eine wirkliche Leistung aufzuweisen
hatte, war von dem Augenblicke seiner wohlwollenden Förderung
sicher.
Hand in Hand mit dem Aufblühen der Klinik — sowohl als
Lehrinstitut, wie als wissenschaftlich befruchtende Arbeitsstätte
— wuchs in Berlin Gerhardts überragende Stellung als Arzt
und Konsiliarius. Anfänglich freilich fand bei den Kollegen
seine manchmal zu wortkarge und kurz angebundene Art nicht
immer das richtige Verständnis. Aber das dauerte nicht lange.
Die grosse Mehrzahl der Aerzte erkannte schnell unter der rauhen
Schale den goldenen Kern. Die Sicherheit seines ärztlichen
Blickes und die Reinheit seines Charakters Hessen sich nicht ver¬
kennen. Vor allem gewann das hilfesuchende Publikum selbst
schnell Vertrauen und hielt ihm, dem treuen Manne, die lreue.
Noch nicht lange — eben 2 Jahre — war Gerhardt in
Berlin, als die welthistorische Tragödie begann, in deren Anfang
ihm die ärztlich führende Rolle zufiel und die seinen Namen
schnell durch alle Welt trug, die Krankheit Kaiser Friedrichs III.
Man kann nicht an Karl Gerhardt zurückdenken, nicht von
ihm sprechen, ohne die leidenschaftlich bewegten und aufregen¬
den Kämpfe zu berühren, die an das traurige Geschick des Lieb¬
lings der deutschen Nation sich knüpften. Wo lag die Schuld, die
Verfehlung? Die Geschichte hat längst gerichtet. Nicht den
ganzen traurigen Verlauf dieser medizinischen Tragödie wieder
aufzurollen, kann meine Absicht sein. Für uns Aerzte gibt es
kaum eine beschämendere Periode in der Geschichte. Nur an
Gerhardts Anteil an derselben soll erinnert werden, muss
erinnert werden, wenn wir den ganzen Mann, wie er war, als
Arzt scharfsinnig in der Diagnose, gewandt und seiner selbst
sicher in der Technik, als Mensch ehrlich, mutig und treu uns
wieder vergegenwärtigen wollen. Kein junger Mediziner sollte
versäumen, den kurzen, nur 16 Druckseiten umfassenden, aber
um so inhaltreicheren Bericht Gerhardts über die Krankheit
Kaiser Friedrichs III. (Kaiserliche Reichsdruckerei, Berlin 1888)
zu lesen. Selten wohl ist eine schwierige, gleich verantwortungs¬
volle und folgenschwere Diagnose so frühzeitig mit derselben
Klarheit, Sicherheit und Entschiedenheit begründet und aus¬
gesprochen worden, wie damals von Gerhardt die Karzinom¬
diagnose beim Kronprinzen. Und ebenso klar und sicher wurden
die praktischen Konsequenzen gezogen. Es verlohnt sich, in den
Hauptsätzen Gerhardt selbst noch einmal wieder zu hören.
„Wenn auch,“ sagt er, „einige Fälle von Krebssarkom und
einer von Kehlkopfkrebs durch Entfernung der Geschwulst vom
Munde aus geheilt worden waren, so lag doch bei einer so flachen
und mit dem Stimmbande in solcher Breite ohne irgend sicht¬
bare Begrenzung zusammenhängenden Geschwulst, bei der man
sagen konnte, dass sie aus dem Inneren des geschwollenen Stimm¬
bandes sich hervordränge, keine Möglichkeit vor, vom Munde aus
Heilung zu erzielen, wenn die Annahme des Krebses sicher stand.
In diesem Falle musste von jeder Operation vom Munde her ab¬
gesehen werden und durfte nur nach den schon vor 18 J ahren
von Desormeaux so klar dargelegten Grundsätzen verfahren
werden. Man musste den Kehlkopf spalten. Das ist bei den
heutigen Hilfsmitteln eine fast gefahrlose Operation, die man
selbst wegen gutartiger Geschwülste, selbst an Kindern und
Greisen unbedenklich vornimmt. Nur auf diesem Wege konnte
es möglich werden, mit klarem Einblick das Uebel mit der Wurzel
auszurotten und sicher keinen Krankheitskeim im Kehlkopf zu¬
rückzulassen. Die Diagnostik des inneren Arztes hatte so früh
als möglich die Natur des Uebels klargestellt. Die chirurgische
Hilfeleistung hatte den denkbar günstigsten Fall vor sich, einen
vollkräftigen, riesenstarken Körper, bei dem es galt, ein überaus
kleines Gewächs von etwa Vs cm Durchmesser mit der Wurzel
auszurotten. Der Sitz der Geschwulst, die am Stimmbandrand
hervorragte, musste die Hinwegnahme sehr erleichtern. Keine
Statistik kann die ganze Wahrscheinlichkeit dauernd günstigen
Erfolges voll wiedergeben, die in diesem Falle bestand. Denn' in
keinem Falle war die Krankheit so früh, ich möchte sagen, im
Keime erkannt, die Konstitution des hohen Kranken war die
denkbar kräftigste. Alle Hilfsmittel standen zu Gebote.“ — „Am
Abend des 20. waren alle Vorbereitungen für die Operation ge¬
troffen. Am folgenden Vormittage sollte operiert werden.“
Aber es kam anders. Wie und wodurch, das ist bekannt
genug. Auch wer Mackenzie bona fides — wenigstens an¬
fänglich — zuzugestehen g'eneigt ist, muss zwei Tatsachen an¬
erkennen, die selbst Mackenzies rabulistische Dialektik bei
seinem späteren Rechtfertigungsversuch nicht aus der Welt
schaffen konnte, erstens, dass er selbst durch das zuversichtliche
Versprechen baldigster Heilung ohne Operation diese letztere ver¬
hindert hat, und zweitens, dass durch den ganzen späteren Ver¬
lauf der Krankheit Gerhardts Frühdiagnose nur bestätigt
und damit seine Vorschläge als die allein sachgemässen und
allein die Rettung ermöglichenden gerechtfertigt sind. Rein
23. September 1902.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCÜRIEt.
1S83
objektiv ist damit entschieden, auf welcher Seite Irrtum, und
Verfehlung gelegen haben. Das deutsche Volk aber hat alle Ur¬
sache, am frischen Grabe Karl Ge r h a r d t s ein Lorbeerreis
niederzulegen mit der Widmung: Hier ruht ein grosser Arzt und
ein treuer deutscher Mann.
Aerztliche Standesangeiegenheiten.
Die Auswüchse des Krankenkassenwesens in England.
Nach brieflichen Mitteilungen von Dr. Hirne in Bradford.
Die Verhältnisse liegen in England eigenartig, insofern es dort
keine staatlichen oder städtischen Krankenkassen gibt und durch
eine grosse Zahl von Wohltätigkeitsanstalten die Arbeit des Arztes
bei Kassenmitgliedern in einer Weise entwertet ist, die nach
m a ndie r R i c li t u n g hin noch schlimmer ist als i n
Deutschland oder — nach den Schilderungen von E 1 -
linger auf der diesjährigen Versammlung des Wirtschaftlichen
Verbandes in Königsberg (Med. Reform No. ü u. 10) — in Oeste r-
reich.
Ein Kampf der Aerzte mit den Arbeiterkrankenkassen (Wor-
king-mens Sick Clubs, auch Beneüt Clubs und Societies genannt)
oder Krankenvereinen währt auch in England schon seit Jahren.
Es gibt dort sehr viele solcher Gesellschaften und manche haben
ein grosses Kapital angesammelt, das sich auf Millionen von
Pfund Sterling beziffert. Einzelne Kassen sind sehr klein und
auf die Arbeiter in bestimmten Fabriken oder Betrieben be¬
schränkt. Sie sind alle von den Arbeitern allein, ohne Beteiligung
der Arbeitgeber, begründet und geleitet. Frauen sind nur in sehr
wenigen „Clubs“ zugelassen; mit der staatlichen oder städtischen
Verwaltung stehen sie in gar keinem Zusammenhang. Sie haben
manchmal sonderbare Namen, z. B. Free gardners, Free rangers
(freie Wanderer), Odd-Fellows, Forresters, Buffaloes u. s. w. Die
Odd-Fellows and Forresters (Förster, Waldbewohner) sind am
meisten vertreten. Erstere hat 0 — 8 Millionen Vermögen.
Sie bezahlen Krankengeld („sick-pay“) an die Mitglieder und
geben auch der Familie einen Beitrag, gewöhnlich in der Form
von Sterbegeld bei einem Todesfall in der Familie. Diese grossen
Kranken vereine haben Zweigvereine im ganzen Königreich; letz¬
tere besorgen ihre Geschäfte selbständig, wählen ihre eigenen
Aerzte und Beamten und zahlen nur eiüen geringen Prozentsatz
ihrer Einnahme an die Zentralstelle. Im Verwaltungsrat dieser
Zentrale hat jeder Distrikt, der viele tausend Mitglieder umfassen
kann, je einen Vertreter. Jeder Distrikt sendet immer nur einen
Vertreter, möge daselbst nur ein oder eine Mehrzahl von Klubs
vorhanden und die Zahl der Vereinsmitglieder eine schwankende
sein.
Der „Klubdoktor“ wird vom Klub, nicht von der Zentralstelle
gewählt. Seine Pflichten sind, die Heilmittel (Medizin eingeschlos¬
sen) parat zu halten und zu verteilen, bei Krankheitsfällen die
nötigen Zeugnisse über Arbeitsunfähigkeit auszustellen. Es ist
nicht allgemein gebräuchlich, dass die in den Krankenverein Ein¬
tretenden sich vorher einer Untersuchung durch den Klubdoktor
zu unterziehen haben.
Die Bezahlung des Clubdoktors ist sehr verschieden, beträgt pro
Mitglied und Jahr durchschnittlich nur 3 Schilling, ln einer sehr
grossen Anzahl von Orten betra'gt sie nur 2 Schilling, in sehr we¬
nigen Orten 5 Schilling.
Seit ungefähr 10 Jahren hat eine Bewegung dafür eingesetzt,
die verschiedenen Klubs der grösseren Städte zu vereinigen und
einen oder zwei Doktoren zu engagieren, die ihre ganze Tätigkeit
nur den Klubmitgliedern widmen ohne die Berechtigung zur Privat¬
praxis. Sie erhalten in der Stadt Bradford z. B. 250 Pfd. Sterl.
im Jahr und ausserdem freie Wohnung, Kohlen und Gas. Einer
dieser Doktoren hat einen Gehilfen für die Zubereitung der Medi¬
zin. Auch steht ihnen Pferd, Kutsche und Kutscher zur Ver¬
fügung, welche Vergünstigung mit ca. 300 Pfd. im Jahre ver¬
anschlagt werden kann. Entbindungen zu machen, gehört nicht zu
den Pflichten dieser Klubdoktoren; auch sind Frauen und Kinder
(die Familienbehandlung in den deutschen Kassen) nicht mit ein¬
geschlossen in den Pflichtenkreis.
An Krankengeld („sick-pay“) erhält das Mitglied durchschnitt¬
lich 1 Schilling pro Tag; in Bradford entfallen durchschnittlich im
Jahr auf jedes Mitglied 14 Krankheitstage und 14 Schilling Kran¬
kengeld.
Die Beschäftigung als Klubdoktor ist bei den Aerzten eine ver¬
hasste („detested“), was hauptsächlich seinen Grund hat in der
sehr unangenehmen Abhängigkeit des Arztes von den auf niedrig¬
sten Lebensgewohnheiten stehenden Patienten, die sich angewölmt
haben, den Arzt zu behandeln wie „niggers“. Nur Aerzte mit sehr
niedrigen Ansprüchen, Aerzte zweiter Klasse, nehmen solche Klub¬
stellen an; von ihnen wird verlangt, dass sie den Klubpatienten
mehr Aufmerksamkeit und rüege widmen, als irgend einem Privat¬
patienten. Beispielsweise erwartet ein Klubpatient mit einem
Schnupfen („a cold“) den Besuch eines Klubarztes einen jeden Tag;
hält er sich für vernachlässigt, so beklagt er sich beim Klubvor¬
stand und der Klubdoktor hat im Vorstand zu erscheinen, dessen
Sitzungslokal sich gewöhnlich in einer Kneipe befindet. Hier wird
ihm vom Kläger in mehr anzüglicher als anständiger Weise seine
Nachlässigkeit vorgeworfen, und hat der Doktor sich zu verteidigen.
Der ganze Aerztestand in England ist einmütig in seiner Oppo¬
sition gegen die geplante Verschmelzung der Klubs, hauptsächlich,
weil bisher die Stellung des Arztes zu unlauterer Profitmacherei
von seiten des leitenden Klubvorstandes ausgenützt zu werden
pflegte. W enn beispielsweise bei den Mitgliedern für den Arzt
eine Jahressumme von 350 Pfd. ausgeschrieben ist, werden im
Kontrakt mit dem Arzt dem letzteren 250 Pfd. ausgesetzt, so dass
in den Händen des Vorstandes ein Profit von 100 Pfd. verbleibt.
Dagegen protestiert der Aerztestand, bezeichnet es als „unwürdig“,
die Anstellung des Klubdoktors für solchen Missbrauch heranzu¬
ziehen. Leider aber gibt es auch in England einen Uebertluss an
Aerzten, die jung, unerfahren, arm oder mit geringem Gefühl für
Anstand oder Standeswürde begabt sind, und solche unwürdige Be¬
dingungen annehmen, trotzdem sie von den Standesgenossen als¬
dann missachtet, oftmals in Verruf getan („ostracised“) werden.
Eine andere in England brennende Frage ist, ob auch besser
Situierten der Zutritt zu den Krankenvereinen gestattet sein soll.
Man nimmt nicht an, dass sehr viele solcher Mitglieder tatsächlich
vorhanden sind, aber die Klubdoktors beschweren sich sehr ener¬
gisch darüber; sie verlangen im Prinzip, dass die Vorteile der frei¬
willigen Arbeiterversicherung gegen Krankheit auch nur dem Kreis
der Arbeiter und der Arbeiterklubs zukommen soll. Es kommt vor,
dass ein Arbeiter und Kassenmitglied zu Reichtum gelangt, aber
dennoch verlangt, im Klub zu bleiben, um für 2 — 3 Schilling im
Jahr seinen Doktor zu haben. Deshalb ist verlangt worden von
den Aerzten, dass das Recht, Kassenmitglied zu sein oder zu
bleiben, von der Höhe des Lohnes, den das Mitglied erhält, ab¬
hängig sein soll. Die Arbeiter sind dieser Auffassung nicht gün¬
stig gestimmt; sie nehmen jeden als Mitglied auf, den sie gewinnen
können. Dazu kommt noch, dass der Arbeiterstand dem Doktor
gegenüber gern und jederzeit seinen Klassengeist herauskehrt.
Der Arbeiter fühlt wohl die gewisse Ueberlegenlieit des Arztes an
Bildung und in der Lebensauffassung, wird sie aber nicht an¬
erkennen; jede Behinderung einer Bewegung zu gunsten des
Aerztestandes wird von ihm als ein Sieg der Arbeiterklasse auf¬
gefasst. Wie die „gelernten Arbeiter“ und die in den Gewerk¬
schaften organisierten besser gezahlten Arbeiter sich zur Kranken¬
unterstützung resp. -Versicherung stellen, ist nicht bekannt. Die
bezügliche deutsche Literatur erwähnt nichts davon, und befasst
sich allem Anschein nach der organisierte Arbeiterstand mit dem
Krankenkassenwesen in ganz anderer Weise als in Deutschland.
Es wäre wichtig, nach der Richtung hin etwas über englische Ver¬
hältnisse und deren Tendenz für die Zukunft kennen zu lernen.
Ein letztes schwerwiegendes Moment, welches hemmend auf
eine Aufwärtsbewegung des Standes der Klubdoktoren und der
Aerzte in England überhaupt einwirkt, und welches in den letzten
Jahren sogar noch ein weiteres Sinken des durchschnittlichen Ein¬
kommens verursacht hat, das liegt in dem Vorhandensein der vielen
öffentlichen Heilanstalten für ansteckende Kranke. Jüngst erst
sind zahlreiche solche Hospitäler von den Munizipalbehörden neu
errichtet worden, auf Grund der Anzeigepflicht für jeden gefähr¬
lichen ansteckenden Krankheitsfall: Public Health Act 1875 and
„Notification“ 1878. Nicht alle gemeldeten Fälle, aber die Mehr¬
zahl derselben kommt in das Krankenhaus. Die städtischen Be¬
hörden bauen sehr gern solche Hospitäler; sie haben das Recht,
jeden Patienten zur Beobachtung dem Hospital zu überweisen;
auch die ländlichen Behörden schaffen sich ihr Hospital und be¬
legen es möglichst ausgiebig. Auf diese Weise verliert der prak¬
tische Arzt sein Einkommen von allen denen, die ins Hospital
kommen. Einen noch grösseren Schaden erleiden die Aerzte von
den öffentlichen Krankenhäusern, den „medical charities“, welche
Kranke aller Art aufnehmen. Sie erhalten sich durch freiwillige
jährliche oder durch dauernde Beiträge von Wohltätern. Jeder
Patient wird aufgenommen, ob arm oder reich, ob mit einer an¬
steckenden Krankheit oder mit einer Verletzung behaftet, wegen
eines Splitters im Finger oder wegen einer vorübergehenden Kon¬
stipation. Es ist zu einem Wettlauf unter den verschiedenen Wohl¬
tätigkeitsanstalten gekommen, dass am Ende des Jahres das
Komitee der Anstalten sich mit 20 — 30 — 40 000 Tatienten brüsten
will (auf anderer Leute Kosten!!). Ein Hospital in B. hat den
Rekord, dass 10 000 Zähne in seinen Mauern gezogen wurden, wie
sein Prospekt besagt, und dass sie 20 000 könnten ausreissen lassen,
wenn die Mittel des Hospitals reichen würden.
Die Fabrikanten haben an der Gründung solcher Hospitäler
ihren besonderen Vorteil auf folgende Weise: Der Fabrikbesitzer
eröffnet z. B. eine Subskriptionsliste mit Beiträgen von 1 — 10 sh.
Er hat, wenn die Liste herumgegangen ist, eine nicht bestimmte
Anzahl von Geldanweisungen, Empfehlungen für Behandlung etc.
in dem Hospital zu seiner Verfügung. Er kann diese Anweisungen
irgend einem beliebigen Arbeiter geben oder sonstwie dieselben
in der Stadt verteilen. Schändlicher Misbraucli kann mit den¬
selben getrieben werden. Den Personen mit leichtesten Beschwer¬
den, Armen, Reichen, allen Ansprüchen überhaupt muss auf Grund
solcher Anweisungen im Hospital nachgekommeu werden. Die
praktischen Aerzte verlieren in tausenden von Fällen ihre Patien¬
ten. An dieser Ausplünderung der praktischen Aerzte sind die
Chefärzte in den Hospitälern ebensosehr schuldig, als das Vor¬
standskomitee. Zwar sind diese Chefärzte nicht für ihren Dienst
bezahlt, aber selbstverständlich nützt es dem Renommö eines
jeden Arztes, ein Chefarzt in einem solchen Hospital zu sein. Geht
der Patient eines Privatarztes in das Hospital, wird dort von
Dr. X. behandelt, sehr nett, sehr zuvorkommend, mit guter Diät
versorgt, so ist 1, gegen 100 zu setzen, dass nach dem Verlassen des
Hospitales der Dr. X. bei dem Kranken der Hausarzt wird. Diese
ganze Krankenhausfrage hat sich zu einer sehr ernsten zugespitzt.
Das Publikum ist geradezu demoralisiert durch die Hospitäler;
ein wohlhabender Mann scheut sich nicht, die Mildtätigkeit der auf
freiwillige Beiträge angewiesenen Hospitäler in Anspruch zu
1584
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 88.
nehmen, selbst für die kleinste, vorübergehende Krankheit. Nie¬
mand fragt dort nach den Vermögensverhältnissen. Je grösser der
Zulauf, desto höher der Ruhm des Komitees. Die 2 Hauptzeit¬
schriften, Laucet und British medical Journal, haben fast in jeder
Nummer polemische Artikel. Ein praktikabler Weg aus den ver¬
fahrenen Hospitalverhältnissen hat noch von keinem Kritiker nach¬
gewiesen werden können. Gerade das letzte Moment, welches von
Engländern für den Niedergang des ärztlichen Standes angezogen
wird, ist von grossem Belang für Deutschland. Wem fielen nicht
die Anklänge an die Poliklinikenfrage, an die sentimentale Ueber-
fiirsorge für Syphilitische, an die unentgeltliche Behandlung in
gewissen Instituten, mit dem Namen von grossen Aerzten an der
Spitze der Verwaltung ein? Die allzu gefühlvollen „medizinisch¬
sozialen“ Kollegen sollten stutzig werden durch die hier aus
England kommend™ Klagen. Der Referent ist der Meinung, dass
es ganz so schlimm, wie in Oesterreich und England, noch nicht
in Deutschland ist, dass in dem Kampf der einzelne Arzt noch
nicht so weit zurückgedrängt ist, und dass es noch Zeit ist, den
deutschen Arzt vor dem Versinken in Verhältnisse, wie sie von
England und Oesterreich geschildert sind, zu schützen. L. Pft'r.
Referate und Bücheranzeigen.
Prof. Friedrich Schultze - Bonn : Die Krankheiten der
Hirnhäute und die Hydrokephalie. Spezielle Patho¬
logie und Therapie, herausgegeben von Hofrat Prof.
Dr. Nothnagel in Wien. IX. Bd., III. Teil, I. Abteilung.
258 S. Preis M. 6.40. Wien 1901, bei Alfred Holder.
In dem vorliegenden Bande des N othnagel sehen
Sammelwerkes haben die Krankheiten der Hirnhäute eine er¬
schöpfende und übersichtliche Darstellung erhalten.
Der Gegenstand der ersten Kapitel sind die Pachy-
meningitis haemorrhagica interna und die me¬
nin gea len Blutungen. Hier wird die Schilderung der
anatomischen Verhältnisse durch Uebersiehtsbilder und Zeich¬
nungen mikroskopischer Schnitte in anschaulicher Weise er¬
gänzt. Es sei hervorgehoben, dass für die Entstehung der
Pachymeningitis haemorrhagica interna nach der Ansicht des
Verfassers beide Anschauungen zu Recht bestehen, so dass also
einmal die Blutung das Primäre ist, das andere Mal aber eine
selbständig einsetzende aktive Wucherung und Entzündung der
inneren Schichten der Dura. Als Leitmotiv für den Versuch
einer Erkennung der Krankheit bleiben die Berücksich¬
tigung der Ursachen, besonders auch des chronischen Alkoholis-
mus, des vorgeschritteneren Lebensalters und das schubweise Auf¬
treten von Benommenheit und Koma, die sich mit verschieden
starken kortikalen Reiz- und Lähmungserscheinungen verbinden.
Es entspricht der praktischen Bedeutung des Gegenstandes,
dass der grösste Raum des Buches, 150 Seiten, der Darstellung
der Meningitis acuta gewidmet ist, wobei jedoch die
syphilitischen Erkrankungen, die durch Oppenheim und
Kahane, und die epidemische Meningitis, die durch
v. Leyden und Goldscheider besprochen werden, aus-
scheiden.
Der verbleibende überreiche Stoff ist durch eine zweckmäs¬
sige Gliederung in eine übersichtliche Form gebracht worden.
So werden bei den einzelnen Arten der Leptomeningitis 5 Haupt¬
gruppen nach ihren Ursachen und Ursprungsorten unterschieden.
In den allermeisten Fällen sind es Mikroorganismen, die
in die Schädelhöhle eindringen. Bei der traumatischen
Meningitis gelangen sie in der einfachsten Weise in die
Hirnhäute. Die nächste Gruppe umfasst die Meningitis nach
entzündlichen Erkrankungen benachbarter Organe, die oto¬
gene, rhinogene, ophthalmogene Meningitis und die
Entzündung von zerebralen und spinalen Erkran¬
kungsherden aus, nach erysipelatösen und phlegmonösen
Prozessen, Furunkeln am Kopfe und Halse.
In einer 3. Gruppe werden die Entzündungen der Hirnhäute
in ihrem Zusammenhänge mit dem grossen Heer der all¬
gemeinen Infektionskrankheiten besprochen, von
der Influenza und Lungenentzündung bis zu der Tripper¬
erkrankung und zur Tuberkulose. In einer 4. und 5. Gruppe
finden die Meningitiden bei Intoxikationen und bei Stoff¬
wechselkrankheiten und nach sonstigen Schädigungen, wie Er¬
kältungen, Insolation und Ueberanstrengung, eine kritische Be¬
urteilung.
Bei der Darstellung der pathologisch-anatomischen
Verhältnisse werden neben den Gewebsveränderungen
die bisher dabei aufgefundenen Mikroorganis m e n ein¬
gehend berücksichtigt und durch Abbildungen mikroskopischer
Schnitte erläutert.
Es wird betont, dass sich die Veränderungen bei der eitrigen
Hirnhautentzündung bis auf ätiologische Abweichungen durch¬
aus mit den Veränderungen bei der epidemischen Zerebrospinal-
meningitis decken und dass auch eine otogene Meningitis vom
Scheitel bis zum Pferdeschwanz reichen kann, wie auch stets
zugleich das Gehirn mitverändert ist. Aber die ganze Aus¬
dehnung der Veränderungen, ihre Intensität oder überhaupt ihr
Vorhandensein wird vielfach erst bei der mikroskopischen
Untersuchung offenbar.
Diese Schilderungen geben die Grundlage für den folgenden
Abschnitt, den klinischen Teil, in dem uns der Verf. das wech¬
selnd bunte Bild der Krankheitserscheinungen und des Verlaufes
in prägnanter Schärfe und in plastischer Form entrollt. Um
die Haupt trias, die Nackensteifigkeit, den Kopfschmerz und die
Hyperästhesien, gruppieren sich die übrigen Symptome : Er¬
brechen, Schwindelgefühl und die sonstigen Gehirnerschei¬
nungen. Aus der Fülle der Einzelheiten sei hier nur weniges
hervorgehoben. So wird bei dem Verhalten des Pulses nicht
so sehr die Verlangsamung als vielmehr die grosse Labilität als
auffallend und einigermassen charakteristisch bezeichnet. Das
kahnförmige Eingezogensein der Bauchdecken wird oft vermisst
und häufig genug ein aufgetriebenes Abdomen, besonders bei Kin¬
dern mit tuberkulöser Meningitis angetroffen. Wie bei vielen
anderen Symptomen, so besteht auch bei dem Verhalten der
Sehnenreflexe ein auffälliger Wechsel in der Stärke. Die Tem¬
peratur steigt bei der tuberkulösen Meningitis nicht so extrem
hoch wie bei der eitrigen und bei beiden zeigen sich sehr un¬
regelmässige Remissionen. An die klinischen Symptome
schliessen sich die Ergebnisse der Lumbalpunktion an.
Gab der Verfasser bis hierher die Bausteine, aus denen sich
das Gebäude der Meningitis zusammensetzt, so wird nunmehr
über die Gruppierung dieser Bausteine bei dem Aufbau der ein¬
zelnen Formen berichtet, und zunächst bei der häufigsten Er¬
krankungsform, bei der tuberkulösen Meningitis der
Erwachsenen und der Kinder. Der Verfasser vertritt hierbei den
Standpunkt, dass angesichts so mancher, im gleichen Sinne
lautender Sektionsbefunde die Ausheilung einer tuberkulösen
Meningitis nichts weniger als unwahrscheinlich erscheint, dass
aber ein unbedingt sicherer Beweis für eine solche Heilung noch
nicht erbracht ist. Die verschiedenen Verlaufsarten werden nach
dem Hauptsitz der Veränderungen, der Ivonvexitäts- und der
Basilarmeningitis abgeteilt. Die Erkennung und die Unter¬
scheidung der akuten Meningitis von den funktionellen Nerven¬
krankheiten, den anderen organischen Nervenkrankheiten und
von anderweitigen Krankheitszuständen hat eine gesonderte er¬
schöpfende kritische Darstellung gefunden. Wegen der vielen
wertvollen Einzelheiten und praktischen Fingerzeige sei hier auf
das Original verwiesen. Durch die kurze Mitteilung von Kran¬
kengeschichten aus der eigenen Beobachtung wird die Schwierig¬
keit der Diagnosenstellung erläutert, welche zuweilen die Er¬
kennung des Zustandes geradezu unmöglich machen kann. Bei
der Therapie findet neben der inneren besonders auch die
moderne c hirurgische Behänd] u n g, ihre Anzeige¬
stellung, ihre Aussichten und bisherigen Leistungen eine ein¬
gehende Besprechung. Der Verfasser berichtet seine Erfahrungen
über die Lumbalpunktion als Behandlungsmethode, der
er sich etwas skeptisch gegenüberstellt. Für therapeutische
Zwecke wendet er sie in Fällen ausgedehnter tuberkulöser
Meningitis nicht mehr an, und am günstigsten beurteilt er ihre
Wirkung bei der serösen Meningitis.
Der letzte Abschnitt des Buches ist der Darstellung
der Hydrokephalie gewidmet. Die pathologische Ana¬
tomie wird durch Abbildungen von Präparaten und Schnitten
erläutert, und die klinischen Zeichen an der Hand bezeichnender
Krankheitsgeschichten geschildert und vertieft. Die Differential¬
diagnose gegenüber den in Betracht kommenden Zuständen ist
von besonderem Interesse.
Der Verfasser hat es verstanden, in dem anregend und flüssig
geschriebenem Buche in vollendeter Weise die Fülle der in der
Literatur niedergelegten Angaben mit seinen eigenen wertvollen
Beobachtungen zu verschmelzen zu klaren und abgerundeten Bil¬
dern dieser verwickelten Zustände, wobei er sich ebenso fern
23. September 1902. _ MPENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1585
IihH von einem einseitigen Schematismus wie von einer über¬
trieben skeptischen Zersplitterung der .Krankheitsformen.
Mag sich der Leser Rats erholen wollen über pathologisch¬
anatomische Verhältnisse oder über bakteriologische Befunde
über klinische Zeichen und diagnostische Merkmale, über thera¬
peutische Methoden und Eingriffe oder über Angaben und über
Kritik der Literatur bis in die jüngste Zeit hinein, überall wird
er m dem Buche eine umfassende und fördernde Auskunft finden.
Wohltuend berührt besonders die überlegene Kritik, der man es
anmerkt, dass man sich auf dem eigensten Arbeitsgebiet des Ver¬
fassers befindet, dessen Forschungen wir hier eine wesentliche
Erweiterung unserer Kenntnisse zu verdanken haben.
Privatdozent Dr. Kurt Brandenburg - Berlin.
Theodor v. Jürgensen: Lehrbuch der speziellen Patho¬
logie und Therapie. 895 Seiten. Preis 15 M. Leipzig- 1902,
Verlag von Veit & Comp. Vierte, neubearbeitete und ver¬
mehrte Auflage. Mit zahlreichen Abbildungen im Text.
Deni Altmeister Adolf K u s s m a u 1 zum 80. Geburtstag ge¬
widmet liegt J ii r ge nsens bekanntes Lehrbuch in neuer Auf¬
lage voi uns. In einem Bande wird in gleichmässiger Weise
die gesamte spezielle Pathologie und Therapie einschliesslich der
Haut- und Kinderkrankheiten behandelt. Die pathologische
Anatomie, besonders auch die mikroskopische, wird bei jeder
Krankheit in knapper, klarer Weise berücksichtigt. Wenn nötig,
wird die Darstellung von guten Abbildungen begleitet.
Gegenüber der 3. Auflage weist die 4. manche Verbesserung
auf. Was zunächst die äussere Ausstattung anlangt, so ist der
Druck bedeutend verbessert besonders durch Verwendung- starker
Schrift und auch häufiger Anwendung von Petit. Man findet
sich in der neuen Auflage viel leichter zurecht. Die erhöhte
Uobersichtlichkeit wurde u. a. durch häufigere Absätze erzielt.
An manchen Stellen wurde der Text gekürzt, an vielen er¬
weitert; die Darstellung ist dadurch klarer geworden. Die Er¬
gebnisse der modernen Statistik, die Fortschritte in der Serum¬
therapie wurden in den entsprechenden Kapiteln verarbeitet.
Die grosse Erfahrung des Autors auf dem gesamten Gebiete
und in einer Tätigkeit, welche die Bedürfnisse des praktischen
Arztes am besten zu erkennen lehrt, sichert auch der neuen Auf¬
lage die bisherige Beliebtheit bei den Praktikern und Stu¬
dierenden. W. Zinn -Berlin.
W. R. Gowers: Epilepsie. II. Auflage. Deutsche auto¬
risierte .Ausgabe von Dr. Max W e i s s. Leipzig u. Wien, Franz
D e u t i c k e, 1902. 336 Seiten. Preis 7 M.
Gowers stützt sich auf 3000 Beobachtungen von Spital¬
patienten. So gross dieses Material ist, so fällt doch seine Ein¬
seitigkeit auf, die sich unter anderem darin dokumentiert, dass
in keinem der Fälle mit bedeutenderem psychischem Defekt die
Krankheit mehr als 20 Jahre dauerte. So sind auch die psy¬
chischen Aeusserungen der Epilepsie sehr unvollständig beschrie¬
ben. Immerhin sind viele Zusammenstellungen, z. B. die Sta¬
tistik der Erblichkeitsverhältnisse, von grossem Werte. Auch
ist Gowers im stände, alles Wichtige mit Beispielen seiner
eigenen Erfahrung zu illustrieren, die allerdings etwas kurz und
nirgends in Form ganzer Krankengeschichten gegeben Werden
(bei einer Beobachtung — pag. 205 — fehlt sogar der Nachweis
der Epilepsie).
Für Verf. besteht die P athologie der Epilepsie bekannt-
hell in einem labilen Zustande der Nervenmoleküle, welcher un-
/( *tige, zu starke und deshalb ungeordnete Entladungen lierbei-
i lihrt. Durch diese Annahme ist natürlich noch wenig erklärt.
In den Details finden sich da und dort etwas gewagte Theorien.
Bei den anatomischen Befunden wird die zuerst von Chaslin
beschriebene Kandgliose, die gewiss von Bedeutung ist, ignoriert.
Bemerkenswert erscheint der Nachweis, dass den epilep¬
tischen Anfällen oft hysterische folgen. Gowers be¬
zeichnet aber diese Mischung von zweierlei Anfällen als Hystero-
Lpilepsie, während z. B. hei Charcot dieser Name eine reine
Hysterie bezeichnet, die in den Anfällen eine äussere Aehnlich-
keit mit der Epilepsie annimmt.
Ffin Buch von Gowers ist natürlich immer interessant,
lehrreich und gut geschrieben, das vorliegende zumal wird bei
denen, welche die Kürze der grösseren Vollständigkeit vorziehen,
dem B ins wange rsehen Lehrbuch Konkurrenz machen. —
Dm Lebersetzung lässt aber etwas zu wünschen übrig.
Bleuler- Burghölzli.
Handbuch der Therapie innerer Krankheiten, in 7 Bänden,
herausgegeben von DDr. F. P e n z o 1 d t - Erlangen und
ß. S t i n t z i n g - J ena. Dritte, umgearbeitete Auflage. Verlag
von G. Fischer in Jena, 1902.
Bisher liegen 7 Lieferungen von dem Werke vor. Das Er¬
scheinen der 3. Auflage schon so kurze Zeit nach der ersten be¬
weist am besten, in welch grossem Maasstabe die hervorragenden
Qualitäten des grossen Sammelwerkes demselben Eingang in die
Kreise der Aerzteschaft gebahnt haben, denen es heute tatsäch¬
lich ein unentbehrliches Eüstzeug geworden ist. Lieber Einzel¬
heiten der Umarbeitung soll nach Erscheinen des ganzen Werkes
berichtet werden ; für heute begnügen wir uns mit dem Hinweise
auf das Neuerscheinen des Handbuches.
Grassmann - München.
Dr. Alban Köhler: Knochenerkrankung-en im Röntgen-
bilde. Mit 20 Tafeln und 17 Figuren im Text. Wiesbaden, Ver¬
lag von J. F. Berg m a n n, 1901.
Der Wert des Röntgenbildes für die Diagnose von groben
Knochenveränderungen (Frakturen, Luxationen und Fremd¬
körper) wird jetzt von allen Chirurgen anerkannt und ist durch
eine ganze Anzahl vortrefflicher Mikrophotographien erwiesen.
Dagegen wird die Bedeutung des neuen Verfahrens für die Er¬
kenntnis feinerer Knochenveränderungen, wie z. B. der
Atrophie, der Sklerose und der entzündlichen Veränderungen
noch nicht allgemein gewürdigt und vielfach sogar in Zweifel
p< zogen. Zum I eil liegt dies daran, dass die Röntgendiagnose
solcher Veränderungen grosse Anforderungen an die photo¬
graphische Technik stellt, zum Teil daran, dass die Deutung
solcher Bilder auch wenn sie tadellos gelungen sind — durch¬
aus nicht einfach ist.
LTm so verdienstvoller ist das vorliegende Buch, welches fast
ausschliesslich solche schwer herzustellenden und schwer zu
deutenden Röntgenbilder bringt. Aus dem Inhalt seien besonders
hei \ orgehoben die ganz ausgezeichneten Aufnahmen von
Knochen- und Gelenktuberkulosen, Knochenatrophie, Osteo¬
myelitis, Lues, Knochenembolie und Rhachitis. Ein kurz ge¬
haltener und frisch geschriebener Text erleichtert das Studium
des vorzüglichen Buches, das allen Röntgenphotographen warm
empfohlen sei. F. Lange- München.
Gustav Zimmermann - Dresden : Die Mechanik des
Hörens und ihre Störungen. Mit 4 Abbildungen im Texte.
Wiesbaden, Bergmann, 1900. Preis M. 2.80.
Zimmer m a n n sucht nachzuweisen, dass die H elm-
h o 1 1 z sehe Theorie von der schalleitenden Funktion der Gehör¬
knöchelchenkette unrichtig ist, und dass die letztere nur zur
Akkommodation diene. . Die Schallfortpflanzung aber geschehe
in molekular fortschreitenden Wellen durch das Trommelfell hin¬
durch und von da durch die Luft des Mittelohres direkt auf die
Schneckenkapsel und die an ihrer Innenwand ausgespannten
Radiärfasern.
Diese neue Theorie Zimmerma n n s ist nach der Ansicht
des Referenten nicht im stände, die Schwerhörigkeit bei den
Störungen in der Gehörknöchelchenkette zu erklären. Bei Steig¬
bügelankylose z. B. besteht bekanntlich hochgradige Schwerhörig¬
keit füi Sprache. Da nach der neuen Theorie der Steigbügel
mit dem Hören gar nichts zu tun hat, sucht Zimmer mann
die Schwerhörigkeit dadurch zu erklären, dass das kranke Ohr
zwar noch alle Schallwirkungen hört, dass dieselben aber infolge
Störung der Akkommodation nicht mehr deutlich unterschieden
werden können und infolgedessen zu einem wirren und tiefen
Sausen Zusammenflüssen. Auf diese Art entstehe das Sausen
bei der Stapesankylose. Die Tatsache, dass die subjektiven Ge¬
räusche in der nächtlichen Ruhe nicht aufhören, sucht er da¬
durch zu erklären, dass die Perzeptionsfasern eine Zeitlang noch
in erregtem Zustande verharren. Nun ist es aller eine bekannte
Tatsache, dass das Sausen bei manchen Patienten mit Stapes¬
ankylose nach jahrelangem Bestände vollständig aufhört. Nach
Z i m m e r m a. n n müsste also das Gehör wieder ganz gut wer¬
den, es besser t sich aber tatsächlich nach dem Verschwinden der
subjektiven Geräusche um gar nichts.
15S6
MUENCHENEK MEDIClNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Im übrigen ist hier nicht der Ort zu einer eingehenden Be¬
sprechung, von welcher umsomehr Umgang genommen werden
kann, als in der otiatrischen Literatur bereits teils zustimmende,
teils ablehnende Kritiken vorliegen. Am ausführlichsten hat sich
1 , s C h weil e r im 50. Bd. des Arch. f. Ohrenheilk. geäussert.
Da ich im allgemeinen die gleichen Bedenken habe, wie der
letztere, sei hier auf dessen Besprechung- verwiesen.
Dr. Scheibe- München.
Handbuch der Schulhygiene von Dr. Leo Burgerstein
und Dr. Aug. Netolitzky in Wien. Mit 350 Abbildungen.
2. umgearbeitete Auflage. Verlag von Gustav Fischer in
Jena. Preis 20 M.
Das Werk, das in seiner ersten Auflage einen massig starken
Band des W ey Ischen Handbuches der Hygiene ausmachte und
schon in dieser Form viel Beifall fand, hat sich in der neuen
Auflage auf mehr als das doppelte vergrössert (von 429 auf
997 Seiten) und auch die Zahl der Abbildungen ist verdoppelt.
Man mag darüber streiten, ob 4 Seiten über Malaria und eben¬
soviel über Pest in ein Handbuch der Schulhygiene gehören,
man mag auch über einzelne Auffassungen verschiedener Mei¬
nung sein, stets wird man aber das Werk als eine ausserordent¬
lich fleissige und gewissenhafte Leistung bezeichnen müssen.
Die Literatur ist in weitestem Umfang benützt und auf das
sorgsamste zitiert. Ein ähnlich vollständiges Werk über Schul¬
hygiene besass die deutsche Literatur bisher nicht und auch in
anderen Sprachen dürfte kaum eines existieren, das den ge¬
waltigen Stoff so umfassend, übersichtlich und streng wissen¬
schaftlich verarbeitete. K. B. Lehmann- W ürzburg.
Th. Kocher und de Quervain: Enzyklopädie der
gesamten Chirurgie. Leipzig 1901 u. 1902, E. C. W. Vogel,
ln 25 Lieferungen ä 2 M., I. Bd. bis lv 32 M.
Von der bis jetzt mit Lieferung 22 bis zum Buchstaben Op
gediehenen Enzyklopädie, die bis Oktober a. c. fertig werden soll,
gelten die schon früher besprochenen Vorzüge ; Ausstattung und
Druck sind gut. Ziegler- München.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 36 u. 37.
No. 30. 1) Robert Meyer: Zur Frage: „Was ist intra¬
abdomineller Druck?“
Ergänzende Bemerkungen zu M.s Ausführungen in No. 22
des Gentralbl. f. Gyn. Zu kurzem Referat nicht geeignet.
2) L. P i n c u s - Danzig: Der Belastungskolpeurynter.
Der von P. zur Behandlung chronischer Beckenexsudate an¬
gegebene Quecksilberluftkolpeurynter war in seiner bisherigen Ge¬
stalt für einige Formen unzweckmässig, so bei sehr tief sitzenden
Exsudaten, bei geringen Raumverhältnissen der Vagina u. a.
Diesem Uebel hilft P. jetzt durch eine eigenartige Konstruktion
des Apparates ab, der eine herzförmige Gestalt mit Einsenkung
am Fundus erhielt. Der aufgeblasene Kolpeurynter „hat die Ge¬
stalt eines Uterus bicomis mit tiefem muldenförmigen Einschnitt11.
(Zu haben bei Hahn & L ö c h e 1 in Danzig.)
3) K. Czerwenka - Wien: Ein Nähinstrument mit Seiden¬
behälter.
Das Instrument soll, ähnlich wie das kürzlich von Eisen-
berg (cf. diese Wochenschr. 1902, No. 21, p. 888) beschriebene,
verhüten, dass der Operateur während des Nähens den Faden
berührt. Der Apparat ähnelt dem Langenbeck sehen Nadel¬
halter und trägt in einer hohlen Branche den Seidenbehälter. Das
ganze Instrument nebst Sonde kann ausgekocht werden und ist
dann gebrauchsfertig. (Zu haben bei Löblsch & Dohnal in
Wien für 25 Kronen.) J a f f e - Hamburg.
No. 37. 1) O. P o 1 a n o - Giessen: Zur Anwendung der Heiss-
lufttherapie in der Gynäkologie.
P. berichtet über seine weiteren Erfahrungen, die er mit der
vor Jahresfrist empfohlenen Heisslufttherapie nach Bier in der
Gynäkologie gemacht hat. Von den anfangs empfohlenen hohen
Temperaturen bis 150° C. ist er abgekommen; er verwendet nur
noch 120—125° C. und beginnt mit 115“.
Die Indikationen des Verfahrens bieten besonders alte, harte
Beckenexsudate, ferner solche, die mit eitriger Einschmelzung
einhergehen, und zur Nachbehandlung auch inzidierte Exsudate;
ferner eignen sich zur Behandlung die adhäsive Beckenperitonitis
(spez. Perimetritis posterior), der Infantilismus der weiblichen
Genitalien und die Amenorrhoe nach Kehrers Vorschlag. Ganz
ungeeignet für Heissluftbehandlung ist die Endometritis. Dagegen
hatte P. noch Erfolg in je 1 Fall von Aktinomykose der Bauch¬
decken, von Bauchdeckenfistel bei tuberkulöser Peritonitis und
von Pyosalpinx duplex gonorrhoica.
Als absolute Gegenanzeige muss auch in jedem Falle etwa
vorhandenes Fieber gelten.
2) R. G r a (lenwitz - Breslau: Tetanus nach Gelatine¬
injektion.
Es handelte sich um eine 54 jährige Frau mit Karzinom der
Portio, die wegen profuser Blutung eine subkutane Gelatine¬
injektion bekam. G Tage später trat Trismus auf. ln dem
aii der Einstichstelle entstandenen Abszess fand Graden-
w i t z typische Tetanusbazillen. Trotz Injektion von
Behrings Tetanusantitoxin trat 12 Stunden später der Exitus
ein. _ Es ist dies der 8. in der Literatur beschriebene Fall von
Tetanus als Folge von Gelatineinjektion (von Krug, Geru-
1 a n o s, Georgi, Lorenz (2), Bonitz und K u h n).
3) Th. II. van de Velde- Haarlem : Die Hebotomie.
Unter „Iiebotomi e“ versteht Verf. die Durchtrennung
des Schambeins statt der Symphyse zur Entbindung beim engen
Becken. Auf Grund der Operationen glaubt er, dass die Hebotomie
bestimmt ist, die Symphyseotomie zu ersetzen und die Perforation,
hohe Zange, Sectio caesarea und künstliche Frühgeburt ganz oder
teilweise zu verdrängen.
Die Operation wurde im ganzen, inkl. v. d. V.s Fallen,
5 mal ausgeführt, stets mit Erfolg für Mutter und Kind. Als
Wiederentdecker der Operation, die an sich so alt ist wie die
Symphyseotomie, nennt v. d. V. G i g 1 i, der seine bekannte Draht¬
säge zuerst für die extramediäre Spaltung des Beckenringes kon¬
struierte und empfahl.
Einzelheiten der Operation müssen im Original nachgelesen
werden.
4) J. Kocks- Bonn: Zur Sterilisationsfrage.
K. erinnert zunächst daran, dass er schon 1878 die galvano-
kaustisehe Obliteration beider Tubenostien als Methode der
künstlichen Sterilisation empfohlen habe. Es folgt dann ein
philosophischer Exkurs über die Frage, ob das Ausbleiben der
Menses bei Phtliisischen als Heilbestrebung der Natur aufzufassen
sei (P i n c u s) und daher eventuell künstlich hervorgerufen wer¬
den dürfe, oder ob die Menses einfach infolge der bestehenden
Anämie aufhören (Neu mann). K. steht auf dem Standpunkt,
dass die Sterilisation oder die Kastration auf alle Fälle bei solchen
Kranken indiziert sei.
Als neue Methode der Sterilisation hat K. in einem Falle dae
künstliche Bildung einer Schleimhautklappe am äusseren Mutter¬
mund gemacht, die er zu weiteren Versuchen empfiehlt. Er löste
hierzu die Schleimhaut dicht über und unter dem Orifie. ext. durch
einen kleinen Bogenschnitt und schloss die Wunde durch 3 feine
Nähte. Die gebildeten Schleimhautfalten wirkten dann als Ventil,
das die Sekrete heraus-, das Sperma jedoch nicht eintreten lassen
sollte. Leider hat K. über das spätere Schicksal seiner Operierten
nichts wieder gehört.
5) L a n g s d o r f f - Emmendingen: Atresia vaginae.
Beschreibung eines Falles von angeborenem Verschluss der
Scheide bei einem 19 jähr. Mädchen. Es war zu starkem Ilämato-
kolpos gekommen, der zu Harnverhaltung geführt hatte. Pat.
wurde durch Punktion und Jodoformgazetamponade geheilt.
Nach der Beschreibung handelte es sich übrigens um eine
Atresia liymenalis, nicht vaginalis. Als Dicke der Verschluss¬
membran bezeichnet L. selbst ya cm. Von einem Fehlen oder
einer Verengerung der Scheide verlautet nichts.
Jaffe- Hamburg.
Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. HI. Bd.
Heft 4.
Mo eil er und Kayserling: Ueber die diagnostische
und therapeutische Verwendung des Tuberkulins.
Ob die Grundlage der ganzen diagnostischen Ausführung
richtig ist, „in die Heilstätte gehören nur Tuberkulöse“, das ist
durchaus noch nicht so entschieden, als wie die Verfasser an¬
nehmen. Wir müssen uns aber die Erörterung darüber für eine
andere Stelle aufsparen. Die Verf. beschreiben zuerst die dia¬
gnostische Verwendung des Tuberkulins. Wieder die alte Sache:
Man sagt, diese Impfungen tun ja niemandem etwas Böses, und
dann wird auf gezählt: Temperatursteigerung über 38,7. Schüttel¬
frost, Brustbeklemmung, ausgesprochenes Krankheitsgefühl, Kopf¬
schmerzen, Schwindel, Uebelkeit, Erbrechen, Gliederziehen,
Rücken- und Kreuzschmerzen, heftiges Durstgefühl, Gefühl
von Schwere auf der Bimst, Stechen in der Seite; „ob¬
jektiv bieten die Kranken das typische Bild der Hochfiebern¬
den“. Darf man alles dies einem Menschen zufügen, bloss weil
man sich nicht getraut, eine klinische Diagnose zu stellen? Und
zwar deshalb nicht, weil diese Diagnose doch falsch sein und bei
dem oben angeführten Grundsätze ein nicht tuberkulöser Lungen¬
kranker in der Heilstätte verbleiben könnte. Der zweite Teil be¬
handelt die therapeutische Verwendung des Tuberkulins. Beide
Teile sind durch zahlreiche Tabellen und Kurven belegt.
Klaus H a ns s e n - Bergen: Der Kampf gegen die Tuber¬
kulose.
Ein VorkfngX den der Verf. 1899 für die Mitglieder des
S torthing ab hielt und der von der eben genannten, den Kranken
allerlei Uebles S^tffigenden Methode durch die Wärme einer in der
Einleitung geradezu rührenden Menschenliebe vorteilhaft absticht.
Neues wird darin nicht geboten.
Carl Reitter jun.-Wien: Die Lohgerberei in ihrer Be¬
ziehung zur Tuberkulose.
Verf. hat alle in der Literatur niedergelegten Beobachtungen
über die Tuberkulose der Lohgerber gesammelt, um zu prüfen,
was an der darüber bestehenden Volksmeinung Wahres sei. „Es
23. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1587
ergibt sich, dass einmal die Ansicht, die Lohgerber seien gegen
Tuberkulose relativ gefeit, bisher nur auf ungenauen und sta¬
tistisch nicht wissenschaftlichen Angaben beruht, andrerseits aber
auch die Gegenmeinung viel an präziser Beweiskraft zu wünschen
übrig lässt.“
G. Sehroed er: lieber neuere Medikamente und Nähr¬
mittel bei der Behandlung der Tuberkulose.
B. P a v 1 0 w s k a j a: Die Heilstätte Taitzi (Russland).
Liebe- Waldhof Elgershausen.
\
Virchows Archiv. Bd. 169. Heft 1. 1902.
1) A r n o 1 d - Heidelberg: Ueber Plasmosomen und Granula
der Nierenepithelien.
Bei supravitalen und vitalen Färbungen der Epithelien der
Harnkanälchen konnte A. nachweisen, dass sich Granula be¬
sonders in dem inneren Drittel mit Neutralrot, im basalen, äusseren
Drittel mit Methylenblau färben. Die Stäbchen der Nieren-
epithelien zeigen einen granulösen Bau.
2) .T. Almkvist - Stockholm: Ueber die Emigrationsfähig¬
keit der Lymphocyten. (Aus dem Laboratorium des städtischen
Gesundheitsamtes in Stockholm.)
A. fand neben uninukleären und multinukleären Leukocyten
schon nach 20 — 40 Minuten im Sekrete des Peritoneums, das durch
Einspritzen von Bakterienkulturen gereizt war, auch L y m p li o -
cy teil. Da er nicht annehmen kann, dass Lymphe aus den
Stomata des Peritoneums ausgeflossen sei, hält er einen Beweis
für die Annahme einer aktiven Emigrationsfähigkeit der Lympho¬
cyten erbracht.
3) W. P. .T oukovski: 2 seltene Fälle von Hemicephalia
nebst Prosoposchisis, kompliziert mit Hernia naso-frontalis.
Klinische Beobachtungen und anatomische Untersuchungen. (Aus
der Kinderabteilung der Gebäranstalt zu St. Petersburg.)
In beiden Fällen wurden die Kinder mit den Fruchthäuten,
die am Kopfe verwachsen waren, geboren. Das eine Kind lebte
7 Tage, das andere 20 Stunden, beide gingen unter tetanisclien
Krämpfen und unter Abnahme der Temperatur zu Grunde. Als
ätiologisches Moment nimmt der Verf. Syphilis an.
4) G. Schi ekele: Ueber die Herkunft der Cysten der
weiblichen Adnexe, ihrer Anhangsgebilde und der Adenomyome
des lateralen Tubenabschnittes. (Aus dem pätliolog. Institut der
Universität Strassburg i. E.)
Der Schluss der Arbeit folgt erst im nächsten Heft.
5) F. Miodowski: Beitrag zur Pathologie des primären
und sekundären Gallengangskarzinoms. (Aus dem patholog. In¬
stitut der k. Universität Breslau.)
Es wird im Abschnitt a. über 4 von M. beobachtete Fälle von
primären Gallengangskarzinomen berichtet, deren Träger an
Cholämie zu Grunde gingen durch Versehliessung der Abflusswege
der Galle; im 4. Falle weniger infolge Stenosierung durch den
primären Tumor als durch grosse, karzinomatöse Lymplidriisen.
Im Anschluss an diese eigenen Fälle registriert M. nach 41 Gallen¬
gangskarzinome anderer Autoren.
Im Abschnitt b wird ein Fall beschrieben, in dem ein pri¬
märes Coekumkarzinom durch seine Metastasen ein Karzinom der
Gallenwege vortäuschte.
Ein Anhang fügt dann noch der Darstellung von Hepatikus-
karzinomen von Schulze einen durch enorme Grösse des Tumors
bemerkenswerten Sammlungsfall an.
(!) Kleine Mitteilungen.
a) Bleich r ö d e r: Die Funktionsprüfung der Mitralklapp 3
bei der Herzsektion. (Aus dem patholog. Institut zu Berlin.)
Die beschriebene Methode zeigt, wie durch Aufgiessen von
Wasser die Funktionsfähigkeit der Mitral- und Trikuspidalklappen
bei der V i r c li o w sehen Sektionsmethode geprüft werden kann.
b) B. Kozlowski: Das Konservieren und Färben von
mikroskopischen Präparaten der Harnsedimente. (Aus dem
Sopliien-Hospital des Grafen Bobrinskoi in Smela.)
Die Sedimente werden mit 1 proz. Eosinlösung gefärbt und
in Fa rr an t scher Lösung (M e r c k - Darmstadt) eingeschlossen.
Ivonr. Schneider - Erlangen.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902 No. 37.
Nekrolog auf R. Virchow von W. Waldeyer.
1) S. T a 1 m a - Utrecht: Intraglobulare Methämoglobinämie
beim Menschen.
Der in der Literatur noch nicht beschriebene Zustand be¬
steht darin, dass ein kleiner Teil des Oxyhämoglobins in den Blut¬
zöllen selbst zu Methämoglobin wird, was mit dem Leben noch
vereinbar ist, während das im Serum gelöste Methämoglobin alle
Organe mehr oder weniger krank macht. Bei Menschen konnte
Verf. bisher 3 mal diese Erscheinung feststellen, die natürlich nur
spektroskopisch erkannt werden kann. Der Artikel bringt die
eingehende Krankengeschichte dieser 3 seltenen Fälle, von denen
einer geheilt wurde. Unter den klinischen Symptomen erscheinen
C.vauose und Beklemmungsanfälle. Die Ursache der Krankheit
scheint in Bildung gewisser noch nicht bekannter Toxine im Darm
zu liegen.
2) D o r e n d o r f - Berlin: Ueber das Zustandekommen der
inspiratorischen Glottisverengerung bei doppelseitiger Postikus-
paralyse.
Vergl. das Referat S. 115S der Münch, med. Wochenschr. 1902.
3) S. Korse h u n - Charkow und J. M orgenroth - Frank¬
furt a. M.: Ueber die hämolytischen Eigenschaften von Organ¬
extrakten.
Eignet sich nicht zum kurzen Auszug.
4) J o a c li i m s t h a. 1- Berlin: Beiträge zur Lehre vom Wesen
und der Behandlung der angeborenen Verrenkungen des Hüft¬
gelenks.
Vergl. das Referat S. 815 der Münch, med. Woclienschr. 1902.
G fass m a n n - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 37.
1) U h 1 e n h u t h - Greifswald: Praktische Ergebnisse der
forensischen Serodiagnostik des Blutes.
Vortrag, gehalten im Medizinischen Verein in Greifswald am
5. Juli 1902. Referat siehe diese Wochenschr. No. 37, pag. 1548.
'2) Danielsohn und Hess- Berlin: Alkohol und Subla-
min als Händedesinfektionsmittel; und
3) F ü r b r i n g e r - Berlin: Bemerkungen zu obiger Ab¬
handlung.
Vergleichende Untersuchungen auf der inneren Abteilung des
Krankenhauses Friedrichshain ergeben, dass der Alkohol als Des¬
infektionsmittel durch keine bis jetzt empfohlene Methode ersetzt
wird, dass aber andererseits dem von K rö ni g und B 1 u in e u -
b e r g eingeführten Sublamin (Quecksilbernitrat-Aethylendiamin)
der Vorzug vor dem bei der F U r b r i u g e r sehen Methode an¬
gewandten Sublimat zukommt.
4) II. S t r a u s s - Berlin: Ueber osmotische und chemische
Vorgänge am menschlichen Chylus. (Schluss folgt.)
Nach einem am 12. Mai 1. J. im Verein für innere Medizin
gehaltenen Vortrage. Referat siehe diese Wochenschr. No. 21,
pag. 893.
5) Viktor K 1 i n g m ü 1 1 e r - Breslau: Ein Fall von Lepra
tuberosa aus Oberschlesien.
Kasuistische Mitteilung. Die Infektion erfolgte wahrschein¬
lich in Russland.
6) E. J e n d r a s s i k - Ofen-Pest: Ueber neurasthenische
Neuralgien. (Schluss aus No. 3G.)
J. sucht eine klinisch strenge Trennung der neurasthenischen
Neuralgien von den echten Neuralgien festzustellen. Während die
letzteren der Einwirkung von Narkoticis und der chirurgischen
Behandlung zugänglich sind, zeigt sich bei den echten neurasthe¬
nischen Formen trotz aller Medikamente und wiederholten, selbst
eingreifenden Operationen höchstens ein vorübergehender Erfolg.
Aussicht auf Heilung gibt nur eine Behandlung des Grundleidens.
Die Differentialdiagnose allerdings ist nicht immer leicht. F. L.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 37. 1) M. Prob st- Wien: Ueber die Bedeutung des
Sehhügels.
Unter ausführlichem Eingehen auf die Literatur bespricht
Verf. die grosse Reihe experimenteller Versuche über Sehhügel¬
verletzungen, sowie die Beobachtungen der klinischen Forscher,
welche alle zu höchst widersprechenden Angaben über die Funktion
des Organs geführt haben. Die Ursache dieser Widersprüche sucht
Verf. in der mangelhaften und nicht einheitlichen Methodik der
Versuche und besonders in dem Fehlen der anatomischen Unter¬
suchung der Fälle. P. selbst hat eine grosse Anzahl von Experi¬
menten an Hunden und Katzen vorgenommen und ein eigenes In¬
strument zur isolierten Verletzung des Sehhügels angegeben. Er
sah eine Reihe von Erscheinungen darnach eintreten, von denen
nur die Hemianopsie bleibend war. Auf die zahlreichen Details
der Untersuchung kann hier nicht eingegangen werden. Verf.
kommt zum Schlüsse, dass dem Sehhügel eine sehr mannigfache
Funktion zukommt und er als eine Hauptschaltestation zwischen
Hirnrinde und Peripherie aufzufassen ist, wo die verschiedensten
Empfindungen und Eindrücke teils peripher, teils zentral um¬
gesetzt werden.
2) A. Schnell e r - Wien: 3 Fälle von Entbindungslähmung
am Arme. Bemerkungen über die Beziehungen dieser Läh¬
mungsform zum angeborenen Schiefhals.
Im ersten der 3 im Original abgebildeten Fälle handelte es
sich um: Beckenendlage, Manualhilfe, Caput obstipum dextrum,
typische Duchen ne-E r b sehe Plexuslähmung des rechten
Armes; im zweiten um Zangenentbindung, Anwendung des
B r a u n sehen Hakens zur Extraktion der Schulter und atypische
Plexuslähmung des rechten Armes; im dritten Falle um Zangen¬
geburt, Caput obstipum sin., ausgedehnte Plexuslähmung des
linken Armes, okulo-pupilläre Symptome am linken Auge. In
allen 3 Fällen handelt es sich um prognostisch schwere Läh¬
mungen. Der Zusammenhang zwischen Caput obst. und Läh¬
mung ist wohl darin zu suchen, dass die schwere Entbindung
einerseits die Zerreissung des Kopfnickers, andrerseits eine Zer¬
rung des Plexus herbeigeführt hat.
3) J. B erd ach und A. H e r z o g - Trifail; Ein Fall von
traumatischer isolierter Luxation des Metacarpus indicis.
Die Verf. geben zunächst eine Zusammenstellung ähnlicher
Fälle aus der Literatur und beschreiben dann unter genauer Dar¬
legung des Mechanismus die von ihnen bei einem Bergarbeiter
beobachtete seltene Verletzung, die nach der ganzen Sachlage
durch Hebelwirkung entstanden ist. Es erfolgte Heilung bisher
ohne Rezidiv.
Im Feuilleton findet sich ein Referat von E. Finger- Wien:
Auf welche Weise kann man die Prophylaxe der venerischen
Krankheiten durch Errichtung von Heilbehandlungs- und
Pflegestätten am besten erleichtern?
Grassmann - München.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 38.
1588
Inaugural- Dissertationen .
Universität Freiburg. August 11H)2.
•12. Ili lile brau dt Wilhelm: Die erste Lebereutwicklung beim
Vogel.
43. Sellentin Lothar: 'lieber einen Fall von Magenkarziuom
mit Metastasen im Darm und Peritoneum, unter besonderer
Berücksichtigung der Verbreitungsart des Krebses.
44. Schumacher Gerhard: Zur Kenntnis der malignen
Chorionepitheliome.
45. Freund Heinrich: lieber die Fibromyome der Ligamente des
Uterus.
40. Jacobsohn Julius: Feber die Ilernien und subse rosen
Lipome der Linea, alba.
47. Uehberg Franz: Untersuchungen über die Adenome der
‘ Niere und ihre Entwicklung.
48. Diepgen Paul: Ueber 2 Fälle von Thoracopagus.
Universität Leipzig. März 11)02.
21. Bia ly Felix: Ueber die Luxation des Os lunatum.
22. Elias Otto: Erfahrungen über Epilepsiebehandlung nach
T o ulouse und 11 i e h e t in einer Irrenanstalt.
23. Iv a 1 1 m a n n Georg: Ueber 2 dem Atherom ähnliche Ge¬
schwulstformen am Kopfe.
24. Osann Ernst: Ueber Gehörshalluzinationen bei Ohrenaffek¬
tionen.
25. Schm i ncke Richard: Der Druclibruch von perityplilitischen
Abszessen in die Harnblase.
20. Schlicht Arthur: Uel>er die Behandlung gangränöser Her¬
nien. unter besonderer Berücksichtigung von 30 in der chirur¬
gischen Universitätspoliklinik von Herrn Geh. Med.-Rat Prof.
1 )r. T r e ndel e n b u r g zu Leipzig behandelten Fällen (Jahr¬
gang 1890—1900).
27. Dörfer Karl: Ueber die rhacliitischen Deformitäten der
unteren Extremitäten an der Universitätspoliklinik für ortho¬
pädische Chirurgie.
28. Franke Karl: Ueber einen akut verlaufenden Fall von Dia¬
betes mellitus, veranlasst durch eine Pankreasverletzung (Pan-
creatitis liaemorrhagica).
29. Neu mann Richard: Ueber Tuberkulose der Nasen¬
schleimhaut.
30. Saupe Alfred: Ein Fall von basaler Lues.
31. Hör witz Jakob: Beiträge zur Pathologie und Therapie der
gonorrhoischen Epididymitis.
32. Boeckel Karl: Ein Beitrag zur Lehre vom Malum sub-
occipitale.
33. Boeder Paul: Ueber das kompensatorische Wachstum der
Niere.
April 1902.
34. Berger Karl: Ein Fall von Psammokarzinom des Ovarium.
35. Graf Fritz: Zur Kasuistik der Ureterenimplaiitation in der
Blase.
30. IL an son Wilhelm: Ueber den klinischen Wert der quanti¬
tativen Harnsäurebestimmung nach der Methode von Ruhe-
m a. n n.
37. Hof m an n Wilhelm: Ein Fall von primärer isolierter Ton-
sillartuberkulose.
38. Singer Curt: Ueber Sehstörungen nach Blutverlust.
39. Taaks Arnold: Ursachen- des Abortus.
40. Beckmann Otto: Zur Statistik und Therapie der Placmta
praevia.
4L Go edel Rudolf: Ueber einen Fall von einem jahrelangen
reaktionslosen Verweilen eines Eisensplitters in der Iris.
42. Lewin Max: Ueber den Nachweis und die diagnostische Be¬
deutung des Pepsins im menschlichen Magensaft.
43. Neumeister Albreeht: Die Ruptur des schwangeren
Uterus.
-14. Seidel Alfred: Ueber die Geschwülste der Thymus.
45. Walther Fritz: Ueber einen Fall von multipler Gelenk¬
erkrankung bei Tabes mit besonderer Beteiligung der Wirbel¬
säule.
Mai 1902.
40. F riese Otto: Ueber die chirurgische Behandlung der Peri¬
karditis.
47. Henke Richard: Ueber die sekundäre Sehnennaht und die
Sehnennaht bei Sehnendefekten.
48. N e b e 1 Arthur: Ueber Puerperalfieber und dessen Behand¬
lung.
49. Schi f f m a n n Emil: Ueber die Ruptur der A. meningea med.
50. B r a u n Walther: Ueber T li o ins e n sehe Krankheit (Myo-
tonia congenita).
51. Häring Johannes: Ein Beitrag zur Diagnostik und Behand¬
lung der Nierentuberkulose.
52. Neufliess Max: Beitrag zur Aetiologie und zum klinischen
Ausgang der Extrauteringravidität.
53. V o g e 1 Hermann: Ueber syphilitische Tumoren des vorderen
Augenabschnittes.
34. Baumann Gerhard Felix: Ueber operative Behandlung
eines veralteten paralytischen Pes varocalcaneus.
35. Loelt Fritz: Untersuchungen über die Aetiologie des Ren
mobilis.
56. Böttger Wilhelm: Ueber einen Fall von wiederholter Extra¬
uterinschwangerschaft bei derselben Frau.
57. Rozeuraad Octave: Die neueren Ergebnisse in der Be¬
handlung und Prophylaxis des Tetanus.
58. S c h n e i il e r Walter: Zur Aetiologie der W e i 1 scheu Krank¬
heit.
59. Upmann Heinrich: Ein Fall von Pes equinus paralyticus
und Pes calcaneus paralyticus.
00. Walter Martin: Ueber die Entstehung von Hydronephrose
infolge Divertikelbildung am unteren Ende des Ureters.
Juni 1902.
61. Berger Heinrich: Ueber Zulässigkeit, Anzeige und Folgen
der Abrasio uteri.
02. Groll m an n Friedrich: Ueber die Arbeitsleistung der am
Ellbogengelenk wirkenden Muskeln.
03. Heller Ernst: Zur Kenntnis der Fibrome und Sarkome an
Hand und Fingern.
04. Hoff mann Curt: Ueber liyperpyretischen Gelenkrheuma¬
tismus.
05. P a e t z Walther: Ueber einen Fall von Meningitis basilaris
syphilitica ] > ra eco x .
00. Zierliold Friedrich: Die Mortalität der thrombophlebi-
tisclien Form des Puerperalfiebers.
07. Fischer Max: Ueber die Prognose der akuten Phosphor¬
vergiftung nach Eintritt von Ikterus und Leberschwellung, be¬
ziehentlich schwererer Intoxikationserscheinungen.
08. K 1 ö p p e r Wilhelm: Ueber die rezidivierenden juvenilen Netz¬
haut- und Glaskörperblutungen.
0!). Lehmann Friedrich: Ueber Fistula colli congenita.
70. Rauscher Adolf: Ueber einen Fall von gummöser Myo¬
karditis,
71. Gregor Hermann: Ueber Parotitis epidemica.
72. Loh de Richard: Ueber chronische Tabakvergiftung.
73. Müller Guido: Ueber den angeborenen und erworbenen
IIochstand des Schulterblattes.
74. Rohnstein Reinhard: Untersuchungen zum Nachweis des
Vorhandenseins von Nerven an den Blutgefässen der grossen
Nervenzen tren.
75. Rüffer Walter: Ueber diabetische Keratitis im Anschluss
an eine Beobachtung.
70. Stein icke Paul: Ein Beitrag zur Lehre von der Wander¬
niere und ihre Behandlung.
77. Wolf f Woldemar: Die autochtlione Sinusthrombose. (Mit
Veröffentlichung von 2 Fällen.)
Vereins- und Kongressberichte.
Greifswalder medizinischer Verein.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 2. August 1902.
V orsitzender : Herr G r a w i t z.
Schriftführer : Herr Schlepko w.
1. Herr Busse: Ueber Deciduoma malignum.
Eine etwa, 40jälirige Frau starb nach 1 tägigem Aufenthalt in
der medizinischen Klinik unter dem Bilde einer rechtsseitigen
Hemiplegie. Als Ursache derselben fand sich eine Embolie der
linken Art. fossae Sylvii und zahlreicher kleiner Arterien mit blu¬
tiger Infiltration der benachbarten Pia mater, wie bei malignen
Embolien. Im linken Herzen lag bei völlig intakten Klappen ein
gut hühnereigrosser Parietalthrombus von trockenem Aussehen,
höckeriger, zerklüfteter Oberfläche und graugelber Farbe. Auch
in dem rechten Ventrikel ein ähnlicher Thrombus, ebenso in einem
Hauptaste der rechten Lungenvene und einem Aste der Vena
hepatica; in Milz und Niere umfangreiche embolische Nekrosen
und im Darm zahlreiche Embolien kleiner Arterien, umgeben von
hämorrhagischen Höfen. Alle die Gerinnsel erwiesen sich nun
als Tumormassen, deren monströse Zellformen oft mit vielen
Kernen versehen, deren eigenartige Strukturverhältnisse zeigten,
dass die Geschwulst in die Gruppe der sogen. Deciduome gehöre.
Auf Erkundigungen stellte sich auch heraus, dass die Pa¬
tientin vor V2 Jahre abortiert hatte; ob dabei stärkere oder länger¬
dauernde Blutungen auf getreten waren, war nicht zu ermitteln.
Was aber den Fall zu einem besonders beachtenswerten macht,
ist der Umstand, dass in dem mässig vergrösserten Uterus weder
in der Schleimhaut, noch in den Wandungen, noch auch in den
Adnexen irgend etwas von einem Primärtumor zu entdecken ist.
Die Untersuchung des Herzens ergibt eine ältere interstitielle
Myokarditis und Anfüllung zahlreicher Arterien und Venen mit
Geschwulstmasse, die hier und da durch die Wandung dringt. Es
findet sich absolut nichts, was dafür spricht, dass die Geschwulst
von den Wandungen des Herzens ausgegangen wäre, und müssen
wir also annehmen, dass Plazentarteile durch die Uterusvenen
aufgenommen und verschleppt und dann hier in der von fibrös
degenerierter Wandung umgebenen Herzspitze in einem sich bil¬
denden Parietalthrombus zur Ansiedlung gekommen sind und sich
weiter entwickelt haben. Die von hier verschleppten Geschwulst¬
teile haben dann in anderen Gebieten Arterien verstopft und
deren Wandungen zum Teil durchbrochen, so dass teils Nekrosen,
teils Blutungen als Folge der Embolien auftreten. Wir hätten
also den höchst bemerkenswerten Fall, dass hier in den verschie¬
densten Organen gewissennassen Geschwulstmetastasen vorliegen,
ohne dass ein eigentlicher Primärtumor besteht.
23. September 1902.
MUENCIIENER MEDICIN ISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ti .!ie"r ^ 6 n 15 e r t: Ueber idiopathische Stauungsleber.
Mit diesem Namen bezeichnet Penk er t eine (truppe von
Stauungs ehern bei denen der Grund für den Blutabfluss in der
Leber selbst und zwar in einem Verschluss oder Verengerung der
\ enae hepaticae zu suchen ist. Es handelt sich hierbei unfeine
kongenitale Anomalie und das Krankheitsbild hat ganz den Ver-
tri't r Wie er in c*em von p e 11 k e r t beobachteten Ealle liervor-
Em 22 Monate alter Knabe hatte unter schwerster Atemnot
bedingt durch hochgradigen, immer stärker werdenden Hydrops
ascites, zu leiden. Wiederholte Punktion, wie auch die Talma-
sehe Operation brachten keine Besserung. Die Ursache des Lei¬
dens wurde erst durch die Sektion klargestellt. Es fand sich eine
ungeheure Stauungsleber mit dem für einen noch nicht 2 jährigen
Knaben mächtigen Gewicht von 850 g. Besonders gross war
Lobus dexter und Lobus caudatus. Iierz und Herzklappen waren
absolut intakt. Die Ursache für die Stauung fand sich beim Auf-
sclineiden der Vena cava inferior. In diese mündete die grössere
rechte und linke Lebervene als feiner fibröser Strang, die linke
durch ein kleines Fibringerinnsel ausgefüllt, die kleineren Venen
waren entweder nur für eine Stecknadelspitze durchgängig oder
endigten überhaupt blind. Das angestaute Blut wurde so weit
als möglich durch die offen gebliebene Vena umbilicalis und die
erweiterten Venen in dem Ligamentum Suspensorium und coro-
n, -ii nun besorgt. (Ausführlichere Mitteilung in Virchows Archiv.)
1589
Naturhistorisch-Medizinischer Verein Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Officielles Protokoll.)
Sitzung v o m 10. Juni 1902.
T or der Tagesordnung:
Herr Fleiner: Erinnerungen an die Dozentenzeit
. Kussmauls und die Gründung des naturhistorisch-medi-
zmischen Vereines in Heidelberg.
M. H.! Vor dem Eintritt in die heutige Tagesordnung mögen
Sie mir gestatten, eine Pflicht der Pietät zu erfüllen, indem Ich
das Bild Adolf Kussmauls in Ihr Gedächtnis zurückruf©
haben"11' T°r weui8'en TaSen erst zur letzten Ruhestätte begleitet
, Erwarten Sie nicht von mir, dass ich Ihnen hier ein Lebens¬
bild dieses seltenen Mannes zeichne; sein Leben war viel zu gross
und reich, als dass die kurze Spanne Zeit, über welche ich hier
verfuge, mehr als nur einzelne Züge wiederzugeben gestattete
Die meisten von uns haben Kuss m a u 1 nur in ehrfurcht¬
gebietendem Alter gekannt. Auch ich sah Kussmaul zum
ersten Male hier in Heidelberg im Jahre 1889 auf der Natur¬
torscherversammlung, wo er mir gelegentlich eines von einer
Kranken Vorstellung begleiteten Vortrages über Addison sehe
Krankheit m einer Sitzung der medizinischen Sektion, die drüben
in einer Nervenbaracke tagte, opponierend entgegentrat. Das
Ende der Diskussion vor der grossen, damals hier versammelten Ge-
sellscliatt bedeutete für mich scheinbar eine Niederlage, denn gegen
die gewichtige Autorität des grossen Klinikers Kussmaul konnte
der eben erst gewordene Privatdozent nicht aufkominen. Und
dennoch ergab der bald zu erhebende Sektionsbefund mein Recht.
. ,.°.n <la au zo& m-c‘h Kussmaul in seiner grossen Gerechtig¬
keitsliebe an sich: anfangs nur zu mikroskopischen und chemischen
dann auch zu klinischen Untersuchungen in einzelnen schwierigen
und zeitraubenden Fällen, schliesslich aber zur Behandlung der
meisten seiner Patienten. Am Krankenbette lernte ich den grossen
Arzt bei den Untersuchungen den weitsehenden Forscher und Ge¬
lehrten und im Umgänge den edeln Menschen bewundern und ver-
ehren So wurde mir bald ans dem mächtigen Gegner ein väter-
lcher Freund, an den mich eine ein Jahrzehnt überdauernde ge¬
meinsame tägliche Arbeit und gar manche schöne und heitere,
aoer auch gar manche schwere und ernste Stunde fesselte.
Es sollen aber nicht persönliche Erinnerungen sein, die ich
liier liervorrufen will; auch vom alten Kuss m a u 1, wie Sie alle
ihn kannten und verehrten, will ich liier nicht reden — dem
jugendlich eu Dozenten Dr. Adolf Kuss maul möchte ich hier
™'|e, '' orte des Gedenkens weihen, der hier am 24. Oktober
isob de n medizi n isc h- n atur historischen Verein
gegründet hat.
. ^war gieben die Verhandlungen des naturhistorisch-medi-
zniischen V erems nur Bericht über die an dem genannten Tage er¬
folgte . Konstituierung der Gesellschaft, welcher sofort 48 Mitglieder
aus Heidelberg und den benachbarten Orten beitraten; auch auf
che einleitenden Schritte, welche schon im Oktober 1850 der Kon-
. tituierung des Vereins vorausgingen, deuten sie nur hin — von
vem aber diese Schritte ausgingen, bleibt verschwiegen. Nun
mss ich aus mündlichen Mitteilungen, die mir Kuss m a u 1
S ’0, gemacht liat und auf die er an seinem 80. Geburtstage,
anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenmitgliede des Vereins
neuer zuruckkam, dass e r es gewesen ist, der die Idee zur Griin-
uimg unseres Vereins gefasst und die einleitenden Schritte zur
-onst’tmerung desselben gemeinschaftlich mit dem unter uns
«eilenden Senior der hiesigen Aerzte Med.-Rat Dr. Mitter-
Aiicoo 1 kak Adolf Kuss m a u 1 ist nach seinen eigenen
ussagen der eigentliche Gründer des naturhistorisch-medizinischen
f,.^!ns’ fieser Gesellschaft, die sich nun bald 50 Jahre nicht nur
«pw+uu lehensfallig gezeigt, sondern auch in der ganzen wissen-
ssenatthehen Welt Achtung und guten Namen geschaffen und be-
n!^i hat und die durch ihre gedruckten Verhandlungen in regem
la usclnerkehre steht mit den meisten deutschen und zahlreichen
ausländischen wissenschaftlichen Gesellschaften
Versetzen Sie sich mit mir in jene Zeit zurück in welcher
TVa\i f UV1,!1 1 UaCh H®fdeiberg zog, um sich der akademischen
La u f b a li n zu widmen. Eine vorzügliche medi¬
zinische Schulung hatte er hinter sich — sehen Sie nur
in den „Jugenderinnerungen eines alten Arztes“ nach seinem Bil¬
dungsgänge auch praktische Erfahrun g hatte sich
Kussmaul als badischer Militärarzt bei den Truppen im Felde
und bei den Gefangenen der Kasematten in Rastatt und besonders
iinri1 als Eand.-irzt in Kandern reichlich gesammelt und was ihm
zur Habilitierung zu fehlen schien, bei Virchow
K o 1 1 i k e r und Scherer in Würzburg, bei Roller Herz r’
Fischer und Gudde n in Illenau erworben.
Sogar auf eine ansehnliche Reihe von grösseren und kleineren
^ m In ^rzughehen Arbeiten - welche Sie in dem Kuss m a u 1
zum 8°. Geburtstage gewidmeten Festbande des Deutschen Archivs
t. klm Med. von mir zusammengestellt und referiert finden —
konnte Kussm nu! schon zurücksehen, als er im Winter 1854/55
Trän äcf Ue]len 1:rn,ktischer Tätigkeit an wissenschaftlicher
Arbeit fast überreiches Leben begann.
Der Anfang in Heidelberg war auch für einen Mann von
Kussmauls Fähigkeiten schwer und doppelt schwer auch aus
r em , runde, dass die aus der Landpraxis gewonnenen und für die
Anfangszeit der Dozentenlaufbahn bestimmten Ersparnisse ver-
untreut worden waren und durch neue Praxis die Mittel zum
Unterhalt der schon mit 2 Kindern gesegneten Familie erworben
werden mussten.
(.)n kat n?u' K 11 s s ni a u 1 gesagt, wenn er von jener Zeit
[luach: „Die jungen Herren, welche sich als Assistenten eines
.mSfthT f.e.steni Gehalt und allen vom Staate für wissen¬
schaftliche Arbeiten gebotenen Mitteln habilitieren können, wissen
gai nicht, w i e g u t sie es haben. Für mich war der Beginn der
akademischen Laufbahn ein Wagnis, aber über Erwarten gut ist
es nur geglückt.“
lvm,A1rn ,mfstea entbehrte Kussmaul anfangs das klinische und
pathologische Material; er wandte sich desshalb exp er i men -
e len Untersuchungen und literarischen Stu¬
dien zu und bearbeitete auf diese Weise die verschiedensten Ge¬
biete der medizinischen Wissenschaft: ich erinnere nur an die
Untersuchungen über den Einfluss, welchen
aie Blutstro m un g auf die Bewegungen d er.Iris
u n d anderer Teile des Kopfes a u s ü b t, an die Unter¬
suchungen über den Einfluss der Blutströmung
Wn n g r ° s s e n Gefässen des Halses auf die
\V a rmedes Ohres beim Kaninchen und ihr Verhältnis zu den
\ armeyeranderungiem, welche durch Lähmung und Reizung des
Sympathikus bedingt werden und an die Untersuchungen
u b er Irspr u n g u n d Wesen der fallsuchtartigen
überbau it g 6 U ’ e 1 der Verbintung sowie der Fallsucht
Allen diesen Arbeiten lag der grösste Gedanke zu Grunde:
„m i t der Leuchte des physiologischen Versuches
i n d e r H a n d in jene so dunkle Provinz der Pathologie der Zir¬
kulationsstörungen des Gehirns siegreich vorzudringen und die Zahl
der gesegneten Eroberungen zu vermehren, welche der Medizin und
der Benutzung dieses grossen Hilfsmittels bereits erwachsen sind“.
, Al.l Arbeiten schlossen sich Unterucliungen an, welche
hauptsächlich mit den Vorlesungen des jungen Dozenten in Ver¬
bindung standen, und zu welchen die Anregung vielleicht durch den
eiut des verehrten Vaters K u s s m a u 1 s, des Pliysikus, gegeben
wurde, z. B. : U e b e r die Totenstarre und die ihr nahe
verwandten Zustände der Muskelstarre, mit b e -
s o n d e r e r Rücksicht auf die Staatsarzneikun d e*
ferner über die Ertötung d © r Gliedmassen durch
Einspritzung von Chloroform in die Schlag-
a de r n; und über einige Bestandteile des Fliegen -
sch w a m m e s. Durch mehr oder weniger zufällige Beobach¬
tungen m der Praxis, dem Seziersaal und den pathologischen
teammlungen kam Kussmaul zum Studium der Eileite r-
s c h w angerschaft und der Ueber Wanderung des
Eies, ferner zu kritischen Untersuchungen über die Nacli-
e m p f ä n g n i s und zur Erforschung* der Entwicklungs-
a n o m allen der Gebä r m utte r. Ueber diese Gegenstände
hat Kussmaul im naturhistorisch-medizinischen Verein ver¬
schiedene Vorträge gehalten, die gesamten Resultate seiner For¬
schungen aber zusammengefasst in dem berühmten Buche: Von
dem Mange 1, d er Verkii m m erung und Verdoppe¬
lung der Gebärmutter, von der Nachempfängnis
und der Ueberwanderung des Eies (Würzburg 1859).
Mit den Vorlesungen selbst hatte der Privatdozent Kuss-
ni a u in Heidelberg keine leichte Aufgabe. Da er nirgends mehr
Assistent war, keiner Klinik und keinem Institute angehörte, war
K. auch mit den Vorlesungen lediglich auf sich selbst angewiesen:
feste Kurse und obligate, eingeführte Kollegien gab es für ihn
nicht; er musste sich solche selbst suchen, schaffen und begründen.
Dabei hat es K u s s m a u 1 wohl auch erfahren, dass es eine
schwierige^ Aufgabe ist, den vollbeschäftigten, mit Vorlesungen
fast übersättigten jungen Mediziner zu neuen Kollegien heran¬
zuziehen, sonst hätte er wohl in den wenigen Jahren seiner Heidel¬
berger Dozenteinzeit, von 1855—1859 nicht so vielerlei Vorlesungen
angezeigt, wie er es getan hat. Das erste Kolleg „über den
T o d“ war publice und wurde im Sommersemester 1856 gehalten;
über Heilmittellehre und Psychiatrie las Kussmaul ini
1590
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
Wintersemester 1856/57; ein Examinatoriura ü n !h
mittellelire und eine Vorlesung über g e i i e * * ^
Anthropologie folgten ira Sommer 18o, . Als ^vtraorüi
narius las Kussmaul im Wintersemester I801/08 ubei d
Lehre von den Seelenstörungen für Mediziner und
Juristen, im Sommer 1858 über genchtli c h e M ediz in für
Juristen, im Wintersemester 1858/o9 gerich 1 1 1 c lie M e 1
zin und Toxikologie für Mediziner, die Toxikologie gemein¬
sam mit Born träger, endlich im Jahre l®59 nieder Psych¬
iatrie, ferner gerichtliche Medizin f u 1 Juristen
und allgemeine Pathologie.
Es wurden also von 1855-59, genauer genommen vom Sommer
1S56 bis Sommer 1859 inkl., also in 7 Semestern, 9 verschiedene
Kollegien angezeigt und gelesen — eine gewaltige l
s tu n g die Kussmaul nicht so leicht einer nachmachen wird.
Aber wenn es ihm auch Zeit und Mühe kostete, so war dieses viel¬
gestaltige Dozieren doch (am meisten) lehrreich für den Dozenten
selbst und ungleich viel anregender für die Hörer als die Arbeit des
akademischen Schulmeisters, der Semester für Semester ein u
denselben, nur wenig veränderten Lehrstoff in wolilabgeteilte
,10n<Ers\aunlich ist nur, dass neben all dieser Arbeit Kuss m a u 1
noch Zeit übrig behielt für seine Praxis. \V le diese 1 raxis aus
geübt wurde, das können Sie hier in Heidelberg noch von manchem
Patienten Kussmauls aus jener Zeit hören, schon damals wai
er der grosse Arzt, der mit dem zunehmenden Glanze seines Namens
einem jeden höher strebenden Mediziner ein leuchtendes Vorbild
ist. Eine kurze Andeutung über seine praktische Thatigkeit m
jener Zeit fand ich in seinen Briefen über Me nschenpock e
'und Kuhpockenimpf 11 11 g. Da erwähnt K u s s in au 1 in
der Geschichte der Einführung der Vaccmatiomm badischen Lande
eine Erfahrung aus seiner Praxis in Eppelheim, dem bekam -
teil Dorfe bei Heidelberg: „Die Blattern waren ausgebrochen,
3 Kinder lagen schon schwer ergriffen darnieder. Rasch impfte
ich die zahlreichen noch ungeimpften Kinder des Dorfes und hatte
die Freude..., dass kein Kind von den Blattern weiter ergufte
wurde. Die 3 angesteckten Kinder aber starben.“
Wenn ich nun noch zu den Taten der ersten Semester der
Heidelberger Dozentenzeit Kuss m a 11 1 s die Gründung des natui-
historisch-medizinischen Vereines zähle, so darf ich wohl noc 1
die Frage auf werfen, welche Motive mögen den jungen Ge¬
lehrten zu der Gründung bewogen haben, von welcher wir hiei
alle jetzt noch Genuss und Vorteil ziehen?
Zur Stillung seiner Wissbegier genügten dem lebendigen Geiste,
dem die Natur die beste Lehrmeister! n gewesen ist,
die toten Bücher nicht. Sehen Sie sich noch einmal die herrlichen
„Jugenderinnerungen“ an! Den Menschen Kussmaul, die
heitere, mitteilsame Natur verlangte es nach Menschen und so
wje der Schüler seine Jugendfreunde und der Student seine Korps¬
brüder und Studiengenossen an sich zog und manchen von ihnen
zeitlebens als Freund behielt, so wollte auch Kussmaul als
Dozent in Heidelberg, als Mitglied einer grossen Körperschaft,
mit seinen Kollegen nicht nur dem Namen nach zusammengehoren,
sondern persönlich mit ihnen verkehren, ihr Wirken und ihre
Interessen kennen lernen und in einem Kulturzentrum, wie es ehe
Heidelberger Universität immer gewesen ist, sich nicht auf den
Kreis eigener Arbeit beschränken, sondern auch die Fruchte der
Erkenntnis anderer gemessen.
Die abendlichen Zusammenkünfte nach Schluss der Labora¬
torien in der (vielen von uns noch bekannten, jetzt aber vom
. Gutenberg“ verdrängten) Meierei an der Ecke der Hauptstrasse
und Brunnengasse, „wo man die neuesten Nachrichten aus allen
chemischen Küchen des In- und Auslandes bequem erfahren konnte ,
Hessen den Plan reifen zur Vereinigung der Vertreter der natur¬
wissenschaftlichen und medizinischen Fächer unserer Hochschule
zum Zwecke persönlichen Verkehrs und gemeinsamer Arbeit.
Kussmaul hat mit seinen Jugendjahren noch in die Zeit zu¬
rückgereicht, wo die „Medizin die unnatürliche Allianz loste, die sie
mit der Spekulation geschlossen hatte“ und durch Gründung des
naturhistorisch-medizinischen Vereins für Heidelberg der Medizin
„den richtigen Platz“ neben den Erfahrungswissenschaften ein-
geräumt.
Dass Kussmaul stolz war auf seine „Gründung“, das
werden Sie begreifen, wenn Sie den ersten Band der Verhand¬
lungen des naturhistorisch - medizinischen Ver¬
eins zu Heidelberg aus den Jahren 1857—1859 zur Hand
nehmen und neben dem ungeheueren Materiale, das der kleine
Band umfasst, die stattliche Reihe berühmter Namen lesen, die
der Anregung Kussmauls zur Mitarbeit gefolgt sind.
Das Andenken Kussmauls werden wir am besten ehren,
wenn wir nicht nur als Aerzte, und Gelehrte seinem idealen Vor-
bilde nachstreben, sondern auch hier in seinem Geiste weiter
wirken!
Tagesordnung : ,
1. Herr Sack: Heber die Natur der regressiven Gewebs¬
veränderungen, welche der Lupus, das Ulcus rodens und die
Teleangiektasie unter der Einsen sehen Lichtbehandlung
erleiden. (Siehe diese Wochenschr., No. 27, 1902.)
Diskussion: Herren Jordan, Sack, "V ü 1 lv e 1 .
2. Herr Krieger: Kranken Vorstellung (Chorea chronica
progressiva hereditaria).
3. Herr Hans Curschmann: Ueber traumatische Ne¬
phritis. (Der Vortrag erscheint an anderer Stelle dieser Nummer.)
Diskussion: Herren Erb, Jordan, F 1 e i n e r, Bruns,
Braue r, Fischler.
4. Herr Brauer: Perimysitis crepitans. (Mit Kranken¬
vorstellung.) . . . . . ., • ,
Unter Perimysitis (oder Easeio-Perimysitis) crepitans is
ein entzündlicher^ zu fibrinösen xkuflagerungen führender Pro¬
zess zu verstehen, welcher das Perimysium externum einerseits,
die Innenfläche der breiten, die Muskeln umhüllenden Faszien
andrerseits befällt und im wesentlichen zu folgenden Erschei¬
nungen führt:
1 Bei der gegenseitigen Verschiebung der Muskeln an¬
einander und an den Faszien entsteht ein knarrendes, krepi-
tierendes, schnurrendes Geräusch.
2. Hierbei entstehen Schmerzen, welche die Muskel¬
bewegungen behindern. .
Der Vortragende demonstriert einen derartigen Kranken.
Hier hatte sich der Prozess infolge von Ueberaiistrengung des
einen Beines neben einer Gonitis sicca und Tendovagimtis crepi¬
tans entwickelt. Die Perimysitis, die sich wesentlich an dei Ober¬
schenkelmuskulatur etabliert hatte, beherrschte mit ihren Er-
scheinunaen das Krankheitsbild.
Der Fall wird in den Mitteilungen für die Grenzgebiete aus¬
führlich publiziert werden.
Diskussion : Herr J 0 r d a n.
Physiologischer Verein in Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. Januar 1902.
Herr Star gar dt demonstriert an einem Patienten mit
ekto gener Siderosis bulbi die Verrostung der Kornea mit dem
binokularen Mikroskop. n. wn ,ipl.
Die ganze Kornea ist, am stärksten vor der Stelle, wo üei
Fremdkörper in Iris und Linse 4 Jahre lang gelegen batte, braun-
0lte“eS Bei der 35 fachen Vergrößerung des binokularen
Mikroskopes sieht man die normalerweise als feinste grauweisse
Flöckchen sichtbaren Hornhautzellen in allen Schichten der Kornea
bräunlich1 gelb verfärbt, was wohl ohne Zweifel auf Rostmeder-
schläire in den Zellen zurückzuführen ist.
Bei einem anderen Falle hatte St. beobachtet, dass 6 Wochen
vor dem Auftreten der für Siderosis charakteristischen Linsen-
flecke ein feiner dunkelbrauner Niederschlag auf der vordeieu
irisfläche sich zeigte, der von Tag zu Tag zunahm und auf Vei-
rosturp'- der Endothelzellen und Ablagerung pigmenthaltiger Zellen
auf der vorderen Irisfläche zurückgeführt wird; ein Umstand der
zur frühzeitigen Stellung der Diagnose Siderosis bulbi vielleicht
D ems'e 1 b e bespricht eine eigenartige Maculaveränderung
bei Myopie. (Erscheint ausführlicher a. a. O.)
Sitzung v o m 3. E e b r u a r 1902.
Herr R. 0. Neumann: Bakteriologische Untersuch¬
ungen gesunder und kranker Nasen, mit besonderer Berück¬
sichtigung des Pseudodiphtheriebazillus. ....
Es wurden an 206 Personen 230 Untersuchungen ausgetuhrt.
Davon entfielen auf normale Nasen 111, auf N a s en -
af f ektionen irgend welcher Art 95 Untersuchungen. ie
Zahl der im ganzen gefundenen Bakterienspezies betrug 19, (loch
sind in der Mehrzahl der Fälle relativ wenig verschiedene neben¬
einander vorhanden. Am häufigsten finden sich Pseudo¬
dip h t h e r i e b a z i 1 1 e n und weisse Mikrokokken,
weniger häufig orange, graue und gelbe Mikro¬
kokken, Pneumonie Fraenkel, Streptokokken,
Pneumonie Friedländer, Diphtheriebazille 11,
vereinzelt Coli, Hefe, Schimmel, bunte Stäbchen,
S a r eine 11 und noch einige andere Organismen.
M i c r o c. pyogenes albus ist in 86 bis 90 P«>z.,
Pseudodiphtheriebazillen sind in 98 Proz. der E alle
anwesend, so dass man mit Recht behaupten kann, letzt eie
finden sich in jeder gesunden und kranken
Nase. Die zartere Form (Corynebact. xerosis) ist viel
häufiger als die üppigere Form (Corynebact. pseudodiph-
theriticum).
Beim Schnupfen treten die an sich pathogenen Organis¬
men , Pneumonie Fraenkel und Friedländ e 1 ,
Streptococcus pyogenes und Diphtheriebazi -
len gegenüber den normalen Nasen mehr in den Vordergium .
Der Pseudodiphtheriebazillus ist nicht
virulent. 78 aus verschiedenen Nasen gezüchtete Stämme
töteten in keinem Falle Meerschweinchen. In einzelnen Fällen
traten nur schwache Infiltrate an der Injektionsstelle auf. Der
Organismus kann mit der Entstehung es
23. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1591
Schnupfens nicht in Zusammenhang gebracht
w erde n und ist n u r a 1 s harmloser Saprophyt
aufzu fasse n.
Sicher ist bewiesen, dass virulente Diph¬
theriebazillen und 1 raenkelsche Pneumonie
die klinischen Erscheinungen des g e w ö h n -
liehen Schnupfens hervorbringen können. Ob
und in welcher Weise auch andere pathogene Keime daran be¬
teiligt sind, bleibt noch zu beantworten. Ein spezifischer
Erreger für den Schnupfen hat sich bei den
Untersuchungen nicht finden lassen.
Herr^ Heer mann: Ueber Caissonkrankheit.
Die Symptome dieser „Krankheit der modernen Zivilisation/'
können bei Individuen entstehen, welche unter erhöhten Luft¬
druck gesetzt werden und die die Drucksteigerung, welche sich
zunächst durch eine Retraktion der Trommelfelle bemerkbar
macht, durch Schluckbewegungen oder den V a 1 s a 1 v a sehen
\ ei such nicht entsprechend rasch auszugleichen vermögen. Mer-
Schwellungen der Nase, wie beim akuten Schnupfen, führen
hier häufig zu Mittelohrentzündungen, Blutungen aus der
Paukenhöhlenschleimhaut und ihren Folgeerscheinungen. Um¬
gekehrt können bei der Rückkehr aus dem erhöhten in den nor¬
malen Luftdruck eine Fülle von Erscheinungen zur Beobachtung
kommen, die sich alle durch die Bildung von freien Stickstoff¬
blasen in den Gefäseen und ihre Zirkulation in der Blutbahn er¬
klären.
\ ortragender behandelt eingehend die Hörstörungen, die
durch zu rasche Dekompression hervorgerufen werden, und be¬
sonders diejenigen Erscheinungen, welche unter dem Namen des
M e n i e r e sehen Symptomenkornplexes zusammengefasst wer¬
den. Dieselben gewinnen dadurch ein hervorragendes Interesse,
dass hier die Aetiologie des Symptomenkornplexes bekannt ist.
(Der Vortrag ist veröffentlicht als No. 334 der Volk-
m a n n sehen Sammlung klinischer "\ orträge. Leipzig, Breit-
kopf & Härtel, 1902.)
Sitzung v o m 17. F e b r u a r 1902.
1 M e y e r: Der Korsakow sehe Symptomenkoni-
Nacli kurzer Besprechung der Hauptsymptome des Kor¬
sakow sclien Sy mptomenkornplexes teilt M. 4 eigene Beobach¬
tungen mit und zwar je einen bei Alcoholismus chronicus De¬
mentia postapoplectica, Dementia paralytica und Sarkom’ des
Stirnlurns. Besonders bemerkenswert war der Fall von Dementia
paralytica, bei dem im Anschluss an epileptiforme Anfälle ein
Delirium tremens-almliclier Zustand aufgetreten war. aus dem
dann eine psychische Störung hervorging, die in geradezu klassi-
Sf' f “se1 dat* Bl,d des ICors a k o w sehen Symptomenkom-
p.exes bot, ohne dass die zweifellos vorhandene geistige Schwäche
wesentliche Fortschritte erkennen, liess. Es bestand Differenz der
Pupillen, von denen die eine trüge reagierte, die Reflexe waren
vorhanden, keine Sprachstörung. Der Tod trat unter gehäuften
epileptiformen Anfällen nach 0 — 7 Monaten ein. Der anatomische
Befund entsprach, soweit er bis jetzt erhoben werden konnte dem
welchen man bei Dementia paralytica zu finden gewohnt ist.’
JNeuritis war nur in diesem Falle von wahrscheinlicher Paralyse
angedeutet, in dem anderen nicht.
1 1 HerrTJ? r 1 c k e demonstriert und bespricht eine grosse An¬
zahl von Kiefer- und Zahnabgüssen, an denen Rassen verschieden-
sind ’ Mlss^ildun^en’ Entwicklungshemniungen etc. zu sehen
Herr Heller spriclit über Aortenerkrankungen.
Auf dem Deutschen Naturforscher- und Aerztetage zu
München 1899 hat er über die in mehrfachen Arbeiten seiner
Schüler veröffentlichten Untersuchungen über Aortitis syphilitica
unc deren Bedeutung für Entstehung der Aortenaneurysmen be-
ncitet; dabei hat er betont, dass möglicherweise auch andere
infektiöse Prozesse eine Schwächung der Aortenwand herbeizu-
iR reu vermöchten. I . a. hat schon Rat tone (II Morgagni
'"7’ über Fälle von Veränderungen der Aortenwand
1iyphuS berichtet- M a r t i n o 1 1 i (Gazzetta delle cliniche
. 4 iat ßinen allerdings nicht ganz beweisenden Fall von
Aortenaneurysma bei Typhus beschrieben. Sehr selten sind so¬
wohl primäre wie metastatische Geschwülste in der Aortenwand.
. 6 fhr seltene derartige Beobachtung hat Vortragender in
einer Dissertation (Friedrich, Kiel 1888) beschreiben lassen.
Da sie aber ganz unbeachtet geblieben ist, darf sie wohl jetzt
ans Licht gezogen werden.
bei I°iSfSeiTffUl bei der Sektiou eiller 42 Jahre alten Frau,
elcliei 1 ys Jahre vor dem Tode ein papilläres Kystom des
^ T entfernt worden war, die Reste der Geschwulst
nn Becken dann ausgedehnte papilläre Bildungen über das ganze
Bauchfell die linke Pleura, Lunge, Niere und Aorta. Die Aorta
wai über den Klappen an umschriebenen Stellen der Innenfläche
gelockert und mit 3—4 mm langen Zöttelien besetzt; im Arkus und
absteigenden Teile fanden sich grosse, länglichrunde, beetartige
Eihebungen der Intima mit eigentümlich lockerer, körniger Ober-
tiache. Dies Aussehen erwies sich bedingt durch teils kurzgestielte
stecknadelkopfgrosse, teils kleinere, flachaufsitzende papilläre Her-
vorragungen, die aus einem lockeren, Kapillaren enthaltenden
Bindegewebe bestanden und mit einem niedrigen Zylinderepithel
überzogen waren. Der Stiel der Knötchen und papillären Er¬
hebungen liess sich meist durch die Intima bis in die Vasa nutrientia
hinein verfolgen. Vielfach fanden sich auch in den Vasa nutrientia
der Media kleine Gruppen von Zylinderepithel. Daneben steckten
m ebensolchen Gefässen geschichtete Kalkkonkremente wie sie
in grosser Menge in der primären Geschwulst vorhanden waren.
Auch Miliartuberkel sind, wenn auch selten, in der Aorten¬
wand gefunden. Trotz sorgfältigen Sucliens hat Vortragender
selbst eist einmal Miliartuberkel bei einem Schwindsüchtigen in
der Intima der absteigenden Aorta gefunden, in denen auch Ba¬
zillen sich mikroskopisch nachweisen Hessen.
Aus allen solchen Prozessen müssen Schwächungen der
Wand hervorgehen; es kann dadurch eine Anlage zur Aneu¬
rysmenentstehung geschaffen werden. Dass diese Vermutung-
richtig ist, hat ein Fall gelehrt, der im Anfänge dieses Jahres
zur Sektion kam. Es handelte sich um ein 20 jähriges Mädchen,
welches au chronischer Peritonitis in Behandlung war und ganz
plötzlich unter den Erscheinungen einer inneren Blutung ge¬
storben war. Die Sektion ergab eine tuberkulöse Peritonitis
und als Todesursache ein Aneurysma am Abgang der Arteria
meseraica inferior, Durchbruch in die Bursa omentalis, Abwiih-
lung der Magenserosa durch die Blutung und Bluterguss in die
Bauchhöhle. An der Umschlagstelle des Aneurysmas entdeckte
ich einzelne feinste Knötchen, welche sich mikroskopisch als
kleinzellige Wucherungen mit Tuberkelbazillen ergaben. Der
CtWa hühnereigrosse Sack war mit festen Gerinnseln ausgekleidet,
in welchen sich ganz besonders merkwürdige Veränderungen
mikroskopisch fanden. Der primäre Sack war geborsten und
hatte nach den oben angegebenen Richtungen hin Bluterguss zur
1 olge gehabt. Herr Dr. Schulze - Höing wird demnächst
die ausführliche Beschreibung des Falles veröffentlichen.
Ls wild sich künftig- darum handeln, alle Fälle von Aneu¬
rysmen noch genauer als seither auf ihre Aetiologie zu prüfen.
Gerade jugendliche Individuen versprechen Aufschlüsse zu geben.
Jedenfalls steht jetzt soviel fest: Die chronische End-
arteriitis ist aus der Lehre von der Entstehung der Aorten¬
aneurysmen zu streichen; nur die syphilitische Aortitis ist als
eine häufige Ursache nachgewiesen; wie häufig andere infektiöse
Prozesse diese Folge herbeiführen, muss weiteren Untersuchungen
nachzuweisen Vorbehalten bleiben.
Die 70. Jahresversammlung der British Medical
Association
zu Manchester vom 29. Juli bis 1. August 1902.
(Eigener Bericht.)
(Schluss.)
Sektion für Hygiene.
Am 30. Juli sprach H o p e - Liverpool über die Rolle, welche
die Impfung in der Verhütung der Pocken in England spielt,
und über die Mittel, den grösstmöglichsten Nutzen durch die
Impfung* zu erzielen. Redner ergebt sieb in Klagen über die
I nzulänglichkeit des englischen Impfgesetzes, über die Leicht¬
fertigkeit, mit welcher Privatärzte die Impfungen vornehmen, auf
Wunsch der Eltern nur eine Pustel anlegen; ferner verlangt er die
Einiichtung von staatlichen Laboratorien zur Erzeugung- von
Lymphe, die den bisher auf private Quellen mit oft recht zweifel¬
hafter Lymphe angewiesenen Arzt mit guter Lymphe versorgen.
Schliesslich ist zwangsweises Wiederimpfeii unbedingt ex-forder¬
lich. In der dem Vortrage folgenden Diskussion, an der zahlreiche
Redner teilnahmen, wurde allgemein auf die glänzenden Verhält¬
nisse hingewiesen, wie sie sich in Bezug auf die gelungene Vei--
hütung der Pocken in Deutschland finden. Leider aber klang doch
die ganze Diskussion in dem Bedauern aus, dass derartig glück¬
liche Zustände in England nicht zu erhoffen seien, da das freie
Volk der Bitten sich nun einmal keinerlei Zwang füge und ein
absoluter Impfzwang, der für jedermann Geltung habe, eben nicht
durchführbar sei (was als gute Illustration dafür dienen kann,
wohin die sog. Freiheit nebst aufgeklärter Volksregiening führen
kann. Ref.)..
Dann sprach Killick Millard - Leicester über die sogen,
„return cases‘- bei Scharlach und über ihre Verhütung. Unter
„retiira cases“ versteht man in England, wo die meisten mit an-
1592
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
steckenden Krankheiten behafteten Individuen in eigenen Fieber-
sijitiilern verpflegt werden, die Fälle von Scharlach, welche da¬
durch entstehen, dass aus dem Krankenhause entlassene Kon¬
valeszenten die Ansteckung mit nachhause bringen. Diese I< alle
fallt n dem Hospitalsystem zur Last und kommen bei zuhause
behandelten Kranken kaum vor. Sie lassen sich nun keineswegs
dadurch verhüten, dass man die Kranken länger wie die üblichen
<; Wochen im Spital behält, es scheint vielmehr, als wenn die
return cases“ um so häufiger und virulenter auftreten. je langer
man die Kranken in der mit Keimen gesättigten Atmosphäre des
Hospitales zurückhält. Redner rät deshalb, statt der grossen
Hospitäler Pavillons mit Zimmern für 2 bis 3 Kranke zu bauen
und die Rekonvaleszenten streng von den akuten Fallen abzu¬
sondern. In Manchester sollen im Jahre 1901 die , .return cases
l.S 1‘roz. von dem Nutzen wieder fortgenommen haben, den die
Stadt durch ihr Spitalwesen in der Verhütung sekundärer Schar¬
lachfälle zu erzielen hoffte. Die Ansichten des Redners werden
in der Diskussion lebhaft angegriffen und behaupteten die meisten
Redner, dass es gelänge, durch gründliche Desinfektion der zu Ent-
lassenden, namentlich auch eine sorgfältige Desinfektion der
Nasen- und Mundhöhle, sowie der Ohren, die Häufigkeit der
..return cases“ sehr herabzusetzen.
Am 31. Juli fand eine Diskussion statt über die allge¬
meinen und administrativen Massnahmen zur Verhütung der
Tuberkulose. Robertson- Sheffield sprach als erster Redner
besonders über den Nutzen der Anzeigepflicht, die sich in seiner
Heimatstadt seit 1899 durchaus bewährt hat. Vorderhand ist die
Inzeige eine freiwillige, doch sollte sie überall eine zwangsweise
sein. Ferner wünscht er. dass die Sanitätsbehörden der einzelnen
Städte Sanatorien errichten und ausserdem Isolierhäuser, in denen
schwere Fälle interniert, und unschädlich gemacht werden konnten.
N e w s h o 1 m e. der bekannte rührige Sanitätsbeamte tur
Brighton, schilderte die prophylaktischen M assregeln, die er dort
durchgeführt hat. Es besteht eine freiwillige Anzeige, und zwar
beziehen die Aerzte für jede Anzeige 2 M. 50 Pf. (dasselbe wie
für die Anzeige der anzeigepflichtigen Fälle), es werden ferner den
Aerzten alle Erleichterungen zur frühzeitigen Stellung einer Dia¬
gnose gewährt, namentlich haben sich freie Konsultationen und
freie Sputumuntersuchungen bewährt; ferner gellt die Stadtver¬
waltung dem Unfug des Spuckens zu Leibe, indem sie es m
Pferdebahnen etc. verboten hat und auch an Schulen, Merkraume,
Hotels Theater frei emaillierte Tafeln mit Spuckverbot und Be¬
lehrungen über die schädlichen Folgen des Spuckens verteilt. Jeder
Kranke, dessen Fall zur Anzeige kommt, erhält eine kurze, leicht¬
verständliche Anweisung über seine persönliche Hygiene, wobei
alle alarmierenden Aengstl ichkeiten vermieden sind; armeie
Kranke werden umsonst mit Spuckflaschen, japanischen Taschen-
tüch 01*11 etc*, versorgt. Ferner desinfiziert die Stadt ohne Fn -
Schädigung die Zimmer, Betten und Kleider gestorbener Phthisiker.
Ein grosses Gewicht wird feiner auf häufige Inspektion der
Fabriken und Arbeitsräume gelegt, und werden unhygienische
Plätze geschlossen. Redner empfiehlt schliesslich, die Fieber-
liospitäler, die einen Teil des Jahres freistehen, in den epidemie¬
freien Zeiten zur Behandlung der Tuberkulösen zu benutzen.
Aehnliche Massnahmen wurden, Avie Beatty berichtete, auch
in Manchester mit Erfolg eingeführt. Ransome - Bournemouth
•weist auf Versuche hin, die er angestellt hat und die ergeben,
dass dasselbe Sputum, das in einem gut ventilierten und gut. be¬
lichteten Zimmer nach wenigen Tagen seine Virulenz verlor, m
von Arbeitern bewohnten Zimmern in Manchester noch nacli
3 Wochen voll virulent Avar. Er und andere Redner warnen vor
der einseitigen Ueberschätzung der Sanatorien und sehen die
Hauptaufgabe in der Verbesserung des Lebens und besonders der
Wohnungsbedingungen der ärmeren Klassen. Hall-Edwards-
Birmingham empfiehlt Südafrika als vorzüglichen Platz für die
Anlage von Heilstätten, nur sollen dieselben nicht reine bana-
torien sein, sondern sie sind als Arbeitskolonien für Tubei kulost
gedacht. * .. ni
Es folgten zwei ausgezeichnete Vortrage von Mac Dougaü-
Mancliester und Rowntree - York über die Beziehungen zwi¬
schen Armut und Krankheit; namentlich hat Rowntree durch
eine Untersuchung von jeder Arbeiterwohnung in York Avertvolle
statistische Beiträge geliefert. Beide Redner Aviesen darauf hin,
wie wichtig es sei, in den Volksschulen für Mädchen im letzten
Schuljahre Unterweisung in der Hausführung und im Kochen zu
«•eben, ln der Kochschule kann zugleich Nahrung für diejenigen
Schüler bereitet Averden. die zuhause kein oder ungenügendes
Essen bekommen. In der Diskussion betont Drysdale die
hohe Rate der Geburten unter der englischen Arbeiterbevolkerung;
er hält Verbesserungen der sozialen Lage für unmöglich, solange
diese hohe Geburtsziffer bestehen bleibt.
Am 1. August fand noch eine Diskussion über Arsenik-
vergiftungen statt, in der Aron Tattersall, Reynolds u. a.
noch einmal die bekannten Massenvergiftungen durch Bier er¬
örtert. Avurden. Reynolds sprach noch besonders über das
Vorkommen von Arsenik in Malz, soAA’ie über die Unterscheidung
zwischen der häufigen Arsenikneuritis und der selteneren durch
Alkohol verursachten. Farrar sprach dann über die Pest und
die Rolle, die die Ratten dabei spielen; er glaubt, dass die Seuche
stets auf dem Seewege und ZAvar durch Schiffsratten verschleppt
Averde; ferner erklärt er die Krankheit für eine exquisite Boden¬
krankheit. Hindus, die barfuss gehen, erkranken sehr häufig,
Europäer fast nie, eingeborene Soldaten, die zum Reinigen dei
Pesthäuser kommandiert werden, erkranken ebenfalls nicht, wenn
man dafür sorgt, dass sie feste Schuhe und Gamaschen tiagen.
Bei Ausbruch der Epidemie ist am besten der ganze befallene
Distrikt sofort zu räumen. Es folgten dann noch torträge über
die Kindersterblichkeit von R li o d e s und über die innere Be¬
aufsichtigung der Nachtquartiere für Wohnungslose von Mere-
ditli Young. Rh ödes brachte zalilenmässig den Beweis, dass
in manchen Gegenden die Kindersterblichkeit 180 vom rausend
beträgt und dass namentlich die unehelichen Kinder entsetzlich
dezimiert werden.
Abteilung für psychologische Medizin.
30. Juli. M o u 1 d - Clieadle eröffnete die Sitzung mit. einem
Vortrage über die Behandlung von Geisteskranken in sogen.
Villas.~ Seit. 1862 hat er in dem von ihm geleiteten Irrenhause zu
Clieadle es durchgeführt, dass die Mehrzahl der Kranken in iso¬
lierten Villen untergebraelit sind statt in den sonst üblichen
«•rossen Krankensälen. Die Einrichtung hat sich durchaus be¬
währt und hat in England und Amerika vielfach Nachahmung
f 1UDann sprach Sir John S i b b a 1 d über die Verpflegung
ärmerer Geisteskranker in allgemeinen Krankenhäusern. Redner
schlägt vor, in jedem grösseren allgemeinen Krankenhause eine
Abteilung zu schaffen, in der Kranke mit beginnenden oder
leichten Psychosen Aufnahme finden könnten. Es hält nämlich
bei den in England herrschenden Gesetzen sehr schwer, derartige
Kranke einer Irrenanstalt zu überweisen, und verlieren dieselben
dadurch oft die beste Zeit zu einer erfolgreichen Behandlung.
Dann haftet auch jedem Kranken, der in einer Irrenanstalt war,
ein geAvisser Makel an und er findet oft nur sehr schwer wiedei
Anstellung, schliesslich können diese unter besonders geschulten
Irrenärzten stehenden Abteilungen auch sehr wertvoll für Untei-
richtszAvecke Averden, da der angehende Arzt die Anfaugsfallc
meist nie zu sehen bekommt und er diesen Fallen m der Praxis
oft sein- unvorbereitet gegenübersteht. D. Y eil o w 1 e e s beton
den Mangel an Anstalten für sogen, sclnver Nervöse, für Hyste¬
rische, Hypochonder etc.; diese Leute finden augenblicklich in
England eigentlich nirgends Aufnahme und sollten für sie be¬
sondere. von den Irrenhäusern scharf zu trennende Anstalten ge¬
schaffen Averden; zahlreiche andere Redner traten ebenfalls fui
diese Pläne ein, und es war nur eine Stimme darüber, dass augen¬
blicklich eigentlich nur veraltete, meist unheilbare falle den
Irrenhäusern und der geeigneten Behandlung zngefulirt wurden.
Am 1. August eröffnete Clifford A 1 1 b u 1 1 - Cambridge eine
Diskussion über die Beziehungen zwischen funktionellen Neu¬
rosen (Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie etc.) und Irresein
Nach einer kurzen Auseinandersetzung über die Organisation des
Nervensystems definiert Redner die Neurasthenie als einen Zu¬
stand des Zentralnervensystems, in welchem die Reserveenergie
der Nervenzentren ausserordentlich herabgesetzt ist. ^ tntt da¬
durch leicht. Ermüdung ein, die durch Ruhe nicht völlig beseitigt
wird. Dieser fehlerhafte Zustand des Nervensystems beruht auf
angeborener Anlage und dauert durch das ganze Leben. Neui-
astheniker haben keine Neigung zur Hypochondrie oder zu Hallu¬
zinationen und geht die Krankheit als solche me in Irresein über
Bei den Hysterischen fehlt diese leichte Ermüdbarkeit, darin sind
bei ihnen die höheren Hemmungszentren alteriert. Näher Avie
diese beiden Krankheiten steht die Hypochondrie dem Irresein.
Ruhe und Isolierung sind für den Hypochonder schädlich, fui die
anderen funktionellen Neurosen nützlich. Manche Kranke zeigen
zuerst neurasthenische. dann hypochondrische Zeichen und nei¬
den schliesslich irrsinnig, liier sind die ersten Symptome als I ruli-
svmptome des Irreseins aufzufassen. Namentlich bei der Dementia
paralvtica hat man sich vor solchen Verwechslungen zu lmten.
Häufig hat Redner beobachtet, dass Neurasthenie sich an chirur¬
gische, selbst kleine Operationen anscliliesst, Avenn dieselbe u
unter Narkose vorgenommen wurden. Dem Vortrag folgte ein
lebhafte Diskussion. , _ .
Dann sprach Robert Jones über Stupor und Katatonie,
er fasst die Katatonie nicht als Krankheit sui generis auf. sondern
als ein Symptom, das bei verschiedenen Geisteskrankheiten,
namentlich'" aber beim zirkulären Irresein vorkommt. Meist gener
solche Fälle in Demenz über.
Das letzte Thema, mit dem die Sektion sich bescnattuii.
Avar Syphilis und Irresein. Mott- London und zahlreiche andere
Redner sprachen über die verschiedenen Gehirnaffektionen, die in
den verschiedenen Stadien der Lustseuche auftreten. Am meisten
zu fürchten ist jedenfalls die Dementia paralytica. die durchaus
als Folgekrankheit der Lues aufzufassen ist. Die Sektion fasst
einen Beschluss, nach welchem die gesetzgebenden Ivorperschattei
aufzufordern sind, schärfere Massregeln zur Beschränkung dei
Syphilis zu ergreifen und dadurch auch der Gehirnenveichun v zu
Leibe zu gehen.
Abteilung für Anatomie und Physiologie.
Am 30. Juli sprach Berry H a r t - Edinburgh über die Ent¬
wicklung des menschlichen Urogenitalsystems. Er glaubt dass
der Wolffsche Gang rein ektodermalen Ursprungs sei und das
die Tuben, der Uterus und die oberen 2 Drittel der Scheide vom
M ü 1 1 e r sehen Gange entAvickelt Averden; das untere 1 nt p 1 .
Scheide entsteht durch Zusammen wachsen des Sinus urogenital»
und der W o 1 f f sehen Gänge. Das Hymen entsteht aus dem
W o 1 f f sehen Gange, Klitoris und Penis entstehen durch Ei
Avaehsen von Oberflächenepithel. Diese Theorien Avurden in dei
Diskussion lebhaft bekämpft.
23. September 1902.
Am folgenden Tage fand auf Grund eines Vortrages von
Vm'^a'^eudeiMi'Ut^es^fiir 8 ^ 0 11 «b<* Sekretion des DaxmesVatt
»oiua^diaei halt es für unerwiesen, dass überhaunt ein TVivm-
nur die tiffShe ^ ' Die Darmscllleimhaut hat nach' ilnn
m die Aufgabe zu absorbieren und manche Stoffe während der
»*«
Stoffes, schliesslich gab Grünbaum - Liverpool einen ausftihr
liehen Bencht über Reizungsversuche, die er an den Gehirnen von
1<> anthropoiden Affen angestellt hat, sowie über zahlreiche Ver-
S v m i A«ssclmeidungen von Hirnstücken beJ Affen.
Oberfläche? on"BeUast sprach über die Topographie der Hirn-
Abteilung für Augenheilkunde.
Am 30. Juli eröffnete Marcus G u n n - London eine Dis¬
kussion uber funktionelle Sehstörungen. Die Differential
agnose wird in letzterer Zeit Mutiger ersfhwert durelt die Smer
“ung be,lmf? Kflttugung einer BntschMi-
Vveteiem h vor i« T, ■ - L,T*n>°ol zeigte dann einen Kranken, hei
Orbita mit llSel rl; .?1,™ s<‘lu' gmsse Elfenbeinexostose der
uimta mit bestem Dauererfolge entfernt hatte.
Dann sprach Yarr über indirekte Schussverletzungen des
w?PdoTdl?'ei’ T ®ure?kri€®e beobachten konnte. In einem Falle
^ra”fe durok das Gesicht geschossen worden- obwohl
proliferans 2 ? T' 0rl>Ba vorlag, trat doch eine Retinitis
pioin ei ans auf, im anderen Falle fand man trotz schwerer Seh-
Makubf TTDaUr Flgln fn t v erä n derungen in der Umgebung der
v c* Hai man bat ähnliche Fälle gesehen die entstanden
waren durch Krepieren von Granaten in der SeTon Säten
auch Lee hat ähnliches beobachtet. Soldaten,
„ -ei?1! e n z 1 e s - Rochdale sprach über Ablösung des Hornhaut
d?n von M a^h a1nAbk?tf11 T,d Kokain; ^en letzteres wer-
da es schon bm nt und S n e i i lebhafte Einwände erhoben.
S n e 1 normaler Ivornea. zu Epithelabhebungen führe.
Mi eil hat mit Erfolg pentomiert. Spicer erwähnt d-i«« am
hnaima|eebrathtnw? fffektio* hl Ame,rika mit Malaria in Zusammen¬
hang gebracht wird, er selbst halte sie für eine Art Ilerpes.
n, ® a e 1 1 - Sheffield demonstriert dann eine Methode welche
uich Zusammennähung der Sehnen nach der Enukleation einen
geET «Ä rben,?0l,L Jede Se"1’“ ““
ImtfJolF,','“ Fad™ a“ ,lle äurehwlmittene KonJunkUva
geltet nach Entfernung des Auges werden die antagonistischen
Sehnenstumpfe mittels dieser Fäden anfMnandm-celuZ^ und
diese1 Methode B°lljuiB;tivah^mle geschlossen. In 50 Fällen hat
Ümf -n , ?1 sich "ut bewahrt. C 1 a r k e - London beschreibt
e U ll^ke’ von lllm geübte Methode. Grossmann hält
ebenfalls die Methode für wertvoll; die Einfügung einer Glas-
Ebfvnr^m^ ei’’ (Ja dieselbe nach 3—4 Jahren doch herausfällt
V \ i »ma^voin.E (1 ridge- Green, der dahin ging, der „Board
f'ü iaw. ™ltzateilen. dass die Farbenprobe nach Holmgren
f u Praktische Zwecke ungenügend sei, wurde abgelehnt. '
fl io '‘!k JuU rröffiuffe Sandford eine Diskussion über
selten hätioloS?f M Sklerokeratitis- Er hält die Erkrankung für
oml ’ i-«- ! kommen meist akuter Rheumatismus seltener
eine modifizierte (? Ref.) Tuberkulose in Betracht. Mädchen mit
Storungen der Menstruation und skrophulöse Kinder sind be
sonders disponiert; für Erwachsene kommt auch eine -ichtische
Diathese in Betracht. Die nicht tuberkulösen Fälle rea-ieren Im
AtronffrXrt mmÜh 6 *njektk>«en von Pilokarpin und auf Salizyl.
Bi i tu ei l i Uso. Fifn k°mpl1Ziereuder Iritis augewendet werden.
™ Ho^ikolosen Fallen sind warme Umschläge, Ruhe und kräf
J(Meisen undg Innevlk,h wonlen Jodkali, Jodkoffein,
snrff zunven wiHQ k gegeben- Sul»kon.j unktivale Ein-
spiitzungen wiiken meist schädlich. Maddox empfiehl! be
SSÄmie 1111(1 trockeue Wärme, die er vermittels eines
elektrischen V armeapparate» auwendet. II arm an warnt be
vm-iiw Vi°r 5er .Anweii(Ring von Adrenalin, das höchstens sehr
, ei gehend nutzt, durch Kontraktion der Retinagefässe •ihm-
ebenso wie Chinin dauernd schaden kann. 86 ‘1SSe abei
MüENCITENEE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1593
«na ,"s Siderophon von —
mul Widmark Übel-?!!? AetSoglehde^Myo^^ Zlvlllsatlon>
„ Am E -August fand noch eine Diskussion statt über um
beit<lT?ereili Formen ller Optikusatrophie. T a v 1 o r warnt davor
stellen mbffi11 -7’ raf0b (lie Diasnose auf Tabakamblyopie zu
Erl-r-mi-nn Ög aiLCh bier <lie Sehstörung ein Frühsymptom von
Likrankungen des Zentralnervensystems Stets ist der fh„
®ebr - Optik^rlSiSngenUdK
bei Frauen U bet°Ut <lie Hauflgkeit der Tabakamblyopie
]>ei SP,a°b . 1100,11 Brenner über 40 Fälle von Myopie
hm If .er (lle Lmse entfernt hat. Er macht die Operatioifaucli
£lt rii16 aVf einem Allge ««a hat fast stets gute ErMge^ er-
kPi rf aeb!mals oHebte er Ablösung der Retina. Marshai 1 er¬
gründe \u<mn7i' ;!U!>t’ bei eh^eitiger Myopie zu operieren, da das
köime ctrffflTn 8fmPatbls°he Erkrankung verloren gehen
diesen Fällen Glaukom auft?eteu UU<,ar°r Kapseldiszissio11 bei
Abteilung für Laryngologie.
Am ■'**_ luli sprach K i 1 1 i a n - Freiburg über die Erken-
weSLUund de^ rn Fremdköl'Pern in den oberen Luft-
gen und der Speiseröhre. Es gelingt nach Redners Meiniin««-
festzuSell^'lmd1’ 0esophaffUS durch direkte Oesophagoskopie
festzustellen, und kann man sie unter Leitung des Viwes ent
fr Fn--Jenn S,e keine soliarfen Ecken haben; in diesen Fällen ist
clmi a!^ voln Mediastinum posti-
7 f , des M;laons uidi ziert. Yulkanitplatten können
galvanokaustisch in situ zerschnitten und dann stückweise ent
femt werden. Dieselben Prinzipien gelten für die Fremdkörper
der Trachea und Bronchien. Redner demonstriert dann die In¬
strumente und gibt Einzelheiten über 20 derartig behandelte Fälle
darunter 11 eigene. M aclntyre- Glasgow sprach über die Be-
0 utung der Rontgenstralilen in der Diagnose dieser Fälle und
über die besten Methoden ihrer Anwendung; er verendet au?h
WOdtilHÄ? ,Magr- von
>\ ild-Zmicb hält den Magnet für gefährlich
«•ni ° n.° di-Öfen-Pest sprach über die Beziehungen der re-
und S HerSnfrven™ Eek™>s sympathischen
Dundas Grant-London zeigt eine Modifikation der
M o u r e sehen Operation gegen Septum verbiegung, K i 1 1 i a n
empfiehlt seine eigene Operation, die darin besteht, dass man
fSntrSe Cbe Scmeimhaut abpräpariert und den Knorpel ent-
, Har in g - Manchester spricht über die Diagnose und Be¬
handlung der chronischen Laryngitis. Er teilt die Fälle ein in
JifS18,, supeiaor> media und inferior und bespricht eingehend
spielen1111“" m der 0peratiottei1 an (ler Nase eine grosse Rolle
I >er .>1. Juli brachte eine Diskussi o n über die AetioloHe
KeinSinhöblld E!handlUng ,der Eiterungen der Siebbein- und
Keilbemholilen. G r u nwald- München und L a c k - London er-
offneten die Diskussion, in der die grossen Schwierigkeiten einer
genauen Diagnose anerkannt wurden. Die Eröffnung der Keilbein-
hohle vom Antrum maxillare aus wird als gefährlich verworfen
- ,Ani k August folgte eiue Diskussion «her die Dauer-
der .0P®1'atlonen wegen Empyem des Sinus maxill. und
rrontai. Die Referenten waren L e r m o y e z - Paris und Til-
ey - London. Im allgemeinen wurde den intranasalen Methoden
der A orzug gegeben. Weitere Vorträge handelten über die Ent-
der FaPlllome des Larynx, Dundas Grant und Al a c
Dona Id wollen nur endolaryngeal operieren. Brown Keil v
Iiehfkopf <laS Bl0mathyl als Anästhetikum bei Operationen am
Abteilung für Ohrenheilkunde.
. , interessanteste Diskussion in dieser Sektion war
jedenfalls die von Mc Bride eingeleitete über die Ziele und
w! ?C-hra n f xd€,r intranasalen Eingriffe bei chronischen,
nichteitrigen Mittelohrkatarrhen. Redner empfiehlt stets die Be-
r h.!i!U!?g <lt1’Adfuoi,de llnd des Na so-plia ryngea lka ta rrhs bei katar¬
rhalischen Mittelohrleiden; Operationen am Pharynx und an der
Nase sind aber zur Heilung des Mittelohrkatarrhs nur dann er-
mubt, wenn sich eine bestimmte rhiuologische oder laryngologische
iiil ikatiOn apart vom Mittelohrkatarrh vorfindet. Er hat hei Mittel-
!ik n m 77 nieinals E rf°lge von intranasalen Operationen gesehen
und halt dieselben für unerlaubt; wenn der Nasopharvnx frei ist
pU,nff7 1 0p^atlone« ia der Nase die Taubheit nicht bessern:
l tcüaid - London und R olirer- Zürich, die beiden anderen
Referenten, Avollen den intranasalen Operationen ein weit grösseres
, e d ^nraurnen. Nach einer recht hitzigen, aber natürlich erfolg-
osen Debatte wurde Semons Vorschlag angenommen, der dahin
lautete, ein besonderes Komitee zu ernennen, das derartig operierte
1 alle auf den etwaigen Erfolg zu untersuchen hätte
Nach einem kurzen Vortrage von Dundas Grant über die
Cholesteatome des Mittelohrs hielt Ballance einen höchst
interessanten Vortrag über die Indikationen für und gegen die
Unterbindung derJugulans interna beiotitischerPyoseptikämie
Am besten ist es, der Natur zu folgen in ihrem Bestreben einen
Damm gegen die Verbreitung septischen Materials zu schaffen
Indiziert ist daher die Unterbindung bei akuter Pyämie und Septi-
v anno, gleichviel ob der Sinus thrombosiert ist oder nicht, ferner
>ei 2angran des S i im s und Fäulnis seines Inhalts, hei Verdacht
aut hrombose des Bulbus oder der Vena jugularis selbst. .Tones
wir bei Sinusthrombose nur den Sinus ansräumen, bei Sepsis ohne
Thrombose unterbindet er die Jugularis und obliteriert den Sinus
selbst wenn bereits Lungensymptome bestehen. Grant unter
lumtct n'cht, wenn ein fester Pfropf die eitrigen Massen im Sinus
Dau« zei*t.e B r o n n e r einen Apparat für die Hsiss-
luftbehandlung des Mittelohrkatarrhs. Thorne, L o v e und
1 o d sprachen über die Erziehung Taubstummer. W a t s o n
benchtet u her Erfolge, die er mit Myelocen (Knocbenmarkextrakt)
bei Mittelohrkatarrhen gehabt hat.
Abteilung für Tropenkrankheiten.
Patrick M a n s o n eröffnete eine Diskussi o n über Beri-
Ben. Noch heute werden nach des Vortragenden Ansicht eine
ganze Anzahl verschiedener, nicht zusamtnengehörender Neuritis¬
tormen fälschlich unter dem Namen Beri-Beri vereinig Das
charakteristische Symptom für Beri-Beri ist die grosse Neigung zu
Ilerzkomplikationen. Redner glaubt, dass die Ursache der Krank-
1594
MUENCIIENER MEDICTNISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
lieit in Toxinen zu suchen sei. welche ausserhidb des mOTScUichOT
rcT.mprs von Bakterien produziert wurden. Diese loxine g<-
langen in den Körper nicht durch Nahrung oder Wasser, pudern
dmvh die Haut oder die Atmung. Dass ‘Jiew Ä £ für
(Jenuss von verdorbenem Reis verursacht und. ^ halt Kedner
unrichtig. Ilost hat in Rangoon wahrend ein.i Epidemie 'cm
Beri-Beri bestimmte Diplokokken aus schimmelndem Reis. Be
züchtet. Dieselben Mikroorganismen züchtete er ni Remkultui
dem Blut und dem Gehiniwasser von BeH-Benkrankem l ~
dieser Kleinwesen auf Hühner erregten hei den A ersuclistieien eine
der Beri-Beri ähnliche Krankheit. Gestutzt aut eine gM> t
suchung von 390 Fällen glaubt Rost, dass die Kiankliei • > .
im Reis zu suchen ist. Auch Sambon bestätigt dmse^ Ansicht
Ronald Ross teilt die interessante i atsache mit <1 . 1
Haare von 30 Fällen von Beri-Beri auf Arsenik ^«fucW^hat,
ix>i io Fällen (und zwar den fnscheien) l.md suli *
Daniels hat nach Dysenterie periphere Neuril ideu
..•ross.' Vehnlichkeit mit Beri-Beri hatten. Gantlie hat m Hong
KoiVg häufig beobachtet, dass Kranke mit off enen Wundem die mm
Beri-Berikranken im selben Krankensaal lagen, hau g :1
erkrankten, während innerliche Kranke m
verschont blieben. Auch er glaubt, dass die Kianklie t. ent B
(Mikroben, nicht Toxine) durch die Haut Kintritt in den v
linden N i g li t i n g a 1 e, der die Krankheit m Siam studiert hat
-daubt ebenfalls nicht an die Reistheorie. Derselbe Redner lue
dann einen Vortrag über die in Bangkok häufiger vorkommende
Krankheiten. Duncan über die Dysenterie.
Amöben ÄopLbe Dyint, >ne wenden oft
sind aber im Grunde verschieden. In Indien wenigstens hat ^ die
Vmoeba coli nichts mit der Dysenterie zu tun. Die giossen trop
sehen Abszesse der Deber haben nichts mit Dysenterie zu t um
wohl aber die multiplen. Ipecacuanlia hat sich m Indien bewah ,
auch die Bittersalze, weniger der Zimmt. In Af i ika ln t •
Ipecacuanlia nicht bewährt. B u c li a n a n. der ul,e'1' ,llr<'
liütuii0- der Dvsenterie in öffentlichen Anstalten m den liopmi
Ä wendet sich ebenfalls gegen die Amöbentheorie Deber-
abszesse folgen nur selten der bazillären Dysenteue, ei sali mc
Abszesse, obwohl er 1130 Fälle von Dysenterie behandelt und
soweit sie gestorben waren, seziert hat. Rogers fand m 3.
aufeinanderfolgenden Fällen von Leberabszess die Amoeba col
in der Abszessmembran. Sandarit h. Mussei u. a- 1‘1^“
an dem Vorkommen von 2 Formen der Dysenterie fest; die dm ch
\möben erzeugte führt häufig zu Leberabszessen die bazilldie
da -egen nicht Gantlie empfiehlt, in schweren Fällen das Kolon
zu ^öffnen und von einem künstlichen After aus den Darm zu des¬
infizieren. T a y 1 o r sprach dann über erfolgreiche 1UT^ ^ U1'7
der Mosouitos in Westafrika durch Vernichtung llnei Brutteiche.
Duncan empfiehlt, zur Verhütung des Hitzschlags orangen-
^iSTÄbte noch eine von Gantlie eingeleitete
Diskussion über das Gelbfieber, sowie eine Reihe kürzerer
Verträge über Maltafieber, Pest und Malaria.
Sektion für die Marine, Armee und Ambulanz.
Die erste Sitzung wurde ausgefüllt durch eine Diskus sie n
über einen Vortrag von Kirker über die Behandlung der Ver¬
wundeten während eines Seegefechtes. Redner zeigte seinen ver¬
besserten Schlitten, der es ermöglichen soll, auch Sehnen i
wundete leicht über die Treppen im Schiff hinwegzubringen Er
wie die meisten anderen Redner halten die Einrichtung besondeiei
Hospitalschiffe für sehr nützlich, wünschen aber daneben doc li,
dass jedes grosse Schiff einen Operations- und \ erbandraum, so-
wie (iie nötigen Instrumente und Bandagen mitfuhrt. Wählend
in Deutschland, Russland und Japan Massnahmen zur sofortigen
Behandlung Verwundeter an Bord des eigenen Schiffes getroffen
sind, entbehren die englischen Schiffe jeder Ilospitaleiniichtung.
1 ni allgemeinen halten die anwesenden Redner es für unmöglich,
während des Gefechtes den Verwundeten beizustehen, dieselben
sind an Deck zu lassen und in besonders eingerichteten, mit Netzen
-egen Splitterung versehenen Nischen unterzubringen. .
" Am 31. Juli fand unter T u r n b a 1 1 s Einführung eine Dis¬
kussion über die Verhütung des Skorbut statt Redner halt
den Nutzen des Zitronensaftes für unerwiesen, nach seiner Mei¬
nung ist der Skorbut als chronische Ptomainvergittung durch den
Genuss nicht guter Konserven aufzufassen Diese Ansicht wnd
von Duke u. a. lebhaft bekämpft, und ward dem Mangel
frischer organischer Nahrung die Schuld an der Entstehung
des Skorbut zugeschoben. Durch Konservieren mul Sterilisieren
wird sonst tadelloser Nahrung ein Stoff entzogen, der tui das Aei
hüten des Skorbut nötig ist: so erzeugt der Genuss sterilisiertet
Milch bei Säuglingen auch zuweilen Skorbut. , .
H u 1 1 o n u a. sprachen über Krankenpflege im Knege.
Im letzten Feldzuge haben sich die Krankenpfleger, die eigentlich
nur gemeine Soldaten sind und auch zu allen groben Arbeiten ver¬
wendet werden, nur wenig bewährt. Es wird deshalb empfohlen,
zwei Klassen von Krankenwärtern zu haben, die untere fui die
groben Arbeiten (in den Tropen aus Eingeborenen rekrutiert) die
Obere für besonders geschulte Wärter, die einen Lohn von 5— < M.
pro Tag erhalten sollen. ,, , ... ,.
Fs folgte ein Vortrag von Roberts- Manchester ubei d
Behandlung der penetrierenden Bauchschüsse im Felde. Aussei
\,,.i Zeichen zunehmender iutraporitonealer Blutung ist im allge¬
meinen von Laparotomien abzuselieu; ist ein gut eingerichtete»
Hospital mit geschultem Personal etc. zur Steile, so “
&~SrE2?2=2£g£is
nicht engliehe Aerzte nur geringes Interesse.
Abteilung für ärztliche Ethik.
Die «Sitzungen welche unter dem Vorsitze von Woodwik
noch1 wSofS o r sf eSyhzuiA( Lündung ‘ eines politischen Bureaus
Gesetzgebung zu verschaffen. J. i- /l
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
B e r 1 i n, den 16. September 1902.
60 jähriges Doktorjubiläum. — Entwurf der Satzungen
des deutschen Aerztevereinsbundes. — Arzt und Apotheker.
Das seltene Fest des 60 jährigen Doktorjubiläums feierte m
diesen Tagen Dr. Salomon Neumann, einer der ältesten Be
üner Aerzte und zugleich der Senior der Berliner Stadtverordne¬
tenversammlung. Der jüngeren Aerztegeneration, zunml der^
gen ausserhalb Berlins, ist N e u m a n n nur wenig bekannt, und
doch bat er sich Verdienste erworben, die ihm einen dauernden
Platz in der Geschichte der sozialen Medizin sichern, ja man
kann ihn mit Recht als den eigentlichen Schöpfer dieser m den
letzten Jahren so stark aufblühenden \\ issenscha: Et 1 ’
Die grundlegende Arbeit, welche er im Jahre 1887 veröffentlicht
hat den Titel: „Die öffentliche Gesundheitspflege und das Eige
tum. Kritisches und Positives mit Bezug auf die P^msche
"Medizinalverfassungsfrage“ ; und kein Geringerer a sein
genösse Rudolf Vircliow wies damals auf die Bedeute« dieser
Schrift hin, von der er sagt, dass sie ihrem Umfange nach
klein ihrem Inhalte nach aber unendlich viel grosser ist als alles,
was vorher in dieser Richtung geleistet ist, und dass m ihr der
Verfasser mit den scharfen Worten eiserner Konsequenz darge
tan habe, dass die Medizin ihrem Kern und Wesen nach eine
soziale Wissenschaft ist. Was Neu mann bereits vor einen
halben Jahrhundert erkannt und ausgesprochen hat, das ist in
den letzten Jahrzehnten als eine allgemeine Wahrheit anerkann
worden. Wesentliche Verdienste hat sich Neumann um de
Medizinalstatistik erworben; seine Arbeiten auf diesem Gebiete
führten zu einer völligen Neugestaltung der Statistik der Stadt
Berlin, deren eigentlicher Begründer er somit geworden ist beit
mehr als 40 Jahren ist er Mitglied der Berliner Stadtverordneten¬
versammlung und hat als solcher mit dazu beigetrag^ dm
Stadt Berlin in hygienischer Beziehung aut die stolze Hohe z
bringen, auf der sie jetzt unbestritten steht. Der Jubilar nimm
noch heute in voller geistiger Frische und mit der ihm eig
Schärfe des Urteils an allen ihn interessierenden I ragen sei
lebhaften Anteil. Hoffen wir, dass er dem Gemeinwesen und
seinen Berufsgenossen noch recht lange erhalten bleibc-
ln dieser Woche haben nach langer Ferienpause die Sitzung
der Standesvereine wieder begonnen. Unter den Tragen, we c io
für die nächste Zeit zur Beratung gestellt sind, steht der Eu w
der Satzungen des Aerztevereinsbundes an erster Steile '
Angelegenheit stand bekanntlich auf der Tagesordnung des letzten
Aerztetages, ohne dass sie dort zu einem befriedigenden Abschluß
gebracht werden konnte. Dass der Entwurf m der vorgelegten
Form unverkennbare Mängel aufwies, konnte nicht bestritte
werden Ein eigentümlicher Zufall wollte es, dass er von einem
Berliner Arzte als Berichterstatter des Vorstandes vertreten
wurde, und dass der lebhafteste Widerstand von Berliner Dele¬
gierten ausging, und zwar von den Delegierten der grossen Mehr¬
heit der Berliner Aerzte. Die von letzteren mit Rücksicht aut
die prinzipielle Wichtigkeit des Gegenstandes beantragte Ver¬
tagung wurde ahgelehnt und dem Vorstände die definitive a
SUng der Satzungen überlassen, nachdem den \ eremen anheim¬
gegeben war, bis zum 1. November Verbesserungsvorschlage ein¬
zusenden. Das geringe Entgegenkommen, welches die in ^ac i
lieh begründeter Form erhobenen Einwände, die von einer an-
23.
September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
sehnlichen Minorität des Aerztetages gebilligt wurden, bei dem
Vorstande des Aerztevereinsbundes fanden, hat liier vielfach ver¬
stimmt; und es sind Zweifel darüber laut geworden, ob den aus
den V eremsberatungen hervorgehenden Verbesserungsvorschlägen,
noch dazu bei der kurz bemessenen Frist, von seiteil des Vor¬
standes überhaupt ein nennenswertes Gewicht würde beigelegt
werden, so dass die Beratungen eine vergebliche Mühe sein' wür-
den. Aber diese Ansicht ist nicht die herrschende, und der Ent¬
wurf der Satzungen des Aerztevereinsbundes steht auf der Tages¬
ordnung aller Standesvereine. Die Punkte, auf welche dabei das
Hauptaugenmerk gerichtet ist, sind im wesentlichen folgende.
Der Entwurf will zur Erlangung der Rechtsfähigkeit, dass aus
formellen Gründen nicht die einzelnen Vereine, sondern nur die
jeweiligen Delegierten Mitglieder des Bundes sein sollen. Das
widerspricht nun den Traditionen und auch den Tendenzen des
Deutschen Aerztevereinsbundes, denn, wie schon sein Name sagt,
stellt er eine Verbindung der deutschen Aerztevereine, nicht einer
Anzahl physischer Personen dar, die noch dazu von Jahr zu Jahr
wechseln können. Heber die Aufnahme dieser Mitglieder und die
Anerkennung der delegierenden Vereine soll der Vorsitzende des
Bundes, aus eigener Machtvollkommenheit entscheiden; damit
wurde in seine Hände eine Macht gelegt werden, welche unter
Umstanden ebensosehr ihm selbst, wie den Vereinen unbequem
werden könnte. Auch über die Dauer der Mitgliedschaft können
Zweifel entstehen. Den Delegierten wird ein Mandat zur Ver¬
tretung ihres Vereins auf dem Aerztetage übertragen, und es er¬
lischt, mit dem Schluss des Aerztetages; sind sie nicht mehr
Delegierte, so können sie auch nicht mehr Mitglieder des Bundes
sein, der. somit in 360 Tagen des Jahres nur einen Vorstand und
keine Mitglieder hätte. Ob es sinngemäss ist, der Delegierung
eine einjährige Gültigkeit zu geben, ist zum mindesten eine strit¬
tige Frage. Auch einige Aenderungen des Entwurfs gegen die
früheren Satzungen, welche zur Erlangung der Rechtsfähigkeit
nicht notwendig, ihrem Wesen nach aber nicht bedeutungslos
sind, verlangen Beachtung. So ist die Bestimmung, dass dring¬
liche Anträge, wenn sie von den Delegierten von 15 Vereinen
unterstützt werden, zur. Verhandlung und Beschlussfassung ge¬
bracht werden müssen, in dem neuen Entwurf weggelassen. In¬
folgedessen tritt die im Gesetz enthaltene, aber statutarisch zu be¬
seitigende Bestimmung in Kraft, dass ein Beschluss nur dann
gültig ist, wenn der Gegenstand bei der Berufung bezeichnet
wird. Damit wäre also eine Beschlussfassung über dringliche
Anträge unmöglich. In Ermangelung besonderer Bestimmungen
der Satzungen muss eine Mitgliederversammlung berufen werden
wenn der zehnte Teil der Mitglieder es verlangt ; da der Entwurf
keine Bestimmungen darüber enthält, der zehnte Teil aber eine
relativ geringe Zahl darstellt, würde es in Zukunft ein Leichtes
sein, den Torstand zur Berufung mehrerer Aerztetage im Jahre
zu zwingen. In anderen Punkten werden die Kompetenzen des
Aerztetages ohne Not vermindert und die des Geschäftsaus-
schusses vermehrt; dieser hat die Verhandlungsgegenstände zu
bestimmen und ist dabei durch keinerlei statutarische Fest¬
setzungen gebunden, weder wie früher die Prüfung und Genehmi¬
gung der Rechnung auf die Tagesordnung zu setzen, noch den
mit dem Generalsekretär abgeschlossenen Vertrag genehmigen zu
lassen. Diese und andere Einzelheiten des Entwurfs wären wohl
einer Abänderung fähig. Es ist leicht möglich, dass manche von
den erhobenen Einwänden widerlegt werden können oder dass
ihre Bedeutung überschätzt ist ; das bedarf eben einer Aussprache,
und zwar einer gründlicheren, als es binnen weniger Wochen mög¬
lich ist. Die Gefahr, einen nicht genügend durchgearbeiteten
Entwurf anzunehmen, ist jedenfalls viel bedenklicher, als die,
die Lilangung der Rechtsfähigkeit um einige Monate hinausg'e-
sehoben zu sehen. Es soll daher dem Geschäftsausschuss der An¬
trag unterbreitet werden, mit Rücksicht auf die vielfachen Be¬
denken, welchen der vorgelegte Entwurf, betr. die Aenderungen ,
der Satzungen des Aerztevereinsbundes, begegnet, von dem Ge- '
such um Eintragung in das Vereinsregister für dieses Jahr ab¬
zusehen und dem nächsten Aerztetage eine Vorlage zu machen,
welche diesen Bedenken Rechnung trägt.
Der Streit zwischen den Berliner Krankenkassen und den
Apothekenbesitzern ist noch immer nicht beigelegt; es hat im
Gegenteil den Anschein, als ob er in Permanenz erklärt ist, und
nachgerade ist das Interesse, das die Aerzte daran nahmen, mehr
und mehr dem Erlöschen nahe. Nun hat sich ein kleines jour¬
nalistisches Nachspiel daran angeschlossen, welches das Verhält-
1595
ms zwischen Arzt und Apotheker zum Gegenstand hat. Es war
schon früher unliebsam aufgefallen, dass die Rezepte mancher
Kurpfuscher, m richtiger oder auch in mangelhafter Form aus¬
gestellt, unbeanstandet m den Apotheken angefertigt wurden
und zwar immer m ganz bestimmten Apotheken, so dass der Ver¬
dacht einer Vereinbarung des Apothekenbesitzers mit dem Kur-
pfuscher sehr nahe lag. Auch dass alle möglichen Universal¬
mittel m den Apotheken feil gehalten werden, ist ein zwar durch
sein Alter geheiligter, aber darum für staatlich konzessionierte
Einrichtungen doch nicht gerade löblicher Gebrauch. Auf diese
\ orhaltungen erklärten die Apotheker, sie hätten alle Ursache
mit der Haltung der Aerzte bei dem Streit mit den Kranken¬
kassen unzufrieden zu sein ; und wenn sie bei den Aerzten keine
Unterstützung fanden, diese im Gegenteil den Krankenkassen
ein wohlwollendes Entgegenkommen zeigten, so könnte man auch
von ihnen nicht verlangen, dass sie die Aerzte im Kampfe gegen
die Kurpfuscher unterstützten, umsomehr, als ihre geschäftliche
Lage sie zwinge, mit tunlichstem Eifer auf die Verzinsung ihrer
angelegten Kapitalien bedacht zu sein. Die Stichhaltigkeit dieser
Grunde kann bezweifelt werden, ebenso wie die von ärztlicher
Seite ausgesprochene Ansicht, dass ein schlechtes Einvernehmen
zwischen Aerzteschaft und Apothekerschaft im Interesse des An¬
sehens des ärztlichen Standes läge. Man muss vielmehr ver¬
langen, dass jeder Stand dem andern die volle ihm gebührende
Achtung .entgegenbringt. Bei den verschiedenen spitzen Wahr¬
heiten, die man sich hüben und drüben sagte, gelang es dem
Wortführer, der. Apotheker, auch einen Fall ans Tageslicht zu
ziehen, wo m einer kleinen märkischen Stadt ein Arzt an einer
Art Geheimmittelfabrik beteiligt ist und den Vertrieb mit seinem
Namen deckt. Die Sache fand selbstverständlich die schärfste
Verurteilung; aber der Fall gehört doch zu den sehr seltenen
Ausnahmen, und wir würden es uns sehr verbitten, wenn aus ihm
allgemeine Schlüsse gezogen würden. Dasselbe Recht müssen wir
aber, auch den Apothekern zugestehen. Gewiss ist im Apotheker¬
betrieb manches nicht so, wie es sein sollte; grobe Misstände,
besonders solche, welche die öffentliche Gesundheitspflege
schädigen, haben wir das Recht und die Pflicht zu bekämpfen;
aber die unsauberen Elemente aus ihren Reihen fern zu halten,
wollen wir getrost den Apothekern selbst und ihrer Standes¬
vertretung überlassen. ^ j-
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
W i e n, 18. September 1902.
Ber VII. österreichische Aerztekammertag in Czernowitz.
— Ein neues Aerztekammergesetz. — Kassen und Aerzte —
Versicherungsanstalten. — Annoncen.
^ni un<J c^‘ September 1. J. tagte in Czernowitz der
VII. österreichische Aerztekammertag, bei dem fast sämtliche
Aerztekaminern Oesterreichs durch Delegierte vertreten waren.
Nicht weniger als 16 Anträge, worunter sich die auf Aenderung
des Kammergesetzes, Schaffung einer Standesordnung, Regelung
des Rechtsverhältnisses zwischen den Kassenärzten und Kranken¬
kassen, Regelung der Honorarfrage, der Titelfrage etc. befanden,
lagen dem Kammertage zur Beratung und Beschlussfassung vor.
Es ist selbstverständlich, dass diese grosse Tagesordnung vom
Kammei läge nicht vollkommen erledigt wurde. Wir müssen uns
an dieser Stelle auf die Anführung der wichtigsten Beschlüsse
beschränken.
Der erste Punkt betraf die Aenderung des Kammergesetzes,
und zwar nach den Hauptgesichtspunkten: Einführung von
Aerztelisten, in welche derjenige, der die ärztliche Praxis aus¬
üben will, vor Antritt der letzteren seine Eintragung zu erwirken
hat; die Einbeziehung der politischen Amtsärzte in die Kammer¬
pflicht, die Abänderung des Wahlmodus in die Kammer, die Er¬
weiterung der Disziplinargewalt der Kammer, bestehend in der
Befugnis der Praxisentziehung, die Trennung des Ehrenrates vom
^ orstande und die Schaffung eines Ehrengerichtshofes. Alle
diese Abänderungsvorschläge bis auf den Antrag der Bildung
eines Ehrengerichtshofes wurden angenommen. Mit Rücksicht
auf die beschlossene Erweiterung der Disziplinargewalt der Kam¬
mern (Praxisentziehung !) wurde zwar die Notwendigkeit
eines Ehrengerichtshofes oder einer ähnlichen Instanz als Schutz¬
wehr für die von der schärfsten Strafe Betroffenen anerkannt,
1590
MEENCTIENER MEDICINISCHE WOG HENSCHRIF 1 .
tto. 38.
«lie von der Wiener Kammer vorgeschlagene Organisation einer
solchen Institution wurde aber als nicht vollständig unc sonn
höchst reformbedürftig bezeichnet. Die Beratung dieser Frage
sowie die der Schaffung einer „Aerzteor d n u n g , deren Not¬
wendigkeit allseits anerkannt war, wurde nochmals den einzelnen
Kammern zugewiesen.
Die Standesinteressen der Aerzte sind in unseren gesetz¬
gebenden Körperschaften soviel wie gar nicht vertreten. Der
Kammertag bedauerte dies in einer Resolution und sprach die
Hoffnung aus, dass die Aerzteschaft in einer viel regeren *■
speziell an der Wahlbewegung sich beteilige, in der Absicht, sich
in diese Körperschaften wählen zu lassen. Der früher geste.1 e
Antrag, es sei dahin zu streben, dass den Aerztekammern ähn¬
lich wie den Handels- und Gewerbekammern, das Recht ei
geräumt werde, eigene Vertreter für den Reichsrat und die Land¬
tage zu wählen, wurde als aussichtslos und unzeitgemass fallen
gelassen.
Ein weiterer Antrag auf Bildung eines Zentralausschusses
aller Kammern und Behandlung gemeinsamer Angelegenheiten
durch die geschäftsführende Kammer wurde von der Tagesord¬
nung abgesetzt, ebenso der Antrag auf Regelung der Honorar¬
frage, der letzterwähnte Antrag aus dem Grunde, weil derzeit
noch nicht die Honorartarife aller Kammern zur Beratung Vor¬
lagen.
Bezüglich der Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen den
Krankenkassen und Kassenärzten war im Jahre 1901 seitens
eines Kammerkomitees beiden Häusern des Reichsrates ein er¬
schöpfendes, die einschlägigen Wünsche und Forderungen der
Aerzte umfassendes Memorandum überreicht worden. Im Jänner
1 J. kam diese Angelegenheit im Budgetausschusse unseres -
geordnetenliauses zur Sprache und unser Ministerpräsident stellte
damals die baldige Reform des Krankenkassengesetzes m sichere
Aussicht. Auch im Abgeordnetenhause versprach der Minister¬
präsident, in Beantwortung einer an ihn gerichteten Inter¬
pellation, dass er die Wünsche der Aerztekammern vollinhaltlich
berücksichtigen werde, und stellte ihnen abermals das weit¬
gehendste Wohlwollen der Regierung in sichere Aussicht. Eine
weitere Aktion erschien daher dem Aerztekammertage in Czerno-
witz derzeit für untunlich und er sprach sich in einer Resolution
dahin aus, dass er die im besagten Memorandum zur Geltung ge¬
brachten Forderungen der Aerzte auch heute noch mals voll¬
berechtigt anerkenne, und dass er von der k. k. Regierung er¬
warte, dass diese Forderungen entsprechende Berücksichtigung
finden werden.
Die Beschickung der medizinischen und hygienischen Kon¬
gresse durch Delegierte der Aerztekammer wurde als wünschens¬
wert erachtet und der Antrag angenommen, dass den Kongress¬
teilnehmern der Kammern Geldunterstützungen aus Staats¬
mitteln zu teil werden.
Weitere Gegenstände der Tagesordnung, die Beratung einer
gemeinsamen Standesordnung und der Titelfrage, wurden als
derzeit nicht spruchreif vertagt. Im Punkte der gesetzlichen
Regelung der Befugnisse der Zahnärzte und der Zahntechniker
acceptierte der Kammertag den Standpunkt der W iener Aerzte¬
kammern, welchen diese im Namen aller Kammern in einer
längeren, an die Regierung gerichteten Petition erst jüngst em-
o-enommen hatte. Der Kammertag erwartet von der Regierung,
dass sie den daselbst ausgedrückten Forderungen im Interesse
der Beilegung des derzeitigen Missverhältnisses Rechnung tragen
werde. Die erwähnte Petition gipfelt in dem Satze, dass die
Zahn- und Kieferprothese nicht in die Reihe der kosmetischen
Gewerbe gestellt werde, da sie ärztliche Vorbildung und opera¬
tive Eingriffe erfordere; sie könne deshalb nur als Hilfsgewerbe
bestehen. Man dürfe den Zahntechnikern wegen ihrer viel¬
fachen Uebergriffe auf ärztliche Gebiete in Hinkunft keine Ge¬
werbescheine ausstellen.
In der Frage der Regelung des \ erhältnisses zwischen Aei^
sicherungsärzten und -Anstalten wurden vom Kammertage zwei
Beschlüsse gefasst. Sie lauten: 1. Die Aufnahmsuntersuchungen
bei Lebensversicherungen sollen in der Wohnung des Arztes vor¬
genommen werden und sollen die Parere, wenn keine besonderen
Leistungen verlangt werden, ohne Rücksicht auf die Höhe der
Versicherungssumme mit mindestens 10 Kronen honoriert
werden. 2. Sollen zur Abfassung der Aufnahmsparere ein oder
mehrere Besuche bei der Partei verlangt werden, so sind diese
Besuche von der Anstalt zu honorieren. Bezüglich der Volte«
Versicherung wurde jeder einzelnen Kammer die V erembarung
bezüglich der ärztlichen Untersuchung und Honorierung dt
Atteste mit der betreffenden Gesellschaft nach ihrem eigenen
Gutdünken überlassen. In letzterer Hinsicht sei erwähnt, das»
einzelne Kammern ihre Geneigtheit aussprachen, mit Rücksicht
auf die niedrigen Versicherungssummen bei der \ olksversiche-
rung („Allianz“ in Wien) und auf die wirtschaftliche Lage der
Versicherungsbewerber sich mit dem beantragten ärztlichen
Honorare von 1 Krone zu begnügen, während andere Kammern
— und wie wir glauben, mit gutem Rechte — entschieden er¬
klärten, dass die Bezahlung eines Gutachtens mit nur einer
Krone des ärztlichen Standes nicht würdig sei, oder dass bei
Volksversicherungen bis zum Betrage von G00 Kronen, bei denen
eine eingehende Untersuchung des Versicherungsbewerbers nicht
nötig sei, das Parere mit mindestens 1—2 Kronen zu hono¬
In der Bukowina hat sich jüngst wieder der lall ereignet,
dass zwei Aerzte, deren Verurteilung nach dem Ergebnisse der
straf gerichtlichen Untersuchung vorauszusehen war, infolge des
sie entlastenden Fakultätsgutachtens straflos ausgingen. Der
Kammertag fasste diesbezüglich folgenden Beschluss: Es sei an
das Justizministerium mit der Bitte heranzutreten, dass die ge¬
richtliche Untersuchung wegen eines Kunstfehlers erst nae
Einholung eines gerichtsärztlichen Gutachtens eingeleitet um
das Urteil erst dann gefällt werde, wenn über den Fall ein Fakul¬
tätsgutachten eingeholt ist. Dieser Vorgang sei nicht nur für
das Straf-, sondern auch bei Untersuchungen im Zollverfahren
anzuwenden, wobei im letzteren Falle die Aerzte sich bereit er¬
klären, für die Kosten des Vorverfahrens aufzukommen-
Weiters wurde die Ausarbeitung einer Petition um Schaffung
eines Ministeriums für Sanitätsangelegenheiten beschlossen so¬
dann einer zweiten Petition an die Regierung und die beiden
Häuser des Reichsrates, betreffend die Abänderung einiger Para-
graphe des neuen Pressgesetzes. Die Abänderung soll die ärzt¬
liche Annonce „unter Anführung von Krankheiten und unter
rekl amenliaf ter Anpreisung der Tätigkeit“ mit Arrest und Geld¬
strafen bedrohen und das Ankündigen verbotener Medikamente,
das Angebot ärztlicher Behandlung von seite solcher Personen,
welche zur Ausübung der Praxis nicht berechtigt sind, als
Uebertretung ebenfalls mit Geld- und Arreststrafe belegen. Em
wichtiger Antrag, der auf Schaffung eines allen Aerzten zugäng¬
lichen Pensiousinstituts, wurde ebenfalls fallen gelassen, da der
vorliegende Antrag einer Kammer, „bei den Zentralbehörden un
im Reichsrate die Schaffung eines eigenen Pensionsfonds für die
Aerzte anzuregen“, nicht näher begründet war und weitere Vor¬
schläge als nicht diskutabel angesehen wurden. Die I rage der
obligatorischen Alters- und Invaliditätsversicherung der Aerzte
ist aber, unserer Ansicht nach, eine so wichtige und folgen¬
schwere, dass deren Diskussion immer wieder wird aufgenommen
werden müssen, bis sie der gedeihlichen Lösung zugefuhrt
worden ist. . ,
So hätten wir denn im Vorstehenden eine ganze Reihe wich¬
tiger Desiderata angeführt, welche im sozialärztlichen Leben der
österreichischen Aerzte seit Jahren in Diskussion stehen und
deren endliche Befriedigung, zumeist seitens der machthabenden
Faktoren, sie innig herbeisehnen. Es sei uns zum Schlüsse ge¬
stattet, aus einem jüngst in der „Wiener medizinischen Wochen¬
schrift“ unter dem Titel: „Kammer und Kassen“ erschienenen
Aufsätze die nachfolgenden zwei Sätze zu zitieren : „Der Zug der
Zeit hat das Publikum daran gewöhnt, die Aerzteschaft als eine
öffentliche Institution“ anzusehen, aber nicht etwa
in dem Sinne, dass ihr die ihr gebührende Stellung eingeräumt
werde, sondern in dem, dass der einzelne Arzt dem „ö f f e n t
liehen Interesse“ ohne weiteres dienstbar gemacht
wird . . . Wie weit wird es mit der Not des ärztlichen Standes
noch kommen müssen, bis Regierung und Parlament zur Er¬
kenntnis gelangen werden, dass die Reform dieser Gesetze
(Krankenkassen- und Hilfskassengesetze) eine Staatsnotwendig¬
keit ist, um die „öffentliche Institution“ der Aerzteschaft vor
dem Ruine zu bewahren!“
23. September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1597
Londoner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Londoner Krankenhäuser und medizinische Schulen —
German Hospital.
Die Londoner Krankenhäuser machen an sich selbst den
besten Eindruck; der Besucher ist entzückt über die schönen
Bauten, die luftigen Räume und hauptsächlich über die peinliche
Reinlichkeit, die Überall herrscht. Dazu trägt besonders die
Strenge der Verwaltung und die Tüchtigkeit des gut geschulten
Personals bei. Was ich aber an den Krankenhäusern auszusetzen
fand, ist das Fehlen des Grünen in deren nächster Umgebung.
Das Klima, die Luft Londons war natürlich nicht zu ändern, aber
da die Engländer so grosse Naturfreunde sind, hätte ich gedacht,
dass sie dieser Passion auch dort Rechnung tragen würden, wo
es so wichtig und nützlich ist, bei den Krankenhäusern. Der
Mangel an Bäumen in London fiel mir nach dem Besuch Paris’
natüilich doppelt auf. Und doch hat London so viele breite, ge¬
rade, von niederen Häusern eingefasste Strassen, durch deren Be¬
pflanzung man die herrlichsten Boulevards schaffen könnte.
Allerdings hat man diesem Fehler bei den Krankenhäusern in¬
direkt dadurch abgeholfen, dass fast jedes Krankenhaus ein Re¬
konvaleszentenheim weit ausserhalb der Stadt, meist am Meere
selbst, besitzt, wo sich die Genesenden rasch erholen können.
Nur das deutsche Krankenhaus, pardon, G erma n Hospital
(die Prospekte sind nur in englischer Sprache gedruckt), macht
in Bezug auf den Mangel an Grünem eine löbliche Ausnahme,
doch davon später, Auch das St. Thomas’ Hospital ver¬
dient scheinbar diesen Vorwurf nicht, aber wenn auch seine
sieben, durch Arkaden Verbundenen Paläste, seine Lage am Fluss¬
ufer, dem Parlament vis-ä-Vis, und die gewaltige, über einen hal¬
ben Kilometer lange Front jedem imponieren muss, der über die
Westminsterbrücke auf das Krankenhaus zuschreitet, so muss
sich der Fachmann bei längerer Ueberlegung doch sagen, dass
gerade diese scheinbar so schöne Lage ein Nachteil ist, da die
Nähe des Flusses mit seinen Nebeln und der Feuchtigkeit ge¬
wiss nicht als Heilfaktor zu betrachten ist.
Die merkwürdigste Einrichtung der Londoner Kranken¬
häuser ist jedenfalls die, dass jedes grössere Hospital auch eine
medizinische Schule besitzt, so dass auf diese Weise
jedes der grossen Krankenhäuser mit der betreffenden Schule
eine vollständige medizinische Fakultät bildet, in welcher der
Student alle zu seiner Ausbildung als Arzt nötigen Zweige ver¬
treten findet. Von diesen medizinischen Schulen gibt es in Lon¬
don mehr als ein halb Dutzend, und zwischen den einzelnen be¬
steht ein sehr lobenswerter und dem Ganzen nützlicher Wetteifer,
sich gegenseitig den Rang abzulaufen. Jede Schule bemüht sich,
die besten Professoren, die schönsten Lokale und das reich¬
haltigste Museum zu haben und ‘damit die grösste Zahl von Stu¬
denten an sich zu bringen. Was meine besondere Aufmerksam¬
keit und Bewunderung erregte, waren die verschiedenen Museen,
die jede Schule besitzt. Sie scheinen auch der besondere Stolz
der Schulen zu sein, denn ich wurde bei jedem meiner Besuche
sofort gefragt, ob ich nicht das Museum sehen wolle. Ich lernte
darin eine sehr praktische, nachahmenswerte Einrichtung
kennen. In luftigen, hellen Räumen sind die verschiedenen Prä¬
parate in praktischer Anordnung aufgestellt, und die Studenten
haben ohne weiteres Zutritt und dürfen die Präparate von ihren
Plätzen nehmen und studieren. Zahlreiche Kataloge liegen zur
Erleichterung der Studien in jedem Museum auf. Die Studenten
haben keine andere V erpflichtung, als die, jedes Präparat wieder
ordentlich an seinen Platz zu stellen, eine Vorschrift, der sie, so
viel ich gesehen habe, mit englischer Pünktlichkeit nachkommen.
Jedes. Museum besteht aus verschiedenen Abteilungen und teilt
sich in ein botanisches, zoologisches, anatomisches und patho¬
logisches Museum; ausserdem gibt es .noch Materia-medica-
Abteilungen, sowie Zimmer mit mikroskopischen Präparaten,
Diagrammen etc. In den pathologischen Abteilungen der ver¬
schiedenen Museen fand ich sehr interessante, auch historische
Präparate, soz.B. im St. Thomas’ Hospital von Cooper
nnd South über Frakturen, Hernia, Testes etc.
Jede medizinische Schule hat auch ihre eigene Bibliothek,
mit zahlreichen (aber fast nur englischen) Büchern und Zeit¬
schriften. Auch hier ist die Benützung mit dem denkbar ge¬
ringsten Aufwand von Vorschriften geregelt; es gibt nur fünf
Artikel, deren wichtigster das Verbot ist, Bücher aus den Biblio¬
theksräumen zu entfernen, und die Mahnung, sich ruhig zu ver¬
halten und keine Konversation zu pflegen.
Ein anderes ( harakteristikum der medizinischen Schulen
sind die Unterhaltungs- bezw. Restaurationsräume. Es ist dies
eine besondere Abteilung, die unter Kontrolle der Krankenhaus¬
verwaltung steht und wo den Studenten zu verhältnismässig
niedrigen Preisen Speise und Trank geboten wird und sie sich in
anstossenden Rauch- und Konversationszimmern unterhalten
können. Das englische „time is money“ kommt eben auch hier
zui Geltung ; der Student braucht keine Zeit zu verlieren, wenn
er, nachdem er seinen Geist bereichert hat, auch für seinen
Körper sorgen will. Ist es bei dieser Einteilung im sportlieben¬
den England zu verwundern, dass jede Schule auch ihren eigenen
Sportplatz, den „Club G round“ in möglichster Nähe der Schule
oder doch mit günstiger Bahnverbindung besitzt ? Ueber den
hygienischen Wert der berühmten englischen Spiele wird
niemand streiten wollen, aber auch Engländer selbst geben zu,
dass es bei den verschiedenen Foot-Ball und Cricket Matches,
besonders bei den berühmten Cambridge und Oxford Matches
oft zu erreg! und roh zug’eht. J edes J ahr sind nicht wenige Opfer
dieser übertriebenen Sportswut zu zählen, aber die Studenten
zeigen gern, dass sie die Fusstritte und den Anprall der harten
Kugeln sehr gut ertragen können.
Wenn der äussere Anschein nicht trügt, muss man übrigens
zugeben, dass die englischen Studenten tüchtig sind und die medi¬
zinischen Schulen gute Resultate erzielen. In der Schule leben
die Studenten wie in einem Institut (in einigen derselben können
sie auch gleich wohnen), sie stehen unter direkter Aufsicht der
Professoren, Assistenten und des Warden, d. h. des Direktors
des College oder der Schule, und müssen auf solche Weise regel¬
mässig lernen und die Prüfungen rechtzeitig bestehen. Nach 10
im Medical College verbrachten Semestern erwirbt sich der Stu¬
dent einen oder mehrere der verschiedenen Titel (M. B. = Bache¬
lor of Medicine, B. S. = Bachelor of Surgery, M. D. = Doctor
of Medicine, M. S. = Master of Surgery, L. R. C. P. = Licentiate
of the Royal College of Physicians, und wie die Buchstaben auf
den 1 isitenkarten der englischen Herren Kollegen alle heissen
mögen, über die sich der Ausländer den Kopf zerbrechen muss!),
welche die Universität, das Royal College of Physicians und jenes
of Su rgeons zu verleihen berechtigt sind.
Die Universität Londons war bekanntlich bis zum vorigen
Jahre eine ausschliessliche Prüfüngsbehörde, da der Unterricht
als Privatsache betrachtet wurde, und nur einer sehr lebhaften
Agitation gelang es, ihre Umwandlung zu erreichen, so dass sie
jetzt neben der Prüfungs- auch die Lehrtätigkeit ausübt.
Ausser den echt englischen Hospitälern interessierten mich
natürlich auch das deutsche, französische und italienische Kran¬
kenhaus, doch will ich hier nur über das erstere berichten. Das
German Hospital verdankt seine Entstehung dem Gedanken,
den in London weilenden kranken Deutschen Hilfe zu bringen
und ihnen die Entfernung vom Vaterland weniger fühlbar wer¬
den zu lassen. Wie deprimierend es auf den Kranken wirkt,
im fremden Lande zu sein und die teure Muttersprache nicht um
sich zu hören, habe ich leider an mir selbst erprobt; kommt dazu
noch Armut, so ist das Unglück gross genug, um jedes Mitleid
und Hilfe zu verdienen. Doppelt wohltuend ist diese Hilfe
natürlich, wenn sie von Landsleuten ausgeht, wenn Landsleute
sich des Aermsten annehmen. Die Idee, ein deutsches Kranken¬
haus zu errichten, war daher ebenso menschenfreundlich, als rich¬
tig, ünd das Institut selbst verdient alles Lob. Aus kleinen An¬
fängen hat sich das Institut, dank seiner tüchtigen und strengen
Verwaltung, emporgearbeitet, ein lebendiges Zeugnis deutscher
Ausdauer. Im Jahre 1843 bildete sich ein aus wenigen Deutschen
bestehendes Komitee, dem es gelang, die Protektion und finan¬
zielle Unterstützung des Königs von Preussen zu erringen, ein
bescheidenes Haus im Ostende von London zu erwerben und
gleich die ersten Patienten aufzunehmen. Die Lage war vorzüg¬
lich gewählt, sowohl in hygienischer Beziehung, als der Billigkeit
und der Menge deutscher Arbeiter wegen, die jenes Viertel be¬
wohnen. Durch namhafte Unterstützungen, die dem Hospital so¬
wohl von Deutschland, als auch von in London lebenden
Deutschen und den' Engländern selbst zugingen (der deutsche
Kaiser gibt z. B. 200 Pfd. St. == 4000 M. jährlich), wurde es
dann ermöglicht, ein neues Haus zu bauen und das alte nieder-
zureissen. Ausserdem entstanden nach und nach 3 Dispensaries
1598
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
(Ambulantenpoliklinik), die eine im Ostende, die andere im Mess¬
ende von London und die dritte beim neuen Krankenhaus selbst.
Dann wurde ein Rekonvaleszentenheim und eine Abteilung für
bezahlende Kranke errichtet, kurz das deutsche Hospital ent¬
wickelte sich zu einem Institut, auf das die Deutschen mit Recht
stolz sein können. Das Hospital verfügt zur Zeit über 130 Betten,
besitzt eigene Apotheke und gewährte im Jahre 1901 1846 Kran¬
ken Aufnahme und behandelte 25 811 Outpatients (Ambulante) ,
gewiss eine sehr hervorragende Leistung.
Leider schloss das vergangene Jahr, infolge ausserordent¬
licher Ausgaben, mit einem Defizit von 2000 Efd. St. ab. Die
Verwaltung spricht daher in ihrem Annual Report die Hoffnung
und die Bitte aus, die Gaben aus dem Mutterland wieder etwas
reichlicher fiiessen zu lassen, damit diese Schulden gedeckt wer¬
den können und das deutsche Hospital sich des grossen R< iclu >
würdig entwickeln und stets in der Lage sein möge, allen leiden¬
den Landsleuten beizustehen. Das ist auch mein aufrichtiger
Wunsch und lege ich allen deutschen Herren Kollegen, sowie
überhaupt allen Deutschen ans Herz, eine solch vorzügliche Ein¬
richtung nach Möglichkeit zu unterstützen. . .
Dr. Giovanni G a 1 1 i.
Verschiedenes.
Versicherungskasse für die Aerzte Deutschlands.
Der diesjährige Jahresbericht der Versicherungskasse für die
Verzte Deutschlands (früher Zentralhilfskasse) bringt ausser einer
Piste der jeweiligen 633 Mitglieder in einer Tafel eine anschauliche
Darstellung der bisherigen Entwicklung der Kasse und berichtet
über den Stand der Arbeit am 31. Dezember 1901 mit folgenden
Ziffern!
Die Zahl der Mitglieder ist bei einem Gesamtneueintritt von
08 und bei einem Abgang von 16 (10 Sterbefälle, 6 Aufgaben der
Versicherung) von 581 auf 633, also um 52 gestiegen, em Zugang,
der nur einmal im Geschäftsjahr 1898/99 übertroffen wurde
Die einzelnen Versicherungszweige waren wie folgt beteiligt.
Die Sterbekasse mit 10, die Krankenkasse mit 54, die In¬
validenkasse mit 26, die Alterskasse mit 12, die Witwenkasse
mit 17.
Die verschiedenen Kassen setzten sich demgemäss am 31. De¬
zember 1901 zusammen: _ n ...
die Sterbekasse aus 29 Einzelmitgliedern und 2 Vereinen (mit
zusammen 151 Einzelversicherungen) im Gesamtbeträge von
M. 90 000 Sterbegeld, „ . . .
die Krankenkasse aus 473 Mitgliedern mit 531 Emzelversicke-
rungen im Gesamtbeträge von M. 3429.40 täglichem Krankengeld
auf höchstens 26 Wochen und M. 172 470 Sterbegeld, _
die Invalidenkasse aus 470 Mitgliedern mit 489 Einzelversiche-
rungen im Gesamtbeträge von M. 515 365.35 jährlicher Invaliden¬
rente bis zum Tode, ,
die Alterskasse E aus 79 Mitgliedern mit 82 Einzelversiclie-
mi n gen im Gesamtbeträge von M. 95 503.35 jährlicher Altersrente
bis zum Tode, . „ . . .
die Altersklasse F aus 8 Mitgliedern mit 9 Einzelversiche-
rungen im Gesamtbeträge von INI. 5550.65 jährlicher Altersrente
bis zum Tode und M. 5550.65 Sterbegeld,
die Witwenkasse aus 63 Mitgliedern mit 63 Emzelvei Siche¬
rungen im Gesamtbeträge von M. 34 290 jährlicher Witwenrente
bis zum Tode der Witwe.
Die Gesamtprämieneinnahme im Jahre 1901 betrug
M. 114 334.79 gegen M. 98 822.75 im Vorjahre; das als Deckungs-
mittel am 31. Dezember 1901 dienende Kassenvermögen
M. 666 303.30 gegen M. 580 477.81 am 31. Dezember 1900, der Zins¬
ertrag des gesamten Vermögens einschliesslich des Hauses
Oranienburgerstrasse 42/43 (von M. 5149.47) M. 27 670.94 gegen
M. 21 880.44 im Jahre 1900.
Die Krankengeldzahlungen betrugen im Jahre 1901 bei 79 Er¬
krankten mit 2876 Krankentagen INI. 22 291.60 gegen M. 19 188 bei
03 Kranken mit 2731 Krankentagen im Vorjahre; die Invaliden¬
renten bei 26 Invaliden im Jahre 1901 M. 20 965.12 gegen
M. 20 226.50 bei 22 Invaliden im Jahre 1900. — Tn der Kranken¬
kasse traten 5 Todesfälle ein, für welche zusammen M. 1350
Sterbegeld ausgezahlt wurden. .
In der Sterbekasse, Witwen- und Altersversorgungskasse sind
Ansprüche nicht fällig geworden. ......
Die Verwaltungskosten sind auch in diesem Jahre erheblich
zurückgegangen und betrugen nur noch 4 Proz. der Gesamtein¬
nahmen gegen 6 Proz. im Vorjahre.
Wie aus der diesjährigen technischen Durchsicht des Sach¬
verständigen zu ersehen, ist der Stand aller Abteilungen ein durch¬
aus befriedigender, und dies gilt insbesondere auch von der Kran¬
kenkasse, da sich herausgestellt hat, dass eine die Mitgliederrechte
in keiner Weise beeinflussende und lediglich versicherungsteeh-
nische Abänderung das nur scheinbar ungünstige Ergebnis zu
einem ITebcrschusR um wandelt lind für diese Abänderung die Zu-
Stimmung der Aufsichtsbehörde zu erwarten steht.
Von weiteren wichtigen Mitteilungen des Berichtes ist zu er¬
wähnen- der bekannte Beschluss des Hildesheimer Aerztetages,
die unentgeltliche Beilage der Drucksachen der Kasse seitens der
Aerztekammer für die Rheinprovinz und die Hohenzollernsclien
Lande und die auch in diesem Jahre wieder erfolgte Zuwendung
von M. 1000 seitens des Herausgeberkollegiums der Munch, meü.
Wochenschr.
Die Impfungen gegen Tollwut im Institut Pasteur zu Paris.
Nach dem Berichte von V i a 1 a (Annales de l'institut .Pasteur.
Juni 1902) wurden in dieser Anstalt im Jahre 1901 1321 Personen
behandelt; 8 davon starben, bei dreien brach jedoch die lollwut
vor dem Ende der Behandlung aus, so dass sich unter Abzug dei-
selben eine Mortalität von 5 = 0,38 Proz. ergab, was dem Durch¬
schnitt der letzten 12 Jahre entspricht. Die Kranken werden
wieder in 3 Kategorien eingeteilt: a) Die Tollwut des heissenden
Tieres wurde experimentell festgestellt durch Ausbruch der Krank¬
heit bei den von ihm gebissenen oder mit seinem Rückenmark ge¬
impften Tieren; es waren dies 171 Personen mit 0 Mortalltat.
b) Die Tollwut des heissenden Tieres wurde durch tierärztliche
Untersuchung festgestellt: 785 Personen mit 4 Todesfällen
= 0 51 Proz. Mortalität, und c) das heissende Tier war nur wutver¬
dächtig- 362 Personen mit 1 Todesfall = 0.27 Proz. Mortalität.
Von den Bissen betrafen 123 den Kopf, 800 die Hände 395 die
übrigen Extremitäten. Der Nationalität nach waren 1309 Personen
Franzosen und nur 9 Ausländer. Die geringere Frequenz in diesem
Jahre erklärt sich damit, dass nun 5 weitere Anstalten in h rank¬
reich (Lille, Marseille, Montpellier, Lyon und Bordeaux) bestehen.
Es folgt noch eine tabellarische Verteilung der Falle nach den ein¬
zelnen Departements und kurze Beschreibung jener Falle, bei
welchen der Tod im Verlaufe der Behandlung, und jene, bei
welchen er nach derselben eintrat. k
Ein von der Firma Meye r li o f & C o. in Kassel uns zu¬
gehender neuer Tasche n a p p a r a t. z u r Urin u n t e r -
such u n g verdient wegen seiner ausserordentlich kompendiosen
und zweckmässigen Zusammenstellung bestens empfohlen zu wer¬
den Der Apparat stellt ein vorzüglich gearbeitetes, elegantes
Nickelkästchen dar, 8:15 cm gross, also bequem m jeder Tasche
unterzubringen, das alle zu einer gewöhnlichen Harnuntersuchung
nötigen Utensilien enthält. Wir finden mehrere Reageusglasei,
ein E s b a c h sches Albuminimeter, ein Urometer, 4 Fläschchen
mit eingeschliffenem Stöpsel für die Reagentien eine Spintus-
flamme mit Hartspiritus und einen Reagensglashalter. Am Deckel
des Kastens befinden sich Zwingen, die es ermöglichen, die ge¬
füllten Reagensgläser aus der Hand zu stellen. Etwas Reagens¬
papier kann leicht noch im Deckel untergebracht werden. Mit
Hilfe des Apparates ist der Arzt im Stande, jederzeit am Kranken-
bett eine sofortige Harnuntersuchung auszuführen.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 133. Blatt der Galerie bei: Karl
Gerhardt, Nekrolog siehe S. 1581. _ _
Therapeutische Notizen.
Ueber das Arrhenal finden sich in der Presse medicale,
No. 69, 1902, zwei völlig verschiedene Berichte. C o c h e z. Pro¬
fessor an der medizinischen Schule in Algier, kommt auf Grund
seiner Erfahrungen, aus welchen er 5 Fälle, mit Temperatur-
kurven u. s. w., genauer beschreibt, zu dem Schlüsse, dass das
Mittel nicht im stände war, in einem Falle einen Malariaanfall
zu unterdrücken, dass es keineswegs das Chinin zu ersetzen ver¬
mag, welches noch immer das beste Mittel gegen die Malai-ia sei.
F o ntoyno n t, Professor an der medizinischen Schule zu
Tananarivo, hingegen hatte besonders bei schwangeren Flauen,
welche mit Malaria behaftet waren, vorzügliche Resultate mit
dem Arrhenal. Unter Anführung von 4 behandelten Fällen kommt
er zu folgenden Schlüssen: Das Arrhenal wirkt insoferne ver¬
schieden wie das Chinin, als seine Wirkung eine weniger rasche ist
Trotzdem ist dieselbe immerhin eine noch sicherere. Das Arrhenal
hat einen ganz speziellen Einfluss auf den Magendarmkanal, indem
es den Patienten rasch den Appetit wieder zurückgibt. Das
Arrhenal ist vor allem das Medikament bei den chronischen
Formen der Malaria oder jenen Fällen, welche gegen Chinin
resistent sind, während hingegen bei perniziösen Anfällen, wo
es wichtig ist, rasch vorzugehen, das Chinin in all seine Rechte
eintritt. Bei schwangeren Frauen ist das beste Mittel gegen
Malaria das Arrhenal, denn mit diesem ist es möglich, Abortus
oder vorzeitige Geburt, welche immer bei den Chininsalzen zu
befürchten sind, zu vermeiden. Schliesslich scheint das Arrhenal
das Präventivmittel für die den Malariaanfällen ausgesetzten
Individuen zu sein, da es eine Art regulierende Wirkung auf den
Verdauungskanal und dessen Adnexe ausübt.
Die Behandlung der Tuberkulose mit kakodyl-
saure m G u a j akol empfiehlt Menusier (Revue medicale,
3. Sept. 1902) aiifs wärmste und zwar für jene Kategorie von
Fällen, wo hereditäre Belastung meist vorhanden, in früherer
Zeit. Ausfluss aus Ohren und Augen, wiederholte Bronchitis, Pleu¬
ritis bestanden, ausser den gewöhnlichen physikalischen Zeichen
der Lungentuberkulose eine ständig zunehmende Abmagerung und
Appetitverlust sich zeigen. (Die zweite Kategorie der Fälle von
23. September 1902.
MtTENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
LimgeutuherJinJöse, welche sich für das kakodylsaure Guaiakol
Jed°i'11 Un,1 Svr b<:sser für das pbosphorsaure Kreosot eignen
sollen, sind nach M. jene, wo keine hereditäre Belastung keine
Abmagerung vorhanden, der Appetit vielmehr meist ein’ gute?
aber eine gewisse nervöse Depression vorhanden ist.) Das kakodvl-
sanre Guyakol wird m der Dosis von 3 ccm alle 4 Tage injiziert-
die Resultate waren überraschende, wie die angeführten 4 Fälle
beweisen, welche z war keine vollständige Heilung, aber bedeutende
Besseiung erfahren haben. Da das kakodylsaure Guajakol en
ziemlich unbeständiges Präparat ist, so liess sich M C d
bekannten Pariser Chemiker Vigi e r ein unveränderliches Pr?
paiat hersteilen, welches, mit dem Namen Guajakakodyl 0,05 kako-
dylsaures Guajakol pro 1 ccm enthält.
Behandlung der Addisonschen Krankheit
m 1 1 d e n I n j e k t i o n e n von Nebennierenkapseln
■>- Tnif iSoC-i 61’ oa5-nr SoCi6t6 de Therapeutique (Sitzung
lom 2o Juli 1002) über 2 Falle vollständiger Heilung mit dieser
Behandlungsart. Um das Nebennierenextrakt zu gewinnen werden
(nach d’Arsonval) 10 g der Kapseln von jungen Kälblrn in
Stückchen zerteilt und dann 24 Stunden lang in derselben Menge
Glyzerin mazeriert; man fügt 5 g gekochten Salzwassers (2,5prof)
hinzu und sterilisiert nach Filtrierung durch Papier mit Kohlen-
saure unter Druck. Jeden Tag injiziert man 1-2 ccm der mit
gleichen Teilen gekochten Wassers versetzten Mischung. Gleich¬
zeitig mit der Abnahme der Hautsymptome (Verfärbung der Haut
allgemeiner Schwache, Verminderung der Diarrhöen), welche
aussei ordentlich rasch bei beiden Patienten erfolgte, gingen auch
1 1 m-deC CirSif y.01'handeneü Lungenerscheinungen (tuberkulöse
Heule) zuruck die sogar bei dem einen Patienten völlig ver¬
sehe anclen, und nahm das Körpergewicht in progressiver Weise
zu Mehrere nur mit Tuberkulose behaftete, Patienten, welche
mit dem Extrakte der Nebennierenkapseln behandelt wurden
fanden ebenfalls überraschend schnelle Besserung, was H jedoch
nur vorläufig konstatieren will. ' J g°
Das B a d ist bekanntlich in neuerer Zeit als eine Infek-
W in t eVnVtV* r r m r d i e] K *' e 1 s s e 11 d e n hingestellt worden.
H in tei ni tz- Tübingen kommt auf Grund von zahlreichen Ver¬
suchen zu dem Schluss, dass unter Beobachtung bestimmter Vor-
sichtsmassiegeb1 das Bad als Infektionsquelle nicht zu fürchten
l aLerap .Mon -Hefte 1902, 9). Er rät, nur solche Wannen zu
benutzen die gut gereinigt und desinfiziert werden können da
beim Baden sehr viel Keime vom Körper ins Badewasser gelangen
Ferner darf ein Bad nur einmal, auch für dieselbe KreisSe!
benutzt weiden. Nach jedem Bade sollen, besonders vor der
inneren Untersuchung, die äusseren Genitalien desinfiziert werden
Das Eindringen des Badewassers in die Scheide konnte nicht
nachgewiesen werden. Kr
1599
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 23. September 1902.
— In der vergangenen "Woche haben in München nicht weniger
als o grossere wissenschaftliche Versammlungen stattgefunden:
?.ie Hauptversammlung des neu begründeten Deutschen
Medizinal beamten Vereins, der Deutsche Bahn¬
arzt e t a g und die 27. Versammlung des Deutschen
\ e reins für offen fliehe „Gesundheitspflege Alle
®iues hervorragend erfolgreichen Verlaufes rühmen.
I ei Bahnarztetag zählte über 000 Teilnehmer und die Versamm-
iung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege erreichte mit
ebenfalls über 000 Teilnehmern ihre höchste bisherige Frequenz-
auch die Versammlung der Medizinalbeamten war gut besucht’
Besonders glänzend verlief die Versammlung der Hygieniker
wek-he die Staät München selbst bei sich zu Gast geladen hatte.’
p® ; Ja em hoher Vorzug des Deutschen Vereins für öffentliche
^andtotapfle*, ?nd eln erfreulicher Beweis für das zunehmende
Verständnis und Interesse für die Anforderungen der Hv°'iene
Uicht "Ur Aerzte und Berufshygieniker, sondern
in wachsendem Masse auch Ingenieure, Techniker und ganz be-
soMers auch Vertreter der Städte angehören. Die Stadt München
\ei‘T seit langem durch ihr überhaupt vertreten,
im ei Pflichten als Gastgeber hat sich nun unsere Stadt in so
Smer uad wahrhaft liberaler Weise entledigt, dass auch wir
Münchener Aerzte, die ja an dem Gelingen der Versammlung eben¬
falls ein grosses Interesse hatten, dafür nicht genug danken können
Aicnt nur hat sie alle ihre mustergültigen sanitären Einrichtungen
dem Besuche der Mitglieder geöffnet, sondern sie hat dieselben
auch in eingehender und reich illustrierter Beschreibung als präcli-
< istschrift der Versammlung gewidmet. Die festlichen Ver-
^taltungen wie der Begrüssungsabend im Hofbräuhaus, das
Festmahl und das von der Stadt gegebene Fest im Künstlerhaus,
oten nicht nur materielle Genüsse, sondern es vereinigten sich
Funst und Humor, denen, wie nicht verschwiegen werden soll
eine gewisse bierfröhliche Gemütlichkeit zu Hilfe kam zur Er-
zeugung einer festlichen Stimmung, der auch der trockenste Phi-
hna + SlCh n\cht eutziehen konnte. Die Krone der Darbietungen
oilüete eine durch die Munifizenz unseres Prinzregenten gewährte
ausgezeichnete Aufführung des Tannhäuser im Prinzregent-
rneater. Um endlich den Gästen noch einen Einblick in die
ftcüonheit der oberbayerischen Gebirgsnatur zu geben, wurde am
(,®e“ Jage noch ein Ausflug nach dem städtischen Quellengebiet,
uem laubenberg, gemacht und damit der Besuch der Wasserver¬
sorgungswerke verbunden. Auch schönes Wetter begünstigte die
Versammlung, aut deren Verlauf unser 1. Bürgermeister Herr
Geheimrut v Bor seht, der die Seele der Veranstaltungen war
mit Recht stolz sein darf. Es versteht sich, dass bei den ver¬
schiedensten Gelegenheiten des grossen Münchener Meisters der
Hygiene, P e 1 1 enkofe r s, gedacht wurde. Er würde wenn er
sie hatte erleben dürfen, an dieser Heerschau der Hygiene in
München seine Freude gehabt haben. yg
~ An den Fortschritten, welche die Mässigkeits-
. |v e g u n g i n D e u t s c h 1 a n d zu verzeichnen hat, hat die
Aufklärung über die gesundheitsschädliche Wirkung des Alkohol¬
missbrauchs, welche von den Aerzten ausgeht einen sehr
wesentlichen Anteil. Wohl die überwiegende Mehrheit de? deut
sehen Aerzte ist von der Schädlichkeit des Alkoholmissbrauchs
uberzeugt und wirkt, wenn auch nicht selbst abstinent, doch dem
ubermassigen Alkoholgenuss und dem, was diesen am meisten
fordert, den herrschenden Trinksitten, nach Möglichkeit entgegen.
Miie Ausnahme macht Herr Dr. Kurt Wagner, prakt. Arzt in
Sillzungen der auf einige gegen das übermässige Trinken ge¬
lichtete Warnungsrufe, die erfreulicherweise in den „Akademischen
Monatsheften“, dem Organ der deutschen Korpsstudenten er¬
schienen waren, mit folgenden seltsamen Bemerkungen antwortet-
„Als Arzt will ich gerne alles unterschreiben, was in den
beiden Abhandlungen über das übermässige Trinken gesagt ist
Dagegen halte ich mich als alter Korpsstudent _ Ü W1.‘
pflichtet, das Wort zu der Sache zu ergreifen. - Die Korpshäuser
wirken ausserordentlich segensreich. - Getrunken wird
wenig (für meine persönlichen Ansprüche z u wenig, wie ich
denn überhaupt als alter Herr oft die ganze Strenge des Bier¬
komments anwenden musste, um die aktiven Korpsbrüder zu
einem leidlich bierehrlichen Trinken zu animieren) _ _ _ _ _ Das
Unschöne einer sinnlosen Bezechtheit erkenne ich an Aber eben
darum muss der Korpsstudent trinken lernen. Vielleicht kommt
t ei ein st eine Zeit, in der das Trinken seine Rolle ausgespielt hat
Doch ist, wie ich hoffe, diese Zeit noch fern. Die alten Deutschen
schwangen schon den Humpen und die gegenwärtige Generation
schwingt ihn noch Eine Geselligkeit ohne Alkohol ist heute nicht
denkbar. Dies gilt nicht allein für studentische Kreise Der
Korpsstudent ist namentlich im späteren Leben darauf angewiesen
in den verschiedensten Kreisen zu verkehren. Von ihm wird ver¬
langt dass er immer und überall ein tadelloses Benehmen an den
lag legt. Er muss also auch mit Anstand trinken können Das
erfordert eine gewisse Vorschule, die ihm die Aktivität bietet
Besonders häufig wird der Korpsstudent in Offizierskreisen in die
Lage kommen zu beweisen, dass er auch beim Trünke seinen
xVlann stellt. Ich kann wohl sagen, dass in Gesellschaft von Offi¬
zieren meine Trunkfestigkeit härtere Proben zu bestehen hatte
als unter Korpsstudenten. Dabei habe ich nie vernommen, dass
unsere Innkgebrauche einer abfälligen Kritik unterzogen worden
waren. V\ ohl aber hatte ich Gelegenheit, festzustellen, welchen
• besitzt, das Trinken gründlich erlernt zu haben Wenn
im Offizierskorps allgemein der Ausbildung im Trinken der gleiche
M ert beigemessen wurde wie im Korps, dann würden manche un¬
liebsame V orgänge, manche tragische Ereignisse der letzten Zeit
(man denke nur an Mörc-hingen und Insterburg) nie die Gemüter
erregt haben. Dass unter Korpsstudenten ähnliche Dinge sich
zugetragen hätten, steht nirgends verzeichnet.“
Dass der Student, um sich nicht sinnlos zu betrinken, was
selbst Herr Dr. W a g n e r „unschön“ findet, lieber sich auf Kosteu
semei Gesundheit die nötige Giftfertigkeit aneignen und durch
fortgesetztes Trinken erhalten soll, als vielmehr die Charakter-
stärke und Selbstbeherrschung, mässig zu bleiben, ist ein merk¬
würdiger Rat eines Arztes. Denn wenn auch Herr Dr. W er¬
klärt, nur als alter Korpsstudent zu sprechen, wird sein Wort eben
doch als das eines Arztes in die Wagschale fallen. Bei der Ver¬
breitung der Akademischen Monatshefte in studentischen Kreisen
halten wir die Versicherung nicht für überflüssig, dass Herr Dr. W
mit diesem Rat unter Aerzten höchst vereinzelt dastelien dürfte.’
— Dem dirigierenden Arzt der chirurgischen Abteilung des
städtischen Krankenhauses zu Posen Dr. Max Eduard Jaf f e ist
das Prädikat „Professor“ beigelegt worden.
Cholera. Russland. Nach den im Regierungsanzeiger
vom 5. September veröffentlichten amtlichen Mitteilungen hat die
Cholera vom 20. August bis 3. September in dem Kwantungbezirk,
im Küsten-, Amur- und Transbaikalbezirk wesentlich abgenommen,’
abgesehn von Wladiwostok, wo die Häufigkeit der Erkrankungen
Avährend der letzten 14 Tage unverändert geblieben ist. —
Aegypten. Während der am 1. September abgelaufenen Woche
hat die Cholera sich weiter ausgebreitet und an Heftigkeit zu¬
genommen, denn am Ende dieser Woche waren 604 Ortschaften
Luter- und Oberägyptens von der Seuche betroffen, und 3875
Choleraerkrankungen (sowie 2890 Todesfälle) sind im Laufe der
Woche festgestellt, d. i. 1835 (1340) mehr als im Laufe der Vor¬
woche. Von den 2890 Choleratodesfällen der letzten Berichtswoche
entfielen 1310 auf die Spitäler, 1580 Choleraleichen wurdeu ausser¬
halb der Spitäler nachgewiesen; 174 Todesfälle waren aus Kairo,
15 aus Alexandrien, 3 aus Damiette, 1 aus Ismailia gemeldet, von
den neu erkrankten Personen befanden sich 36 in Kairo (darunter
6 Europäer), 13 (8) in Alexandrien, 3 in Damiette. Vom 15. Juli
bis einschl. 3. September zählte man insgesamt 10 S70 Erkran-
der junge Mann bei seinem ganz darniederliegenden Lebensmute
kungen und nicht weniger als 8381 Todesfälle. Zufolge einer Mit¬
teilung vom 10. September sind auch in Suez 3 Fälle von Cholera
beobachtet.
— Pest. Russland. Zufolge Bekanntmachungen im Re¬
gierungsanzeiger sind in Odessa weitere pestverdächtige Erkran-
1600
MUENCITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
kuiigen aufgetreten. — Aegypten. In der Woche vom 21 August
l.is 4. September sind 6 Erkrankungen und 3 i odestalle an der
1‘est, alle in Alexandrien, festgestellt. — Britisch-Ostindien. ln
der Präsidentschaft Bombay sind wahrend der am 15. August ab-
«■elaufenen Woche 3858 neue Erkrankungen (und 2669 lodestaiie)
an der Pest zur Anzeige gelaugt, darunter 27 (22) aus der Stadt
Bombay und 7 (5) aus Stadt und Hafen Karachi.
_ In der 36. Jahreswoche, vom 31. August bis 0. September
1902 hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die
grösste Sterblichkeit Beuthen mit 44,8, die geringste Flensberg mit
7,1 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Altona, Solingen,
an Diphtherie und Krupp in Berlin, Hamburg. V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Prof. Dr. Adolf Passow in Heidelberg wurde
nach Berlin berufen, um die durch den Tod Trautinan ns er¬
ledigte zweite Professur der Ohrenheilkunde zu übernehmen. Er
wird dem Kufe Folge leisten. . ^ ^ x
München. Professor Dr. Adolf Schmitt ist aus seinei
Stellung als 1. Assistent der chirurgischen Universitätsklinik aus¬
geschieden, wird jedoch seine Vorlesungen in der Klinik auch
weiterhin abhalten. — Dem ausserordentlichen Professor an der
medizinischen Fakultät der Ludwigs-Maximilians-Umversitat Dr.
ltudolf Emmerich wurde Titel und Rang eines ordentlichen
Professors verliehen. . .
Bologna. Habilitiert: Dr. P. L. Bosellim für Dermato¬
logie und Syphiligraphie.
Innsbruck. Dr. Oskar Z o t li, a/usserordeiitlicliei 1 io-
fessor an der medizinischen Fakultät zu Graz, wurde zum 01 deut¬
lichen Professor der Physiologie ernannt.
Lausanne. Als Nachfolger des in den Ruhestand getretenen
Professors Dr. Siegfried R a b o w wurde Dr. med. Kasimir S t r z y-
2ow ski zum ausserordentlichen Professor für medizinische Che-
mie an der Universität in Lausanne ernannt.
M öden a. Dr. G. B. P e 1 1 i z z i habilitierte sich für Neuro¬
logie und Psychiatrie. . ... , .....
N e a p e 1. Dr. L. Simonelli habilitierte sich für medi¬
zinische Pathologie. ..
Parma. Habilitiert: Dr. R. Bovero für Hautkrankheiten
und Syphilis. ..... .... ...
St. Petersb u r g. Habilitiert an der militarmedizmischen
Akademie: DDr. J. P. Koro w i n und A. M a x i m o w für patho¬
logische Anatomie. .
Pisa. Habilitiert: Dr. P. Fiori für chirurgische Patho-
lo°’ie.
Turin. Habilitiert: Dr. V. Allgeyer für Hautkrank¬
heiten und Syphilis.
(Todesfälle.) T „
In Berlin starb der Nestor der dortigen Aerzte, Dr. Josef
Bergson im 90. Lebensjahre. Er übte von 1841 bis 1886 die
ärztliche Praxis in Berlin aus und habilitierte sich als Privatdozent
für innere Medizin 1861.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
In den dauernden Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt
II. Klasse, k. Hofrat Dr. Veit K a u f m a n n in Dürkheim, seiner
Bitte entsprechend, wegen zurückgelegten 70. Lebensjahres unter
Anerkennung seiner langjährigen, treuen und erspriessliclien
Dienstleistung. . . . , . . ... .
Versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse beim Bezirksamte Mün¬
chen II Dr. Georg Ritter und Edler v. Dall’Arini, seinem
Ansuchen entsprechend, auf die 3. Bezirksarztesstelle I. Klasse
für den Verwaltungsbezirk der Stadt München. Der Bezirksarzt
1 Klasse Dr. Karl Bredauer in Neustadt a. W.N., seiner Bitte
entsprechend, in gleicher Eigenschaft nach Wolf ratshausen. Der
Bezirksarzt I. Klasse Dr. Moritz Henkel in Garmisch, seiner
Bitte entsprechend, in gleicher Eigenschaft nach Freising.
Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Eugen Miller in Krumbacli,
seinem Ansuchen entsprechend, zum Bezirksarzt I. Klasse in
Stadtsteinach. . T .
Gestorben: Dr. Fritz Fronmüller in Furth, 40 Jahre alt.
Dr. Fritz G r a f in Hengersberg, 34 Jahre alt. Dr. August Hert e 1,
k. Höfrat, in Kempten, 73 Jahre alt.
Briefkasten.
Wir erhalten nachstehende Anfrage:
Ein junger Mann im Alter von 10 Jahren, der einzige Sohn
eines sehr wohlhabenden Mannes, hat verschiedene Studiengänge
(Gymnasium, Realschule, Handelsschule) unternommen, aber
überall mussten die Studien unterbrochen werden, da erschlaffen¬
der Fleiss bei einer tatsächlich bestehenden Ilerzaffektion (Mitral-
insuffizienz) und Ausrede darauf eine Fortsetzung unmöglich
machten. In der letzten Zeit traten aber auch psychische
Störungen auf (Selbstmordgedanken), da allmählich bei ihm die
Erkenntnis zum Bewusstsein gelangte, dass man iin Leben zur
Erreichung eines Zieles die Vorbedingungen unumgänglich notig
hat. Ein längeres Verweilen im Elternhause ist sicher von
Schaden und es muss irgend eine Anstalt, die von tüchtigen, ver¬
ständigen Fachleuten geleitet ist, ausfindig gemacht werden, wo
das richtige Gleichgewicht wieder erhält. Vorläufig soll er eine
bestimmte Richtung überhaupt nicht erhalten, sondern es soll
nur die Gewöhnung an eine regelrechte Tätigkeit sein, Reiche
ihm einen späteren Lebensberuf (etwa ein kaufmännisches hach)
ermöglichen, damit er hierdurch einen sittlichen Halt bekomme.
Der junge Mann ist keineswegs etwa verwahrlost, nn Gegenteil,
er will nur nichts Ernstes, kein anhaltendes Streben. Der gute
Wille ist vorhanden, die Vorsätze sind die besten, aber jedwede
Tatkraft fehlt. . _ . . . ,llf
Könnte mir die löbliche Redaktion nicht irgend eine Auf¬
klärung geben, ob in Deutschland für derartige Fälle geeignete
Anstalten, Sanatorien u. s. w. bestehen, oder durch eine geeignete
Veröffentlichung obigen Sachverhaltes mir zur Erreichung des
Zweckes behilflich sein?
Die Redaktion ist gerne bereit, Antworten auf die vorstehende
Anfrage an den fragestellenden Kollegen zu befördern.
Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee
für den Monat Juli 1902.
94 695 Mann,
Iststärke des Heeres:
Invaliden, 199 Kadetten, 149 Unteroff.-Vorschtiler.
1. Bestand waren am
30. Juni 1902:
Mann
Invali¬
den
Kadetten
Unter-
offiz.-
Vor-
schüler
1321
—
7
2
(
im Lazarett :
960
—
—
—
2. Zugang: j
im Revier:
2273
—
3
in Summa:
3233
—
3
Im Ganzen
sind behandelt:
4554
—
10
2
°/oo der Iststärke:
70,4
—
50,2
13,4
dienstfähig :
3199
—
7
2
°/oo der Erkrankten :
702,4
—
700,0
1000,0
gestorben :
8
—
—
'
°/oo der Erkrankten :
1,7
—
—
—
3. Abgang : •
invalide :
37
—
—
—
dienstunbrauchbar :
26
—
—
—
anderweitig :
213
—
3
—
. in Summa:
3183
- -
10
2
in Summa :
1671
—
—
—
4. Bestand
°/oo der Iststärke:
16,5
—
—
—
bleiben am
davon im Lazarett :
733
—
—
—
31. Juli 1902:
. davon im Revier:
338
—
—
—
Von den in Ziffer 3 auf geführten Gestorbenen haben gelitten:
1 an Gesichtsrose und Hirnhautentzündung, 1 an akuter Miliar¬
tuberkulose, 1 an Lungentuberkulose, 2 an Lungenentzündung,
1 an Bauchfellentzündung, 1 an Zellgewebsvereiterung am rechten
Bein, 1 an akuter Knochenmarksentzündung am linken Ober¬
schenkel (kompliziert mit Herzbeutelentzündung).
Ausserdem kamen noch 6 Todesfälle ausserhalb militaiarzt-
licher Behandlung vor: 3 Mann verunglückten, davon 2 durch Er¬
trinken 1 durch Schussverletzung infolge von Unvorsichtigkeit;
3 Mann endeten durch Selbstmord (davon 2 durch Erschiessen,
1 durch Erhängen).
Der Gesamtverlust der Armee durch Tod betrug demnach un
Monat Juli 14 Mann.
MorbiditätsstatistikdJnfektionskrankheitenfürMiinchen.
in der 36. Jahreswoche vom 31. August bis 6. September 1902.
Beteiligte Aerzte 123. — Brechdurchfall 38 (26*), Diphtherie u.
Krupp 8 (6), Erysipelas 6 (7), Intermittens, Neuralgia interni
_ (_). Kindbettfieber — (3), Meningitis cerebrospin. 1 CD»
Morbilli 13 (10), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. 2 (1), Parotitis
epidem. 1 (1), Pneumonia crouposa 2 (5), Pyämie, Septikamie
— ( — ), Rheumatismus art. ac. 6 (15), Ruhr (Dysenteria) . - ( )>
Scarlatina 4 (1), Tussis convulsiva 36 (44), Typhus abdominalis — •
( — ) Varicellen 3 (5), Variola, Variolois ■ — - ( ), Influenza — - ( )■
Summa 120 (125). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 36. Jahreswoche vom 31. August bis 6. September 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen : Masern 1 (1*) Scharlach ( ) Diphtherie
u. Krupp 2 (2), Rotlauf - (-), Kindbettfieber 1 (-), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 1 (1)» Brechdurchfall 19 (8), Unterleib-Typhus
(— ), Keuchhusten 5 (6), Kruppöse Lungenentzündung — (2), Tuber¬
kulose a) der Lunge 20 (33), b) der übrigen Organe 6 (4), Akuter
Gelenkrheumatismus — (— ), Andere übertragbare Krankheiten
1 (3), Unglücksfälle 5 (4), Selbstmord 2 (— ), Tod durch fremde
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 223 (235), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 22,9 (24,2), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 11,5 (14,1).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der 'S orwoche.
Verlag von J. F.
Lehmann in München. — brück" von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdrucken* A.G., München.
t)ie ilünch. Med. Wochenschr. erscheint w6chenti
in Nummern von durchschnittlich 5—6 Boyen
Preis in Deutschi, u Oest.-Unsrarn vierteliährl. 6 jl
ms Ausland 8. — JC. Einzelne No. 80 -4.
MÜNCHENER
Arnnifotrnfoa1 oind zu, adressiren : Für die Redaktion
m fS uaSSe. 26, — Fur Abonnement an J. F. Leh-
mann, He'^tmsso 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
°'— r' SÄ Ä JL““' «...Ranke, F. ». Winckel,
München. Freiburg i. B. München.
No. 39. 30. September 1902,
Erlangen.
München.
München
Redaktion: Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus der medizinischen Klinik zu Greifswald (Prof. Moritz).
Zur Frage der Zuckerbildung im tierischen Orga¬
nismus.
Von Dr. HugoLüthje, Privatdozent und Oberarzt der Klinik.
Die Frage der Zuckerbildung aus Fett ist seit langer Zeit
gegenständ eifrigster Forschung. Wenn auch in letzter Zeit in
einzelnen Stoffwechselversuchen Zahlen mitgeteilt wurden, die
im Sinne einer Zuckerbildung aus Fett zu sprechen schienen, so
fehlte doch meines Erachtens der endgültige und entscheidende
.Beweis. _ In einer Reihe von Versuchen an pankreaslosen Hunden,
die ich m dem letzten J ahre gemacht habe, habe ich des weiteren
Resultate bekommen, die durchaus nicht dafür sprechen, dass bei
\ erabreichung von Neutralfetten aus diesen sich Zucker bilde.
Es soll von diesen Versuchen gleich unten die Rede sein.
Inzwischen ist eine sehr klärende Mitteilung von M. Cr einer
erfolgt: es konnte bei Hunden, die durch Phlorizininjektion
diabetisch gemacht waren, nachgewiesen werden, dass die eine
Komponente des Eettes, das Glyzerin, eine entschiedene und
konstante ^ ermehrung der Zuckerausscheidung bewirkt. Da ich
gerade geeignete pankreaslose Hunde hatte, habe ich an diesen
die C r e m e r sehen Versuche wiederholt. Ich lasse die hier
interessierenden Notizen folgen ’).
r CÄ L Männlicher Hund, Gewicht 33.5 kg. Am
... V III 0- Exstirpation des Pankreas. Der Hund bekommt dauernd
v,e,ÜIe Nahrung. Die Zucker- und Stickstoffausscheidung ge¬
staltete sich tolgenclermasseu : .
r ,1nA i 23kAIIL bekam der Hund per os 50 ccm Glyzerin im
naute des Tages; da nach Einnahme des Glyzerins die Diurese
des Hundes ausserordentlich stieg, und zwar um sehr viel erheb-
ie her, als etwa der gesteigerten Zuckerausscheidung entsprechen
Konnte, wurden am 2o. VIII. dem Hunde 700 ccm 2proz. Na Cl-
!mter die Haut gespritzt, um zu sehen, ob die hierdurch
D.larese .. fhnliclie Wirkung habe. Am 26. VIII. wurden
7,, Ohvenol per os verabreicht, am 27. wiederum 50 ccm
Glyzerin, am 29. VIII. eine nicht genau bestimmbare Portion
Lezithin.
(Tabelle siehe Spalte 2 oben.)
Es zeigt sich also sowohl am 23. wie am 27. VIII. nach Zu¬
fuhr von Glyzerin, im Vergleich zu vorher, erhebliche Steigerung
er Zuckerausscheidung. Die durch Na Cl-Infusion erzeugte
. "> Oie ausführlicheren Tabellen, die z. T. andern Versuehs-
nageu dienten, werden au anderer Stelle veröffentlicht.
No. 39.
Uebersicht der Resultate:
S o
1*
Q>
Auf¬
nahme
N-Aus-
sclr'id.
Dextr.-
Aus-
scheid.
|
Urin¬
menge
PuO&
23.
50 ccm
Glyzer.
280 Wass.
2,51
11,28
640
24.
240 Wass
2,97
5,35
150
25.
1000 W.
3,30
0,55
290
26.
IGO Oe!
100 Wass
2,59
0,64
610
—
27.
50 ccm
Glyzer.
90 Wass.
2,18
11,4
_
0,48
28.
200 Wass.
2,55
3,90
.
0,31
29.
450 Wass.
+
Lezithin
3,81
8,10
- j
0,85
Bemerk un
Urinmenge bis dahin zwi¬
schen 120 u. 150 ccm
schwankend.
Kochsalzinfusion.
Diurese, die etwas nachhinkt, bleibt ohne Erfolg2). Ebenso
findet sich keine Steigerung der Zuckeraus¬
scheidung, als der Hund 100 ccm Olivenöl be-
k a m. Eine Steigerung findet sich jedoch wieder an dem Lezithin¬
tage. Auf diese V irkung des Lezithins wird unten noch weiter
einzugehen sein.
on a-Ytt LfoVr 11 IL Männlicher Hund, Gewicht 13 kg. Am
7 ’. N 1 .L .( “ Morgens das Pankreas exstirpiert. Bekommt dauernd
keine Nahrung, nur Wasser nach Belieben.
Datum
Datum
N-Aus-
scheidung
D-Aus-
scheidung
Datum
N-Aus-
scheidung
D-Aus-
sclieidung
6.
9,57
15.
4,17
0
7.
8.
7,78
6,10
10,1
8,1
16.
17.
3,16
3,47
Spur
9.
5,26
6,3
18.
3,34
V
0 45
10.
3,86
2,4
19.
3,47
0,30
11.
3,70
2,5
20.
3,28
1,20
12.
3,75
1,8
21.
2,69
L25
13.
3,58
0,7
22.
2,77
0 90
14.
3,86
0,0 |
X in g
Ding
D:N
B e m e r k u
n
21./22.
22./23.
23 /2 4.
24./ 25.
2 5./2G.
12,66
13,33
12,94
12,99
6,99
35,40
36,20
36,70
37.72
45.72
2,8
2.7
2.8
2,8
6,6
an diesem Tage 59 ccm Glyzerin
| per os.
fier zweiten Hälfte des Glyzerintages starb der Hund
plötzlich, ohne dass die Sektion eine Aufklärung dafür ergeben
hat. Daraus erklärt sich die plötzliche Verminderung der N-
Ausseheidung. es handelt sich eben nur um eine Teilportion des
lages. Um so beweisender ist die überaus starke Steigerung der
Zuckeiausscfceidung. Die Zucke rbildung «ins Glyzerin
1 i n d e t also auch im pankreaslosen H u n d stat t.
C r e m e r hat den entscheidenden Beweis für
die Zuckerbildung aus Glyzerin erbracht.
Angesichts dieses Befundes gewinnen einzelne Stoffwechsel¬
versuche, in denen das Verhältnis von Zucker zu Stickstoff weit
grösser gefunden wurde, als dem zerfallenen Eiweiss zu ent¬
sprechen schien, vielleicht eine andere Bedeutung, die ihnen aller-
-) Ob übrigens der Kontroll versuch mit subkutaner Kochsalz¬
inlusion ausreicht, um den Einwurf, es könnte sich um eine diu-
retische Wirkung des Glyzerins handeln, auszuschliessen, bleibt
zweifelhaft; es ist wahrscheinlich, dass die subkutan infundierte
Kochsalzlösung zur Ausscheidung kommt, ohne vorher Bestand¬
teil der Gewebsflüssigkeit geworden zu sein, während das Gly¬
zerin vermutlich Flüssigkeit aus den verschiedensten Geweben, vor
allem auch aus den Muskeln, anzieht. (Vergl. F. Moritz: Einige
Beobachtungen hei Injektionen von konzentrierter Kochsalzlösung
in die Bauchhöhle von Tieren. Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1887^
bi i>95.)
1
1602
MHENCHENER MEDICIRISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
dings von mancher Seite (namentlich R u m p f) schon vorher bci-
.-ele- 1 war. Dies sind in erster Lime die \ ersuche von K u m P
und seinen Schülern, dann der Versuch von R osenqvist und
M o h r und der letzte Versuch bei dem Diabetiker T. von mir ).
Es sind dies Versuche, welche im Gegensatz zu allen anderen
zahlreichen in dieser Richtung angestellten Versuchen für eine
Zuckerbildung aus Fett innerhalb des Organismus zu sprechen
schienen.
Aber auch jetzt noch, nachdem Cremer die Bedeutung des
Glyzerins bewiesen hat, bleibt es durchaus rätselhaft, warum so
viele der bisherigen Versuche mit Verabreichung von .Neutra -
fetten negativ ausgefallen sind, warum man selbst m t en mu* en
schwersten Fällen von Diabetes, die mit schnellem Fettschwund
einhergehen, oder beim hungernden pankreaslosen Hund, beidem
doch eine permanente Fettzersetzung stattfindet, das \ erhaltnis
von Zucker zu Stickstoff nie abnorm hoch gefunden hat, aber
mit desto grösserer Sicherheit feste Beziehungen zwischen Ei-
weissumsatz und Zuckerbildung feststellen konnte Oder
sollte der sogen. Minkowskischen Zahl doch
eine an d e r e Bedeutung z u k o m men?
Aus einer Reihe von Versuchen, die ich im letzten Jahre
angestellt habe, teile ich einige mit, die mir für die Annahme,
dass aus Fett kein Zucker gebildet würde, recht beweisend zu
sein scheinen, und die von neuem zeigen, wie verwickelt die
Fragen liegen. Es handelt sich dabei um Versuche an pankreas¬
losen Hunden, die längere Zeit hungerten, e l n Hund bis zu dem
Zeitpunkt, wo terminal die N-Ausscheidung in die Hohe geht,
als Zeichen des minimalsten Fettvorrates. Die Hunde bekamen
alsdann Fett subkutan (mit einer Ausnahme). Es durfte bei
dieser Versuchsart zu erwarten sein, dass sich eine Beeinflussung
der Zuckerbildung durch die Zufuhr von Fett m den Resultaten
geltend mache; wir wissen ja — vornehmlich aut Grund der
Leube sehen Versuche — , dass subkutan verabreichtes Fett zer¬
setzt werden kann und unter gewissen Bedingungen auch zersetzt
wird. Die subkutane Einverleibung von Fett wurde der ein¬
fachen Verfütterung vorgezogen, weil bei den bisherigen *utte-
rungsversuchen mit Fett die Resultate so zweifelhaft ausgefa en
waren. Ich lasse einen kurzen Auszug meiner Versuchstabellen
folgen :
Versuch I. Männlicher Teckel. Anfangsgewicht 6,9 kg.
\m 2.111.02 das Pankreas exstirpiert. Dann bis zum 14. nnf
Milch ernährt, während welcher Zeit die Zuckerausscheidung
“Sken 20 und 30 g schwankt, Je nach
Vom 15. ab 6 Hungertage, m der zweiten Hallte dei Frtnj»
Periode täglich subkutan Fett; vom 21. bis 26. Nutrosepenode, dazu
am 25. und 26. subkutan Fett.
Der Versuchshund lebte noch bis zum 30. III. 02. Die Sek¬
tion ergab, dass das Fett an den Injektionsstellen fast ganz ver¬
schwunden war. . -| r'cv-.-./i.uVit iq ko- Am
Versuch II Männlicher Hund. Gewicht i-> Kö.
»• V. 02 Willi das
Nahrung vom 2i. A. bis zum zt. u.
Datum
Ernährung
Nim Harn
Zucker im
Harn
D:N
15. /16.
16. /17.
17. /18.
18. /19.
19. /20.
20. /21.
21./22.
22. /23.
23. /24.
24. /25.
25. /26.
26. /27.
3,50
2,18
1,45
1,60
3,63
0
0
0
2,66
1,80
6,89
6,83
6,61
5,60
8,12
8,33
1,0
0
0
13,90
15,00
13,50
15,00
20,00
23,06
2,0
2,2
2,0
2,7
2,5
2,7
. TT Zuckerim
Datum
Aufnahme
Nim Harn Ham
Hungertag
16/17.
17./ 18.
18/19.
19. /20.
20. /21.
21./22.
22. /23.
23. / 24.
24./2).
100 Wasser
50 „
100 „
109 ,
200 „
90 „
200
2,66
2,67
2,18
3,11
3,75
3,50
3,72
2,46
3,70
4,00
3,35
5,90
6,75
6,25
5,20
3,65
21. Tag
22. „
23. „
24. „
25. „
26. „
27. „
28. „
29.
Hunger, 70 AVasser
Hunger, 100 Wasser
Hunger, 100 Wasser
Hunger, 105 AVasser
25 g Feit subk.
Hunger, 100 AVasser
50 g Fett subk.
Hunger, 60 AVasser
50 g Fett subk.
60 g Nutrose, 370 Wasser
60 g Nutrose, 320 Wasser
60 g Nutrose, 300 AVasser
60 g Nutrose, 300 AVasser
60 g Nutrose, 300 AVasser
30 g Fett subk.
60 g Nutrose, 300 AVasser
50 g Fett subk.
Es' zeigt sich also weder während der Hunger-, noch auch
in der Nutroseperiode eine Beeinflussung der Zuckerausscheidung
durch die subkutane Einverleibung von Fett. Der Steigerung
der Zuckerausscheidung an den beiden letzten Nuteosetagen ent¬
spricht eine gleichsinnige Veränderung m dem Eiweissumsatz.
8\ Unmut ist dem von mir ausgesprochenen AVunsche,
Genaueres über die Überwachung seiner Versuche za ^rfaUr^,
in ausgiebiger AVeise nachgekommen (Zeitsclu. f. khn. Mea*’ ’
3 n l) Freilich hätte es vielleicht geschehen können, ohne dass
lt u m p f gegen mich polemisch wurde, denn dazu hegt
Grund vor.
145 AAfasser
70 ccm Fett subk.
105 Wasser 2,46 2,80
70 ccm Fett subk.
Die N-AVerte vom IG— 18. repräsentiren die niedrigsten Zahlen
mmm "ss
1 Gtt IniS ATrtaufe des 23. VI. starb der Hund. An der Injektions¬
steile fand sich ein Teil des injizierten Oeles; der hei weite
grössere Teil war aber verschwunden. «losen Hund
&£.*&&& ÄÄ San adäouates Zersetzungs-
lt A ““ ,V -ß rs. -
3,0 - 3,3 (50 ccm Del) - 3,3 (75 ccm Oel) - 3^ pO° ccm Oel
os n 00 ccm Oel) — 2,7 (90 ccm Hundefett) — 2,b (kein 1 ett>
;/ uo ccm Oe ) A n 11. III. wurde der Hund getötet; an der
SffiÄ sich nur ein hlciner Teil des Fe t» ( Arth« -
Ais- «ja ,v\ i).,« Hewieht des Hundes, der tagnen gewusen
Fettes zersetzt wurde; trotzdem zeigte sich keine Erhöhung
Znckerausfuhr.i ^ ^ aufmerksam gemacht auf den oben mit¬
geteilten ersten Versuch. Hier e r V^ra br ei c h S n g v e n
kveaslosen H u n d 2 m al nach \ a b i e icäung v o ^
je 50 ccm Glyzerin eine p r o m p t e S t e i » e i u » i
Z u c k e r ausschei d u n g (a m 23. und 27. V III.), w a J
Hie Darreichung von 100 ccm Oel am 26. A III. ohne
jede Wirkung blieb. .
Man wird, glaube ich, zugeben müssen, dass angesichts
solcher Resultate und angesichts zahlreicher anderer, aus ru eier
Zeit in der Literatur vorliegender Versuche es zweife os
weiteren Erklärung bedarf, warum einer so ausgesprochene
AVirkung des Glyzerins eine so zweifelhafte oder kaum nac
weisbare der Neutralfette gegenüberstellt. A
Anders scheint cs mir mit ein« anderen Substanz dem
Lezithin, zu stehen, dessen Einfluss auf die Zuokerbildung
ich seit 1 % .fahren verfolge. Verschiedene Versuche hatten mm
ergeben, dass mit grösster Wahrscheinlichkeit aus dem Lezithin
im Organismus Zucker gebildet wurde. Jetzt, nachdem r e
die zuckerbildende Wirkung des Glyzerins entdeckt hat, bleibt de
Einfluss des Lezithins nicht mehr so sonderbar, da ja das Le
eine Glyzerinkomponente enthält.
In weiterer Verfolgung der Versuche über die Bedeutung
einzelner Eiweisskörper für die Grösse der Zuckerb i . ung
-Ausscheidung hatte ich bei Versuchen mit Eigelb n a hru s
eine konstante, ziemlich auffallende A ermehrung < ei •
ausseheidung gefunden. Weiter hatte sieli gezeigt dass z. D.
bei der durch Pankreasnabrung bedingten A eimehrung
30. September 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Zuckerausscheidung der spezifische Eiweisskörper des Pankreas,
das Nukleoalbumin, nicht der Grund für die vermehrte Zucker¬
bildung war ). Schliesslich hatte ich in einer eigens dazu an-
gestellten \ ersuchsreihe bei einem Diabetiker gesehen, dass bei
sonst gleicher Nahrung (vorher in grösserer Menge zubereitet
und für die einzelnen Tage abgewogen) nur durch Darreichung
des Fleisches eines anderen Tieres derselben Gattung die Zucker¬
ausscheidung in einem Grade schwanken konnte, der nicht aus¬
schliesslich durch einen etwaigen Unterschied im Glykogengehalt
beider Fleischportionen bedingt sein konnte. Dies und noch
einige andere mir gelegentlich aufgefallene Tatsachen führten
zu dem Gedanken, dass ausser dem Eiweiss und dem Glykogen
noch einer anderen in den tierischen Geweben weitverbreiteten
Substanz zuckerbildende Fähigkeit zukomme, und da gerade nach
Eigelbnahrung eine so hohe Zuckerausscheidung beobachtet war,
wurde in erster Linie an das Lezithin gedacht.
Diese Annahme hat sich, wie schon oben erwähnt, durchaus
bestätigt. Ich teile im folgenden die betreffenden Abschnitte
aus den Tabellen mit. Die Versuche mit Verabreichung reinen
Lezithins wurden an pankreaslosen Hunden ausgeführt, zum
Teil in der Weise, dass das Präparat verfüttert wurde, zum Teil
durch subkutane Injektion einer ätherischen Lösung. Bei der
V ersuchsanordnung stiess ich wiederholt auf grosse Schwierig¬
keiten. Grössere Mengen reinen Lezithins verdanke ich zunächst
der Liebenswürdigkeit des Herrn Kollegen B e r g e 1 1 (nach seiner
Methode dargestellt); in anderen Versuchen wurde das Präparat
nach der B o r g e 1 1 sehen Methode von uns selbst dargestellt.
Schliesslich habe ich mich damit begnügt, jedesmal aus 50 Ei¬
gelben einen ätherisch-alkoholischen Auszug zu machen; derselbe
wurde abgedampft, der Rückstand mit etwas warmem Chloroform
ausgezogen und der Chloroformauszug in einer Kältemischung
mit Azeton gefällt. Die Fällung, eine hellgelbe, vaselinartige
Masse, wurde abzentrifugiert und von dem noch anhaftenden
Azeton durch Abdunsten befreit.
Die Schwierigkeiten waren vornehmlich dadurch bedingt,
dass zeitweilig durch Erbrechen oder durch profuse Durchfälle
eine nennenswerte Resorption des Lezithins verhindert und da¬
durch einzelne Versuche unbrauchbar wurden.
Ich teile zunächst den Eigelbversuch mit, der an einem
13jühr. Knaben mit ziemlich schwerem Diabetes angestellt wurde.
Der Appetit des Knaben war sehr gut. Die Nahrung wurde genau
abgewogen, für die einzelnen Perioden gleich grössere Quanten
angeschafft, die für die einzelnen Tage abgeteilt wurden. Die
Nahrung bestand aus 600, später 700 g mageren Rindfleisches,
100 g Brot und 100 g Schmalz. An den Eigelbtagen wurde das
Fleisch möglichst durch äquivalente Mengen Eigelb ersetzt. Be¬
züglich des Brotes bemerke ich noch, dass es gleich im Anfang
in eine Anzahl von 100 g-Portionen abgeteilt und in Pergament¬
papier aufgehoben wurde. Eine Kohlehydratbestimmung des
Brotes wurde nicht gemacht,* letzteres vielmehr zu 50 Proz. Kohle¬
hydrat gerechnet 5) und entsprechend täglich bei der Berechnung
des Verhältnisses N:D in Abzug gebracht.
Ich beschränke mich auf die Mitteilung des uns hier inter¬
essierenden Verhältnisses N:D.
I. Fleisch periode (vom 27. IX. 01 bis 5. X. 01): 1,8 —
1,4 - 1,4 — 1,0 — 1,2 — 1,1 — 1,6 — 0,9 — 0,6.
II. Eigelbperiode: 6. X. 02 (925 g Eigelb in Form von
Rührei): 3,2. 7. X.02: Versuch missglückt. S. X. 02 (825 Eigelb): 2,4.
III. Fleischperiode (9. bis 12. X. 02): 2,8 — 1,9 —
1,1 — 1,6.
IV. Am 13. X. 02 800 g Eigelb: 2,0.
V. Fleischperiode (14. bis 16. X. 02) : 0,6 — 0,8 — 0,8.
VI. Am 17. X. 02: 800 g Eigelb: 2,0.
VII. V o m 18. bis 20. X. 02 Fleisch: 1,7 — 1,6 — 1,0.
VIII. Am 21. X. 02: 800 g Eigelb: 2,1.
IX. V o m 22. b i s 25. X. 02 F 1 e i s c h: 1,8 — 1,1 — 1,1 — 0,5.
Wir sehen also ganz regelmässig an den Eigelbtagen eine
deutliche Steigerung des Verhältnisses N:D.
Versuc li II mit Lezithinfütterung an einem
pankreaslosen Hunde. Gewicht des Hundes 9 kg, operiert am
8. I. 02.
4) Es wurden bei einem Diabetiker 4 Tage hindurch je 31 g
reines, aus Pankreas dargestelltes Nukleoalbumin mit der Nahrung-
gegeben; dieses Nukleoalbumin ersetzte je 250 g Eiereiweiss der
Vorperiode (ebenfalls 4 Tage): es fand sich keine Vermehrung der
Zuckerausscheidung.
°) Da das Brot für den ganzen Versuch reichte, muss ein
eventueller Fehler in der Annahme des Kohlehydratgehaltes für
jeden Tag derselbe werden.
Datum
I./02
Nim Harn
Zucker im
Harn
N:D
■ - - -
Nahrung
16./17.
14,28
33,20
2,3
500 g Fleisch, 200 Wasser.
17./18.
15,96
33,90
2,1
500 g Fleisch, 200 Wasser.
18/19.
14,28
33,60
2,4
500 g Fleisch, 200 Wasser.
19./20.
14,50
3«, 40
2,7
500 g Fleisch, 200 Wasser, 20 g
Lezithin per os.
20./21 .
13,89
32,00
2,3
500 g Fleisch, 200 Wasser.
21./22.
.
14,65
34,00
2,3
500 g Fleisch, 200 Wasser.
Versuch III. Männl. Hund von 17% kg. Am 19. VII. 02
wurde das Pankreas exstirpiert. Der Hund bekam während der
ganzen Versuchszeit nur Wasser zu saufen. Die Bestimmungen
wurden vom 20. VII. 02 ab gemacht. Die Zuckerausscheidung
nahm allmähich von 46,62 g am 2. Tage an ab, entsprechend der
sinkenden Eiweisszersetzung. Am 3. VIII. 02 wurde dem Hunde
das aus 45 Eigelben dargestellte Lezithin (in der oben an¬
gegebenen Weise) subkutan injiziert, und zwar in ätherischer
Lösung. Ich teile hier die letzten 6 Tage des Versuches mit:
Datum
VII./02
N im Harn
Zucker im
Harn
N:D
P2O5
Bemerkung
29./30.
9,35
23,60
2,5
310 Wasser ges.
30.131.
8,79
20,10
2,3
1,32
225
31./1.YIII.
7,84
18,20
2,3
—
275 „ „
1.-2.
6,83
15,00
2,2
1,02
250
2./3.
5,77
12,00
2,1
0,82
245
3. 14.
6,66
20,40
3,1
1,04
400
Lezithin subk.
Im Verlaufe des 4. zum 5. starb der Hund, der schon in
den vorangehenden Tagen grosse Mattigkeit gezeigt hatte. Die
Steigerung der Zuckerauscheidung nach Lezithinzufuhr ist hier
unverkennbar. Vom 19. VII. ab (hier nicht mitgeteilt) war die
Zuckerausscheidung von Tag zu Tag gesunken, am 3. VIII. plötz¬
lich die Steigerung! Diese Steigerung als eine irgendwie prä¬
mortal bedingte aufzufassen, ist nicht zulässig, da alle hungern¬
den pankreaslosen Hunde nach meinen Erfahrungen (bisher
7 Hunde) gerade prämortal eine besonders niedrige Zuckeraus¬
scheidung zeigen.
Versuch IV (s. Hund im ersten Glyzerin versuch). Der Hund
bekam am 29. VIII. 02 eine grössere Portion aus Eigelb dar¬
gestellten Lezithins. Ein nicht bestimmbarer Teil desselben wurde
erbrochen. Bezüglich der Resultate verweise ich auf die Tabelle
oben. Auch hier findet sich eine deutliche Steigerung der
Zuckerausscheidung nach Verabreichung von Lezithin.
Bei der allgemeinen Verbreitung des Lezithins in den Ge¬
weben des tierischen Organismus dürfte dem Lezithin unter den
Faktoren, welche die Zuckerbildung und -Ausscheidung bestim¬
men, eine nicht ganz unwesentliche Rolle zukommen; so würde
z. B. die Bedeutung der sog. M i n k o w s k i sehen Zahl (N:D)
in einem etwas anderen Lichte erscheinen.
Die praktisch-therapeutische Konsequenz des Umstands, dass
Lezithin ein Zuckerbildner ist, wird u. E. nicht allzu sehr ins
Gewicht fallen, da unter normalen Ernährungsverhältnissen der
Lezithingehalt der verabreichten Nahrung quantitativ wohl ziem¬
lich in den Hintergrund tritt. Immerhin wird man in Fällen,
wo man eine strenge diabetische Kost für angezeigt hält, daran
zu denken haben, dass gewisse Nahrungsmittel, z. B. Eigelb und
Hirnsubstanz, ziemlich reich an Lezithin sind. <-
Zum Schluss sei noch bemerkt, dass es sich bei den hier
meist nur in Kürze oder im Auszug mitgeteilten Versuchszahlen
um ausführliche Stoff Wechsel versuche handelt; die ausführliche
Mitteilung an dieser Stelle ist unterblieben einmal mit Rücksicht
auf den Raum der Wochenschrift, sodann weil es sich in den
Versuchen noch um die Beantwortung anderer Fragen handelte,
auf die später an anderer Stelle eingegangen wird.
Die Pankreasexstirpationen wurden von Herrn Dr. P. Eden,
I. Assistenten der chirurgischen Klinik, ausgeführt.
1*
MTJEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1604
Aus der I. medizinischen Universitätsklinik in Wien
(Chef: Hofrat Prof. Nothnagel).
Zur Therapie und Pathogenese der Stenokardie und
verwandter Zustände.
Zwei Fälle von „intermittierender ischämischer Dysperistaltik“
(Schnitzle r).
Von Dr. K o b e r t Breuer, klin. Assistenten.
I.
Wenn man versucht, sich aus der Literatur des letzten Jahr¬
zehntes darüber zu informieren, welche therapeutischen Methoden
bei der Behandlung anginöser Zustände sich der grössten W ert-
schätzung erfreuen und welche Vorstellungen über die Patho¬
genese der Stenokardie gegenwärtig die herrschenden sind, . so
gewinnt man den Eindruck, dass nach beiden Richtungen hin eine
gewisse Einigung erzielt worden ist.
Noch vor wenigen Jahren zählte in Deutschland die
Parry-T raube sehe Theorie von dem Anginaanfall als einer
Folge plötzlicher Herzschwäche zahlreiche Anhänger. In 1 rank¬
reich waren diejenigen vielleicht noch in der Mehrzahl, die in
der Stenokardie (wie in vielen anderen unklaren Ivrankheits-
erscheinungen) den Ausdruck einer „Sensibilitätsneurose oder
einer „Neuritis“ und zwar hier des Plexus cardiacus resp. der
Vagusäste sahen. Heute scheint es, als ob die grosse Mehrzahl
der Kliniker d e r Meinung sich angeschlossen hätte, die zuerst
von P o t a i n ausgesprochen worden ist und nun seit Jahren
von einer Reihe, besonders französischer, Internisten mit grosser
Energie vertreten wird, allen voran von II u c li a r d. Diese
Meinung geht dahin, jeder „echte“ stenokardische Anfall mit
seinen beiden Haupterscheinungen: dem heftigen, gewöhnlich
retrosternalen und meist ausstrahlenden Schmerz und dem Ge¬
fühl der Vernichtung, Todesangst, heftigsten Oppression, sei eine
Konsequenz einer plötzlich eintretenden Ischämie
des Herzens. Die Kranken mit Angina pectoris vera sind
nach dieser Ansicht durchwegs Individuen mit sklerotischen
Kranzarterien oder haben sklerotische Veränderungen im An¬
fangsteil der Aorta in der Gegend der Koronarostien. In beiden
Fällen ist die arterielle Blutversorgung des Herzmuskels und
der in ihm gelegenen nervösen Apparate in der Ruhe eine eben
ausreichende. Sowie aber das Herz durch körperliche An¬
strengungen oder durch einen Vorgang, der den arteriellen Druck
steigert (reichliche Mahlzeit, Schlafen in horizontaler Lage) zu
vermehrter Arbeit veranlasst wird, wird seine Blutversorgung
ungenügend, und die relative Anämie ist die Ursache des steno-
kardischen Symptomenkomplexes.
Um den Zusammenhang zwischen der Ischämie und den
anginösen Erscheinungen zu erklären, wies Potain auf
die Aehnlichkeit des Vorganges mit der sogen. Claudicatio inter-
mittens der Extremitäten hin, die, schon vorher bei Pferden be¬
kannt, beim Menschen von C h a r c o t näher studiert worden war.
Es handelt sich dabei bekanntlich um Zustände plötzlicher Un¬
fähigkeit zu Gehen, verbunden mit lebhaften Schmerzen, Par-
ästhesien, dem Gefühl des Krampfes und oft auch vasomotorischen
Phänomen an den unteren Extremitäten, die sich bei manchen
Kranken mit sklerotischen Veränderungen in den Beinarterien
einstellen, sowie die Kranken kurze Zeit gehen. Hier erhält die
Extremität während der Ruhe durch die verengten Gefässe noch
das genügende Quantum Blut. Sowie aber die Muskulatur in
Aktion tritt und einer reichlicheren arteriellen Versorgung be¬
dürfte, tritt relative Anämie und damit die Erscheinungen des
Schmerzes, der Funktionsschwäche und das Gefühl des Krampfes
ein. Nothnagel hat einige Jahre später analoge Phänomene
an den oberen Extremitäten beschrieben. — Die echte Steno¬
kardie nun, meinte Potain und mit ihm eine grosse Zahl
neuerer Autoren, sei diesen Phänomenen an den Extremitäten
ganz analog.
Die Annahme einer plötzlichen Ischämie des Herzens als
Ursache des stenokardischen Anfalls erklärte nun auch ohne wei¬
teres die Symptome der schweren muskulären Insuffizienz, die,
wie das „Versagen“ der Beine den Anfall der Claudicatio inter-
mittens, so häufig den Anginafall begleiten: schwere plötz¬
liche Herzschwäche mit hochgradiger Arrhythmie und oft genug
Herzstillstand und plötzlicher Tod. Die Herzschwäche ist also
hier etwas Sekundäres, nicht wie nach der Parry-Traub er¬
sehen Theorie das Primum des ganzen Vorgangs, sie ist, koordi¬
niert mit dem Schmerz, als Folge der Blutleere des Organs auf¬
zufassen. Man versteht leicht, dass sie eine sehr häufige Begleit¬
erscheinung des echten Anginaanfalles ist: handelt es sich doch
in der Regel um Ischämien grösserer Herzabschnitte und über¬
dies um Herzen mit chronisch kranker, malacischer Muskulatur.
Es lässt sich aber auch begreifen, dass die Herzschwäche unter
Umständen fehlen kann: die Ischämie eines kleinen Ilerz-
absehnittes wird wohl die sensiblen Symptome des Anfalls, nicht
aber eine plötzliche Schwäche des ganzen Muskels hervorbringen.
Möglich ist es übrigens auch, dass gerade für den plötzlichen
Herzstillstand resp. die hochgradigen Veränderungen der Schlag¬
folge (exzessive Pulsverlangsamung) im Anfall die Ischämie b e -
stim m ter Herzabschnitte, vielleicht auch gewisser nervöser
Apparate im Herzen verantwortlich zu machen ist. Diese Fragen
betreffen den feineren Mechanismus des Anginaanfalls und sind
vorläufig noch nicht zu beantworten. Die Grundauffassung der
wahren Stenokardie als einer Folge der Ischämie des Herzens
wird dadurch nicht alteriert. Dass diese Grundauffassung sich
auch jenen selteneren, besonders schweren, ja meist tödlichen
Anginaanfällen mit Leichtigkeit anpasst, die durch plötzlichen
embolischen oder thrombotischen Verschluss einer Kranzarterie
oder eines Koronarastes entstehen, leuchtet ohne weiteres ein.
Hier handelt es sich nicht, wie bei der gewöhnlichen Koronar¬
angina, um eine vorübergehende und relative, sondern um eine
plötzliche absolute Blutleere eines Herzteils.
Die hier referierte „arterielle“ Theorie der Angina vera ist
es, die sich gegenwärtig einer offenbar stets wachsenden An¬
erkennung erfreut und die wohl auch für die Dauer in der
Hauptsache siegreich bleiben dürfte. Ich muss allerdings ge¬
stehen, dass mir einige Punkte in ihr noch der Aufklärung zu
bedürfen scheinen. Es sind das Punkte, die durch die Analogi-
sierung mit der Claudicatio intermittens der Extremitäten stets
gewissem) assen als bereits erklärt vorausgesetzt werden, während
sie auch bei dieser noch durchaus nicht ohne weiteres verständlich
sind. Ist es denn ohne weiteres klar, wieso bei den Kranken mit
sklerotischen Arterien der Versuch der muskulären Mehrleistung
direkt zur Ischämie der Extremität resp. des Myokards führt?
Fehlt hier nicht ein Zwischenglied ? Und steht es denn zweitens
fest, dass der Schmerz beim intermittierenden Hinken und bei
der Angina pectoris wirklich und nur in den relativ anämisierten
Teilen (Muskulatur, Nerven) entstehe, dass es sich also wirklich
um ischämische Schmerzen in den verschiedenen Geweben der
Extremität resp. im Myokard handle?
Am Schlüsse dieser Arbeit soll versucht werden, auf diese
beiden Fragen einzugehen.
Die Claudicatio intermittens ist gegenüber anderen Schmerz¬
anfällen und Bewegungsstörungen in den Extremitäten charak¬
terisiert durch das Fehlen jeder Erscheinung in der Ruhe und das
Auftreten der Störungen beim Versuch, zu gehen. Als charak¬
teristisch für die wahre Angina pectoris, die immer auf sklero¬
tischen Veränderungen in den Koronarien oder an ihren Ostien
beruhe, betrachtet denn auch II u c h a r d, der diese Dinge am
schärfsten formuliert hat, das Auftreten der Anfälle bei plötz¬
licher Mehrleistung des Herzens; die echte Stenokardie sei immer
und vor allem eine stenocard ie d’effort. Wenn bei ihr Anfälle
anscheinend spontan oder durch Gemütsbewegungen auftreten,
so geschehe dies immer nur gewissermassen nebenbei, neben den
charakteristischen Paroxysmen infolge von körperlichen An¬
strengungen. Das erlaube auch, die wahre Stenokardie von ähn¬
lichen Zuständen zu unterscheiden, die unter dem Namen der
Pseudoangina pectoris zusammengefasst werden. Huchard
unterscheidet unter diesen im wesentlichen 3 Formen, deren
Bilder hier mit wenigen Sätzen charakterisiert werden mögen :
1. Die Pseudostenok a r <1 i e der Ner v ö sen (ins¬
besondere der Hysterischen), i. e. Anfälle von Herzschmerz und
Herzangst, die bei Nervösen anscheinend spontan oder nach Ge¬
mütsbewegungen auftreten, nie durch körperliche Anstrengungen
ausgelöst werden. Die Paroxysmen ähneln sonst in vielen Stücken
der echten Stenokardie, sind oft äusserst heftig und lange dauernd,
vielfach von anderen nervösen Erscheinungen begleitet. Ihr Me¬
chanismus ist unklar, wie der vieler anderer nervöser Zufälle;
jedenfalls sind sie rein funktionell, beruhen wohl auf einer „Neu¬
rose des Herzens“. Mit Gefässprozesseu haben sie nichts zu tlnin.
2. Die reflektorische Pseudostenokardie vom
Magen aus, d. h. Anfälle von Oppression und Schmerzen in
der Herzgegend (als ob das Herz zu gross würde, anschwelle), die
bei manchen Kranken durch bestimmte Ingesta (nicht durch jede
grössere Mahlzeit) reflektorisch vom Magen aus ausgelöst werden
30. September 1902.
imd sich vorwiegend bei Dyspeptikern finden sollen , ••
zu stände durch plötzliche Drucksteie-ernno-Ym S, kamen
wahrscheinlich durch Kontraktion deAleinfn LimgeSSse uml
seien objektiv charakterisiert durch die Zeichen n:, / ’ uad
Sa HerZ“S 1,114 '1Urel‘ Aocent^tiou 2. ÄÄt
8 Die neuritische Pseudostenokardie ‘ nliSf
handelt es sich nach Huchard um seltene Beobachtungen in
denen den anginösen ähnliche Schmerzanfälle, in Wahrheit imn,
algische Paioxysmen, durch eine Neuritis des Phrenikus oder des
\agus bedingt sind. Die Entzündung der NervenstäM™ 2 1 T
durch Druck manchmal auch durch die PropagatS ein?r Fiu
SSSST PeriLTaüs8 ^ ‘
Ziehung zur echten Angina pectoris: die toxls 2 he
entstell wie die lichte ISjtate KoroMräkleroökeJtarch^M
wenigstens anfangs, auf sp a s m od i s c h e n zLtändfn
de i Kranzarterie n ohne anatomische Veränderung und
Verengerung der Gefässe,. es handle sich also um eine f unkt io -
,nL * e Koronar an gi na. Langdauernder Tabakmissbrauch
Lonne ausserdem zur Arteriosklerose und so indirekt zur 'echten
anatomisch bedingten Koronarstenokardie führen
Diese Einteilung Huchards und die Charakterisierung
der einzelnen Formen der Stenokardie dürfte, obgleich sie auf
den ersten Blick etwas schematisch anmutet, den Tatsachen ent¬
sprechen. — lieber die reflektorische Angina gastrischen resp.
dyspeptischen Ursprungs fehlen mir eigene Erfahrungen. Einen
lall einer wahrscheinlich „neuritischen Pseudoangina“ habe ich
vielleicht vor kurzem bei einer 18 jährigen Kranken beobachtet,
< ie mit Sehrumpfniere behaftet, chronisch urämisch wurde und
in den letzen Lebenstagen eine fibrinöse Perikarditis bekam. Bei
i hr traten heftige Anfälle wissender Schmerzen hinter dem
oberen Teil des Sternums auf, die von hier gegen den Hals zu
ausstrahlten; die l agi und Phrenici sind leider mikroskopisch
nicht untersucht worden. Was die anderen Formen betrifft so
wird es un Einzelfalle vielleicht nicht immer leicht sein, die
nervöse Pseudoangina — zu der übrigens auch Nothnagels
Angina pectoris vasomotoria gerechnet werden muss, die in
1 rankreich ziemlich unbekannt zu sein scheint — von der echten
Angina zu unterscheiden. Aber im Prinzip wird der tiefgreifende
pathogenetische und vor allem prognostische Unterschied aner¬
kannt werden müssen, der darin liegt, dass die wahre Stenokardie
mit ihrer Ischämie des Myokards einer der lebensgefährlichsten
oymptomenkomplexe ist, während die nervöse Pseudokardie einen
zwar quälenden und schmerzhaften, aber ungefährlichen Zustand
darstellt. Eine andere Frage ist es, ob der Aehnlichkeit des
subjektiven Syndroms in beiden Fällen (retrosternaler, oft
besonders m den linken Arm ausstrahlender Schmerz, verbunden
mit heftigem Angstgefühl) nicht doch eine Gleichheit in
e i n em T e 1 1 de s p a t h o 1 o gi s c h en M e ch a n i s m u s zu
Grunde hege. Auch darauf soll am Schlüsse dieses Aufsatzes
cn igega ngen wer d en .
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1605
II.
Vv as nun die Mittel angeht, deren sich heute die Mehrzahl
< er Aerzte gegenüber der Angina pectoris bedient, so herrscht
m r wohl allgemeine Uebereinstimmung. Die „Anti-Angiuosa“
lassen sich m 2 Gruppen teilen.
Die erste Gruppe umfasst diejenigen Mittel, welche im
Anf all angewendet werden. Hier stehen in erster Reihe die
Aaikotika vor allem das Morphium1). Daneben bedient man
sicfi vielfach der rasch wirkenden unter den Nitriten: des Amyl-
üitrits und des Nitroglyzerins. Die Herzstimulantien, die viel-
ach und mit Recht neben den genannten Mitteln im Anfall ver¬
wendet werden, haben den Zweck, gegen die Herzschwäche, die
tcu 1 aroxysmus so oft begleitet, anzukämpfen; gegen den
c lmerz und die Herzangst sind sie wohl ohne jede Wirkung
vei mögen den Anfall wohl niemals zu koüpieren.
dassVuhph^Ör^tenhi^ T.m?ner Ueberzeugung Ausdruck geben,
im ’s,wlh f Recht hat, wenn er meint, dass das Morphium
werden steV°kanlischeu Anfa11 nicht nur nicht entbehrt
1 losen aff l sondern auch nichtentbehrtwerdensoll. Inden
sicher’ kein ^ ™ BeJfac^t kommen (0,01—0,02) ist Morphium
stenolnvn- ? Zg?ft' Gewiss sieht man nicht selten Kranke im
ab^ '!lllSC;h? Anfa11 nach einer Morphiuminjektion sterben;
das Mm^m,ter»en au tler . Blutleere ihres Herzens, nicht durch
trotz" dp« xrUI11i • 111 au könnte vielleicht sogar sagen: sie sterben
lioiz aes Morphiums.
No. 39.
Von Mitteln der zweiten Gruppe, die gereicht werden um
die Angi naanf alle zu verhüten, kommen (neben wichtigen all
gemeinen Forschriften, die sich auf die Vermeidung körperlicher
strengungen und psychischer Erregungen, sowie auf diätetische
Massnahmen beziehen) m Betracht die langsamer und dauernder
wirkenden Nitrite und zwar : die salpetrigsau r e n A 1 -
kalien, das Erythroltetranitrit ( Ervthronitrol“
empfchTt 1 1 1 h a r ? UU,Cl das N i t r o g 1 j 2 c f i n. Danebi
empfiehlt Huchard und neuerdings auch Vierordt warm
den andauernden Gebrauch von .Todalkalien.
In dieser Reihe, die man mit geringen Variationen in fast
allen neueren und neuesten Darstellungen der Behandlung der
Stenokardie wiederfindet, fehlt nun ein Mittel, das, obwohl be-
füJ YaTI Jah- ""i naCAh d.16Ser RiclltunS empfohlen (Askanazy),
ui die Therapie der Angina pectoris nur sehr geringe Beachtuim
gefunden zu haben scheint, obwohl es sonst, als Diuretikum’
sich ausserordentlicher Wertschätzung erfreut. Der Zweck dieses
Aufsatzes ist es nun, vor allem dieses Mittel, das Theobromin
Jfehlen2)aChdrÜCkliCl1 ^ diö Stenokai’diebehandlung zu em-
. 11Ic1,1 hoffe fuch zeigen zu können, dass seine Anwendung
vielleicht noch e l ne r Erweiterung fähig ist, und
( ass sich aus der klinischen Beobachtung wohl auch Schlüsse
ziehen lassen auf die Art seiner Wirkung, vielleicht auch auf
den Mechanismus der betreffenden Krankheitserscheinungen.
Tn . ^ s.k a_?.a f y hat im Jahre 1895 aus der L i c h t h e i m sehen
Klinik in Königsberg eine Arbeit veröffentlicht, in der er neben
der ausgezeichneten diuretischen Wirkung des Theobromins (in
f ei Form des Diuretm Ivnoll) über eine Anzahl von Fällen be¬
richtet, m denen eine andere Wirkungsweise des Mittels auf¬
geiallen war. Es handelte sich um Nephritiker mit den Be¬
schwerden des kardialen Asthmas und um Kranke mit Aorten-
fehlern, die an stenokardischen Anfällen (meist mit gleich¬
zeitigen asthmatischen Beschwerden) litten. Diese quälenden
Symptome wurden auffallender Weise durch mässige Gaben von
Diuretm prompt beseitigt.
Askanazy teilt in Kürze die Krankengeschichten mit
und knüpft daran einige Bemerkungen über die ihm wahrschein¬
liche Wirkungsweise des Medikaments in diesen Fällen und über
tue iathogenese des stenokardischen Anfalls.
^ In letzterer Beziehung steht Askanazyauf dem Boden
f-f1, .. a 11 5 “Traube sehen Theorie. Ich möchte mich auf eine
Bekämpfung seiner Beweisgründe für die Richtigkeit dieser
nenne hier nicht einlassen; mir scheinen die Auseinander¬
setzungen neuerer Autoren, und insbesondere Huchards in
I fr"101'. meisterkaft geschriebenen Darstellung der verschiedenen
Theorien der Angina pectoris, in diesem Punkte unwiderleglich
Dagegen möchte ich mit ein paar Worten auf eine Behauptung
emgehen, die mir, obwohl sie häufig in der Literatur wiederkehrt,
den I atsaclien nicht ganz zu entsprechen scheint: die Behaup-
tung nämlich, reine stenokardische Anfälle (Herzschmerz mit
Herzangst resp. Vernichtungsgefühl) seien sehr selten, die Sym-
. . ? Ide ™u K r e h 1 und von v. Schroetter bearbeiteten
l !S<' rtte-, < <!f; Nothnagel sehen Sammelwerkes enthalten
obwohl m ihnen von Stenokardie und ihrer Behandlung ausführlich
Thel^rSfa " k<Tiu ]Yort über die Diuretin- (resp. Theobromin-)
iheiapie der Stenokardie, ebensowenig die Darstellung der Zirku-
lationskrankheUen von Romberg in Ebstein-Sc liwnlb es
„Handbuch der praktischen Medizin“ oder der betreffende Abschnitt
m dem Werke von Penzoldt-Stintzing. Ortner in
seiner Therapie, innerer Krankheiten und Penzoldt in seiner
klinischen Arzneibehandlung erwähnen sie nicht; Huchard
nennt das Theobromin als Herztonikum bei Kranken mit
Koronarsklerose neben der Strophanthus und dem Koffein-
auf , die_ an£!m,jseu Anfälle, meint er aber, seien diese
7 !,tel oline Wirkung. Auch sonst findet sich meines Wissens
seit der Publikation von Askanazy (s. oben) ein Hin¬
weis auf die antistenokardische Wirkung der Theobrom inpräparate
nur m der später noch zu erwähnenden Arbeit von
5 a 1 L1 1 . und K a u f m a n n (1901). Ich selbst habe das
Mittel im Jahre 1896 an der Klinik des Herrn Geheim¬
rates Lichtheini kennen gelernt und seither regelmässig
angewendet. Mein verehrter Chef, Herr Hofrat Nothna g e 1
verordnet, es systematisch seit mehreren Jahren; er hat mir die
Erlaubnis gegeben, , hier mitzuteilen, dass es ihm auch in seiner
Privatpraxis ausgezeichnete Dienste geleistet habe. In der letzten
Zeit hat die Diuretinbeliandlung der Stenokardie hier in Wien
etwas allgemeinere Verbreitung gefunden; es mag sein, dass es
sich m Deutschland ebenso verhält, ohne dass etwas darüber in
die Literatur über gegangen wäre.
2
1606
MUENCHENER MEDICINISCHE W 0 CHEN S CHRIFT .
No. 39.
ptome der Angina pectoris kombinierten sich faktisch fast immer
mit den Erscheinungen des kardialen Asthmas. Askanazy
scheint auch dieses Verhalten für die Richtigkeit der Parry-
Traube sehen Theorie zu sprechen : Angina pectoris und
Asthma cardiale seien eben beide Konsequenzen einer plötzlich
einsetzenden Schwäche des linken Ventrikels. Mir scheint die
Tatsache selbst nicht ganz richtig. Allerdings ist die reine Steno¬
kardie (ohne Dyspnoe) kein extrem häufiges Ereignis, aber sie
kommt doch durchaus nicht selten vor. Sie ist merkwürdiger¬
weise viel seltener unter dem liegenden Krankenmateriale dei
Spitäler, als in dem Publikum der Ambulatorien, besonders abei
in der Privatpraxis aus den wohlhabenderen Ständen zu finden
— eine Thatsache, die schon Blanc und neuerdings wieder
K r e h 1 hervorheben und zu erklären versuchen. Ich selbst habe
trotz meiner relativ geringfügigen Erfahrung eine ganze Reihe
von Eällen reiner Angina pectoris unter den liegenden Kranken
der Klinik und ausserhalb derselben gesehen. Aus dem aller¬
dings (besonders bei Aortenfehlern mit alter hochgradigei Hypei
trophie und Dilatation des linken Ventrikels) häufigen Koinzi-
dieren der beiden Syndrome den Schluss zu ziehen, dass die
Stenokardie wie das Kardialasthma die Eolge plötzlicher Herz¬
schwäche seien, scheint mir gleichfalls nicht gerechtfertigt. Wie
oft sehen wir bei akuten Infektionskrankheiten plötzliche
Herzschwäche, wie oft bei Nierenkranken und Arteriosklerotikern
durch arterielle Drucksteigerung bedingte plötzliche Minder¬
arbeit des linken Ventrikels auftreten und bis zum Lungenödem
führen, ohne eine Spur anginöser Beschwerden. Und ist es denn
nicht auffallend, dass unter den Nephritikern, die Askanazy
anführt, alle kardiales Asthma hatten ohne Stenokardie, bis
auf einen, der gleichzeitig an Aorteninsuffizienz litt, während alle
seine Kranken mit Stenokardie Aortenfehler hatten. Da muss
doch wohl geschlossen werden, dass beim Zustandekommen des
anginösen Symptomenkomplexes die Herzschwäche keine
wesentliche Rolle spiele, wohl aber der arterielle (aoiten- resp.
koronarsklerotische) Prozess.
ln Beziehung auf die Wirkung des Theobromins jedoch kann
ich auf Grund unserer nunmehr über fünfjährigen Erfahrung die
Beobachtungen Askanazys nur durchaus bestätigen, und ich
möchte nicht verschweigen, dass ich seine Empfehlung des Theo¬
bromins zur Behandlung des kardialen Asthmas und der Angina
pectoris vera für eine der segensreichsten therapeutischen Er¬
rungenschaften des letzten Jahrzehntes halte.
Von seiner Verwendung beim Asthma cardiale wird hier nicht
weiter die Rede sein. Ich möchte nur die theoretisch interessante
und später noch zu berührende Tatsache erwähnen, dass das Theo¬
bromin. seine spezifisch antiasthmatische resp. asthmaverhütende
Wirkung nur gegenüber den Anfällen von Asthma cardiale
der Nephritiker und der Arteriosklerotiker auszuüben
scheint, die wohl regelmässig mit einer Erhöhung des arteriellen
Druckes (wohl infolge einer plötzlichen Verengerung des peripheren
Strombettes2*) einsetzenund zur Insuffizienz des linken Ventrikels
führen. Niemals habe ich eine derartige prompte Wirkung etwa
gegen die dyspnoischen Zustände der Mitralfehlerkranken ge¬
sehen. (Von der bessernden Wirkung, die das Theobromin als
Diuretikum gegen die Dyspnoe inkompensierter Herzfehler
mit Hydrops allmählich dadurch ausübt, dass es die Oedeme weg¬
schafft, ist hier natürlich nicht die Rede.)
Die eigentliche Domäne des Theobromins aber ist die Angina
pectoris vera der Koronar- resp. Aortenkranken. Es ist bei dieser
natürlich als Mittel zur Coupieruug des Anfalles ganz unverwend¬
bar; dazu wird es viel zu langsam resorbiert und wirkt viel zu
spät. Es findet seine Anwendung als Prophylaktikum und kon¬
kurriert also mit dem Nitroglyzerin und dem Erythroltetranitrit.
Ich habe es im grossen und ganzen dem Nitroglyzerin überlegen
gefunden (in Bezug auf das „ErythronitroD sind meine Er¬
fahrungen noch zu gering, um ein sicheres Urteil fällen zu
können). Ich habe einige Fälle gesehen, in denen das Nitro-
2*) Der Schlaf, scheint aus Gründen, die man bis jetzt nur ver¬
muten kann, zu Kontraktionen der Gefässe (vielleicht auch anderer
glatter Muskeln) besonders zu disponieren. Man vergleiche ver¬
schiedene Angioneurosen, deren Anfälle besonders gerne Nachts
kommen. Interessant ist, dass auch manche Kranke mit Claudi¬
catio intermittens Nachts während vollkommener Iluhe häufig
Schmerzanfälle begleitet von Blässe in dem kranken Bein be¬
kommen.
glyzerin dem Theobromin überlegen schien und andere, in denen
keines der bekannten Mittel im Stande war, den Eintritt der
stenokardischen Anfälle zu verhüten. In der Mehrzahl der Fälle
aber schien mir das Theobromin das verlässlichere Mittel zu sein ,
es drückte fast in allen Fällen, in denen es versucht wurde, die
Paroxysmen in Bezug auf ihre Häufigkeit und ihre Intensität aui
ein erträgliches Mass herab, und das ist bei einem so entsetzlich
schweren und qualvollen Leiden, wie die Angina pectoris, schon
sehr viel. Oder aber es beseitigte die Anfälle vollkommen, manch¬
mal in beinahe wunderbarer Weise. Dass das Mittel, wie Aska¬
nazy schon hervorhebt, in der Regel nur wirkt, solange es ge¬
nommen wird, dass nach seinem Aussetzen die Anfälle sich in der
Regel wieder einstellen, liegt, wie später gezeigt werden soll, in
der Natur der Sache. Es teilt diesen Uebelstand mit den Nitriten.
Doch kommen auch hie und da Fälle vor, in denen nach einer
Periode der Theobrominmedikation die anginösen Erscheinungen
einige Tage bis zu einigen Wochen pausieren3).
Die wenigen Fälle nervöser Pseudostenokardie, in denen
ich Gelegenheit hatte, Theobromin zu versuchen, reagierten
nicht auf das Mittel.
Was die Wahl des Präparates, seine Darreichung und Do¬
sierung betrifft, so sei folgendes bemerkt. Es wurden Diure-
tin (Theobr. -Natrium salicylicum), ferner Theobr.-
Natrium benzoicum, U ropherin (Theobr. -Lithium
salicylic.), in letzter Zeit auch Agurin (Theobr.-Natrium
aceticum) und reines Theobromin versucht. Die meiste
Erfahrung besitze ich über das schon von Askanazy an¬
gewendete Diuretin. (A skanazy hat sich auch schon duich
Versuche davon überzeugt, dass das Wirksame in diesem Präparat
nicht etwa die Salicylsäure, sondern das Theobromin ist. Wir
haben derartige Versuche gleichfalls und mit demselben Resultate
angestellt.) Das Diuretin hat eigentlich die verlässlichsten thera¬
peutischen Resultate ergeben, vielleicht infolge seiner relativ be¬
deutenden Löslichkeit. Es wurde, wenn möglich, in wässerigei
Lösung verordnet (in der gebräuchlichen Weise mit einem Zusatz
von Aqua Menthae als Korrigens) oder, wenn die Kranken durch
den schlechten Geschmack sehr belästigt wurden, in Pulvern
zu 0,5. Die Tagesdosis betrug vom Diuretin anfangs gewöhnlich
3—3,5 g (vom Agurin 2—2,5, vom Theobr. purum 114—2 g).
Blieben die Anfälle unter dieser Medikation weg, so konnte oft
langsam auf 2,5 — 2 g heruntergegangen werden, ohne dass sie
wiederkehrten. Sehr wesentlich ist es, die Tagesdosis gleich-
mässig über 24 Stunden zu verteilen ; manche Kranke bekommen,
wenn sie die Nacht über ohne Medikament bleiben, nächtliche
Anfälle, die sich durch gleichmässige Verteilung über Tag und
Nacht vermeiden lassen. Die Präparate wurden fast durchwegs
gut vertragen; von der schädlichen Wirkung des Diuretins auf
den Magen, von der H uchard spricht, und die ihn dieses Prä¬
parat wie alle Doppelsalze ganz verwerfen lässt, habe ich mich
nicht überzeugen können. Die einzige unerwünschte Neben¬
wirkung waren gelegentlich auftretende Kopfschmerzen, die man
ja auch sonst bei Theobrominpräparaten sieht, und die bei den
Nitriten oft in viel höherem Grade störend sind. Die relativ
geringen Dosen von 2 — 214 g pro die wurden von manchen Kran¬
ken durch Wochen anstandslos genommen4).
(Fortsetzung folgt)
3) Dass neben der Darreichung des Theobromins die ausser¬
ordentlich wichtigen Vorschriften, die sich auf die Vermeidung
körperlicher Anstrengung, reichlicher Mahlzeiten etc. beziehen,
nicht vernachlässigt werden dürfen, versteht sich von selbst.
•*) Ich kann hier eine Bemerkung nicht unterdrücken
über den immer noch entsetzlich hohen Preis
der Theobrominpräparate. Es ist in der Tat
ausserordentlich bedauerlich. wenn Präparate, wie das
Diuretin, das nachgerade alles andere als ein Luxusartikel
geworden ist. gleich vielen sehr entbehrlichen neuen Antipyreticis,
Nährpräparaten etc. so hoch im Preise stehen, resp. gehalten
werden, dass arme Leute die relativ bedeutenden täglich nötigen
Quantitäten (mehrere Gramme) durch längere Zeit einfach nicht,
erschwingen können. Es wäre ausserordentlich erfreulich, wenn
die betreffenden Fabriken sich entschliessen würden, auf einen
exorbitanten Profit bei einem Mittel zu verzichten, das wie wenige
andere heutzutage zur Behandlung schwer Kranker unersetzlich
ist und dessen Darstellung wohl schon durch den Massenkonsum
selbst bei wesentlich reduzierten Preisen einen recht erheblichen
Gewinn abwerfen dürfte.
30. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1607
Aus der medizinischen Poliklinik in Freiburg i. B.
Klinische Erfahrungen mit Jodothyrin.
Von Prof. E. R o o s, I. Assistent der medizin. Poliklinik.
Nachdem nunmehr einige Jahre seit der Einführung des
Jodothyrins in die medizinische Praxis verflossen sind, innerhalb
welcher Zeit das Nittel vielfach von uns angewendet wurde,
scheint es mir am Platze, die damit gemachten Erfahrungen
kurz zu besprechen. Auch meine Kollegen an der Poliklinik, die
Ifeiren DDr. Gebhard, Iv o c h und S c h a i c h, haben mir
ihre Beobachtungen zur Verfügung mitgeteilt, wofür ich ihnen
zu bestem Danke verpflichtet bin.
Die anfängliche Ueberschätzung der Schilddrüsentherapie
uad des Jodothyrins hat wie gewöhnlich einer Unterstützung
1 latz gemacht, so dass die in verschiedener Beziehung eigen¬
artig wirkende Substanz uns jetzt zu wenig Beachtung zu finden
scheint.
_ Besonders ist die Schilddrüsentherapie wohl wegen Intoxi-
kationsei scheiiiungeii, die durch zu hohe Dosen oder unreine oder
undosierte Präparate hervorgerufen wurden, etwas in Misskredit
gekommen. V ir haben mit J odothyrin, das wir meistens an¬
wandten — andere Präparate wurden manchmal zum Vergleich
gegeben nur ganz im Anfang nach sehr grossen Dosen, einige-
niale Thyreoidismus gesehen, der übrigens nach Aussetzung des
Mittels schnell verschwand, seither nicht mehr. Auch Zuckeraus¬
scheidung wurde nicht beobachtet, obwohl bei allen Fällen, die
längere Zeit die Substanz nahmen, darauf geachtet wurde. Die
von uns bei Erwachsenen gewöhnlich angewandte Dosis ist
1,0 g* 2), welches meist auf einmal nach dem Frühstück als Pulver
seltener in Tablettenform eingenommen wird. In manchen
Fällen gaben wir auch zweimal täglich 1 g, selten mehr. Bei
Verabreichung von täglich 1 g wurde bisweilen nach 6 — 8, bei
einer Tagesdosis von 2 g nach 3—4 Tagen 2—3 Tage Pause
gemacht, um dann den Turnus von neuem zu beginnen, bei 1 g
das Mittel aber auch ohne Pausen längere Zeit gegeben. Kinder
erhielten durchschnittlich täglich 0,3— 0,5 g, ganz kleine, von
denen gegenwärtig eines von 9 Monaten wegen eigentümlicher
Ki ampf zustände, die mit Schilddrüsenmangel in Zusammenhang
gebracht wurden, mit gutem Erfolge in Behandlung ist, 0,1 g
2 3 mal in der Woche. Wenn möglich wurden die Patienten
alle 4 — 5 Tage kontrolliert.
Die von uns weitaus am häufigsten mit dem Mittel be¬
handelte Affektion ist die hier in Freiburg endemische Struma.
V ir geben meist täglich 1 g und gebrauchen, um den par¬
enchymatösen Kropf jüngerer Leute soweit als möglich zurück¬
zubringen, durchschnittlich 6—10 g. In. manchen Fällen, be¬
sonders bei derben fibrösen Strumen, wurde allerdings erst durch
grössere Dosen eine genügende Verkleinerung erzielt. Zur
besseren Erhaltung des Erfolgs verordnen wir dann gewöhnlich
noch eine Jodeinreibung. Die auf dem vorjährigen Chirurgen¬
kongress von Kraske1) gegen die Schilddrüsenbehandlung des
Kiopf es erhobenen Einwände, die in eine völlige Verwerfung- der¬
selben auslaufen, erklären sich wohl zum Teil aus der Ver¬
schiedenartigkeit des Materials, das dem internen Arzt und dem
Chirurgen im allgemeinen zugeht. Unsere Strumafälle sind vor¬
wiegend leichtere und bei geringen oder überhaupt fehlenden
Beschwerden zu einer Operation durchaus nicht zu bewegen. Aber
ein medikamentöses V orgehen gegen die Affektion wird verlangt,
und da hat uns denn die Jodothyrintherapie zur allgemeinen
Zufriedenheit gedient. Aber auch Fälle mit Atemnot bei
*) Das Jodothyrin des Handels ist wie bekannt die Milch-
zuckeryerreibung der wirksamen organischen Jodverbindung der
»Schilddrüse. Dieselbe ist so eingestellt, dass 1 g der Verreibung
mg Jod in der organischen Jodotliyrinbindung enthält. Dies
ist die durchschnittliche Jodmenge, die sich nach den Unter¬
suchungen von B a u m a n n in 1 g frischer Hammelsschilddrüse
nnciet. Es ist demnach Jodothyrin ein Präparat von völlig kon-
stantem Gehalt. Dass diese Dosierung nach dem Jodgehalt voll
Dereehtigt ist, wurde von mir vor einiger Zeit auch dadurch er¬
wiesen, dass ich zeigte, dass bei Verfütterung von einfach ge¬
trockneter . und pulverisierter Schilddrüse verschiedenen Jod-
gehaites die Einwirkung auf den Stoffwechsel und die Struma bei
gleicher Dosis um so stärker ist, je grösser der Jodgehalt der ein¬
gegebenen Portion, und dass jodfreie Schilddrüsensubstanz über-
naupt unwirksam ist. (Vergl. Hoppe-Seylers Zeitschr. für phys.
Chemie Bd. 28, S. 40 u. ff.)
i q-... V erhandl. der Deutsch. Gesellsch. f. Chirurgie, 30. Kongress
J-cHJl, ö. 25.
derben,, zum Teil substernalen Strumen, deren interne Behand¬
lung wir ursprünglich ablehnen wollten, haben die Beschwerden
mehrfach rasch verloren und sind, soweit wir dieselben ver-
folgen konnten jedenfalls längere Zeit rezidivfrei geblieben.
, Cystenkropfen ist natürlich, wie schon oft betont, eine in¬
terne Behandlung von vornherein aussichtslos, wenn auch manch¬
mal durch Abnahme des die Cysten umgebenden Schilddrüsen¬
gewebes die Beschwerden sich verringern. Was die Folgen der
internen Behandlung auf eine eventuelle spätere Operation an-
iangt, so sind die Ansichten darüber geteilt. Während Kraske
eine Erschwerung des Eingriffes darin sieht, empfiehlt
Kocher ) geradezu m manchen Fällen eine vor der Operation
emzu leitende Schilddrüsentherapie. Jedenfalls kann der interne
x rzt bei einem für . die Arzneibehandlung geeigneten Falle die¬
selbe nicht wohl mit dem Hinweis auf eine nach Jahren viel¬
leicht notwendig werdende Operation ablehnen, und meist will
sich der Patient, bevor er sich zur Operation entschliesst,
zuerst von der Nutzlosigkeit der innerlichen Behandlung über¬
zeugen. Auf tretende Rezidive Hessen sich gewöhnlich ebenso
prompt wie die ursprüngliche Vergrösserung beseitigen. Man hat
sogar den Eindruck, dass die Schwellung die späteren Male eher
leichter auf das Mittel zurückgeht, als zuerst. Auch mit dem
kosmetischen Erfolg waren unsere Patienten — vielfach Dienst¬
mädchen — meist völlig zufrieden, obwohl bisweilen auch bei
vorwiegend parenchymatösen Strumen einige fühl- oder sichtbare
Beste Zurückbleiben. Erscheinungen von Schilddrüsenmangel,
die von mancher Seite durch möglicherweise zu starkes Zurück¬
geben des normalen Schilddrüsengewebes befürchtet wurden,
haben wir im Gefolge der Jodothyrinbehandlung niemals be¬
obachtet.
Andere Schilddrüsenerkrankungen, entzündliche und bösartige
V ergrösserung derselben wurden von uns nicht in den Bereich der
internen Therapie gezogen, wie dies z. B. Riviere3) in Lyon
getan hat, der die durch das Beiden hervorgerufenen und von
ihm auf Dysthyreosis in Folge der Drüsenerkrankungen zurück¬
geführten Beschwerden mit Jodothyrin günstig beeinflusst zu
haben angibt.
Kretinismus zu behandeln haben wir manchmal Gelegenheit.
Dabei scheint es allerdings, dass bei erwachsenen Kretins nichts
mein mit der Therapie zu erreichen ist. Aber bei zwei kretinisti-
schen Kindern wurden bemerkenswerte Resultate erzielt. Bei
beiden kam das fast völlig stehengebliebene Längenwachstum
wieder stark in Gang, das eine Kind wuchs in 7 Monaten um
TA cm, und beide wurden geistig erheblich regsamer. Aehnliche,
zum Teil sehr gute Erfolge aus der Kinderpraxis berichten
Banz4 *), Quincke“), Neumann 6).
Lieber die Anwendbarkeit der Schilddrüsentherapie resp.
des Jodothyrins zur Beeinflussung des Stoffwechsels, ins¬
besondere zur Entfettung, sind die Ansichten geteilt. Ab¬
gesehen von massloser Einnahme des Mittels durch Patienten
auf eigene Faust und dementsprechender Schädigung der¬
selben, hat hier wohl besonders abschreckend die vielfach fest¬
gestellte Tatsache gewirkt, dass neben einer Zunahme der Ver¬
brennung von Fett auch die Stickstoffausscheidung steigt, so
dass man eine starke gleichzeitige Einschmelzung von Körper-
eiweiss annehmen zu müssen geglaubt hat. Schöndorf zeigte
“bei, dass bei länger dauernder Einnahme die Vermehrung- der
Stickstoffausscheidung bald aufhört, während die sonstige Steige-
lung der Oxydationsprozesse weiter geht. Die anderen Unter¬
sucher haben die Substanz immer nur kurze Zeit eingegeben.
Es handelt sich deshalb bei der anfänglichen Vermehrung- der
Stickstoffausscheidung nach diesem Forscher nicht um eine
Steigerung der Eiweisszersetzung, sondern um eine verstärkte
Auslaugung der Gewebe, durch welche der darin befindliche Harn¬
stoff und andere stickstoffhaltige Körper in grösseren Mengen
nach aussen befördert werden. Dieser Vorgang macht sich beim
Menschen und manchmal auch beim Hunde durch eine verstärkte
Diurese bemerklich. Erst wenn der Fettgehalt des Körpers ein
2) Ibid. S. 346.
3) La medecine moderne 1901, No. 4.
4) Zur Anwendung des Jodothyrins in der Kinderpraxis.
Therap. Wochenschr. 1897, No. 11.
“) Ueber Athyreosis im Kindesalter. Deutsche med. Wochen¬
schr. 1900, No. 49 u. 50.
°) Berl. klin. Wochenschr. 1901, No. 49.
2*
1608
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
gewisses Minimum erreicht hat, wird auch das Eiweiss an¬
gegriffen.')
Ich habe mich deshalb für berechtigt gehalten, das Jodo¬
thyrin zu Entfettungszwecken zu verwenden. Auch vorher ist
dies schon mehrfach mit gutem Erfolge geschehen7 8 *). Die vor der
Behandlung eingehaltene Diät wurde jeweils beibehalten, sei es,
dass dieselbe eine gewöhnliche war, oder dass eine auf Entfettung
gerichtete Kostordnung schon einige Zeit ohne genügenden Er¬
folg gebraucht worden war. Eine stärkere Gewichtsabnahme
wurde bei den nur mässigen Dosen, die wir anwandten, nicht in
allen Fällen erreicht. Aber auffallenderweise besserten sich, wenn
die Einnahme längere Zeit fortgesetzt wurde, auch wenn keine
nennenswerte Gewichtsabnahme eintrat, in -einigen Fällen die
Beschwerden, die offenbar mit der Körperfülle zusammenhingen.
Dies wurde auch schon von Schwarzbart “) beobachtet. Ich
möchte zwei Fälle anführen, die bei der Jodothyrinmedikation
abnahmen, und zwei Fälle, bei denen ohne Gewichtsverlust die
Beschwerden sich verminderten.
1. H. M., 32 Jahre. Im letzten halben Jahre sehr stark ge¬
worden. Viel Nasenbluten und Gefühl von Yollsein, Engigkeit
beim Gehen und Treppensteigen. Leichte Obstipation. Patientin
ist sehr stark und gut ausseliend. An den inneren Organen, speziell
am Herzen objektiv nichts Abnormes. Puls 68, regelmässig. Ge¬
wicht 85,7 kg.
3.-8. XII. 1901. Täglich 1 g’ Jodothyrin.
9. XII. 84,4 kg. Puls 76, regelmässig, Schlaf gut. Appetit
nicht besonders, sonst keinerlei Beschwerden. Fühlt die Abnahme
an den Kleidern.
9. — 14. XII. Je 1 g Jodothyrin.
14. XII. S3,5 kg. Fühlt sich woliler und leichter. Puls 76,
regelmässig. Gar nichts vom Herzen bemerkt. Appetit besser. |
Keinerlei Klagen.
15. — 25. XII. Täglich 1 g Jodothyrin.
26. XII. S3,2 kg. Keine Herzbeschwerden; etwas erkältet.
28. XII. — 3.1.1902. Je 2 mal täglich (Morgens und Abends) lg.
Kontrolle am 31. XII. gibt nichts Besonderes.
6. I. 82,6 kg. Fühlt sich recht wohl, arbeitet seit 4. I. wieder.
Wegen Obstipation Brustpulver genommen.
9. — 15. I. Je 2 mal 1 g Jodothyrin.
20. I. SO, 7 kg. Fühlt sich recht leicht und arbeitsfähig. Puls
90, regelmässig. Urin immer eiweiss- und zuckerfrei. Hat während
der Behandlung die Kost nicht -wesentlich geändert.
2. G., 43 jährige Witwe. Recht starke, kleine Frau mit allen
möglichen nervösen Beschwerden. Ausser geringen Hämorrhoiden
objektiv nichts nachweisbar. Besonders klagt sie über häufige Be¬
engung und Mattigkeit. Puls 72, ziemlich regelmässig, Herz nor¬
mal. Urin eiw’eiss- und zuckerfrei. Gewicht 64 kg. Hat seit
längerer Zeit sich im Essen stark zurückgehalten, wenig Kohle¬
hydrate gegessen und getrunken ohne nennenswerte Abnahme
oder Erleichterung.
Nimmt vom 14. XI. 01 an 3 Wochen lang wöchentlich 5 g
Jodothyrin, indem sie jeweils nach 5 g 2 Tage pausiert.
9. XII. Fühlt sich leichter und weniger müde, Gewicht
62,7 kg. Puls 80, regelmässig.
Nimmt wieder 2 Wochen in derselben Weise je 5 mal 1 g
Jodothyrin.
2. 1. 02. Gewicht 61,5 kg. Puls 72, regelmässig. Erhebliche
Erleichterung. Kein Eiweiss, kein Zuckei\
3. K., Lehrerin, 40 Jahre. Ziemlich stark, nimmt seit längerer
Zeit eine gegen das Starkwerden gerichtete zweckmässige Diät
ohne nennenswerten Erfolg. Ist ziemlich angestrengt in ihrem Be¬
rufe tätig, fühlt sich oft schwer, voll und müde und hofft von
einer Entfettung Besserung. Patientin war einige Male vorher
schon wegen Herzbeschwerden in Behandlung. Das Herz zeigte
die Erscheinungen einer mässigen Myokarditis. Die Beschwerden
wurden damals durch geeignete Lebensweise und etwas Stro-
phantlius gebessert. Der objektive Befund des Herzens ist jetzt
etwa derselbe: Die Dämpfung ist besonders nach rechts etwas
verbreitert, der erste Ton unrein, die zweiten Töne laut. Die Herz¬
tätigkeit zeigt von Zeit zu Zeit Unregelmässigkeiten und frusträne
Kontraktionen. Puls 60 — 70 Schläge, etwas klein. Sonst nichts
Abnormes. Gewicht S4 kg. Urin eiweiss- und zuckerfrei. Pat.
ist sehr ruhig und beobachtet sich sehr gut. In Anbetracht des
Herzens wurde nur sehr vorsichtig mit dem Jodothyrin vor¬
gegangen.
Patientin nftnmt zwischen dem 14. XII. und 21. XII. 5 mal
1 g Jodothyrin, indem sie pausierte, wenn sie glaubte, etwas mehr
vom Herzen zu spüren.
21. XII. Puls ziemlich kräftig und regelmässig, 70. Herz
gegenwärtig zufällig ausnahmsweise ruhig. Gewicht 83,4. Keine
Beschwerden von den Pulvern.
21. — 28. XII. 5 mal 1 g Jodothyrin.
28. XII. Hat sich wohl gefühlt. Gewicht 83,3 kg. Puls 76,
regelmässig.
Vom 28. XII. bis 4. I. 02 täglich 1 g Jodothyrin.
7) Schöndorf: Pflügers Arch. Bd. 67, 1897, S. 406 — 407.
8) Vergl. Gra witz: Münch, med. Wochenschr. 1S96, No. 14.
Weis s: Wien. med. Wochenschr. 1898, No. 41. Hönig-
sehmid: Aerztl. Centralztg. 1901, No. 6.
c) Wien. med. Presse 1901, No. 28.
4. I. Fühlt sich wohl. Puls etwas erregbar, S4, nach einiger
Ruhe 66. Fühlt sich kurz nach dem Pulver manchmal etwas
warm, sonst keine unangenehmen Folgen.
Vom 5. I. bis 18. I. 10 mal 1 g Jodothyrin.
10. I. Nichts Besonderes, fühlt sich wohl.
18. I. Gewicht 83,8 kg. Fühlt sich woliler und leichter als
früher, steigt erheblich leichter Treppen. Puls 70, regelmässig.
Die Kur wurde abgebrochen, da grössere Jodothyrindosen nicht
angebracht erschienen und mit den angewandten eine nennens¬
werte Gewichtsabnahme nicht erreicht wurde. Zudem war Pa-
tientin mit dem subjektiven Erfolge sehr zufrieden.
4. N. M.. 21 Jahre. Ist. seit einigen Monaten recht stark ge¬
worden. Fühlt sieb oft sehr voll und eng, wenig Herzklopfen.
Stuhl jetzt regelmässig, nachdem in den letzten Wochen dagegen
eingenommen worden war. Regel seit einiger Zeit unpünktlich und
schwächer als früher. Sieht blühend aus. Erster Herzton etwas
unrein, sonst objektiv keine deutliche Abnormität. Puls frequent,
108, regelmässig. Gewicht 71,7 kg.
7. — 14. XII. Täglich 1 g Jodothyrin.
14. XII. Gewicht 71 kg. Puls 100. Fühlt sich wenig ver¬
ändert.
14. — 21. XII. je 1 g Jodothyrin.
21. XII. Gewicht 71 kg, fühlt sich etwas woliler. Die in der
Zwischenzeit eingetretene Regel ist besser verlaufen als sonst.
Puls 100. Keine Herzbeschwerden.
22. — 28. XII. je 1,5 g Jodothyrin.
8. I. Gewicht 71,5 kg. Puls 92, keinerlei Herzbeschwerden.
Fühlt sich manchmal noch etwas voll und unbequem.
9. I. — 14. I. je 2 mal 1 g Jodothyrin.
18. I. Fühlt sich leichter und etwas woliler. Puls 96, regel¬
mässig.
Dr. Schaich stellt mir folgende Beobachtung zur Ver¬
fügung. Dieselbe betrifft einen 22 jährigen jungen Mann, welcher
gegen das Ende seiner Militärzeit anflng, an Körpergewicht stark
zuzunehmen. Nach wenigen Monaten war der Kranke sehr schwer
beweglich geworden, litt viel an Herzklopfen und Atemnot und
lag deshalb monatelang fast ständig zu Bett. Eine Jodothy rinkur
von etwa 14 Tagen führte einen auffälligen Umschwung herbei,
indem das Körpergewicht abnahm, die Herzbeschwerden sich in
Kürze besserten und die Beweglichkeit wiederkehrte, nachdem
vorher diätetische Massnahmen keinen Erfolg gehabt hatten. Erst
jetzt wurde mit denselben mit Nutzen begonnen.
Andere Aerzte haben, successive steigend, unter gleich¬
zeitiger Eingabe des von M a b i 1 1 e und Ewald zur Vermei¬
dung von Tliyreoidismus empfohlenen Arsens erheblich grössere
Dosen von Jodothyrin verwendet und damit ausgiebige Erfolge
ohne Nebenerscheinungen erzielt 10). Bei den von uns ver¬
abreichten Mengen haben wir auch ohne das sonst offenbar
sehr zweckmässige Arsen keine unangenehmen Erscheinungen
gesehen, auch nicht bei Fall 3, der ausgesprochen myokarditische
Erscheinungen darbot.
Eine andere Beobachtung, die ich leider mit genaueren
Krankengeschichten nicht belegen kann, möchte ich immerhin
nicht ganz übergehen. Es fiel nämlich 2 mal auf, dass anämische
Mädchen, die ohne befriedigenden Erfolg mit Eisenpräparaten
behandelt worden waren, nachdem sie wegen einer gleichzeitig
bestehenden Struma Jodothyrin erhalten hatten, nachher bei
Wiederaufnahme der Eisenbehandlung erheblich bessere Fort¬
schritte machten. Man hatte den Eindruck, als ob der Stoff¬
wechsel einen Anstoss erhalten hätte. Vielleicht kann man sich
hier die Wirkung des Jodothyrins etwa ähnlich vorstellen, wie
die eines mässigen Aderlasses, der ja auch schon zur Behandlung
der Chlorose empfohlen wurde.
Ein weiteres Gebiet, auf dem es nahe lag, das Jodothyrin zu
versuchen, ist die Arteriosklerose. Jodsalze werden ja schon lange
und vielfach dagegen gegeben. Ich möchte hier die widersprechen¬
den Angaben der Autoren, von denen die einen experimentell eine
Herabsetzung des Blutdruckes durch Jodsalze erzielt zu haben
angeben, die andern eine solche nicht beobachten konnten, ebenso¬
wenig genauer besprechen als die auseinandergehenden Ansichten
über die klinische Wirksamkeit derselben bei den Gefäss-
veründerungen, sondern auf die Zusammenstellung der ein¬
schlägigen Literatur durch Gumprech t verweisen 1!). Die
sorgfältigen Tierversuche dieses’ Forschers ergaben, dass bei Ka¬
ninchen der Blutdruck und Gefässtonus durch Jod nicht wesent¬
lich geändert wird. Auch beim Menschen konnte derselbe weder
beim Gesunden noch beim Arteriosklerotiker auch durch längere
Eingabe von Jodkalium einen irgendwie wesentlichen und kon¬
stanten Einfluss auf den Blutdruck erreichen. Da aber bei der
10) Vergl. Honig schmld: Aerztl. Centralztg. 1901, No. 6.
u) Die Bedeutung des Jods als Vasomotorenmittel. Kongress
für innere Med. IXX, 1901, 8. 260.
30. September 1902.
MUENCIIENER MEDIQINI S CHE WOCHENSCHRIFT.
1609
Beurteilung der Anwendbarkeit des Jods bei Arteriosklerose seine
Einwirkung auf den Blutdruck natürlich nicht allein ausschlag¬
gebend ist und vielleicht noch andere Eigenschaften des Jods in
Betracht kommen, verhält sich Gu mp recht nicht gerade ab¬
lehnend gegen die Medikation, empfiehlt sie aber auch nicht
besonders. Er lässt sie zu unter der Bedingung, dass nur kleine
Dosen (nicht über 1 g) gegeben und öfters Pausen gemacht
werden, . um die bekannten Unannehmlichkeiten der Jod¬
medikation nicht zu stark werden zu lassen. In neuester Zeit
sucht J o d 1 b a u e r auf Grund theoretischer Betrachtung, ohne
eigene Versuche anzustellen und diejenigen Gump rechts zu
berücksichtigen, eine Erklärung für die Wirksamkeit des Jods
bei Arteriosklerose zu geben.
Auch mit dem Jodothyrin sind eine Reihe von Versuchen
bezüglich seiner Einwirkung auf die Zirkulation angestellt
worden, v. Vamossy und Vas geben an, keinerlei Einfluss
der Substanz auf den Nerven- und Muskelapparat des Herzens
und ebensowenig auf den Blutdruck gefunden zu haben 12). Auch
Bartel t, der allerdings nur einen Versuch anstellte, sali keine
Beeinflussung 1S). v. Cyon dagegen, welcher die Vamossy-
V a s sehen Angaben als nicht genügend begründet erachtet “),
beobachtete in vielen Tierversuchen nach Einspritzung von Jodo¬
thyrin regelmässig Senkung des Blutdruckes und Verlangsamung
< er Herzschläge, nach seiner Deutung hervorgerufen durch Er¬
regung der intrakardialen ITemmungszentra und der Nervi de-
pressores. Dieselben Resultate erhielten v.Cyo n und Oswald
mit dem von Oswald dargestellten Thyreoglobulin 15), welches,
wie dieser Forscher gezeigt hat, als wirksamen Bestandteil den
Jodothyrinkomplex enthält. Interessant ist auch die Feststellung
der beiden Autoren, dass eine Reihe sonstiger aus der Schilddrüse
gewonnener Produkte, auch wenn sie Jod enthalten, die wirk¬
samen Eigenschaften des J odothyrins nicht besitzen 1U), was auch
mit einigen von mir angestellten Versuchen übereinstimmt. Nach
Untersuchungen von B a r b e r a, die auf v. Cyons Veran¬
lassung ausgeführt wurden, kommt dem Jodnatrium eine dem
Jodothyrin gegenteilige Wirkung zu, nämlich eine Schwächung
der regulatorischen Herznerven, welche eine Zunahme der Puls¬
frequenz und eher Erhöhung des Blutdruckes im Gefolge hat 17).
Auch Laudenbach scheint ähnliche Resultate erhalten zu
haben ltS). Gegen die Stichhaltigkeit und Deutung der v. Cyon-
schen \ ersuche sind von v. Fenyvessy gewichtige Einwände
erhoben worden ). Es sind also auch hier, ähnlich wie beim
Jod, die Ansichten geteilt, ob eine Herabsetzung des Blutdrucks
nach Jodothyrinzufuhr eintritt, was bei der Behandlung der
Arteriosklerose gewiss günstig ins Gewicht fiele, oder eine direkte
Beeinflussung des Zirkulationsapparates nicht stattfindet. Aber
auch ohne eine solche wäre vielleicht schon allein durch die starke
Anregung des Stoffwechsels durch das Mittel ein günstiger Ein¬
fluss auf die Gefässwand zu erwarten ohne jede Gefahr eines
Jodismus. Eine Beobachtung v. Eiseisbergs, die mir in diesem
Zusammenhang ein gewisses Interesse zu haben scheint, möchte
ich nicht unerwähnt lassen, v. Eiseisberg studierte die
folgen des Schilddrüsenmangels an Pflanzenfressern und fand
bei zwei der in den ersten Lebenswochen thyreoidektomierten
Schafen und Ziegen, welche monatelang die typischen Erschei¬
nungen der Cachexia thyreopriva darboten, hochgradige Arterio¬
sklerose, besonders der Aorta und anderer Gefässe 20).
Leider ist das hier auf der Poliklinik zu therapeutischen
Versuchen bei Arteriosklerose zur Verfügung stehende Material
wenig geeignet. Vollkräftige Männer mit dieser Gef ässerkrankung
und erhöhtem Blutdruck suchen deshalb kaum die Poliklinik auf
und bequemen sich gewöhnlich nicht zu einer längeren Kur mit
häufigen und zeitraubenden Vorstellungen auf der Klinik. Ge¬
wöhnlich sind uns nur solche Fälle mit mehr oder weniger
schweren Komplikationen oder Kompensationsstörungen zugäng¬
lich. Zwei davon mögen etwas genauer angeführt sein:
J* S- C-> p6 Jahre alt. Seit längerer Zeit Engigkeit und Druck
t der Brust. Viel Husten. Schläft wenig und nmss der Atern-
*p Münch, med. Wochenschr. 1897, No. 25.
13) Dorpater Naturforschergesellschaft 189G, März, S 135
) Pflügers Arch. 70. Bd., 1898, S. 1G1 u. ff.
la) Pflügers Arch. 83. Bd., 1901, S. 199.
1S) Loe. cit.
") Pflügers Arch. Bd. G8, 1897, S. 434.
,2 X?.rgl* Parbera: Pflügers Arch. Bd. 79, 1900, S. 312.
) Wiener klin. Wochenschr. 1900, No. 6.
°) Arch. f. klin. Chirurgie 49. Bd., Heft I.
No. 39.
Atmen ist
not v i gen im Bett, viel aufsitzen. Bei Anstrengung besonders
starke Engigkeit Puls 80, ziemlich kräftig und regelmässig
ÄmmT***! Arteriosklerose <lcr Radialarterieu und tSdpÄ
et™ Pach ]mks verbreitert. Töne mittelstark, rein. Ziemlich
CewiV.htElrc -yrm °üw?10IlChi/tj,S' Uriu eiweiss' und zuckerfrei.
Vom 90 vii JJutdruck (G ärtner sches Tonometer) 13.
\ omr“-9^ V. bis 4. AI. je 1 g Jodothyrin.
-9 ,.5‘ 71- nennenswerte Aenderung des Befindens. Puls
zuckerfrei'1 SS1^’ 1>u<ruck Gewicht 55,3 kg. Urin eiweiss- und
5. — 11. VI. je 1 g Jodothyrin.
12. \ I. Subjektives Befinden wenig gebessert immer noeh
Atemnot, Puls 72, Blutdruck 12, Gewicht 55,0 kg
12. — 18. VI. je 1 g Jodothyrin.
19. VI. Das allgemeine Befinden ist besser das
leichter, Puls 72, Blutdruck 11,5, Gewicht 55,1 kg’.
19. — 25. VI. je 1 g Jodothyrin.
25. VI. Puls 76, Blutdruck 12, Gewicht 56, Urin eiweiss-
und zuckerfrei. Das allgemeine Befinden besser, Atemnoth kaum
mehr vorhanden; fuldt sich kräftiger und denkt ans Arbeiten.
26. VI.— 2. V II. je 1 g Jodothyrin.
r. J°\ Y11- Pul? 80, Blutdruck 11. Fühlt sich ziemlich gut und
«isst sich lur arbeitsfähig erklären. Die Arterienwand scheint
eher etwas weniger rigid zu sein.
Ein zweiter Fall beti'af ebenfalls einen Emphyse-
matiker von erst 42 Jahren mit starker Sklerose der fühlbaren
Arterien Der Kranke war stark cyanotisch und hatte kleinfinger¬
dick auf getriebene Venen am Halse und oberen Thorax. Diese
Stauung wurde durch das Emphysem nicht genügend erklärt und
sonst ein die Venen komprimierender Tumor ausser einer sehr
''ff,1'"1; parenchymatös-fibrösen Struma ziemlicher Grösse konnte
nicht festgestellt werden. Die Herztätigkeit des
regelmässig, 100, die Herztöne leise,
rein. Auf
Patienten war
den geblähten
Patient leidet
„ Jodothyrin mit
war die Cyanose sehr viel ge-
am Halse und oberen Thorax
waren offenbar grösstenteils
dieser Zeit um 4 cm abnahm,
gebessert. Die Pulsfrequenz
Lungen massiger, vorwiegend trockener Katarrh,
viel an Atemnot. Urin eiweiss- und zuckerfrei.
Der Kranke nahm 8 Wochen lang täglich 1 °
folgendem Erfolg: Nach 3 Wochen
ringer und die Venenerweiterungen
stark zurückgegangen. Dieselben
durch die Struma verursacht, die in
Auch die Atemnot wurde erheblich
fi(;h kaam miter der Kur, der anfängliche Blutdruck von
nach Gärtner war nach 8 Wochen 11,0, nachdem er auch
m der Zwischenzeit sich ziemlich gleichgeblieben war. Das Körper¬
gewicht des ziemlich mageren Mannes, das anfangs etwas ab¬
genommen hatte, war am Schlüsse 63 kg (anfangs 62 5 k«') Das
■mbjekUTe Befind« w.ar entschieden besser. Aber dfe Bessernn«
“Kr. gl'wen Teil auf den Rückgang der Struma zu setzen
/Je] flaues V eicherwerden der Arterienwandungen wage ich
nicht zu behaupten, und die Pulskurven am Anfang und am
heitenSSe ^ Behandluug zeiS'eu keine erheblichen Verscliieden-
Ein deutlicher Einfluss auf die Arteriosklerose ist bei beiden
Kranken demnach nicht erzielt worden. Bei so weit vorgeschrit¬
tenen Fällen und der immerhin kurzen Behandlungs- und Beob-
dchtungszeit, die uns nur möglich war, ist dies aber auch kaum
zu erwarten. Jedenfalls wurde das Mittel auch bei der ge¬
schwächten Zirkulation der beiden Patienten ohne jede Störung
vertragen und hat lindernd gewirkt. Es scheinen mir deshalb
weitere, länger auszudehnende Versuche, eventuell mit grösseren
Pausen und womöglich bei leichteren Fällen, immerhin angezeigt.
iS ui nebenbei möchte ich noch erwähnen, ohne natürlich
irgend einen bestimmteren Schluss daraus ziehen zu wollen, dass
bei einem 64 jährigen Kranken mit starker Arteriosklerose und
schwachem Herzen, der im Laufe von 1% Jahren mehrfache
leichte Schlaganfälle offenbar infolge thrombotischer Prozesse
in den Gehirngefässen erlitt, sich die Lähmungen unter Jodo-
thyi ingebrauch (tägl. 1 g) jeweils rasch und ohne alle Neben¬
erscheinungen von seiten des Mittels zurückbildeten. Der Exitus
erfolgte durch eine Pneumonie.
Sehr günstige Erfahrungen bei Arteriosklerose und rheu¬
matischen Affektionen mit dem Mittel in Dosen von 1 — 3 g tägl.
belichten Lancereaux und P aulesco ). In einer zweiten
Arbeit beschreibt der letztere Arzt die günstige Beeinflussung
schwerer trophischer Störungen an den Extremitäten, die wohl
zum Teil mit Arteriosklerose zusammenhingen, und berichtet,
dass die Arterien ihre ursprüngliche Elastizität wieder bekamen!
Die günstige Einwirkung des Jodothyrins auf die
Schwangerschaftsnieren, die Lange beobachtete22), hatte ich
nicht Gelegenheit nachzuprüfen.
Von Hautkrankheiten haben wir Psoriasis gelegentlich mit
der Substanz behandelt und bei zwei lange bestehenden Fällen
2!) Academle de medecine. Sitzung vom 3. I. 1S99. Bef
Münch, med. Wochenschr. 1S99, No. 7, S. 238.
") Journal de med. int. No. 13, 1900.
23) Zeitschr. f. Geburtsli. u. Gynäkol. Bd. 40, H. 1.
3
MUENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
1610
recht erhebliche Besserung erzielt, die eine später eingeleitete
äusserliclie Behandlung sehr viel wirksamer machte.
Aus dem hygienischen Institut der Universität Freiburg i/B.
Versuche über Fütterungs-Tuberkulose bei Rindern
und Kälbern.
Von Prof. Dr. Max Schottelius.
Während des verflossenen Sommersemesters wurden im
hiesigen hygienischen Institut Uebertragmngsversuche von
Tuberkulose auf Rinder und Kälber angestellt mittels Verfiitte-
rung von tuberkulösem menschlichem Sputum. Nachdem diese
Versuche am 22. September abgeschlossen wurden und zu posi¬
tiven Ergebnissen geführt haben, möchte ich in Rücksicht auf
das aktuelle Interesse der Frage, schon jetzt einen kurzen vor¬
läufigen Bericht erstatten und ausführlichere Mitteilungen unter
Bezugnahme auf die allgemeine Bedeutung der Frage mir für
später Vorbehalten.
Zu unseren Versuchen wurden 2 Kühe und 3 Kälber ver¬
wendet, von denen eine Kuh und ein Kalb als Kontrolltier dien¬
ten, während die andere Kuh und 2 Kälber zum Versuch ver¬
wendet wurden. Alle Tiere waren auf ihren Gesundheitszustand
von fachmännischer Seite genau geprüft und wurden vor Be¬
ginn des Versuchs einige Zeit lang in unseren eigenen Stallungen
beobachtet. Die Kühe stammten aus der Rasse, welche in den
hochgelegenen Bauernhöfen am Feldberg gezüchtet wird: ein
kleiner, sehr widerstandfähiger Schlag, bei dem erfahrungs-
mässig Tuberkulose bezw. Perlsucht nicht vorkommt, wie auch
unter den menschlichen Bewohnern dieser Gegend Tuberkulose
nur äusserst selten beobachtet wird; auf den beiden Bauernhöfen,
woselbst unsere Kühe gezüchtet waren, jedenfalls gar nicht.
Die 3 Kälber waren 6 Wochen alte, ganz gesunde und kräf¬
tige Tiere.
Als Infektionsmaterial wurde das Sputum einiger schwer
kranker Schwindsuchtspatienten aus dem klinischen Hospital
verwendet. Das Sputum wurde so, wie es ausgehustet war, ohne
irgend welchen Zusatz unter die 3 Versuchstiere verteilt : den
Kälbern wurde das Sputum unter die Milch gerührt, der Kuh
auf das Grünfutter ausgegossen. Jeweils kamen etwa 150 bis
200 g Sputum zur Verteilung, so dass jedes Tier etwa 50 g bei
jeder Fütterung zu sich nahm. Solcher Fütterungen wurden vom
25. Mai bis 29. August im ganzen 24 vorgenommen.
Krankheitserscheinungen traten bei den infizierten Tieren
nicht in charakteristischer Weise auf; speziell wurden Fieber¬
temperaturen nicht beobachtet. Das äussere Ansehen der in¬
fizierten Kuh und des einen der beiden Kälber erschien am
20. September für den Fachmann wohl etwas weniger gut als
das der Kontrolltiere; erhebliche Abmagerung oder sonstige ob¬
jektive Krankheitssymptome konnten- aber nicht konstatiert
werden.
Die Schlachtung und die Untersuchung der Tiere wurde in
meiner Anwesenheit durch den Vorstand des hiesigen tierärzt¬
lichen Instituts, Prof. Dr. Schlegel, und durch Herrn
Schlachthausverwalter Merz vorgenommen.
Das Ergebnis war folgendes:
Die b eiden Kontrolltiere (welche übrigens wäh¬
rend der 4 monatlichen Dauer des Versuchs im gleichen Stall
neben den infizierten Tieren gestanden hatten, nur durch einen
Lattenverschlag von letzeren getrennt) waren durchaus ge¬
sund, sämtliche Organe und namentlich sämtliche Lymphdrüsen
waren ganz frei von irgend welchen Herderkrankungen und voll¬
ständig normal. Dagegen wurden alle 3 infizierten
Tiere tuberkulös befunden: bei der Kuh tuberkulöse
Enteritis und starke Schwellung der Mesenterialdrüsen, ausser¬
dem tuberkulöse Verkäsung und Verkalkung der Mediastinal-
und Bronchialdrüsen und eine verkäste tuberkulöse Pneumonie
nebst vereinzelten Miliartuberkeln in der Pleura. Bei beiden
Kälbern stark geschwollene tuberkulöse, verkäste und verkalkte
Submaxillardrüsen und einzelne tuberkulöse Mesenterialdrüsen.
Bei allen 3 Tieren waren sämtliche Lymphdrüsen des ganzen
Körpers, auch die Muskellymplidrüsen, stark geschwollen, teil¬
weise marmoriert gerötet, mit blassen — wie nekrotisch erschei¬
nenden — Einsprengungen durchsetzt. Die mikroskopisch¬
bakteriologische Untersuchung ergab in allen 3 Fällen das Vor¬
handensein von Tuberkelbazillen in den erkrankten Teilen. Es
erscheint mir das Ergebnis dieser Versuche, über welche, wie
erwähnt, demnächst noch ausführlicher berichtet werden wird,
besonders deshalb bemerkenswert, weil bei der Versuchsanord¬
nung jeder künstliche, den natürlichen Vorgängen nicht völlig
entsprechende Eingriff vermieden wurde und die Versuchstiere
nur solchen Bedingungen ausgesetzt wurden, wie dieselben über¬
all, wo ein Schwindsüchtiger mit der Wartung von Kühen und
Kälbern beschäftigt ist, auftreten können. Dass nebenbei durch
diese Versuche auch die Tatsache bestätigt wird, dass die mensch¬
liche Tuberkulose auf Rinder übertragbar sei, kann als ein wei¬
terer Beitrag für die prinzipielle Identität der menschlichen
und der tierischen Tuberkulose dienen.
Aus dem hygienischen Institut zu München.
Kann in Inhalatorien bei richtigem Betrieb eine
grössere Menge der zerstäubten Flüssigkeit in die
Lunge gelangen?
Von Prof. Dr. R. Emmerich.
Als ich an die Untersuchung von Inhalationssystemen heran¬
trat und zu dem von mir selbst unerwarteten Resultat gelangt
war, dass in der Luft mancher Inhalationsräume, trotz der Zer¬
stäubung von 6 Litern Sole pro Stunde, keine Flüssigkeitströpf¬
chen, sondern nur Kochsalzkrystalle enthalten sind, da wurde mein
Vertrauen auf die Wirksamkeit dieser therapeutischen Mass¬
nahmen sehr herabgestimmt.
Nachdem ich mich aber überzeugt hatte, dass man vermittels
der in neuerer Zeit so sehr vervollkommneten Zerstäubungs¬
düsen ausserordentlich feine Tröpfchen von nur 0,0006 mm Durch¬
messer in enormer Zahl in die Luft zu schleudern vermag
und als eine einfache Ueberlegung zeigte, dass die Röhren,
welche diese feinen Tröpfchen in der menschlichen Lunge durch¬
fliegen müssen, um in die Alveolen zu gelangen, verhältnismässig
sehr weit sind (0,3 — 0,4 mm bei den feinsten Bronchien), da wuchs
für mich auch die Wahrscheinlichkeit, dass es möglich sein müsse,
selbst die tieferen Luftwege mit medikamentösen Lösungen reich¬
lich zu betauen.
Ich hatte nämlich gleichzeitig erkannt, dass man unter Be¬
rücksichtigung des Sättigungsdefizits der Luft die Menge Sole
oder anderer Flüssigkeit, welche zerstäubt werden soll, leicht so
berechnen kann, dass die Luft des Inhalationsraumes mit einer
btdiebigen Menge von Flüssigkeitströpfchen erfüllt wird. Dieses
Prinzip hat unabhängig von mir auch Dr. B u 1 1 i n g erkannt
und als ein wesentliches Moment seines Systems bezeichnet. Da¬
mit war an Stelle der früher gänzlich willkürlichen Zerstäubung
die rechnerische Feststellung der in Betracht kommenden Ver¬
hältnisse getreten. Dieser Umstand, und nicht etwa bloss das
technische Detail, war es, der mich bestimmte, das B u 1 1 i n g-
sche System als einen Fortschritt zu bezeichnen.
Ich stellte mir nun weiterhin vereint mit Herrn Dr. B u 1 -
1 i n g die Aufgabe, zu entscheiden, ob beim Atmen im B u 1 1 i n g-
schen Inhalatorium Flüssigkeitströpfchen in die feineren Bron¬
chien gelangen oder nicht.
Qualitativer Nachweis der in die tieferen
Lungen pa r tien gelangen den Men gen zerstäub¬
ter Borsäure.
Diese Versuche waren zunächst nur qualitativ, insofern fest-
gestellt. wurde, ob nach einstündiger Inhalation im Bulling-
schen Inhalationsraum eine zerstäubte, körperfremde Substanz
(Borsäurelösung) in den feinsten Bronchien und Alveolen
chemisch nachgewiesen werden kann.
Versuch 1. Zu genanntem Zwreck wurden 2 Hunde, No. 1
von SOSO und No. 2 von 8500 g Körpergewicht, in den B u 1 1 i n g -
sehen, 15 cbm fassenden Inhalationsraum gebracht, in welchem
2 proz. Borsäurelösung zerstäubt wurde. Beide Hunde verhielten
sich unter den ungewohnten Verhältnissen, d. h. durch das Ge¬
räusch des Zerstäubers und die die Luft erfüllenden Nebel ängst¬
lich gemacht, völlig ruhig, und blieben angekettet an ein und der¬
selben Stelle des Raumes liegen, wobei sie nur durch die Nase
atmeten. No. 1 wurde nach 50 Minuten langem Aufenthalt im In¬
halationsraum, Hund No. 2 nach einstündigem Inhalieren durch
einen Hammerschlag getötet. In einem anderen Raum wurde
sofort der Brustkorb geöffnet, die Lungen herausgenommen und
die Lungenränder der linken Lunge in einer Breite von 3 mm ab¬
geschnitten.
Jeder dieser Lungenränder wurde mit etwas borsäurefreiem
Seesand unter Zusatz von kohlensaurem Natron verascht und
% der Aschenmenge in wenig Salzsäure gelöst. Alsdann wurde
30. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1611
ein Streifen Kurkumapapier mit der Salzsäurelösung getränkt und
bei 80 — 100 0 C. getrocknet. Die Lösungen der veraschten Lungen¬
ränder färbten das Kurkumapapier bräunlich und beim Trocknen
trat eine deutliche, rötliche Farbnuanee auf. Wurden diese Strei¬
fen von Kurkumapapier mit einem Tropfen Sodalösung befeuchtet
so färbte sich die Peripherie des Tropfens bei allen gleickmässiir
deutlich blau.
Eine viel intensivere Borsäurereaktion wurde erhalten, nach¬
dem die Lösung der Aschen in Salzsäure filtriert auf dem Wasser¬
bade zur Trockne verdampft und der Rückstand mit so wenig Salz¬
säure nochmals behandelt wurde, dass ein Teil desselben ungelöst
blieb. Nunmehr färbten sich die beiden mit den filtrierten Lösun¬
gen getränkten Kurkumapapierstreifen beim Trocknen intensiv
rein und leuchtend rot. Beim Betupfen mit Sodalösung trat in der
ganzen Ausdehnung der befeuchteten Stelle eine schön dunkel¬
blaue Färbung ein,
Die beiden Aschen wurden dann auch noch in der folgenden
Weise durch die Flammenreaktion auf Borsäure geprüft: Es wurde
je ein Teil derselben mit 4 Teilen Kaliumbisulfat und 1 Teil Fluss¬
spat innig gemischt, das Gemenge mit etwas Wasser befeuchtet
und eine Spur am Platindraht in die nicht leuchtende Flamme
eines Bunsenbrenners gebracht. Es zeigte sich in beiden Fällen,
trotz der minimalen Menge der zur Reaktion verwendeten Asche’
•‘ine sehr deutliche und lang anhaltende Grünfärbung der Flamme!
Die Reaktion tritt am schönsten auf, wenn man die die Substanz
enthaltende Platinöse in die äusserste Landpartie des oberen
Drittels der Flamme bringt.
Die Reaktion ist viel intensiver als bei Anwendung von
Methylalkohol, durch den man Wasser stoff gas leitet und anzündet.
Diese letztere, in vielen Lehrbüchern empfohlene Art der Flam¬
menreaktion auf Borsäure, steht der oben angegebenen in Bezug
auf Empfindlichkeit bedeutend nach.
Durch diese Versuche war somit der Nachweis erbracht, dass
beim Zerstäuben von 2 proz. Borsäurelösung im B u 1 1 i n g sehen
Inhalatorium ziemlich beträchtliche Mengen der letzteren bei ein-
stündiger Inhalation in die feineren Bronchien und Alveolen der
Hundelunge gelangen. Die Hunde lagen während des Aufent¬
haltes im Inhalationsraum ruhig an einer Stelle und atmeten nur
durch die Nase. Die Nase des Hundes bietet dem Durchgang der
Flüssigkeitströpfchen jedenfalls grössere Hindernisse, als die Nase
des Menschen. Man konnte deshalb schon auf Grund dieser Ver¬
suche schliessen, dass beim Menschen und namentlich beim
Atmen durch den Mund noch viel beträchtlichere Mengen der
zerstäubten Flüssigkeit in alle Partien der Luftwege gelangen.
Gegen dieses Resultat lässt sich der Einwand erheben, dass
die in den Lungenrändern nachgewiesene Borsäure nicht auf dem
Luft-, sondern auf dem Blutwege in dieselben gelangt sei, da ja
gewisse Mengen Borsäure während der einstiindigen Inhalation
auch verschluckt, resorbiert und in das Blut übergeführt werden.
Untersucht man aber unter den obengenannten Verhältnissen eine
kleine Menge Blut (Vz ccm) auf Borsäure, so erhält man nach
beiden Methoden (Kurkuma und Flammenreaktion) ein negatives
Resultat. Die Menge der unter den geschilderten Umständen ins
Blut gelangenden Borsäure scheint somit eine sehr geringe zu sein.
Quantitative Bestimmung des Kochsalzes in
den tieferen Lungenpartien bei Solezerstäu¬
bung.
Selbstverständlich lässt sich die Gesamtmenge der bei der
Inhalation in die Lungen gelangenden zerstäubten Sole nicht
genau ermitteln, weil ja bei länger dauernder, z. B. einstündiger
Inhalation gewisse Quantitäten Kochsalz resorbiert und ins Blut
übergeführt werden. Immerhin gibt die quantitative Bestimmung
des Kochsalzgehaltes der Lungenränder einen Anhaltspunkt zur
Entscheidung der Frage, ob die Quantitäten nur minimal, oder
aber zur Herbeiführung einer therapeutischen Wirkung aus¬
reichend sind.
Versuch 1. Ein 81(J8 g schwerer Hund inhalierte im B u 1 -
1 i n g sehen Inhalatorium 50 Minuten lang 4 proz. zerstäubte Sole,
wurde dann sofort durch einen Hammerschlag auf den Kopf ge-
tütet, der Brustkorb geöffnet, die Lunge herausgenommen, die
Bänder in der Breite von etwa 3 mm mit scharfer Scheere ab¬
geschnitten, mit gewaschenem Seesand verrieben, 100 ccm Wasser
zugesetzt, gekocht, filtriert, mit Wasser ausgewaschen, das Filtrat
mit CaO zur Trockne gebracht, verascht, der Rückstand mit
Wasser ausgezogen, auf 100 ccm aufgefüllt und 25 ccm zur
Titration mit salpetersaurem Silber und Kaliumchromat als Indi¬
kator verwendet.
Genau ebenso wurden die Lungenränder eines 7500 g schweren
Kontrollhundes, welcher in gleicher Weise ernährt war, aber nicht
inhaliert hatte, behandelt.
Das Resultat war folgendes:
Na CI in 100 frischer Lunge
Kontrollhund . . 0,3054 g
Versuchshund . . 0 L Ü4
Versuch 2. Bei einer zweiten Versuchsserie befanden sich
die Hunde ebenfalls eine Stunde im Inhalationsraum. Die Lungen-
ränder der Hunde, welche ebenfalls in der Breite von 3—4 mm ab¬
getrennt worden waren, wurden jedoch mit Seesand verrieben, mit
2,0 Calciumoxyd gemischt, getrocknet, verascht, der Rückstand mit
Wasser gekocht, auf 100 ccm aufgefüllt und 25 ccm zur Titration
verwendet. Genau ebenso wurden die Lungenränder der beiden
Kontrollhunde behandelt.
Das Resultat war:
NaOl in 100 Lunge (frisch) “ "»£“£
Versuchshund I 0,3364 g 1,522 g
Kontrollhund I 0,2567 „ 1,154 „
Versuchshund II 0,4083 „ 1,663 ”
Kontrollhund II 0,2465 „ 1,222 „
Der Kochsalzgehalt war also durchgehends bei allen Hunden,
welche 4 proz. Sole 1 Stunde hindurch inhaliert hatten, wesent¬
lich höher als bei den Kontrollhunden, gleichviel ob derselbe auf
die frische Lunge oder auf die bei 100 0 C. getrocknete Lunge be¬
rechnet wurde.
In den frischen Lungenrändern betrug der Kochsalzgehalt bei
den Inhalationshunden im Mittel 0,372 Proz. und bei den Kontroll¬
hunden 0,251 Proz.
Auf 100 g bei 100 0 C. getrockneter Lunge berechnen sich bei
den Inhalationshunden im Mittel 1,592 Proz. und bei den Kontroll¬
hunden im Mittel 1,188 Proz. Kochsalz.
Im Verlauf einer Stunde gelangte somit im Bu lling sehen
Inhalationsraum ca. 1 ccm 4 proz. Sole in die feinsten Bronchien
und Alveolen der etwa 3 mm breit abgeschnittenen Lungenränder
eines jeden Hundes. Dies ist ein so günstiges Resultat, wie wir
es nicht erwartet hatten.
Diese Versuche berechtigen zu dem Schlüsse, dass es bei
rationellem Betrieb der Inhalatorien sehr wohl möglich ist, nicht
nur die Nasen-Rachen-Kehlkopf- und Bronchialschleimhaut,
sondern auch die Wandung der feinsten Bronchien und Alveolen
mit medikamentösen Lösungen so reichlich zu betauen, dass thera¬
peutische Wirkungen sehr wohl erzielt werden können. Dieses
erfreuliche Resultat ist aber nur dann zu erreichen, wenn unter
Berücksichtigung des Sättigungsdefizits der Luft, sowie der durch
den Inhalationsraum geführten Menge der letzteren, die Quanti¬
tät der zu zerstäubenden Flüssigkeit jeweils rechnerisch ermittelt
und für die Bildung feinster, den ganzen Inhalationsraum dicht
erfüllender Flüssigkeitströpfchen Sorge getragen wird.
Geradezu widersinnig ist es, wenn man das Trockenbleiben
des Fussbodens und der Möbel des Inhalationsraumes als einen
Vorzug bezeichnet. Wenn diese trocken bleiben, dann wird auch
die Schleimhaut der Respirationsorgane nicht benetzt und durch
die medikamentösen Lösungen nicht beeinflusst werden.
Ich habe in einer früheren Abhandlung die Ansicht aus¬
gesprochen, dass der angenehme und erfrischende Eindruck, den
die Luft im B u 1 1 i n g sehen Inhalatorium macht, auf die Bil¬
dung von Ozon zurückzuführen sein dürfte.
Die Untersuchung der Luft im B u 1 1 i n g sehen Inhalations¬
raum nach der Methode von Wurste r mit Tetramethylpara¬
phenylendiaminpapier ergab nun in der Tat beim Durchsaugen
von 10 Liter Luft schon nach 5 Minuten langer Zerstäubung einen
Ozongehalt, welcher No. II resp. III der Skala = 0,0005 bis
0,001 mg pro Liter entspricht. Beim Durchleiten von nur 4 Litern
Luft wurde bereits eine so deutliche Reaktion erhalten, wie sie
in der freien Luft Münchens erst beim Durchsaugen von 10 Litern
in der Regel beobachtet wird. Nach % stündiger Zerstäubung
ergaben 4 Liter Luft einen No. IV der Skala entsprechenden
Ozongehalt = 0,0002 mg pro Liter.
Thalliumoxydpapier, welches während einer Stunde der Luft
des Inhalationsraumes exponiert wurde, zeigte ziemlich starke
metallglänzende Bräunung.
Der Ozongehalt der Luft des Inhalationsraumes kann, wie es
nach unseren Versuchen wahrscheinlich ist, durch direkte Sonnen¬
bestrahlung wesentlich erhöht werden, ein Umstand, der beim Bau
von Inhalatorien zu berücksichtigen sein dürfte.
Anästhesin,
ein neues Lokalanästhetikum, vom Gesichtspunkte der
Heilwirkung' der Anästhetika.
Von Dr. Gustav S p i e s s in Frankfurt a/M.
Im Paraamidobenzoesäureäthylester hat Dr. Ritsert ein
neues Lokalanästhetikum entdeckt, welches von den Höchster
Farbwerken unter dem Namen „Anästhesin“ jetzt in den
Handel gebracht wird. Das Mittel ist ein weisses, geruch- und fast
geschmackloses Pulver, welches auf den Schleimhäuten ein leich-
3%
1612
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
tes, rasch vorübergehendes Brennen erzeugt. In Aether, Alkohol,
Benzol, Aceton, fetten und ätherischen Oelen leicht löslich, ist
es in heissem Wasser nur schwer, in kaltem fast gar nicht zu
lösen. Das Mittel in grösseren Dosen, bis 2 g und mehr inner¬
lich genommen, ist nach den Untersuchungen von Robert,
Binz u. a. ungiftig.
In diesem, dem Orthof orm ähnlichen Verhalten, erkennt
man gleich den Unterschied zwischen diesen Präparaten und dem
Kokain. Hierauf beruht auch der Unterschied in der Wirkungs¬
weise, der Unterschied im Wirkungskreise. Und wenn wir auch
alle diese Mittel mit dem gemeinsamen Namen Lokalan¬
ästhetika bezeichnen, so glaube ich, dass wir der schärferen
Abgrenzung halber 2 Unterabtheilungen machen sollten, benannt
nach ihren ersten und Hauptrepräsentanten : die Kokain¬
gruppe und die Orthof ormgruppe.
Es mag vielleicht kleinlich erscheinen, wenn ich in nach¬
folgendem alle Unterscheidungsmerkmale hervorsuche, Viel¬
bekanntes wiederhole; es kommt mir aber darauf an, die Eigen¬
schaften des neuen Mittels möglichst scharf zu bestimmen, mög¬
lichst genau das Gebiet zu umgrenzen, auf welchem es seine
Wirksamkeit entfalten kann. Bei einem neuen Mittel oder einer
neuen Gruppe von Mitteln, der wohl in nächster Zeit noch eine
grössere Zahl angereiht werden dürfte, kann man in der Be¬
grenzung ihres Wirkungskreises gar nicht vorsichtig genug Vor¬
gehen. Je enger die Grenzen gezogen sind, in denen es wirklich
nützt, desto mehr ist dem Mittel gedient. Das Streben, ein All¬
heilmittel zu entdecken, das unüberlegte, plan- und kritiklose
Anwenden eines Mittels in jeder Form und bei jedem Krank¬
heitszustand trägt meist die Schuld daran, dass auch die gute
Seite, die wohl jedem neuen Mittel innewohnt, übersehen und
nicht ausgenützt wird. Ist der Wert des Chinins etwa deshalb
ein geringerer, weil es nur bei Malaria unübertroffen wirkt,
während es als Antirheumatikum, Antineuralgikum, Antipyreti-
kum anderen Mitteln nachsteht ? Und ist es mit dem Quecksilber
nicht das gleiche? Möchten, ja könnten wir darauf verzichten,
etwa weil es kein Universalmittel ist ? „Schuster, bleib bei deinem
Leisten.“ Dies alte wahre Sprichwort sollte rigoros auf die
Arzneimittel angewandt werden und ich hoffe, dass es mir ge¬
lingen wird, nach diesem Grundsatz den Mitteln der Orthoform-
gruppe einen dauernden Platz im Arzneischatz zu sichern.
Was nun den Unterschied zwischen der Kokaingruppe
und der Orthof ormgruppe anbetrifft, so fällt vor allem die
verschiedene Löslichkeit in Wasser auf. Die Mittel der
Kokaingruppe lösen sich, zuweilen sogar in hohen Prozent¬
sätzen, leicht in kaltem Wasser: weder Orthoform noch
Anäst hesin sind in Wasser löslich. In gleicher Weise aber
verhält sich auch die Löslichkeit gegenüber den Gewebssäften :
Kokain auf die Schleimhaut aufgeblasen, löst sich in kür¬
zester Zeit und wird dem Auge unsichtbar, während die anderen,
scheinbar ungelöst, lange Zeit noch zu sehen sind.
Die Kokaingruppe führt bei richtiger Anwendung zu
vollständiger, auch in die Tiefe der unversehrten Schleim¬
haut reichender Anästhesie. Die Tastempfindung ist aufgehoben
und Operationen mit schneidenden und brennenden Instrumenten
können vollkommen schmerzlos vorgenommen werden. Mit der
Anästhesie tritt, besonders deutlich an den Schleimhäuten der
unteren Nasenmuscheln, eine Ischämie ein, die jedoch für das
Zustandekommen der Anästhesie von nicht sehr grosser Bedeu¬
tung sein dürfte. Ich folgere dies daraus, dass ich bei Unter¬
suchungen mit Nebennierenpräparaten, in erster Linie Adrena-
1 i n, zwar hochgradigste Blutleere, nie aber mehr als eine Hyp-
ästhesie erzeugen konnte, die keinen Eingriff schmerzlos aus¬
führen liess.
Die Kokainwirkung erreicht meist nach wenigen Minuten
ihren Höhepunkt, um rasch wieder nachzulassen und nach 15 bis
20 Minuten verschwunden zu sein.
Im Gegensatz hierzu hält bei der Orthoformgruppe die ein¬
mal eingetretene Analgesie, wohl auch in Folge der Schwerlös¬
lichkeit der Mittel und ihrer dadurch bedingten längeren Ein¬
wirkungsdauer, viel länger, oft über Stunden und Tage an.
liier muss ich auch gleich der allgemein verbreiteten Ansicht ent¬
gegentreten, dass die Mittel nur dann wirken, wenn eine Ge-
websläsion vorliege, nie aber durch die unversehrte Schleimhaut.
Ich habe vielfach die Beobachtung gemacht, dass die Mittel auch
durch die unvers e h r t e Schleimhaut wirken. Eine Patien¬
tin hatte nach einmaligem Einsprayen einer Orthoformemulsion
in den Hals, ohne dass eine Verletzung vorlag, fast 48 Stunden
ein Klossgefühl. Anästhesin ist darin dem Orthoform
noch überlegen; man kann sich jederzeit davon überzeugen, wenn
man etwas Pulver auf die Zunge bringt. Rascher noch wie bei
Kokain, schon nach wenigen Sekunden, empfindet man das dicke
Gefühl, wie es vom Kokain her bekannt ist, der sicherste Beweis
der eintretenden Anästhesie. Allerdings scheint diese Anästhesie
sich nur auf die oberflächlichsten Schichten der Schleimhaut zu
erstrecken. Ist aber eine Gewebsläsion vorhanden oder auch nur
eine Lockerung der Schleimhäute, wie z. B. bei einfachen
Katarrhen, dann sind die Bedingungen für die Resorption des
Mittels wesentlich günstiger, ja das Mittel wird direkt die bloss¬
gelegten Nerven erreichen und hier seine Wirkung am stärksten
entfalten können. Den hohen Grad der Kokainanästhesie können
sie aber auch so nie erreichen, dazu bedürfte es schon der sub¬
kutanen oder submukösen Injektion. Die Schwerlöslichkeit in
Wasser aber bildet hier ein Haupthindernis, und meine Versuche
mit Oellösungen sind bis jetzt noch zu wenig einwandfrei, als
dass ich mich zu Schlüssen berechtigt fühlte.*) Was die Giftig¬
keit der Kokaingruppe anbetrifft, so ist es zur Genüge
bekannt, welche Vorsicht beobachtet werden muss. Mahnt doch
schon die niedrige, allerdings oft von uns zu überschreitende
Einzelmaximaldosis von 0,05 für Kokain an die Gefährlichkeit
des Mittels, und wie unangenehm sind die Intoxikationen !
Anders die Orthoformgruppe und speziell das Anästhe¬
sin. Beide Mittel sind in den für uns in Frage kommenden
Dosen vollkommen ungiftig und in jeder Weise unschädlich.
Darin liegt für die Orthoformgruppe aber ihre grosse Ueberlegen-
lieit: ihre Mittel können immer wieder, oft hintereinander an¬
gewandt, bis zur höchsten Wirkung gesteigert werden und wir
können sie getrost dem Patienten selbst in die Hand geben.
Aus dem Vergleich beider Gruppen ergibt sich, dass die neuen
Mittel nicht imstande sein werden, das Kokain zu verdrängen : der
operative Eingriff wird nach wie vor der Kokaingruppe bedürfen,
die Nachbehandlungsperiode aber gehört dem Orthoform und
dem Anästhesin; ihnen gehört die Bekämpfung aller, auch
nicht operativ gesetzter Verletzungen, aller schmerzhaften Haut¬
oder Schleimhautaffektionen, soweit nur die schmerzenden Ner¬
venendigungen dem Mittel zugänglich sind.
Ein Konkurrenzstreit zwischen beiden Gruppen ist daher
ganz ausgeschlossen, jede hat ein grosses weites Arbeitsfeld für
sich, und meines Erachtens ist durch die neuen Mittel ein
grösseres und noch dankbareres, bisher therapeutisch nicht be¬
einflussbares Gebiet neu erschlossen worden. Handelt es sich doch
nicht nur darum, dem Patienten die subjektiven Beschwerden zu
erleichtern, die oft tagelangen, heftig schmerzenden Folgen einer
schmerzlosen Operation zu nehmen, sondern dazu noch die
Heilung günstig zu beeinflussen. Keine bakteri¬
ziden Eigenschaften, nicht antiseptische Wirkungen — Schlag¬
wörter, denen so gerne alles sonst nicht Erklärliche in die Schuhe
geschoben wird — sind es, die den Heilungsprozess günstig be¬
einflussen, sondern einzig und allein ihre anästhe¬
sierende Kraft.
Im Centralbl. f. innere Med. 1902, No. 9, habe ich in einer
vorläufigen Mitteilung kurz mich über diesen Punkt dahin aus¬
gesprochen, dass es mir nach mehrjährigen Beobachtungen
zweifellos erscheint, dass ein direkter Zusammenhang’ zwischen
Anästhesie und Heilwirkung bestehe. Den Vorgang stelle ich
mir so vor : die bei einer Gewebsverletzung geschädigten
Nerven erregen reflektorisch die Vasomotoren. Die Folge wird
sein, dass eine Hyperämie entsteht, dass Schwellung auf tritt, wo¬
durch wieder einer etwaigen Infektion ein besserer Entwicklungs¬
boden geschaffen wird, kurz dass sich eine regelrechte Entzündung
mit allen ihr charakteristischen Symptomen entwickelt.
Gelingt es nun aber mit Hilfe von Orthoform oder Anästhesin
oder jedem anderen wirksamen Mittel den verletzten Nerven der¬
art zu anästhesieren, dass er den Reflexbogen auf die Vasomotoren
nicht mehr auszulösen vermag, so werden die geschilderten Ent-
zündungserscheinungen nicht ausbleiben. Mit dem Ein¬
tritt der Anästhesie ist auch die Heilung ein-
geleitet.
*) Mit der in allemeuester Zeit hergestellten wässrigen Lösung
eines A nästliesinsalzes haben subkutane und submuköse
Injektionen günstige Resultate ergeben, während Aufpinseln auf
die Schleimhaut wenig Einfluss bis jetzt erkennen liess.
30. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1613
Welche Rolle die Schmerzen dabei spielen, sowie weitere
Einzelheiten sollen an dieser Stelle unberührt bleiben, da ich
einer grösseren in Arbeit befindlichen ausführlicheren Abhand¬
lung nichts vorweg nehmen möchte.
Heute kam es mir auch nur auf die Festlegung des Prinzips
an, nach welchem den Mitteln der Orthoformg’ruppe ihr Wir¬
kungskreis scharf begrenzt zugeteilt wird.
Vergleiche ich nun die Mittel der Orthof ormgruppe mit¬
einander, so scheint mir Anästhesin, soweit ich nach neun-
monatlicher Prüfungszeit beurteilen kann, alle guten Eigen¬
schaften, die dem Orthoform nachgerülimt wurden, nur noch in
etwas höherem, ausgesprochenerem Grade zu besitzen. Den
Fällen von Idiosynkrasie Orthoform gegenüber möchte ich nicht
so grosse Bedeutung beimessen, dass die Verwendung des Mittels
daduich eine Einschränkung erfahren sollte. Wenn von sicher
oOOO behandelten I allen auch etwa 12 durch Resorption von der
Schleimhaut üble F olgen, wie Ekzeme u. dorgl. zu ertragen hatten,
so darf dies, so unangenehm es auch ist, schon im Interesse aller
anderen Patienten nicht in die Wagschale fallen.
Bei Anästhesin ist mir bis jetzt noch nichts derartiges
zur Beobachtung gekommen; vielleicht aber ist die Zeit noch zu
kurz.’)
Dagegen konnte ich bei einer Patientin die Wahrnehmung
machen, dass dieselbe wie anästhesmsüchtig’ wurde. Die heftigen
Kopfschmerzen, die von einer Eiterung der hinteren Siebbein¬
zellen und der Keilbeinhöhle ausgingen, konnten nach deren
operativer Freilegung, durch Einspritzung einer Anästhesin-
emulsion ”) jedesmal rasch und auf längere Zeit gänzlich gehoben
werden. Dabei trat ein Zustand ganz auffallender Euphorie ein;
Patientin behauptete sogar, ihr Aussehen bessere sich stets dar¬
nach und ihre blassen, anämischen Lippen würden rot. Durch
einfache Pulvereinblasungen konnte dieses Resultat nie erzielt
werden, nur durch direkte Einspritzung der Emulsion in die Keil¬
beinhöhle.
Nach obigen prinzipiellen Auseinandersetzungen dürfte es
vielleicht als überflüssig erscheinen, über die Wirkung der Ortho-
form gruppe bei einzelnen Affektionen zu sprechen. Wenn ich
es trotzdem noch kurz tun will, so geschieht es hauptsächlich, um
obigen theoretisch neuen Gesichtspunkt auch noch praktisch zu
beleuchten.
Die Behandlung des Keuchhustens und des frischen
Schnupfens nach diesen Gesichtspunkten habe ich in der
Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 12, und im Arch. f. Laryngol.
1901, pag. 56, bereits beschrieben. Was von Orthoform galt,
gilt vielleicht noch mehr von Anästhesin. Die pulverförmi¬
gen Einatmungen von reinem Anästhesin mittels der Pulver¬
bläser von Kabierske u. a., sollen beim Keuchhusten
die zur Reflexauslösung gereizte Schleimhaut des Kehlkopfs und
der TTnterkehlkopfgegend anästhesieren.
Auch bei ganz kleinen Kindern gelingen, von geübter Hand
ausgeführt, die Einblasungen in der Regel. Aeltere und Er¬
wachsene werden die Einatmungen mit Leichtigkeit und ohne
jegliche Beschwerden erlernen, ganz besonders, weil die Verteilung
des Pulverstaubs so fein ist, dass kaum ein lokaler Reiz wahr-
benommen wird. Ein Erfolg kann natürlich nur eintreten, wenn
das Pulver wirklich an Ort und Stelle gelangt ist, wovon man
sich leicht einige Male mit dem Kehlkopfspiegel überzeugen kann:
Bis tief hinab in die Trachea ist alles mit einem feinen weissen
Staub bedeckt.
Dieser Art der Inhalation, der Staubinhalation, gebe
ich überhaupt den Vorzug vor allen anderen Inhalationsformen,
durch welche eine Beeinflussung der oberen Luftwege, einschliess¬
lich der Luftröhre, erzielt werden soll.
Was Orthoform bei der Behandlung des frischen
Schnupfens erreicht, muss Anästhesin vielleicht noch
sicherer gelingen.
Je früher die Behandlung einsetzt, um so rascher, um so
sicherer wird der Schnupfen zu coupieren sein.
Vor allem muss vom Kavum aus die Einblasung gemacht
und so oft wiederholt werden, in Pausen 'von 5 — 10 Minuten, bis
jede im Gaumen, im Rachen, der hinteren Nase empfundene
unangenehme Empfindung verschwunden ist. Sollte der Sitz
mehr in den oberen Partien der Nase liegen, die bereits Schwel-
9 Zusatz bei der Korrektur: In einem Falle trat ebenfalls
ein Ekzem auf, das in seinem Verlauf sehr hartnäckig ist.
9 Anästhesin -j- Gurnrn. arab. äa 5,0 Aq. dest. 20,0.
No. 39
lungen aufweisen, so wird man erst kokainisieren und dann auf
die abgeschwollene Gegend auch von vorne noch Anästhesin auf¬
blasen. Wenn auch die ersten Einblasungen auf die entzündete
Schleimhaut etwas mehr schmerzen, so darf das nicht ab-
schrecken; die Ueberempfindlichkeit lässt sehr rasch nach. Patien¬
ten, welche, wie viele Sänger, sich selbst mit einem gebogenen
Pulverbläser den Nasenrachenraum einblasen können, werden
sich selbst behandeln können. Die anderen Patienten bestelle ich
mii am ersten Tage 2 mal und insuffliere, so oft es eben nötig
wird.
Nun noch einige charakteristische Beispiele.
Als Nachbehandlung nach operativen Eingriffen an den
G au m enmandeln hat sich Anästhesin hervorragend
bewährt. Durch häufiges Aufblasen des Pulvers, was der Patient
selbst alle Stunden oder öfter, je nach seinen Beschwerden,
machen muss, gelingt es meist die Beschwerden auf ein sehr ge-
rmges M^ass herabzudrücken und so zu erhalten. Die Nahrungs¬
aufnahme ist deshalb kaum beeinträchtigt; auch mit der Diät
braucht man nicht so sehr streng zu sein. Das beste ist aber,
dass die Heilung in allerkürzester Zeit, ohne jede
stärkere entzündliche Reaktion vollendet ist.
So empfiehlt es sich auch, die Rachenmandel Opera¬
tionen, Operationen an den Seitensträngen, so besonders auch die
Eingriffe an der Zungenmandel nachzubehandeln. Es ist
zu bekannt, wie heftig die Beschwerden nach einer nur einiger-
massen gründlichen Kaustik am Zungengrunde sind, wenn
Patienten eine Woche und mehr nicht schlucken können, ohne
die allerheftigsten Schmerzen zu empfinden, nur von kalten, ge¬
eisten flüssigen Speisen leben und physisch und psychisch stark
herunterkommen. Hat man gleich nach der Operation mit der
Behandlung begonnen, und setzt Patient sie den ersten und
zweiten Tag namentlich sehr ausgiebig fort, so wird man sich
wundern, wie verhältnismässig leicht und rasch alles verläuft,
wie gering die Schluckstörung ist.
Wie weit sich nach Kauterisation der Nasenmuscheln die
Anästhesinbehandlung auch gegen die lästigen reaktiven Schwel¬
lungen verwerten lässt, kann ich heute noch nicht entscheiden.
Meine Beobachtungsreihe ist noch zu klein und man ist meist auf
die nicht ganz zuverlässigen Aussagen der Patienten angewiesen.
Sehr günstig sind dagegen wieder die Resultate bei Opera¬
tionen im Kehlkopfe, die mit Orthoform und An¬
ästhesin nachbehandelt wurden. ' Ganz besonders wird hier die
Dysphagie wesentlich zu bessern sein. Man muss sich nur stets
vor Augen halten, dass diese Mittel nur wirken können, wenn
sie die blossliegenden Nerven auch erreichen können. Habe ich
ein schmierig belegtes Geschwür und blase auch das wirksamste
Pulver oben auf, dann wird der Erfolg ausbleiben, eben weil
das Pulver nicht durch den dicken Belag hindurchdringen konnte.
ln diesem Falle muss erst das Geschwür gereinigt werden,
dann kann man auf einen Erfolg auch rechnen. Derartige ana¬
loge Fälle wären noch gar manche aufzuzählen, aber dies würde
zu weit führen. Es soll dies nur zeigen, wie wichtig es ist, bei
der objektiven Prüfung eines Mittels, nicht nur eine exakte Dia¬
gnose zu stellen, sondern auch den diagnostizierten Befund richtig
zu beurteilen.
Ist dies aber gewissenhaft geschehen, so liegt nach allem,
was ich oben ausführte, die Entscheidung ganz klar auf der Hand,
ob die Anwendung des neuen Mittels indiziert ist oder nicht.
Bejahenden Falles bin ich sicher, dass die guten Erfolge, die ich
diesen Mitteln und der auf sie aufgebauten Theorie verdanke,
auch von allen anderen Seiten bestätigt werden.
Aus der Dr. B r e li m e r sehen. Heilanstalt in Görbersdorf i. Schl.
(Chefarzt Geheimrat Dr. Petri).
Lieber eine eigentümliche Komplikation der Lungen¬
blutung.
Von Dr. H. Cybulski, Sekundärarzt der Anstalt.
Den Grund dieser Aufzeichnung bilden 2 Fälle mit fol¬
gendem Verlaufe:
Herr F. war bereits seit langer Zeit in der Anstalt gewesen.
Im März 1902 trat rechtsseitiger Pneumothorax ein, nach 3 Wochen
Lungenblutung während der Nacht, verbunden mit hochgradiger
Atemnot. Die Menge des ausgehusteten Blutes betrug nahezu
100 ccm. Nach Verlauf einer Stunde hustete der Patient einen
weissliclien Brocken aus, worauf fast augenblicklich die Atemnot
sich verringerte; nach Ausbreiten unterm Wasser präsentiert sich
4
1614
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
der Brocken in der Form, wie aus der Zeichnung (Fig. 1) zu
ersehen ist; seine Farbe ist graurot, Konsistenz weich, überall auf
der Oberfläche eine Masse von Luftbläschen; beim Durchschneiden
zeigt sich sein Inneres aus einer homogenen graurötlichen Masse
bestehend, untermischt mit Luftbläschen. Die mikroskopische
Untersuchung ergab, dass der Brocken aus Blutgerinnsel mit zahl¬
reichen Luftbläschen und Leukocyten bestand.
Vorher hat Patient niemals ähnliche Bildungen ausgehustet.
Was den Ort, woher die Lungenblutung kam, anbetrifft, so
konnte derselbe weder zu Lebzeiten, noch bei der Sektion kon¬
statiert werden.
Fig. 1. Fig. 2.
i/-2 der natürlichen Grösse.
Einen analogen Fall zeigt Herr W., 20 Jahre alt. Er kam
in die Anstalt mit einem weit vorgeschrittenen Zerfallprozess in
der rechten Lunge. Nach 3 Wochen trat eine geringe Hämoptoe
ein, welche ohne irgend eine Störung wieder verschwand; einige
Tage später eine erneute kleine Blutung. Am 4. Juni 1901 wieder
eine relativ kleine Blutung von 20—30 ccm während des Mittags¬
schlafes; dabei starke Atemnot, Facies Hippocratica, Cyanose;
Puls kaum wahrnehmbar, 180—200 in der Minute; Atmung be¬
schleunigt, 00; Trachea lrasseln. In Anbetracht dieser Symptome
bekam Patient 2,0 Ol.eamphor. eingespritzt und musste sich setzen;
gleich darauf hustete er einen Brocken aus, worauf die Atemnot
sofort nachliess. Unter dem Wasser nahm der ausgehustete
Körper die Form an, wie sie aus der Zeichnung (Fig. 2) er¬
sichtlich ist. Ich muss noch hinzufügen, dass die Zeichnung nach
einem wasserfreien Alkoholpräparat gemacht worden ist; das
frühere war um V2 cm dicker.
Vorher hat Patient niemals ähnliche Bildungen ausgehustet.
Diese Fälle lassen einige Bemerkungen zu:
AVas die Häufigkeit dieses Ereignisses anbetrifft, so ist es
nicht sehr selten, denn in den letzten 2 J ahren konnte ich
doch 2 ähnliche Fälle wahrnehmen. Was die Bedingungen seines
Entstehens anbetrifft, so ist es auffällig, dass beide Blutungen
während des Schlafes eingetreten sind, also zu einer Zeit, wo
die Erregbarkeit der Luftröhre bis zu einem gewissen Grade
herabgesetzt ist, wodurch die Bildung ähnlicher Brocken erleich¬
tert wird. Diese Komplikation scheint doch eine klinische Be¬
deutung zu besitzen. Infolge nämlich von Verstopfung eines
grösseren Luftröhrenastes durch diesen Propf tritt starke Atem¬
not auf, welche unter bestimmten Bedingungen im stände ist,
beinahe den Tod herbeizuführen (2. Beobachtung).
Ich nehme an, dass überall, wo bei einer relativ geringen
Blutung und nicht allzu schwerem Lungenzustand eine sehr
starke Dyspnoe wahrzunehmen ist, man immer auf die Bildung
eines ähnlichen Propf ens schliessen kann; da nun dieses Vor¬
kommnis nicht allzu selten ist, so erlaube ich mir, die Aufmerk¬
samkeit darauf zu lenken.
Oie äussere Untersuchung am Gebärbett.*)
Von Dr. G. Frickhinger, Frauenarzt in München.
Das vor ungefähr einem Dezennium von Leopold zum
System erhobene Verfahren , bei normalen Geburten die
äussere Untersuchung allein zur Verwendung ge¬
langen zu lassen, hat nicht die Zustimmung aller Geburtshelfer
gefunden, ja es macht den Eindruck, als ob diese Frage wieder
von der Bildfläche der literarischen Erzeugnisse verschwinden
wollte. Denn selbst von Seiten derer, die damals — vielleicht
zu weit fortgerissen von den bestehenden Aussichten des Ge¬
dankens — lebhaft die Idee der A^erzichtleistung auf die innere
*) Anschliessend an einen Vortrag, gehalten in der Gynäko¬
logischen Gesellschaft München am 7. Mai 1902.
Untersuchung auf gegriffen haben, wird in neuester Zeit an der
Möglichkeit der Verallgemeinerung dieses Vorschlages ge-
z weif eit (V e i t). Und doch liegt die eminente Bedeutung, welche
die Frage für die Puerperalfieberstätistik haben muss, klar auf
der Hand. Wenn man häufig sagt, dass die untersuchenden
Hände des Arztes eine viel grössere Infektionsgefahr darböten,
als die Finger der Hebamme, weil der Arzt fortwährend mit sep¬
tischen Dingen in Berührung komme, so ist doch zu bedenken,
dass der bei den Hebammen so häufig zu findende M a n g e 1
an Verständnis für das Wesen des Puerperalfiebers eben¬
falls einen Faktor bildet, welcher für die Morbidität von aller¬
erstem Belang ist. Gegenüber anders lautenden Ansichten
möchten wir nämlich daran festhalten, dass man nur in dem
klaren Bewusstsein von der schweren Verantwortung, nur in dem
vollen Verständnis für die Bedeutung der Desinfektion, für den
Begriff der Asepsis und Antisepsis die sichere Garantie für
aseptisches Verhalten erblicken kann. Die aseptische Schulung
gilt mit Recht als eine hohe Disziplin, in der die Aerzte wissen¬
schaftlich erzogen werden müssen und in welcher sie sich fort¬
während üben müssen, wenn sie ihre Prinzipien bewahren wollen;
um wie viel mehr Schwierigkeiten werden sich ergeben, wehn es
gilt, nicht ärztlich vorgebildete Personen in diese Disziplin
einzuweihen! Die Interrichtsmethode in der Asepsis an den
Hebammenschulen erscheint uns zwar als eine den obwaltenden
Verhältnissen durchaus entsprechende, aber wir meinen, dass in
dem Bildungsgrad und den Fähigkeiten der Schülerinnen gewisse
Grenzen gezogen sind. Trotz aller A erbesserungsvorschläge, die
für den Hebammenunterricht gemacht worden sind, dürfte man
doch nicht zu weit gehen mit der Behauptung, dass auch
für die Zukunft die Einführung von Infek¬
tionsstoff — nicht nur durch die Aerzte, sondern auch
durch die Hebammen — ein gewichtiges Moment für
die Aetiologie des Puerperalfiebers bleiben
wird.
AAras nun die wissenschaftliche Sei te der Frage
betrifft, so beweisen die allerletzten Arbeiten sowohl, als auch
ein Blick auf die Literatur über das Puerperalfieber der letzten
10 Jahre, wie weit wir noch von einem klaren Einblick ip alle
bei der puerperalen AVundinfektion mitspielenden Ursachen ent¬
fernt sind. Die Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung
der bakteriologischen Scheidenflora bringen das
mechanische Moment für die Aetiologie des Puerperal¬
fiebers immer mehr in den Vordergrund. Die mehr oder weniger
schonende Berührung der Teile bei der Exploration hängt ledig¬
lich von der Uebung und Technik des Untersuchenden ab, es
scheint, dass auch der best desinfizierte Finger, wenn er nicht
zart und schonend vorgeht, die Infektion nicht absolut aus-
schliesst. Und wenn wir schliesslich noch auf die vielumstrittenen
Punkte der Händedesinfektion hinweisen, die auf einem
der letzten Gynäkologenkongresse dem Referenten das Wort in
den Mund gelegt haben; „Es gibt bis jetzt keine Iländedesinfek-
tion“, so bedarf es wohl keiner weiteren Begründung, dass die
Beschränkung der inneren Untersuchung bis
zur Verzichtleistung auf dieselbe ein Postu¬
lat ist, das immer wieder betont zu werden ver¬
dient.
Die zielbewussten und doch gemässigten Arorschläge zum er¬
weiterten Gebrauch der äusseren Untersuchung, welchen die Er¬
fahrung eines so objektiven Denkers wie Leopold zur Seite
stand, haben die Zustimmung einer namhaften Reihe von Ge¬
burtshelfern gefunden, es hat aber auch nicht an be¬
merkenswerten Bedenken gegen dieselben gefehlt. Die
Einwände sind im wesentlichen dahingehend, dass die äussere
Untersuchung der Gebärenden nur einen kleinen Teil der für
Mutter oder Kind verhängnisvollen Anomalien erkennen lasse,
dass die innere Untersuchung das wichtigste Mittel sei, um dem
Arzte die Fortbildung in der Erkenntnis der Geburtsvorgänge
zu ermöglichen, die innere Untersuchung könne mit Bestimmt¬
heit schadlos für die Gebärende ausgeführt werden (A h 1 f e 1 d),
es werde dem praktischen Arzte und der Hebamme nicht möglich
sein, die äussere Untersuchung bis zu der Fertigkeit sich an¬
zueignen, welche die innere Untersuchung entbehrlich machen
würde (H ofmeier, Frommei, Död erlein). Auch bei
der Diskussion über die äussere Untersuchung auf dem X. inter¬
nationalen Kongress in Moskau wurden ähnliche Befürchtungen
| laut.
30. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1615
Darf aber ein Verfahren, welches die gebärende Frau von
vornherein über jede Gefahr der Infektion hinwegsetzt, des¬
halb verworfen werden, weil man fürchtet, die zu seiner Durch¬
führung nötige Technik könne nicht allgemein beherrscht werden ?
Die äussere Untersuchung Gebärender ist doch nicht schwerer
als die Perkussion der Herzdämpfung, der Milz, die Perkussion
und Auskultation der Lungenspitzen. Und doch erwartet man
ganz allgemein von jedem praktischen Arzte, dass er diese Dinge
beherrscht! Wie verhängnisvoll kann ein Irrtum bei der ebenso
wichtigen als schwierigen Diagnose des beginnenden Lungen¬
spitzenkatarrhs für den Patienten sich gestalten! Und doch
pflegt mit vollem Rechte das Vertrauen zum Hausarzte an dieser
Klippe ärztlichen Könnens nicht Schiffbruch zu erleiden! Oder
glaubt man, dass die vorgeschriebene praktische Tätigkeit des
Studierenden in der inneren Medizin genügend sei, um Sicher¬
heit in der Diagnose zu erlangen ? Doch wohl ebensowenig' als
die vorschriftsmässigen, wenigen Geburten für genügend zur
Tätigkeit eines Geburthelfers erachtet werden. Zu alldem ge¬
hört eben eine Erfahrung und Uebung, die sich nur allmählich
mit zunehmender Beschäftigung einstellt. So wird auch eine
Hebamme im Beginn ihrer Tätigkeit von der äusseren Unter¬
suchung weniger befriedigende Resultate erhalten, als nachdem
sie 10 Jahre ihrem Berufe obgelegen hat. Und wenn auch die
äussere Untersuchung technisch grössere Schwierigkeiten bietet,
als die innere, so ist doch wiederum nicht zu übersehen, dass
jene, worauf auch Leopold hinweist, viel ausgiebiger
gelehrt und geübt werden kann als diese.
Ich frage ferner: Dürfen Rücksichten auf Uebung und
Technik Platz greifen, um an der regelmässigen Ausführung
einer Untersuchung festzuhalten, deren Gefahrlosigkeit auch bei
peinlichster Desinfektion nicht über alle Zweifel erhaben ist?
Ebensowenig wie wir berechtigt sind, unter den Indikationen
zu einem noch so kleinen operativen Eingriff Uebung und
Technik eine Rolle spielen zu lassen, sowenig dürfen
wir eine ihrer Natur nach nicht ganz gefahr¬
lose Untersuchung der Uebung wegen vor¬
nehmen.
W as den Einwand betrifft, dass die äussere Untersuchung
als Untersuchungsmethode nicht ausreichend sei, so verweise ich
auf Leopold1), welcher an tausend allein durch die äussere
Untersuchung von stets wechselnden, anfangs meist nicht ge¬
übten Aerzten geleiteten Geburten den Erfolg bezw. die dia¬
gnostischen Irrtümer feststellte. Dabei ergab sich, dass die
äussere Untersuchung der inneren an Sicherheit des Resultates
nicht nur gleichkommt, sondern sie sogar häufig übertrifft.
Namentlich für die Eröffnungszeit, sowie für die Bestimmung
des Kopf Standes nach den Beckenräumen ist der äusseren Unter¬
suchung der Vorzug vor der inneren einzuräumen.
Freilich war ein radikales Vorgehen, das den Hebammen die
innere Untersuchung überhaupt verboten wissen wollte, beträcht¬
lich über das Ziel hinausgeschossen und nur dazu angetan, die
Frage der ausschliesslichen Verwendung der äusseren Unter¬
suchung zu diskreditieren. Auch den von Veit") betretenen
Weg, die Erlaubnis zur inneren Untersuchung an bestimmte
Indikationen zu knüpfen, kann ich nicht gut heissen. Es würde
das nur zu einer Verwirrung führen, welcher die Hebamme um
so eher zum Opfer fiele, je geringer ihre Erfahrung und je
weniger umfangreich ihr Wissen wäre. Was mit Unrecht gegen
die Erziehung der Aerzte und Hebammen im Sinne der mög¬
lichsten Enthaltung von der inneren Untersuchung ins Feld ge¬
führt wurde, dass bei fehlerhaften Diagnosen der Entschuldigung
Tür und Tor geöffnet würde, das träfe in der Tat zu, wenn man
ein Verbot der inneren Untersuchung im allgemeinen erliesse,
unter bestimmten Voraussetzungen aber dieselbe gebieten wollte.
Müssen wir also solchen Vorschlägen, welche die Ausführung
der inneren Untersuchung nach Indikationen geregelt wissen
wollen, unsere Zustimmung versagen, so wollen wir uns jetzt aus¬
drücklich gegen eine Indikation wenden, welche nach Ahl-
f e 1 d 3) die innere Exploration bei jeder Geburt zur Pflicht
machen soll. Es ist das die Bestimmung des ZeitpuidUes der
vollständigen Erweiterung des Muttermundes. Man könne sich,
meint Ahlfeld, auf das instinktive Gefühl der Kreissenden
9 1. c. 2, pag. 352 ff.
2) 1. c.
3) 1. c. 1, pag. 705.
zum Mitpressen nicht verlassen und müsse stets, in der Lage
sein, ihr ein vorzeitiges Mitpressen zu verbieten. Dies sei aber
nur möglich, wenn man sich durch die innere Untersuchung
über die Weite des Muttermundes orientiert erhalte. Darauf ist
zu erwidern: Unter normalen Verhältnissen bildet allerdings der
beginnende Drang zum Mitpressen das sichere Zeichen für das
Ende der Eröffnungsperiode. Das vorzeitige Mitpressen ist aber
nicht eine Anomalie, welche für sich allein auftritt, sondern wird
sekundär durch andere Regelwidrigkeiten veranlasst. Es ge¬
hören hierher alle jene Zustände, welche eine abnorme Reizung
des unteren Uterinsegmentes bedingen, wie der vorzeitige Blasen¬
sprung, Missverhältnisse zwischen Becken und vorangehendem
Kindesteil etc. etc. Ob der Blasensprung rechtzeitig eingetreten
ist oder nicht, zeigt oft genug schon der Zeitpunkt an, in welchem
er erfolgt. Die Hebamme weiss ausserdem, dass er bei fehlerhaften
Lagen, bei Ausfluss aus der Scheide, bei Beckengene zu be¬
fürchten ist.
In anderem Sinne stellt Baum m 4) die Bestimmung der
Weite des Muttermundes unter die Indikationen zur Ausführung
der inneren Untersuchung. Er meint, die Hebamme könne ge¬
nötigt werden, eine Prognose in Bezug auf die Dauer der Geburt
zu stellen, sie könne zur Entscheidung gedrängt werden, ob der
Gatte noch ein dringendes Geschäft abwickeln könne, bevor seine
Frau niederkommt. Ich gebe zu, dass in solchen Fällen die Er¬
gänzung der äusseren Beobachtung durch die innere Exploration
unter Umständen wünschenswert erscheinen mag. Wir dürfen
jedoch nicht vergessen, dass wir in der AnalysederWehen
ein noch wertvolleres Zeichen für die voraussichtliche Dauer der
Eröffnungsperiode besitzen als in der Weite des Muttermundes.
Dieser kann viele Stunden einmarkstückgross bleiben und dann
sich unter guter Wehentätigkeit in kurzer Zeit vollständig er¬
weitern.
In einem Punkte stimme ich dagegen mit B a u m m voll¬
kommen überein Die Erkenntnis des N a b e 1 s c h n u r Vor¬
falls erheischt mit zwingender Notwendigkeit die Ausführung
der inneren Untersuchung, ja es ist auch dessen möglichst früh¬
zeitige Diagnose von ganz besonderer Wichtigkeit, d. h. auch das
Vorliegen der Nabelschnur darf der Hebamme nicht ent¬
gehen. Sie kann ja durch richtige Lagerung der Kreissenden
bis zur Ankunft des Geburtshelfers die Nabelschnur vor Kom¬
pression schützen, vielleicht sogar ihre spontane Regression be¬
wirken. Was daraus resultiert, ist ganz klar: Steht der vor¬
liegende Teil beweglich über dem Becken oder
im Beckeneingang noch beweglich, so kann die
Hebamme weder vor noch nach dem Blasen¬
sprunge die innere Untersuchung entbehren.
Hingegen behaupte ich, dass schon der Unterricht in seiner
jetzigen Form die Hebamme recht wohl in die Lage ver¬
setzt, bei normalen Geburten mit der äusseren Untersuchung
auszukommen, ja dass die letztere ihr die Erkenntnis einer ganzen
Reihe von Regelwidrigkeiten ermöglicht, welche ihrerseits die
Ilerbeirufung des Geburtshelfers der Hebamme zur Pflicht
machen. Ich stütze mich dabei auf das System des Hebammen¬
unterrichtes, wie ich es selbst in der Münchener Hebammen¬
schule als Repetitor kennen gelernt und selbst mit durchgeführt
habe.
Der für meine Zwecke verfügbare Raum in dieser Wochen¬
schrift erlaubt mir nicht, auf Einzelheiten einzugehen. Es liegt
mir auch nichts ferner als eine schablonenmässige Behandlung
der so überaus wichtigen Frage. Ich weiss aus eigener Erfah¬
rung recht wohl, wie häufig namentlich bei längerer Dauer der
Geburt unter den Bitten der Kreissenden und den ängstlichen
Erkundigungen der Angehörigen die objektive Uebersicht zu
leiden beginnt und man schliesslich zur eigenen Beruhigung die
innere Untersuchung vornimmt. Etwas Neues ergibt sie meist
nicht.
Können wir uns also recht wohl in die Lage versetzen, dass
man auch klare Ergebnisse der äusseren Untersuchung durch
die innere Exploration bestätigt wissen will, so glauben wir doch,
dass diese im allgemeinen nicht viel nützen kann, wenn die Heb¬
amme durch die Palpation konstatiert hat, dass der Kopf im
Becken steht, der Rücken links oder rechts liegt, wenn sie die
kleinen Teile im Fundus fühlt, wenn sie die Herztöne am ent¬
sprechenden Platze in normaler Frequenz hört, wenn die Wehen-
4) 1. c.
4*
1616
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
tätigkeit gehörig ist und der Allgemeinzustand der Kreissenden
nichts Auffallendes zeigt. Die Beobachtung der Drehung der
kleinen Fontanelle nach vorn, das Verhalten ihrer Schenkel zu
den Sitzbeinstacheln, die Feststellung des Verlaufs der Pfeilnaht
hat wissenschaftliches Interesse und ist wichtig für den, welcher
den Forceps applizieren muss. Die Hebamme kann dies ent¬
behren. Oder bietet die innere Untersuchung der Hebamme den
geringsten Vorteil, wenn sie aus der Palpation eine Steiss- oder
Schieflage erkennt, Befunde, derenthalben sie den Geburtshelfer
zu benachrichtigen hat ? Und so lässt auch die ganz allgemein
gehaltene V orsehrif t des Schultze sehen Lehrbuchs, dass die
Hebamme bei mangelhaftem Vorrücken des Kopfes den Arzt zu
rufen habe — einerlei ob das Hindernis an dem Kopfe, dem
Becken oder den Wehen liege (§ 409) — , in vielen fällen die
innere Untersuchung als entbehrlich erscheinen.
Ich brauche wohl nach meinen Ausführungen kaum dem
Vorwurfe zu begegnen, dass ich in extremer WTeise der Unter¬
lassung der inneren Untersuchung das Wort rede. Wenn in der
Diskussion über meinen Vortrag hervorgehoben wurde, dass mit
Rücksicht auf die Stellung der Hebammen in der Familie die
Frage der Verzichtleistung auf die innere Untersuchung mit
grosser Vorsicht aufzufassen sei, dass die Hebamme ängstlich
würde, wenn ihr ein Vorwurf aus der Vornahme der inneren
Untersuchung gemacht werden könnte, so stimme ich dem voll¬
kommen bei. Es hiesse die Angelegenheit in bedenklichem Grade
verfahren, sollte es dazu kommen, dass die Hebamme aus Scheu
vor der moralischen Verantwortung zum Nachteil der Diagnose
und zum Schaden von Mutter und Kind vor der inneren Unter¬
suchung zurückschrecken würde. Das zu verhüten, muss unser
vornehmstes Bestreben sein. Wir können es auch, wenn wir
der Hebamme nicht befehlen, dass sie bei normalen Geburten die
innere Untersuchung zu unterlassen habe, sondern wenn wir
sie lehren und ihr zeigen, wie sie unter Um¬
ständen mit der äusseren Untersuchung allein
auskommen kann, wenn wir, wie Leopold will, sowohl
im Unterrichte als auch in der praktischen Prüfung das Schwer¬
gewicht nicht auf die innere, sondern auf die äussere Unter¬
suchung verlegen, wenn wir — zwar nicht wie B a u m m
denkt — die innere Untersuchung als eine Last empfinden lassen,
aber ihre regelmässige Ausführung doch nicht
vorschreiben. Denn obwohl in den letzten Dezennien in allen
Ländern des Deutschen Reiches die innere Untersuchung eine
beträchtliche Einschränkung erfahren hat, so ist doch gerade
in unserem engeren Vaterlande an der Vorschrift einer zwei¬
maligen Vornahme der inneren Untersuchung bei jeder Geburt
festgehalten.
Es soll dabei gewiss nicht verschwiegen werden, dass die
Dienstanweisung für die Hebammen Bayerns ausdrücklich auf die
erhöhte Gefahr für das Kindbettfieber aufmerksam macht, welche
jede erneute innere Untersuchung mit sich bringt.
Brechen wir also mit diesem System und lassen wir uns als
ideales Ziel vor Augen schweben, die normale Geburtshilfe in
Bahnen zu leiten, welche auch den nicht ärztlich vor¬
gebildeten Helferinnen die Möglichkeit bie¬
ten, die Geburt allein durch die äussere Unter¬
suchung zu leiten. Ich überlasse berufenerer Seite die
Entscheidung, ob die fernere Vertiefung des Unterrichts nach
der äusseren Untersuchung hin, die eventuelle Erhebung dieser
zum Prüfungsgegenstande eine V erlängerung der Kurse
erheischt. Ist dies wirklich der Fall, so wird sich doch der Mehr¬
aufwand an Zeit und Mühe reichlich lohnen. Der Segen für die
gebärende Frau ist unverkennbar, wenn man bedenkt, dass ein
gewisser Proze ntsatz der Geburten von vornherein jeder Möglich¬
keit einer Infektion entrückt ist. Und dieser Prozent¬
satz wird um so mehr in die Flöhe gehen, je grös¬
sere Sorgfalt auf die äussere Untersuchung
verwendet wird und je grössere Uebung sich
di eeinzelneHeb am mein dieser Untersuchungs¬
methode an eignet.
Einige der wichtigsten Arbeiten auf diesem
Gebiet:
L e o p o 1 d und P anzor: Die Beschränkung der inneren
und die grösstmögliche Verwertung der äusseren Untersuchung in
der Geburtshilfe. Arch. f. Gynäkologie Bd. 38, II. Heft, 1890,
pag. 330 ff. — Leopold und Spörlin: Die Leitung der regel¬
mässigen Geburten nur durch äussere Untersuchung. Arch. f.
Gyn. Bd. 45, II. Heft, 1893, pag. 335 ff.
Veit: Zur Prophylaxe des Puerperalfiebers. Berl. klin.
Wochenschr. 1891, No. 19, pag. 467 ff.
Ahlfeld: Die Bedeutung der äusseren Untersuchung der
Gebährenden gegenüber der inneren. Deutsche med. Wochenschr.
1896, No. 44, pag. 703 ff.
Bau mm: Einschränkung der inneren Untersuchung in der
Hebammenpraxis. Deutsche med. Wochenschr. 1895, No. 30,
pag. 482.
Die giftigen Arten der Familie Rhus: Rhus diversi-
loba, Rhus Toxicodendron und Rhus venenata.
Von Dr. Karl Schwalbe in Los Angeles (Kalifornien).
Es ist allgemein bekannt, welche bedeutende Rolle unter
den Giftpflanzen Nordamerikas die oben angeführten Arten der
Familie Rhus spielen. Poison oak, Poison ivy (Gifteiche und
Giftefeu) sind die englischen Namen dieser in verschiedenen
Beziehungen so interessanten Pflanzen. Es gibt eine ganze An¬
zahl von Leuten, welche so empfindlich gegen das Gift dieser
Gewächse sind, dass sie nicht wagen, die Orte, wo diese schön
aussehenden Pflanzen wachsen, zu besuchen. Eine Dermatitis
venenata: Bläschen, Blasen und mehr oder weniger weit ver¬
breitete erysipelatöse Rötung und Schwellung der Haut, ver¬
bunden mit heftigen Schmerzen, in einzelnen Fällen mit Fieber
und Störungen der Nierentätigkeit und allgemeinem Krankheits¬
gefühl, ist die unausbleibliche Folge eines solchen Besuches.
Hier in Südkalifornien habe ich bis jetzt nur Rhus diversiloba
gefunden ; in den mittleren und östlichen Staaten sind Rhus
Toxicodendron und venenata die gefährlichen Arten. Im ganzen
sind nur wenig Untersuchungen dieser Pflanzen gemacht worden,
wohl weil die meisten Forscher die Unannehmlichkeiten, z. T.
sogar Gefahren der Untersuchung fürchteten. 1865 veröffent¬
lichte John M. Maisch eine Arbeit über diesen Gegenstand
(On the active Principle of Rhus Toxicodendron). Derselbe
zeigte in dem Destillate der frischen Blätter von Rhus Toxico¬
dendron eine Säure, welche er Toxicodendric acid nannte und
welche bis heute bei vielen Aerzten der Vereinigten Staaten als
die giftige Substanz der Pflanze gilt. Maisch machte gar
keine Versuche, die Natur der Säure näher zu bestimmen; von
Elementaranalyse ist keine Rede. Bei den Destillationen litt
derselbe sehr an einem reichlichen Ausschlage und der Bildung
von zahlreichen Bläschen auf dem Rücken der Hände und
Finger, am Handgelenk und den nackten Armen, aber nicht im
Gesicht. Verschiedene Personen, welche in das Zimmer kamen,
wo er destillierte, wurden mehr oder weniger vergiftet; ebenso
zeigten einige Personen, welchen Maisch nur die Hände
schüttelte, Ausschläge an den Händen. Bis zum Jahre 1897
wurde diese Säure allgemein in den Vereinigten Staaten aner¬
kannt. Da zeigte Franz P f a f f , Professor am pharmakologischen
Laboratorium der Harvard Medical School in Boston, dass das
wirksame Prinzip von Rhus Toxicodendron und venenata eine
ölige Substanz ist (The Journal of Experimental Medicine,
Vol. II, No. 2, 1897). Derselbe untersuchte ferner das Destillat
der frischen Blätter nach der Methode von Maisch und zeigte
unzweifelhaft durch die Elementaranalyse des Salzes, dass die
sogen. Toxicodendric acid nichts weiter als Essigsäure ist. In
P f a f f s Laboratorium wurde während der Destillation der
frischen Blätter niemand, welcher durch das Zimmer ging oder
sich in demselben aufhielt, vergiftet. Aus den getrockneten
Blättern machte Pf aff einen Alkoholaufguss. Nach einigen
Wochen wurde der Alkohol abdestilliert; es blieb eine ölige, in
Wasser unlösliche, wohl aber in Benzol, Chloroform, Alkohol,
Aether, Benzin, Oel etc. lösliche Substanz zurück. Durch eine
Reihe von Manipulationen und fraktionierte Fällung mit Blei-
azetat wurde eine ölige Substanz von sehr grosser Giftigkeit er¬
zielt (1. c., pag. 186, 187). Mit diesem sehr giftigen Oele,
Toxicodendrol genannt, wurden einige Vergiftungsversuche ge¬
macht, welche sehr gute Erfolge hatten. Bei einer Person wurde
mit der Anwendung von 1/m mg am Unterarme eine schwere
Dermatitis erzeugt; der ganze Unterarm war geschwollen und
der Schmerz so stark, dass Schlaf für einige Nächte unmöglich
war. Selbst V1000 mg, in 2 Tropfen Olivenöl aufgelöst, erzeugte
bei einer Person einige Dutzend Bläschen und lokalisiertes
Oedem. Die giftige Substanz wurde von P f a f f in allen Teilen
der Pflanze (Stengel, Zweige, Wurzel, Blätter und Frucht) ge¬
funden. Selbst alte Stengel und Zweige, welche im Laboratorium
über 1 Jahr auf bewahrt waren, zeigten das Gift; ebenso Stengel
30. September 1902. _ MÜENCHENER MEDICINISCRE WOCHENSCHRIFT.
ohne Blätter, welche wochenlang mit Schnee bedeckt waren. Im
Jahre 1898 machte Dr. Louis E. Frank in Milwaukee Wisc.
(Remarks on Rhus Toxicodendron. Med. Record, 16. April 1898,
pag. 551 etc.) einige wichtige Mitteilungen über diesen Gegen¬
stand. .Da die Arbeit nicht in den V i r c li o w - H i r s c h sehen
Jahresberichten referiert ist, so werde ich hier die Hauptsachen
mitteilen. Während P f a f f eine Wirkung auf die Eerne, von
der Pflanze ausgehend, für unmöglich erklärt und eine unmittel¬
bare Berührung der Pflanze oder des Oeles für nötig hält, gibt
1 ran k Beispiele, welche zeigen, dass eine Berührung der
1 flanze nicht absolut nötig' ist, um eine Dermatitis venenosa zu
bekommen.
Der erste 1 all betrifft ein Kind von G Jaliren, welches von
einem Diener des Nachmittags gebadet wurde, nachdem derselbe,
gefeit gegen Poison ivy, den ganzen Vormittag diese Pflanze aus¬
gerottet und sich dann die Hände mit Seife gewaschen hatte. Der¬
selbe legte seine Hände in die Achselhöhlen des Kindes und
tauchte es im Wasser unter. Nach 3 Tagen begann die Haut¬
aff ektion sich zu zeigen; es bildeten sich tiefe Ulzerationen in den
Achselhöhlen und die übrigen durch die Hände des Dieners be¬
rührten Stellen der Haut zeigten den gewöhnlichen Ausschlag.
Das Kind starb. (N. York Med. Journ. 1873.)
Einen anderen Fall berichtet Dr. Cantreil (Med. News
1901). Eine Frau wurde im Hospital zu Philadelphia während des
Wochenbettes mit Giftefeu vergiftet. Die Wärterin hatte am Tage
der Geburt einen Spaziergang gemacht und die Pflanze gepflückt.
Selbstverständlich hatte die Wärterin, bevor sie die Wöchnerin
versorgte, ihre Hände mit Seife mehrere Male gewaschen. 3 Tage
später zeigte die Wöchnerin einen Bläschen- und Blasenausschlag
von 5 Zoll Durchmesser in der Nabelgegend. Der Ausschlag war
mit bräunlich-gelbem Sekrete bedeckt. Zur selben Zeit zeigte sich
der Ausschlag an den Händen der Wärterin. Dr. Walker
(Med. News 1891) erzählt folgenden Fall: Eine Dame schlief mit
ihrer Schwester in demselben Bette, in welchem der mit Rhus
infizierte Gatte der Frau die Nacht vorher geschlafen hatte.
Das Bettzeug war nicht gewechselt. Diese Dame bekam Aus¬
schlag im Nacken und im Gesicht, während die Schwester, die
Gattin des verreisten Mannes, frei blieb.
Sicher werden sich noch eine ganze Anzahl solcher Beispiele
finden lassen. Diese 3 genügen, um eine Infektion ohne direkte
Berührung der Pflanze selbst sehr wahrscheinlich zu machen.
Es ist daher der Schluss sehr natürlich, dass kleine Teilchen
der Pflanze übertragen werden, welche das giftige Toxicodendrol
(P f a f f ) enthalten. Die bedeutende Giftigkeit dieses Stoffes
('/■Mi — Viooo wie schon oben erwähnt) legte es nahe, einmal eine
gründliche mikroskopische Untersuchung dieser Pflanzengruppo
zu machen und zu sehen, welche mikroskopisch kleinsten Teil¬
chen das Oel enthalten. Allgemein ist die Ansicht, dass zur Zeit
der Blüte (beginnend hier im Februar oder März) die Pflanze
besonders giftig wirkt. Dies ist in der Tat der Fall. Der Blüten¬
staub enthält das giftige Oel in kleinen Mengen; man kann
in und an den Pollenkörnern das Toxicodendrol nackweisen. Da
aber auch in Jahreszeiten, wo kein Blütenstaub vorhanden ist,
da. auch im Winter, wo keine Blätter zum Pflücken des schönen
Giftstrauches einladen, die giftige Wirkung der Rhus diversiloba
dieselbe ist, so musste noch eine andere Art der Uebertragung
bestehen. Dieselbe konnte ich in der Tat mit Hilfe des Mikro¬
skops leicht nachweisen: Die ganze Pflanze, Wurzel, Stengel,
Blätter, Stiele der einzelnen Blüten, die Blütenblätter sind von
Milchkanälen durchzogen, welche in ihrem Milchsaft das Gift
enthalten. Auf diesen Kanälen stehen teils gerade, teils ge¬
krümmte Härchen, in welchen sich Toxicodendrol nachweisen
lässt. Dasselbe befindet sich oft in dem Inneren der Härchen
in Form von kleinen gelblichen bis gelblich braunen Kügelchen,
hängt aber häufig auch an den Härchen als kleine, unregelmässige
Klümpchen. An den Blättern sind die Flärchen an der Unter¬
seite derselben, und zwar immer nur auf den Milchgef ässen ; die
Stengel sind mehr oder weniger dicht mit einem Haarpelz be¬
deckt, desen einzelne Haare immer auf den reichlichen Milcli-
gefässen der Stengelhaut stehen. Die Grösse der Härchen
schwankt sehr.
Durch Auf stellen von flachen Schalen mit Glyzerin und
Wasser unter den Büschen des Sumacli und Zentrifugieren dieser
Flüssigkeit kann man sehr leicht die Härchen in der Luft nach¬
weisen. Wenn nun diese Härchen mit der menschlichen Haut in
Berührung kommen, so findet die Vergiftung statt, vorausgesetzt-,
die betreffende Person ist empfänglich für das Gift. Die kleinen
Härchen bleiben besonders in den Oeffnungen der Schweissdrüsen
haften, und so erklärt sich sehr leicht die allgemeine Beobachtung,
dass stark schwitzende Körperteile leichter ergriffen werden. Hier
sind die Oeffnungen der Schweissdrüsen weit offen und so ist ein
No. 39.
1617
leichteres Eindringen möglich. Es ist sehr wahrscheinlich, dass
die verschiedene Uautbescliaffenkeit der einzelnen Menschen zum
Feil diese Verschiedenheit in der Wirkung erklärt. Andererseits
ist ganz entschieden die verschiedene Blutbeschaffenheit der Men¬
schen von grosser Bedeutung. Es scheint, als wenn die Nahrung
Einfluss hätte. Die Herbivoren werden von Gifteiche wenig oder
gar nicht vergiftet. Pferde fressen mit Vorliebe den Giftsumach.
Auch Kaninchen können wochenlang damit gefüttert werden,
ebenso Kühe, während Hunde stark vergiftet werden. Andere
Gifte verhalten sich ganz ähnlich. Bienenstiche, Wanzenbisse,
i lohstiche werden von vielen Menschen sehr schmerzhaft em¬
pfunden, von anderen gar nicht. So sind mir z. B. Mücken,
Flöhe, Wanzen ganz gleichgültig. Man sieht den Stich, aber es
tritt keine reaktive Entzündung ein. Ich kenne eine Anzahl von
Bienenzüchtern, die gegen die Bienenstiche ganz unempfindlich
geworden sind. Jedenfalls bieten alle diese Gifte noch viel Ge¬
legenheit zum Forschen. Die Literatur über die Erscheinungen
der Dermatitis venenata und besonders über die Behandlung der¬
selben ist ziemlich reichhaltig. Eine amerikanische Familie,
deren Kinder grosse Gebirgsfreunde sind, aber sehr durch Gift¬
eiche zu leiden hatten, gab mir folgendes vorzügliches Mittel an.
Man wasche die Haut aller Körperteile, welche der Einwirkung
des Giftes ausgesetzt werden könnten, mit einer !4 — Vs — 1 proz.
Lösung von Kaliumkarbonat, bevor man in eine Gegend geht,
wo diese Giftpflanze wächst. Nach der Rückkehr nehme man
, dieselbe Waschung vor, aber lauwarm. Eine Stunde später noch
einmal. Am nächsten Morgen wird dieselbe Behandlung wieder¬
holt. Dies genügt meistens. Sollten sich dann dennoch sjDäter
einige Bläschen zeigen, so werden dieselben in gleicher Weise be¬
handelt. Dr. A. T. Hudson (An Antidote to the Rhus poi-
soning ; Med. Record, 30. J uli 1898) lobt am meisten eine Lösung
von Salmiak in lauwarmem Wasser (1,6 Proz.). Diese Lösung
wird in Kompressen und in häufigen Waschungen appliziert. Der
Erfolg soll ein sehr guter sein. Ich halte es sogar für möglich,
dass der prophylaktische Gebrauch fast ebenso gute Erfolge haben
wird, als derjenige des Kaliumkarbonats.
Los Angeles, Ende Februar 1902.
P. S. Durch den Umstand, dass die Absendung dieser Mit¬
teilung verzögert wurde, hatte ich Gelegenheit die Arbeit
Dreyers: Primula obconica als Krankheitsursache, Münch,
med. Wochenschr. No. 14, 1902, S. 574, zu lesen. Auch in dieser
Pflanze enthalten die Haare das Gift, und wie es scheint, eine
bestimmte Art von Haaren. Mir war es niebt möglich, unter den
vielen Tausenden von Haaren der Rhus diversiloba, welche ich
untersucht habe, besondere Gifthaare zu finden, obgleich es ohne
Zweifel ist, dass viele Haare kein Gift enthalten.
Los Angeles, Anfang Mai 1902.
Aus dem gerichtsärztlichen Institute der k. k. Jag.-Universität
in Krakau.
Ueber die neue Lungenprobe.
Von Prof. Dr. Leo Wach holz.
Seitdem S clireyer im Jahre 1863 seine einfache, bis jetzt
unübertroffene Lungenschwimmprobe in die Literatur und in die
Praxis einführte, war man, da diese Probe nicht unter allen
Umständen darüber Aufschluss erteilt, ob ein Kind lebend oder
tot geboren wurde, wiederholt bemüht, sie durch eine andere, ein¬
wandfreiere zu ersetzen. Es mehrten sich nun im Laufe der
Zeit verschiedene Vorschläge neuer Lebensproben, die sich aber
leider bald als nicht stichhaltig erwiesen und in der Folge nur
den Literaturschatz bereicherten. Dasselbe Los war den in den
letzten J ahren von M a 1 v o z *) und Kockel* 2) mitgeteilten
Lebensproben beschieden.
Vor kurzem erschien eine interessante Arbeit Placzeks3),
in welcher der Verfasser über eine neue, von ihm angeregte
Lungenprobe berichtet. Diese neue Probe beruht auf Druck¬
messung im Brustraume mittels eines Quecksilbermanometers.
Hat nämlich das Kind nicht geatmet, so ist der Druck im Brust-
9 Siehe: Binda in Giornale di medicina legale 1896, S. 21.
-) Nach den in nächster Zeit erscheinenden Untersuchungen,
die Horoszkiewicz und G 1 i n s k i in unserem Institut aus¬
führten, erwies sich die Kockel sehe Nabelprobe nicht stich¬
haltig.
3) Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 7.
5
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
1618
raume gleich Null, hat es aber geatmet, so muss daselbst ein
negativer, am Manometer leicht festzustellender Druck entstehen.
Ich übergehe die theoretischen Erwägungen Placzeks, füge
aber noch hinzu, dass diese neue Lungenprobe in der vom Ver¬
fasser angegebenen Weise unter Zuhilfenahme eines eigens zu
diesem Zweck konstruierten Troikarts ausgeführt werden soll.
Der freundlichen Zuvorkommenheit Herrn Dr. Placzeks
verdanke ich den Besitz dieses nach seinen Angaben in Berlin
angefertigten Troikarts, mit dem ich einige Versuche an Leichen
Neugeborener ausführte, über die ich hier kurz Bericht erstatten
möchte. Bevor ich aber an die Mitteilung meiner diesbezüglichen
Erfahrung komme, möchte ich zuvor rein theoretisch die neue
Lungenprobe nach den sonst bekannten Gesichtspunkten erwägen
und mit der alten Lungenschwimmprobe vergleichen.
Gegen die Sclireyer sehe Lungenschwimmprobe sind, wie
bekannt, manche Einwände erhoben worden. Diese Einwände be¬
ziehen sich auf die Tatsachen, dass luftleere Lungen durch Fäul¬
nis schwimmfähig werden können, dass die Luft noch im Mutter¬
leibe in die fötalen Lungen spontan, nach erfolgter Geburt durch
künstliches Lufteinblasen oder durch künstliche Atmung einge¬
drungen sein konnte, dass endlich ein Kind lebend geboren wor¬
den sein konnte und trotzdem seine Lungen aus mehreren Ur¬
sachen bei der späteren Obduktion sich luftleer erweisen können.
All’ diese Einwände müssen sich nun auch auf die neue Lungen¬
probe Placzeks beziehen, und es bleibt ihr keiner von den¬
selben erspart, denn 1. ist es doch gleichgiltig, ob die Lungen des
Kindes noch im Mutterleibe oder erst nach erfolgter Geburt,
durch selbständige oder durch künstliche Atmung lufthaltig ge¬
worden sind, da es sich hier um die blosse Ausdehnung der Lungen
handelt, deren Elastizität dann den negativen Druck im Brust¬
raume erzeugt; und 2. der negative Ausfall der Probe bei wieder
vollständig luftleer gewordenen, somit in den fötalen atelekta-
tischen Zustand zurückgesunkenen Lungen nicht bestritten wer¬
den kann. Was nun die Fäulnis der Lungen anbelangt, so wird
auch zugegeben werden müssen, dass bei weit gediehener Fäulnis,
wenn sich die Fäulnisgase auch in den Lungenalveolen an¬
sammelten und sie ausdehnteh, ein positiver Erfolg der neuen ■
Probe desgleichen zu erwarten ist. Hier wird somit auch die
Unzulänglichkeit der neuen Probe zu verzeichnen sein. Aus
dieser Erwägung ist es nun ersichtlich, dass die Placzek sehe
Lungenprobe vor der Sclireyer sehen Schwimmprobe nicht
den geringsten Vorteil besitzt.
Vergleichen wir jetzt die Technik dieser beiden Lebensproben.
Wenngleich auch die Ausführung der neuen Lungenprobe keine
besonderen Handfertigkeiten erheischt, muss sie doch als viel um¬
ständlicher als die Ausführung der Schwimmprobe bezeichnet
werden und sei es nur deswegen, weil die neue Probe eines eigens
dazu nötigen, ziemlich gracil gebauten Instrumentes bedarf. Bei
meinen, gemeinschaftlich mit Herrn Institutsassistenten Dr.
Horoszkiewicz ausgeführten Versuchen habe ich mich von
einigen Schattenseiten des von Placzek angegebenen Instru¬
mentes überzeugt. Wird nämlich das Troikart in der von
Placzek angegebenen Weise in den von der Haut blossgelegten
Interkostalraum eingestochen, so kann es geschehen, dass die
Lunge verletzt, somit der Ausfall der Probe vereitelt wird. Ist
dies geschehen, so kommt aber der grosse Vorteil dieser Probe zur
Geltung, dass man nach ihrem Misslingen die Schwimmprobe
in ihre ehrwürdig bewährten Rechte unbeschadet treten lassen
kann. Nimmt man die neue Probe an der Leiche eines nicht ganz
reifen Kindes oder an einer äusserlich angefaulten Leiche vor,
so erscheinen die schwach entwickelten oder durch Fäulnis ge¬
lockerten Interkostalmuskeln wenig dazu geeignet, um die ein¬
gestochene Troikarthülse luftdicht einzuschliessen, weswegen ich
auch bei meinen Versuchen später den Troikart durch die Haut¬
decken selbst eingestochen habe. Ist das Instrument schon in den
Brustraum eingeführt, so muss nach Entfernung des stilett-
förmigen Bolzens, das zur Verbindung mit dem Manometer
dienende Ansatzstück der Iliilse abgeschraubt, sodann nach er¬
folgter Manometerverbindung wieder angeschraubt werden, wo¬
bei bei der unvermeidbaren Bewegung der eingestochenen Ftülse
eine Erweiterung der Einstichöffnung zumal bei gelockerten
Muskeln und Lufteintritt von aussen in den Brustraum zu be¬
fürchten ist. Durch das neuerliche Anschrauben des bereits mit
dem Manometer verbundenen Ansatzstückes der Hülse wird die
in dem \ erbindungsroh r befindliche Luft stets etwas komprimiert,
was sich gleich durch Sinken der Flüssigkeitssäule in dem mit der
Troikarthülse verbundenen Manometerarm kundgibt. Wird jetzt
der Hahn des Troikarts geöffnet, so gleicht sich zuerst der Mano¬
meterstand aus und dann erfolgt erst ein Heben der Flüssigkeits¬
säule in demselben Manometerarme, falls selbstverständlich im
gegebenen Brustraume negativer Druck herrscht. Dabei muss
man stets peinlich Obacht geben, damit der elastische Verbin¬
dungsschlauch zwischen Hülse und Manometer nicht gedreht, ge¬
drückt oder gezerrt wird, sonst entstehen unliebsame Ueber-
raschungen, die den Ausfall der Probe gänzlich vereiteln können.
Was die Art der Manometer anbelangt, so haben mich schon meine
ersten Versuche belehrt, dass ein Quecksilbermanometer, den
Placzek empfohlen, nur unbedeutende Ausschläge gibt, des¬
wegen habe ich ihn bei weiteren Versuchen durch einen Wasser¬
manometer ersetzt.
Um dem unbequemen und, wie schon oben angedeutet wurde,
leicht zur Vereitelung des Ausfalls dieser Probe führenden Ver¬
bindung des Ansatzstückes mit dem Manometer zu begegnen, wäre
nach meiner Ansicht und Erfahrung ein zweiteiliger, d. i. mit
einem seitlichen Rohr versehener Troikart vorteilhafter. Dies
seitliche Rohr könnte dann konstant mit dem Wassermanometer
in Verbindung stehen, wodurch das Ab- und Anschrauben des
Ansatzstückes der bereits schon eingestochenen Troikarthülse
wegfiele.
Schon nach Ausführung mehrerer Versuche fiel mir die Mit¬
teilung Büdingens4) in die Hand, in der Büdingen einige
der von mir hier erwähnten Schattenseiten des Placzek sehen
Troikarts hervorhebt und auf seinen im Jahre 1896 konstruierten
Thoraxdruckmesser, als auf ein zur Vornahme der Placzek-
schen neuen Lungenprobe weit sicherer anzuwendendes Instru¬
ment hinweist. Ich muss in dieser Hinsicht dem Thoraxdruck¬
messer Büdingens die Ueberlegenheit über den sonst ein¬
fachen Placzek sehen Troikart zugestehen, wiewohl anderer¬
seits der Thoraxdruckmesser als ein viel zu kompliziertes In¬
strument bezeichnet werden muss, welches in der Praxis eines
weniger beschäftigten Gerichtsarztes oder sonst auch zumal durch
Zeit und Benützung leicht leistungsunfähig werden kann.
Es erübrigt mir noch zu erwähnen, dass ich bei einigen meiner
Versuche, die mit dem Placzek sehen Troikart ausgeführt wor¬
den sind, ungleiche Resultate an beiden Brustseiten derselben
Kindesleiche erzielte, trotzdem der Luftgehalt beider Lungen der
gleiche war. So war z. B. an einer 42 cm langen Leiche eines neu¬
geborenen Kindes, welches 3 Tage gelebt hat, linkerseits nega¬
tiver Druck gleich 6 cm Wassermanometer, rechterseits hingegen
Druck gleich Null festzustellen. Trotz dieses Druckunterschiedes
waren beide Lungen luftliältig und fiel die mit ihnen gesondert
ausgeführte Schwimmprobe positiv aus. Denselben Erfolg hatte
ich an einer Leiche eines nicht vollständig ausgetragenen Kindes
zu verzeichnen. Die Leiche wurde aus dem Weichselfluss, in einer
Blechbüchse eingeschlossen und mit denaturiertem Alkohol be¬
gossen, ausgefischt. Die Lungen waren beiderseits lufthaltig
(vom Alkohol nicht angegriffen, da derselbe nur die Hautdecken
teilweise diffundiert und gehärtet hat) und trotzdem fiel rechter¬
seits die Probe positiv, linkerseits negativ aus. Die Ursache
dieser ungleichen Resultate bestand in der beim Einstich des
Troikarts entstandenen Lungen Verletzung. An einer frischen
Leiche eines totgeborenen Kindes erhielt ich positiven Ausfall
der Probe, d. i. der Wassermanometer zeigte 1 cm negativen
Druckes. Bei der nachher ausgeführten Schwimmprobe zeigten
sich die vorderen Partien der Lungenoberlappen schwimmfähig,
somit lufthaltig, und es wurde mir aus der hiesigen Gebäranstalt
mitgeteilt, dass das Kind intra partum starb und man trotzdem
bei ihm die üblichen Wiederbelebungsversuche (künstliches
Atmen) angewendet hat. Dieser Fall bewies die grosse Empfind¬
lichkeit der neuen Probe. Dieselbe Empfindlichkeit kommt aber
auch der alten Schwimmprobe zu.
Die von mir angestellten Versuche halte ich für nicht ab¬
geschlossen und werden dieselben an entsprechendem Material
weitergeführt, trotzdem kann ich schon jetzt meine Ansicht über
die neue Lungenprobe dahin aussprechen,
1. dass der von Placzek angeregten Lungenprobe, welche
sich auf unerschütterliche physiologische Tatsachen stützt, wirk¬
licher Wert nicht abgesprochen werden kann;
4) Münch, med. YVoelienschr. 1902, No. 22.
30. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1619
2. dass aber dieselbe weit umständlicher als die Lungen-
schwimmprobe ist, und nicht für frei von den gegen die letztere
erhobenen Einwänden gehalten werden kann; endlich
3. dass sie von erfahrener Hand und nur bei gleichzeitiger
Vornahme der Lungenschwimmprobe, am besten mit Hilfe eines
zweiteiligen Troikarts, dessen seitliches Rohr mit dem Wasser¬
manometer konstant verbunden wäre, ausgeführt werden sollte
Ungeachtet dieser Einwände gebührt Placzek das Ver¬
dienst, auf die noch zu gerichtsärztlichen Zwecken nicht ver¬
wertete physiologische Tatsache der Entstehung des negativen
Druckes im Brustraume bei lufthaltigen Lungen und auf die
darauf gestützte neue Lungenprobe hingewiesen zu haben.
Zwei Fälle von spontan geheilter Perforations¬
peritonitis.
Von Dr. Adolf Weber, Arzt in Alsfeld.
Wenn ich im folgenden 2 Fälle von Perforationsperitonitis
mitteile, die ohne operativen Eingriff geheilt sind, so tue ich dies
nicht, um damit den Beweis anzutreten, dass die Laparotomie
bei dieser schwersten Form der Bauchfellentzündung entbehrlich
sei. Ich möchte nur einen Beitrag zu der äusserst dürftigen
Kasuistik *) der Spontanheilung dieser Erkrankung liefern.
1. Frau K„ 39 Jahre alt, in O. leidet seit mehreren .Jahren
an zeitweise auftretenden Gallensteinkoliken. Letzter Anfall im
September 1899. Die messerscheue Patientin will trotz meines
dringenden Zuredens von einer Operation nichts wissen. Anfang
August. 1900 normale Geburt. s
Am 27. IX. 1900 tritt plötzlich, ohne alle Vorboten, ein heftiger
Kolikanfall unter typischen Erscheinungen auf — rasende, boh¬
rende Schmerzen im Rücken, hochgradige Druckempfindlichkeit in
der Gallenblasengegend und im Epigastrium. häufiges, galliges
Erbrechen. Trotz einer M orphi u m i n j ek t i o n halten die Schmerzen
bis zum anderen Morgen an. Da ändert sich auf einmal das Bild.
Die Frau kollabiert. Die Schmerzen sind wie durch einen Zauber¬
schlag aus der Rücken- und Lebergegend verschwunden und
treten mehr in der Nabel- und Unterbauchgegend auf. Der behan¬
delnde Kollege stellte jetzt, die Diagnose: Perforation eines Gallen¬
steines in die freie Bauchhöhle.
Es entwickelte sich nun das Bild einer allgemeinen Peri¬
tonitis — starker Meteorismus, Druckempfindlichkeit des ganzen
Abdomens, Erbrechen, Stuhlverstopfung, Fieber und beschleu¬
nigter Puls. Am 10. X. treten zwei lang andauernde Schüttel¬
fröste auf, denen ein starker Schweissausbruck folgt. Als ich
am 15. X. die Patientin sah, konnte ich folgenden Befund erheben:
Mittelgrosse, gut genährte, recht kräftig gebaute Frau. Haut
und Augenbindehäute blass. Kein Ikterus. Puls 150, Tem¬
peratur 39°. Die Mund- und Rachenhöhle sind mit einer dicken
Soorlage bedeckt. Während der Untersuchung tritt Erbrechen
ein. Die Brustorgane sind gesund.
Der Leib ist stark aufgetrieben und druckempfindlich. Ganz
besonders heftige Schmerzen werden ausgelöst bei der Unter¬
suchung der Gegend links vom Nabel. Hier fühlt man einen
kleinen kugeligen Tumor, der sich nach rechts in eine fast arms¬
dicke, nach der Spina Superior anterior ilei ziehende Geschwulst
fortsetzt. Von hier aus kann man einen dritten, nach oben
ziehenden, mit der Atmung nicht verschieblichen Tumor ver¬
folgen, der von der Leber weder palpatorisck, noch perkutorisch
abzugrenzen ist.
Die vaginale Untersuchung (Prof. Walther) ergab, dass
die Tumoren weder von dem Genitaltraktus ausgehen, noch mit.
ihm in Zusammenhang stehen.
Verordnung: Eisblase, Kognak, Digitalis.
In den folgenden Tagen trat langsam die Besserung ein, das
Erbrechen hörte auf. der Puls wurde langsamer, Stuhlgang er¬
folgte täglich ohne Nachhilfe 1 — 2 mal.
Am 1. XI. war nur noch der Tumor links vom Nabel fühlbar.
Puls 114. Seit 2 Tagen sind auch die abendlichen Temperatur¬
fiteigerungen verschwunden.
Bis zur völligen Genesung vergingen allerdings noch einige
Wochen. Kurz vor Weihnachten ergab die Untersuchung keine
Residuen der vorausgegangenen schweren Erkrankung.
Seit 1 y2 Jahren hat die Frau auch keine Gallensteinkoliken
mehr gehabt.
2. R. B„ 25 Jahre alt, in A. fällt am 26. X. 1900 aus einer
Hohe von 5 Metern auf die Füsse, kippt um und schlägt mit der
linken Seite auf eine Eisenbahnschiene. Ich finde neben den Er¬
scheinungen eines schweren Schocks einen linksseitigen doppelten
Knöchelbruch mit so hochgradiger Verschiebung des Fusses nach
innen, dass das obere Fibulastück die Haut fast durchbohrt. Da
mir wegen der heftigen Alteration des Nervensystems die Chloro-
*) Niemeyer-Seitz schreibt noch: Für die Möglichkeit
einer Heilung dieser Form gibt es kaum verbürgte Beispiele. Die
von Courvoisier gesammelten 70 Fälle von Peritonitis (Per-
foration der Gallenblase oder Gallengänge) endeten sämtlich töd¬
lich.
iormnarkose nicht rätlich erscheint, so schiebe ich die
des Bruches vorerst auf.
Reposition
... ~ Stunden später finde ich den Patienten hochgradig anämisch
über Schmerzen in der linken Seite klagend. Um die Quelle der
vermuteten inneren Blutung festzustellen, untersuche ich das Ab¬
domen. Ein Flussigkeitserguss ist nicht nachweisbar. Die Milz-
damptung ist vorhanden. Die Spannung der Bauchmuskeln ist
nicht, verändert. Dagegen findet sich vom linken Seliulterblatt-
winkel abwärts absolute Dämpfung. Kein Rippenbruch. 21 Tage
später werden durch Tunkt ion in der hinteren Achsellinie des
!). Interkostalraums 400 ccm flüssiges Blut entleert.
Am 29. X., 66 Stunden nach dem Unfall, tritt bei dem Pa¬
tienten, dem es verhältnismässig ganz gut ging, plötzlich ein
schwerer Kollaps auf, dem sich die heftigsten Leibschmerzen, so¬
wie häufiges Erbrechen anschliessen.
Bei der erneuten Untersuchung bin ich erstaunt über die
ausserordentliche Veränderung, die mit dem Patienten vorge¬
gangen ist. Das Gesicht ist verfallen, die Haut fühlt sich kühl
an, der Tuls ist unzählbar, der Bauch ist fassförmig aufgetrieben,
Leber- und Milzdämpfung sind verschwunden, Temperatur 39°.
Ich verordne Analeptika, Eisblase und Opium, später Digitalis'
Am 30. X. Morgens ist die Temperatur 37,3 °, steigt aber bis
zum Abend auf 39,2°. Der Bauch ist noch prall aufgetrieben, auf
Druck jedoch nicht besonders schmerzhaft. Ein Exsudat ist nicht
nachzuweisen. Kein Erbrechen.
Am 31. X. Morgens Temperatur 37,8°. Nachmittags 2 Uhr sehr
heftige Schüttelfröste ohne Schweissausbruch, Temperatur 40,5 °.
1. XI. Leber- und Milzdämpfung wieder vorhanden. In der
linken Unterbauchgegend deutliche -Dämpfung. Hier auch Druck¬
empfindlichkeit. Abends Temperatur 40,4 °, Puls 128.
Vom 2. — 5. XI. bestehen noch Temperatursteigerungen. Die
Pulszahl geht auf 90 herunter. Der Leib wird weich.
Nachdem in den folgenden Tagen noch hier und da leichte
Fieberbewegungen bis 38,9° aufgetreten waren, stellten sich nach
und nach wieder normale Verhältnisse ein. Auch die Dämpfung
in der linken Unterbauchgegend verschwand.
Am 13. XII. Avurde Patient auf seinen Wunsch in die Heimat
entlassen. Der Knochenbruch war unter mässiger Kallusbildung
bei beweglichem Fussgelenke gut geheilt. Unterhalb des linken
Schulterblattes war die Atmung etwas abgeschwächt und der
Schall ein wenig kürzer als rechts. Das Abdomen zeigte nichts
Abnormes. Appetit und Stuhlgang normal.
Es handelt sich hier unzweifelhaft um eine Perforations-
peritonitis nach einem die Bauchwand treffenden stumpfen
Trauma. Zur Erklärung des oben beschriebenen Krankheits¬
bildes nehme ich an, dass infolge des Falles auf die linke Seite
eine Quetschung und später eine umschriebene Nekrose der Darm¬
wand erfolgte. Da Patient während der letzten 3 Tage nur
flüssige Kost zu sich genommen hatte, so trat ausser den Gasen
nur eine so geringe Menge des Darminhaltes in die freie Bauch¬
höhle, dass dieselbe nicht hinreichte, um eine allgemeine jauchige,
zum Tode führende Peritonitis zu veranlassen. Die Perforations¬
öffnung legte sich dann wohl an die Bauchwand oder an das
Mesenterium oder an eine andere Darmschlinge. Vielleicht auch
schloss die Darmschleimhaut wie ein Pfropf den entstandenen
Defekt und verhütete, so eine erneute Infektion des Bauchfelles.
Zur Prophylaxe des Keuchhustens.
Von Dr. C. S t a m m in Hamburg.
Wenn uns auch die Bakteriologie mit Sicherheit einen spe¬
zifischen Erreger der Pei’tussis noch nicht kennen gelehrt hat, so
ist doch die Infektiosität der Krankheit von Alters her nicht
mehr bezweifelt worden, und stets waren deshalb die Aerzte dar¬
auf bedacht, Keuchhustenkranke zu isolieren. Leichter als bei
Masern und Scharlach gelingt es beim Keuchhusten durch Ab¬
sperrungsmassnahmen die Infektion einzuschränken, weil der ver¬
mutliche Krankheitserreger weniger flüchtig zu sein scheint; je¬
doch erfolgt die Uebertragung nicht allein direkt vom Kranken
aus, sondern auch vermittelt durch Gesunde oder durch Klei¬
dungsstücke, Spielsachen etc., an welchen der Auswurf haftet.
Als bewiesen muss angenommen werden, dass der expektoriei’te
Schleim der Keuchhustenkranken den Infektionskeim birgt. Es
ist bekannt, dass Keuchhustenkranke von der Schule ferngehalten
werden müssen, und dass die Instruktionen für Lehi'er und
Kindergärtnerinnen dahin lauten, solchen Kindern den Schul¬
besuch zu verbieten.
Die mangelnde Kenntnis des spezifischen Krankheitserregers
hat nun zur natürlichen Folge, dass wir auch nicht mit einem
spezifischen Heilmittel der Pertussis ausgerüstet sind. Ti’otz
aller reklamehaften Anpreisungen von pharmazeutischen Keuch¬
hustenheilmitteln müssen wir gestehen, dass bisher auch nicht
eines den Anforderungen eines in jedem Falle wirksamen Mittels
entsprochen hat. Wir müssen uns noch immer, xvie schon
5*
vor
No. 39.
MUENCFIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Jahrzehnten, mit Medikamenten begnügen, die beruhigend und
antispaemodisch wirken.
Dass die keuchhustenkranken Kinder beim Aufenthalt im
Freien weit seltener von Anfällen heimgesucht werden als im
Zimmer, und besonders Nachts, ist sowohl durch tägliche Er¬
fahrung jetles Arztes, als auch durch genaue Untersuchungen
(TJ 11 mann) bewiesen worden. Der Rat, die Kinder ins Freie
zu bringen, möglichst auch im Winter, wird daher von den
Eltern gern befolgt. Die Prophylaxe des Keuchhustens lässt es
jetloch notwendig erscheinen, Eltern und Pflegerinnen einzu¬
schärfen, die kranken Kinder von den öffentlichen Spielplätzen,
von dem Zusammensein mit gesunden Kindern fernzuhalten.
Trotz mancher gegenteiliger Behauptungen wird in der Behand¬
lung des Keuchhustens die Luftveränderung als- ein nicht un¬
wesentlicher Heilfaktor gerühmt, und daher nimmt man nicht
ungern, besonders in der warmen Jahreszeit, seine Zuflucht zu
einem Ortswechsel der Kinder. Eine Uebersiedelung keuch¬
hustenkranker Kinder kann natürlich leicht die Krankheit von
einem Platz zum anderen verschleppen; die betreffende Ortsver¬
waltung ist deshalb in vollem Recht, wenn sie verlangt, dass die
eingewanderten Keuchhustenkinder isoliert gehalten werden
müssen.
Die Prophylaxe des Keuchhustens muss jedoch noch auf
andere Misstände Rücksicht nehmen, auf Misstände, die mir bei
Gelegenheit eines beabsichtigten Transportes eines Keuchhusten¬
kindes aufgefallen sind, und die einem weiten Leserkreise zu
unterbreiten Zweck meiner Mitteilung ist.
Bei dem Aufenthaltswechsel der Keuchhustenkinder wird
eine längere oder kürzere Eisenbahnfahrt nicht zu vermeiden
sein. Die Bestimmungen, welche bei der Staatseisenbahn be¬
treffs Beförderung ansteckender Krankheiten bestehen, sind der¬
artig abgefasst, dass die Verwaltung jeden Fall einer anstecken¬
den Krankheit, von dem sie Kenntnis bekommt, von der Fahrt
ausschliessen kann resp. darf, wenn nicht eine ganze Wagen¬
abteilung zu vollem Preise bezahlt wird. Von einer nachherigen
Desinfektion des Wagens auf Privat- oder Staatskosten steht
in den Satzungen nichts; vielleicht ist es als selbstverständlich
zu betrachten, dass eine Abteilung, welche eigens zum Transport
eines ansteckenden Kranken, wie z.B. eines Diphtherie- oder Schar¬
lachkranken, in Anspruch genommen ist, nach dem Gebrauch
gehörig desinfiziert wird. Weitaus am häufigsten von den an¬
steckenden Krankheiten werden, aus den oben angegebenen Grün¬
den, Keuchhustenkinder transportiert. Die Eisenbahn verlangt
nun, selbst wenn ein ärztliches Zeugnis die notwendige Isolierung
des Kindes bescheinigt, dass die Angehörigen auf ihre Kosten
eine ganze Wagenabteilung nehmen, also den 6 — 8 fachen Fahr¬
preis bezahlen. Natürlich weigert sich jedermann auf dieses Ver¬
langen einzugehen, meldet den Krankheitsfall nicht bei der
Eisenbahnverwaltung, und das Keuchhustenkind fährt in
grösserer oder kleinerer Gesellschaft, wie es der Zufall bringt,
nach seinem Bestimmungsorte. Unterwegs treten Anfälle auf,
trotz aller Vorsicht seitens der Begleitung ist der Auswurf nicht
ganz aufzufangen, er beschmutzt Gardinen, Teppiche etc., und
wird, von anderen empfänglichen Insassen des Wagens einge¬
atmet, zur Quelle neuer Infektionen. Auf die prophylaktischen
Massnahmen anderen schwereren Infektionskrankheiten gegen¬
über, die aber seltener zum Transport kommen, will ich hier nicht
eingehen. Die Beförderung keuchhustenkranker Kinder er¬
fordert, dass das zu benutzende Coupe leicht zu des¬
infizieren ist, dass also Polsterung fehlt oder mit ab¬
waschbarem, wasserdichtem Stoff bedeckt ist, dass Teppiche nicht
benutzt werden oder durch eine desinfizierbare Unterlage ersetzt
werden, dass Gardinen und Rouleaux abgenommen werden. Von
grösster Wichtigkeit aber ist, dass die Isolierungskosten
geringere werden.
Vielleicht genügt diese kurze Mitteilung, um bei den mass¬
gebenden Kreisen erhöhtes Interesse an der Prophylaxe der In¬
fektionskrankheiten zu erwecken und die Ausführung meiner
Vorschläge zu veranlassen.
Beiderseitige Ophthalmoplegia interna, hervorgerufen
durch Extractum Secalis cornuti.
Von Dr. P. Schneider, Augenarzt in Magdeburg.
Kürzlich konsultierte mich ein 30 jähriger Werkmeister wegen
folgender Beschwerden. Seit einigen Tagen könne er des Morgens
nicht mehr lesen, nur mit einem starken Konvexglase gehe es
einigennassen; das Sehen in die Ferne sei ganz gut, jedoch sähen
alle Gegenstände feuerrot aus und seien merkwürdig verzerrt.
Gegen Mittag werde das Lesen langsam besser, und gegen 4 Uhr
seien alle Beschwerden an den Augen verschwunden. Ausserdem
leide er an Schwindel, Ohnmachtserscheinungen, Mattigkeit und
Zittern in den Gliedern.
Der objektive Befund ergab folgendes: mit -j- 0,5 sphar.
besteht volle Sehschärfe; die Pupillen sind fast maximal erweitert,
reagieren jedoch etwas auf. Beleuchtung und Konvergenz. Das
Akkommodationsvermögen ist fast ganz aufgehoben; Akkommo¬
dationsbreite = 2 Dioptrien. Die äusseren Augenmuskeln sind in¬
takt; Augenspiegelbefund normal, Gefässe der Retina vielleicht
etwas verengt, doch noch in physiologischer Breite. — Es handelt
sich also um eine beiderseitige typische Ophthalmoplegia interna,
wobei das Rotsehen wohl als eine Folge der Blendung durch die
sehr stark erweiterte Pupille aufzufassen ist (cf. Erythropsie nach
Staroperationen etc.).
Was nun die Aetiologie anbetrifft, so schloss eine Allgemein¬
untersuchung Erkrankungen des Zentralnervensystems aus
(Tabes, Bulbärparalyse etc.), desgleichen Allgemeininfektionen
(Diphtherie, Tuberkulose, Lues, Diabetes etc.), auch lag keine
Erkältung und kein Trauma vor, es blieben so eigentlich nur
noch die Intoxikationen übrig.
Dieses bestätigte sich auch, indem ich durch Nachfragen er¬
fuhr, dass Patient seit einiger Zeit Extractum Secalis cornuti ein¬
nahm und zwar 2 mal täglich 0,2, Abends vor dem Schlafengehen
und früh Morgens nüchtern. Er hatte bis jetzt 16 derartige Pulver
verbraucht, jedoch nach den ersten 10 nur etwas Zittern in den
Gliedern gespürt und erst bei den letzten die auffälligen Allgemein-
und Augensymptome bekommen, so dass wohl eine Art von kumu¬
lativer Wirkung anzunehmen ist.
Ordination bestand abgesehen von kräftiger Diät und Schutz¬
brille nur darin, dass das Einnehmen von Secale ausgesetzt wurde,
worauf in den nächsten Tagen sich die Sehstörung noch zeigte,
wenn auch in abnehmendem Masse, und dann gänzlich ver¬
schwand, \im nicht wieder zu kommen. Desgleichen sind jetzt
auch die Allgemeinerscheinungen (Schwindel, Zittern) ver¬
schwunden.
Was nun den Fall in ophthalmologischer Beziehung anbe¬
trifft, so sind derartige Beobachtungen nur spärlich in der Lite¬
ratur vertreten. So erwähnt Schmidt-Rimpler in seinem
bekannten Werke „Erkrankungen des Auges in Zusammenhang
mit anderen Krankheiten“ einen Fall von Kort new (Nagels
Jahresbericht 1892, S. 518), wo die an Kriebelkrankheit Leiden¬
den über periodisch auf tretendes Trübsehen klagten. Hervor¬
heben möchte ich noch, dass in meinem Falle beide Linsen nicht
die leiseste Kataraktbildung zeigten, vielleicht weil Patient keine
Krampfanfälle gehabt hat.
Praktisch ist der Fall dadurch bemerkenswert, dass bei einer
Dosis von 2 mal täglich 0,2 Extract. Secal. cornut. derartig
schwere Intoxikationserscheinungen sich einstellten, wobei wohl
nicht unberücksichtigt bleiben darf, dass das Mittel zum Teil auf
nüchternen Magen genommen worden ist. Ueber die Dosierung
des Präparates sind bekanntlich die Ansichten noch verschieden,
was bei der Unsicherheit über die Menge der in der Droge ent¬
haltenen wirksamen Bestandteile (Ergotinsäure, Sphacelotoxin,
Cornutin) auch nicht wundernehmen kann. In den meisten
Anweisungen findet man: Zu 0,1 — 0,5 mehrmals täglich in Pillen,
Pulvern und in subkutaner Injektion. In der Pharmacopoea ger¬
manica ist das Extract. Secalis cornuti nicht in der Maximal¬
dosentabelle enthalten, wohl aber in der Pharmacop. helvetica
(0,1 pro dosi bis 0,5 pro die) und in der Pharmacop. austriaca
(0,5 pro dosi bis 1,5 pro die), die also auch erheblich in der Höhe
der Einzel- und Tagesgabe variieren.
Immerhin fordert der Fall zur Vorsicht in der Dosierung
auf, insonderheit hüte man sich davor, das Mittel zu lange
hintereinander zu geben.
Ueber einen Fall von gallenfarbstofthaltigem pleuri-
tischen Exsudat.
Von Dr. Rank in Arnswalde.
Bezugnehmend auf den Vortrag des Herrn Kollegen
v. C r i e g e r n in der medizinischen Gesellschaft zu Leipzig vom
8. Juli 1902 (cf. diese Wochenschr. 1902, No. 35, S. 1483 f.) er-
30. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1621
laube ich mir, über einen in mancher Beziehung ähnlichen Fall
zu berichten:
Am 7. Januar 0. J. wurde ich zu dem 65 jährigen Haus¬
mann IV. auf einem benachbarten Gute gerufen. Ich fand einen
kachektisch aussehenden Mann, der über heftige Atembeschwer¬
den und das Gefühl von Fülle und Spannung "im Bauch klagte.
Er sei früher stets gesund gewesen, kräftig und gut genährt, "bis
vor etwa einem Vierteljahr Appetitmangel und häufiges Aufstossen
sich gezeigt habe. Durch dieses Magenleiden sei er so hochgradig
abgemagert.
Temperatur 37,8, Puls 120, klein, etwas flatternd, aber regel¬
mässig.
Im Abdomen geringer Aszites; durch die schlaffen Bauch¬
decken fühlt man deutlich in der Gegend des Pylorus und des
linken Leberlappens harte, knollige Tumormassen.' Die Leber ist
im übrigen vergrössert, hart Die linke Thoraxseite ist stark aus¬
gedehnt, wie die Untersuchung ergibt, durch ein pleuritisches Ex¬
sudat, das bis zur Spina scapulae reicht. Durch Punktion wurden
etwa 300 ccm einer ziemlich klaren, rötlichbraunen Flüssigkeit ent¬
leert, die dem Aussehen nach Blut- oder Gallenfarbstoff enthalten
musste. Die Untersuchung ergab: Bilirubin in geringer Menge
(G m e 1 i n sehe Probe); die Urobilinprobe (Ammoniak und Zink¬
sulfat) ergab ein stark positives Resultat. Dagegen war Blut oder
rote Blutkörperchen weder chemisch noch mikroskopisch nach-
weisba r.
Das Exsudat reichte nunmehr nur noch bis zur Puuktions-
stelle, nirgends an der Pleura, soweit sie nun zu untersuchen war,
fanden sich Zeichen pleuriti scher Prozesse. Das Exsudat stieg
nicht wieder. Patient ging 0 "Jage später marantisch zu Grunde.
Es handelte sich, wie die Palpation erwies, um ein Magen-
(Pylorus-)karzinom mit Lebermetastasen. Ob auch Metastasen in
anderen Organen, namentlich in der Lunge vorhanden, liess sich
leider nicht feststellen, da eine Obduktion nicht gestattet wurde.
Es ist jedoch die Möglichkeit von Metastasen in der Lunge resp.
allgemeiner Karzinomatose nicht auszuschliessen, und es liesse
sich das Pleuraexsudat, das angeblich ohne jeden Husten und ohne
Schmerzen entstanden war und bestand, auf eine Karzinomatose
der Lunge, speziell der linken, zurückführen. Denn dass Lungen¬
krebs pleuritisches Exsudat veranlassen kann, wird von Stint-
z i n g ausdrücklich erwähnt (Penzoldt-Stintzings Handbuch der
Therapie innerer Krankheiten, II. Auf!.. Bd. III. S. 432).
Was nun den Gallenfarbstoff in dem v. O r i e g e r n sehen
Falle betrifft: sollte er nicht statt durch den Blutgehalt des Ex¬
sudates durch die luetische Lebereirrhose mit folgender Gallen¬
stauung bedingt sein? Oder durch Blutgehalt und Gallenstauung?
In meinem Falle erscheint mir der Gallenfarbstoff im Exsudat
nur durch die Lebermetastasen mit ihren Folgen und zwar hin¬
reichend erklärt, obwohl sonst, keine Zeichen von Ikterus vor¬
handen waren. Denn Blut war nicht nachzuweisen. Für das
Ueberwiegen des Urobilins, also reduzierten Bilirubins, habe ich
in der mir zugänglichen Literatur keine Erklärung gefunden.
Nach dem geschilderten Falle kann ich mich mit der These 2
des Kollegen v. Cr leger n: „In den seltenen Fällen, in welchen
das Vorkommen von Gallenfarbstoff sehr reichlich ist. bedeutet es
einen stärkeren Blutgehalt des Exsudats, jedoch mit der Modi¬
fikation, dass es auf ein längeres Bestehen desselben hinweist“,
nicht einverstanden erklären. Ich meine vielmehr: Es gibt auch
reichlich gallenfarbstoffhaltige Exsudate, ohne dass an Blutgehalt
des Exsudats gedacht werden müsste.
Zur Aetiologie der Narkolepsie.
Von Dr. FI. Guleke in Windau (Kurland).
Kurz nachdem ich durch den Aufsatz von Dr. L. Loewen-
feld in der No. 25 dieser Wochenschrift mit dem Krankheitsbilde
der Narkolepsie bekannt geworden war, fand sich in meiner
Sprechstunde eine an dieser Krankheit leidende Patientin A. K.
ein. Es war eine Frau von 48 Jahren, von mangelhaftem Er¬
nährungszustände, anämisch, die ich früher mehrfach wegen sehr
hartnäckiger Keratitis und wegen Metritis behandelt hatte. Die
4/ E- teilte mir gleich zu Anfang mit, sie leide an einer eigen¬
tümlichen Krankheit, indem ihr plötzlich die Beine schwach würden,
so dass sie sich hinsetzen müsse, und zwar verliere sie die Kraft
zur Zeit gewöhnlich in einem Bein, es sei abwechselnd das
rechte oder das linke. Auf Befragen gab sie an, dass dieses be¬
sonders leicht beim Lachen passiere, und dass sie auch sehr häufig
im Laufe des Tages einschlafe; wenn es auf der Strasse geschehe,
habe sie gewöhnlich noch Zeit, sich auf eine Treppe oder der¬
gleichen zu setzen. Während des Schlafes höre sie, was um sie
her vorgehe, könne aber nicht sprechen.
Die körperliche Untersuchung ergab wenig Abweichungen von
der Norm, abgesehen von der Anämie und allgemeinen Atrophie.
Die Reflexe waren vorhanden, Herz und Lunge normal, der Puls
78, hart, kein Albumen, kein Zucker. lieber ihre Lebens- und Er¬
nährungsweise befragt, gab die A. K. zu, sich ganz vorwiegend
von Kaffee zu nähren und sonst sehr wenig zu essen; sie ver¬
braucht ca. 2 Vg Liter Kaffee den Tag, ausser¬
dem gegen 1 Liter T li e e. Der Appetit nach den übrigen
Speisen fehlt. Zugleich bestand Obstipation.
Es scheint mir nicht gewagt, die Entstehung der Narkolepsie
in diesem Falle mit dem Missbrauch des Kaffees in Verbindung
zu bringen. Kionka1) beschreibt die Erscheinungen beim chro¬
nischen Koffeinismus folgender massen: „Die meisten Kaffee¬
trinker klagen über Kopfschmerzen, der Schlaf ist unruhig, die
Leute werden zu Neurasthenike r n. Sie klagen
über Hyperästhesien, sie sind unlustig wegen eines a 1 1 g e -
m einen S c li wächegefühle s, und wegen H e r a b. -
Setzung der Muskelkraft unfähig zur Arbeit etc.“
Das Gewicht möchte ich darauf legen, dass K. sagt, „die
Leute werden zu Neurasthenikern“. Denn ich glaube, wir können
das Krankheitsbild „Narkolepsie“, welches Loewenfeld „als
einen Morbus sui generis“ betrachtet, zwanglos in die Reihe der
Symptomenkomplexe der Neurasthenie einreihen. Die abnorm
leichte Erschöpfbarkeit der motorischen Sphäre ist doch für
Neurasthenie charakteristisch, und auf diese Ursache lässt sich
das gesamte Krankheitsbild der Narkolepsie zurückführen. Es
scheint mir nicht nur aus didaktischen Gründen, sondern auch
im Interesse des leichteren Ueberblickes wünschenswert, nicht
gar zu viele Krankheiten sui generis zu kreieren, wenn dieses
nicht unbedingt erforderlich ist. Im übrigen will ich nicht be¬
hauptet haben, dass in jedem Falle von Narkolepsie Koffeinismus
die Ursache ist. sondern glaube gern, dass auch andere Ursachen,
die Neurasthenie zur Folge haben, den von Dr. Loewenfeld
in dankenswerter Weise ans Licht gezogenen Symptomenkomplex
zu Tage fördern können.
Rudolf Virchow. -f-
Zum Gedächtnis.
Am 5. September dieses Jahres ist Rudolf Virchow
nach längerer Krankheit sanft entschlafen. Mehr als ein halbes
J ahrhundert ist dahingegangen, seit der V erblichene seine ruhm¬
bedeckte Laufbahn als Forscher und Lehrer begonnen hat.
Wenn bei dem Versuche1), die hohen Verdienste Vir¬
chow s um die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft
wenigstens in allgemeinen Umrissen ins Gedächtnis zu rufen,
das Können hinter dem Wollen zurückbleibt, so möge eine ge¬
wisse Entschuldigung darin liegen, dass angesichts der Viel¬
seitigkeit und Fruchtbarkeit desselben eine kurze Zusammen¬
fassung seiner umfassenden Leistungen keine leichte Aufgabe
ist; die unvermeidlichen Lücken in der Darstellung dürften je¬
doch bei einem Forscher, dessen Bedeutung und Einfluss auf die
medizinische Wissenschaft längst in Fleisch und Blut der ärzt¬
lichen Welt übergegangen sind, wenig ins Gewicht fallen.
Rudolf Virch ow, geboren am 13. Oktober 1821 zu
Schivelbein, einer kleinen Stadt in Pommern, absolvierte seine
medizinischen Studien als Zögling des Friedrich- Wilhelm-Insti-
tutes zu Berlin. Unter seinen Lehrern war der Einfluss von
Johannes Müller (1801 — 1858), des Begründers der exakten
naturwissenschaftlichen Methode auf dem Gebiete der Anatomie,
Physiologie und pathologischen Anatomie, derjenige, der am
meisten anregend und befruchtend wirkte. In der warm em¬
pfundenen Gedächtnisrede, die Virchow auf seinen berühmten
Lehrer hielt, spricht er sich folgendennassen aus : „Seine Hand
war es, die die ersten Schritte des medizinischen Lehrlings leitete;
sein Wort war es, das mir die Doktorwürde zusprach; unter
seinem Dekanat hielt ich die erste öffentliche Vorlesung als
Privatdozent; aus der grossen Zahl der Schüler war ich der
einzige, der auf seinen eigenen Vorschlag neben ihm im engen
Kreise der Fakultät zu sitzen gerufen war, dem er einen wich¬
tigen Teil seines alten Gebiets freiwillig überliess.“
Im J ahre 1844 begann Virchow die pathologisch-ana¬
tomische Laufbahn als Assistent von Robert F rorie p, der die
Prosektur am Leichenhause der Charite bekleidete, und wurde
1846 dessen Nachfolger. Im folgenden Jahre habilitierte er sich
an der Berliner Universität und begründete mit Benno Rein¬
hardt das Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie-
und für klinische Medizin, welches nach dem 1852 erfolgten Ab¬
leben Reinhardts von Virchow allein fortgeführt wurde
und gegenwärtig bei dem 170. Bande angekommen ist.
Im Jahre 1849 folgte der junge Gelehrte, der sich in Berlin
politisch missliebig gemacht hatte, einem höchst ehrenvollen Rufe
nach Würzburg, wo er bis 1856 blieb. Diese Berufung bildet
einen Ruhmestitel der scharfblickenden Würzburger medizini¬
schen Fakultät und der bayerischen Regierung, die es unternahm,
trotz der rückläufigen politischen Strömung nach 1848
Virchow zum Ordinarius zu ernennen. Noch heute sprechen
die damaligen Schüler, die namentlich in unserem engeren Vater¬
lande zahlreich vertreten sind, mit wahrer Begeisterung von
jener Periode, wo sie das Glück hatten, den genialen jugend-
9 Liebreich: Enzyklopädie der Therapie sub „Coffea L“.
9 Vergl. diese Wochenschr. No. 41, 1891.
1022
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
liehen Forscher zu hören, der sich im Sturmschritt sein Terrain
eroberte, rasch Schule machte und bald die Hauptanziehungs¬
kraft der zu neuem Leben erblühten medizinischen Fakultät der
altberühmten Julius-Maximilians-Universität bildete. Als
Virc li o w nach einigen J ahren nach Berlin berufen wurde,
wusste man in Würzburg diesen unersetzlichen Verlust zu wür¬
digen ; die Worte, die Kölliker in der Festsitzung der physio¬
logisch-medizinischen Gesellschaft an den scheidenden Kollegen
richtete, sprechen dies deutlich aus: „Tn Vircliow verlieren
wir nicht nur einen edlen und charakterfesten Freund, nein, in
ihm geht uns auch ein hochbegabtes geistiges Element, unsere
beste Kraft dahin. Indes ich dies ausspreche, bin ich weit ent¬
fernt davon, die Verdienste aller derer schmälern zu wollen,
welche seit Jahren mit so unermüdlichem Fleisse der Gesell¬
schaft Opfer gebracht haben und noch bringen, denn keiner kann
die Leistungen dieser Männer freudiger anerkennen als ich;
nichtsdestoweniger ist es meine innerste Heberzeugung, dass
keiner die Bedeutung und die Endzwecke unserer Gesellschaft so
erfasst und in seinen Bestrebungen so glücklich verfolgt hat,
wie V i r c h o w, und weiss ich auch gewiss, dass Sie alle, meine
Herren, diese Ueberzeugung mit mir teilen. Virchows Be¬
deutung für unsere Gesellschaft lag übrigens nicht bloss in
seinen wissenschaftlichen Leistungen, so Grosses und Ein¬
greifendes dieselben auch zutage förderten und so anregend und
belehrend dieselben auch wirkten, dieselbe beruht ebenso sehr auf
dem Geiste, mit dem er das Ganze durchdrang. — Wer von Ihnen
erinnert sieh nicht an seine unermüdlich wiederholten An¬
regungen zur Erforschung der naturhistorischen Verhält¬
nisse unseres Landes im weitesten Sinne, die denn auch zum Teil
schon schöne Früchte trugen, und anerkennt nicht, was Vir-
chow selbst in seinen Arbeiten über die Not im Spessart, den
Hungertyphus in Franken und den Kretinismus in dieser Ee-
ziehung Bedeutendes geleistet hat? So kam es, dass Virchow
nicht bloss als Forscher, als Gelehrter, sondern auch als leitender
Gedanke für die Gesellschaft von der grössten Bedeutung war,
und dass uns sein Weggang auch in dieser Beziehung auf das
empfindlichste berührt.“ — Bei einer anderen Gelegenheit hob
Kölliker hervor, dass, wenn die Anatomen und Aerzte, die
Physiker wie die Chemiker an der konsequenten und unermüd¬
lichen Weise, mit der Virchow einer exakten Naturforschung
huldigte, ein Vorbild sich nehmen konnten, die Mediziner im
besonderen ihm die Einsicht in den wahren Wert
der pathologischen Anatomie und Physio¬
logie, als der Basis ihrer ganzen Wissenschaft, schulden.
Tn Berlin trat Virchow bald an die Spitze des auf
seine Veranlassung erbauten pathologischen Instituts, welches
das Vorbild zahlreicher ähnlicher Institute werden sollte, die im
In- und Ausland im Laufe der folgenden Jahrzehnte errichtet
wurden.
Es war eine trübe Zeit in Deutschland für den Stand der
Naturwissenschaften und der Medizin, die erste Hälfte des
vorigen Jahrhunderts! Es war die Zeit desi Herrschen» der
Schelling sehen Naturphilosophie, die alle Erscheinungen
aus der Idee des Absoluten abzuleiten versuchte, wo das Netz
philosophischer Spekulation den Ruin der Naturwissenschaft
gründlich herbeigeführt hatte. Eine Reihe bedeutender Forscher
(Oken, Döllinger, Walther) hatten sich dieser Richtung
angeschlossen ; Männer, wie Blumenbac h, Sömmering,
Meckel u. a., die das Prinzip der Beobachtung hochhielten,
standen auf verlorenen Posten. In den vierziger Jahren hatte
die glänzende Periode der französischen Medizin, die in Männern
wie Bichat, Laennec, Pinel, Corvisart, Cruveil-
h i e r und Dupu y treu ihre Hauptvertreter stellte, ihren Ab¬
schluss gefunden; in Wien hatte das medizinisch-wissenschaft¬
liche Leben durch Rokitansky und Skoda einen neuen
Aufschwung genommen.
Sch w a n n und Schleiden hatten die Zellenlehre be¬
gründet, Johannes Müller lenkte Physiologie und Pathologie
in neue Bahnen : auf diesem wohl vorbereiteten Boden nahm
Vi rcho w den Kampf gegen die in der Medizin herrschende
rohe Empirie, sowie gegen die Humoralpathologie und Krasen-
lehre der Wiener Schule auf und führte ihn siegreich durch.
Tm Jahre 1858 veröffentlichte er seine berühmten Vorlesungen
über Zellularpathologie2). In diesem klassischen W erke lieferte
der Verfasser die Geschichte der Elementarvorgänge der Krank¬
heit, auf welcher sich die Lehre von dem Wesen der Krankheit
aufbauen sollte. Wie eine Lawine kam die neue Lehre über die
gesamte Medizin. Durch den Satz : „Omnis cellula e cellula“ hat
V i r c h o w mit einem Schlage den Zauber der plastischen Stoffe
und den Bann der diskontinuierlichen Entwicklung gebrochen;
die Humoralpathologie sowohl wie die unbewiesenen Theorien
von den permanenten Dyskrasien wurden damit aus den wissen¬
schaftlichen Erörterungen entfernt. Die Zelle ist als Trägerin
des Lebens im gesunden wie im kranken Zustand anzusehen;
ihre Erkrankung ist das pathologische Wesen (ens morbi).
An Stelle der unfruchtbaren naturphilosophischen Speku¬
lation wurde durch V i r c li o w eine neue Methode, diejenige der
Anschauung und Forschung, in die Pathologie eingeführt. Die
Verbesserung in der Methode, ja die Einführung einer metho¬
dischen Forschung überhaupt, welcher wir hauptsächlich den
gewaltigen Fortschritt der Medizin in der zweiten Hälfte des
abgelaufenen Jahrhunderts verdanken, ist unbestritten ein
Hauptverdienst V i r c h o w s, während Rokitansky schon
vorher die pathologische Anatomie als Grundlage nicht nur des
ärztlichen Wissens, sondern auch des ärztlichen Handelns be¬
zeichnet hatte, während Traube nach dem Vorgänge von
Magendie das Experiment in der Pathologie als ein „sine
qua non“ proklamierte und erfolgreich verwertete.
Es würde zu weit führen und ist kaum möglich, die wissen¬
schaftlichen Arbeiten Virchows, deren Zahl sich auf viele
Hunderte beläuft, einzeln aufzuführen. Kaum ein Gebiet des
medizinischen Wissens gibt es, auf dem er nicht Hervorragendes
geleistet und befruchtend gewirkt hätte; alle Veröffentlichungen
zeugen von der seltenen Produktivität und Vielseitigkeit des
gefeierten Forschers. Es seien hier nur erwähnt die bahn¬
brechenden Arbeiten über Rhachitis, Phlebitis, Thrombose, Em¬
bolie, Infektionskrankheiten, Leukämie, Syphilis, Tuberkulose,
Trichinen, Echinokokkus. Die für den Arzt so wichtige Lehre
von den krankhaften Geschwülsten') wurde von
ihm auf ein neues und sicheres Fundament gestellt und trotz
aller Bereicherung unserer Kenntnisse in den letzten J ahrzehnten
ist noch heute in der Hauptsache die von V i r c li o w auf-
gestellte Grundlage in Geltung-. In den „Gesammelten Abhand¬
lungen aus dem Gebiete der öffentlichen Medizin und der
Seuchenlehre“ (2 Bände, Berlin 1879) tritt deutlich zu Tage,
dass der Verfasser der Zellularpathologie und der krankhaften
Geschwülste mit weitem Blick über die Grenzen der allgemeinen
Pathologie und pathologischen Anatomie hinaussah und auch
auf anscheinend ferner liegenden Gebieten Bahnbrechendes zu
leisten im Stande war.
Die grosse und dauernde Wirkung der Arbeiten Virchows
beruhte auf einer seltenen Vereinigung von Eigenschaften: Ori¬
ginalität der Anschauungen, umfassendes Wissen, scharfsinnige
Kombinationsgabe, Klarheit der Darstellung, Strenge der Kritik,
scharfe Beweisführung und seltene Schlagfertigkeit.
Mit logischer Schärfe konnte der kaum den Lehrjahren ent¬
wachsene Forscher schon 1849 den Satz auf stellen und ver¬
teidigen, dass die Krankheit nichts dem Leben Fremdes, sondern
das Leben selbst sei, welches nur wegen des Wechsels der äusseren
Bedingungen in anderer Form zur Erscheinung kommt, während
man die Krankheit bisher als ein selbständiges Wesen auffasste,
welches den Körper befällt, eine Zeitlang darin wütet und dann
daraus entweicht. Den Unterschied zwischen gesundem und
krankem Körper definierte er dahin, „dass derselbe nur in der
Differenz der Bedingungen begründet sei, unter denen die Lebens¬
gesetze zur Erscheinung gelangen. Mögen letztere auch noch so
verschieden erscheinen, so sind doch niemals neue Gesetze, son¬
dern immer nur neue Bedingungen zur Geltung gekommen.“
Die rasche Entwicklung, welche die so lange vernachlässigte
und vorwiegend durch Rokitansky und V irchow zum
Range einer selbständigen Wissenschaft erhobene pathologische
Anatomie nahm, wirkte in hohem Grade befruchtend auf die
klinische Medizin in allen ihren Sparten. Virchow bemühte
sich, die Auffassung zur Geltung zu bringen, dass die patho¬
logische Anatomie eine biologische Disziplin
darstelle und dass die durch dieselbe gewonnenen Erfahrungen
andrerseits für die gesamte Biologie von grosser Wichtigkeit
seien. Die pathologische Anatomie will nicht bloss anatomische
=) 4. Auflage 1871.
3) Virchow: Die krankhaften Geschwülste, 1863 — 1867.
So. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Zustände erörtern, sondern auch Vorgänge des lebenden Körpers.
Hand m Hand mit der allgemeinen Pathologie stellt die patho¬
logische Anatomie unter den sieh täglich mehr zersplitternden
pathologischen Disziplinen jenes lach dar, weiches mehr auf das
Allgemeine gerichtet ist und als Leuchte für die Klinik dient.
Wenn dieses Fach in Deutschland in der zweiten Hälfte des ver¬
gangenen Jahrhunderts lange zu dominieren schien, so ist dies
unschwer zu verstehen und erklärt sich namentlich aus dem Ein¬
flüsse Vi r c h o w s.
Abgesehen von der Gründung und Redaktion des Archivs
für pathologische Anatomie, welches wie kein zweites medi¬
zinisches Journal in Deutschland eine vollständige Uebersicht
der Entwickelung der Medizin und eine Fülle unvergänglichen
und grundlegenden Materials in sich birgt, welches über alle
Kulturländer verbreitet unter den medizinischen Journalen der
Welt mit an erster Stelle steht, hat Virehow sich
literarisch besondere Verdienste erworben als Mitheraus¬
geber des von Ca n statt begründeten und mit Aug.
Hirsch und Posner fortgeführten Jahresberichtes über
die Leistungen und Fortschritte der gesamten Medizin,
als Fierausgeber des Handbuches der speziellen Patho¬
logie und Therapie (Erlangen 1854—1862), ferner der Samm¬
lung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge. lieber
die Verdienste, die Virehow sich auf zahlreichen Kongressen
und in wissenschaftlichen Vereinen als Vorsitzender und Redner
erworben hat, dürfen wir als allgemein bekannt hinweggehen.
Es sei hier nur erinnert an die glanzvollen Tage des X. inter¬
nationalen medizinischen Kongresses zu Berlin, wo Virehow
in bewundernswerter Frische und Energie seines schwierigen
Amtes als Präsident waltete.
. .Eass einem Forscher von solcher Produktivität und Viel¬
seitigkeit auch lebhafte und nicht zu verachtende Gegner er¬
wachsen sind, dass manche Anschauung und Lehre neueren
Ergebnissen, die mit verbesserten Methoden und vollkommeneren
Hilfsmitteln errungen wurden, weichen mussten, bedarf keiner
Erörterung. Auf dem Gebiete der Zellularpathologie jedoch,
wo neue Entdeckungen namentlich auf dem so wichtigen Ge¬
biete der Entzündungslehre einige Hauptsätze Virchows,
besonders die Lehre von der Beteiligung der fixen Gewebs¬
zellen eine Zeit lang zu erschüttern schienen, ist die Richtigkeit
der ursprünglich von Virehow gelehrten Auffassung in einer
jeden Zweifel ausschliessenden Weise bestätigt worden. „Die
v issenschaftlichen Probleme der Medizin sind am meisten kon¬
zentriert in der Ergründung des Lebens der tierischen und pflanz¬
lichen Zelle . diesen Satz konnte \ i r c h o w als Präsident des
internationalen medizinischen Kongresses' mit Fug und Recht
und nicht ohne eine gewisse Befriedigung verkünden.
Im Gegensatz zu seiner politisch stark prononcierten Stel¬
lung, die ihn fast stets in den Reihen der Opposition fand, hul¬
digte Virehow auf wissenschaftlichem Gebiete — wenigstens
in seinen späteren J ahren — einer mehr konservativen Richtung :
stets mahnte er zu Vorsicht in der Generalisation und zur Mässi-
gung in der Aufstellung von Hypothesen. So verhielt er sich
abwehrend gegen gewisse Konsequenzen der Darwi n sehen
Lehre. Lange sträubte er sich dagegen, den jüngsten Spross der
medizinischen Wissenschaft, die Hygiene, als vollberechtigtes
selbständiges Fach anzuerkennen, obwohl er selbst durch seine
Mitarbeit bei den sanitären Werken in Berlin, durch seine Ar¬
beiten auf dem Gebiete der Infektionskrankheiten, durch seine
Studien über Hungertyphus im Spessart und den Typhus in
Oberschlesien auf diesem Gebiete Hervorragendes geleistet hat
und mit Recht als Mitbegründer der sozialen Hygiene gefeiert
wird. Die grossen Errungenschaften, welche durch die Bakterio¬
logie der Medizin erwuchsen, musste er nach reiflicher Prüfung
anerkennen; jedoch alle spekulative Auswüchse und vorzeitige
Hypothesen auf diesem klippenreichen Gebiete fanden in
^ irchow einen scharfen und gefürchteten Kritiker.
Obwohl Virehow der deutschen Kolonialbewegung als Poli¬
tiker nicht freundlich gesinnt war, hat er aus patriotischen Grün¬
den seine sowertvollewissenschaftlicheMitarbeit nicht verweigert.
Auf der Versamml. deutscher Naturforscher u. Aerzte in Strass¬
burg sprach er sich dahin aus: „Es ist hier nicht der Ort dar¬
über zu diskutieren, ob wir eine Kolonialmacht lierstellen sollen,
aber sie wird hergestellt werden, und die Naturforscher und
Aerzte werden diesen Vorgang, den die Regierung nun einmal be¬
schlossen hat, nicht mit passiver Haltung gegen überstehen
1622
können. Mit Recht fordert die Regierung sowohl wie die Nation
von der Wissenschaft Antworten auf eine ganze Reihe von
Fragen, die entscheidend sein werden für die Wege und Rich¬
tungen, welche die Gestaltung der einzelnen Verhältnisse nehmen
muss. Es wird absolut notwendig sein, dass die Wissenschaft
die Grundlage darbietet, auf denen einstmals die Ordnung der
neuen Gemeinwesen drüben eingerichtet wird.“ In der Folge be¬
tätigte Virehow sein Interesse an der tropen-pathologfschen
Enquete bei sämtlichen in den Tropen tätigen Aerzten durch ge¬
meinsame Redaktion der Fragebogen mit Prof. Aug. Hirsch
und durch Ueberwachung von deren Bearbeitung.
Im Verlaufe der letzten Jahrzehnte bewegten sich die Stu¬
dien und Arbeiten V irchows vorwiegend auf einem von der
Pathologie abseits liegenden Gebiete, auf dem der Anthro¬
pologie und Archäologie. Auch darin zeigte sich der
universelle und charakteristische Zug des Forschers, den er selbst
gelegentlich dahin gekennzeichnet hat, dass er es mehr liebe,
neue unbetretene Pfade zu bahnen, als auf den gebahnten zu ver¬
teilen und sie zu verbreiten. Die Blüte der Anthropologie in
Deutschland beruht wesentlich auf der kräftigen Initiative und
auf zahlreichen mühevollen Forschungen Virchows, der einer
der Mitbegründer der deutschen anthropologischen Gesellschaft
ist. Als Pfadfinder und Wegweiser hat Virehow durch seine
unbestrittene Autorität die rasch sich entwickelnde Anthropologie
vor manchen Verirrungen, müssigen Spekulationen und nament¬
lich vor dem Leberwuchern des auf diesem Gebiete besonders
gefahrvollen Dilettantismus zu bewahren verstanden.
Ein unbestrittenes \ erdienst hat V irchow ferner um die
Hebung und Entwicklung der Tierheilkunde,
für welches er stets ein warmes Interesse an den Tag legte und
erfolgreich einzutreten verstand; manch’ tüchtigen Lehrer und
Forscher dieser Disziplin zählt Virchowzu seinen dankbaren
Schülern und treuen Verehrern.
Als besonderes und nicht in die letzte Reihe zu stellendes
Verdienst \ irchows rechnen wir ihm an, dass er es wie
wenige verstanden hat, zu selbständiger Forschung anzuregen,
dass er Schule im besten Sinne des Wortes gemacht hat und zwar
über das Gebiet seiner Spezialfächer, ja weit über die Grenzen
des Vaterlandes hinaus. Die Schule V i r c li o w s zählt eine
Reihe glänzender Vertreter und Koryphäen nicht bloss auf dem
Gebiete der pathologischen Anatomie, sondern auch in den kli¬
nischen und verwandten Fächern zu den ihrigen.
Um die Verbesserung der sanitären Verhältnisse von Berlin,
wo Virehow als Stadtverordneter 40 Jahre hindurch eine ein¬
flussreiche und segensreiche Tätigkeit entfaltet hat, hat er sich
in ausgezeichneter Weise verdient gemacht. Bei der Projek¬
tierung und Ausführung der gewaltigen Sanitätswerke (Kanali¬
sation, Wasserversorgung und Rieselfelder), die eine Ausgabe von
138 Millionen Mark verursachten, war er hervorragend tätig und
wenn die Hauptstadt des deutschen Reiches eine reine, gesunde
und schöne Stadt geworden ist, so ist diese Wandlung in erster
Linie ein Verdienst ihres grossen Ehrenbürgers.
Welch grosse Sorgfalt Virehow seiner pathologisch-ana¬
tomischen Sammlung angedeihen Hess, wie ängstlich er bei De¬
monstrationen über die Präparate wachte, ist allgemein bekannt.
Die zahlreichen und wertvollen Präparate waren in den Räumen
des allmählich zu eng gewordenen und veralteten pathologischen
Instituts in Berlin höchst notdürftig aufgestellt. Es war des¬
halb eine grosse Genugtuung und die höchste Freude für den
gewissenhaften Sammler, als die preussisehe Regierung gegen
Ende der neunziger Jahre ihm die Mittel zur Verfügung stellte,
um ein eigenes Museum zur Aufnahme der gesammelten Schätze
zu errichten. Es war dem greisen Forscher noch vergönnt, das
zwar einfache, aber überaus praktisch und feuersicher erbaute
„V irchow - Museu m“ mit seinen Präparaten zu füllen und
einzuweihen. Wer das Glück hatte, wie Schreiber dieser Zeilen
im Juli 1901, stundenlang unter der persönlichen Führung des
Meisters allein diese Räume zu durchwandern und die überaus
zahlreichen, durch ihre Seltenheit oder Wichtigkeit ausgezeich¬
neten Präparate zu bewundern, konnte bemerken, wie stolz der
Schöpfer dieser unerreichten Sammlung auf dieselbe war, und
sich überzeugen, dass er mit vollem Recht auf dieselbe, gleichsam
als Abschluss seines Lebenswerkes, stolz sein konnte. Sind doch
die Präparate dieses Museums fast, durchweg sein eigenstes Werk,
für deren Aufstellung und Konservierung der Vielbeschäftigte
1624
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ho. 39.
stets Zeit fand; alle wichtigeren Nummern kannte er genau und
hatte man bei einem derartigen Privatissimum reichlich Gelegen¬
heit, das eminente Gedächtnis des nahezu Achtzigjährigen zu
bewundern.
Dass es dem gefeierten Forscher an Anerkennung nicht ge¬
fohlt hat, das zeigte sich deutlich bei verschiedenen Gelegen¬
heiten: bei Kongressen und Versammlungen der Mediziner und
Anthropologen, ferner bei der Feier des 70 jährigen Geburtstages,
bei der 50 jährigen Feier seiner Dozententätigkeit — verbunden
mit der Feier des Erscheinens des 150. Bandes des Archivs für
pathologische Anatomie — und namentlich in grossartiger Weise
am 13. Oktober 1901 bei der Feier des 80. Geburtstages. Diese
Fülle von Huldigungen und Glückwünschen aus nah und fern,
aus allen Ländern und Weltteilen, ja aus der ganzen zivilisierten
Welt, überstieg alle Erwartungen. Als einer der glänzendsten
Vertreter deutscher Wissenschaft und Bildung wurde \ i r c li o w
bei dieser Gelegenheit vom Kaiser, von den Behörden, von wissen¬
schaftlichen Korporationen geehrt und gefeiert.
Unter den zahlreichen Ansprachen, die damals an den J ubilar
gelaalten wurden, ist namentlich die von dem Vertreter der
Aerztewelt Englands, Lord Lister, gehaltene bemerkenswert.
Dieselbe lautete:
„Hochverehrter Meister ! Iclibin liier als Abgesandter der Royal
Society von London, deren Ehrenmiglied Sie sind, und in deren
Namen ich Ihnen eine Ergebenheitsadresse zu überreichen habe.
Ebenso bin ich beauftragt, Ihnen Adressen von sechs anderen
gelehrten Gesellschaften zu überreichen, die es lebhaft bedauern,
dass es ihnen nicht möglich war, eigene Delegierte zu senden.
Es sind dies die anthropologische Sektion der Britischen Gesell¬
schaft für den Fortschritt der Wissenschaft, die Universität
Edinburg, die Fakultät der Aerzte und Wundärzte von Glasgow,
die Medizinisch-chirurgische Gesellschaft in Edinburg und die
königliche Hochschule der Medizin in Irland. Alle diese Körper¬
schaften vereinigen sich in Anerkennung Ihrer gigantischen in¬
tellektuellen Macht, in Dankbarkeit für die grossen Dienste,
welche Sie der Menschheit geleistet haben, und in Bewunderung
Ihres persönlichen Charakters, Ihrer vollkommenen Aufrichtig¬
keit, des Mutes, der Sie immer befähigt hat, das öffentlich zu
vertreten, was Sie für die Grundlage der Wahrheit hielten, Frei¬
heit und Gerechtigkeit, und der genialen Eigenschaften, welche
Sie der Liebe aller, die Sie kennen, versichern.
Die erstaunliche Frische, die Sie in der wundervollen An¬
sprache, der wir heute lauschen durften, zeigten, rechtfertigt die
Hoffnung, dass, nachdem manche von uns Jüngeren von diesem
Arbeitsfelde abgetreten sein werden, es Ihnen vergönnt sehr wird,
den 90. Geburtstag zu feiern, nicht allein in Gesundheit und voll
Ehren, sondern auch in fortdauernder Arbeit im Dienste der
Menschheit.“
Mit hoher Befriedigung und gerechtem Stolze koimte der
Jubilar auf ein Leben voll Arbeit, aber auch reich an Erfolgen
zurückblicken, ein Forscher, der sich stets auszeichnete durch
Eintreten für unabhängiges Denken und Forschen, durch Un¬
ermüdlichkeit im Beobachten und Erfahren, durch strenge
Methodik, durch die edle Auffassung, dass die medizinische
Wissenschaft eine der aufrichtigsten Vertreterinnen der Humani¬
tät, sei, — der an dem gewaltigen Umschwung der medizinischen
Wissenschaft im 19. Jahi’hundert einen Hauptanteil beanspruchen
durfte.
Zu der Höhe des Wissens und Könnens, auf der ohne Ueber-
hebung die moderne Medizin steht, hat das Genie Vircliows
mit unter den ersten aller Zeiten und Völker mächtig beige¬
tragen, unterstützt von einer gewaltigen Arbeitskraft und einer
seltenen Ausdauer. Wie wenige hat er dazu mitgewii'kt, dass
die naturwissenschaftliche Methode in der Medizin sich all¬
mählich das Bürgerrecht erworben hat und es wird in der Ge¬
schichte der Medizin der Name von Rudolf V i r c h o w, des
grossen Reformators und Zellularpathologen,
für alle Zeiten in goldenen Lettern glänzen.
Die Leichtigkeit, mit der Virchow die nicht geringen
Strapazen bei der Feier seines 80. Geburtstags ertrug, gaben der
Hoffnung Raum, dass ihm noch eine längere Lebensdauer be-
schieden sei. Eine Reihe von ai’cliäologischen und anthropo¬
logischen Arbeiten, für welche ihm ein reiches Material zur Ver¬
fügung stand, wollte er noch zum Abschluss bringen. Doch es
sollte anders kommen. Am 4. Januar d. J. stürzte der greise Ge¬
lehrte beim Aussteigen aus einem Strassenbahnwagen zu Boden
und erlitt einen Bruch des Oberschenkelhalses. Die Verletzung
schien anfangs günstig zu verlaufen; später traten Störungen des
Allgemeinbefindens und der Ernährung auf. Zu Beginn des
Sommers reiste er nach Teplitz und von dort zur Nachkur nach
Harzburg. Neben der Abnahme der Körperkräfte kam es all¬
mählich zu Stauungen im Gefässystem, zum Fortschreiten eines
älteren Nierenleidens. Unter den Symptomen der Herzschwäche
entschlief der Patient sanft am 5. September.
Wir schliessen mit den Worten, mit denen Hamlet das An¬
denken seines Vaters feiert und die auch auf den grossen Dahin¬
geschiedenen passen :
„Er war ein Mann! Nehmt Alles Ihr in Allem,
Ich werde nimmer seines Gleichen seh’n“.
O. B o 1 1 i n g e r.
Referate und Bücher anzeigen.
A. 3 u s c li k e : Die Blastomykose. Bibliotheca medica.
Abteilung II. Dermatologie und Syphilis. Heft 10. Mit 9 la-
f ein. Stuttgart, Erwin N ä g e 1 e, 1902.
Busch k es neueste Arbeit über die Wirkung der patho¬
genen Hefen unterscheidet sich von den früheren Arbeiten dieses
Autors, wie auch aller anderen auf diesem Gebiete tätigen Unter¬
sucher, durch die glänzende Ausstattung und die Beigabe sehr
zahlreicher Zeichnungen und Photogramme. Die zusammen¬
fassende Uebersicht über die einschlägige Literatur ist bereits
von mehreren Autoren, unter denen auch B u s c h k e selbst sich
befindet, geliefert worden; auch über die Impfversuche hat
B u s c h k e schon zweimal das Wesentliche berichtet, das bisher
noch nicht Mitgeteilte bildet eine in manchen Beziehungen aller¬
dings wertvolle Ergänzung des bisher voi'liegenden Materials.
Dies allein hätte wohl kaum eine so eingehende und ausführliche
nochmalige Ueberarbeitung der umfangreichen Literatur und der
eigenen vergleichenden Versuche erheischt; trotzdem entspricht
das vorliegende Buch einem wirklichen Bedürfnis und füllt eine
fühlbare Lücke in der Hefeliteratur aus, weil es gewissermassen
auch eine bildliche Zusammenstellung des bisher in dem Gebiete
der Saccharomykose oder Blastomykose Bekannten gibt. Die Ab¬
bildungen geben 4 Hefearten und 1 Oidium und die durch sie
hervorgerufenen Gewebsveränderungen in makroskopischen und
mikroskopischen Zeichnungen und PliotogTammen wieder. Diese
vergleichende Zusammenfassung der zahlreichen Bilder, die sonst
in Einzelabhandlungen nur verstreut zu finden sind, wird jedem,
der über pathogene Hefeia arbeitet, eine sehr willkommene Hilfe
sein. Otto Busse- Greifswald.
Rudolf K o b e r t: lieber Giftfische und Fischgifte. Vor¬
trag, gehalten in der Generalversammlung des Rostocker
Fischerei Vereins 1902. 24 Seiten. 8°. Mit 11 Abbild.
Die giftigen Fische werden auf 18 Seiten, die Fischgifte
auf 6 Seiten in höchst- anziehender Form besprochen. Die
11 Bilder zeigen Tetroden (Fugugift), Muraena, Scorpaena,
Syiaanceia etc. — Da der geringe Pi’eis jedem die Anschaffung
des trefflichen Vortrags gestattet, begnüge ich mich, denselben
dringend zu empfehlen. Die Fischfanggifte, unter denen die
saponinhaltigen Pflanzen die Hauptrolle spielen, werden den
meisten Lesern etwas neues sein. Der Niederländer Gres-
hoff hat ein 2 bündiges Werk darüber geschrieben und zählt
325 Fischgifte auf.
Die Giftfische sind in unserer Literatur bisher nur stief¬
mütterlich behaiadelt worden. Monographien fehlen hierüber,
wenn wir von der verdienstvollen Arbeit IL. F. Autenrieths
(1833) absehen, in Deutschland ganz. Von französischen
Schriften führt Ko her t an: Bottard: Les poissons vene-
neux 1889 (soll heissen „venimeux“). Unter „veneneux“ sind die
Fische gemeint, die als Speise schädlich wirken; unter „veni-
rneux“ aber solche, die durch Verwundung (Stacheln, Zähne) das
Gift einimpfen, als deren Repräsentant das Petermännchen
gilt. Für solche Leser, die weitere Belehrung suchen, füge ich
dem Literaturvei’zeichnisse K o b e r t s noch bei : Goutiere H. :
Poissons venimeux et poissons veneneux. Veiains, toxalbumines du
serum etc. Paris 1899. 217 Seiten. gi\ 8°. Ferner: Pelle-
grin J.: Les poissons veneneux. These de Pails 1899. 119 S.
8°. Mit 16 Abbild. ‘ Der am Museum d’liist. natur. angestellte
Verf. hatte reichlich Gelegenheit, die ausländischen Gif t fische
SO. September 1902.
in ihren Formen kennen zu lernen. — Die genannten 3 fran¬
zösischen Werke sind für das Studium der Ichthyotoxikologie
unentbehrlich. J. Ch. FI u b e r - Memmingen.
Lehrbuch der Ohrenheilkunde für Aerzte und Studierende
von 1 rof. Dr. L. Jacobson und I)r. L. Blau. Dritte, neu¬
bearbeitete Auflage des J acobson sehen Lehrbuches. Leipzig,
Georg T h i e m e, 1902. 512 Seiten Text, 34 Seiten Literaturver¬
zeichnis. 345 Abbildungen auf 19 Tafeln. Preis geb. 18 M.
Die rasche Folge der Auflagen dieses gediegenen Lehr¬
buches zeigt den Anklang, den es bei Studierenden und Aerzten
gefunden hat. Diesen wohlverdienten Erfolg verdankt es der
Reichhaltigkeit und übersichtlichen Gliederung des Inhaltes und
vielleicht in erster Linie der besonnenen Kritik, mit welcher der
Autor der ersten beiden Auflagen das mächtig anwachsende und
nicht immer eindeutige Material der otiatrischen Literatur zu
überblicken und zu sondern verstanden hat. Für die Bearbeitung
der vorliegenden neuen Auflage hat Jacobson einen kon¬
genialen Mitarbeiter beigezogen, dessen langjährige fachlite¬
rarische Tätigkeit ihn dazu prädestiniert erscheinen lässt. Trotz
der reichen Mehrung des Inhaltes in jenen Abschnitten, die
während der letzten J ah re im Vordergrund des otiatrischen
Interesses gestanden sind, blieb der Umfang des Buches ein
massiger. Es wurde dies durch Verwendung kleinerer Typen
in jenem Teil des Textes erzielt, der für praktische Aerzte minder
wichtig und mehr für Spezialärzte bestimmt ist. Um so reicher
sind die Bildertafeln ausgestattet, die zusammen mehr als ein
Drittel der Dicke des Buches einnehmen. Vielleicht könnte es
der Verleger möglich machen, die nächste Ausgabe in grösserem
Druck herzustellen, sei es auch auf Kosten der Ausstattung der
Bildertafeln. Dr. Paul Schubert- Nürnberg.
H. v. Frankenberg': Die Stellung- der Aerzte in der
deutschen Arbeiterversicherung. Annalen des Deutschen Reichs
für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 1902, No. 5.
Der V erf asser, Stadtrat in Braunschweig, bringt ein über¬
sichtliches Referat, welche Stellung die Aerzte in der Kranken-,
Lrnfall- und Invaliditätsversicherung einnehmen und inwieweit
sie im einzelnen bei der Durchführung dieser Gesetze zur Mit¬
wirkung berufen sind. Zur Frage der freien Arztwahl meint er,
dass die ganze Erörterung sich weniger um Rechtsfragen als um
Gesichtspunkte der Zweckmässigkeit drehen könne; an dem einen
Orte könne sich durch die Persönlichkeit sämtlicher Aerzte und
deren gegenseitige Selbstzucht die freie Arztwahl gut bewähren,
anderwärts habe man bei der Verschiedenartigkeit der Menschen
und Meinungen die grössten Nachteile in moralischer und finan¬
zieller Beziehung zu befürchten; daraus ergebe sich als selbst¬
verständliche Forderung, dass es nicht wohlgetan sei, alles über
einen Leisten zu schlagen. Das System der freien Arztwahl habe
grosse Vorzüge, aber die enge Verbindung und der rege Mei¬
nungsaustausch des Kassenarztes mit dem Kassenvorstande auf
Gründ der nach und nach in demselben Mitgliederkreis gesam¬
melten Erfahrungen vermöge gewiss diese Vorzüge aufzuwiegen,
wenn der rechte Mann am rechten Platze stehe. Letzteres trifft
jedoch nur für kleinere Versicherungsbezirke oder besondere
Verhältnisse zu; die Hauptsache ist eine den lokalen Verhält¬
nissen und Bedürfnissen angepasste gute Organisation, und wo
eine solche geschaffen ist, hat sich auch die freie Arztwahl prak¬
tisch bewährt und die zuerst geäusserten Befürchtungen zer¬
streut.
Den grossen Einfluss, den die sozialpolitische Gesetzgebung
auf den ärztlichen Stand ausgeübt hat, erkennt der Verfasser
an; er gibt auch zu, dass hier Uebelstände vorhanden sind, die
zu gerechter Beschwerde für die darunter leidende Berufsklasse
Anlass geben, nur zeigt er nicht den Weg, wie hier abgeholfen
werden soll. Er wünscht eine Zusammenlegung der verschie¬
denen Arten der Arbeiterversicherung, die sich an die territorialen
Verbände, die Versicherungsanstalten, anschliessen und die Orts¬
krankenkassen, die Hauptträger der Versicherungsanstalten, als
Unterbau benützen sollten. Der Arzt solle seinen Rat und seine
Hilfe nicht auf den einzelnen Ff all beschränken, sondern aus der
täglichen Praxis die Anregung zu allgemeinen Vorschlägen
schöpfen, um in Zukunft Erkrankungen, Verletzungen, dauernde
Gesundheitsnachteile und Todesfälle nach Möglichkeit zu ver¬
hüten; er solle sich nötigenfalls mit dem Gewerbeinspektor oder
1625
der Polizeibehörde verständigen, um im Interesse der Versicher¬
ten eine gesundheitliche Verbesserung der Betriebsschädlich¬
keiten durchzusetzen; er solle sich häufig an den Sitzungen des
Kassenvorstandes und an den Generalversammlungen beteiligen
(wozu er bislang kein Recht hatte. Ref.), da sich die Mitglieder
der hygienischen und finanziellen Tragweite ihrer Beschlüsse oft
nicht bewusst sind und eine Aufklärung von sachverständiger
Seite gut gebrauchen können; nicht das Gedeihen der einzelnen
Krankenkasse, Berufsgenossenschaft oder Versicherungsanstalt
solle ihm am meisten von Bedeutung scheinen, sondern die
Hebung der Volkswohlfahrt, die Schaffung gesunder Lebensver¬
hältnisse für die gesamte arbeitende Bevölkerung solle sein
Hauptziel sein; wenn noch mehr Aerzte als bisher nach diesen
Gesichtspunkten handelten, würden die Klagen über die Schä-
digung des ärztlichen Standes durch die Versicherungsgesetze
von selbst verstummen und dem Ansehen der medizinischen
Wissenschaft sei mit dieser Auffassung des Berufs am besten
gedient.
Der Verfasser wird sich jedenfalls ein Verdienst erwerben,
v enn er in seiner Einflußsphäre dahin wirkt, dass den Aerzten
die ihnen gebührende Stellung bei Durchführung der Versiche-
i ungsgesetze eingeräumt werde; als Vertreter der Humanität
haben sie auch auf diesem Gebiete hilfreichen Beistand in Rat
und I at geleistet. Aber er sollte sich auch darüber klar werden,
dass damit allein die Klagen über die Schädigung des ärztlichen
Standes noch nicht beseitigt sind und diese Klagen hauptsächlich
durch die wirtschaftliche Abhängigkeit der Kassenärzte und
die überaus ungenügende Honorierung ihrer ärztlichen Lei¬
stungen veranlasst sind. Dr. Carl Becker.
F)i. Leubu scher: Staatliche Schulärzte. Sammlung
von Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogischen Psycho¬
logie und Physiologie. V. Bd., 2. Heft. Einzelpreis 1.60 M.
Im Herzogtum Sachsen-Meiningen erstreckt sich die staat¬
liche Schulaufsicht auf sämtliche Volksschulen und höhere
Schulen, so dass nur wenige Privatschulen mit einer ver¬
schwindenden Schülerzahl ohne Schularzt sind. Zur Zeit sind
als staatliche Schulärzte 33 amtliche und praktische Aerzte, jeder
möglichst im Zentrum eines Schulbezirks, aufgestellt; auf jeden
Schularzt treffen im Mittel 1200 — 1500 Kinder; die Kosten der
Untersuchungen beliefen sich im vorigen Jahre auf 12 000 M.
Jedem Arzte, der sich für Schulgesundheitspflege inter-
essieit, möchte ich die Lektüre dieser Abhandlung angelegent¬
lichst empfehlen; sie wird ihn über einzelne Grundprinzipien der
Schularztfrage aufklären und ihm an dem Beispiele des Herzog¬
tums Sachsen-Meiningen zeigen, in welcher Weise die Einrich¬
tung der Schulärzte sich praktisch organisieren lässt, welche Er¬
fahrungen sich dabei sammeln und welche Resultate sich erzielen
lassen. Ausser den Lehrern und Verwaltungsbeamten sollten
auch die Gebildeten aller Stände von diesem Berichte Kenntnis
nehmen ; er ist vorzüglich geeignet, aufklärend zu wirken.
Dr. Carl Becker.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. III. Bd
Heft 5.
W. Zinn -Berlin: Carl Gerhardt f.
Meisenburg: Ueber das gleichzeitige Vorkommen von
Herzklappenfehlern und Lungenschwindsucht.
Aus einem 10 jährigen Material der Universitätsklinik zu
Leipzig fand M., dass in der Häufigkeit des Zusammentreffens
von Tuberkulose mit den verschiedenen Herzklappenfehlern be¬
achtenswerte Unterschiede bestehen. Bei reiner Mitralinsuffizienz
kommt Tuberkulose wenig mehr vor, als unter der Gesamtzahl der
Kranken. Dies mag sich daraus erklären, dass dieser Klappen¬
fehler meist in das von dpr Tuberkulose bevorzugte Alter fällt.
Aus dementsprechendem Grunde finden sich Aortenfehler, die das
Alter bevorzugen, bei Tuberkulose selten. Dass Pulmonalstenose
gerade zu Phthise disponiert, bestätigt M.; hingegen schliesst
Mitralstenose fast die Tuberkulose aus (dies der einzige Ueber-
rest der bekannten Ausschliessungslehre Rokitanskys). Diese
günstige Wirkung könnte sich erklären: 1. aus der Drucksteige¬
rung, 2. aus der verminderten Blutzufuhr, 3. aus der Stromver¬
langsamung und 4. aus chemischen, durch 1 bis 3 bedingten Ver¬
änderungen des Blutes. 1 bis 3 hält M. nicht für wahrschein¬
lich, sondern vermutet unter Hinweis auf die Untersuchungen
von Martin Ficker (Wachstum der Tuberkulosebazillen auf
sauren Gehirnnährböden. Centralbl. f. Bakt. XXVII), dass die
Alkaleszenz des Blutes durch das Vitium derart verändert wird,
dass die Entwickelung der Bazillen verhindert wird.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1626
No. 39.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Mme. L. Fiedler- Paris: L’assistance sociale aux ouvriers
en Allemagne.
So freundlich die Anerkennung einer Französin für unsere
Arbeite rversielierung ist. so würde doch m. E. dieser die deutschen
Verhältnisse in französischer Sprache schildernde Artikel wohl
besser in einer mehr von ihren Landsleuten als von uns deutschen
Aerzten gelesenen Zeitschrift am Platze gewesen sein. Uns bringt
er nichts Neues.
M. H o 1 m b o e - Christiania und Klaus II a n s s e n - Bergen:
Ueber die Tuberkulose und die Mittel, dieselbe zu bekämpfen.
Vorschläge zu öffentlichen Massregeln zur Bekämpfung der
Tuberkulose. (Schluss folgt.)
Th. Gieseler: Ueber den prognostischen Wert der Ehr¬
lich sehen Diazoreaktion bei Phthisikern.
In der neuen Heilstätte zu Schömberg (Dr. S c h r o e d e r)
machte Dr. Gieseler, wie seine Vorgänger auf Ehrlichs
persönliche Anregung hin, Untersuchungen über die Diazoreaktion.
Statt der Sulfonalsäure wurde auf E.s Veranlassung Paramido-
acetophenon genommen. Der auch durch zwei lehrreiche Kranken¬
geschichten erläuterte Artikel kommt zu folgenden Schlüssen:
„Wir können daher in dem Vorhandensein einer positiven Diazo¬
reaktion nur eine verhältnismässig häutige Begleiterscheinung
letal endigender Phthisen erblicken, dürfen uns aber dadurch
nicht verleiten lassen, ihre prognostische Bedeutung gegebenen¬
falls höher zu schätzen als die klinische Erfahrung. Nach un¬
seren Erfahrungen ist die Diazoreaktion für die Ermittelung der
Prognose eines Einzelfalles der Lungenphthise deshalb nur ein
mit einer gewissen Reserve verwertbares Hilfsmittel, weil sie
1. keine konstante Begleiterscheinung des Endstadiums der Krank¬
heit ist, 2. in nicht absolut hoffnungslosen Fällen mit der Besse¬
rung des Krankheitszustandes wieder verschwinden kann.“
Neuburger, Stabsarzt, Grosslichterfelde: Der Stand der
Tuberkulosebekämpfung in Frankreich nebst Bemerkungen.
Obwohl in letzter Zeit in vielen Zeitschriften das „Oeuvre
des enfants tuberculeux d'Ormesson“ beschrieben wurde, wird im
vorliegenden Aufsatze doch der Gegenstand in neuer und inter¬
essanter Beleuchtung aufgefasst und namentlich dazu verwendet,
die Deutschen aufzufordern, dem Beispiele Frankreichs zu folgen
und mehr für die Bekämpfung der Tuberkulose im Kindesalter
zu tun. Dr. Liebe- Waldhof Elgershausen.
Virchows Archiv. Bd. 169. Heft 2. 1902.
7) K. II o c h h e i m : Ein Beitrag zur Kasuistik der Pneu-
monomykosis aspergillina. (Aus dem patholog. Institut der Uni¬
versität Göttingen.)
Bei einem an Sepsis gestorbenen Mann wurden in den Lungen
neben alten tuberkulösen Herden solche von gelbgrünem Aussehen
gefunden, deren Inhalt durch Kulturversuch als der Schimmel¬
pilz Aspergillus fumigatus erwiesen wurde. Die mikroskopische
Untersuchung machte es wahrscheinlich, dass die Schimmel¬
erkrankung durch Inhalation der Keime entstanden war,
wobei die lange Benommenheit des Kranken ein begünstigendes
Moment darstellte. Von den Inhalationsversuchen H.s ist der
zweite bemerkenswert, bei dem durch Insuffizienz an funktio¬
nierendem Parenchym (es waren künstlich Lungeninfarkte gesetzt
worden) eine Aspergillusansiedlung in den Lungen des betreffen¬
den Kaninchens entstand, die nach 0 y2 Tagen zum Tode führte.
8) G. Sc hi ekele: Ueber die Herkunft der Cysten der
weiblichen Adnexe, ihrer Anhangsgebilde und der Adenomyome
des lateralen Tubenabschnittes. (Aus dem patholog. Institut der
Universität Strassburg i. E.) (Schluss.)
Zu einem kürzeren Referate nicht geeignet.
9) K. Wlassow: Ueber die Patho- und Histogenese des
sogen. „Sarcome angioplastique“. (Aus dem patholog. Institut
der kaiserl. Universität zu Moskau.)
Das „Sarcome angioplastique“, eine von Malassez und
M o n o d beschriebene Hodengeschwulst, wird gebildet durch ein
Protoplasmanetz mit regellosen Schlingen und Querbalken, be¬
stehend aus gegenseitig anastomosierenden Riesenzellen. W. be¬
trachtet diese Geschwulst als ein Epithelioma sui generis des
Hodens, welches sich aus dem nicht völlig differenzierten Epithel
der embryonalen Drüsenkanälchen entwickelt, vielleicht aus den¬
selben Bestandteilen entstehend wie ein Chorionepitheliom. Als
neue Bezeichnung dieser Geschwülste im Gegensatz zu andern
epithelialen Tumoren wird „Epithelioma syncytiomatodes testieuli“
vorgeschlagen. (
10) N. Iwanoff: Ueber das elastische Gewebe des Uterus
während der Gravidität. (Aus der Moskauer geburtshilflichen
Anstalt.)
Durch Untersuchung zahlreiche’.* Uteri auf elastische Fasern
kommt I. zu der Ansicht, dass diese die g 1 e i c li e Richtung
haben wie die Muskelfasern und die kollagenen Fasern, also denen
parallel sind. Die elastischen Fasern sind erst reichlich vor¬
handen in einem gravid gewesenen Uterus und vermehren sich
während der Gravidität durch Zusammenflüssen von Tröpfchen
elastischer Substanz.
Die elastischen Fasern in Portio vaginalis und der Vagina
selbst bewahren während der Geburt diese Organe vor einer
Ruptur ähnlich wie das seidene Netz eines R i c h a r d s o n sehen
Gummiballes denselben vor dem Zerreissen.
11) Keigi Sawada: Ueber Zerstörung und Neubildung des
elastischen Gewebes in der Lunge bei verschiedenen Erkrank¬
ungen. (Aus dem patholog. Institut zu Berlin.)
Die Einwirkung von Entzündungsreizen auf die elastischen
Fasern ist eine verschiedene, je nach der Aetiologie des Reizes;
manchmal bleiben sie auch unverändert oder erleiden durch Un¬
tätigkeit eine regressive Veränderung. Neubildung tritt bei
chronischer Bindegewebswucherung der Lunge ein; diese Neu¬
bildung scliliesst sich jedoch nicht an die alten elastischen Fasern
an, auch entstehen elastische Fasern wenig nach mechanischen
und funktionellen Grundsätzen. Die neuen Fasern zeigen innige
Beziehungen zu Bindegewebszellen.
12) Tsutomu I n o u y e - Japan: Ueber das Verhalten des
elastischen Gewebes bei Magenkarzinom. (Aus dem patholog.
Institut zu Berlin.)
Aus den Untersuchungen von 20 Fällen von Magenkarzinom
verschiedener Art resultiert der Autor, dass elastische Fasern
zuerst vom Tumor verdrängt, dann zerstört, selten innerhalb der
Geschwulst neu gebildet werden. Diese Neubildungen sollen nach
ihrer Anordnung und Verteilung von präexistierenden elastischen
Fasern ausgehen.
13) Alexander T edesch i- Buenos- Aires: Heterotopie grauer
Hirnsubstanz bei einer epileptischen Idiotin.
Bei der Sektion eines 10 jähr., idiotischen und epileptischen
Mädchens, welches im epileptischen Anfall gestorben war, wurde
neben anderen Abnormitäten (Uterus bicornis, einer Art. corp.
eallosi etc. etc.) eine sehr ausgedehnte Ersetzung der weissen
Substanz des Stabkranzes durch graue Substanz gefunden. Von
der Hirnrinde und den Ganglien der Basis war sie getrennt, jedoch
mit dem Claustrum verbunden; sie bestand aus Ganglienzellen,
Neurogliäzellen und mannigfach angeordneten Nervenfasern.
14) G. W o 1 f f - Basel : Die physiologische Grundlage der
Lehre von den Degenerationszeichen.
W. zieht für die allgemeine morpliogene'tische Funktion des
Nervensystems die Beteiligung von Nerven an regenerativen Ent¬
wicklungsvorgängen bei. Regenerationsversuche wurden an den
Extremitäten von Triton cristatus ohne und mit Zerstörung der
zuführenden Nerven ausgeführt und diese Versuche ergaben
einen sicheren Einfluss der Nerventätigkeit auf die regenerative
Entwicklung.
15) Kleine Mitteilung: C. C r o f t a n - Philadelphia: Notiz
über eine chemische Methode, Hypernephrome (Nebennieren¬
tumoren) der Niere von anderen Geschwülsten zu unterscheiden.
Jod-Stärkelösung wird durch Hypernephromaausziige (auch
von in Formol gelegenen) entfärbt.
Ivonr. Schneider- Erlangen.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1902.
41. Bd. I. Heft.
1) As eher- Königsberg: Was ist soziale Hygiene und wie
soll sie getrieben werden?
Nach Feststellung des Begriffes „soziale Hygien e“, er¬
örtert der Verfasser eine Reihe von Punkten, in denen die wissen¬
schaftliche und praktische Hygiene trotz aller Erfolge noch Mängel
aufzuweisen hat. So in Fragen der Tuberkulose, der Geschlechts¬
krankheiten, Geisteskrankheiten, Nervenkrankheiten, des Alkoholis¬
mus, der Krankheiten der Bewegungsorgane und der Wohnungs¬
frage. Es beruhe dies darauf, dass den Hygienikern soziologische
und den Soziologen oder Nationalökonomen medizinische Kennt¬
nisse fehlten. Beide Berufe müssten mehr Hand in Hand arbeiten
als bisher, dann würden die Lücken, die die soziale Hygiene er¬
kennen liess, ausgefüllt werden.
2) Dönitz: Beiträge zur Kenntnis der Anopheles.
In einer sehr ausführlichen und interessanten Arbeit be¬
schreibt Verfasser sämtliche bis jetzt bekannten Anopheles¬
arten, deren Zahl bereits auf ca. 20 gestiegen ist. Sie ent¬
stammen der K o c h sehen Sammlung und wurden zum Teil selbst
von K o c h in Java und Neu-Guinea gesammelt, teils von der
Kolonial Verwaltung von Holländisch-Indien zusammengebracht.
Auch aus China, Unterägypten und aus den deutschen Kolonien
stammen verschiedene Arten. Wertvoll ist es, dass diese Mücken
sämtlich meist in Krankenhäusern gefangen wurden. Auf
die Unterschiede der einzelnen Arten kann nicht näher eingegangen
werden, nur sei darauf hingewiesen, dass die Flügel die besten
Anhaltspunkte zur Unterscheidung darbieten. Der Arbeit sind
2 Tafeln Flügelphotogramme beigegeben, die in sehr schöner Weise
die Beschreibungen ergänzen.
3) S c h ü f f n e r - Sumatra: Die Beziehungen der Malaria¬
parasiten zu Mensch und Mücke an der Ostküste Sumatras.
Den bisherigen Bemühungen war es noch nicht bescliieden
gewesen, den Entwickelungsg a n g d e r m enschliche n
M a 1 a r i a parasiten i n A n o p h e 1 e s vollständig klar zu
legen. Es gelang nunmehr dem Verfasser, welcher seine Studien
in R antan P a n d j a n g in Sumatra machte, diese Lücke aus-
zufüllen. Eine grosse Reihe sehr guter Photogramme vervoll¬
ständigen die Beschreibung. Um den Beweis zu erbringen, dass
es sich wirklich um Malariainfektion bei den Anopheles handelte,
liess er sich und einen anderen Herrn von den Mücken infizieren.
Beide Experimentatoren erkrankten an Tertiana.
Die weiteren Mitteilungen beziehen sich auf die Prophylaxe
der Malaria. Er will weder die Chininprophylaxe, noch den Schutz
vor den Moskitos, noch die Vernichtung derselben allein angewandt
wissen, sondern ganz den Verhältnissen entsprechend das eine
und das andere oder das eine oder das andere. Die Vernichtung
! der Anopheleslarven hält er durchaus für möglich, wenn sich zu¬
nächst auch noch in manchen Fällen Schwierigkeiten zeigen. Die
vielgefürchteten feuchten Reisfelder machen das Land nach seiner
30. September 1902.
MÜENCIIENER MEMC1NISCHE WOCHENSCHRIFT.
1627
Ansicht nicht zu einer Fiebergegend. In erster Linie ist der Kampf
gegen die Mucken an den Fieberplätzen der Küsten aufzunehmen
da die Einschleppung ins Innere des Landes kaum in Frage kommt!
4) Ivionka und Ebstein: Ueber die chronische Sulfit¬
vergiftung.
Auf die Angriffe, die gegen Ivion k a auf seine frühere Arbeit
über die Wirkung des Natriumsulfits gerichtet waren, antwortet
er in Verbindung mit Ebstein in vorliegender neuer Arbeit und
zeigt, dass das schwefligsa u r e N a t r o n, selbst wenn es
auch luu in kleinen Dosen, z. B. als Präservesalz,. dem tierischen
Organismus längere Zeit verabreicht wird, schwere Blutvergiftung
bewirkt. Verfasser machte seine Versuche an Hunden, welche
zwar äusserlieli in ihrer Gesundheit und dem Ernährungszustand
nichts Pathologisches erkennen bessern aber in allen inneren Or¬
ganen, besonders in den Nieren, schwere Schädigungen erlitten.
5) M a r t in i - Berlin: Ueber die Entstehung der Neu¬
ei ki ankungen an Malaria während des Frühjahrs und Sommers
unserer Breiten.
Die Beobachtungen wurden in Wilhelmshaven ausgeführt und
im Vergleich von früheren Wohnungen mit den jetzigen festgestellt
dass sich auch das F r ü h j a h r s in a x i m u ni d e r M a fa r i a -
k u r v e durch die Vermittelung der Anopheles ungezwungen er¬
klären bisst.
6) M a r t i n i - Berlin: Beschleunigung und Sicherung der
Pestdiagnose in zweifelhaften Fällen.
Im Anschluss an die von der österreichischen Pestkommission
angegebene Methode zur Sicherung der Pestdiagnose nach
welcher Pestmaterial auf der rasierten Bau c h h a u t des
Meerschwei n c hens zu verreiben ist, hat Verf. ein Ver¬
fahren ausgearbeitet, welches insofern noch rascher zum Ziele
führt, als er die Bubonen noch vor dem Tode der auf diese Weise
infizierten Meerschweinchen ansticht und den Inhalt auf Platten
überimpft. Auf diese Weise lassen sich sogar auch wenig oder
nahezu avirulente Keime nachweisen. R. O. N e u m a n n - Kiel.
Centraltylatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. 32. Bd. No. 5. 1902.
1) Gr im me- Marburg: Die wichtigsten Methoden der
Bakterienfärbung in ihrer Wirkung auf die Membran, den
Protoplasten und die Einschlüsse der Bakterienzelle. (Schluss.)
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
2) N a ga n o- Berlin: Ueber eine neue Sarcine, die im
Eiter gonokokkenähnliche Degenerationsformen zeigt.
Der Mikroorganismus stammt aus dem Eiter eines Ovarial-
abszesses. Die Beobachtungen des Verf. lassen erkennen, dass
diese Sarcine im Eiter zerfällt und dann Verbände zurücklässt,
die dem Gonokokkus ähnlich sehen. Im Eiter selbst soll sie
nicht nach G r a m färbbar sein, dagegen zum Teil, wenn sie auf
Nährböden gewachsen ist. Auf K artoffel und M i 1 c h wächst
sie nicht. F ür Mäuse ist sie pathogen, ebenso für Kaninchen.
Irgendwelche Bedeutung für eine Erkrankung beim Menschen
scheint sie nicht zu haben.
3) S c hü 11 er- Berlin: Ueber eigenartige Parasitenbefunde
bei Syphilis. Ihre Bedeutung für die Entstehung, Diagnose und
Ausbreitung dieser Infektionskrankheit bei Erwachsenen und
Kinaern, sowie für die Beziehungen der Syphilis zu anderen
Krankheitsprozessen. (Fortsetzung folgt.)
4) Shiga- Japan: Bemerkungen zu Jägers „Die in Ost-
preussen einheimische Ruhr, eine Amöbendysenterie.“
Dass die in Ostpreussen auftretende und von J ä g e r beschrie¬
bene Dysenterie eine A m ö b e n d y senterie sein soll, zweifelt
Shiga an, weil J ä g e r, nach Sliigas Ansicht, nicht A moeb a
uysenteriae, sondern nur Amoeba coli gefunden hat.
Letztere beweist aber weder für die Zugehörigkeit zur Bazillen-
dysenterie noch zur Amöbendysenterie etwas. Verf. gibt im An¬
schluss daran noch einmal die diagnostischen Unterschiede zwi¬
schen Amoeba coli und Amoeba dy senteria e.
5) A n j esz k y-Ofen-Pest: Ueber eine neue Infektionskrank¬
heit bei Haustieren.
Bei einem Ochse n, einem Hund und einer Katze wurden
auffallende Unruhe, ein auf der Infektionsstelle auftretender ent¬
zündlicher und schmerzhafter Prozess, welcher zum Teil Nekrose
des Gewebes zur Folge hatte, Muskelzuckungen, nachfolgende Er¬
schöpfung, Agonie und baldiger Tod konstatiert. Der "Sektions-
befund wies Hyperämie des Gehirns auf. Bakterien
konnten in keinem Falle gezüchtet werden, dagegen ge¬
lang es bei Kaninchen, Hunden, Meerschweinchen, nicht aber bei
Tauben und Hühnern, die Krankheit mittels Injektion von G e -
h i r n - oder Rückenma r k s masse hervorzurufen. Der Ver¬
lauf war derselbe wie bei spontan erkrankten Tieren. Die Dauer
der Inkubationsezit ist verschieden, je nach Empfänglichkeit der
Tiergattung, nach der Virulenz des Infektionsstoffes und nach dem
Körperteil, wo die Injektion stattfindet. Kaninchen er¬
tranken gewöhnlich nach 3G — 48 Stunden, die Temperatur steigt,
um 1—1 y2°. Die Dauer der Krankheit beträgt 3 — 30, gewöhnlich
o 10 Stunden. Das Virus hält sich in Glyzerin 2 — ‘2ya Monate.
Immunität gegen das Gift konnte nicht erzeugt werden. Mit
V u t k r ankheit, der diese neue Krankheit in einigen
Punkten ähnelt, kann sie nicht verwechselt 'werden wegen der
kurzen Inkubationszeit, des raschen Verlaufes der Krankheit, des
Mangels der sukzessiven Lähmung, und deshalb, weil auch bei
Versuchstieren die subkutane Infektion immer gelingt.
6) V u i 1 1 e m i n - Nancy: Sur la penetration des femelles
d’Oxyuris vermicularis ä travers les parois de Pintestin.
von Kolb (diese Zeitsclir. 1902, Bd. 31)
Seitenstück zu dem
beschriebenen Falle.
., o s a n f e 1 1 C e - Cagliari : Die Antikörper des Blutserums
mit Blastomyceten behandelter Tiere.
Es sollte festgestellt werden, ob im Blutserum der gegen die
Einspritzungen pathogener Blastom yc* t e n immunisierten
1 if l'e oder solcher, bei denen die blastomycetisclie Infektion aus¬
gebrochen war, Antikörper oder sensibilisierende Substanzen vor¬
handen seien. Benutzt wurden II u n d e, welche Sacclia r o -
in y c e s neofor m a n s und noch 2 andere pathogene Hefen
injiziert bekamen. Dabei zeigte sich, dass im Blutserum der
Here, die gegen die Einimpfung der pathogenen Blastomyceten
durch wiederholte Injektionen in der Wärme abgeschwächter
Kulturen derselben Blastomyceten immunisiert waren, stets die
sensibilisierende Substanz oder Antikörper vorhanden waren. Im
Blutsei um in aktiver blastomycetischer Infektion begriffener Tiere
trifft man dagegen die Antikörper nicht an, ganz so wie B r o u h a
bei dem Blutserum der Krebskranken konstatiert hat.
8) Verney -Zürich: Ueber die gegenseitige Wirkung auf¬
einanderfolgender Immunisierungen im tierischen Organismus
(Schluss.)
O* N o g u c li i - Philadelphia: The Antihaemolytic Action of
Blood Sera, Milk and Cholesterin upon Agaricin, Saponin and
Tetanolysin, together with Observations upon the Agglutina¬
tion of Hardened Red Corpuscles.
10) Iv a spar e k - Prag: Einige Modifikationen von Einrich¬
tungen für bakteriologische Untersuchungen.
Verf. bringt praktische Notizen über Sterilisierbüchsen, Hei¬
zung von Brutschränken mit Auerbrenner, elektrischen Heiss¬
wassertrichter, einen neuen Wärmeapparat und eine Methode zur
bakteriologischen Wasseruntersuchung. Bei letzterer schlägt er
vor, die ganze Bakterienmenge, welche sich in einer bestimmten
Wassermenge findet, durch kleine Tonzellen abzufiltrieren, die¬
selben alsdann zu zerreiben, mit Gelatine oder Agar zu mischen
und davon Platten zu giessen.
11) R y m o w i t s c h - Kasan: Zur Züchtung des Pneumo¬
kokkus.
Die Lebensfähigkeit der Pneumokokken, welche in Rein¬
kulturen auf den gewöhnlichen Nährböden sehr gering ist, zu er¬
höhen, empfiehlt Verf., einer Bouillon Kaninc lie nser u in
beizumischen und dann die Kulturen in den Brutschrank zu stellen.
Sie halten sich dann bis zu 2 Monaten am Leben, während sie
sonst nach einigen Tagen abgestorben sind. Auch die Virulenz
bleibt erhalten.
12) 1 ö r n e r - Leipzig: Zur Kultivierung des Microsporon
furfur und des Microsporon minutissimum.
Es gelang Vörner, Microsporon furfur und Microsporon
minutissimum auf Blutseru m zu züchten, dem etwas Agar
zugesetzt war. Von Personen, welche eine der durch die Pilze
erzeugte Affektion zeigten, wurden Hautschüppchen abgeschabt,
mit steriler Kieselgulir verrieben und Verdünnungen angelegt.
Im Brutschrank entwickelten sich Kolonien schon nach 24 bis
4S Stunden, bei Zimmertemperatur nach 3 — 0 Tagen. Von den
entstandenen Reinkulturen konnten Uebertragungsversuehe beim
Verf. und einer Frau angestellt werden, welche beide gelangen.
Die Zeit der grösseren Hitze scheint für die Lebens¬
bedingungen und die Ausbreitung der Krankheit von Bedeutung
zu sein.
13) C zaplewski - Köln: Ueber einen bequemen Sektions¬
und Operationstisch für Labarotoriumsversuchstiere.
Ein kleiner^ praktischer Tisch, der auf dem verstellbaren
A t z e r t sehen Universalklapptisch befestigt werden kann und von
allen Seiten bequem zugänglich ist.
_ R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 38.
J. F i b i g e r und C. O. J e n s e n - Kopenhagen: Uebertragung
der Tuberkulose des Menschen auf das Rind.
Es handelt sich hier um 5 Versuche, um die Uebertragbarkeit
der Menschentuberkulose auf das Rind zu prüfen und zwar der
Tuberkulose von Menschen, welche an Darmtuberkulose, vermut¬
lich an primärer Fütterungstuberkulose litten. Bei zwei Fällen
wurde aus der Leiche einer 43 bezw. 23 jährigen Person der In¬
fektionsstoff genommen, das einemal einem Kalbe direkt die Auf¬
schwemmung einer tuberkulösen Mesenterialdrüse in die Brust¬
höhle eingebracht, das anderemal ein Meerschweinchen subkutan
mit einer solchen Mesenterialdrüse infiziert und dann die tuber¬
kulöse Milz dieses Tieres aufgeschwemmt einem Kalbe intra-
peritoneal eingeimpft. Der Erfolg war positiv, die tuberkulösen
Erscheinungen bei den Kälbern jedoch nur sehr vereinzelt ent¬
wickelt. Dagegen war der Erfolg eklatant bei den Impfversuchen,
zu denen das Material von 3 an Darmtuberkulose gestorbenen
Kindern von 4 bezw. 19 Monaten bezw. 6 Jahren stammte. Es
zeigte sich, dass hier die Bazillen virulent, teilweise sogar sehr
virulent für Kälber waren, man könnte daraus folgern, dass die
Kinder selbst an einer vom Rinde stammenden Tuberkulose (Perl¬
sucht) gelitten haben. Ferner liesse sich nach dem verschiedenen
Ausfall der Versuche die FTage aufwerfen, ob nicht die Virulenz
der Tuberkelbazillen für das Rind während des längeren Ver-
weilens im menschlichen Körper eine zunehmende Absehwächung
erfahre.
P. K y.e s - Frankfurt: Ueber die Wirkungsweise des Cobra-
giftes. (Schluss folgt.)
J u n g in a n n - Berlin: Ueber multiple hereditäre Exostosen.
Vergl. Bericht S. 4G7 dieser Wochenschrift.
1G28
MUEN CIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
A Macken rod t- Berlin: Laparotomia hypogastrica extia-
peritonealis zur Heilung des Gebärmutterscheidenkrebses und
des Mastdarmkrebses.
Yergl. Bericht S. 1200 dieser Wochenschrift.
Unter zunehmender Erfahrung und Technik ist M. zu immer
radikalerem Operieren vorgedrungen, so dass er alle unterhalb der
Gabelung der Iliaca gelegenen Drüsen, schliesslich mit dem l terus
auch Teile der Blase und die ganze Ampulla recti entfernte Bei
der Operation des Rektumkarzinoms unterlässt er nie mehr, mit dem
Rektum die Scheide mit dem Parakolpium, den Uterus mit den
hinteren Parametrien fortzunehmen, das Rektum und Kolon lassen
sich in beliebiger Ausdehnung resezieren; der Verlauf der Heilung
ist befriedigend, auch beim Manne lässt sich das radikale Ver¬
fahren ebenso und zwar viel leichter durchführen. Bergeat.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 38.
1) Gedenkrede auf Rudolf Virchow, gehalten bei der
Trauerfeier im Rathause am 9. September von W a 1 d e y e r.
2) Felix H i r s c h f e 1 d - Berlin: Ueber Ernährung in der
heissen Jahreszeit und im warmen Klima.
II. kritisiert die von Karl Ernst Ranke mitgeteilten .Beob¬
achtungen über die Einwirkung des Tropenklimas auf die Er¬
nährung des Menschen (Zeitschr. f. Biol., Bd. XL) und plaidiei
auf Grund eigener Versuche für eine mehr kolilehydrat- und fett¬
reiche Ernährung, welche namentlich dann einzutreten hat, wenn
infolge hoher Aussentemperatur die Esslust sinkt. Die v. \ o i tu¬
sche Forderung von 118 g Ehveiss ist nach seiner Ansicht nicht
unter allen Umständen als berechtigt anzuerkennen. .
3) J. J a c o b y - Berlin: Beitrag zur Bottini sehen Ope-
iatl°Ein neues Verfahren bei der Bottini sehen Operation, ver¬
mittels einer Zeigervorrichtung sowohl die Ansatzstelle des In-
zisors als auch seine Schnittrichtung während der ganzen Dauer
der Operation mit mathematischer Genauigkeit kontrollieren zu
komum. uh ien hu tli- Greifswald: Praktische Ergebnisse der
forensischen Serodiagnostik des Blutes. (Schluss aus No. o<.)
Referat siehe diese Wochenschrift, No. 37, pag. 1548.
5) H. St rau ss- Berlin: Ueber osmotische und chemische
Vorgänge am menschlichen Chylus. (Schluss aus No. 37.)
Referat siehe diese Wochenschrift, No. 21, pag. 893.
6) Oeffentliches Sanitätswesen:
a) Arthur S c h u 1 z - Berlin: Ueber die Berechtigung des
Bundesratsbeschlusses vom 18. Februar 1902 bezüglich des
Verbotes der schwefligen Säure und ihrer Salze. (Aus der Unter-
rielitsanstalt für Staatsarzneikunde der Universität Berlin.)
b) B ib er fei d- Hamburg: Zur Bekämpfung der Kur¬
pfuscherei: Ein Versuch mit untauglichen Mitteln.
Besprechung der diesbezüglichen Gesetzesparagraphen von
juristischer Seite.
7) Tropenkrankheiten und koloniale Medizin:
Albert P 1 e h n - Kamerun: Schwarzwasserfieber und Chinin¬
prophylaxe. , . . -r,
P. konstatiert, entgegen den von K 1 e i n e aufgestellten Be¬
hauptungen, dass bei systematisch durchgeführter Chininprophy¬
laxe (mindestens jeden 5. Tag % g Chinin 8 Monate hindurch auch
nach Verlassen der Fieberherde) das Auftreten von Schwarz Wasser¬
fieber sicher vermieden werden kann. F.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 32. Jahrg. No. 18.
L an z- Bern: Operative Behandlung der Lebercirrhose.
2 Fälle von Talmascher Operation, der eine mit vorzüg¬
lichem, der andere mit gutem, aber noch kurzem Erfolg.
E. Ammann- Winterthur: Einiges zu den Unfallentschä¬
digungen. Tr .
Die Verletzung der Linse auf einem Auge ergibt nac.h vert.s
Erfahrungen, gegenüber den Aufstellungen anderer Autoren, meist
keine oder nur eine minimale Erwerbseinbusse. Der einseitig
Linsenlose darf eben nicht mit dem Einäugigen verglichen werden;
er hat noch zwei Augen zum Sehen, wenn auch nicht zum
binokularen Sehen.
F. W u h r m an n- Kilchberg-Zürich: Die bewegliche Niere
und ihre Anteversion.
Die normalen Nieren sind physiologischerweise aut ihrer
Unterlage unverrückbar und zeigen speziell bei der Atmung keine
Verschiebung in der Längsachse des Körpers; sie können sich
aber, wenn genügend hoch gelegen, bei tiefer Inspiration mit dem
oberen Pol vornüber neigen. Das Massgebende für die Diagnose
„bewegliche Niere“ ist die Verschieblichkeit bei der Untersuchung
iiezw. das Zurückschnellen bei ruckweise erfolgendem Zurücklegen.
Bei stehen und Sitzen dreht sich die bewegliche Niere um den
frontalen Querdurchmesser um ca. 90°, wobei sie sich nach vorn
überneigt, wenn Leber und Niere normal liegen und erstere den
oberen Nierenpol von hinten fassen kann, dagegen (seltener) nach
hinten, wenn die Leber im Verhältnis tiefer liegt und die untere
Nierenhälfte nach vorn drückt. Dies wird durch Sektion eines
Ertrunkenen (Bild) belegt. Für die Nephropexie ergibt sich die
Vorschrift, die Niere gerade am oberen Pol glatt festzunähen.
E. Emmert - Bern: Alte und neue Schutz- und Deckmittel
für die Augen.
Verf. liess Hartgummischalen (innen schwarz, aussen rosa-
bräunlicli) mit Gummibäudchen aufertigen (Ph. Penin, Leipzig-
Plagwitz). Pischingei.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 38. E. Ludwig, Th. Panzer und R. v. Zeynek: Unter¬
suchung der Thermalwässer des neuen Springers, des Muhl¬
brunnens und der Franz Josef-Quelle in Karlsbad.
Die Resultate dieser Untersuchung, auf die wir nicht naher
eingelien können, zeigen, dass genannte Quellen unter sich gleiche
Zusammensetzung haben und sich auch von den übrigen Karls¬
bader Quellen nicht wesentlich unterscheiden. Infolge einer
exakteren Untersuchungsmethode ergeben sich für die Gesamt-
kolilensäure im Vergleich mit früheren Analysen viel höhere
Werte
r' Ohrobak: Zur Tamponade des puerperalen Uterus.
Die von Dührssen empfohlene Methode findet noch eine
sehr geteilte Beurteilung. Wenn auch die exakte Blutstillung mög¬
lichst durch die Naht die erste Forderung bleibt, so erkennt Gfi.
doch die Berechtigung der Tamponade für manche Notfälle der
Praxis an. Bei den Versuchen auf seiner Klinik trafen aut
oT Kranke 3 Todesfälle, darunter nur einer, bei dem es trotz
richtig ausgeführter Tamponade weiter geblutet hatte. Auf der
richtigen Ausführung, d. h. der exakten vollkommenen Aus¬
stopfung der Uterushöhle liegt der Schwerpunkt. Diese wird am
ehesten bei der manuellen Ausführung gewährleistet, weniger bei
der Anwendung der nicht ungefährlichen Kornzangen u. deig .
Unerlässlich ist vor allem auch die fortgesetzte Kontrolle unu
die Regulierung der Uteruskontraktion.
E. Fuchs- Wien: Ueber Kokain.
F. gibt niemals das Kokain den Kranken als schmerzstillendes
Mittel hi die Hand, die Wirkung desselben ist erstens vorüber¬
gehend, bei stärkeren Lösungen wirkt es schädigend auf das Ilorn-
hautepitliel. Vorteilhaft ist die anästhesierende Wirkung, ausser
bei Operationen, wo es bisweilen subkonjunktival injiziert oder mit
Morphium oder Adrenalin verbunden wird, besonders gegen Licht-
^< lH Als lokale schmerzstillende Mittel müssen in erster Linie
warme Umschläge gelten, die besser vertragen werden als kalte.
Sehr günstig wirkt bei schmerzhaften Hornhauterkrankungen und
bei Iridocyclitis, trotz anscheinender Steigerung der äusseren Ent-
zündungserscheinungen, das Dionin, als Pulver oder 5 proz. Losung
in den Bindehautsack gebracht. Die Reaktion des Auges auf das
Mittel muss aber wenigstens bei der ersten Anwendung überwacht
werden. „ „
Gussenbauer: Hirnsklerose und Herderscheinung.
Der Aufsatz bildet eine Ergänzung zu dem in No. 9, 190-
dieser Wochenschrift referierten Artikel; einer der dort beschrie¬
benen Fälle, bei welchem vor 7 Jahren G. unter Annahme eines
Hirntumors die Trepanation gemacht, jedoch nach dem iast-
befund nur eine Hirnsklerose hatte annehmen können, gelangte
znr Obduktion, welche das Vorhandensein und die weitere Aus¬
bildung jener Sklerose bestätigte. ,
E. Neusse r: Zur Symptomatologie gastrointestinaler
Störungen bei Arteriosklerose.
Wie die Sklerose der Koronararterien auf reflektorischem
Wege bisweilen zu Anfällen führe, bei denen die abdominellen Sym¬
ptome geradezu überwiegen, so bringt N. in einem anderen I alle
wiederholte Anfälle von Gastralgien und bedeutender Druck¬
schmerzhaftigkeit in der Magengrube, wo es auch zu Magen¬
dilatation und Hämatemesis kam, in Zusammenhang mit einei bei
der Obduktion festgestellten hochgradigen Sklerose der Bauch¬
aorta. Als Beispiel wird noch ein Fall Schnitzlers (Scliineiz-
paroxysmen bei Verschluss der Mesenterialarterien) und ein Fall
O r tu e r s (Sklerose der Bauchaorta und der Magen-Darmartenen,
Anfälle von Schmerzen und hochgradigem Meteorismus) heran-
bezogen.
L. v. Schrotte r: Zur Diagnose des in der Brusthöhle ver¬
borgenen Aortenaneurysmas. ^
Bei einem wegen einer Nasenerkrankuug in Behandlung
stehenden Kranken lenkte lediglich die starke Erweiterung und
Schlängelung der Karotiden die Aufmerksamkeit auf das GeL.ss-
svstem und ergab die Röntgendurchleuchtung einen beträchtlichen,
sehr deutlich pulsierenden Schatten, der nur im Sinne eines
Aortenaneurysmas zu deuten war. Nachträglich liess sich dann
auch eine geringere Beweglichkeit des linken Stimmbandes nach-
weisen. „ , , _ , . ,
A. Weichselbaum und E. Stangl: Weitere histo¬
logische Untersuchungen des Pankreas bei Diabetes mellitus.
Die nunmehr auf 32 Fälle sich erstreckenden Untersuchungen
bestätigen die von den Verfassern früher publizierten Befunde,
vor allem die Verminderung und Verkleinerung der Langer-,
h ans sehen Inseln. I111 einzelnen bestehen die Veränderungen
teils in einfacher Atrophie, teils Vakuolenbildung und Verflüssi¬
gung (hydropische Degeneration) oder schliesslich in einer Sklerose;
daneben finden sich Hämorrliagien und Verkalkungsvorgänge.
Die Veränderungen im übrigen Pankreasgewebe sind viel wemgei
konstant und charakteristisch. Die Befunde anderer Autoren,
speziell Ssobolews, zeigen grosse Uebereinstimmung. Die
Auffassung, dass den L a n g e r h a n s sehen Inseln für die Um¬
setzung der Kohlehydrate eine wichtige Funktion zukommt, und
dass eine Erkrankung dieser Inseln zu Pankreasdiabetes führt,
hat eine wesentliche Festigung erfahren.
Wiener medicinisclie Wochenschrift.
Ko. 28—36. H r a c h - Przemysl: Ueber die entzündlichen
Erkrankungen der Lungenorgane in den Herbst- und Winter¬
monaten vom Jahre 1900—1901 und ihre Behandlung.
30. September 1902.
Ausser einer Kritik der verschiedenen Behandlungsformen
der Lungenentzündung vom Aderlass bis zum Fluoroform gfbt H
eine genaue Darlegung seiner eigenen Therapie. Bei de? k rum
posen Pneumonie bedient er sich nasser Umschläge und Eim
] >at kungen, erst bei dauernder Temperaturerhöhung auf 40° Bäder
abgekuhlt von 25 auf 22-20». Daneben innerlich Antipyfetika
yon^ denen sich das Natr. salicyl. als das beste und ungefährlichste
bewahrt hat, Digitalis nur bei spezieller Indikation wenn der
Puls dauernd auf 100 ansteigt und Schwäche zeigt. Mit Alkohol
ist im Beginn und zumal bei Kindern, sehr zurückzuhalten aus
nahmsweise ist er bei Greisen, Potatoren u. dergl. frühzeitig am
Platze, dagegen um so wertvoller in der Rekonvalefzenz
zu deren Abkürzung. Bezüglich der katarrhalischen Pneumomte
empfiehlt H. ausser der Bekämpfung der bronchitischen Erschei¬
nungen eher warme als kalte Umschläge; von Wichtigkeit sind
gerade hier klimatische Nachkuren. In der Behandlung der PleS
litis exsudativa hat sich eine etwa jeden zweiten Tag mittels eines
Heissluftapparates durchgeführte Schwitzprozedur gut bewährt
grosstenteds inl Garnisonslazarett Przemysl behandelten
loren11 061 geuannteu Krankheitskategorien hat H. keinen ver-
Syphrns mk3istoolBaer I““Sb,'UCk: ^ Behandlu”S der
Das Asterol wird nach B.s Erfahrungen an Wirksamkeit von
Sublimat und dem Sozojodolquecksilber sicher übertroffen es
wurde sich als milderes Präparat zur abwechslungsweisen Au-
vendung bei Isichtertragung der energischeren Mittel eignen
seme leichte Zersetzlichkeit beeinträchtigt aber seine Verwendung!
No. ,12 u. 33. J. W e i n s b e r g - Krakair Zur Thern-nte Hov
Tuberkulose des Blinddarmes. Therapie der
Die radikale Behandlung der so häufigen aber viel seltener
diagnostizierten Erkrankung kann nur eine chirurgische sein frei-
hch muss es oft bei einer Palliativoperation sein Bewenden haben.
)°.a f operierten I allen her Trzebicky sehen Klinik konnte nur
i vn fei°n die Resfktlon der ganzen erkrankten Partie erfolgen,
daion zweimal mit gutem Erfolge, zweimal wurde eine Entero-
anastomose angelegt, zweimal blieb es bei einer Probelaparotomie.
r,Mf°m3v -7' Dras Che- Wien: Die Tuberkulose: II. Ge¬
nese, III. Verbreitung. (Vergl. diese Wochenschrift, No. 26.)
Im wesentlichen zusammenfassend und referierend betont
im i Zlir 1 der Identität der Perlsucht und der Menschen-
tubeikidose die Seltenheit der primären Darmtuberkulose im Ver-
Ve1'ähfnrid0er Häufigkeit der sekundären Darmtuberkulose infolge
yei Schluckens der aus den Lungen stammenden Massen. Bezü«--
Fnimft1' IfJbIeitUTn-g d!5 Tuberkulose tritt Verf. der übertriebenen
vor der Lebertragung von Person zu Person entgegen.
ult tt f,ah.1l d6r Uebei‘tragung unter Eheleuten ist geringer als die
dei Lebertiagung auf deren Kinder. Die Ansteckungsgefahr in
£ ls,t gering anzuschlagen. Der diagnostische Wert
S-7UbkUlinr!akt110n lst zweifelhaft, die klinische Beobachtung
KrankheIt°rerSt ^ Bedeutung für die Konstatierung der
TT, 34 ,35.-. H- Schram m - Lemberg: Zur Behandlung
dei akuten Entzündung des Wurmfortsatzes.
Die Indikationsstellung für operatives Eingreifen ist noch
immer keine allgemein feststehende. Es besteht neuerdings die
, eigung zu einer Einschränkung. Sch. formuliert sie dahin: Bei
akuter Appendizitis ohne Exsudat, bei bloss katarrhalischen Er¬
scheinungen, bei serofibrinösem Exsudat und typischem Verlauf
ist eme Operation nicht angezeigt. Sie ist indiziert bei Fällen ohne
Exsudat, wo eine Nekrose des Wurmfortsatzes, wenn auch nur
mit grosser Wahrscheinlichkeit, anzunehmen ist; ferner wenn eine
Eiterung um den Wurmfortsatz besteht und bei seropurulenter
oder rem purulenter Peritonitis, obwohl in letzterem Fall die
Prognose sehr zweifelhaft ist. Zu unterlassen ist die Operation
hei der putriden Peritonitis (peritonealer Sepsis).
37 F a 1 ta - Szeged: Die Therapie des Regen¬
bogenhautvorfalles bei Augenblennorrhöe.
flQt Her Vorfall bietet gegen ein Uebergreifen der Infektion auf
das Augeninnere einen gewissen Schutz, der durch jeden opera¬
tiven Eingriff gefährdet würde. Wird zur Verbesserung des Seh¬
vermögens oder aus kosmetischen Gründen eine Operation nötig
f,° 7? , ®rfd aaeli 2 — 3 Monaten gemacht werden, nur die
• 5j!?ai'des. Sekundärglaukom rechtfertigt einen sofortigen Ein-
nnt dar VorfaU au Grösse nicht zunehme, ist je nach dem
, au üas energisch wirkende, gefässverengernde Eserin oder das
langsam und milde wirkende, gefässerweiternde Pilokarpin an¬
gezeigt; das Atropin ist zu vermeiden.
und^SilberniSate ArU GmZ: Tracllombeliandlun& mit Kupfer-
berichtet über gute Erfolge, welche bei Trachom mit
„lyuptercitrol“ erreicht wurden, d. li. mit einer 5—10 proz. feinsten
Mischung von Cupr. citricum mit Unguent. glycerin. In 90 Proz.
(7ei: falle (Formen jeder Art) war der subjektive und objektive
Jiiroig gut. _ A. rühmt namentlich die Schmerzlosigkeit der An¬
wendung, die nicht behinderte Gebrauchsfähigkeit des Auges, das
rehlen jeder Aetzwirkung und Narbenbildung, die wertvolle Mög-
icikeit dem Kranken selbst das Einlegen der Salbe zu überlassen,
f1.!, seuuesslich die Abkürzung des Heilverlaufes. Eine Reihe von
hallen wird dieser Behandlung mit. Cuprocitrol erst nach rnehr-
wochentlicher Vorbehandlung durch Einstäuben (täglich 1 _ 2 mal)
von Itrol zugänglich.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1629
Wiener klinische Rundschau.
No 33. W. Kopfstein-J ungbunzlau : Angeborener Defekt
der beiden Brustmuskel der linken Seite.
Der erste bekannt werdende Fall der 'seltenen Anomalie beim
welchen Geschlecht Des lOJiihrige Miitlcheu ^eine voll
dei B™st funi Oberarm schwimmhautähnlich herübergespannte
dreieckige Hautduplikatur, deren Anspannung das Erheben des
Armes behinderte und schmerzhaft machte." Durch plastische
Operation wurde fast normale Funktionsfähigkeit hergestellt.
No. 33 u. 34. F. Rode- Wien: Das Adrenalin in der Rhino-
Laryngologie.
R. spricht sich sehr begeistert über das Mittel aus, das er
rui dieses Spezialgebiet dem Kokain an Bedeutung zur Seite stellt
da es durch seine anämisierende Wirkung dem Patienten wie dem
Operateur die Nachteile der Tamponade erspart, die Ausführung
der Operationen wesentlich erleichtert. Namentlich auf endo
nusalem Gebiet, wofür Verf. 74 Fälle aus der Klinik C h i a r i s
anfuhrt, scheinen sich diese Vorteile geltend zu machen 41s die
beste Applikationsweise empfiehlt R. eine Lösung von Cocain
mur 5,0 und Adrenalin. (1:1000) 95,0. Das Adrenalin besitzt nach
R. alle guten Eigenschaften des Nebennierenextraktes in verstärk¬
tem Masse, während ihm dessen Nachteile mangeln- es ist in
jeder Anwendung unschädlich, wirkt stärker anämisierend und
unterstützt viel wirksamer die Kokainwirkung als der Extrakt.
Dazu kommt seine hämostatische Wirkung bei parenchymatösen
Blutungen, seine Haltbarkeit in wässeriger Lösung und seine
Stenlisierbarkeit.
No. 35. G. H o 1 z k n e c h t - Wien: Eine neue einfache Do¬
sierungsmethode in der Radiotherapie.
Das Prinzip des Chromoradiometers beruht darauf, dass die
Menge des in einer gewissen Zeit applizierten Röntgenlichtes nach
dei I aibe beurteilt wird, die in dieser Zeit ein Reagenskörper,
der dem Licht exponiert wurde, annimmt. Einen solchen hat der
t erf. in einer nicht näher bekannt gegebenen, der Schmelzung
unterworfenen Mischung von Natriumchlorid und Natriumsulfat,
welche unter der Einwirkung der Röntgenstrahlen eine violett-
rosa Färbung von wachsender Intensität annimmt, die mit
einer Musterskala verglichen wird. Die Erfahrung wird für die
einzelnen Körperstellen, wie für pathologische Affektionen die
zulässigen bezw. indizierten Werte ermitteln; einige Schätzungs¬
werte gibt Verf. bereits bekannt.
No. 36. J. Preindlsberger- Sarajevo: Zur Kasuistik der
Fremdkörper des Mastdarmes.
In vorliegendem Fall hatte sich der Patient behufs Reposition
eines Mastdarm Vorfalles auf ein gegabeltes Holzstück gesetzt; er
wurde dabei ohnmächtig und stiess sich das Holz in seiner ganzen
Länge von 33 cm in das Rektum hinein. Die in Narkose in das
Rektum eingeführte Hand musste 22 cm weit Vordringen, um
das Holz zu erreichen, das dann leicht zu extrahieren war. Hei¬
lung. Zusammenstellung einer Reihe ähnlicher Fälle aus der
Literatur.
No. 36. W. C 1 e m m - Darmstadt: Ueber die Heilung ver¬
nachlässigter und skrophulöser Exantheme und Ekzeme mit
mehrtägigen Lenigallolpaste-Umschlägen.
Bericht über 7 sehr günstig verlaufene Fälle. C. glaubt, dass
länger verweilende Verbände den Vorzug vor öfters erneuerten
verdienen. Bergeat - München.
Englische Literatur.
Sir William Go wer s: lieber Myopathie und ihre distale
Form. (Brit. Med. Journ., 12. Juli 1902.)
Verfasser beschreibt in dieser Arbeit die pseudo-hyper¬
trophische und die facio-skapulare Form der Myopathie und geht
dann auf eine vor kurzem von ihm beobachtete Form über, die er
als die distale Myopathie bezeichnet und von der er glaubt, dass
sie bisher noch nicht beschrieben worden ist. Es handelt sich um
einen 18 jährigen Knaben, dessen Krankheit vor etwa 6 Jahren
mit Schwäche in den Füssen und Händen begann. Jetzt findet sich
Schwäche und Atrophie der Fuss- und Handmuskeln, ferner der
beiden Kopfnicker, der Levat. palpebrarum und der Orbiculares,
während die Muskeln der Beine, der Arme, der Schultern und des
Rumpfes unverändert erscheinen. Gowers bezeichnet die ver¬
schiedenen Formen der Myopathie als muskuläre Abiotrophie und
sieht ihre Ursache in einer angeborenen Lebensschwäche der
embryonalen Gewebe, aus welchen die Muskeln hervorgehen. Diese
Störungen haben nichts mit dem Nervensystem zu tun und etwaige
leichte Veränderungen der spinalen Nervenzellen, die beschrieben
werden, können nicht mit der Krankheit in Zusammenhang ge¬
bracht werden. Was die Behandlung dieser Zustände anlangt,
so hält Verfasser von Elektrizität und Massage sehr wenig, Nutzen •
sah er nur von aktiver Uebung der befallenen Muskelgruppen,
besonders durch körperliche Lieblingen im Freien, durch Radfahren
u. dergl. m. Treten z. B. in den Wadenmuskeln frühzeitig Kon¬
trakturen ein, während die Muskelkraft noch leidlich ist, so kann
man viel durch Tenotomie der Achillessehne nützen.
N. E. Norway: Die Behandlung des Typhus abdominalis.
(Ibid.)
Verfasser glaubt, dass Typhuskranke meist dadurch zu gründe
gehen, dass die ihnen gereichte Nahrung nicht verdaut, nicht aus¬
genutzt wird. Er meint, dass dem Typhusbazillus die Kraft inne¬
wohne, die Verdauungstätigkeit des Magendarmkanals herabzu¬
setzen. Er gibt deshalb seinen Kranken Pepsin und Salzsäure und
glaubt damit in 40 Fällen vortreffliche Wirkung erzielt zu haben.
1630
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
George Heaton: 5 Fälle von operativ behandelter Per¬
foration eines Magenulcus. (Ibid.)
Die Fälle bestätigen den allgemein anerkannten Satz, dass
man in diesen Fällen so rasch wie möglich operieren soll, und zwar
auch dann, wenn die Symptome scheinbar sich bessern, ln einem
der Fälle des Verfassers perforierte ein Ulcus unter sehr stür¬
mischen Erscheinungen, die Kranke kam in das Hospital, erholte
sich hier aber rasch und war nach Verlauf von 3 Wochen schein¬
bar fast hergestellt, als unvermutet alle Zeichen einer fulminanten
Peritonitis auftraten, die nun sofort vorgenommene Laparotomie
ergab, dass das bei dem ersten Anfall perforierte l lcus zur Bildung
eines subphrenischen Abszesses geführt hatte, der nun in die
Bauchhöhle perforiert war. Die Frau starb. Verfasser operiert
von einem Medianschnitt aus, vernäht das 1 lcus und übernäht es
womöglich noch mit Netz. Dann spült er die Bauchhöhle mit Koch¬
salzlösung aus und drainiert das kleine Becken durch einen zweiten
Schnitt über der Symphyse. In der Nachbehandlung legt ei
grosses Gewicht auf subkutane Kochsalzinjektionen, auf Injek¬
tionen von Strychnin und auf möglichst lange ausschliessliche
Rektalernährung.
Special Vaccination Number. (Brit. Medical Journ., 5. Juli
1002.) . . .
Die noch immer nicht gänzlich erloschene Pockenepidemie m
London, die die Frage der Impfung auch in England wieder mehr
in den Vordergrund des Interesses geschoben hat, hat wohl auch
die Herausgeber des Brit. Med. Journ. veranlasst, eine ganze
Nummer ihrer Zeitschrift ihrem grossen Landsmanne Jenner
und seiner Entdeckung zu widmen. Es ist unmöglich, an dieser
Stelle ein ausführlicheres Referat über die zum Teil vortrefflichen
Arbeiten zu geben, aber eine kurze Angabe des Titels und des In¬
halts wird wohl auch manchem deutschen Leser willkommen sein.
Die Nummei ist eingeleitet durch eine mit vielen Abbildungen ge¬
schmückte Lebensbeschreibung Jenner s. Dann folgt eine Arbeit
von N e w s h o 1 m e über die Epidemiologie der Pocken im
19. Jahrhundert, aus welcher hervorgeht, dass Pocken wie Masern
und Keuchhusten alle 3 — 4 Jahre in kleineren Verhältnissen epi¬
demisch auftreten und dass sie in grösseren Zwischenräumen
(bis zu 30 Jahren) pandemiseli werden. Eine Anzahl vortreff¬
licher Diagramme zeigt oder sollte wenigstens auch dem Impf¬
gegner zeigen, dass die Einführung der Schutzimpfung von einem
rapiden Fallen der Sterblichkeit von Pocken gefolgt war. E. J.
Ed war des zeigt in seinem Artikel „Ein Jahrhundert der
Impfung“ die Notwendigkeit und den Nutzen der Impfung, be¬
tont aber gleichzeitig die absolute Notwendigkeit einer Revac-
cination, deren Erfolge er an dem seit langem von der Seuche ver¬
schonten Deutschland nachweist. Auch Ä. K. Clialmers, der
über die neuerliche Pockenepidemie in Glasgow schreibt, ist ein
warmer Anhänger der Revaccination, die in Glasgow die sich ihr
Unterziehenden ebenso sicher vor dem Todesengel schützte, wie die
mit Blut besprengten Türpfosten einst in Aegypten die Israeliten.
W a n klyn bsclireibt und illustriert durch verschiedene bunte
Tafeln die Differentialdiagnose zwischen Pocken und Varizellen,
die in der Londoner Epidemie den Aerzten anfangs viel zu schaffen
machte. Es folgen von nicht genannten Autoren gründliche Ab¬
handlungen über Impfgegner und ihre Bekämpfung, über die
Bakteriologie der Vaccine, über den Verlauf der Impfung und
über Impfung und sanitäre Schutzmassregeln gegen die Pocken.
Vortrefflich ist auch Blaxalls Bericht über die Zubereitung
glyzeiinierter Kalbslymphe in den Laboratorien des Local
Government Board, sowie Cop es Bericht über die Wirksamkeit
dieser Lymphe. Der bekannte Dermatologe Colcott Fox
spricht über die Komplikationen der Impfung, die sich (nament¬
lich Syphilis, Tuberkulose und Lepra) bei einiger Vorsicht mit
grosser Sicherheit vermeiden lassen. Bedauerlich scheint es, dass
die Regierung an Privatärzte keine Lymphe abgibt und dass diese
daher den mehr oder weniger guten Produkten privater Institute
vertrauen müssen. Wie misslich dies ist, hat Referent an sich
und zahlreichen Freunden, die er im Verlaufe des vorigen Jahres
geimpft hat, erfahren müssen; die Lymphen von 2 als vorzüglich
geltenden englischen Instituten erwiesen sich sehr häufig als un¬
wirksam bei Leuten, die kurz darauf nach der Impfung mit fran¬
zösischer Lymphe sehr stark reagierten.
W. .Tapp Sinei a i r: Das Karzinom bei Frauen, eine kli¬
nische Betrachtung-. (Brit. Med. Journ., 2. Aug. 1902.)
Die vortrefflich geschriebene Arbeit warnt vor zu grossem
Enthusiasmus gegenüber pathologischen und bakteriologischen
Untersuclmngsmethoden, speziell wenn, wie es so häufig geschieht,
die klinische Beobachtung ihnen gegenüber zurückgestellt wird.
Verfasser spricht dann ausführlicher über die verschiedenen Opera¬
tionsmethoden bei Krebsen der Zervix, die er für eine Krankheit
der armen überarbeiteten Frauen hält. Er empfiehlt nur die Total¬
exstirpation von der Scheide aus, die gewaltigen abdominalen
Operationen mit Ausräumung des Beckens verwirft er vollständig,
da ihre unmittelbare Mortalität sehr hoch und die Gefahr der
Neben Verletzungen von Blase und Ureter sehr gross und schliess¬
lich die Dauerresultate nichts weniger wie gut sind. Wie die
meisten Gj näkologen weiss Verfasser auch ein trauriges Lied von
der Oberflächlichkeit der Aerzte zu singen, die krebskranke Frauen
Monate lang behandeln, ohne je an eine innere Untersuchung zu
denken. Zum Schlüsse fordert er noch einmal lebhaft dazu auf,
den Krebs weniger als eine Neubildung, denn als eine Krankheit
anzusehen und zu behandeln.
A. J. Martin: Cancer ä deux. (Brit. Med. Journ., 9. Aug.
1992.)
Ein Mann litt an metastatischem Drüsenkrebs der Halsgegend
(ausgehend von einem Epitheliom der Ohrmuschel), seine Frau
pflegte ihn lange Zeit, schlief mit ihm im selben Bett und nahm
dabei fast immer den Kopf des Kranken an ihre Brust, so dass
das Krebsgeschwür an ihrer Brust lag, eine Stellung, die dem
Kranken am angenehmsten war. Es trat dann bald nach dem
Tode des Mannes bei der Frau ein Epitheliom der Brustgegend
auf, das genau an der Stelle sass, an welcher der Kopf des Mannes
immer gelegen hatte.
Bvroin B ramwell: Die Ursachen und die Verhütung der
Phthise. (Laneet, 5., 12.. 19., 26. Juli und 2. Aug. 1902 )
Der Aufsatz des bekannten schottischen Internisten ist zu
einem Referate viel zu lang, hingewiesen sei nur auf die grosse
Wichtigkeit, die der Verfasser einer allgemein eingeführten An¬
zeigepflicht der Phthise beilegt. Zur Behandlung der Personen,
die" infolge der Anzeigepflicht ihre Stellung verlieren, müssen
natürlich freie Hospitäler resp. Sanatorien in genügender Anzahl
zur Verfügung stehen.
H jj Barnard: Zur Simulation von akuter Peritonitis
durch pleuro-pneumonische Erkrankungen. (Laneet, 2. Aug. 1902.)
Verfasser gibt die Krankengeschichten von 6 Fallen, die zu¬
erst als Peritonitis (Appendizitis, perforiertes Magengeschwür,
innere Blutung) diagnostiziert wurden, 2 wurden laparotomiert
(1 Todesfall) und dabei das Peritoneum intakt gefunden. In allen
Fällen stellte die weitere Beobachtung, allerdings oft erst nach
vielen Tagen fest, dass es sich um Entzündungen oberhalb des
Zwerchfells handelte und zwar entweder um pneumonische Pro¬
zesse oder auch um Entwicklungen kleiner Empyeme. Die
Differentialdiagnose hat namentlich die hohe Respirationsfrequenz
(40 und mehr) zu berücksichtigen, die ganz ausser \ erlialtnis steht
zu einem kräftigen Pulse unter 100. Die Temperatur ist hoher
Wie bei den meisten Bauchfellentzündungen, die Druckempfindlicli-
keit des Bauches ist mehr oberflächlich, tiefer Druck wird ott ge¬
duldet Verfasser gibt übrigens zu, dass die Diagnose oft daduich
erschwert wird, dass der Chirurg mitten in der Nacht zu einem
angeblich an perforiertem Magengeschwür leidenden Kranken ge¬
holt wird und dass eine gewisse Autosuggestion durch (he ehi-
rurgisclie Atmosphäre des Krankenhauses bewirkt wird. Zum
Schlüsse seiner Arbeit geht Verfasser noch auf die anatomischen
Einzelheiten dieser f ort geleiteten resp. reflektorischen Schmerze
ein.
Otto Grün bäum: Ein Fall von geheilter Gastritis mem-
branacea. (Ibid.) ... „
Nach einer sorgfältigen historischen Uebersicht über diese
seltene Krankheitsform gibt Verfasser die genaue Kranken¬
geschichte des von ihm beobachteten Falles. Es handelte sich nu
ein 3 jähriges Mädchen, das plötzlich mit Schmerzen im Ohr er¬
krankte, dem Erbrechen folgte. Am 3. Krankheitstage biach e.
eine Membran aus, die zusammen mit einer am folgenden läge
ausgebrochenen einen vollständigen Abguss des Magens bildete.
In den folgenden Tagen wurde das Kind bald besser und war nach
etwa 3 Wochen ganz wohl, ist auch seitdem gesund geblieben.
Es gelang weder von den Fauces, noch aus der Membran Diph¬
theriebazillen zu züchten; Verfasser glaubt, dass es sich um eine
Pneumokokkeninfektion gehandelt hat. Die Membran war un¬
gefähr 1 mm dick, rötlichgrau von Farbe und zeigte einen Abdruck
der Schleimhautwülste und Furchen des Magens. Mikroskopisch
bestand sie aus einem feinen Netzwerk von Fibrin mit zahlreiche!
roten und weissen Blutkörperchen. Epitheliale Elemente fehlten
vollkommen. Die Behandlung bestand schon vor dem Ausbrechen
der Membran in einer ausschliesslichen Ernährung per rectum mit
Ochsenserum, Milch und roher Stärke mit einem Zusatz
3,0 Chloreton auf das Liter Serum.
Campbell Thomson: Zur Aetiologie und Diagnose
akuten Magenerweiterung. (Ibid.)
Verfasser bekämpft in diesem Aufsatz die Theorie, (lass
akuten Magenerweiterung eine Obstruktion zu gründe liege
sieht die Ursache vielmehr in einer primären Lähmung
Magens. Die Gründe für seine Ansicht sind im Originale nach¬
zulesen.
G. T. Brooksbank James:
mus convergens in Hospitälern.
Beschreibung und Abbildung
äusserst billigen Stereoskopes, das
geben wird, und an welchem es unter Leitung der Mutter seine
Hebungen machen kann Daneben wird auf Brillenbehandlung
grosses Gewicht gelegt.
Charles Stouham: Aneurysma des 2. und 3. Teiles der
A. subclavia sinistra, Ligatur des 1. Teiles; wiederkehrende
von
der
der
er
des
Die Behandlung des Strabis-
(Ibid.)
eines vom Verf. angegebenen
dem Kinde mit nach Hause ge-
verte-
LJL • OUWV/1U V II« V* - - /
Pulsation; gleichzeitige Ligatur der A. thyreoid. infer.
bralis und axillaris im 2. Teile. Heilung. (Ibid.)
Der ausführlichen Ueberschrift des sehr interessanten I alles
ist kaum etwas hinzuzufügen, als höchstens, dass der Mann so
vollkommen geheilt wurde, dass nachuntersuchende Chirurgen
keine Spur des früher sehr grossen Aneurysmas mehr nach weisen
konnten.
Sir W. R. G o w e r s: Geschmacksinn und Trigeminus.
(Journ. of I’hysiology, Vol. 28, No. 4.)
Auf Grund klinischer Beobachtungen betont Gowers die
grosse Bedelitung der N. petrosi und Vidiani und des Gangl.
sphenopalatinum und oticum. Erkrankungen des N. facialis um
Schädel oder der Wurzeln des N. glossopharyngeus sind nicht von
Störungen des Geschmackes gefolgt.
30. September 1902,
MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET.
1631
J. F. C o 1 y e i': Sepsis der Mundhöhle und ihre Beziehungen
zu allgemeinen Krankheiten. (Journ. of tlie British Dental
Association, .Juli 1902.)
Verfasser versucht in dieser interessanten Arbeit einen Ueber-
blick über die Krankheitsbilder zu geben, die von verschiedenen
Beobachtern in Zusammenhang mit der Sepsis oralis gebracht
worden sind, warnt aber zugleich vor zu weitgehenden Schlüssen.
Zuerst spricht er über, chronische Lymphadenitis und betont, dass
auch der Tuberkelbazillus wohl seine Eingangspforte in kariösen
Zähnen findet. Dann erwähnt er Fälle, bei denen lange bestehende
Magengeschwüre durch Beseitigung des septischen Zustandes der
Mundhöhle geheilt wurden. Perniziöse Anämie soll nach den
schönen Untersuchungen Hunters sehr häufig auf schlechter
Beschaffenheit der Zähne und des Mundes beruhen; auch Chlorosis
scheint in manchen Fällen durch Absorption septischer Substanzen
von der Mundhöhle her unterhalten zn Werden. Allgemein kacliek-
tiselie Zustände, schlechte Ernährung etc. wird häufig durch gründ¬
liches Instandsetzen des Mundes beseitigt und zwar erholen sich
die Leute sofort nach Beseitigung der Sepsis und bevor ein neues
Gebiss eine bessere Ernährung ermöglicht. Auch akute Osteo¬
myelitis und Endokarditis soll gelegentlich vom Munde ausgehen.
A. Tlieod. Brand: Zur Aetiologie des Krebses. (Brit. Med.
Journ., 26. Juli 1902.)
Zusammenfassende Arbeit. Verfasser hat seit langer Zeit das
kürzlich auch in Deutschland beschriebene Zusammentreffen von
multiplen Angiomen bei Krebskranken beobachtet und glaubt,
dass ein solcher Zusammenhang besteht. Auch de Mo r gan vom
Middlesex Hospital wies schon 1872 auf diesen Zusammenhang
hin. Ferner erwähnt Verfasser einen Fall von Cancer ä deux, den
er selbst beobachtet hat. Eine Pflegerin, die scheinbar in bester
Gesundheit war, übernimmt die Pflege einer an ulzerierendem
Maihmakrebs leidenden Frau, sie schläft und wohnt mit ihr zu¬
sammen und erkrankt bald an Mammakrebs. (Solche Fälle können
kaum etwas beweisen. lief.) Es folgen eine Reihe von Fällen,
wo Chirurgen sich bei Krebsoperationen infiziert haben sollen und
nachher an Krebs erkrankten, sowie andere Fälle von Inokulation
der Krebse. Verfasser hält es für sicher bewiesen, dass der Krebs
eine kontagiöse Krankheit ist. Ferner berichtet Verfasser über
seine Untersuchungen über Krebsgegenden und Krebshäuser.
Auch er fand den Krebs besonders häufig in niedrigen Fluss-
thälern, auf feuchtem, häufig überschwemmten Alluvial- und
Thonboden; ferner hat er die Ueberzeugung, dass es in manchen
dieser Orte Krebsstrassen und Krebshäuser gibt. Dass Juden
relativ immun gegen Krebs sind, hält er für ganz unerwiesen,
allerdings kommen Krebse des Penis sehr selten vor. Ebenso hält
er die Vererbung des Krebses für unerwiesen. Die Behandlung
kann vor der Hand nur eine chirurgische sein, von der Licht¬
therapie hat er keinen Nutzen gesehen.
Wheelton Hind: Einige klinische Fälle. (Ibid.)
Krankengeschichten einer Anzahl interessanter Fälle, aus
denen Referent besonders 2 geheilte Verletzungen des Pankreas
hervorheben möchte, sowie eine Reihe von 8 operativ behandelten
Nervenverletzungen. Interessant ist ferner die Beobachtung, dass
die Steinkrankheit in Nörtli Staffordshire, wo Verfasser wirkt,
von Jahr zu Jahr abnimmt. Verfasser und seine Kollegen haben
übrigens die unblutigen Methoden wieder verlassen und sind mit
sehr zufriedenstellenden Resultaten zum hohen Blasenschnitt über¬
gegangen; besonders wichtig ist hierbei, dass sie seither bedeutend
weniger Rezidive haben.
P. J. Frey er: Totalexstirpation der Prostata in der Be¬
handlung der Hypertrophie dieses Organs. (Ibid.)
Verfasser behauptet noch immer, dass es ihm gelingt, die
ganze Prostata inklusive ihrer anatomischen Kapsel von der Blase
aus zu enukleieren, eine Operation, die anatomisch unmöglich ist.
Er beschreibt ausführlich 6 neue Fälle dieser Operation und
bildet die enukleierten, sehr grossen Organe ab; alle 6 Fälle ge¬
nasen. (Im ganzen hat Verfasser 21 Fälle mit 2 Todesfällen
operiert.) Er entfernt ohne Furcht vor Urininfiltration oder Strik-
tur den prostatischen Abschnitt der Harnröhre. (Referent hat die
Operation 2 mal gemacht, sie ist technisch ziemlich leicht, aber
unter Umständen recht blutig; in einem seit 7 Monaten entlassenen
Falle ist der Erfolg bis jetzt ein sehr guter, der andere steht noch
in Behandlung.)
Walter E. Fry: Puerperale Sepsis, Antistreptokokken-
serum, Tod. (Ibid.)
Beschreibung eines Falles, in dem die spezifische (Behand¬
lung ohne Erfolg war.
Hubert R. Sedgwick: Akuter Tetanus, Serumbehand¬
lung, Heilung. (Ibid.)
Ein 12 jähriger Knabe zog sich am 12. März beim Spielen
eine Beinwunde zu, indem er auf einen Ziegelstein fiel, die Wunde
blieb unbehandelt. Am 22. sollen die ersten Zeichen von Trismus
eingetreten sein, als Verfasser den Knaben am 25. sali, bestanden
die schwersten tetanischen Symptome. Am selben Abend Ex¬
zision der Wunde und Injektion von 20 ccm Serum des Institut
Pasteur. Am nächsten Morgen keine Besserung, im Verlaufe des
Tages 3 Injektionen ä 10 ccm, ausserdem Narkotika. Bis zum
1. April 3 mal täglich subkutane Injektion von 10 ccm, vom 1. bis
5. April 2 mal 10 ccm. Jede Injektion schien eine günstige Wir¬
kung auszuüben, indem die Krämpfe nacliliessen und die Tem¬
peratur herabging. Vom 6. bis 13. April wurden täglich einmal
10 ccm injiziert. Die Krämpfe verschwanden völlig, doch bestand
lange grosse^ Steifigkeit. Im ganzen wurden 370 ccm verbraucht,
ehe Heilung eingetreten war. Es scheint ein schwerer Fall von
Tetanus gewesen zu sein.
of
(Journ.
zu ihm
hält er
die Be-
dem die
C. Ilalgetty: Ueber den Krebs in den Tropen.
Tropic. Medic., 15. April 1902.)
. Verfasser, der in Adampore (South Sylliet) arbeitet, hat dort
eine Arbeiterbevölkerung von 12 000 Hindus und 15 000 Muliame-
danein unter ärztlicher Aufsicht, ln 5 Jahren sah er nur S Fälle
von malignen Tumoren unter den Hindus und 3 unter den Muhame-
aanern. Lesondeis auffällig erscheint, dass er nie einen Brust-
kiebs gesehen hat, obwohl die Brust freigetragen wird und die
Frauen wegen Mastitis, Ekzem etc. dieser Gegend oft
kommen. Den Gegensatz zwischen Malaria und Krebs
für durchaus unbewiesen, eher scheint ihm wichtig, dass
wohner Indiens durchschnittlich vor dem Alter sterben in
Europäer an Krebs erkranken.
Frank C. Madden: Ueber den Krebs in den Tropen
(Brit. Med. Journ., 6. Sept. 1902.)
Nach 1 erfassers Erfahrung kommt in Aegypten der Krebs
ziemlich häufig unter der weissen eingeborenen Bevölkerung, d. h.
unter der Arabern und Kopten vor, die Fleischesser sind; die ein¬
geborenen schwarzen Rassen, Berber und Sudanesen sind da¬
gegen meist Vegetarianer (Muhamedaner) und findet sich bei ihnen
Krebs so gut wie nie und zwar sind Männer und Frauen gleicli-
mässig immun gegen Krebs.
James Taylor: Ueber abnormale Fälle von Tabes dorsalis.
(Brit. Med. Journ., 19. Juli 1902.)
Verfasser ist u. a. Arzt am National Hospital for the
Epileptic and Paralytic, sowie an dem grossen Moorfield Augeu-
Hospitale; an letzterem Krankenhause hat man die gute Ein¬
richtung getroffen, neben den Augenspezialisten einen Nervenarzt
anzustellen, der m dunklen Fällen mit den Augenärzten kon¬
sultiert. Verfasser teilt mit, dass er in der Augenklinik im Laufe
der Jahre eine überaus grosse Anzahl von Tabesfällen gesehen
hat, Fälle, die sonst kaum dem Nervenärzte Vorkommen. Meist
handelte es sich um Lähmungen des Oculomotorius oder
um Opticusatrophien. Meist sind die Lähmungen im Gebiete
des Oculomotorius vorübergehender Art, sehr häufig sind sie ver¬
gesellschaftet mit Pupillenstörungen, sowie mit lanzinierenden
Schmerzen im Gebiete des Trigeminus. Die graue Atrophie des
Opticus ist ebenfalls sehr häufig ein Frühsymptom der Tabes
dabei können Pupillensymptome (Argyll-Kobertson) aucli
bei weit vorgeschrittenen Erblindungen fehlen. Ferner gibt es
Fälle, bei denen die Argyll-Robertson sehe Pupille das ein¬
zige Zeichen der Tabes ist und für lange Zeit bleibt. Prognostisch
ist zu bemerken, dass Tabiker, bei denen die Opticusatrophie
als Frühsymptom auftritt, nur selten ataktisch werden. Das¬
selbe gilt für die Fälle, in denen gastrische Krisen (oft lange
das einzige Symptom) im \ ordergrund der Erscheinungen stehen.
Als bestes Mittel gegen diese Krisen muss das Morphium ange¬
sehen werden. Verf. spricht dann noch über laryngeale Krisen,
die nicht selten eine Tracheotomie nötig machen oder auch zu
plötzlichem Tod führen, und über die Gelenkveränderungen bei
Tabes. Letztere wie auch die Fälle von Ulcus perforans sind
ebenfalls selten mit schweren ataktischen Störungen verbunden.
Therapeutisch empfiehlt Verf. in allen Fällen die Anwendung anti-
sjplulitischer Heilmittel. Bei Gelenkergüssen hat er von der
Drainage zuweilen Nutzen gesehen.
David Newman: Ueber akute nichteitrige Perinephritis.
(Ibid.)
Im Anschluss an einen von ihm operierten Fall spricht Verf.
über dieses eigentümliche Krankheitsbild, bei dem es ohne auf¬
geklärten Grund zur Bildung eines grossen entzündlichen Tumors
kam, der inzidiert wurde.
Swintord Edwards: Zur Diagnose der Krankheiten des
Rektums und der Flexur. (Ibid.)
Abbildung einiger „Proktoskope“, d. li. gerader, starrer Röhren
von 2)4 bis 14 Zoll Länge', die in den Dickdarm eingeführt werden.
Beleuchtet wird mittels einer Stirnlampe. Verf. hat allerhand
kleine Geschwüre gesehen und topisch mit bestem Erfolge be¬
handelt.
Stephen G. Longworth: Klinische Beobachtungen zur
Wirkung des Nebennierensaftes. (Ibid.)
Handelt es sich darum, rasch bei plötzlicher Herzschwäche
einzugreifen, so kann nur die intravenöse Einspritzung von Ad¬
renalinchlorid (Parke, Davies & Co.) in Frage kommen, in anderen
Fällen kann man dieses Mittel oder auch die getrocknete Drüse
in Tablettenform per os geben, stets tritt eine erhebliche Er¬
höhung des Blutdrucks ein, dabei fällt der Puls von seiner ab¬
normen Frequenz zur Norm. Verf. empfiehlt uas Mittel haupt¬
sächlich bei gewissen Formen von Manie, bei denen ein abnorm
niedriger Blutdruck besteht. Er empfiehlt ferner bei Morbus Base-
dowii einen Versuch mit dem Mittel zu machen.
Knowles Ren Shaw: Die Funktionen der Epiglottis. (Ibid.)
Verfasser sucht in dieser Arbeit nachzuweisen, dass während
des Schluckaktes die Epiglottis nur einen geringen seitlichen
Schutz der Glottis gewährt. Ihre Hauptwirkung besteht darin,
dass sie die Sekrete der oberen Luftwege am Hinabfliessen in den
Larynx hindert. Sie leitet sie in die Fossae pyriformes, A'on wo aus
sie in die Speiseröhre fliessen. Ob die Epiglottis bei der Stimm¬
bildung beteiligt ist, ist bisher noch unsicher.
John Biernacki und J. C. Muir: Salol bei Pocken¬
kranken. (Ibid.)
Im Anschluss an B e g g s warme Empfehlung haben die Ver¬
fasser bei 1000 Pockenkranken Salol versucht, meist wurde 2 stünd¬
lich 1,0 gegeben und diese Dosis gut vertragen. Die Erfolge waren
nicht glänzend, immerhin glauben die Verfasser, dass das Mittel
einerseits den Juckreiz mindex't und andererseits das sekundäre
1632
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Fieber vermindert. Häutig wird übrigens das Mittel unverändert
vom Darm ausgeschieden.
Charters Symonds: Die bösartige Striktur des Oeso¬
phagus. (Lancet, 9. August 1902.)
Verfasser, der durch seine Dauerkanülen bekannte Chirurg
von Guys Hospital, gibt in dieser Arbeit seine Ansichten über die
1 )iagnose und Behandlung des Oesophaguskrebses. Als frühestes
Symptom hat er sehr häutig dyspeptisclie Beschwerden gesehen,
nur die Passage eines Bougies kann Aufklärung geben. Ausser¬
halb des Oesophagus gelegene Krankheitsprodukte geben nur sehr
selten Ursache zu ernsthafteren Schluckbeschwerden. Spastische
Striktur kommt als solche nur bei Hysterischen vor, ist sonst aber
immer durch maligne Erkrankung verursacht. Im oberen Dritteil
der Speiseröhre kommen nur bösartige organische Strikturen vor,
im mittleren zuweilen auch Myome, sowie Divertikel, im unteren
kommen auch gutartige Stenosen vor. In der Behandlung ver¬
wirft Verfasser alle Versuche, eine bösartige Striktur zu erweitern.
Solange ein Patient noch leidlich schlucken kann oder solange mau
eine Sonde (englisch 12) passieren kann, lässt man ihn in Ruhe.
Treten ernstliche Schluckbeschwerden auf, so versuche man, ein
langes Drainrohr einzuführen (Fischbeinmandrin) und lässt dies
liegen; es wird nie zur Reinigung herausgenommen und kann bis
zu 13 Monaten liegen bleiben. Die kurzen Röhren aus Katheter¬
gewebe benutzt Verfasser nur noch selten. Bei ruhigen Kranken
genügt diese Behandlung, die der Gastrostomie entschieden über¬
legen ist, bei unruhigen muss die Gastrostomie gemacht werden;
auch soll man stets bei tiefsitzenden Strikturen operieren, da sie
der Röhrenbehandlung kaum zugänglich sind; man darf auch nicht,
zu lange zögern, da manche dieser Strikturen doch gutartig sind
und man solche Kranke durch eine frühzeitig gemachte Gastro¬
stomie lange am Leben erhalten kann. Für die Strikturen des
mittleren Teiles des Oesophagus empfiehlt sich auch die Behand¬
lung mit kurzen festen Tuben aus Seidengewebe.
B. G. A. Moynihan: Ueber Pankreassteine. (Ibid.)
Verfasser gibt eine Uebersicht über die ziemlich spärlichen
Notizen, die in der Literatur über diesen Gegenstand niedergelegt
sind. Ausführlich beschreibt er dann einen Fall, in dem es ihm
gelang, die Diagnose auf Pankreasstein bei einer 57 jährigen Frau
zu stellen und die Richtigkeit der Diagnose durch die Operation
zu beweisen. Es gelang, einen bohnengrossen Stein aus1 dem
Ductus pancreaticus und der Ampulla Valeri nach Eröffnung des
Duodenums zu entfernen. Das ganze Pankreas, namentlich aber
der Kopfteil, zeigte die Symptome der chronischen Pankreatitis.
Die Patientin wurde geheilt. Auffallend war, dass eine sehr starke
Pigmentierung der Extremitäten wenige Monate nach der Opera¬
tion fast verschwunden war.
Lee Dickinson: Hypoplasie der Aorta als Ursache von
Aneurysmen. (Ibid.
Beschreibung von 4 Fällen von Ruptur eines Aortenaneurys¬
mas, bei welchen die Sektion ergab, dass die Aorta völlig frei
von jeder atheromatösen Veränderung war und sich als Ursache
des Aneurysmas nur eine auffallende, papierdünne Beschaffenheit
der Aortenwand ergab. Verfasser glaubt, dass diese Hypoplasie
nicht selten zu Aneurysmen Anlass gibt. Die Prognose in diesen
Fällen ist natürlich besonders schlecht, da eine Heilung durch
Fibrinauflagerung kaum zu erwarten ist.
Alexander Crombie: Weitere Statistik über den Wert der
Impfung zum Schutze gegen Typhus in Südafrika. (Lancet,
1 6. August.)
Es ist unmöglich, an dieser Stelle genauer die Tabellen wieder¬
zugeben, die Verfasser ausgearbeitet hat, um über den Wert der
Schutzimpfung ins klare zu kommen. Es muss genügen, zu be¬
richten, dass Verfasser fest überzeugt ist, dass die Schutzimpfung
nach W r i g h t, wenn sie einmal und nicht, wie W r i g h t will,
zweimal vorgenommen wird, dem jungen Soldaten unter 30 Jahren
(wenn er am empfänglichsten gegen die Ansteckung ist) einen be¬
trächtlichen Schutz gegen die Ansteckung mit Typhus gewährt.
Eine 2 mal vorgenommene Schutzimpfung scheint dagegen die
Empfänglichkeit zu erhöhen.
J. O’Conor: Die Behandlung der Appendizitis. (Ibid.)
Verfasser rät auf Grund von 140 von ihm ausgeführten Opera¬
tionen, stets innerhalb der ersten 24 Stunden zu operieren. Auch
bei ausgebildeten intraperitonealen Eiterungen entfernt er stets die
Quelle der Infektion, die Appendix, und scheut sich nicht, Ad¬
häsionen zu zertrennen und lange nach ihr zu suchen. Von
53 Fällen intraperitonealer Eiterung, die er mit Resektion der
Appendix behandelte, verlor er 9 Kranke, doch war bei 6 eine
fulminante, allgemeine Peritonitis schon vor der Operation vor¬
handen, die übrigen 131 Fälle genasen ohne Fistelbildung.
R. W. Mars den: Die vierte Krankheit. (Ibid.)
Als „fourth disease“ wird in England seit einiger Zeit eine
Krankheit beschrieben, die den exanthematischen Fiebern zu¬
gezählt wird, am meisten Aehnlichkeit mit Röteln hat und nament¬
lich in den grossen öffentlichen Schulen beobachtet wurde.
Marsde n beleuchtet nun die Gründe, die namentlich von
Dukes angeführt werden, um die Selbständigkeit der neuen
Krankheit zu rechtfertigen, kommt aber auf Grund umfangreicher
Literaturstudien zu dem Schlüsse, dass es sich dabei nicht um
eine neue Krankheit, sondern um Röteln handle.
Herbert W. Page: Die Unterbindung der Uiaca interna bei
Aneurysma der A. glutaeal. (Ibid.)
Es handelte sich um einen 44 jährigen Kutscher, der mit einem
kolossalen, fluktuierenden, aber nicht pulsierenden Tumor in Be¬
handlung kam. Der Tumor, der von der Beckenkante bis zum
Trochanter reichte, wurde inzidiert und grosse Mengen geschich¬
teter Gerinnsel entleert. Nach Entleerung des Sackes fand man,
dass es stark aus dem For. ischiadicum blutete, die hier spritzende
A. glut. konnte aber nicht in situ unterbunden werden. So schritt
man sofort zur transperitonealen Unterbindung der Iliaca interna.
Die Blutung stand. Pat. ging aber an einer Pneumonie zu Grunde.
J. P. z u m B u sch- London.
Vereins- und Kongressberichte.
74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Karlsbad vom 21. bis 27. September 1902.
Referent : Dr. Grassmann - München.
I.
1. Allgemeine Versammlung am 22. September.
Voriges Jahr an den Gestaden der breit dahin wogenden
Elbe, an einem Hafen mit Tausenden von fremden und
deutschen Schiffen, an einem Hauptberührungspunkte unseres
Vaterlandes mit der weiten Welt — heuer an den grünen Ufern
der Tepl und Eger, in einem romantischen Tal inmitten herr¬
licher Wälder und Hügel — ein grösserer Kontrast zweier auf¬
einander folgender Festorte für die Naturforscherversamm¬
lungen lässt sich kaum erfinden ! Doch hier wie dort echt
deutsches Wesen, deutscher Geist, deutscher Bürger- und For-
scherfleiss, dieselbe deutsche Herzlichkeit für den Gast, ja als
dem Feste willkommenste Beigabe dieselbe herrliche Sonne, der¬
selbe blaue Himmel in Karlsbad, wie vor einem J ahre in Ham¬
burg. Doch wir wollen die Festorte gar nicht vergleichen, ver¬
fallen wir doch nicht dem Fehler der Pädagogen, wenn sie ihrem
armen Schüler eine Parallele zwischen Goethe und Schiller ab¬
nötigen, dass er sage wer grösser ist! Freuen wir uns beider,
wie das deutsche Volk an seinem Schiller und Goethe, so die Ver¬
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte an Karlsbad und
Hamburg ! Ja, als Deutsche dürfen wir uns innig freuen, solche
Stätten deutscher Kultur zu Festorten wählen zu können. Ja,
Feste sind es, welche diese Versammlungen immer bedeuten und
mit sich bringen, geistige und materielle!
Die Verwaltung des Weltkurortes hat sichtlich alles getan,
um den Gästen der Stadt einen ebenso herzlichen als festlichen
Empfang zu bieten. Von allen Häusern flattern die Fahnen,
österreichische und reichsdeutsche, eine lange Via triumphalis
zieht ins Herz der Stadt, den Ufern der Tepl entlang bis zu den
prächtigen Kolonnaden, wo jede Säule um ihren Schaft grünes
Gewinde trägt, bis zu dem hochher grüssenden Baldachin, unter
dem eine goldene Inschrift den Gästen feierlichen Willkomm
zuruft, unzählige Wimpel und Fähnlein rühren sich in dem
kühlen Septemberlüftlein, das das Tal herunterstreicht, jede der
Quellen hat einen mächtigen Kranz um den heissprudelnden
Mund bekommen, kurz, der Schmuck des ehrwürdigen Karlsbad
ist grossartig. Seine 52 000 Sommergäste hat es bis auf 4000
entlassen; jetzt haben die Naturforscher nochmals neues Beben
in die engen Adern der Stadt gebracht. Hier ist gut sein. Die
Gäste sind von der Bürgerschaft in liberalster Weise mit Quar¬
tieren versehen und wo sonst ein südafrikanischer Minenbesitzer
oder ein amerikanischer Eisenbahnkönig in gewähltester Pracht
Hof hielt, da haust jetzt heterotopisch ein bescheidener Natur¬
forscher. Dass man sich hier wohl fühlt, sich sozusagen als
Einzelnmensch geschätzt halten darf, vom Stadtoberhaupt bis
zum Kärrner herab, das hat noch sein politisches Moment zu
Grunde. Ueberall tritt eben in dieser alt-deutschen Stadt die
aufrichtige Freude hervor, so viele deutsche Stammesgenossen zu
sehen und mit so viel Trägern deutscher Art in lebendigen Ver¬
kehr treten zu können. Dieser Grundton schlägt überall durch
und erregt jedesmal bei seinem auch nur leisen Anklingen leb¬
haftes Echo. Dazu kommt das herrliche Herbstwetter, das uns
noch Blumen genug übrig gelassen hat, der blaue Himmel, der
sich von Höhe zu Höhe spannt, der freie Blick auf die noch
kaum vom Hauche des Herbstes gestreiften herrlichen Wälder
und mit Goethe, der so oft und gern in „das Karlsbad“ seine
Schritte lenkte, rufen wir:
Anmutig Tal, du immergrüner Hain!
Mein Herz begrüsst euch wieder auf das beste;
Entfaltet nur die schwerbehangnen Aeste,
Nehmt freundlich mich in eure Schatten ein;
Erquickt von Euern Höh’n mit aller Lieb und Lust
Mit frischer Luft und Balsam meine Brust!
30. September 1902.
Karlsbad, trotz seiner dem Weltbetriebe dienenden Bestim¬
mung, ist ein für den Deutschen von Goethe geweihter Platz.
Hier arbeitete sein universeller Geist, beschäftigt mit den Wun¬
dern der hier so verschwenderischen Natur. Dieser Geist lebt
fort, aber auch körperlich ist uns der Geistesfürst noch nicht so
lange entschwunden. Hier in Karlsbad loderten in Goethes
Busen, dem ewigjungen, zum letztenmale die Flammen der Liebe.
Ihi Referent, kennt selbst die österreichische Baronesse, die, wie
man mir sagte, erst dann heiraten konnte, als diese letzte Liebe
Wolfgang des Einzigen, IT. v. Levetzow, ihr schönes Haupt
zur späten Ruhe gelegt hatte. Denn diese letzte Liebe Goethes
war die Erbgrosstante der nun glücklichen Baronesse. Und bei
diesem lebendigen Hereinwirken bis in unsere Gegenwart sollte
uns ein Goethe schon lange entrissen sein ?
Es wäre verlockend, sich auszumalen, wie der universelle
Genius Goethes gegenüber dem heutigen Stande unseres Wissens
Stellung nehmen würde und was der alte Herr Geheimrat z. B.
zu den Sektions- und allgemeinen Sitzungen sagen würde. Zu
diesen müssen wir uns nunmehr wenden, nachdem wir der Eest-
haltung der „Karlsbader Stimmung“ vielleicht mehr wie billig
Raum gegönnt.
Bis Montag, den 22. September, Vormittag — der Sonntag
gehöl te, wie herkömmlich, den vorbereitenden Sitzungen der Aus¬
schüsse und der ersten Begrüssung der Neuankommenden —
waren 822. Teilnehmer gezählt, eine Zahl, die bis zum Abgang
dieses Berichtes beträchtlich gewachsen sein dürfte.
Im grossen Saale des Schützenhauses, dessen Parkett und
Logen den Scharen der Teilnehmer und ihrer Damen kaum
Raum genug boten, wurde kurz nach 10 Uhr die I. allgemeine
\ er Sammlung in Anwesenheit Sr. Exz. des östereichischen Unter-
i ichtsministers, des Statthalters von Böhmen v. Coudenhove,
des zur Kur hier weilenden preussischen Ministers v. Studt
duich eine sich lang hinziehende Reihe von Begrüssungsreden
eröffnet,
An erster Stelle ergriff Dr. H e r r m a n n - Karlsbad als
I. Geschäftsführer der diesjährigen Tagung das Wort zur feier¬
lichen Begrüssung der Versammlung. Als Arzt bringe er seine
Huldigung dar der grossen Idee, die in der Gesellschaft deutscher
Naturforscher und Aerzte sich verkörpere, als Deutscher entbiete
er allen Teilnehmern besondern Gruss, da die Versammlung das
Band geistiger Gemeinschaft repräsentiere, das alle deutschen
Stammesangehörigen diesseits und jenseits der politischen Grenze
umschlinge. Das Hoch, welches Redner auf die beiden Kaiser
der verbündeten Reiche ausbrachte, fand, wie auch die späteren
Hinweise anderer Redner auf die deutsche Stammesgenieinschaft,
aus den Reihen der Versammelten besonders lebhaften und herz¬
lichen Widerhall. So wurde denn auch das von dem 2. Geschäfts¬
führer, Herrn J. K n e 1 1 - Karlsbad, vorgeschlagene Telegramm
an die beiden kaiserlichen Majestäten beifälligst akzeptiert.
Als Vertreter der k. k. Regierung und derzeitiger Chef der Unter¬
richtsverwaltung dankte nunmehr Minister Exzell. Ritter
v. Hartei den Festteilnehmern für ihr so zahlreiches Er¬
scheinen in Karlsbad, einer Stadt, die von Natur so reich und
eigenartig wie kaum eine andere ausgestattet, dem Forscher eine
Reihe wichtiger Aufgaben und Fragen stellt, andererseits die
Kunst des Arztes auf das wirksamste unterstützt. In der Wahl
des Ortes liege eine ermunternde Anerkennung für die öster¬
reichischen Arbeitsgenossen, die sich bei solchen Gelegenheiten
.besonders des durch keine politische Schranke aufgehaltenen
nationalen Zusammenhangs bewusst werden. Unter dem Merk¬
zeichen unserer Zeit, der Assoziation, der Verbindung zerstreuter
Arbeiter zur Erreichung grosser Ziele vereinigen sich heute die
gelehrten Gesellschaften und Akademien aller wichtigen Kultur¬
nationen, um nach wohlüberlegtem Plane an grosse geistige
Unternehmungen heranzutreten. Darauf beruht auch das Blühen
dieser Gesellschaft, welche die zerstreut wirkenden geistigen
Kräfte zur vollen Wirkung zusammenfasst. Jeder Fortschritt
der Erkenntnis greift fast sofort in das praktische Leben ein,
und daher legt auch die praktische Bedeutung dieser Tagung
der Staatsverwaltung die Pflicht der Unterstützung auf; die von
hier aus gegebenen Anregungen sollen geprüft und beachtet
werden. Mit Befriedigung werde die Versammlung erkennen,
dass durch das Ineinandergreifen von Theorie und Praxis in den
etzten Jahrzehnten viel geschehen sei, wenn auch der hohe Stand¬
punkt, auf dem diese Dinge in Deutschland ständen, noch nicht
1633
allenthalben m Oesterreich erreicht sei. Besonders in Wien und
I rag wurden neue klinische Einrichtungen geschaffen und erst
m den letzten Tagen wurde für Wien der Bau eines neuen grossen
Krankenhauses beschlossen.
Der in unserer Zeit so in den Vordergrund gestellte Kampf
zwischen Humanismus und Realismus kann die Männer der
Wissenschaft nicht scheiden - er bleibe den immer streitbaren
Pädagogen uberlassen. Er wolle ja nicht gerade dafür sprechen,
den schon bestehenden zahlreichen Sektionen der Gesellschaft
neue anzugliedern; die Vielheit derselben mag ein Beschwernis
sem, aber sie ist keine Krankheit. Sie alle dienen der Aufgabe,
dre laden aufzudecken, welche Wissenschaft mit Wissenschaft
verknüpfen, der Aufgabe, aus aller Detailarbeit als Hauptfrucht
eine das Gemüt beruhigende und erhebende Weltanschauung
heraus zu arbeiten.
In keiner Stadt kann man hiezu besser zusammentreten als
hier, wo. ein Goethe so oft und gerne geweilt, „Mögen Sie im
Geiste dieses Maimes Ihre Berathungen beginnen und sie zum
guten Ende führen zum Wohle der Menschheit, zur Ehre und
Förderung der Wissenschaft!“ — mit diesen Worten schloss der
Redner seine von gvossen Gesichtspunkten getragene und aus ge-
leiftestem A erständnis der Ziele der Versammlun'g entsprungene
Ansprache. Sie verfehlte denn auch nicht, den lebhaftesten Bei¬
fall zu wecken.
Der hierauf folgenden Begrüssungsrede des Ritters v. Kusy,
dei namens der Sanitätsverwaltung und des Ministeriums des
Innern der \rersammlung den besten Verlauf wünschte, folgte die
Ansprache des Bürgermeisters von Karlsbad, Herrn S c h a e f f -
1 e r. Seit 1862 sieht die deutsche Stadt Karlsbad zum zweiten-
male die Zierden deutscher Wissenschaft in ihren Mauern und
wird damit neuerdings zur Zeugin gemacht neuer Früchte
deutschen Geisteslebens. Auch Karlsbad hat in den letzten
40 Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. Nicht nur ist die
Zahl seiner Kurgäste von 10 000 auf 52 000 gestiegen, sondern
für die A erwaltung sind auch neue grosse Anforderungen liervor-
getieten, namentlich die Aufgabe, die Stadt mit den Errungen¬
schaften der modernen Hygiene zu versehen, worüber die Fest¬
schrift Aufschluss gibt. Manches vom Zauber der alten Ro¬
mantik ist gefallen, geblieben ist die Heilkraft der Quellen,
welche der unerforschten Tiefe der Erde entströmen, aber auch
der treudeutsche Sinn seiner Bewohner, die alte Gastfreund¬
schaft. Mögen die Ergebnisse auch dieser Tage glänzende sein,
mit diesem Wunsche biete er den Gästen der Stadt herzlichsten
Willkomm !
Der derzeitige Rektor der deutschen Universität in Prag,
Dr. Bachmann, betonte von deutschnationalem Gesichts¬
punkte aus, dass AVissenschaft und Kunst längst die politischen
Gienzen überschreiten. In den gelehrten Versammlung’en und
Vereinigungen, welche neben ihren besonderen Zwecken den
Universitäten so nahe kommen, ist ein höchst wichtiges Binde¬
mittel. gegeben. Hoch und rein hält die deutsche Universität
Prag ihr Banner, ihr Fühlen und Empfinden gehört dem deut¬
schen Volke. Dass die Bürgerschaft von Karlsbad es verstanden
hat, die herrlichen Gaben der Natur in der AYeise zu nützen,
dass sie mit dem Sinn für Erwerb und Betrieb stets den Sinn'
liir das Edle und Schöne zu verknüpfen wusste, das ist es, was
die deutsche Universität Prag besonders an dieser Stelle rühmen
und ehren möchte. Gross und hehr ist das Ziel des Kongresses,
möge auch sein Erfolg voll und ganz sein !
Im Namen der deutschen technischen Hochschule zu Prag
lichtete noch der Prosektor derselben, Herr Dr. Grünwald,
begrüssende Worte an die Versammlung, ebenso Prof. v. Jaksc h-
Prag namens des Zentralvereins der deutschen Vereine in Böhmen.
Er begrüsste alle Festgenossen speziell auch als liebe und werte
Stammesgenossen. „Mögen Sie nach Hause zurückkehren mit der
Ueberzeugung, dass auch innerhalb der sehwarzgelben Grenzpfähle
\A issenschaf t und Kunst geehrt wird, dass auch bei uns deutscher
Sinn und deutsches Wesen lebt!“ Damit entbietet Redner unter
lautestem Beifall der Versammlung treu-deutschen Gruss!
Die Aufgabe, im Namen der Gesellschaft auf die so zahl¬
reichen und eingehenden Begrüssungen zu danken, oblag Herrn
Prof. II e u b n e r -Berlin als I. Vorsitzenden für das laufende
J ahr. Er gedachte besonders auch des herrlichen Festschmuckes,
den die gastliche Mutter Karlsbad zum Empfang ihrer Gäste
angelegt hat. Der beste Dank der Versammlung liege im Segen
MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIET.
1634
ihres Erfolges. Er wirft sodann einen kurzen Blick auf das
letzte Jahr der Gesellschaft, die nunmehr 80 J ahre besteht. Die
Zahl der Mitglieder betrug im Juli 1. J. 2237, und zwar waren
1901 etwa 45 Proz. derselben Naturforscher, 55 Proz. Aerzte.
Schwerwiegende Verluste hat der Tod im Jahre 1902 der Gesell¬
schaft zugefügt. Mit kurzer Charakterisierung ihrer Persönlich¬
keiten und ihrer hauptsächlichsten Leistungen gedachte sodann
der Vorsitzende der heuer verstorbenen Vorstandsmitglieder,
Selen ka - München, ferner des Chemikers Frlirn. v. P e c h -
m a n n, sodann der Mitglieder II. v. Ziemsse n, C. Ger¬
hardt, A. Ivussmaul, IT. Büchner, Jul. vv o 1 f i,
M. Ivaposi. . ...
Längere Zeit verweilte Redner bei der Würdigung des jungst
der Wissenschaft entrissenen R. V i r c h o w. Er steht voran in
der Reihe der ragenden Geister, denen die Wiedergeburt der
Medizin zu danken ist, von keinem an Grösse der naturwissen¬
schaftlichen Auffassung übertroffen. Kein einziger hat dem
Zeitalter seinen Stempel so aufgedrückt wie \ i r c li o w. Seine
suggestive Einwirkung auf den Gang der Wissenschaft erstreckt
sich eigentlich nur auf den Zeitraum eines Jahrzehnts. Loch
nicht 40 Jahre war er alt, als das Gebäude seiner neuen Lehre
fix und fertig dastand. Alles Spätere war Ausbau. Ohne
Schwanken und Irrwege kam er zu seinen reformatonschen
Schöpfungen, keinen Schritt tat er ohne die Keuschheit und
Strenge des echten Naturforschers. In Virchows Natur lag
etwas Faustisches, ein fast unersättlicher Schaffenstrieb. Im
Gegensatz zu seiner weltbeherrschenden Stellung als Forscher
stand seine Uneigennützigkeit und Anspruchslosigkeit. . Er war
ein echtes Kind des Landes vom kategorischen Imperativ. Aber
ist die Leidenschaft des Wahrheitssuchers nicht immer selbstlos?
Wenn wir Aerzte aus dem Lärm des Tages uns hierher flüchten,
so wollen wir uns erquicken an der frischen Luft reiner Er¬
kenntnis, wir verfolgen keine selbstsüchtigen Zwecke Die
Wissenschaft ist selbstlos und auch die jetzt so mächtige Allein¬
herrschaft des Dollars wird von der Idee besiegt werden. Mit
dieser Macht, mit Wahrheitsliebe und Menschenliebe im Bunde,
lassen Sie uns an die Arbeit gehen !
Es war fast 1412 Uhr geworden, bis der Redner des ersten
Vortrages, F. H o f m e i s t e r- Strassburg, das Wort nehmen
konnte über den Ban des Eiweissmoleküls.
27. Versammlung des Deutschen Vereins für öffent¬
liche Gesundheitspflege
in München, 17. bis 20. September 1902.
(Eigener Bericht.)
I.
Noch niemals waren die Versammlungen des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege von einer solch statt¬
lichen Anzahl von Festteilnehmern besucht worden, wie diesmal.
Ueber 600 Mitglieder hatten sich in der bayerischen Residenz¬
stadt eingefunden, ein Zahl, welche selbst die des bestfrequen¬
tierten Kongresses in Köln um mehr als 100 übersteigt. Dabei
waren von München allein ca. 100 Mitglieder anwesend. Aussei
den zum Teil in sozialpolitischer Hinsicht ganz besonders inter¬
essanten Vortragsthemen mag gewiss die ungemein günstige Lage,
sowie auch die ganz hervorragende Munifizenz der schonen Kunst¬
stadt zu der ausnehmend glänzenden und zahlreichen Beteiligung m
hohem Masse beigetragen haben. Schon der im grossen LLotbrau-
haussaale am 16. September stattfindende Begrussungsabend,
bei welchem Herr Bürgermeister v. B o r s ch t die Gäste m herz¬
licher Weise willkommen hiess und Herr Prof. Dr. Frankel-
Halle in launigen Worten für den glänzenden Empfang dankte,
gab beredtes Zeugnis von Münchener Humor und verlief bei den
in reicher Abwechslung sich ablösenden Gesangs- und anderen
Vorträgen in äusserst animierter Weise. _
Am 17. September, Morgens 9 Uhr, wurde im grossen Test¬
saale des Hotels Bayerischer Hof der Kongress durch Herrn Prof.
Dr. Frankel- Halle offiziell eröffnet, welcher an Stelle des
erkrankten Medizinalrates Dr. R e i n k e - Hamburg den V or-
sitz führte. Obermedizinalrat Prof. Dr. Grashey übermittelte
den Willkommgruss des k. Staatsministeriums des Innern und
wünschte der Versammlung, in welcher die besten Aerzte, Archi¬
tekten, Baumeister und Vorstände von Gemeindeverwaltungen
zu gemeinsamer Beratung Zusammenkommen, erfolgreiche Resul¬
tate im Geiste des grossen Meisters P ettenkof er. Bürger¬
meister v. Bors cht wies auf die ungeahnten Fortschritte hin,
welche die Stadt München seit der letzten Tagung des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in München vor
25 Jahren in hygienischer Beziehung gemacht habe, so dass der
wohlverdiente schlechte Ruf der allgemeinen Anerkennung ge¬
wichen sei, dass München jetzt zu den gesündesten Städten
Deutschlands zähle. Er hiess die Anwesenden herzlich will¬
kommen mit dem Wunsche, dass die gewissenhaft und vor¬
urteilsfrei geführten Verhandlungen dem deutschen Volk zum
Segen gereichen möchten. Generalstabsarzt Dr. v. Bestel-
meyer entbot den Gruss des Aerztlichen Vereins München,
sowie der k. bayerischen Armeeverwaltung. Dr. Karl Becker
hiess die Versammlung namens des Aerztlichen Bezirksvereins
München willkommen und Rechtsrat W ö 1 z 1 namens der Mün¬
chener Ortsgruppe des Deutschen V ereins für \ olksliygienc.
Prof. Dr.Fränkel dankte den Rednern in formvollendeter
Weise, wobei er betonte, dass München sich seines grossen
Ehrenbürgers würdig erwiesen habe, so dass die gefürchtete
Trias Kunst, Bier und Typhus ihre Schrecken verloren habe.
Die Aerzte gaben die Wege an, die Techniker bauten sie aus
und die Gemeindeverwaltungen sorgten für die Bewilligung der
Mittel.
Hierauf wurden in das Bureau gewählt: Bürgermeister
v. Borscht - München, Oberbaurat Baumeister - Karls¬
ruhe, Dr. B e c k e r - München. Der Sekretär des Vereins Geh.
Sanitätsrat Dr. S p i e s s - Frankfurt a. M. erstattete alsdann
den Rechenschaftsbericht für das abgelaufene Vereins jahr, dem
wir entnehmen, dass der Mitgliederstand 1531 betrug, von denen
ausschieden 111, davon durch Tod 27. Neu eingetreten sind
230 Mitglieder; der jetzige Mitgliederstand beträgt 1650. Der
Vorsitzende widmet den im Laufe des Jahres verstorbenen Mit¬
gliedern, in erster Linie den um die Entwicklung der Hygiene
hochverdienten Gelehrten Prof. Dr. v. Ziemsse n, Prof. Dr.
Hans Büchner, Geheimen Baurat James Hob re cht und
Rudolf Vi rcho w, ehrende Nachrufe, worauf sich die Versamm¬
lung zum ehrenden Andenken an die Verstorbenen von den Sitzen
erhebt. Alsdann wird in die Tagesordnung eingetreten.
1. Die hygienische Ueberwachung- der Wasserläufe.
Referenten: Geh. Hof rat Prof. Dr. A.Gärtner- Jena, Wasser¬
bauinspektor Schümann- Berlin.
Gärtner führt zunächst aus, dass schon vor langen Jahren
an das Reich die Aufforderung ergangen sei, bezüglich der Ueber¬
wachung und des Studiums der Flüsse Normen aufzustellen.
Eine Antwort sei jedoch erst unter dem zweiten Reichskanzler
eingelaufen, und diese sei auf Grund eines Gutachtens des
Reichsgesundheitsamtes negativ ausgefallen. Nach 10 jähriger
Pause erscheine nun die Frage wieder auf der Tagesordnung,
ein Zeichen, dass sie immer noch aktuell sei.
Die Verunreinigung der Flüsse setzt sich aus verschiedenen
Faktoren zusammen. Besonders stark werden die T lüsse durch
die Abwässer der Städte verunreinigt, so dass man früher die
sämmtlichen Abwässer desinfizieren zu müssen glaubte. Von
dieser Forderung ist man jedoch zurückgekommen und begnügt
sich jetzt mit der Desinfektion am Krankenbett. Der Anschau¬
ung, dass die Bakterien im Flusswasser auf schlechten Nährboden
gelangen und dort zu gründe gehen, ist nicht volles Vertrauen
zu schenken, da z. B. in Paris eine Typhusepidemie aus einer Ent¬
fernung von 170 km eingeschleppt wurde, ein Beweis, dass die
Bakterien sich auch im Flusswasser unter Umständen lange zu
halten vermögen. Dass nicht jedesmal nach Genuss von Fluss
wasser eine Erkrankung erfolgt, ist wohl darauf zurückzuführen,
dass die Bakterien meist schubweise im Wasser sich befinden,
und nur der erkrankt, welcher gerade Wasser von einem solchen
Schub geniesst. Stärkere Verunreinigungen kommen dann noch
in industriereichen Gegenden, besonders in solchen vor,, wo durc
die geologische Beschaffenheit des Bodens eine förmliche Kon¬
zentration gewisser Industriezweige (Braunkohlenlager, Salz¬
lager etc.) stattfindet. Was soll nun bezüglich des Reinheits
grades der Flüsse verlangt werden? Referent stellt hief.ür fo
gende These (These 2 der Leitsätze) auf: Wenn auch im al¬
gemeinen rohes, d. h. ungereinigtes Flusswasser nicht, als Trin -
wasser anzuerkennen ist, so muss doch ein solcher Reinheitsgia
der öffentlichen und privaten Wasserläufe verlangt werden, dass
30. September 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1635
ihr Wasser für den Hausgebrauch, zum Baden, für die Zwecke
der Industrie, der Landwirtschaft und Fischzucht Verwendung
finden kann.
Die Analyse hat sich bisher fast nur mit der Untersuchung
der gelösten Bestandteile abgegeben, es müssen aber vor allem
die Suspensa als die eigentlichen Infektionsträger einer genauen
Beobachtung unterzogen werden. Sollen die Wasserläufe in
einem der vorstehenden Forderung entsprechenden Zustand er¬
halten werden , so ist eine ständige, in der Hauptsache sanitäre
Ueberwachung der Wasserläufe, und zwar der öffentlichen wie
der privaten, erforderlich. Auch genügt nicht eine Ueber¬
wachung nur der grossen Wasserläufe, sondern die Flüsse müssen
schon ab origine einer Kontrolle unterstehen. Redner weist hier
besonders auf die kleinen, schon stark verunreinigten Wässer hin,
welche im sächsischen Erzgebirge entspringen.
ITm die Ueberwachung durchführen zu können ist zunächst
notwendig eine genaue Kenntnis der hydrologischen Verhältnisse
eines Wasserlaufes, und zwar für Hoch-, Mittel- und Nieder¬
wasser, ferner müssen die Uferschutzbauten genau beachtet wer¬
den und endlich ist die Art und Menge, sowie der Verbleib der
Unratstoffe, das Steigen und Fallen der Verunreinigung, der Weg
des Flusses einem genauen Studium zu unterziehen. Referent
berührt hierbei die Frage der Selbstreinigung der Flüsse, dem
grossen Unbekannten in der Wasserhygiene, betont dabei den
Unterschied zwischen Berlin und München, und nimmt selbst
einen äusserst skeptischen Standpunkt ein.
Die Frage ist nun, wer soll bei der Vielseitigkeit der in
Frage stehenden Interessen und der Menge des zu bewältigenden
Materials die Arbeit übernehmen ?
Gärtner hält es zunächst für zweckmässig, dass alle
Wasserläufe überwacht werden, und dass wegen der zu über-
wachenden Objekte und der an demselben Flusslauf oft stark
wechselnden hydrologischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse
die Wasserläufe in Beobachtungsteilstrecken zerlegt werden, die
sich am besten den kleineren politischen Verwaltungsbezirken
(Bezirksamt, Kreisregierung) anschliessen. Wegen der Viel¬
seitigkeit der in Frage stehenden Interessen und der Menge des
zu bewältigenden Arbeitsmaterials ist die sanitäre Ueberwachung
einer Kommission anzuvertrauen, die im allgemeinen aus einem
Verwaltungs-, Wasserbau-, Medizinal- und Gewerbebeamten be¬
stehen soll, und nicht unter, sondern mit einem Landrat oder Re¬
gierungspräsidenten an der Spitze ihren Aufgaben gerecht wird
durch dauernde Ueberwachung der Wasserläufe durch Unter¬
beamte und gelegentliche oder nach Bedarf auszuführende eigene
Besichtigungen, durch mindestens vierteljährlich abzuhaltende
Konferenzen, eine mindestens jährlich einmalige Bereisung der
überwachten Wasserläufe durch sie selbst, durch Führung von
Wasserbüchern und jährliche Berichterstattung an die über¬
geordnete Dienstbehörde. Die Kommission soll auch eine Zen¬
tralstelle haben zur Ausführung von Untersuchungen, als Ent¬
scheidungsinstanz und zur Regulierung der Einläufe, behufs Er¬
zielung einer gleichmässigen Arbeit. Sie hat auch das Recht,
Prozesse zu führen und Strafen zu verhängen im Rahmen der
Exekutive der Polizeibehörde des Verwaltungsbezirks.
Die Kosten sind von den Verwaltungskörpern zu tragen, zu
deren Ressort die überwachten Wasserläufe gehören, und werden
sich zunächst hauptsächlich auf die Untersuchungen erstrecken,
nachdem das nötige Personal bereits vorhanden ist.
Als revidierende und als Appellinstanz funktionieren die
höheren Verwaltungsbehörden. In den grösseren Bundesstaaten
sind Landesinstitute einzurichten zur Verarbeitung des von den
einzelnen Ueberwachungsstationen eingelieferten Materials, zur
Lösung von praktisch und theoretisch wichtigen Fragen, welche
sich auf die Reinhaltung der Wasserläufe beziehen, und zur Ab¬
gabe von Obergutachten.
Durch all diese Massnahmen und Einrichtungen wird dann
eine bessere Kenntnis unserer Wasserläufe und unserer Stadt-
und Industrieabwässer, als auch des Einflusses der Abwässer auf
die 1 lüsse erzielt, und die letzteren bleiben relativ rein.
V ährend in I rankreich ähnliche wie die vorgeschlagenen
Kommissionen schon bestehen, kann uns ausserdem noch Eng¬
land als Beispiel dienen, welches auf dem Gebiete der Fluss¬
reinigung schon sehr grosse Erfolge erzielt haben soll.
Korreferent Wasserbauinspektor S c h ii m a n n - Berlin
schildert, wie die Ueberwachung der Wasserläufe bisher ausgeübt
wurde, was aber viel zu ungenügend gewesen sei. Den Vor¬
schlägen des Referenten schliesst er sich an, mit dem Unter¬
schied, dass er als erste Instanz, wegen der Schwerfälligkeit
einer Kommission, die Ueberwachung von einem einzelnen Be¬
amten vorgenommen wissen will. Er verbreitet sich dann noch
des weiteren über die Art und Weise der ständig’ zunehmenden
Verunreinigung der Wasserläufe Berlins.
In der Diskussion wendet sich zunächst Prof. Kruse-
Bonn gegen die eben angeführte These 2 als undurchführbares
Projekt und verspricht sich nicht viel von den Kommissionen,
die bei ähnlichen Verhältnissen in Düsseldorf z. B. noch nicht
viel erreicht hätten. Oberbaurat Baumeister - Karlsruhe be¬
fürwortet die Schaffung einer Reichszentralstelle. Baurat Herz-
berg - Berlin begrüsst es, dass Preussen den Anfang zu einer
Wassergesetzgebung gemacht habe, und regt an, dass auf dem
nächsten Kongress ein Referat über das in Deutschland bestehende
Wasserrecht erstattet werde, um die allgemein herrschende Un¬
klarheit auf diesem Gebiete zu beseitigen. In der weiteren äus¬
serst lebhaften Diskussion, an welcher besonders die Herren
Stadtbaurat Krause- Berlin, Prof. Emmerich - München,
Koutkowsky - Reval, Stadtbaurat Brix- Wiesbaden, Prof!
Kalle- Wiesbaden, Baumeister Hartwig- Dresden, Ober¬
medizinalrat Siegel- Leipzig, Oberbürgermeister Dellbrück-
Danzig und andere Herren sich rege beteiligten, wandte sich vor
allem die Kritik gegen die vom Referenten vorgeschlagene Art
und Weise der Zusammensetzung der Kommission, indem von
der einen Seite eine Beteiligung der Gemeinden unter Zurück-
drängung des Beamtenelements gefordert wurde, während die
andere Seite die Frage, wie gross die Verunreinigung der Wasser¬
läufe sein dürfe, von wissenschaftlichen Verbänden entschieden
wissen will. Auch die Anregung Baumeisters bezüglich der
Errichtung einer Reichszentralstelle fand bei den einen lebhaften
Widerhall, während andere dieselbe bekämpften mit dem Hinweis
darauf, dass für die je nach Landesteilen verschiedenen Verhält¬
nisse nichts gewonnen, sondern durch Eifersucht und Kritik der
einzelnen Bundesstaaten der Reichsgedanke geschädigt würde. Der
Vorschlag Koutko w sky s, die Aufsicht nicht nach politischen
Bezirken, sondern nach den einzelnen Wasserläufen abzugrenzen,
fand lebhaften Anklang. Emmerich verbreitete sich etwas
weiter über die Selbstreinigung der Isar, wobei er betont, dass er
im Gegensatz zu Baurat Hauben sch mied selbst bei Nieder¬
wasser keine Kotbänke gefunden habe und dass der Sauerstoff¬
gehalt der Isar auch unterhalb der Einflusstelle der Fäkalien ein
durchaus günstiger zu nennen sei. Die Isar werde in kurzen
Zwischenräumen sowohl einer lokalen Besichtigung als auch einer
chemischen Untersuchung unterzogen und zwar auf ihrem ganzen
Wege von München bis Plattling.
Baurat Haubenschmied bleibt jedoch auf seinen Be¬
hauptungen, betr. die zunehmende Verunreinigung der Isar, stehen
und wünscht, dass die Abwasser vor ihrem Eintritt in die Wasser¬
läufe zweckentsprechend gereinigt werden sollen.
Nach einem kurzen Schlusswort des Referenten Gärt nVr -
Jena wird die Debatte geschlossen und nach y2 ständiger Früh¬
stückspause zum zweiten Referate übergegangen.
2. Der Einfluss der Kurpfuscherei auf Leben und Gesundheit
der Bevölkerung’.
Referent : Dr. med. Karl Gras s m a n n - München.
Grassmann geht von dem Gedanken aus, dass die Kur¬
pfuscherei im allgemeinen viel mehr durch dasjenige Schaden
anrichte, was nicht an das Licht der Oeffentlichkeit gelange, als
durch das, was alle Welt jeden Tag vor Augen sieht. Er wendet
sich dann in scharfen Worten gegen das Ueberhandnehmen der
sog. populären medizinisch-wissenschaftlichen Literatur, wenn
auch nicht zu leugnen ist, dass einzelne Laien der wissenschaft¬
lichen Medizin erheblichen Nutzen geleistet haben. Doch sei
dieser Umstand kein Grund, um der Kurpfuscherei das Wort zu
reden. Die durch die krasseste Unwissenheit der Pfuscher an¬
gerichteten Schäden treten bezüglich des Gemeinwohls hauptsäch¬
lich zu Tage auf dem Gebiete der Volksseuchen und der anderen
ansteckenden Krankheiten, namentlich Geschlechtskrankheiten,
der Krankenversorgung und Irrenpflege, des Impfwesens, der
Schulhygiene, der Kranken- und Unfallversicherung, der öffent¬
lichen Moral. Wenn Gerhardt sagt: „Ohne Diagnose keine
Therapie“, so findet ein Platen hierin die Unzulänglichkeit der
Schulmedizin. Um aber das Vertrauen zu den staatlich geprüften
Aerzten zu untergraben, haben die Naturheilvereine eine Pseudo¬
approbation nach 9 monatlichem angeblichem Studium einge¬
führt, wobei es dem Pfuschertum aus Mangel an eigener Origi¬
nalität nicht darauf ankommt, sich das, was ihm zusagt, aus
der Schulmedizin zu entlehnen. An der Hand zahlreichen sta¬
tistischen Materials führt Referent aus, wie der einzelne unter
dem Scheine billigster Entlohnung in gewissenlosester Weise ge¬
schädigt wird durch rücksichtslose pekuniäre Ausbeutung, Ver¬
zögerung oder Abhaltung sachverständiger Hilfe, wobei dem
1636
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Kurpfuscher der Wegfall des ärztlichen Berufsgeheimnisses und
einer ganzen Reihe für den Arzt bestimmter Strafparagraphen
hilfreich zur Seite steht, bis eine ganz eklatante Schädigung
einer Person an Gesundheit und Leben endlich einmal ihrem
schamlosen Treiben ein Ziel setzt. Charakteristisch ist für das
Pfusehertum, dass es mit dem Vertrieb von Geheimmitteln sich
enorme Summen zu verdienen weiss und dass es seine lukrative
rI ätigkeit gerade in solchen Fällen aufnimmt, wo durch die
Natur der Erkrankung (Krebs, Tuberkulose) der Arzt eine Hei¬
lung als ausgeschlossen betrachten muss. Am häufigsten sind es
geburtshilfliche Operationen und Eingriffe chirurgischer Art,
besonders auch bei Kindern, welche ein erschreckendes Kontingent
zu letalen Ausgängen stellen. An einer grossen Anzahl von Bei¬
spielen erläutert Grassmann in drastischer Weise die Schä¬
digungen des Pfuschertums auf dem Gebiete der Wasserkuren
und Massage, der Anzeigepflicht für Infektionskrankheiten, so¬
wie besonders der Krankenversicherung.
Seit Freigabe der Heilkunde durch die Reichsgewerbeord¬
nung im Jahre 1869 hat die Kurpfuscherei in Deutschland in
ausserordentlichem Masse zügenommen, so dass in letzter Zeit
in Bayern 1200, in Deutschland 3059 Kurpfuscher gezählt wer¬
den konnten. Die Erhebungen des Aerztevereinsbundes haben
die Zahl 5224 zu Tage gefördert. Im Gegensatz zu früher ist
an Stelle des Einzelbetriebs eine ausgedehnte Organisation ge¬
treten, welche unter dem Vorwand, eine neue wissenschaftliche
Bewegung zu vertreten, und mit Nachäffung von äusseren Formen
ärztlicher Kunstausbildung sich aller modernen Mittel der Agi¬
tation in grösstem Masstabe bedient, um das Volk systematisch
gegen den Aerztestand zu verhetzen und die wissenschaftliche
Heilkunde in Misskredit zu bringen. Als geschlossene Macht
sich dem staatlich organisierten Gesundheitswesen entgegen¬
stellend, durchkreuzt das Kurpfuschertum immer häufiger viele
vom Staate eingerichtete hygienische Massnahmen für die all¬
gemeine V ohlfahrt und hemmt die volle W irkung der modernen
sozialpolitischen Gesetzgebung. Die gegen dieses gemeingefähr¬
liche Treiben auf gestellten staatlichen Massregeln sind in
Deutschland völlig unzulänglich im Gegensatz zu unseren Nach¬
barländern, in denen fast überall ein Kurpfuschereiverbot be¬
steht; besonders in Oesterreich ist man der verderblichen Lite¬
ratur auf diesem Gebiete ganz energisch zu Leibe gegangen.
Das Studium dieser Frage verdient deshalb das vollste Interesse
nicht nur der Hygieniker, sondern auch der Verwaltungs- und
Justizbeamten, der Nationalökonomen und gesetzgebenden
Körperschaften. Freilich betont Grassmann, dass hier viel¬
leicht staatliche Massregeln weniger leicht und rasch zur Unter¬
drückung des Uebels führen dürften, als vielmehr Hebung des
ärztlichen Standeshewusstseins, Besserung der Verhältnisse der
Aerzte überhaupt und vor allem Aufklärung des Volkes über die
Wichtigkeit des Gegenstandes selbst, um Leib und Leben und .
Gesundheit des einzelnen wie der Gesamtheit vor dem schäd¬
lichen Einfluss dieser Parasiten an dem bedauernswertesten Teil
der Menschheit zu sichern.
Eine Diskussion schloss sich an diesen interessanten Vor¬
trag nicht an. Abends 6 Uhr vereinigte sich eine ausserordent¬
lich zahlreiche Versammlung von Festteilnehmern zum Festmahle
im alten Rathaussaale, bei welchem die üblichen Reden in z. T.
äusserst humorvoller Weise das Mahl würzten.
Die 5. Versammlung des Verbandes deutscher
Eisenbahnärzte
in M ii n c h e n, 17., 18. und 19. September 1902.
(Eigener Bericht.)
Eine kurze Reihe glänzender Tage in der schönen Isar-
residenz liegt hinter uns, Tage, deren Erinnerung noch für lange
/eit das Leben manches Bahnarztes sonnig beleuchten wird.
Gross war die Anregung; alle dort behandelten Themata waren
von aktuellstem bahnärztlichen Interesse, und, wenn jeder der
über 700 Teilnehmer mit neuem wissenschaftlichen und opfer-
1 leudigen Ernst in seine Praxis heimkehrt, so sei hier nochmals
den Behörden und ihren Vertretern für das Interesse, welches
>ie unserer Tagung entgegenbrachten, für die Opferwilligkeit,
mit welcher die einzelnen Staaten: Preussen, Bayern, Württem¬
berg und Baden ihre Rettungseinrichtungen zur Besichtigung
stellten, unser Dank ausgesprochen.
Kurz kann in diesen Blättern nur der Inhalt dieser Ver¬
handlungen skizziert werden, und, wenn wir an die Spitze dieser
kurzen Inhaltsangabe gleich das stellen sollen, was gegenwärtig
die eisenbahnhygienischen Bestrebungen charakterisiert, so ist
es die einheitliche Organisation derselben für ganz
Deutschland in dem Sinne, dass von allem, was sich bisher in
einzelnen deutschen Staaten bewährte, das beste für die All¬
gemeinheit festgehalten wird.
Der bayerische Oberbahnarzt Dr. Z e i 1 1 m a n n eröffnete die
Verhandlung, indem er dem Andenken des verstorbenen, um die
Eisenbahnhygiene hochverdienten Geh. San.-R. Dr. Brähmer
warme Worte der Anerkennung widmete.
Es folgte der mit Demonstration verbundene Vortrag des
Prof. Dr. Eversbusch - München über praktische Prü¬
fung des Farbensinnes mit den beim Eisenbahnbetriebe ge¬
bräuchlichen Signallichtern.
E. bespricht an der Hand des nach seinen Angaben kon¬
struierten und seit Juni 1901 offiziell bei den Bahn- Augenärzten
Bayerns eingeführten Apparates das obige Thema.
Die in zweifelhaften Fällen von Farbensinnstörung im An¬
schluss an die ärztliche Untersuchung beliebte praktische
Prüfung der betreffenden Bediensteten auf dem Bahnhofe
oder auf der Strecke kann weder einwandsfrei, noch be¬
friedigend erfolgen. Es fehlt dabei meistens an prägnanten
Signalen. Auch der rasche Wechsel derselben bietet immer
Schwierigkeiten dar. Neben der Tagprüfung ist eine Nacht¬
prüfung unerlässlich. Ferner ist die Beiziehung von anderen Be¬
diensteten nötig; alles Umstände, die eine glatte Durchführung
der Prüfung sehr erschweren, ja unmöglich machen. Endlich
erschien es E. auch dringend erwünscht, schon durch die
spezialärztliche Untersuchung den Farbenblinden
selbst überzeugend die mangelhafte Ausbildung ihres Farben¬
sinnes klar zu machen. Besonders wichtig ist dies, bei den An¬
gestellten, die schon kürzere oder längere Zeit unbeanstandet
im äusseren Eisenbahndienste Verwendung fanden, nicht weniger
belangreich aber auch bei denjenigen unter den Neueintretenden,
die bis dahin keine Ahnung von diesem Gebrechen des Seh¬
organes hatten.
Der Eversbusch sehe Prüfungsapparat bringt bei der
Untersuchung im geschlossenen Raum, wie sie doch in der Regel
vorgenommen wird, auch die Verhältnisse der Wirklich¬
keit so genau als nur möglich zum Ausdruck. Die in ihm an¬
gebrachte Lichtquelle deckt sich hinsichtlich ihrer Stärke
annähernd mit der, wie diese als Mindestausmass der Be¬
leuchtung in dem auf der F ahrstrecke bezw. in und vor den
H alte p u nkte n der Eisenbahn angebrachten Verkehrszeichen
zur Verwendung gelangt. Auch kommen die II erab m inde-
rungen der Lichtstärke, die an den Betriebskennzeichen durch
den verschiedenen Grad der nächtlichen Dun¬
kelheit wie auch durch Nebel minderen oder stär¬
keren G r a d e s sich geltend machen, durch entsprechende
Vorrichtungen am Prüfungsapparate zum Ausdruck.
Der A n w e n d u n g desselben hat vorauszugehen eine Prü¬
fung der Sehschärfe, der Refraktion und Akkom-
m o d a t i o n und Korrigierung der Ametropie, wo¬
fern die binokuläre zentrale Sehschärfe weniger als die
IL ä 1 f t e des Normalen beträgt.
Bei längerem Gebrauche des Apparates hat sich heraus¬
gestellt, dass sich die an ihm angebrachten Tagessignale,
die in Farbe, Form, wie Grösse (diese entsprechend reduziert)
den im Eisenbahnverkehr üblichen Tagessignalen genau nach¬
gebildet sind, zumal von langjährigen Routiniers, leichter erkannt
und richtiger und sicherer angegeben werden, als die für die Prü¬
fung im Dunkelzimmer bestimmten Nachtsignale. Doch stolpert
der richtige Rot-Grün-Blinde bei mehrfachen Wiederholungen
auch über die ersteren.
Der Grund für diese Differenz, die erfahrene Beobachter
übrigens auch bei der Prüfung mit den wirklichen Tages¬
signalen auf Bahnhof und Strecke feststellen konnten, liegt
darin, dass sich der Prüfling, besonders wenn er schon länger
im äusseren Bahndienste angestellt ist, mit der Unterscheidung
von Zeichen leichter zurechtfindet, als von einzelnen Farben.
Wenn bei der hierfür gewählten Zusammenstellung des far¬
bigen Feldes mit dem weissen (rot und w e i s s e,
bezw. g r ii 7i und w e i s s e quadratische oder runde Scheibe) die
Farbenblinden weniger Fehler machen, so beruht dies darauf.
30. September 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
dass sie durch Prüfung der Hell,igkeÜtsunter-
schiede das hellere rote Signal vom grünen
dunklere n unterscheiden. Je empfindlicher der
Farbenblinde für diese Helligkeitsunter¬
schi e d e i st, d e s t o sicherer wird er dann i m
Unterscheiden der Farben sein, zumal wenn es
sich nur um 2—3 Farben handelt.
Es kommt hinzu, dass die Tagessignale am Apparate sich
an der Zimmerwand besser abheben, wie im Freien die Be¬
triebssignale.
Die Hinzufügung andersfarbiger Gläser zu den im Nacht¬
dienst gebräuchlichen Signalen in der bei der I) u n k e 1 -
Prüfung verwendeten polygonal gestalteten Apparatlaterne
hat lediglich den Zweck, durch einen möglichst grossen Wechsel
von Farben dem Prüfling ein Durchschlüpfen zu erschweren,
bezw. zu verhindern, dass er, etwa mit Hilfe seines Gedächt¬
nisses, eine Dissimulation zu Wege bringt. Deshalb ist es auch
wichtig, dass die Vorführung der Nachtsignale
Schlag auf Schlag erfolgt und dem Prüfling keine
Zeit zu längerer Ueberlegung gelassen wird.
Die Prüfung mit den Nachtsignalen am Ap¬
parat gestattet unter dieser Voraussetzung
eine sichere Diagnose der Grün rotblind heit.
Vor allem wird der Farbenblinde unsicher, wenn man nach
d e m roten und grünen Licht i m mer wieder
blau bring t, und so den V ergleich der verschiedenen Hellig¬
keiten, an den sich der Farbenblinde allein halten kann und
muss, stört und unmöglich macht. Es beeinträchtigt dabei den
Wert der Untersuchung nicht, wenn von farbentüchtigen Leuten,
was wiederholt beobachtet wurde, wegen des roten Lichtes der
Benzinlampe das gelbe und orangefarbene Glas bald als „weiss“,
bald als „gelbrot“ oder „rot“ erscheint und ebenso das violette
Glas als „rot“ oder „rötlich“ bezeichnet wird. Desgleichen geben
bei Vorschieben des Milchglases fast alle Untersuchten „gelbes
Licht“ an.
Auch kommt es wohl ’mal vor, dass „Blau“ als „Grün“ be¬
zeichnet wird. Es ist dies aber nicht Folge eines Fehlers des
Farbensinnes, sondern eine Begriffsverwechslung, die man sehr
häutig findet, z. B. auch bei Anwendung der W olffberg sehen
Methode.
Endlich erweist sich auch bei den Farbenblinden, die trotz
Prüfung mit den von Ilolmgren, Stilling. ßeuss,
Adler und Nagel angegebenen Methoden, die Evers-
b li sch der seinigen (je nachdem mehrere oder alle), voraus¬
schickt, fortgesetzt Zweifel äussern, als zweckmässig, eine beliebige
farbentüchtige Kontrolperson an der Prü¬
fung mit dem Apparate zu beteiligen und
durch deren Angaben schlagend den Farben¬
blinden zu überführen.
Im Schlusswort betont Prof. Eversbusch wieder¬
holt, dass er den grossen Wert der in der Diskussion erörterten
anderen Untersuchungsarten in keiner Weise verkennt. Gleich¬
wohl erachtet Eversbusch dein nach seinen Angaben her¬
gestellten Apparat als ein praktisch wertvolles Kon-
trollmittel, das, weil soviel als nur möglich der Wirklich¬
keit entsprechend, und auch durch den bisherigen Gebrauch von
Seiten, verschiedener Praktiker erprobt, allgemeine Beachtung
und Einbürgerung verdienen dürfte.
Es folgte der Vortrag Dr. Zeitlmanns: Ueber die Er-
krankungs-, Invaliditäts- und Sterblichkeitsverhältnisse der
bayerischen Eisenbahnbediensteten.
Die ausserordentlich fleissige und mühsame Arbeit bringt
eine durch Tabellen illustrierte Statistik, welche sich auf eine
20 jährige Beobachtung erstreckt. Der Wert dieser Arbeit dürfte
hauptsächlich dann zur Geltung kommen, wenn Statistiker von
Beruf sie in Vergleich ziehen bei den Erkrankungs- und Sterb¬
lichkeitsverhältnissen anderer Berufszweige. In anderen deutschen
Staaten ist bisher das vorliegende Material noch nicht in ähn¬
licher Weise verwertet. Immerhin seien einige charakteristische
Wahrnehmungen hier angeführt. Die Zahl der Erkrankungen
hat im ganzen ab-, die Dauer aber zugenommen; eine Ausnahme
macht das Influenzajahr 1890. Die untersten Altersstufen er¬
kranken häufiger als die mittleren, in den obersten macht sich
eine schnelle Zunahme bemerklich.
Die Dienstgruppen verhalten sich sehr different. Das Zug¬
beförderungspersonal wird am schnellsten verbraucht; different
1637
in Bezug auf Erkrankungen verhält sich das Zugbeförderungs¬
und Zugbegleitungspersonal. Verletzungen bilden das Gros der
Li ki ankungsf ormen ; am günstigsten ist die Erkrankungsziffer
der Bahnwärter.
Die wirtschaftliche Lage bewährt sich nicht als gesund¬
heitsförderndes Moment, indem die am schlechtesten bezahlten
Bediensteten am gesündesten sind.
Die Mortalität ist beim Bureaupersonal am grössten. Die
gesundheitverwüstende Wirkung des Alkohols ist bei allen Be¬
dienstetenklassen deutlich.
Wir betonen, dass wir mit diesen wenigen Aphorismen den
Inhalt dei wertvollen, an anderer Stelle ausführlich erscheinenden
und nur durch die beigefügten Tabellen dem Verständnis näher
zu rückenden Arbeiten nur gestreift haben.
Ls folgt Hofrat Dr. S t i c h - Nürnberg : Entwurf eines
einheitlichen Formulars für die Untersuchung des Personals
in Bezug auf körperliche Tauglichkeit samt Instruktion für
den untersuchenden Bahnarzt.
Der Vortragende betont, dass er durch die Bestrebungen
der leitenden Bahnärzte, eine gleichheitliehe Morbiditäts- und
Mortalitätsstatistik in ganz Deutschland einzuführen, sowie
durch die Bemühungen der Eisenbahndirektionen, ein möglichst
lange dienstfähig zu erhaltendes Personal zu gewinnen, dazu
gekommen sei, die Forderung für Einführung eines in ganz
Deutschland gültigen einheitlichen Untersuchungsformulares zu
stellen. V enn eine Statistik irgend einen Wert beanspruchen
will, dann muss in erster Linie die Grundlage derselben voll¬
kommen sicher dastehen, die Verhältnisse der in die Statistik
einbezogenen Faktoren müssen gleich sein. Es werden ja ohne¬
hin Fehlerquellen bei jeder Statistik unvermeidlich sein, aber
je weniger solche vorhanden sind, desto wertvoller und sicherer
ist die letztere. Wenn aber die Grundlage schon Fehlerquellen
zeigt, dann bedarf es nur noch geringer anderer Unrichtigkeiten,
um zu ganz falschen Schlüssen zu gelangen.
Wenn z. B. eine Eisenbahndirektion bei jedem Neu¬
angestellten für jedes Auge halbe Sehschärfe fordert und es
findet sich statistisch, dass 15 Proz. der Bediensteten nach
30 Jahren untauglich wegen mangelnder Sehkraft werden, so
kann dieses Ergebnis gar nicht verglichen werden mit dem einer
anderen Direktion, welche für jedes Auge ihrer neuen Zugänge
~/:i Sehschärfe fordert ; in diesem scheinbar kleinen Plus steckt
noch eine so grosse Menge wichtiger Nebenumstände, dass eine
solche Statistik nur beschränkten Wert haben kann.
Oder ein anderes Beispiel : Eine Direktion schliesst jeden
Bewerber vom Eisenbahndienst aus, der eine neuropathische
Veranlagung zeigt, sei es, dass er erblich belastet ist, sei es, dass
er selbst eine neurasthenische Erkrankung durchgemacht hat
oder noch daran leidet. Eine andere Direktion legt dieser Er¬
krankungsform kein besonderes Gewicht bei. Es bedarf keines
weiteren Beweises, dass die Häufigkeit neurasthenischer Zu¬
stände, soweit sie der Eisenbahndienst als solcher herbeiführt,
bei den beiden Direktionen wesentlich verschieden ausfallen
wird und statistisch nicht bearbeitet und verwertet werden kann.
Diese Beispiele lassen sich für viele Gebiete leicht vermehren.
I m diese gröbliche Fehlerquelle zu verstopfen, ist ein ein¬
heitliches Untersuchungsformular nötig. Der Vortragende hat
sich an alle deutschen Staatseisenbahn-Direktionen gewandt, um
deren Aufnahmsformularien zu erhalten, und hat aus allen diesen
nun, ein einheitliches Formular zusammengestellt, welches, wenn
man sich nicht prinzipiell gegen ein solches ausspricht, geeignet
sein dürfte, allen Anforderungen zu genügen. Es ist aber
dringend zu wünschen, dass nach Annahme desselben von keiner
Seite Aenderungen oder Zusätze gemacht werden; sollten solche
im Laufe der Zeit sich nötig erweisen, dann müssten sie gemein¬
sam vorgenommen werden, weil sonst die ganze Absicht illu¬
sorisch gemacht wäre.
Das Formular, welches der Vortragende nunmehr bespricht,
hat bereits die Rezension des Ausschusses des Verbandes deutscher
Bahnärzte, sowie eines grossen Teiles der bahnärztlichen Ver¬
eine bestanden, so dass Hoffnung vorhanden ist, dass dasselbe
eine gute Aufnahme finden wird.
In der Diskussion wird die Notwendigkeit eines Ein-
heitsformulars betont, indessen hat der vorliegende Entwurf einer
Leihe von grösseren Vereinen noch nicht Vorgelegen. Deshalb
wird die Zurückstellung desselben für die nächste Versammlung
empfohlen.
MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET.
No. 39.
1638
Di*. R a ab - Nürnberg: Der Alkoholmissbrauch bei dem
niederen Eisenbahnpersonal und dessen Verhütung.
Der Vortragende setzt in der Einleitung auseinander, dass
der Kampf gegen den Alkoholismus zurzeit noch wenig Erfolg
gezeitigt habe, da er einerseits zu abstrakt geführt werde, d. h.
dio akademischen Erörterungen noch zu sehr überwiegen und
nicht genug berücksichtigt wird, dass nicht die Allgemeinheit zur
Unterstützung der Sache herangezogen werden dürfe, sondern
einzelne Persönlichkeiten mit möglichst grossem Einfluss, wozu
insbesondere hohe Behörden gehören. Andererseits werde die
Bekämpfung des Alkoholmissbrauches zu radikal betrieben, da
man alle ohne Ausnahme zu Abstinenten machen wolle, während
doch in der wesentlichen Herabminderung des Alkoholgenusses
schon ein annehmbarer und leichter erreichbarer Erfolg liege.
Diesen Erfolg sieht der Vortragende als erreichbar durch Be¬
seitigung des Genusses alkoholischer Getränke im Eisenbahn¬
dienst.
Zur Erreichung dieses Zweckes macht der V ortragende den
Eisenbahnverwaltungen, insonderheit der bayerischen, eine Reihe
von Vorschlägen, wie zunächst eine möglichst zuverlässige Sta¬
tistik über den Umfang des Alkoholmissbrauches herzustellen
wäre, denn ohne solche sorgfältige Erhebungen und Unter-
suchungen wäre der Kampf gegen den Alkoholismus aussichtslos,
da einerseits die Beweismittel fehlen, andererseits das richtige
Urteil über die zu ergreifenden Abwehnnassregeln.
Redner verlangt unter anderem Feststellung aller vor¬
handenen kranken und gesunden Trinker, welch letztere daran
zu erkennen sind, dass sie mehr als 2 Mass Bier als Durch¬
schnittsquantum im Dienst trinken, durch Heranziehen von An¬
gaben von Bahnärzten und Amtsvorständen. Er gibt dabei eine
anschauliche statistische Schilderung des Alkoholmissbrauches
bei den Bahnbediensteten aus seinen eigenen Krankentage¬
büchern, wobei er als Hauptkrankheiten der Trinker Muskel¬
rheumatismus, Influenza und Magendarmkatarrh bezeichnet, da¬
zu sehr viele Fälle von Herzkrankheiten aller Art, namentlich
Erweiterung des rechten Herzens, auch Tuberkulose und Nephri¬
tis, endlich, als nicht selten, Neurasthenie, teils angeborene De¬
kadenz, meistenteils jedoch als larvierter Alkoholismus und Herz¬
schwäche.
Neben einer Reihe anderer, mehr eisenbahntechnischer
Untersuchungen, deren Notwendigkeit durch Beispiele erläutert
wird, geht er dann auf die von Ivräpelin und seinen Schülern
gemachten Untersuchungen des Alkohols in seiner Wirkung auf
die Psyche über, erläutert die hauptsächlichsten Untersuchungs¬
arten und verlangt, dass Nachprüfungen einzelner dieser Ver¬
suche mit Bier seitens der Eisenbahnverwaltungen sehr er¬
wünscht wären, da das Bier wegen seines Zuckergehalts und
seines Reichtums an Fuselöl eine gewisse besondex*e Stellung
einnehme und auch die Beweiskraft dieser Versuche für das
Eisenbahnpersonal seihst grösser wäre.
Die Beobachtungen des Redners über erworbene Schwach¬
sichtigkeit durch chronischen Alkoholgenuss, ferner über er¬
worbene Earbensinnsstörungen bei dem Eisenbahnpersonal aus
demselben Grunde, veranlassen einen weiteren Vorschlag, und
zwar den, den Einfluss des akuten Alkoholgenusses auf den Seh¬
nerv in analoger Weise zu prüfen, wie dies Kräpelin bei
seinen Wortreaktionen getan hat.
Nach einer Schilderung der Schädlichkeiten des Bier¬
genusses, wobei Redner erwähnt, dass in Bayern 3 Liter reiner
Alkohol pro Kopf und Jahr mehr konsumiert wird, allein in Bier,
als im Hauptbranntweinlande Dänemark, und ferner, dass das
niedere Bahnpersonal durchschnittlich ein Drittel und mehr
seiner Einnahmen in alkoholischen Getränken, namentlich Bier,
anlegt, geht er über zu den praktischen Abwehrmassregeln. Er
verlangt in erster Linie Sorge für tadellose Trinkwasserverhält-
nissc auf den Bahnhöfen, dann Beschaffung nicht alkoholischer
Getränke in ausreichendem Masse und in allen Bediensteten
leicht zugänglicher Form. Dabei ergibt eine rechnerische Auf¬
stellung, dass alle Getränke unter dem Bierpreis von Seite der
Eisenbahnverwaltung geliefert werden können. Nach Nennung
weiterer wichtiger Wohlfahrtseinrichtungen geht Redner auf
eventuell später einmal zu ergreifende Zwangsmassregeln über,
wie Verbot des Genusses alkoholischer Getränke seitens des Zugs¬
förderungs- und Begleitungspersonals. Wegen der erwiesenen lang
dauernden Nachwirkung einmaligen stärkeren Genusses alko¬
holischer Getränke und der sich fortwährend steigernden Zugs¬
geschwindigkeiten wirft Redner die I rage auf, ob man nicht ein¬
mal seitens der Eisenbahnverwaltungen verlangen muss, dass
die Lokomotivführer ganz abstinent seien. Als
erstrebenswertes und nach seiner Ansicht durchaus erreichbares
Ziel betrachtet der Redner die Entfernung des Genusses alko¬
holischer Getränke im Eisenbahndienst. Er warnt jedoch die
Verwaltungen, mit Zwangsmassregeln vorzugehen, bis nicht
durch sorgfältige Statistik aller Welt der Beweis erbracht ist von
der absoluten Notwendigkeit der Beschränkung des Alkohol¬
genusses im Eisenbahndienst, ferner bevor nicht durch reichliches
Vorhandensein nichtalkoholischer Getränke die Leute etwas an
den Genuss derselben gewöhnt sind, und durch intensive Be¬
lehrung von der Schädlichkeit des Alkoholgenusses mehr über¬
zeugt sind als bisher.
Die mit vollendeter Diktion und grosser V ärme vorge¬
tragenen massvollen Sätze des Redners fanden ebenso wie seine
praktischen Vorschläge den ungeteilten Beifall der Versamm¬
lung, namentlich aber, wie wir zu bemerken glaubten, der an¬
wesenden Herren Vertreter der Regierungen.
Es folgt am nächsten Tage eine Erörterung der Rettungs¬
einrichtungen bei den verschiedenen deutschen Eisenbahn¬
verwaltungen, sowie eine Besichtigung des Rettungswagens
und Rettungszimmers im Zentralbahnhofe, sowie eines von
Berlin eigens hierhergesandten neuen preussischen Arzt¬
wagens.
San.-Rat S c h w e c h t e n - Berlin, Leiter des Berliner
bahnärztlichen Vereins und zum Nachfolger Br ähmers als
Vorsitzender des Ausschusses des Verbandes deutscher Bahnärzte
erwählt, leitete diese Verhandlungen.
Er wies darauf hin, dass die ersten Rettungseinrichtungen
bei Eisenbahnunfällen inPreussen bereits durch einen Ministerial¬
erlass von 1856 geregelt wurden; er setzt die Bekanntschaft mit
den Rettungskästen, von denen Modelle zur Ansicht stehen,
voraus und bespricht die für Preussen neue Einrichtung der
Telephonverbindung der W ärterhäuser mit den Stationen, so
dass in spätestes 15 Minuten unter allen Umständen Hilfe erbeten
sein kann und in 30 Minuten der Hilfszug abgehen kann. Der
Rettungszug besteht neben der Lokomotive aus einem Geräts¬
wagen mit einer ca. 10 Mann umfassenden, im Sanitätsdienst
ausgebildeten Mannschaft, und einem Arztwagen mit Arzt. Der
Arztwagen besteht aus 2 Abteilen, einem Operationsraum mit
Instrumenten- und Verbandschrank, Operationstisch, Lüftungs¬
und Heizvorrichtung, Apparat zur Erzeugung von warmem
Wasser (System Grovc), Wasch- und Spülvorrichtung, einem
zweiten durch eine Tür getrennten Lagerraum für 8 Verletzte
mit einem Vorhang, um die verschiedenen Geschlechter trennen
zu können. Die Matratzenlager sind zugleich als Tragbahren
zu benützen. Handgriffe zum Auf richten, sogen. Triumpfstülile,
ein Wasserfass mit 25 Liter Inhalt, sowie Speinäpfe, Stech¬
hecken etc. vervollständigen die Einrichtung. Sperrvorrichtungen
an den Türen ermöglichen dauernde Zufuhr frischer Luft, von
der ein Uebermass durch Eriesvorhänge gemildert werden kann.
77 Wagen wurden in Betrieb gestellt. Die innere Einrichtung
derselben allein kostet ca. 3000 Mark pro Wagen.
Dr. Blume- Philippsburg (Baden) berichtet für Baden über
die dort freilich noch nicht allen Anforderungen entsprechenden
Rettungseinrichtungen und hebt hervor, dass die Generaldirektion
der badischen Staatseisenbahnen zurzeit in einer eingehenden Er¬
örterung begriffen ist. inwieweit die bestehenden Rettungsein-
richtungen zu vervollkommnen resp. zu ergänzen seien. Ausser
1) Gerätschaftswagen, die auf den Stationen mit Eiseubahnwevk-
stätten mit den nötigen Lokomotiven und Mannschaften zur Ver¬
fügung stehen, sind noch 10 Stationen mit L i n x we i 1 e r sehen
Apparaten zur Ausrüstung von Güterwagen zu in Krankentrans¬
port versehen; zu jedem Apparat gehören 0 Tragbahren mit Moll¬
decken; die Stationen sind angewiesen, die Apparate den Bahn¬
ärzten zu Uebungszwecken zur Verfügung zu stellen. Sogen.
Rettungszimmer wie Aerztewagen hat die badische Verwaltung bis
jetzt nicht; ob solche Wagen angeschafft werden sollen, unter¬
liegt zurzeit der Prüfung, wie auch die Bestimmung über die Zahl
und den Aufstellungsort der etwa zu beschaffenden Arztwagen.
Sonst sind die Einrichtungen die gleichen wie bei den anderen
deutschen Eisenbahnverwaltungen. Ein allgemeiner Erlass über
das Rettungswesen bei Eisenbahnunfällen besteht b(s jetzt noch
nicht, doch sind hierauf Bezug habende Vorschriften in den Fahr¬
dienstvorschriften, im Verordnungsblatte, in den Vorschriften
für den bahniirztlichen Dienst und in der Anweisung über die
Rettungskasten enthalten; von letzteren stehen auf 52 Stationen
grosse Kasten mit Tragbahre, während die kleinen Kasten in den
Zügen mitgeführt werden.
30. September 1903.
MtJENCIIENER MEDIClNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
1639
Ueber clas Rettungswesen bei den wiirttembergischen Staats-
eisenbabnen berichtet Dr. Beck- Mengen. Zurzeit 'befindet sich
dasselbe in Reorganisation und sollen die Erfahrungen des
Deutschen Bahnärztetages zur Weiterentwicklung benützt werden.
Die 10 vorhandenen Hilfswagen sind mit Rettungskästen und
Tragbahren ausgerüstet; ausserdem sind vorhanden 17 verdeckte
und 47 nicht verdeckte Tragbahren und 14 Krankenfahrsessel.
Grosse Rettungskästen finden sich auf 91 Stationen, kleine Ret¬
tungskästen auf 205 Stationen. Mit kleinen Rettungskästen werden
auch sämtliche Züge ausgerüstet. Die Rettungskästen, welche
sehr einfach und praktisch gestaltet sind, stehen zur Besichtigung
im Saale.
Namentlich der neue preussische Rettungs¬
wagen wurde eingehend besichtigt u n d f a n d,
abgesehen von einigen 1 e i c li t abzu ander n d e n
Ausstellungen, die ungeteilte Anerkennung-
aller sachverständigen Beschauer.
Es folgte noch die Demonstration eines Apparates zur Des¬
infektion der Eisenbahnwagen von Dr. Hellmann - Siegen.
Es handelt sich bei demselben um Desinfektion mit Formalin-
dämpfen, welche durch Eintauchen der rotglühenden Spring-
feldschen Kugelketten in Formalinlösung erzeugt werden. Der
Apparat soll praktisch und nicht feuergefährlich sein und sich
namentlich zur Desinfektion der 1. und 2. Klasse-Wagen und der
Schlafwagen eignen.
Zur Nachdesinfektion empfiehlt sich Ammoniak, um die For¬
malindämpfe aus dem Raume zu entfernen.
Binnen 4 Stunden soll in einem Wagen 2. Klasse eine Ver¬
nichtung von Bakterien auch in über 1 cm Tiefe stattfinden.
Die Wirkung auf Tuberkulosebazillen ist, soweit wir zu ver¬
stehen glaubten, noch nicht sichergestellt durch Experimente;
doch scheint sie dem Vortragenden unzweifelhaft.
Der Apparat habe sich in der Praxis gut eingeführt: mehrere
Kreisärzte, Krankenhäuser, Bürgermeistereien, Garnisonslazarette,
Gefängnis-, Waisenhäuser und ähnliche Anstalten, Desinfektoren
und Fabriken wenden ihn bereits an.
An diese Demonstrationen schlossen sich Besichtigungen der
hygienischen Einrichtungen der Stadt und der Lungenheilstätte
Planegg an.
Ein von schönstem Wetter begünstigter Ausflug in die Kuf-
steiner Berge, zu welchem die Generaldirektion der bayerischen
Eisenbahnen in sehr dankenswerter Weise zwei Sonderzüge zur
Verfügung gestellt hatte, bildete den Schluss der fleissigen Tage.
IL a g e r - Magdeburg-N.
V erschiedenes.
Aspirationstrachealkatheter.
Bisher verwandte man zur Aspiration von Schleim, Frucht¬
wasser etc. aus der Trachea und den Bronchien der Neugeborenen
meist weiche Nelatonkatlieter, und zwar in der bekannten Art,
dass man den Katheter vollsaugte, ihn dann
aus der kindlichen Luftröhre herauszog und
dann entleerte. Diese Manipulation wiederholte
man so oft, als nötig. (Bei einigen Herren
Kollegen konnte ich sogar bemerken, dass sie
das Fruchtwasser durch den Katheter in ihren
eigenen Mund aspirierten und es dann aus¬
spuckten!) Statt des einfachen Katheters habe
ich mir von meinem Instrumentenmacher fol¬
genden kleinen Apparat anfertigen lassen, der
sich bereits gut bewährt hat. Derselbe ist ohne
nähere Erläuterung aus nebenstehender ver¬
kleinerter Abbildung leicht verständlich und hat
in seiner Anwendung vor dem einfachen Nela-
toukatlieter in der Hauptsache folgende Vor¬
züge:
Schleim, Fruchtwasser etc. wird in die
Glasbirne gesaugt und kommt mit dem Munde
des Arztes gar nicht in Kontakt. Man bekommt
die Menge und Beschaffenheit des Frucht¬
wassers sofort zu Gesicht. Die Einführung des
Katheters ist nur einmal nötig und dadurch
werden Verletzungen der kindlichen Tracheal-
schlcimliaut gänzlich vermieden.
Da der kleine Apparat zum Preise von M. 1.50 bis 1.80 von
jedem Instrumentenmacher leicht hergestellt werden kann, so
empfehle ich jedem der Herren Kollegen, einen Versuch damit zu
machen. Uebrigens lässt sich der Apparat, der nur aus Glas und
Gummi hergestellt ist, leicht auseinandernehmen und sterilisieren.
Dr. F. Eichler.
Tberapeutische Notizen.
Für die Behandlung der Zuckerharn rühr gibt
E i c h h o r s t - Zürich folgende Vorschriften (Ther. Mon. -Hefte
1902, 9): Das Geheimnis der Behandlung ist die Nahrung. Arz¬
neien sind zu verwerfen. Trinkkuren in Karlsbad und Neuenahr
sind zweifellos, wohl wegen der dabei eingehaltenen strengen Diät,
von gewisser Bedeutung. Die Grundsätze der Diät sind: Ver¬
meidung von Zucker und Kohlehydraten, dafür Ernährung mit
Fett und Eiweisstoffen. Zum Ersatz des Zuckers dient das Sac¬
charin in Tablettenform, als Brotersatz ist am meisten das Graham¬
brot zu empfehlen. Zum Ersatz des unverbraucht abgehenden
Zuckers sind Fette am empfehlenswertesten: Butter, Schmalz,
Speck, Saline, fette Fleischsorten, fette Schinken, fetter Käse,
frischer und geräucherter Lachs, fette Saucen, fette Blutwurst,
reine Oele an den Speisen.
Die Entziehung des Zuckers und der Kohlehydrate soll lang¬
sam erfolgen. Sinkt das Körpergewicht bei der Entziehung be¬
trächtlich, dann soll man lieber kleine Mengen Brot gestatten.
Als Getränk ist frisches Quellwasser, mit Milch- oder Zitronen¬
säure versetzt, das empfehlenswerteste. Alkoholica sind zu
meiden, Kaffee und Thee nur verdünnt zu gemessen. Recht gut
ist der Genuss von unabgerahmter Milch.
Das Körpergewicht ist ständig zu kontrollieren. Auch ist der
Zuckerkranke unter ständiger ärztlicher Aufsicht zu halten. Ist
der Harn zuckerfrei geworden, so kann man geringe Brotmengen
uuter sorgfältiger Kontrolle des Urins gestatten.
Der Diabetiker ist gegen Erkältung zu schützen, wohlhabende
Kranke sind im Winter nach dem Süden zu senden. Empfehlens¬
wert sind regelmässige Vollbäder und mässige Bewegung in freier
Luft. Psychische Aufregungen sind zu vermeiden. Kr.
TagesgescMchüiche Notizen.
M ü n che n, 30. September 1902.
— Die Versamml u n g deutsche r N atu r forscher
und Aerzte in Karlsbad wählte in ihrer geschäftlichen
Sitzung für nächstes .Tahr Kassel als Versammlungsort.
— Im Anschluss an die Naturforscherversammlung fand in
Karlsbad die Hauptversammlung der Deutschen Gesell¬
schaft für Geschichte der Medizi n statt. Die Ver¬
sammlung befasste sich auch mit der Berufung Schweningers
an die Berliner Universität und nahm folgende Entschliessung an:
Die Hauptversammlung spricht über den jüngst erfolgten Lehrauf¬
trag für Geschichte der Medizin an einen in diesem Fach durch¬
aus Unbewährten ihr Bedauern aus und geht hiermit zur Tages¬
ordnung über.
— Man schreibt uns aus Brüssel: Die jährliche Versamm¬
lung der Belgischen Gesellschaft für Chirurgie ist in diesem Jahre
nicht wie sonst im Juli, sondern erst im September einberufen
worden. Der Grund dieser Terminänderung lag darin, dass die
Gesellschaft auf den Vorschlag ihres Vorsitzenden die hervor¬
ragenden Chirurgen aller Länder zur Teilnahme am Kongress
eingeladen hatte, um ihnen den Plan der G r ü n d u n g eine r
internation a 1 e u Gesellschaft für Chirurgie zu
unterbreiten. Diese Gesellschaft würde, wie der Vorsitzende der
Gesellschaft am zweiten Tage des Kongresses ausführte, das
Studium gewisser bedeutender Fragen zum Zweck haben, welche
nur durch Mitwirkung einer grossen Zahl von Fachgenossen ihrer
Lösung näher gebracht werden können, wie das Studium der Er¬
gebnisse der neuen Operationsmethoden des Karzinoms, die Prü¬
fung der verschiedenen Anästhetika. Ueber das Prinzip der Grün¬
dung selbst war man einig. Eine Diskussion fand nur statt be¬
züglich der Art und Weise der Bildung der Gesellschaft. Es
wurde ein provisorisches Komitee gewählt, in dem jedes Land
durch einen Delegierten vertreten ist. Dieses Komitee wurde be¬
auftragt, einen Statutenentwurf auszuarbeiten und für die künf¬
tige Gesellschaft Mitglieder zu werben. Das Komitee ist zu¬
sammengesetzt, wie folgt: Broca (Frankreich), Sonnenburg
(Deutschland). Reginald Harrison (England), Mac E wen
(Schottland), Gussenbauer (Oesterreich), Dollinger (Un¬
garn), Gi’ordano (Italien), Jacques Re v erd in (Schweiz),
d e J o 1 a (Spanien), Rotegans (Niederlande), Weliaminoff
(Russland), Jonnesco (Rumänien), Soubbottitsch (Ser¬
bien), Djemil-Pascha (Türkei), Bosilius (Schweden),
Bloc li (Dänemark), Roswell-Pa r k (Amerika), Charles
Willems (Belgien). — Waren auch viele Träger hervoragender
Namen erschienen, so liess doch im ganzen die quantitative Be¬
teiligung zu wünschen übrig. Aus diesem Anlass wies die Tages
presse darauf hin, dass, während aus aller Herren Länder die
Chirurgen herbeigeeilt wären, um der an sie ergangenen Ein¬
ladung zu folgen, hier es scheine, als ob diejenigen, welche durch
ihre Abwesenheit geglänzt, nicht einige Stunden freier Zeit finden
konnten, um an dem Kongress teilzunehmen. Einige belgische
Gelehrte beklagten sich darüber, dass sie ausserhalb der Landes¬
grenzen so wenig gewürdigt werden. Wenn sie meinten, dass ihre
Arbeiten Wert hätten und das Ausland interessierten, sollten sie
ihre Arbeiten auch bekannt geben und sich der Mühe unterziehen,
sich mitunter in den internationalen Vereinigungen zu zeigen.
Demgegenüber macht ein hiesiger Chirurg, der selbst am Kongress
teilgenommen hat, in einer Zuschrift an eine Tageszeitung darauf
aufmerksam, dass man, um den richtigen Nutzen von einem Kon¬
gress zu haben, auf die zur Erörterung gelangenden Fragen vor¬
bereitet sein müsse, und dass die Aerzte auch zeitig zur Teilnahme
eingeladen werden müssten. Abgesehen von den Mitgliedern der
Belgischen Gesellschaft für Chirurgie wären aber die Aerzte von
der Existenz des Kongresses, der am 8. September begann, durch
ein erst vom 2. September datiertes Zirkular benachrichtigt
worden.
— Die Zeitschrift des k. statistischen Bureaus enthält seit
dem Jahre 1896 auch eine Uebersiclit über das Vorkom m e n
und die s a n i t ä t s p o 1 i z e i 1 i c h e B e h a n d 1 u ng t u b e r -
ku loser Schlachttiere in den öffentlichen
Schl a. chthöfen B a yern s. Der diesbezüglichen Darstel¬
lung für das Jahr 1901, welche sich in dem letzterschienenen Hefte
der genannten Zeitschrift findet, ist folgendes zu entnehmen: Das
Verhältnis der tuberkulös befundenen Tiere zur Gesamtzahl der
1G4Ö
No. 39.
MÜEN CIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
gcsclilacblcton Tiere, welches im Jahre 11)00 1.12 l’roz. betrug,
I eliel sich 1001 auf 1.27 l’roz., hat sonach gegen das Vorjahr eine
nicht, unbeträchtliche Steigerung erfahren; dieses Verhältnis hat
sieh überhaupt seit 1S95 stetig erhöht. Am grössten ist hierbei der
I nterschied der Zahlen für die tuberkulösen Kinder, bei welchen
das Verhältnis der kranken Tiere zur Gesamtzahl der geschlach¬
teten im Durchschnitt der Jahre 1895/1900 5,5 l’roz. betrug, im
Jahre 1901 aber auf 0,3 Proz. gewachsen ist.
Innerhalb der Gruppe des Kindviehs weisen die Kühe den
grössten Prozentsatz auf; das Verhältnis berechnete sich hier im
Durchschnitt der Jahre 1895/1900 auf 11.7 Proz. (bei steter Stei¬
gerung von Jahr zu Jahr); 1900 war dasselbe 13,0 Proz., im ver¬
gangenen Jahre aber nur 12,8 Proz., so dass also ein kleiner Rück¬
gang zu verzeichnen ist. Bei Kälbern und Schweinen betrug der
Prozentsatz 0,11 und bezw. 0,57 Proz. gegenüber 0,07 und 0,40 Proz.
im Jahre 1900 und 0,05 und bezw. 0,32 Proz. im Durchschnitt
1895/1900. Was die Verwendung der als tuberkulös befundenen
Tiere anlangt, so konnten 1901 71,4 Proz. zum bankmässigen Ver¬
kaufe freigegeben werden (07.0 l’roz. im Jahre 1900); 2,7 Proz.
mussten als ungeniessbar von der Verwendung zur Nahrung aus¬
geschlossen werden.
An Pferden wurden im Jahre 1901 in den öffentlichen
Schlachthöfen 6310 geschlachtet und untersucht; hievon wurden
nur 3 als tuberkulös befunden, von welchen eines als baukmässig
freigegeben, die beiden anderen aber als ungeniessbar vernichtet
wurden.
— Bei der N e u o r d n u n g des Iv r a n k e n k a s s en¬
ges et zes ist ein Hauptpunkt die Verlängerung der Mindest¬
dauer der Unterstützung in Krankheitsfällen von 13 auf
20 Wochen. Wie die „Nat.-lib. Korr.“ mitteilt, haben sich alle
Einzelregierungen mit dieser Verdoppelung der Unterstützungs¬
dauer einverstanden erklärt. Wenn dieselbe Gesetz wird, so würde
dadurch eine Revision der ärztlichen Verträge mit den Kranken¬
kassen nötig, da die Verlängerung der Unterstützungsdauer eine
bedeutende Mehrleistung seitens der Aerzte zur Folge haben wird.
- Die von dem Kuratorium der Flückiger-Stiftung für Ver¬
dienste um die Pharmazie zu verleihende Flächiger-
Medaille ist dem Professor für pharmazeutische Chemie au
der I niversität Marburg Pr. Ernst Schmidt zuerkannt worden.
— Cholera. Deutsches Reich. Kiautscliougebiet. - Seit
Mitte August sind in der Umgebung von Tsingtau unter der
chinesischen Bevölkerung täglich mehrere Todesfälle an der
Cholera vorgekommen: auch unter den Europäern sind mehrere
der Krankheit erlegen. Nach den letzten Mitteilungen ist die
Seuche im Abnehmen begriffen. — Türkei. In Hodeüla (Prov.
Yemen) wurden zufolge einer Drahtnachricht vom 10. September
4 Cholerafälle festgestellt, von denen 2 tötlieh geendet hatten. —
Aegypten. Nach einem Berichte des Generaldirektors des ägyp¬
tischen Gesundheitswesens hat die Choleraepidemie während der
am S. September abgelaufenen Woche noch zugenommen. Am
Ende dieser Woche waren 1168 Orte verseucht, darunter die für
die Schifffahrt wichtigen Plätze Alexandrien, Rosette, Damiette,
Port Said und Ismailia. Es kamen während der Woche 7758 neue
Erkrankungen (und 6332 Todesfälle) an der Cholera zur Anzeige,
d. i. 3883 (3442) mehr als im Laufe der Vorwoche. Von den 6332
Choleratodesfällen der letzten Berichtswoche entfielen nur 2863
auf die Spitäler, 3469 Choleraleichen wurden ausserhalb derselben
nachgewiesen; in Behandlung befanden sich am Ende der Woche
2161 Cholerakranke. Während der folgenden 4 Tage bis zum
12. September kamen nacheinander: 1645 (1361), 1108 (12S2), 1380
(1183), 1348 (1201) Erkrankungen (bezw. Todesfälle) zur An¬
meldung, was auf ein allmähliches Nachlassen der Seuche
schliessen lässt. In Alexandrien sind während der Berichtswoche
133 neue Fälle von Cholera festgestellt; während der nächsten
5 Tage gelangten dort nacheinander 43 (35), 41 (28), 52 (28), 42 (28),
46 (35), zusammen 224 Erkrankungen (und 154 Todesfälle) zur An¬
meldung. Es ist aufgefallen, dass in Alexandrien vergleichsweise
viel Europäer von der Seuche ergriffen werden; allerdings bilden
die Mehrzahl Griechen und Italiener der unteren Klassen, immer¬
hin sind auch eine grössere Anzahl österreichischer Dienstboten
und verschiedene Personen aus den besser stehenden Kreisen
erkrankt und gestorben.
— Pest. Russland. Zufolge einer Bekanntmachung im Re
gierungsanzeiger vom 17. September sind in Odessa am 11., 12.
und 13. September noch weitere 6 pestverdächtige Erkrankungen
beobachtet. — Türkei. Am 15. September ist zu Konstantinopel
im Hafenquartier von Stambul 1 Fall von Pest festgestellt worden.
— Aegypten. In der Woche vom 5. bis 12. September sind 2 Er¬
krankungen und 1 Todesfall an der Pest, und zwar in Alexandrien,
festgestellt. — Britisck-Ostindien. In der Präsidentschaft Bombay
sind während der am 30. August abgelaufenen Woche 5268 neue
Erkrankungen (und 3789 Todesfälle) an der Pest zur Anzeige ge¬
langt, darunter 48 (44) in der Stadt Bombay und 4 (3) in Stadt
und Hafen von Karachi. Im Vergleich zu den für die beiden ersten
Augustwochen veröffentlichten Ausweisen hat darnach die' Pest
wieder erheblich zugenommen. — Hongkong. In der Zeit vom
6. Juli bis 9. August sind nach den amtlich eingegaugenen An¬
zeigen 118 Chinesen, 3 Indier, 1 Japaner, 5 Europäer, im ganzen
127 Personen an der Pest erkrankt und 120 daran gestorben. —
Vereinigte Staaten von Amerika. Aus San Franzisko sind auch
am 18. und 21. Juli, sowie am 7. und am 17. August je 1 Er¬
krankung und je 1 Todesfall an der Pest gemeldet. Innerhalb
der Zeit vom 13. Juli bis 17. August kamen daselbst also 7 tödlich
verlaufene Pestfälle zur Beobachtung.
— In der 37. Jahreswoche, vom 7. bis 13. September 1902,
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Liegnitz mit 31,6, die geringste Charlottenburg mit
Verlag von J. F. Lehmann in München. —
<8.0 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Kiel, Mül¬
heim a. d. K.; an Diphtherie und Krupp in Bromberg.
V. (i. K. G.-A.
(II o c li s c h u lnach rieht e n.)
Berlin. Als Nachfolger Virehows wurde Geheimrat
Prof. Dr. O r t h - Göttingen berufen. — Neueren aus Wien
stammenden Zeitungsnachrichten zufolge soll Prof. v. Jaksch-
I’rag als Nachfolger Gerhardts an erster Stelle vorgeschlagen
sein.
L e i p z i g. Als Nachfolger des nach Wien berufenen Pro¬
fessors Riehl wurde Dr. Rille in Innsbruck zum Professor
für Hautkrankheiten in Leipzig ernannt.
Graz. Der Grazer Psychiater, ordentlicher Professor Dr.
Gabriel Anton, der als Nachfolger des Professors Dr. Julius
Wagner Ritter v. Jauregg zum Leiter der zweiten psychia¬
trischen Klinik in Wien ausersehen war, verbleibt an der Grazer
Universität, da beschlossen wurde, die zweite psychiatrische
Klinik in Wien aufzulösen. Prof. Wagner Ritter v. Jauregg
übernahm bekanntlich die nach dem in den Ruhestand getretenen
Professor Frhrn. v. K r afft-Ebing freigewordene erste psy¬
chiatrische Klinik.
W i e n. Der Vorstand der Klinik für Hautkrankheiten,
ordentlicher Professor Hofrat Dr. Isidor Neu mann, der die
Altersgrenze erreicht hat, tritt nach Absolvierung des Ehrenjahres
in den Ruhestand. Sein Nachfolger wird der ausserordentliche
Professor an dieser Universität Dr. med. Franz Mraeek.
(T o d e s f ä 1 1 e.)
In Hannover starb, 92 Jahre alt, Karl Ewald Hasse, vor¬
mals ordentlicher Professor der inneren Medizin und Direktor
der medizinischen Klinik in Göttingen. Das Bild des jetzt Ver¬
storbenen und eine Skizze seiner schon damals abgeschlossenen
Lebensarbeit ans der Feder Geh. -Rat v. Ziems seng brachten
wir in No. 11, 1897.
(B o r i c h t i g u n g.) In der Arbeit: v. H ö s s 1 i n: „Zum
Nachweis der Simulation bei Hysterischen und Unfallskranken“
in No. 37 d. Woehensehr, sind irrtümlich die Figuren 1 und 2 ver¬
tauscht. Da es ausserdem wünschenswert schien, den Figuren
eine besondere Erläuterung beizufügen, so legen wir der heutigen
Nummer einen Neudruck derselben auf gummiertem Papier bei,
den wir als Tektur an der betr. Stelle zu verwenden bitten.
Personalnachrichten.
(Bayer n.)
Erledigt: Die Bezirksarztesstellen I. Klasse in Neu¬
stadt a. W.-N., Garmiseli und Starnberg. Bewerber um dieselben
haben ihre vorscliriftsmüssig belegten Gesuche bei der ihnen Vor¬
gesetzten k. Regierung, Kammer des Innern, bis zum 12. Oktober
1. .1. einzureichen.
Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Johannes Hoerrner in
Blieskastel zum Bezirksarzt I. Klasse in St. Ingbert und der prakt.
Arzt Dr. Karl S p i e s in Wolfstein zum Bezirksarzt I. Klasse
in Dürkheim.
Genehmigt wurde, dass an Stelle des zum Hausarzt beim
Zellengefängnis Nürnberg ernannten Hofrates Dr. Friedrich
Schillin g der prakt. Arzt Dr. Eduard R o e 1 i g in Nürnberg
zum Mitglied des Aufsichtsrates für das Zellengefängnis Nürnberg
gewählt wird.
In den dauernden Ruhestand versetzt: Der im zeitlichen
Ruhestand befindliche Hausarzt bei der Strafanstalt und dem
Arbeitshause Kaiserslautern, Bezirksarzt I. Klasse Dr. Karl
K o 1 b, wegen Krankheit unter huldvollster Anerkennung
seiner mit Treue und Eifer geleisteten Dienste.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München
in der 37. Jahreswoche vom 7. bis 13. September 1902.
Beteiligte Aerzte 114. — Brechdurchfall 34 (38*), Diphtherie u.
Krupp 7 (8), Erysipelas 6 (6), Intermittens, Neuralgia interm.
(~): Kindbettfieber — ( — ), Meningitis cerebrospin. 1 (1),
Morbilli 11 (13), Ophthalmo-Blennorrhoe neonat. — (2), Parotitis
epidem. 1 (1), Pneumonia crouposa 2 (2), Pyämie, Septikämie
1 (-), Rheumatismus art. ac. 18 (6), Ruhr (Dysenteria) 1 (— ),
Scarlatina 4 (4), Tussis convulsiva 30 (36), Typhus abdominalis 3
( )> V aricellen 2 (3), Variola, Variolois — (— ), Influenza — ( — ).
Summa 121 (120). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 37. Jahreswoche vom 7. bis 13. September 1902.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern — (1*) Scharlach 1 (— ) Diphtherie
u Krupp — (2), Rotlauf — ( — ), Kindbettfieber — (1), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. vv.) — (l), Brechdurchfall 13(19), Unterleib-Typhus 1
( — ), Keuchhusten 3 (5), Kruppöse Lungenentzündung 5 ( — ), Tuber¬
kulose a) der Lunge 14 (20), b) der übrigen Organe 6 (6), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
2 (1), Unglücksfälle 5 (5), Selbstmord 1 (2), Tod durch fremde
Hand — (— ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 210 (223), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 21,6 (22,9), für die
über dem 1, Lebensjahr stehende Bevölkerung 9,7 (11,5).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Pruck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdrucken A.G., München.
Die Münch. Med. Wochensehr, erscheint wdchenti.
In Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen.
Preis in Deutschi, n Oest. -Ungarn vierteljahrl. 6 JL,
ins Ausland 8.— Jt. Einzelne No. 80 q.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressiren: Für die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Angarer, Cii. Bäumler, 0. Bollinger, H. Curschmann, W .§». Leube, G. Merkel,
München Freiburg i. B. München. Leipzig. Würzburg. Nürnberg.
J. v. Michel,
Berlin.
F. Penzoldt,
Erlangen.
H. v. Ranke,
München.
F. v. Winckel,
München.
No. 40. 7. Oktober 1902,
Kedaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Die Diagnose der Neurasthenie.*)
Von Prof. Kraepelin in Heidelberg.
Unter den zahlreichen neuen Krankheiten, mit denen uns die
ärztliche Forschung alljährlich zu beschenken pflegt, ist kaum
eine %o rasch volkstümlich geworden wie das von Beard im Jahre
1880 zuerst umgrenzte Bild der Neurasthenie. Die lebhafte Zu¬
stimmung, mit welcher der Begriff der „Nervenschwäche“ überall
aufgenommen wurde, bewies unwiderleglich, dass seine Auf¬
stellung einem weitverbreiteten klinischen Bedürfnisse entsprach.
Die Neurasthenie ist seit jener Zeit geradezu eine Art Mode¬
krankheit geworden, welche unseren Sanatorien und Nervenheil¬
anstalten die Hauptmasse des Zuflusses liefert. Diese rasche
Entwicklung des neuen Krankheitsbildes musste naturgemäss die
Gefahr einer übermässigen Ausdehnung desselben mit sich
bringen. Die Diagnose der Neurasthenie ist so bequem und so
zeitgemäss zugleich, dass sie bald genug zur Sammelbezeichnung
der verschiedenartigsten Zustände wurde. Sie hat heute
ihre Eindeutigkeit nicht nur im ätiologischen und klinischen
Sinne, sondern namentlich auch hinsichtlich der Prognose und
Behandlung vollständig verloren, soweit davon überhaupt je die
Rede sein konnte. Unter diesen Umständen ist es nützlich, von
Zeit zu Zeit immer wieder die Krankheitsbilder zu sichten, die
einträchtiglich unter dem breiten Dache der Neurasthenie zu¬
sammenwohnen.
Bei dieser Arbeit sind zunächst die eigentlichen Fehl¬
diagnosen auszuscheiden, «die Verwechslungen der Neurasthenie
mit anderen, äusserlich ähnlichen, aber sonst ganz andersartigen,
gut gekennzeichneten Krankheitsbildern. Dahin gehört nament¬
lich die progressive Paralyse. Die Erscheinungen der
erhöhten Ermüdbarkeit, Zerstreutheit, Arbeitsunlust, gesteigerten
gemütlichen Reizbarkeit, im Verein mit den Klagen über Kopf¬
druck, Schwächegefüld, Schlaflosigkeit, Schwindel verführen
öfters zur Annahme einer Neurasthenie, wo es sich in Wirk¬
lichkeit um den Beginn einer fortschreitenden Gehirnlähmung
handelt. Daraus ergibt sich dann die unerwünschte Folge, dass
der Kranke nicht genügend beaufsichtigt wird, sich und die
Seinigen schwer schädigen und seine Umgebung durch das un¬
erwartete Auftreten stürmischer Störungen überraschen kann,
die unter Umständen geradezu durch die Behandlung (ein¬
greifende Kaltwasserkuren, anstrengende Reisen u. dgl.) hervor¬
gerufen werden. Dass in derartigen Fällen der Nachweis körper¬
licher Zeichen, namentlich von Silbenstolpern oder paretischen
Sprachstörungen, reflektorischer Pupillenstarre, leichteren oder
schwereren Anfällen mit Andeutungen von Aphasie ohne wei¬
teres auf den richtigen Weg führt, bedarf keiner weiteren Aus¬
führung. Steigerung der Sehnenreflexe hat sehr wenig Beweis¬
kraft, viel mehr ihr Fehlen; auch einfaches Zittern der Zunge
oder der Finger oder Ungleichheit der Pupillen ist diagnostisch
nicht zu verwerten. Wichtig ist dagegen das Auftreten des
Leidens ohne genügenden äusseren Anlass, das Lebensalter und
Geschlecht des Kranken, bis zu einem gewissen Grade auch der
Nachweis früherer Lues. Auf psychischem Gebiete ist nament¬
lich zu beachten, dass der Paralytiker allerlei Krankheitszeichen
*) Nach einem Vorträge auf dem Mittelrheinischen Aerzte-
tage in Soden.
No. 40.
darzubieten pflegt, die er selbst kaum bemerkt (Gedächtnis¬
schwäche, Beeinflussbarkeit der Stimmung, Lenksamkeit), wäh¬
rend bei der Neurasthenie die nachweisbaren Störungen regel¬
mässig weit geringer sind, als die lebhaft vorgebrachten Klagen
darüber.
Recht schwierig kann sich auch die Abgrenzung der Neur¬
asthenie von jenen Formen der Verblödung gestalten, die wir
heute vorläufig in der Bezeichnung „D ementia praecox“
zusammenfassen. Besonders die im jugendlichen Alter langsam
unter dem Bilde der Hebeplirenie verlaufenden Fälle werden nicht
selten jahrelang als Neurasthenien betrachtet und behandelt.
Dazu verführt das Versagen der Arbeitskraft, das Auftreten von
hypochondrischen Beschwerden, die vielfach betriebene Mastur¬
bation, die gelegentlichen Heftigkeitsausbrüche. Die Kranken
werden dann, bisweilen unter den grössten Geldopfern, -von einem
Kurort in den anderen geschickt, mit Wasser, Elektrizität,
Hypnose, unter Umständen auch mit Kastration behandelt, um
trotzdem langsam, aber sicher immer mehr zu verblöden. In
solchen Fällen ist von der grössten Bedeutung die Erkennung
des eigenartigen Schwachsinns. Er ist gekenn¬
zeichnet durch Urteilsschwäche, die sich oft in abenteuerlicher
Gestaltung der hypochondrischen Vorstellungen zeigt, Gedanken¬
armut, Verlust der geistigen Regsamkeit, des Beschäftigungs¬
bedürfnisses, gemütliche Stumpfheit auch bei Lebhaftigkeit
der Ausdrucksbewegungen und Klagen, grundloses Lachen, läp¬
pisches, kindisches Wesen; dazu gesellen sich meist im Laufe
der Zeit noch einzelne Zeichen von Befehlsautomatie, Manieriert¬
heit, Negativismus oder Stereotypie. Auch das jugendliche
Alter und die Entstehung des Leidens ohne ausreichenden An¬
lass werden die Erkennung desselben erleichtern können, doch
gibt es auch einzelne Fälle schleichender, nichtparalytischer Ver¬
blödung in mittlerem Alter, und andrerseits wird von den An-
| gehörigen nicht selten irgend eine äussere Ursache zur Er¬
klärung des unbegreiflichen geistigen Rückganges herangezogen,
deren Belanglosigkeit erst bei der richtigen Deutung des Krank-
heitsbildes klar wird.
Eine letzte grosse Krankheitsgruppe, deren Zustandsbilder
vielfach zur Verwechslung mit Neurasthenie Anlass geben, ist
das manisch-depressive oder zirkuläre Irre¬
sein. Es ist namentlich von H ecker mit vollem Rechte be¬
tont worden, dass die ganz leichten Formen des genannten
Leidens, die niemals in die Hände des Irrenarztes gelangen,
überaus häufig sind. Von diesen sind es die Depressionszustände,
welche auf das täuschendste das Bild der Neurasthenie darbieten
können. Die Kranken klagen über Abgeschlagenheit, Arbeits¬
unfähigkeit, trübe Stimmung, hypochondrische Befürchtungen,
Kopfdruck, allerlei unangenehme Empfindungen, Schwere in den
Gliedern, Schlaflosigkeit bei dauernder Müdigkeit. Oft wissen
sie auch irgend einen Anlass anzugeben, der diese Störungen
hervorgerufen hat. Die ärztlichen Verordnungen bleiben hier
regelmässig so lange wirkungslos, bis die Verstimmung von selbst
schwindet, oft unter Uebergang in erhöhtes Wohlbefinden. Der
Arzt, die Sommerfrische oder die Kur, unter deren Einwirkung
sich diese Wandlung vollzieht, gemessen natürlich von da ab be¬
sonderes Vertrauen, das sich wegen des einleuchtenden Erfolges
auch der weiteren Umgebung mitteilen kann, allerdings ohne
sich späterhin selbst bei demselben Kranken wieder zu recht-
fertigen. Für die klinische Klarlegung dieser Zustände ist
MtTENCHENER MEDICTNISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
1642
namentlich die mehrfache Wiederholung derselben, sowie der
Wechsel mit Zeiten gehobener Stimmung zu beachten, auch wenn
für die einzelnen Abschnitte der Krankheit anscheinend sehr
verständliche äussere Ursachen angegeben werden. Sodann ist
wichtig die verhältnismässig rasche Entwicklung des Zustandes,
das Vorherrschen der gemütlichen Verstimmung, das Gefühl der
inneren Oede und Leere, die Entschlussunfähigkeit, die dem
Kranken trotz guten "Willens jede Tätigkeit nur mit dem Auf¬
gebot seiner ganzen Willenskraft ermöglicht. Endlich pflegt bei
diesen Kranken der Lebensüberdruss verhältnismässig stark in
den Vordergrund zu treten. Gerade darum ist die Erkennung
solcher Zustände wichtig, weil hier weit leichter als bei Neur¬
asthenikern plötzliche Selbstmorde Vorkommen.
Wenn wir die hier kurz berührten wichtigsten Fehldiagnosen
ausschliessen, so bleibt im Rahmen der Neurasthenie noch eine
ganze Anzahl von verschiedenartigen Zuständen übrig, die
schlechterdings keine einheitliche Zusammenfassung gestatten.
Die ursprüngliche und noch heute verbreitetste. Anschauung be¬
trachtet die Neurasthenie als den Ausdruck einer chro¬
nischen Erschöpfung des Nervensystems.
Möbius sieht in ihr die Folge einer Dauervergiftung durch
die bei der Arbeit erzeugten Ermüdungsstoffe. Es ist nicht un¬
wahrscheinlich, dass diese Auffassung für eine gewisse Gruppe
von Fällen ungefähr zutrifft. Allerdings wird man annehmen
dürfen, dass im allgemeinen die körperliche wie die geistige Er¬
müdung einfach eine fortschreitende Herabsetzung der Leistungs¬
fähigkeit erzeugt, welche zum Ausruhen drängt und damit den
Ausgleich der Störung bewirkt. Wir sind indessen oft genötigt,
auch dann noch mit Aufbietung aller Kräfte fortzuarbeiten, wenn
die Ermüdungszeichen schon sehr deutlich entwickelt sind. Das
gelingt uns auch, aber nur mit Hilfe einer gewissen Erregung,
welche das Gefühl der Müdigkeit verscheucht, damit aber auch
die Bedingungen für die Erholung, namentlich die Dauer und
Tiefe des Schlafes, beeinträchtigt. Dieser Vorgang vollzieht
sich natürlich am leichtesten bei solcher Tätigkeit, die mit leb¬
haften Gemütsbewegungen verknüpft ist, weil diese letzteren
vor allem im stände sind, das Müdigkeitsgefühl und die Schläf¬
rigkeit zu beseitigen. Während somit die ruhige, regelmässige
Tätigkeit des Gelehrten, auch wenn sie eine anstrengende ist,
die Gefahr einer Dauerermüdung nur in geringem Grade in sich
schliesst, sehen wir bei allen denjenigen Berufsarten, die mit
besonderer Verantwortung und starker gemütlicher Beun¬
ruhigung verknüpft sind, häufig genug einen unvollkommenen
Ausgleich der Arbeitsschädigung und damit das Krankheitsbild
der nervösen Erschöpfung auftreten. Dasselbe ist bekanntlich
gekennzeichnet durch wachsende Arbeitsunlust, Steigerung der
Ermüdbarkeit, Schlafstörung, erhöhte gemütliche Reizbarkeit,
Verstimmung mit Krankheitsgefühl und oft auch hypochondri¬
schen Befürchtungen, die sich besonders an allerlei unangenehme
Empfindungen im Kopfe und im Körper anzuschliessen pflegen.
Dieses Krankheitsbild, das in seinen ausgeprägteren Formen
auch mit Llcrabsetzung der Esslust, Abnahme des Körpergewichts,
Störungen der Verdauung und Blutbereitung einhergehen kann,
lässt sich stets auf greifbare Schädlichkeiten in den Lebensver¬
hältnissen des Kranken zurückführen. Wenn es nicht berufliche
Ueberanstrengungen sind, wie bei Krankenpflegerinnen, Aerzten,
Lehrern, Fabrikleitern, können Schädigungen mehr zufälliger
Art eine Rolle spielen, Sorgen, schwere Krankheit der Ange¬
hörigen, unglückliche und aufreibende Familien Verhältnisse, Aus¬
schweifungen u. s. f. Auch körperliche Erschöpfung, wie sie
z. B. durch Sportleistungen bedingt sein kann, ist hier zu nennen.
Ueberall aber machen wir die Erfahrung, dass die Störungen
binnen verhältnismässig kurzer Zeit schwinden, wenn es möglich
ist, die Ursachen zu beseitigen, vor allem Ruhe und Erholung
zu verschaffen. Der Erfolg einer solchen Behandlung, die nur
die günstigen Bedingungen für den Ausgleich der Dauer¬
ermüdung herbeiführt, kann geradezu als ein Prüfstein dafür
angesehen werden, ob es sich wirklich um eine einfache nervöse
Erschöpfung gehandelt hat oder nicht. Dabei ist natürlich
vorausgesetzt, dass keine körperlichen Leiden bestehen, die eine
Erholung unmöglich machen.
Eine gewisse Verwandtschaft mit diesem Krankhcitsbilde
bieten diejenigen Störungen des Nervensystems dar, welche nicht
durch Ermüdung, sondern durch die Dauerwirkung
anderweitiger körperlicher Schädlichkeiten
erzeugt werden. Wenn es richtig ist, dass wir es bei der Er¬
i
müdung mit der Anhäufung von giftigen Erzeugnissen des
Stoffwechsels in den Körpergeweben zu tun haben, so werden
wir ohne weiteres begreifen, dass auch andere Gifte ähnliche Er¬
scheinungen herbeiführen können. So spricht man bisweilen von
einer Neurasthenie der Trinker oder Morphinisten. Man wird
indessen gut tun, dabei immer im Auge zu behalten, dass die
Ucbereinstimmung mancher Krankheitszeichen hier doch nur
eine rein äusserliche ist, da ihnen in Wirklichkeit ursächlich
und prognostisch völlig verschiedene Vorgänge zu Grunde liegen.
Weit mehr Berechtigung hat die Bezeichnung der Neurasthenie
für die nervösen Schwächezustände nach erschöpfenden
Krankheiten, bei anämischen Zuständen und Kachexien
aller Art, nach schweren Wochenbetten. Wir werden uns ja wohl
vorzustellen haben, dass die Schädigung des Nervengewebes in
allen diesen Fällen mit derjenigen bei der Erschöpfung Aehnlich-
keit besitzt. Hier wie dort dürfte es sich um ungenügenden Er¬
satz verbrauchter und zerstörter Gewebsteile, sowie um mangel¬
hafte Ausscheidung giftig wirkender Zerfallsstoffe handeln.
Allein es lässt sich nicht verkennen, dass die Einzelheiten des
Krankheitsbildes und namentlich des weiteren Verlaufes, je nach
der Art der zu Grunde liegenden Schädigung, sehr wesentlich von
einander abweichen müssen. Der Gesamtzustand eines sonst ge¬
sunden Menschen, der durch eine aufreibende Tätigkeit erschöpft
wurde, ist eben doch ein ganz anderer, als etwa der eines Typhus¬
rekonvaleszenten oder einer Wöchnerin. Soll daher die Neur¬
asthenie eine wirkliche Krankheit und nicht nur eine Gruppe
von Krankheitszeichen bedeuten, so werden wir diesen Namen
nicht unterschiedslos für die selbständige Schädigung des
Nervengewebes durch seine eigene Tätigkeit und für die Begleit¬
erscheinungen der verschiedensten Krankheitsvorgänge in an¬
deren Teilen des Körpers gebrauchen dürfen. Ich brauche hier
nur daran zu erinnern, dass manche Schädigungen des Nerven¬
systems durch den Typhus oder schwere Blutentmischungen sich
überhaupt nicht ausgleichen, da entweder die Zerstörung zu tief
oder die Ursachen nicht zu beseitigen sind. Allerdings kann es
Vorkommen, dass sich die Wirkung verschiedener Schädlichkeiten
mit einander verbindet, wenn z. B. eine Wöchnerin die auf¬
reibende Pflege des erkrankten Kindes zu übernehmen hat oder
ein Phthisiker über das Mass seiner Kräfte hinaus angestrengt
wird. Allein wenn es in solchen Fällen auch nicht möglich ist,
die Erschöpfung von der Schädigung durch andere Ursachen
zu trennen, so sollten darum die Grundbegriffe doch nicht zu¬
sammengeworfen werden. Halten wir doch auch Tabes und
Alkoholneuritis scharf auseinander, obgleich wir bei einer ge¬
legentlichen Verbindung derselben ausser stände sein können,
die beiden Erkrankungen gemeinsamen Zeichen mit Sicherheit
zu verteilen.
Eine ganz besondere Stellung nehmen in der Frage der
Neurasthenie jene Krankheitsbilder ein, die aus lebhaften
Gemütserschütterungen hervorgehen. Es liegt auf
der Hand, dass hier einerseits eine scharfe Grenze gegen die ein¬
fache nervöse Erschöpfung kaum zu ziehen sein wird. Auch dort
hatten wir in der gemütlichen Erregung mit ihren üblen Folgen
für Schlaf, Ruhe und Ernährung vielleicht das wichtigste Glied
der Krankheitsentwicklung gefunden. Andererseits aber ist es
unverkennbar, dass die nervösen Folgezustände einfacher Ge¬
mütserschütterungen ohne gleichzeitige Ueberanstrengung eine
Reihe von besonderen Zügen aufweisen. Zunächst möchte ich
hier jener merkwürdigen Störungen gedenken, die man vielleicht
am besten unter dem Namen der „Residualneurosen“ zusammen¬
fassen könnte. Es handelt sich dabei um Lähmungserschei¬
nungen, Krampfformen, Schmerzen oder Schlafstörungen, die
als Ueberbleibsel eines längst beseitigten, bisweilen sehr un¬
bedeutenden Leidens dauernd Zurückbleiben und unter Um¬
ständen äusserst quälend werden können. Gemeinsam ist diesen
Störungen, die gewöhnlich als neurasthenische oder hysterische
betrachtet werden, das Fehlen eines erklärenden körperlichen
Befundes, die geringe Beeinflussbarkeit durch die verschiedensten
Behandlungshilfsmittel, das langsame- Fortschreiten im Laufe
der Jahre, endlich die schnelle und meist endgültige Beseitigung
durch ein Suggestivverfahren, insbesondere die Hypnose. Ge¬
rade diese letztere, oft ungemein verblüffende Erfahrung zeigt
uns den Weg zur Deutung der Krankheitsbilder. Offenbar handelt
es sich um die Wirkung ängstlicher Vorstellungen, die aus dem
ursprünglichen Anlasse hervorgewachsen und nach Beseitigung
dieses letzteren selbständig geworden sind. Die Schmerzen nach
7. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISC LIE WOCHENSCHRIFT.
einer örtlichen Entzündung, die Schwäche nach einer Ueber-
anstrengung, die durch eine Gemütsbewegung bedingte Schlaf¬
losigkeit wollen nicht weichen, auch nachdem die Ursachen längst
alle Wirkung verloren haben. Ihre Entstehung aus der pein¬
lichen, auf ein gewisses Gebiet, gerichteten Aufmerksamkeit,
aus der ängstlichen Erwartung, dem Schonungsbedürfnisse
verraten diese Störungen in der Regel dadurch, dass sie sich an
bestimmte Leistungen anknüpfen. Hie Schwäche tritt beim
Gehen ein, die Schmerzen in den Augen beim Lesen, ausfahrende
Bewegungen beim Schreiben u. s. f. Man erkennt dabei meist
sehr bald aus der Geringfügigkeit der Anlässe und aus der sehr
bedeutenden, aber eng umgrenzten Herabsetzung der Leistungs¬
fähigkeit den psychischen Ursprung der Störung, der dann in
dem Erfolge der psychischen Behandlung seine Bestätigung
findet.
Eine zweite Gruppe der durch Gemütserschütterungen aus-
gelösten psychischen Störungen bilden die Schreckneu¬
rosen, die man zum Teil wohl auch als traumatische Neur¬
asthenie bezeichnet hat. Sie unterscheiden sich von der vorigen
Gruppe durch die mehr plötzliche Entstehung, durch das Auf¬
treten einer ausgeprägten Veränderung der gesamten Ge¬
müts läge mit den daran sich knüpfenden Folgezuständen,
ferner durch ihre weit ungünstigere Prognose und ihre geringe
Zugänglichkeit gegenüber der Suggestivbehandlung. In den
schweren Fällen entwickelt sich hier ein wirkliches Siechtum, das
schon vielfach den Gedanken an gröbere Schädigungen des
Nervengewebes nahe gelegt hat. Jedenfalls sind diese Zustände
von der Neurasthenie vollkommen abzutrennen. Im einzelnen
Falle wird man nicht nur durch die Entstehungsweise des Lei¬
dens, sondern auch durch das lebhafte Hervortreten des hypo¬
chondrischen Krankheitsgefühls und die unverhältnissmässig
starke Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit auf die Ab¬
grenzung von der nervösen Erschöpfung geführt werden. Dazu
kommt aber weiterhin der ungünstige Einfluss der Untätigkeit,
die hier keine Besserung, sondern eher eine Steigerung der Be¬
schwerden bringt.
Bei der Entstehung der zuletzt genannten Neurosen spielt
mit dem äusseren Anlasse eine ungemein wichtige, wenn nicht
die Hauptrolle, die persönliche Veranlagung. Von den zahllosen
Menschen, die vorübergehend Schmerzen erleiden oder den freien
Gebrauch eines Gliedes entbehren müssen, schleppen sich nur
wenige, besonders Aengstliche und zu peinlicher Selbstbeachtung
Geneigte mit den psychischen Ueberresten des überstandenen
Leidens herum, und auch nach schweren Unfällen pflegt doch
immer nur ein Bruchteil der Betroffenen in der bekannten Weise
psychisch zu erkranken. /Die Versuchung liegt daher ungemein
nahe, alle diese Störungen einfach als Ausdruck psychopathischer
Veranlagung zu betrachten und sie in das grosse Gebiet der
hysterischen Erscheinungen zu verweisen. Es lässt sich jedoch
nicht verkennen, dass diese Einordnung nichts weniger als be¬
friedigend ist. Gerade die Mannigfaltigkeit und Launenhaftig¬
keit der Störungen, ihre Beeinflussbarkei t dujch äussere und
innere Anlässe, ihre Wiederkehr nach zeitweisem Verschwinden
fehlt den hier gekennzeichneten Leiden durchaus. Das Krank¬
heitsbild ist vielmehr ein überaus einförmiges und bietet nur
gewisse Schwankungen in der Stärke der Erscheinungen dar.
Damit soll nicht die Verwandtschaft dieser Formen mit der
Hysterie überhaupt in Abrede gestellt werden. Wir bewegen
uns hier auf dem allgemeinen Boden der psychopathischen Ver¬
anlagung, auf dem eine ganze Reihe der verschiedenartigsten
Störungen erwachsen können, die vielfach gemeinsame Züge auf¬
weisen, namentlich die Anknüpfung an gemütliche Erregungen.
Die grössere oder geringere Leichtigkeit, mit der sich lebhafte
Gemütsbewegungen entwickeln, wieder ausgleichen und Einfluss
auf Denken und Handeln gewinnen, ist sicherlich überhaupt von
der grössten Tragweite für die Gestaltung der psychischen Per¬
sönlichkeit und ihre Verarbeitung der Lebensreize. Gerade die
Neigung zu krankhaften Gefühlsbetonungen liefert uns daher
einige eigenartige Formen konstitutioneller Entartung, die meist
unter dem Namen der angeborenen N.e urasthenie der
Erschöpfungsneurose angegliedert werden.
Diese Zusammenfassung hat indessen nur insofern Berech¬
tigung, als es schwierig ist, hier eine ganz scharfe Abgrenzung
zu finden. Wenn bei der Entwicklung der Erschöpfung die ge¬
mütliche Erregung eine wesentliche Rolle spielt, insofern sie die
Steigerung der Tätigkeit über die zulässige Grenze ermöglicht
1643
und die Erholung durch Ruhe, Schlaf und Nahrungsaufnahme
beeinträchtigt, so ist es klar, dass eine angeborene Steigerung
i der gemütlichen Erregbarkeit die Ausbildung neurasthenischer
, Zustände entschieden begünstigen muss. In der Tat sehen wir
daher bei sehr erregbaren Menschen solche Störungen schon
| unter Bedingungen auf treten, die von gemütsruhigeren Naturen
j ohne nennenswerte Schädigung ertragen werden. Regelmässig
j kommt es in solchen Fällen zu einem häufigeren Wechsel zwi-
; sehen stürmischen Anläufen und plötzlichem Ermatten, zu einer
! auffallenden Unstetigkeit in der gesamten Tätigkeit, die deutlich
| zeigt, dass nicht die erhöhten Anforderungen, sondern die ver-
| minderte Widerstandsfähigkeit die eigentliche Quelle des Leidens
ist. Auch hier vollzieht sich die Erholung meist rasch, aber es
folgt sehr bald ein neues Erlahmen. Dazu pflegen sich auch
dauernd die Zeichen gesteigerter gemütlicher Erregbarkeit zu
gesellen, grosse Lebhaftigkeit der Gefühlsbetonung, rascher Stim-
I mungswechsel, Launenhaftigkeit, Neigung zu sprunghaftem Han-
| dein, LTnberechenbarkeit. Aus allen diesen Zügen ergibt sich
klar der Unterschied dieser konstitutionell bedingten Störungen
von der einfachen nervösen Erschöpfung. Allein es wird zuzu¬
geben sein, dass im einzelnen Falle alle möglichen Uebergänge
von jenen Krankheitszuständen vorhanden sein können, die durch
übermächtige Anforderungen erzeugt werden, zu denen, die ihre
Wurzel in aussergewöhnlicher Erschöpfbarkeit haben.
In einer eigenartigen Gruppe von Fällen trägt die krankhafte
Gefühlsbetonung dauernd den Stempel der Aengstlichkeit
und Bedenklichkeit. Bei diesen Kranken besteht über¬
haupt keine Herabsetzung der Leistungsfähigkeit, wohl aber
das Gefühl einer solchen, ein Mangel an Selbstvertrauen, der
sie auf Schritt und Tritt behindert, ohne dass von wirklicher
Unfähigkeit irgendwie die Rede wäre. Auch solche Kranke, die
I vor jeder Aufgabe zurückschrecken, weil sie sich ihr nicht ge¬
wachsen fühlen, werden oft als Neurastheniker bezeichnet. Man
kann sich jedoch in der Regel leicht überzeugen, dass sie unter
Umständen recht Bedeutendes leisten können, wenn durch Zu¬
spruch oder Ablenkung ihre Bedenken in den Hintergrund ge¬
rückt worden sind. Andere arbeiten im Stillen eifrig und mit
Erfolg, haben jedoch nicht den Mut, hervorzutreten. Immer aber
kennzeichnet sich die besondere Entstehungsweise ihrer Unfähig¬
keit aus krankhaften Verstimmungen durch das Versagen der
sonst leistungsfähigen Kranken gegenüber verhältnismässig sehr
einfachen Aufgaben, sobald sie irgendwie ein gewisses Hervor¬
treten erfordern. Leider pflegen diese tief in der Veranlagung
wurzelnden Störungen der Behandlung nur in sehr geringem
Grade und nur vorübergehend zugänglich zu sein; sie machen
meist im Laufe des Lebens allmähliche Fortschritte.
i
In sehr nahen Beziehungen zu diesen konstitutionellen Ver¬
stimmungen stehen endlich die bei bestimmten Anlässen mit
übermässiger Gewalt hervortretenden Befürchtungen, die sogen.
„P h o b i e n“. Auch diese Störungen, welche die mannig¬
faltigsten Formen annehmen können, wurzeln durchaus in krank¬
hafter Veranlagung und sind wesentlich unabhängig von er¬
schöpfenden Einflüssen, wenn auch durch solche Schädigungen
j gelegentlich eine Verschlimmerung der Erscheinungen herbei¬
geführt werden kann. Jedenfalls ist zu betonen, dass die Phobien
wie die konstitutionelle Kleinmütigkeit durch Ausruhen und
besondere Kuren eher schlimmer als besser zu werden pflegen,
während eine geregelte Pflichterfüllung, die der eigenen Ent-
schliessung wenig Spielraum bietet, ebenso wie Ablenkung aller
Art entschieden günstig wirkt. Allerdings kehren die alten
Leiden in der Regel rasch wieder, wenn sie nicht, wie das bis¬
weilen der Fall ist, nur Teilerscheinungen einer zirkulären Er¬
krankung darstellen.
Die lange, aber schwerlich schon vollständige Reihe von
Zuständen, die gelegentlich sämtlich mit dem Namen der Neur¬
asthenie belegt werden, beweist am zwingendsten die Notwendig
keit, den Begriff dieser Krankheit enger zu umgrenzen und im
einzelnen Falle über die besondere Bedeutung der nur äusser-
lich einander ähnlichen Bilder ins klare zu kommen. Will man
die Bezeichnung der Neurasthenie, wie es zweckmässig erscheint,
für diejenigen' Fälle aufrecht erhalten, in denen sich die Er¬
scheinungen der Dauerermüdung nach schwerer geistiger oder
körperlicher Ueberarbeitung entwickeln, so wird man aus diesem
umschriebenen Rahmen bestimmt alle andersartigen Zustände
ausschliessen müssen. Das empfiehlt sich um so mehr, als erst
durch die genaue Scheidung klinisch ganz verschiedener Krank-
1644
ivi UENCTIEN ER MEDI( ’I NISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
heitsbilder dem ärztlichen Handeln die richtigen Wege gewiesen
werden. Die Sorge für Ruhe und Ueberernährung, die bei der
Erschöpfung am Platze ist, kann bei den Phobien und der kon¬
stitutionellen Aengstlichkeit wie bei der Schreckneurose geradezu
verschlimmernd wirken. Umgekehrt wird die Ablenkung, die hier
von günstigem Einflüsse ist, dort und bei den Schwächezuständen
infolge von körperlichen Erkrankungen ganz und gar nicht an¬
gebracht sein. Dass auch die übrigen Formen, die durch Gifte
oder Ausschweifungen erzeugte Nervosität, die Residualneurose,
ihre besondere Behandlung erheischen, wurde schon betont. Wenn
wir auch von den ärztlichen Missgriffen, die durch eigentliche
Fehldiagnosen, durch die Verwechslung mit völlig anderen, gut
gekennzeichneten Krankheiten entstehen, ganz absehen, so lässt
sich kaum bezweifeln, dass die gebräuchliche Sammeldiagnose
der Neurasthenie nur allzu leicht zu einer Gleichförmigkeit der
Behandlung verführt, die unter Umständen rechten Schaden
anrichten kann. Es wird nicht selten Vorkommen, dass sogen.
Neurastheniker im Laufe der Zeit der Reihe nach mit Elek¬
trizität, Massage, Wasserbehandlung in den bekannten Formen,
unter Umständen auch mit Mastkur, Hypnose, Lichtbädern u. s. w.
behandelt werden, falls sie nicht durch Kurpfuscher noch ganz
anderen Einwirkungen ausgesetzt werden. Die Zahl unserer An¬
stalten für Nervenkranke ist in stetem Wachsen begriffen, noch
mehr aber anscheinend das Bedürfnis nach Behandlung. Wir
verfügen auch jetzt schon über eine grosse Reihe von Mitteln,
diesen Kranken zu helfen, von der körperlichen wie von der
psychischen Seite her. Gleichwohl erhebt sich immer lauter der
Ruf nach neuen Nervenheilstätten mit neuen Einrichtungen und
Heilverfahren. Ueberall steht dabei mit Recht der Grundsatz
im Vordergründe, dass die Behandlung eine „individuelle“ sein
müsse. Man denkt dabei zumeist in erster Linie an die Ver¬
schiedenheit der persönlichen Bedürfnisse und Neigungen. Noch
wichtiger aber wird, wie ich glaube, die klinische Son¬
derung der Krankheitsfälle sein. Gewöhnen wir uns
daran, die unübersehbare Schar der Neurastheniker, die Jahr
für Jahr unsere Nervenheilanstalten bevölkern, unter klinischen
Gesichtspunkten immer schärfer zu gliedern, so wird sicherlich
auch hier an die Stelle der verwirrenden Regellosigkeit mehr und
mehr eine übersichtliche Scheidung der Gestaltungsformen
treten, die es dem Arzte ermöglicht, von vornherein den
Weg vorzuzeichnen, der ihn, soweit es überall möglich, zum Ziele
führt.
Operative Behandlung gewisser Lungenerkrankungen.*)
Von Prof. Dr. G. Treupel, Assistent an der medizinischen
Klinik zu Freiburg i/B.
M. H. ! Im J ahre 1873 hat M o s 1 e r auf dem Kongresse für
innere Medizin die Lungenchirurgie inauguriert. In den fast
30 Jahren, die seitdem vergangen sind, hat dieses Gebiet teils
von inneren Medizinern — ich nenne Ihnen hier vor allem
Quincke — teils von Chirurgen mehr und mehr Beachtung
und Bearbeitung gefunden, so dass im Jahre 1891, ebenfalls auf
dem Kongresse für innere Medizin, Gluck1) bereits einen zu¬
sammenfassenden Ueberblick über die Entwicklung der Lungen¬
chirurgie von ILippokrates an bis auf unsere Zeit geben
und erklären konnte: „Die Klinik hat die Pneumektomie als
eine legitime chirurgische Methode sanktioniert“.
Wir inneren Mediziner befinden uns hier mit den Chirurgen
auf einem Felde gemeinsamer Arbeit, wo, wie ich glaube, einer
von dem anderen lernen kann und wo durch diese Zusammen-
a r beit erst die besten Erfolge erzielt werden dürften.
Auch im vergangenen Jahre sind die Fragen, welche Fälle
von Lungenerkrankungen (Lungentumoren, grosse Kavernen,
Bronchiektasien) sich überhaupt zum operativen Eingriff eignen
und wie im einzelnen Falle vorzugehen sei, auf Kongressen und
in Vereinen eifrig diskutiert worden. Und wenn hier auch im
einzelnen noch keineswegs allseitige Uebereinstimmung erzielt
worden ist, so darf man doch jetzt schon sagen, dass der innere
Mediziner häufiger, als es bisher geschehen ist, bei den genannten
Lungenerkrankungen einen etwaigen operativen Eingriff in E r -
wägung ziehen sollte. Von hier bis zur tatsächlichen Opera¬
tion bedarf es allerdings in jedem Falle einer häufigen gründ¬
i Demonstration, bestimmt für (len 22. oberrheinischen
Airztt lag zu Freiburg i/B. am 17. Juli 1902.
liehen Untersuchung, einer längeren Beobachtung des Kranken
und genauen Indikationsstellung im Verein mit dem Chirurgen.
So ist in dem Falle verfahren worden, den ich mir erlauben
möchte, Ihnen hier kurz zu demonstrieren. Es handelt sich um
einen 9 jährigen Knaben, bei dem sich seit dem 4. Lebensjahre
— vielleicht im Anschluss an eine Fremdkörperaspiration —
eine umschriebene Verdichtung nicht tuber¬
kulöser Natur und beginnende Schrumpfung
mit Bronchiektasien im linken Unterlappen
ausgebildet hatte.
Die Einzelheiten des Verlaufs, der Operation und des Ver¬
haltens nach der Operation bitte ich Sie, aus der folgenden
Krankengeschichte zu entnehmen.
O. B., Ojälir. Knabe aus einem Höllenluftkurort im Schwarz¬
wald. Eltern gesund. Die älteste Schwester des rat. (Im ganzen
10 Kinder) ist wegen nervöser Beschwerden von mir behandelt
worden. Es bestand bei ihr auch zeitweilig Verdacht auf eine be¬
ginnende rechtsseitige Lungenspitzenaffektion. Der Knabe, früher
gesund, soll im 4. Lebensjahre eine „A ehre ver¬
schluck t“ haben. Seitdem viel Hüsteln und zeitweise
bei starken Hustenanfällen reichliche Ent¬
leerung eines stark riechenden eitrigen Aus-
w u r f s. Appetit gut. Kein Fieber. Allgemeinbefinden in den
freien Zeiten gut. Ernährungszustand massig. Aussehen blass.
— Harn: E. 0, Z. 0.
Lungenbefund (24. IX. 1901): LHU an umschriebener
handtellergrosser Stelle Dämpfung und neben B.-A. knatterndes
Rasseln; sonst über beiden Lungen pueriles V.-A. 29. XI. 01 (Unter¬
suchung von Geh. -Rat Bäu ml er): Von der 7. Rippe ab¬
wärts beginnt LHU eine Dämpfung mit einem äusseren
Bezirk heller tympanitischen und einem inneren tiefer tyrnpa-
nitischen Schalles. Im Bereich der Dämpfung B.-A. mit mittel-
grossblasigem, besonders im inneren Bezirk
klingenden Rasseln. Das Zwerchfell steht links
etwas höher als normal; das Herz ist um etwa 1 yz cm
nach links verlagert.
Pat. befand sich auf meinen Rat seit November 1901 zur
eventuell operativen Inangriffnahme des Lungenherdes in der
chirurgischen Klinik. Die dort vorgenommene Röntgen-
untersuc li u n g (Dr. Pert z) hatte ein völlig negatives
Resultat. Bei unverändert gutem Allgemeinbefinden entleerte der
Pat. zeitweise unter starken Hustenanfällen ziemlich reichliche
Mengen eines nur fade riechenden eitrigen Auswurfs, der
frei von Tuberkelbazillen .war und Bacter. coli und Streptokokken
enthielt. Auch wenn man den Pat. auf den Bauch
legte, entle'erte sich alsbald nach einigen Hustenstössen
reichlich derselbe eitrige Auswurf. Im Harn
fand sich nichts Besonderes.
Geh. Hofrat Kraske schritt, nachdem wir noch mehrmals (len
Pat. gemeinsam und auch mit Geh. -Rat Bäumler untersucht
und im wesentlichen stets den gleichen Lungen¬
befund konstatiert hatten, am 22. I. 02 zunächst zur
Resektion der 9. — 7. Rippe im Bereich der Dämpfung.
Es fand sich hier eine ausgehnte Verwachsung der
Pleuren vor; mehrmalige Probepunktionen ergaben
völlig negatives Resultat. Am 4. II. 02. nachdem nichts
Neues im weiteren Verlaufe aufgetreten war. wurden nochmals
im Bereich der bereits stark retrahierteu
Lungenpartie Probepunktionen vorgenommen,
ohne Resultat. Am 13. II. 02 wurde vorsichtig mit dem
Ther m okau t*e r in der Höhe der 7. Rippe etwa 5 cm nach
aussen von der Wirbelsäule vorgegangen. Nachdem sich der
Schorf abgestossen, gelangte man (4 Tage später) mit der Sonde
in eine nach der Wirbelsäule zu gelegene Höhle, aus der
sich bei Hustenstössen Luft und Eiter ent¬
leerte n. Seitdem expektorierte Pat. nichts mehr nach oben,
sondern alles Sekret lief durch die Lungenfistel
ab. Das Allgemeinbefinden war stets gut, das blasse Aussehen
machte einer frischen blühenden Gesichtsfarbe Platz und Pat.
nahm stetig an Körpergewicht zu. Hustenanfälle traten
nicht in e h r auf. A u c h w enn man den Pat länger e
Zeit (bis zu y2 Stunde) sich auf den Bauch legen
1 i e s s, wurde nichts mehr expektoriert.
Bezüglich des genaueren Verlaufs der Operation
und der Nachbehandlung entnehme ich der von Herrn
Kollegen Oberst geführten Krankengeschichte noch folgende
Daten: 22. I. 02: In Chloroformnarkose Längschnitt 2 Finger breit
von der Wirbelsäule entfernt vom 7. — 11. Dornfortsatz, am unteren
Ende senkrecht dazu Schnitt nach aussen. Nach dem Zurück¬
schlagen des Lappens und Resektion der 3 Rippen (9.. 8. und 7.)
erscheint die verdickte und mit der Lungenpleura verwachsene
Pleura costalis. Bei der Exspiration bläht sich die
Lunge, besonders bei Hustenstössen, die jetzt
auftret en, mächtig vor; bei der Inspiration
k o 1 1 a b i e r t sie. Da die Adhäsionen der Pleuren nicht überall
solid zu sein scheinen, wird die vorliegende Lungenpartie mittels
einiger Nähte in der Wunde fixiert und die Lungenoberfläche tam-
9 Th. Gluck: Die Entwicklung der Lungenchirurgie. Ver-
liandl. d. Kongr. f. inn. Med. 1901, p. 478—492.
7. Oktober 1902.
MüENCHENER MFDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1645
poniert. Verband. Pat. klagt Abends über Schmerzen, besonders
Hustenreiz, der jedoch selten eintritt. Die Atmung ist sehr ober-
füichlich.
In den nächsten Tagen lassen die Schmerzen nach, die At¬
mung wird wieder tiefer und Pat. erholt sich rasch. Der Verband
wird wegen der starken Sekretion aus der grossen Weichteilwunde
täglich gewechselt.
29. I. Nach Entfernen des tiefen Streifens erscheint die
Lunge zurückgewichen. Pat. hat weiter nichts mehr expektoriert.
Nur wenn m a n ihn a u f den Bauch legt, hustet e r
w ieder, wie früher, einen Esslöffel voll d ü n n e n,
gelben Eiter aus. Die Wunde granuliert gut und beginnt
sieh zu verkleinern.
Mehrere Punktionen bleiben resultatlos.
9. II. Pat. steht einige Stunden auf und klagt Abends über
Schmerzen in der Wunde. Temp. Abends 39,5 bei sonsti¬
gem Wohlbefinden.
10. II. Temp. Abends 38,7. Allgemeinbefinden ungestört. An
der Wunde nichts Besonderes.
11. II. Temp. wieder zurückgegangen. Pat. hustet n u r,
wenn man ihn in Bauchlage bring t.
13. II. Mit dem Thermokauter wird ohne Narkose eine Oeff-
nung in die Lunge gebrannt. Es zischt Luft heraus. Die
Blut u ng ist sehrgering. Sch m erzen hat Tat. gar
k e i n e. Einfuhren eines Jodoformstreifens.
IG. II. Nach Entfernung des Streifens sieht man eine
schmale, mit gelbem, zähem Schleim und E i t ei¬
te i 1 w e i s e angefüllte Höhle, die sich n a c li unte n
u n d rechts (nach der Wirbelsäule zu) mit der Sonde etwa
3 cm verfolgen lässt (Bronchiektasie).
In den folgenden Tagen findet sicli ziemlich viel Schleim und
Eiter im Verband, und mit Ilustenstössen wird noch mehr heraus¬
geschleudert. Aus dem Munde kann Pat. nichts me h r
expektorieren, auch nicht in Bauchlage. Die Se¬
kretion der Lungenfistel lässt allmählich nach. Bei der Aus¬
kultation noch wenig klingende Rasselgeräusche. Die Fistel hat
die Neigung, sich zu schliessen.
7. bis 10. III. Unter leichter Temperatur Steige¬
rung entwickelt sich besonders links eine Bron¬
chitis. Die Sekretion aus der Fistel in dieser Zeit reichlicher.
Der Lungenbefu n d war am 21. III. folgender: LHU von
der 7. Rippe ab Dämpfung mit tympanitischem Beiklang. Das
Atemgeräusch ist teils verschärft vesikulär, teils bronchial. Nur
noch vereinzelte klingende Rasselgeräusche im Bereich der stark
eingezogenen vernarbenden Wunde.
Pat. konnte am 28. III. auf einige Tage nach Hause entlassen
werden.
Das Verhalten der Körpertemperat u r vom
8. I. 02 bis 17. III. 02 ist aus der beigegebenen Kurve ersichtlich.
Am 13. Eröffnung der Lunge mittels Thermokauter.
Aus dem am 10. IV. notierten Befund
ist hervorzuheben, dass das Allgemein¬
befinden des Pat. während der ganzen Zeit
gut blieb. Pat. hat 9 Pfund zugenommen.
Die Gegend der 7. bis 9. Rippe
ist stark ein gezogen, nicht
d ruckempfindlic li. Die Operations¬
wunde ist fast vernarbt; am oberen Ende, an Stelle der
Lungenfistel, eine trichterförmige Einsen-
k u n g. An der Wirbelsäule sind bis jetzt keine Aenderungen
auf getreten.
Die Lungenfistel war im ganzen 7 Wochen
offen.
Am 9. V. habe ich den Pat. nochmals untersucht. Das Aus¬
sehen und Allgemeinbefinden waren sehr gut. Appetit vortrefflich.
Keine Temperatursteigerungen. Hie und da Hustenreiz, aber ohne
Auswurf. Auch wenn man den Patienten auf den Bauch legt (bis
zu einer Viertelstunde), tritt kein Husten und Auswurf auf. Die
linke untere Lungengrenze, höher als normal, ist in der
Skapularlinie bei tiefen Inspirationen gut verschieblich. Aussei"-
halb der Narbe besteht keine Dämpfung mehr. Zwischen Narbe
und Wirbelsäule ist der Schall noch abgeschwächt und hat einen
deutlichen tympanitischen Beiklang. Das Atemgeräusch ist jetzt
No. 40.
überall verschärft vesikulär, kaum stärker als auf der rechten
Seite. Der Stimmfremitus ist auf beiden Seiten gleich schwach.
Der Befund am Herzen (Verschiebung nach links) wie vor
der Operation. Harn: E. 0, Z. 0.
Am 11. V. hat sich der Pat. wieder vorgestellt. Aussehen und
Allgemeinbefinden vortrefflich. Kein Fieber. Appetit gut. 'Kör¬
pergewicht GG Pfd. (hat also noch zugenommen).
Nachts und gegen Morgen hie und da Hustenreiz, aber
kein Auswurf. Jetzt, auch beim Liegen auf dem Bauch (bis
zu 20 Minuten) etwas Hustenreiz, aber kein AuswurL Lungen:
Die Dämpfung LHU innerhalb der Narbe, zwischen dieser und der*
Wirbelsäule, hat sich noch mehr aufgehellt. An umschriebener
Stelle in der Höhe der 8. Rippe, ausserhalb der Narbe, bronchiales
Atmen mit wenig feinblasigen, knatternden Rasselgeräuschen.
Sonst zur Zeit über beiden Lungen reines pueriles Atmen. Der
übrige Befund (namentlich auch bezüglich der Herzverlagerung)
ist der gleiche wie früher. Die Narbe ist am oberen Ende nicht
mehr so tief wie früher eingezogen. An der Wirbelsäule macht
sich bis jetzt keine Richtungsveränderung geltend.
Ich glaube, Sie werden mit mir überzeugt sein, dass dem
Patienten durch die Operation nicht geschadet worden ist. Viel¬
mehr darf man annehmen, dass die Entfernung des Se¬
kretes auf dem kürzeren Weg durch die Fistel
während der 7 Wochen der Bronchialschleimhaut,
die sonst damit benetzt worden ist, zu gute
gekommen ist, und vor allem darf man erwarten, dass sich
jetzt nach der ausgiebigen Thoraxresektion
die Schrumpfung des Lungengewebes viel
rascher und vollständiger vollziehen kann.
Aus der k. k. Krankenanstalt „Rudolf Stiftung“ in Wien.
Ueber die Beziehungen zwischen Blasenerkrankungen
und Myomen mit Rücksicht auf die Prognose der¬
selben.
V on Dr. Wilhelm Hahn,
gew. Operationszögling der II. geburtsh.-gynäkol. Klinik in Wien,
derz. Sekundärarzt obigen Spitals.
Hie Aetiologie der Cystitis hat in den letzten Jahren wesent¬
liche Umwandlungen erfahren, die durch die bakteriologischen
Befunde bedingt wurden. Ja man ging so weit., die früher am
meisten beschuldigten ätiologischen Momente der Cystitis, wie
die Erkältung, ganz beiseite zu schieben und rein bakterielle
Ursachen gelten zu lassen. Denselben Vorgang konnte man vor
nicht langer Zeit bei den sogen. Erkältungskrankheiten, wie
Pneumonie, Pleuritis etc., beobachten. Die starren Anhänger der
Bakteriologie hielten nach wie vor daran fest, dass nur die spe¬
zifischen Bakterien, wie der Pneumokokkus, die Krankheit her-
vorrufen, während die weniger Radikalen die Erkältung wenig¬
stens als prädisponierendes Moment gelten Hessen. Wohl das
giösste Verdienst um die Aufhellung der Aetiolog’ie der Cystitis
hat sich B a r 1 o w erworben, welcher nachwies, dass ohne Trauma,
ohne Harnverhaltung und ohne ammoniakalische Gährung
allein durch in die Blase injizierte Bacterium coli- oder Staphylo¬
kokkenkulturen eine Cystitis entstehen kann. Bei der durch „An-
katheterisieren“, wie Olshausen sagt, erzeugten Cystitis — wohl
der häufigsten aller Ursachen überhaupt — trifft die Behauptung
B a r 1 o w s sicher zu. Denn dabei werden ja die Bakterien direkt
wie bei einem Impfversuch in die Blase gebracht. Aber auch hier
kann man entgegenhalten, dass nicht in allen Fällen, wo unsauber
katheterisiert wurde, Cystitis entsteht, demnach in den Fällen,
wo sie zu stände kommt, noch eine andere prädisponierende Ur¬
sache ausser der bakteriellen Infektion vorhanden gewesen sein
müsse. Gerade der Umstand, dass im Wochenbett und bei
schwangeren Frauen durch Katheterismus so häufig Cystitis ent¬
steht, spricht dafür, dass Kongestionszustände der Blase, wie sie
ja während der Gravidität und auch noch im Wochenbett be¬
stehen, zur Entstehung einer Cystitis prädisponieren. G u y o n
tritt besonders warm für dieses Moment bei der Entstehung der
Cystitis ein und, wie mir scheint, mit vollem Rechte. Besonders
wichtig ist aber auch die Harnretention, welche zur Zer¬
setzung des Urins führt. Die Harnretention ist, wie jeder be¬
schäftigte Gynäkologe wissen wird, ein bei Frauen sehr ver¬
breitetes Uebel, , besonders in den besseren Gesellschaftsklassen.
Aus Schicklichkeitsrücksichten halten die Frauen oft den ganzen
Nachmittag bis spät in die Nacht den Urin zurück, so dass sie
im Tage oft nur 2 — 3 mal, ja in manchen Fällen, die ich selbst
gesehen habe, auch nur einmal des Tages urinieren. Dies ist um
so merkwürdiger, als die weibliche Blase eine geringere Kapazität
2
1646
MUENCIIENER MEDICINTSCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 4Ö.
hat als- die männliche. Bei Injektionen von 200 — 250 g Flüssig¬
keit in die Blase wird oft bei ganz gesunder Blase schon Tenes-
mus empfunden. Hingegen ist es wiederholt beobachtet worden,
dass die Blase andererseits eine enorme Dehnungsfähigkeit be¬
sitzt. F ritsch beobachtete Fälle, wo 24 Stunden nach der Ent¬
bindung bis 1 Liter Urin mit dem Katheter entleert wurde.
Noch grössere Mengen finden sich in den Fällen, wo bei inkarze-
riertein retroflektiertem Uterus durch Auszerrung der Harnröhre
und Abbindung im unteren Teil der Ausfluss gehemmt ist. Ich
sah einen solchen Fall auf der Klinik C h r o b a k in Wien. Die
Patientin wurde mit Aszites auf die interne Abteilung des Pro¬
fessor D r a s c h e aufgenommen und nach Feststellung der Dia¬
gnose (Ketroflexio uteri gravidi incarcerata) auf die Klinik trans¬
feriert. Es wurde unter grosser Anstrengung ein Katheter ein¬
geführt und nahezu 4 Liter eines blutig fingierten Urins ent¬
leert. Nach der Entleerung gelang die Reposition leicht. Durch
Einlegung eines Verweilkatheters und mehrmalige tägliche Aus¬
spülungen wurde nach 6 Wochen Heilung erzielt. Der Fall ist
von Dr. Heinrich K e i 1 1 e r in der Monatsschr. f. Geburtsh. u.
Gyn. eingehend beschrieben worden. Diese grosse Ausdehnungs¬
fähigkeit der weiblichen Blase erklärt es, dass sich Frauen das
Urinieren förmlich abgewöhnen können und nur 1 — 2 mal im
Tage grosse Urinmengen lassen. Freilich bleibt diese üble, nicht
genug zu bekämpfende Angewohnheit nicht ohne Folgen. Die
Blasenmuskulatur wird zu sehr ausgedehnt und verliert ihre Ela¬
stizität und nicht selten tritt Lähmung der Blasenmuskeln mit
folgender Inkontinenz ein.
Sehr häufig nun sind bei solchen Frauen, die in der Jugend
so selten urinierten, im Alter Blasenkatarrhe anzutreffen, deren
Aetiologie natürlich in jedem Falle eine andere sein kann.
Sicher aber spielt bei allen die Hamstauung mit der darauf¬
folgenden Zersetzung eine grosse Rolle.
Wenig gewürdigt für die Aetiologie des Blasenkatarrhs sind
bis jetzt die Lageveränderungen und Tumoren des Uterus, spe¬
ziell die Myom e. Schon die Lageanomalien des nicht-myoma-
tösen Uterus bedingen vielfache Blasenstörungen. Ist der Uterus
vollständig frei beweglich, so dass er die verschiedenen physio¬
logischen Lagen je nach der Beschaffenheit der Nebenorgane
und nach der Stellung der Frau einnehmen kann, so wird von
durch ihn bewirkten Blasenstörungen keine Rede sein können.
Ganz anders verhält es sich schon, wenn seine Beweglichkeit
auch nur in einer Richtung gestört ist. Bei Füllung der Blase
wird der Uterus nach dieser Richtung hin nicht ausweichen und
die Kapazität der Blase daher verringern. Bei Anteflexion des
Uterus finden wir ganz beträchtliche Blasenstörungen. Dadurch,
dass der Uteruskörper in einem spitzen Winkel zur Zervix ab¬
geknickt ist, halten ihn die Därme fest gegen die Blase gepresst,
wodurch die normale Ausdehnung der Blase gehindert wird.
Namentlich zur Zeit der Menstruation, wo der Uterus schwerer,
also sein Druck empfindlicher ist und die Nerven durch eine
Hyperämie gereizt werden, besteht oft unerträglicher Urindrang.
Myome im Uteruskörper verstärken natürlich noch die Be¬
schwerden. Ein fast ganz harmloses Myom in der vorderen oder
hinteren Uteruswand, welches keine Symptome macht, als dass
es vielleicht an der Anteflexion mit schuld war, gibt also in sol¬
chen Fällen Anlass zu den heftigsten Blasenbeschwerden. Da
das Myom, wenn meist auch langsam, wächst und die spitz¬
winkligen Anteflexionen sehr schwer zu beheben sind, so wird
durch die dauernde Irritation der Blase sich leicht im späteren
Alter eine Hypertrophie mit Schrumpfung der Wände einstellen
können, die zu den qualvollsten Zuständen gehört, die es gibt.
Die an und für sich ausserordentlich günstige Prognose des
Myoms, das keine Blutungen, keine Schmerzen machte und auch
keine Tendenz zur Degeneration hatte, wird durch die konsekutive
Blasenerkrankung sehr getrübt. Aehnlich verhält es sich bei
Anteversio und Anteversio-flexio üteri. Geringere Blasenbeschwer¬
den machen die Retroversio und Retroflexio uteri. Auch hier
werden dieselben durch im Uteruskorpus vorhandene Myome
wesentlich gesteigert. Myome, die sich inkarzerieren, machen
Urinbeschwerden, wie ein l-etroflektierter, eingeklemmter, gra¬
vider Uterus. Myome, die höher oben im Bauchraume liegen
und stielartige Fortsätze haben, können eine Kompression der
Ureteren bewirken und dadurch zu Ilydronephrose, Pyelitis etc.
Anlass geben. Durch Druck auf die Schenkelgefässe kommt es
zu Varizen, und die 1x4 Frauen so häufig beobachteten enormen
Varizenbildungen sind nicht selten neben der Art der Beschäf¬
tigung, wobei die Frauen viel stehen müssen, und neben dem Ein¬
flüsse mehrfacher Graviditäten auf lang getragene Myome zurück¬
zuführen. Ich selbst habe in der Ambulanz an der Klinik viele
Frauen gesehen, die sehr starke Varizen, aber weder eine stehende
Beschäftigung noch viele Kinder hatten. Hingegen bestand in
mehreren Fällen ein über zweifaustgrosser myomatöser Uterus,
der den Frauen Blasenbeschwerden machte. Obwohl die Frauen
über das Klimakterium hinaus waren und ihnen die Myome an
und für sich keine Beschwerden machten, wurden dieselben, da
die Blasenbeschwerden nicht nachliessen, exstirpiert, wonach wie
mit einem Schlage die reguläre Funktion der Blase sich wieder
herstellte. Bei chronischem Blasenkatarh und zugleich vor¬
handenen Myomen, die buchtenartig in die Blase vorragen und
so Divertikel bilden, die immer eitrigen Residualharn enthalten,
wird man oft mit keiner anderen Behandlung als mit der Ex¬
stirpation der Myome etwas ausrichten können. In sehr Ver¬
alteten Fällen freilich, wo die Myome schon jahrelang auf die
Blase drückten, wird auch dieses Ultimum refugium nichts mehr
nützen und sich die Blase auch nach der Totalexstirpation nicht
mehr erholen.
Das also, worauf ich hier aufmerksam machen wollte, ist
der Umstand, dass wir bei der Erwägung der Prognose der
M y o m e und einer ihrethalben vorzunehmenden Operation auch
vor allem darauf achten müssen, ob das Myom keine Blasen¬
störungen macht. Ist dies der Fall, so wird man sich auch
bei sonst fehlenden Symptomen, wie Blutung, Schmerzen, Dys-
mennorrhöebeschwerden etc., zur Operation entschliessen müssen,
was um so leichter ist, als die Operationstechnik der Myome
gerade in der letzten Zeit zu ungeahnter Höhe gediehen ist.
Aus der Bettinastiftung, k. k. Kaiserin-Elisabeth-Krankenhaus,
Wien (Vorstand: Prof. Wert heim).
Ueber die post-operative Harnverhaltung und deren
Folgen.
Von Dr. Fred T a u s s i g, Hospitant, St. Louis, Amerika.
Die in den letzten 10 Jahren erschienenen Arbeiten von
E. Rehfisch [1] und M. v. Z e i s s 1 [2] haben unsere Kennt¬
nisse über die physiologische Harnentleerung wesentlich be¬
reichert. Von besonderer Wichtigkeit war der Nachweis, dass der
Detrusor vesicae nicht, wie man früher glaubte, den Sphincter
internus urethrae überwältigt, sondern dass das Wesentliche in
der Entleerung der Blase ein Sinken des Sphinktertonus ist,
der Detrusor vesicae also nur eine geringfügige Rolle bei diesem
Vorgang spielt. Dennoch gibt es noch manches auf diesem Ge¬
biete, was unerklärt blieb. So z. B. ist der Streit über das Vor¬
kommen von Hemmungsfasern im Nervus hypogastricus noch
nicht beendigt; auch über das Entstehen von Harndrang
existieren die verschiedensten Meinungen. Es ist deshalb nicht
erstaunlich, dass wir über pathologische Prozesse wie Harnver¬
haltung noch immer wenig Positives wissen.
Harnverhaltung bei Paresen, Prostatahypertrophien und
Blasensteinen ist schon vielfach in der Literatur besprochen wor¬
den. Dagegen finden sich verhältnismässig wenige Angaben
über die Harnverhaltung nach Operationen, besonders nach
solchen der weiblichen Beckenorgane. Ist es doch eine ganz ge¬
wöhnliche Beobachtung, dass die Patientin 24 bis 48 Stunden
nach einer solchen Operation nicht im Stande ist, spontan zu
urinieren. Bei eingreifenderen Operationen dauert die Harn¬
verhaltung oft noch länger an.
Dies ist für die Patientin nicht nur wegen der Notwendig¬
keit des wiederholten Katheterisierens ein unangenehmes Er¬
eignis, sondern bringt auch gewisse Gefahren mit sich, be¬
sonders wenn die Blase, wie dies nach Operationen im kleinen
Becken öfters der Fall ist, sich in einem Zustand des Reizes
befindet. Nach langdauernder Harnverhaltung kommt es gar
nicht selten, trotz aller Sorgfalt, zu einer Infektion der Blase,
und damit zur Cystitis. Diese allein kann solche Beschwerden
verursachen, dass der Erfolg einer in sonstiger Beziehung gut
verlaufenen Operation geradezu vernichtet wird; ganz abgesehen
von IJreteritis, Pyelitis oder gar Pyelonephritis infolge aszen-
dierender Infektion der Harnwege. Dieser allerdings seltene Zu¬
fall kann die Patientin unter Umständen in einen schlimmeren
Zustand versetzen, als vor der Operation bestand. Die post¬
operative Harnverhaltung ist deshalb von der grössten Wichtig-
7. Oktober 1902.
1647
MUE N CHENER MEDICINISCHE
— 7 - - - - -
WOCHENSCHRIFT.
keit , und würde es mich, freuen, wenn ich durch vorliegende
Ai beit das Interesse an diesem leider etwas vernachlässigten Ge¬
biete erhöhen könnte.
Es wuide mir im Bettinapavillon die Gelegenheit gegeben,
die Harnverhaltung nach gynäkologischen Operationen genauer
zu studieren. Lin eine \ orstellung von der Häufigkeit ihres
Vorkommens zu gewinnen, benutzte ich das Material der Jahre
1899 — 1901 zu einer Zusammenstellung aller gynäkologischen
Operationen. Es sind in der nachfolgenden Tabelle die Fälle
dieser J ahre eingereiht worden, von den 1 e i c h t e s t e n, wie der
einfachen Coeliotomia anterior bis zu den schwierigsten,
wie der abdominalen Radikaloperation des Carcinoma uteri nach
W ertheim:
Zahl
der
Fälle
Reten¬
tion
über
3 Tage
Reten¬
tion
über
6 Tage
Prozentsatz
der Reten- J
tionen über
6 Tage
Coeliotomia anterior ....
69
5
1
1,4 Pioz.
Vaginale Totalexstirpation .
102
G
2
9
Abdominale Totalexstirpation ....
29
3
1
3,4 „
Pelottenoperation (nach W e r t h e i m)
28
6
4
14 „
Abdominale Radikaloperation ....
54
40
35
64 „
Gesamtzahl
282
60
43
1 5 l’ruz.
Bei allen diesen Operationen kommt es zu einer mehr oder
weniger weiten Ablösung der Blase von ihrer Umgebung. Auf¬
fallend ist auch die U ebereinstimmung der Aus¬
dehnung dieser Ablösung mit der Häufigkeit
der Retentionen, so dass ein Zusammenhang zwischen
beiden sehr wahrscheinlich wird. Die etwas grössere Häufigkeit
der Retention bei abdominalen im Vergleich zu vaginalen Total¬
exstirpationen könnte auf die Laparotomie und die dadurch be¬
dingte Ausschaltung der Bauchpresse zurückgeführt werden,
doch leitet der bedeutende Unterschied zwischen den wegen Karzi¬
nom und den wegen anderer Krankheitsprozesse Laparotomierten
darauf hin, dass dieses Moment nur in geringem Masse in Be¬
tracht kommt.
Bei den Prolapsoperationen kann man die früher bestehende
Cvstocele mit der darauffolgenden Erschlaffung der Blasen¬
muskulatur zum grössten Teil für die postoperative Harnver¬
haltung verantwortlich machen. Ob man auch bei den Karzinom-
fällen den Krankheitsprozess als Ursache anführen kann, scheint !
mir sehr zweifelhaft. Die Blase ist nur in den weitvorge¬
schrittenen Fällen ergriffen und wenn auch manches dieser Kar¬
zinome unter den durch die abdominale Radikaloperation er¬
weiterten Indikationen noch zur Operation gelangt, geschieht dies
doch nicht so häufig, dass es den bedeutenden Prozentsatz der
Retentionen erklären könnte. Dafür, dass der Krankheitsprozess
allein nicht an der Retention schuld ist, spricht auch, dass in
den Ausnahmefällen, wo aus einem besonderen Grunde das Karzi¬
nom vaginal entfernt wurde, die Frauen stets spontan urinierten.
Man ist deshalb gezwungen, die Ursache in dem Operations¬
verfahren zu suchen. Hier ist in erster Linie ausser der Drüsen¬
ausräumung, die kaum in einer Beziehung zur Urinretention
steht, die ausgiebige Entfernung der Para¬
metrien zu berücksichtigen. LTm diese in vollstem
Masse zu ermöglichen, wird der Ureter bis zu seiner Eintritts¬
stelle in die Blase freigelegt, und die Blase selbst in einem gbossen
Umfang von dem umgebenden Bindegewebe losgelöst.
Es lag der Gedanke nahe [3], dass diese Loslösung, wie
F eitel [4] für den Ureter zeigte, auch bei der Blase zu Er¬
nährungsstörungen und indirekt zu Harnverhaltung und Cystitis
führen könnte. Doch sprechen mehrere Umstände gegen diese
Annahme. Erstens kam es bei der Blase nie zu Nekrosenfisteln,
die man bei schweren Ernährungsstörungen erwarten würde;
ferner zeigten wiederholte mikroskopische Urinuntersuchungen,
dass in der ersten Woche nach der Operation der
Ha rn stets klarund ohne z eilige Bestandteile !
in wesentlicher Menge war. Eine Zirkulationsstörung
hätte sofort zu Epithelabstossung und Austritt von Leukocyten
und roten Blutkörperchen geführt. Erst nach 6 — 8 Tagen trat
eine Cystitis auf, die man der andauernden Harnverhaltung zur
Last legen musste. Endlich wurde in 4 der operierten Fälle der
Versuch gemacht, durch eine Veränderung in der Peritonealnaht,
ähnlich der von Kroenig in der Monatsschr. f. Gynäkol.
vorgeschlagenen, die Blutzufuhr zur Blase zu befördern. Nach
Entfernung des Uterus und der Adnexe, wurde nämlich das
Blasenperitoneum nicht wie gewöhnlich an das Peritoneum des
Douglas genäht, sondern an die vordere Vaginalwand. Es lag
also die Blase in einem mit Peritoneum bekleideten Raum. Da
konnte es schwer zu bedeutenden Ernährungsstörungen kommen.
Trotzdem trat aber Harnverhaltung wie in den früheren
Fällen, auf.
Eine Zirkulationsstörung war also trotz weitgehender Ex¬
stirpation des parametranen und paravesikalen Gewebes mit
seinen Blut- und Lymphgefässen nicht anzunehmen. In diesem
Gewebe befinden sich aber auch die Blasenganglien und
N erven. Ich will diesbezüglich folgende anatomische An¬
gaben zitieren:
Nagel [5] : „Ausser dem Zervikalganglion befinden sich noch
zwei andere Ganglien (.Vesikalganglien Lee) . . . von welchen das
äussere (grössere) an der äusseren Seite des Ureters, unmittelbar
von seinem Eintritt in die Blase, das innere (kleinere) hingegen
nach innen von dem Ureter, unmittelbar an der Gebärmutter
liegt.“
K öllik er [G] : „Die Nerven der ableitenden Harnwege
bilden vorzüglich die Arterien begleitende Geflechte, welche auch
zahlreiche Ganglien enthalten, wie für die Blase Bema k zuerst
nachwies.“
Waldeyer [7] : „Beim Menschen liegt zur Seite der Blase,
namentlich an deren Grund, ein starker gangliöser Plexus, Plexus
vesicalis . . . Nach Hirschfeld zeichnet sich in diesem Plexus
häufig ein jederseitig im Niveau des Uretereintrittes liegendes
Ganglion aus.“
Diese anatomische Tatsache wurde durch mikroskopische
Untersuchungen der Karzinompräparate erhärtet. Es wurde
nämlich zu anderem Zwecke im Laboratorium der Bettinastif¬
tung das am exstirpierten Uterus hängende Bindegewebe von
30 Fällen in lückenlose Serien zerlegt und dabei in den meisten
Fällen zahlreiche Ganglien und Nerven gefunden, die ihrem Sitz
nach wenigstens zum Teil dem Plexus vesicalis angehörten.
Es ist nach dem Vorhergehenden anzunehmen, dass durch
die radikale Entfernung der Parametrien
eine nicht zu verachtende Störung der Blasen¬
innervation erfolgt. Gegen die Annahme, dass diese
Störung notwendigerweise Harnverhaltung erzeugen müsse,
könnte man wohl die Tierversuche v. Zeissls [2] anführen,
in welchen nach Durchschneidung beider Hauptblasennerven,
Hypogastricus und Erigens, keine Harnverhaltung auftrat. Doch
waren hier die Ganglien nicht entfernt, so dass ein Vergleich
nicht am Platze ist.
Ein anderes Resultat ergaben die Versuche von Goltz und
Ewald [8]. Nach Entfernung des lumbalen und sakralen
Teiles aus dem Rückenmarke eines Hundes trat Harnretention
ein. Die Blase musste in jedem Fall längere Zeit durch Ex¬
pression entleert werden. Allmählich besserte sich der Zustand,
so dass der Harn von selbst, und zwar in grösseren Mengen auf
einmal ausgetrieben wurde. Dies wird von den Autoren in fol¬
gender Weise erklärt. Nachdem die spinale Nervenquelle aus¬
geschaltet ist, bleibt noch die sympathische. Doch ist der Nerven¬
schock nach der Rückenmarksentfernung so gross, dass letztere
Quelle auch darunter leidet und nur allmählich ihre Funktion
wieder übernimmt. Aehnlich würde sich die Retention nach den
Karzinomoperationen erklären lassen. Die zurückgebliebenen
Blasenganglien — denn alle werden wohl niemals entfernt —
müssen sich erst von dem Eingriffe und dem Wundheilungspro¬
zess erholen, bis sie im stände sind, eine spontane Blasenent¬
leerung zu bewirken. War die Operation einfacher, so dauerte
die Harnverhaltung auch kürzere Zeit. Bei den 12 Fällen
Wertheim scher Radikaloperation, wo die Frauen schon in den
ersten 6 Tagen spontan urinierten, handelte es sich 11 mal um
leichtere Fälle, nur einmal waren die Parametrien infiltriert. Die
längste Dauer der Harnretention war 31 Tage, und selbst nach
dieser Zeit war die Entleerung der Blase nicht immer vollständig.
Es wäre noch zu erwähnen, dass die Patientinnen in den ersten
2 Wochen selten Harndrang verspürten.
Die unvermeidliche Folge der Harnver¬
haltung und des häufigen Katheterisierens
war die Cystitis. Trotz genauester Anwendung asep¬
tischer Kautelen beim Gebrauch des Katheters trat, wenn die
2*
1648
MUENCHENER MEDICINISCHE W 0 CHEN S CHRIET.
No. 40.
Retention andauerte, gewöhnlich schon am 6. Tag post oper.
eine durch Bakterien und Eiter bedingte Trübung des Urins auf.
Es ist schon mancher Vorschlag gemacht worden, das Ver¬
schleppen von Keimen in die Blase zu vermeiden. So beschrieb
erst neulich Rosenstein [9] einen Doppelkatheter, der diesen
Zweck hat. Er besteht aus einer Schutzhülse, die bis zum
Sphineter urethrae eingeführt wird, und aus dem eigentlichen
Katheter, der, durch diese Hülse geleitet, die Urethralwand nicht
berührt. Die Idee ist nicht neu, wenn auch Rosenstein
dies nicht erwähnt. Melchior [10] hat schon 1897 einen
ähnlichen Katheter zur sterilen Entnahme des -Urins beschrieben.
Auch bei uns wurden mehrfache Versuche mit einem Doppel¬
katheter gemacht, die jedoch nicht befriedigten. Erstens kann
es durch den grösseren Durchmesser des Instrumentes bei enger
Urethra leicht zu Verletzungen kommen. Ferner ist derselbe
nicht so leicht sterilisierbar. Und endlich wirkt die Schutzhülse,
mag sie auch wie die von Rosenstein konstruiert sein, wie
ein Sammelrohr für das Urethralsekret, das durch den inneren
Katheter doch wieder in die Blase verschleppt wird.
In unseren Fällen wurde die Urethra zunächst so weit als
möglich gründlich gereinigt. Nach sorgfältiger Waschung der
Urethralmündung mit Wasser und Sublimat wurde die äussere
Oeffnung der Urethra mit sterilem Wasser oder 4 proz. Borsäure¬
lösung längere Zeit bespült. Dann wurde dieselbe mit sterilem
Gazetupfer getrocknet und der ausgekochte Katheter eingeführt.
Wo keine Cystitis bestand und die Harnentnahme in dieser
Weise ausgeführt wurde, zeigte sich der Urin bei kultureller
Prüfung immer bakterienfrei. Natürlich wurde, wo es sich um
Kulturproben handelte, das Waschen mit Sublimat unterlassen.
Leider erfordert diese Prozedur viel Zeit und ist bei grossem
Materiale schwer durchführbar.
Uebrigens ist der Katheterismus nicht das
einzige ätiologische Moment bakterieller
Blaseninfektion. Bakterien können ja unter
Umständen auch direkt vom Darm in die Blase e i n -
dringen. Die Tierexperimente von Faltin [11] haben
diese Tatsache neuerlich bestätigt. Durch Umstechung der
Urethra erzeugte dieser Autor eine künstliche Harnverhaltung,
dann machte er eine kleine Läsion der Rektalschleimhaut und
fand, dass die Bakterien direkt durch die Lymphwege die Blase
infizierten. Auch scheint in dieser Beziehung folgende Bemer¬
kung von Goltz und Ewald [8] über ihre Ilundeexperi-
mente interessant: „Besonderen Verdruss bereitete uns die häu¬
fige Erkrankung der Blase. Die meisten Tiere gingen an einer
eitrigen Entzündung der Blase zu Grunde“. Diese Tiere wurden,
wie schon erwähnt, nie katheterisiert, sondern es wurde die
Blase durch Expression entleert. Eine Infektion von aussen ist
also hier kaum anzunehmen. Zieht man • weiter die Harnver¬
haltung und Darmverstopfung nach der Rückenmarksverkürzung
in Betracht, so liegt der Gedanke nahe, dass die Infektion vom
Darme ausging.
Einen diesbezüglichen Fall konnten auch wir beobachten:
Bei der Patientin K. K. wurde am 8. Februar 1902 wegen
Carcinoma uteri die abdominale Radikaloperation nach W e r t -
heim ausgeftihrt. Es wurde längere Zeit abgewartet, ob die
Frau von selbst urinieren würde. Tatsächlich trat 28 Stunden
nach der Operation spontane Harnentleerung ein, die von da ab
täglich 3 — 4 mal erfolgte. Der Urin, der vor der Operation und in
den ersten Tagen nach der Operation klar war, zeigte am 10. Tag
eine deutliche Trübung ohne Sediment, welche durch Mengen von
Bakterien bedingt war. Nur hie und da waren einzelne Epithelien
und Leukocyten zu sehen. Impfung auf Agarplatten ergab die
Reinkultur eines Bazillus, der als Angehöriger der Coligruppe be¬
stimmt wurde.
Es entstand in diesem Falle ohne Katheterismus eine Cy¬
stitis bezw. Bakteriurie, die man wohl als Einwanderung von
Darmbakterien durch die Blasenwand zu deuten berechtigt ist.
In dieser Hinsicht muss noch betont werden, dass durch die
Entfernung einer grösseren Vaginalmanschette bei der Operation
Darm und Blase mit Ausnahme der Drainagestelle direkt auf¬
einander gelagert sind, wodurch eine direkte Infektion um so
leichter möglich ist. In ähnlicher Weise könnten auch Bakterien
von der vaginalen Mundhöhle in die Blase eindringen.
In 12 der Karzinomfälle wurden häufige bakteriologische
Untersuchungen des Urins gemacht. Zu diesem Zwecke wurde
der Urin nach sorgfältiger Reinigung der Urethralöffnung und
längerem Ausspülen der Urethra mit sterilem Katheter in steriler
Eprouvette aufgefangen. Eine geringe Quantität 3 Oesen r
wurde auf Agarplatten geimpft und sämtliche aufgehenden Ko¬
lonien, wo nötig, auf anderen Nährböden weiter gezüchtet. Es
zeigte sich gewöhnlich, dass in den ersten Tagen nach der Ope¬
ration der LTrin steril war oder nur wenige Kolonien auf der
Platte auf gingen. Zwischen d e m 6. u n d 8. Tag trat dann
plötzlich eine bedeutende Vermehrung der
Bakterien auf. In der Regel erhielt man nur
eine Bakterie nart in Reinkultur. Doch konnten
später in demselben Fall andere Bakterien auftreten und so¬
gar die ersten verdrängen. Ich zitiere folgendes Beispiel:
26. Nov. : Karzinomoperation nach Wertheim.
28. Nov.: Urin klar, sauer, Kulturen gehen nicht auf.
30. Nov.: Derselbe Befund, Impfung wieder negativ.
3. Dez.: Urin trübe, sauer; wenig Eiter und Epithelien.^ Agar¬
platten zeigen schon am nächsten Tag unzählige Kolonien
von Stapylococcusp. aure u s.
5. Dez.: Urin trübe, sauer; viel Eiter und Epithelien. Platten
zeigen wieder unzählige Kolonien von Staphyl. p. aureus.
18. Dez.: Urotropin 0,5 3 mal täglich seit 8 Tagen. Urin
jetzt klar, nur einzelne Leukocyten. Impfung von 3 Oesen des
Urins zeigte nach 72 stündigem Wachstum nur 24 Kolonien
von Staphyl. p. aureus.
24. Dez.: Seit gestern neue Cystitisbeschwerden. Noch immer
Harnverhaltung. Urin enthält Blut, Eiter und Epithelien. Auf
Agarplatten gingen einzelne Kolonien von Staphyl. p. aureus auf,
gleichzeitig zahlreiche' Kolonien von Bakterium
coli.
4. Jan.: Urin noch immer etwas trübe. Kulturen zeigen zahl¬
reiche Kolonien von Staphyl. p. aureus und Bacterium coli. Jetzt
sind aber letztere in der Minderzahl.
Hier handelte es sich zweifellos um eine doppelte In¬
fektion; die erste am 3. Dezember, die zweite am 23. De¬
zember, und zwar durch verschiedene Bakterienarten bedingt.
Als Erreger der Cystitis fand sich in den 12 untersuchten
Fällen 7 mal Streptococcus pyogenes aureus,
6 m a 1 Bacterium coli, lmal Streptococcus pyo¬
genes. 2 mal handelte es sich um Mischinfektion. Dies würde
im allgemeinen mit den Befunden anderer LTntersucher
(M eich i o r [10], A 1 b a r r a n[12], Tanago[13]) überein¬
stimmen.
Bei der Behandlung dieser Fälle war es natürlich
unser Hauptbestreben, die Harnverhaltung
zu beseitigen, denn die nachfolgenden Cystitiden waren in
ihrer Entstehung und Schwere direkt von ihr abhängig. Manche
Behandlungsweise wurde durch die vorausgegangene Operation
unmöglich gemacht, so z. B. die Expression oder die Massage der
Blase wegen Gefahr einer Bauchruptur.
Intravesikale Faradisation, wie sie Frankl-
Ilochwart und O. Zuckerkandl [14] für Harnverhaltung
empfohlen haben, schien in einigen Fällen gut zu wirken, be¬
sonders wo es sich um Residualharn handelte. In 2 Fällen ge¬
lang es durch einfaches Abwarten bis zu 30 Stunden
post operationem, eine spontane Urinentleerung zu erzielen.
Möglicherweise hat die hiebei erfolgte Dehnung der Blasenwand
die in dieser befindlichen Ganglien zur Tätigkeit erweckt; denn
die Frauen urinierten auch weiterhin spontan. Von der Idee
ausgehend, dass eine starke Dehnung des Sphineter internus
urethrae den Tonus dieses Muskels herabsetzen und den Me¬
chanismus der Harnentleerung erleichtern würde, wurde in
5 Fällen die Dilatation der Urethra mittels Ilegar-
stiften bis zu Fingerdicke ausgeführt. 3 mal war die Behand¬
lung erfolglos, 2 mal trat am nächsten Tage spontane Harn¬
entleerung ein. Die beiden letztgenannten Methoden bedürfen
weiterer Prüfung. Im ganzen muss man zugeben, dass die Er¬
gebnisse der Therapie dieses Zustandes nicht sehr befriedigend
waren. Sicher günstig für die spontane Harnentleerung wirkte
das Aufstehen vom Bette, denn in den meisten Fällen konnten
die Frauen dann von selbst urinieren. Dies war leider nur mehr
von wenig Nutzen, denn die Cystitis war beinahe immer schon da.
Was die Behandlung der Cystitis anbelangt, so
wurden die verschiedenen antiseptischen Blasenspülungen vor¬
genommen. So regelmässig war das Auftreten der Cystitis nach
häufigem Katheterismus, dass schon vorher prophylaktische
Blasenspülungen mit Protargol gemacht wurden. Ein grosser
Erfolg dieses Vorgehens war aber nicht zu konstatieren.
Von besonderem Interesse waren die Versuche mit Uro¬
tropin. Noch immer streiten die Urologen über den Wert dieses
Medikamentes. 1901 erschien eine ausführliche Arbeit von
7. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1649
A\ a ii n i e r [15] über die bakterizide Wirkung' einiger Harn-
desintizientien, worin die Vorteile des Urotropins hervorgehoben
wurden. In neuester Zeit ist auch Sachs [16] zu ähnlichen
Resultaten gekommen. Doch haben diese Reagensgläserversuche
nicht den Wert von Erfahrungen am Lebenden. S c h u m -
b u r g [17] arbeitete über die Desinfektion des Harns bei
Typhusbakteriurie durch Urotropin und fand, dass dieses Mittel
zwar eine hemmende, aber keine tötende Wirkung hat. Auch
Grosglik[18] war enttäuscht von Resultaten mit Urotropin.
Bei chronischer Cystitis fand er es wenig nutzbringend; nur
bei Bakteriurie war der Erfolg ein günstiger.
Im allgemeinen entsprachen unsere Erfolge denen von
S c h u m bürg und Grosglik. Im Vergleiche zu
anderen inneren Mitteln war Urotropin doch
vorzuziehen. Dagegen war der schon zitierte Fall von
Bakteriurie durch Darminfektion ein auffallendes Beispiel dafür,
dass die W i r k u n g scheinbar nur eine he m'm ende ist.
Die Frau erhielt Urotropin 0,5 3 mal täglich mit gutem Er¬
folg; doch stellten sich nach Aussetzen des Mittels durch 10 Tage
die früheren Symptome der Cystitis wieder ein. Auch in dem
obenerwähnten Fall von Mischinfektion wurde die Urotropin¬
behandlung mit günstigem, aber nur temporärem Erfolge durch¬
geführt. Bei einer dritten Frau, bei der sich unzählige Mengen
von Bacterium coli im Urin fanden, gingen nach 4 tägigem
Gebrauch von Urotropin 1,5 g pro die nur mehr 2 Kolonien auf
der Agarplatte auf. In allen 3 Fällen war die Behandlung im
übrigen unverändert, so dass der Erfolg auf das Urotropin
zurückgeführt werden muss.
Im allgemeinen konnte man die Cvstitiden in leichte und
schwerere einteilen. Bei den ersteren war der Urin trübe und
hatte wenig Sediment. Es zeigten sich mikroskopisch massen¬
haft Bakterien, doch nur spärliche Eiter- und Epithelzellen. Bei
der schwereren Form dagegen war das Auffallende nicht die
Menge der Bakterien, sondern die des Eiters und Epithels.
Manchmal war sogar etwas Blut vorhanden. Bei dieser
letzteren Form hat Urotropin wenig oder gar
nichtgeholfen. In einigen dieser Fälle, wo wegen Ureteren-
listel cystoskopisch untersucht wurde, trat der Grund dieser
Nutzlosigkeit klar vor Augen. Es zeigte sich nämlich nach
längerem Ausspiilen der Blase noch ein dicker Belag von schlei¬
migem Eiter über der Mukosa. Man kann sich vorstellen, dass
Bakterien, die unter dieser Schleimdecke in der Tiefe der
Mukosa lagen, von dem oberhalb derselben befindlichen urotropin-
haltigen Urin nicht wesentlich geschädigt wurden.
Blasenspülungen mit den verschiedenen Argentumderivaten
bewährten sich in diesen schweren Fällen am besten. Zeitweilig
wurden Protargol und Argentum lacticum gebraucht, doch
zeigten sie keine wesentlichen Vorteile gegenüber dem Argentum
nitricum in 1 prom. Lösung.
Zum Schluss möchte ich noch hervorheben, dass die post-
operativen Cystitiden durch die Behandlung in den allermeisten
Fällen einen sehr günstigen Verlauf nahmen. Die leichteren
Entzündungen wurden in 1 bis 2 Wochen, die schwereren in
3 bis 4 Wochen zur Heilung gebracht. Nur hie und da, wenn
Patientinnen frühzeitig das Spital verliessen und die Behand¬
lung des Leidens vernachlässigten, kam es zu neuerlichen
Exazerbationen.
Für die gütige Ueberlassung des Materials sowohl wie für
seine Hilfe bei der Bearbeitung desselben ist es mir eine an¬
genehme Pflicht, meinem hochverehrten Chef, Herrn Prof.
W e r t h e i m, bestens zu danken.
L iter a t u r:
1. E. Reh fisch: Innervation der Blase. Virchows Arcli.
Bd. 161, S. 529. — 2. M. v. Zeissl: Zur Innervation der Blase.
Bfliigers Arcli. Bd. 53, 55. Üers, : Blasenverschluss. Wien. med.
Presse 1898, No. 21. I)ers.: Die entnervte Blase. Wien. klin.
Woclienschr. 1896, No. 23. Ders.: Innervation der Blase. Wiener
Klinik 1901, lieft 5. — 3. E. Wert heim: Ein neuer Beitrag zur
Frage der Radikaloperation bei Uteruskrebs. Arcli. f. Gynäkol.
B<1. <55, S. 37. — 4. Feitel: Die arterielle Gefässversorgmig des
Ureters etc. Zeitschr. f. Gelmrtsh. u. Gynäk. Bd. 45. — 5. N agel:
Die weiblichen Geschlechtsorgane; in Bardelebens Handbuch der
Anatomie 8. 38. — (i. Köl liker: Gewebelehre Bd. III, 8. 383.
— - 7. W a 1 d ey e r: Das Becken; in Joessel-Waldeyer: Lehrbuch der
topograpli. -Chirurg. Anatomie 8. 589. — 8. Goltz und Ewald:
Hund mit verkürztem Rückenmark. Pflügers Arcli. Bd. 63, 8. 384.
— 9. Rosenstein: Doppelkatheter zur Verhütung der Cystitis.
Centralbl. f. Gynäkol. 1902, No. 22, S. 569. — 10. M. Melchior:
No. 40.
Cystitis und Urininfektion. Berlin, 8. Karger, 1897, S. 20. _
11. Falt in: Weitere experimentelle Untersuchungen über die
Infektion der Harnblase vom Darm aus. Centralbl. f. Harn- u.
Sex. -Organe 1901, S. 465. — 12. Al bar ran: Bakteriologie der
Cystitis. Gaz. heb. de Med. et de Chir. 1898, 3. Nov. — 13. T a -
n a g o: Aetiologie der Cystitis. Monatsbericht d. Harn- und Sex-
App. No. 4 und 5, 1901. — 14. Frankl-Hochwart und
O. Zuckerkandl: Die nervösen Erkrankungen der Blase.; in
Nothnagel: Spezielle Pathol. u. Tlierap., Wien 1898. — 15. Wan-
n i e r: Experimentelle Untersuchungen über die bakterizide Wir¬
kung einiger Harndesinfizientien. Centralbl. f. Ham- und Sex.-
Org. Bd. 12, S. 593. — 16. Sach s: Experimentelle Untersuchungen
über Harnantiseptika. AVien. klin. Wochensclir. 1902, No. 17 u. 18.
— 17. Schum bürg: Zur Desinfektion des Harnes bei Typhus¬
bakteriurie durch Urotropin. Deutsch, med. Wochensclir.' 1901,
No. 9. — 18. Grosglik: Ueber Urotropin. Centralbl. f. Harn-
u. Sex.-Org., 1900, S. 225.
Ueber nervöse Irradiationen im Gebiete der Harn¬
organe.*)
(Beiträge zur Diagnostik.)
Von Dr. Willi II i r t, Spezialarzt für Chirurgie der Harn¬
organe, in Breslau.
M. H. ! Die Mitteilungen, die ich mir erlauben will, Ihnen
heute zu machen, erheben nicht den Anspruch darauf, Neues, bis¬
her nicht Gekanntes zu bringen.
Ich habe sie trotzdem einer etwas eingehenderen Besprechung
nicht für unwert erachtet, weil sie, wie ich glaube, manches
Wissenswerte enthalten, das noch nicht so Allgemeingut ge¬
worden zu sein scheint, wie es bei der diagnostischen Bedeutung
der Materie wünschenswert wäre.
Unter Irradiation, Ausstrahlung, verstehe ich das Auftreten
einer Erscheinung, eines Symptoms, ohne nachweisbare, ana¬
tomische, lokale Veränderung an einem vom Orte der ursäch¬
lichen Entstehung entfernten Punkte.
Dass krankhafte Symptome, vor allem handelt es sich um
Schmerzen, überall im Körper von erkrankten Stellen aus
irradiiert und in anatomisch gesunden Körperstellen vom Patien¬
ten empfunden werden können, ist ja längst bekannt.
Da nun der Schmerz ein wichtiger Leiter für den Arzt ist,
der nach einem verborgenen Uebel forscht, und da die Irradiation
der Schmerzen ihn nur allzu leicht auf falsche Bahnen der Dia¬
gnose lenken kann, so ist man seit langem darauf bedacht ge¬
wesen, bestimmte, typische Arten der Schmerzirradiation festzu¬
legen, und beim klinischen Unterrichte mit Nachdruck auf sie
hinzuweisen.
Als derartige typische Schmerzirradiationen möchte ich hier
unter anderen anführen die Schmerzen im Kniegelenk bei
Koxitis, die Ischias bei Mastdarmkarzinom, den Obturatorius-
sclimerz bei Einklemmung der gleichnamigen Hernie, den rechts¬
seitigen Schulterschmerz bei Erkrankungen und Verletzungen
der Leber, die Trigeminusneuralgie bei Zahnkaries, die Zahn¬
schmerzen bei der Gravidität. Wie diese Irradiationen zustande
kommen, das soll uns heute zunächst nicht beschäftigen; das für
uns wichtige besteht darin, dass sie typische sind, d. h., dass sie
in ihrem Auftreten eine gewisse Regelmässigkeit, eine gewisse
Gesetzmässigkeit erkennen lassen, wenn sie natürlich auch nicht
immer und ausnahmslos sich einstellen.
Die Begrenzung meines Themas gegen das grosse, unüberseh¬
bare Gebiet unkontrollierbarer Schmerzempfindungen ohne ana¬
tomische Grundlage überhaupt, stelle ich eben dadurch her, dass
ich mich nur mit denjenigen Ausstrahlungen befassen will, denen
durch zahlreiche Beobachtungen eine gewisse Regelmässigkeit
des Auftretens zugesprochen werden kann.
An solchen typischen Irradiationen sind die Harnorgane
reich; sie kommen hier aber nicht nur in der sensibeln Sphäre
vor, als Schmerz, sondern auch in der motorischen, als Kontrak¬
tion, und in der vasomotorischen als Kongestion. Desgleichen
wird die sekretorische Funktion der Nieren des öfteren von dem
übrigen Harntraktus aus durch Fernwirkung beeinflusst. Auch
an trophoneuro fische Irradiationen, wenn man so sagen darf,
kann man denken, wie ich am Schlüsse kurz erwähnen will.
Am meisten bekannt sind die Fernwirkungen, die von
anderen Organen auf die Harnwege ausgeübt werden.
*) Vorgetragen im Verein der Breslauer Aerzte am 13. März
1902.
3
1650
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
So tritt bei heftigen Diarrhöen, bei Entzündung und Reizung
der Mastdarmschleimhaut häufig als sensible Irradiation Schmerz
in der Blasengegend und in der hinteren Harnröhre, nament¬
lich am Blasenhalse ein, und als motorisches Phänomen der
häufige Drang, die Blase zu entleeren, hervorgerufen durch De-
t rusorkontraktion.
Die namentlich im Kindesalter auftretende Enuresis noc¬
turna wird von vielen Autoren in manchen Fällen auf das Vor¬
handensein von Würmern im Darmkanal, namentlich im Mast¬
darm zurückgeführt. Tuffnel teilt einen Fall mit, in dem
die hartnäckigen Erscheinungen einer Striktur der Pars mem-
branacea verschwanden sofort nach Entfernung eines 30 Fuss
langen Bandwurms. _
Nach chirurgischen Eingriffen am Mastdarm, z. B. nach
Haemorrhoidenoperation oder nach Spaltung von Mastdarm¬
fisteln, tritt sehr häufig eine Beeinträchtigung der Blasenmotili-
tät ein, die zur totalen Retentio urinae führen kann.
Die Ursache dieser Erscheinung ist nicht ganz klar; eine
Schwellung der Harnröhrenschleimhaut kann man kaum an¬
nehmen, da auch die weichsten Katheter fast stets ohne jedes
Hindernis passieren; sehr wohl kann man an eine Reizung der
Nervenenden des Nervus pudendus denken; Reizung der peri¬
pheren Nervenenden ruft Erschlaffung der Detrusormuskulatur
hervor, wie experimentell festgestellt worden ist.
Ferner wird nicht selten vom Peritoneum aus die Blasen¬
tätigkeit beeinflusst. Nach Laparotomien z. B. tritt häufig Harn¬
verhaltung ein.
F ritsch glaubt, dass hier vor allem die ungewohnte
Rückenlage schuld sei und er lässt daher seine Patientinnen vor
der Operation das Urinieren im Liegen lernen; v. Mikulicz
erwähnt als Ursache die Veränderung des intraabdominellen
Druckes und reflektorische Einwirkung auf die Blase ; ich glaube,
ein sehr wirksamer Faktor ist ausserdem der, dass infolge von
Schmerz in der Wunde Anstrengungen der Bauchpresse ängst¬
lich vermieden werden, und daher die Bedingung zur Einleitung
der reflektorischen Detrusortätigkeit fortfällt.
Die Funktionsstörung der Blase bei Peritonitis ist nach
Kört e meist auf eine Entzündung des serösen Blasenüberzuges
zurückzuführen; für unsere Betrachtung käme sie demnach nicht
in Betracht, da anatomische Veränderungen vorliegen. Die von
Blomfield (British Medical Journal 1882, pag. 423) und
früher von Devergie aufgestellte Behauptung, dass nach Per¬
foration des Magengeschwürs öfters Harnretention auftrete, ist
wohl durch die oft akut in solchen Fällen einsetzende Peritonitis
zu erklären.
Dass auch nach Baüchkontusionen, mit und ohne Verletzung
der Eingeweide, Urinretention eintreten kann, hat Lex er in
einer kürzlich erschienenen Arbeit betont. Ich glaube, dass auch
hier die Vermeidung der schmerzhaften Bauchmuskelkontraktion
die Hauptrolle spielt.
Recht eigenartig sind die Fernwirkungen, die von der
unteren Extremität aus auf die Hamorgane beobachtet worden
sind.
P a r t s c h berichtet aus der Breslauer Klinik 2 Fälle, in
denen nach der Ogston sehen Osteoarthrotomie komplette Re¬
tention des Urins von 2 — 3 tägiger Dauer auftrat, dieselbe Er¬
scheinung beobachtete er nach Exstirpation eines Kniegelenk¬
schleimbeutels.
Esmarch erwähnt es als bekannte Tatsache, dass nach
hohen Amputationen, Exartikulationen und Resektionen des
Oberschenkels Öfters Iscliurie aufträte.
Malgaigne erwähnt eine Angabe von G e r d y über eine
3 tägige Harnverhaltung nach Einrichtung einer 12 Stunden
alten Luxation des Oberschenkels nach hinten.
Die nach Katheterismus hin und wieder auftretenden Er¬
güsse in die Gelenke, namentlich ins Kniegelenk, sah man früher
ebenfalls als auf reflektorischem Wege entstanden an. Heutzu¬
tage bezieht man sie wohl allgemein auf das Eintreten pathogener
Keime in den Organismus.
Noch ein Organ möchte ich erwähnen, von dem oft eine
deutliche Beeinflussung der ITarnorgane ausgeht, das ist die
äussere Haut.
Abkühlungen und Erkältungen, die doch zunächst die
äussere Haut betreffen, bewirken durch vasomotorische Einflüsse,
oft ohne sonst krankhafte Erscheinungen hervorzurufen, eine
Kongestion nach den Harnorganen, die oft die Harnentleerung
beeinflusst. G u y o n äussert sich dahin, dass auch bei gesunden
Menschen kalte Füsse immer ein häufigeres Urinbedürfnis ver¬
anlassen. Bei Prostatikern, die sich bisher eines leidlichen Wohl¬
befindens erfreuten, kann es aus einem derartigen Anlass plötz¬
lich zu vollständiger Harnverhaltung kommen.
Ich behandle einen alten Herrn mit kompletter Retention in¬
folge von Prostatahypertrophie. Er führt 4 mal täglich den Nela-
tonkatheter ohne Schwierigkeit selbst ein. Dreimal Im Verlaufe
des letzten Herbstes, jedesmal nach einem kurzen Ausruhen auf
einer Bank im Freien, wurde plötzlich zu Hause das Einfuhren
des Katheters dem Patienten unmöglich. Auch mir machte die
Einführung jedesmal Schwierigkeiten, wenn sie auch schliesslich
immer gelang, und zwar stockte der Katheter immer in der Pars
prostatica urethrae. Die vergrösserte Prostata fühlte sich vom
Rektum aus viel ödematöser, sulziger an als sonst; am nächsten
Tage war alles immer wieder in Ordnung. Durch Kongestion
infolge Erkältung war es also hier zu einer so starken, akuten
Prostataschwellung gekommen, dass der Katheter festgehalten
wurde.
Wenn ich mich jetzt zu den Fernwirkungen wende, welche
die Harnorgane auf die übrigen Organe des Körpers ausüben, so
möchte ich zunächst der engen Beziehungen gedenken, die häufig
zwischen Harnleiden und Verdauungsbeschwerden bestehen.
Natürlich kommen hier nicht die chronischen Intoxikations¬
erscheinungen bei lange dauernder, inkompletter Urinretention in
Frage. Es sind aber auch rein nervöse Beeinflussungen be¬
obachtet worden, ohne dass Resorption giftiger Substanzen hätte
nachgewiesen werden können ; so beschreibt J. J s r a e 1 einen
Fall von linksseitiger Nephrolithiasds, wo wegen häufigen Er¬
brechens und Schmerzen in der Magengegend lange Zeit ein
Magenkatarrh angenommen wurde, bis endlich typische Nieren¬
koliken das Bild klärten.
Ganz besonders häufig sind dyspeptische Beschwerden bei
der Wanderniere, so dass manche Autoren bei der Symptomato¬
logie dieser Erkrankung geradezu einen besonderen dyspeptischen
Typus der Wanderniere aufgestellt haben.
Auch das bei Nierenkoliken häufig auftretende Erbrechen
gehört hierher.
Ein anderes Symptom im Bereiche des Bauches wird eben¬
falls häufig bei Erkrankungen der Harnorgane gefunden, und hat
dann eine hohe diagnostische und auch prognostische Bedeutung.
Das ist die reflektorische, krampfhafte Kontraktion der Baueh-
decken in manchen Fällen von Ureteren- und Nierenerkrankung.
Brettharte Kontraktion der Bauchwand, einseitig oder doppel¬
seitig, kommt bei akuten Erkrankungen, namentlich nach Ver¬
letzungen der Baucheingeweide, häufig zur Erscheinung, und
gilt dann immer als ein ernstes Symptom. Wenn z. B. nach
einer schweren Bauchkontusion, bei der es zweifelhaft ist, ob
innere Organe verletzt sind, oder nicht, doppelseitige oder
namentlich auf der Seite der Verletzung allein, deutliche Kon¬
traktur der Bauchdecken sich einstellt, so ist dies ein Zeichen,
das von vielen Chirurgen als strikte Indikation zur Laparotomie
angesehen wird.
Wie diese Muskelkontraktur entsteht, ist nicht sicher fest¬
gestellt; manche Autoren vermuten Splanchnikusreizung.
Traube hat die Kontraktion der darunter befindlichen Darm¬
schlingen als Ursache angesprochen.
Henoch widmet dieser reflektorischen Bauchmuskelkon¬
traktur in seiner „Klinik der LT nterlei bskrankheiten“ ein be¬
sonderes Kapitel. Er hat sie besonders bei Lebererkrankungen
beobachtet. Er äussert sich folgendermassen :
„Diese Kontraktion der Muskeln gehört offenbar in die Reihe
der konsensu eilen Erscheinungen. Freilich wird mit der An¬
nahme, dass Muskeln in der Nähe gereizter oder entzündeter
Teile sich sympathisch kontrahieren, die Deutung dieser Er¬
scheinung nicht viel gefördert.“
„Lassen sich auch die Kontraktionen des Psoas, der Hals¬
muskeln, bei Spondylarthrokace in den Lumbal- oder Halswirbeln
aus einer Teilnahme des Muskelgewebes an der Entzündung und
aus der Mitleidenschaft der dasselbe versorgenden Nerven er¬
klären, so können wir doch hier, wo durchaus keine Kontiguität
zwischen dem erkrankten Organ und den Bauchwandungen statt¬
findet, nur eine Vermittlung durch das Nervensystem annehmen.“
Auch bei Nieren und Ureterenerkrankung findet sich dieses
Symptom häufig; bei Nierenverletzungen, bei Steineinklem¬
mungen, besonders bei akuten eitrigen Prozessen in der Niere,
und bei paranephritischen Eiterungen. Auch hier kommt dem
7. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDiClNlSCRE WOCHENSCHRIFT.
i65i
Phänomen, besonders wenn es einseitig- auftritt, hohe diagnosti¬
sche Bedeutung zu. Israel behauptet geradezu, dass bisweilen
bei totaler Anurie durch einseitige Steinverstopfung, wenn weder
Koliken voraufgegangen sind, noch Druckschmerzhaftigkeit be¬
steht, oder wenn das Sensorium benommen ist, das Auftreten ein¬
seitiger, spastischer, reflektorischer Kontraktion der Bauch¬
muskulatur die einzige Handhabe böte, um unabhängig von den
Angaben des Patienten die Seite der Erkrankung zu erkennen.
Ich selbst habe vor einiger Zeit 2 Fälle behandelt, wo die
Kontraktion der Bauchdecken mir eine wichtige diagnostische
Hilfe und zugleich die Indikation für die Operation abgab.
Einmal handelte es sich um eine seit IG Jahren bestehende
Strikt ur mit ammoniakalischer Cystltis. Nachdem durch re°el-
mässige Bougierung erhebliche Besserung eiingetreten war, stellte
sich plötzlich eine rechtsseitige Pleuritis ein. Wurde schön hier¬
durch der Verdacht auf eine Eiterung in der Nierengegend erweckt,
so wurde mir diese Annahme noch gewisser, als in den nächsten
Tagen eine brettharte Kontraktur der rechten Bauchhälfte ein¬
trat. Bei der im Augusta-Hospital von Dr. T i e t z e vor-
genommenen lumbalen Inzision wurde eine Vereiterung der rechten
Niere (primäre P.voneplirose Israels) und eine paranepliri tische
Eiterung gefunden. Die Niere wurde entfernt, Pat. starb
24 Stunden später an Herzschwäche. Die Diagnose wurde es
bestand fast gar kein Fieber, hier aus der Pleuritis und vor allem
aus der plötzlich eintretenden gleichseitigen Kontraktur der Bauch¬
decken gestellt. Die Palpation der Nierengegend war bei dem
mächtigen Fettpolster ohne Ergebnis, cystoskopisch konnte die
Niereneiterung ebenfalls nicht festgestellt werden, da die Urethra
für das Instrument nicht durchgängig war; die Probepunktion
haben wir nicht erst gemacht, da wir unserer Sache sicher waren.
Dei zweite lall war ganz ähnlich. Auch hier bestand seit
Jahren Striktur und schwerste Cystitis. Dabei heftige Schmerzen
m der linken Nierengegend. Die linke Bauchhälfte aber war weich
und leicht eindrückbar, die rechte bretthart kontrahiert.
Ich vermutete daher, dass trotz der andersdeutigen Sclunerz-
lokalisation die rechte Niere erkrankt sei. Zwei Tage später konnte
ich sie deutlich als vergrüssert palpieren. Da das Allgemein¬
befinden sehr schlecht wurde und häufiges Erbrechen eintrat, über¬
wies ich Pat. an das F r ä n k e 1 sehe Hospital, wo Herr Dr.
T i e t z e auf die rechte Niere einging und ein eitriges Organ
(primäre Pyonephrose Israels) entfernte. Pat. starb 5 Stunden
spater im Kollaps; Sektion nicht gestattet. Ich kann daher natür-
k h ubei den Zustand der linken Niere nichts aussagen, jeden¬
falls deutete die rechtsseitige Bauehdeckenkontraktur von Anfang
an darauf hin, dass die rechte Niere erkrankt sei, eine Annahme
die durch Palpation und Operation bestätigt wurde.
_ unsere Betrachtung wichtigsten und häufigsten Ir¬
radiationen, die auch am meisten Anlass zu falschen Diagnosen
geben, beobachten wir von einem Hamorgan auf das andere
11a rnorgan.
Das anatomische Substrat, die Nervenbahnen, in denen diese
Voigänge sich abspielen, sind noch verhältnismässig wenig- er¬
forscht, man kann sie nur in groben Umrissen verfolgen. Nieren
und Ureteren werden ausschliesslich vom sympathischen Nerven¬
system versorgt. Der Plexus renalis tritt im Ililus in die Niere
über, die Nerven bilden mit ihren vielfachen Verästelungen und
ganglionähnlichen Anschwellungen einen nicht unerheblichen
Teil der Nierensubstanz (Berkley). Auch die Nierenkapsel
wird nach Kolli k er von feinen, nervösen Endbäumchen aus,
die in der Nierensubstanz liegen, innerviert. Ein Zweig aus dem
Plexus renalis läuft längs des Ureters nach abwärts (Lob-
s t e i n).
Der Plexus renalis seinerseits nun wird gebildet hauptsäch¬
lich vom Plexus coeliacus aus und aus den Verzweigungen des
N. renalis posterior aus dem Splanchnicus minor.
Der Plexus coeliacus ist das stärkste von den sympathischen
Geflechten des Bauchteils, er besteht hauptsächlich aus den
Fasern der Splanchnici, aber auch Endäste des Vagus gehen in
ihn über. Durch diese Anastomosen erklären sich wohl die viel¬
fachen gegenseitigen Beeinflussungen des Magendarmkanals und
des Harntralctus. Der Plexus coeliacus steht ausserdem in enger
Verbindung mit dem tiefer im Becken gelogenen Plexus hypo-
gastricus. Dieser gibt Zweige an die Ureteren und vor Allem an
die Blase ab.
Um sich vor Irrtümern zu schützen, erscheint es mir zweck¬
mässig, die gesamten Harnorgane, Niere, Nierenbecken, Ure¬
teren, Blase, Urethra samt dem Penis, gewissermassen als ein
einziges, sensibles Organ aufzufassen. Jede, irgendwo in diesem
Gesamtorgan auf tretende Störung kann an jedem beliebigen
Funkte desselben als Schmerz empfunden werden. Nichts ist
trügerischer, als hier den schmerzhaften Punkt mit Sicherheit
als den Ort der Erkrankung ansehen zu wollen.
Aber nicht nui* die sensibeln Nerven der einzelnen Uarn-
organe bilden gewissermassen einen einheitlichen Plexus, auch
die motorischen, vasomotorischen und sekretorischen Nerven, die
wir in diesen Organen annehmen müssen, scheinen in engster' Ab¬
hängigkeit von einander zu stehen.
Besonders wichtig und interessant sind die Irradiationen, die
von einer Niere auf die andere ausgehen. Zunächst kommt hier
die reflektorische Anurie in Betracht.
Israel ist es besonders, der durch seine klinischen und
pathologisch-anatomischen Beobachtungen die Lehre von dieser
Sekretionsanomalie begründet hat.
Wenn in dem einen Nieren- und Uretertraktus krankhafte
Veränderungen bestehen, namentlich solche, die zu einer intra¬
renalen Drucksteigerung führen, so kann auf reflektorischem
V\ ege die Inadiation der anderen, an und für sich gesunden
Niere in hohem Grade beeinträchtigt, oft sogar völlig aufge¬
hoben werden. Wird durch Nephrotomie oder durch Nephrek¬
tomie der erkrankten Niere die intrarenale Drucksteigerung be¬
seitigt, so entwickelt sich meistens von seiten der zweiten Niere
eine vermehrte Harnflut. Dies ist ein unzweideutiger Beweis,
dass nicht eine gleichzeitige Erkrankung der zweiten Niere die
Anurie verschuldete, sondern dass sie durch nervöse, von der
erkrankten Niere ausgehende Einflüsse hervorgerufen wurde.
Die intrarenale Drucksteigerung auf der erkrankten Seite
ist meist durch Steineinklemmung im Nierenbecken oder im
Ureter, oder durch Abknickungen des Ureters hervorgerufen, sie
kann aber auch durch entzündliche "V orgänge herbeigeführt
werden.
Ausser der Nephrotomie oder der Nephrektomie, kommt,
wenn ich mir diese kleine Abschweifung gestatten darf, als
schonender therapeutischer Eingriff namentlich in dunklen
Fällen, zunächst auch noch der Dauerkatheterismus der Nieren¬
becken in Betracht. Ich erinnere mich eines Patienten aus der
Nitz e’schen Klinik, der aus anscheinend voller Gesundheit
5 Tage vor seiner Aufnahme an totaler Anurie erkrankt war.
Da die Untersuchung- keinen Anhaltspunkt ergab, wurde aufs
Geradewohl in ein Nierenbecken ein Dauerkatheter eingelegt.
Es stellte sich eine profuse Harnsekretion ein, der Patient genas
vollkommen.
Hätte der Nierenkatheterismus nicht schnellen Erfolg ge¬
habt, so wäre eine sofortige Nephrotomie indiziert gewesen.
Ferner verdienen die sensiblen Fernwirkungen von einer
Niere auf die andere unsere Aufmerksamkeit.
So kann z. B., in allerdings seltenen Fällen, die eine Niere
erkrankt, aber sowohl spontan, wie auf Druck vollkommen
schmerzfrei sein, während heftige irradiierte Schmerzen auf der
anderen Seite bestehen.
Der Fall, den ich vorhin als zweiten erwähnte, war vielleicht
von dieser Art.
Owen berichtet im British Medical Journal über einen
Fall von linksseitiger Nierenkalkulose, wo die Schmerzen so aus¬
schliesslich rechtsseitig empfunden wurden, dass auf der rechten
Seite zuerst, natürlich vergeblich, operiert wurde.
Nur eine genaue Anamnese, die manchmal doch Schmerz¬
anfälle auf der erkrankten Seite feststellen wird, sorgfältige Pal¬
pation mit besonderer Berücksichtigung eventuell vorhandener
Bauchdeckenkontraktur, Cystoskopie, welche die Beschaffenheit
der U reterenmündungen und das Verhalten der Ureterenfunktion
klarlegt, eventuell Ureterenkatheterismus können hier vor Irr¬
tümern schützen.
Die Nieren beeinflussen sich nicht nur untereinander, son¬
dern, und das ist viel häufiger der Fall, es gehen von den Nieren,
von einer oder von beiden, Fernwirkungen auf die distalwärts ge¬
legenen Partien des IJarntraktus aus, Fernwirkungen sensibler,
motorischer und vasomotorischer Art, die sich als Schmerz, Harn¬
drang und Harnträufeln, und Kongestion äussern.
Ich spreche hier nicht von den Nierenkoliken, von denen es
ja wohl jedem bekannt ist, dass die enormen Schmerzen dabei in
die Blase, den P.enis, die Hoden und in die Oberschenkel aus¬
strahlen. Sondern ich habe jene kolikfreien Perioden im Auge,
wo in der Nierengegend kaum irgend welche abnorme Emfin-
dungen wahrgenommen werden, wo aber trotzdem von den Nieren
aus an anderen Stellen des Harntraktus verschiedenartige Be¬
schwerden ausgelöst werden.
3*
1652
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 40.
Eine besonders wichtige Stellung in diesem Kapitel nimmt
die Nierentuberkulose ein, weil gerade bei ihr am häufigsten der
wahre Sachverhalt verkannt wird. Es muss direkt als ein Schul¬
symptom der Nierentuberkulose hingestellt werden, dass sie
häufig jahrelang ohne subjektive Erscheinungen von Seiten der
Niere verläuft, lediglich unter den Symptomen eines Blasen¬
katarrhs.
Gesteigerte Miktionshäufigkeit, Schmerzen beim Wasser¬
lassen, häufig einseitige Blasenschmerzen, Harnträufeln, nament¬
lich bei Frauen, und zwar besonders des Nachts, kennzeichnen oft
das Krankheitsbild.
Kommt nun noch Trübung des Urins hinzu, so kann es. leicht
geschehen, dass der Arzt Blasenkatarrh diagnostiziert und dem¬
entsprechend behandelt, ohne Erfolg. Wird ein solcher Patient
dann cystoskopiert, so erweist sich die Blase häufig als voll¬
kommen gesund. Manchmal wird eine Veränderung an einem
Ureter, ein Ulcus oder eine glasige Schwellung des Ureteren -
wulstes den Hinweis auf die in der Niere sitzende Erkrankung
abgeben. In vorgeschrittenen Fällen wird ja natürlich die Blasen¬
schleimhaut von dem kranken Ureter aus mehr oder minder weit
infiziert und mit Ulzerationen bedeckt sein; aber wie gesagt, sie
kann lange völlig gesund bleiben, und doch können die quälend¬
sten Symptome einer Blasenerkrankung, von der Niere aus ir-
radiiert, bestehen.
Daher erscheint die Forderung Israels und anderer
Autoren, bei jedem Blasenkatarrh von ungewülndicher Ent¬
stehung oder grosser Hartnäckigkeit an Nierenaffektion, vor
allem an Nieren tuberkulöse zu denken, durchaus gerechtfertigt.
Wie die Untersuchung daraufhin im einzelnen zu geschehen hat,
das ist zu erörtern hier nicht der Platz, nur das will ich erwähnen,
dass der so häufig vermisste Bazillenbefund öfters durch eine
provokatorische Tuberkulininjektion hervorgerufen werden kann.
Erst kürzlich hatte ich Gelegenheit dies bei einem Patienten,
zu beobachten, bei dem wiederholte Untersuchungen keine
Bazillen ergaben, bis nach einer auf meinen Vorschlag gemach¬
ten Injektion massenhaft Bazillen, meist haufenförmig ange-
ordnet, gefunden wurden.
Aber nicht nur Cystitis wird durch Nierentuberkulose in¬
folge des irradiierten Schmerzes und Harndranges vorgetäuscht,
auch die Enuresis nocturna kann bei Nierentuberkulose leicht in
ihrer wahren Bedeutung verkannt werden. Nächtliche unwill¬
kürliche Harnentleerung, namentlich bei Frauen und Mädchen,
tritt nämlich als reflektorisches Symptom bei Nierentuberkulose
gar nicht selten auf. Wird der Urin nicht genau untersucht, so
kann leicht eine einfache nervöse Enuresis nocturna ange¬
nommen und die Hauptkrankheit übersehen werden.
Dass für das Zustandekommen des Hamträufelns aus¬
schliesslich nervöse Einflüsse von der Niere aus in Betracht
kommen können, nicht etwa reizende Bestandteile eines chemisch
veränderten Urins als Ursache angenommen werden müssen, da¬
für gibt eine interessante Beobachtung Königs einen unzwei¬
deutigen Beweis. Bei einer Frau, die seit 4 Jahren an Harn¬
träufeln litt, war die linke Niere in einen dünnwandigen, mit
käsigem Eiter erfüllten Sack umgewandelt, der linke Ureter war
so völlig mit Käse erfüllt, dass seit langem kein Urin mehr hatte
durchfliessen können. Mit der Entfernung der erkrankten Niere
hörte das Harnträufeln sofort auf.
Auch Blutungen am Schlüsse der Miktion, bei völlig nor¬
maler Blase und Urethra posterior können durch Kongestion, also
durch vasomotorische Einflüsse infolge von Nierentuberkulose
eintreten. Der hier in Betracht kommende Fall findet sich in
der Israel sehen Monographie beschrieben. Dass die Blutung
nicht von einer lokalen Veränderung der Blase herrührte, ergab
1. die Cystoskopie und II. der Umstand, dass sofort nach der
Nephrektomie der Urin dauernd vollständig normal wurde.
Ich gestatte mir, Ihnen hier eine auf das Doppelte ver-
grüsserte tuberkulöse rechte Niere zu demonstrieren, die ich im
Januar dieses Jahres bei einem 31jährigen Herrn entfernt habe.
Tat. befindet sich bis jetzt wohl, der früher stets intensiv blutige
Urin ist völlig blutfrei und ziemlich klar geworden. Auf dem
Sektionsschnitt sieht man, dass durch S etwa walnussgrosse
Höhlen das Parenchym fast völlig zerstört ist, die Höhlen waren
prall mit käsigem Eiter erfüllt und stellenweise dem Durchbruche
nahe. Pat. war noch im vorigen Sommer wegen Blasenkatarrhs
behandelt worden, die Diagnose auf Nieren tuberkulöse war nicht
gestellt worden. Dass es sich hier um eine primäre, deszendierende
Nierentuberkulose handelte, ging mit grosser Wahrscheinlichkeit
aus dem Blasenbefunde bei der Cystoskopie hervor, da sich Ulzera¬
tionen ganz überwiegend in der rechten Blasenhälfte in der Um¬
gebung des rechten Ureters vorfanden.
Neben den häufigen typischen Irradiationen von der Niere
auf die unteren Ilarnwege bei Tuberkulose der Niere treten die
bei anderen Nierenerkrankungen auftretenden Ausstrahlungen
etwas in den Hintergrund.
Bei chronischen Nierenleiden finden sich, wie schon Mor¬
gagni wusste, in kolikfreien Zeiten Miktionsstörungen und
Schmerzen, ebenfalls häufig einseitige, in der Blase und Urethra.
Das Gleiche gilt von den Hydronephrosen, den Pyonephrosen und
den Nierentumoren; alle können durch Irradiation auf die völlig
gesunde Blase Cystitis Vortäuschen; sie tun es aber bei weitem
nicht so häufig wie die Blasentuberkulose.
In neuester Zeit hat Israel die These aufgestellt, dass auch
bei entzündlichen Nierenerkrankungen Schmerzirradiationen auf
Blase und Urethra vorhanden sein können, die durch intrarenale
Drucksteigerung hervorgerufen werden.
Endlich möchte ich noch erwähnen, dass auch bei Nieren-
verletzungen Schmerzausstrahlungen auf die anderen Ilarn-
organe auf treten. Ich habe einen interessanten Fall dieser Art
im Augusta-Hospital beobachtet, und danke Herrn Dr. T i e t z e
für freundliche Ueberlassung der Krankengeschichte.
Ein bis dahin völlig gesunder Arbeiter bekam beim Aufheben
einer schweren Last vor 3 Jahren plötzlich heftige Schmerzen im
Kreuze und in der Eichel. Später traten Schmerzen in der rechten
Nierengegend ein, die Niere liess sich nach einiger Zeit als ver-
grüssert nachweisen. Ein Jahr später wurde eystoskopisch am
rechten Ureter ein Ulcus, anscheinend tuberkulöser Natur, nach¬
gewiesen. Jetzt besteht ausgesprochene Nieren- und Blasentuber¬
kulose. Dass hier durch das Trauma eine Verletzung der rechten
Niere herbeigeführt worden ist, ist durch den im Anschluss an das
Trauma von diesem Organ ausgehenden deszendierenden tuber¬
kulösen Krankheitsprozess wahrscheinlich gemacht. Das durch
genaue, wiederholte Angaben des Pat. festgestellte Auftreten
eines plötzlichen, heftigen Schmerzes in der Eichel im Moment der
Verletzung, kann daher wohl nicht ohne Grund als eine Fern¬
wirkung von der Niere aus aufgefasst werden.
Gehen wir nun zu den von den Ureteren ausgehenden krank¬
haften Irradiationen über, so ist zu bemerken, dass von ihnen fast
ganz die gleichen Fernwirkungen sensibler, motorischer und
sekretorischer Art ausgehen können, wie von den Nieren. Es
ist sehr schwierig, ja oft unmöglich, die subjektiven Symptome
der Kranken für eine Unterscheidung einer Nieren- von einer
Ureteraffektion zu verwerten. Für die Praxis macht sich dieser
Umstand aber wenig geltend, da selbständige Uretererkran¬
kungen selten sind. Meist treten Uretererkrankungen nur als
Begleiterscheinungen gleichzeitiger Nieren- oder Blasenaffektion
auf. ln Betracht kommen -Ureteritis, Strukturen und Ab-
knickungen des Ureters, Uretersteine. Man wird in fast allen
Fällen so wie so zur Beseitigung des ursächlichen Leidens die
Niere oder die Blase airgehen müssen. Sollte einmal Verdacht
auf ein im Ureter allein lokalisiertes Beiden bestehen, z. B. auf
das Vorhandensein eines im Ureter entstandenen Steines, so
kämen als diagnostische Hilfsmittel in Betracht: 1. Die Cysto¬
skopie. Man wird damit einen im Blasenwandabschnitt des
Ureters stehenden Stein an der abnormen Vorwölbung des Ure-
terenwulstes erkennen können. Auch wird man eventuell das
zuerst von Viertel beschriebene Leergehen des Ureters be¬
obachten, d. h. den Zustand, wo der Ureter sich zwar kontrahiert,
aber kein Urin in die Blase geschleudert wird.
2. Die Ureterensondierung. Man kann dabei eventuell den
Stein fühlen, wie es Kolischer und Casper bereits ge¬
lungen ist.
Auch durch 3. Röntgenstrahlen hat man Steine im Ureter
nachweisen können. Schliesslich käme noch 4. die Palpation der
Ureteren vom Mastdarm oder von der Scheide her in Frage; man
hat schon öfters von liier aus Steine im Harnleiter gefühlt.
Vom Bauche her allein die Druckempfindlichkeit des Ureters
festzustellen und daraus Schlüsse auf eine Ureteraffektion ziehen
zu wollen, ist sehr trügerisch, da auch bei durchaus gesundem
Ureter von der kranken Niere aus irradiierte Druckempfindlich¬
keit des Ureters bestehen kann.
Die von der Blase, Prostata und Urethra ausgehenden Kern¬
wirkungen kann ich kurz behandeln, da sie ziemlich allgemein
bekannt sind.
So findet sich in allen Lehrbüchern beschrieben, dass bei
Blasensteinen oft intensive Schmerzen im Penis, namentlich in
der Wurzel der Eichel empfunden werden.
7. Oktober 1902.
MEENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Audi Enuresis infolge Blasensteinkranklieit wird in der
Literatur erwähnt.
Sehr interessant ist die Tatsache, dass die Llarnmenge durch
die Häufigkeit der Harnentleerung reflektorisch beeinflusst wird. |
Lehman n und M o r i haben nachgewiesen, dass reg'elmässig'
unter sonst ganz gleichen Bedingungen durch vermehrte Miktion 1
die Menge des täglich ausgeschiedenen Harnes nicht unerheblich
gesteigert wird. Es sollte daher immer bei der Beurteilung des
täglichen Ilarnquantums die Anzahl der täglichen Miktionen be¬
rücksichtigt werden.
Die bei chronischer inkompletter Retention eintretende Poly¬
urie ist hiervon wohl zu unterscheiden, sie ist auf den in der
Niere herrschenden gesteigerten Druck zurückzuführen.
Allgemein bekannt, aber in ihrer Entstehung noch nicht
völlig aufgeklärt ist die Latsache, dass bei Prostatahypertrophie
häufiger Harndrang, namentlich des Nachts auf tritt. Dass hier¬
bei, wie es Guyon zuerst ausgesprochen hat, Kongestion, ver¬
mehrte Blutfüllung des Organs als Ursache anzusehen ist, dafür
spricht eben der Umstand, dass bei lange dauernder Rückenlage,
wo wahrscheinlich eine venöse Blutstauung in den Unterleibs¬
organen eintritt, die Beschwerden in so charakteristischer Weise
zunehmen. Ob man nun aber eine durch Vergrösserung der Pro¬
stata herbeigeführte Verkleinerung des Blasenkavums als direkte
Ursache des vermehrten Harndranges ansehen soll, oder, was
wohl plausibler ist, eine durch Druck auf die Prostatanerven
herbeigeführte reflektorische Beeinflussung der Detrusortätig-
keit, darüber lässt sich streiten.
Noch andere, von der Prostata ausgehende Fernwirkungen
sind zu beachten. Es treten nicht selten bei chronischen Pro¬
stataerkrankungen, namentlich bei Prostatitis, schwere psychi¬
sche Alterationen auf. Eine einfache Verstimmung infolge des
Krankseins kann man hier nicht wohl annehmen; in viel höherem
Grade als die anderen Formen der chronischen Gonorrhoe übt
gerade die chronische Prostatitis ihren Einfluss auf die Psyche,
obwohl häufig die lokalen Beschwerden gar nicht so enorm grosse
sind. Die Autoren verweisen wiederholt zur Erklärung dieses
eigentümlichen Zusammenhanges auf den grossen Nervenreich -
tum der Vorsteherdrüse.
Wiederholt ist es mir auf gef allen, dass Patienten, die an
Prostatahypertrophie leiden, über Schmerzen im Kreuzbein kla¬
gen. Ich habe in der Literatur einen Hinweis auf einen dies¬
bezüglichen Zusammenhang nicht finden können. Ich will es
dahingestellt sein lassen, ob man hier typische Irradiationen, die
bei der Lage des Plexus hypogastricus am Os sacrum durchaus
möglich sind, annehmen soll, oder ob nur ein zufälliges Zu¬
sammentreffen vorliegt. An Prostatakarzinom mit Knochen¬
metastasen zu denken liegt bei den Fällen, die ich im Auge habe,
keine Veranlassung vor.
Bisher sind vorwiegend diejenigen Irradiationen besprochen
worden, die von oben nach unten, von der Niere nach abwärts,
stattfinden, die also ungefähr dem entsprechen, was Guyon
Renovesikalreflexe nennt. Es gibt aber auch einen Vesicorenal-
reflex.
Die Beeinflussung der Nierensekretion durch vermehrte
Blasenmuskeltätigkeit ist schon erwähnt worden.
Es gehen auch sensible Fernwirkungen von der Blase nach
der Niere aus, deren Kenntnis in diagnostischer Beziehung nicht
unwichtig ist.
So kommen bei Cystitis und Urethritis posterior Schmerzen
in den Nieren vor, einseitig oder doppelseitig, ohne dass man
immer gleich eine Pyelitis anzunehmen braucht. Es sei zugleich
daran erinnert, dass das in solchen Fällen sehr beliebte Sandelöl
häufig derartige Nierenschmerzen hervorruft.
Ich habe einen Pat. in Behandlung, der dadurch mein Inter¬
esse erregte, dass ich bei ihm genau dem Ort bestimmen konnte,
von dem ein sensibler Vesico-renalreflex ausgelöst wurde. Ein
Prostatiker, im Uebergang vom Reizstadium in das der inkom¬
pletten Retention, wurde durch Einführen dicker Metallsonden
behandelt. Die Prozedur war vollkommen schmerzlos; jedesmal
aber, wenn ich die Pars prostatica und den Blasenhals passierte,
empfand Patient einen intensiven, plötzlichen Schmerz von kurzer
Dauer in der rechten Nierengegend.
Infolge von Phimose hat man Inkontinenz beobachtet.
Nichols beschreibt einen Fall von reflektorischer Inkontinenz,
bei dem der Harn fortwährend aus der Urethra abfloss. Durch
Zirkumzision wurde Heilung herbeigeführt.
^9- 40
1653
1 arguharson berichtet über das Auftreten von Inkonti¬
nenz infolge Enge des Orificium ext. uretlirae; durch Erweite¬
rung des Orifizium wurde die Inkontinenz geheilt.
Zum Schluss will ich ganz kurz noch die Wechsel¬
beziehungen erwähnen, die zwischen dem Hoden und der Pro¬
stata bestehen.
Nach doppelseitiger Kastration erfolgt bekanntlich häufig
eine Verkleinerung der hypertrophierten Prostata.
Es ist noch unentschieden, ob man hier an Fernwirkungen
trophoneurotischer Natur von einem Organ aufs andere zu den¬
ken hat, oder ob nicht, wie König sagt, mit Entfernung der
Hoden bestimmte Stoffe verschwinden, welche das Gleichgewicht
zwischen beiden Organen erhalten.
M. II.! Ich bin mir wohl bewusst, dass es eine missliche
Sache ist, so verschiedenartige Erscheinungen, wie die eben er¬
wähnten, die in ihrer Entstehung oft noch wenig oder gar nicht
erforscht, und die vielleicht zuweilen ganz heterogener Natur
sind, von einem gemeinsamen Gesichtspunkt aus betrachtet,
Ihnen vorzuführen.
Ich bin trotzdem dazu bestimmt worden durch die Erwägung,
dass es in einem diagnostisch oft so überaus schwierigen Ge¬
biete, wie es das der Harnkrankheiten ist, gestattet sein muss,
das diagnostische Rüstzeug auf jede Weise zu festigen und zu
vermehren. Dass dazu auch die Zusammenfassung vieler Er¬
fahrungstatsachen unter einem Gesichtspunkte beitragen kann,
wenn diese sich auch nicht immer einem streng wissenschaft¬
lichen Schema fügen, wollte ich durch meine Ausführungen
dartun.
Ein Fall von habitueller Urtikaria gonorrhoica.
Kurze Mitteilung aus der Praxis.
Von Dr. med. Orlipski in Halberstadt..
Die Frage des Vorkommens gonorrhoischer Exantheme, von
einer Reihe namhafter Forscher zur Diskussion gestellt, ist bis
heute immer noch nicht entschieden. Folgende kurze Kranken¬
geschichte dürfte darum vielleicht einem gewissen Interesse be¬
gegnen, denn sie scheint mir geeignet, einen Beitrag zur Lösung
der Frage in bejahendem Sinne zu liefern:
Ende Juli vorigen Jahres suchte mich ein Kaufmann von
ausserhalb wegen eines stark juckenden Hautausschlages auf
und erzählte mir dabei folgende Anamnese: Vor 15 Jahren habe
er einmal Tripper gehabt, der mit Hodenentzündung einlier-
gegangen sei, und er hätte damals gleichzeitig einen quaddel-
artigen Ausschlag auf der Haut gehabt, welcher durch starkes
Jucken ihn arg gepeinigt, zeitweise leicht und dann wieder stärker
aufgetreten sei und erst — auch für den Patienten in auffälliger
Weise — dann aufgehört hätte, als er von seinem Tripper befreit
war. Darüber seien 13 Jahre hingegangen ohne geschlechtliche
Infektion, ohne sonstige Krankheit. Vor 2 Jahren hatte er das
Unglück, sich wieder frisch mit Tripper anzustecken, und dieses
Mal war die Krankheit äusserst hartnäckig, dergestalt, dass er
trotz mehrfacher Behandlung noch jetzt an einem dünnflüssigen,
bald milchigen, bald farblosen Harnröhrenfluss leidet. Obwohl
er infolge der vielfach vergeblich unternommenen Heilversuche
gegen die Krankheit allmählich indifferent geworden sei, müsse
er doch wieder einen Arzt befragen, denn seit 14 Tagen habe sich
dieselbe Hauterscheinung gezeigt, welche ihn schon vor 15 Jahren
bei seinem ersten Tripper belästigte: nämlich ein über den ganzen
Körper auftretendes Jucken mit Quaddelbildung; dies der Bericht
des Patienten.
Objektiver Befund: Auf Bauch- und Brusthaut mehrere linsen-
his markstückgrosse weissliehe Erhabenheiten. Macht man mit
dem Fingernagel auf der Haut einen mässig starken Strich, so tritt
nach augenblicklichem Verschwinden des Erblassens der berühr¬
ten Hautstelle eine deutliche Rötung und Schwellung derselben ein.
Ausserdem: Urethritis gonorrhoica posterior, Prostatitis subacuta,
Prostatasekret gelbeitrig, zahlreiche Zellen, Gonokokken, Urin¬
gläserprobe positiv beide Male, Urin ohne Eiweiss. Diagnose:
Urticaria alba et factitia gonorrhoica. Verlauf und Therapie:
Prostatamassage, Urethral-Druckirrigationen mit Albargin und
dann übermangansaure Kalilösung. Innerlich nichts, kein
äusseres Mittel für die Haut. Vierwöchentliche Be¬
handlung der Gonorrhoe beseitigt Tripperreste und damit ver¬
schwindet zugleich auch vollständig die vorhanden gewesene Nei¬
gung zur Quaddelbildung. Vor etwa 8 Wochen berührte P. auf
der Reise wiederum meinen Wohnort und erzählte mir, dass er
im Februar dieses Jahres zum dritten Male sich frisch mit Tripper
angesteckt hätte, dass er nach 14 tägigem Bestehen des Trippers
wiederum „Nessel“ausschlag bekommen, der erst wieder aufge¬
hört hätte, als der Tripper nach viel wöchentlicher Injektions¬
behandlung restlos verschwunden war.
Wir haben hier also einen Fall von Urticaria chronica alba
et factitia, mit Gonorrhöe vergesellschaftet, den man geradezu
4
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIFT.
No. 40.
Ib54
als habituelle Urticaria gonorrhoica bezeichnen kann. Denn ein
Mann, der sonst niemals an Hautausschlägen gelitten, erkrankt
3 mal hintereinander an Quaddeleruption, sobald er sich mit
Gonokokken angesteckt hat. P. hatte niemals innere Mittel, keine
Balsamika gebraucht, also Arzneiexanthem lag nicht vor. Auch
Koprostase hatte nach meiner Feststellung in diesem Falle nicht
bestanden, also auch autochthone Darmintoxikation konnte nicht
vorliegen. Hier hiesse es den Dingen Gewalt antun, wollte man
den ursächlichen Zusammenhang zwischen Gonorrhöe und Haut¬
erkrankung leugnen. Ob es sich um eine reine Hautmetastasc
der Gonorrhöe handelt oder um Wirkung von Gonokokken¬
toxinen oder schliesslich um einen von den Gonokokken aus¬
gehenden Reiz, der durch Vermittlung der Nerven die Haut¬
veränderung bewirkt (Angioneurose, Unnas Venenspasmus),
das wage ich nicht zu entscheiden; aber zweifellos scheint mir
ein Kausalnexus vorhanden zu sein.
Ein Fall von doppelseitigem paranephritischen Abszess.
Von Dr. Piltz in Vienenburg.
Angeregt durch den in No. 19 dieser Zeitung erschienenen
Artikel des Prof. Cahn in Strassburg möchte ich mir erlauben,
in folgendem einen Fall von doppelseitigem paranephritischen
Abszess mitzuteilen, der wegen seiner Aetiologie und Kompli¬
kationen vielleich einiges Interesse erregen wird.
St., Käsebäcker in J., 42 Jahre alt, ein mittelkräftiger Mensch,
erkrankte, nachdem er schon vorher sich nicht wohl gefühlt hatte,
Anfang November vorigen Jahres unter unbestimmten fieber¬
haften Erscheinungen, deren Deutung am meisten noch mit der
Diagnose Influenza zusammenstimmte. Auffällig waren nur dabei
zeitweilig auftretende, sehr heftige Schmerzen in der Nacken- und
Glutäalmuskulatur. Diese Symptome zogen sich wochenlang hin,
bald sich verschlechternd, bald sich verbessernd. Ein in die linke
Nierengegend versetzter lokaler Schmerz liess mich einmal an eine
Nierenerkrankung denken, die Untersuchung des Urins war jedoch
stets negativ, der Schmerz verschwand auch bald wieder. Schliess¬
lich nahm ich den Kranken, da eine exakte Beobachtung des Falles
bei der weiten Entfernung unmöglich war, am S. Dezember ins
Krankenhaus auf. Hier besserte sich anscheinend anfangs der
Zustand, die Temperatur ging herunter, doch erreichte sie niemals
die Norm. Etwa 14 Tage nach der Aufnahme klagte der Kranke
wiederum über Schmerzen in der linken Nierenseite. Probepunk¬
tion und Urinuntersuchung negativ; dagegen entwickelte sich links
hinten oberhalb des Zwerchfelles und später auch rechts hinten
unten eine Dämpfung. Doch zeigten beide verschiedenes Ver¬
halten, indem links die Auskultation abgeschwächtes, rechts ver¬
stärktes Bronchialatmen ergab; ebenso verhielt sich der Pektoral-
fremitus. Eine Probepunktion links ergab seröses Exsudat, rechts
nichts. Das Eigentümliche bei beiden Zuständen war, dass sie
sich nicht verschlimmerten: das Exsudat wuchs nicht, die An¬
schoppung verbreiterte sich nicht. Das Fieber blieb dabei inter¬
mittierend, ging aber nicht höher als bis 38,5. Am 19. Dezember
endlich klärte sich die ganze Sachlage: es stellte sich ganz plötzlich
an der als schmerzhaft bezeichneten Stelle in der linken Nieren¬
gegend eine fluktuierende Hervorwölbung ein. deren Punktion end¬
lich den lang erwarteten Eiter ergab. Die Operation, die ich unter
Schneid erlin scher 9 Narkose ausführte, förderte eine Un¬
masse Eiter zu Tage. Der hintere Nierenrand liess sich leicht ab¬
tasten. Erst Tamponade, dann Drainage. Merkwürdigerweise
ging nach der Operation das Fieber nicht zur Norm herunter,
es behielt vielmehr immer seinen intermittierenden Charakter bei,
stieg sogar einmal auf 39,0, auch war der Allgemeinzustand gar
nicht befriedigend; dabei floss der Eiter gut durch die Drainage
ab und der Schmerz war verschwunden.
Anfang Januar klagte Patient über die rechte Nierengegend,
die Untersuchung ergab ebenfalls eine Hervorwölbung mit Fluk¬
tuation, die sich ebenfalls innerhalb eines Tages ausgebildet hatte.
Die Operation brachte das nämliche Resultat, wie auf der anderen
Seite. Von da an ging es mit dem Patienten aufwärts und schon
nach 3 Wochen konnte er mit noch nicht völlig geschlossenen
Fisteln entlassen werden. Die Veränderungen an der Innige
resp. Pleura waren rapid zurückgegangen. Jetzt ist er ein blühen¬
der, kräftiger Mensch geworden.
Ueber die Aetiologie dieser symmetrisch verlaufenen Eite¬
rung kann ich leider nichts berichten. Man könnte ja dieselbe
als Folge der anfangs bestandenen Influenza ansehen, die häufig
zu inneren Eiterungen disponiert. Während der Krankheit auf¬
tretende Sudamina, die in der Folge eitrig wurden, könnten als
Infektionspforte angenommen werden. Oder liegt die Zeit der
Infektion weiter zurück und bedeutet die ganze Krankheit nui
*) Seit der Publizierung dieser Narkose durch Korff —
Münch, med. Wochenschr. 1901, pag. 1169 — habe ich fast sämt¬
liche Operationen nach dieser Methode gemacht, und in jeder Weise
das dort Mitgeteilte bestätigt gefunden. Ich kann sie nur aut
das Angelegentlichste empfehlen. Später gedenke ich über meine
Erfahrungen darüber genauer zu berichten.
eine chronische Pyämie mit endlicher Lokalisierung in der bsid i -
seifigen Nierengegend? Dann würde dieser lall im Verlauf
dem ersten Cahn sehen sehr ähnlich sein. Jedenfalls ist eine
doppelseitige paranephritische Phlegmone wohl nicht sehr häufig
und deswegen glaubte ich mich berechtigt, den Fall der Oeffent-
lichkeit zu übergeben.
Aus der I. medizinischen Universitätsklinik in Wien
(Chef : Hof rat Prof. N othnagel).
Zur Therapie und Pathogenese der Stenokardie und
verwandter Zustände.
Zwei Fälle von „intermittierender ischämischer Dysperistaltik“
(S c h n i t zl e r).
Von Dr. Robert Breuer, klin. Assistenten.
(Fortsetzung.)
III.
Ich lasse nun einige Krankengeschichten von mit Theo¬
bromin behandelten Patienten in kurzen Auszügen folgen. An
erster Stelle stehen Kranke mit Angina pectoris, und zwar wurden
aus der nicht unerheblichen Zahl derartiger Beobachtungen einige
ausgewählt, die die Stenokardie bei verschiedenen Affektionen
(Koronarsklerose, Aortenfehler, Aneurysmen) in Beispielen vor¬
führen sollen. Daran schliessen sich einige Beobachtungen, die
mir zu zeigen scheinen, dass sich die Anwendung des Theobromins
auch auf Zustände erstreckt, die mit der Stenokardie zwar keine
äussere Aehnlichkeit, wohl aber offenbar eine grosse patho¬
genetische Verwandtschaft aufweisen, und die vielleicht bis jetzt
zu wenig beachtet worden sind. Die Natur dieser offenbar nicht
seltenen Formen von „M agensch merze n“ resp. „B aucli-
s e h m e r z e n“ und „Ko 1 i k e n“ wird gerade bei der Anwen¬
dung des Theobromins „ex juvantibus“ schon in vivo erkennbar.
Auf ihr Vorkommen und ihre, wie mir scheint, nicht unerheb¬
liche praktische Wichtigkeit soll hier hingewiesen werden.
1. Beobachtung. Koronarangina (Endarteriitis
luetica?).
R. M., 43 Jahre alt, Beamter. Vor 17 Jahren luetisch infiziert;
Exanthem, Schmierkur. Seither keine luetischen Erscheinungen.
Hat stets gut gelebt, reichlich gegessen und getrunken, raucht
seit 1 Jahr nicht mehr. War bisher vollkommen beschwerdefrei.
Seit einigen Wochen bekommt I’at., sowie er länger als 3 — 4 Minuten
in continuo, wenn auch in langsamem Tempo geht, heftigste Schmer¬
zen hinter dem Sternum, gegen den Rücken und in das Epigastriuin
ausstrahlend, begleitet von lebhaftem Angstgefühl. Er kann
keinen Schritt weiter, sondern muss einige Minuten stehen bleiben,
dann kann er wieder eine kurze Strecke gehen. Hie und da ge¬
lingt es ihm, wenn er die Energie dazu aufbringt, trotz der
Schmerzen weiter zu gehen, der Schmerz hört dann nach y3 bis
1 Minute von selbst auf. Aber nur selten ist es ihm möglich,
den Anfall, wie man in Wien sagt, zu „übertauchen“; er hat, wenn
der Schmerz einsetzt, gewöhnlich das intensive Gefühl, als wäre
es sofort aus mit ihm, wenn er noch einen Schritt machte. So
kommt es, dass er in letzter Zeit nicht den kürzesten Weg machen
kann, beim Treppensteigen z. B. bis zu seiner im 2. Stock gelegenen
Wohnung oft 10 Minuten braucht etc. Die Schmerzen seien qual¬
voll, mit keinem anderen Schmerz zu vergleichen. Atemnot ver¬
spüre er nie im Anfall. Ebensolche Anfälle treten hie und da
auch in der Ruhe und zwar nach reichlicherer Mahlzeit auf; regel¬
nnissig aber kann er, besonders in den letzten Tagen, nach dem
Essen so gut wie gar nicht gehen, muss sich dann, um in die
nächste Strasse zu kommen, einen Wagen nehmen. — Andere Be¬
schwerden fehlen durchaus.
Objektiv: Grosser, kräftiger, blühend aussehender Mann.
Pulsspannung ca. 150 mm Hg. Kein Eiweiss im Harn. Am
Herzen mit Ausnahme eines accentuierten Aortentones nichts Ab¬
normes. Ilerzaktion regelmässig.
Während eines Anfalles, den ich bei dem Kranken nach dem
Ersteigen einer Treppe beobachten konnte, war er blass im Ge¬
sicht, konnte nicht sprechen, sein Gesichtsausdruck zeigte deut¬
lich heftigen Schmerz und lebhafte Angst. Der Puls war von
etwa derselben Spannung wie ausserhalb des Anfalls, verlangsamt
(ca. 50), nicht deutlich arhythmisch. Der Kranke stand unbeweglich,
an die Wand gelehnt, und hielt den Atem an. Von Dyspnoe keine
Spur. Nach etwa 1 Minute war der Anfall vorüber.
Diuretin 0,5 5 mal täglich. — Am Tage nach den ersten
Diuretinpulvern zessieren die Schmerzen vollk o in -
men und daue r n d. Pat. berichtet nach 10 Tagen, er fühle
sich vollkommen gesund, obwohl er sonst so lebe wde früher.
Vor 2 Tagen habe er einen ly2 stiindigen Spaziergang ohne jede
Beschwerde gemacht. Nach weiteren 14 Tagen war Pat. bei 2,0
Diuretin pro die noch anfallsfrei.
Das ist ein typischer Fall der echten „Angine d’effort“, die
richtige Claudicatio cordis. Die Anfälle sind hier wohl mit
7. Oktober 1902.
MTIENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1655
Sicherheit auf sklerotische Veränderungen der Koronarien resp.
der Aorta im Anfangsteil bei noch ziemlich intaktem Herzmuskel
zu beziehen; inwieweit die vorausgegangene Lues dabei eine Rolle
spielt, lässt sich, wie in den meisten derartigen Fällen, nicht mit
Sicherheit entscheiden ). Selten und von hohem Interesse ist
die Angabe des Kranken, dass es ihm hie und da gelinge, im
Anfall sich weiter zu bewegen, und dass dann der „Herzkrampf“
trotz des Weitergehens aufhöre. Das ist für die Auffassung der
ganzen Sache nicht ohne Bedeutung; es wird weiter unten darauf
zurückgekommen werden.
2. Beobachtung. Koronarangina, Aorten¬
insuffizienz.
K., 57 Jahre alt, aufgenommen am 28. VI. 1901, entlassen
am 12. VII. 01.
In der Jugend Pleuritis. Reichlich Alkohol. Früher viel ge¬
raucht. Lues negiert.
Seit 7—8 Monaten Anfälle heftigster „Brustkrämpfe“ mit
furchtbarem Vernichtungsgefühl und Ausstrahlen der Schmerzen
in den r. Arm. Die Anfälle kamen anfangs beim Herumgehen und
anderen körperlichen Anstrengungen, später auch, wenn Pat. lie¬
gend schlief. Seit einigen Wochen kann der Kranke keine Nacht
im Bett zubringen, weil sonst während einer Nacht 3—4 schwerste
Anfälle auftreten. Seit 3 Monaten leichte wechselnde Schwellung
der Fiisse. Häufig Schwindelanfälle.
Objektiv: Fahl und elend aussehender, früh gealterter
Mann. Leichte Cyanose, geringe Oedeme an den unteren Extremi¬
täten. Puls leicht arrhythmisch, ca. 80, nicht celer, keine
Sklerose der fühlbaren Arterien, Spannung subnormal. Herz nicht
nachweisbar hypertrophisch, leicht dilatiert. Ueber dem Sternum
ganz leises diastolisches Geräusch. Sonst reine Töne, 2. Aorten¬
ton nicht auffallend accentuiert oder klingend. Geringe diffuse
Bronchitis. Etwras grosse, harte Leber, kein Aszites. Spuren von
Eiweiss im Harn. Pat. hatte am Tag der Aufnahme und in der
folgenden Nacht zusammen 3 stenokardische Anfälle von entsetz¬
licher Intensität. Der Anfall begann mit einer Art dumpfen Ge¬
schreies, dann blieb der Kranke, der immer sofort aufgestanden
war, mit verzerrtem Gesicht bewegungslos ruhig stehen und hielt
den Atem so lang als möglich an, während er sich mit beiden
Händen krampfhaft am Bettisch festhielt. Gesicht während des
Anfalls bleich, schweissbedeckt; Puls 60 — 70, etwas schlechter
gespannt, aber nicht wesentlich unregelmässiger als sonst.
Der Anfall bot einen so entsetzlichen Anblick, dass der
Kranke (schon mit Rücksicht auf die anderen Patienten) sofort
Morphium subkutan erhielt, und zwar das erste Mal 0,02, während
der folgenden Anfälle 0,03. Die Attacke hörte dann nach einigen
Minuten allmählich auf.
Patient hatte zu Hause schon Jod. Digitalis, Nitroglyzerin
ohne Erfolg genommen und während der Anfälle stets Morphium
bekommen müssen.
29. VI. Diuretin 3,0. Pat. hatte am selben Tag und in
der folgenden Nacht noch je einen leichten Anfall; von da an
schmerzfrei, schläft gut bei Nacht, kann im Zimmer herum¬
gehen und will durchaus in den Garten. Die Oedeme der unteren
Extremitäten schon am 2. Tag nach dem Beginn der Diuretin-
medikation vollkommen geschwunden. Am Puls keine Verände¬
rung.
9. VII. Bis heute anfallsfrei. Pat., der sehr eigenwillig
und untraitabel ist, verweigert das Diuretin; „es mache ihm
Blähungen“. Keine Oedeme. Nitroglyzerin 0,0005 3 mal täglich.
In der folgenden Nacht 3 Anfälle schwerster Art. Pat. muss
im Laufe der Nacht zusammen 0,11 Morphium bekommen.
5) In den Beobachtungen von Koronarsklerose, besonders bei
Individuen mittleren Alters, findet sich auffallend häufig die An¬
gabe eiiier früheren luetischen Infektion; dasselbe berichtet Erb
über seine Erfahrung bei der Sklerose der Extremitätenarterien
mit Claudicatio intermittens; für die Aneurysmen, besonders der
Aorta, ist die ausserordentliche Häufigkeit vorausgegangener Lues
eine nunmehr allgemein anerkannte Tatsache. Dass es sich dabei
nicht immer, ja in der Minderzahl der Fälle um die echte End-
arteriitis luetica handelt, ist aber durch vielfache anatomische
Untersuchungen festgestellt. Man hilft sich zur Erklärung dieses
Zusammenhanges in der Regel mit der Annahme, dass die Syphilis
ähnlich wie das Blei, der Tabak etc. eine erhöhte Disposition zur
Arteriosklerose schaffe. Das ist ja wohl möglich; besonders nach
,ler Huchardschen Auffassung von der Genese dieser Krank¬
heit wäre es unschwer zu verstehen, dass ein leichter, an sich be¬
deutungsloser luetischer Intimaprozess, der später gar nicht mehr
selbst nachzuweisen ist, zu ausgebreiteten Gefässkontraktionen
und damit zum Entstehen der gewöhnlichen Arteriosklerose Ver¬
anlassung gäbe. Es erscheint aber auch durchaus nicht unmöglich,
dass es ausser der echten, durch die Antisyphilitica heilbaren
Endarteriitis luetica eine Form der Gefässklerose gibt, die zur
Lues in einer analogen Beziehung steht, wie die Tabes, die Para¬
lyse (meiner Meinung nach auch das Argyll-Roberts o n sehe
Phänomen) etc., die mit einem Wort zu den spezifisch meta¬
luetischen Affektionen gehört. Vielleicht erlauben künftige
klinisch-anatomische Forschungen, eine solche Form der Gefäss-
erkrankung von der gewöhnlichen Arteriosklerose abzutrennen.
10. VII. Theobr. natriobenzoic. 3,0 pro die. Am 10. und 11.
kein Anfall.
Am 12. VII. verlässt der Kranke trotz dringenden Abratens
das Spital.
Er hat zuhause noch einige Tage Theobr. natriobenzoic. ge¬
nommen und dann ausgesetzt. Am nächsten Tag mehrere schwere,
einander fast ohne Unterbrechung folgende Anfälle. Plötz¬
licher Exitus im Anfalle.
Dieser Fall schwerer Angina vera bedarf wohl keines weiteren
Kommentars.
3. Beobachtung. Stenokardie bei Aorten- und
Mitralinsuffizienz ex endokarditide.
V., 20 Jahre alt, Buchhalter. Im 9. Lebensjahre, angeblich in¬
folge eines Stosses in die Herzgegend „Herzklappenentzündung“.
Seither bei Anstrengungen Atemnot und Herzklopfen. Trinkt sehr
massig, raucht mässig reichlich. Leidet seit dem 18. Jahre an an¬
fallsweise auftretenden heftigen Schmerzen hinter dem Sternnm,
die von hier in die linke Schulter und den linken Arm ausstrahlen.
Dabei heftiges Angstgefühl und Schweissausbruch. Die Anfälle
kommen täglich ein-, selten auch zweimal, und zwar sowohl am
Tage nach Anstrengungen, als auch nach der Abendmahlzeit und
in der Nacht während des Schlafes, ferner erfolgt ganz regelmässig
ein Anfall post coitum.
Es besteht typische Aorten- und Mitralinsuffizienz mit starker
Dilatation und Hypertrophie des linken Ventrikels und Hyper¬
trophie des rechten Ventrikels. Keine Erscheinungen gestörter
Kompensation. Regelmässiger Pulsus celer von etwa normaler
Freqenz und Spannung.
Pat. hat zuhause früher eine Nitroglyzerinkur mit gutem Er¬
folge durchgemacht (Tabletten ä y2 mg. von 1 — 6 Tabletten täg¬
lich ansteigend). Die Anfälle wurden im Verlauf von 3 Wochen
leichter und hörten schliesslich auf. Er wrar 4 Monate anfallsfrei.
Dann traten die Anfälle wieder auf und waren nun durch Nitro¬
glyzerin nicht mehr zu beseitigen, kommen täglich 1 — 2 mal mit
noch grösserer Heftigkeit als früher.
Diuretin 3,0 pro die. Vom ersten Tage der Medikation
an kein Anfall mehr. Nach 14 Tagen lässt Patient das Diuretin
weg: an diesem und am nächsten Tage je ein Anfall. Pat. erhält
nun A g u r i n 3 mal täglich 0,5. Kein Anfall mehr, auch als der
Kranke nach etwa 3 Wochen das Agurin aussetzt. (Ambula¬
torische Beobachtung dauert noch weitere 3 Wochen.)
Es ist wiederholt, zuerst wohl von Nothnagel, darauf
hingewiesen worden, dass, wenn bei Klappenfehlern Angina pec¬
toris vorkommt, es sich fast ausschliesslich um Aorten fehler
handelt. Bei den so häufigen Aorteninsuffizienzen ex arterio-
sclerosi ist das nach der „arteriellen“ Theorie ohne weiteres ver¬
ständlich; bestehen doch bei dieser regelmässig Veränderungen
in der Gegend der Koronarostien, event. auch Sklerose der Koro¬
narien selbst. Für Fälle, wie der vorliegende, bei denen es sich
um Aortenklappenfehler infolge von Endokarditis handelt, kann
man nach zahlreichen vorliegenden Erfahrungen wohl annehmen,
dass die grossen Blutmengen, die der linke Ventrikel infolge
der Aorteninsuffizienz unter hohem Drucke auswirft, sekundär
eine Intimaerkrankung im Anfangsteil der Aorta erzeugt habe.
Dass dadurch die Koronarostien verengt, vielleicht die Kranz-
gefässe sogar in ihrem Verlauf erkrankt sind, lässt sich in diesen
Fällen natürlich in vivo nicht beweisen; allerdings muss man
auch mit dem Versuch, eine Koronaraffektion eben mit dem Hin¬
weis auf die J ugend des Patienten für ausgeschlossen zu erklären,
wie mehrfache Erfahrungen zeigen (vergl. H uchard), gerade
bei derartigen Kranken sehr vorsichtig sein. Aber notwendig
ist eine anatomische Affektion der Kranzarterien selbst oder auch
nur eine Stenose ihrer Ostien nicht; es soll weiter unten noch
darauf eingegangen werden, dass und warum Intimaverände¬
rungen im Anfangsstück der Aorta zur Auslösung von Angina¬
anfällen auch bei normalen Koronarien hinreichen.
Der folgende Fall zeigt, dass auch die Nikotinangina durch
Theobromin günstig beeinflusst wird.
4. Beobachtung. Angina pector. ex abusu nico-
t i a n.
A., Comptoirist, 24 Jahre alt. Früher stets gesund, nie Herz¬
beschwerden. Kein Alkohol, keine Lues. Raucht seit 5 Jahren
und zwar sehr reichlich, fast ausschliesslich Zigaretten, in den letz¬
ten Monaten bis 30 Stück täglich. Hat seit einigen Wochen oft
unangenehme Sensationen in der Herzgegend, stechende Schmer¬
zen und die Empfindung, als ob das Herz plötzlich stehen bliebe.
Ausserdem treten, und zwar fast nur des Nachts, höchst pein¬
liche Schmerzanfälle („Herzkrämpfe“) auf. die in den linken Arm
bis in die Fingerspitzen ausstrahlen und von Vertaubungsgefühl
in der linken Thoraxseite und der linken oberen Extremität be¬
gleitet sind. Dabei „furchtbare Beklemmung“, das Gefühl, als ob
das Herz sich zusammenziehe und nicht mehr weiterschlagen
wolle. Dauer der Anfälle ca. 10 Minuten. Pat. war aufmerksam
gemacht worden, dass diese Erscheinungen einer chronischen
4*
1653
MUEN CITENE R MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT .
No. 40.
Nikotinvergiftung zuzuschreiben seien, und hat seit 14 Tagen das
Itauchen eingeschränkt; trotzdem haben die Anfälle nicht auf¬
gehört. .
Objektiv: Nervöser, aufgeregter Mensch, lebhafte Knie¬
reflexe. Starke Arhythmie auch in der Ruhe. Sonst weder am
Herzen noch sonst irgendwo etwas Abnormes.
D iuretin 2.5 pro die. Die Anfälle zessieren am 2. Tag
der Medikation und kehren, als 2 y2 Wochen später das Diuretin
ausgese'tzt wird, nicht wieder, obwohl der Kranke wieder etwas
mehr raucht. Die Arhythmie und das Gefühl des „Herzstill¬
standes“ dauern noch weiter fort, sind aber schwächer.
Der Einfluss des Theobromins auf die stenokardischen An¬
fälle bei diesem und anderen Kranken spricht- sehr dafür, dass
Huchards Meinung richtig ist: Die Nikotinstenokardie sei
nicht den übrigen „Pseudostenokardien“ gleichzustellen, sondern
sei bedingt durch einen Krampf der Kranzarterien
infolge des Nikotins; sie sei also eine funktionelle
Koronarangin a. Es mag hier dahingestellt bleiben, ob,
wie französische Autoren annehmen, der Beweis wirklich schon
erbracht ist, dass das Nikotin geeignet sei, derartige toxische
passagere Gefässpasmen zu erzeugen ; ob nicht doch auch in
leichteren Fällen, wo die Angina pectoris bald nach dem Aus¬
setzen des Rauchens wegbleibt, ein leichter anatomischer
Gefässprozess zu Grunde liege, wie er durch schweren, lang¬
dauernden Tabakmissbrauch sicher in schweren Formen erzeugt
werden kann (Erb).
5. Beobachtung. Aneurysma arcus aortae.
Stenokardie.
M„ 48 jähriger Maurer. Lues sicher vorausgegangen. Pat.
leidet seit mehreren Monaten an Heiserkeit, Atemnot und Schmer¬
zen in der Brust. Es besteht Kompression des linken Bronchus
und des linken Rekurrens durch ein physikalisch (mit Ausnahme
des deutlichen O 1 i v e r - C a r d a r e 1 1 i sehen Phänomens) nicht
nachweisbares, röntgenoskopisch aber sichergestelltes apfel¬
grosses Aneurysma des Aortenbogens. Ausser den fast kontinuier¬
lich bestehenden mässigen Schmerzen in der Tiefe der Brust und
gegen den Rücken hin, stellten sich vor der Aufnahme in die
Klinik täglich mehrmals, und zwar bei Tage und bei Nacht, An¬
fälle heftigster Schmerzen hinter dem Sternum ein, die in den
linken Arm ausstrahlten und mit dem Gefühle heftigster Todes¬
angst verbunden waren. Während des Anfalls bestand zudem
meistens starke Atemnot; ein auch sonst vorhandener Stridor ver¬
stärkte sich bedeutend; gleichzeitig empfand Pat. unüberwind¬
lichen quälenden Hustenreiz hinter dem Manubrium sterni, und
hustete trocken und unter furchtbarer Anstrengung.
Pat. hatte zuhause Nitroglyzerin ohne Erfolg genommen und
musste stets Morphiuminjektionen während der etwa % Stunde
dauernden Attacken erhalten. In der Klinik wurden noch mehrere
Anfälle beobachtet, sie gehörten zu dem entsetzlichsten, was man
sehen kann.
Diuretin 3,0 pro die. Die Anfälle zessierten nicht voll¬
kommen. aber sie traten in den folgenden 2 Wochen seltener und
viel leichter auf. Schmerz und Todesangst fehlten fast ganz,
Husten und Atemnot waren viel geringer. Dagegen stellte sich
nach ca. 2 Wochen blutig fingiertes Sputum ein und der Kranke
erlag schliesslich einer Perforation in den BronchuS. Die Ob¬
duktion wies ein sackförmiges Aneurysma des Aortenbogens nach.
Die Aorta ascendens nur wenig endarteritisch verändert. Die
Koronarien selbst in den Stämmen fi*ei, in der Umgebung der
Ostien einige endarteritisehe Plaques.
Es ist sehr zu bedauern, dass in diesem Falle die anatomische
Untersuchung nur die Hauptstämme der Kranzarterien berück¬
sichtigt hat, während die Nebenäste nicht untersucht wurden.
Wissen wir doch, dass Stenokardien selbst schwerer Art Vor¬
kommen können, wenn die Stämme der Koronarien frei und nur
Aeste, selbst geringen Kalibers, sklerotisch erkrankt sind.
Der vorstehenden sehr ähnlich ist folgende
6. Beobachtung. Aneurysma arcus aortae.
Stenokardie.
41 jähriger Beamter, Lues vor 11 Jahren. Bogenaneurysma
mit linksseitiger Rekurrenskompression von der Grösse einer
Orange (Röntgenuntersuchung). Seit Wochen jede Nacht 1 — 2
schwere Schmerzanfälle hinter dem Sternum, in den linken Arm
ausstrahlend, mit lebhaftem Angstgefühl, aber ohne
Atemnot.
Bei 3,0 Diuretin pro die war Pat. 3 Wochen lang vollkommen
schmerzfrei, bekam aber, als er nach dieser Zeit das Mittel aus¬
setzte, ca. 5 Tage später wieder Anfälle.
Auch in diesem Falle ist mangels einer anatomischen Unter¬
suchung die Frage nicht zu entscheiden, ob die Koronarien normal
oder erkrankt gewesen seien. Auf jeden Fall wird man die beiden
letzten Beobachtungen noch der Stenokardie zuzählen dürfen,
wegen des den Schmerzanfall begleitenden lebhaften Ver-
nichtungs - r e s p. Angstgefühles, das doch wohl für
das Herz syndrom : Angina pectoris charakteristisch ist. Das
Vernichtungsgefühl resp. die hochgradige „Präkordial“- Angst
scheint mir nämlich ein Symptom zu sein, das nur vom
Herzen aus ausgelöst wird ; es scheint mir eine spezifische
Empfindung darzustellen, die die sensiblen Apparate des
II e r z e n s vermitteln und die nur diesen zukommt. Wo es zu¬
sammen mit Schmerzen in der Brust auftritt, da hat man, glaube
ich, ein Recht, eine sensible Reizerscheinung anzunehmen, die
vom Herzen ausgeht, und von „Herzschmerz“ zu sprechen —
gleichgültig, ob ein anatomisch bedingtes Phänomen, wie bei der
Angina pectoris der Aorten- und Koronarkranken, oder eine rein
neurotische, funktionelle Erscheinung zu Grunde liegt, wie bei
den nervösen Pseudoanginen. Deshalb sind auch die beiden vor¬
stehenden Fälle als Angina pectoris bei Aneurysma¬
kranken aufzufassen.
Nun gibt es aber bei Aneurysmakranken, bei denen der Sack
am Bogen oder in der Aorta descendens sitzt, auch Anfälle, die
der Stenokardie nicht mehr zugezählt werden können, und die
trotzdem durch Theobromin günstig beeinflusst werden.
7. Beobachtung. Aneurysma arcus aortae mit
Schmerzanfällen in Brust, Rücken und linkem
Arm ohne Herzangst.
58 jähriger Kaufmann. Vor Jahren Ulcus am Genitale, an¬
geblich keine Syphilis (aber starre Pupillen).
Seit mehreren Wochen anfallsweise auftretende Schmerzen
in der linken oberen Thoraxpartie und im Rücken, sowie im linken
Arm bis zur Ellbogenbeuge. Die Anfälle kommen besonders
während des Schlafes, oft mehrmals in einer Nacht. Der Schmerz
beginnt angeblich hinter dem linken Schulterblatt und strahlt von
hier aus nach vorne und in den Arm aus. Dabei bestehen
Parästhesien in der ganzen linken oberen Extremität. Angst¬
gefühl oder Beklemmung fehlt wTährend des Schmerz¬
anfalles vollkom m e n. Die Schmerzen kommen besonders
Nachts, dauern y2— 1 Stunde. Pat. hat alle möglichen Auti-
neuralgica ohne viel Erfolg versucht.
Objektiv: Kräftiger Mann von gesundem Aussehen. Am
Herzen, mit Ausnahme eines leisen systolischen Geräusches über
der Spitze, nichts Abnormes. Linke Radialis deutlich enger als
die rechte, beide etwas geschlängelt. Stimme leicht heiser, Atem-
geräusch 1. li. etwas schwächer als r. h. Keine Pulsation oder
Dämpfung vorne oder hinten am Thorax. Mässige Pulsation im
.Tugulum. C a rdarell i sches Phänomen schwach, aber deutlich
nachweisbar. Radioskopisch: sicheres Aneurysma
von der Grösse eines grösseren Apfels, wahrscheinlich vom unteren
Teil des Aortenbogens ausgehend.
Therapie: Diuretin anfangs 4, später 3 g pro die. Die
Schmerzen kommen in der nächsten Zeit ungleich seltener (1 — 2 mal
in der Woche), oft nur leichte „Mahnungen“; sie treten wieder
häufiger auf, als Pat. nur 4 mal 0,5 nimmt und von Abend bis zum
nächsten Morgen pausiert.
Ich glaube, dass dieser Fall, bei dem jede Andeutung von
Angst oder Oppression fehlt, der Stenokardie nicht zugezählt
werden kann. Derartige Schmerzanfälle sind, wie am Schlüsse
auseinandergesetzt werden soll, meiner Meinung nach als
Schmerzen in den kranken Gef ässen im Sinne Nothnagels
selbst aufzufassen.
Es ist seit langem bekannt, dass die Schmerzen der Angina
pectoris nicht nur nach den verschiedensten Richtungen aus-
strahlen können, sondern dass sie von den Kranken manchesmal
überhaupt nur in einer mehr oder weniger vom Herzen entfernten
Region empfunden werden. So gibt es larvierte Stenokardien im
Rücken, in der Schulter, im Arme etc. Die mit diesen Schmerz¬
anfällen zugleich auftretende „Herzangst“ lässt die Paroxysmen
als larvierte Stenokardien erkennen. Besonders wichtig und
relativ häufig ist eine Form der Stenokardie mit „exzentrischer
Schmerzprojektion“, die von französischen Autoren den Namen
„angine de poitrine de forme pseudogas tral-
g i q u e“ erhalten hat. Die folgende Beobachtung ist ein Bei¬
spiel hierfür.
8. Beobachtung. Angina pectoris unter dem
Bild von Magenkrämpfen.
L., 40 jähriger Kaufmann. Früher stets gesund. Alkohol
ziemlich reichlich. Lues wahrscheinlich (angeblich Ulcus molle,
3 Abortus der Frau).
Klagt seit mehreren Monaten über häufig auftretende heftige
„Magenkrämpfe“, die, wie er selbst bemerkt hat, bei zwei Ge¬
legenheiten auftreten. nach reichlichen Mahlzeiten und, was ihm
sehr auffällig ist, beim Gehen, besonders Steigen. Er fühlt dann
plötzlich einen „furchtbaren“ Schmerz in der Gegend des Schwert¬
fortsatzes, der ihm den Atem benimmt und ihn zwingt, sich hin¬
zusetzen. Es ist ihm, als ob ihm eine eiserne Faust den Magen
zusammenpresse und ihn einige Minuten so halte. Dabei werde er
7. Oktober 1902. _ MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ganz blass, könne nicht sprechen und empfinde lebhafte Beklem¬
mung. Für die Anfälle, die nach dem Essen kommen, ist die
Qualität der Nahrung ziemlich belanglos, nur viel auf einmal dürfe
er nicht essen und nach dem Essen sich nicht hinlegen. Appetit
gut, keine wirklichen Magenbeschwerden, Stuhl regelmässig.
Kommt zum Arzt, weil er in der letzten Nacht, ohne Abends be¬
sonders viel gegessen zu haben, durch einen solchen „Mageu-
krampf“ aus dem Schlaf geweckt wurde.
Kräftiger, gut genährter Mann. Pulsspannung etwa normal.
Am Herzen nichts Abnormes nachweisbar. Druck in der Mittel¬
linie oberhalb des Nabels empfindlich (Bauchaorta?). Diuretin
0,5, zuerst 6, dann 5 und 4 mal täglich. Pat. hat in den nächsten
4 Wochen nur einmal (bei 2,0 Diuretin pro die), als er nach dem
Essen rasch ging, einen Anfall gehabt. Nimmt seither konstant
2,0 Diuretin täglich weiter und fühlt sich monatelang wohl.
Weitere Nachrichten fehlen.
Wenn bei diesem Kranken wegen der lebhaften Beklemmung
während des Anfalles ein kardiales Element noch deutlich zu er¬
kennen ist, so fehlt dies in folgender Beobachtung vollkommen.
9. Beobachtung. Anfälle von „Bauch sch merze n“,
durch Diuretin beseitigt.
Sch., 5G Jahre alt, Reisender. Vor 20 Jahren Lues. Seit
ca. 24 Jahren etwas „magenleidend“. Seit ca. 2 Jahren sehr heftige
fast täglich auftretende „Bauchschmerzen“ von wechselnder
Intensität. Häufig kommen bei Nacht sehr heftige derartige
Schmerzanfälle. Sie treten stets unabhänig von der Nahrungs¬
aufnahme auf, trotzdem hält sich der Kranke, der sein Leiden als
„Blähungsschmerzen“ bezeichnet, sehr diät, fürchtet sich, zu essen,
merkt aber keine Besserung, trotz wechselnder Behandlung.
Objektiv: Sehr stark erhöhte Pulsspannung. 2. Aortenton
paukend. Herzdämpfung nicht vergrössert. Im Harn kein
Albumen. Diuretin 2,0 pro die.
Nach 4 Tagen berichtet Pat., die Schmerzen seien vollständig '
verschwunden. Nach mehrtägigem Aussetzen des Diuretin treten
sie wieder auf, um auf neuerliche Medikation wieder zu ver¬
schwinden.
Es ist nichts darüber bekannt (ich. habe mich zum ITeber-
fluss davon überzeugt), dass das Diuretin irgend einen nachweis¬
baren Einfluss auf wirkliche Magenschmerzen oder Darmkoliken
ausüben würde. Ebensowenig hat das Mittel (oder etwa das in
ihm enthaltene Salizylsäure Natron) einen „antineuralgischen“
Charakter (4 Dosen von je 0,25 Natr. salicylicum pro die sind in
dieser Beziehung wohl ganz unverdächtig). Dagegen ist es nach
den bisher vorgebrachten Erfahrungen recht verständlich, dass
das Theobromin hier gewirkt hat, wenn es sich um arterielle
Schmerzen handelte. Nun machen die hohe Pulsspannung,
der laute 2. Aortenton, die vorausgegangene Lues Arteriosklerose
bei dem Kranken mehr als wahrscheinlich. Es handelt sich bei
ihm offenbar (ähnlich wie im Fall 7) um Anfälle von G e -
fässch merzen im Sinne Nothnagels, und zwar
bedingt durch Arteriosklerose der Bauchaorta
resp. ihrer Zweige. Derartige Schmerzattacken scheinen
durchaus nicht selten zu sein, geben aber gewiss ausserordentlich
häufig zu diagnostischen Missgriffen Veranlassung.
(Schluss folgt.)
Franz von Tappeiner. -{*
Skizze von Sanitätsrat Dr. R. Hausmann in Meran.
Am 20. August 1902 beendete, 86 Jahre alt, einer der be-
deutensten praktischen Aerzte Oesterreichs und Deutschlands
auf seinem Besitze Schloss Reichenbach in Obermais bei Meran
in Tirol sein tatenreiches Leben, das wissenschaftlichen Be¬
strebungen gewidmet war von frühester Jugend an bis in sein
hohes Alter. Franz v. Tappeiner, geb. am 7. Januar 1816,
verdankt, wie wir seinen eigenen Mitteilungen entnehmen, seiner
verehrungswürdigen Mutter die Möglichkeit, dass er im Alter von
11 Jahren sein Heimatsdorf Laas in Vintschgau verlassen und
in das Gymnasium von Meran, Herbst 1827, eintreten konnte.
Sein Vater, Josef T a p p e i n e r, hatte vergebens gehofft, wie
landesüblich, diesen seinen ältesten Sohn als Nachfolger auf
seinem Bauernhöfe zu sehen und musste zugeben, dass derselbe
bis 1832, und zwar als sogen. Vorzugsschüler, in Meran verblieb,
um darauf die sechste und die zwei damaligen philosophischen
Klassen in Innsbruck mit derselben Auszeichnung, ganz be¬
sonders in Mathematik, zu absolvieren. Zunächst suchte der
wanderlustige, junge Universitätshörer 1836 die zu jener Zeit
berühmte deutsche Prager Hochschule auf, blieb daselbst ein
Jahr, ging auf ein weiteres Jahr nach Padua, im dritten wiederum
nach Prag zurück, wo er sich ernsthaft seinen Studien widmete.
No. 40.
1657
Jetzt schon zeigte sich die grosse Intelligenz T appeiners,
denn es war ihm klar gewoi’den, dass alle seine Gymnasialstudien
fruchtlos und vergessen sein würden, wenn er sie nicht auf¬
frischen konnte, und er kehrte, um in aller Zurückgezogenheit
arbeiten zu können, nach Laas in sein Elternhaus zurück. Hier¬
her folgte ihm sein Prager Freund und Studiengenosse, der
spätere Erlanger Kliniker Ditterich, welcher durch seine
hervorragenden botanischen Kenntnisse auf T a p p e i n e r be¬
deutenden Einfluss übte, und dieser Periode ist es zu verdanken,
dass er sein berühmt gewordenes Herbarium anzulegen begann.
Die Jahre 1840 — 1843 wurden in Wien zur Vollendung der
Ausbildung in den medizinischen Studien zugebracht, dabei aber
die botanischen mit grosser Vorliebe fortgesetzt, so dass sich
Tappeiner in diesen jungen Jahren bereits einen Ruf nicht
nur in Oesterreich, sondern auch in Deutschland auf diesem Ge¬
biet erwarb, u. a. durch seine Beiträge zur „Flora Germanica“
Reichenbachs. Unter seinen schönen Entdeckungen seien Trien-
talis europaea und Trigonella monspelica genannt.
Im J ahre 1843 wurde Tappeiner zum Doktor der Me¬
dizin promoviert und als ihm die in Aussicht gestellte Assistenten¬
stelle für Botanik an der Universität, weil noch besetzt, nicht
zugesprochen werden konnte und auch die ihm bereits zu¬
gesicherte Anstellung als Militärarzt bei der holländischen Kom¬
pagnie wegen Friedensschlusses mit den Eingeborenen Sumatras
annulliert wurde, seine ökonomischen Verhältnisse aber zum Brot¬
erwerb drängten, so entschloss er sich, Wien zu verlassen. Er
ging noch für kurze Zeit nach München, wo er die Kliniken
und besonders Kunstsammlungen mit grossem Interesse besuchte,
und kehrte dann nach seinem Heimatsörtchen Laas zurück, um
dort Landpraxis auszuüben.
Vorher hatte er, die Ernennimg zum holländischen Militär¬
arzt in Händen, und im Gedanken, von der Heimat vielleicht auf
immer zu scheiden, sein kostbares Herbarium, bestehend aus
6000 Arten, dem Ferdinandeum in Innsbruck geschenkt.
Mit der Niederlassung als Landarzt ohne Wartegeld zu Laas
im J ahre 1843 beginnt für Tappeiner die zweite bedeutende
Epoche seines Lebens. „Ich hatte“, so schreibt er in seinen vor
uns liegenden Aufzeichnungen, „vor meinen ärztlichen Kollegen
voraus, dass ich mir in Wien unter den Professoren Skoda und
Rokitansky in der pathologischen Anatomie und Per¬
kussion und Auskultation eine tüchtige Ausbildung erworben
hatte. Dies brachte mir viele Erfolge und der glückliche Ver¬
lauf von Exstirpationen von Drüsentumoren, Amputationen
karzinomatöser Brustdrüsen, Staroperationen, die grosses Auf¬
sehen im Vintschgau hervorriefen, verbreitete meinen Ruf als
Chirurg bis nach Innsbruck, wohin ich als Unterchirurg berufen
wurde, als ein Münchener Chirurg an Graf Trapp eine Opera¬
tion vorgenommen hatte, um die Nachbehandlung zu übernehmen
und zu leiten. So blieb ich einige Monate, kehrte aber dann aus
Vorliebe zur freien Landpraxis wieder nach Laas zurück“, wohin
selbst aus Meran, dem neu entstehenden Kurort, und aus Bozen
Patienten pilgerten und in ihn drängten, nach Meran zu über¬
siedeln. Endlich entschloss er sich dazu am Ende des Jahres
1846. „Ich habe“, schreibt Tappeiner, „nie für Meran ge¬
schrieben, ich wollte, dass nur allein die in Meran geheilten und
gebesserten Patienten den Ruf Merans in Europa ausbreiteten.“
Kurz nach seiner Uebersiedelung nach Meran führte Tap¬
peiner Fräulein Mathilde v. Tschiderer, Tochter des
Kollegienrates v. Tschiderer aus Bozen, die er im Hause
ihres Schwagers v. C o m i n i kennen gelernt hatte, als Gattin
heim. Sie war eine edle, milde und umsichtige Frau, die nicht
ohne Einfluss blieb auf ihren genialen Gemahl. Noch wenige
Monate vor seinem Tode zeigte mir Tappeiner mit Stolz
ein Bild seiner Gattin aus ihrer Jugendzeit.
Mit welchen Erfolgen Tappeiner seinen Ruf als Prak¬
tiker und Diagnostiker von jener Zeit an unausgesetzt be¬
gründete, ist weithin bekannt, und wie sehr er gerade als prak¬
tischer Arzt gefeiert wurde, kennzeichnet bei dem Abschluss
Tappeiners ärztlicher Tätigkeit und zur Feier dessen
70 jährigen Geburtstages der bekannte Berliner pathologische
Anatom C. Friedländer wörtlich *) : „Tappeiner gehört
zu den bedeutendsten und gleichzeitig zu den glücklichsten
Aerzten, die wir kennen ... Von vornherein war er sich klar
9 Fortschritte der Medizin 1S86, 15. Januar, Heft 2.
5
1658
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
bewusst, von wie grosser Bedeutung die allgemein hygienischen
Faktoren besonders für die Lungenkranken sind und nicht nur
das, sondern er verstand es auch, kraft seiner mächtigen Per¬
sönlichkeit und wahren Humanität, die Kranken dahin zu
bringen, dass sie seine Vorschriften in striktester Weise durch
Monate hindurch befolgten. Er hat auf diese Art reichen Segen
gestiftet. Seine Patienten, zu denen Mitglieder der meisten
regierenden Familien Europas gehören, sind ihm in fast beispiel¬
loser Weise anhänglich und dankbar.“
Wir wollen nicht unerwähnt lassen, dass Tappeiner
schon vor Brehmer, also vor 1854, in Meran die Behandlung
der Phthisiker mit umfassender Lüftung der Zimmer bei Tag und
womöglich Nachts, mit Liegekur in und ausserhalb des Bettes
in freier Luft auf dem Balkon eingeführt, dass er die Anwen¬
dung der Wasserbehandlung bei Typhus schon seit seiner Laaser
Tätigkeit mit vielem Glück und zu seinem Ruhm ins Werk ge¬
setzt und auf allen Gebieten der inneren Medizin skeptisch, aber
in stetem Fortschritt der Wissenschaft vorging. In vielen
Dingen eilte er, wie wir sehen, seiner Zeit voraus und seine
Suggestionskuren waren lange von ihm schon mit grosser Um¬
sicht ausgeführt, bevor die neueste Zeit allgemein deren un¬
leugbare Bedeutung kennen gelernt hatte. Ein Arzt seines¬
gleichen wird zu den Seltenheiten gehören.
Dass Tappeiner auch als Forscher auf dem Gebiete der
experimentellen Pathologie sich auszeichnen würde, erhoffte man
schon längst und bestätigte sich in den siebenziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts, als er bereits in das Alter von einigen
sechzig gekommen war. Und somit gelangen wir in die Glanz¬
periode seiner rein wissenschaftlichen medizinischen Leistungen.
Tappeiner war nicht der Mann vieler Worte, meist eher
schweigsam, zu Widerspruch nie geneigt. Die Beweise für die
Richtigkeit einmal geäusserter Anschauungen erbrachte er den
Gegnern durch wiederholte Aufnahme seiner immer mehr und
mehr fein durchdachten Versuche, liess von Fachmännern aller¬
ersten Ranges unparteiische Kontrolle üben, bis er, nach allen
Seiten gedeckt, sein Recht erhielt. Diese seine Grösse betätigte
er, als er mit einer Reihe von Aufsehen erregenden Unter¬
suchungen über die Einatmung als natürlichen Weg der An¬
steckung der Tuberkulose vor die Oeffentlichkeit trat. Dass
seinen Funden anfangs mit Ungläubigkeit begegnet wurde, ent¬
mutigte Tappeiner nicht, er erweiterte die Experimente,
stellte Kontrollversuche an und die später von Koch gemachte
Entdeckung des Tuberkelbazillus bestätigte die Tappeiner¬
sehe Lehre. Bei dem grossen Interesse, welches gerade dieses
Thema für sich hat, gebe ich den Inhalt eines vorliegenden
Manuskriptes wörtlich wieder, worin Tappeiner diese
Frage möglichst kurz entwickelt. Er schreibt: „Anfang Juli
1877 machte ich in München im pathologisch-anatomischen In¬
stitut des Prof. Buhl, bei welchem mein Sohn Hermann als che¬
misch-physiologischer Assistent angestellt war, mit dessen gütiger
Erlaubnis meine ersten Experimente über die Infektion der
Hunde durch einfache Inhalation zerstäubter phthisischer Sputa,
die Sputa zerrieb ich mit Wasser in einem Mörser zu einer
mandelmilchartigen Flüssigkeit, welche dann mit dem Siegle-
Inhalationsapparat zerstäubt wurde.
Nach 3 bis 4 Wochen langer täglicher Inhalation wurden
3 Hunde durch B u h 1 s anatomischen Assistenten Dr. S c h we¬
il i n g e r obduziert. Alle 3 Hunde waren deutlich sicht¬
bar in beiden Lungen, Leber und Milz mit Miliar¬
tuberkeln besetzt — zu meiner grössten Freude und Prof. B u h 1 s
und Schweningers Ueberraschung.
Das war ganz neu und die erste Tatsache einer
positiv gelungenen tuberkulösen Infektion
von drei Hunden ohne eine künstliche Verwun-
d ung — bloss durch einfache Inhalation phthisischer Sputa.
Bisher waren nur die zeitweisen aber nicht immer positiven
Infektionserfolge Villemins durch Impfung wirklich tuberku¬
löser Partikel in Paris bekannt und die Dr. L i p p 1 s in München
durch Injektion phthisischer Sputa durch
eine künstliche Fistel der Luftröhre.
Der vierte von mir infizierte Inhalationshund wurde lebend
erhalten bis zur 50. Versammlung der deutschen Naturforscher
und Aerzte in München im September 1877. Da wurde er durch
Dr. Schweninger obduziert und in der Versammlung de¬
monstriert, wozu ich einen kleinen Vortrag hielt. Die so un¬
zweifelhaft sichtbare tuberkulöse Infektion nur durch meine In¬
halation der zerstäubten Sputa ohne jede Verwundung
machte ein grosses Aufsehen in der Versammlung, wurde aber
später vielfach angezweifelt und als eine blosse miliare Fremd¬
körperpneumonie fälschlich gedeutet. Deswegen wiederholte ich
im Sommer 1878 in dem grossen Garten der Thierarzneischule in
Berlin, wozu ich durch Verwendung Virchows von dem
Direktor Erlaubnis erhielt, meine Inhalationsexperimente an
12 Hunden. Ich liess an drei weit von einander entfernten
Punkten 3 Hütten aus Holz zur Inhalation erbauen. Nach
4 Wochen Inhalation zerstäubter Sputa aus der Charite wurden
8 Hunde vom Professor der Anatomie an der Tierarzneischule
und mir obduziert und alle waren an beiden Lungen, Leber und
Milz reich mit Miliartuberkeln besetzt. Ein Hund, welcher spär¬
lichen Eiter aus skropliulösen Drüsen am Halse eines Knaben
inhaliert hatte, und 2 Hunde, welche nur katarrhalische Sputa
einer Patientin des Professor Dr. Waldenburg, von diesem
selbst immer geschickt, inhaliert hatten, blieben vollkommen frei
von Tuberkeln und sonstigen entzündlichen Symptomen! Der
zwölfte der von mir durch Inhalation infizierten Hunde wurde
auf Wunsch Virchows in seinem pathologischen Institute
ein ganzes Jahr lang erhalten und dann von
ihm selbst obduziert. Das Ergebnis schrieb V i r c h o w
mir eigenhändig nach Meran: „Der Hund war stark abgemagert
und seine beiden Lungen waren mit Tuberkeln in allen Stadien
vom miliaren Korn bis zur chronischen Infiltration und zur
Kavernenbildung vollbesetzt.“ — Das war ein Triumph für mich!
Die grösste Autorität in Europa hatte meine Inhalationstuber¬
kulose als wirkliche, regelrechte Tuberkulose, wie bei den Men¬
schen, anerkannt! !
Aber auch jetzt noch zeigten sich in der medizinischen Presse
Zweifler und selbst in Wien griff mich der Assistent des Prof.
Stricker, Dr. Spina, so scharf an, dass ich denselben durch
einen eigenen Artikel in Schnitzlers medizinischer Presse gründ¬
lich widerlegen musste.
Ich war aber trotz alledem stolz darauf, dass ein aus der
Wiener Schule hervorgegangener tirolisch er Arzt diese
Aufsehen erregende Entdeckung gemacht hatte. Meine Ent¬
deckung wurde zwar durch die wenige Jahre nachher erfolgte
sichtbare Darstellung des Tuberkelbazillus durch Prof. Koch
in Berlin sehr in den Schatten gestellt und erst in der Neuzeit
gelangt sie immer mehr und mehr zur Anerkennung.
Im Jahre 1883 — 1884 experimentierte ich über die An¬
steckungsmöglichkeit der tuberkulösen Kranken für die mit ihnen
lebenden Kurgäste. Ich liess zwei gesunde Kaninchen in ein
vergittertes Kästchen sperren und honorierte eine mir bekannte,
zu Bett liegende, phthisisclie Patientin mit Wein und Geld, da¬
mit sie meine Kaninchen, welche knapp an ihrem Bett standen,
einen vollen Monat lang anhuste. Dann nahm ich die ganz
frisch aussehenden Tiere zu mir, obduzierte sie und fand die
Lungen und Organe vollkommen gesund — zu meiner grossen
Beruhigung und Freude. Zur grösseren Sicherheit liess ich auch
Vs Jahr das gleiche Experiment durch eine andere schwerkranke
tuberkulöse Frau wiederholen und fand abermals die beiden Ka¬
ninchen ganz frei von tuberkulöser Infiltration — zum vollen
Beweise, dass der Husten der Lungenkranken sicher nur
schwer anstecke. Es scheint mir daher nur die einzige Möglich¬
keit zu bleiben, dass die tuberkulösen Sputa auf die Böden und
Teppiche kommen, da trocknen und durch das Gehen zu Pulver
verrieben werden, um dann bei trockener Reinigung der Zimmer¬
böden mit dem anderen Staub in die Luft aufgewirbelt und so
von den Menschen eingeatmet zu werden.“
Bis hierher folgten wir fast wörtlich der Darstellung
Tappeiners nach seinem Manuskript, worin er erwies, dass
der natürliche Weg zur Ansteckung durch Tuberkulose der der
Einatmung ist, und es unterliegt keinem Zweifel, dass seine fer¬
neren Arbeiten, wie die über Fütterungsversuche, viel Zutreffen¬
des gewähren, obschon er abweichend von anderen bei Ernährung
mit tuberkulösen Massen bei Hunden keine Tuberkulose ent¬
stehen sah (Deutsch. Arcli. f. klin. Med., Bd. 29, S. 596). Auch
in Beziehung zur Lösung therapeutischer Fragen ergaben seine
Experimente (Berl. klin. Wochenschr. 1880) ein negatives Re¬
sultat. Es wurden einem Plunde täglich Karbolpillen ä 6 cg
zu schlucken gegeben und zwar schon 8 Tage vor Beginn
der Inhalation mit zerstäubten Sputis und trotzdem wurde bei
7. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
der Obduktion 32 Tage nach Beginn der Inhalation und dem
40. nach dem Anfang der bis zum Tode fortgesetzten Fütterung
mit Karbol, also nach genügender Schwängerung damit, eine sein-
starke Infektion beider Lungen gefunden.
Die jetzige schnellebige Zeit und besonders Kochs Ent-
dc ckung des T uberkelbazillus hat Tappeiners F orschungen
wohl in den Hintergrund gedrängt, sie werden aber stets ihre
Bedeutung bewahren und schmerzlich berührt es uns, wenn wir
im Nachlasse des Verblichenen die Worte finden: „Sehr auf¬
fallend wai es mir, dass in dem Berichte des grossen Kong’resses
in London über Tuberkulose als Volkskrankheit bei dem Thema
der Aetiologie kein deutscher Redner sich erinnert hat, dass ich
als Kurarzt in Meran der erste war, der schon im Sommer 1877
durch Experimente im pathologisch-anatomischen Institut in
München die Inhalationstuberkulose durch zerstäubte plitliisische
Sputa ohne Impfung bei Hunden klar sichtbar erzeugt habe“.
Mit derselben Gründlichkeit, mit welcher Tappeiner das
Wesen der Erkrankung zu erforschen suchte, bemühte er sich,
dieser therapeutisch beizukommen, und da er darüber nur für sich
und nicht für die Oeffentlichkeit seine Anschauungen zu Papier
brachte, meist in kürzester Form, so können wir uns nur mit
Andeutungen begnügen; vielleicht werden diese weitere Bear¬
beitung finden. Eine Abhandlung „M einemedizinischen
Anschauungen der Gegenwart vom praktischen
Standpunkt aus“, worin er über die Verpflichtung der
Pharmakolgen spricht, experimentell und womöglich klinisch den
ITebergriffen in der Diät und im Alkoholgenuss nachzugehen,
ferner seine „ A nschau ungen über die Fieberlehr e“,
eine andere über „H ydrotherapi e“, wieder eine andere
„Zur Reform des medizinischen Studiums und
Gymnasialwesens“ finden sich vor und alles voller selb¬
ständiger und sehr lehrreicher Gedanken. Ein beständiges
Schaffen war Tappeiners Eigenheit und aus diesem Grunde
und weil S t e u b, der bekannte bayrische Schriftsteller, be¬
klagte, dass kein Tiroler daran gehe, sein eigenes Volk anthropo¬
logisch zu studieren, machte er sich an diese Arbeit und zeichnete
sich so sehr in diesen Forschungen aus, dass ihn verschiedene
anthropologische und ethnologische Gesellschaften des In- und
Auslandes zum Ehrenmitglied ernannten. Seine berühmte,
ca. 1000 Schädel zählende Sammlung schenkte er dem k. Hof¬
museum in Wien und seine Ausgrabungsfunde dem Ferdinan¬
deum in Innsbruck. Der Stadt Meran erbaute er die grossartige
Promende mit Viadukten hoch auf den Küchelberg hinan, so
dass selbst Patienten, welche im Rollstuhl diese Anhöhe erreichen
wollen, auf die denkbar bequemste Weise hinauf gelangen können.
Zum Zeichen unauslöschlicher Dankbarkeit für die dem Kurort
Meran erwiesenen Wohltaten hat die Stadt Meran, deren Ehren¬
bürger Tappeiner war, eine Büste errichtet auf diesem nach
ihm benannten Tappeinerwege auf dem Küchelberge, von wo
aus der ebenfalls von ihm errichtete Weg nach der Stadt hinunter¬
führt. Hier wurde zum Abschluss des Ganzen wieder von
Tappeiner eine Halle erbaut zur Verabreichung von Milch
u. dergl.
V ergessen wollen wir auch nicht, dass Tappeiner den
Mittelbau der grossen Wandelbahn auf der Promenade Merans
wiederum auf eigene Kosten hersteilen liess und zwar architek¬
tonisch formgeschmückt, um dem g-anzen Bau einen würdigen
Anblick zu geben.
Sein Kaiser ehrte die Verdienste des grossen Mannes durch
Verleihung des hohen Ordens der eisernen Krone 3. Klasse und
durch Erhebung in den erblichen Adelsstand mit dem Prädikate
„Edler v. Tappeine r“, nach dem noch bestehenden, oberhalb
Schlanders gelegenen Stammhofe Tappein, woselbst bereits 1574
sein Ahne Georg Tappeiner vom Erzherzog Ferdinand (Ge¬
mahl der Philippine Welser) durch Verleihung eines Wappen¬
briefes aiisgezeichnet worden war. Ein Nachkomme desselben
kaufte den Loretzhof bei Laas, die Geburtsstätte unseres
Tappeiner.
Tappeiner erfreute sich kaum verminderter körperlicher
und geistiger Rüstigkeit bis in seine letzten Jahre. Erst gegen
Ende seines Lebens war sein fest gebauter Körper allerlei In¬
sulten ausgesetzt, insbesondere lastete die Abnahme der Sehfähig¬
keit, die ihm geistige Beschäftigung mehr und mehr erschwerte,
hart auf ihm. Langsam schwanden seine Kräfte. Nach mehr-
wöchentlichem, schwerem, in philosophischer Resignation er-
1659
tiagenen Krankenlager, umgeben von seinem Sohne Hermann,
Professor in München, und dessen Gemahlin Elsbeth, geb.
v. Ziemssen, seiner Tochter Hedwig und deren Gatten, dem
Reichsi atsabgeord neter Di*. Adalbert v. Hellrigl, seinen Enkeln
und seinei alten Schwester und treuen Pflegerin Monika schlossen
sich seine Augen. Er ruhe in Frieden !
Zur Geschichte der Therapie im XVII. Jahrhundert
in Russland.
Von Privatdozent Dr. M. Lacht in in Moskau.
Die höheren Vertreter der medizinischen Wissenschaft im
NA II. Jahihundeit in Russland w-aren die ausländischen Aerzte
Alle anderen Kategorien des medizinischen Personals erwarben
ihre medizinischen Kenntnisse bei denselben, da es in Russland
um diese Zeit weder medizinische Schulen noch Krankenanstalten
gab. Angesichts dieser Lage dient die Bekanntmachung mit den
Arzneimitteln, womit dieselben kurierten, als schöne Illustration
zu dem damaligen Zustand der russischen Medizin. Einiges Licht
über diese Frage bringt uns ein Dokument, das im Moskauer
Ilofarchiv von uns vorgefunden wurde.
Es enthält die ausführliche Beschreibung mancher Heilmittel,
die bei verschiedenen Krankheiten von Andreas Engelhard
einem der berühmtesten Aerzte am Hofe des ersten Zaren aus dem
Hause Romanoff (Alexei Michailowitsch und Feodor Alexeiwitsch),
angewendet wurden. Da dieses Dokument zur Zahl der Raritäten
gehört, so bringen wir es wörtlich.
Doktor Audi- ä sagte: „Bärengalle gibt man über Meer Men¬
schen, welche die schwarze Krankheit haben, und man muss die
Bärengalle mit denjenigen Arzeneien einnehmen, welche zu dieser
Krankheit passen“.
„Bärenleber und Bärenknochen taugen zu nichts in der
Arzenei.“
„Das Bärenfett muss umgeschmolzen werden und aufgelöstes
Bärenfett ist bei inneren Krankheiten verwendbar.“ „Menschen,
die steife Sehnen haben oder welche an Krämpfen leiden, auch
bei solchen, die lahm infolge Knochenschmerzes sind oder Bruch
haben, muss man mit diesem Fett, wo es zu schmerzen beginnt,
schmieren und die Krankheit wird vergehen.“
„Wolfsgalle wird angewendet bei denen, die Spulwürmer um
den Nabel haben, und bei solchen, bei denen die Ohren verstopft
und geschwollen sind; diese Galle muss ins Ohr eingetropft und
die Geschwulst geschmiert worden.“ „Mit dieser Galle müssen
sich auch diejenigen schmieren, die an Kopfnässe leiden und die
an den Wunden Wildfleisch und Hitze haben; und allen diesen
wrird leichter werden.“
„A\ olfsherz in einem kühlen Ofen trocknen, und wrenn es
trocken ist, verbrennen und das verbrannte Herz stossen und
dieses Pulver dem weiblichen Geschlecht einzugeben, bei denen
sich die Gebärmutter nach oben schiebt.“ „Bei diesen Krank¬
heiten hilft auch Wolfsleber und Wolfsfleisch und dieselben muss
das Weibsvolk im Busentuch oder in der Tasche tragen und zu¬
gleich muss es die Wolfshaut auf den Bauch legen und die Ge¬
bärmutter wird auf die alte Stelle zurückgehen; die Wolfsknochen
taugen zu nichts.“
„Fuchsleber und Fuchslungen ausgetrocknet und dann das¬
selbe lotlrweise mit Bier einzunehmen von solchen Menschen, die
an Husten, kurzem Atem leiden oder eine innere Krankheit haben;
von solchen, bei denen die Milz geschwollen ist; zu denselben
Krankheiten hilft noch folgendes:
Fuchsmilz austrocknen, in Rheinwein einweichen und diese
Milz von beiden Seiten der erkrankten Milz zu legen.“
„Mit Fuchsfett müssen sich diejenigen Leute schmieren, die
Krämpfe an Händen und Füssen haben, bei denen die Hände und
Flisse zittern oder bei denen die Adeni in den Füssen zusammen-
schrumpfen und die lahm sind und bei denen die Nieren im Rücken
schmerzen.“
„Hasenblut nutzt denjenigen, die Ausschlag im Gesichte
haben, und dieselben sollen sich mit diesem Blute waschen, nach¬
dem es mit den Arzeneien vermengt wird, welche der Arzt an¬
ordnet.“
„Hasenhirn kochen oder braten und dieses Hirn müssen die¬
jenigen einnehmen, die Zittern im Bauche haben.“
„Hasenleber trocknen und stossen und von dieser Leber
8 Loth in Rheinwein von denjenigen einzunehmen, die an hin¬
fallender Krankheit — Epilepsie (im russischen Text hinfallende
Krankheit mit Apoplexie bezeichnet) — leiden.“
„Mit Hasengalle mit Honig vermengt müssen sich diejenigen
schmieren, die Blattern an Augen, Gesicht und Körper haben.“
„Junge Hasen, die im März zur Welt kommen, müssen
lebendig verbrannt und zu Pulver gestossen worden und dieses
Pulver müssen, diejenigen in Rheinwein einnehmen, die an Steinen
leiden, aber noch wirksamer ist es, wenn die Hasen aus dem
Mutterleibe ausgenommen werden, bevor sie noch zur Welt kom¬
men, wie früher verbrannt, zu Pulver gestossen und bei dieser
Krankheit in Rheinwein getrunken werden.“
„Hirn den jungen Hasen entnommen und mit demselben die
kleinen Kinder schmieren und solche Kinder worden die Zähne
ohne Schmerzen bekommen.“
5*
1660
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
Auf solche Weise sehen wir, dass die Arzneimittel, welche
von den ausländischen Aerzten im 17. Jahrhundert in Russland
angewendet wurden, sich in nichts von den noch zurzeit in der
Volksmedizin zirkulierenden Arzneimitteln unterscheiden.
Aerztliche Standesangeiegenheiten.
Zum Entwurf der neuen Satzung* *) für den deutschen
Aerztevereinsbund.
Berichterstatung für den ärztlichen Bezirksverein Traunstein-
Reichenhall.
Unser hochgeehrter Vorstand, Herr Hofrat, Dr. Rapp, hat
mich — allerdings fast noch in letzter Stunde — ersucht, Ihnen
über Punkt 3 der Tagesordnung: Entwurf der neuen Satzung für
den Deutschen Aerztevereinsbund Bericht zu erstatten.
Ich komme dem ehrenvollen Aufträge, freilich in grosser
Kürze nur, hiermit nach.
Die erste Juninummer des Aerztl. Vereinsbl. brachte aut'
S. 261 u. ff. „den Entwurf einer Aenderung der Satzungen“, in¬
soweit sie zum Zwecke der Erwerbung der juristischen Persönlich¬
keit für den Deutschen Aerztevereinsbund erforderlich geworden
ist. Der diesjährige Deutsche Aerztetag zu Königsberg i/Pr. hat
nun mit allen gegen 3 Stimmen die Erwerbung der Rechtsfähig¬
keit beschlossen, nachdem ein Antrag Alexander - Berlin auf
Vertagung der Beschlussfassung abgelehnt worden war. Zugleich
wurde dem Vorstande Vollmacht zur selbständigen Regelung der
Fragen gegeben, vorbehaltlich der Wünsche der Vereine, die bis
1. November d. J. dem Generalsekretär kund gegeben werden
sollen.
Ich gehe nun nicht fehl, wenn ich annehme, dass auch unser
Verein, ebenso wie die grosse Mehrzahl der übrigen Vereine, in
dieser Hinsicht Wünsche hat.
An der Hand des B.G.B. werde ich nun den Entwurf der
Satzung prüfen und bitte ich Sie, mir Ihre Aufmerksamkeit bei Aus¬
einandersetzung des etwas schwierigen, rechtswissenschaftlichen
Stoffes für kurze Zeit in vollem Masse zu schenken.
Wie schon erwähnt, wurde vom Aerztetage beschlossen, der
Deutsche Aerztevereinsbund solle die Rechtsfähigkeit erwerben.
Der Deutsche Aerztevereinsbund ist nun ein Verein mit idealen
Zwecken, sein Zweck ist nicht auf einen wirtschaftlichen Ge¬
schäftsbetrieb gerichtet. Er erlangt demnach die Rechtsfähigkeit
nach § 21 B.G.B. Dieser Paragraph lautet: „Ein Verein, dessen
Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet
ist, erlangt Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereins-
register des zuständigen Amtsgerichtes“. Da zurzeit die Ver¬
waltung, das Generalsekretariat des Vereins, in Berlin geführt
wird, so gilt Berlin als Sitz des Vereines (§ 24 B.G.B.). Das zur
Eintragung in das Vereinsregister zuständige Amtsgericht ist also
auch in Berlin.
Unter welchen Bedingungen und Voraus¬
setzungen kann nun nach dem B.G.B. die Ein¬
tragung in das Vereinsregister erfolgen? Die
Antwort hierauf geben die §§ 56 — 59 B.G.B.. Sie lauten:
§ 56. Die Eintragung soll nur erfolgen, wenn die Zahl der Mit¬
glieder mindestens sieben beträgt,
§ 57. Die Satzung muss den Zweck, den Namen und den Sitz
des Vereins enthalten und ergeben, dass der Verein eingetragen
werden soll. Der Name soll sich von den Namen der an demselben
Orte oder in derselben Gemeinde bestehenden, oder eingetragenen
Vereine deutlich unterscheiden.
§ 58. Die Satzung soll Bestimmungen enthalten
1. über den Eintritt und Austritt der Mitglieder,
2. darüber, ob und welche Beiträge von den Mitgliedern zu
leisten sind,
3. über die Bildung des Vorstandes,
4. über die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliederver¬
sammlung zu berufen ist, über die Form der Berufung und iibei
die Beurkundung der Beschlüsse.
§59. Der Vorstand hat den Verein zur Eintragung an¬
zumelden.
Der Anmeldung sind beizufügen:
1. die Satzung in Urschrift und Abschrift,
2. eine Abschrift der Urkunde über die Bestellung des Vor-
ndes
Die Satzung soll von mindestens sieben Mit¬
gliedern unterzeichnet sein und die Angabe des
Tages der Errichtung enthalten.
Unter gewissen Voraussetzungen wäre auch noch zur Ein¬
tragung die Einhaltung des §64 B.G.B. notwendig, welcher lautet:
§ 64. Bei der Eintragung sind der Name und Sitz des Vereins,
der Tag der Errichtung der Satzung, sowie die Mitglieder des Vor¬
standes im Vereinsregister anzugeben. Bestimmungen, die den
Umfang der Vertretungsmacht des Vorstandes beschränken oder
die Beschlussfassung des Vorstandes abweichend von der Vor¬
schrift des § 28 Abs. 1 regeln, sind gleichfalls einzutragen.
Zur Eintragung in das Vereinsregister sind also nur die obigen
klar und deutlich ausgesprochenen Dinge notwendig. Die §§ 1
und 2 des Entwurfes entsprechen nun sehr wohl diesen Bestim¬
mungen; ein Gleiches kann ich aber von den §§ 3 und 4 nicht be¬
haupten.
*) Nach dem Vorgänge des B.G.B. gebrauche ich die Einzahl:
Satzung.
Ich fühle aus der Fassung dieser Paragraphe deutlich heraus,
dass man in dem Begriffe „Mitglied“ ein Haar gefunden hat.
Was versteht man denn unter Mitglied? Ver¬
steht man darunter eine physische oder eine
mystische, fingierte Person?
§ 59 weist uns, soweit die Unterzeichnung der Satzung in
Frage kommt, den Weg. § 59 verlangt nämlich die Unterzeichnung
der Satzung durch mindestens sieben Mitglieder. Unterzeichnen
kann aber doch nur eine physische Person, also sind zur Vor¬
nahme der Unterzeichnung physische Personen erforderlich.
Das Wort Mitglied kommt aber im B.G.B. in dem die Vereine
betreffenden Titel noch öfter vor. Was versteht an diesen Stellen
das B.G.B. unter Mitglied? Ich bin der Ansicht, dass das B.G.B.
hier sowohl physische als mystische Personen versteht. Denn
hätte der Gesetzgeber zwischen diesen ver¬
schiedenen Personen einen Unterschied machen
wollen, so hätte er das auch klar und deutlich
ausgedrückt, wie er ja in §59 das Unterzeichnen
als Handlung einer physischen Person sinn¬
gemäss ausdrücklich fordert.
Demnach können, wenn einmal die Eintragung geschehen ist,
Mitglieder auch Vereine sein; es ist mit keinem Worte im
B.G.B. gesagt, dass Mitglieder nur physische
Personen sein sollen; physische Personen ver¬
langt das B.G.B., soweit ich sehe, nur zur Unter¬
zeichnung der Satzung. Es steht ja auch das ganze
rechtswissenschaftliche Schriftwesen auf dem Standpunkte, dass
Mitglieder eines Vereines nicht nur physische Personen, sondern
auch wieder Vereine sein können. Vergleiche hierzu Rehbein,
B.G.B., Berlin 1899, Bd. 1, S. 27—64 und Neu mann, B.G.B.,
Berlin 1900, Bd. 1.
Alexander - Berlin verweist *) in dieser Beziehung ganz
richtig auf die erfolgte Eintragung der Berliner Rettungsgesell¬
schaft, deren Satzung § 4 lautet: „Mitglied kann jede grossjährige
Person, jeder Verein und jede Vereinigung werden“. Dieser Prä¬
zedenzfall zeigt uns, was wir zu tun haben. Wollen wir also nicht
tiftlicher sein, als die Leute vom Fach!
Etwas anderes ist demnach die Unterzeich¬
nung der dem Amtsgerichte vorzulegenden
Satzung. Diese muss durch sieben physische
Personen geschehen. Und etwas anderes ist die
Erwerbung der Mitgliedschaft eines aner¬
kannten Vereines. An die Mitglieder, die die
Satzung unterzeichnet haben, an diese physi¬
schen Personen, können sich nach erfolgter
Eintragung anstandslos neben weiteren physi-
sischen auch mystische Personen, d. ä. Vereine
ankristallisieren. Ob diese Vereine nun im Besitze der
Rechtsfähigkeit sein müssen, ist eine andere Sache und eine uns
zurzeit nicht warm machende cura posterior. 2)
Die §§ 3 und 4 des Entwurfes bedürfen also nach meiner An¬
schauung und nach meinem nicht juristisch gebildeten Ui teile einer
Umarbeitung, die am besten dem Geschäftsausschusse und einem
zugezogenen juristischen Beirate überlassen wird. Bemerken will
ich hiezu noch, dass die dem Amtsgerichte vorzulegende Satzung
gerade nur das enthalten soll, was die §§ 56 — 59 B.G.B. \or-
schreiben. . , , .. ,
Weitere Satzungsbestimmung — und solche sind teils not¬
wendig, teils wünschenswert — sind am besten dem Aerztetage
selbst zu überlassen. Denn § 32 B.G.B. schreibt vor: _ _
„Die Angelegenheiten des Vereins werden, soweit sie nicht
von dem Vorstand oder einem anderen Vereinsorgane zu besorgen
sind, durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder
geordnet. Zur Gültigkeit des Beschlusses ist erforderlich, dass der
Gegenstand bei der Berufung bezeichnet wird. Bei der Beschluss¬
fassung entscheidet die Mehrheit der erschienenen Mitglieder.
Auch ohne Versammlung der Mitglieder ist ein Beschluss
gültig, wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschlüsse
schriftlich erklären.“
Ich halte auch dafür, dass dem Vorstande vom Aerztetage
nur so weit Vollmacht gegeben ist, als es sich um die Indie-
wegeleitung der Erwerbung der Rechtsfähigkeit handelt.
“ Ich für meinePerson erachte aber eine Vermehrung der Bestim¬
mungen geradezu für notwendig. Denn der vorliegende
Entwurf enthält viele Dinge, die das B.G.B. fordert,
überhaupt nicht. Ich erinnere in dieser Beziehung nur an
die Satzungsänderung §33 B.G.B., an das Aufhören der Stimm¬
berechtigung, wenn die Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit einem
Mitgliede oder die Einleitung und Erledigung eines Rechtsstreites
zwischen Mitglied und Verein in Frage kommt, §34 B.G.B.; ich
erinnere ferner an die ausserordentliche Berufung der Mitglieder¬
versammlung, §37 B.G.B., an die Auflösung des Vereines, §41
B.G.B. und an die Ausantwortung des Vermögens im Falle der
Auflösung, § 45 B.G.B.
Eine weitere Frage wäre die, ob nicht abweichend von § 6
des Entwurfes, der nur einen Vorsitzenden und einen stell¬
vertretenden Vorsitzenden kennt, ein mehrgliedriger Vorstand -—
also vielleicht der gesamte Ausschuss — bestellt werden soll.
Denn der Vorstand ist für viele Dinge haftbar und verantwortlich
(§42 und §43 B.G.B.) und mehrere Schultern tragen diese Bürde
*) Berl. Aerzte-Correspondenz No. 37.
2) Wenn es unumgänglich notwendig ist, wird sich wohl kein
Verein weigern, die Rechtsfähigkeit zu erwerben.
7. Oktober 1902.
ssaÄÄsrF“
aber auch tormell nicht einwandsfrei. ° gt üabe’ ist
bJSTte'ST ÄffiS “LM1Ävd“ • "*«*»-
“ VT'“S. ■*•$* S. T." ^che?n“n ift8 a7f„
« 1 i e d s e i n “ V« is t m’-'t") " “ i u 1 c h 1 u«tlg zum Mit-
8 i e a s e 1 n. E s ist mit der Bestellung genug!
Und weiter, wie soll der Name „Deutscher Aerztevereins
b und, der m § 2 des Entwurfes festgesetzt ist noch ei ne
innere Berechtigung haben, "wenn nkhtm !
dl.e, A 1e.1' e11 ne, sondern nur die delegierten V e r / t e
yovJnJet äenSsS^r^U^ ?lcht «* «&>« unmittelbaren
*“““ da der VereI“ »'«* richtiger
Am Ende meiner Berichterstattung angelangt, bitte ich Sie
meine Herren, folgende Schlussätze anzunehmen:
1. Der ärztliche Bezirksverein Traunstein
Reiche n li a 1 1 ist grundsätzlich für die E r w e r -
yng der Rechtsfähigkeit für den Deutschen
A e r z tevereinsbund. uen
2. B e r Entwurf der neuen Satzung b e d a r f
e i n e r I m a r b eitung; diese möge unter Zuziehun s
e in es j ur istis che n Beirates und, wenn juristisch
a nBangig, m Sinne der obigen Ausf ii li r unge n
Ihres Berichterstatters geschehen.
. Zum Zwecke der Eintragung in das Ver-
d er y11 % e 11 a u n a c h d e m w 0 r 1 1 a u t e
d e 1 §§ ob— 59 B.G.B. verfahren werden. Es soll nicht
mehr, als dieser Wortlaut verlangt, in die dem
£ommmgeuriChtC "'!"‘e6"d' «»“»», >•»&-
an1f- Die 1Eintl'agung in das Vereinsregister
a oV 7°/ dem Zusammentreten des nächsten
Aerztetages vollzogen sein.
_ - h y Ay.e U®r e* 1 e \ 11 a 11 ni e n d e r §§ 50-59 B.G.B. über-
y/f r /de Bestimmungen, die aber von der
Mi t g n e derversämmlung nach §32 B.G.B. erst zu
ulligen waren, sind teils notwendig, teils sehr
wünschenswert. Eine diesbezügliche Vorlage
soll, vom Ausschüsse unter Zuziehung eines
juristischen Beirates wohl vorbereitet dem
nächsten Aerztetage zur Beschlussfassung
vor gelegt werden.3) D ross hach.
MIT K NC HEXE R MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1661
Referate und Bücheranzeigen.
Leser: Die spezielle Chirurgie in 60 Vorlesungen.
bischer, Jena 1902.
Nach kaum 2 Jahren ist wiederum eine Neuauflage — die
fünfte — des Lehrbuches der speziellen Chirurgie von Leser
notig geworden, ein sicherer Beweis für die Beliebtheit und
Nützlichkeit des vortrefflichen Werkes. Dasselbe erfüllt nicht
nur den Zweck, die praktischen Studien der ersten klinischen
Semester zu unterstützen und eventuelle Lücken auszufüllen,
sondern es bietet auch dem Arzte einen sicheren Anhalt für die
Beurteilung ihm anvertrauter chirurgischer Erkrankungen und
für seine therapeutischen Massnahmen. In glücklicher Weise
hat es der Verfasser verstanden, gerade nur diejenigen Behand¬
lungsarten und Methoden aus der Fülle des Materials herauszu¬
greifen, deren Erfolge längst absolut anerkannt oder von ihm
selbst geprüft und für gut befunden worden sind. Dass hier¬
durch eine übersichtliche Darstellung und schnelle Orientierung
gewährleistet wird, liegt auf der Hand; für die Sicherheit und
Crute der in dem Buche niedergelegten Erfahrungen bürgt in
erster Linie der Name des Verfassers und ferner der Umstand,
dass Leser fast 8 Jahre als Assistent v. V o 1 k m a n n s tätig
vai. ast alle Kapitel des Buches sind insofern neu bearbeitet
worden, als die Fortschritte der Chirurgie in den letzten 2 Jahren
berücksichtigt worden sind; besonders ist dies der Fall bei den
Abschnitten, die über die Chirurgie der Schilddrüse und der
Bauchhöhle resp. ihrer Organe handeln, bilden doch die Opera¬
tionen an Mastdarm und Blase gewissermassen das Spezialgebiet
des Verfassers. Mit besonderer Liebe ist auch auf die Gelenk¬
resektionen und speziell die Nachbehandlung derselben einge¬
gangen worden; das Kapitel über die Ellenbogengelenksresektion
und ihre Erfolge bei passender Nachbehandlung ist mustergültig.
r u > Bmse Schlussätze wurden in der Vereins Versammlung vom
-n September einstimmig angenommen.
No. 40.
So ist zu erwarten, dass die Neuauflage des Buches dem-
s( ben viele neue f reunde gewinnen wird, da es in der Tat ein
gutes Bild des derzeitigen Standes der Chirurgie gibt; es sei allen
Interessenten aufs wärmste empfohlen. IToffa
«™.nr0f\TDr' K,röllU: Ueber die Bedeutung der funk-
gellen Nervenkrankheiten für die Diagnostik und Therapie
m der Gynäkologie. Leipzig, bei Thieme. 91. S.
Noch vor wenigen Jahren wurde in der gynäkologischen
uteratur an dem Jahrtausende alten Dogma festgehalten, dass
die Mehrzahl der funktionellen Nervenerkrankungen beim weib¬
lichen Geschlecht» verursacht sei durch Erkrankungen der
Sexualorgane. Die Folge war eine beträchtliche Überschätzung
so mancher geringfügiger Anomalien der weiblichen Geschlechts¬
organe; dies gab wieder Veranlassung, zur Korrektur dieser Ano¬
malien Eingriffe zu unternehmen, die in Rücksicht auf ihre
spateren unangenehmen Folgen für die Patientinnen zuweilen in
krassem Misverhältnis zur Geringfügigkeit der vorliegenden Ab¬
normität standen. Recht deutlich kam dies z. B. in neuester
Zeit zum Ausdruck durch die ausserordentlich zahlreichen
Operationsmethoden, die im letzten Jahrzehnt ersonnen wurden,
um die sogen. Flexionen und Versionen des Uterus zu korrigieren
beit dem 6. Kongress der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie
in \\ len hat sich eine von J ahr zu J ahr wachsende Partei unter
den Gynäkologen gebildet, die gegen diese Uebertreibungen Front
machte und unter anderem auch bestrebt ist, die Lehre von dem
Zusammenhang der Allgemeinerkrankungen mit den Erkran¬
kungen der Geschlechtsorgane einer Revision zu unterwerfen.
- n .dieser Arbeit hat sieh Verfassei* schon länger durch sorg-
ältige Lntersuchung beteiligt. In dem vorliegenden Werke finden
wir eine vorzügliche Zusammenstellung der zahlreichen Be¬
rührungspunkte zwischen Neurologie und Gynäkologie und der
gegenseitigen Beeinflussung der entsprechenden Krankheiten.
Die Möglichkeit der Entstehung ernster Erkrankungen
des allgemeinen Nervensystems durch kleincystische De¬
generation der Ovarien, Erosionen der Portio,
Cervix risse, Stenosen des Zeryikalkanals
u. s. w. werden in Abrede gestellt.
Bezüglich der klinischen Bedeutung der Retroversio
memt der Verfasser: „Die Annahme, dass die Lageanomalie für
a le möglichen, in den verschiedensten Körperregionen auftreten-
t en nervösen Störungen verantwortlich gemacht werden muss, ist
auf Grund der heutigen Erfahrung für die meisten Fälle' als
y1 y zu erachten. Wir dürfen es als bewiesen ansehen, dass
dieRetroversio uteri mobilis in der bei weitem grössten Zahl der
Dille als eine symptomlos verlaufende Lageanomalie zu gelten
hat.“
Von der Dysmenorrhöe meint er, dass sie meist Teil-
erscheiuung der Hysterie oder Neurasthenie sei. Bezüglich des
Entstehungsmodus findet er gleich plausibel die Ansichten von
Menge und von dem Referenten. Menge nimmt an, dass die
normalen Kontraktionen des Uterus während der Menstruation
von Nervösen ungewöhnlich stark empfunden werden, während
Referent die Ursache der Schmerzen in einem Spasmus der
Sphmcter orificii intern! sucht. Bezüglich der Behauptung von
E 1 i e s s und Schiff, dass die dysmenorrhpischen Beschwerden
durch Veränderungen in der Nase bedingt sein könnten, ist Ver¬
fasser sehr skeptisch, er meint, dass es in diesen Fällen schwierig
sei, die Suggestion auszuschalten.
Auch bezüglich der Erklärung des übermässigen
Ei bi eehen.s bei Schwangeren schliesst sich V erf asser
an Kaltenbac h an, wonach dasselbe als Teilerscheinung einer
iunktionellen Neurose anzusehen ist.
In der Therapie legt K r ö n i g mit Recht einen grossen
Wert auf die Allgemeinbehandlung, auch für solche Fälle, „bei
welchen wir anatomisch gewisse Anomalien nachweisen können,
welche aber nicht mehr die ihnen früher zugeschriebene weit¬
gehende klinische Bedeutung besitzen“. Er empfiehlt die W eir-
Mitchell sehe Kur, diätetisch-physikalische und hydrothera¬
peutische Massnahmen. Doch meint er, dass wir in den meisten
I allen eine örtliche Behandlung nicht entbehren können, aller¬
dings häufig nur, um die genügende suggestive Wirkung bei den
Kranken hervorbringen zu können.
Referent hat häufig sich zu überzeugen Gelegenheit, dass der
giossen Mehrzahl der praktischen Aerzte die in diesem Werke ge¬
schilderten neuesten Publikationen der gynäkologischen Litera¬
tur nahezu vollständig unbekannt sind; bei der grossen Wichtig-
6
MÜENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4Ö.
166Ö
keit, die diese Fragen gerade für den Hausarzt haben, muss des¬
halb die Lektüre dieser Monographie jedem Praktiker drin¬
gendst empfohlen werden. Aber nicht bloss der praktische Arzt,
auch der Spezialist, der alle Veröffentlichungen auf diesem Ge¬
biete eit rigst, studiert hat, wird in diesem \\ erke eine Reihe neuer
Gedanken und vortrefflicher Beobachtungen finden; ihm sei des¬
halb das Studium dieses Buches ebenfalls ans Herz gelegt.
Theilhaber.
Andre Cast ex: Die Krankheiten der Stimme. Paris,
C. N a u d, 1902.
Verf., Dozent der Laryngo-Rhinologie und Otiatrie an der
medizinischen Fakultät in Paris und Arzt am Taubstummen¬
institut, schon bekannt durch seine 1894 erschienene „Hygiene
der Stimme“, beginnt das vorliegende Werk mit der Anatomie
und Physiologie der Stimmwerkzeuge, die durch zahlreiche Ab¬
bildungen illustriert werden. Interessanter ist das Kapitel:
„lieber die Ursachen der Erkrankungen der Stimme“; er kommt
darin zum Schlüsse, dass Alter, Geschlecht, Schwangerschaft,
Menstruation, Kastration von grösstem Einflüsse sind. Die
Herausnahme der Eierstöcke hat im allgemeinen keinen direkten
grösseren Schaden für die Stimme zur Folge. Von grösstem
Einflüsse sind aber das Temperament, die Zirkulation des Blutes,
die Ernährung, Nervosität, Tabak, Syphilis, Lampenfieber,
Furcht, körperliche Hebungen, Temperatur, Klima, Wohnung,
Kleidung, Gerüche, Staub, verschiedene Arzneistoffe und Gifte.
In den folgenden Kapiteln finden die einzelnen Erkrankungen
der Sprechstimme ihre eingehendere Besprechung, wie die Er¬
müdung der Stimme, der Rednerkrampf, die Sängerknötchen,
die Eunuchenstimme, das Näseln, der plionisclie Stimmritzen¬
krampf, die Veränderungen der Stimme bei Geisteskrankheiten,
das Stottern und andere Sprachfehler. Besonders gelungen ist
das Kapitel über die Krankheiten der Singstimme, welches eine
Fülle von teils älteren, teils neueren Beobachtungen und prak¬
tischen Fingerzeigen enthält, z. B. auch, wie das Krankenexamen
einzurichten ist.
Das Buch kann allen denen, die sich mit den Krankheiten
der Sänger und Berufsredner beschäftigen, bestens empfohlen
werden. Sckech.
Neueste Journalliteratur.
Klinisches Jahrbuch. 1902. Bd. 9. Heft 2.
A. Gaertner: Die Quellen in ihren Beziehungen zum
Grundwasser und zum Typhus.
Im ersten Teil bespricht Gaertner die Quellen iu ihrem
Verhältnis zum Grundwasser. Er konstatiert einen geologischen
und hygienischen Unterschied zwischen beiden. Das Quellwasser
stammt von der Oberfläche zertrümmerten Gesteins, welches der
Toren entbehrt und daher das Wasser nicht filtriert. Neben der
Art des Gesteins entscheidet das tributäre Gebiet über die In-
fektionsfäliigkeit. Der Hygieniker und Geologe müssen daher bei
Neuanlage und Beurteilung von Wasserversorgungen Zusammen¬
arbeiten, besonders wenn es sich um die Auswahl von direkt unter
den Ansiedelungen hervorbrechenden Q-uellen handelt. Schliess¬
lich ist dann die Möglichkeit einer Infektion des Quellwassers mit
Typhus vom Ort aus das kleinere Uebel gegen die unbeschränkte
Infektionsmöglichkeit der Einzelbrunnen jeden Hauses. Grund¬
wasser ist dem Quellwasser immer vorzuziehen. Bei der Be¬
urteilung des Quellwassers ist vor allem die Herkunft der Ver¬
unreinigungen, Trübungen zu eruieren. Letztere besitzen nur dann
eine gesundheitliche Bedeutung, wenn sie nach Lage der ört¬
lichen Verhältnisse eine Infektionsmöglichkeit einschliessen. G. be¬
spricht dann die Ausschaltung dieser Infektionsmöglichkeiten und
betont besonders die Verhütung der Infektion mit Typhusbazillen.
Jeder einzelne Fall von Typhus muss intensivst bekämpft werden,
besonders der Typhus ambulatorius. Dann kommt noch die Er¬
örterung der Filtration und Sterilisation des Quellwassers.
Im zweiten Teil schildert G. eingehend die Rolle, die die
Quellen als Vermittler des Typhus bei einzelnen Epidemien ge¬
spielt haben, mit Beigabe von sehr instruktiven Karten.
Dr. S e g g e 1 jun. -München.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 64. Band, 5. u. 6. Heft.
August 1902. Leipzig, Vogel.
24) Schlender: Ueber Fremdkörper in den Luftwegen.
(Friedrichshain Berlin.)
Bericht über 12 Fälle. 9 derselben wurden operiert mit
7 Heilungen und 2 Todesfällen. Von den nicht operierten heilte
1 spontan, 2 starben, und zwar einer an Lungengangrän, 1 an Er¬
stickung.
Zur Diagnosestellung empfiehlt Verfasser dringend die Ront-
genpliotogra pliie.
Die K i 1 i a n sehe Bronchoskopie wird nicht erwähnt.
25) W o 1 k o w i t s e li - Kiew: Ein Beitrag zur Behandlung
der chronischen Larynxstenose.
Die 42 behandelten Kranken setzten sich zusammen aus:
19 Tracheotomierten, 2 Knaben, denen multiple Papillome ent¬
fernt waren, 18 mit Sklerom Behafteten, 5 auf Lues Verdächtigen,
bezw. mit Schleimhautverdickung. Am häufigsten kam die In¬
tubation zur Anwendung, die im allgemeinen sehr gute Resultate
gab. Ausserdem wurden versucht: Spaltung des Kehlkopfs,
plastischer Ersatz (nach Scliimmelbusc h, M a n g o 1 d t und
mit T hiersch sehen oder Iv r ause sehen Lappen), Resektion
der stenosierten Stelle. Auch bei diesen Operationen wurde wieder¬
holt die Intubation zu Hilfe genommen. .
20) Penkert: 4 seltene Fälle von abdominalen Cysten.
(Patholog. Institut Greifswald.) . *
a) Intraabdominales Haematolympliangioma mixtum. Neben
den Tumoren in der Bauchhöhle fanden sich auch solche in der
Haut und am Lungenhilus. Die Entstehung dieser Tumoren scheint
dem Verfasser mangels sicher nachweisbarer mechanischer Fak¬
toren darauf zurückzuführen sein, dass in den pathologisch an¬
gelegten Blut- und Lymphgefässbezirken eine dauernde vaso¬
motorische Innervation bestellt. Vermöge derselben strömt reich¬
lich Blut und Lymphe in die Kapillaren ein und es fliesst nur so¬
viel ab, als Ueberseliuss zugeströmt ist. Unerklärlich bleibt dabei
freilich die Deutung des Proliferationsprozesses. _
b) Lymphcyste am Coekum. Cystische, gänseeigrosse Ge¬
schwulst hinter und zu beiden Seiten des Colon ascendens. Ueber
deren Entstehung stellt Verfasser mehrere Möglichkeiten auf.
c) Ein klinisch als Angioma cysticum mesenteriell diagnosti¬
zierter und operierter Fall wurde bei der mikroskopischen Unter¬
suchung als Hydronephrose erkannt.
d) Eine grosse, abgesackte Flüssigkeitansammlung zwischen
Magen und Leber hatte sich auf Grund einer früher überstandenen
allgemeinen Feritonitis bei allgemeinem Aszites entwickelt.
27) Göbell: Zur Kenntnis der Hernia inguinalis super¬
ficialis. (Chirurg. Klinik Kiel.)
Die Richtigkeit der Deutung in den von Küster als Hernia
inguino-superficialis beschriebenen Fällen ist von Bramann an-
gezweifelt worden. G. beschreibt eine neue Beobachtung, die im
wesentlichen die K ii s t. e r sehe Deutung bestätigt, in einigen
Punkten sie ergänzt. Es handelte sich um einen angeborenen
Bruch mit nicht herabgetretenem Testikel, dessen Bruchsack nur
von Fascia transversalis (infundibuliformis) umgeben und nur von
Fascia superficialis und Haut bedeckt war. Ein M. cremastei
war nicht nachzuweisen, die Aponeurose des M. obliquus externus
setzte sich nur 2 cm weit auf der Tunica vaginalis communis fort.
Der Leistenkanal verlief schräg. Der Bruchsack war bilokulär,
setzte sich zusammen aus einem skrotalen und einem interparie¬
talen Teil.
28) Wittek: Ueber Pes calcaneus traumaticus. (Chirurg.
Klinik Graz.) , . ,
W. fügt zu den früher von Nicoladoni beschriebenen
2 Fällen von Pes calcaneus traumaticus noch 3 weitere Beobach¬
tungen. Im ersten Falle war die Deformität entstanden infolge
eines vor Jahren erlittenen Sehsenhiebes, im zweiten infolge einer
vor 3 Wochen eingetretenen Fraktur des Fersenbeinhöckers, im
dritten infolge einer vor 8 Jahren vorgenommenen Tenotomie bei
L i 1 1 1 e scher Krankheit. Die aufgenommenen Röntgenbilder er¬
gaben, dass in allen Fällen der Calcaneus sich um eine frontale
Achse' mit Senkung seines hinteren und Erhebung seines vorderen
Abschnittes gedreht hatte, in derselben Weise, wie er es bei der
Dorsalflexion des Fusses tut. Ausserdem hatte sich auch der
Talus in sagittaler Richtung im Sinne einer Dorsalflexion bewegt.
Während sich so der hintere Fussabschnitt im Sinne einer Dorsal¬
flexion bewegt hatte, stand der vordere Fussabschnitt (vom
C hopart sehen Gelenk an) in Plantarflexion. Die Ursache für
die Veränderung ist darin zu suchen, dass der bewegliche Calcaneus
bei Ausschaltung der Wadenmuskulatur dem Zuge der Sohlen¬
muskulatur folgt und den Talus mit in Dorsalflexion zieht. Ver¬
fasser konnte ähnliche Verhältnisse an der Leiche darstellen.
W. macht darauf aufmerksam, dass doch gelegentlich durch
die Tenotomie der Achillessehne ähnliche "V erhältnisse herbei¬
geführt werden können. Dieselbe kann bekanntlich mit 4 orteil
durch die plastische Verlängerung ersetzt werden.
29) Claudius: Eine Methode zur Sterilisierung- und zur
sterilen Aufhebung von Katgut. (Frederiks-Hospital Kopen¬
hagen.)
Gewöhnliches rohes Katgut wird auf starke gläserne Wickel
aufgewunden, zwei verknüpfte Fäden auf jeden Wickel, und iu
eine wässrige Lösung von Jod-Jodkalium gebracht (1 Jod, 1 Jod¬
kali. 100 Wasser). Nach Verlauf von 8 Tagen ist das Katgut fertig
zum Gebrauch. Soll es verwendet werden, so legt man eine Rolle
in 3 proz. Karbollösung oder eine indifferente sterile Flüssigkeit,
wodurch die überflüssige Jodlösung abgespült wird.
Experimentelle und klinische Erfahrungen erwiesen, dass das
so präparierte Katgut sicher steril ist.
30) Funken stein -Bern: Ein Beitrag zur Lehre von
den intraabdominalen Hernien. (Patholog. Institut Bern.)
F. beschreibt ausführlich einen klinisch und anatomisch unter¬
suchten Fall von Hernia retrocoecalis. Als sicher ist bisher nur
noch ein derartiger Fall beschrieben worden.
31) Berliner: Die Teleangiektasien der Blase. (Fried¬
richshain Berlin.)
Bei einem 11 jährigen Mädchen bestanden seit dem 10. Lebens¬
jahre Blasenblutungen. Bei der Cystoskopie fand man verschieden
7. Oktober 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1663
grosse blaurote Wülste, zwischen denen die Blasenschleimhaut
blutig suffundiit erschien. Au der rechten grossen Labie sass
ein wallnussgrosses teleangiektatisches Angiom.
Nach vorgenommener Sectio alta wurden die besonders den
Blasenhals einnehmenden blauroten Wülste kauterisiert.
Besserung erfolgte erst nach monatelanger Nachbehandlung.
A erlassei empfiehlt für ähnliche Balle das eingeschlagene
Verfahren.
32) Graff: Eine retrorektale teratoide Geschwulst mit
adeno-karzinomatöser Degeneration. (Chirurg. Klinik Bonn.)
Der Fall ist der erste von primärer adenokarzinomatöser De¬
generation einer teratoiden Geschwulst.
- 33) K r a m m - Tientsin: Ueber die Leberentzündung nach
Ruhr.
Die Mitteilungen des Verfassers gründen sich auf 11 in
Tientsin gemachte Beobachtungen. Von den 11 Leberentzün¬
dungen verlief eine ohne, 10 mit Abszessbildung. Alle waren be¬
dingt durch Ruhr. Eine sichere Diagnose gründet sich ausschliess¬
lich auf die Probepunktion. Die Operation erfolgt entweder durch
die Bauchwand hindurch oder perpleural. In beiden Fällen muss
die Verklebung der Pleura- bezw. Peritonealblätter abgewartet
werden (3 Tage). Von 9 Operierten sind 8 geheilt. 1 gestorben.
34) S i 1 b e r m a r k - Wien: Fx'emdkörpertuberkulose der
Zunge in Tumorform.
Es handelte sich um eine etwa haselnussgrosse, von normaler
Schleimhaut überzogene Anschwellung der linken Zungenhälfte,
deren Untersuchung deutliche Tuberkelknötchen mit Riesenzellen
erkennen liess. Gleichzeitig gefundene Körper von nicht ganz
klarem Ursprung Hessen mit grosser Wahrscheinlichkeit an¬
nehmen, dass es sich um eine Fremdkörpertuberkulose handelte.
Dafür sprach auch, dass die Muskulatur völlig intakt war und
nirgends irgendwelche Zeichen käsiger Degeneration zu erkennen
waren.
35) Tietze: lieber eine Hernia traumatica sacralis, nebst
Bemerkungen zur Mastdarmplastik. (Augustahospital Breslau.)
Die grosse Hernie hatte sich nach einer Mastdarmexstirpation
ausgebildet, da das temporär resezierte Kreuzbeinstück nekro¬
tisch geworden war.
3(5) Graessner: Zur Kasuistik der Hüftgelenkspfannen¬
brüche. (Bürgerspital Köln.)
Bericht über 7 Fälle. Die Diagnose stützt sich auf folgende
Zeichen: Heftige Schmerzen im Hüftgelenk bei Druck auf den
Trochanter und bei Stoss gegen die Ferse. Keine Verkürzung des
Beines, Trochanterspitze in der Roser-Nelaton sehen Linie,
Annäherung des Trochanters an die Mittellinie und Abflachung
der Trochautergcgend, beschränkte und schmerzhafte Innenrota-
tion, Druckempfindlichkeit der Pfannengegend bei tiefem Ein¬
drücken dicht über dem Lig. Pouparti in der Regio liypogastrica,
druckempfindliche Vorwölbung der Pfannengegend bei rektaler
Untersuchung. Das Röntgenbild zeigt Vorwölbung bezw. Fraktur
des Pfannenbodens, muss übrigens mit Vorsicht aufgefasst werden.
Krec k e.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 38 u. 39.
No. 38. Jos. Bäck e r - Ofen-Pest: 6 Fälle von Fibromyoma
uteri, kompliziert mit Schwangerschaft.
Auf Grund von 6 Fällen, die B. beschreibt, entwickelt er seine
Grundsätze bei der Behandlung von Myomen in der Schwanger¬
schaft. Die Ansicht von Gusse row u. a., dass Myome Sterili¬
tät bedingen, hält B. für irrig; wiederholte Geburten bei myom¬
kranken Frauen sind beobachtet. Die Ansicht, dass das Fibrom
eine der gutartigsten Komplikationen der Gravidität sei, teilt B.
nicht. Am günstigsten sind noch die subserösen Korpusmyome,
während die im Kollum sitzenden bedeutende Störungen machen
können. Die seltenste, aber auch schwerste Komplikation ist die
Nekrose eines Fibroms, eine häufigere, aber nicht so akute Gefahr
bringt das rapide Wachstum des Tumors während der Schwanger¬
schaft. Andere Gefahren des Fibroms sind die Notwendigkeit
eines operativen Eingriffs während der Geburt, Verhinderung der
Uteruskontraktionen, Nekrose der Geschwulst im Wochenbett
u. ä. in.
Da die gravide Trägerin eines Fibroms stets in einer relativen
Gefahr schwebt, so macht B. den künstlichen Abort, wenn sie
sich noch innerhalb der ersten G Wochen befindet, vorausgesetzt,
dass Pat. ihre Zustimmung hierzu erteilt. Vom 3. Monat ab ver¬
hält B. sich abwartend. Ist operatives Eingreifen indiziert, so
empfiehlt B. stets radikal zu operieren, sei es mittels Totalexstir¬
pation, sei es mittels supravaginaler Amputation.
No. 39. 1) II. F ü t h - Leipzig: Beiträge zur Hände¬
desinfektion.
F. berichtet über Versuche zur Händedesinfektion mittels
Seifenspiritus nach v. M i k u 1 i c z, verglichen mit der von
K r ö n i g empfohlenen Methode mittels Quecksilbercitratäthylen¬
diamin. Die Versuche fielen zu Ungunsten der Seifenspiritus-
Desinfektion aus, da die von den damit behandelten Händen ge¬
impften Meerschweinchen an Tetragenusperitonitis zu gründe
gingen, die anderen nicht. Da es sich aber nur um 4 Versuche
handelt, so dürfte ihnen eine unzweideutige Beweiskraft kaum
zukommen.
2) Derselbe: U eher die Dauer der menschlichen
Schwangerschaft.
P.as B-Gl.B. setzt bekanntlich als Empfängniszeit die Zeit vom
1. 1. bis zum 302. Tage vor dem Tage der Geburt des Kindes fest
(§ 1592). Hiergegen hatte v. Winckel Einspruch erhoben und
ans seinem Material die untere Grenze des intrauterinen Lebens
bei 240, die obere bei 33G Tagen bezeichnet. F. berichtet nun über
das Ergebnis einer Dissertation von Enge aus der Leipziger
Klinik, welche die v. W i n c k e 1 sehen Angaben vollauf bestätigt
Hiernach genügt also das Gesetz für die in Frage stehende
Materie anscheinend nicht und F. überlässt es den Juristen wie
sie sich hierzu stellen werden.
3) Zweifel- Leipzig: Bemerkungen zu vorstehendem Auf¬
satz.
XJ. /ilUPlL au» Utr Hi
-s c öLiieu j_/issei uiiion, ciass 4 Frauen von
dem Kohabitationstage an ihr Kind länger als 302 Tage trugen
nämlich 304,^305, 312 und 319 Tage. Auch er hält für notwendig,
dass der § 1717 des B.G.B., der von den unehelichen Kindern han¬
delt, dahin ergänzt werde, dass für grosse Kinder, d. h. solche über
4000 g Gewicht und 52 cm Länge, die Grenze von 302 Tagen er¬
weitert werde.
I). J- Kocks -Bonn: Die teleologische Auffassung in der
Medizin und den Naturwissenschaften.
Eine kurze Polemik gegen Reinkes Dominantenlehre (in
seinem bekannten Werk: „Die Welt als Tat“) und die Annahme
einer kosmischen Intelligenz, bezw. Teleologie in den Naturwissen¬
schaften. J a f f e - Hamburg.
Archiv für Hygiene. 44. Bd. 3. Heft. 1902.
1) L. Peserico - Padua: Ueber die Bedeutung der Zigarren
und besonders der Stummel derselben im Hinblick auf die Ver¬
breitung der Tuberkulose.
Verf. liess Personen, welche reichlich Tuberkelbazillen in
ihrem Sputum hatten, Zigarren und Zigaretten rauchen und ver-
impfte alsdann die Stummel sowohl direkt nach dem
R a u e h e n wie auch nach 1 ä n g e r e r A ufbewa h r u n g
auf Meerschweinchen. Auch Stücke von gekauften frischen
Zigarren und Zigaretten und ebenso auf der Strasse aufgelesene
verimpfte er auf dieselbe Weise. Es stellte sich heraus, dass von
den Meerschweinchen, welche mit Stummeln infiziert waren, die
von tuberkulösen Rauchern stammten, 50 I’roz. an Tuberkulose
erkrankten. Damit ist erwiesen, dass die Tuberkelbazillen auf
diese Weise verbreitet werden können. Wenn die Stummel
trocken aufbewahrt wurden, waren sie ebenfalls nach
längerer Zeit noch infektiös; dagegen gelang die In¬
fektion nicht mehr, wenn die Stummel 10 Tage lang
der Feuchtigkeit ausgesetzt wurden. Die Infektionsversuche mit
Zigarrenresten, die auf der Strasse und in C a f es a u f -
geles e n waren, fielen negativ aus, ebenso die Versuche mit
frischen Zigarren aus Läden. Die Bakterienarten in den Zigarren¬
stummeln sind hauptsächlich der Kartoffelbazillus, einige pyogene
Kokken und Proteusarten und ausserdem Schimmelpilze.
2) Iv. B. Lehmann und G. R o li r e r - Würzburg: Besitzen
die flüchtigen Bestandteile von Thee und Kaffee eine Wirkung
auf die Respiration des Menschen?
Frühere unter L e li m anns Leitung von Wilhelm und
Ten dl au angestellte Versuche hatten selbst bei Aufnahme
grosser Mengen von Kaffeedestillaten und Thee-
destillaten keine irgendwie besonderen Erscheinungen von
seiten des Organismus oder der Psyche erkennen lassen, auch
keinen Einfluss auf die Atmungsgrösse. Binz dagegen
wollte eine Beschleunigung der Atmungsfrequenz in neueren Ver¬
suchen gezeigt haben. Zur Klarstellung dieser Sachlage wurden
nun an 2 Männern und einem 12 jährigen Mädchen Versuche mit
grösseren Mengen „C a ff eo n“ (Kaffeedestillat) und T bee¬
ile s t i 1 1 a t angestellt, bei denen mittels eines dazu konstruierten
Apparates die Atemfrequenz aufgezeichnet wurde. Es kamen
wohl F requenz ii nderungen von 2 — G Proz. Steigerung
vor, aber auch beim Wassertrinken wurde einmal eine
Steigerung von 13 Proz. konstatiert. Es war also kein Ein¬
fluss auf die Atmungsgrös'se zu konstatieren, ebensowenig
wie auf das Muskelgefühl und die Psyc li e.
3) Iv. B. L e li in a n n - Würzburg: Hygienische Untersuch¬
ungen über Mehl und Brot. X. Neue Studien über die Azidität
des Brotes, ihre Ursachen und ihre beste Bestimmungsmethode.
Die Azidität des Brotes wird bedingt durch die in Wasser
lösliche Essigsäure, Milchsäu r e und durch die s a u r e n
Phosphate; die sehr geringe Azidität des mit Aether und
Wasser ausgezogenen Brotrückstandes muss auf höhere ölige
F e 1 1 s ä u v e n und E i w e i s s k ö r p e r bezogen werden.
Zur Bestimmung der Säure des Brotes empfiehlt sich für die
Praxis am meisten die Titrierung des frischen Brotes mit
N o r m a 1 n a t r o n 1 a u g e unter Zugabe von genügend Phe¬
nolphthalein als Indikator, wie von Leh m a n n schon
früher angegeben wurde. Die von Prausnitz und Man.i-
canti angegebene Methode ergibt nach den Untersuchungen des
Verf. zu hohe Werte.
4) Celli-, Rom: Die Malaria in Italien im Jahre 1901.
Epidemiologische und prophylaktische Forschungen.
Zusammenfassende Uebersicht der im Jahre 1901 in Italien
gemachten Beobachtungen, die im allgemeinen das verflossene
Jahr nicht so malariareich erscheinen lassen als das Jahr 1900.
An Schutzmassregeln wurden neben dem C li i n i n auch wieder
die mechanischen Vorrichtungen ausgiebig mit Er¬
folg verwendet. II. O. Neuraann- Kiel.'
G*
MTTEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
1G64
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 39.
1) H. O p p e n h e i m - Berlin: lieber einen operativ be¬
handelten Fall von Rückenmarkstumor.
Cfr. das Referat der Münch, med. Wochenschr. über die
Sitzung der Beil. med. Gesell sch. am 18. Juni 1902.
2) E. H o f f m a n n - Berlin: Ueber Quecksilberdermatitis
und die ihr zu gründe liegenden histologischen Veränderungen,
nebst Bemerkungen über die dabei beobachtete lokale und Blut¬
eosinophilie. (Schluss folgt.)
3) A. C 1 o p a 1 1 - Helsingfors: Ueber die Einwirkung des
Alkohols auf den Stoffwechsel des Menschen.
Verfasser akzeptiert zunächst als das Resultat früherer For¬
schungen auf diesem Gebiete, dass der Alkohol die Körpergewebe
vor Verbrennung schützt und ihm daher ein Nährwert zuzuschrei¬
ben ist, und bespricht sodann die hauptsächlichsten Grundlagen
für die Anordnung der hierher gehörigen Stoffwechselversuche.
Verfasser hat an sich selbst einen 36 Tage währenden Versuch
vorgenommen, bei dem er in der Vorperiode (12 Tage) eine be¬
stimmte Kost verzehrte, dann aus der Kost einen Teil der Fette
wegliess und denselben durch eine isodyname Menge von Alkohol
ersetzte. Es konnte zunächst ein vermehrter Eiweisszerfall
während 5 Tagen konstatiert werden, dann jedoch während
(i Tagen eine eiweissparende Wirkung des Alkohols. Auf die Re¬
sorption der Nahrungsstoffe im Darm übte der Alkohol keine nach¬
weisbare Wirkung, y
4) v. Sohle r n - Kissingen: Zur Obstipatio spastica.
Da diese Erkrankung den Aerzten im allgemeinen noch zu
wenig bekannt ist, so bespricht v. S. ihre klinischen Symptome
und Therapie, unter Anfügung mehrerer instruktiver Kranken¬
geschichten. Wesentlich hiebei ist 1. die Verstopfung, 2. die Spas¬
men. Beim Anfall und nach demselben können die versteiften
Darmteile kontrahiert und druckempfindlich palpiert werden. Der
Stuhl ist stets wasserarm, pechartig zäh und von kleinem Kaliber,
fast immer bleistiftartig. Die 'Ob. spast. ist immer nur ein Sym¬
ptom einer meist funktionellen, selten organischen Erkrankung
des Nervensystems. In den anfallfreien Zeiten fehlt bei den be¬
treffenden Kranken der Meteorismus, trotz mehrtägigen Aus¬
bleibens des Stuhles und reichlicher Nahrungszufuhr. Es scheint
sich um einen Mangel jener Sprosspilze und Bakterien zu handeln,
welche bei der Verdauung die Gärungs- und Fäulnissvorgänge
an Kohlehydraten und Albuminaten bewirken. Die Stuhlmenge
ist überhaupt auffallend gering. Hinsichtlich der Therapie ver¬
tritt Verfasser vor allem die Notwendigkeit der Bettruhe. Die
Kost soll reizlos, weich und sehr nahrhaft sein; ferner soll viel
Flüssigkeit zugeführt werden. Drastika und Bitterwässer sind zu
verwerfen, höchstens milde „Schiebemittel“ anzuwenden. Massage
und Elektrizität hält v. S. bei dieser Form der Obstipation für
kontraindiziert.
5) Preston K e y e s - Frankfurt a/M.: Ueber die Wirkungs¬
weise des Cobragiftes.
Eignet sich nicht zu kurzem Auszug.
Dr. Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 39.
1) F. Marchand - Leipzig: Ueber Gewebswucherung und
Geschwulstbildung’ mit Rücksicht auf die parasitäre Aetiologie
der Karzinome. (Schluss folgt.)
2) A. Hel ler- Kiel: Ueber die Tuberkuloseinfektion durch
den Verdauungskanal. -
H. hält an der primären Infektion durch den Verdauungs-
traktus fest und führt statistisches Material aus dem patho¬
logischen Institut der Universität Kiel, sowie einen besonders
charakteristischen Fall als Belege an.
3) J. M i t.u 1 e s c u - Bukarest: Einfluss des neuen Tuberku¬
lins auf den Zellstoffwechsel. (Aus dem Institut für Infektions¬
krankheiten in Berlin.) (Schluss folgt.)
4) Wilhelm Ebstein- Göttingen: Nochmals die Tastper¬
kussion.
E. verteidigt seine Methode gegen die Kritik von A. Hesse
(Fortschritte der Medizin 1902, No. 19).
5) H a m e 1 - Berlin: Zur Frühdiagnose des Ikterus.
Da alle ikterisclie Färbung sowohl der inneren Organe und
der Muskeln wie auch der Haut ihren Ursprung einzig in der durch
die übergetretene Galle bedingten Gelbfärbung des Blutserums
hat, so ist einleuchtend, dass sich in dieser sonst farblosen
Flüssigkeit am deutlichsten beginnender Ikterus nachweisen lässt,
lange bevor derselbe an der Haut oder Konjunktivs zum Aus¬
druck kommt. Die Intensität und Dauer der Gelbfärbung gibt
ferner einen genauen Gradmesser für die Schwere und den Ver¬
lauf des Krankheitsprozesses, letzteres insofern, als das Serum
mit dem Auf hören des Uebertritts von Galle in das Blut sofort
hell wird, während die Haut infolge Pigmentablagerung noch
lange ikterisclie Färbung zeigen kann. Zur Prüfung genügen
ca. 15 — 20 Tropfen Blut, welche aus einer kleinen Stichwunde des
Ohrläppchens in ein ca. ly2 mm dickes und 10 cm langes Glas-
kapillarröhrclien aufgenommen werden. Die Kapillare wird ver¬
schlossen mit der Blutsäule nach unten senkrecht gestellt und nach
einigen Stunden bereits hat sich das Serum genügend abgesetzt,
um eine Prüfung vorzunehmen.
6) Alfred P et te r s s o n - Upsala: Zur Frage der Bedeutung
der Fadenpilze für die pathologischen Veränderungen des
Magens.
Aus den Untersuchungen von P. scheint hervorzugehen, dass
der Fadenpilz in keinem ursächlichen Zusammenhang mit patho¬
logischen Veränderungen der Magenwand steht, dagegen konnte
eine starke Vermehrung desselben in zuckerhaltiger Lösung be¬
obachtet werden, welche mit allmählichem Verschwinden des
Zuckers und zunehmender Hyperchlorhydrie einherging, infolge
deren das Wachstum anderer Organismen aufgehoben wurde.
7) .Tac. B o u m a - Utrecht: Ueber eine bisweilen vor-
kommende Abweichung bei der Bestimmung des Harnindikans
als Indigorot mittels Isatinsalzsäure.
Mitteilung aus dem physiologischen Laboratorium der Uni¬
versität Utrecht.
S) J. Wieting - Konstantinopel: Zur Redression des Klump-
fusses.
Zur Vermeidung der bei der forcierten Redression nicht gar
so seltenen Epiphysenlösung und von Deviationen, die während
des Anlegens und durch Nachgeben des Gipsverbandes entstehen,
empfiehlt W. ein Verfahren, wodurch das redressierte Glied mit
dem adressierenden Mittel fixiert wird, in der Weise, dass das
im Knie spitzwinklig gebeugte Bein mit dem nach der manuellen
Redression in leichter Dorsalflexion gestellten Fuss auf eine der
Fussgrösse entsprechende, mit etwa y2 cm dicker Gipsschichte be¬
legte und durch unterschobene Holzklötzchen von überall frei zu¬
gängliche Holzplatte fest angepresst und mit dieser Unterlage
ohne Anwendung einer Polsterung durch Gipsbinden fixiert wird.
9) Tropenkrankheiten und koloniale Medizin:
Iv r u 1 1 e: Die Lepra auf den Marschallsinseln und Karo¬
linen.
Von der Kolonialabteilung des auswärtigen Amtes zur Ver¬
fügung gestellt. Mit einer Anzahl Illustrationen.
10) E r b k a m - Grünberg i/Schl.: Ein Fall von Exstirpation
eines pseudoleukämischen Milztumors mit günstigem Ausgang.
11) H e i n r i c h- Freystadt i/Wpr.: Ein seltenes Vorkommnis
bei Lungentuberkulose.
Durchbruch einer Kaverne nach aussen. F. L.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 39. 1) J. Neumann-Wien: Der extragenitale syphi¬
litische Primäraffekt, in seiner klinischen und volkshygie¬
nischen Bedeutung.
Bei einem (10 jährigen) Material von 2822 syphilitischen
Männern und 1812 Weibern fand N. in 4,47 Proz. den extra¬
genitalen Primäraffekt, dessen Lokalisation er statistisch angibt.
Er bringt sodann eine Zusammenstellung jener Fälle, wo der In¬
fektionsmodus eruiert werden konnte, darunter verschiedene In¬
fektionen bei Aerzten, bei denen durch die gebräuchliche Des¬
infektion der Hände leicht Rhagaden entstehen, durch welche dann
die Virusaufnahme erfolgt, ferner Uebertragung durch Bisse,
Küsse, Kleider, Waschwasser, Trinkgefässe, Tätowierung, Zirkum-
zision, Zigarren etc. Die häufigsten extragenitalen Primäraffekte
finden sich bei Syphilisendemien (Russland, Herzegowina, Kroa¬
tien) und hier zeigt sich besonders die enorme volkshygienische Be¬
deutung dieses Symptoms der Krankheit. N. schildert die äusseren
Merkmale des extragenitalen Primäraffektes, der gegenüber den
gewöhnlichen manche Differenzen der Form und Grösse aufweist.
Nicht so selten (z. B. bei Lippen- und Tonsillensklerosen) kommen
Verwechslungen mit Epitheliomen und Sarkomen vor. wie mehrere
der angeführten Fälle beweisen. Die extragenitale Syphilisinfek¬
tion scheint zur Entstehung schwerer Sekundärformen zu dis¬
ponieren. Es wird angegeben, dass die extragenitalen Sklerosen
von Jahr zu Jahr häufiger werden. In einem kurzen Anhänge
seiner Arbeit behandelt N. das Vorkommen des extragenitalen
Ulcus molle, das natürlich nicht so wichtig ist.
2) R. v. K r a f f t - E b i n g - Graz: Ueber Morphinodipsie.
Dipsomane benützen bekanntlich meist den Alkohol, um sich
über quälende psychische Zustände hinüber zu helfen, nur selten
andere kalmierende Mittel, z. B. das Morphium. Verfasser be¬
schreibt seine Beobachtungen an einem 35 jährigen Ingenieur, der
epileptische Zustände mit Schwindelanfällen, grosser Gereiztheit,
Wandertrieb und Amnesie darbot und in dieser zeitweise auf¬
tretenden Verfassung von grossen Morphiuminjektionen Gebrauch
machte. Nach dem Verschwinden der dysthymisclien Paroxysmen
bestand bei dem Patienten kein Bedürfnis mehr nach Morpliin-
gebraucli. ja dasselbe wurde sogar perhorresziert. Zwischen
Dipsomanie und Epilepsie bestehen auffallend häufig klinische Be¬
ziehungen.
3) F. Re ach -Wien: Zur Kasuistik der Duodenalstenosen.
In dem mitgeteilten Falle war bei der 53 jährigen Kranken
die Verengerung des Duodenums erfolgt durch zirkumskripte Peri¬
tonitis und abgelaufene Pericholecystitis. Der tödliche Ausgang
erfolgte bald nach der Gastroenterostomie. Von der Gallenblase
aus war Perforation ins Duodenum erfolgt.
Dr. Grass m a n n - München.
Wiener medicinische Presse.
No. 32 — 34. F. S c li i 1 1 i li g - Leipzig: Verdaulichkeit der
Speisen nach mikroskopischer Untersuchung der Fäzes.
Ueber die Verdaulichkeit der Speisen, resp. was in einem
einzelnen Fall der Darm verdaut hat, gibt die mikroskopische
Untersuchung des Kotes, der in Wasser gelöst und dann durch
| ein Sieb in grobe und feine Massen geschieden ist, den besten Auf-
7. Oktober 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1665
Schluss, und zwar ist es notwendig, für solche Untersuchungen
die normale, d. h. gemischte Kost zu reichen. Aufzählung
der einzelnen mikroskopischen Befunde bei einer Reihe von
Nahrungsmitteln.
No. 35. R. H e 1 1 e r - Salzburg:
plikation bei Leukämie.
lieber eine seltene Kom-
Der Fall war kompliziert durch ein Empyem der Kieferhöhle
bei dem es zu einer heftigen Blutung kam, deren Stillung erst da¬
durch gelang, dass neben der gewöhnlichen Tamponade eine
Bel ocq sehe Tamponade mittels eines Kautschukschlauches ein¬
geleitet wurde. Derselbe wurde in Dehnung versetzt, an beiden
Seiten mit Tampons armiert und diese dann später durch den
elastischen Zug dauernd gegeneinander gezogen.
No. 38. S. Erdhei m - Wien: Ueber Appendizitis und ihren
Zusammenhang mit Traumen.
Mit Sonnenburg und v. Berg m a n n ist Verfasser der
Leberzeugung, dass ein gesunder Wurmfortsatz auch durch ein
noch so schweres Trauma nicht zur Entzündung, Perforation und
Gang l. in gebiacht wird und bei sogen, traumatischer Appendizitis
nicht eine frische Entzündung, sondern ein Akutwerden bestehen-
der latenter Entzündung vorliegt. Hierfür sprechen auch 3 Fälle
eigener Beobachtung.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 30/34. L. Zupnik-Prag: Zur Aetiologie der Diph¬
therie. r
Kritische Erwägungen wie eigene Untersuchungen führen den
Verfasser zu folgenden Sätzen:
Die Löffler sehen Bazillen fehlen in einer grossen Zahl
von Fällen unzweifelhafter Bretonneau scher Diphtherie, bei
anderen Erkrankungen der Schleimhäute und Respirationsorgane,
die mit dieser nichts gemein haben, sind sie vorhanden; sie bleiben
ohne Diphtherie zu erzeugen, oft lange auf den Schleimhäuten Ge¬
sunder. Das durch sie bei den Tieren zu erzeugende Krankheits¬
bild ist von der menschlichen Diphtherie verschieden. Der ,, Diph¬
theriebazillus“ ist ein Sammelname verschiedener Arten, wogegen
bei einer exquisit epidemischen Erkrankung, für welche 'die Bre¬
tonneau sehe Diphtherie gehalten wird, unbedingt ein einheit¬
licher Erreger gefordert werden muss. Es kommen bei einem
Diphtheriefall nebeneinander zwei bis drei Arten der Löffler¬
bazillen vor, ebenso verschiedene Arten bei verschiedenen nach¬
einander erkrankten Geschwistern, schliesslich fehlen in bestimm¬
ten. direkt von einem Kind auf das andere übertragenen Erkran¬
kungsfällen die Bazillen vollkommen. Vorausgesetzt, dass die
Bretonneau sehe Krankheit eine Seuche ist, kann der L ö f f -
1 e r sehe Bazillus nicht die spezifische Aetiologie derselben dar¬
stellen. Eine solche Aetiologie wird auch durch das Vorkommen
dei postdiphtherischen Lähmungen und die (noch unerwiesenei
Wirkung des Heilserums nicht gestützt.
No. 34 u. 30. J. Kraus- Karlsbad: Zur Therapie der Chole-
lithiasis.
Von den therapeutischen Ratschlägen sei betont, dass K. die
Darreichung von Abführmitteln erst 12—18 Stunden nach dem
Ablauf der Kolik gestattet: als Cholagoga beurteilt er günstig das
Antipyrin und das Natr. salic. (4 — 6 g pro die). Das Eukatrol wird
naht gut vertragen, ebenso das Olivenöl per os genommen; zu
hohen Eingiessungen ins Rektum ist es verwendbar. Wiederholte
Kuren, speziell mit den Karlsbader Wässern, sind mit Recht ge¬
schätzt; als Vorbeugungsmittel ist das wichtigste die Regelung des
Stuhles, welche viel mehr als üblich schon durch Erziehung in
frühen Lebensjahren anzustreben ist.
.No. 33 — 39. L. K n a p p - Prag: Ueber unstillbare Blutungen
im Anschluss an die Geburt.
Iv. hebt u. a. hervor, dass in Ausnahmefällen selbst noch
3 Stunden nach der Geburt nur eine atonische Blutung erfolgen
kann. Als Prophylaktikum empfiehlt es sich, möglichst vor jeder
grosseren Operation Ergotin zu injizieren. Unter 11 000 Geburten
der Prager Klinik führten 90 meist nach operativen Eingriffen zu
schwerer atonischer Blutung, bei 67 wurde die Tamponade des
Uterus ausgeführt, 3 Frauen starben trotzdem. Die Tamponade,
welche unter Umständen wiederholt werden muss, bildet oft ge¬
radezu eine lebensrettende Massnahme. Iv. lässt sie in den Opera¬
tionskursen an einem besonderen Phantom einiiben.
No. 23 37. M. Urban -Plan: Ueber Volksheilmittel, als
-beitrag zur Volksheilkunde in Deutsch-Böhmen.
Interessanter, reichhaltiger Beitrag zu diesem kultur¬
historisch-medizinischen Kapitel.
. No- 36- T a 11 6 e r: Extrauteringravidität und Hämoglobin-
Profuse intraperitoneale Hämorrhagie. In der Rekonvales¬
zenz kam es zu einem Anfall von Hämoglobinurie mit wenig
Lrythrocyteu und granulierten Cylindern. Zur Erklärung dieser
Nierenreizung nimmt T. die Wirkung von Äutolysinen, bezw. eine
ungenügende Bildung von „Antiautolysinen“ an.
No. 37. S. S i m n i t z k y - Petersburg: Zur Frage über die
antifermentativen Eigenschaften des Blutserums.
Verfasser ist es gelungen, von einem Hunde, dem mehrmals
eine Papayotinlösung subkutan injiziert wurde, ein Serum zu er¬
halten, das dem Papayotin gegenüber deutlich antifermentativ
wirkte.
No. 38. A. So in m er- Franzensbad: Zwei Fälle
Aneurysma der Arteria hepatica.
von
Krankengeschichten und Obduktionsbefunde: a) Aneurysma
der Art. hepatica mit Perforation in den Ductus clioledochus;
b) Aneurysma der Art. gastroduodenalis mit Perforation in die
Peritonealhöhle und ins Duodenum.
No. 38. A. B ä u mel - Eger: Vorschläge zur Bekämpfung
der Tuberkulose, insbesondere jener der Lungen.
Um den Kampf auf breitere Basis zu stellen, wünscht B. die
obligatorische ärztliche Untersuchung, Ueberwachung und even¬
tuelle Behandlung der Schulkinder, ebenso obligatorische Unter¬
suchung und Behandlung aller zu gewerblichen Betrieben oder
bei Krankenkassen zugehenden Arbeiter, sogar die Möglichkeit des
Ausschlusses von gewissen Betrieben oder Arbeitsarten, zu denen
sich der betreffende gesundheitlich nicht eignet. B. berichtet noch
über befriedigende Erfolge, welche er mit Inhalationen von 2 proz.
Iletollösung (in Wasser oder 50 proz. Alkohol) und bei Darm¬
tuberkulose mit innerer Darreichung von Zimtsäure (0,1) hatte.
No. 39. F. F i n k - Karlsbad: Ein Beitrag zu den Ursachen
unvollständiger Gallensteinoperationen.
Vorliegender Fall war kompliziert durch die abnorm tiefe
Vereinigung des Duct. cysticus und des Duct. hepaticus, in den die
von dem Ductus cysticus in den Ductus clioledochus entleerten
Steine emporwanderten. Bei der Operation, welche aus der Gallen¬
blase zahlreiche Steine entfernte, wurde nur zufällig auch ein
grosser Stein im Duct. hepaticus entdeckt, ohne dessen Beseitigung
die Operation unvollständig geblieben wäre.
Bergeat - München.
Vereins- und Kongressberichte.
Die 2. internationale Konferenz zur Bekämpfung der
Syphilis und der venerischen Krankheiten.
zu Brüssel vom 1. — 6. September 1902.
Eigener Bericht von Dr. II o p f , Spezialarzt für Hautkrankheiten
in Dresden.
Seitdem die erste Brüsseler Prophylaxekonferenz getagt hat,
sind im Kampfe gegen die verheerenden Geschlechtsseuchen
manche Fortschritte gemacht worden. Genannt seien die Grün¬
dungen nationaler Gesellschaften zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten in Frankreich, England, Russland, Griechen¬
land, Brasilien und Deutschland, dieErliebungen über dieVerbrei-
tung der venerischen Atfektionen im ganzen Königreiche Preussen
an einem bestimmten Tage, die Einrichtung von öffentlichen
Hochschulkursen und Unterrichtskursen über die Materie an Heb¬
ammenschulen und anderen staatlichen Instituten, der Erlass
des Merkblattes für Geschlechtskrankheiten seitens der belgischen
Regierung. Alle diese Aeusserungen vorbeugender Bestrebungen
dürfen mittelbare Folgen der Konferenz von 1899 genannt wer¬
den und man darf mit dem innerhalb dreier Jahre Erreichten
wohl zufrieden sein. Allein der Aufgaben sind auf diesem
ebenso unergründlichen wie schwer zu bearbeitenden Gebiete
noch in Hülle und Fülle vorhanden und es scheint dem Bericht¬
erstatter, als ob die Spanne eines Trienniums zu klein, zu kurz
bemessen sei, um internationale Konferenzen über das Thema
abzuhalten. Vielleicht wird sich der 3. Kongress erst im
J ahre 1907 versammeln. In einem Lustrum ist mehr Gelegen¬
heit gegeben, von seiten aller Staaten allgemeine und besondere
Erfahrungen auf dem Gebiete der Syphilis- und Venerie-
prophylaxe zu sammeln und zu bewerten. Es dürfte in diesem
Zeiträume auch eher gelingen, die seitens der ersten und zweiten
Konferenz geäusserten Wünsche, besonders was öffentliche Auf¬
klärung, gesetzliche Regelung der Prostitution und Statistik
betrifft, zu realisieren und in die Wirklichkeit umzusetzen.
Die Fortschritte, welche inzwischen zu verzeichnen sind,
lassen sicli am besten aus einer Gegenüberstellung der Aufgaben
der ersten und der jetzigen Konferenz erkennen. Aus ihr lässt
sich deutlich erkennen, dass man bei dem Unternehmen, der
Lösung der Frage näher zu kommen, immer mehr von Neben¬
fragen abgekommen ist und sich auf fundamentale Punkte be¬
schränkt hat. Vor 3 Jahren galt es vor allem, die sozialen Ge¬
fahren der Syphilis und des Trippers, die Bedeutung der Pro¬
stitution für deren Verbreitung und die Bedeutung aller anderen
— ausser der Prostitution — für die Verbreitung der venerischen
Leiden in Betracht kommenden Momente zusammenfassend zu
beleuchten. Des weiteren hiess es in den verschiedenen Ländern
den Stand der Prostitution, die Häufigkeit der Venerie, die je¬
weiligen Mittel der Prophylaxe, den Stand der Gesetzgebungen,
die Handhabung der ärztlichen und polizeilichen Kontrolle, der
Hospitalpflege und des Unterrichts zu untersuchen.
Demgegenüber lautete das Programm der diesmaligen Kon¬
ferenz folgendermassen :
1666
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
I. Oeffentliche Prophylaxe.
Vorausgesetzt, dass der Staat einerseits die Pflicht hat, die
Gesellschaft gegen die Ausdehnung aller ansteckenden Krank¬
heiten. die durch ihre Häufigkeit und durch die Leichtigkeit, mit
der sie sich verbreiten, eine öffentliche Gefahr bieten, zu schützen,
und dass er andererseits ausser dem sanitären Gesichtspunkt die
Aufgabe hat, die von ihrer Familie verlassenen Minderjährigen
zu beschützen;
A. Welche allgemein prophylaktischen Massnahmen und zwar
in Form von gesetzlichen Bestimmungen sind zu ergreifen?
B. Erscheint es geeignet, die Uebertraguug einer venerischen
Krankheit nicht nur strafrechtlich, sondern auch zivilrechtlich
zu verfolgen bezw. zu bestrafen?
II. Individuelle Pi’ophylaxe.
1. Welche Mittel kann man anwenden, um die notwendigen
Kenntnisse unter dem Publikum im allgemeinen und besonders
unter der Jugend betreffs der individuellen und allgemeinen Ge¬
fahr der venerischen Krankheiten und über die direkten und in¬
direkten Ansteckungsweisen derselben zu verbreiten?
2. Auf welche Weise kann man am leichtesten die individuelle
Prophylaxe durch Einrichtung von Heil-, Behandlungs- und Pflege-
stiitten, und zwar für Personen beiderlei Geschlechts, in die Wege
leiten?
III. Statistik.
Welches sind die Grundlagen, auf denen man die Statistik der
venerischen Krankheiten für alle Länder aufbauen muss?
Die Verhandlungen nahmen 5 Tage in Anspruch und waren
zum Teil sehr bewegt. Ohne Frage war das Verhältnis der Gegner
und Anhänger der Reglementierung gegenüber der 1899 er
Tagung zu Gunsten der Abolitionisten verschoben. In ihre
Reihen sind allmählich immer mehr Aerzte eingetreten und selbst
Fourniers Nachfolger, G a u c h e r - Paris, erwies sich als
absoluter Gegner jeder Reglementierung. Auffällig zeigte sich
überhaupt das Hinneigen der Franzosen und im besonderen auch
der französischen Aerzte zu der abolitionistischen Ansicht. Um
so zäher kämpften überzeugte Anhänger der Reglementierung,
welche wohl durchgreifend reformieren, aber nicht das Kontroll-
system ganz verworfen wissen wollen, kämpften Männer, wie
N e i s s e r, Lassar, Le Pileur, W o 1 f f , P e t r i n i de
G a 1 a t z u. a. für ihre Ueberzeugung. Ihnen schloss sich im
Kampfe auch Mr. Honnorat, der Chef der Pariser Sitten¬
polizei, an.
Der vorliegende Bericht, der auf Vollständigkeit keinen An¬
spruch erheben will, wird die hauptsächlichsten Punkte der Ver¬
handlungen herausgreifen.
Neisser- Breslau empfiehlt allseitige Belehrung der Jugend
über die Gefahren und Bedeutung der venerischen Leiden. Der
männlichen Jugend ist der Wert und die sanitäre Unschädlichkeit
der Enthaltsamkeit vor Augen zu führen. Alle im Kampfe
gegen die Venerie und die Prostitution zu e r -
ergreifenden Massregeln sind gesetzlich zu
ordnen. Die Ueberwacliung der Ausführung haben Gemeinden
und sonstige Verwaltungskörperschaften zu leiten. Einzuführen
für Venerische sind unentgeltliche Spitalbehand-
1 u n g, G eliei m halt u n g der Namen und Verhält¬
nisse dieser Kränken, Einrichtung spezieller
Polikliniken mit unentgeltlicher Behandlung
u n d Medikamentenverabreichun g. Der Staat, trägt
alle diese Kosten. In den Krankenhäusern haben alle Bestim¬
mungen fortzufallen, welche den Eintritt erschweren und ihn beim
Publikum unsympathisch machen. Als zentrale Behörde ist neu
zu errichten eine Sanit'ätskommission für venerische
Kranke und Krankheiten (Statistik, sanitäre Aufsicht, Be¬
lehrung. Ueberweisung in ärztliche Beobachtung und Behand¬
lung, Uebenveisung an die Polizei). Anzeigepflicht für
venerische K r ankhei.te n ohne Namensnennung ist einzu¬
führen. Die Meldung hat Vornamen. Anfangsbuchstaben des
Namens, Geburtszeit, Diagnose, Ansteckungstermin und Infek¬
tionsquelle anzugeben. Vorbedingung dafür ist die Garantie des
Ausbleibens zivilrechtlicher Schädigungen für die Personen, welche
die Ansteckung vermittelten.
1* o n t o p p i d a n - Kopenhagen glaubt, dass sich die alte
Kontrolle in Form der Inskribierung und Reglementierung mit
ständigen Visitationen ernstlich überlebt hat. Er hält es f ii r
richtig, in administrativer Hinsicht den Abo¬
litionisten etwas entgegen z u k o m m e n, w e n n
n u r das ii r z 1 1 i c li e M o m ent. int a k t b e w ah rt b 1 e i b t.
Er fordert 1. gesetzliche Bestimmu n g e n, dass die
Polizei unter Umständen gewerbsmässig die I n -
z licht t re i b e n d e W eibspersonen zwangsweis e
z u r ii r z 1 1 i c li e n LT n ters u c li u n g v o r f ü li r e n d a r f ;
2. gesetzliche Festlegungen, dass veuerisc li b e f u n d e n e
Persone n, bei denen die Wahrscheinlichkeit
leicht e r U e b e r t r a g u n g besteht, in eine m Iv r a n -
k e n li a u s e s o 1 a n g e z u r li e h a ndlung inte r n i e r t
w e r d e n k ö nnen, b i s s i e d e r A r z t. e n 1 1 ii s s t ; 3. Ge¬
setzes v e v o r d n u n g e n. w onach diese K r anken ge¬
zwungen werden können, sich auf W u n sch des
Arztes je nach den Verhältnissen ihrer K r a u k -
heit in bestimmten Zwischenräu m e n vorzu¬
stellen, so oft es von ärztlicher Seite für nötig
erachtet wird! Zur Ausübung dieser sanitären Beobach¬
tungsmethode sind ein Untersuchungsamt, ein Prostituiertenspital
und eine mit letzterem durch Personalunion (in Gestalt des Chef¬
arztes) verbundene Poliklinik für Geschlechtskranke, für Bestellte
sowohl wie für freiwillig sich Stellende zu schaffen.
Anzeige mit Namensnennung erfolgt bei Fortsetzung des Ge¬
schlechtsverkehrs durch wissentlich kranke Personen oder Reni¬
tenz gegen die ärztlichen Anordnungen. Eine Sanitätskommission
entscheidet über weitere Zwangsmassregeln. Notwendig ist. das
V erbo t der Kurpfuscherei bei venerisch e n
Af f ektiouen. Die Fortsetzung des Geschlechts-
v e r k elirs d u rch Persone n, welche wissen, dass
sie noch krank sind, ist s t r a fbar, gleichviel ob
A nsteckung erfolgte oder nie li t.. Für Venereologen
ist eine Spezialapp ro b a t i o n einzuführen. Der Staat
muss der Entstehung der Prostitution durch soziale Massnahmen
entgegenarbeiten. Die Prostitution ist als rechtswidrig nicht auf¬
zufassen. Das System der kurzen Haftstrafen für Dirnen ist zu
verwerfen. Widerspenstigkeit und Uebertretungen der Vor¬
schriften der Gesetze sind mit schweren, richterlich zn erken¬
nenden Strafen zu ahnden (Polizeiaufsicht). Für unverbesserliche
Prostituierte ist Asylierung am Platze (Arbeitshäuser). Unter
Polizeiaufsicht gestellte Dirnen sind strengeren Vorschriften für
Wohnungswesen und Gewerbe unterworfen. Es sind ge¬
schlossene, offene Bordells und Absteige-
h ä user zu g e s t a 1. 1 e n. I >ie Hausbesitzer sind für die Wah¬
rung der Vorschriften der Wohnungsverordnungen verantwortlich.
Minorenne Prostituierte verfallen den Segnungen eines Fürsorge¬
gesetzes (Zwangserziehung).
Santoliquido - Rom betont die Abnahme der Ge¬
schlechtskrankheiten in Italien unter dem Regime des Abolitionis¬
mus.
Rejth aan-M a c are- Haag verlangt ärztliche Anzeigepflicht für
solche Krankheitsfälle, in denen noch kranke Männer die Ehe
eingehen wollen. Das Berufsgeheimnis müsse in diesem Punkte
unter allen Umständen durchbrochen werden.
L a n d o u z y - Paris und Gailleton - Lyon verweisen auf
die geringen Segnungen der Reglementierung von heute.
Dimitriades - Athen glaubt, dass ein gewisser Zwang den
Geschlechtskranken gegenüber unerlässlich sei. In seiner Heimat
z. B. ständen jedem Venerischen freier Spitalsaufenthalt und un¬
entgeltliche Medikamente zur Verfügung, die Prostituierten je¬
doch verschmähten beides,
Le Pileur- Paris wünscht die Prostitution minorenner
Frauen gesetzlich verboten. Nur Majorenne sollen Pro¬
stituierte werden dürfen. Frauen, die rückfällig der
Erwerbsunzucht sich schuldig machen, können auf Befinden einer
Kommission in die Kontrolliste aufgenommen werden. Die
Kranken wären in einem Spezialspital zu verpflegen. Haben sie
sich, o b w o li 1 k r a n k, der Unters u eli ung entzogen,
so hätten sie doppelt, so lange im Krankenhaus zu
bleiben als ihre Heilung sowieso in Anspruch
geno m in e n h ä 1 1 e.
Eine ähnliche Kommission schlägt J ul 1 i e n - Paris vor,
welche sich prostituierende Frauen beim ersten Mal zu verwarnen
hätte, im Wiederholungsfall jedoch mit Arbeitshausaufenthalt bis
zu 2 Jahren bestrafen könnte.
Frau Bieber-Böhm - Berlin fordert die Anstellung weib¬
licher Untersuchungsärzte, Ueberweisung rückfälliger Prostituier¬
ter an Zwangserziehungsinstitute, Aufhebung der Animierkneipen,
Beschränkung der Schankerlaubnisse, hygienische Unterrichts-
kurse, weibliche Kriminalbeamte.
Blas,c li ko- Berlin empfiehlt nach schwedischem und dänischem
Muster die unentgeltliche Behandlung Veneri¬
scher auf öffentliche Kosten und zw a r a u f
Rechnung der Gemeinde des letzten Wohn¬
sitzes, Arme Kommunen erhalten Staatszuwendungen. Durch
die unentgeltliche Behandlung darf dem Kranken kein Vorzug
des bürgerlichen Rechts verloren gehen. Sie ist keine Aeusserung
der Armenpflege. Auf einen Bruchteil beschränkt sich diese staat¬
liche Behandlung durch die obligatorische Kranken-
v e r s i e li e r u n g, welche ausser in Deutschland in Oesterreich-
Ungarn, Dänemark und der Schweiz besteht bezw. bald bestehen
wird. Die Basis dieser Zwangsversicherung ist möglichst breit
zu gestalten, auch sollte eine möglichst umfangreiche freiwillige
Krankenversicherung erstrebt werden. Die Venerischen
müssen sich aller Kassenleistungen voll er-
f r e u e n d ii r f e n. Die I) a u er der letzteren ist
u n t e r U m ständen zu verl ä n g e r n (It ezidiv e d e r
L u e s u. a.). Bedürftige n u n d sc h w erkranken Ve¬
nerischen muss Spitalsbehandlung zu teil w e r -
d e n. Ein Z w a n g z u r K r ankenhausb e li a n d 1 u n g
besteht für bestimmte schwe r e, g e f ii li r 1 i c li e
Fälle, sowie stets für die Angestellten der
Nahrungs- und Genussmittelgewerbe, sowie für
Friseure, Barbiere und Glasbläser. Eine dauernde ärzt¬
liche Kontrolle einmal geschlechtlich Erkrankter ist em¬
pfehlenswert . am besten in mit Krankenhäusern ver¬
bundenen Kassen Polikliniken für Venerische. Durch
Einführung der freien Arztwahl würden alle Aerzte an diesen
Ambulatorien — wie Blaschko glaubt — teiluehmen können.
7. Oktober 1902.
MÜENCHENEft MEDICINISCHE WOCIIENSCl I RIFT.
1667
Die Kassen haben ihren Mitgliedern Belehrungen über die Materie
zu geben und amtlich vorgeschriebene Listen für Statistik zu
führen.
L a n e - London schildert, wie gerade die englischen Ver¬
hältnisse ein krasses Missverhältnis zwischen der unendlichen
Zahl der geschlechtlich kranken Menschen und der ihnen, d. h.
den unteren Klassen, zu teil werdenden ärztlichen Hilfe aufweisen.
Steht doch für ganz London nur ein Krankenhaus, das Lock-
Hospital, den Venerischen zur Verfügung. D oc h w a s wolle n
diese 102 Betten gegenüber einer Millionen¬
bevölkerung besage n, i n w elcher 33 P r o z. des
öffentliche Polikliniken besuchenden Publi¬
kums venerisch sind? Die meisten Spitäler weisen Ge¬
schlechtskranke direkt ab, nur wenige haben für sie vereinzelte
Betten zur Verfügung. Die Beratung und Behandlung in den
Ambulatorien ist eine ungenügende. Am schlimmsten sind die
Prostituierten daran. Krankenhausbetten stehen ihnen nur we¬
nige zum Gebrauch offen; wollen sie also nicht verhungern, so
müssen die Mädchen trotz ihrer Krankheit das feile Gewerbe fort¬
setzen. Abends prostituieren sie sich, während sie am Tage beim
Arzt waren. Laue fordert vorläufig Einrichtung von
Abteilungen f ii r Venerische an allen K r a n ken-
li ä usern, Uebertragun g derselbe n a u F ach-
m ä n n e r, V er Wertung der S t a t i o n e n z u U nter-
richtszwecken für die Studenten, welche in der Venereo-
logie sehr wenig bewandert sind. Verleg u n g de r ö f f ent¬
liehen Sprechstunden für Venerische auf die
Abendzeit, sowie ebenfalls nach dem Vorgänge des Londoner
Lock-Hospitals Vereinigung eines Magdalenenasyls,
in dem es ärztliche Visiten gibt, mitden K r a n lc e n h äuse r n
f ü r Venerisch e.
R 6 na- Ofen-Pest verlangt Regelung des A m m e n -
wesens, Vorschriften p r opliylaxe f ö r d e r n d e r
Art f ii r das Heba m m en- u n d Impfwese n u n d
V er Ordnungen über den Schutz g e g e n A n -
steckung in Werkstätte n, F abriken, Ateliers
u n d d u r c h V e r m i 1 1 1 u n g v o n W erkzeugen und G e -
brauchsgegenstän d e n. Er fordert folgende Vorschriften :
Zu tlorid syphilitischen und latent syphilitischen Säuglingen darf
keine Amme gedungen werden. Aerzte und Eltern welche gegen
dieses Gebot fehlen, sind strafbar. Florid oder latent syphilitische
Frauen (auch wenn nur das Kind derselben spezifisch krank, sie selbst
aber scheinbar gesund geblieben war) dürfen keine Verwendung
als Aminen finden. Auch sollen sie keine Kinder zur Pflege er¬
halten dürfen. Zur 4 — G wöchigen Beobachtung von Säuglingen
und Müttern errichte man Findelhäuser und Wöchnerinnenasyle.
Die syphilitisch kranken Kinder — etwa 3 I’roz. der in Ofen-Pest
Geborenen — sollen mit oder ohne Mütter in nach dem Pester
Vorbild zu errichtende Verpfiegskolonien gegeben werden, während
die gesunden Mütter in Wöchnerinnenasylen unterzubringen
wären. Letztere allein dürfen die Ammenversorgung betreiben,
sie übernehmen die dauernde Beobachtung des Gesundheits¬
zustandes der Ammen, welche darüber ein Zeugnisbuch zu führen
haben. Die Einnahmen aus dieser Ammenverdingung soll das
Institut erhalten, welches die Wöchnerinnen unentgeltlich auf¬
zunehmen und zu unterhalten hat, bis sie Stellung als Amme
finden.
Hebammen und Hebammenschülerinnen sind in die Kenntnis
der Geschlechtsleiden einzuweihen. Bei Handverletzungen hätten
sie sofort den Arzt zu befragen, der sie eventuell zeitweise ausser
Beruf schreiben darf. Vornahme der Berufstätigkeit mit Hand¬
verletzungen hat bei Hebammen wie Wartepersonal Schwangerer
oder Wochenkranker Bestrafung zur Folge. Das Aussaugen der
Brustwarzen von Schwangeren oder Wöchnerinnen ist verboten.
Die Impfung soll nur eine animale sein, die Lanzetten müssen
ausserdem strengstens sterilisiert werden. Ein Arzt, der auf dem
Impfwege Lues überträgt, soll unbedingt strafbar sein.
Für Berufe wie Glasbläser, Goldarbeiter fordert R 6 n a be¬
sondere Mundstücke für jeden Arbeiter, für jeden Schüler in den
öffentlichen Schulen ein eigenes Trinkgefäss, ebenso für jeden
Arbeiter in den verschiedenen Betrieben. In der Tabakbranche
ist das Befeuchten der Deckblätter mit Speichel zu verbieten.
Ferner sollen alle männlichen und weiblichen Angestellten der
Bäckereien, Fleischereien, Hotels, Kaffeehäuser dauernd auf Lues
ärztlich kontrolliert werden. Die strengsten Bestimmungen der
Reinigung sind für die Barbierstuben zu erlassen. Die Stellen-
vermittlungsbureaus will R ö n a verstaatlicht und ärztlich kon¬
trolliert wissen.
Petri ni de G a 1 a t z - Bukarest wünscht eine Aufklärung
der interessierten Kreise (Ammen, Ammenversorgerinnen, Heb¬
ammen und Mütter) über die Möglichkeit der Uebertragung von
Lues beim Stillen der Kinder. Diese Aufklärung hätte durch
öffentliche Vorträge zu erfolgen. Desgleichen hält der Redner
die obligatorische ärztliche Untersuchung aller
Kinder bis zum 3. Lebensmonat und z w a r z u
wiederholten Malen für notwendig. Kinder von un¬
bekannter Herkunft, als besonders der Lues verdächtig, sollten
nie durch Ammen gestillt werden.
Rammazzotti- Mailand fordert Gesundheitszeug¬
nisse für A m m e u n d K i n d, ehe eine Amme sich verdingt
oder ehe eine Familie eine solche engagiert. F ii r k r a n k e
A m m e n verlangt der Redner Z w angsbeha n d -
hing.
Der französische Senator Brr e n g o r - Paris glaubt, dass
zwar die überwiegende Mehrheit der Uebertragungen sexueller
Leiden unwissentlich geschieht, dass jedoch gewisse neu zu er¬
lassende Bestimmungen strafrechtlicher Natur für jene leicht¬
sinnigen Menschen einen heilsam abschreckenden Zweck haben
könnten, für welche das eigene moralische Verantwortlichkeits¬
gefühl betreffs der Weiterverbreitung ihrer noch nicht geheilten
Geschlechtskrankheiten keine genügende Schranke bildet. Es wird
sich hauptsächlich um Schaffung gewisser Paragraphen im Straf¬
gesetz handeln, denn eine zivilrechtliche Verpflichtung besteht ja
schon in fast allen Kulturländern, für den Schaden aufzukommen,
den jemand durch die Uebertragung sexueller Affektion am Körper
Dritter angerichtet hat. B erenge r verl a n g t die A u f -
Stellung eines Deliktes der Uebertragung vene¬
rischer K r a nltheiten, sowohl de r m i t Wissen als
a uch der aus U n kenntnis erfolgte n.
Morgenstier ne - Christiania weist an der Hand der
neuen Strafgesetzentwürfe beziehentlich schon in Kraft getretener
Gesetze Norwegens, der Schweiz, Oesterreichs, Finnlands, Deutsch¬
lands und anderer Staaten nach, dass man überall geneigt oder
schon in der Lage ist, die wissentliche Uebertragung geschlecht¬
licher Erkrankungen strafrechtlich zu ahnden. Bisher war die
strafrechtliche Bekämpfung dieser Art Gesundheitsschädigung ein¬
zig und zwar in strengster Weise vorhanden in Norwegen. Hier
genügt eine einfache, wenn auch anonyme Anzeige, um eine ge-
schlechtskranke Person, sagen wir eine Prostituierte, zur Be¬
strafung zu bringen, sofern es sich herausstellt, dass die Anzeige
auf Wahrheit beruht. Der einfache Umstand allein, dass eine
dritte Person der Möglichkeit der Infektion ausgesetzt wird, ge¬
nügt hier schon zur Bestrafung. Es ist also gar nicht notwendig,
dass die gesundheitlich geschädigte Person selbst mit ihrem Namen
die Anzeige deckt. Diese wird vielmehr öffentlich erhoben. Nur
für eheliche Ansteckungen bedarf es der Anzeige der krank ge¬
machten Ehehälfte.
Fiaux - Paris will eine beschränkte zivil- und
s t. r a f rechtliche A h n d u n g in der Art, dass zwar eine
B e s t r a f u n g eintritt, wenn Krankheiten venerischer
N a t u r v o n E r w a chsene n a u f M inde r j ährige oder
zwischen Minorennen von IG — 21 Jahren übertragen wer¬
den, keinesfalls aber im umgeke li r t. en Fall e.
Generalstaatsanwalt Reth a-a n - M a c a r e - Haag . hält ein
Spezialgesetz für überflüssig, soweit in den Staaten Gesetze zur Be¬
strafung körperlicher Schädigungen vorhanden sind. Ob nun mit
oder ohne Spezialgesetz, die Prozesse wegen geschlechtlicher An¬
steckungen würden stets gering an Zahl bleiben, da sich meist der
Geschädigte vor dem .Geständnis dieser blamabeln Sache schäme,
das Verfahren vor Gericht bezw. das öffentliche Urteil scheue,
ferner weil die Urheber der Erkrankung meist Individuen seien,
denen gegenüber Entschädigungsforderungen ohne Aussicht auf
Zahlung erhoben werden.
Frl. L eppington- Cubbington betont, dass sich mit der
Einführung einer speziellen Gesetzgebung für venerische An¬
steckungen ein System von Denunziationen entwickeln werde.
Es habe sich herausgestellt, dass jene Mädchen, welche von
den britischen Kolonialtruppen, bei denen Anzeigepflicht der In¬
fektionsquelle bestehe, als Urheberinnen ihrer Krankheit an¬
gegeben werden, nur zum kleinen Teil wirklich krank sind. Im
Falle des wirklichen Krankseins der angeschuldigten Person wäre
übrigens der Beweis zu erbringen, dass die Affektion des klagenden
Teils auch von jener herriilire. Und das sei beinahe unmöglich
mit Sicherheit nachzuweisen.
E d m o n d s o n - Halifax glaubt, dass ein Gesetzt zur Bestra¬
fung venerischer Kontaminationen einen grossen Teil der Ge¬
schlechtskranken dem Kurpfuschertum in die Arme treiben würde.
Im übrigen stimmt er seiner VoiTednerin und Retliaan-
M a c a r e bei.
Lass a, r - Berlin appelliert betreffs einer endlich zu erzielen¬
den Popularisier u n g de r Iv enntni s d er Ge f a h r e n
g e s e h 1 e c li 1 1 i c li e r E r k r a n k unge n an die massgeben¬
den Faktoren, Behörden, Regierungen, Parlamente und Ab¬
geordnete, ihrerseits offizielle A u f k 1 ä r u n g s m ass¬
regeln zu ergreifen. Die privaten Belehrungsversuche des
Vaters, Lehrers, Geistlichen sind daneben auch wertvoll, aber doch
entbehren sie für die Allgemeinheit der Wucht der Autorität,
welche staatliche Verordnungen, Erklärungen und Warnungen
haben würden. Der Name „geheime Krankheiten“
m uss sch w inde n und endlich ei n m a 1 den offene n
Bezeichnungen S y p h i 1 i s, T r i p p e r und S c li a n k e r
P 1 a t. z m a c li e n. Die Presse m uss d a u e r n d m i t
interessanten Mitteilungen über die Ver¬
heerungen der sexuellen Seuchen versorgt
werden, und zwar etwa von einem internationalen Pressbureau
der Prophylaxegesellschaft aus. Schulärzte, Militär-, Marineärzte,
Fabrikärzte müssten belehrende. Vorträge halten. Ebensolche
wären auch fürs Volk zu schaffen. In den preussisclien Hoch¬
schulen sind sie ja schon an der Tagesordnung. Merkblätter für
Geschlechtskrankheiten wären an den Arbeitsstätten anzuschlagen.
Vor allem müsste die weibliche Jugend darauf aufmerksam ge¬
macht werden, deren Gesundheit ja hervorragend bedroht ist.
B urlureaux- Paris fordert vor allem Reformen im ärzt¬
lichen Studium, nämlich sowohl obligatorischen Unterricht und
obligatorische Prüfung in Venereologie, wie vierteljährigen Dienst
auf einer Abteilung für Geschlechtskranke. Grössere Wertlegung
auf die Syphilis in der allgemeinen Pathologie. Ferner verlangt
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
1068
er gewisse Neuerung in der pädagogischen Sphäre und zwar spe¬
zialhygienischer Natur, nämlich E l* l* i c h t u ng vo n a u f -
k 1 ii r e n (1 eu Vorträgen in S c h u 1 e n, Kadetten-
unstalte n, über li aupt in allen Institute n, w elcli e
sieh in i t der Jugend befassen. Das gleiche gilt für
II e e r und M a r i n e, doch bedarf es dann wiederum guter
S e li r i f t e n über die Materi e. Letztere müssten von
zweierlei Charakter sein. Erstens wäre es angezeigt, für Lehrer,
Geistliche, gebildete Laien, Offiziere und andere, welche
sich ernster und nachdrücklicher mit der Prophylaxe in der
Oeffeutlichkeit beschäftigen wollen, ein Buch zu schreiben, wel¬
ches sowohl die medizinische Seite der Frage (venerische Affek¬
tionen, Therapie, Prophylaxe, Prostitutionswesen) als auch die
soziale und kriminelle genügend beleuchtet. Das zweite wäre
eine kleinere Broschüre, als deren Muster wir schon
F ourniers Schrift: „Pour nos f i 1 s quand i 1 s a u ront
18 a n s“ besitzen. Auch öffentliche Anschläge in
M erkblattfo r m für B a h n h ö f e, Kasernen, Warte-
s ä 1 e, F a b r i k e n u. s. w. wären zu empfehlen ferner
wird die B ehandlung der Frage in zweck m ä s s i g e r,
ästhetischer Weise durch Schriftsteller in
Romanen oder Dra m e n anzustreben sein. Erinnert sei
hierbei an das nachahmenswerte Beispiel, welches Brieux, der
Verfasser der in Deutschland bekannten Tragödie „Die rate Robe“,
in seinem Drama „Les Avaries“ („Die Schiffbrüchigen des Lebens“)
gegeben hat.
Finger- Wien fordert vor allen Dingen eine bessere Aus¬
bildung aller Aerzte auf dem Gebiete der Geschlechtskrankheiten
durch Aufnahme der Der mato- Venerologie in die Reihe der Prü¬
fungsgegenstände. Ferner muss die Gelegenheit, dass Venerische
sich klinisch behandeln lassen können vermehrt und verbessert
werden durch Einrichtung von Privatkrankenabteilungen an den
überall zu errichtenden Krankenhausstationen für Geschlechts¬
kranke. Letztere Stationen müssen innerlich wie äusserlich den
inneren, chirurgischen und anderen Spezialabteilungen gleich¬
gestellt werden. Die Zahl der Betten, welche jetzt in keinem
Verhältnis zu dem Andrange steht, muss erheblich vergrössert
werden. Hat man doch 1891/92 in Berliner Krankenhäusern
wiederholt selbst venerische Prostituierte abweisen und in die
Stadt zurückkehren lassen müssen, weil es an Platz fehlte. In
Petersburg wurden 1895 in einem Spital bis zu 80 Syphilitische
täglich wegen Mangel an verfügbaren Betten abgewiesen. Ferner
muss die Behandlungsdauer im Spital sich nicht mehr nach dem
Mangel oder Ueberfluss an Platz richten, sondern nach dem Stande
und den Forderungen des Krankheitsverlaufs. Die Krankenkassen
dürfen Geschlechtskranken gegenüber keinerlei Beschränkungen
in ihren Leistungen eintreten lassen. Für Arme muss der Staat
die Kosten der Krankenhauskuren übernehmen, ohne dass durch
Bericht an die Heimatsbehörden das Berufsgeheimnis der Aerzte
illusorisch gemacht wird.
Auch die Zahl der Polikliniken ist zu ver¬
mehren. An ihnen müssen die Heilmittel unent¬
geltlich gereicht n d die Ordinationsstunden
auf die Abendzeit verlegt werden, wo die Ar¬
beiter wirklich über sich verfügen können,
ohne materielle E i n b u s s e n zu erleiden. Die Unter¬
suchung der Kranken daselbst hat einzeln zu erfolgen. Jeder
Patient muss über die Gefahren und das Wesen seiner Ge¬
schlechtskrankheit eingehend unterrichtet werden.
J adassohn- Bern verlangt, dass die Spitals-
abteilungen für Venerische besonders tadellos
seien, damit recht viele Kranke in sie hinein¬
gelockt würde n. Haut- und Geschlechtskranke seien einem
und demselben Arzte zu unterstellen aus wissenschaftlichen und
Zweckmässigkeitsgründen. Die venerischen Spitals-
kr anken müssen Gelegenheit erhalten, sich
tagsüber zu beschäftigen. Sie, die sich doch nicht
eigentlich krank fühlen, werden sonst leicht aufsässig gegen das
Wartepersonal. Letzteres ist mit Vorsicht auszuwählen. Die
Abteilungen für Prostituierte müssen gesonderte Stationen für die
noch relativ unverdorbenen jugendlichen Prostituierten haben.
Für die Polikliniken fordert J adassohn weibliche Aerzte
und getrennte Sprechstunden für die zwei Geschlechter.
Des weiteren schlägt er die Schaffung von Merkblättern zur Be¬
lehrung der Kranken vor, nicht nur privater von seiten einzelner
Aerzte, sondern offizieller Belehrungen von Staats
wegen. Sie hätten zu enthalten Erläuterung über den An¬
steckungsmodus, Behandlung und Verhütung der sexuellen Krank¬
heiten und müssten auf die Zweckmässigkeit keuschen Lebens ver¬
weisen, vor Kurpfuscherbehandlung warnen, den zum Sexualver¬
kehr disponierenden Alkoholgenuss widerraten u. a. m.
Q u e y r a t - Paris geht so weit, Führungen junger Leute
durch Moulagemuseen anzuregen, um ihnen dort die der Lues zu
dankenden Körperverwüstungen vor Augen zu führen. Im stärk¬
sten Masse prophylaktisch wirke eine rationale Hygiene der
Sexualorgane von Jugend auf (Reinlichkeit, Bäder). Redner
wünscht mehr öffentliche Aufklärung ärztlicher Autoritäten, dass
die Keuschheit nicht gesundheitschädlich sei. Venerischen Kran¬
ken solle der Arzt das Ehrenwort abnehmen, dass sie sich bis
zur erfolgten Entlassung aus der Behandlung jetles Geschlechts¬
verkehrs enthalten wollen.
S a n t o 1 i q u i d o - Rom betont, dass die Statistik nur dann
brauchbare Ergebnisse bezüglich der Verbreitung der geschlecht¬
lichen Erkrankungen geben könne, wenn sie einen internationalen
Charakter hat und sich der grössten Einfachheit in der Form der
Umfrage befieissigt. Es sind nur zu erfragen: Geschlecht, Alter,
Stand — Syphilis, Tripper, kontagiöser weicher Schanker — Jahr
der Ansteckung und Art (extragenital oder genital) derselben bei
Lues, sofern acquiriert. Sonst Angabe der Kongenltalität Für
Tripper Angabe nötig, ob mikroskopische Sicherung der Diagnose
erfolgt ist. Es haben zwei Zählungen stattzufinden: laufende und
einmalige, letztere an einem fixen Tage mindestens alle 2 Jahre.
Die Landesbureaus für Statistik, welchen auch die immer weiter
auszudehnenden militärischen Statistiken zuzugehen haben, senden
ihre Ergebnisse an eine zu schaffende internationale Behörde für
Statistik der Geschlechtskrankheiten ein, welche für Veröffent¬
lichung der Gesamtresultate sorgt.
B e r t i 1 1 o n - Paris legt ebenfalls grossen Wert auf die Sta¬
tistik aus dem Militär, betont aber, dass die Erkrankungsziffern
desselben keineswegs ein richtiges Bild für den Stand der sexuellen
Gesundheit unter der Zivilbevölkerung abgeben. Die Umfrage
für ein ganzes Land, wie 1900 für Preussen, hält er für ausge¬
zeichnet wertvoll, nur dürfte sie nicht gar so summarisch sein.
v. Petersen - Petersburg hält nur die militärischen Sta¬
tistiken für brauchbar, sowie die der kontrollierten Prostitution.
Vorbedingung zur Erzielung guter Resultate sei die Einheitlichkeit
der Nomenklatur der Erkrankungen — Einteilung der Syphilis in
eine recens, reeidiva und tardiva oder gummosa. Nur die Syphilis
sei verwertbar. Die zwei anderen venerischen Leiden kommen
nur beim Vorhandensein von Komplikationen zur Registrierung.
W o 1 f f - Strassburg betont die Notwendigkeit völlig gleicher
Formulare für die Erhebungen in allen Ländern. Diese müssten
sich auf Heer, Marine, Krankenhäuser, Kliniken, Ambulatorien,
Kassen, Prostituierte, öffentliche Institutionen und Fabriken er¬
strecken. Der Redner bemerkt gleichzeitig, dass in Mülhausen
und Metz seit der Aufhebung der öffentlichen 'Häuser die vene¬
rischen Krankheiten bedeutend an Ausbreitung gewonnen haben.
Als fassbares, sichtbares Ergebnis der 5 tägigen Y erhand-
lungen der Konferenz wurden 5 einstimmig angenommene
„Wünsche“ aufgestellt, denen sich noch eine Reihe von An¬
trägen anschloss, welche von den Parteien mit „für“ und „wider“
unterzeichnet wurden, bezüglich deren sich keine Ueberein-
stimmung der feindlichen Lager herbeiführen liess. Aus der
Zahl letzerer Propositionen greift der Bericht nur die wichtigeren
heraus.
E i n s t i m m i g e W ii n s c h e.
1. T r o i s - F o n t a i n e s - Lüttich: Die Konferenz wünscht,
dass man den beim Regiment eintreffenden Rekruten eine kurz-
gefasste Druckschrift über die Gefahren des Trippers und der
Syphilis aushändige. Darin enthalten müsste ein Paragraph sein,
stets der Geschlechtskrankheiten eingedenk zu sein, um später dem
Arzt von ihnen Mitteilung machen zu können. Damit zu verbinden
wären kurze Hinweise auf die Gefahren des Alkoholmissbrauches
und auf die Bekämpfung der Tuberkulose. Die den Dienst ver¬
lassenden Mannschaften müssten neben ihrem Militärpass eine
solche Druckschrift ausgehändigt erhalten.
2. Gaucher - Paris und J adassohn - Bern: Es ist wün¬
schenswert, dass das Gesetz jedem Geschlechtskranken freie Be¬
handlung im weitesten Masse gewährleiste. Es ist darauf zu
achten, dass alle den Venerischen abträglichen Bestimmungen
und Umstände in Krankenhäusern und Sprechstunden in Wegfall
kommen, sowie dass in den öffentlichen Anstalten bei der Behand¬
lung das Berufsgeheimnis und das Schamgefühl der Kranken ge¬
wahrt wird.
3. Minod-Genf: Das wichtigste und wirksamste Mittel zur
Bekämpfung der Ausbreitung der venerischen Leiden besteht in
der möglichst weitgehenden Aufklärung über die Wichtigkeit und
die schweren Gefahren dieser Krankheiten.
Der Jugend männlichen Geschlechts muss die Erkenntnis ge¬
lehrt werden, dass Keuschheit und Enthaltsamkeit nicht nur nicht
schädlich, sondern im Gegenteil vom gesundheitlichen Standpunkt
besonders zu empfehlen sind.
4. S a n t o 1 i q u i d o - Rom: In der Erkenntnis, dass die ver¬
schiedenen Statistiken vergleichbar sein müssen, ist es nötig, die¬
selben auf gleichen Grundlagen aufzubauen. Diese Tätigkeit ist
einem internationalen Bureau zu übertragen, dessen Vorsitzender
die ihm übermittelten Vorschläge an die verschiedenen Regierungen
weitergeben wird. Auch wird er deren Ansichten über die Bil¬
dung des Bureaus und seine Subsidien einziehen.
5. F r a n c k - Paris: Die Konferenz spricht den Wunsch aus,
es möchten in die Erziehung und den Unterricht der Jugend aller
Altersklassen die Fragen des geschlechtlichen Lebens vom gesund¬
heitlichen wie vom moralischen Standpunkt aus aufgenommen
werden. Es werde eine Kommission gewählt, die eine sich auf
schon bestehende Broschüren aufbauende Abhandlung redigieren
wird, die obengenannter Unterrichtung dienen und dieselbe in allen
Ländern einführen soll.
Zur Signierung unterbreitete Vorschläge und
W ü n s c li e.
I. L a n d o u z y, Professor der Medizin in Paris: Das System
der Reglementierung, wie es heute angewendet wird, hat sich als
unwirksam erwiesen. Es ist zu verurteilen (2. Fassung: ist zu
verlassen). Man muss bezüglich der Prophylaxe der venerischen
7. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1669
Krankheiten auf das gemeine Recht zurückgreifen (2 Fassung-
welches für Mann und Weib das gleiche ist).
II. Beco, Chef des Gesundheitswesens im belgischen Mini¬
sterium des Ackerbaus und der Hygiene: Die Konferenz stellt
durch die eingegangenen Berichte und die einstimmigen Er¬
klärungen aller Redner, welche das Wort ergriffen haben fest
dass die augenblicklich in Kraft befindlichen Systeme der Pro¬
stitutionsreglementierung in verschiedenen Richtungen und be¬
sonders in dem Sinne fehlerhaft sind, dass das Eingreifen der
Polizei der Wirkung der sanitären Autorität schadet, während es
ihre einzige Aufgabe sein müsste, der letzteren zur Verfügung zu
stehen.
Die Konferenz ist der Meinung, dass es angebracht sei, sowohl
im Recht, wie in der Wirklichkeit die sanitäre und polizeiliche
Tätigkeit zu trennen und erstere von letzterer unabhängig zu
machen, und zwar derart, dass die Bekämpfung und Verhütung
der venerischen Krankheiten wie die jeder anderen übertragbaren
Krankheit einen ausschliesslich hygienischen und ärztlichen Cha¬
rakter tragen muss.
Zusatz Neisser: Der Staat hat das Recht und die Pflicht,
mittels gesetzlicher Massnahmen die Gefahren zu bekämpfen,
welche durch die Prostitution vom gesundheitlichen Standpunkt
aus geboten werden. Das augenblicklich in Kraft befindliche, vor¬
nehmlich polizeilichen Charakter tragende System muss in ein
sanitäres umgewandelt werden, welches nur so lange obligatorisch
zu sein braucht, als es zur Erreichung des hygienischen Zieles un¬
umgänglich notwendig ist.
III. Balz er, Arzt an St. Louis-Paris: Die zweite internatio¬
nale Konferenz zur Prophylaxe der Syphilis spricht den Wunsch
aus, die Regierungen möchten die Prostitution Minderjähriger
unter 18 Jahren durch Ueberweisung derselben in besondere Asyle
unterdrücken.
IV. B a r t h 6 1 e m y - Paris: Die geschlechtskranken Pro¬
stituierten sollen nicht als Schuldige, sondern als mit ansteckenden
Krankheiten behaftete Personen angesehen werden.
V. Rethaan-Macare, Generalstaatsanwalt der Niederlande:
DieKonferenz spricht denWunsch aus, das Gesetz möge denhöheren
Sanitätsbehörden jedes Landes das Recht einräumen, auf Grund
der Anzeige des Arztes, welcher den Kranken behandelt oder be¬
handelt hat, eine Heirat zu verhindern, sobald diese Autoritäten
die Gewissheit erlangt haben, dass die betreffende Person, um
welche es sich handelt, an einer übertragbaren Krankheit leidet,
die für den anderen Teil oder die Nachkommenschaft der zu¬
künftigen Ehegatten von traurigen Folgen sein könnte.
VI. Neisser, sowie Petersen, Blaschko, Amicis,
Jadassohn, Welander, Barthglemy.
Alle von der Behörde zur Bekämpfung der venerischen Krank¬
heiten und gegen die Schäden der Prostitution zu ergreifenden
Massregeln sind durch Gesetz zu regeln. Das Gesetz hat nur die
grundlegenden Prinzipien festzulegen. Die Ausführung des Ge¬
setzes im einzelnen ist den örtlichen Behörden der Städte und
Gemeinden zu übertragen.
VII. Neisser, sowie Amicis, Santoliquido, Pon-
toppidan, Welander, Barthelemy: Es ist ein Gesetz,
welches die Behandlung der Geschlechtskrankheiten durch nicht
approbierte Personen verbietet und strenge bestraft, einzuführen.
VIII. Neisser: Jedem Geschlechtskranken ist gesetzlich un¬
entgeltliche Behandlung im Hospital oder in einem Ambulatorium
zu gewähren. Alle aus dieser unentgeltlichen Behandlung erwach¬
senden Kosten trägt der Staat oder zur Zahlung verpflichtete Kassen.
In allen Hospitälern sollen alle zu Ungunsten der Geschlechts¬
kranken bestehenden Einrichtungen wegfallen. Es ist dafür zu
sorgen, dass in den öffentlichen Anstalten die Behandlung mit mög¬
lichster Wahrung des ärztlichen Geheimnisses und Schonung der
Schamhaftigkeit der Kranken vor sich gehen kann.
IX. Le P i 1 e u r- Paris, sowie Burlureaux, Thibierge,
Verchere - Paris u. a. :
a) Die Reglementierung der Prostitution muss beibehalten,
aber von Grund aus geändert werden, besonders was die Minder¬
jährigen betrifft.
b) Die öffentlichen Gewalten werden aufgefordert, ein Gesetz
vorzusehen, welches gleichzeitig die Prostitution wie alle Fragen
der Verantwortlichkeit, sowie der Uebertragung venerischer Krank¬
heiten ins Auge fasst.
X. M i n o d - Genf, Generalsekretär der internationalen aboli-
tionistischen Förderation: Die Konferenz spricht den Wunsch aus,
die der Prostitution ergebenen Minderjährigen möchten Schutz¬
gesellschaften überwiesen werden. Letztere, obwohl als halb¬
offizielle Einrichtungen anerkannt, sollten vom Staat unterstützt
werden, sonst aber vollständig freie Hand haben, was ihre Ver¬
waltung und ihr Vorgehen anbetrifft. Die kranken Prostituierten
werden auf Kosten der Gesellschaften behandelt.
XI. Rechtsanwalt Bonnevue - Brüssel: Es gilt, die Grund¬
sätze der zivilrechtlichen und stx-afrechtlichen Verantwortlichkeit
auf die Uebertragung venerischer Krankheiten mit Ausnahme der
Beziehungen zu Prostituierten anzuwenden.
Der Organisationsausschuss der neugegründeten Deutschen
Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten berief
gelegentlich der Prophylaxekonferenz eine vorberatende Sitzung
der in Brüssel anwesenden Mitglieder der neuen Gesellschaft.
Den Vorsitz führte Neisser, als Berichterstatter fungierte
Blaschko. Die kommenden Wochen werden das erste Her¬
vortreten der Gesellschaft in die Oeffentlichkeit bringen. Möge
auch diesem neuen Kampfmittel gegen die Verheerungen der Ge¬
schlechtskrankheiten ein nachhaltiger Erfolg nicht fehlen!
74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Karlsbad, vom 21.— 27. September 1902.
Referent : Dr. Grassmann - München.
II.
w-_
1. Allgemeine Sitzung am 22. September.
(Schluss.)
Herr F. Hofmeister - Strassburg: Ueber den Bau. des
Eiweissmoleküls.
Bei dem sehr spezialwissenschaftlich gehaltenen Thema des
Vortrages und dem Umstande, dass die Ausführungen des Herrn
Redners schon in seiner nächsten Nähe nur mit grosser Mühe
vernommen werden konnten, muss sich Referent auf eine kurze
Skizzierung derselben beschränken und auf die später erscheinen¬
den Verhandlungen der Gesellschaft hinweisen.
Die Möglichkeit rascheren Fortschrittes zeigt sich in der
Entwicklung fast jeder grösseren wissenschaftlichen Frage nicht
selten ziemlich unerwartet, wie jetzt auch in der Eiweisschemie.
Im Vorgefühl eines solchen Wendepunktes hat Redner die Ei¬
weissfrage zu seinem Vortragsthema gewählt, die vor wenigen
Jahren kaum noch den Eachchemiker hinreichend interessiert
hätte. Die chemischen Fortschritte der letzten Zeit haben in
steigender Zahl Tatsachen kennen gelehrt, welche es erlauben, an
den Kern der Eiweissfrage heranzutreten, deren Untersuchung bis¬
her besonders durch zwei Umstände erschwert war : 1. die Schwierig¬
keit, die Eiweisstoffe in zweifellos reinen, gut kristallisierten
I Substanzen zu erhalten; 2. die Schwierigkeit, beim Abbau des Ei-
weisses zu gut charakterisierten kristallinischen Derivaten zu ge¬
langen. Beide Momente sind jetzt zum Teil überwunden. Reines
kristallinisches Material ist das Ovalbumin, Serumalbumin,
Edestin. In neuester Zeit sind die gewaltigen technischen Fort¬
schritte der Chemie in den Dienst auch der Eiweissfrage gestellt
worden, besonders durch E. E i s c h e r, und auch in ärztlichen
Kreisen regt sich immer mehr das Bedürfnis nach chemischem
Verständnis der Lebensvorgänge.
Um zu den letzten einfachsten Bruchstücken des Eiweiss¬
moleküls zu gelangen, muss es in möglichst tiefgreifender und
zugleich schonender Weise auf gespalten werden. Ein Teil der
hiezu sonst gebräuchlichen Mittel ist aber hiebei ausgeschlossen,
z. B. trockene Destillation, Oxydation, Einwirkung von Halo¬
genen, intensive Alkaliwirkung u. a. Glücklicherweise besitzen
wir in den Fermenten (Pepsin, Pseudopepsin, Trypsin, Papayotin)
Hilfsmittel, welche durch Hydrolyse die Eiweisskörper zerlegen.
Bei der spaltenden Wirkung siedender Mineralsäuren macht sich
nebenher bereits die kondensierende Wirkung derselben geltend
und führt zur Bildung der sog. Melanine, wodurch andere Spal¬
tungsprodukte der Untersuchung entzogen werden.
Am Tyrosinkomplex wird gezeigt, wie je nach der Spaltungs¬
methode derselbe C-Kem in recht verschiedener Weise auf treten
kann. Redner hat die bisher bekannten, den typischen Eiweiss¬
stoffen angehörigen C-Kerne auf Tafeln zusammengestellt, und
zwar die Kerne der Fettreihe, die aromatischen Kerne, die hetero¬
zyklischen. Im Eiweissmolekül sind die wichtigsten Formen
des Aufbaues organischer Substanzen vertreten. Damit ist die
Möglichkeit gegeben, dass das Eiweiss als Muttersubstanz der
im Stoffwechsel auftretenden aliphatischen, aromatischen und
heterozyklischen Verbindungen auf tritt. Die angeführten Kerne
sind bis auf die S-haltige Thiomilchsäure alle N-haltig. In
jüngster Zeit konnten aus dem Serumglobulin 2 Ilexosen, und
zwar Glukose und ein der Lävulose ähnlicher Zucker isoliert wer¬
den. Auch neue Eiweisskerne wurden in jüngster Zeit isoliert,
die Aminosäuren (E. Fischer). Nicht in jedem Eiweisskörper
liegen aber sämtliche Kerne vor, wie die Untersuchung der kri¬
stallinischen Eiweisskörper lehrt. Zum gleichen Schluss gelangt
man beim quantitativen V ergleich der bei der Spaltung erhaltenen
Produkte. Soweit eine ungefähre Schätzung lehrt, besteht das
Eiweissmolekül zq % — % aus den verschiedenen Formen der
Aminosäuren. Die einzelnen Kerne müssen im Eiweiss nicht in
äquivalenter Menge, sondern in sehr ungleichem molekularem
Verhältnis vorhanden sein. Vielleicht beruht die Verschieden¬
heit der einzelnen Eiweisskörper in einem verschiedenen nume¬
rischen Verhältnis der sie konstituierenden Gruppen, eine
Schlussfolgerung, zu welcher man auch gelangt, wenn man von
1670
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
dem, allerdings nur annähernd zu bestimmenden, Molekular¬
gewicht der Eiweisskörper ausgeht. Den besten Anhalt für die
Bestimmung desselben bietet das Hämoglobin. Das M.-G. beträgt
wahrscheinlich 16 — 17 000, die Werte anderer gehen nicht unter
5000 herab. Auf 1 Molekül von 15 000 entfallen etwa 125 Kerne.
Also ist das Eiweissmolekiil ungemein kompliziert. Es ergibt
sich eine schier unerschöpfliche Mannigfaltigkeit von Kom¬
binationen. Doch hat die Natur kaum alle diese Formen wirk¬
lich geschaffen, worauf mehrere Umstände lainweisen, zunächst
die Verknüpfung der Aminosäuren unter sich. Redner betrachtet
nun eingehend die Fälle, wenn 2 derartige Säuren, z. B. Leucin
mit Asparaginsäure oder mit Tyrosin, in Verbindung treten.
Die theoretische Betrachtung wird früher oder später in
praktische Resultate umgesetzt werden. Die Durchführung
dieser Studien, wobei bald das physiologische, bald das chemische
Experiment die Führung übernimmt, lässt hoffen, dass es
schliesslich gelingen wird, die überaus mannigfaltigen Umge¬
staltungen, welche die Kerne des Nahrungseiweisses in den Or¬
ganen des Tierkörpers erfahren, in ihrem Zusammenhang zu
übersehen und damit einen befriedigenden Einblick in das1 Ge¬
biet des intermediären Stoffwechsels zu gewinnen.
In dem nun folgenden zweiten Vortrage sprach M. W e b e r-
Amsterdam über: Der Malayische Archipel und die Geschichte
seiner Tierwelt und erwähnte die hauptsächlichsten Resultate
mehrerer Eorschungsaufgaben, die hierbei nebeneinander her¬
laufen. Es handelte sich 1. um die Erforschung der Meeres¬
tiefen in dem betr. Gebiete, das eine Ausdehnung von 5 Millionen
Quadratkilometer umfasst und Java, Sumatra, Borneo, Celebes,
die kleinen Sundainseln, die Molukken u. a. einschliesst ; 2. um
die Entstehungsweise der genannten Inseln, von denen Sumatra
am längsten mit Asien verbunden war; 3. um die Untersuchung
der Fauna und Flora des Gebietes. Aus letzterem Teile be¬
trachtet W. nur die Säugetier-Eauna. Auf dem in Frage stehen¬
den Gebiete spielte sich eine wichtige Periode menschlicher Ent¬
wicklung ab, viel Studium, Sammeleifer und Phantasie, Gesund¬
heit und Liebe wurde diesen Aufgaben geopfert und noch viele
Helden der Wissenschaft werden hinausziehen müssen, dem
Malayischen Archipel seine Rätsel zu entringen.
Mit grossem Beifall wurde dieser Vortrag auf genommen,
der die schon beträchtlich spärlicher gewordenen Zuhörer zu leb¬
haftem Interesse zu führen wusste.
Um %2 Uhr begann Professor V oller- Llamburg seinen
Vortrag über: Grundlagen und Methoden der elektrischen
Wellentelegraphie (sogen, drahtlosen Telegraphie).
Das grosse Interesse, welches sich mehr und mehr an die
Leistungen der sogen, drahtlosen Telegraphie knüpft, war die
Veranlassung für die IJebernahme des Vortrages; es kommt hin¬
zu, dass die Methoden dieses modernen Nachrichtendienstes erst
auf Grund der neueren Anschauungen über die Natur der elek¬
trischen Vorgänge entwickelt werden konnten. Der Vortragende
legte dies näher dar: Den Gebildeten, deren Schulung in älterer
Zeit lag, sind die modernen Anschauungen nur wenig vertraut,
ja sehr schwierig. Die alte Lehre, dass die Leistungen der
Elektrizität, wie wir sie zuerst in der gewöhnlichen Telegraphie,
sodann in den mannigfachen Anwendungen der Elektrotechnik
benutzten, an die Existenz geschlossener elektrischer Ströme ge¬
bunden seien, dass solche Ströme nur in metallischen oder elektro¬
lytischen Leitungen denkbar seien, beherrschte bis vor wenigen
Jahren die Anschauungen. Heute wissen wir mehr von den
Wirkungsmöglichkeiten der Elektrizität. Seit E a r a d a y, der
schon entdeckte, dass die Wirkung eines elektrisch geladenen
Körpers auf einen zweiten nicht ohne die Mitwirkung des zwi¬
schen den Körpern befindlichen Isolators erfolge, Maxwell,
Helmholtz und Heinrich Hertz ist neben die alte Lehre
von den geschlossenen elektrischen Strömen in den Leitern die
Lehre von den „Verschiebungsströmen*“ des Aethers oder der
Elektrizität innerhalb der sogen. Nichtleiter getreten; zu diesen
gehören Gase, Hartgummi, Glas etc., vor allem auch die atmo¬
sphärische Luft. Elektrizitätsentladungen in Leitern rufen im
Aether der umgebenden Luft isochrone Bewegungen hervor, die
sich nach allen Richtungen des Raumes mit Lichtgeschwindigkeit
fortpflanzen und unter geeigneten Umständen ihrerseits wieder
neue Entladungsvorgänge in Leitern, auf welche sie treffen,
hervorrufen. Sind die primären Anstösse periodisch wechselnde,
so sind auch die fortschreitenden Bewegungsvorgänge im Aether
periodisch aufeinanderfolgende, d. li. es laufen elektrische Wellen,
Strahlen elektrischer Kraft, durch den Aether und erregen in
Leitern elektrische Schwingungszustände. Die Wahrnehmung
dieser Vorgänge gelang bekanntlich zuerst Heinrich Hertz; er
wies die Entstehung elektrischer Funken und oszillatorischer
Lichterscheinungen beim Auftreffen elektrischer Wellen nach.
Zugleich verdanken wir ihm die experimentelle Ausbildung der Er¬
zeugung sehr schneller, primärer oszillatorischer Entladungsvor¬
gänge innerhalb geeigneter elektrischer F unken, die zwar schonlange
vor ihm bekannt war, aber erst durch ihn die grosse Bedeutung
gewann, die zur elektrischen Wellentelegraphie führte. Der
erste, der in grossem Masstabe diese Anwendung zu realisieren
suchte, war Marconi (1896) : er liess in Hertz sehen Funken
sehr schnelle elektrische Oszillationen entstehen, die von senk¬
rechten Drähten oder Flächen ausstrahlten, den Luftraum durch¬
zogen und in mässigen Entfernungen neue elektrische Wirkungen
hervorriefen, die zur Zeichengebung benutzt 'wurden. Die Wir¬
kung war keine sehr sichere. Der Grund hierfür lag in der da¬
mals noch mangelhaften Kenntnis der Bedingungen, unter denen
kräftige, praktisch verwertbare Reproduktionen elektrischer Pro¬
zesse möglich sind. Dagegen war es ein grosses Verdienst
M a r c o n i s, dass er zu solchen Reproduktionen nicht die wenig
empfindliche Methode der Erzeugung sekundärer elektrischer
Funken oder sonstiger Lichtwirkungen benutzte, sondern eine
andere, seit 1890 durch Brandy- Paris näher studierte Wir¬
kung der elektrischen Wellen. Diese Wellen haben die Eigen¬
schaft, wenn sie auf elektrisch schlecht leitendes Metallpulver
treffen, dessen Leitungsfähigkeit plötzlich sehr zu steigern, je¬
doch so, dass kleine Erschütterungen wieder den ursprünglichen
Zustand hervorrufen. Marconi bildete auf Grund dieser Tat¬
sachen den heute sogen. Fritter oder Kohärer aus, der bis heute
das wichtigste Empfangsinstrument der Wellentelegraphie ist;
erst neuerdings sind Mitteilungen bekannt geworden, wonach es
Marconi gelungen sein soll, ein weit empfindlicheres In¬
strument mit telephonischer Zeichenwiedergabe zu erfinden. Den
jüngst in die Oeffentlichkeit gedrungenen Plan von Marconi,
zwischen Europa und Amerika drahtlose Telegraphie einzu¬
führen, kann V. nicht für ganz unausführbar halten, da es nach
den Untersuchungen von Lecher- Prag möglich ist, dass die
elektrischen Wellen, statt, wie man vermuten sollte, auf direk¬
testem Wege die Erde durchdringen zu müssen, infolge der Wir¬
kung des Meeres der Erdoberfläche parallel laufen können.
Der gewaltigste Fortschritt der Wellentelegraphie ist seit
2 Jahren durch zwei deutsche Forscher, Prof. Braun in
Strassburg und Prof. S 1 a b y in Charlottenburg, herbeigeführt
worden, die beide auf verschiedenen Wegen zu verwandten Resul¬
taten gelangten. Der Fortschritt besteht in der Verwendung
der elektrischen Resonanz oder „Abstimmung der Wellen“. Jeder
elektrisch schwingende Körper besitzt — ähnlich wie ein akustisch
tönender Körper — eine bestimmte ihm eigentümliche Schwing¬
ungsperiode; nur wenn die ankommenden elektrischen Wellen
dieselbe Schwingungsdauer haben, kann eine kräftige Resonanz
entstehen. Braun untersuchte sehr eingehend die theoretischen
Bedingungen solcher Resonanz, die er dann praktisch erprobte;
S 1 a b y wurde direkt durch seine grossen und erfolgreichen Ver¬
suche zur Auffindung geeigneter Resonanzbedingungen geführt;
ihm stand der Ingenieur Graf v. A r c o als Mitarbeiter zur
Seite.
Die Grundlagen dieser Methoden wurden von dem Vor¬
tragenden durch eine Anzahl von grossen Zeichnungen, Pro¬
jektionsbildern und experimentellen Vorführungen erläutert, an
die sich dann Versuche mit den im Saale auf gestellten grossen
Apparaten des praktischen Betriebes anschlossen; letztere Appa¬
rate waren von der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie,
System Prof. Brau n und Siemens & Halske, sowie von
der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft (System Slaby-Arco)
installiert worden.
Den Schluss des Vortrages bildete eine kurze Darlegung der
wesentlichen Unterschiede der B r a u n sehen und der Slaby-
schen Methode, sowie der bisher in der elektrischen Wellentele¬
graphie durch die Anwendung abgestimmter Wellen erreichten
grossen Resultate und der Aussichten, welche sich derselben auf
Grund neuer und erweiterter Verfahren eröffnen.
Nachdem der 1. Vorsitzende dem Vortragenden noch den Dank
ausgedrückt hatte, wurde — nach 6 stündiger Dauer — die
Sitzung kurz vor 4 Uhr geschlossen.
7. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Die 1. allgemeine Sitzung hat sich in manchen wesentlichen
Punkten von früheren, welche Referent mitzumachen Gelegen¬
heit hatte, unterschieden — nicht zu ihrem Vorteile, wie be¬
dauerlicherweise hinzugesetzt werden muss.
Abgesehen von der äusseren Physiognomie der Versamm¬
lung, der bei der Anwesenheit erster Leuchten der Wissenschaft
und hoher Würdenträger doch der gewohnte Kopf eines
Virchow, die Gestalt eines Bergmann, die Persönlich¬
keiten eines Ziemssen, Leyden, H i s, Waldeyer und
somit das fast traditionelle Aussehen fehlte, hatte dieselbe ent¬
schieden krankhafte Symptome an sich. Ihre Temperatur, ihr
Spannungsgrad stand anfangs sehr hoch und hielt sich zunächst,
angefeuert durch manches treffliche Wort der Begrüssungen,
um dann kritisch abzufallen und fast subnormal zu enden, mit
noch einigen Erhebungen vorher. Dies wurde meines Erachtens
durch einige Momente bewirkt, welche hier anzuführen ich für
meine Referentenschuldigkeit halte. Diese sind:
1. Die überlange Dauer der einzelnen Begriissungs-
ansprachen,. mögen sie, jede für sich, noch so vortrefflich sein.
Ihre kumulierende Wirkung führt zu einer zu frühzeitigen Ab¬
nahme der geistigen Spannung, welche in Versammlungen dieses
grossen Stiles von Anfang bis zu Ende herrschen muss. Diese
Hyperrhetorik der Einleitung absorbiert auch die für die Redner
vorgesehene Zeit im Unmasse, so dass diese ihre Themata nur
mehr stückweise behandeln können. Die Versammlung atmet
dann schon sozusagen künstlich. Dann muss ausgesprochen
werden, dass bei der Wahl solcher Festredner auch auf die
Stimmittel derselben mit in erster Linie Rücksicht ge¬
nommen werden muss. Dies war gestern nicht allenthalben der
Fall gewesen. Die Folge war eine vorzeitige, mit Unruhe er¬
folgende Entleerung des Saales, der sich dann erfalirungsgemäss
nicht mehr in dem Grade füllt, wie es der Bedeutung der Ver¬
sammlung und dem Ansehen der etwaigen späteren Redner ge¬
mäss wäre. Es ist und bleibt auch für den Zuhörer sehr miss¬
lich, den Redner während seines Vortrages trotz normaler Hör¬
weite nur zu sehen. Nun gar endlich die Dauer dieser 1. all¬
gemeinen Sitzung 6 Stunden! Kaum Schiller, kaum Whgner
brächten es da mehr zu einer vollen Aufmerksamkeit! Warum
ein solches monstrum horrendum, informe ingens? Die Natur¬
forscher und Aerzte müssen da wirklich um angemessene Scho¬
nung ihrer Hirnrinden sich besser Umsehen. Da die Versamm¬
lung dem Zwecke dient, dienen soll, neuere Ergebnisse der For¬
schung weiteren Kreisen lebendig zu vermitteln, so muss auch
hier das „Mass halten in allen Dingen“ Platz greifen, sonst geht
freudige Spannung und Begeisterung unverbraucht zu Ende. Die
Folge der gestrigen übermässigen Sitzungsdauer war auch sonst
noch bemerkbar, indem die konstituierenden Sitzungen der Sek¬
tionen erst verspätet zusammentreten konnten. Und dann noch
eines: In dem schönen Karlsbad mussten wir gestern am Spät¬
nachmittag mit hungrigem Magen uns an kalte Schüsseln
setzen! Das hätte der alte Goethe an der heutigen Wissenschaft
niemals gebilligt! Wie sich aber die Wogen der Naturforscher-
Gemüter vom Abend bis zum nächsten Morgen wieder auf das
schönste glätteten, davon das nächstemal !
Gesamtsitzung beider Hauptgruppen am
24. September.
E. S uess- Wien: lieber das Wesen der heissen Quellen.
Der bei seinem Erscheinen mit lebhaftem Beifall empfangene
Präsident der Wiener Akademie der Wissenschaften führte fol¬
gendes aus :
Redner würde es nicht unternehmen, vor diesem Kreise über
seinen Gegenstand zu sprechen, wenn nicht die meisten Darstel¬
lungen über heisse Quellen gerade über sehr wichtige Fragen
in Zweifel Hessen. Nach älteren Darstellungen sollten heisse
Quellen durch infiltrierendes Tagwasser (= vadose Wasser — im
Gegensatz zu juvenilem Wasser, welch letzteres noch niemals
an der Erdoberfläche war) gespeist werden, das sich im Erd-
mnern erwärme, während mineralische Beimengungen dem um¬
gebenden Gestein entstammen sollten. Gerade betreff Karlsbad
musste diese Annahme als unzutreffend erklärt werden. Das
„Pulsieren“ der Quellen erläutert S. an dem Phänomen des
isländischen Geysir, wo sich zeigt, dass die in das Steigrohr ein¬
tretenden Dampfblasen heisser sind als die Wassersäule (Siede¬
1671
quellen). Die Quellen von Karlsbad pulsieren auch, aber nicht
so regelmässig, ferner in kurzen Zwischenräumen (Sprudel¬
quellen). Die Siedequellen stehen, was sehr wichtig ist, nicht
unter hydrostatischem Druck. Nun wendet sich S. zunächst
einigen Erörterungen über Vulkane zu und betrachtet speziell
die Vorgänge, welche einen Ausbruch begleiten. Dabei fällt dem
Wasserdampf die Hauptrolle zu. Bei gewissen Vulkanen zeigen
sich regelmässige Intermittenzen in den Eruptionen, solange
letztere mässig sind: strombolische Phase des Vulkans. Aus
einem Eilebnis am Vesuv, an dem sich ein Cratere parasitico,
Nebenkrater, gebildet hatte, dessen Eruptionen anderen Rhyth¬
mus zeigten, als der Hauptkrater, konnte S. folgern, dass der
Vesuv selbst nur eine Form von Siedequellen ist. Die Herkunft
des vom Vesuv reichlichst mitausgeworfenen Chlornatriums
konnte damals nicht erklärt werden, die Annahme, Meerwasser
sei infiltriert, erschien nicht möglich. Hinsichtlich des Wasser¬
dampfes Hessen bestimmte Befunde am Vesuv den Schluss zu,
dass die mi tauf steigenden Gasblasen die Träger der Wärme dar¬
stellten. Der Wasserdampf muss aus Teilen des Erdkörpers
stammen, wo von Infiltration keine Rede sein kann. Auch die
00, stammt aus grosser Tiefe. Alles zusammengehalten, er¬
scheinen die Vulkane als Reste des grossen Prozesses der Ent¬
gasung des Erdkörpers. Nicht die Vulkane werden von den
Meeren gespeist, sondern umgekehrt: das juvenile Wasser der
Vulkane bildet einen Zuwachs für die Meere. Der Ozean ist der
empfangende Teil. Die Ozeane sind aus dem Wasser des Erd¬
körpers gebildet.
Ueber das Wesen der Thermen kann nun gerade Karlsbad
den besten Aufschluss geben. Man kann sagen: Wir befinden uns
in Karlsbad auf einem Stück Erzgebirge, es liegt auf dem Aus¬
gangsende eines Erzganges und es kommen die hiesigen Quellen
innerhalb eines ca. 1800 m langen und 150 m breiten Streifens
zu Tage. Das hiesige Quellsystem ist zum Teil von seinen
eigenen Kalkabsätzen, der Sprudelschale bedeckt, zum Teil Hegt
ein älterer Absatz der Quelle, nämlich Hornstein, vor. Gänge
von Hornstein und Arragonit streichen durch den benachbarten
Granit. I ür die Beurteilung der chemischen Zusammensetzung
kommt in Betracht, dass das Kochsalz jedenfalls nicht infiltriert
sein kann. Es erscheinen eben in den Quellen die am leichtesten
löslichen Stoffe, während andere, leichter sich abscheidende,
namentlich metallische Verbindungen in der Tiefe Zurückbleiben.
Dies ist die Bedeutung der Menge von Glaubersalz, Soda und
01 Na, welche die ILeilkraft dieser Quellen in erster Linie be¬
dingen. Die grosse Menge C02 ist unzweifelhaft juvenilen
Ursprungs, wie eben die Karlsbader Thermen
im ganzen. Sie sind ein Glied in der Reihe von
Erscheinungen, welche beginnen mit der
strombolischen Phaise der Vulkane und ihre
1 ortsetzung finden in den geologischen
S trukture n der E r z g ä n g e. Im Gegensatz zu Karlsbad
ist Pfäfers eine vadose Therme. Es gibt Thermen von gemisch¬
tem Charakter, teils juvenil, teils vados. Deutlich kann man
5 Gruppen von Quellen unterscheiden: 1. Gewöhnliche Trink¬
quellen ; diese sind alle vados. 2. Vadose Quellen mittlerer Tem¬
peratur, durch bestimmte Mineralisation ausgezeichnet, z. B. Jod,
Mg, CI Na. 3. Warme vadose Quellen (Pfäfers). 4. Juvenile
Quellen vom Typus von Karlsbad, welche aber nicht heiss oder
sehr reich an Mineralien zu sein brauchen (z. B. Marienbad).
Alle diese Quellen stehen auf Hornstein. 5. Gruppe der Siede¬
quellen, welche auf dem europäischen Kontinent nicht Vor¬
kommen. Festzustellen ist hauptsächlich die Tatsache, dass die
heissen Quellen in die Reihe vulkanischer Erscheinungen ge¬
hören.
Die unvergleichlich lebendige und unmittelbar wirkende
Art des Vortrages, der mächtige Zauber der Persönlichkeit des
hochangesehenen Geologen, dem wir ein Werk wie „Das Antlitz
der Erde“ verdanken, endlich der interessante, von der Meister¬
hand eines vortrefflichen Stilisten wie spielend beherrschte Stoff
riefen in gleicher Weise bei den anwesenden Naturforschern,
wie bei deii Aerzten unverkennbar tiefen Eindruck hervor. Es
war ein seltener Hochgenuss, diesen Redner zu hören. Zu wün¬
schen übrig blieb nur, dass diese gewiss als juvenil sich dar¬
stellende Leistung einen intimeren Raum zum äusseren Rahmen
gehabt haben möchte!
1672
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
Hierauf sprach W. Meyerhoff er- Berlin über : Die
physikalisch-chemische Beschaffenheit der Heilquellen.
Es handelt sich darum, die neugewonnene Theorie der
Lösungen auch auf die Heilquellen anzuwenden, was freilich
vorläufig nur ein Versuch sein kann. Zunächst gibt Redner
nun eine Skizzierung der Lehre vom osmotischen Druck, der er
den Austausch zwischen CINa-Lösung und Schwefelsäure durch
eine Membran hindurch zu Grunde legt. Der Prozess der Dif¬
fusion kommt bekanntlich auch bei Tieren und Pflanzen viel¬
fach vor. Beim Austausch der Lösungen wird ein Druck auf
die trennende Membran ausgeübt, der proportional der Kon¬
zentration der Lösung steigt. Der osmotische Druck kann direkt
gemessen werden (nach Pfeffer). Wenn 2 Lösungen im
osmotischen Gleichgewicht stehen sollen, so müssen sie äqui¬
molekular sein. Die Diffusion durch tierische resp. pflanzliche
Membranen hindurch, wie sie bei der einzelnen Zelle erfolgt,
setzt voraus, dass die beiden Lösungen sich nicht im molekularen
Gleichgewicht befinden. Dies kommt auch beim Vorgang der
künstlichen Befruchtung (L o e w) in Betracht. Ein Mittel zur
indirekten Bestimmung des osmotischen Druckes ist die Bestim¬
mung der Gefrierpunktserniedrigung (Kryoskopie). Die Gefrier¬
punktserniedrigung wechselt nach der Konzentration der betr.
Lösungen. Aequimolekulare Lösungen haben gleiche Gefrier¬
punktserniedrigung.
Die Zusammensetzung der Mineralwässer wird nunmehr mit
Rücksicht auf obige Tatsachen geprüft, wie dies z. B. Ludwig
und M a u t h n e r betr. des Karlsbader Sprudels getan haben.
Dabei wird die Rechnung nach Gramm-Molekulargewicht und
nach Gramm-Ionen vollzogen. Früher wurde die Zusammen¬
setzung der Mineralwässer im Grammgewicht der Salze aus¬
gedrückt, die sich beim Verdampfen aus der Lösung ausscheiden.
Dabei spielte immer eine gewisse Willkür mit. Wenn eine
Lösung beispielsweise CI Na und S04 Ca enthält^ Konnte man
diese Bestandteile mit demselben Rechte als CI, CaDmd S04Na,
angeben. Nach der modernen Anschauung jedoch wird das Re¬
sultat der Analyse durch die in der Lösung enthaltenen Ionen
ausgedrückt. Redner berichtet über die Resultate solcher Be¬
rechnungen bei verschiedenen Mineralwässern und kommt zu
dem Schlüsse, dass wir derzeit noch nicht im stände sind, exakt
den Zustand der Salze in einer halbwegs komplizierten Salz¬
lösung auszudrücken. Eine genauere osmotische Analyse der
Heilquellen kann heute noch nicht angestellt werden. Aber
immerhin hat die moderne physikalisch-chemische Betrachtungs¬
weise gewisse Vorzüge. Es sind grösstenteils die Ionen, welche
die spezifische Wirkung entfalten. Die feineren Unterschiede
unter den einzelnen Quellen werden nur durch genaue osmotische
Analyse festzustellen sein. Hinsichtlich der spezifischen Wir¬
kung einzelner Heilquellen auf den Körper lassen sich immerhin
schon einige Tatsachen zu Grunde legen (vergl. hiezu- die Unter¬
suchungen von Strauss - Berlin über die osmotischen V er-
hältnisse der verschiedenen in den Magen eingeführten Speisen
und Getränke). Wässer, welche rasch aus dem Magen verschwin¬
den, zeigen geringe Gefrierpunktserniedrigung. Diese Wässer
können den osmotischen Druck der Ingesta herabsetzen. Die
Bitterwässer haben hohen osmotischen Druck. Etir die Karls¬
bader Thermen beträgt = 0,25 — 0,27. Elir die Untersuchung
der warmen, CO,-haltigen Wässer müssen aber gewisse Vorsichts-
massregeln eingehalten werden. Redner verweist hinsichtlich
der Wirkung von Mineralwässern bei Harnkonkrementen auf die
Untersuchungen von His jun. und Paul. Die Einnahme von
doppelkohlensaurem Natron kann nach physikalisch-chemischen
Gesichtspunkten die Bildung von harnsauren Konkrementen
nur noch mehr befördern, während kohlensaures Lithion theo¬
retisch betrachtet etwas nützen kann. Können nun künstliche
Mineralwässer dieselben Erfolge erzielen wie die natürlichen?
Diese Frage wird von Baineologen und Klinikern verneint. Vom
physikalisch-chemischen Standpunkt aus kann gesagt werden:
Bei Untersuchung sehr grosser Mengen eines natürlichen
Mineralwassers werden darin kleine Mengen von Jod, Arsen u. a.
gefunden, die den künstlichen Wässern fehlen. Es wäre möglich,
dass diese Stoffe die Wirkung der natürlichen Wässer mitbedingen
und zwar wäre hier auch die katalysatorische Wirkung dieser
Stoffe heran zu ziehen. Man hat z. B. gefunden, dass „Platinsol“,
eine kolloidale Lösung von Platin, schon bei enormer Verdünnung
einen chemischen Vorgang sehr stark beschleunigen kann. Etwas
Aehnliches käme hier in Frage. Redner schloss seine mit leb¬
haftem Beifall aufgenommenen Ausführungen damit, dass wohl
die physikalische Chemie berufen sei, die Brücke des Verständ¬
nisses zwischen der chemischen Zusammensetzung und den
wunderbaren Heilwirkungen der Mineralwässer zu schlagen.
Als 3. Redner dieser „Karlsbader Sitzung“ betrat Ruff-
Karlsbad das Podium mit einer biographischen Skizze über:
David Becher, den „Karlsbader Hippokrates“ 1725 — 1792.
D. Becher, dessen Genie und Verdienste spät anerkannt
wurden, ist ein Karlsbader Kind, der in seiner Vaterstadt, nach¬
dem er sich gründlich vorgebildet hatte, 36 Jahre als Arzt wirkte.
Aus einzelnen Bruchstücken seiner Werke erläutert R. die viel¬
seitige Bedeutung und Tätigkeit des „Karlsbader Hippokrates“,
der diesen Namen mit Recht trägt. Becher nahm gründliche
chemische Untersuchungen der Karlsbader Quellen vor, mass
auf originelle Art die Menge der dem Sprudel entströmenden
Flüssigkeit, die Temperatur, das spezifische Gewicht der Ther¬
men, Untersuchungen, die in Anbetracht der damaligen Kennt¬
nisse und Hilfsmittel bewunderungswürdig waren. Er gab eine
Anleitung zur Bereitung des Karlsbader Salzes ohne Feuerung,
wies Eisen im Sprudel nach, erkannte das Vorhandensein der
C02, die er als „elastischen mineralischen Geist“ bezeichnete, be¬
schrieb die klinische Wirkung, die Indikationen und Kontra¬
indikationen der Quellen, beobachtete das „Pulsieren“ der Quellen
auf Grund ganz ähnlicher Anschauungen, wie sie heute gelten,
schlug zur Vermeidung von Sprudelausbrüchen Bohrungen vor.
Den Effekt der Wässer prüfte er ganz systematisch nach den
einzelnen Bestandteilen derselben, spottet über die damalige Be¬
hauptung von einer „Versinterung der Eingeweide“, liess die
Kranken zuerst selbst an die Brunnen gehen und ordinierte dort,
was ihm sehr übel genommen wurde. Fasst man seine ganze,
in so vielen Hinsichten bedeutende Persönlichkeit ins Auge, so
ist nicht zu bezweifeln, dass ihm sein ehrender Beiname vollauf
gebührt und die Gegenwart nur einer Dankesschuld genügt, wenn
auch an dieser Stelle D. Bechers gedacht wird.
Nach dem beifällig auf genommenen Vortrag schloss der
Vorsitzende H e u b n e r - Berlin um %1 Uhr die Sitzung.
Unter den dauernden Erinnerungen, welche die — inzwischen
auf über 1600 angewachsenen — Teilnehmer der heurigen Ver¬
sammlung mit nach Hause bringen werden, müssen an erster
Stelle die 2 prachtvollen Festschriften genannt werden. Die
erste derselben, in prächtiger moderner Ausstattung und einer
Stärke von über 800 Seiten von der Stadt Karlsbad ihren so
liberal gepflegten Gästen überreicht, bildet einen ausgezeichneten
geologischen, historischen, medizinischen und naturwissenschaft¬
lichen Führer durch dieses so merkwürdig phänomenreiche Stück
Erde und dürfte unter die besten Vertreterinnen des genus:
„Festschriften“ gehören. Einzelnes kann hier leider nicht an¬
geführt werden. Ein ebenso gediegenes Seitenstück hierzu bildet
die zweite, unter der Redaktion von Pi’of . Kisch- Marienbad
herausgegebene Festschrift, welche eine Beschreibung der an¬
deren böhmischen Kurorte (Marienbad, Franzensbad, Teplitz-
Scliönau, Johannisbad, Liebwerda, Bilin, Giesshiibl, Sauerbrunn,
Krondorf, Neudorf) den besuchenden Aerzten an die Hand gibt.
Was sonst von der Stadt den Besuchern geboten wird, ist
reich, fast überreich. Jede Dame rühmt, wie vortrefflich und
weise der waltende Damen-Ausschuss alles arrangiert hat, und
auch sonst ist nur Lob und Anerkennung zu hören. Den Fest¬
vorstellungen am Montag Abend reihte sich am nächsten Morgen,
schon um 8 Uhr Früh, ein originelles Frühstück auf der „alten
Wiese“ an. Nicht auf dem grünen Rasen — auf der alten Wiese
wächst längst kein Gräslein mehr — sondern längs der Häuser¬
reihe standen auf endlosen Tischreihen die vollkommensten Er¬
zeugnisse der Karlsbader Frühstücksküche, dargeboten von den
Hausbesitzern an der „alten Wiese“ und persönlich präsentiert
von den freundlichen Wirtinnen und deren Töchtern. Das bei
dieser Form der „Karlsbader Diät“ sich entwickelnde, von der
schönsten Morgensonne begnadete Bild war ebenso originell, wie
beweisend dafür, dass die Mehrzahl dieser Forscher und Aerzte
Karlsbad vorläufig noch nicht nötig hat, eine Beobachtung, die
sich auch beim Festessen im Stadtpark als richtig erwiesen
haben soll.
Alle Tage werden seitens der Stadt, sowie von Mattoni in
Giesshiibl Wagenfahrten in die Umgebung von Karlsbad ar¬
rangiert, die uns die Perlen derselben kennen lernen lassen und
Oktober 1002.
MTTEN CHENEB MEDICINTSCHE W O OHE N S CTTBIET .
1673
schon manche Sektionssitzung- magerer an Frequenz gemacht
haben müssen, zugleich mit der stärksten Bundesgenossin, un¬
serer uns immer noch treuen Herbstsonne.
Hei Mittwoch Abend brachte das prächtige Schauspiel einer
allgemeinen Illumination der Stadt mit allen ihren Brücken,
Kolonnaden, Aussiehtstempelchen, sogar der Sprudel musste
intermittierend seine Farbe wechseln, von der Höhe strahlte, aus
Hunderten flimmernder Lämpchen gezeichnet, der riesige öster¬
reichische Doppeladler aus dem Schwarz des Himmels auf die
Stadt, herab, wie eine goldgeränderte Schlange schien die Tepl
durch die Krümmungen ihres Bettes zu schleichen — es war in
der Tat ein eindrucksvolles Bild. Gleichzeitig aber entwickelte
sich das lebhafteste Treiben an jenen 3 „Prädilektionsstellen«,
wo die Stadt für ihre Gäste reichbesetzte und höchst, geschmack¬
voll aufgebaute Buffets aufgestellt hatte, und aus Hunderten
von Bechern perlenden Weines wurde der glänzenden Gastfreund¬
schaft der Stadt Bescheid getan. Die freigebige Mutter Erde
wird es wieder vergelten. Loebel Schottländer aber, der alle
Tage Hunderte von Flaschen mit Karlsbader Wasser verkorken
lässt, muss mit Becht variieren : „Unsere Zukunft liegt i n dem
Wasser“.
Das ganze Karlsbader Leben ist ein Schauspiel : Das
Treiben an den Kolonnaden ist auch jetzt am Ende der Saison
noch interessant genug; die auch die vorzüglichen Karlsbader
Quellen unterstützende Macht der Suggestion kommt schon am
frühen Morgen zum Vorschein, wenn man um 7 Uhr im lang¬
samsten Tempo herumwandelt, die Venusberg-Musik anhört,
2 Becher Mühlbrunn und 1 Becher Sprudel dazu trinkt — und
das alles bei 1 — 2 0 C. und ohne vorheriges Frühstück ! Man
macht es halt ebenso wie alle, die da wallen, die Gelben und die
Blassen, die Dünnen und die Dicken, die Kurzgeschorenen und
die Langlockigen, die Offiziere und die Klosterfrauen, die Geist¬
lichen und die Lebemänner, die Fez- und die Zylinderträger —
man schlürft seinen Becher. Aber nahe berühren sich gerade
in Karlsbad Kultur und Natur. Wer des Abends bei sinkender
Sonne die Stadt im Bücken lässt und, die grünen Teplufer
hinaufgewandert, unter die breitästigen Buchen eintritt, wo das
Keh ihm den Aufwärts-Pfad kreuzt, wer dann von der Höhe
auf die geschäftig rauschende Stadt der Brunnen herabsieht,
wird sich als einer von jenen fühlen, zu denen Goethe sagt:
Ihr Alle fühlt geheimes Wirken
Der ewig waltenden Natur,
Fnd aus den untersten Bezirken
Schmiegt sich herauf lebend’ge Spur.
So steht am Karlsbader „Sprudel“ zu lesen.
3. Herr M i n t z - W arschau : Tiefsitzende Divertikel der
Speiseröhre.
Mitteilung eines Falles.
4. Herr« W a 1 k o - Prag: Zur Behandlung- der Super¬
azidität.
Vortragender empfiehlt Olivenöl in Dosen von 150—300 g
täglich durch Schlundsonde oder per os. Er hat nach mehr¬
wöchentlicher Behandlung wesentliche Besserung und selbst Hei¬
lung gesehen. Keine Beeinträchtigung der Magenverdauung. Die
Salzsäureabsclieidung wird vermindert und verzögert. Auch bei
spastischen Stenosen des Verdauungskanals hat sich ihm diese
Behandlungsmethode bewährt, ferner auch bei frischem Ulcus
ventr., wo das Oel einen Schutz gegen die Aetzwirkung des über¬
sauren Magensaftes bildet. Das Oel ist dem Atropin und dem
Natr. bicarb. in diesen Fällen weit überlegen, die nur zum Er¬
sätze herangezogen werden können.
5. Herr Weiss - Karlsbad : Die physikalischen Zeichen
des Dickdarms und ihre Bedeutung- für den Stoffwechsel.
Vortragender behauptet, dass der Dickdarm des gesunden
Menschen eine feststehende Form habe, die er durch Palpation
genau ermittelte: Längen- und Dickendurchmesser, Krümmung-
u. dgl. der einzelnen Teile des Dickdarms. Mit der Formver¬
änderung geht allemal eine Störung der Funktion, eine Er¬
krankung der Drüsen u. dergl. einher, so dass Diarrhöen und
andere Dickdarmerkrankungen durch die palpatorische Diagnose
von Formanomalien zu erkennen seien. Sogar die subjektiven
Beschwerden der Kranken lassen sich daraus erraten.
6. Herr Kumpf- Millstadt : Zur Pathologie und Therapie
der Enteroptose.
^ ort ragender glaubt einen für Nephroptose charakteristischen
Schmerzpunkt gefunden zu haben: bei Druck auf die hintere
Bauchdecke mit ausgestreckten Fingern in der Höhe einer Linie,
die vom Nabel bis zur grösstem Kurvatur des Biopenbogens ge¬
zogen ist. Vortragender sieht die Nephroptosis als einen Folge¬
zustand der Senkung des Dickdarms an, dessen Verlauf palpa-
torisch genau festzustellen ist, wenn er auf mechanische Beize
durch Kontraktion reagiert. K. hat die so ermittelte Lage des
Kolons stets durch Aufblähung per rectum kontrolliert. Die
Nephroptose hat er bei 300 Untersuchungen von Lebenden in
32 Proz. gefunden, immer häufiger werdend mit dem Ansteigen
des Lebensalters, Das letztere hat sich auch bei Leichenunter¬
suchungen bestätigt gefunden, wo sich Nephroptose in 42 Proz.
fand.. Nicht die Flexura hepat. ist dasjenige Stück des Kolon,
das sich am häufigsten senkt, sondern das Mittelstück des Quer¬
kolons.
Abteilung für innere Medizin.
Eeferent : A 1 b u - Berlin.
I. Sitzung.
1. Herr Puchberger - Wien : Bemerkungen zu einer
neuen Methode der Vitalfärbung der Blutplättchen des
Menschen.
Vortragender berichtet über die Ergebnisse der Nachprüfung
der von Levaditi angegebenen Methode zur Darstellung der
Blutplättchen durch Färbung mittels Brillantkresylblau. Man
findet damit beim gesunden Menschen die Blutplättchen teils
als runde, teils als eckig homogene Körper, denen eine lebhaft
amöboide Bewegung eigen ist. Zumeist enthalten sie dunkle
Granula im Zentrum oder unregelmässig verteilt. Nach einigen
Minuten sieht man eine kompakte, stark blau gefärbte Masse
halbmondförmig sich abtrennen von dem kugelig zurückbleiben¬
den hyalinen Hauptkörper. Auch bei myelogener Leukämie
haben sich diese Gebilde mit den gleichen Eigenschaften ge¬
funden.
2. Herr Käst- Prag : Hämatologische Befunde in einem
Falle von Knochenmarkkarzinomatose.
Nach einer Amputatio penis wegen Karzinom war eine mul¬
tiple Metastasenbildung in den inneren Organen entstanden,
welcher der Kranke erlag. Im Blute desselben fanden sich Ver¬
änderungen wie bei myelogener Leukämie. Die Sektion stellte
auch zahlreiche Knochenmarkmetastasen fest, welche augen¬
scheinlich der Ausgangspunkt der auffälligen Blutveränderung
waren, wie sie bisher in solchem Falle nicht bekannt sind. Doch
hat sich aus dem Blutbefunde selbst mit Sicherheit entnehmen
lassen, dass es sich um keine selbständige Leukämie gehandelt hat.
7. Herr G oldmann - Brenneberg : Die Anchylostomiasis.
Diese Krankheit ist eine Gefahr für den Bergmannsstand
! und bedeutet eine schwere wirtschaftliche Schädigung. Vor¬
tragender demonstriert photographische Abbildungen der Ent-
j wickelungsstadien des Parasiten vom Ei bis zum ausgebildeten
Wurm. Ein Zwischenträger ist bisher noch nicht bekannt. Die
Infektion erfolgt, in der Grube durch die Luft auf dem Wege
des Verdauungskanals. Vortragendem ist es gelungen, in seinem
Bezirk die Morbidität von 80 auf 12 Proz. herabzudrücken. Pro¬
phylaktisch empfehlen sich folgende Massregeln : Uebertünchung
der Holzzimmerung in den Gruben mit Kalkwasser, Verbot des
Essens in den Gruben, Wechsel der Kleider und Baden nach Ver¬
lassen derselben, Auf fangen und sofortige Desinfektion der
Fäzes. Therapeutisch rät Vortragender zu Extr. fil. mar. bis zu
15 g, auch Thymol bewährt sich sehr. Wichtig- ist eine Vorkur
mit Ivalomel, Nachkur mit Terpentinöl, um das erneute An¬
setzen des abgetriebenen Wurmes zu verhüten.
Abteilung für Chirurgie.
I. Sitzung.
Vorsitzender : Wölfl er - Prag;.
1. Herr Kuhn -Kassel: Ueber pulmonale Narkose.
Vortragender betont zunächst, dass noch lange nicht Auf-,
merksamkeit genpg darauf verwandt worden ist, wie und wo das
Narkotikum zu den Nervenzentren gelangt, macht darauf auf¬
merksam, wie bei direkter Einführung des Narkotikums in die
Lunge durch die Tracheotomiewunde (Trendelenburg) die
Narkose auffällig ruhig verläuft und empfiehlt dann die durch
Tubage direkt in die Lunge geleitete perorale und per¬
nasale Narkose, deren Vorzüge absolute Buhe, wenig Chloro-
1074
No. 40.
MUENOIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
form, schnelles Wiedcreinschlafen bei unterbrochener Narkose
sind. Hie Gefahr der Ueberdosierung ist gering. Würgen und
Erbrechen fällt fort, Spasmus glottidis ist nicht möglich, Aspira¬
tion von Schleim ist nicht zu fürchten. Redner boschreibt noch
die üblichen Narkosenmethoden, die eventuellen Hilfsmittel bei
Asphyxien, künstliche Athmung, Sauerstoff etc.
2. Derselbe: Kein Würgen und Erbrechen bei Nar¬
kosen und Laparotomien.
3. Herr Neugebauer - Mähr.-Ostrau : Erfahrungen
über Medullarnarkose.
N. hat sogar, mit kleinsten Dosen und sorgfältigster Sterili¬
sation des Tropakokain und der Instrumente alle die be¬
kannten, unter Umständen sehr ängstlichen Intoxikationserschei¬
nungen erlebt und ist bei seinen Studien über die Ursachen der¬
selben zu dem »Schlüsse gelangt, dass sie nur für die Operationen
an den unteren Extremitäten, wo allgemeine Narkose nicht gut
angeht, Anwendung finden sollte, wenn langdauernde und tiefe
Narkose notwendig ist.
4. Herr Schultze - Duisburg: Beiträge zur Sterilisation.
Demonstration von Gläsern für die Sterilisation von Seide
und eines aseptischen Irrigators.
5. Herr Borchard - Posen : Seltenere Folgezustände
nach schweren Schädelverletzungen.
R. hat nach diesen Verletzungen in einem Falle 1,5 Proz.
Zucker und 1,2 Proz. Eiweiss gefunden, die nach 12 Stunden
schwanden, 12 Stunden später Blutkörperchen und Zylinder
im Urin. In einem zweiten Fall, der zu Grunde ging, ähnlicher
Befund. Die Sektion ergab im 4. Ventrikel nichts, dagegen
Trübungen in den Glomeruli und geraden Harnkanälchen. . Vor¬
tragender beleuchtet die einfache, nach Schädelverletzungen so¬
fort auftretende Glykosurie und dann die mit Albuminurie ver¬
gesellschaftete, die in der Schädigung der Nieren ihren Grund
hat, nicht den geringsten Zusammenhang mit Diabetes hat, son¬
dern auf Zirkulationsstörungen in den Nieren basiert. Auch
darf deshalb ein später auftretender Diabetes durchaus nicht
auf die Verletzung zurückgeführt werden. Ein Versuch alimen¬
tärer Glykosurie fiel auch bei seinem Fall negativ aus.
6. Herr v. Hacker - Innsbruck : Ersatz von Schädel¬
defekten durch unter der Kopfschwarte verschobene oder
umgeklappte Periostknochenlappen.
Gestielte Lappen, die mit der Periostfläche auf den Defekt
gelegt werden. Seine Resultate sind sehr günstige gewesen. V or¬
tragender gibt einen Rückblick über die bisher üblichen osteo¬
plastischen Knochenoperationen von Ollier, J. Wolff,
v. Langenbeck, Rydygier, Bier, Müller, König
etc. Er kommt dann auf die Bart lisch en Untersuchungen zu
sprechen, die nach seiner Ansicht mit Vorsicht auf den er¬
wachsenen Menschen anzuwenden sind, und beschreibt dann die
Technik seiner „subaponeurotischen Osteoplastik“. ,
7. Herr Springer - Prag : lieber Operationsresultate bei
Hasenscharte und Wolfsrachen. (Mit Demonstration.)
Bericht über 53 Fälle aus dem Franz Josef -Kinderspital in
Prag. Sie operieren Gaumenspalten nicht mehr im ersten
Lebensjahre wegen der nicht zu vermeidenden Enteritiden,
Llasenscharten nicht vor dem 6. Monat. Von 31 rezidivierten
Fällen kein Todesfall, 8 nicht geheilte Fälle. Das kosmetische
Resultat ging nicht immer mit dem funktionellen Hand in Hand.
Nicht ganz geheilte Kinder sprechen oft besser als ideal geheilte.
Dem sogen, „gothischen Gaumen“ glaubt er nicht viel Gewicht
in Bezug auf schlechtes funktionelles Resultat beilegen zu sollen.
8. Herr Länderer - Stuttgart : Operative Behandlung
der Lungentuberkulose.
Die Erfahrung, bei Empyemen durch Thorakoplastik bessere
mechanische Verhältnisse zu schaffen, hat ihn nach dem Vor¬
gänge von Spengler etc. auf den Gedanken gebracht, auch die
tuberkulösen Lungenabszesse und Kavernen durch Thorax¬
resektion zu bessern. 6 Fälle hat er so operiert mit teilweise sehr
gutem Resultat. In Bezug auf die Technik will er nur vor der
Stelle der grossen Gefässe und des Herzens warnen, weil man
hier stets eine pulsierende Narbe bekommt. Tuberkulöse Ge¬
webe soll man so wenig als möglich berühren wegen der Gefahr
der Miliartuberkulose. Was die Wahl der Fälle anlangt, so
werden stationäre Fälle natürlich bessere Resultate geben als
die akuten. Die Unterlappentuberkulosen, die für die innere
Therapie wohl die schlechtesten sind, empfehlen sich dadurch
besonders zur Operation.
Zum Schlüsse macht er noch einmal darauf aufmerksam,
dass der Grund der mangelnden Heilung fast aller tuberkulösen
Prozesse, der Lungen- und Gelenkaffektionen in der Unmöglich¬
keit oder schlechten Disposition zur Narbenschrumpfung zu
suchen ist. Man sehe dies häufig bei der Coxitis, die dann
plötzlich heile, allerdings mit Verkrümmung, wenn durch Epi¬
physenlösung oder Spontanluxätion die Narbenschrumpfung er¬
möglicht ist.
9. Herr Wisshaupt - Teplitz- Schön au berichtet über
einen Fall von Riesenwuchs der Mamma in der Gravidität,
der durch Ablation der Mamma geheilt wurde. Demonstration
der Photographien. Die amputierten Mammae wogen 5800 und
6700 Gramm.
10. Herr Preindlsberger- Serajewo : Weitere Mit¬
teilungen über Lithiasis in Bosnien.
Sie betrifft vorwiegend die jugendliche und christliche Be¬
völkerung. Die Beobachtungen haben sich in den letzten
2 Jahren um 95 Fälle vermehrt. Vortr. zeigt die Präparate, die
Reproduktionen der Steine in prachtvollen Aquarellen und die
Instrumente, welche die dortigen „Stein¬
schneider“ gebrauchen.
11. Derselbe: lieber Steinoperationen.
P. berichtet, dass im Orient anders als im Occident die
Lithotripsie schon bei Kindern sehr häufig angewendet wird,
weil die äusseren Genitalorgane dort schon derartig entwickelt
sind, dass z. B. bei einem 14 jährigen Individuum der grösste,
für Erwachsene bestimmte Lithotripter angewendet werden
konnte. Er hat bei 135 Kindern 93 mal die Sectio alta, in den
übrigen Fällen die Lithotripsie gemacht. In einigen Fällen
musste er der Lithotripsie die Sectio alta oder Urethrotomia
externa anschliessen.
Unter den Präparaten ist ein durch Sectio alta gewonnenes
hervorzuheben, welches eine Spontanzertrümmerung eines zirka
hühnereigrossen Steines darstellt. P. macht auf die dabei an¬
genommene Sprengwirkung der Bakterien und ihrer Produkte
aufmerksam.
Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Referent : Dr. Edmund Falk- Berlin.
I. Sitzung: 22. September (Nachmittags).
Vorsitzender : W. A. Freund - Strassburg.
Seil heim- Freiburg i. B. : Diagnose und Behandlung
der Genitaltuberkulose.
Indizien, welche die tuberkulöse Natur entzündlicher Pro¬
zesse im weiblichen Becken oft sehr wahrscheinlich
machen, sind die Erkrankung nahestehender Angehöriger, mit
welchen die betreffenden Individuen zusammenlebten, und der
Nachweis der Tuberkulose in anderen Organen. Mit multiplen
Bildungsfehlern behaftete Personen sind häufig tuberkulös; der
umgekehrte Schluss, dass ein in seiner Aetiologie dunkler Ent¬
zündungsprozess in den Genitalien wegen der gleichzeitig am
Körper vorhandenen, vielfachen anatomischen und physio¬
logischen Bildungsfehler für Tuberkulose sehr verdächtig sei,
bestätigte sich bei operativen Eingriffen vielfach. Sicher¬
heit in der Diagnose bringt die lokale Untersuchung.
Ausser den bei der Exploration des Abdomens schon auf¬
fallenden charakteristischen Eigentümlichkeiten wird der Haupt¬
wert auf den Nachweis der mit der Genitaltuberkulose fast regel¬
mässig zusammen vorkommenden Beckenbauchfell¬
tuberkulose gelegt, der sich durch die von ILegar ange¬
gebenen, für Tuberkulose fast pathognomonischen Knötchen bei
der inneren Untersuchung mit grosser Sicherheit erbringen
lässt. Diese Knötchen finden sich vor allem an der hinteren
Fläche der Ligamenta lata, der Ligamenta sacro-uterina und der
hinteren Fläche des Uterus. Eine sehr ausgesprochene Rosen¬
kranzform der Tube besonders mit sehr harter Konsistenz der
Knoten findet sich bei der Tuberkulose häufig. Die Anwesenheit
eines Knotens in der Pars uterina ist ein zuverlässiges Zeichen
für die tuberkulöse Erkrankung. Die mikroskopische Unter¬
suchung der Uterusschleimhaut ist bei Tuberkulose der
Tuben und des Beckenbauchfells immer nötig. Ausser seinem
diagnostischen Wort ist der Nachweis der Uterustuberkulose
auch im stände, die Prognose und Therapie zu modifizieren.
Unter Anwendung dieser Mittel hält Vortr. die Diagnose
einer tuberkulösen Erkrankung der weiblichen
7. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1675
Genitalien in den meisten Fällen für möglich,
im Gegensatz zu den aus anderen Kliniken ge-
äusserten M e i n u n g e n. — Nach Erörterung der In¬
dikationen für ein palliatives oder operatives Eingreifen werden
die t h e i apeutischen Erfolge an der Hand von N acli-
untei suchungen über 65 in den letzten 8 Jahren in der
Freiburger Frauenklinik behandelte tuberkulöse Personen ge¬
prüft. ^ Der Erfolg der palliativen Behandlung, die
in 28 1 allen durchgeführt wurde, war sowohl in Bezug' auf das
\ erschwinden der Beschwerden, auf die Wiedererlangung der
Arbeitsfähigkeit und in Bezug auf den Eintritt einer relativen
Ausheilung der erkrankten Organe zufriedenstellend. Von den
37 operativ behandelten Fällen war bei den nach¬
untersuchten I rauen das Resultat ebenfalls gut. Am besten
waren die radikal Operierten daran. Es wird daher, wenn
man einmal gezwungen ist, zu operieren, die
Entfernung der erkrankten Adnexe samt
Uterus m ittels abdominaler K ö 1 i o t o m i e an-
zustreben sein. Diese günstigen Erfolge stimmen mit den
Erfahrungen überein, die man bei tuberkulösen Herden an an¬
deren Körperteilen gemacht hat, wenn man dieselben mit dem
Messer wie eine bösartige Geschwulst entfernte.
Herr W internitz - Tübingen-Stuttgart demonstriert ein
plastisches Modell zur Erläuterung des fötalen Kreislaufes. Das¬
selbe besteht in einem fötalen Herzen von 5— 6 facher Vergrösse-
nmg, an dem die Hauptunterschiede zwischen fötalem und extra¬
uterinem Kreislauf gezeigt werden können: Die Kommunikation
zwischen rechtem und linkem Vorhof durch das Foramen ovale,
die Valvula Eustachii und der Ductus arteriosus Botalli. Das
Modell ist so auf einem Gestell angebracht, dass es während der
Demonstration leicht um die senkrechte Achse gedreht werden
kann. W. wurde veranlasst, dieses Modell anzufertigen, weil er
bei den Vorlesungen über theoretische Geburtshilfe die Erfahrung
gemacht hat, dass die Hilfsmittel zur Demonstration des fötalen
Kreislaufes lückenhaft sind, und dass die Abbildungen allein zur
Klärung dieser schwer verständlichen Verhältnisse nicht voll¬
ständig ausreichen. Die Vervielfältigung des Modelles „Fötales
Herz" hat das Medizinische Warenhaus in Berlin übernommen.
Eisenberg - Wien : Beiträge zur konservativen Be¬
handlung der Frauenkrankheiten.
Flach den gewaltigen Erfolgen der operativen Gynäkologie,
welche vielfach zu einer zu weiten Ausdehnung der Indikations¬
stellung für operative Eingriffe führte, gewinnt in der letzten Zeit
die konservative Behandlung der gynäkologischen Erkrankungen
die ihr gebührende Beachtung. So schränkte die Vaporisation der
Uterusschleimhaut vielfach die Indikationsstellung für die Total¬
exstirpation ein. Bei chronisch entzündlichen Prozessen im kleinen
Becken sind nach Ansicht von Eisenberg prolongierte, heisse
Ausspülungen — er lässt 30 — 40 Liter möglichst heisses Wasser
verwenden für vaginale und rektale Ausspülungen — im stände,
die Resorption von Exsudaten herbeizuführen, und zwar sowohl
extra-, als auch intraperitonealer Exsudate. Das Exsudat darf
jedoch nicht frisch sein, Fieber darf nicht bestehen, falls un¬
angenehme Nebenerscheinungen vermieden werden sollen. Zur
L nterscheidung, ob ein Exsudat alt ist, ist die Untersuchung des
Blutes auf seinen Leukocytengehalt von Wichtigkeit, da bei
frischen Exsudaten eine Vermehrung der Leukocyten nachweisbar
ist; besteht diese, so ist von der Heisswasserdusche Abstand zu
nehmen. Die besten Resultate geben die postpuerperalen Eiter¬
ansammlungen, aber auch selbst bei perityphlitischen Exsudaten
kann die Behandlung mit Erfolg angewendet werden; ein sehr
grosses perityphlitisches Exsudat gelangte bei dieser Behandlung
zur Resorption.
Bei chronischen Adnexerkrankungen kann man gleichfalls
gute Resultate erzielen, falls im Eileiter sich keine Flüssigkeits¬
ansammlung findet. Ist Eiter im Eileiter vorhanden, so kann die
Anwendung der Heisswasserdusche Gefahr bringen, Fieber,
Schmerzen können wieder eintreten, neue Exsudate sich bilden.
Das Vorhandensein einer Pyosalpinx bildet also eine Kontra¬
indikation für die Anwendung- der vaginalen prolongierten Aus¬
spülungen. Hingegen sieht man gute Resultate bei chronischer
Oophoritis, Perioophoritis, Salpingitis. Besonders deutlich ist die
Besserung der subjektiven Beschwerden. Bei chronischer Peri¬
metritis und Parametritis, sowie bei der Retroflexio fixata ist die
vaginale Dusche ein gutes Vorbereitungsmittel für die Massage¬
behandlung. Eine grosse Anzahl von Fällen lässt sich so
schneller bessern, als durch die operative Behandlung. Anatomisch
werden die Frauen nicht geheilt, aber sie werden beschwerdefrei.
Die Zeitdauer der Ausspülung beträgt zwischen 10 — 25 Minuten.
Abteilung1 für Kinderheilkunde.
Referent : Privatdozent Dr. B. B e n d i x - Berlin.
I. Sitzung Montag den 22. September 1902, Nachmittags 3 Uhr.
Vorsitzender: Herr Dr. S t r a n z - Karlsbad.
1. Herr F. Siege r t - Strassburg: Ueber die Ernährungs¬
therapie des kranken Säuglings.
Gegenüber, resp. neben dem ganz allgemein bisher herr¬
schenden Prinzip, dieNah rungdeskrank enSäug-
lings stets adäquat zu gestalten dem jeweili¬
gen Stande der Leistung seiner Verdauungs-
d i ü s e n, empfiehlt 8 i eg er t das andere, bisher noch
nicht systematisch angewendete und noch wenig' ausgebaute
Prinzip, durch Beibehaltung der unveränderten Nahrung den
spezifischen physiologischen Reiz aller Verdauungsdrüsen unver¬
ändert beizubehalten, sowie durch Verwendung von Erregern der¬
selben und von Fermenten der Verdauung als Zusatz oder bei
der Vorbereitung der Nahrung die Verdauungsarbeit
adäquat zu gestalten der normalen, unver¬
änderten Nahrung.
Nach eingehender Berücksichtigung des modernen Standes
der Physiologie der Verdauung mit spezieller Rücksicht auf die
Errungenschaften der letzten Jahre und unter Zurückweisung
einiger irrtümlicher Anschauungen über die Mechanik der Ver¬
dauung betont \ ortragender die Notwendigkeit der physio¬
logischen Reizung der Verdauungsdrüsen und die Möglichkeit
ihrer Unterstützung durch systematische Verwendung der vom
Magen, wie Pankreas gelieferten Sekrete als Zusatz zur Nahrung
— Salzsäure, Pepsin, Pankreasextrakte — , resp. zu deren Vor¬
bereitung Labferment, Pegnin. Auch die erregende Bedeutung
der Säure auf die Tätigkeit der Dünndarmverdauung, ferner des
Fleischextraktes, der dextrinierten Mehle, wird noch nicht ge¬
nügend gewürdigt. Durch genaue Ueberwachung der Verdau¬
ungsstörungen auf Grund der zuerst von Biedert angeregten
1 äzesuntersuchung erhalten wir die Indikationen zur Verwen¬
dung der Sekretionserreger und Regulatoren, wie sie an ein paar
praktischen Beispielen illustriert werden.
Aber zur vollen Leistung der physiologischen Therapie der
Verdauungsstörungen bedarf es noch eingehender Untersuchungen
der Physiologie und Pathologie der Verdauung des saugenden
Tieres und des Säuglings.
2. Herr Schlössmann - Dresden : Ueber Technik und
Bedeutung kalorimetrischer Bestimmungen bei der Ernährung
von Kindern.
Die kalorimetrische Untersuchungsmethode, deren Bedeutung
wohl im allgemeinen genügend gewürdigt wird, hat sich in der
Praxis noch wenig Eingang zu verschaffen gewusst, obschon der
Arzt heute gewohnt ist, mit Methoden zu arbeiten, die mindestens
die gleichen technischen Fertigkeiten erfordern. Hieran mag
zum Teil die Kompliziertheit, vielleicht auch der hohe Preis
schuld sein, den die kalorimetrischen Bestimmungsapparate
zeigten. Neuerdings haben wir jedoch in dem H e mp el sehen
Apparat einen solchen kennen gelernt, bei dem alle diese Ein¬
wände und Hinderungsgründe hinfällig werden.
Es wird der komplette, etwa 250 Mark kostende Apparat ein¬
gehend beschrieben und dargelegt , wie die einzelnen zur Ver¬
brennung kommenden Nahrungsmittel oder Ausscheidungsstoffe
des Körpers hiezu vorbereitet werden. Vor allem sind umfassende
Untersuchungen über die Milch gemacht worden. Es wurden
dabei folgende W erte gefunden :
1 g Milchzucker . 3,862,
1 g Kuhmilchfett . 9,246,
1 g Frauenmilchfett .... 9,392.
Der N der Kuhmilch ergibt pro Gramm einen Wärmefnktor
von 3879, d. li. diejenige Menge N-haltige Substanz der Kuhmilch,
die gerade 1 g Stickstoff enthält, gibt 3979 Kalorien. Während
dieser Wert für die Kuhmilch feststeht, ergeben die Frauenmilch¬
stickstoffbestimmungen etwas schwankendere Werte. Es findet
sich jedoch hier für die Mehrzahl der Fälle ein Faktor von 41,6.
Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass 1 g Frauenmilcheiweiss etwa
6,55 Kalorien haben würde. Dieser Wert ist entschieden zu hoch,
und erscheint liienach die Camerer sehe Annahme, dass sich
in der Frauenmilch noch unbekannte Substanzen finden, die sehr
stickstoffarm sind, von neuem gestützt. Was den Brennwert der
Frauenmilch anbetrifft, so schwanken unsere Untersuchungen
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
1676
zwischen 876 und 567 Kolorien, die erstere Milch hatte 5,1 Proz.,
die letztere 1,6 Proz. Fettgehalt.
Zum Schluss wird auf einen umfassenden Stoff- und Kraft¬
wechselversuch hingewiesen, bei dem ein 6 Monate altes Kind
je 5 Tage mit verdünnter Sahne, Frauenmilch, Buttermilch und
Buttermilch mit Sahne ernährt wurde. Bei diesem Versuche
findet man die Tatsache, dass der kindliche Organismus auch
ganz gewaltige Mengen von Eiweiss, wenn dasselbe nur in einer
leicht verdaulichen Form, wie in der Buttermilch, gereicht wird,
verdaut. Auch zeigt sich, dass der kalorimetrische Nutzeffekt
bei der Buttermilchernährung sogar noch ein grösserer ist, als
bei der Ernährung mit Frauenmilch, indem von dem letzteren
Falle von 2700 eingeführten Kalorien sich 221, im ersteren Falle
von 2985 nur 155 Kalorien im Stuhl wiederfanden. Entsprechend
ist die Zunahme 150, bezw. 210 g.
3. Herr Hecker: Die sogen. Abhärtung der Kinder.
JDie heute besonders in gebildeten Kreisen sehr verbreitete
Art, Kinder mittels verschiedener Kaltwasserprozeduren „syste¬
matisch“ abzuhärten, ist nicht nur unzweckmässig, sondern viel¬
fach direkt gesundheitsschädlich. Vortragender erhärtet das
durch eine Reihe von Fällen, in denen Kinder mit schweren
Anämien, Bronchialkatarrhen, Pneumonien, Darm- und nervösen
Affektionen lediglich durch Sistierung der Kaltwasserprozedur
vollständig geheilt wurden. Um ein besseres Urteil über Wert
und Unwert derartiger Abhärtungen zu gewinnen, stellte Vor¬
tragender Nachforschungen an 50 Kindern seiner Klientel an.
Von diesen 50 waren 25 im 1. Lebensjahre, 7 nach dem
1. Lebensjahre und 18 gar nicht systematisch abgehärtet. Vor¬
tragender unterscheidet zwischen mild Abgehärteten
(nimmt täglich Waschung, kühles Bad oder Abreibung) und
streng Abgehärteten (kalte Uebergiessung oder Kalt¬
wasserprozedur mehr als einmal täglich).
1. Wirkung der Abhärtung auf die Dis¬
position zu Erkältungskrankheiten: Von 16 nicht
Abgehärteten waren 5 = 31 Proz., von 13 mild Abgehärteten
5 = 38 Proz., von 21 streng Abgehärteten 13 = 62 Proz. aus¬
gesprochen empfänglich für Erkältungen.
Auffallender ist das Verhältnis noch bei Säuglingen. Von
15 streng abgehärteten Säuglingen waren 11 = 73 Proz. em¬
pfänglich.
2. Wirkung auf das Nervensystem. Bei milder
Abhärtung 3 mal günstige und 4 mal ungünstige, bei strenger
Abhärtung 4 mal günstige und 8 mal ungünstige Wirkung.
3. Wirkung auf die Psyche. Von 15 streng ab¬
gehärteten über 2 Jahren waren 7 abnorm reizbare, nervöse
Kinder; unter den nicht Abgehärteten war keines übertrieben
lebhaft oder abnorm reizbar.
4. Einfluss auf den allgemeinen Gesund¬
heitszustand und die allgemeine Krankheits-
d i s p o s i t i o. n. Von 15 nicht Abgehärteten blieben
8 = 53 Proz. in dem ersten Lebensjahre vollständig gesund, von
13 mild Abgehärteten 7 = 53 Proz., wogegen von 21 streng Ab¬
gehärteten nur 4 = 19 Proz. als gesunde Kinder sich entwickelten,
14 davon = 66 Proz. machten schwere Erkrankungen durch und
blieben richtige Sorgenkinder.
5. Abhärtung und adenoide Vegetationen.
Adenoide Vegetationen finden sich
bei nicht Abgehärteten in 20 Proz.,
bei mild Abgehärteten in 30 Proz.,
bei streng Abgehärteten in 40 Proz.
der Fälle.
Die übertriebene Abhärtung kann zu schweren Schädigungen
führen und zwar findet man schwere Anämien, Erkrankungen des
Gesamtnervensystems, wie Neurasthenie, Anorexie, Clamor noc-
turnus, psychische Reizbarkeit, Veränderung des Charakters etc.
Sie gewährt nicht nur keinen Schutz vor Erkältungen, sondern
erhöht sogar die Disposition hiezu; sie führt zu allen möglichen
chronischen Darmerkrankungen und bewirkt bei interkurrenten
. Krankheiten einen schweren Verlauf derselben.
Körperliche Abhärtung ist notwendig, nur geschehe sie durch
natürliche adäquate Mittel, welche wirklich geeignet sind, die
Widerstandskraft gegenüber Unbilden des Klimas zu erhöhen.
Solche Mittel sind nicht die sportartig betriebenen kalten
Güsse und Waschungen etc., sondern in erster Linie Luft (keine
Schlafsäcke, Blossliegenlassen, Nackt- und Barfusslaufen etc.),
ferner richtig angepasste Kleidung, Wasser nicht kälter und nicht
häufiger, als es sich mit dem Wohlbefinden verträgt.
Jede Abhärtung erfolge allmählich und unter sorgsamster
Beobachtung der Individualität des Kindes. Kein Abhärtungs¬
schema! Säuglinge sind überhaupt nicht abzuhärten, sondern
warm zu halten.
Anämische und nervöse Kinder dürfen nicht im gewöhn¬
lichen Sinne „abgehärtet“ werden.
4. Herr J. Comby - Paris : Die interne Behandlung der
tuberkulösen Peritonitis.
Comby kommt zu dem Schluss, dass ein grosser Teil von
Fällen von Peritonitis tuberculosa des Kindes- und J ünglings-
alters durch hygienische und medikamentöse Massnahmen heil¬
bar ist. Die Faktoren, welche die interne Behandlung der Peri¬
tonitis tuberculosa ausmachen, setzen sich zusammen aus : abso¬
luter Bettruhe, wochen- und monatelang, Sorge für frische Luft
und Sonnenlicht (offene Fenster, nach Süden gelegene Zimmer,
bei gutem Wetter Aufenthalt im Freien in portativen Betten
oder besonderen Krankenwagen), Berücksichtigung der Diät
(Milch, Eier, rohes Fleisch, Fleischsaft, Gemüsepuree, Aufenthalt
auf dem Lande, an der See (auch im Winter). Von medikamen¬
tösen Mitteln kommen in Betracht: Lebertran mit oder ohne
Kreosot, Glyzerin, phosphorsaurer Kalk ; ferner ausserdem
Kreosotölklystiere, Einreibungen des Abdomens mit Jod oder
grüner Seife.
5. Herr Schlossmann - Dresden : Ueber Tuberkulose
im frühen Kindesalter.
Schl, stellt 13 Sätze auf, denen wir folgendes entnehmen:
Im Säuglingsalter überwiegt die reine Tuberkulose, die mit
anderen Infektionen nicht vergesellschaftet ist. In vielen Fällen
verläuft die Tuberkulose im Säuglingsalter vollkommen fieber¬
frei. In weitaus der Mehrzahl der Fälle vermag man im Sputum,
sowie im Stuhl Tuberkelbazillen nicht mikroskopisch nach¬
zuweisen. Bei negativem mikroskopischen Befund ergibt zu¬
weilen die Verimpfung des Auswurfs auf Meerschweinchen noch
positive Erfolge. Das einzig diagnostische Hilfsmittel, um die
Tuberkulose im Säuglingsalter mit Sicherheit festzustellen, ist
das Tuberkulin. Sachgemäss ausgeführt ist die Tuberkulin¬
probe bei Säuglingen a) vollkommen unschädlich, b) ein dia¬
gnostisches Hilfsmittel, das vollkommen eindeutige Resultate er¬
gibt. Aus diesen Gründen ist die Benutzung des Tuberkulins
besonders im Säuglingsalter nicht nur gestattet, sondern sogar
notwendig (Infektion der Ammen, bezw. anderer Kinder durch
saugende Tuberkulöse). Charakteristisch für die Tuberkulose des
Säuglingsalters ist die frühzeitige intensive Erkrankung der
Bronchialdrüsen, zumal an der Bifurkation. Ob dies jedoch
den primären Sitz der Erkrankung darstellt, steht nicht für alle
Fälle fest, da zuweilen der primäre Herd in den Tonsillen sicher-
gestellt werden kann. Der Eingang der Tuberkelbazillen dürfte
überhaupt zuweilen in den Tonsillen und in der Nasenrachen-
schleimhaut zu suchen sein.
Auch bei ganz jungen Säuglingen, bei denen die Krankheit
in den ersten Lebenswochen zum Ausbruch kommt, haben wir
eine Infektion post partum als die Regel anzunehmen. In solchen
Fällen erweisen sich die portalen Lymphdrüsen als nicht in¬
fektiös bei der Verimpfung.
Anatomisch überwiegt die subakute Form der Tuberkulose.
Ausgedehnte Verkäsung mit Kavernenbildungen sind durchaus
keine Seltenheiten, hingegen bildet das Vorkommen von tuber¬
kulöser Meningitis, überhaupt von tuberkulöser Affektion des Ge¬
hirns, sowie die Knochentuberkulose eine Ausnahme.
In jedem Falle von Tuberkulose im Säuglingsalter gelingt
es, bei genügender Nacliforschung festzustellen, dass das Kind
in enge Berührung mit einer tuberkulösen Person gekommen ist.
Die tuberkulöse Infektion durch Milchgenuss spielt in der Aetio-
logie der Säuglingstuberkulose in Deutschland keinerlei Rolle.
6. Herr Brunning: Ueber Genitaltuberkulose.
Die ausführliche Arbeit ist in der „Monatsschr. f. Geburtsh.
u. Gyn.“ erschienen.
7. Oktober 1902.
MUENCIIENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1677
Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Medizin
und der Naturwissenschaften.
Hauptversammlung zu Karlsbad am 24. Sep¬
tember 1902.
(Eigener Bericht.)
In ihrer Hauptversammlung nahm die „Deutsche Ge¬
sellschaft für Geschichte der Medizin und der
Natui wissen schäfte n“ zuerst den Jahresbericht und
den Kassenbericht entgegen. Der Zuwachs an Mitgliedern betrug
mehr als 100, der Kassenbestand wies über 1400 M. auf. Nach
Durchberatung und definitiver Annahme der Satzungen in
2. Lesung schritt man zur Wahl des Vorstandes, der sich jetzt
aus folgenden Herren zusammensetzt: San.-Rat Dr. Karl Sud¬
hoff (1. Vorsitzender), Prof. Dr. Georg W. A. K a h 1 b a u m -
Basel (2. Vorsitzender), Dr. Emil W ohlwill - Hamburg
(Schatzmeister), Prof. Dr. Siegmund G ü n t h e r - München,
Prof. Dr. Julius LPagel- Berlin, Prof. Dr. Viktor F osse 1 -
Giaz, Dozent Dr. Max hl euburger - Wien. Von den „Mit¬
teilungen der Gesellschaft sind bisher 3 Hefte im Gesamt¬
umfange von 19 Bogen, welche ein erschöpfendes Referat über
aüe Erscheinungen auf dem Gebiete der Geschichte der Natur¬
wissenschaften und der Medizin neben kurzen Originalmit¬
teilungen bringen, erschienen. Ein 4. Heft wird im November
den 1. J ahrgang zum Abschlüsse bringen. Für 1903 sind 6 Hefte
zu 4 Bogen in Aussicht genommen. Die Mitteilungen gehen den
Gesellschaftsmitgliedern kostenlos zu (Jahresbeitrag 10 M.) Die¬
selben sind durch den Buchhandel nur in ganzen Bänden zum
Preise von ca. 15 M. zu beziehen. Nach der Bewilligung eines
dauernden Beitrages zur Ausgestaltung des mediko-historischen
Kabinets im Germanischen Museum, der freilich mit Rücksicht
auf die schwache lundierung der jungen Gesellschaft einstweilen
noch bescheiden bemessen werden musste, ging die Gesellschaft
zur Besprechung- des jüngsten „E alles S chweninger“
über. . Es lag ein vortrefflich begründeter Antrag des Herrn
Medizinalrates Dr. Hermama Baas in Worms vor, gegen die
Besetzung von Lehrstühlen der Geschichte der Medizin und der
A aturwissenschaften durch Männer ohne Vorbildung und Be¬
tätigung in diesen Fächern Einspruch zu erheben. Nach kurzer
Aussprache wui’de die folgende Resolution einstimmig ange¬
nommen: „Die zur Hauptversammlung des Jahres 1902 zu¬
sammengetretene Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Me¬
dizin und der Naturwissenschaften spricht über die jüngste Er-
teilung eines Lehrauftrages für Geschichte der Mediziia ein-
stimmig ihr Bedauern aus und geht hiermit zur Tagesordnung
über“. Von der Veröffentlichung der zahlreich eingelaufenen
Unterschriften zu dem in dieser Wochenschrift zuerst veröffent¬
lichten I rötest wurde abgesehen. Liebhaftes Interesse erweckten
die Nachrichten über die gegenwärtig auf der Insel Kos statt¬
findenden Ausgrabungen des Herrn Privatdozenten Herzog
in 1 übingen, welche sich die Aufdeckung des Asklepieions zum
Ziele gesetzt haben, in dem Ilippokrates der' Grosse gewirkt hat.
Leider fehlen noch 4000 — 5000 M., welche die sichere Erreichung
dieses hehren Zieles ermöglichen würden. Will keiner unserer
reichen Berufsgenossen dem kenntnisreichen, zielbewussten
jungen Gelehrten diese Beisteuer geben? Keine Kapitalanlage
könnte herrlichere Zinsen tragen! S.
27. Versammlung des Deutschen Vereins für öffent¬
liche Gesundheitspflege
in M ii nche n, 17. bis 20. September 1902.
(Eigener Bericht.)
II. 2. Tag.
Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Land in gesundheit¬
licher Beziehung.
Referent : Geh. Medizinalrat Dr. E. R o t h - Potsdam.
Roth hat folgende Leitsätze aufgestellt:
Da die gesundheitlichen Einrichtungen/ des Landes in seinei
Allgemeinheit hinter denjenigen der Städte, namentlich dei
Grobs- und Mittelstädte, auf dem Gebiete der Wüsserversorgung
der Beseitigung der Abfallstoffe, der Seuchentilgung, des Ver¬
triebs von Nahrungs- und Genussmitteln u. a. zurückstehen, sind
die Städte durch den stets reger werdenden Verkehr zwischen
Stadt und Land gesundheitlich gefährdet. An dieser Gefährdung
sind auch die Garnisonen beteiligt.
Durch die Verkehrs- uiad wirtschaftlichen Beziehungen
können Infektionskrankheiten, namentlich Typhus, verbreitet
werden. Ausser dem direkten Verkehr kommt das Wasser der
Flüsse, Bäche, Teiche, Seen (auch in gefrorenem Zustand), so¬
wie der Brunnen als Vermittler in Frage, ferner Nahrungs- und
Genussmittel, namentlich Milch und deren Produkte, Obst, Ge¬
müse etc.
Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Gast- und Schank¬
wirtschaften auf dem Lande, sowie die einheimischen und fremd¬
ländischen V anderarbeiter, ferner infolge der regeren Verkehrs¬
beziehungen die Vororte, die Sommerfrischen, Bade- und Kur-
orte und die Industriebezirke.
Die Stadt gefähi'det das Land ausser durch die verunreinigte
Stadtluft hauptsächlich durch die Verschleppung ansteckender
Krankheiten, wobei der Verkehr, Nahrungs- und Genussmittel
und die Abfallstoffe des menschlichen Haushaltes als Vermittler
in Frage kommen.
An der Sanierung des Landes hat die Stadt ein um so grös¬
seres Interesse, als das Land an sich für die Gesunderhaltung
der Städter von der grössten Bedeutung- und in Zeiten körper¬
licher und geistiger Not unentbehrlich ist.
Im einzelnen schildert Roth zunächst die allgemein gel¬
tenden Baubestimmungen auf dem Lande für die Einrichtung von
Brunnen, Düngergruben u. dgl., die im Vergleich zu den grossen
und mittleren Städten sehr viel zu wünschen übrig lassen. Mensch
und Tier bezieht sein Trinkwasser aus offenen Flussläufen,
stehenden Teichen und Tümpeln, aus Schöpfbrunnen, welche
aus schlecht gemauerten sogen. Kesselbrunnen bestehen; der
L,andbewohner zieht das weiche, wenn auch verunreinigte Wasser
dem harten vor. Ganz besonders schlecht sind die Verhältnisse
im Osten von Deutschland, während im Süden und Wüsten auch
bei kleinen Gemeinden zentrale Wasserversorgungsanlagen zu
finden sind. Die Entstehung von Seuchen ist natürlich unter
solchen Verhältnissen eine stete Gefahr, die noch erhöht wird
durch das ungenügende Reinlichkeitsbedürfnis. Denn Baden
ist auf dem Lande Luxus, Badeanstalten sind auf dem Lande
eine Seltenheit ; dafür nehmen z. B. in Bayern die Hauterkrank-
ungen auf dem Lande zu.
Aehnlich wie bei der Wasserversorgung liegen die Verhält¬
nisse bei der Bauart der Häuser, bei deren Anlage Wohnungen
und Stallungen oft in so enger Beziehung zu einander stehen,
dass bezüglich des Luftwechsels die schlimmsten Zustände be¬
stehen. Auch hinsichtlich der Auswahl des Baumaterials, das
meist der nächsten Umgebung entnommen wird, und des Bau¬
platzes ist eine Sorglosigkeit nicht nur in feuer- und sicher¬
heitspolizeilicher Hinsicht, sondern auch in gesundheitlicher Be¬
ziehung zu konstatieren, die sich schon in der Lage des Dünger¬
haufens oft genug hinreichend charakterisiert. Die kleinen
städtischen Wohnungen sind ja allerdings wegen der schlechteren
Licht- und Luftverhältnisse, wegen der Ueberfüllung an Men¬
schen und hauptsächlich deswegen noch viel bedenklicher, weil
sie sogar oft als Wohn- und Schlaf raum und Arbeitswerkstätte
zugleich dienen, während die Landbewohner sich doch nur die
geringste Zeit des Tages innerhalb des Hauses auf halten. Da¬
gegen sind auf dem Lande die Unterkunftsräume der aus¬
ländischen V anderarbeiter, z. B. in der Ziegeleibranche, durch¬
aus ungenügend. Redner verweist dabei auf die sogen. Sachsen-
gängerei.
Die Ernährung der Landbewohner ist im allgemeinen eine
schlechtere als die der Städter, immerhin ist sie im Süden besser
als im Norden Deutschlands, wo die Kartoffel die Hauptrolle
spielt. Uebrigens betont Roth hier mit Recht, dass alte Ge¬
wohnheiten, auch in der Ernährung, einem Bauern nicht aus¬
zutreiben sind. Recht schlimm sind auf dem Lande die Zu¬
stände der Armen-, Kranken- und Siechenhäuser samt der in
denselben gebotenen Verpflegung, als auch der Schulhäuser,
welche teils Schulen, teils Lehrerwohnung sind. Die Kinder
sind aber auch sehr viel im Freien, so dass die schlechten Schul¬
verhältnisse dadurch ausgeglichen werden. Bei der meist im
Freien auszuführenden ländlichen Beschäftigung werden übrigens
Sinnesorgane und Muskeln gleichmässig in Anspruch genommen.
Die Verschiedenheit zwischen Stadt und Land findet ihren
Ausdruck in der Mortalität und Morbidität. Durch die Ver¬
schiebung der Altersklassen — die mittleren arbeitskräftigen
1678
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Lebensalter ziehen nach den Städten — ist besonders die Kinder¬
sterblichkeit eine erhöhte und zwar auch noch dadurch, dass in
den allerseltensten Fällen ein Arzt zugezogen wird und die Pflege
und Ernährung des Säuglings überhaupt eine äusserst mangel¬
hafte ist. Auch finden sich auf dem Lande relativ viel mehr
Totgeburten als in der Stadt.
Durch die gegenseitigen Verkehrs- und wirtschaftlichen Be¬
ziehungen werden nun leicht Infektionskrankheiten aus den
unter schlechteren hygienischen Verhältnissen stehenden Vor¬
orten oder angrenzenden Gemeinden in die Städte verschleppt.
In erster Linie kommt hier der Typhus in Betracht. Die Ein¬
schleppung kann einmal durch infiziertes Quellwasser geschehen,
indem aus infizierten Ortschaften das verunreinigte Wasser über
Wiesen und Aecker läuft, welche als zu kleine Filtrierschicht
auf zerklüftetem Gestein aufliegen, so dass die Typhuskeime
in ungenügend filtriertem Wasser in die Quellwasserleitungen
gelangen. Ein zweiter Hauptinfektionsträger ist die Milch.
Die Forderungen der Reinlichkeit beim Gewinn und Vertrieb der
Milch, besonders in den Sammelmolkereien, sind recht minimal
und das Reinlichkeitsbedürfnis bei dem ländlichen Vertrieb von
Nahrungsmitteln überhaupt ist ein oft erschreckend kleines.
Endlich sind als Infektionsträger noch Gemüse, Kartoffeln und
Obst anzusehen.
Eine grosse Gefahr für die Städte bilden ausserdem auch
noch die an Infektionskrankheiten leidenden Kinder, welche
nicht nur zum Arzt in die Stadt getragen werden, sondern mit
denen dann noch allerhand andere Geschäfte erledigt werden.
Umgekehrt kann auch die Stadt das Land ungünstig beein¬
flussen ausser durch die verunreinigte Stadtluft, die sich auf
Entfernung von Kilometern geltend macht, hauptsächlich da¬
durch, dass die Landbewohner ihre gewerblichen Stoffe aus der
Stadt beziehen; die Abfallstoffe des menschlichen Haushaltes
spielen in der Landwirtschaft eine grosse Rolle. Der Verkehr
zwischen Stadt und Land kann, abgesehen von den in letzter
Zeit überhandnehmenden Radlerausflügen, auch dadurch schäd¬
lich wirken, dass z. B. die Städter ihre keuchhustenkranken
Kinder auf das Land schicken, während umgekehrt z. B. die Sol¬
daten aus dem Manöver Typhus und kontagiöse Augenerkrankung
mit in die Städte schleppen. Andrerseits wohnen viele Arbeiter,
welche in der Stadt ihr Brot verdienen, auf dem Lande, wodurch
die Verkehrsbeziehungen zwischen Stadt und Land regere und
die Hauptschädigung der städtischen Bevölkerung, Alkohol und
Geschlechtskrankheiten, auch auf das Land übertragen werden.
Nachweislich nehmen Herz- und Nierenkrankheiten auf dem
Lande ganz erheblich zu. Von den Arbeitern auf den Riesel¬
gütern ist es schliesslich nicht zu verwundern, wenn diese einer
Infektionskrankheit erliegen.
Die Städter haben nun allen Grund, an einer Sanierung
des Landes eifrig mitzuarbeiten. Roth hat deshalb eine Reihe
von Massnahmen zur Sanierung des Landes aufgestellt, welche
der Hauptsache nach hier folgen sollen.
Zunächst will Roth durch regelmässige Ortsbesichtigungen
des Medizinalbeamten, soweit möglich in Gemeinschaft mit den
Gesundheitskommissionen, auf die Verbesserung der Hygiene
des Landes hinwirken und das Verständnis hierfür wecken, be¬
sonders für Sauberkeit und Reinlichkeit am Körper und in IIau3
und Hof, wie beim Vertrieb von Nalirungs- und Genussmitteln,
für Bau- und Wohnungshygiene, für Wohnungspflege, rationelle
Ernährung etc.
Die Beobachtung der wichtigsten Forderungen der Bau- und
Wohnungshygiene ist durch Gesetz bezw. baupolizeiliche Vor¬
schriften sicherzustellen, besonders die Trennung von Stallungen
und Wohnung, die Anlage der Aborte, die vorschriftsmässige Be¬
seitigung der menschlichen und tierischen Abfallstoffe und der
Abwässer sind in erster Linie zu berücksichtigen. Eine beson¬
dere Beachtung erfordern die Abort- und Abwasseranlagen auf
den Grundstücken der Gast- und Schankwirtschaften, welchen
Roth ganz besonders kräftig zu Leibe gegangen ist, sowie der
öffentlichen Gebäude (Schulen, Gemeindehäuser etc.). Die An¬
forderungen für Einzelgehöfte, sowie für Ortschaften mit offener
Bauweise sind entsprechend geringer zu stellen.
Die an Wasserentnahmestellen für Trink- und Gebrauchs¬
zwecke zu stellenden Forderungen, namentlich auch hinsichtlich
der Entfernung von Abort- und Düngergruben, sowie Stallungen,
sind durch besondere polizeiliche Vorschriften nebst Ausführungs¬
anweisung sicherzustellen, Dreh-, Zieh- und Schöpfbrunnen sind
No. 40.
bei Neuanlagen unzulässig. Wo die Schaffung eines einwand¬
freien Wassers aus örtlichen Gründen besonderen Schwierig¬
keiten begegnet, ist eine Beteiligung der weiteren Kommunal¬
verbände und des Staates im öffentlichen Interesse geboten.
Besondere Anforderungen sind an die Gemeindebrunnen, Schul-
brunnen, die Brunnen auf den Grundstücken der Gastwirt¬
schaften und gewerblichen Anlagen (Sammelmolkereien, Meie¬
reien, Fleischereien, überhaupt auf allen Gewerbebetrieben,
welche mit Nahrungs- und Genussmitteln sich befassen) zu
stellen. Die Schaffung zentraler Wasserversorgungsanlagen
bleibt in erster Linie erstrebenswert. Redner rühmt mit gutem
Recht, dass in dieser Beziehung in Bayern schon ausserordent¬
lich viel geschehen sei, und wünscht, dass auch Preussen sich
diesen Punkt sehr angelegen sein lasse, denn hier seien z. T. über¬
haupt keine Wasserleitungen vorhanden und die vorhandenen
seien unzulänglich.
Unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und
Lebensgewohnheiten sind Musterentwürfe ländlicher Wohnhäuser
für ärmere Bauern etc. der ländlichen Bevölkerung zur Ver¬
fügung zu stellen; Familienwohnungen sollen aus mindestens
2 heizbaren Räumen bestehen. Besonderes Augenmerk ist auf
die Reinhaltung der Hauptverkehrsstrassen, auf die Gräben
und Tümpel, Höfe und Gärten zu richten.
Zur Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten
ist neben dem Erlass zeitgemässer Seuchen -hygienischer Vor¬
schriften die Bereitstellung schneller ärztlicher Hilfe, geeig¬
neten Pflegepersonals, leicht erreichbarer Krankenunterkunfts¬
räume, sowie von Desinfektionseinrichtungen und Desinfektoren
erforderlich. Die bakteriologische Untersuchung erster ver¬
dächtiger Fälle, besonders von Typhus und Cholera, das Recht
der Initiative des Medizinalbeamten bei drohender Gefahr, Be¬
lehrung der Bevölkerung und die Bekämpfung der Unsitten des
sogen. Umhaltens oder Rundessens, sowie des Leichenschmauses
bei ansteckenden Krankheiten sind die hauptsächlichsten Mo¬
mente bei der Bekämpfung der Infektionskrankheiten auf dem
Lande. Notwendig ist ferner die Beschaffung eines Leichen¬
raumes in jeder Ortschaft.
Die sachgemässe Organisation der Krankenpflege hinsichtlich
des Personals und Materials und die Ausdehnung der Kranken¬
versicherung auf die land- und forstwirtschaftlichen Ai-beiter
sind in die Wege zu leiten.
Die Einwirkung der landwirtschaftlichen Beschäftigung
auf jugendliche Arbeiter und hochschwangere Frauen, sowie die
Hausindustrie und deren Folgen sind durch die Medizinal¬
beamten zu überwachen. Ferner ist Sorge zu tragen für ratio¬
nelle Ernährung, besonders der Säuglinge und Kinder, für eine
regelmässige Nahrungsmittelkontrolle, wobei besonders auf die
Ueberwachung des Milchverkehrs sowohl in den Sammel¬
molkereien als auch beim Kleinbetrieb und an den Produktions¬
stellen das grösste Gewicht zu legen ist. Beim Auftreten an¬
steckender Krankheiten soll der Verkauf von Milch und son¬
stigen Nahrungsmitteln aus der betreffenden Haushaltung so
lange verboten sein, als nach dem Gutachten der Medizinal¬
beamten die Gefahr einer Verschleppung von Krankheitskeimen
vorliegt. Vorratsräume und Wohn- und Schlafräume müssen
genügend getrennt sein. In den Sammelmolkereien müssen die
gesamten Milchvorräte zuverlässig pasteurisiert werden. Auf
dem Gebiete der Schulhygiene gehören die Begutachtung der
Baupläne, dos Bauplatzes und Schulbesichtigungen zur Tätig¬
keit des Amts- und Schularztes. Sachgemässe und gründliche
Reinigung der Schullokalitäten soll, aber nicht von Schul¬
kindern, regelmässig ausgeführt werden. In Ermangelung der
sehr wünschenswerten Schulbäder ist den Kindern durch Be¬
reitstellung von Wasser, Seife, und Handtuch Gelegenheit zum
Waschen der Hände zu geben. Voraussetzung für die Durch¬
führung dieser Massnahme ist ein gewisses Verständnis für die
Aufgaben der Dorfhygiene, was wohl am besten durch Aufnahme
der wichtigsten Regeln der Gesundheitspflege in das Lehr¬
programm der Gemeindeschulen und der höheren und niederen
landwirtschaftlichen Schulen erreicht wird. Um die Forderungen
der Hygiene durchzuführen, sind in Industriebezirken, in
Sommerfrischen, Bade- und Kurorten die Bildung von Gesund¬
heitskommissionen vorzusehen und die obligatorische ärztliche
Leichenschau einzuführen. Auch müssen von solchen Ortschaften
gewerbliche, mit Verunreinigung der Luft einhergehende An¬
lagen ferngehalten werden und in allen verkehrsreichen Orten
7. Oktober 1902.
MUENCLIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1679
empfiehlt sich die Organisation eines allgemeinen Rettungs¬
dienstes. (Soviel mir bekannt ist, besteht in Bayern wenigstens
fast in jeder kleineren und grösseren Stadt, eine Sanitätskolonne.
Ref.)
Da die Städte nicht bloss wirtschaftlich, sondern auch ge¬
sundheitlich auf die Ruhe in Wald und Feld angewiesen sind,
so ist die Erhaltung von Wäldern in der Nähe von Grosstädten
unbedingt notwendig. Es ist eine eigentümliche Tatsache, dass
in demselben Masse, in dem die Städter zur Erholung das Land
auf suchen, die ländliche Jugend in die Städte strömt, um dort
vielfach an ihrer Gesundheit Schaden zu nehmen. Die haupt¬
sächlichste Ursache dieser Landflucht ist das geringere geistige
und sittliche Kulturniveau der Landbevölkerung. Dieses zu
heben, ist die Hauptaufgabe, worauf E. W. Riehl schon m den
60 er J ahren hingewiesen hat.
In der äusserst lebhaften Diskussion forderte zunächst B a u -
m e i s t e r - Karlsruhe, dass die in der Umgebung der Städte be-
flndlichen TV älder unter Hintansetzung forstfiskalischer Interessen
durch Anlage von Spaziergängen, Vermeidung von hässlichen Ab-
holzungssti eif en dem Publikum zugänglicher gemacht werden
sollen, wie das beim Grunewald zum Teil schon der Fall sei. Im
übligen wünscht er auch in der Frage der Dorfhygiene ein reichs¬
gesetzliches Eingreifen. *
•Gärtner - Jena weist darauf hin, dass es bezüglich der Rein¬
heit der Quellen immer auf die lokalen Verhältnisse ankomme und
verlangt, dass besonders Quellen in der Umgebung oder innerhalb
der Ortschaften stets von Aerzteu untersucht werden sollten. Auch
wünscht er, dass die Verwaltungsbeamten auf dem Lande sich
etwas mehr als bisher für die Landhygiene interessierten.
E r i s m a n n - Zürich macht sehr interessante Mitteilungen
über die günstigen Erfolge, die auf dem Gebiete der Hygiene im
europäischen Russland mit den dort seit 1863 eingerichteten Land¬
schaftsärzten erzielt worden sind.
P e t r u s c h k y - Danzig >jnacht darauf aufmerksam, dass in
den Städten die meisten Typhusfälle nachweislich zusammenfallcn
mit den ersten Erdbeeren und Kirschen, überhaupt mit dem Beginn
der Obstzeit, und empfiehlt daher, das Obst vor dem Genuss zu
waschen.
Schmidt- Darmstadt geht von dem Gedanken aus, dass es
ebensogut schlechtes Quell- und gutes Grundwasser als gutes
Quell- und schlechtes Grundwasser gebe. Er verlangt, dass auch
in Dörfern beim Bebauungsplan von vornherein auf die Möglich¬
keit einer späteren Entwässerung Rücksicht genommen wird.
Privatdozent Sinzheimer - München verbreitet sich über
den Einfluss der Lebensmittelzölle auf die grossindustrielle Ar¬
beiterschaft. Doch gehört dieser von ihm angenommene Ausfall
im Vortrag des Referenten nicht in das Gebiet der Hygiene.
Als letzter Diskussionsredner glaubt Sanitätsrat Liebe-
s c li ii t z, eine Lanze für die Sanitätskolonnen brechen zu müssen.
Nach kurzer Pause erstattete dann Prof. Dr. R. Emmerich-
München Bericht über:
Das Bäckergewerbe vom hygienischen Standpunkt für den
Beruf und die Konsumenten.
Nachdem das Brot einen Hauptbestandteil der menschlichen
Nahrung bildet, sollte man meinen, dass bei seiner Herstellung
alle hygienischen Forderungen aufs peinlichste erfüllt würden.
Nach den Beobachtungen des Redners herrschen jedoch gerade
im Bäckergewerbe noch fast mittelalterliche Zustände. Während
in England schon im Jahre 1863 die Bäckereien der Aufsicht
der Staatsinspektion unterworfen wurden und die Arbeitszeit
der Bäckergesellen geregelt worden war, war es in Deutschland
nicht die Gesundheitsbehörde, sondern die Sozialdemokratie,
welche auf die geradezu grauenhaften Zustände im Bäckerge¬
werbe aufmerksam gemacht hat, allerdings gewiss nicht nur
aus reiner Nächstenliebe. Emmerich bedauert, dass er be¬
züglich der hygienischen Verhältnisse im Bäckergewerbe erst
heute auf Zustände aufmerksam mache, die schon vor 40 Jahren
hätten abgestellt werden müssen. An der Hand der statistischen
Erhebungen der Bäcker und Berufsgenossen Deutschlands (Ham¬
burg 1898) sowie der Reden, welche darüber Bebel, Molken-
b u h r u. a. im Reichstag gehalten haben, schildert E m m e -
rieh die geradezu grauenhaften Misstände, die in vielen Bäcke¬
reien Deutschlands in Bezug auf Arbeitszeit, Lage, Grösse, Be¬
leuchtung, Beheizung und Ventilation der Arbeitsräume, Ent-
wässerungs- und Abortanlagen, Wasch- und Badegelegenheit etc.
herrschen. Die Arbeitszeit der Bäckergehilfen ist oft sehr aus¬
gedehnt. In Hamburg arbeiten z. B. 56 Bäckereien 13 — 20 Stun¬
den lang. In München arbeiteten 1889 von 607 Bäckergesellen
nicht weniger als 505 14 — 20 Stunden. Das hat sich allerdings
gebessert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Arbeit der
Bäckergesellen eine geradezu menschenverwüstende ist, die sich
noch dazu vielfach in Räumen vollzieht, die nicht einmal für den
Aufenthalt von Tieren geeignet erscheinen. Die Arbeitsräume
liegen meist in Kellern, 3 4 m unter dem Strassenniveau und
ohne Fenster oder nur mit solchen nach dem Hausflur, der selbst
ungenügend belichtet ist. Und dazu kommt eine Temperatur von
40 45 0 O., wobei auf den einzelnen Arbeiter oft nur 4 — 8 cbm
Luftraum treffen. Emmerich hat in einer solchen mit
Wasserdämpfen gesättigten Luft in einer Münchener Backstube
2,4 Proz. Kohlensäure gefunden. Mit der Reinlichkeit der Back¬
stuben und der Arbeitsgeräte sowie mit der Beschaffenheit der
Schlafstellen ist es ebenfalls sehr schlecht bestellt. Die Back¬
stuben werden häufig zum Trocknen der Wäsche, namentlich der
Kinderwäsche benützt, dann auch zum Schweineschlachten und
«fls Hühnerstall. In München werden 24 Bäckereien überhaupt
nicht feucht gereinigt, andere Backstuben werden monatlich
oder vor Festtagen oder überhaupt nicht gereinigt. Es ist daher
nicht wunderbar, wenn der Schmutz fingerdick an den Wänden
sitzt. Die Schlafstuben der in solchen, jeder Kultur hohn¬
sprechenden Räumen arbeitenden Bäckergesellen befinden sich
dann neben dem Schweinstall, oder unter dem Dach neben dem
Taubenschlag, oder über der Kegelbahn, oder auch dicht über der
Backstube, in einem Raum ohne Fenster, ohne Luft und Licht.
Dass unter solchen V erliältnissen eine andauernde Kohlensäure¬
vergiftung den Körper auf das allerempfindlichste schädigen
muss, bedarf wohl keines Beweises. Die Reinlichkeit solcher
Schlafräume entspricht ganz ihrer örtlichen Lage. In München
werden 27 Betten von je 2 Gehilfen, 8 davon abwechselnd, ausser¬
dem öfters 2 3 Betten übereinander zum Schlafen benützt. Die
Bettwäsche wird in 13 Fällen halbmonatlich, in 7 Fällen halb¬
jährlich, in 6 Fällen überhaupt nicht gereinigt. Die meisten
Bäckergesellen sind genötigt bei Tag zu schlafen, und da dieser
Schlaf auch oft nur 5—6 Stunden beträgt, so kann der Körper
unmöglich sich von der anstrengenden Arbeit genügend aus¬
ruhen.
Eine ganze Reihe von Erkrankungen, welche fast spezifisch
für das Bäckergewerbe sind, sind natürlich die Folge dieser ent¬
setzlichen Zustände. O-Beine, X-Beine, Stauungen in den
unteren Extremitäten sind abgesehen von Verletzungen, be¬
sonders Verbrennungen und Verbrühungen, die hauptsächlich¬
sten Krankheitsformen, zu denen dann Bronchial- und andere
Katarrhe der Luftwege hinzukommen. Allen diesen Erkran¬
kungen aber voran sind die Hauterkrankungen im Bäckergewerbe
zu nennen, welche ihre Hauptursache weniger im Mehlstaub
haben, als besonders darin, dass durch die hohe Temperatur und
den starken. Feuchtigkeitsgehalt der Luft die Bakterien leichter
m die erweiterten Drüsenausführungsgänge eindringen können.
Andere Krankheitsformen, die noch im Bäckereigewerbe Vor¬
kommen, sind z. B. Kohlenoxydvergiftungen, Rheumatismus, In¬
fektionskrankheiten aller Art und ganz besonders häufig Ge¬
schlechtskrankheiten; letztere haben ihren Grund einmal darin,
dass nur 7 Proz. aller Bäckergesellen verheiratet sind, und dann
in der geistigen und moralischen Versumpfung, in welcher sich
dieselben infolge der geschilderten Verhältnisse befinden, zu¬
mal bei ihnen infolge der überanstrengenden Arbeit und der
sonstigen unwürdigen Lebensbedingungen alles höhere Streben
und das Gefühl der Menschenwürde sehr bald erstirbt.
Wenn trotz alledem die Sterblichkeit unter den Bäcker¬
gesellen keine grössere ist als bei den übrigen Menschen, so liegt
das hauptsächlich daran, dass sehr viele schon mit dem 25. bis
30. Lebensjahr aus dem Bäckereigewerbe ausscheiden, entweder
weil sie invalid geworden sind oder weil sie heiraten. Die Bäcker¬
gesellen sind demnach fast ausschliesslich Leute im besten und
leistungsfähigsten Alter.
Für den Konsumenten unappetitlich, wenn auch nicht ge¬
fährlich, ist die monatelange Benützung der Back- und Hand¬
tücher, die oft voll Schmutz sind. In vielen Betrieben ist nicht
einmal eine Waschgelegenheit vorhanden oder, was mit einer
direkten Gefahr verbunden ist, es werden, wie in 16 Fällen in
München, Eimer, die zugleich zur Arbeit verwendet werden, auch
zum Waschen benützt. Nachdem das gebackene Brot mit Wasser
aus diesen Eimern bestrichen werden muss, besteht die Gefahr,
dass unter Umständen auch Typhus- und Cholerakeime auf das
gebackene Brot kommen. Ein derartiges Vorgehen erfordert eine
strenge Bestrafung eventuell sogar im Wiederholungsfall Ent¬
ziehung der Konzession. Durch die unheimliche Hitze und die
mit Wasserdampf übersättigte Luft wird selbstredend bei der
anstrengenden Arbeit die Schweissekretion erheblich gesteigert
1680
No. 40.
MU EN CI IE NEE MEDICTNISOHE WOCHENSCHRIFT.
und der Schweiss der Bäckergesellen, die unter solchen Verhält¬
nissen oft nur mit einer Hose, oft überhaupt nicht bekleidet sind,
was übrigens die Gesittung der Bäcker auch nicht gerade sehr
hebt, fiiesst dann in den Backtrog oder auf das Brot, und nicht
immer ist es nur Schweiss von gesunden, sondern auch Schweiss
von kranken Bäckern. Das in den Bäckereien massenhaft vor¬
kommende Ungeziefer (Käfer, Geradflügler, Ratten, Mäuse etc.)
kann in nicht assanierten Städten pathogene Bakterien aus dein
Boden, den Aborten auf die Backwaren übertragen. Die Be¬
seitigung dieses Ungeziefers muss vor allem ganz energisch ge¬
fordert werden. Referent zeigte Brote, die mit schwarzen Punk¬
ten bedeckt sind, und bemerkt dazu, das Publikum halte dies
glücklicherweise meist für Kohle, in Wirklichkeit seien es aber
Exkremente von Schwaben, die oft zu Tausenden die Backstuben
bevölkern.
Zur Beseitigung aller dieser schauerlichen Misstände glaubt.
Emmerich nur ein Radikalmittel in der Zentralisierung der
Bäckereien vorschlagen zu können, ähnlich wie dies bei dem
Metzgergewerbe durch Errichtung der Zentralschlachthäuser ge¬
schehen ist. Die Stadtverwaltungen sollten an bestimmten Stellen
der Peripherie die nötige Anzahl von Bäckereien errichten, die
sich um einen gemeinsamen Kamin gruppieren. Bis dieser Ge¬
danke durchgeführt sei, hält Redner die Einführung der von dem
preussischcn Ministerium für Handel und Gewerbe und des
Inneren vorbereiteten Bestimmungen für Bäckereien und Kon¬
ditoreien für notliwendig. Die Schädigung der Gesundheit und
des Lebens der Arbeiter und Lehrlinge durch übermässige Nacht¬
arbeit wurde wesentlich eingeschränkt, wenn auch nicht ganz be¬
seitigt durch die Verordnung des Bundesrats von 1896, durch
welche im allgemeinen die Arbeitszeit auf 12 Stunden täglich
normiert und eine tägliche 8 stündige Ruhepause bestimmt
wurde.
Vom hygienischen Standpunkt ist hauptsächlich die Ab¬
schaffung der Sonntags- und Nachtarbeit energisch zu fordern.
Es müsste dabei allerdings mit manchen Lebensgewohnheiten ge¬
brochen werden. Vor allem müsste man sich Morgens mit altem
Gebäck begnügen, dem Militär müsste dann vielleicht Kuchen
verabreicht werden, der ohnedies viel nahrhafter sei. Zur Ver¬
hütung von Infektionen muss ferner der Zwischenhandel mit dem
fertigen Brot und das ekelhafte Antasten des Brotes durch die
Käufer ganz energisch verboten werden; Schnupftabak, Heringe,
Petroleum, Stiefelwichse und Brot passen eben nicht zusammen
in einen kleinen Kramladen.
Man hat schon von verschiedenen Seiten Pläne für Muster¬
bäckereien ausgearbeitet. Vor allem ist auf die kleinen und
kleinsten hygienisch niedrigst stehenden Betriebe das Haupt¬
augenmerk zu richten : Es sind daher hygienische Mindestforde¬
rungen zu stellen, welche aber dann auch strengstens durchzu¬
führen sind. Wenn es auch jetzt schon Bäckereien gibt, die in
Bezug auf Reinlichkeit allen hygienischen Anforderungen gerecht
werden, so haben wir das hauptsächlich der Sozialdemokratie
zu danken, welche den ersten Anstoss dazu gegeben hat, in
diese Verhältnisse einige Ordnung zu bringen.
Tn der Diskussion schlägt Dr. Braun- Nürnberg vor,
die jungen Leute vor ihrem Eintritt in das Bäckergewerbe ärzt¬
lich auf ihre Tauglichkeit zu diesem schweren Beruf untersuchen
zu lassen. Er berichtet über Musterbäckereien von Konsumver¬
einen mit Maschinenbetrieb in Leipzig-Plagwitz und Stuttgart, in
denen bisher nur schwarzes Brot, neuerdings aber auch Weiss¬
brot gebacken werden soll.
Bäckermeister Schöfer - München weist in äusserst leb¬
hafter Rede die Vorwürfe des Referenten, wenigstens was die
Bäckereien Münchens anlangt, mit aller Entschiedenheit zurück,
besonders mit dem Hinweis darauf, dass weder Referent irgend
(•ine Mitteilung von einer amtlichen Statistik gemacht habe, trotz¬
dem die Bäckerinnung den Magistrat München ersucht hat, die
sämtlichen Bäckereien zu revidieren, was auch geschehen sei und
zwar nicht mit zu grosser Milde, noch auch habe z. B. Bebel der
Bäckerinnung Hamburgs, über die er im Reichstage so schauder¬
hafte Ausdrücke gebrauchte, auf einen eingeschriebenen Brief hin
mit der Aufforderung, Namen zu nennen, irgend eine Antwort ge¬
geben.
Baumeister II a r t w i g - Dresden warnt vor Uebertreibung
bei hygienischen Bestrebungen und mit vollem Rechte davor, der
Sozialdemokratie die Palme zu reichen für Anregungen, deren
Triebfeder nicht die menschliche Nächstenliebe, sondern die Er¬
langung der politischen Macht ist.
E m m eric h bemerkt dann noch im Schlusswort, dass er
sich ganz objektiv an das gehalten habe, was in der Literatur
vorhanden gewesen sei. Andere Dokumente als sozialdemokratische
seien nicht vorhanden.
Damit schlossen die Verhandlungen des zweiten Tages.
Nachmittags wurden verschiedene städtische Einrichtungen
(Kühlanlage im Schlacht hof, Elektrizitätswerke, Bäder, Fried¬
höfe, Schulhäuser und Spitäler) in zwei grösseren Gruppen be¬
sichtigt. Am Abend hatte die Stadt München ein lest im
Künstlerhause veranstaltet, an das alle Teilnehmer gewiss nur
mit dem Gefühl höchster Befriedigung zurückdenken werden.
Zu Beginn der Sitzung des dritten Tages, welcher auch
Se. Iv. II. Prinz Ludwig Ferdinand anwohnte, teilt
Bürgermeister v. Borscht mit, dass Se. K. 11. der Prinz¬
regent der Versammlung 645 Billete für das Prinzregenten¬
theater und 100 Plätze für das Residenztheater zur Verfügung ge¬
stellt habe. Vorsitzender Dr. F r a e n k e 1 - Halle dankt unter
lebhaftem Beifall der Versammlung für die ausserordentliche
Munifizenz.
Im Laufe der Sitzung wurde ausserdem die Neuwahl des
Ausschusses vorgenommen und in denselben wiedergewählt nach
Vorschlag des Geh. Sanitätsrates Dr. L e n t - Köln die Herren
Borscht- M ünchen, Fraenkel- Halle, A 1 b r e c h t - Ber¬
lin und neugewählt die Herren Beck- Chemnitz, Roth- Pots¬
dam und Stübben- Köln.
Die Verhandlungen des dritten Tages wurden eröffnet
durch den
Bericht über die von den Städten eing-egangenen Fragebogen,
betr. die Fürsorge für bestehende und die Beschaffung neuer
kleiner Wohnungen.
Referent : Oberbürgermeister Dr. Ebeling - Dessau.
Die vom deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege
nach dem Beschluss der Versammlung in Trier an 254 deutsche
Städte hinausgegebenen Fragebogen sind sämtlich eingegangen.
Referent konstatiert zunächst, dass wohnungspolizeiliche Vor¬
schriften und Anordnungen in den meisten Städten nicht be¬
stünden. Dem preussischen Landtag solle in der nächsten
Tagung ein Wohnungsgesetz vorgelegt werden. Sehr warm ge¬
denkt Referent der bayerischen Massregeln auf diesem Gebiete
vom 10. Februar 1901. Vorbildlich und massgebend ist übrigens
die Polizeiverordnung des Regierungspräsidenten von Düsseldorf
vom Jahre 1898 gewesen. Die zweite Frage ging dahin, ob
ständige Wohnungsaufsicht vorhanden sei, die dritte, ob be¬
sondere Bestimmungen über die Schliessung gesundheitswidriger
Gebäude und Abänderung von schädlichen Beschaffenheiten vor¬
handen seien. Bezüglich des ersten Punktes sind von preussi¬
schen Städten mehrere bejahende Antworten eingelaufen. Be¬
sondere Beachtung verdient die vorzüglich durchgeführte
Wohnungsinspektion der Stadt Giessen. Den zweiten Punkt
haben die meisten Städte unbeantwortet gelassen oder sich auf
landesgesetzliche Bestimmungen berufen. Eine weitere Frage be¬
schäftigt sich mit der Art und Weise der einzelnen Bauord¬
nungen, der Herstellung der Strassen. 15 Städte versichern, dass
auf Kleinwohnungen im Bebauungsplan Rücksicht genommen
sei. Andere Erhebungen betrafen die Frage, ob für Erbauung
von Kleinwohnungen Erleichterungen in mannigfacher Be¬
ziehung, Haus- und Grundsteuernachlass, Erlass und Stundung
von Wasserzins und Strassen lasten etc. vorgesehen sei. Durch
Abgabe von Baugelände zu billigem Preise haben 52 Städte die
Errichtung von kleinen Wohnungen erleichtert. Die Zahl der
von den Arbeitgebern erbauten Wohnungen beträgt ca. 143 000.
Von einer Reihe von Städten wurde beschlossen, gemeinnützigen
Baugenossenschaften, deren Zahl sich auf 551 vermehrt hat,
komunales Bauland um billigen Preis abzugeben. Die anfäng¬
liche Begeisterung für die Abgabe von Gelände gegen Erbbau¬
recht. des bürgerlichen Gesetzbuches ist wegen der juristischen
Schwierigkeiten nun bedeutend geringer geworden. Da die
Baugenossenschaften nur selten über ausreichendes Kapital ver¬
fügen, fällt den Arbeitgebern, Sozialpolitikern und Kommunen
die Aufgabe zu, durch Geld- und Kredit- bezw. Bürgschafts¬
gewährung helfend einzugreifen. In Bezug auf Geld- und
Hypothekbeschaffung für Wohnungsreformzwecke haben sich
indessen die Städte noch sehr zurückhaltend gezeigt. 31 Städte
haben für ihre Beamten und Bediensteten eigene Wohnungen
erbaut, nur 9 haben kleine Wohnungen auch für andere Leute
gebaut. Im allgemeinen findet sich nur in einer geringen An¬
zahl von Städten genügendes Verständnis für die Wohnungs¬
frage. Referent verweist besonders auf eine rationelle G rund¬
um! Bodenpolitik bei Ausführung des Bebauungsplanes und der
7. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1681
Erweiterung kommunalen Grundbesitzes, sowie auf leichten
Verkehr zwischen Stadt und Vororten durch schnell-
fahrende Vorortszüge. Die nächstjährige Städteausstellung in
Dresden werde in der Wohnungsfrage noch kein Ruhmesblatt
aufzuweisen haben. Wenn auch der Innungsverband deutscher
Raugewerksmeister eine Wohnungsnot nicht anerkennt, und
gegen die Begünstigung der Baugenossenschaften durch Staat
und Stadt protestiert, und wenn auch der deutsche Flausbesitzer-
tag die W ohnungsreform als eine Modesache bezeichnet hat,
wenn hervorragende Redner spotten über die Wohnungsphan¬
tasten, so stellt Referent demgegenüber die vom VI. Wohnungs-
kongress in Brüssel 1902 ausgesprochene Losung: „Staat und
Gemeinden müssen in der Wohnungsfrage helfen“ und die Ueber-
zeugung hervorragender Sozialpolitiker, dass von ihrer Lösung
dm Entwicklung und Kraft unseres Volkes abhängen. Es ist
Pflicht aller, der Wohnungsfrage unausgesetzt die grösste Sorg¬
falt zuzuwenden.
Feuchte Wohnungen: Ursache, Einfluss auf die Gesundheit
und Mittel zur Abhilfe.
Referenten : Regierungs- und Medizinalrat Dr. Abel- Berlin,
Baupolizeidirektor H. Olshausen - Hamburg.
Feuchte Wohnungen sind eine ungemein häufige Erschei¬
nung. Eine statistische Erhebung in Bern z. B. hat ergeben,
dass 3,9 Proz. aller Zimmer und 11,2 Proz. aller Schlafzimmer
feucht sind. Die Ursachen der Feuchtigkeit von Wohnungen
kann man als dauernde und vorübergehende bezeichnen.
Als dauernde Ursachen der Feuchtigkeit sind nachfolgende
leider bei der Errichtung eines Gebäudes zu bezeichnen: Ver-
wen nng ungeeigneter, poröser oder stark hygroskopischer Bau-
Materialien; ungenügende Sicherung der Fundamente gegen
Ueberschwemmung und Bodenfeuchtigkeit; ungenügender Schutz
gegen Schlagregen und Spritzwasser; ungenügende Mauer¬
starken; schlechte Herstellung der Dachdeckung und Regen¬
wasserableitung, sowie der Wasserversorgungs- und Entwässe¬
rungsanlagen.
. Als vorübergehende Ursachen der Feuchtigkeit sind zu be¬
zeichnen die Neubaufeuchtigkeit, gesundheitswidrige, fehler¬
hatte Benutzung einer Wohnung durch Waschen und Kochen
ohne genügende Lüftung, mangelhafte bauliche Erhaltung,
namentlich der Dachdeckung, der Regenwasserableitung, der
Wasserversorgungs- und Entwässerungsanlagen. Da die Erschei¬
nungen des Feuchtseins hinlänglich bekannt sind, glaubt Abel
nicht weiter darauf eingehen zu müssen.
Dass feuchte Wohnungen gesundheitsschädlich sind, ist ein
alter Satz bei Laien und in der wissenschaftlichen Medizin.
Weichwohl sind es keine spezifischen Krankheiten oder Krank-
eitsformen mit besonders bedrohlichen Erscheinungen, welche
ihre Ursachen in der Wohnungsfeuchtigkeit haben, sondern mehr
Anomalien der Gesamtkonstitution und Fehler in der Entwick-
n'ngu. , ,m. stftistischer Nachweis besonders über die grössere
Sterblichkeit der m Kellern wohnenden Menschen ist zwar vor-
anden,. allein es ist hier eben doch die ganze schlechte soziale
-Lage mit m Betracht zu ziehen. Bezüglich der Sterblichkeit da-
gegen in Neubauten hat die Statistik gänzlich versagt, auch be¬
züglich der Erkrankungen an Lungentuberkulose und Rheuma¬
ismus finden sich nirgends beweisende Zahlen. Auch die Einzel¬
beobachtungen liefern sehr wenig literarisches Material. Trotz
alledem ist der Zusammenhang zwischen nasser Wohnung und
allerlei Krankheiten ein altärztlicher Erfahrungssatz. Im
ganzen sind die Erkrankungsformen wenig zahlreich, wichtiger
ist dagegen der Einfluss der Feuchtigkeit auf die Widerstands-
ahigkeit gegen Krankheitserreger und auf die allgemeine
Korperkraft. Das wichtigste Moment ist wohl die Störung des
V armehaushaltes des menschlichen Körpers. Durch die Feuch¬
tigkeit wird die Wand zum guten Wärmeleiter, durch Ver¬
dunstung des Wassers wird sie kalt und entzieht durch Strahlung
dem nahen Körper, besonders im Schlafe, mehr Wärme als der
Körper vertragen kann. Diese Störungen im Wärmehaushalt
des Körpers haben zur Folge: Erkältungskrankheiten, Verschlim¬
merung schon bestehender Krankheiten (Tuberkulose), Verringe¬
rung der Widerstandskraft gegen andere Krankheiten. Die Luft
m feuchten Wohnungen ist infolge der Beförderung von Zer¬
setzungsvorgängen durch die Feuchtigkeit meist schlecht, manche
Infektionskrankheiten finden in ihnen besonders gute Existenz¬
bedingungen, Nahrungsmittel zersetzen sich rasch, ausserdem
verlieren die Bewohner Gefühl und Interesse für Reinlichkeit
lind Ordnung in der Wohnung, was wieder schädliche Folgen für
die Gesundheit, namentlich für die Entwicklung der Kinder
haben kann. Sehr häufig ist mit Feuchtigkeit einer Wohnung
auch ein erheblicher Mangel an Luft und Licht verbunden. Im
allgemeinen ist die Feuchtigkeit ein Mangel, dem noch relativ
leicht abgeholfen werden kann. Bei welchem Masse von Feuchtig¬
keit ist nun eine Wohnung gesundheitsschädlich? Die Gesund¬
heitsgefährlichkeit einer feuchten Wohnung ist in gewissen
Grenzen abhängig von dem Masse und der Dauer der Feuchtig¬
keit. Wenn manche Leute in feuchten Wohnungen keinen
Schaden nehmen, so beweist dies hingegen nichts. Die Schäd¬
lichkeiten machen sich eben erst allmählich bemerkbar, denn die
Krankheitserscheinungen sind selten so akut, dass sie während des
Wohnens in der feuchten Wohnung zum Tode führen. Den
Grad der Feuchtigkeit zu bestimmen, von welchem ab eine Woh¬
nung gesundheitsgefährlich ist, ist allerdings sehr schwierig. Bei
feuchten Wohnungen in alten Gebäuden ist ein strengerer
Masstab anzulegen als bei Neubauten. Allgemeine Regeln kann
man nicht aufstellen. Sehr zu berücksichtigen sind vor allem
die Stärke, Ausdehnung und Verbreitung der Feuchtigkeit, die
Ursache derselben, sowie die V erwendung der betreffenden Räume.
Aus praktischen Gründen und zwar namentlich wegen des
Mangels an handlichen Verfahren zur genauen Feststellung des
Feuchtigkeitsgrades von Wohnungen, von denen übrigens die Be¬
stimmung der Mörtelfeuchtigkeit nach Emmerich noch die
zmei lässigsten Resultate liefert, empfiehlt es sich auch, geringe
Grade von Feuchtigkeit für gesundheitlich bedenklich und der
Abstellung bedürftig anzusehen.
Kellerwohnungen sind im allgemeinen nicht so verwerflich,
wie vielfach behauptet wird. Da ein Neubau erst nach Jahren
und am besten durch Bewohnen ausgetrocknet wird, so ist. völlige
Tiockenheit nicht zu verlangen. Das Beziehen eines Neubaues
muss eigentlich abhängig gemacht werden von der genauen
lüfung seiner Feuchtigkeit durch die Gesundheitspolizei oder
die V olmungsaufsichtsbehörde. Die Bauordnungen bestimmen
fast alle nichts genaues über diesen Punkt, sie sprechen nur von
„genügend“ oder „hinreichend“ ausgetrocknet. Ein Wasser¬
gehalt von 1 1 Va Proz. darf keinesfalls überschritten werden;
bei der Mörtelentnahme ist darauf zu achten, dass der Mörtel
von möglichst vielen Stellen und auch aus der Tiefe entnommen
wild. Ausserdem ist die Bauzeit und die während derselben
herrschende Witterung zu berücksichtigen. Ueberhaupt muss das
Publikum hygienisch noch besser erzogen werden.
Korreferent Polizeidirektor Olshausen - Hamburg führt
aus, dass bezüglich der Vorbeugung der Entstehung feuchter
Wohnungen in erster Linie ein Augenmerk auf die in den
Häusern befindlichen Wasserab- und Zuflussleitungen zu richten
sei, welche aus ästhetischen und anderen Rücksichten oft so ver¬
steckt angelegt würden, dass Schäden nur schwer entdeckt und
ausgebessert werden können. In Ueberschwemmungsgebieten
seien die Hauser bei plötzlichen starken Niederschlägen durch
Eindringen des Wassers von den Sielkanälen aus gefährdet, wes¬
halb hier selbsttätige Schliessung der Sielauslässe gegen das Haus
sein zu empfehlen wäre. Im übrigen seien geeignete Bau¬
materialien zu verwenden, die unteren Gebäudeteile entsprechend
hoch über Hoch- und Grundwasser zu legen, sowie der unter der
Erdoberfläche liegende 1 eil der Gebäude gegen die Bodenfeuchtig¬
keit durch Einlegen von wasserdichten Platten in horizontaler
wie vertikaler Richtung zu schützen. Die Aussenwände sind mit
einem das Eindringen des Wassers verhindernden Material zu
bekleiden. Gegen den sogen. Schlagregen sind die ältesten und
einfachsten Bekleidungsmittel Holz und Schiefer, sowie Dach¬
pappen; diese sind aber in der Stadt nicht mehr zeitgemäss.
Ausser glasierten Ziegeln, an denen das Wasser rasch ablaufen
kann, genügen auch gut gebrannte Backsteine. Die Herstellung
kontinuierlicher Luftzwischenschichten muss äusserst sorgfältig
ausgeführt werden; die Luftschicht muss stets gut ventiliert und
so gelegen sein, dass die schwache Wand nach aussen zu liegen
kommt. Die Mauern müssen von genügender Dicke sein, die
Dachdeckung, Regenwasserableitung, Wasserversorgungs- und
Entwässerungsanlagen sorgfältig hergestellt sein. Zur Be¬
seitigung vorübergehender Ursachen der Wohnungsfeuchtigkeit
empfiehlt Referent erforderlichenfalls im Wege der Gesetzgebung
vorzuschreibende Fristen zwischen Fertigstellung des Rohbaues
und Beginn der Verputzung in Neubauten, künstliche Aus-
1682
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
trocknung der putzferligen Neubauten mittels Heizung und Lüf¬
tung, Einhaltung einer längeren Frist zwischen Fertigstellung
des Verputzes und dem Bekleben der W ände mit Tapeten odei
dem Anstrich der Wände mit Oelfarbe, Verhinderung einer zweck¬
widrigen und gesundheitsschädlichen Benutzung von V ohnungen,
sowie gute Instandhaltung aller derjenigen baulichen Anlagen,
deren Mängel die Feuchtigkeit einer V olinung herbei führen kann,
als: Dachdeckung, Regenwasserableitung, Wasserversorgungs¬
und Entwässerungsanlagen .
Im allgemeinen ist die Schaffung einer zweckmässigen
ständigen Wohnungsbeaufsichtigung durch Organe des Staates
oder der Gemeinde erforderlich; diese Organe müssen mit den
nötigen Machtmitteln ausgestattet sein, um die zweck- und ge¬
sundheitswidrige Benutzung einer Wohnung zu verhindern und
die zur Beseitigung vorhandener Feuchtigkeit erforderlichen
Massregeln anzuordnen.
In der den letzten beiden Vorträgen nun folgenden, zum Teil
recht lebhaften und erregten Diskussion ergänzt zunächst der In¬
spektor der Behörde für Wohnungspflege in Hamburg, Herr
Grundier, auf Grund persönlicher Erfahrungen etwas näher
die Ausführungen Olshausens.
Dann betont Oberbürgermeister B a c k - Mannheim auf Grund
der in Mannheim gemachten Erfahrungen die Wichtigkeit einer
fortlaufenden Wohnungsstatistik und der Heranziehung der Privat¬
bautätigkeit für die Herstellung kleiner Wohnungen, nachdem sich
gezeigt habe, dass die gemeinnützige Bautätigkeit doch dem Be¬
dürfnis weitaus nicht zu genügen im stände ist. Die in Mann¬
heim errichteten Wohnungen seien von den Arbeitern wegen des
in diesen Häusern streng durchgeführten Verbotes der Aftermiete
erst nicht bezogen worden.
Baumeister Hartwig- Dresden nimmt den Verband deutscher
Baugewerksmeister und den Zentralverband deutscher Haus¬
besitzervereine gegen die Vorwürfe des Bef. Dr. E b e 1 i n g in
Schutz.
Dr. Yokote - Tokio-Leipzig verbreitete sich in deutscher
Sprache über das Bauwesen in Japan.
E m m er i c h - München tritt für die chemische Unter¬
suchung des Feuchtigkeitsgrades einer Wohnung ein und fügt bei,
dass man auch Vakuumapparate für 100 und mehr Proben ein¬
richten könne.
Baurat Stübben-Ivöln macht dem Zentralverband deutscher
Hausbesitzervereine den Vorwurf, dass derselbe in unrichtiger
Weise das Vorhandensein einer Wohnungsnot und das Bedürfnis
einer Wohnungsreform überhaupt bestritten habe. Wenn der
Verband seine Stellung nun ändere und anerkennt, dass unsere
Wohnungsverhältnisse quantitativ, qualitativ und in finanzieller
Beziehung zu berechtigten Sorgen Veranlassung gebe, so werde
die Zeit nicht fern sein, wo man sich zu einem gemeinsamen
Ziele1 zusa mmenfi nden werde. Er wendete sich dann gegen die
Bemerkung Abels, dass ein Verbot von Kellerwohnungen doch
nicht ganz zu rechtfertigen wäre, und will, unter allen Umständen
in neuen Stadtteilen, die Kellerwohnungen nicht nur wegen der
Feuchtigkeit, sondern hauptsächlich wegen der schlechten Luft-,
Licht- und Temperaturverhältnisse womöglich gänzlich verboten
sehen.
Geheimrat Renk- Dresden spricht ebenfalls gegen die Zu¬
lassung von Kellerwohnungen.
Apotheker Koessner- Dresden bedauert als Hausbesitzer,
dass er heute über Mittel zur Abhilfe gegen Feuchtigkeit nichts
Neues gehört habe. Sehr wichtig sei eben der Faktor der Be¬
nützung der Wohnungen durch die Mieter.
Baumeister Hartwig- Dresden macht auf die Notwendig¬
keit. der Abschaffung der Aftermiete aufmerksam und rügt die
Bevorzugung der Baugenossenschaften.
Bürgermeister Hetschel - Dresden bedauert, dass das a on
Ebeling zur Lösung der Wohnungsfrage empfohlene M ittel der
Erleichterung des Verkehrs nach den Aussenbezirken für Gress¬
städte mit schöner Umgebung nicht anwendbar sei, weil dann
die billigen Trambahnen nicht etwa die wenig steuerkräftigen
Leute benützen, sondern es siedeln sich die reichen Leute in den
Villen der Umgebung an und gehen den Städten selbst als Steuer¬
zahler verloren. Er wendet sich dann noch gegen die Bau- und
( ! rundstückspekulation.
Nach kurzen Schlussätzen der Referenten spricht der Vor¬
sitzende, F r ä n k e 1 - Halle, der Stadt München für den gt
radezu königlichen Empfang unter lebhaftem Beifall den Dank
der Versammlung aus. Nachmittags fand I estvorstellung .
Tannhäuser, im Prinzregenten-Theater statt.
Am Samstag den 20. IX. fand ein gemeinsamer Ausflug auf
den Taubenberg bei Ilolzkirchen statt, wo man, abgesehen von
Volksbelustigungen aller Art und einer etwas dunstigen Gebirgs-
aussicht, das Niederschlagsgebiet für die Quellen übersehen
konnte, welche, die Stadt München mit frischem Wasser ver¬
sorgen. Das Prinzip, das ganze Niederschlagsgebiet mit Wal¬
dungen zu bepflanzen, wird einstweilen durch Anlage geeignet ei
Baumschulen und Schonungen in die Wege geleitet.
Dr. Glauni n g - Nürnberg.
Internationale Konferenz zur Unifizierung der Rezepte
der stark wirkenden Arzneien zu Brüssel.
Am 15. September wurde im Landwirtschaftsministerium zu
Brüssel die internationale Konferenz zur Unifizierung der Rezepte
der starkwirkenden Arzneien, die in den verschiedenen Pharma¬
kopoen verzeichnet sind, eröffnet. Der Zweck dieser vom Land¬
wirtschaftsminister veranlasston Konferenz besteht darin, eine Ge¬
fahr zu vermeiden, welche bei der gegenwärtigen Sachlage durch¬
aus nicht ausgeschlossen ist, wenn man eine von einem Arzte
e i n e s Landes verschriebene Verordnung in einer Apotheke eines
anderen Landes anfertigen lässt. Ein Vergleich zwischen den
einzelnen Pharmakopoen ergibt nämlich eine nicht unbeträchtliche
Verschiedenheit in der Wirksamkeit gewisser starkwirkender
Arzneimittel. Der Gedanke, die starkwirkenden Mittel, in ihrer
Zusammensetzung und Wirksamkeit für «alle Länder einheitlich
zu gestalten, verdankt, seine Entstehung dem ersten internationalen
Kongress für Pharmazie, der im Jahre lSt>5 zu Braunschweig
statthatte, Zum efstenmale offiziell erörtert wurde die Frage
einer Universalplia miakopöe, auf dem zweiten internationalen Kon¬
gress für Pharmazie, der im Jahre 18(17 zu Paris abgehalten wurde.
Am 29. Oktober 1898 brachte Prof. Dr. R o m melaerein Brüssel
bei der königlich belgischen Akademie der Medizin folgenden An¬
trag ein: ..Die königlich belgische Akademie der Medizin bittet
die Regierung, mit den fremden Regierungen Verhandlungen an¬
knüpfen zu wollen behufs Ausarbeitung einer internationalen
Pharmakopoe.“ Dieser Vorschlag wurde einer Kommission tiber-
Aviesen. deren Bericht günstig lautete, so dass die königliche Aka¬
demie der Medizin — in ihrer Sitzung am 29. April 1899 — sich
für den Antrag des Prof. Dr. Rommelaere aussprach. Als
dann im Jahre 1900, auf dem internationalen Kongress für Phar¬
mazie in Paris die Frage von neuem angeschnitten wurde, teilten
die belgischen Delegierten mit, dass ihre Regierung sich mit den
Regierungen der anderen Länder in Verbindung gesetzt habe zu
dem ZAveck, ein Einvernehmen herbeizuführen bezüglich der
gleichmässigen Zusammensetzung der starkwirkenden Arzneien,
und der Kongress sprach den Wunsch aus, dass die belgische
Regierung, Avelche die Sache in die Hand genommen habe, den
Zusammentritt einer internationalen Konferenz A'eraulasse, auf
welcher die besonders interessierten Staaten vertreten sein sollten.
Den Kongress, auf dem 20 Länder offiziell vertreten sind, er¬
öffnet der Landwirtschaftsminister, Baron van der Brüggen.
Im Namen der belgischen Regierung heisst er die zahlreichen
fremden Delegierten willkommen, die im Namen ihrer resp. Re¬
gierungen danken. S t o k v i s, Delegierter der Niederlande, be¬
tont die Notwendigkeit der Gleichmässigkeit in der Bezeichnung
der Arzneien; die Gleichheit des Namens müsse die Gleichheit
des Präparates ATerbürgen. Er empfiehlt, in die Pharmokopöen
nur die wirksamen Prinzipien, Alkaloide und Glykoside, aufzu¬
nehmen, welche man im krystallinisehen und chemisch reinen
Zustand erhalten kann. Es wird eine Kommission gewählt, be¬
stehend aus Stole vis, Hey maus und Bourquelot,
welche den Auftrag erhält, darüber Bericht zu erstatten, welche
Namen _ in lateinischer Sprache — den starkwirkenden Arzneien
in den Pharmakopoen der verschiedenen Länder gegeben werden
sollen. Molle r, Delegierter von Dänemark, schlägt vor, einen
für alle Pharmakopoen gleichen Tropfenzähler einzuführen. Auch
zur Berichterstattung über diese Frage wird eine Kommission ge¬
wählt, bestehend aus G abriel, M oller und S c h m i d t. Ein
belgischer Delegierter empfiehlt, für die Akonitpräparate einen
Gehalt an ganzen Alkaloiden zu fordern. Dieser Bestimmung
schlägt ein anderer Delegierter (aus der Schweiz) vor, hinzuzu¬
fügen, diese ganzen Alkaloide sollen nach der Methode des Fran¬
zösischen Kodex oder nach der der Deutschen Pharmakopoe dosiert
werden. Die Versammlung entscheidet sich dafür, einen Gehalt
an ganzen Alkaloiden innerhalb gewisser Grenzen zu fordern und
vorläufig der Kommission für jede einzelne Pharmakopoe es zu
überlassen, dafür Sorge zu tragen, dass eine Dosierungsmethode
gewählt werde, Avelche hinreichend genaue Resultate gibt. Der
Reihe nach gelangen dann zur Erörterung die Präparate von
Akonit, Belladonna, indischem Hanf, Koloquintlien, Colchicum,
Digitalis, Ipecacuanha, Hyoseyamus niger. Nux vomicü, 8tra-
monii folia. Gestrichen werden Scillae bulbus und deren Prä¬
parate, Liquor Natrii arsenicosi (Pearsönsche Flüssigkeit), Sirop
de chloral (1,0 Chlor, liydr. auf 20.0 Sirup), Sirop de code'ine, Sirop
de morpliine (0,01 Morph, auf 20,0 Sirup), Teinture de jaborondi.
Aeonitinum, Digitalin, Ol. pliosphor. Gleichmässig festgesetzt
nach Zusammensetzung und demgemäss auch nach der Wirkung
wurden die Präparate von Opium, Strophantlius, Secale cornutmn,
Blausäure, Aqu. Laurocerasi, Aqu. carbolis., Natriumarsenat,
Solut. arseniealis Fowleri. Tinct. Cantliaridum. Tinct. jodi, Tinct.
Lobeliae, Cocain, liydrochlor., Quecksilbersalbe. Den Schluss¬
folgerungen der 3 eingesetzten Kommissionen wurde zugestimmt.
Als Normal-Tropfenzähler für alle Pharmakopoen wird ein
Tropfenzähler bestimmt, der einen äusseren Durchmesser von
3 mm hat und 20 Tropfen Wassers im Gewicht von 1 Gramm
bei einer Temperatur A'on 15® gibt. Schliesslich wurde die Uebei-
einkunft unterzeichnet. E. H.
7. Oktober 1902.
MÜENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT
1683
Naturhistorisch-Medizinischer Verein Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 24. J u n i 1902.
1. Herr Starck: lieber angeborene Herzfehler. (Mit
Krankenvorstellung.)
Nach einleitenden Bemerkungen über Bedeutung, Sym¬
ptomatologie, Aetiologie, Häufigkeit etc. der angeborenen Herz¬
fehler demonstriert Vortragender folgende 3 Fälle:
1. Iv. S., 10 jähriger Junge aus Mannheim.
Anamnese: 1 Schwester soll von Geburt bis zum Tode
(am 16. Tage) ganz b 1 a u gewesen sein. Keine Sektion.
Pat. war nach der Geburt nicht blau, dagegen fiel der Mutter
im ersten Lebensjahre auf, dass das Kind beim Schreien am
ganzen Körper blau wurde und sicht- und fühlbares Herzklopfen
bekam. Ausserdem hatte es schon im ersten Lebensjahre mit
Atemnot zu kämpfen. Nach 1 Jahr Masern und Gelbsucht gut
iiberstanden. Mit 1 Jahr 0 Monaten Laufen, dabei stets Herz¬
klopfen. Frühzeitige Zahnung. Gelegentlich eines leichten In¬
fluenzaanfalles wird vom Arzt bestätigt, dass „B lausuc h t“ vor¬
liegt. Blau waren Nasenflügel, Lippen, Ohrläppchen. Stets
Müdigkeit, Mattigkeit, Apathie und Schlafsucht; schlief oft fast
den ganzen Tag. Infolge von Herzklopfen und Atemnot konnte er
mit Gleichaltrigen nicht spielen, springen; allmähliche Steigerung
der Blausucht. Im 7. Jahre A n fäll e. Plötzlich, ohne Aura,
mit Schwindel, Uebelkeit, Bewusstlosigkeit. Fiel plötzlich um!
Nach 5 — 10 Minuten erwacht er, bekommt Erbrechen, verfällt in
Schlaf. Nie Krämpfe, Zungenbiss, Urininkontinenz etc. Anfangs
kamen die Anfälle ein bis mehreremale im Tag, in letzter Zeit
seltener, alle ein bis zwei Tage einmal. Auch merkt er es, bevor
die Anfälle kommen.
In den letzten 3 Jahren häufig Katarrhe der oberen Luftwege,
Husten mit Auswurf. Seit 2 Jahren Verdickungen und
Blaufärbung von Finger- und Zehenenden. Täglich Kopfweh und
Schwindel. Bei leichtester Anstrengung oder Gemütserregung
Herzklopfen mit Schmerz in der Herzgegend. Nie Stauungs¬
erscheinungen, Oedeme etc.
Status: Normal entwickelt. Allgemeine Cyanose, besonders
an Nase, TV angen. Lippen, Ohren, Gaumenschleimhaut, Händen,
Zehen. Auffallend ist der Wechsel in der Intensität der Cyanose.
Keine Venenpulsationen. Trommelschlägelfinger und Zehen.
Klauennägel. Thorax, Lungen normal. Links vorn oben neben
dem Sternum eine leichte Verkürzung, die von der Ivlavikula bis
zum Herzen reicht. Herzdämpfung: III. — VI. Rippe, rechts auf
dem Sternum nahe dem rechten Sternalrand, links Mammillarlinie.
Spitzenstoss sicht-, fühlbar in Mammillarlinie des V. Interkostal¬
raumes. Im II. Interkostalraum, links vom Sternum, fühlt man
einen klappenden II. Ton, bei erregtem Herzen ausserdem ein
rauhes systolisches Geräusch an derselben Stelle.
Auskultation: Spitze I. Ton verstärkt, etwas gespalten,
mitunter leises systolisches Geräusch. Tricuspidalis ebenso.
V. Punkt Galopprhythmus, I. Ton gespalten, bald geräuschartig,
bald Geräusch. II. Ton akzentuiert. Aorta: nichts Besonderes.
Pulmonalis: lautes, kratzendes, systolisches Geräusch neben dem
1- gespaltenen Ton. II. Ton akzentuiert, klappend. Das systolische
Geräusch ist nach oben noch zu hören, aber schwächer. Am
Rücken kein Geräusch zu hören. Abdominalorgane (Leber, Milz)
normal, keine Oedeme. Tuls: regelmässig, mittelkräftig, 200 in der
Minute. Nervensystem: nichts Besonderes.
im Röntgenbild ist die normale Herzfigur zu erkennen; ein
bandförmiger Schatten links oben vom Sternum ist nicht zu sehen.
Diagnose: Für angeborenes Vitium spricht Beginn der
Beschwerden in frühester Kindheit, Cyanose, Fehlen einer aus¬
lösenden Ursache des Herzfehlers. Für die Diagnose kommt
in Betracht : 1. Cyanose, 2. Systolisches Geräusch über der Pul¬
monalis, 3. II. klappender Pulmonalton.
Die Herzgrösse lässt keinen Schluss auf den Sitz des Leidens
zu. Der Sitz des Geräusches deutet auf die Pulmonalis oder den
Ductus Botalli. Für offenen Ductus Botalli spricht
die leichte Dämpfung links oben vom Sternum, die Verstärkung
des II. Pulmonaltons, das systolische Geräusch. Die Cyanose
fehlt aber meist, wir dürfen deshalb wohl eine Pulmonal-
Stenose annehmen. Durch letztere könnte auch das systo¬
lische Geräusch hervorgerufen sein. Herzhypertrophie fehlt da¬
bei häufig. Eine Verstärkung des TT. Pulmonaltones kann eben¬
falls bei einer Pulmonalstenose Vorkommen, wenn die Stenose
jenseits der Klappen sitzt. Die Intensität des II. Tones spricht
allerdings mehr für offenen Ductus Botalli.
Somit Diagnose : Pulmonalstenose mit offenem
Ductus Botalli.
2. A. B., 5 jähriges Mädchen aus Mannheim.
In Familie kein Herzleiden, keine Missbildung. Pat. war be¬
reits sofort nach der Geburt blau. Blausucht vermehrte sich bei
Schreien. Schon in frühester Jugend fiel Apathie, Aengstlichkeit,
Unlust in Bewegung auf. Sonst normale Entwicklung, besonders
in geistiger Hinsicht. Bei leichter körperlicher oder geistiger,
psychischer Erregung Atemnot und Herzklopfen. Letzteres wurde
von den Eitern oft auf Entfernung gehört. Mit 3 Jahren über¬
stand es gut Masern, mit 4 Jahren Lungenentzündung. Viel Ka¬
tarrhe der oberen Luftwege. Nie Stauungserscheinungen, aber
stets Gedunsensein des Gesichtes.
Status praesens: Geistig frisch und aufgeweckt, gutes
Gedächtnis. Körperlich mittelmässig entwickelt Gesicht ge¬
dunsen. Erhebliche Blausucht an üblichen Körperstellen, Trom¬
melschlägelfinger und -Zehen. Thorax etwas deformiert, Vor¬
wölbung der unteren Sternalpartie. Am Halse Vetienundulationen,
keine sichere Pulsation, ebensowenig an Leber.
Rechts und links vom Sternum starke Herzbewegung, rechts
mehr als links. Deutliche und unregelmässige Pulsation im Epi-
gastrium. Spitzenstoss nicht zu fühlen. Ein systolisches
Schwirren ist bei erregtem Herzen innerhalb der linken Mammillar¬
linie nahe dem unteren Sternalrand zu fühlen. Lungen normal.
Herz grenzen: Links etwas innerhalb der linken Mam¬
millarlinie, rechts: in der rechten Mammillarlinie, unten: VI. Rippe,
oben = II. Interkostalraum. Ueber dem Sternum, in der Höhe der
zweiten Rippe.
Auskultation: Herzaktion beschleunigt, 100 — 120, ganz
unregelmässig in Stärke und Zahl. Spitze: Mitunter normale Töne,
meist (besonders nach Bewegung) ein in Intensität oft wechselndes
langgezogenes, blasendes Geräusch. II. Ton normal.
Tricuspidalis: links vom untern Rand des Sternunis (auch
wenn Spitzengeräusch nicht zu hören) ein lautes, sehr rauhes
systolisches Geräusch, das nach oben über dem Sternum, rechts
weniger, links oben zu hören ist. II. Ton verstärkt.
Am V. Punkt hört man das fortgeleitete Geräusch, welches
an Aorta und Pulmonalis kaum mehr zu hören ist. II. Ton normal.
Leber reicht bis 3 Querfinger unter den Nabel, sichere Pulsa¬
tion nicht nachzuweisen. Milz normal, kein Aszites, keine Oedeme.
Nervensystem normal. Puls klein, unregelmässig, 100—120 in der
Minute. Urin normal. Im Röntgenbild sieht man die* enorme Ver¬
breiterung nach rechts, die linke Grenze innerhalb der Mammillar¬
linie.
Diagnose: Für kongenitalen Charakter spricht Cyanose
seit Geburt, Herzgrösse. Die Thoraxanomalie ist als Voussure
aufzufassen, da keine Rhaehitis vorausging. Die enorme Ver¬
breiterung des Herzens nach rechts, die starke Herzbewegung
rechts deutet auf Anomalie des rechten Herzens. Das laute,
rauhe systolische Geräusch am unteren Sternalrand weist auf
eine Trikuspidalinsuffizienz hin ; eine Pulmonal-
stenose in der Gegend des Konus ist wohl auszusehliessen, da
der II. Pulmonalton noch laut und deutlich ist. Während bei
erworbener I rikuspidalinsuffizienz häufig Halsvenenpuls und
Leberpuls zu beobachten sind, fehlen diese Pulsationen fast stets
bei der angeborenen. Ob sie in unserem Falle vorhanden sind,
lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Das Fehlen der Pulse
beim angeborenen Vitium hängt vielleicht damit zusammen,
dass meist noch andere Anomalien daneben bestehen, besonders
der Septumdefekt. Ein solcher kommt auch hier in Be¬
tracht, da das systolische Geräusch unterhalb der Spitze anderen
Charakter zu haben scheint als dasjenige am Sternum.
Neben der Endokarditis besteht ausserdem eine hochgradige
Myokarditis. Somit lautet die Diagnose: Trikuspidal¬
insuffizienz mit Septumdefekt.
3. A. R., 28 jährige Landwirtstoeliter aus Mülhausen.
In Familie kein Herzleiden, keine Missbildung. Pat. war als
kleines Kind schon blausüchtig, machte keine Kinderkrankheiten
durch. Im 4. Jahre kam sie zu ihrer Pflegemutter, war damals
schon stark blau im Gesicht und an den Händen, hatte aus¬
gesprochene Trommelschlägelfinger und -Zehen, konnte nicht rasch,
nicht lange gehen, bekam sofort Herzklopfen, Atemnot, wurde
stärker blau. Zwischen 4. und 7. Jahre häufig Anfälle, sie fiel
plötzlich hin, verlor das Bewusstsein, stand aber sofort wieder auf
und war hei sich. Nie Krämpfe, Lähmungen, Zungenbiss etc.
Anfangs wiederholten sich die Anfälle mehrmals, wurden später
seltener, hörten mit 7 oder 8 Jahren auf. Menstruation mit
17 Jahren ohne Störung, normal. Vom 15. bis 18. Lebensjahre
hatte sie starke Magenbesch we r d e n, Schmerzen nach
Essen, viel Erbrechen. Diese Beschwerden kehrten vor 1(4 Jahren
mit erneuter Heftigkeit wieder. Sie bekam schlechten Appetit,
zog Fleischnahrung den Mehlspeisen vor, klagte saures Aufstossen,
Sodbrennen, Schweregefühl in der Magengrube etwa 1 Stunde
nach dem Essen. Allmählich wurde sie sehr elend, konnte kaum
mehr gehen und stehen. Gleichzeitig trat eine vollständige Ver¬
änderung der Hautfarbe ein, die blaue Farbe schlug in ein
tiefes Sch w a r z um, so dass ihr Arzt und Laien ihre Ver
wunderung ausdrückten. Im Juni letzten Jahres, als die Magen¬
beschwerden ihren Höhepunkt erreichten, sie so schwach war, dass
sie das Bett nicht verlassen konnte, erfolgten 3 Magenblu¬
tungen in Zwischenräumen von 4 Stunden, wobei y2 Liter
schwarzes klumpiges Blut entleert wurde. Der erste Stuhlgang
war bluthaltig. Lungenerscheinungen fehlten. Mit diesen Blu¬
tungen trat momentan ein grosser Umschwung im Be¬
finden ein. Die Pat. erlangte wieder ihre normale blaue Farbe,
sie verlor die Magenbeschwerden fast ganz und wurde wieder
etwas leistungsfähig. Im Winter kehrten wieder leichte Magen¬
beschwerden, nie sie aber bei leichter Diät kaum empfand. Im
übrigen klagt sie ausser ihren Herzbeschwerden nur häufigen
1684
MlTEN CIIEN EU MEDICINISCIIE WOCHEN SCHRIFT.
No. 40.
Kopfschmerz, besonders im Nacken, und Schwindel. Neigung zu
Katarrhen hat sie nicht, z. B. nie Husten.
Jede Erregung ruft starkes Herzklopfen und Verstärkung der
C.vanose hervor. Seihst im Sommer hat sie Wärmebedürfnis. Sie
hat in ihrem ganzen Leben noch nichts gearbeitet, sondern sitzt
zur Untätigkeit gezwungen in ihrer Stube.
Status praesens: Körperlich etwas zurückgeblieben,
zart gebaut. Intelligenz gering, Gedächtnis gut. Hochgradige
C.vanose, selbst bei Bettruhe ist das Gesicht tief blaurot. Trommel-
sclilägelfinger und -Zehen, Klauennägel. Keine Venenpulse am
Ilals. Thoraxbau normal; Lungen normal.
Spitzenstoss: 1 Querfinger ausserhalb der Mammillar-
linie zu fühlen. Man fühlt an der Pulmonalis, mitunter auch an
der Spitze ein leises systolisches Schwirren. Herzaktion regel¬
mässig. .....
Grenzen: L. 1 Querfinger links der Mammillarlinie, rechts
etwas jenseits des Sternalrandes, oben III. Kippe, unten VI. Kippe.
Auskultation: An der Spitze ein in Intensität wechseln¬
des systoliclies Geräusch, das mitunter kaum zu hören ist.
II. Ton normal.
Am V. Punkt und Trikuspidalis ist das systolische Geräusch
ebenfalls zu hören, II. Ton normal. An Aorta normale Verhält¬
nisse, bei erregtem Herzen ist das systolische Geräusch noch leise
zu hören. _ .
An Pulmonalis hört man ein sehr lautes systolisches Geräusch,
das sich nach allen Richtungen, nur nicht nach oben hin fortsetzt.
Der II. Ton ist laut, rein. Am Kücken ist das systolische Geräusch
hörbar.
Abdominalorgane normal ;
massig, klein, 96 i. d. Min.
Nervensystem intakt. Puls regel-
Diagnose: Für kongenitales Vitium spricht angeborene
C.vanose mit deren Eolgezuständen und Fehlen jeglicher Krank¬
heit, mit welcher das Vitium in aktive Beziehung gebracht wer¬
den könnte. Das laute, rauhe, systolische Geräusch an der Pul-
monalis spricht für Pulmonalstenose. Die Geräusche
der übrigen Ostien sind fortgeleitet. Mit der Diagnose in Ein¬
klang steht die Herzgrösse. Der laute II. Pulmonalton ist da¬
durch zu erklären, dass die Stenose jenseits der Klappen
sitzt, oder dass vielleicht neben der Pulmonalstenose noch ein
offener Ductus Botalli besteht.
Bemerkenswert in diesen Fällen sind in Fall I und III die
Anfälle, im dritten Falle das Alter sowie die Magen¬
blutung auf Grund eines Magengeschwürs. Die auf¬
fallende Besserung im Anschluss an die Blutung gibt einen
therapeutischen Wink für schwere Fälle von Blausucht.
Ein Aderlass kann unter Umständen von Erfolg gekrönt sein.
Röntgenbilder von Trommelschlägelfingern zeigen
eine Verbreiterung und undeutliche Begrenzung des Knorpels der
Endphalangen.
Diskussion: Herren Leber, Kaufman n, Kleine r,
Schwalbe, Starck.
Herr Schwalbe demonstriert im Anschluss an den Vor¬
trag das Präparat eines Falles von Defekt des Septum ventri-
culorum bei einem 1jährigen Kinde. Es fehlt der obere Teil des
Septums, das Septum membranaceum, also ein verhältnismässig
häufiger Befund. Es ist sehr starke Hypertrophie des rechten
Ventrikels vorhanden, die Dilatation betrifft vorwiegend das rechte
Herz. Im Vergleich zu einem normalen Herzen eines gleich-
alterigen Kindes ist die Vergrösserung des Herzens auffallend.
2. Herr Schwalbe: Mikroskopische Demonstration eines
Falles von Poliomyelitis anterior acuta im Stadium der Re¬
paration.
Einleitend berührt Vortragender einige Fragen, die anatomisch
und klinisch gegenwärtig im Vordergrund der Diskussion bezüglich
der Poliomyelitis stehen. Besonders wird erörtert, ob die degene-
rativen Veränderungen der Ganglienzellen oder die interstitielle
Entzündung das „Primäre“ bei der Erkrankung sind. Sch. glaubt,
dass diese Frage sich anatomisch nur so beantworten lässt, dass
bis jetzt auch in den frühesten Fällen sowohl parenchymatöse
wie interstitielle Veränderungen gefunden wurden. Von einer
„primären“ Veränderung einfach in der Bedeutung des zeitlichen
Voraufgehens kann daher weder für die parenchymatösen noch die
interstitiellen Veränderungen gesprochen werden. Ob einer dieser
Zustände den anderen bedingt, das lässt sich anatomisch nicht
beantworten, sehr wohl kann dieselbe Ursache sowohl paren¬
chymatöse wie interstitielle Veränderung hervorrufen. Unsere
ätiologischen Kentnisse bezüglich der Poliomyelitis sind noch sehr
unvollkommen.
Aus der Demonstration sei nur hervorgehoben, dass hier, wie
in so vielen Fällen, die Veränderungen, die anatomisch festgestellt
wurden, ausgedehnter waren, als es den klinischen Erscheinungen
entsprach. Der Fall betraf ein ly, jähriges Kind, das im Oktober
eine Poliomyelitis durchgemacht hatte, wobei Muskeln der linken
unteren Extremität (vorwiegend Quadrizeps und Peronei) gelähmt
waren. Im Januar starb das Kind an Empyem. Die Verände¬
rungen des Lendenmarks betrafen nicht nur die linke, sondern
auch die rechte Seite. Besonders instruktiv waren die Bilder, die
mittels der Marchimethode gewonnen waren. Die Gefässcheiden
in dem linken Vorderhorn zeigten sich ganz vollgestopft mit Fett-
körnchenzellen, aber auch im rechten Norderhorn waren solche
Fettkörnchenzellen nachweisbar, sogar in den Gefässcheiden des
rechten Hinterholms wurden dieselben in ziemlicher Menge ge¬
funden. Man kann daher an diesem Fall sehr schön den Trans¬
port der fettigen Zerfallsprodukte auf dem Lymphwege studieren.
Eine ausführliche Veröffentlichung erfolgt im 23. Band von Zieglers
Beiträgen.
D iskussion: Herren N i s s 1, Schwalb ie.
Physiologischer Verein in Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 3. März 1902.
Herzfehlers betont Dr. bei
ungewöhnlich starker Ent-
Herr Graf v. Spee spricht über eine neue Zellage in der
Zonula Zinnii des Menschen. (Publiziert in den Verhandlungen
< les Anatomenkongresses.)
Herr Dresler: Zur Diagnose der Persistenz des Ductus
arteriosus Botalli.
Herr Dresle r bringt einen Fall von reiner Persistenz des
Ductus arteriosus Botalli bei einem 12 jährigen Mädchen zur Vor¬
stellung. „ , , . ,
Trotz eines imponierend lauten, rauschenden systolischen
Geräusches im 1. und II. linken Interkostalraum, das sich auch
ungewöhnlich weit in die Umgebung, besonders nach der linken
Schulter hin fortpflanzt, gleichfalls auch in die Karotiden, hat
doch die Entwicklung der Patientin keinerlei Einbusse erlitten.
Auch haben vorübergehende, recht schwere Erkrankungen dev
Pleura und der Gelenke durch den Herzfehler keine Beeinträchti¬
gung erfahren, andererseits dieser auch nicht durch die Er¬
krankungen.
Ausser die'ser Harmlosigkeit des
Beurteilung der Geräusche, dass bei — -
Wicklung des rechten Ventrikels infolge einer liiuzutretenden Kom¬
plikation, etAva Pulmonalinsuffizienz, auch einmal der Blutstrom
statt von der Aorta zur Pulmonalis durch den Duktus in um¬
gekehrter Richtung gehen kann, wodurch sich grosse, aber recht
gut charakterisierte Verschiedenheiten für den Ort der grössten
Intensität und den zeitlichen Eintritt des Geräusches ergeben.
Zur Beurteilung der Entwicklung der beiden Ventrikel und
damit ihrer Kraftentfaltung gibt das Röntgenbild eine treffliche
Hilfe ab. ^ ,, .
Eine ausführliche Darstellung findet der lall mit noch zwei
anderen gleichfalls beobachteten in dem Jahrbuch für Kinderheil¬
kunde. _ , ,
Im Anschluss an den Vortrag des Herrn Dresler demon¬
striert Herr W. Pfeiffer ein 11 jähriges Arbeiterkind, bei dem
anlässlich eines Aufenthaltes in der Klinik wegen einer leichten
Skarlatina ein offener Ductus Botalli gefunden wurde.
Die Diagnose stützte sich auf einen geringen, im Röntgenbild
allerdings nur undeutlich als Schatten hervortretenden, auf die
Herzdämpfung sich aufsetzenden Dämpfungsstreifen in der linken
oberen Herzgegend, eine geringe Verbreiterung des Herzens nach
rechts, ein undeutliches systolisches und ein dem zweiten Tone fol¬
gendes lautes diastolisches Geräusch über der Pulmonalis.
Als Erklärung für letzteres verweist Vortragender auf eine
Arbeit von Hochhaus im 21. Band des Deutschen Archivs für
klinische Medizin, avo als Ursache des diastolischen Geräusches
eine Leistenbildung vor der Einmündungsstelle des Ductus Botalli
in die Aorta nachzmveisen war. Von klinischen Symptomen Avar
nur geringe Kurzluftigkeit bei grösseren Anstrengungen aol-
Herr Hoehne berichtet über einen von ihm intra partum
diagnostizierten fötalen Herzfehler (nirgends kindliche lleiz-
tüne; über das ganze Abdomen verbreitetes, mit dem mütterlichen
Pulse nicht synchrones auffallend lautes blasendes Ge¬
räusch). Diese Diagnose ergab für ihn eine Kontraindikation
gegen einen Rettungsversuch des bei unerweiterten mütterlichen
Weichteilen in Gefahr geratenden Kindes. Die anatomische
Untersuchung des frischtot geborenen Kindes ergab „P u 1 -
monalstenose und partiellen Ventrikelseptum-
defekt, s o av i e eine mächtige Hypertrophie des
rechten Herzen s“. Der Fall wird noch in extenso ver¬
öffentlicht werden.
Herr Wandel: Ueber Favuskulturen.
Nach einem kurzen Ueberbliek über die Entwicklung und den
jetzigen Stand der Lehre von der Aetiologie des Favus demon¬
striert W. Kulturen und Präparate von verschiedenen Fällen von
Miiusefavus und 2 Fälle atoii Favus beim Menschen (Favus capil¬
litii bei einem Kinde und herpetischen Favus am Augenlide bei
einem Knaben) und w^eist auf verschiedene konstante morpho¬
logische und biologische Differenzen hin (spez. auch in der Farb¬
stoffbildung), Avelche zur Aufstellung von 2 Favusarten führen,
die im Avesentlichen mit Quinckes «- und y-Favus identisch
sind. Entschieden berechtigen diese Beobachtungen nicht, von
einer Identität aller Favusarten zu sprechen, solange wir über
die botanische Stellung und speziell über die Fruktifikations-
organe nichts Genaueres Avissen.
Der Vortrag wird an anderer Stelle in extenso erscheinen.
7. Oktober 1902.
MTJENCHENER MEDICINISCHE
WOCHENSCHRIFT.
1685
Sitzung vom 5. Mai 1902.
Herr E. Meyer: Fall von sehr ausgesprochenem K o r s a -
k o w sehen Symptomenkomplex. (Krankenvorstellimg ) Potus
nachgewiesen. Pupillen different. R/L trüge. Westplial-
sches Zeichen. Keine Sprachstörung. Ganz leichte Neuritis. Bis
jetzt keine fortschreitende Demenz. Zurzeit sprechen die Er¬
scheinungen mehr für Alkoholismus, doch ist Paralyse nicht aus-
zuschliessen.
Herr Wandel: Ueber Barmverschluss infolge von Ver¬
lagerung des fi ei beweglichen Coekum und Colon ascendens.
Nach einer kurzen Einleitung über die praktische Bedeutung
dieser Frage gibt W. einen Ueberblick über die Entwicklungs¬
geschichte, Anatomie, Häufigkeit und die wichtigsten Punkte
der Symptomatologie der als „Yolvulus c o e c i“ bekannten
Ileusform. Insbesondere werden die eine Verlagerung gestatten¬
den Bi ldungsanom alien des Darms und der Mesenterien an Zeich¬
nungen und einem Modell des Darmaufrisses erläutert.
Eine ausführliche Arbeit über dieses Thema erscheint in den
Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir.
Den- Meves: Ueber die Frage, ob die Centrosomen
B o v e r i s als allgemeine und dauernde Zellorgane aufzu-
fassen sind. (Ausführlich publiziert in den Mitteilungen für
den Verein schleswig-holsteinischer Aerzte.)
Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Würzburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 24. Juli 1902.
Ihir Gürber: 1. Ueber die Beziehungen der weissen
Blutkörperchen zur Blutgerinnung.
Anknüpfend an einen früheren Vortrag über weisse Blut¬
körperchen und Blutgerinnung, in dem gezeigt wurde, dass bei
Gerinnung des Kaninchenblutes immer etwa die Hälfte der
Leukocyten und zwar vor allem die polynukleären Formen aus
dem Blute verschwinden, was aber dann nicht eintritt, wenn das
Blut vor der Gerinnung stark abgekühlt wird, glaubte der Vor¬
tragende, als Grund für die letztere Tatsache die durch die Kälte
bedingte Lähmung der Leukocyten ansehen zu dürfen. Um die
Richtigkeit dieser Annahme zu beweisen, wurden Kaninchen mit
Stoffen vergiftet, von denen schon längst bekannt ist, dass sie
lahmend auf die weissen Blutzellen wirken, so z. B. mit Chinin
und mit Pilokarpin. Das Ergebnis dieser Versuche war aber ein
der Erwartung gerade entgegengesetztes. Anstatt keiner ver¬
schwanden nunmehr bei der Gerinnung bis zu 70 Proz. der Leuko¬
cyten aus dem Blute der vergifteten Kaninchen und zwar wohl
deshalb, weil das Blut dieser Tiere statt der normalerweise über¬
wiegenden Anzahl von mononukleären eine überwiegende Anzahl
von polynukleären Leukocyten enthielt und es gerade diese sind,
die bei der Gerinnung aus dem Blute verschwinden. In der Norm
iommen im Kaninchenblut auf ein mononukleäres weisses Blut¬
körperchen zwei bis drei polynukleäre,, im Blute der mit Chinin
oder Pilokarpin vergifteten Kaninchen ist dagegen das Verhält¬
nis gerade umgekehrt, die Zahl der polynukleären Leukocyten
hat- um das Drei- bis Vierfache zugenommen. Da aber die Ge¬
samtzahl der Leukocyten unverändert blieb, so glaubt der Vor¬
tragende dass es sich um eine durch die genannten Gifte be¬
wirkte; Umwandlung von mononukleären in polynukleäre Leuko¬
cyten handeln müsse.
Beim Menschen ist schon im normalen Blute die Zahl der
mehrkernigen Leukocyten doppelt oder dreimal so gross, als die
eei einkernigen. Es stand deshalb nach den Ergebnissen beim
Kaninchen zu erwarten, dass bei der Gerinnung des Menschen¬
blutes mehr weisse. Blutkörperchen verschwinden müssten als
beim normalen Kaninchenblut. Versuche hierüber führten aber
zu dem überraschenden Resultat, dass aus dem Menschenblut bei
der Gerinnung überhaupt keine Leukocyten verschwinden, ihre
Za hj vor und nach der Gerinnung dieselbe ist. Der Vortragende
zieht hieraus den Schluss, dass das Verschwinden der Leuko¬
cyten aus dem Blute bei der Gerinnung nicht, wie bisher an¬
genommen wurde, ein Beweis für ursächliche Beziehungen der
.eukocyten zur Blutgerinnung sein könne, sondern da, wo es
auttrete, als eine in ihrer Bedeutung noch unerklärliche Begleit-
erschemung der Gerinnung angesehen werden müsse.
2. Demonstration thyreoidektomierter Kaninchen.
Herr Rostoski: Ueber das sogen. Nukleoalbumin des
Harns.
Das durch blossen Essigsäurezusatz aus pathologischen
Harnen ausfallbare Eiweiss wurde von einigen Autoren für
Muzin erklärt. Dagegen lässt sich jedoch geltend machen, dass
es m einer Reihe von Versuchen auch Vortragendem nie gelang,
durch Kochen mit Mineralsäuren reduzierende Substanz dar¬
zustellen, wie das beim Muzin sonst der Fall ist. Jetzt hält man
(ne.se Substanz wohl fast allgemein für Nukleoalbumin. Damit
ist nicht in Einklang zu bringen, dass in 16 Fällen nur 5 mal
I hosphor in geringer Menge nachgewiesen werden konnte. Die
Beobachtung ferner, dass in einem Fall zahlreiche epitheliale
Zylinder abgeschieden werden können, ohne dass eine Spur dieser
Substanz im Harn erscheint, und dass sie in einem anderen Fall
m ziemlich reichlicher Menge ohne jegliche Nierenepithel ien
vorkommt, spricht eher gegen als; für einen aus zerfallenden
A icrenepi thelien hervorgehenden Eiweisskörper (Nukleoalbumin).
Allerdings könnte man auch annehmen, dass sich das „Nukleo¬
albumin“ schon präformiert im Blut finde und nur durch die
Alleren ausgeschieden werde, doch haben sich die meisten Autoren
für den eben angedeuteten Entstehungsmodus in den Nieren
ausgesprochen.
Wenn man nun die fragliche Substanz auf dem Filter
: ammelt, wieder auflöst und nun in einer neutralen Lösung die
Ausf a llungsgrenzen für Ammonsulfat bestimmt, so findet man
nicht die niedrigen Ausfällungsgrenzen des Nukleoalbumins,
sondern Ausfällungsgrenzen, welche mit denen gewisser Anteile
des Globulins, dem von derHofmeiste r sehen Schule sogen.
Euglobulin und Fibrinoglobulin (Fibrinogen) übereinstimmen.
■Me dagegen findet man die Ausfällungsgrenzen des Pseudo¬
globulins. Nur bisweilen kommt es schon vor dem Beginn der
Ausfällung des Fibrinoglobulins (Fibrinogens) zu einer leichten
Ti Übung, die wohl auf Nukleoalbumin zu beziehen ist. Ander¬
seits geling es nun auch, aus Blutplasma, Blutserum und Er¬
güssen in die Pleura- und Peritonealhöhle Fibrino- und Eu¬
globulin durch Essigsäurezusatz auszufällen. Die niedrigen
Ausfällungsgrenzen des Nukleoalbumins konnten nie im Serum
nachgewiesen werden. Vortragender spricht sich dafür aus,
dass wir es bei dem fraglichen Essigsäure-
nie der schlag mit den oben genannten An¬
te i 1 e 11 des Globulins zu tun habe n, dene n
bisweilen noch etwas Nukleoalbumin bei¬
gemengt sein k a n n. — Die (noch nicht bekannten) Aus-
i ä lungsgrenzen für Zellnukleoalbumin, aus Nieren und anderen
parenchymatösen Organen gewonnen, wurden durch mehrere Ver¬
suche ermittelt und den bisher bekannten Ausfällungsgrenzen
anderer Nukleoalbumine gleich gefunden. — Die einschlägigen
Versuche wurden auf Veranlassung des Vortragenden fast durch¬
weg von Herrn Dr. Matsuni oto aus Japan gemacht. Letz¬
tei ei berichtet noch ausführlicher über dieselben.
Verschiedenes.
Ascaris lumbricoides in der Harnblase.
Im Nachstehenden möchte ich kurz einen Befund mitteilen,
j®1' hinsichtlich der Diagnose einiges Interesse beanspruchen
durfte.
Die 60 jährige Frau G. aus K. litt seit einem halben Jahre an
wiederholt auftretender Retentio urinae, welche stets leicht durch
Katheterisation zu heben war. Am 20. VII. 1902 waren die
Schmelzen besonders heftig*, auch stiess die Anwendung des
Katheters auf Schwierigkeiten. Nach Einführung des Instru¬
mentes entleerten sich nur ungefähr 20 ccm Urin, dann stockte
der Ausfluss plötzlich. Da eine Verstopfung nicht stattgefunden
hatte, wurde der Katheter zum zweiten Male eingeführt, mit
gleichem Erfolg. Bei der Entfernung desselben fand sich die Ur¬
sache des obigen Vorgangs. Aus einer der Katheteröffnungen hin*»*
das hintere Ende eines Ascaris lumbricoides herab, dessen vorderes
Drittel in die Röhre eingeklemmt war und deren Lumen ver¬
stopfte.
l’at. vermochte sogleich ihren Urin spontan zu entleeren, Re¬
tentio urinae trat seither nicht mehr auf. Die innere Untersuchung
ergab keinen pathologischen Befund, die medikamentöse Beharnb
hing entfernte mehrere Askariden.
Dr. Schlüter- Alsenz (Pfalz).
Kalender für das Jahr 1903. Als erster auf dem
I lane erscheint der Reiclis-Modizinal-Kalender. Begründet von
Dr. Paul Börne r, herausgegeben von Prof. Dr. J. Schwalb e.
1686
MTTENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
Leipzig, G. l’liie m e. Treis 5 M. Bisher liegt der I. Teil vor,
umfassend das in solides Leder elegant gebundene Taschenbuch
mit einem Tageskalendariuni in 4 Quartalsheften und 2<) Nach-
schlageartikeln und ausserdem zwei ..Beihefte“, von denen das eine
11 wissenschaftliche, praktisch wichtige Gegenstände behandelnde
und von kompetenten Autoren verfasste Aufsätze bringt, während
das andere die Verzeichnisse der wichtigsten Kurorte, Anstalten,
Asyle etc. enthält. Der II. Teil des Kalenders erscheint im Monat
Dezember.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 134. Blatt der Galerie bei: Franz
v. T a p p e i n e r. Nekrolog siehe S. 1(557.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 7. Oktober 1902.
— Durch Ministerialentschliessung vom 25. v. Mts. ist der
Zusammentritt der bayerischen Aerztekammern auf
Montag, den 27. Oktober 1. .T. festgesetzt worden.
— Die Reichspost Verwaltung hat eine Verfügung
erlassen, wonach die Meldung von Krankheitsfälle n,
die nach dem Reichsseuchengesetz vom 30. Juni 1900 anzeige¬
pflichtig sind (Lepra, Cholera, Flecktyphus, Gelbfieber, Pest,
Pocken) p ortofrei geschehen kann. Die Polizeibehörden haben
den Meldepflichtigen auf Verlangen Meldekarten für schriftliche
Anzeigen unentgeltlich zu verabfolgen. Werden zu den Meldungen
von den Anzeigepflichtigen unfrankierte Postkarten benutzt, die im
Voraus von der Polizeibehörde mit dem Abdruck ihres Dienstsiegels
oder -Stempels mit dem Vermerke „Portopflichtige Dienstsache“ ver¬
sehen sind, so ist das für unfrankierte Sendungen vorgeschriebene
Zuschlagporto nicht zu erheben. Diese Vergünstigung bezieht sich
nur auf Anzeigen über die oben angeführten Krankheiten. Für
die Meldung von Pestfällen ist ein Formular festgestellt worden.
Beabsichtigt ist die Herstellung einer einheitlichen, bei sämtlichen
gemeingefährlichen Krankheiten verwendbaren Postmeldekarte.
Durch diese Verfügung wird anerkannt, dass es unbillig wäre,
für eine ausschliesslich im öffentlichen Interesse erfolgende Mel¬
dung dem Anzeigepflichtigen auch noch Kosten aufzuerlegen.
Hoffentlich wird dieser Standpunkt bald dahin erweitert, dass auch
die allerdings freiwillig, aber doch ebenfalls nur im öffentlichen Inter¬
esse erfolgenden Meldungen für die ärztliche Morbiditätsstatistik
portofrei befördert werden. InBayern hat die fortgesetzte Weigerung
der Regierung, die Portofreiheit für diesen Zweck zuzugestehen,
dahin geführt, dass die Teilnahme der Aerzte an dieser Statistik
bis auf 36 Proz. herabgesunken, somit so gut wie wertlos geworden
ist. was in Hinblick auf die Bedeutung, welche eine brauchbare
Morbiditätsstatistik für die öffentliche Gesundheitspflege besitzen
würde, gewiss lebhaft zu bedauern ist.
— Dem sächsischen Landesmedizinalkollegium ist vom Mini¬
sterium des Innern der Entwurf einer abgeänderten ärzt¬
lich e n Elirengerichtso r d nung zugegangen, der in der
diesjährigen Plenarsitzung des Kollegiums zur Beratung kommen
wird.
_ Der niederrheinische Verein für ö f f e nt -
liehe Gesundheitspflege hält am 11. ds. Mts. seine
ordentliche öffentliche Generalversammlung in Düsseldorf im
Restaurant des Kunstpalastes der Ausstellung ab.
— Eine Anstalt zur A ufnahme und Pflege
schwer und unheilbarer Kranker ist von Dr.
W e r c k m e i s t e r in Zittau gegründet worden. Dieselbe ist in
erster Linie für Fälle chirurgischer, orthopädischer oder gynäko¬
logischer Natur bestimmt. Da für die Behandlung aussichtslose,
inoperable Fälle in den meisten Privatkrankenanstalten nicht auf-
genommen werden, solche Kranke aber vielfach nur in einer An¬
stalt die nötige Pflege und den wünschenswerten Komfort finden
können, so dürfte die neue Anstalt einem Bedürfnisse entsprechen.
_ Der geschäftsführende Ausschuss, welcher an Rudolf
V i r c li o w s 80. Geburtstag diesem die Virchow-Stiftung über¬
reichte, hat sich von neuem konstituiert, um die Errichtung eines
öffentlichen Denkmals vorzubereiten; es gehören demselben die
gleichen Personen an (Vorsitzender W. Waldeyer, stellver¬
tretender Vorsitzender B. F r a e n k e 1, Schriftführer C. Posne r,
Schatzmeister E. v. Mendelssohn-Barthold y) wie da¬
mals; zugewählt wurden nur die beiden Direktoren der Charite,
Generalarzt Sch aper und Geheimrat M tiller, sowie Sir Felix
S e m o n in London. Der Ausschuss wendet sich jetzt zunächst
in einem Anschreiben an alle Mitglieder des damaligen grossen
Komitees, um diese zu erneutem Beitritt aufzufordern.
_ Die freie Vereinigung der medizinischen
F a cli p re s s e’ hielt am 23. d. M. in Karlsbad unter dem Vor¬
sitz von Ad ler- Wien ihre statutenmässige Generalversamm¬
lung. Es wurde eine festere Organisation der Vereinigung und
Anschluss an die vor kurzem begründete internationale Press¬
assoziation beschlossen und der neugebildete, aus den Herren
E u 1 e n b u r g. P osne r, Spat z. A d 1 e r und H errnhei s e r
bestehende Ausschuss mit Ausarbeitung eines entsprechenden Sta¬
tutes beauftragt.
_ C h o 1 e r a. Aegypten. Nach einem Berichte des General¬
direktors des ägyptischen Gesundheitswesens hat die Cholera¬
epidemie während der am 15. September abgelaufenen Woche an
Heftigkeit noch weiter zugenomnien. Die Zahl der verseuchten
Orte war auf 1557 gestiegen, die Zahl der nach den Anzeigen im
Laufe der Woche Erkrankten betrug 9466, der Choleratodesfälle
8278. Mehr als die Hälfte der Todesfälle ist immer noch ausser¬
halb der Krankenanstalten vorgekommen, denn von den 8278 Ge¬
storbenen der letzten Betriebswoche sind in den Spitälern nur
3597 der Seuche erlegen, während 4681 Choleraleichen ausserhalb
der Spitäler gefunden wurden. Von den seit dem 15. Juli bis zum
15. September zur Anzeige gekommenen 28 520 Cholerakranken
waren bisher nur 3033 genesen, die Gesamtzahl der Choleratotles¬
fälle in dieser Zeit belief sich auf 23 684. Während der 4 Tage vom
15. bis 19. September wurden nacheinander 1103, 1026, 1013, 906,
zusammen 4048 Erkrankungen und 1011, 953, 974, 823, zusammen
3761 Todesfälle an der Cholera gemeldet, darunter 136 bezw. 115
in Alexandrien. In Suez sind vom 15. bis 19. September noch 29
Cholerafälle vorgekommen, in Damiette soll deren Zahl täglich
einige 30 betragen. Auch die für den Fremdenverkehr wichtigen
Orte Luxor und Karnak sollen von der Seuche arg betroffen sein.
Von Europäern sind während der am 15. September abgelaufenen
Woche in Alexandrien 64 erkrankt und 41 der Cholera erlegen, an
den folgenden fünf Tagen 35 und 20.
_ Pest. Russland. Zufolge amtlicher Bekanntmachung
im Regierungsanzeiger vom 23. September sind in Odessa seit dem
io. Juni insgesamt 25) pestverdächtige Erkrankungen beobachtet,
von denen 10 einen tödlichen Ausgang hatten. Auf die 6 Tage
vom 14. bis 19. September entfielen 10 Erkrankungen und 4 Todes¬
fälle. am 20. und 21. September sind ähnliche Erkrankungen nicht
vorgekommen. — Aegypten. In der Woche vom 12. bis 19. Sep¬
tember sind 2 Pesterkrankungen in Alexandrien beobachtet. —
Vereinigte Staaten von Amerika. Aus San Franzisko wurden vom
20. bis 31. August 5 tödlich verlaufene Pestfälle gemeldet. — Bra¬
siliern. In Rio de Janeiro sind vom 15. bis 29. August 4 weitere
Todesfälle an der Pest festgestellt; anscheinend befanden sich
ausserdem noch Pestkranke in grösserer Anzahl in der Stadt.
— In der 38. Jahres woclie, vom 14. bis 20. September 1902,
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Fürth mit 28.4, die geringste Koblenz mit 10,5 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Hildesheim, Kiel; an Masern
in Remscheid; an Diphtherie und Krupp in Berlin, Hamburg.
V. d. Iv. G.-A.
_ Nach dem Tode von Prof. Dr. Haus Büchner in Mün¬
chen hat Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Max Rubner in Berlin die
Redaktion der Bibliothek der Gesundheitspflege,
welche im Verlage von Ernst Heinrich Moritz in Stuttgart ei¬
scheint, übernommen.
(Iioclischulnachrichten.)
Erl a n gen. Dem ersten Assistenten am physiologischen
Institut Privatdozenten Dr. Oskar Schulz wurde die Funktion
eines Leiters der chemischen Abteilung dieses Instituts in
widerruflicher Weise übertragen. Genehmigt wurde, dass der
Assistent am physiologischen Institut Dr. med. Richard 1 riedrich
F uchs aus Bensen als Privatdozent für Physiologie in die medi¬
zinische Fakultät der Universität Erlangen aufgenommen werde.
Greifs w a 1 d. I )r. Zimmerma n n, I. Assistent an der
Frauenklinik (Prof. A. M a r t i n) wurde zum Oberarzt der gynäko¬
logischen Abteilung des Krankenhauses zu Duisbuig ernannt.
C a, d i x. Dr. .1. I.. Höhry Rodriguez wurde zum Pro¬
fessor der Therapeutik ernannt.
Catania. Habilitiert: Dr. A. R. Marina für Neurologie.
G r a z. Für den durch die Berufung Escherichs nach
Wien erledigten Lehrstuhl für Kinderheilkunde sind vorgeschlagen:
P f a u n d 1 e r - Graz, R audnitz - Prag und Keller- Breslau.
M oska u. Der Professor an der medizinischen Fakultät zu
Dorpat Dr. S. T schir w insk y wurde, zum ausserordentlichen
Professor der Pharmakologie ernannt.
Neapel. Habilitiert: Dr. L. d’A m a t o für medizinische
Pathologie. _
Rom. Habilitiert: Dr. R. Fiocca für medizinische 1 atlio-
logie; Dr. 8. Rocchi für Geburtshilfe und Gynäkologie..
S a n t i a g o. Dr. V. Escribano Garcia wurde zum Pro¬
fessor der topographischen Anatomie ernannt.
(T o d e s f ä 1 1 e.)
Professor Dr. Albert Sigel, ärztlicher Vorstand der Olgalieil-
anstalt in Stuttgart, 62 Jahre alt.
Professor Dr. Stokvis, 68 Jahre alt, in Amsterdam, seit
1877 daselbst Professor der allgemeinen Pathologie.
Dr. Delacour, früher Professor der medizinischen Klinik
zu Rennes. . .
Dr. B. K i j a n o w s k y, Privatdozent für innere Medizin an
der militärmediziniselien Akademie zu St. Petersburg.
Dr. A. Friede r w a 1 d, Professor der Ophthalmologie und
Otologie am College of Physicians and Surgeons zu Baltimore.
Personalnachrichten.
• (Bayer n.)
Niederlassung: Dr. Arthur Boehm, Spezialist für (Unen-,
Nasen- und Halskrankheiten, approb. 1898, in Nürnberg.
A Koppen, approb. 1902, in Nürnberg, als Spezialarzt tnr
Augenkrankheiten. Dr. W. Strauss, approb. 1897, in Nürnberg,
als Spezialarzt für Frauenheilkunde. Dr. K. Martin, approb.
1901, in Velden.
Verzogen: Dr. Veltung von Velden nach Würzburg.
7. Oktober 1902.
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1687
Amtlicher Erlass.
(Sachse n.)
Vei Ordnung“, die Abänderung der Standesordnung und der
Ehrengerichtsordnung für die ärztlichen Bezirksvereine be¬
treffend.
Vom 5. Juni 1902. (Ges. u. Verordn.-Bl. S. 150.)
Die auf Grund von § 5 des Gesetzes vom 23. März 1890 er¬
lassene, durch Verordnung vom 14. März 1899 (Ges.- u. Verordn.-
Bl. 1899 S. 75 ff.) bekannt gegebene Standes- und Ehrengerichts¬
ordnung*) für die ärztlichen Bezirksvereine wird in nachstehender
V\ eise abgeändert:
1. Die Stand eso r d n u n g betre f f e n d.
n)^ Dei letzte Absatz des § 3 hat künftig zu lauten:
Wegen etwaiger Ausnahmen ist in jedem Falle das Gut¬
achten des Bezirksvereins einzuholen.
b) Dem § 11 siud folgende Zusätze anzufügen:
Ferner ist es unzulässig, Sprechstunden ausserhalb des
eigenen Wohnortes in einer Ortschaft abzuhalten, in welcher be¬
reits ein oder mehrere Aerzte wohnen und Praxis ausüben. Des¬
gleichen ist es unzulässig, im eignen Wohnorte an verschiedenen
Stollen Sprechstunden abzuhalten.
Wegen etwaiger Ausnahmen von letzteren beiden Verboten ist
das Gutachten des zuständigen Bezirksvereins bezw. nach Gehör
des sonst noch in Betracht kommenden benachbarten Bezirks¬
vereins einzuholen.
c) ln § 15 sind die Worte: „zur Genehmigung“ mit den Worten
„zur gutachtlichen Aussprache“ zu vertauschen.
II. Die Ehrengerichtsordnung betreffend.
In § 5 Absatz 2 sind die Worte „an die Sanitätsdirektion“ mit
den Worten „an das Kriegsministerium“ zu vertauschen.
Dresde n, den 5. J uni 1902.
Ministerium des Innern.
v. M e t z s c h. K r e h e r.
Briefkasten.
Gekochte Sauermilch.
Herrn Dr. Sp. in Kirchheimbolanden. Ihre Anfrage, welcher
Säurepilz zur Herstellung der in der Molkereikosthalle der land¬
wirtschaftlichen Ausstellung in München zum Verkaufe gestellten
„gekochten Sauermilch“ verwendet werde und wo derselbe erhält¬
lich sei, wird uns durch das freundliche Entgegenkommen des
Herrn Dr. Franz Jos. Herz, staatl. Konsulenten für Milchwirt¬
schaft in München, für das wir auch an dieser Stelle unseren
verbindlichsten Dank aussprechen, folgendermassen ausführlich
beantwortet.
Im März 1901 bezog ich vom bakteriologisch-milchwirtschaft¬
lichen Institut der Band Wirtschaftskammer für Schleswig-Holstein,
Vorstand Prof. Dr. Weigmann in Kiel, einen „flüssigen Säure¬
wecker“,' wie er zur künstlichen Säuerung des Itahms behufs Ge¬
winnung einer feinen und haltbaren Butter in den neueren Molke¬
reien verwendet wird. In Holstein wie in Dänemark werden aus
der Buttermilch derjenigen Molkereien, welche die wohl¬
schmeckendste, fernste und haltbarste Butter erzeugen, nicht
bloss die „schneidigsten“ Rassen von Milchsäurepilzen, sondern
auch „Aromapilze“ (Oidien) isoliert und zunächst für sich in
sterilisierter Zentrifugenmagermilch rein weiter gezüchtet, um
daun im richtigen Mengenverhältnis miteinander gemischt als
„Säurewecker“, „Rahmliefe“ oder schlechtweg als „Reinkultur“
an die Molkereien zu genanntem Zwecke versandt zu werden,
ähnlich wie die „Reinhefe“ an die Brauereien. Erweist sich die
Kultur nicht mehr kräftig genug, bezw. im Geruch oder Geschmack
nicht mehr ganz rein, so bezieht man einen frischen Säurewecker,
den manche Molkereien im Abonnement alle 2 oder 4 Wochen o line¬
al11 erneuert erhalten. Im Laufe der Zeit können die Säurepilze,
die für sich allein wohl eine haltbare, aber keine aromatische und
wohlschmeckende Butter erzielen lassen, geschwächt werden;
ferner haben Aroma- und Säurepilze ein ungleiches Wachstum,
so dass je nach der Temperatur, bei welcher der Säurewecker in
der Molkerei täglich 'fortgepflanzt wird, bald die einen, bald die
anderen der Zahl und Wirkung nach überwiegen können.
Hen im März 1901 bezogenen Säurewecker verwendete ich
übrigens nicht für Molkereizwecke, sondern für den Haushalt, und
derselbe ist heute noch vorzüglich, nachdem er seither jeden Tag
ard gekochte und wieder erkaltete Vollmilch weiter gepflanzt
wurde. Wir nahmen ihn sogar heuer und voriges Jahr mit in
die Sommerfrische, kochten des Abends die bei den Bauern ge¬
kaufte Milch ab, Hessen sie im Winter erkalten und füllten mit ihr
frisch gereinigten Patent-(Bier-)Flaschen auf (bei etwa 20 bis
-- ’), in welche vorher 40 — 00 g des Sauermilchrestes gegeben und
mit der zugesetzten Milch geschüttelt wurde. Wenn sie bis zum
anderen Tag im kühlen Zimmer stand, war sie spätestens Mittags
genussfertig und wurde an warmen Tagen noch ins kalte Wasser
gestellt. Daheim lassen wir die Milch im Sommer im Hausgang
Oder Keller, im Winter in der warmen Küche säuern (in den
Molkereien vollzieht sich die Säuerung bei 16 — 20°). Statt die
Milch umständlich zu pasteurisieren, wird sie einfach auf gekocht;
einen „Kochgeschmack“ konnten wir trotzdem an der fertigen
Sauermilch nie wahrnehmen; es vergeht dadurch sogar der beim
Kochen noch mehr hervortretende „Stallgeruch“, der besonders
wahrgenommen wird, wo Biertreber längere Zeit im warmen Stall
*) Vergl. d. W. 1S9G, S. 4G5, 5S3 und 1003.
gelagert werden, und der den Genuss gekochter Milch vielfach
Kindern und Erwachsenen zum Ekel macht.
Nachdem Herr Dr. Herz auch in seinem Bekanntenkreise
günstige Erfahrungen mit der „gekochten Sauermilch“ gemacht
hatte, ersuchte er die „Zentralmolkerei München“, Weissenbur«er-
strasse 30 und 32, Sauermilch im Grossen herzustellen und in den
Veikehi zu bringen. Durch ihr Entgegenkommen konnte er
„pasteurisierte Sauermilch“ sowohl als Vollmilch als auch als
Magermilch m der Molkereikosthalle der landwirtschaftlichen
Ausstellung des Zentrallandwirtschaftsfestes in München öffent¬
lich vorzeigen. Die Zentralmolkerei München kocht die Milch
nicht, wie man dies im Haushalt vorziehen wird, sondern pasteuri¬
siert sie, wie ihre nach dem Verfahren von Prof Dr Förster in
Strassburg hergestellte „Sanitätsmilch“, und verkauft sie nicht
teurer als ihre gewöhnliche Vollmilch.
Auf diese Weise (Säuern der gekochten Milch mit bestimmten
T ilzen) D könnte auch die sonst (besonders in gekochtem Zu¬
stande) allzu süsslich schmeckende Zentrifugenmagermilch, von
der z. B. in München manchen Tag mehrere Hektoliter in den
Kanal fliessen, da sie von Waisenhäusern, Wärmestuben, Wohl¬
tätigkeitsanstalten nicht einmal unentgeltlich abgeholt wird, wohl¬
schmeckender gemacht und mehr als bisher als gutes und billiges
Volksnahrungsmittel herangezogen werden. Aber selbst wenn
Vollmilch verwendet wird, die natürlich noch besser schmeckt,
wird man die Eiweisstoffe in keinem anderen Nahrungsmittel
billiger, vielleicht auch nicht verdaulicher und für manchen Magen
bekömmlicher erhalten, als in der gekochten oder pasteurisierten
„Sauermilch“, die nicht nur den Haushaltungen und Schulen oder
dem „niederen Eiseubahnpersonal“, soudern auch den Radfahrern,
den Kindern bei Schulausflügen, den Beamten mit ungeteilter
Arbeitszeit, überhaupt d n weitesten Kreisen in Stadt und Land
leicht zugänglich gemacht werden könnte.
Korrespondenz.
Die Rettungseinrichtungen der bayerischen Eisenbahnen.
Das Referat über den Bahnärztetag von H a g e r - Magdeburg
bringt einen Bericht über die Vorträge und Demonstrationen der
Rettungseinrichtungen in den verschiedenen deutschen Staaten,
erwähnt aber das nicht, was wir in Bayern zu bieten liattten, so
dass sich dem Fernerstehenden Eindrücke aufdrängen müssen, die
nicht zu unseren Gunsten ausfallen.
Und gerade wir brauchen, dank der Organisation Oskar
v. L i p p 1 s, einen Vergleich mit den Vorkehrungen anderer Eisen¬
bahnverwaltungen nicht zu scheuen. Wir waren in der glück¬
lichen Lage, den Kollegen ein fertiges System vorführen zu können,
während die Mehrzahl der anderen Redner betonte, dass in ihrer
Heimat noch vieles im Werden begriffen sei.
I nser Referent beschrieb das in Bayern beim Eintreten eines
Unglücksfalles übliche Verfahren. In jeder Station befindet sich
eine Unfallmeldetafel, aus welcher ersichtlich ist, welche Stellen
und Personen bei Unfällen zu benachrichtigen sind. Dies ist ganz
wesentlich, da in der Aufregung eines plötzlichen Unglückes auch
dem geübteren Beamten ein Uebersehen unterlaufen kann, ein
misslicher Umstand, dem dui*ch das Vorhandensein des Schemas
vorgebeugt ist.
Zur Hilfeleistung auf freier Strecke ist das Zugspersonal, im
Bereiche der Stationen das Stationspersonal verpflichtet. Zu diesem
Zwecke finden Unterrichtskurse statt und muss das Personal bei
den Fachprüfungen über seine Kenntnis „der ersten Hilfeleistung“
Rechenschaft ablegen. Die diesbezüglichen Vorschriften finden
sich, mit Abbildungen versehen, in Plakatform in den Bureau¬
lokalitäten.
Die zu Rettungszwecken zur Verfügung stehenden Hilfsmittel
sind: die Verbandtaschen der Zugführer, die Rettungskästen, Trag¬
bahren, Räderbahren, Hilfs- und Requisitenwagen, die Rettungs¬
wagen und die Rettungszimmer.
Diese Gegenstände wurden beschrieben und vorgezeigt. Der
Inhalt der Rettungskästen deckt sich im wesentlichen mit dem
von Dr. Brüh m er angegebenen preussischen. Während der
bayerische ,, grosse Rettungskasten“ die durch seinen Namen be-
zeichnete Form besitzt, stellt der Brälim ersehe einen Schrank
dar, dessen geöffnete Türen ebenfalls Fächer enthalten. Es lässt
sich nicht leugnen, dass diese Art der Aufbewahrung den Vorzug
grosser Uebersichtliclikeit hat. Berücksichtigt man indessen, wie
diese Behältnisse in der Eile vom Personal verladen bezw. auf die
Maschine geworfen werden, so müssen sie schon etwas auslialten
können, und da ist die Kastenform die widerstandsfähigere.
Eine Aenderung der Füllung unseres Kastens unterliegt
übrigens gegenwärtig insofern der Erwägung, als beabsichtigt ist,
Einheitsverbände einzuführen, die in keimdicht verschlossener
Kapsel Verbandstoffe und Binde enthalten, so dass man nicht mehr
gezwungen sein würde, beim Anlegen eines Verbandes mehrere
Pakete zu öffnen und damit den nicht gebrauchten Rest unbrauch¬
bar zu machen.
Jede Station besitzt mindestens eine Tragbahre; diese sind
soweit in Uebereinstimmung mit jenen der freiwilligen Sanitäts-
kolonnen angefertigt, dass sie in deren Transportwagen Platz
finden; da sie ebenfalls in die Eisenbahn- Rettungswagen passen,
so kann der Verletzte von der Unfallstelle bis in seine Wohnung
*) Von Kefir unterscheidet sich „gekochte Sauermilch“ haupt¬
sächlich durch die Abwesenheit von Alkohol und durch einen ge¬
ringeren Kohlensäuregehalt, von Buttermilch und gewöhnlicher
„saurer Milch“ durch ihre gleichmässig' gute Beschaffenheit und
durch die Abwesenheit pathogener Keime.
MUETsf CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
1688
etc. geschafft werden, ohne dass er ein einziges Mal umgebettet
werden muss.
Von den .Rettungswagen besitzt jede der 10 Betriebsdirek¬
tionen einen; derselbe ist stets gebrauchsfähig und braucht beim
Einstellen in den Zug nur mit Wasser und Eis versehen zu werden.
Jeder Wagen kann 30 Verwundete lagern und ist demgemäss mit
ebensoviel Einheitsbahren ausgestattet, die auf besonderen Stän¬
dern mit Grundscher Federanordnung an den beiden Längs¬
wänden in 2 Reihen übereinander stehen. Da die Wagen mit Lenk¬
achsen versehen sind, können sie auch auf Lokalbahnen über¬
gehen. Bei dem Aus- und Einparkieren wird an der einen Platt¬
form das Geländer heruntergeschlagen und die Bahren, die mit
Rädern versehen sind, können auf der Einladeschiene ohne Mühe
ein- und ausgefahren werden. Die Wagen sind lediglich als Trans¬
portmittel und nicht als Operationslokal gedacht; dieselben sind
in B r ä h m e r s Eisenbahnhygiene abgebildet.
Der neue preussisclie Arztwagen enthält Lagerstätten für nur
8 Verwundete und benutzt den übrigen' Raum für einen sehr
elegant ausgestatteten Operationsraum mit Oberlicht, laufendem
warmen Wasser etc. Es lässt sich darüber streiten, welche An¬
ordnung vorzuziehen sei; während der Fahrt wird man nicht leicht
operieren; aber auch bei stillstehendem Wagen dürfte es nicht oft
Vorkommen, da Blutungen längst gestillt sein müssen, bevor der
Wagen an den Ort des Unglücks kommt und grössere Operationen
doch für die Klinik mit ihren bedeutenderen Hilfsmitteln auf¬
gehoben werden müssen. Zur Erleichterung des Einparkierens
dürfte es sich empfehlen, die Geländer so zu gestalten, dass man sie
über die Puffer herabschlagen kann, und die Tragbahren mit
Rollen zu versehen; auch dürfte die Anbringung von Lenkachsen
für den U ebergang auf Lokalbahnen notwendig werden.
Beetz- München.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München
in der 38. Jahreswoche vom 14. bis 20. September 1902.
Beteiligte Aerzte 117. — Brechdurchfall 20 (34*), Diphtherie u.
Krupp 7 (7), Erysipelas 9 (6), Intermittens, Neuralgia interm.
1 (— ). Kindbettfieber — (— ), Meningitis cerebrospin. — (1).
Morbilli 15 (11), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 2 (— ), Parotitis
epidem. — (1), Pneumonia crouposa 3 (2), Pyämie, Septikämie
— (1), Rheumatismus art. ac. 15 (IN» Ruhr (Dysenteria) 3 (1),
Scarlatina 6 (4), Tussis convulsiva 20 (30), Typhus abdominalis 1
(3), Varicellen 2 (2', Variola, Variolois — (— ), Influenza 1 (— ).
Summa 104 (121). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 38. Jahreswoche vom 14 bis 20. September 1902.
Bevölkerungszahl ; 499 932.
Todesursachen: Masern 1 ( — *) Scharlach — (1) Diphtherie
u Krupp 2 (— ), Rotlauf - (— ), Kindbettfieber — (—), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 1 ( — ), Brechdurchfall 12(13), Unterleib-Typhus
(1), Keuchhusten 3 (3), Kruppöse Lur genentzündung — (5), Tuber¬
kulose a) d* r Lunge 19 (14), b) der übrigen Organe 4 (6), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
1 (2), Unglücksfälle 1 (5), Selbstmord 2 (1), Tod durch fremde
Hand — (— ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 215 (210), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 2?,1 (21,6), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 21,6 (9,7).
Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten in Bayern: Juli1) und August 1902.
Regierungs¬
bezirke
bezw.
Städte mit
über 30,000
Ein¬
wohnern
Brech¬
durchfall
Diphtherie,
Krupp
Erysipelas
Influenza
Intermittens.
Neuralgia
int.
Kindbett- 1
neber 1
Meningitis 1
cerebrospin |
2
S-
C
i—
~J7 1
!
Ophthalmo- J
Blennorrh. 1
neonator.
Parotitis
epidemica
Pneumonia
croupo sa
Pyaemie,
Septi-
kaemie
K
ci
£
5
musart.ac
Ruhr
(dysenteria)
Scarlatina
Tussis
convulsiva
Typhus
abdominalis
Varicellen
Variola, !!
Variolois ||
Zahl der Aerzte
überhaupt
| Zahl derbe- 1
teil. Aerzte II
J.
A.
J.
A.
J
1 A.
J.
A.
J. |
A
j
A.
.1 | A.
A.
J
A.
j.
A.
j
A.
J
A.
j
A.
J
A.
J- 1 A.
J
A
J.
A.
J.
A.
j.
A.
A.
Oberbayern
358
481
60
66
83
93
92
102
12
11
u
11
2
3
230
131
13
9
29
23
101
104
4
6
149
135
2
4
15
12
230
245
7
4
51
46
_
_
949
194
Nicderbay.
123
16t
12
18
34
28
28
60
10
8
—
5
2
46
5
—
3
5
14
111
49
4
4
44
51
6
3
1
2
35
37
2
6
6
11
—
—
188
77
Pfalz
456
364
53
30
19
10
22
16
7
8
6
4
3
35
58
8
5
14
7
106
65
1
2
33
36
2
1
16
30
167
146
18
9
16
4
—
—
299
104
Oberpfalz
160
246
27
37
33
29
14
17
8
4
—
3
1
1
23
3
2
3
3
4
110
63
9
4
37
32
—
1
67
27
126
126
3
1
16
10
—
—
158
84
Oberfrank.
141
143
60
74
38
26
54
30
5
3
2
2
—
—
210
209
—
—
5
4
189
108
2
1
47
30
—
1
27
17
104
74
2
1
10
13
—
—
206
95
Mittel frank.
306
390
70
54
58
38
64
47
2
2
4
5
2
2
69
44
11
4
8
6
198
118
2
2
53
48
3
2
102
83
143
112
1
5
51
20
—
—
c'67
186
Unterfrank.
147
111
34
20
23
29
51
4t
2
—
1
2
—
1
111
37
—
—
18
9
119
90
—
1
28
16
1
—
40
25
38
56
7
8
10
13
—
—
3i8
84
Schwaben
352
325
62
29
38
30
40
91
7
1
2
6
-
1
330
226
5
4
13
10
121
116
5
5
72
41
1
1
7
3
96
75
3
9
37
10
—
—
295]
181
Summe
2043
2221
378
328
326
283
365
407
53
37
26
38
5
13
1054
713
39
28
95
77
1055
713
27
25
463
389
15
13 275 199
1 1
939
871
43
43 197
1
127
2790
1005
3)
Augsburgs)
49
51
4
6
6
4
12
4
1
1
_
199
109
.
_
1
_
15
12
_
1
11
6
—
_
3
3
7
9
—
—
5
1
—
—
53
53
Bamberg
14
33
14
26
—
1
10
2
1
—
—
—
—
—
16
2
—
—
—
1
4
—
—
4
2
—
—
8
3
25
19
41
14
Hof
4
_
3
- -
1
—
—
13
,
—
.
2
3
1
—
4
12
—
—
.
—
.
17
Kaiserslaut.
7
23
3
2
—
—
—
3
3
1
1
—
3
—
—
—
—
2
—
1
—
3
2
—
—
23
6
Ludwigshaf.
245
61
6
1
6
2
1
—
2
—
—
—
—
—
10
1
6
1
3
—
9
1
—
—
13
2
—
—
7
7
22
13
3
—
4
—
—
—
30
11
München3)
86
120
29
16
34
27
5
_
2
1
2
3
2
1
111
50
8
5
10
6
30
15
—
—
62
50
—
2
12
9
175
132
3
2
29
15
—
—
583
100
Nürnberg
166
, 220
44
27
23
26
17
13
2
—
1
1
1
2
39
12
3
3
5
2
55
32
—
2
24
31
1
2
73
53
99
74
—
3
43
16
—
—
156
121
Pirmasens
33
25
7
4
2
1
—
—
—
1
2
—
—
—
—
—
—
—
—
—
6
1
—
—
1
1
—
—
2
1
18
6
—
—
4
—
—
14
5
Regensburg
44
55
9
5
10
4
—
6
1
2
—
—
—
1
5
3
1
3
1
—
15
5
3
—
7
6
—
—
4
3
89
67
—
1
—
1
—
44
35
Würzburg
55
33
10
5
6
7
—
—
—
—
—
—
—
—
7
—
—
—
—
—
11
10
—
—
1
2
—
—
18
11
—
5
4
3
5
4
—
—
90
24
Bevölkerungsziffern : Oberbayern 1/323,888, Niederbayern 678,192,
Pfalz 831,678, Oberpfalz 553,841, Oberfranken 608,116, Mittelfranken 815,895, Unter-
franken 650,766, Schwaben 713,681. — Augsburg 89,170, Bamberg 41,823, Hof 32,781,
Kaiserslautern 48,310, Ludwigshafen 61,914, München 499,932, Nürnberg 261,081,
Pirmasens 30,195, Regensburg 45,429, Wiirzburg 75,499.
Einsendungen fehlen aus der Stadt Hof und den Aemtern Bogen, Grafenau,
Ncumarkt, Neunburg v./W., Hof, Ansbach, Fürth, Günzenhausen, Hofheim, Kö¬
nigshofen, Lohr, Melirichstadt, Würzburg, Kaufbeuren, Nördlingen und Oberdorf.
Höhere Erkrankungszablen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet
aus folgenden Aemtern bezw. Orten:
Brechdurchfall: Stadt Amberg 72, Stadt- und Landbezirke Freising 52,
ScbWabach 39, Aemter Neustadt a /H. 47, Speyer 38, Frankenthal und Wunsiedel
je 37, Zweibrücken 33, ärztl. Bezirk NeuöttiDg (Altötting) 28 beb Fälle-
Diphtherie, Krupp: Aerzti. Bezirk Creussen (Pegnitz) 12 beb. Fälle.
Influenza: Mitteilungen aus den Aemtern Wolfstein (im ärztl. Bezirke
Waldkirchen 13 beh. Fälle, mit hohem Fieber einsetzend, schweren gastrischen
und nervösen Erscheinungen und kons. Nachkrankheiten), Dillingen (im ärztl.
Bezirke Lauingen 49 beh. Fälle, gastrische F’orm, ausserdem viele nicht behan¬
delte Erkrankungen), Zusmarsbausen (häufig im Amte, gastrische Form) und
Neuburg a./D. (häufig in Steppberg und Umgebung), Aemter Altötting 28, Dachau
23 beh. Fälle.
Morbilli: Epidemie im Amte Dingolfing erloschen, desgleichen in Höchen
und Frankenholz (Homburg); Fortsetzung der Epidemien in der Stadt Memmingen
(25 beh. Fälle) und in den Aemtern München (in Feldmoching neben Tussis),
Landau i /Pf. (in Offeubach; 200 bis 300 Kranke, nur 38 behandelt), Wunsiedel
(122 beh. Fälle), Alzenau (neben Tussis) und Kempten (in Altusried und Wil-
poldsried', ferner im Stadt- und Landbezirke Forchheim (62 beh. Fälle). Ausser¬
dem Epidemien in den Aemtern Aichaeh (in Aichach und Umgebung), iDgolstadt
(ziemlich ausgebreitet in Eitensheim), Kusel (in Langenbach), Uffenheim (in Ickel-
hejm mit heftigen Symptomen, aber gutartigem Verlaufe und in Lenkersheim)
und Augsburg (22 beb. Fälle in Oberhausen); Bez.-Amt Schwabmünchen 22 beh.
Fälle.
Parotitis epidemica: Beginnende Epidemie in Eglharting (Ebersberg).
Scarlatina: Häufigere Erkrankungen in Neustadt a./A., 12 beh. Fälle;
ärztl. Bezirk Weiden (Neustadt a/WN.) 15 beh. Fälle, neben Tussis.
Tussis convulsiva: Epidemie in Pegnitz und Umgebung erloschen,
im Amte Landau a /I. abnehmt nd. Fortsetzung der Epidemien in den Aemtern
Griesbach (noch im nordwestl. Teile des Bezirkes), Germersheim (in Kandel),
Landau i./Pf. (neu in Niederhoehstsdt, Siebeidingen und Edesheim), Alzenau (in
Krombach fast alle Kinder erkrankt gewesen, viele gleichzeitig mit Masern, 5
gestorben; neues heftiges Aufrreten in FVldkahl) und Donauwörth (in Wemding,
viele Kinder, auch Schulkinder erkrankt, selten ärztlich behandelt). Epidemi¬
sches Auftreien feiner in dt n Aemtern Bergzabern (in Annweiler, Albersweiler,
Eusserthal und Dernbach), Tirmasens (in Dahn und Bruchweiler, 28 beh. Fälle),
Naila (heftig in Naila und Selbitz, mehrere Todesfälle an kons. kath. Pneumonie)
und Neuburg a / D. (in Neuburg und Weichering). Häufigere Erkrankungen neben
Masern in Aichach und Umgegend und in Feldmoching (München), neben Schar¬
lach im ärztl. Bezirke Weiden (Neustadt a /WN.).
Varicellen: Zahlreichere Erkrankungen in Baierbrunn (Wolfratshauseu).
Milzbrand: Je 1 Fall in der Stadt Kitzingen und im Amte Kaiserslautern.
Febris gastrica wird als endemisch im Bezirke Dachau bezeichnet;
im Juli 32, August 58 beb. Fä le ; ferner wird häufiges Auftreten unter Ernte¬
arbeitern im Amte Mallersdorf gemeldet.
Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird um
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Berichts-
monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehl¬
anzeigen ersucht, womöglich unter anmerkungsweiser Mittheilung von Epi¬
demien. Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswerte
dass Fälle aus sog. Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen
Amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern
mitgetheilt werden.
Meldekarten nebst Umschlägen zur portofreien Einsendung an das
K. Statistische Bureau sind durch die k. Bezirksärzte zu erhalten. Diese Karten
dienen ebenso zu sog. Sammelkarten, welch’ letztere zur Vermeidung von
Verzögerungen ohne Rücksicht auf etwa ausständige Anzeigen gleich¬
falls bis längstens 20. jeden folgenden Monats einzusenden wären. Allenfalls
später eingekommene Meldungen wollen auf der nächstfolgenden Karte als
| Nachträge gekennzeichnet, aufgenommen werden. Noch in Händen be-
j findliche sog. Postkarten wären aufzubrauchen, jedoch durch Angabe der
i behandelten In fluenzafälle zu ergänzen und gleichfalls unterümschlag ein-
j zusenden. — Sog. Zählblättchen dagegen werden vom K. Statistischen Bureau
weder beschafft noch versendet.
i) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No 37) eingelaufener Nachträge. — 3) Im Monat Juli 1902 einschliesslich der Nach
träge 1125. — *) 27 mit 31. bezw. 32. mit 35. Jahreswoche
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kun.; ‘.drucken* a.G.. München.
t>le Münch. Med. Wochenschr. erscheint wfichentl
in Nummern von durchschnittlich 5—6 Boeen
Preis in Deutschi. u. Oest. -Ungarn vierteljährl. 6 JL
ins Ausland 8. — M.. Einzelne No. 80 ■*}.
MÜNCHENER
oind zn ?dressiren : Für die Redaktion
rnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh-
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
_ __ an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16 g
MEDIOINISCHE W OCHENSOHRIFT
(früher Ärztliches intelligenz-blatt)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
°tS„rer’ W. v. Leube, G. Merkel, j.e.Mi
s • • muncnen. Leipzig. Würzburg. Nürnberg. Berlin.
No. 41. 14. Oktober 1902.
F. Penzoldt, H. *. Ranke, F. v, Winckel,
Erlangen. München. München.
Redaktion : Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag; J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Ein Rückblick auf 720 Gallensteinlaparotomien, unter
besonderer Berücksichtigung von 90 Hepatikus-
drainagen.*)
Von Professor Dr. Hans Kehr in Halberstadt.
M. II. ! Venn ich Sie eingeladen habe, mit mir einen Rück-
lck auf 720 . von mir ausgefiihrte Gallensteinlaparotomien zu
halten, so bin ich mir sehr wohl bewusst, dass es bei der Mannig¬
faltigkeit der Erfahrungen, die ich in pathologisch-anatomischer,
diagnostischer und therapeutischer Beziehung gesammelt habe,
in einem einstündigen \ ortrag nur möglich ist, das Wichtigste
und Wissenswerteste zu erwähnen.
Bei einem Rückblick überschaut der Wanderer, der eine
steile Höhe erklommen hat, auch niemals den ganzen Weg; er
kann nicht in alle Täler und Schluchten, durch welche sein Euss
ihn führte, hineinblicken, sondern sein Äuge verweilt immer
wieder an besonders liebgewonnenen hochragenden Punkten, wo
er eine herrliche Aussicht, eine labende Erquickung, eine längere
Ruhe fand. Auch mir, dem Wanderer auf dem beschwerlichen
Wege der Gallensteinchirurgie, war es auf 12 jähriger Wander¬
schaft beschieden, solch schöne Punkte zu gemessen, und wenn
mein Blick heute gerade bei diesen verweilt und mein Auge
sich in die Schatten der tiefen Abgründe und Täler nur ungern
wendet, so wird das ein jeder von Ihnen begreiflich finden. Und
doch will ich mir Mühe geben, auch die bösen Stunden, welche
die Wanderung mit sich brachte, zu schildern, und ich will
Ihnen nicht verschweigen, dass oft mein Puss erlahmte und die
Eraft mir schier versagte, dass nicht immer gutes Wetter und
Sonnenschein mich begleiteten, sondern oft Blitz und Donner¬
schlag die Lust des Wanderers störte. Sie sollen, m. II., nicht
nur von den guten Erfolgen hören, die ich erzielt habe, sondern
auch von den schlechten, und ich will getreulich berichten, was
ich an Rezidiven erlebt und wie gross die Sterblichkeit nach
meinen Operationen war.
Am 1. Mai 1890 machte ich mich auf den Weg. Meine
erste Gallensteinoperation war eine Cystendyse, kombiniert mit
Boretas Divulsion des Pylorus. Die Bat. ist bis jetzt gesund
geblieben, obwohl ich zwei recht unzweckmässige Operations¬
methoden zur Anwendung gebracht habe. Viele Kranke werden
eben gesund trotz der fehlerhaften Massnahmen ihrer Aerzte.
Seit, dein 1. Mai 1890 habe ich 732 Gallensteinlaparotomien
ausgeführt, ich lege meiner Arbeit nur 720 zu Grunde und lasse
die letzten 12 unberücksichtigt, da dieselben sich noch in Be¬
handlung befinden.
n Was ich .bis zum 15. September 1901 alles auf dem Gebiete
aer Gallenstemchirurgie erlebte, habe ich in meiner chirurgischen
Behandlung der Gallensteinkrankheit, in meiner Anleitung zur
Erlernung der Diagnostik der einzelnen Formen der Cholelithiasis
in 2 Bänden : Beiträge zur Bauchchirurgie, in einer Monographie
der deutschen Klinik von v. Leyden, in einem Vortrag der
Sammlung klin. Vorträge von v. Volkmann (Ko. 225) und in
,lo..lAU8™g8weise vorgetragen auf der Versammlung der
mutschen Naturforscher und Aerzte in Karlsbad am 22. Sep-
1902- /Der Vortrag war für eine gemeinsame Sitzung der
meien Medizin und Chirurgie bestimmt; da eine solche nicht zu
isianue kam, wurde derselbe in der chirurgischen Sektion gehalten )
No. 41
zahlreichen kleinen Publikationen geschildert. Es wäre lang¬
weilig und ermüdend, wenn ich heute wiederholen wollte, was
ich dort geschrieben habe. Nur einige wichtige Punkte, die den
J raktiker am meisten interessieren und welche die Erühoperation,
die Indikationsstellung zum chirurgischen Eingriff, die augen¬
blicklichen und Dauererfolge betreffen, kann ich heute in grossen
/ugen erledigen und an neuen Erfahrungen will ich Ihnen nur
ganz kurz diejenigen mitteilen, die bei den letzten 100, bisher
noch nicht veröffentlichten Operationen mir selbst als neu sich
auidrängten.
i ?! ' H‘l. Wenn J'emand wie ich 732 mal bei der Gallenstein-
krankhmt che Bauchhöhle geöffnet, mit Auge, Hand, Nase und
Ohr sich, über die Beschaffenheit der Gallenblase und der Leber,
die 1 cstigkeit der Verwachsungen, den Geruch des Gallenblasen-
inhaltes orientiert und sich an die Geräusche, die die Sonde
an den Gallensteinen erzeugt, gewöhnt hat, dann lernt er vor
allen Dingen eines, das ist die pathologische Ana¬
tomie der Cholelithiasis.
Die pathologische Anatomie ist die Grundlage, auf der
unser ganzes ärztliches Wissen und Können sich auf baut.
Ein Arzt, . der diesen fundamentalen Teil der Heilkunde
vernachlässigt und der seine diagnostischen Erwägungen
und therapeutischen Massnahmen nicht durch Sektionen
kontrolliert, mag ein noch so feiner Untersuche!- und
Beobachter am Krankenbett sein, seine Kenntnisse bleiben
lückenhaft. Und wie viel besser wird der Arzt, der in der Woche
?~3 Aut°IJsi.en vivo zu machen Gelegenheit hat, die feineren
V orgänge bei der Cholelithiasis studieren können. Ich schätze
den Anschauungsunterricht unserer Operationen ausserordent¬
lich hoch und ich habe dabei hundertmal mehr gelernt, wie aus
Lehrbüchern und wie bei Sektionen. So habe ich, um nur ein
Beispiel anzufünren, bei fast allen 1 ällen von soeben überstan¬
dener oder noch bestehender Gallensteinkolik eine Entzündung
in der Gallenblase resp. in den Gallengängen angetroffen und
bin schon seit J ahren der Ansicht, dass die Steine in der Gallen¬
blase als solche überhaupt keine Beschwerden verursachen, son¬
dern sich erst dann bemerkbar machen, wenn eine Infektion
hinzukommt und das in der Gallenblase sich ansammelnde ent¬
zündliche Exsudat das Organ dehnt und weitet und den Stein
in den Cystikus resp. Choledochus hineintreibt.
Ich will heute meine Ansichten über das Wesen der Gallen-
steinkolik nicht näher begründen ; auch dem Ikterus, welcher
nächst dem Schmerz bisher als ein Hauptsymptom der Chole¬
lithiasis galt, kann ich bei der kurzbemessenen Zeit nur wenige
Worte widmen.
Nach meinen Erfahrungen fehlt in 80—90 Proz. der Fälle
bei Steinen in der Gallenblase und im Cystikus die Gelbsucht
und selbst bei der Choledocholithiasis, bei der Steinkrankheit
im Choledochus und llepatikus, wird dieselbe in 33 Proz. der
Fälle vermisst. Man ist oft erstaunt, den gemeinsamen Gallen¬
gang mit Steinen vollgepfropft zu finden, ohne dass eine Spur
von Ikterus vorhanden war, und Steinabgang ohne Gelbsucht ist
kein ganz seltenes Ereignis. Gerade im letzten Jahr habe ich
mich oft bei meinen Operationen überzeugen können, wie gern
sich nicht nur kleine, sondern selbst wallnussgrosse Steine im
Choledochus latent verhalten, nicht nur wochen-, sondern monate-
und jahrelang. Auf diese latsache möchte ich mit ganz be¬
sonderem Nachdruck hinweisen. Erst die Infektion rüttelt die ■
1690
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Steine auf und führt zu Beschwerden und der hei der Chole-
lithiasis eintretende Ikterus ist, wie die Kolik, in den aller¬
meisten Fällen auf entzündliche Vorgänge zurückzuführen. Dass
dabei auch andere Ursachen eine Rolle spielen, will ich nicht
gänzlich in Abrede stellen, doch führt es mich zu weit, diese
Frage heute ausführlicher zu erörtern.
Als drittes Hauptsymptom der Cholelithiasis wird immer die
Leberschwellung angeführt. Diese spielt indes eine ziemlich
untergeordnete Rolle, denn solang'e die Steinkrankheit sich auf
die Gallenblase und den Cystikus beschränkt, fehlt meistenteils
jede Schwellung der Leber und selbst in den Fällen von lang¬
dauerndem Choledochusverschluss habe ich nicht selten die Leber
normal und nicht vergrössert angetroffen.
Auch der Tumor der Gallenblase, den wir im Anfangsstadium
der Gallensteinkrankheit, bei der akuten, serös-eitrigen Chole¬
cystitis, so deutlich palpieren können, entzieht sich unseiem
Tastgefühl, sobald die Cholecystitis in das chronische Stadium
übergetreten ist und Schrumpfungsprozesse die Ausdehnungs
fähigkeit der Gallenblase verhindern. Gerade beim chronischen
Choledochusverschluss sucht man vergebens nach einer Ge¬
schwulst der Gallenblase.
Da ich alle diese Punkte schon früher — besonders in meiner
Diagnostik — ausführlich erörtert habe, begnüge ich mich mit
diesen kurzen Andeutungen. Eine Frage mochte ich aber doch
noch ganz kurz berühren : sie betrifft die Einteilung der Chole¬
lithiasis in bestimmte Krankheitsformen.
N a u n y n hält die Cholelithiasis für regulär, wenn die
Steine unter Ikterus und Kolik durch den Oholedochus abgehen,
er hält alle übrigen Formen für irregulär, also den Hydrops und
das Empyem der Gallenblase, den chronischen Choledochusver¬
schluss, die Cholangitis. Der akute Choledochusverschluss ist
aber erst die Folge einer serösen Entzündung der Gallenblase.
Die reguläre Form Naunyns ist also die Folge einer irregulären
Erkrankung. Das widerspricht sich doch, und ich meine, eine
solche Einteilung ist heute nicht mehr am Platze. W ir unter¬
scheiden besser: Steine in der Gallenblase, akute und chronische
Cholecystitis, Hydrops und Empyem, akuten und chronischen
Choledochusverschluss; mit einem Wort: auf dem festen Boden
der pathologischen Anatomie treffen wir unsere Einteilung, und
dass dieses möglich und ausführbar ist, habe ich in meiner Dia¬
gnostik zur Genüge auseinandergesetzt.
Sehr eingehende Studien habe ich über die sogen. Natur-
heilungen der Cholelithiasis machen können, die sich als I istel-
bildungen zwischen Gallenblase und Aussenwelt, zwischen
Cystikus und Magen oder Duodenum, zwischen Gallenblasen¬
fundus und Kolon, zwischen Choledochus und Duodenum doku¬
mentierten.
In 30 Fällen habe ich Fisteln zwischen Gallensystem und
Tntestinaltraktus angetroffen, aber ich muss offen bekennen, dass
derartige Naturheilungen meinen Respekt vor der Mutter Natur
sehr wenig erhöht haben. In einigen Fällen hatten gerade diese
Fisteln zur aszendierenden Cholangitis Veranlassung gegeben
und ganz selten war eine völlige Elimination der Steine erfolgt.
Die Fälle, wo die Naturheilung ihren Segen entfaltet, sehe ich
als Chirurg natürlich nicht; sie mögen ziemlich zahlreich sein,
ich glaube aber doch, dass nicht ganz selten gerade durch diese
perforativen Vorgänge der Infektion des Gallensystems Tür und
Tor geöffnet wird.
Die Betrachtung der pathologischen Anatomie der Gallen¬
steinkrankheit war von jeher mein Lieblingsthema. Aber da ich
annehme, dass Sie die Fragen der I rühoperation und der In-
dikationsstellung mehr interessieren, unterlasse ich es, auf die
Adhäsionsbildung an der Gallenblase und die durch dieselben
bedingten mannigfachen Störungen, auf die konsekutiven Er¬
krankungen des Magens, des Pankreas und der Leber näher ein-
zugehen.
Jedenfalls habe ich — und das möchte ich nicht vergessen
auszusprechen — durch meine pathologisch-anatomischen Stu¬
dien in vivo die Ueberzeugung gewonnen, dass eine Ausheilung
der Cholelithiasis durch innere Mittel — dabei habe ich besonders
die sogen. Cholagogen Mittel im Auge — nur sehr selten ge¬
lingt und dass das, was wir gewöhnlich Heilung nennen, nicht
als eine Austreibung oder gar als eine Auflösung der Steine auf-
zufasson, sondern als eine Ueberführung der Cholelithiasis
ans dem aktuellen in das latente Stadium anzusehen ist. Eine
Heilung im Sinne der völligen Freimachung des Gallensystems
von Steinen und einer Wiederherstellung der gestörten Passage
ist einstweilen in der Mehrzahl der Fälle nur dem Messer des
Chirurgen Vorbehalten. Die Ueberführung der Cholelithiasis
aber in das Stadium der Latenz wird durch Ruhekuren und be¬
sonders durch den Gebrauch der heissen Thermen von Karlsbad
zweifellos in der grössten Zahl auch renitenter Fälle erreicht.
Aber Symptomenlosigkeit ist zwar im Sinne des Kranken eine
Heilung, doch nicht im Sinne des pathologisch- anatomisch
durchgebildeten Arztes.
Der zweite grosse Gewinn, den mir meine zahlreichen Ope¬
rationen brachten, bestand darin, dass ich eine spezielle
D iagnostik der einzelnen Formen der Cholelithiasis gründ¬
lich erlernen konnte. Heutzutage genügt es nicht mehr, wenn
man einfach die Diagnose auf Gallensteine stellt, sondern wir
müssen uns bemühen, eine anatomische Diagnose zu erlernen,
und das ist auf Grund des Untersuchungsbefundes, der Anamnese
und aufmerksamer Beobachtung recht gut möglich. W ir müssen
feststellen, wo die Steine sitzen, ob in der Gallenblase, im Ductus
cysticus, im supraduodenalen Teil des Choledochus oder in der
Papille des Duodenums. Wir müssen uns über den Grad der
Entzündung unterrichten und die Cholecystitis von der Cholan¬
gitis, die zirkumskripte Pericholecystitis von der diffusen Peri¬
tonitis zu unterscheiden suchen, wir müssen beim chronischen
Choledochusverschluss den lithogenen von dem durch einen
Tumor bedingten auseinander halten. Wir müssen endlich dar¬
über klar werden, wie weit die Leber, das Pankreas und der
Magen durch die Folgen der Cholelithiasis geschädigt ist. Es
ist wahrlich keine chirurgische Selbstüberhebung, wie ein
Chirurg jüngst meinte, wenn ich behaupte, dass derartige spe¬
zielle Diagnosen möglich sind. Natürlich lernt man dies nicht
sofort, wenn man 20 — 50 derartige Operationen ausgeführt hat,
sondern man muss eine hundertfältige Erfahrung hinter sich
haben, ehe man in der Diagnosenstellung einigermassen firm
wird. Auch ich stelle jetzt noch falsche Diagnosen, aber je mehr
ich operierte, je seltener wurden dieselben. Die Berücksichtigung
der Anamnese, eine schonend und leise ausgeführte bimanuelle
Untersuchung, eine gründliche Beobachtung setzen uns in den
Stand in der Mehrzahl der 1 älle eine ganz spezielle
Diagnose zu stellen. Aber ohne Uebung und Erfahrung kommt
man nicht ans Ziel, speziell die Art der Untersuchung will, er¬
lernt sein. Der Tastsinn ist nicht bei allen Aerzten gleich-
mässig ausgebildet, und ich mache immer die Beobachtung, dass
viele zu stark drücken und nur selten beide Hände bei der Pal¬
pation zu Rate ziehen. Ohne eine bimanuelle Untersuchung ist
aber ein Befund meistenteils nicht zu erheben. Manche Fälle
lassen aber eine spezielle Diagnosenstellung nicht zu , wo sich
z. B. ein Empyem der Gallenblase mit einem chronischen Chole¬
dochusverschluss kombiniert, Fisteln zwischen Gallenwegen und
i Darm bestehen, die Erscheinungen der Pylorusstenose das Bild
! beherrschen, kann man nur die am meisten in die Augen sprin¬
gende Erkrankung diagnostizieren und wird über manchen un¬
erwarteten Nebenbefund erstaunt sein.
Ich kann heute aus Zeitmangel die Merkmale der ver¬
schiedenen Formen der Cholelithiasis nicht weiter auseinander
setzen, aber soviel steht fest, dass wir nur auf diesem Wege
eine richtige Indikationsstellung erlernen und die Frage ent¬
scheiden können, ob eine innere Kur genügt oder ob eine Opera¬
tion am Platze ist.
Die Erlernung der Indikationsstellung ist der dritte grosse
Gewinn, den mir die intensive Beschäftigung mit der Gallen¬
steinchirurgie brachte, und ich möchte fast glauben, dasi heut¬
zutage der Chirurg — vorausgesetzt natürlich, dass er eine grosse
Erfahrung hinter sich hat — in der Frage ob eine Karlsbader
Kur oder eine Operation indiziert ist, ebenso gut, wehn nicht
besser Bescheid weiss, wie sein innerer Kollege.
Das grosse Gallensteinmaterial, welches mir bisher zu Gebote
stand, hat bei vielen Kollegen die Vorstellung wachgerufen, (lass
ich zuviel operiere und die Indikation zu weit ziehe. Diese
Annahme beruht aber auf einem grossen Irrtum. So habe ich
von den 195 Kranken, die ich in den letzten 12 Monaten auf
Gallensteine untersuchte, nur 104, also ca. die Hälfte, operiert ).
Und dann ist zu bedenken, dass von meinen sämtlichen Gallen¬
steinkranken nur 35 Proz. aus Halberstadt und Umgegend
i) Vom 15. September 1899 bis 15. September 1900 kamen 84,
1900 bis 1901 95 und 1901 bis 1902 104 Gallensteinoperationen in
meiner Klinik zur Ausführung.
14. Oktober 1902.
METEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1G91
stammen, also aus dem Bezirk, aus welchem auch andere chirur¬
gische Kranke meine Klinik aufzusuchen pflegen; 65 Proz. der
Kranken waren weit her zugereist. Man mag über meine In¬
dikationsstellung denken wie man will, ich gehöre jedenfalls
nicht zu den Chirurgen, die „immer gleich schneiden“, und das
einzige Heil für einen Gallensteinkranken im Messer er¬
blicken. Dabei ist nicht zu vergessen, dass jeder, der mich auf¬
sucht, weiss, dass ich Chirurg bin, und dass ich mich nicht mit
der inneren Behandlung der Cholelithiasis beschäftige. Fast alle
Kianke, die ich untersuchte, hatten sich operieren lassen, wenn
ich. die Operation für nötig gehalten hätte. Ich bin aber der
Meinung, dass nicht die Gegenwart der Steine die Operation
erfordert, sondern nur gewisse Folgezustände dieselbe erheischen,
wie Entzündungen in der Gallenblase, die durch eine Ruhekur
nicht latent werden wollen, oder der dauernde Aufenthalt von
Steinen im Cystikus und Clioledochus. Ich habe in dieser Be¬
ziehung kaum andere Ansichten wie die meisten Karlsbader
Kollegen, und wenn ich öfters operierte, als sie vielleicht die In¬
dikation zu. einem blutigen Eingriff gestellt hätten, so hat das
lediglich seinen Grund darin, dass es mir als Chirurgen, der
sich ganz speziell mit Gallensteinoperationen beschäftigt hat,
vergönnt war, eine spezielle Diagnose der Gallensteinkrankheit
eher zu erlernen, wie dem inneren Arzt, der fast nur auf seine
Beobachtungen am Seziertisch und Krankenbett angewiesen ist.
Ich kann Ihnen mitteilen, dass bei vielen Kranken die vor¬
her behandelnden Aerzte eine Operation angeraten hatten, die
ich aus bestimmten Gründen ablehnte. Nicht weil ich mich
vor dem schweren Fall fürchtete, und meiner Statistik zu Liebe
auf eine Operation verzichtete, sondern weil ich die Ueberzeugung
hatte, dass auch eine innere Behandlung zum Ziele führen würde.
Ich operiere nämlich nicht, wenn akuter Choledochusverschluss
vorliegt, wenn die Anfälle mit Ikterus und jedesmaligem Ab¬
gang von Steinen verlaufen, wenn zwischen den Gallenblasen¬
koliken völlige Latenz eintritt. Ich sage absichtlich Gallenblasen¬
koliken, denn bei den Koliken des chronischen Choledochusver-
sehlusses tritt häufig auch völlige Latenz ein, die uns aber nicht
über die Schwere der Erkrankung hinwegtäuschen darf, son¬
dern uns bei Zeiten das Messer in die Hand drücken sollte. Am
häufigsten habe ich aber bei den Kranken, die meine Klinik auf-
suchten, die Operation abgelehnt, weil ich in die anderweitig ge¬
stellte Diagnose Cholelithiasis Zweifel setzen musste. Wo ich
ein sicheres Karzinom der Gallenblase mit Ikterus und Aszites,
Lebercirrhose und rechtsseitige Wanderniere fand, habe ich auf
einen chirurgischen Eingriff verzichtet. Korpulente Männer,
deren Herz und Nieren nicht ganz intakt sind, stelle ich von der
Operation zurück, und wo die Magenschmerzen bei Frauen auf
ein Genitalleiden hindeut ep, wo eine Retroflexio uteri vorlag, kon¬
sultierte ich den Gynäkologen. Bei Kranken mit schwerster
Cholangitis, hohem Fieber, schlechter Herztätigkeit, sind die
Gefahren der Narkose und des Eingriffs zu gross, als dass man
die Operation empfehlen könnte. Hier sind die Chancen der
abwartenden Behandlung fast besser, wie die des blutigen Ein¬
griffs. Doch gehört eine grosse Erfahrung dazu, um diese Fälle
in prognostischer Hinsicht richtig zu beurteilen.
Andererseits bin ich der Meinung, dass von der Operation im
allgemeinen viel zu wenig Gebrauch gemacht und der richtige
Zeitpunkt eines operativen Eingriffs häufig verpasst wird. Und
das bezieht sich hauptsächlich auf den chronischen Choledochus¬
verschluss.
Ich bin von jeher gewohnt gewesen, frei von der Leber weg
zu reden, und gerade hier in Karlsbad, wo man schon nach
kurzem Aufenthalt die befreiende Wirkung des Sprudels auf die
Leberzellen merkt, fällt es mir besonders leicht, ein freies Wort
zu reden. Aber — das seien Sie, m. II., versichert — ich bin
nicht in der Absicht nach Karlsbad gekommen, um die Wirk¬
samkeit der Karlsbader Quellen bei der Cholelithiasis in irgend
einer Weise herabzusetzen und den stillen Frieden dieser ge¬
meinsamen Sitzung zu stören. Ich will auch nicht, wie Sie
nachher hören werden, mit Ihnen über die Berechtigung der
I rühoperation und über die Notwendigkeit des chirurgischen
Eingriffs in Fällen, bei denen sich die Steinkrankheit noch auf
die Gallenblase beschränkt, streiten. Ich habe auch nichts da¬
gegen einzuwenden, wenn ein Patient mit frischem Ikteius sich
hier am Sprudel und Mühlbrunnen labt. Aber wenn der Ikterus
konstant bleibt, sich das typische Bild des chronischen Chole-
dochusverschlusses herausbildet, Fieber und Schüttelfröste auf¬
treten, dann soll man nicht immer und immer wieder dem Patien¬
ten, der natürlich die Narkose und Operation fürchtet, nach¬
geben und die anscheinend ungefährliche Trinkkur verordnen.
Bei solch sicher konstatiertem chronischem Choledochusver¬
schluss ist das Sprudeltrinken gefährlicher wie das Bauchauf-
schneiden. Diese Behauptung, so paradox sie klingt, gründet
sich auf die Erfahrungen, welche ich bei 137 Choledochotomien
und Hepatikusdrainagen gesammelt habe. Gerade weil Karls¬
bad, auch bei dieser schwersten Form der Cholelithiasis nicht
selten einen augenblicklichen guten Erfolg aufzuweisen hat,
kann sicli der Kranke zur Operation nicht entschliessen. Er
wartet noch eine zweite, eine dritte, eine vierte Kolik ab, und da
wieder der Sprudel seine Wirkamkeit entfaltet, wird die Opera¬
tion immer weiter hinausgeschoben, aber schliesslich verfällt der
schwer heruntergekommene und stark infizierte Patient doch dem
Messer des Chirurgen, und wenn wir dann sagen, es ist zu spät,
bekommen wir noch von allen Seiten Vorwürfe wegen In¬
kollegialität und chirurgischem Dünkel. Wahrlich, das lange Ab¬
warten beim chronischen Choledochusverschluss ist ein Unrecht,
welches wir an unseren Kranken begehen, und es ist die höchste
Zeit, dass wir in dieser Beziehung' die althergebrachten Ansichten
ändern. Denn in 90 Proz. der Fälle waren die Steine so gross,
dass sie die enge Papille des Duodenum niemals passiert hätten
und auf die Ausbildung einer Choledochoduodenalfistel zu warten,
halte ich für höchst bedenklich. Merkwürdigerweise war bei der
Mehrzahl meiner Fälle die Diagnose auf Gallengries gestellt und
von einer Operation abgeraten worden. Gallengries ist eine sehr
beliebte Diagnose; ich habe ihn nur wenige Male in der Gallen¬
blase und im Choledochus angetroffen, aber als Gries wird nie¬
mand die Steine bezeichnen, die ich Ihnen hiermit herumreiche.1*)
Die allermeisten sind aus dem Choledochus extrahiert worden.
Uebrigens präsentieren die Steine nur einen ganz kleinen Teil
der von mir entfernten, ihre Gesammtsumme taxiere ich auf
60 000. Ich habe mir nur die grösseren Exemplare aufgehoben,
die kleinen eignet sich gewöhnlich der Patient selbst an, und hebt
sie auf als Erinnerung an schlechte Zeiten.
Ausser beim chronischen Choledochusverschluss, halte ich die
Operation für strikt indiziert bei der akuten serös-eitrigen Chole¬
cystitis, beim akuten Empyem der Gallenblase.
Entwickelt sich in einer noch ausdehnungsfähigen Gallen¬
blase ein akuter serös-eitriger Prozess, so dass der prall gefüllte
Tumor leicht palpabel wird, so ist, besonders wenn peritonitische
Erscheinungen nebenhergehen, eine sofortige Operation am
Platze. Wir finden dann in der Gallenblase statt Galle Schleim
und Eiter. Das Organ zeigt die höchsten Grade der Entzündung
mit akuter Nekrose der Schleimhaut, ohne dass Ikterus und
hochgradige Koliken bestehen. Meistenteils fehlt jede Tempera¬
turerhöhung. In solchen Fällen aber hat die Operation nicht in
erster Linie den Zweck der Steinentleerung, sondern den der Un¬
schädlichmachung des infektiösen Materials, welches auch ohne
eine Perforation eine tödliche Allgemeininfektion herauf-
beschwören kann. Die Tatsache, dass selbst die Cholecystitis
acutissima ohne Schaden für den Organismus vorübergehen, und
dass der Eiter in der Gallenblase sich resorbieren und steril wer¬
den kann, eine Beobachtung, für die ich ein Dutzend Beispiele
anführen könnte, kann die Forderung sofortiger Operation nicht
umstossen. Kurz und gut : ich halte die Operation bei der akuten
serös-eitrigen Cholecystitis für ungefährlicher als die exspekta-
tive Methode, doch dürfen wir, wie gesagt, nur die Entfernung
des Eiters im Auge haben. Die Extraktion der Steine erfolgt
mehr während der Nachbehandlung und durch sekundäre Opera¬
tionen. Die primäre Operation muss aber schonend sein, und
gerade so gut, wie ich bei der Appendizitis im akuten Stadium
nicht immer den Wurmfortsatz entferne, sondern mich mit der
Drainage des perdappendikulären Abszesses begnüge, so dürfen
wir auch bei der akuten Cholecystitis in erster Linie nur an
eine Drainage der vereiterten Gallenblase denken. Gelingt uns
dabei die sofortige Entfernung aller Steine, so ist das um so
besser, aber mit aller Gewalt die Steinextraktion durchzusetzen,
halte ich für einen grossen Fehler.
Nun wissen, wir alle, dass die Operation im akuten Stadium
der Appendizitis nicht ohne Gefahren ist; wir sind niemals
sicher, die übrige gesunde Bauchhöhle nicht zu eröffnen und durch
'*) Unter den herumgereichten Steinen befanden sich ca. 40
von Walnussgrösse.
1*
1G92
MUEN CIIENER MEDICINISCHE WOCIIENSCimiFT.
No. 41.
Beschmutzung mit virulentem Material zu infizieren. Die Ent¬
fernung des Eiters aus der Gallenblase lässt sich aber vor Er¬
öffnung derselben durch abschliessende Tamponade und Aspira¬
tion viel ungefährlicher gestalten, wie das bei peritonealen Ab¬
szessen möglich ist. Wenigstens habe ich bei mehr als 100 Opera¬
tionen wegen eitriger Cholecystitis keinen einzigen Kranken an
peritonealer Infektion verloren.
Ich möchte auf die Therapie der akuten Cholecystitis heute
nicht näher eingehen, sie ist für die Karlsbader Kollegen von
relativ geringem Interesse, denn hierher kommen solche Fälle
selten, weil sie schwer transportabel sind. Der Badearzt sieht be¬
sonders die Formen der chronisch rezidivierenden Cholecystitis
und gerade über die Behandlung dieser Art der Gallensteinkrank¬
heit gehen die Ansichten weit auseinander. Der Kampf, der
unter den Vertretern der inneren Medizin und Chirurgie in dieser
Frage entbrannt ist, tobt teilweise noch in gewaltiger Aus¬
dehnung. Es wäre aber an der Zeit, dass die Gegner sich die
Hand reichen und Frieden schliessen, ich wenigstens bin dazu
gern bereit, und die Bedingungen, die ich stelle, sind, wie ich
glaube, für jeden wissenschaftlichen Arzt annehmbar. Sie garan¬
tieren der inneren Medizin völlige Unabhängigkeit, fordern aber
auch für die Chirurgie volle Anerkennung von anderer Seite.
Diese Eriedensparagraphen beziehen sich übrigens nicht nur auf
die chronisch rezidivierende Form, sondern umfassen alle Aeusse-
rungen der Gallensteinkrankheit. Sie lauten:
1. Ich erkenne an, dass in vielen Fällen von Cliolelithiasis
eine Herbeiführung des latenten Stadiums durch Ruhekuren, Al¬
kalien etc. gelingt und in einer Reihe von Fällen dauernden Er¬
folg hat. Besonders bei der sogen, chronisch rezidivierenden
Cholecystitis vermag eine regelmässig in Karlsbad oder Neuenahr,
auch zu Hause vorgenommene Ruhekur die Koliken derart zu min¬
dern, dass kein Grund zu einer Operation vorliegt. Aber ich be¬
zweifle, dass häufig eine wirkliche Heilung, d. h. eine Ausstossung
sämtlicher Steine, durch innere Kuren erzielt wird. Nach meinerMei-
mnig darf es auch gar nicht unser Bestreben sein, die Steine ab¬
zutreiben; es ist viel richtiger, wenn wir dafür sorgen, dass sie
sich in der Gallenblase ruhig verhalten und dass die entzünd¬
lichen Prozesse beseitigt werden. Der wochenlang fortgesetzte
Gebrauch von heissen Umschlägen (am besten in Form von Thermo¬
phoren) leistet neben Bettruhe und einer Trinkkur von Karlsbader
Wasser in dieser Beziehung die besten Dienste.
2. Die theoi’etische Berechtigung der Frühoperation im Sinne
Riedels, die Steine zu entfernen, solange sie noch in der Gallen¬
blase stecken, besteht nach wie vor, da in vielen Fällen nur eine
frühzeitige Operation den Kranken vor schweren Gefahren (Per¬
foration, Cholämie, Karzinom) behüten kann. Eine allgemeine
Durchführung der Frühoperation in der Praxis ist aber ganz un¬
möglich und aus diesem Grunde hat die Indikationsstellung
Riedels keinen praktischen Wert.
3. Wenn die Anfälle leicht verlaufen, zwischen denselben
immer wieder völlige Latenz (absolute Unempfindlichkeit der
Gallenblasengegend) eintritt, verzichte ich auf eine Operation.
4. Der akute Choledochusverschluss ist bis auf wenige Aus¬
nahmen intern zu behandeln. Treten die cholangitischen Erschei¬
nungen in den Vordergrund und zieht sich der Ikterus unter Ver¬
fall der Kräfte und absoluter Appetitlosigkeit in die Länge, so
ist eine Operation zu erwägen.
5. Häufige Koliken ohne Ikterus und ohne Steinabgang ver¬
langen bei Schädigung des Allgemeinbefindens und Beeinträch¬
tigung der Erwerbsfähigkeit und des Lebensgenusses die Ope¬
ration.
G. Fälle mit Ikterus und jedesmaligem Abgang von Steinen
gehören dem Internen; häufen sich die Anfälle, kommt der Patient
sehr herunter und ist keine Hoffnung auf völlige Ausstossung der
Steine vorhanden, so ist die Operation am Platze.
T. Der Hydrops und das Empyem der Gallenblase und peri-
clioleeystitische Eiterungen gehören dem Chirurgen. In den wenigen
Ausnahmefällen, bei welchen ein steriler Hydrops gar keine Er¬
scheinungen macht, mag der Patient seine geschwollene Gallen¬
blase solange mit sich herumtragen, bis Beschwerden sich eiu-
stellen und sich häufen.
8. Der chronische Choledochusverschluss soll bei Versagen
einer gründlichen Karlsbader Kur nicht zu spät chirurgisch be¬
handelt werden.
9. Gallensteinkranke, die dem Morphium verfallen sind,
müssen unter allen Umständen operiert werden. Während der
Nachbehandlung bietet sich die beste Gelegenheit zur Morphium¬
entziehung.
10. Die Behandlung des Gallenblasenkarzinoms kann nur bei
ganz frühzeitiger Operation einen dauernden Erfolg haben. Da
aber eine Frühoperation jeder Mensch scheut und Spätoperationen
keinen grossen Zweck haben, dürfte es nur selten gelingen, das
Uebel vollständig zu heilen.
11. Kranke mit chronischem Ikterus, der nicht auf Stein im
Cholcdoelius und unheilbaren Lebererkrankungen beruht, müssen
spätestens 3 Monate nach Beginn des Ikterus operiert werden, da
nicht selten statt des vermuteteten Karzinoms des Pankreaskopfes
die heilbare Pancrentitis chronica interstitialis gefunden wird.
12. Der Entschluss zu einer Operation wird sowohl dem Arzt
als auch dem Patienten leicht gemacht durch den Nachweis eines
Gallenblasentumors, der geschwollenen Leber, durch Auftreten
von Ikterus und Fieber. Aber auch ohne lokalen Befund an lieber
und Gallenblase dürfen wir bei hochgradigen, andauernden, einer
inneren Medikation unzugänglichen Beschwerden operieren. Man
findet in solchen Fällen, besonders bei Männern, häufig Adhäsionen
traumatischen Ursprungs ohne Steine.
13. Die Folgezustände der Cliolelithiasis, die eitrige Cholan¬
gitis. der Leberabszess, die Perforationsperitonitis, der subphre¬
nische Abszess, hochgradige Pylorus- und Duodenalstenosen, oft
auch der Gallensteinileus müssen chirurgisch behandelt werden.
14. Der Schlussparagraph endlich heisst: Allgemeine Indika¬
tionen zu einer Gallensteinoperation aufzustellen ist nicht gut mög¬
lich. Man muss von Fall zu Fall entscheiden. Männer, besonders
fette, vertragen eine Operation schlecht. Frauen, die geboren
haben, eignen sich gut zu einem chirurgischen Eingriff. Bei
reichen Leuten ist. die Indikation anders zu stellen als bei armen,
aber dieser Satz ist nicht so zu verstehen, dass der Chirurg lieber
die reichen Leute operiert, die ihm hohe Honorare zahlen, nein
umgekehrt, die Armen müssen häufiger operiert werden, weil sie
nicht in der Lage sind, die Wohltaten einer Karlsbader Kur ge¬
messen und streng nach den diätetischen Vorschriften .des Arztes
leben zu können. Auf diese soziale Indikation und auf die Forde¬
rung einer streng individualisierenden Behandlung habe ich schon
in früheren Arbeiten hingewiesen und mich dahin ausgesprochen,
dass man bei Diabetes, Arteriosklerose, chronischer Nephritis,
Lungen- und Herzerkrankungen möglichst von einer Operation
abstehen soll.
Unser Feldgeschrei darf also nicht heissen: Idie Karlsbad,
hie Operation, auch nicht erst Karlsbad und dann Operation,
sondern wir müssen unsere Indikationsstellung in erster Linie
von der betreffenden E orm, unter welcher die Gallensteinkrank¬
heit verläuft, abhängig machen. Der erste Anfall kann die
Operation erheischen, wenn es sich um eine akute serös-eitrige
Entzündung in der stark vergrösserten Gallenblase handelt, und
man braucht bei jährlich 50 Anfällen nicht zu operieren, wenn
diese ohne Morphiumanwendung, lediglich durch heisse Um¬
schläge zu beseitigen sind, den Kranken nicht herunterbringen
und seine Erwerbsfähigkeit nicht beschränken. Hat sich ein
chronischer Choledochusverschluss herausgebildet, so ist der Ruf,
erst Karlsbad und dann Operation gerechtfertigt, doch soll man
sich durch eine vorübergehende Besserung nicht täuschen lassen
und den chirurgischen Eingriff nicht zu lange hinausschieben.
Nach der Operation schicke ich Patienten, die über die not¬
wendigen Gulden und Kreuzer verfügen, gern nach Karlsbad,
doch soll man, wie das leider manchmal geschehen ist, aus dieser
Wertschätzung einer Karlsbader Nachkur nicht den Schluss
ziehen, dass die Operation unvollständig war und ohne eine
nachträgliche Kur in Karlsbad keinen dauernden Erfolg haben
würde.
(Fortsetzung folgt.)
Aus der Privatpraxis und dem Institut für Hygiene und Bak¬
teriologie in Strassburg i. E. (Direktor: Prof. Dr. J. Förster).
Eine Endemie von Paratyphus.
Von
F. M. G. de Feyfer und Dr. med. Heinr. Kayser,
praktischem Arzt in Eibergen I. Assistenten des hygienischen
(Holland). Instituts in Strassburg.
Um die Zeit der Veröffentlichung des Strassburger Para¬
typhusfundes von B r i o n und K a y s e r in dieser Wochenschrift,
sowie in den folgenden Monaten beobachtete der eine von uns
in Eibergen, Provinz Gelderland Hollands, eine Reihe von
Krankheitsfällen, welche diagnostische Schwierigkeiten machten.
Sie waren zum Teil hochfieberhaft, erinnerten an Typhus, er¬
gaben aber niemals die G r u/b e r - W i d a 1 sehe Reaktion.
Weitere Agglutinationsversuche sicherten bald die Diagnose
Paratyphus.
Bei der hohen Bedeutung, welche die erst kurz aufgerollte
Paratyphusfrage für den Kliniker, den Bakteriologen und
Hygieniker hat, vielleicht auch einmal für den pathologischen
Anatomen, sicher jedoch für den praktischen Arzt, können wir
es nicht unterlassen, über die klinischen und bakteriologischen
Details dieser Fälle zu berichten, wie wir des weiteren die even¬
tuellen Verbreitungswege in den Kreis der Erörterungen ziehen
wollen. Zunächst seien die Krankheitsschilderungen de Feyfers
wiedergegeben.
14. Oktober 1902.
MUK NCl-lFNFH MEHICINISCHF WOCHENSCHRIFT.
.1
Hausepidemie I. (M.)
Fall 1 (M. A.) Am 27. III. 1002 wurde ich zu dem zwei-
all r l g e n T o c literchen eines Bauern gerufen.
Anamnestisch ist bekannt: Die Eltern haben f.nwr
Typhus durchgemac-lit. Jetzt sind sie gesund. Man schickte er“
am b. Krankheitstage zum Arzt, da die Familie anfangs glaubte
es handle sich nur um Beschwerden, die mit der Dentition zu-
sainmenliingen. Appetitlosigkeit, Fieber Matt le-
keit und mutmassliche Kopfschmerzen waren die Hauptsym-
ptome. Schüttelfrost hatte man nicht beobachtet. In den ersten
Tagen hatte das Kind öfters erbrochen und wurde viel von
Aufstossen (Borborygmus) geplagt. Vom Krankheitsbeginne an
bestiind ziemlich starke Diarrhöe, dünnflüssig, grün und gelb
. Status: Morgentemperatur 39,2» C. Puls frequent, weich!
iegel massig. Respiration nicht beschleunigt. Kräftiger Körperbau
Gesichtsausdruck matt. Die Wangen sind umschrieben gerötet’
Sensonum benommen; anfangs machte das Kind bemerkbar® wenn
dei Stuhl kam, was es letzt, unterlässt.
Der Schlaf ist unruhig. Die Nackendrüsen sind geschwollen
Die Lippen sehen trocken aus, tragen Borken. Die Lunge ist
feucht, ist fuliginos belegt. Es besteht Pharyngitis Par hat
viel Durst, keinen Appetit.
Herz und Lunge normal.
Bauch aufgetrieben, Ileocoekalgurren, Milzdäm-
ptjuig ycrgnisscit, Milz nicht palpabel. Keine Roseolen
Leib nicht empfindlich gegen Druck.
Patellarreflexe erhöht, Hautreflexe normal.
Urin war nicht zu bekommen. Die Stühle erfolgten
3 mal pro lag. Die Fäzes waren dünnflüssig, stark riechend, gelb
und ginn uie bei Catarrlius intest, der Säuglinge.
Bis 1. IV. blieb dieser Zustand bestehen. Die Morgentem¬
peratur ist ungefähr 38,5°, die Abendtemperatur 39,5».
O L. und RHU B r o n c li i t i s. Keine Diarrhöe. Stuhl
fest von Konsistenz, gelb. Milzdämpfung noch etwas vergrössert,
Milz nicht palpabel. Die Temperatur ist im ganzen etwas nie¬
driger. Puls frequent, weich, äqual, regelmässig. Respiration
as beschleunigt. Sensonum freier.
9. IV. Temperatur normal, lytischer Abklang
Bauch und Rücken ein Exanthem, wahrscheinlich
Priessnitz sehen Einwickelung.
-H . Morgentemperatur 38. Abendtemperatur 38,1 mit
einer Mittagsremission von 36,4.
Die Rekonvaleszenz dauerte k u r z.
Indessen waren 4 Geschwister unter den gl
chen Symptomen erkrankt. Die Familie bestellt „„„
10 Gliedern, von denen diejenigen gesund blieben, welche nicht
in Berührung mit Pat. M. A. gekommen waren. Der Vater wurde
zwar unwohl, verschwieg dies aber. Er hatte nur einige Ta<ro
Fieber und Durchfall.
169c
Auf Brust,
infolge einer
e l -
aus
Fall 2 (M. H.).
Paratyphus.
Die
Gut gebauter, gut
genährter , 13 j ä li r i ge r
Knabe, fühlte sich vom
5.. IV. an matt, hatte
gar k e i n e n A p p e t i t,
dann und wann etwas
K o pf sc li m erzen
und geringe Temperatur-
Steigerung. 9. IV. wurde
er bettlägerig. Sen-
soriu m n o r m a 1,
Nase n b 1 u t e n,
Zunge belegt, feucht.
Temperatur 39,7. Puls-
frequehz 110, weich,
äqual, regelmässig. Ge¬
sichtsausdruck matt.
sind
t r o c k e n, borkig.
Es besteht
Wangen rot gefärbt. Lippen
Lungen und Herz normal.
Leib nicht aufgetrieben, nicht druckempfindlich
Ileocoekalgurren. Keine Roseola.
nanöiMio1ZudämSf ung etwas vergrössert, Milz nicht pal-
p.ibeL Sehnenreflexe schwach, Hautreflexe ebenso. Urin neutral,
gelb gefärbt, spez. Gew. 1019, sehr viel Sedim. latiritium, eiweiss-
Es besteht starker Durchfall. Die Fäzes sind
gefärbt und erinnern dann und wann an Typhusstühle. Das
wurde nicht untersucht.
U.
morg.
Uhr
Puls
10. IV.
9
38,5°
12
38,4°
110
11 IV.
9
38,1°
11
39,7°
110
12. IV.
9
37,6°
12
37,1°
13. IV,
9
38,5«
101
38,3°
90
14. IV.
9
37,7°
12
38,5°
15. IV.
9
37,6°
11
37,9°
—
Uhr
3 37,0°
37,8<>
38,3°
38,7°
38,9°
37,7°
12
3
3
3
3
Uhr
6
6
6
8
8
6
Der Zustand ist während diesen Tagen unverändert.
Io. IV. besteht Durchfall, dessen Frequenz abnimmt.
15. IV. Auf der Oberbauchgegend sind 2 Roseolen
standen. Milzdämpfung noch etwas vergrössert, Milz nicht
No. 41.
gelb
Blut
38,5°
39,3°
39,3°
37,7°
36,5°
38,5°
Bis
ent-
pal-
sroid rou fUlllt Si(,:h s£hV ™ohl und verlangt kräftige Kost. Kein
Stuhl. Puls normal Bei Temp. 38,1 ist die Frequenz 80. Der
sind* llf V°t ' tV0-1' Stuhl erfolgt nicht Jeden Tag, die Stuhlmassen
sind geformt. Urin normal.
20. IV. Die Roseolen verblassen.
Die Rekonvaleszenz dauert kurz.
Fall 3 (M. M.).
11 jähriges Mädchen,
wird beinahe gleichzeitig mit
Fall 2 krank. Sie klagte nicht
über Mattigkeit und hatte keine
Kopfschmerzen.
9. IV’. Abendtemperatur 38,3.
Puls weich, äqual, regelmässig.
Pulsfrequenz 100. Respiration
nicht beschleunigt.
Körperbau und Ernährungs¬
zustand gut.
Die Kranke sieht gut aus.
Sensorinm normal.
Die L i p p e n sind trocken,
tragen Borken. Zunge ga¬
strisch beleg t, feucht. Es
bestellt eine leichte Pharyngitis.
Lungen und Herz sind normal.
Bauch zeigt keinen Meteorismus, Milzdämpfung ist
nicht perkutorisch vergrössert, nicht palpabel. Pat.
hat keinen A p p e t i t, keinen Durst. Leberdämpfung nicht
vergrössert. Urin ist eiweissfrei, spez. Gew. 1019, viel Sedim.
latiritium, saure Reaktion.
Es besteht gehöriger D u rchfal 1. Der Stuhlgang ist gelb
gefärbt, dünnflüssig, dann und wann in der Farbe sich wieder der
Norm nähernd. Blut wurde nicht untersucht.
10. IV. 3 Stuhlgänge. Zustand wie am 9. IV.
11. IV. Es besteht noch Durchfall, aber weniger frequent.
Tuls 100 bei Temp. 38,1. Milzdämpfung ist nicht perkutorisch ver¬
grössert. Pat. fühlt sich krank und klagt über Bauch-
s c h in erzen. Eine geringe Schlafs u c li t ist bemerkbar.
13. It . Der Puls ist im Verhältnis zur Temperatur (38,8)
weniger frequent (90). Kein Stuhlgang.
U>. I \ . V ieder Durchfall. Das Fieber ist ein wenig niedriger.
Pat. fühlt sich etwas besser.
Vom 16. IV. an besteht kein Durchfall mehr und verschwindet
das Sedim. latirit.
Die Rekonvaleszenz dauert kurz.
Fall 4 (M. J.).
Paratyphus.
Paratyphus.
9 j ii h r i g e s M ä d c h e n, gut entwickelt; es war schon
einige Tage eher krank wie Fall 3 an einer P li a -
r y n g i t i s und Angina tousil 1. mit heftigem, trockenem
Husten. Was frühere Krankheiten betrifft, so hat es Masern
durchgemacht.
9. IV. Abendtemp. 37.7, Pulsfrequenz 100, Respiration nicht
beschleunigt.
Körperbau und Ernährungszustand gut.
Das Mädchen m a cht den Ei n d r u c k einer Sc h wer-
k r a, n k e n. Das Sensorium ist nicht normal. Pat. ist
sclil ä f r i g und deliriert d a n n u n d w a n n. Auf meli-
rert1 Fragen wird nicht, genau geantwortet. Die Farbe der Wangen
ist umschrieben rot. Die Lippen sind trocken und tragen
Einrisse. Die Z u n g e ist mässig feucht, stark gastrisc li
belegt. Es besteht eine Pharyngitis und Angina tonsill. Thorax¬
bau normal. Respiration nicht frequent.
Ueber der rechten Lunge unter dem Schlüsselbein
leichte Dämpfung mit wenig ausgesprochenem Bron¬
chialatmen.
Das Herz zeigt keine Abnormitäten. Puls ist weich, frequent,
regelmässig und äqual.
Der Leib ist nicht aufgetrieben, nicht druckempfindlich. Es
besteht Ileocoekalgurren. Pat. hat keinen Appetit, wenig Durst.
M i 1 z d ä m p f u n'g perkutorisch vergrössert, Milz
nicht palpabel. Leberdämpfung nicht vergrössert. Man sieht keine
Roseolen.
Die Patellarreflexe sind abgeschwächt. Es besteht leichter
Fussklonus. Auch die Bauchreflexe sind abgeschwächt.
U l* i n ist e i w e issf rei; viel Sedim. latirit.
2
1694
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Die Fäzes sind geformt, normal gefärbt.
Während der ersten 3 Tage zeigt die Temperaturkurve 2 Er¬
hebungen. Fat. ist somnolent und fühlt sich sehr krank.
10. IV. Temp. Vorm. 12 Uhr: 38,3. Pulsfrequenz 100. 1 mal
Durchfall.
11. IV. Fat. deliriert dann und wann; 4 mal erfolgt ein
flüssiger, gelb gefärbter Stuhl. Bauchschmerzen.
Bis 15. IV. hält der Durchfall an. Der Zustand ist unver¬
ändert. Milzdämpfung perkutorisch vergrössert. Milz nicht pal-
pabel. Das Abdomen zeigt dann und wann leichten Meteorismus.
Ileocoekalgurren, Bauchschmerzen. Keine Roseola.
11). IV. Die Temperatur steigt 2 mal im Tage an. Nachmittags
4 y2 Uhr ist die T e m p. 40,2 mit einer Pulsfrequenz von 120.
Fat. ist somnolent. Der Stuhl ist geformt, normal gefärbt. Das
Fieber wird intermittierend. Der Urin zeigt keine Abnormitäten.
Milzdämpfung perkutorisch noch etwas vergrössert. Milz
nicht palpabeL
Bis 27. IV. bleibt dieser Zustand derselbe. Die Fat. fühlt
sich krank und matt.
27. IV. Wieder Durchfall nach dem Genuss von etwas Suppe.
Auf dem Bauch und den Unterextremitäten be¬
steht eine eigentümliche Hautveränderung; die
Haut zeigt kleine, w e i s s e, erhabene, nicht
juckende, stecknadelkopfgrosse Fleckchen,
welche abschuppen (keine S u d a m i n a).
29. IV. Der Durchfall ist verschwunden. Fat. fühlt sich
viel besser, wiewohl sehr schwach.
30. IV. Es wird eine Blutprobe entnommen, welche in dem
Laboratorium für Hygiene und Bakteriologie des Herrn Prof.
E y k m a n n auf Agglutination mit Typhusbazillen untersucht
wird.
Bei Verdünnung 1:20 geringe Andeutung von Agglutination,
bei Verdünnung 1:50 keine Agglutination von Typhus¬
bazillen.
Die Rekonvaleszenz dauerte in diesem Falle
länger. Fat. war sichtbar abgemagert.
22. V. wieder Durchfall und Bauchschmerzen ohne Fieber,
welche anhielten bis 30. V.
30. V. Es wird ein wenig Blut entnommen zur Unter¬
suchung auf Agglutination mit Typhus-, sowie Paratyphusbazillen
Typus A und B.
B a c t. paratyphi Typ. B wird 1 : 3G0 mikro¬
skopisch, 1 : 180 stark makroskopisch aggluti-
n i e r t, B. typhi und B. paratyphi Typ. A 1 : 33 nicht.
Diagnose: Paratyphus (Dr. Kays er).
F a 1 1 5 (M. G.).
Ein 6 j ä h r i g e r Knabe, welcher gleichzeitig mit den an¬
deren erkrankt. Pat. war bis jetzt gesund.
9. IV. Abendtemp. 38,1. Pulsfrequenz 90. Respiration nicht
beschleunigt. Panniculus adip. gut. Körperbau kräftig. Pat.
macht nicht den Eindruck eines Schwerkranken. Sensorium
n o r m a 1, wiewohl eine gewisse Schlafsucht zu be¬
merken ist. Lippen trocken, ein wenig borkig. Zunge
feucht, gastrisch belegt. Halsdrüsen sind ge¬
schwollen. Lungen und Herz normal. Puls weich, äqual
und regelmässig.
Es besteht auffallender Meteorismus, Ileocoekal-
g urre n, der Leib ist nicht druckempfindlich. Milz nicht pal-
pabel, Milzdämpfung perkutorisch nicht vergrössert.
P at. hat erbrochen.
Urin ist sauer, eiweissfrei, viel Sedim. latiritium. Der
Stuhlgang ist angehalten. Blut wurde nicht untersucht.
10. IV. Die Temperatur steigt 2 mal im Verlaufe des Tages
an zu 9 Uhr Vorm. 37,4°, 11 Uhr 38,7°, 12 Uhr Nachm. 37,4°,
S Uhr Abends 39,5 °.
13. IV. Pat. bekommt Durchfall (dünnflüssige, gelb-
ge färbte Stühle); dieser hält an bis 16. IV. Darauf folgt ein Zu¬
stand sehr hartnäckiger Obstipation, welche mit der Rekon¬
valeszenz verschwindet.
Der Krankheitsverlauf gibt von nun an zu Bemerkungen
keinen Anlass mehr, ausser dass am 22. IV. nochmals kurzer
Durchfall bestand, der auf Diät hin verschwand.
Was den Infektionsmodus betrifft, so liegen ver¬
schiedene Möglichkeiten vor :
1. Entweder wurde zunächst Fall 1, M. A., infiziert, der
später die anderen ansteckte, oder
2. cs fanden getrennte Infektionen statt.
Wir nehmen das erstere an, denn nur diejenigen Haus¬
genossen erkrankten, welche in direktem Kontakt mit Pat. M. A.
gewesen waren, ausgenommen die Mutter. Von der 10 küpfigen
Familie wurden der Vater und 5 Kinder krank, während die
Dienstboten, welche die gleiche Nahrung wie die übrigen genossen,
frei blieben.
Wir vermochten nicht zu entdecken, welchen Weg die Krank¬
heitserreger bis zur Familie genommen hatten. Als Infek¬
tionsquellen könnten in Betracht kommen :
a) Das Trinkwasser, das einem geschlossenen Grund¬
wasserbrunnen entstammte. Vielleicht steht dieser in Verbin¬
dung mit einem grossen Bache de Berkel, der 5 Minuten
davon entfernt fliesst.
b) Entrahmte Milch oder Buttermilch von einer
Naturbutterfabrik. Sie soll bei 80° C. pasteurisiert sein.
c) Butter wurde bei einem Ladenhändler gekauft, welcher
sie wieder von kleinen Bauern bezieht.
Hausepidemie II. (O.)
F a 1 1 G (O. Z.)
Am 29. III. kam ein Sjähriger Knabe aus Krosewick
in die Sprechstunde. Bis vor 2 Jahren war er völlig gesund ge¬
wesen; seit dieser Zeit klagte er bisweilen über heftige Bauch*
schmerzen und Durchfall. Er war einmal mit kalten Bädern be¬
handelt worden. Der Arzt hatte damals von einer „Unterleibs¬
entzündung“ gesprochen.
Während des letzten Jahres war kein Arzt mehr zugezogen
worden. Jetzt leidet Pat. an Durchfall und Leibschmer¬
zen, hat keinen Appetit, viel Durst und empfindet bei
kleinen Anstrengungen rasch ein Müdigkeitsgefühl. Er ist seit
8 Tagen krank. Am meisten Beschwerden verursachen ihm die
Bauchschmerzen.
Der Stuhl enthält nach den Ausagen der Mutter Askariden
und ist sehr dünnflüssig.
Status: Temp. 38°. Pulsfrequenz 110. Respiration nicht
beschleunigt. Pat. ist mager. Panniculus adip. gering. Es be¬
stehen Rhachitisspuren. Er sieht krank aus. Der Gesichtsaus¬
druck ist matt. Die Wangen sind blass, die Lippen trocken und
blass. Zunge trocken, gastrisch belegt. Leichte A n -
g i n a catarrhalis. Die Lymphdrüsen am Halse sind
stark geschwollen. Lungen und Herz sind normal. Der
Puls ist weich, frequent, äqual, regelmässig.
Der Leib ist stark auf getrieben; Milzdämpfung
perkutorisch nicht vergrössert (Meteorismus!), Milz nicht palpabel.
Leberdämpfung nicht vergrössert. Es besteht Ileocoekal-
g u r r e n. Der Bauch ist nicht druckempfindlich. Roseolen sind
nicht da.
Sehr schmerzhafte, kolikartige Bauchschmerzen.
Sehnen- und Hautreflexe sind normal. Die Inguinaldrüsen
sind stark geschwollen.
Der Urin enthält kein Eiweiss, spez. Gew. 1023, sauer, viel
Sedim. latiritium.
7. IV. kommt Pat. wieder in meine Sprechstunde. Temp. 37,5,
Puls ziemlich frequent. Der Allgemeinzustand ist besser. Es
bestehen noch Meteorismus und Ileocoekalgurren. Obwohl ihm
geraten wurde, das Bett zu hüten, fühlte er sich so wenig krank,
dass er herumlief und spielte.
Am 20. IV. wurde ich gerufen, weil eine Schwester des
Patienten unter den gleichen Symptomen erkrankt war.
Das Blut des Knaben wurde am 30. V. unter¬
sucht. Die Gruber-Widalsche Reaktion blieb
bei Verdünnung l-33 aus, desgleichen die Agglutination
von B. paratyphi Typ. A. — Dagegen wurden Para-
typhusbakterien des Typ. B 1 : 3G0 stark makro¬
skopisch, 1 : 720 deutlich mikroskopisch agglu¬
ti n i e r t.
• Diagnose: Paratyph u s.
F a 1 1 7 (O. D.).
7 j ä h r i g e s, gut entwickeltes Kind, das früher
niemals krank war. Schwester von O. Z.
Status: 20. IV.: Mittagstemperatur 37,5. Pulsfrequenz 90.
Respiration nicht Arerschnellt. Zunge feucht, leicht gastrisch
belegt. Lungen und Herz normal. Der Leib ist nicht auf¬
getrieben. Es besteht Ileocoekalgurren, keine Druck¬
empfindlichkeit. Milzdämpfung nicht vergrössert, Milz nicht pal¬
pabel. Keine Roseola. Sehnenreflexe normal, Hautreflexe ebenso.
Der Stuhlgang ist dünnflüssig, g e 1 b g e f ä r b t
u n d st a r k r i e c li e n d. Blut wurde nicht untersucht.
22. IV. Pat. fühlt sich sehr wohl. Es besteht Durchfall.
Mittagstemp. 38,0. Keine Roseolen, Milz nicht vergrössert.
25. IV. Zustand wie zuvor. Es besteht Durchfall. Mittags¬
temp. 37,5.
30. IV. Pat. steht auf und spielt. Das Fieber ist ver-
Schwunde n. Durchfall fort.
Die Rekonvaleszenz dauert sehr kurze Zeit.
F a 1 1 8 (O. V.).
Am 26. IV. e r k r a nkte der Vater v o n P a t. G u n d 7.
Er ist ein 40 jähriger Bauer.
14. Oktober 1902.
MUENCITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1695
Vor 2 Jahren hat er Lungenentzündung durchgemacht, welche
lange dauerte Nach dieser Zeit fühlte er sich nicht mehr ganz
i\ohl, Et wnd schnell müde, wiewohl er einen guten Appetit hat
Nachdem er wahrend einiger Tage an Kopfschmerzen
bettlägerig ain 26. ^iv! Mattl*kelt er
Statu s 26. IV. Mittagstemperatur 39,2. Pulsfrequenz 90.
Respiration nicht beschleunigt. Pat. ist hager, lang. Muskeln wenig
entwickelt. Er sieht krank aus. Sensorium vollkommen frei
. Gesichtsfarbe blass. Lippen trocken, blass e i n «• e -
r l 8 s e n. _ Die Z u n ge trocken, mit eine m ’d i c k e n
fuliginosen Belag, ähnelt der typischen Typhus¬
zunge sehr. J 1
Es besteht Angina catarrhalis, Pharyngitis und
Laryngitis. Das Schlucken ist schmerzhaft. Die Stimme
ist heiser.
Lungenbefund normal, ebenso das Herz. Der P u 1 s ist
w eich, regelmässig und äqual. Der Bau c li i s*t gesp a n nt
Es besteht kein Meteorismus, keine Druckempfindlichkeit, wohi
aber spontane Schmerzen und Ileocoekalgurren Die
Leberdämpfung ist normal. Die Milzdämpfung ist perkutorisch
nicht vergrössert, nicht palpabel. Roseolen sind nicht da Die
Piitellarreflexe sind abgeschwächt. Es besteht leichter Fussklonus.
Die Kremasterreflexe sind schwach, Bauchreflexe fehlen. Urin
ist sauer, eiweissfrei, starkes Sedimentuni latiritum.
Der Stuhl ist dünnflüssig, gelb, stark rie¬
chend. Dann und wann ist diesem rotes Blut bei¬
gemischt, wiewohl Pat. nicht'an Hämorrhoiden
leidet.
28. IV. Zustand derselbe. Mittagstemp. 39. Pulsfrequenz 80.
oö. IV. Es besteht noch Durchfall. Keine Milzvergrösserung
Keine Roseolen. Mittagstemp. 38,5. Es wird eine Blutprobe
gewonnen, welche in dem Laboratorium für Bakteriologie und
Hygiene zu Utrecht (Prof. E y k m a n) auf Agglutination mit
I yphusbaz i 1 1 u s untersucht wird. Die Gruber-Widal-
sclie Reaktion fällt negativ aus.
2. V. Mittagstemp. 38,1". Pulsfrequenz 75. Durchfall, dann
und wann Bauchschmerzen.
8. V. Mittagstemp. 37,1 °. Puls 75. Durchfall ver-
s c h w u n d e n. Pat. fühlt sich besser.
Die R e_k o n v a 1 e s z e n z dauert hier länger als
bei G und i. Pat. ist noch während einiger Wochen arbeits¬
unfähig.
30. \ . Es wird Blut entnommen und von K ayse r auf
seine Agglutinationsfähigkeit untersucht. Typhusbazillen und
Bact. paratyphi Typ. A bleiben unbeeinflusst. Bact. para-
t y p hi T y p u s B wird 1 : 720 rasch makroskopisch,
1 : 1440 noch mikroskopisch agglutiniert (bis auf ein¬
zelne Stäbchen). Diagnose: Paraty p li u s.
Bezüglich des Infektionsmodus gilt hier folgendes :
Erst erkrankte der Knabe O. Z. (6), welcher wahrscheinlich die
Schwester und den Vater infizierte. O. Z. kann die Keime durch
Wassergenuss bezogen haben (aus einem Grundwasserbrunnen
oder der Berkel, aus welcher er bisweilen trank). Er genoss
ferner Butter und Milch aus der obengenannten Fabrik (Mol¬
kerei).
Bei dieser Gelegenheit muss erwähnt werden, dass ein aus
Borken zugereistes Glied einer Nachbarfamilie vor un¬
seren Patienten unter ähnlichen Erscheinungen, wie diese
später, erkrankt war. Dann wurden noch mehrere Hausgenossen
dieses Nachbars krank. Die Infektionserreger können von hier
aus sehr gut Eingang bei O. Z. (6) gefunden haben; denn er
trank häufig beim Fischen Berkelwasser und in
diesem wurde die Hauswäsche der eben erwähnten Nachbarn ge¬
reinigt. O. Z. kam nicht in direkte Berührung mit dieser Fa¬
milie.
Fall 9 (v. d. L.).
Am 12. V. erschien v. <3. L., 44 Jahre alt, Zementarbeiter,
in meiner Sprechstunde. Bis vor einigen Wochen war Pat. nie¬
mals krank gewesen. In den letzten Monaten fühlte er sich nicht
ganz gesund, wiewohl er niemals bettlägerig war. Vom 20. April
bis 4. Mai hatte er einen heftigen Durchfall, welcher
schwarz und teerartig war. Dann und wann
w a r r o t e s Blut beigemischt. Während dieses Durchfalls
hat Pat. immer noch gearbeitet. Erbrochen hat er nicht. Auch litt
er nicht an Kopfschmerzen. Nach dem Anhalten des Durchfalls
1 < i lute Tat. sich matt. Während des Durchfalls hatte er F i e b e r.
Jetzt klagt Pat. über Mattigkeit, Appetitlosigkeit.
Dann und wann hatte er geringe Bauchschmerzen.
Status: Mittagstemp. 37,5. Pulsfrequenz 80. Respiration
nicht beschleunigt. Pat. ist hager, hat eine schwache Muskulatur
wnd sieht krank aus.
Sensorium frei.
Die Zunge ist gastrisch belegt, die Lippen sind
tiocken und blass. Es besteht eine leichte Angina catar-
1 D a ‘ i s- Lungen und Herz sind normal.
Der Bauch zeigt keinen Meteorismus, ist nicht druckempfind¬
lich; es besteht Ileocoekalgurren. Die Leber ist nicht
vergrössert, die Milzdämpfung perkutorisch ver-
grossert, Milz nicht palpabel.
Die Sehnenreflexe sind schwächer wie normal
ebenso.
Hautreflexe
Der Stuhl ist geformt, dunkelbraun,
io. V. Temp. 38°. Pulsfrequenz 90. Kein Durchfall. Auf
L auch und Brust einige typische Roseolen. Es
besteht noch Ileocoekalgurren. Keine Druckempflndlickkeit. Der
P u 1 s_ i s t weich, regelmässig, äqual und klein.
37. V. Mittagstemp. 39,1. Pulsfrequenz 90, weich Es be¬
steht kein Durchfall. Der Stuhl ist fest, geformt und braun.
Roseolen auf Bauch, Brust und Armen.
U r i n sauer, spez. Gew. 1020, ei weissfrei, starke D i a z o -
r e a ktion, mässiger Indikangehalt (bestimmt nach B o u m a als
Indigorot).
. 21 • V. Morgentemp. 37,5. Pulsfrequenz 80, Puls weich und
klein. Ein nicht geformter Stuhl.
25. V. Mittagstemp. 37,1, Pulsfrequenz 80. Es bestehen
noch einige blasse Roseolen. Das Fieber ist lytisch abgeklungen
Die Rekonvaleszenz dauert kurz.
Keiner der anderen Hausgenossen wird krank.
24. V. Eine Blutprobe wurde entnommen zu Aggluti-
nationsyersuchen (Dr. Kayser). B. paratyphi T y p. B
wird im V erh. 1 : 720 makroskopisch agglutiniert,
Bact. paratyphi Typ. A und Bact. typhi 1 : 33 nicht!
Diagnose: Paratyphus.
V. d. L. war mit unseren anderen Paratyphuspatienten nicht
in direkte Berührung gekommen. Fremde Milch bezog er nicht,
seine Butter hatte er aus demselben Ladengeschäft wie Familie M.
(I. Hausepidemie). Als Trinkwasser kommt das eines offenen
Grundwasserbrunnens in Betracht.
Hausepidemie III. (P.) J)
Fall 10 (H. P.).
18 j ä h r. Polderarbeiter, leicht gebaut, mit gelber
Gesichtsfarbe. Er klagt über Mattigkeit, Schmer¬
zen im ganzen Körper, Appetitlosigkeit, Husten
ohne Expektoration. Der Stuhl ist dünnflüssig, nicht fre¬
quent ohne Bauchschmerzen.
Morgentemp. 39°, Fids inässig frequent. Es findet sich eine
diffuse Bronchitis mit reichlichen feuchten Rasselgeräuschen.
Die Milz ist nicht palpabel. Es besteht ein nicht besonders aus¬
gesprochener Meteorismus; Druckempfindlichkeit nicht da.
Tat. ist apathisch. Die Zunge belegt. Keine Roseolen.
17. V. Mittagstemp. 39,8. Gleicher Zustand.
19. V. Die Bronchitis wird besser, ebenso der Appetit. Der
Durchfall ist verschwunden. Nur die Mattigkeit bleibt, besonders
Abends.
Bis 25. V. wechselt die Temperatur von 38 0 bis 39 °.
25. V. Pat. fühlt sich besser; Temperatur unverändert, Mor¬
gens 38°, Abends 39°.
30. V. Appetit gut, Stuhlgang geformt, braun. Husten bei¬
nahe verschwunden. Morgentemp. 36,8°.
31. V. Es wird eine Blutprobe entnommen zu
Agglutinationsversuchen: Bact. paratyphi
Typus B w i r d 1 : 360 makroskopisch agglutiniert,
Bact. paratyphi Typ. A 1: 33 nicht (mikroskopisch). Dia¬
gnose: Paratyphus.
Urin: Grüngelb gefärbt. Spez. Gew. 1018, sauer. Leichte
Di azorea ktion, eiweissfrei, geringer Indikangehalt.
1. VI. Morgentemp. 37,2 °.
3. VI. Mittagstemp.. 37,1 °, Pulsfrequenz 80.
Die Rekonvaleszenz dauert kurze Zeit.
Fall 11. (P. D.)
15. V. 7jährige r, gut gebauter Knabe klagt über
Mattigkeit und Husten.
Allgemeinbefinden ziemlich gut. Sensorium frei.
Morgentemp. 39 °. Puls regelmässig, äqual, voll. Frequenz 100.
Pat. hat eine blasse Gesichtsfarbe. Zunge ein wenig belegt.
Es besteht geringe Bronchitis mit pfeifenden Rhonchi. Leib
nicht druckempfindlich, keine Roseolen. Milz nicht palpabel.
17. V. Abendtemp. 39,8 °. Pat. fühlt sich krank, die Bronchitis
hat zugenommen. Es besteht ein starker, dünnflüssiger,
gelber Durchfall.
19. V. Zustand ist verschlimmert. Pat. ist sehr apathisch
und isst wenig. Die Zunge ist fuliginös belegt und
geschwollen, was das Sprechen sehr erschwert. Die Respiration
ist beschleunigt; es besteht ein sonorer Perkussionston und reich¬
liche feuchte Rasselgeräusche.
20. V. Temp. 40°. Zustand unverändert.
Die M i 1 z ist palpabel, ein wenig vergrössert. Auf
Brust und Bauch sieht man Roseolen. Der Stuhl
ist noch dünnflüssig.
Pulsfrequenz 100. Der Puls ist regelmässig, weich, nicht
klein. Pat. liegt passiv, mit geschlossenen Augen, antwortet aber
gut auf ihm gestellte Fragen.
Während der folgenden Tage verbessert sich der Zustand.
Der Durchfall und die Bronchitis sind weniger intensiv.
25. V. Morgentemp. 38,5 °. Roseolen verblassen. Wenig
Durchfall. Noch immer besteht Bronchitis.
9 Die Krankengeschichte dieser Hausepidemie verdanken wir
zum Teil Kollegen ter Braak.
2*
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
1G96
30. Y. Morgentemp. 37.3°. Noch immer pfeifende Rhonchi.
Milz palpabel. Fat. fülilt sich viel besser und verlangt mehr nach
Speisen.
31. V. Eine Blutprobe wird zur bakterio¬
logischen Untersuchung entnommen. In eine r
kleinen Menge (20 mg) w aren keine Mikroorganis-
m e n na c lizuweise n. B. p arat y p li i T y pus B w urde
1 : 3000 makroskopisch, 1 : 5700 m ikr'oskopisch a g g lu¬
tin i e r t. B. p arat y p h i T y p. A 1: 33 n i c h t. Diagnos e:
Paratyphus. Ueber die Mitagglutination von B.
t y p li i ist unten die Rede (1: 60 makr.
Urin: Spez. Gew. 1030, sauer, .m ä s s i g e Diazoreak-
t i o n, massiger Indikangelialt, Eiweiss (V4 Proz.), Leukocyten,
einige H y a 1 i n z y 1 i n d e r, Hefezellen, Schleimfäden.
3. VI. Mittagstemp. 36,9 u. Milz palpabel, 1 cm über den
Rippenbogen, von massig harter Konsistenz. Einige blasse
Roseolen a u f Bauch u n d Brus t. Stuhl geformt, braun.
Die Zunge ist gastrisch belegt. Sehnenreflexe sind erhöht, Ilaut-
reflexe nicht. Es besteht Fussklonus.
5. VI. Roseolen versch w u n d eil. Milz nicht mehr
palpabel. Fat. fühlt sich sehr wohl. Eine weitere Blut-
p rohe w i r d a u f G r u p penagglutination unter¬
sucht (s. u.).
Die Rekonvaleszenz ist von kurzer D a u e r.
F a 1 1 12 (F. G.).
Fat., ein 15 j ä li r i g e r Folde rar beite r, erkrankt unter
den folgenden Symptomen: Mattigkeit, Schmeren in allen Glied¬
massen und Husten.
Status 15. V.: Fat. sieht blass aus. Fannie, adip. und Er¬
nährungszustand gut. Geringe Bronchitis. Milz nicht pal¬
pabel, perkutorisch v e r g r ö s s e r t. Durc h f a 1 1. Keine
Roseolen.
17. V. Mittagstemp. 39,7 °. Durchfall. Bronchitis hat zu¬
genommen.
19. V. Temp. 39 °. Pfeifen und Rasselgeräusche über den
Lungen. Fuls massig frequent. Fat. ist sehr apathisc h.
Bis 25. Y. sind die Morgen und Abendtemperaturen erhöht.
25. V. Derselbe Zustand wie vorher. Pat. deliriert
d a n n u n d w a n n. Die Milz ist nicht palpabel. Auf Bauch
und Brust sind R o s e o 1 e n. Auf dem untersten Teil des
Bauches sind unregelmässige, erhabene, rote Flecken, welche ab¬
schuppen.
30. V. Morgentemp. 37,6°, Fuls frequent. Noch immer Bron¬
chitis. Das Exanthem verschwindet. Es besteht noch Durchfall.
Fat. fühlt sich besser.
31. V. Kleine Mengen einer Blutprobe (20 mg)
werden steril befunden. Paratyphusbazillen
T y p. B w e r den i m V erhältnis 1 : 720 mikroskopisch,
1: 500 makroskopisch a g g 1 u t i n i e r t. B a c t. p a r a -
t y p li i T y p. A w i r d 1 : 33 nicht beeinflusst. Uebe r
die Agglutination von B. typhi (1 :33 makr. -)-) s. u.
Diagnose: Faratypli u s.
Urin: Sauere Reaktion. Spez. Gew. 1024. Geringe
Diazoreaktio n. Eiweissfrei. Starker Indikan-
gehalt Mittagstemp. 37 °.
3. VI. Milzdämpfung noch perkutorisch vergrössert. Spuren
von Roseolen sind noch sichtbar. Sehnenreflexe sind erhöht.
Durchfall verschwunden.
Allgemeiner Zustand sehr gut.
Die Rekonvaleszenz dauert kurze Zeit.
Diese Hausepidemie kam in einer Familie
von 7 Personen vor. 5 erkr a nkte n, während der Vater
und eine 20 jährige Tochter gesund blieben.
A m 8. V. e r k r a nkte die Mutte r als erste unter hef¬
tigen Kopfschmerzen, Mattigkeit und Appetitlosigkeit. Sie hatte
während einiger Tage ein remittierendes Fieber bis 39 °.
Es bestand Durchfall. Kopfschmerzen und Durchfall verschwan¬
den bald. Die Rekonvaleszenz dauerte ganz kurze Zeit.
E i n 12 j übriges T ö chterche n w u rde bei n a h e
gleichzeitig krank (Durchfall, Temp. 39 °), wiewohl sie
nicht bettlägerig war und ihre Arbeit verrichten konnte.
Mit diesem Kinde erkrankte F a 1 1 10, F all 11 und 12 einige
Tage später.
Was die erste Infektion (Mutter) betrifft, so sind wir liier
nicht im stände, eine gute Erklärung zu geben. Entrahmte Milch
und Buttermilch, welche zur Verwendung kam, lieferte die schon
mehrfach erwähnte Milchanstalt. Die Butter bezog man bisweilen
von dem früher genannten Ladenhändler. Ein Grundwasser-
brunnen (nahe der Berkel) stellt das Trinkwasser.
H a u s e p i d emie IV.
Fall 13 (B. M.).
Eine 54 j ä li rige F r a u erkrankte ziemlich plötzlich ohne
Schüttelfrost am 9. VI.
Früher war sie niemals krank gewesen; sie hatte nur dann
und wann Kopfschmerzen. Im Anfang der jetzigen Krankheit
wurde sie bettlägerig unter sch w eren K o p f s c li m erze n,
Schmerzen im Rücken, beinahe unstillbare m E r b r e c li e n
und heftigem Durchfall. Erbrechen und Durchfälle er¬
folgten sehr frequent. Eine Ursache ihrer Krankheit weiss sie
nicht anzugeben.
Status 9. VI.: Temperatur 30,5°. Pulsfrequenz 110. Re¬
spiration nicht beschleunigt. Fat. hat einen sehr* starken Fannie,
adiposus, welcher die Untersuchung schwierig macht. Körperbau
kräftig.
Pat. sieht schwerkrank
aus. Gesichtsausdruck sehr
matt. Sie liegt in pas¬
siver R ii c kenl a g e.
Exantheme sind nicht da.
Es besteht Somnolenz.
Pat. hat heftige Kopf-
sc li m erzen.
Blasse Wangen, L ippe u
rotu n d t r o e k e n, Zung e
e i n w e n i g bele g t, an
den Rändern sehr trocken. Mischinfektion durch Typhus- und Para-
Lungen und Herz normal. typhusbazillen.
Pulsfrequenz 110. Fuls regel¬
mässig, äqual, klein. Beim Aufsitzen entsteht eine ziemliche Puls¬
beschleunigung.
Der dicke Fannie, adip. des Bauches verhindert das Palpieren
und zum Teil auch das Perkutieren. Patella rreflexe sind abge¬
schwächt. Bauchhautreflexe bestehen nicht.
Urin zeigt sauere Reaktion. Spez. Gew. 1022. Eiweissfrei,
deutliche Diazoreaktion, starker Indikangelialt. Es besteht
D u r c h f a 1 1, dünnflüssig, grüngelb, typischer T y p lius-
Stuhl! mit intensiven Baue li schmerze n.
13. VI. Abendtemp. 37 °. Puls 120. Es besteht ein frequenter
Durchfall mit intensiven Bauchschmerzen. Noch immer Kopf- und
Rückenschmerzen. Fat. vomiert viel.
16. VI. Zustand unverändert. Durchfall frequent. Milzver-
grösserung ist nicht zu konstatieren. Einige Roseolen auf
d e m B a u e li. Fat. ist apathisch und deliriert dann und
w a n n.
19. IV. Roseolen verblassen. 2 mal Durchfall. Mittagstem¬
peratur 35,3 °. Fuls 90, klein, regelmässig und äqual. Pat. erbricht
nicht mehr.
21. VI. Roseolen verschwunden. Einige neue Ro¬
seolen sind da. Pat. klagt über Leibschmerzen und hat noch
immer Kopfschmerzen. 4 mal Durchfall. Ausgesprochene Somno¬
lenz. Mittagstemp. 35,6°. Pulsfrequenz 90.
23. VI. Mittagstemp. 35,6. Pulsfrequenz 84. Kopfschmerzen
sind verschwunden. Noch immer Durchfall mit Leibsclimcrzen.
Der Stuhlgang hat ein wenig festere Konsistenz.
25. VI. Pat. fühlt sich viel besser. Der S t u li 1 g an g ist
angehalten. Puls voller, nicht mehr frequent. Sie ist noch
sehr schwach.
Das Rekonvaleszenzst a d i u m d a u ert länger.
Pat. ist sichtlich mager geworden.
Hier w u r d e a. m 17. VI. etwas Blut e n t n o m m e u.
Das Resultat der Untersuchung Kaysers folgt unten aus¬
führlich.
Diagnose: Mischinfektion durch Typhus- und
Paratyphusbazillen (des Typus B).
Dieser Fall von Mischinfektion durch Typbus
und Parayphusstäbchen ist wegen seines a febrilen
Verlaufes von grosser hygienischer Wichtig¬
keit; denn er zeigt, dass diese Krankheit bestehen (und ver¬
schleppt) werden kann, ohne dass Temperatursteigerungen in
besonderem Masse die Aufmerksamkeit auf ihn lenken.
Fall 14 (B. Z.).
Paratyphus.
Fat. ist 15 J ah re alt, Sohn von Pat. 13 (B. M.). Er wurde
10. VI. krank unter folgenden Symptomen: Kopfschmerzen,
Appetitlosigkeit und Mattigkeit. Schüttelfrost hat
er nicht gehabt.
11. VI. war er noch in der Schule, musste diese aber bald ver¬
lassen wegen seiner Krankheit. Früher war Fat. nie krank ge¬
wesen. Eine Ursache für seine Erkrankung kann er nicht an¬
geben.
Status 13. VI.: Pulsfrequenz 80. Respiration nicht be¬
schleunigt. Fat. ist lange, mager und hat eine schwache Muskulatur.
Lippen trocke n u n d blass. Zunge ein wenig in der
Mitte belegt, a n d e n R ä n d e r n t r o c k e n. in der Mitte
feucht. Herz und Lungen sind normal. Fuls regelmässig, äqual,
14. Oktober 1902.
ÄÄ"1 B°lm Allfsl‘ze“ Mlwwit die Pulsfrequenz zu,
Dämpfung etwa sg v e r g r ö “ t Cb», ,'if 8w 7.ert M 11 z -
Patellarreflexe schwach Haut m.,i . - ’ z hiclit palpabei.
Tflches de Trousseau " K‘"™*«erreaexe nicht da,
geha?Ät.SPSwtsIirr- PO^'tiv. Indihan-
lto"Än4r«X ZuiSÄÄdeT
lent und gleichgültig gegenüber seiner Umgebung ' ' * no"
15. VI. Durchfall. Bauch Brust" „ „ ,i .
ersten am^wf VI. erschienen' “o“*01** von weicht die*
gang1'- VL Die Roseolen sind zum Teil verblasst. Kein Stuhl-
Jo vtL weiQ, Stl’hlganS'- Der Zustand ist unverändert
20. yl Rse;
Roseolen auf Bauch, Brust und Armen dei UGUe
23. VI. Pat. ist dann und wann somnolent Er im
24%?mFentZr-firdiTmal einen mehr festen Stuhlgang/
. . “ ' ‘ Rak fühlt sich besser und hat Appetit Von ietzt ‘in
%ZoTS7JT™?rüag U'ebl' Sta*' «•" tfühereu^ Durclu
früheren Ftfllen.n valeszeDZ dauert länger wie ln den
Das Blutserum (Entnahme am 17. VI.) agglutiniert
B. p a r at yphi, Typus A u n d B. typhi 1: 50 nicht d a
gegen B. paratyphi des Typus B bis zur vYVd !
nung 1:120. Diagnose: Paratyphus
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Eall 13 und 14 durch das¬
selbe Material infiziert wurden. Da beide Patienten von jeher
vie an Kopfschmerzen litten, so ist der Anfang ihrer Krankheit
nicht genau anzugeben; der Sohn erkrankte vielleicht etwas
fiuher als die Mutter. Er fischte sehr oft und trank dann das
-Berkelwasser. Die gefangenen Eische wurden von der Mutter
zubereitet. Ihr Trinkwasser bezieht die Familie aus einem 5 Mi¬
nuten von der Berkel gelegenen Grundwasserbrunnen. Die mehr¬
fach angeführte Molkerei lieferte keine Milch in dieses Haus.
Terne hatten wir noch ausgiebigere Blutuntersuchungen ge¬
macht, aber die Erlaubnis zur Entnahme des Materiales war
immer nur mit grosser Mühe zu erlangen und bei aller An¬
strengung nicht in mehr Fällen als den angegebenen durchzu¬
setzen.
Es fiel auf, dass das Blut unserer Patienten äusserst rasch
zur Gerinnung kam.
Mit, ziemlichen Schwierigkeiten war das Aufstellen der
Fieberkurven verbunden. — Die Behauptung Lieber-
mei sters, dass ein Arzt seine Pflicht versäumt, wenn er
einen Typhuskranken behandelt, ohne dass täglich wenigstens
zwei womöglich aber noch mehr Temperaturbestimmungen ge¬
macht werden, kann nicht für den beschäftigten Landarzt Gel-
MITEN(BIENKR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1697
i , v, ----- - nmiuarzi vjei-
e haben. Es gibt noch immer Leute, deren Händen ein
Ihermometer nicht anvertraut werden kann. Die Resultate sol-
ciier lemperaturmessungen würden eher täuschend irre führen
als dem Arzte helfen.
(Schluss folgt.)
Aus der medizinischen Klinik in Tübingen (Prof. Iv r e h 1).
Lungenödem und fibrinöse Bronchitis nach Thorako-
zentese.
Von Di\ Friedr. Magenau, Assistenzarzt der Klinik.
.. ])l® Kombination von Lungenödem mit Aushustung fibri-
noser Bronchi algennnsel nach Thorakozentese ist eine derartig
• Itene, dass die Veröffentlichung eines solchen Falles ohne wei¬
teres Berechtigung hat.
I'rau II. F., 43 Jahre alt, kam am 9. VIII. 02 zur Aufnahme
«und" mt Sn"h!,‘e: p?.ei" r gestorben. mX? gl
au einem Rl fst,,. KK,l“Pten- Dev Mann starh am 3. Mai 1902
gewesen1 wir! nachdem er vorber 3 Jahre lang lungenleidend
28 lunMQn? n'V11 Pfrdher immer gesund gewesen sein. Am
1 Jett verlief emeS ^erSunden’ kräftigen Kindes. Wochen-
Kindein sind1 4 !n 0rUV^ TV?raus glIlgeu 8 Geburten. Von den
düng, Durchfan gestorben. ^ Keucbbusten- Lungenentziin-
Bnou* iLf Tagen f ülilt Patientin einen schweren Druck auf der
not luifiwm II leicbte.r Arbeit, Treppensteigen starke Atem-
Schulter und hr.1 U" t liat st«cliende Schmerzen in der linken
bek‘i in /illf Rücken. Sie fing an zu husten, ohne Auswurf
„nT . 1< )ei’’ musste Nachts stark schwitzen. Der Appetit blieb
gut. In den letzten Tagen leichte Durchfälle. P1
No. 41.
ȀVnZSS'tS; ZT ln
Temperatur 38,9 (Abends). yanose, keine Oedeme.
Pupillen reagieren normal.
Z u n g e belegt, Rachenorgane ohne Besonderheit.
D u n g e n grenzen oben gleich hoch i? 0 „ u + c
6. Interkostalraum, rechts hinten unten 11 Kn, ? , T unteQ
KÄÄS“
rech“ ^ teSmem Mer7e)cM T JT *
^dMCl!raLPreStepulSlini|jdie alf°Illte bis zum achten Sternab
füllt ******* *•’
“ÄÄ zXpÄh?'*’
gevia.cc Menge Eiweis» (die Iran „at noch von iSj!
lt/vm a TT°d' rj,/gllc!‘ 4,0 g Natrium salicylfcum.
. \ III. Da das Exsudat nicht zurückgeht, die Kranke kurz
SSf Wf. .heute Vormittag 11 Uhr Punktion der linken PleuS-
hohle (T roikart, hangender Schlauch). Mit zeitweiligen Unter¬
brechungen werden 2500 ccm einer ziemlich klaren serösen
ferntllChnf / lus^keit entleert. Der Troikart würde ent-
gleiclizeitig ib.'/^F I?l!stef ’ ohne Sputum, auftrat und
gleichzeitig das Exsudat begann, während der Inspiration
ur noch spärlich zu fliessen. Patientin bekommt 0,01 Morphium
Scapulae Ibf* Damp^llI(,g liuks reicht nur noch bis zum Angulus
S'!“; Das Exsudat gerann schon während der Punktion
Spezihsches Gewicht des Exsudats 1025. Mikroskopisch
111 1 hn i " Ex®uda* Erythrocyten, Leukocyten und Endothelien.
in Baute des Nachmittags setzte ein heftiger Husten ein
der eiii ubcraus reichliches dünnflüssiges Sputum von ganz ähn¬
licher P arbung wie das entleerte Exsudat zu Tage förderte D-iss
pan!felte4ergab die Untersuchung der Kranken: es fehlte der
msseln L ^"k A LKnml? T? «*»**> Dyspnoe, Tvacbcal-
i assein. Links hinten unten Dampfung bis zum Anoulus sc-i
Atemgeräusch vorn nn^h ^ ty.mi)auitiseliei- Perkussfonsschall,
wtenigerausch vom und hinten oben verschärft vesikulär hinten
teil unbestimmt; mässig reichliches, ziemlich grobes Rasseln
Rechts hinten unten spärliches Rasseln. '
als reclrtsnfremitUS: LiUkS deutlicb vorhanden, etwas schwächer
Temporato-TA120' kr“tlg’ regeImtoiS- gWchmässig.
Ordination: Priessnitz, Morphium, Kampher.
Nach t s dauert der Husten mit etwas verringerter Hefti»-
kIASS! treteU Bangigkeit und Todesangst auf:
leichf1 dabei! Immer noch viel Husten. Patientin fühlt sich aber
Im Sputum finden sich fibrinöse, verzweigte Bronchialaus-
gusse von weisser Farbe: ein S cm langer, kleiSngeSfcker mit
ftw.'a n 1,1 e L tl f t d . /!/rastel a n gea und ein 12 cm langer, miverästelt
ttva bleistiftdick, nach wiederholter Verzweigung in faden-
m/n!.gen Ausläufern endigend. Ausserdem finden sich noch
mehrere, Avemge Zentimeter lange, un verästelte, bleistiftdicke
/ fVillG1’. verästelte Gerinnsel. Konsistenz der
Lufthhfän !?1Ch ,d,erb; dieselbeu enthalten da und dort einzelne
Euttblasen eingeschlossen.
Darüber <leS .Sputums betl,ägt bis ietzt über 300 ccm.
Darüber schwimmt ein weisser, sehr beständiger Schaum ähnlich
geschlagenem Eiweiss. Temp. 38,9. anmicn
-i“- VIII. Menge des Sputums bedeutend geringer, in dem-
seHien noch einige ziemlich feine, baumförmige Gerinnsel.
tt 14' ' Abends 38,1, Husten geringer, reichliche
unten^fetw?00 >CCm' Die Intensität der Dämpfung links hinten
unten hat etwas abgenommen, rechts weniger Rasseln.
Vi Sputum ein über taubeneigrosser, kompakter
AvickeP ’ tw: fi? im Ayasser als schöner Bronchialausguss ent
v ekelt. Derselbe war leicht, ohne jede vorausgehende Dyspnoe
ausgehustet worden. Im gleichen Sputum noch ein zweites, klei¬
neres Gerinnsel. Links hinten unten nur noch handbreite Däm¬
pfung, liier abgeschwächtes Bronchialatmen, rechts hinten unten
wenig Hasseln.
Io. A III. Durchfälle: Schleimdiät, Opium.
qöq ^Vm. Durchfall hat aufgehört. Abendtemp. wiederholt
38,9, ohne nachweisbare Verschlimmerung des objektiven Lungen-
befundes, Auswurf sehr spärlich, frei von Fibringerinnseln, ent-
lialt sein- zahlreiche Diplokokken, sehr wenig andere Bakterien,
keine Tuberkelbazillen. ’
22. \ HI. Starke Scli weisse bei Nacht, schwächere bei Tag.
Temp. Morgens Abends 37,7. Die Dämpfung links hat nicht
nachweisbar abgenommen, docli ist das Atemgeräusch deutlicher
geworden, nur das Exspirium noch undeutlich bronchial. Rechts
last kein Rasseln mehr zu hören. Urin eiweissfrei, enthält ein¬
zelne (hyaline) Zylinder.
27. VIII In der letzten Zeit kein Auswurf mehr, das Rasseln
rechts verschwunden, üeber der ganzen linken Lunge eine leichte
relative Dampfung, die vom Schulterblattwinkel ab etwas re¬
sistenter wird Atemgeräusch überall vesikulär, links hinten unten
etv as abgeschwacht. PI e r z d ä m p f u n g etwas nach links ver-
3
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4i.
1698 _ _ _ __
breitert, Töne regelmässig, keine Geräusche. Gegen die andauern¬
den Schweisse Abends % mg Atropin, sulfur. f kein
2. IX. Seit einiger Zeit kein Husten, kein Ausui ,
Stechen mehr, Temperatur immer etwas gesteigert. Objektn
Lungenbefund im ganzen unverändert. Gewicht hat in den
34 Tagen von 53,3 kg auf 52,7 kg abgenommen.
ci xx Gewicht 53,4 kg. Temp. normal, die Dampfung hat
etwas* abgenommen. Die Nachtschweisse haben nachgelassen.
' U112. IX. Das Aufstehen wurde gut ertragen. Entlassung.
Es hatte sich also bei unserer Kranken unmittelbar im An¬
schluss an eine Pleurapunktion ein Lungenödem und eine akute
fibrinöse Bronchitis entwickelt. Die Durchsicht der Li era ui
ergab, dass dieses Vorkommnis nur einige Male beobachtet
wurde1). Man muss also die Entleerung eines grosseren Pleura¬
exsudates als eine der Ursachen ansehen, welche die Entwicklung
einer akuten fibrinösen Bronchitis zur Folge haben können.
Die in der Literatur beschriebenen Fälle haben grosse Aehn-
lichkeit mit dem unseren. Gegen das Ende der Punktion oder
bald nachher entsteht ein Lungenödem. Es ist dies ein nie
allzu seltener und von allen Aerzten gefürchteter Vorgang. Man
spricht dabei von einer Expectoration albumineuse. Leider fehlt
es an sorgfältigen Bestimmungen des Eiweissgehaltes vom Aus¬
wurf. Auch wir haben es versäumt, diese auszuf uhren, und sine
deshalb leider nicht in der Lage, auf Grund des Eiweisgehaltes
des Sputums ein Urteil über seine trans- oder exsudative JNatur
abzugeben. Indessen spricht das Auftreten der beschriebenen
grossen Fibringerinnsel doch in hohem Grade dafür, dass es sich
Tn unserem Falle um einen entzündlichen Prozess im Bronchial-
baum handelte. Denn wollte man annehmen, dass aus einem
nicht entzündlichen, einfachen Transsudat diese Gerinnsel sich
ln den Bronchien abgeschieden, so wäre das ein Vorgang, der m
der Pathologie kaum ein Analogon hätte.
Lässt man aber einen entzündlichen Faktor mitwirken,
dessen Wesen allerdings unbekannt ist, da aus dem Diplokokken¬
befund im Sputum wohl nichts geschlossen werden kann, so wird
die Entstehung pathologisch-anatomisch verständlich Eine
Stütze dieser Anschauung dürfen wir wohl in der beträchtlichen
Temperatursteigerung nach der Punktion sehen.
Von ätiologischer Bedeutung ist weiterhin der Zustand des
Herzens: in 3 von den 6 Fällen der Literatur bestand schwere
Perikarditis, eine Patientin war „herzfehlerkrank“. Bei den
beiden übrigen Fällen war, wie bei dem unsrigen, ein massiges
linksseitiges Pleuraexsudat vorhanden, wodurch schon rem me¬
chanisch das Herz mehr geschädigt wird als durch ein rechts¬
seitiges! Ausserdem ist auch ein Uebergreifen der Entzündung
auf das Perikard viel leichter möglich.
Wie bringen wir nun unsere Fälle in Einklang mit dem
häufigeren, einfachen, akuten Lungenödem nach Thorakozentese .
Mach Leichtenstern, Skriba, Schütz, Ortner ent¬
steht dieses infolge der Durchlässigkeit der durch den lange
bestehenden Exsudatdruck in ihrer Ernährung geschädigten
Lungengefässe. Häufige Hilfsursache ist eine begleitende Herz¬
insuffizienz. - ,
Mach dieser Erklärung würde also in seltenen Fallen neben
den Faktoren, welche das akute Lungenödem bedingen, m den
Brönchien ein entzündlicher Prozess auftreten, der dann zur
Gerinnselbildung führt. . .
Befriedigender, wenn auch zunächst unbewiesen, erscheint
eine andere Auffassung, weil beides unter einen gemeinsamen
Gesichtspunkt bringend : Man lässt schon beim Zustandekommen
des einfachen Lungenödems nach Thorakozentese in der ringsum
n Literatur: Kr edel: Lungenödem und Exitus nach
Thorakozentese. Der linke Bronchialbaum enthielt em aus¬
gedehntes Fibringerinnsel. Berl. klm. Wochenschi. 188-, p. bio.
U S k r i b a: Lungenödem nach Pleurapunktion, Exitus. Im
linken Bronchus ein grosses Fibringerinnsel. Deutsch. Aich. t.
kl'"'Hainp^lnf’ Pleurapunktion bei einer Herzfehlerkranken.
Seröse Expektoration, fibrinöse Beläge aus den Bronchien aus-
eehustet. Petersburger med. Wochensclir. 189-, p. ■ «fob.
Oheadle: Parazentese der linken Pleurahohle. Lunge
ödem, Expektoration von fibrinösen Bronchialgerinnseln. Spater
•mell Punktion des Perikards. Lancet 1895, Juli. '
Ortner- 2 Fälle: 1. Nach rechtsseitiger Pleurapunktion
akutes Lungenödem, Exitus; rechts Bronchitis fibrmosa Syn-
eretio pericardii. 2. Pleurapunktion rechts: Lungenödem, im Spu
äm JtaVeSwelgtes Fibrlngertansel. Nach einigen Wochen
Exitus; vollständige Verwachsung des Herzens mit dem Hetz-
beutel. Wiener klinische Wochensclir. 1899, p. 1090.
von entzündlichen Prozessen eingeschlossenen Lunge ein ent¬
zündliches Moment mitspielen ! Bekommt dies aus irgen
welcher Ursache eine grössere Intensität, so kommt es zu Lungen¬
ödem mit fibinöser Bronchitis.
Ursachen, Symptome und Behandlung der Insuffizienz
des nicht schwangeren Uterus.")
Von Dr. A. Theilhaber.
Die Atonie der Uterusmuskulatur während der Geburt des
Kindes, in der Nachgeburtsperiode und bald nach der Aus-
stoosung der letzteren ist den Aerzten schon sehr lange bekannt
Die bei dieser Abnormität vorhandenen Symptome (Schlaffheit
des Organs, ungewöhnlich langsamer Fortschritt der Geburt Re¬
tention der Plazenta, starke Blutungen u. s. f.) sind so auffällige,
das« sie schon vor Tausenden von Jahren bei den Aerzten die ge¬
böhrende Beachtung fanden. Unbeachtet blieb bis jetzt dagegen
die. Tatsache, dass ähnliche, wenn auch weit weniger auffallende
Abnormitäten der Funktion der Uterusmuskulatur bei der Ent¬
stehung der Krankheiten der nichtschwangeren Frau ebenfalls
eine sehr wesentliche Rolle spielen : . . . , ,
Frau N. war früher immer normal menstruiert, hat l(ö leif ^
entbunden. Die Menses dauerten immer 3-4 Tage, seitdeiG. E
bindung sind die Menses reichlicher, halten G— < Lage , an.
den beiden letzten Entbindungen dauerte es ziemlich lange, bis
die NaOigeluirt zur Ausstossung kam, die Patientin verlor ziemlich
viel Blut" dabei. Diesmal trat bald nach Ausstossung des Kindes
eine SÄt« ein. ,1er „erbeigerafene Arzt fand den Ute™
oruss und weich. Er machte Reibungen, bis der Uterus sich te
kontrawerte, dann wandte er den C r e d 6 sehen Handgriff .an
Die Plazenta kam bald zum Vorschein. Auch nachher noch hatte
der Uterus immer Neigung zur Erschlaffung, es blutete dazwischen
in me, wieder erst nach einigen Stunden war es gelungen, durch
Massage Ergotin u. s. w. die Blutung definitiv zum Stillstand zu
bringen Das Wochenbett verlief normal, aber bei den nächste
Menstruationen stellten sich jedesmal Ulutungen ^ Jie 10 b
14 Ta«-e dauerten. Nach y8 Jahre wird em Gynäkologe Konsul
tiert er glaubt es könne sich um Zurückbleiben von Eihaut-
f et zen oder um einen Plazentarpolypen handeln. Der Uterus wil l
m UÄ diktiert, « ist nichts »SXC«“
Der Uterus wird kürettiert: die exkochleierte Schleimhaut ist
linmial Der Arzt nennt nun den Krankheitsprozess Subinvolutio
t vj * obwohl von einer mangelhaften Involution des Uterus nichts
naclizuw^isen ist. ^enn der Uterus hat in Wirklichkeit normale
Grösse. Untersucht man diesen Uterus während der Ä -
so fällt meist auf, dass er sehr weich und schlaff ist.
Manchmal ist diese Schlaffheit auch ausserhalb der Menses zu
fühlen — Trotz der Ausschabung bleibt die Menorrhagie nun auc 1
noch während der nächsten Menses bestehen.
Dieses Krankheitsbild, dem wir in der Praxis ausserordent¬
lich häufig begegnen, brachte mich schon vor Jahren auf den e-
danken, es seien auch die Menorrhagien lange nach Ablaut des
Wochenbettes häufig noch durch die gleiche Ursache hervorgeru en,
wie die Blutungen nach Ausstossung der Frucht und der Eihaute,
nämlich durch mangelhafte Kontraktionsfähigkeit der Gebär¬
mutter. Die Muskulatur eines jeden Uterus kontrahiert sich ja
nicht bloss bei der Geburt und im Wochenbette, sondern wahrem
des ganzen Lebens der Frau. Würde die Muskulatur das nicht
tun, so müsste sie nach physiologischen Gesetzen atrophieren.
Dass die Kontraktion der Uterusmuskulatur einen Einfluss au
Sistierung der Menorrhagien hat, lässt sich leicht nachweisen, denn
wenn es gelingt, durch Ergotin oder heisse Einspülungen u. dergl.
eine starke Kontraktion der Gebärmuttermuskulatur wahrend
einer Menorrhagie auszulösen, so pflegt ^ die Blutung so ange
nachzulassen oder sich zu verringern, als die Kontraktion dauer .
Es haben aber auch nach meiner Auffassung die Kontraktionen
der Uterusmuskulatur einen wesentlichen Einfluss auf die B u -
fülle des Organs; im allgemeinen sind die Kontraktionen er
Uterusmuskulatur um so häufiger und stärker, je me n u nn
Uterus fliesst. Steht jedoch die Stärke der Uter^kontraktion^
nicht in direktem Verhältnis zur Grösse der Blutfullung des
Uterus, so kommt es zur venösen S t a s e, denn in en meis n
Körperteilen, in denen das venöse Blut seinen Ruckweg zum
Herzen entgegen dem Gesetze der Schwere zu nehmen gezwungen
ist sind Kontraktionen der Muskeln sehr wichtig für die ern
haltung von Störungen in der Zirkulation. Menschen, deren
Beruf es mit sich bringt, dass sie viele Stunden des Tages stehen,
disponieren deshalb zu variköser Erweiterung der Unterschenkel
*) Vortrag, gehalten in der Junisitzung des Aerztl. Vereins
in München.
14. Oktober 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
venen mit Oedem daselbst, dagegen verursacht vieles Gehen in
der Kegel keine Stauung in den Venen. Ich glaube, dass die
Kontraktionen des Uterus einen ähnlichen Einfluss auf die Zir¬
kulation in den Beckenorganen haben, Verminderung der Kon¬
tiaktionen des Ij terus wird ungünstig auf die Fortbewegung des
Venenblutes im Becken wirken. Meist geht ja auch die Ent¬
wicklung der Muskulatur des Uterus parallel der Entwicklung
der daselbst befindlichen Gefässe. In der Kindheit und im
Grcisenalter haben wir spärliche Muskulatur, aber auch enges
Lumen der Blutgefässe. Während der Blütezeit der Geschlechts¬
funktionen der Frau beansprucht dagegen die meist vorhandene
grosse Weite der Gefässe und die weit grössere Menge des zum
Herzen strömenden Blutes auch stärkere Kontraktionen einer
stark entwickelten JVluskulatur. Fehlen diese, so kommt es zu
Stauungen in den Venen und Lymphgefässen ; infolge überreich¬
licher Ernährung kommt es zur Hypersekretion (Fluor albus).
Allmählich kann sich eine Hyperplasie der Gewebe des Uterus
herausbilden (Hyperplasie des Mesometriums sowohl wie des
Endometriums). Starke Kontraktionen während der klenses
vermindern in der Regel die während derselben zur Ausscheidung
gelangende Blutmenge; sind die Zusammenziehungen un¬
genügend, so kann es zu IVIenorrhagien kommen, die ihrerseits
mit der Zeit wieder verstärkt werden können durch den Um¬
stand, dass die hyperplastisch gewordene Schleimhaut noch viel
mehr zu starken Blutungen neigt, als die normale Mukosa.
Auf Grund dieser Anschauungen hielt ich es für sehr wich¬
tig, den Bau des Mesometrium (auch Myometrium genannt)
kennen zu lernen. Zu diesem Zwecke sammelte ich die dies¬
bezüglichen in der Literatur vorhandenen Angaben, die aller¬
dings ausserordentlich spärlich sind und, wie ich meine, sämt¬
lich nicht richtig gedeutet wurden, ferner achtete ich bei den
gynäkologischen Untersuchungen möglichst auf die einschlägigen
Verhältnisse, dann studierte ich bei Sektionen und Operationen
die Textur des Uterus, und schliesslich untersuchte ich in Ge¬
meinschaft mit meinem früheren Assistenten, Herrn Dr. Anton
Meyer, jetzt prakt. Arzt in Neustadt a/D., 61 Uteri mikro¬
skopisch. Die Uteri hatte ich teils durch Operationen gewonnen,
teils durch Güte der Herren Obermedizinalrat Dr. Bollinger,
Privatdozent Dr. A m a n n und Dr. Krecke erhalten. Die ge¬
naueren Angaben über die Resultate dieser Untersuchungen sind
in einer im Archiv f. Gynäkol. Bd. 66, H. 1 erschienenen Arbeit
veröffentlicht. Auf Grund meiner Studien bin ich zu folgenden
Ergebnissen gekommen :
Im kindlichen Uterus besteht kaum ein Drittel d^s Meso¬
metriums aus Muskulatur; dementsprechend sind auch die Blut¬
gefässe dünn und eng. Erst kurz vor dem Eintritte der Pubertät
beginnen Muskeln und Gefässe sich stark zu entwickeln ; es
dürfte jedoch mit dem Eintritt der ersten Periode der Höhe¬
punkt der Entwicklung von Gelassen und Muskulatur noch
lange nicht erreicht sein; erst einige Jahre nach dem Eintritt
derselben erreicht die Muskulatur ihre grösste Stärke, das gleiche
gilt offenbar auch von den Gefässen. Der Uterusmuskel erreicht
also seine volle Entwicklung meist erst gegen das 20. Lebensjahr.
Bei der gesunden Irau wird das Verhältnis von Muskulatur
und Bindegewebe zunächst etwa 20 Jahre lang wenig verändert,
vorausgesetzt, dass nicht Schwangerschaft eintritt. Die Muskula¬
tur repräsentiert etwa zwei Drittel des Mesometrium. Wenn
eine Schwangerschaft eintritt, nimmt jedoch die Masse der Mus¬
kulatur bedeutend zu, um nach Ausstossung der Frucht etwas
unter das frühere Niveau zu sinken. Nach jeder Geburt bleibt
der Uterus etwas grösser als vorher. Diese Vergrösserung ist
offenbar hauptsächlich auf die Vermehrung des Bindegewebes
zurückzuführen.
. Eine wesentliche Veränderung des Mesometrium tritt meist
einige Jahre vor dem definitiven Verschwinden der Menses ein;
die Muskeln atrophieren, die Gefässe werden enger durch Arterii¬
tis obliterans, das Bindegewebe wird reichlicher; die Atrophie
der Muskulatur, die Hyperplasie des Bindegewebes, die Ver¬
engerung- zahlreicher Gefässe nehmen- nun von Jahr zu Jahr zu;
mit dem definitiven Verschwinden der Menses hat jedoch dieser
Prozess noch lange nicht seinen Höhepunkt erreicht. Noch nach
dem Auf hören der Menstruation nimmt die Atrophie von Jahr
zu Jahr zu. Etwa in den 60 er Jahren ist die Muskulatur
wieder ebenso spärlich wie beim Kinde, umgekehrt ist das Binde¬
gewebe wieder ebenso reichlich wie beim Kinde, die Weite der
1699
Lumina der grossen Gefässe ist dann wieder ungefähr dieselbe,
wie sie beim Kinde war, jedoch unterscheidet sich die Dicke der
Ge f ä sswatidungen sehr wesentlich beim Kinde und bei der
Greisin dadurch, dass bei letzterer die Arteriitis obliterans die
Wandungen sehr hochgradig verdickt hat.
Die Stärke der Muskulatur in den verschiedenen Lebens¬
altern der Frau lässt sich durch folgende Kurve darstellen, bei
der auf der Abszisse eines rechtwinkeligen Koordinatensystems
das Alter, auf der zugehörigen Ordinate die Muskulatur in Pro¬
zenten eingetragen ist.
10
0 5
Die Uteri unterscheiden sich von einander aber nicht bloss
durch die Mengenverhältnisse von Bindegewebe und Muskulatur,
sondern auch durch die Art der Anordnung des Bindegewebes
in der Muskulatur sehr wesentlich. Die Grösse der Muskelfelder,
die Breite der Bindegewebssepta, die Anordnung des Maschen¬
werkes in den Feldern, all dies variiert ausserordentlich. Wir
haben in unserer Arbeit im Arch. f. Gynäkol. 8 sehr häufig
wiederkehrende Typen angegeben, die die Verschiedenartigkeit
des V erhältnisses des Bindegewebes zur Muskulatur wiedergeben.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass nicht bloss die Stärke der Mus¬
kulatur, sondern auch die eben geschilderten Variationen der
Verteilung des Bindegewebes in der Muskulatur einen wesent¬
lichen Einfluss auf das Resultat der Kontraktionen der Uterus¬
muskulatur haben.
Ausserdem fanden wir die zufällig in den Leichen ge¬
fundenen myoma tosen Uteri muskelreich, die Muskulatur war
hypertrophisch, die Uteri bei Uteruskarzinom (ohne Komplikation
mit Myom) waren muskelarm, die Uteri auch jüngerer Individuen,
die schon öfter geboren hatten, waren, wie schon bemerkt, eben¬
falls ärmer an Muskulatur. Ganz besonders hervorstechend
durch ihren Bindege websreichtum und ihre Muskelarmut waren
die Uteri der Frauen, die an Tuberkulose gelitten hatten, und
der Uterus einer Frau, die an Typhus gestorben ist. Bei einigen
Fällen von Adnexerkrankung (Pyosalpinx etc.) war ebenfalls die
Muskulatur sehr spärlich; eine Verminderung der Muskulatur
zeigt sich auch in zwei Fällen von sogen, chronischem Uterus¬
infarkt (Bollinge r), d. h. von Uteris, die gross, dick und
breit waren, ohne einen Tumor zu enthalten. Bei Frauen, die
sich den 40 er Jahren nähern, pflegen sich an den Blutgefässen
Verdickungen der Wände und Zunahme des perivaskulären
Bindegewebes zu zeigen. Beim schwangeren Uterus tritt die
Hyperplasie der Muskulatur bei sämtlichen Präparaten schön zu
Tage. Der Uterus zeigt mit dem Fortschritt seiner Involution
nach einer Geburt deutlich eine Bindegewebszunahme, eine Ver¬
dickung und eine physiologische Obliteration mancher Gefässe.
Bei myomatösen Uteris, die wegen starken Blutungen exstirpiert
worden waren, zeigten die Präparate meist eine Ueberhandnahme
des Bindegewebes: enge Netze in den Muskelfeldern; die Mus-
kulatur war gewöhnlich spärlich.
In den letzten Jahren wurden wegen heftigen Blutungen
ohne klinisch nachweisbare Veranlassung (essentielle Blutungen)
(öfter Uteri exstirpiert. Publikationen hierüber liegen vor von
Seiten der Autoren Eeinicke (Arch. f. Gynäkol. Bd. 53. H. 2),
C h olmo g o rof f (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 11,
H. 3), P i c h e v i n und Petit (Gaz. med. de Paris 1895, p. 553).
In all diesen Fällen findet sich Hyperplasie des Binde¬
gewebes und Atrophie der Muskulatur, ausserdem Verdickung
der Gefässwände und Verengerung ihres Lumens. Die ge¬
nannten Autoren suchen nun insgesamt die Ursache der Blu¬
tungen in den Veränderungen der Gefässwände und halten die
Bindegewebshyperplasie und Muskelatrophie für nebensächlich.
Ich habe bereits in einer früheren Arbeit (Arch. f. Gynäkol.
p. 62, IT. 3) die zahl reichen Gründe angeführt, die dafür sprechen,
dass das Verhalten umgekehrt ist, dass die Verdickung der Ge¬
fässwände nicht das Wesentliche des Krankheitsprozesses ist
und dass die Ursache der Blutungen wohl zu suchen ist in der
3*
1700
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
mangelhaften Kontraktion der atrophischen Uterusmuskulatur.
Auf Grund des Angeführten meine ieli:
In der Regel wird die Zirkulation in den Uterusgefässen
dann in normaler Weise von statten gehen, wenn die Stärke der
Kontraktionen des Uterusmuskels sich proportional verhält der
Weite der Blutgefässe: bei engen Gefässen (vor der Pubertät
und nach dem Klimakterium) sind seltene und schwache Kon¬
traktionen genügend, das Venenblut zum Herzen zu treiben; ein
dünner, schlecht entwickelter Muskel genügt hier in der Regel
der ihm gestellten Aufgabe; anders, wenn bei der geschlechts-
reifen Frau die Arteriae spermaticae und uterinae mächtig ent¬
wickelt sind, grössere Blutmengen in den Uterus schicken, wenn
auch die prämenstruelle Kongestion hinzukommt und hiedurch
der Inhalt der Blutgefässe sich wesentlich vermehrt; unter diesen
Umständen muss natürlich der Uterusmuskel viel mächtiger ent¬
wickelt sein und viel stärker funktionieren, soll es nicht zu einer
Stase kommen. Vermag der Uterus nicht, den an ihn heran¬
tretenden Anforderungen zu genügen, so entsteht das Krankheits¬
bild, das am zweckmässigsten wohl mit dem Namen der In -
sufficientia uteri belegt wird. Natürlich geht auch
hier, wie so oft, das Kranke ohne scharfe Grenze aus dem Nor¬
malen hervor, es kommen zweifellos Uebergänge von der leich-
. testen, eben noch bemerkbaren Insuffizienz bis zu den schwersten
Schwächezuständen, aus denen monatelang dauernde Menor¬
rhagien resultieren, vor.
Auf Grund meiner Untersuchungen und vor allem auch
meiner klinischen Beobachtungen glaube ich, eine Reihe ver¬
schiedener Typen der Uterusinfuffizienz aufstellen zu können
und zwar:
1. Die Ilypoplasia muscularis uteri: Häufig
dauert bei jungen Mädchen kurz nach der Pubertät die Men¬
struation länger als normal; in nicht sehr seltenen Fällen dauert
die Blutung sogar mehrere Wochen, ja monatelang ununter¬
brochen an; die Pausen zwischen den Menstruationen sind dabei
zuweilen normal, zuweilen verkürzt, nicht selten jedoch dauern
sie mehrere Monate lang an. Häufig, jedoch nicht immer, ist
während der Menstruationspause vermehrter Fluor vorhanden.
Andererseits kann auch Fluor ohne Menorrhagie vorhanden sein.
Bei dieser Abnormität ist in den ersten Jahren der Uterus meist
klein. Bestehen dagegen die Blutungen schon viele Jahre lang,
so ist die Gebärmutter nicht selten verdickt, vergrössert. Schabt
man solche Uteri aus, so erhält man manchmal normale, manch¬
mal hyperplastische Schleimhaut. Meist figurieren diese Blu¬
tungen unter dem Namen Endometritis chronica, obwohl es ja
von vornherein unwahrscheinlich ist, dass namentlich bei Vir¬
gines intaktae sich so häufig Entzündungen der Schleimhaut
entwickeln sollen. Nach meiner Auffassung liegt der Grund
dieser Blutungen meist darin, dass die Entwicklung der Blut¬
gefässe in ungleich rascherem Tempo erfolgt, als die der Muskeln.
Begünstigt wird die frühzeitige Entwicklung der Gefässe durch
alles, was den Blutzufluss zum Uterus befördert: schlüpfrige
Lektüre, Onanie, reichliche, scharfgewürzte Kost, reichlicher
Fleischgenuss, durch Trinken von grösseren Mengen Alkohol,
Kaffee, Thee u. s. f., also durch alle Umstände, die den allgemeinen
Blutdruck steigern, ebenso wie durch alles, was Veranlassung zur
örtlichen Blutüberfüllung der Geschlechtsteile gibt.
2. Findet man die Uterusinsuffizienz nicht selten dann, wenn
es sich um Degenerationszustände des Uterus¬
muskel s, um Myodegeneratio uteri handelt. Hie¬
durch erklärt sich wohl die Tatsache, dass man bei Blutarmen
und Bleichsüchtigen nicht selten starken weissen Ausfluss oder
auch abnorme Blutungen findet. Die menstruellen Blutungen
sind freilich bei Bleichsüchtigen auch nicht selten vermindert,
ja sie können monatelang gänzlich fehlen. Die Ursache der Ver¬
minderung der Blutungen ist wohl dann zu suchen in der durch
die Anomalie bedingten Herabsetzung des Blutdruckes. Die
Blutungen und der Ausfluss bei Bleichsüchtigen hingegen dürften
wohl auf Entartungszustände im Uterusmuskel zurückzuführen
sein. Bekanntlich pflegen ja anämische und chlorotische Zu¬
stände auch die Funktion des Herzens zu stören, infolge von
durch sie veranlassten Veränderungen in der Textur des Herz¬
muskels. Häufiger noch als während der Chlorose fand ich der¬
artige Menorrhagien, mit oder ohne Fluor, nach Ablauf der
Bleichsucht oft noch viele Jahre bestehen, bis ein Wochenbett,
oder eine zweckentsprechende Therapie die Erkrankung be¬
seitigte. Ich glaube, dass hier die Erkrankung des Uterusmuskels
noch nicht ausgeheilt war, als der arterielle Blutdruck bereits
wieder höher anstieg. Die erste prämenstruelle Kongestion
führte infolge der Insuffizienz des Uterusmuskels zu venöser
Stase im Uterus mit konsekutiver Hyperplasie der Gebärmutter¬
schleimhaut. Von da ab unterhielt dann die hyperplastische
Mukosa die Menorrhagien, ln ähnlicher Weise wie bei der
Bleichsucht erklärt sich meines Erachtens manche Form von ab¬
normen Blutungen sowohl, als von Ausfluss, wie man sie so
häufig bei Lungenphthise findet. Auch die Blutungen, die in
der Rekonvaleszenz von akuten Infektionskrankheiten zuweilen
beobachtet werden, sind wohl zurückzuführen auf die Degenera¬
tion des Uterusmuskels. Dass die Uterusmuskulatur durch Er¬
krankungen, wie Tuberkulose, Typhus, geschädigt wird, das
zeigen unsere im Archiv für Gynäkologie beschriebenen Prä¬
parate.
3. Die M y o f i b r o s i s uteri ist eine häufige Erschei¬
nung beim nahenden Ende der Geschlechtsfunktionen. Häufig
atrophiert die Uterusmuskulatur eine Reihe von Jahren vor dem
Eintritt der definitiven Menopause. Gleichzeitig stellt sich eine
Hyperplasie des Bindegewebes ein. Wie unsere Präparate weiter
zeigen, bildet sich in dieser Zeit die Weite der Gefässlumina
häufig ebenso zurück, wie die der Muskulatur.
Die Ursache dieser Verdickung der Gefässwände dürfte zum
grossen Teil in der Verlangsamung der Zirkulation zu suchen
sein. Wenn aber diese Verlangsamung der Zirkulation ausbleibt
infolge von häufigen psychischen Erregungen, infolge von Ex¬
zessen in venere oder infolge von allzureichlicher Aufnahme stark
reizender Speisen und Getränke u. s. f., so wird auch die Ver¬
dickung- und Verengerung der Gefässe in langsamerem Tempo
erfolgen; es bleiben dann die Gefässe weiter, es kommt zur
venösen Stase mit ihren Erscheinungen. Die Gebärmutter wird
häufig, aber nicht immer, dicker, grösser, infolge von Oedem ist
sie dabei zuweilen sehr weich, die Schleimhaut kann hyper-
plasieren, eine Erkrankungsform, die bekanntlich unter dem
Namen Endometritis fungosa beschrieben wurde.
4. Der Adnexuterus: Bei schweren akuten und sub¬
akuten Erkrankungen der Tuben und des Beckenperitoneums
nimmt durch kollateralc Hyperämie der Blutgehalt des Uterus
zu, das Parenchym wird ödematös, der Uterus sehr häufig grösser,
breiter, dicker. Wenn eine menstruelle Blutung eintritt, so hält
sie häufig- länger an als normal, der Blutverlust ist ein weit
reichlicherer. Nach Ablauf der Entzündung des Peritoneums
kann im Uterus eine vollständige Restitutio ad integrum ein-
treten, dies kann sogar der Fall sein, trotzdem sich ein luben-
sack gebildet hat, wenn nur die entzündlichen Erscheinungen im
Peritoneum geschwunden oder sehr geringfügig geworden sind.
In die gleiche Kategorie des Adnexuterus fallen häufig die
Menorrhagien bei Tubenmolen: Die Frucht ist in das Peri¬
toneum ausgestossen worden, Eihautreste sind in der Tube zu-
rückgblieben, im Becken besteht subakute Perimetritis, an der
auch die Serosa des Uterus teilnimmt. Solange diese Entzün¬
dung und die kollaterale Hyperämie des Uterus besteht, pflegen
auch die Blutungen nicht nachzulassen. Auch die Parametritis
wirkt in ähnlicher Weise auf den Uterus ein wie die Perimetritis.
5. Beim Uterus myomatosus ist die Insuffizienz des
Uterus ebenfalls sehr häufig die Ursache der Blutungen. Auch
hier ist die Hyperämie und Verdickung der Mukosa meines Er¬
achtens meist sekundär infolge der venösen Stauung. Manchmal
kann auch allerdings diese Endometritis bedingt sein durch ein
submuköses Myom, da dies wie ein Fremdkörper reizend wirkt;
dabei kann die Uterusmuskulatur eine beträchtliche Dicke haben.
Allein das submuköse Myom bildet sehr häufig ein Hindernis
für die Kontraktion in gleicher Weise, wie ein Plazentarrest
dies bewirkt. Aber auch bei den interstitiellen Myomen ist
meines Erachtens sehr häufig eine Insuffizienz die Ursache der
Blutungen. Dies erklärt den Umstand, dass häufig die Frauen
auch mit grossen Myomen in jüngeren Jahren normale Menses
haben, während sie in den 40 er Jahren unter starken Menor¬
rhagien leiden, auch wenn die Tumoren nicht submukös ge¬
worden sind. Es macht sich eben dann hier, wofür auch unsere
Präparate sprechen, die Myofibrosis praeclimacterica bemerkbar,
wie z. B. auch bei Herzklappenfehlern die Kompensation durch
die hypertrophische Muskulatur sehr häufig in den vorgerückten
Jahren nachlässt. Namentlich bei kleinen Myomen gelingt es
14. Oktober 1902.
muencHener medicinische Wochenschrift.
sehr oit, wahrend der Menorrhagie den Uterus als ungewöhnlich
weiches und schlaffes Organ Zu fühlen, beim Nachlassen der
Blutung ist der U terus wieder weit härter. Beim Uterus myoma-
tosus fuhrt die Myofibrosis um so leichter zu starken Blu¬
tungen, als
a) der arterielle Blutariuss zum Uterus sehr stark ist, da
das Myom sehr viel Ernährungsmaterial braucht,
b) .)Vanf,in der das My°m »itzt, an und für sich zum
grossen Teil unfähig ist, sich zu kontrahieren. Es kommt nun
zur venösen Stase. Laparotomiert man bei solchen Patientinnen
so hndet man gewöhnlich eine ganz kolossale Entwicklung der
terusyenen. Die Folge der venösen Stase ist die Endometritis
hyperplastica, die allerdings mit dazu beiträgt, die Blutungen
noch zu verstärken. Dass die Endometritis allein nicht immer
die Ursache der Blutungen ist, sah ich daran, dass sie doch
hau hg an exstirpierten Uteris mit stark blutenden Myomen ver¬
misst wird. Eine weitere Folge der venösen Stase ist der Um¬
stand, dass man gerade in den präklimakterischen Jahren häufig
ein aus säergewöhn lieh rasches Wachstum der Myome beobachtet.
b. Die Submvolutio uteri: Hiebei handelt es sich
zunächst wohl um zu schwache Kontraktionen der Uterus¬
muskulatur. Die Folge ist mangelhafte Rückbildung der Ge-
fasse, sekundär können sich dann noch allmählich die Symptome
der venösen Stase herausbilden. Nach Ablauf der ersten Wochen
pflegt die Grösse des Uterus in diesem Falle nicht wesentlich
von dem dieser Zeit entsprechenden normalen Typus abzuweichen
Nach einer Reihe von Monaten kann sich jedoch eine sekundäre
Hyperplasie des Organs infolge der Stauung herausbilden, dann
wird der Uterus grösser und dicker.
(Schluss folgt.)
1701
Aus dem Elisabeth-Krankenhaus Kassel.
Zur Extension.
Von Dr. Franz Kuhn, dirig. Arzt.
. Wenn die folgende Abhandlung auch nicht gerade ein hoch¬
wissenschaftliches Thema behandelt, so darf sie doch vielleicht
einigen Anspruch auf allgemeines Interesse erheben, denn der
dem Folgenden zu gründe liegende Gegenstand ist ein Apparat,
der direkt im praktischen Leben aus praktischen
Bedürfnissen heraus entstanden und direkt für das
praktische Leben des Arztes innerhalb und ausserhalb des
Krankenhauses bestimmt ist.
Welchem Chirurgen oder praktischen Arzte, der sich mit
chronischen Gelenkerkrankungen oder Knochenbrüchen beschäf¬
tigt, sollte sich nicht schop häufig im Angesichte eines neuen
a les das Bedürfnis fühlbar gemacht haben, ein Instrumentarium
zui Extension zu besitzen, das er überall und zu allen Verwen¬
dungen gebrauchen könnte, das nicht gerade auf e i n e Bettform
und zu e i n e r Art von Extension zugeschnitten ist, das viel¬
mehr alle Variationen in Bezug auf Befestigung und viele Mög¬
lichkeiten, Rollen anzubringen, zulässt? Selbst im Krankenhause
ist dies nicht anders, denn die Form der Betten ist auch hier
meist nicht dieselbe, in jedem Falle hat man Betten für Kinder
und Erwachsene. Zudem steigern sich in der Klinik begreiflicher¬
weise die Anforderungen an die Extension und man muss für
kompliziertere \ erwendungen eingerichtet sein.
Auch der Kostenpunkt verbietet der Klinik sowohl wie
em Arzte, zu viele einzelne, für spezielle Zwecke konstruierte,
komplizierte Extensionseinrichtungen anzuschaffen und vorrätig
zu haben. Man muss einmal die Rumpelkammer einer chi¬
rurgischen Klinik oder eines grösseren Krankenhauses durcli-
gestübert haben, um zu sehen, wie viele solcher Maschinen im
Laufe der Zeit antiquiert und obsolet geworden sind, und weil
sie eben gerade für einen bestimmten Zweck einmal empfohlen
worden und Mode gewesen sind, jetzt ungenutzt im Hause herum¬
hegen. Auch bei der Auswahl einer Extensionsvorrichtung muss
eben dem Arzte der Grundsatz gelten, zu erwerben, um zu besitzen.
„Was du nicht nutzest, ist eine schwere Last“, heisst es auch hier,
und er muss Einrichtungen wählen, zu denen er gerne und oft
greift, die er niemals nach dem Gebrauche beiseite legt, sondern
immer wieder unter anderen Umständen und Voräussetzungen
zu neuen Zwecken hervorzieht.
Ein solcher Apparat kann aber nur der sein, der sich aus
relativ primitiven Bestandteilen aufbaut.
No. 41.
In unserem Falle sind diese Bestandteile einerseits die seit
Jahrtausenden bei Kulturvölkern gebräuchliche Rolle und der
mcht minder bekannte S c h r a u b s t o c k, die in wechselndem
bpiele aneinander und an andere Gegenstände gesetzt, immer
neue Apparate geben, welche den konträrsten Zwecken zu genü-en
vermögen. Schraubstock und Rolle sind einfache Dinge, die nie
veralten oder verderben und ihrer Einfachheit halber stets passen.
Wenn ich nun in dem Folgenden auf die Einzelheiten bei der
Verwendung meiner Rollklammer näher eingehe, so verzichte ich
auf alle theoretisierenden Langatmigkeiten. Ich werde einfach
an der Hand von Beispielen und Bildern zeigen, was
alles das kleine Instrument leisten soll und kann.
.. . dasselbe ist in Fig. 1 dargestellt. Es ist eine Klammerein-
i lchtung, an welcher Rollen Befestigung finden können. Die merk-
Fig. 1.
würdige Vielseitigkeit in der Verwendung dieser Teile, namentlich
in Vervollständigung durch einige längere oder kürzere Eisen¬
stangen, am besten aus Gasrohr, erlaubt dem Arzte und intelli¬
genten Laien, ohne Zuziehung von Handwerkern allen einschlägigen
Anforderungen leicht und vollständig zu genügen.
Meine Rollklammer, wie ich der Kürze wegen in Zu¬
kunft die kleine Einrichtung nennen will, ist ein kleiner
Schiaubstock aus Eisen von rechteckiger oder
polygonaler Form mit einer Schraube und meh¬
reren Löchern, in welch letztere die Gewinde der anzu¬
schraubenden Rollen passen (Fig. 1). Die Rollklammer haftet
an allem und kann daher an jedem Gegenstand von Holz oder
Eisen angebracht werden.
In die Löcher passen die Schrauben der Rollen etc die ent¬
weder feststehend sind (Fig. 4 u. 6) oder mittels Kugelgelenk be¬
weglich (Fig. 5) konstruiert sind. Von ihnen können eine oder
mehrere angeschraubt werden, je nach der Form der Extension.
Damit die Klammer, ihrer Bestimmung entsprechend, recht
vielseitig verwendbar sei, ist es von Interesse, derselben recht
viele Verbindungsmöglichkeiten zu eröffnen, sei es zum Zwecke
der Verbindung mit einer zweiten oder dritten Klammer, sei es
mit einer oder mehreren Rollen. Es empfiehlt sich daher, einer
jeden Klammer recht viele Scliraubenöffnungen zu geben, sie also
am besten polygonal zu konstruieren, d. i. ungefähr in der
Form des 5. Teiles eines Achteckes, und auf jeder Polygon¬
seite ein Schraubenloch anzubringen.
Fügt man dann noch kurze Verbindungsschrauben-
s t ü c k e, wie sie z. B. in Fig. 1 dargestellt sind, in das Inventar
ein, zur Kuppelung zweier Klammern, so hat man sowohl die
Möglichkeit, wie in Fig. 3 dargestellt, nicht nur 2 Klammern zu
verbinden, sondern selbst 3 und 4 Klammern, was zum Zwecke
der Konstruktion eines tri- oder quadrangulären Galgens gelegent¬
lich wichtig wäre, als auch die Möglichkeit, zahlreiche Rollen und
diese in verschiedener Form anzubringen, was alles die Freiheit
in der Verwendung des Apparates und seine Leistungsfähigkeit
steigert.
Dank dieser Mannigfaltigkeit in der Befestigung von Rollen
ist schon eine einzige Klammer allein oder mit einer anderen zu-
sammengekoppelt ein sehr leistungsfähiges Geräte für eine Ex¬
tension und kann sich der Arzt mit einer oder einigen solcher
Klammern im täglichen Leben schon sehr wohl helfen.
Was kann er doch schon alles mit einer Klammer machen?
In Fig. 2 ist die gewöhnliche Extension am Unterschenkel
mit oder ohne V o 1 k m a n n sehen Schlitten dargestellt. Eine
Klammer mit 2 Rollen an eine Querstange des eisernen Bettes
angebracht genügt vollauf, die Extensionsschnur vom Beine her¬
zuführen und aussen den Sand sack genügend weit vom
4
1702
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Bette wegzuhalten,
lic-b auch der Beachtung.
Dieser letztere Punkt bedarf bekannt-
Bemerken möchte ich, dass es
sich erfahrungsgemäss empfiehlt,
bei allen Extensionen die dem zu
extendierenden Körperteile zu¬
nächst sitzende Rolle beweg¬
lich zu machen, d. h. mit
Kugelgelenk (Fig. 1) an die
Klammer anzuschrauben, denn
kein extendiertes Glied dürfte
ganz ruhig liegen. Im Falle aber,
wie z. B. bei Extensionen nach
vielen Seiten, das Glied voraus¬
sichtlich sich viel bewegt, ist die
Rolle mit Kugelgelenk ein ganz er¬
heblicher Vorteil: sie erlaubt, ohne
dass die Schnur aus der Rolle
ausspringt, jede Stellungsänderung
und folgt gefällig und willig jeder
neuen Lage und adaptiert sich dem
Kranken. Vergleiche hierzu Fig. 5,
welche eine Extension im Ellen¬
bogen darstellt. Die beweglichen
Rollen machen dem Kranken jede
Lageänderung möglich und so die
Situation sehr angenehm. . Die
zweite folgende Leitrolle wird
aber stets feststehend gewählt.
Findet die Extensionsrolle am
Bette schwer Halt, so kann die¬
selbe an einen dem Bette nahege¬
rückten Gegenstand angeschraubt
jfijg 2. werden, etwa einen kleinen Tisch
oder einen an das Bettende ge¬
rückten Stuhl. Diese Art der Extension ist sehr stabil und voll-
K " Feh 1 f’d <ndStü tzpunk t für die Rollklammer am unteren Bett¬
ende, wie etwa an den Drahtwänden der Kinderbetten oder den
Steinersehen Reformbetten, so genügt ein kurzer Querstab, de
ebenfalls, wie in Fig. 4 dargestellt, mit einigen Klammern an¬
geschraubt wird, um die Rolle anbringen zu können. Dass ein
solcher Querstab im Notfälle, falls man eben nicht Klammern ge¬
nug vorrätig hätte, auch angebunden werden konnte, biauclie ich
einem routinierten Praktiker natürlich nicht erst zu sagen Der
Querstab kann direkt am Bett, an der Aussen- oder Innenseite der
Fusswand (Fig. 6), angebracht werden oder auch in einer gewissen
Entfernung von der Bettwand unter Benutzung je einer Doppel¬
klammer an den beiden Endpunkten des Querstabes, wobei eine
Klammer am Eckpfosten des Bettes (Fig. 3) Befestigung findet
Fig. 3.
und die an sie gekuppelte zweite Klammer den Stab trägt und den¬
selben in einiger Entfernung vom Bette hält. Unterstützt könnte
eine auf diese Weise angekuppelte Stange in ihrer Tragfähigkeit
durch ein Paar Schnüre werden, die von ihr nach dem oberen
Geländer der Bettwand reichen.
Wie leicht zu begreifen ist, können nämlich die einzelnen
Klammern, sobald sie ungleichmässig belastet werden, die Nei¬
gung bekommen, sich um ihren Befestigungspunkt zu drehen.
Zum Teil zu vermeiden ist dies allerdings, wie in der Fig. 2 zu
ersehen ist, wenn man die Stellung der Klammer und die An¬
bringung der Rollen derart wählt, dass kein Drehmoment zu stände
kommt, dass also die Zug- und Belastungskräfte alle mit gleichen
Hebeln an dem Drehpunkte der Klammer anfassen. Es ist dies
oft recht leicht, wie auch Fig. 3 noch eine Reihe von Beispielen,
alle an einem Querstab angebracht, zeigt. Die Klammern be¬
finden sich, in der abgebildeten Form angebracht, alle im sta¬
tischen Gleichgewicht. Ist dies nicht der Fall, so kann man das
Gleichgewicht hersteilen, indem man durch ein mitein¬
geklemmtes Brettchen, das den Drehpunkt der Klammer
der äusseren Rolle näher rückt, den Hebel der inneren Rolle ver-
längei't und den der äusseren ad libitum verkürzt. Zudem schoneu
derartig miteingeklemmte Brettchen sehr die Betten und geben,
wenn sie aus weichem Holze sind, in das sich die Eisenteile ein-
drücken können, der Rollklammer sehr viel festeren Halt
Besser noch wird der Drehung vorgebeugt durch Benützung
der am Ende des Artikels erwähnten Klammer mit 2 Schrauben.
Andere Beispiele eines für die praktische Verwendung aus¬
reichenden Gleichgewichtes stellen Fig. 4 und 5 dar. In Fig. 4
ist allerdings auf eine Rolle mit Kugelgelenk verzichtet, in b ig. o
sitzt die Klammer an einer Längsstange am Bettende.
Will man auf
die genannten Arten
der Aequilibrierung
verzichten, so steht
es frei, wie oben
kurz angedeutet,
einen Faden zu Hilfe
zu nehmen, der
Drehung durch
Hochbinden eines
vorspringenden
Teiles der Klammer,
etwa auch eine
Rolle, entgegenzu¬
wirken.
Eine andere Art,
die Extension am
unteren Bettende
mit Hilfe der Roll¬
klammer möglich zu
machen, ist in Fig. 7
dargestellt,
Bekanntlich bietet gerade die untere Bettwand eines hölzernen
Bettes, die undurchbrochen ist, dem Anbringen einer Rollvorrich¬
tung Schwierigkeiten und führte diese jedenfalls zur Erfindung
des Ebertli sehen Rollenträgers, wie er durch die
Lehrbücher geht (vergl. Hoffa: Atlas und Grundriss der Ver¬
bandlehre, Tafel 131). Dieser Rollenträger besteht bekanntlich in
einer Leiste, die viele Löcher zum Anstecken von Rollen hat und
selbst vertikal am unteren Bettende eingesteckt wird. An ihr lassen
sich Lauf- und Leitrollen in jeder Höhe anbringen, ohne dass
Löcher durch die Fusswand des Bettes gebohrt oder Rollen an¬
geschraubt werden müssen.
Ganz denselben Zweck erreichen wir mit Hilfe unserer Roll¬
klammern und eines Eisenstabes, wie Fig. 6 zeigt. Am Fussende
des Bettes wird ein Eisen¬
stab eingesteckt, wenn
nötig bis zum Boden des
Zimmers reichend. Oben
wird er mittels einer ein
fachen oder zweier ge¬
kuppelter Klammern
(Fig. G) an der Fuss¬
wand des Bettes ange-
klammert und befestigt.
So erhält man eine Lauf¬
stange, an welcher in
jeder Höhe Rollen mittels
Klammern befestigt wer¬
den können.
Des weiteren ist die
einfache Rollklammer
stets ausreichend, wenn
es sich um seitliche Ex¬
tensionen nach Barden¬
heuer oder Schede,
sei es zum Ausgleich von
Kontrakturen einer Ex- Fig. 6.
tremität oder Verkrüm¬
mungen des ganzen Stammes, handelt. Eine solche Extension bei
Skoliose nach Koxitis findet man in Fig. IG in dem Prospekt,
welcher den Apparaten beigegeben ist, dargestellt *).
Wie bereits des mehrfachen angedeutet, findet die Roll¬
klammer erst ihre vollendete Anwendung, wenn man in das In¬
ventar noch einige einfache Geräte einfügt, vor allem einige Eisen¬
stangen verschiedener Länge und Tragkraft, seien es solche von
Gasrohr oder von Eisen mit T- oder U-förmigem Querschnitt.
Solcher Stäbe darf man für eine einigermassen komfortable
Krankenhauseinrichtung eine grössere Anzahl vorrätig haben, was
*) Alleinige Fabrikanten: Evens & Pistor, Kassel.
14. Oktober 1902.
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1703
. a aueh leicht ohne Aufwand möglich ist, da die einfachen Stäbe
billig sind, stets ihren Eisenwert behalten und zu jedem Zwecke
weiter zu gebrauchen sind. Zudem stehen sie einem im Hai
nicht im Wege, sondern können leicht auseinander genommen und
als Bündel aufgehoben werden. 8 ™
Für den praktischen Arzt genügen natürlich oft kleine Ein¬
richtungen und Improvisationen; aber auch hier ist die Beschaf¬
fung von Gasrohr heutzutage nicht schwer; im Notfälle können
auch Latten und Bretter zur Aushilfe dienen sonnen
Eine grössere Leistung wäre es schon, sich einen fertigen
Iragrahmen, der, wie später gezeigt wird, zu vielem nütze Ist
beizulegen Wir kommen später auf ihn zurück. ’
i lt den genannten Eisenstäben nun und meinen Rollklam-
mern sind wir in der Lage, über jedem Bett jederzeit jede vS
langte Extensionsvorrichtung zu konstruieren J
,nrnUrer-e.KIfmmcf1; dient.hiebei den mannigfachsten Zwecken
bald als einfacher Schraubstock zum Kuppeln zweier Teile seien
es Bretter oder Eisenstäbe, um neue feste Punkte zu schaffen bald
als Träger von einer oder mehreren Rollen, bald als Stützpunkt
für anzuhangende Dinge, etwa Flaschenzüge. 11
Typische Beispiele genannter Kuppelung sehen Sie in FK a
wo em senkrechter Eisenstab an einer hiilzernen Bettwänd fnte
Befestigung findet, oder in Fig. 3 und 4, wo an einem Ki, Sw.
bettchen mit Drahtgeflechte quere Stäbe zum Tragen der Rollen
angekuppelt werden. Aelinliclies sehen Sie in Fig 7 und Fig.8
Fig. 7.
Weitere naheliegende Kuppelungen finden statt zur Konstruk¬
tion von G algen und Hängeeinrichtungen über einem
nett, wobei entweder eine Längsstange, die über die höheren Kopf-
wande und Fusswände des Bettes gelegt und daselbst ange¬
schraubt wird, ausreicht (Fig. 6 und Fig. 7), oder ein komplet-
<- i Galgen konstruiert wird, indem man die Stange am oberen
Fig. 8.
und unteren Bettende je in eine Gabel legt, die mittels Eisen¬
stangen und mit Hilfe einer einzigen Klammer hergestellt wird,
Diese Gabeleinrichtung steht sehr fest, passt an jedes
.ett, ob es von Holz oder Eisen ist, und ist ebenso einfach, wie
sie aufgebaut ist, im Augenblicke wieder zu zerlegen und zur Seite
zu stellen. Dass man die Gabelvorrichtung auch durch Binden
mittels eines einfachen Bindfadens herstellen kann, ist klar und
bedarf nicht der Erwähnung. Die Tragfähigkeit einer solchen
rabel (F i g. 8) ist sehr gross, selbst schon, wenn 2 Stäbe durch nur
eine Klammer aneinander gekuppelt und geschraubt sind. Sta¬
biler wird die Gabel, wenn man 2 Klammern aneinander schraubt
und dann jede Klammer für sich einen Eisenstab halten lässt. In
(Füg 8) SOlChe1’ Gabeln fassen sich zuverlässig quere Stäbe legen
Einfacher aber noch dürfte es sein wenn
man eine solche Gabel über ein Bett quer kreuzt
derselben nach dem Fuss- und Kopfende des
Bettes Befestigung gibt und an dieser Gabel
alles m Frage stehende aufhängt.
Die Tragfähigkeit dieses einfachsten Galgens ist eine ge¬
waltige und kann, falls man durch seitliche Klammern oder An-
bmden ein seitliches Ausgieiten verhütet und unmöglich gemacht
hat, bequem der schwerste Mann mittels Flaschenzuges von einer
Schwestei oder durch sich selbst hochgezogen werden. Die Be¬
deutung einer solchen einfachen Hebeeinrichtung bei Bauchopera¬
tionen oder Becken- und Wirbelsäulenbrüchen erscheint mir nicht
gering.
Was alles wir ferner an einem derartigen Galgen aufhängen
und extendieren können, deuten zum Teil die Bilder 7 und 8 und
weitere im Prospekte an. Da ist zunächst in Fig. 7 die Schede-
sche vertikale Extension bei Oberschenkel¬
brüchen der Kinder dargestellt. Die quere Stange dürfte
vielleicht vorteilhafter Weise etwas höher liegen, dann könnte die
Rollklammer nach unten hängend angebracht sein und etwas leich¬
ter funktionieren. Dies wäre natürlich, wie soeben erwähnt, leicht
nach Analogie der Fig. 8 mit Hilfe zweier Gabeln zu erreichen, die
aus je 2 Eisenstäben mittels Klammer hergestellt, an dem oberen
oder unteren Bettende oder beiden angebracht würden.
Im übrigen aber ist. wie auf dem Bilde zu sehen, die Ex¬
tension mit Hilfe der Rollklammer eine ganz vorzügliche und auch
die weiteren seitlichen Züge sind mit Hilfe der Klammer leicht
in jeder Richtung anzubringen, wie das Bild es zeigt. Natürlich
v. iid man sich im Einzelfalle ganz von seinem eigenen Ermessen,
von der vorliegenden Aufgabe und vor allem von dem Bettgeräte
und seiner Konstruktion leiten lassen und darnach die Klammern
anbringen. Einige Hebung kommt dabei sehr zu statten.
Ein weiteres Beispiel ist eine Extension am Beine ohne Ver¬
wendung eines Volk m a n n sehen Schlittens, indem der Unter¬
schenkel bloss durch Gewichte getragen ist
(Tafel X des Prospektes), am besten mit Verwendung einer dor¬
salen Schiene oder einer dorsalen Gipshanfschiene oder vorderen
Drahtschiene nach Smit h. Eben diesen Verband dem Patienten
recht aneenehm zu machen, wurde neuerdings eine balan¬
cierende Schwebe vorgeschlagen. (Vergl. Fr. Gramer:
Bert. klin. Wochenschr. 1901, No. 36.) Diese Extension bietet den
Vorteil, dass das extendierte und aufgehängte Glied ganz frei be¬
weglich ist, dass vor allem das Becken auch leicht gehoben werden
kann und so die Pflege sehr erleichtert wird. Verfasser verwendet
eine dorsale Schiene, in welche Rollen eingegipst werden, ca. 3 bis
4 Rollen, eine am Dorsum pedis, eine über dem Unterschenkel, eine
über dem Knie, die dritte über dem Oberschenkel. Tafel XI des
Prospektes deutet die Verhältnisse nur an, ohne Anspnich auf
Genauigkeit; nur die Führung des Seiles kann man daraus ersehen.
Dieses zieht abwechselnd von einer der eingegipsten Rollen (die
dann im Sinne der Dynamik als Kraftrollen wirken) nach einer
der an dem Galgen angebrachten Leitrollen. Man hat auf diese
Weise in dem System einen aufgelösten Flaschenzug vor sich, und
kann mittels eines kleinen Gegengewichtes das Bein tragen und
in Schwebe erhalten.
Wie oben erwähnt, finden eine besonders zweckmässige und
weitreichende Verwendung meine Rollklammern in der Kranken¬
pflege zum Zwecke des Hebens von Kranken oder Schwerverletz¬
ten. sei es der Kranken im ganzen oder nur des Beckens. Bis
jetzt finden wir in den Lehrbüchern nur einen Hebeapparat
von grösserer Bedeutung verzeichnet, den von Hase- Beck,
welcher mit einer Reihe zangenartiger Instrumente den Kranken
umfasst (vergl. H o f f a 1. c., Tafel 94). Der Apparat ist natürlich
teuer und lässt nur eine beschränkte Verwendung zu. Ich ver¬
wende in meiner Klinik seit Jahren zum Transport und Heben der
Kranken einen einfachen Rahmen aus Gasrohr, auf den mittels
einiger ouergezogener, abnehmbarer Gurte der Patient gelagert
wird. Wesentlich ist die Abschnallbarkeit meiner Gurte. Die¬
selben tragen an beiden Enden einen breiten Ring. Nachdem nun
der leere Rahmen über den ruhig im Bett oder auf dem Operations¬
tisch liegenden Kranken gedeckt ist. ziehen die Schwestern unter
dem Kranken die Gurte an verschiedenen Stellen durch und
schnallen sie seitlich mit Hilfe kleiner Lederriemen an den Schen¬
keln des Rahmens fest. 4 Gurte, von denen einer (vielleicht brei¬
terer) den Kopf, ein zweiter die Schulterblätter, ein dritter das
Becken, ein vierter die Waden trägt, genügen vollständig, um einen
Menschen zuverlässig transportieren zu können. So wird der
Kranke, ohne im leisesten gerüttelt werden zu müssen, über
Treppen transportiert, eingewickelt in eine um das Ganze ge¬
schlagene Decke. Am Ankunftsorte wird das Ganze über Tisch
oder Bett gelegt, und beim Abnehmen des Rahmens wiederholen
sich die Manipulationen wie oben in umgekehrter Reihenfolge.
Man begreift, wie bemerkenswert schonend der Transport der
Patienten auf diese Weise wird, namentlich auch solcher mit
Bauchoperationen. Sie gelangen vom Operationstisch, ohne an-
gerührt zu sein, über ihr Bett, und sinken beim Lösen der Riemen
ganz sachte in richtiger Lage in ihre Kissen. Dabei ist wichtig,
dass durch solche Arbeitsteilung der Krankentransport sehr er-
4*
1704
MUENCHENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
leichtert wird und selbst schwache Schwestern über einen
schweren Kranken sehr leicht Herr werden. Wenn man im
Gegensatz hiezu das Gezerre vergleicht, das man gelegentlich beim
Krankentransport durch Wärter sehen kann, so ist die Nützlich¬
keit des Tragralnnens sehr in die Augen springend.
Eben dieser Tragrahmen nun wird vorteilhafter Weise zum
Heben eines Kranken ins Bett als Heberrahmen benutzt (vergl.
Fig. 8). In dem Bilde ist der ganze Aufbau einer solchen Vor¬
richtung. wie er mit Hilfe einiger Rollklammern leicht zu be¬
werkstelligen ist. am leeren Eisenbette dargestellt. Natürlichei
Weise kann der Rahmen jederzeit, z. B. während des ganzen Tages
entfernt werden und wird nur zum Legen des Kranken heran¬
geholt. Auf der Darstellung sieht man, wie mit Hilfe von nur
4 beweglichen Rollklammern ein Flaschenzug konstruiert ist. der
mit leichtem Gegengewichte den Kranken in Schwebe zu halten
gestattet. Dass man natürlich an dem zu hebenden Kopfende
auch einen kompletten Flaschenzug verwenden kann, ist klar. Der
Galgen ist mittels zweier Gabeln und einer quergelegten Stange
aufgebaut.
Die einfachste Art, ein Becken zu heben, ist auch wieder die.
welche nur eine quer über das Bett gestellte Ga b e 1
oder Schere, wie oben angedeutet, benötigt. Die Schere wird
am besten mittels einer Klammer mit 2 Schrauben ge¬
kuppelt, wobei sich die Schrauben einander gegenüberstehen; die
Klammer in Fig. 1 würde also an Stelle der nach oben sehenden
Rolle eine Schraube, wie nach unten tragen.
Diese Rollklammer mit 2 Schrauben ist weitaus
die vollkommenste und für viele Zwecke die praktischste: sie sitzt
fester, kuppelt die Teile fester aneinander, und erlaubt mehr Varia¬
tionen in der Verwendung; auch erlaubt sie eine Verlegung des
Drehpunktes der Klammer um ihre Befestigungsstelle.
Aus der orthopädischen Heilanstalt des Dr. A. Schanz in
Dresden.
Der operative Ersatz des gelähmten Quadriceps
femoris.
Von Dr. Magnus, Assistenzarzt der Anstalt.
Zu denjenigen Operationen, welche als wichtige Fortschritte
der modernen Orthopädie zu nennen sind, gehören in erster Linie
die Sehnentransplantationen. Diese Operationsmethode, welche
bekanntlich darin besteht, gelähmte funktionswichtige Muskeln
durch ungelähmte funktionsunwichtigere zu ersetzen, ist erst
wenige Jahre im allgemeinen Gebrauch, hat jedoch eine schnelle
Verbreitung gefunden und ist in zahlreichen Variationen aus¬
geführt worden. Es sind auch durchweg günstige Resultate be¬
richtet worden. Nur über eine, und zwar ganz besonders wichtige
Lähmung, nämlich die des Quadriceps femoris, ist die Kasuistik
der operierten Fälle eine kleine, und ausserdem sind nur wenige
Fälle berichtet, bei denen die Operation mit Erfolg ausgeführt
wurde. G o c h t („Reitrag zur Lehre der Sehnenplastik“, Zeit-
schr. f. Orthopädie 1900, Bd. VII, p. 77) hat für diese Operation
auf Grund von Resultaten der II o f f a sehen Klinik eine un¬
günstige Prognose gestellt; er sagt: „Ein dauerhafter, funktionell
guter Ersatz des Quadrizeps wird sich durch die Implantation
des Sartorius kaum schaffen lassen“. Er beruft sich dabei auf einen
von Vulpius in gleicher Weise operierten Fall. Lange-Münclien
und K raus e haben seitdem günstige Erfolge berichtet. Beide
übten ein kompliziertes Verfahren. Lange bildet eine seidene
Sehne, welche den überpflanzten Muskel mit der Tuberositas
tibiae verbindet. Krause verzeichnet nur einen Fall, bei dem
er ebenfalls eine sehr komplizierte Operation ausführte. Er ver¬
wendet den Bizeps, Semimembranasus, Semitendinosus, Gracilis
und Sartorius, zieht die Muskeln durch einen Schlitz im mitt¬
leren Teile des Vastus int. und vernäht ihre Sehnen am Rande
der Patella.
Unter diesen Umständen dürfte ein Bericht über 3 in hiesi¬
ger Anstalt mit bestem Erfolg nach einfacher Methode operierte
Fälle Aussicht auf einiges Interesse haben. Die von meinem
Chef, Herrn Dr. Schanz, geübte Methode ist folgende : Zu¬
nächst wird ein 15 cm langer Hautschnitt an der vorderen Seite
des Oberschenkels in der Medianlinie vom oberen Rande der
Patella nach oben hin geführt, Fett und Faszie durchtrennt und
der Quadrizeps und obere Teil der Patella freigelegt. Ebenso
wird ein Schnitt durch die Mitte der Kniekehle bis zur Mitte des
Oberschenkels herauf angelegt. Von da aus wird der Sartorius
aufgesucht, unmittelbar von seiner Insertionsstelle abgetrennt
und etwa auf ein Drittel seiner Länge isoliert ; dasselbe geschieht
mit dem Bizeps. Nun wird auf beiden Seiten zwischen Muskula¬
tur und Faszie vom vorderen Schnitt nach hinten ein Eleva-
torium durchgestossen und die so gebildeten Oeffnungen durch
Hin- und Herziehen des Elevatoriums erweitert. Durch die auf
diese Weise gebildeten Schlitze werden Sartorius und Bizeps
nach vorn gelagert. Darauf wird die Sehne des Quadrizeps direkt
an ihrem Ansatz an der Patella durchstochen, durch den so ge¬
bildeten Spalt wird das freie Ende des Sartorius hindurchgezogen
und unter straffem Anziehen so zurückgeschlagen, dass eine
Schlinge gebildet wird. Diese wird durch Naht fixiert. Dieselbe
Manipulation wird dann mit dem Bizeps vorgenommen. Die
Nähte werden mit Silber oder Aluminiumbronze ausgeführt.
Nun wird durch fortlaufende Hautnaht die Wunde vollständig
geschlossen, nicht drainiert. Durch einen Gipsverband, der auch
das Becken mit umfasst, wird das Bein in Strecksteilung ge¬
halten.
Die Hautnähte werden nach 10 Tagen entfernt. Nach
3 Wochen geht Patient im Gipsverband; nach 6 Wochen wird der
Verband abgenommen. Das Bein bleibt jetzt völlig frei; es wer¬
den dann fleissig aktiv und passiv Streckbewegungen ausgeführt.
Was die 3 in oben beschriebener Weise operierten Fälle an¬
belangt, so sei aus den Krankengeschichten folgendes kurz hervor¬
gehoben :
Im ersten Falle handelte es sich um den 12 Jahre alten
Knaben Z. Patient litt an einer schweren Kinderlähmung, die
am rechten Bein eine völlige Parese des Quadrizeps mit einer
Beugekontraktur des Kniees erzeugt hatte. Dabei bestand ein
hochgradiger paralytischer Plattfnss. Patient vermochte nur mit
Hilfe einer Krücke zu gehen.
Nachdem der Plattfnss mit Hilfe von Sehnentransplantation
beseitigt worden war, wurde am 31. V. 1901 der Ersatz des Qua-
drizeps, wie oben beschrieben, in Chloroformnarkose ausgeführt.
Temp. nach der Operation normal, Schmerzen nicht vor¬
handen.
Am IS. VI. werden die Nähte entfernt. Wunde ist p. p. ge¬
heilt; neuer Gipsverband.
Am 22. VI. Gips verband Wechsel.
Am 2. VII. wird Pat. aus der Klinik entlassen.
Nach Entfernung des Gipsverbandes wird Patient mit Massage
und gymnastischen Uebungen noch einige Zeit weiter behandelt.
Der Knabe wurde am 1. II. 1902 der Dresdener Gesellschaft
für Natur- und Heilkunde vorgestellt. Er zeigt vollständig aktive
Streckfähigkeit des operierten Beines und geht ohne Stütze.
Tn Fall 2 handelt es sich um einen 7jährigen Knaben II.
Vorher war die Korrektion eines paralytischen Klumpfusses aus¬
geführt worden. Der Knabe trug wegen vollständiger Quadrizeps-
lühmung einen Schienenhülsenapparat mit künstlichem Quadrizeps.
Am 8. VI. 1901 Operation in Chloroformnarkose wie oben.
Der Sartorius zeigt eine gut rotbraune Farbe.
Befinden nach der Operation gut. Schmerzen sind nicht vor¬
handen. Temp. ist normal.
Am 2G. VI. Entfernung der Nähte. Die Wunde ist reaktions¬
los geheilt. Neuer Gipsverband.
Am 27. VI. Gips verband Wechsel.
Am 18. VII. wird der Gipsverband entfernt und Patient von
jetzt ab mit Massage, aktiven und passiven Streckbewegungen
nachbehandelt.
Auch in diesem Falle ist der Erfolg der Operation ein voll¬
ständiger gewesen. Patient kann sein Bein im Knie aktiv voll¬
ständig strecken und geht ohne jede Unterstützung. Er wurde
am obengenannten Tage ebenfalls der hiesigen Gesellschaft für
Natur- und Heilkunde vorgestellt.
Der erst vor kurzem operierte 3. Fall betrifft einen 12 Jahre
alten Knaben, G. B., mit einer seit seinem 2. Lebensjahre be¬
stehenden Lähmung des linken Beines. Bei dem im übrigen recht
gesund aussehenden Knaben zeigt der linke Ober- und Unter¬
schenkel eine erhebliche Atrophie der Muskulatur. Besonders be¬
troffen ist der Quadrizeps, der sich sehr dünn und weich anfühlt.
Patient kann sein Bein nicht aktiv im Knie strecken, bei empor¬
gehobenem Oberschenkel fällt der Unterschenkel schlaff herab.
Im Knie ist eine leichte Beugekontraktur vorhanden. Kniebeuger
sind kräftig. Zu gehen ist ihm nur mit Hilfe einer Krücke mög¬
lich, wobei das Bein nur schleift. Ausserdem besteht ein para¬
lytischer Klumpfuss hohen Grades.
Nachdem am 27. II. 1902 die Operation am Fusse vorgenoimnen
ist, wird am 14. III. 1902 die Transplantation am Oberschenkel
ausgeführt. Bei der Operation zeigt sich der Vastus internus
noch zum Teil erhalten; eine Funktion desselben war nicht nach¬
weisbar gewesen.
Am 22. III. 1902 Entfernung der Nähte, Wunde p. p. geheilt;
Gipsverband.
Am 28. IV. 1902 wird der Gipsverband abgenommen.
Patient ist jetzt im stände, im Knie leichte Streckbewegung
auszuführen. Die Narbe ist auf dem überpflanzten Muskel zum
Teil angewachsen, man sieht an ihr während der Extensions-
bewegung den Zug der Muskeln. Die Streckfähigkeit des Beines
mehrt sich von Tag zu Tag. während Patient mit Massage, Fara-
disation und gymnastischen Uebungen weiterbehandelt wird, so
dass das Bein jetzt, 9 Wochen nach der Operation, schon ziemlich
gerade extendiert werden kann. Patient geht ohne jede Stütze.
Ein weiterer Fall von Sehnentransplantation bei doppelseitiger
Quadrizepslähmung ist erst vor ganz kurzer Zeit ausgeführt bei
einem 7 jährigen Mädchen. Da Patientin sich noch im Gipsver-
14. Oktober 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1705
band befindet, lässt sich über das Resultat der Operation noch
kein Urteil abgeben. Bemerkenswert ist an dem Fall dass säch
dei Tensoi fasciae latae besonders kräftig erwies, sowohl funk¬
tionell, indem Pat. das Bein durch Anspannung des Tensor seitlich
emporhob, als auch bei der Okularinspektion während derOperation
Die Faszie war hier in einen dicken, derben, flachrundlichen Strang
umgeAvandelt, der beinahe einer Sehne glich und infolgedessen
an Stelle des Bizeps zum Ersatz herangezogen wurde.
Die Ansicht, dass bei der Lähmung- des Quadrizeps der Sar¬
torius meist- mitbetroffen, und infolgedessen nicht zur Transplan¬
tation zu verwenden sei, hat sich in unseren Fällen nicht bestätigt
gefunden. Wir fanden in allen unseren Fällen den Muskel stark,
kräftig und von guter brauner Farbe.
Nachtrag bei der Korrektur am 12. S e p t. 1902.
Bei Tall o hat sich bisher noch eine kleine Zunahme der
Streckfähigkeit eingestellt.
In dem zuletzt erwähnten Falle konnten wir nach einer Ende
August vorgenommenen Untersuchung den gewünschten Erfolg
der Operation feststellen. Patientin geht ohne Stütze frei umher,
wenn auch noch mit geringer Ausdauer.
Zum Nachweis der Simulation bei Hysterischen und
Unfallskranken.
Bemerkungen zu dem Artikel von Hofrat Dr. R. v. H o e s s 1 i n
in No. 37 dieser Wochenschrift.
Von Stabsarzt Dr. Otto Niedner (I. med. Universitäts¬
klinik in Berlin).
Bei dem grossen Interesse, welches die richtige Beurteilung
der Unfallkranken, insbesondere auch der Simulanten, für alle
wirklich Unfallkranken, wie für das Ansehen des ärztlichen
Standes hat, ist es sicherlich sehr dankenswert, wenn die Er¬
fahrungen solcher Aerzte, welche viel mit Unfallkranken zu tun
haben, weiteren Kreisen zugänglich gemacht werden, um das
Rüstzeug letzterer gegen Täuschung von seiten der Kranken zu
bereichern. Denn je einfacher die zur Entlarvung von Simulation
geeigneten Mittel sind, desto eher werden sie schon bei der ersten
Beurteilung des Kentenbewerbers richtig angewandt und zur
schnellen Entscheidung des Streitfalles verwertet werden können.
Auch das vom Verfasser des oben erwähnten Aufsatzes em¬
pfohlene Symptom (die paradoxe Kontraktion der Antagonisten)
erscheint sehr geeignet, Simulation oder wenigstens gewollte
Aggravation der Beschwerden des zu Untersuchenden objektiv
nachzuweisen, und ist von mir auch schon wiederhol^ mit Erfolg
bei der Begutachtung entsprechender Fälle verwertet worden.
Andrerseits konnte ich mich doch bei Lektüre des genannten Ar¬
tikels des Eindruckes nicht erwehren, als ob dem Symptom eine
zu hohe Bedeutung insofern beigemessen würde, ais diejenigen
Fälle unberücksichtigt geblieben sind, in denen neben einem
sicheren objektiven Befrmd dennoch deutlich nachweisbare Simu¬
lation vorliegt, und ich glaube wohl, dass jedem, der viel mit
Unfallbegutachtung zu tun hat, schon derartige Fälle vorgekommen
sind.
Gerade der Satz: ,,Bei allen denjenigen Unfallkranken, bei
denen der objektive Befund die von den Kranken angegebenen
Beschwerden erklärt, habe ich das Symptom der paradoxen Kon¬
traktion der Antagonisten regelmässig vermisst“, steht u. a. auch
zu einem erst vor kurzer Zeit beobachteten, recht eklatanten Fall
in Widerspruch, welchen ich — der Aufforderung des Herrn Ver¬
fassers zu weiterer Prüfung der von ihm angeregten Frage fol¬
gend — hier kurz erwähnen möchte.
Es handelte sich um einen 42 jährigen Arbeiter, welcher
14 Monate vor seiner jetzigen Begutachtung beim Balkentragen
dadurch einen Unfall erlitten hatte, dass ihm infolge vorzeitigen
Loslassens der anderen Träger der Balken auf die Schulter wuch¬
tete und angeblich eine Luxation der letzteren herbeiführte. Die
Luxation soll auf einer Unfallstation sofort reponiert worden sein,
doch waren Beweise für diese Angaben nicht mehr zu erbringen.
Der Kranke wurde alsdann wochenlang mit festen Verbänden,
Massage und Elektrisieren behandelt und übernahm dann, da er
den verletzten Arm angeblich gar nicht gebrauchen konnte, aus¬
hilfsweise Botendienste. Da er Rentenansprüche erhob, wurde
er im Laufe der folgenden Zeit wiederholt von verschiedenen
Aerzten untersucht und begutachtet. Die anfänglich gewährte
hohe Rente wurde ihm bald gekürzt, „da objektiv nichts mehr
nachzuweisen sei ausser einem leichten Knurpsen in dem Schulter¬
gelenk und da der Arm gut beweglich sei. Die noch vorhandenen
Schmerzen würden sich bald geben.“ Andere Gutachter schlossen
sieh dieser Beurteilung an, während ein vom Kranken privatim
konsultierter Arzt ein Zeugnis dahin lautend ausstellte, dass der
Arm in seiner Beweglichkeit ungemein beeinträchtigt sei, dass
Parese der linksseitigen Armmuskeln bestehe und dass daher eine
Verletzung des Armnervenplexus angenommen werden müsse.
Der Kranke wurde behufs genauer Beobachtung und endgültiger
Beurteilung in die Klinik aufgenommen. Er trug die linke — an-
No. 41.
geblich kranke — Schulter sehr hoch und zeigte bei der geringsten
Bewegung des Armes, ja selbst bei einfacher Betastung der
Schulter die lebhaftesten Schmerzäusserungen. Er lag im Bett
nur auf der rechten Seite, da. er beim Liegen auf der Linken un¬
erträgliche Schmerzen verspüre, und vermied peinlich auch den
geringsten Gebrauch des linken Armes. Bald "wurde ihm nach¬
gewiesen, dass er stundenlang Nachts auf der erkrankten Seite
fest schlief; doch markierte er die Gebrauchsunfähigkeit des
Armes weiterhin mit seltener Ausdauer und grossem Geschick.
Passiven und aktiven Motilitätsprüfungen setzte er den grössten
Widerstand entgegen und zeigte das von v. H o e s s 1 i n be¬
schriebene Symptom der paradoxen Kontraktion der Antago¬
nisten bei allen Untersuchungen in so markanter Weise,
dass ich es seinerzeit wiederholt einem weiteren Kreise
demonstriert habe. Er hielt an diesem Symptom auch
fest, als er bezüglich seiner falschen Angaben über Schmerz¬
empfindungen und bezüglich anfänglich simulierter Sensibilitäts¬
störungen der Täuschung schon überführt war. Da die Masse der
linksseitigen Muskulatur kaum hinter denen der rechtsseitigen
(trotz des 12 monatigen Bestehens der Verletzung) zurückstanden und
objektiv nur eine Abflachung der Portio cost. des M. pectoralis
major, sowie eine geringe Herabsetzung der elektrischen Erreg¬
barkeit des linken M. triceps nachweisbar war, hätte die Ver¬
suchung, den der offenbaren Simulation mehrfach überführten
Mann als Simulant mit seinen Klagen abzuweisen, recht nahe ge¬
legen, wenn nicht eine genaue Untersuchung mit Röntgenstrahlen
noch zuletzt ein überraschendes Ergebnis gezeitigt hätte. Es zeigte
sich nämlich, dass das linke Tuberculum maj. grösstenteils abge¬
sprengt war, dass sich in der Gegend des Collum anatomicum und
tuberculum minus eine Deformität des Knochens befand, und end¬
lich wies die Gelenkkapsel an mehreren Stellen Schattenbildungen
auf, welche mit grosser Wahrscheinlichkeit als verknöcherte Ein¬
lagerungen gedeutet werden konnten. Den objektiven Nachweis
dieser Veränderungen durch Palpation, durch aktive und passive
Bewegungen hatte der Kranke durch sein Widerstreben vereitelt,
vielleicht wäre durch diese Methoden auch gar nicht alles zu er¬
mitteln gewesen; und doch war es nun erwiesen, dass eine ganz
wesentliche Schädigung des verletzten Armes — des Gelenkes so¬
wohl als der Muskulatur — vorlag.
Dieser Fall erscheint mir erwähnenswert, weil trotz mehr¬
fach nachgewiesener Simulation, trotz des deutlich vor¬
handenen Symptoms der paradoxen Kontrak¬
tion der Antagonisten eine schwere organische
Veränderung bestand. Also mit dem Nachweis der Simu¬
lation Avar noch nicht Adel gewonnen.
Man könnte sich nun vielleicht auf den Standpunkt stellen:
der Kranke ist angesichts seiner Uebertreibungen mehrfach in
Ruhe ermahnt worden, in seinem eigenen Interesse jeden Täu-
schungs versuch zu ATermeiden, wenn er dies trotzdem nicht tut,
so hat er sich die Folgen seines unredlichen Verfahren selbst zu¬
zuschreiben. Aber was hat denn den Kranken zur Simulation ge¬
trieben ?
Im Beginn seines Leidens hatte er, nach den damaligen Be¬
richten offenbar nicht simuliert und dadurch Veranlassung ge¬
geben, dass bei oberflächlicher Untersuchung sein Leiden erheb¬
lich unterschätzt wurde. Von der Grösse der ihm wiederfahrenen
Schädigung überzeugt, übt er sich nun darin, die völlige Ge¬
brauchsunfähigkeit des Armes zu markieren — -mit dem Erfolg, dass
er von einem privatim konsultierten Arzt ein Attest erhält, welches
bei schneller Untersuchung zAvar zu falschen Annahmen führt,
die Schädigung des Mannes jedoch — Avenn auch infolge doppelter
Missverständnisse — im allgemeinen richtig Avürdigt. Dass ein
Kranker mit solchen Erfahrungen, welchen angesichts seiner In-
A'alidität die Sorge um seine Zukunft und seine Familie zum
äussersten drängt, simuliert, dürfte psychologisch überaus ver- -
stündlich und — - verzeihlich sein. Ich glaube daher nicht, dass
Avir mit solchem Kranken allzu streng ins Gericht gehen dürfen.
Es liegt mir natürlich fern, den Adelen begutachtenden Aerzten
aus der unzutreffenden Beurteilung des Falles einen Vorwurf kon¬
struieren zu AArollen: sie konnten nach den ihnen zu Gebote stehen¬
den Hilfsmitteln avoIiI schwerlich anders urteilen. Der Fehler
dürfte vielmehr darin liegen, dass bisweilen ein und derselbe Fall
— selbst Avenn schon divergierende Urteile ATorliegen — noch
Aveiterhin anderen Aerzten zur einmaligen Untersuchung und Be¬
urteilung zugeschickt wird. Hat sich durch Avesentlich diffe¬
rierende Begutachtung ergeben, dass ein Fall besondere SchAvierig-
keiten bietet, so dürfte eine Klarstellung der Verhältnisse im all¬
gemeinen wohl nur dann zu envarten sein, wenn der nächste Gut¬
achter entweder durch Beobachtung und wiederholte Unter¬
suchung oder durch Anwendung grösserer Hilfsmittel (in unserem
Fall Röntgenuntersuchung und eventuell Narkose) in die Lage ver¬
setzt ist, einen wirklichen Fortschritt in die Beurteilung der Sach¬
lage zu bringen. Aufgabe der zuerst untersuchenden Aerzte wird
es allerdings sein, auf die Notwendigkeit solcher Untersuchungen
in allen nicht Aröllig geklärten Fällen Aron vornherein hinzuweisen.
5
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
1706
Aus der I. medizinischen Universitätsklinik in Wien
(Chef : Hofrat Prof. N othnagel).
Zur Therapie und Pathogenese der Stenokardie und
verwandter Zustände.
Zwei Fälle von „intermittierender ischämischer Dysperistaltik“
(S c h n i t zl e r).
Von Dr. Robert Breuer, klin. Assistenten.
(Schluss.)
IV.
Die letzte Beobachtung bildet einen Uebergang zu 2 Fällen,
die ich mir erlauben möchte, hier anzufügen, obwohl sie auf den
ersten Blick in ein ganz anderes Kapitel der Pathologie zu ge¬
hören scheinen. Ihrer Mitteilung muss folgendes vorausgeschickt
werden :
J. Schnitzler hat vor einem Jahr unter dem Titel : „Zur
Symptomatologie des Darmarterienverschlusses“ einen sehr inter¬
essanten Krankheitsfall veröffentlicht und höchst bemerkenswerte
Betrachtungen daran geknüpft. Die Einzelheiten der Kranken¬
geschichte müssen im Original nachgelesen werden; hier sei sie
nur kurz resümiert.
Es handelte sich um eine 55 jährige Frau, bei der seit dem
51. Jahre oft krampfartige, von Erbrechen gefolgte Magen¬
schmerzen nach dem Essen aufgetreten waren. Im letzten halben
Jahi’e hatte das Erbrechen sistiert, aber es war hartnäckige Obsti¬
pation auf getreten und die krampfartigen Schmerzen, die jetzt
mehr imN Unterbauch sassen, traten nun spontan, ohne Beziehung
zum Essen auf, waren von grösster Heftigkeit und in den letzten
Monaten fast kontinuierlich. Die Kranke verlegte die Schmerzen
in den Darm und beschrieb sie als heftigste krampfartige Zu¬
sammenziehungen und Aufbäumungen der Gedärme, doch konnte
nie ein objektives Zeichen eines Hindernisses in der Darmpassage
(Steifung, Peristaltik eines hypertrophischen Darmstückes) be¬
obachtet werden. Die Stühle erfolgten nur auf Abführmittel, waren
aber von normalem Aussehen. Eine Laparotomie ergab nur ein
paar offenbar bedeutungslose lockere Adhäsionen um die einige
Steine enthaltende Gallenblase, keine Darmstenose. Der Tod er¬
folgte unter Erschöpfung, am Tag vor dem Exitus spontan
ein breiiger, schwarzer Stuhl.
Die Obduktion ergab allgemeine Arteriosklerose. Der
Stamm der Art. meseraica sup. durch einen alten
Thrombus nahe ihrem Ursprung aus der Aorta
vollkommen verschlossen, die peripheren Aeste frei.
Frische hämorrhagische Infarzierung des
Darms mit vielfachen Ulzerationen, Nekrosen und Blutungen
der Schleimhaut und des Peritoneums und rezente fibrinöse Peri¬
tonitis.
Schnitzler meint, und gewiss mit vollem Recht, dass
hier trotz des alten, offenbar langsam eingetretenen throm¬
botischen Verschlusses der Meseraica die arterielle Blutversorgung
im Darm durch lange Zeit auf kollateralen Bahnen notdürftig
aufrecht erhalten worden sei. Erst in den letzten Tagen sei unter
dem Einfluss der gesunkenen Herzkraft die hämorrhagische In-
farcierung des Darmes unter wenig stürmischen Erscheinungen
aufgetreten. Die ausserordentlich heftigen, krampfartigen
Darmschmerzen jedoch, welche monatelang vor dem Tode be¬
standen hatten, bringt er in Parallele mit der Claudicatio inter-
mittens infolge von vollständigem oder fast vollständigem Ver¬
schluss der Beinarterien und bezeichnet das Symptomenbild als
intermittierende anämische (besser vielleicht isch¬
ämische) Dysperistaltik.
Zur Zeit als Schnitzlers Veröffentlichung erschien, be¬
obachtete ich bei einer Patientin ganz ähnliche Symptome, deren
Pathogenese mir aber erst durch den Obduktionsbefund in jenem
Falle verständlich wurde. Die Erscheinungen, unter denen bald
darauf der Tod meiner Kranken eintrat, machen es trotz der
fehlenden Autopsie so gut wie sicher, dass es sich um ganz ana¬
loge Verhältnisse gehandelt habe.
10. Beobachtung.
Frau L., 56 Jahre alt, Fabrikantensgattin. Seit jeher sehr
„nervös“. Hatte in ihrer Jugend viel unter Appetitlosigkeit und
Neigung zur Obstipation zu leiden, häufig Migräne. Im Anfang
ihrer Ehe (Verheiratung mit 20 Jahren) einige der Beschreibung
nach hysterische Krampfanfälle. Späterhin war sie im ganzen
recht gesund, bis sich, ungefähr im Alter von 50 Jahren, leichte
Herzbeschwerden einstellten (Dyspnoe, besonders Nachts; leichte
schmerzhafte Empfindungen in der Herzgegend, verbunden mit
Angstgefühl; Unfähigkeit zu steigen oder längere Strecken zu
gehen). In den letzten Jahren einige schwere nächtliche Anfälle
von „Herzkrampf“ mit Schmerzen hinter dem Sternum und
quälender Oppression; nach dem Auf hören des Anfalles erfolgte
jedesmal die Entleerung einer auffallend grossen Quantität sehr
hellen „wässerigen“ Urins, während sonst die Harnentleerung
eher spärlich ist.
Seit etwa 2 Jahren hat sich nun ausserdem ein eigen¬
tümlicher Zustand herausgebildet. Es treten Anfälle heftigster
„Bauchkrämpfe“ auf, die von der Kranken und ihrem Manne
folgendermassen geschildert werden. Nachdem kurze Zeit un¬
angenehme Empfindungen und lebhaftes Kollern im Leibe voraus¬
gegangen sind, setzen plötzlich „wüthende“ Krämpfe im ganzen
Leibe, besonders um den Nabel ein; die Kranke hat dabei das
Gefühl, dass sich die „Eingeweide zusammendrehen“ und sich
„krampfhaft aufbäumen und durcheinander wänden“. Ein solcher
Anfall dauert y2 — 2 Stunden; die Kranke liegt dabei unbeweglich
auf dem Rücken, sieht blass und verfallen aus und schreit manch¬
mal „wie rasend“. Wiederholt ist sie während der Schmerzen
ohnmächtig geworden, fast immer besteht zugleich mit den
Ivrä mpfen Oppressionsgefühl.
Zugleich mit dem ersten Auftreten der „Bauchkrämpfe“ hat
sich, während der Stuhlgang in den letzten Dezennien ziemlich ge¬
regelt gewesen vrar, hartnäckige Obstipation eingestellt. Die
Kranke hat fast niemals spontan Stuhlgang, sondern muss stets
einnehmen. Sowie aber das Laxans (sie hat alle möglichen ver¬
sucht) zu wirken beginnt, tritt einer der oben geschilderten „Baucli-
krämpfe“ ein. Tat. hat aus Angst vor den Schmerzen zu Zeiten
tagelang nichts getan, um eine Entleerung herbeizuführen; seitdem
sie sich aber überzeugt hatte, dass dann schliesslich stets ein'
Anfall von besonders grosser Heftigkeit sich einstellt, und dass
nach mehrtägiger Verstopfung endlich auch spontan Krämpfe auf¬
traten, nimmt sie (seit mehreren Monaten) stets leichte Abführ¬
mittel (Cascara, Bitterwasser), hilft mit Irrigationen nach und
hat dabei zwar häufig, aber doch weniger schwere Schmerzen.
Uebrigens treten die Krämpfe manchmal auch ohne Laxantia auf;
ein kalter Trunk, etwas Obst, oder „nasse Fiisse“ haben wieder¬
holt genügt, um einen Anfall auszulösen; mehrmals ist ein solcher,
besondei’s in letzter Zeit, auch während eines kurzen Spazierganges
gekommen.
Die Darmentleerungen zeigten nach Angabe der Kranken und
ihres Arztes niemals Besonderheiten; die Stühle waren meistens
hart, knollig, selten kamen nach einigen festeren Skybalis weiche,
angeblich stark stinkende Massen. Hie und da trugen feste Ivoth-
knollen an der Oberfläche kleine Streifchen frischen Blutes (die
Kranke hat zwei kleine äussere Hämorrhoidalknoten).
Niemals sind grössere Mengen Blutes mit dem Stuhl ab¬
gegangen, nie war der Stuhl schwarz, teerartig oder hat Eiter
oder Schleim in sichtbaren Mengen enthalten.
Magenbeschwerden fehlen, nur nach fetten Speisen zuweilen
etwas Aufstossen. Der Appetit ist gut; trotzdem isst die Kranke
nur wTenig und sehr vorsichtig, weil sie fürchtet, den Darm zu
beschweren und so das Auftreten der „Bauchkrämpfe“ zu be¬
günstigen.
Der behandelnde Hausarzt hat den Zustand als „veralteten
Darmkatarrh“ aufgefasst und die verschiedensten Behandlungs¬
methoden, aber ohne viel Erfolg versucht. Leichtere Anfälle er¬
trug die Kranke unter Applikation feuchter Wärme. Während
der schweren Krampfanfälle erwiesen sich von Anfang an grosse
Dosen von Opium oder subkutane Morphiuminjektionen als not¬
wendig, die aber dann jedesmal wieder eine längere Obstipation
zurückliessen. Trotzdem sei das Morphium unbedingt nötig ge¬
wesen; die Schmerzen seien „hundertmal ärger gewesen als bei
einer Entbindung“. In der Zwischenzeit zwischen den Anfällen
nie schmerzhafte Empfindungen im Leibe. Wichtig ist wohl noch,
dass im Krampfanfall weder der Mann der Kranken, der die
Patientin pflegte und genau beobachtete, noch der Arzt, der sie
jedesmal während der Schmerzen sali, am Abdomen irgend etwas
von Bewegung und Steifung der Därme beobachtet haben; wäli-
rend die Kranke auf das heftigste über das „Zusammendrehen“
der Därme klagte, sei der Bauch etwas auf getrieben, aber nie sei
eine Bewegung der Därme zu bemerken gewesen.
In früheren Zeiten reichlicher Biergenuss; kein Anhaltspunkt
für Lues. Menopause seit dem 47. Jahr.
Bei der Untersuchung in der anfallsfreien Zeit ergab sich fol¬
gender Status: Grosse, kräftig gebaute, offenbar abgemagerte
Frau, blass und ganz leicht cyanotisch, aber nicht kachektisch
gefärbt, kein Ikterus. Sehr lebhaft und nervös; keine hysterischen
Stigmata. Radial- und Temporalarterien etwas hart, leicht ge¬
schlängelt, Pulsspannung nicht wesentlich vermehrt. Leichte
Knöchelödeme. Herzaktion zeigt leichte Arhythmie, Spitzenstoss
nicht deutlich palpabel, Herzdämpfung klein (Lungenblähung!),
2. Aortenton nicht akzentuiert, aber klingend. Lungen gebläht,
über beiden Unterlappen bronchitisehe Geräusche. Harn konzen¬
triert, enthält Spuren von Albuinen und 0,5 Proz. Zucker. Bauch¬
decken äusserst schlaff; es lässt sich mit Leichtigkeit die AVirbel
säule durchtasten. Druck auf die Bauchaorta empfindlich, ebenso
der Druck an verschiedenen Stellen in der Nähe des Nabels.
Keine auffallende Dilatation oder Härte der Aorta abdominalis.
Magen, Leber und beide Nieren etwas tiefstehend, die Leber wohl
auch etwas geschwollen, plumper. Därme etwas gebläht, hie
und da eine Andeutung von normaler Peristaltik durch die
schlaffen Bauchdecken sichtbar. Keine Spur von Darmsteifung
oder pathologischer Peristaltik auslösbar. Nirgends eine abnorme
Resistenz. Rektum frei.
Die Kranke machte ohne viel Erfolg eine Karlsbader Kur
durch und befand sich dann unter Belladonnagebrauch ein Jahr
halbwegs erträglich; es traten zwar häufig und manchesmal sehr
intensive Krampfanfälle auf, aber im ganzen wrar der Zustand
doch leidlicher geworden. Von nächtlichem Oppressionsgefühl
und sporadisch auftretenden Herzkrämpfen wurde die Kranke
14. Oktober 1902.
Äff mehr Se<IUäI‘ a‘S ,rthCT- Z,,ckel' *lt Karlsbad
MÜENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1707
. , .Jakr nach meiner ersten Untersuchung erhielt
ich die Nachricht, dass die Patientin nach 1 wöchentlicher
schwerer Krankheit unter folgenden Umständen gestorben sei-
Die „Bauchkrampfe* hatten seit einigen Wochen Nachgelassen"
kamen seltener und weniger intensiv und die Kranke wär S
Beg-ntte eine Reise anzutreten, als sich wieder ein aussei ordentlich
heftiger Anfall von mehrstündiger Dauer einstellte. Daran schloss
®in ^ oder 6 Ta&e dauernder Zustand qualvollsten Leidens
Dl® ,I]vra°ke batte täglich mehrere, bis zu 8, schwerste Krampf¬
anfalle, die fast kontinuierlich ineinander übergingen und durch
Morphiuminjektionen kaum gelindert werden konnten- dabei be
tand Obstipation und nur durch Abführmittel konnten kleine
Mengen normal aussehenden Stuhles erzielt werden. Der Vpnetit
ag vollständig darnieder und die Kranke kam rapid herunter
Die Schmerzen hatten vollkommen den alten Charakter auch Netzt
SiCkt' °dCT «“baren DarmkontrSnä Ä
achtet. Schliesslich trat Auftreibung des Leibes, wiederholtes
Erbrechen galliger Massen, Fieber und rapider Verfall ein so
dass der Arzt an eine akute Peritonitis dachte; nach mehreren
Stunden erfolgte dann der Exitus. Kurze Zeit vor dem Sd!
entleerten sich in wiederholten Schüben spontan reichlich
»Sr n' ■ teerartige Masseu' <»• wVÄt
Eine Obduktion ist nicht vorgenommen worden.
Diese Krankengeschichte ist der von .Schnitzler mit¬
geteilten so ausserordentlich ähnlich, insbesondere stimmen die
Schmerzen und der schliesslich« Ausgang in beiden Fällen so
sehr überein, dass mir an der Analogie der zu gründe liegenden
Prozesse ein Zweifel kaum möglich scheint. Ich habe bereits er-
wahnt, dass bis zu dem eigentümlichen Ende das Krankheitsbild
völlig unklar gewesen war: das konstante Fehlen aller Ste¬
noseerscheinungen machte das, Bestehen eines mechanischen
mdernisses höchst unwahrscheinlich ; die Schmerzanfälle waren
so furchtbar schwerer Art, dass etwa an eine „spastische Obsti¬
pation“ nicht wohl gedacht werden konnte. Und so blieb zu¬
nächst nicht viel anderes übrig, als die Annahme eines jener
eigentümlichen Fähe von rätselhaften Darmkoliken ohne nach¬
weisbare Stenose, die Nothnagel beschreibt, und die er
i dem Mangel jeder anderen Erklärung als nervöse Enteralgien
auf fassen . möchte. S c h n i t z 1 er wirft die Frage auf, ob nicht
manche dieser Fälle bei älteren Personen als die Folgen von Ge-
fässveränderungen nach Art des intermittierenden Hinkens zu
deuten seien. In meinem Fall scheint mir diese Auffassung
durch die sicher bestehende Arteriosklerose und die anginösen
Beschwerden (Koronarsklerose?) gestützt; der Ausgang' unter den
Erscheinungen der Darmparese und Peritonitis mit blutigen Ent¬
leerungen macht sie trotz der fehlenden Leichenöffnung so gut
wie sicher. Man wird sich vielleicht vorstellen können, dass hier
di® Blutversorgung des Darmes durch länge Zeit keine so ganz
schlechte wie in Schnitzlers Fall gewesen, dass der Haupt¬
stamm der Mesaraica hier vielleicht nur hochgradig verengt ge¬
wesen oder nur kleinere Aeste betroffen gewesen seien, und dass
erst m der letzten Zeit ein vollkommener Verschluss mit seinen
folgen sich ausgebildet habe — viel Wert haben derartige Ver¬
mutungen ja nicht.
Schnitzler hat aus der Literatur einige Fälle von
I hrombose der Darmarterien (von Lepine, Hasenfeld
u. a.) zusammengestellt, in denen die heftigen Kolikschmerzen
zwar von den Autoren in anderer Weise aufgefasst wurden, aber
oltenbar richtig als „ischämische Dysperistaltik“ zu deuten sind.
Er erwähnt auch die Aehnlichkeit mit den Koliken, wie sie bei
ierden mit Aneurysmen der Darmarterien beobachtet werden.
Ich moche dem hinzufügen, dass, wie die Durchsicht der Litera¬
tur zeigt, auch b e i m M e n s c h e n in den Fällen von Aneu¬
rysmen der Gekrösarterien, resp. in den häufigeren,
woemAneurysmaderBauchaorta in der Gegend des
Abgangs der Mesaraica sitzt, über ganz ähnliche, lange an¬
dauer n d e, s c h w e r s t e k o 1 i k a r t i g e D a r m s c li m e r -
z e n berichtet wird.
r b Scllni1tzler spricht die Vermutung aus, dass sich ähn-
bebe Beobachtungen, wie die seine, nicht so selten werden machen
lassen, und erwähnt, dass er nach dem oben zitierten Fall noch
Kranke beobachtet habe, bei denen er, allerdings ohne durch den
Obduktionsbefund gestützt zu sein, ähnliche Verhältnisse habe
annehmen müssen.
Ich hatte vor Kurzem Gelegenheit eine Kranke wiederholt
zu sehen, bei der mir die gleiche Annahme gerechtfertigt er¬
scheint, und deren Krankengeschichte aus einem bestimmten
Grunde hier noch mitgeteilt sei.
11. Beobachtung.
65 jährige Frau, Kaufmannswitwe. Leidet seit mehrerpn
skää» ääSI«?
schmerzhafte Krampfanfälle im Leibe auf ‘ IpTgNI w u N'1-
Ga«H. als ol, sich die Därme ln d« ÄÄfÄ
WÄ., Ausst »der OmresslL^efühTfehl W
u lesen Anruiien. Die Schmerzen sind sehr heftisr von P-cwÄhn
Änrten Ws’ V1 Stirn, UlT11'6 nN ?aDZ versckie<ien; sie dauern
- i nuten llls Va Stunde lang. Dabei fühlt sie sich ausserordent-
‘d1 elend und matt. Die Anfälle kommen spontan, besonders am
rnN' vnitmg’ ° "J6 Stuiulcn nacl1 dem Mittagessen, manchmal auch
des Juchts und am frühen Morgen; die Kranke selbst bringt sie
int der Arbeit der Därme in Zusammenhang und will beobachtet
iahen dass sie regelmässig nach Gebrauch von Abführmitteln
wendem115 msbesoudere Senua könne sie deswegen gar nicht an-
V ähiend der Krämpfe sei am Leibe von aussen trotz heftia-er
Schmerzen nichts zu sehen oder zu fühlen. Der Stuhlgang se7
wie erwähnt, angehalten, doch sähen die Entleerung Normal
sssz
tmerter, klingender Aortenton, keine Arhythmie. Lungenbefuml
normal bis auf leichtes Volumen auctum. Im Urin nichts Abnormes.
..... ,.Im Abdomen trotz schlaffer Bauchdecken nichts Abnormes
IN.lnfN A(!rt:l d®utlick zu tasten- zeigt lebhaftes Spritzgeräusch
Nabe/ 1 VN-istn hil- emPfindkch’ besonders in der Gegend über dem
v/,v,-T,k„ Pw S lt kF dei\ Darmsteifung absolut nicht zu pro¬
vozieren. Rektum frei. Genitaluntersuchung ergibt bis auf senile
diN0inp,h0rmalen ,Befrd- Ein Stub1’ de* ick untersuchte^
Sonderheiten geformt’ ziemlich fest, zeigte sonst keine Be-
Es ist ja nach den vorstehenden Erfahrungen nicht
unwahrscheinlich , dass auch in diesem Falle arterio¬
sklerotische Veränderungen in den Abdominalgefässen zu
„ischämischen Schmerzen“ bei der Peristaltik geführt haben; trotz¬
dem hatte ich diese Beobachtung hier nicht reproduziert, wenn
nicht ein therapeutischer Versuch ein bemerkenswertes Resultat
ergeben hätte.
nvn „waLin verschiedenster Art, zuletzt (wahrschein¬
lich wegen Verdachtes auf Hypersecretio resp. Hyperaciditas
mit Karlsbadf Salz und grossen Quantitäten Soda mit
entschiedenem Misserfolg behandelt worden. Der Stuhlgan»- wurde
h-Nfi'feSeNaSS^er’ doch traten die Krämpfe im Bauch um so
hauflgci uncl quaiender auf. — Nachdem ich zunächst durch Re¬
gelung der Diät und Belladonna nur sehr geringen Erfolg erzielt
hatte, versuchte ich, die Kranke Diuretin nehmen zu lassen
und zwar 3 g pro die. Nach 14 Tagen meldete sie mir, dass sie
wahrend der letzten beiden Wochen im ganzen
v G11r er'Cbtepn ® c h m e rz a n f a 1 1 gehabt habe, während
vorher die Krampfe täglich wenigstens einmal aufgetreten waren.
Dabe1 lebe sie im übrigen ganz wie sonst. Der Stuhl sei re^el-
nnisssiger, doch könne sie nun auch Abführmittel nehmen, ohne
Schmerzen zu bekommen. Auch die nächtlichen Oppressions-
empfindungen haben seit der Diuretinmedikation aufgehört
halten t6rhin babe i<?h V°n der Krankeu keine Nachricht er-
Der prompte Erfolg des Diuretins in diesem Falle macht es
wohl sicher, dass es sich auch hier um keine echten Darmkolikeil,
sondern um Schmerzen auf arterieller Basis ge¬
handelt habe.
Ein ganz ähnlicher, gleichfalls durch den Erfolg der
Idierapie bemerkenswerter lall wird mir von befreundeter Seite
zur Verfügung gestellt.
v /Voriger Mann mit Arteriosklerose, Hypertrophie des linken
Ventrikels. Seit Wochen heftigste, in der letzten Zeit fast kon¬
tinuierliche Schmerzen im ganzen Abdomen von „blähendem“
Gharakter. Stuhlverhältnisse normal. Keine Herzbeschwerden
Anderweitige Therapie erfolglos. 3,0 Diuretin pro die
beseitigt die Schmerzen. Jeder Versuch, das Medikament
auszusetzen oder auf 1,0 — 2,0 pro die herunterzugehen bewirkt am
selben oder am nächsten Tag heftiges Einsetzen der alten Schmer¬
zen. So nahm der Krankfe durch % Jahre ununterbrochen
3,0, manchmal auch 4,0 Diuretin. Tod in einem Anfall von Herz¬
insuffizienz.
Wie man sieht, scheinen liier alle Kombinationen zwischen
Schmerzen und muskulären Insuffizienzerscheinungen vor¬
zukommen.
V.
Die im Vorstehenden referierten Krankheitsfälle bilden
eine Leihe, die von reinen Stenokardien mit verschiedenen
TL bei gä ngen bis zu Schmerzanfällen reicht, die von Kranken in
5*
1708
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
die Schulter resp. in den Magen und Darm lokalisiert werden.
Die letzten weisen keine Züge des Anginafalles mehr auf. Alle
diese Zustände haben in therapeutischer Beziehung das Gemein¬
same, dass sie durch Diuretin gebessert resp. verhindert wurden,
und sie sind offenbar in pathologischer Beziehung als sämtlich
auf dem Boden der Arteriosklerose erwachsen zu betrachten.
Es gibt zweifellos noch andere Arten von Schmerzanfällen
hei Arteriosklerotikem, die in dasselbe Kapitel gehören.
So entsinne ich mich eines vor einigen Jahren an der Klinik
beobachteten älteren Kranken, bei dem wiederholt heftige Schmerz¬
anfälle in einer Lendengegend nach Art von Nierenkoliken aut-
traten und bei dem an einen Nierentumor, resp. wegen der gleich¬
zeitig bestehenden Herzinsuffizienz an Nierenihfarkte gedacht
wurde, obwohl im Urin nie ein anderer Befund als der^ eines ein¬
fachen Stauungsharnes erhoben werden konnte. Die Sektion ei-
gab weder einen Tumor, noch Residuen von Infarkten in der
Niere, sondern nur starke Sklerose der Renalarterien.
Ferner gehören ja auf dasselbe Blatt auch die Schmerzen
hei Sklerose der Extremitätenarterien, die sich gewöhnlich mit
dem Bilde der intermittierenden Muskelinsuffizienz verbinden.
Während über Vorkommnisse, wie sie in den Beobachtungen
9, 10 und 11 geschildert sind, relativ wenig bekannt zu sein
scheint, ist der feinere Mechanismus der Claudicatio intermittens
und der als ihr Analogon auf gefassten Stenokardie ausserordent¬
lich vielfach besprochen und diskutiert worden, ohne dass aber,
wie es scheint, eine Einigung über den näheren Zusammenhang
der Erscheinungen erzielt worden wäre. Vor allem über die
Frage, in welchem Verhältnis bei der Claudicatio intermittens
(Dysbasia intermittens) und bei der Angina pectoris Arterien¬
erkrankung, Schmerz und Funktionsstörung zu einander stehen,
findet man recht differente und namentlich aus früherer Zeit
recht verschwommene Ansichten. Aeltere Autoren denken beim
intermittierenden Hinken, wie bei der Stenokardie, nur an die
direkten Folgen einer grob-anatomischen, obliterierenden Gefäss-
erkrankung und betrachten Schmerz und Funktionsstörung ein¬
fach als von der Ischämie abhängig ; sie sprechen sich nicht weiter
darüber aus, ob denn der Satz: „der funktionierende Muskel
braucht mehr Blut; bekommt er keines, so wird er ischämisch“,
wirklich so einfach den ganzen Vorgang erkläre. Neuere Autoren
haben sich in mehr oder minder deutlicher Weise dahin aus¬
gesprochen, dass hier doch wohl noch ein Zwischenglied fehlen
dürfte.
So sagt Erb in seiner grossen Arbeit über das intermittierende
Hinken: „Je mehr ich die Sache überlege, desto mehr bin ich
geneigt, dem funktionellen Moment, der wechselnden
physiologischen Funktion der Gefässwandungen, einen ganz her¬
vorragenden Anteil an dem Zustandekommen des Symptomen-
komplexes des intermittierenden Hinkens zuzuweisen“. Und an
einer anderen Stelle schreibt er bezüglich der Frage, wie denn
der Versuch der Muskelaktion in der kranken Extremität eigent¬
lich zu dem ischämischen Phänomen führe: „Wir dürfen wohl an¬
nehmen, dass die mit der Funktion der Muskeln eintretende und
zur Gefässerweiterung führende Erregung der Vasodilatatoren
hier ausbleibt; ja es wäre denkbar, dass gerade das Gegenteil,
eine Erregung der Vasokonstriktoren in den pathologisch ver¬
änderten Gefässen, eintritt und zur stärkeren Gef äss Verengerung
(also zu einer absoluten Ischämie) führt“ etc.
Bezüglich der Stenokardie haben namentlich französische
Autoren den Versuch gemacht, ein funktionelles Moment in die
Auffassung des pathologischen Mechanismus einzuführen.
Huchard definiert den stenokardischen Anfall als „eine
organisch oder funktionell bedingte Ischämie des Herzens“,
und sein Schüler A. Webe r sieht in der ganzen Angina pectoris
nur eine Koronaralgie, erzeugt durch spastische Kontraktion
der Koronararterien; er spricht auch vielleicht zuerst den Gedanken
aus, dass die ausstrahlenden Schmerzen in einem Uebergreifen
dieses Krampfes auf benachbarte Gefässgebiete ihren Grund
haben, und stützt sich dabei auf Beobachtungen, in denen wäh¬
rend des anginösen Paroxysmus die Arterien der 1. oberen Ex¬
tremität anfallsweise enger und schmerzhaft wurden.
Die Auffassung, dass Schmerzen wie die stenokardischen, sei
es als Parenchymschmerzen, sei es als funktionelle Gefässkolik-
schmerzen, in den Arterien selbst ihren Sitz haben könnten, ist
wohl zuerst von Nothnagel ausgesprochen und neuerdings von
G o 1 d f 1 a m für die Schmerzen bei der Dysbasia intermittens,
von Pauli und Iv a u f m a n n für die Irradiationsschmerzen
und vielleicht auch für die Brustschmerzen bei der Stenokardie
besonders geltend gemacht worden.
Es ist nicht möglich, im Rahmen dieses Aufsatzes auf alle
diese Meinungen und auf die ganze ungeheuere Literatur des
Gegenstands einzugehen. Ich muss es mir leider insbesondere
auch versagen, im einzelnen hervorzuheben, in wie hohem Masse
die folgenden Ausführungen durch die Arbeiten meines verehrten
Lehrers, Hof rat Nothnagel, beeinflusst sind, dem wir ja die
Begründung unserer Kenntnisse von den Angioneurosen und den
Gef ässchmerzen verdanken. Es sei nur gestattet, ohne weiter auf
kritische Erwägungen und Begründungen einzugehen, im fol¬
genden zu zeigen, wie man sich meiner Meinung nach den patho¬
genetischen Zusammenhang der vorstehenden, anscheinend so
verschiedenartigen Fälle wohl vorstellen könnnte, ohne den Tat¬
sachen Gewalt anzutun und gewissermassen ein Resume zu
geben von Ausführungen, die den Raum dieses Aufsatzes über¬
schreiten würden.
1. Die Arteriosklerose und ebenso gewiss auch andere, z. B.
syphilitische Arterienerkrankungen, führen zur Entstehung kon¬
stanter Schmerzen in den Gefässen, die häufig auch nach Alt dei
II e a d sehen Beobachtungen auf die äussere Haut irradiieren.
Ausserdem aber geben sie zur Entstehung von Schmerzanfällen
in den verschiedensten Territorien des Körpers Veranlassung.
Die unmittelbare Ursache dieser Schmerzanfälle bildet manchmal
vielleicht direkt der gesteigerte Blutdruck und die Spannung der
kranken Gefässe, häufiger liegt sie wohl in Gef ässkrämpf en.
Es ist eigens zu betonen, dass dabei offenbar weniger die
schweren, alten Formen der Arteriosklerose in Betracht kommen,
als frischere und leichtere endarteriitische Veränderungen (vergl.
das „Gesetz von Lasegu e“). G)
2. Die Gefässkrämpfe, die besonders gerne in den kleinen
Gefässen mit stark entwickelter Muskularis aufzutreten
scheinen, sind in diesen I ällen ein pathologischer, resp. patho¬
logisch gesteigerter Reflex von der erkrankten Gefässwand aus.
Er wird ausgelöst durch alle Faktoren, die eine allgemeine Steige¬
rung des Blutdruckes (und damit eine mechanische Anspannung
des kranken Gefässes) bewirken, so durch allgemeine Muskel¬
arbeit, durch Gemütsbewegungen, durch die horizontale Lage
(besonders das Schlafen in horizontaler Lage). Er wird ferner
besonders an den Gefässen solcher Organe, die zu ihrer Funktion
einer stark vermehrten Menge arteriellen Blutes bedürfen
(Muskulatur, Verdauungskanal, vielleicht auch das Herz), durch
die arterielle Fluxion, welche die gesteigerte F unktion begleitet,
erzeugt.
Der Gefässkrampf kann gleichzeitig mehrere erkrankte Teile
des arteriellen Systems befallen, er kann aber auch sich von
einer erkrankten Stelle des Systems aus auf benachbarte
gesunde erstrecken; das gibt dann zum Auftreten irradiierender
Schmerzen Veranlassung.
3. Wird die arterielle Blutzufuhr zu einem Körperteile durch
den Gefässkrampf stark vermindert, SO' treten in ihm ischämische
Symptome auf. Diese ischämischen Erscheinungen können in
empfindlichen Organen schon auftreten, wenn auf ihre, im
übrigen gesunden Gefässe ein Angiospasmus von der Nachbar¬
schaft übergeht. Viel schwerer wird die Ischämie, wenn die Ge¬
fässe des betreffenden Körperteiles selbst erkrankt, vielleicht
schon dauernd durch pathologische Prozesse verengt sind, oder
wenn gar der Spasmus in Kollateralgefässen auftritt, welche die
Funktion eines Organs, dessen Hauptarterien verschlossen sind,
nur mühsam aufrecht erhalten.
4. Die ischämischen Phänomene bestehen bei muskulären Or¬
ganen in paretischen Zuständen (Extremitäten: intermittierendes
Hinken ; Magen-Darm: Paresen, Meteorismus; Herz: plötzliche
Insuffizienz, Lähmung). Bei Organen, von denen charakte¬
ristische sensible Phänomene ausgehen können, kommen noch
solche dazu (Muskeln: Gefühl des Krampfes; Haut: Parästhe-
sien etc.; Herz: Angst, Angor, resp. Vernichtungsgefühl). Be¬
sitzen die von der Ischämie betroffenen Gefässe Endigungen
schmerzvermittelnder Nerven, so können durch die Ischämie in
ihnen Parenchymsehmerzen auftreten, und es lässt sich dann nur
schwer entscheiden, ob die Schmerzen des Anfalles in den Ge¬
fässen selbst oder in dem ischämischen Parenchym ihren Sitz
haben (Extremitäten, Magen-Darm). Auch bei den Schmerz¬
anfällen, die anscheinend in den1 ganz grossenGefässen (Aorta) auf¬
treten, und die wohl nicht auf einen Spasmus dieser selbst,
sondern ihrer Vasa vasorum zu beziehen wären, bleibt es zweifel¬
haft, ob die Schmerzempfindung als Spasmusschmerzen der Er-
nährungsgefässe oder als ischämische Parenchymschmerzen der
. grossen Gefässe selbst zu betrachten ist. Und ebenso ist beim
Herzschmerz durch Koronarspasmus nicht leicht zu entscheiden,
°) „Pathologische Reflexe treten auf bei oberflächlichen
Läsionen der Organe, bei tiefgreifenden verschwinden sie“. (Zitiert
nach Huchar d.)
14. Oktober 1902.
ob es sich nur um den Ausdruck d0. Tr <•
d« „Vasa vasorum conlis“, „der “eh Zh ^ ^ G¥“se>
mischen Parenehymsclimerz des Herzens handelt1 "" "®h*'
Empfindung der Herzangst, des A».„t “7 1 h” t’ Spf?lflsche
von llerzschmerz mit Ilerzaimst fWFi ’• \ ' P1GSe Kombination
des Herzens seihst gesund shul S j ™» ^Gefässe
kranken Teilen des Arterie, s - , ?pasmen i» anderen
gezogen werden HertÄ^' ^
f ^rz:z
gefässe). Umgekehrt kan» bei endTSrTi’ *T
Ooronarme der K’ranmf , _ r JJLT Hi Kränkung- der
verschiedensten Arteriengebiete ütergrei'ta^feX'f ?®
anginösen Schmerzes in die fVf" (irrtdiationen des
tremitäten , der ffiefe” Z. H , ** °beren . Ex‘
m die Bauehgefässe: Angine de r.oit'ri,/^' ’
gique). Warum dabei giesse Ge s LiHe 0
SÄ g“‘-
Im zweiten Fähe auttntt, ist vorläufig- nicht vollkommen klar,
sind die spezifischen angin&Tn jS^h^rdmln' dw Eegei'srl”11’
fiissobli terationen der TT™?*®" ^ Ge'
des Herzens in
Schwächezuständen bis zur plötzliciieiHHerzparaly^au^8^101^™
dann wTm, ’erlfilht' dlc'l’1 Z He^ar?eriei> “dtt offenbar
gemeine Blutdracksteigerang etT Ursaelien (all-
direkte Reizun«- der rw +- ’’ f , oben), sondern durch
Embolus pZziert wirf "T U T™ Thromtes
Stenokardie und die Synkope Tn " äU '’ l!aSS aI1erschwerste
so häufig sind nicht ,, anglnosa resp- plötzliche Tod
durch einen Pfropf veTTpftTZ ^ ““ (?an2e Kranzarterie
anämisch wird sondern ,,, ““ ^0SSW Teil de8 Perzens
kleineren ^ —
in. i \t !ii:xn; medicinisc he Wochenschrift.
1709
Phänomene bei der A rterio s /- ir p,, i >a r st 0 1 1 " 1 'p der angiospastischen
liclikeit für sich eu ST?e w^™chein-
mehr hypothetischer Weise’ den VmSf.i b "V fol#enden in viel
keit zu beseitigen dip T ; , . i > • tlsuch machen, die Schwierig-
Syndrom He.Äe?“+S‘ HeiSTSt ", !U «f?“ «*»*. &
der „echten“ Stenokardie und beiÜnfnm? 111 gleielier Weise bei
vorkommt, in beiden Fällen für euvnerv1°.se,n Anginaformeu
erklären. Dieses Symptomennaar iS m .verKS(*iedei1 bedingt zu
typisch, dass, wenn SS «! beideu Fällen so sehr
fehlen, die gewiegtesten Bpob*,PhwaC^enUStaUde des Herzens
Paroxysmus oft iin Zweifel y„ • 11 behaupten, während des
kardie es sich haiuFh dL ■ welche Form der Steno
eine Folge der I schände des Mvobl vd?^1^11 IvompIex eiinnal für
rein neurotische Empfindung Sf lind.das andere Mal für eine
liehe Sache. 1 dUng zu eiklareil> ist und bleibt eine miss-
Verhältnisse so znreohtlegen:
betroffenen Organe verschiedenpn Pv.iZen UJ?d den Ü nacb dem
twten^Sie 'we^en1 ^ann^icht^wi «efässystem Tuf-
sie werden deswegen auch nicht beu‘?cbbai'ter Gefässteile und
gerung des Gefässinnendrnci-oa punozi.ert durch allgemeine Stei-
nrteriiwerotiÄ ^toSer snSt Ursaeb™ **
zentralnervöse Innervation Ibr nk Ä Sle entstehen durch
Organsystemen her (Harn) DitS , eXe Von §’anz äderen
können die verschiedenen GefässW?, , ’ nefv.0®eu Gefässkrämpfe
gebiet infolge zentraler tti-cjopU r Gefasskrampf ina Koronar-
Ursache in der iÄnh vl Jn ! ^’ w? anderen Formen liegt die
Nothnagels1 Man dürft n « gebart dl.T An.gina vasomotoria
bilde wohl am eliesteii Ä Äe^‘Umllchen Symptomen-
es sich liioi. „.vT -en weiden, indem man annimmt dass
sw.|a«räS£S3&
in anderen GefäSbezirken ''(Bauchiefässe)1^!- Kon,t.1';lktioil('u
vielleicht deswegen nicht ngemsse) kommen durfte, ist
N.th«a,«l‘ÄÄnTÄÄ2r wo" den '»'>
drueksteigerung im Anfall einti-n ‘i 611 a"!; deutliche Blut-
K rehl bemerkt, die Kontraktion ’ der nZ“ Veretandni», wie
ausreichen dürfte 011 dei Hautgefasse wohl nicht
e ÄftÄ, ä'*p f11^® "»» *■ diesen
besonders die durch An f?wi.sse toxische,
t i n i s m u s bedingten wahrsclH'inhv-/ 1 1 -° ^ C b e..u N i k o -
haben mit den arteriosklerotischen gemein1 dfs^sto i*11®8,8
die Lrsachen, die den arteriellen nnifi- n!.,' , ’ da?.s ,sle durch
strengung, Schlaf etc ) nrnvnyipi-t , U?, eikohen (körperliche An-
für ihre Entstehung SVlnfSS.Ä l""** desbalb
fasse, so doch eine besonder«* ip „,,!!• V - b Erkrankung der Ge-
druck vorausseteen. Sornil ÄÄSt' S*T' *» I“>«"
teriosklerotisclien nahe wofür Iabakftenokardie der ar-
Therapie spricht ’ ^ens auc'b der Einfluss der
nnhTeTiuä'TrlSe/dm. 'CÄS <lurfh .«• An-
toris trotz ganz differentpr i>iii a'. ‘ .tndioin Angina pec-
auf denselbe? au “■ leSf.ter Linie iai“er
vor allem den ein Smsmus , gewiss Hinwände erheben,
eine Yerschlechterf/ng "der HLzleXng6^1 doeb' °W
yösen Pseudoanginen notorisch nicht SntHtt M ner'
Ein wand nicht für stichhaltig. Er müSte dann
jenigen sicher vorkommenden Fälle Cmltun- i ,' " ( fur dle'
organische Stenokardie, bei der an de.neu eme
sicher etwas nmi r.* <+ ■ i • au den Herzgefassen sich doch
ss">,o^?®i,itwiÄ!ir üärs
SS5ST ssssfssiagp ■“ = —Sil
VI.
Wie ist nun der ausgezeichnete therapeutische (oder besser
prophylaktische) Effekt des Theobromins gegnüber den auf
Arteriosklerose beruhenden Stenokardien und verwandten Zu¬
standen zu erklären? Unsere bisherigen Kenntnisse über die
Wirkung des Theobromins geben darauf keine Antwort. Diese
Substanz wirkt nach Tierexperimenten als Diuretikum angeblich
nur durch direkte Wirkung auf die Epithelien der Niere. Eine
Wirkung auf die Herzmuskulatur nach Art eines Herztonikums
ist nach den vorliegenden experimentellen Untersuchungen ab¬
solut unbewiesen und nach allen klinischen. Erfahrungen höchst
unwahrscheinlich (von den Fällen, wo es durch Wegschaffung von
Oedemeii günstig auf die gestörte Herzarbeit einwirkt, ist dabei
natur ich abgesehen). Dass es kein einfaches schmerzlinderndes
.Mittel ist wie manche Antipyretika, steht, gleichfalls fest, übri¬
gens wurde eine einfache schmerzstillende Wirkung seinen Ein-
liuss aut die Stenokardie und das Kardialasithma nicht erklären.
Man kann, wie mir scheint, nicht anders, als annehmen, dass
das Theobromin em G e f ä s s m i 1 1 e 1 ist, und zwar ein solches,
das nicht wie das Amylnitnt gewisse Gef ässpartien akut erweitert
sondern das, ähnlich wie die langsam wirkenden Nitrite, geeignet
ist, die pathologisch gesteigerte Reflexerregbarkeit in den Ge-
assen der Artenosklerotiker herabzusetzen, und so den Eintritt
von Spasmen zu verhindern. Vielleicht wirkt es ausserdem, in¬
dem es den durch weit verbreitete Enge der kleinen Gefässe
pathologisch erhöhten Blutdruck etwas1 herabsetzt. Einige tono-
metrisehe Beobachtungen an Patienten mit chronischer Nephritis
und Arteriosklerose mit hohem Blutdruck (ohne Stenokardie)
lassen mich das vermuten. Dass das Theobromin in den bisher
vorgenommenen Tierexperimenten keine Gefässwirkung gezeigt
lat, spricht natürlich durchaus nicht gegen diese Annahme. Eine
prophylaktische Wirkung gegenüber pathologischen Reflexen an
kranken menschlichen Gefässen durch Versuche an gesunden
_ unden beweisen oder widerlegen zu wollen, geht natürlich
nicht an ). Es ist klar, wieso das Theobromin durch die sup-
T- 7) Sollte nicht die bekannte, auffallend günstige Wirkung der
Kombination Digitalis und Diuretiu auch bei solchen ZustfndS
6
1710
MUENCHENER MEDlCLNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
Ho. 41.
ponierte Wirkungsweise auch prophylaktisch gegenüber dem
kardialen Asthma der Nephritiker und Artariosklerotiker (und
nur dieser) sich nützlich zeigt: offenbar durch die Hmtanhaltung
jener besonders bei Nacht auftretenden allgemeinen Geiasskon¬
traktionen, die plötzliche Blutdrucksteigerungen und damit In¬
suffizienz des linken Ventrikels hervorrufen. _ .
Auch noch andere „arterielle“ Schmerzen scheinen, wie ich
hier kurz erwähnen möchte, durch das Theobromin beseitigt zu
werden. Mein Freund, Herr Dozent Dr. Hammerschi a g,
hat mir vor einiger Zeit mitgeteilt, dass heftige, allen anderen
Mitteln gegenüber refraktäre Kopfschmerzen bei einem
alten Herrn mit Arteriosklerose durch Diuretm prompt
beseitigt wurden. Ich habe in letzter Zeit bei einer 64 jährigen
Frau, bei der seit einigen Jahren sich häufig, neuerdings fast
täglich, quälende Kopfschmerzen nach Art einer Migräne mit
Flimmerskotom und Schwindelempfindungen eingestellt hatten,
ganz ähnliche Erfahrungen mit Agurin gemacht. Erfahrungen
über eine eventuelle günstige Wirkung des Theobromins bei der
Claudicatio intermittens der Extremitäten besitze ich nicht. Es
wäre in solchen Fällen wenigstens eines Versuches wert.
Bei der typischen angiospastischen Migräne schien es. mir
in einem Versuche ohne Wirkung. Ebenso versagte es bei einem
Kranken mit Angina pectoris vasomotoria.
Verzeichnis der zitierten Arbeiten.
alter auf (31,6 Proz. der Fälle zwischen 16. und 20., 19 Proz.
zwischen 21. und 25. Lebensjahr) und am häufigsten sind die
Drüsen des Halsgebietes betroffen. Die hauptsächlich in 1 rank-
reicli üblichen Injektionen von Chlorzink und Naphtholkampher
bieten nicht die sicheren Aussichten auf Heilung der lokalen
Tuberkulose wie die Exstirpation. F. schildert eingehend das
jetzige Vorgehen behufs möglichst radikaler Exstirpation, be¬
fürwortet auch den Küttn ersehen breitbasigen Hautmuskel¬
lappen am Halse. Partialoperationen, wie Inzision und Aus¬
schabung, sollen nur bei sehr weit fortgeschrittenen Fallen, im
allgemeinen jedoch nicht vorgenommen werden. Nach einer Zu¬
sammenstellung von 1273 operierten Fällen berechnen sich
57,65 Proz. Heilungen, 28,84 Proz. lokale Rezidive, 13,51 Proz.
Todesfälle (1 — 16 Jahre nach der Operation).
Von den Geschwülsten der Lymphdrüsen findet besonders
das maligne Lymphom eingehende Darstellung, dessen Aetiologie
im allgemeinen noch dunkel ist. Auch bakteriologisch konnte I .
an 12 aufs genaueste untersuchten Fällen nichts nachweisen;
einen ätiologischen Zusammenhang mit Tuberkulose weist auch
F. zurück. Bezüglich der Behandlung rät F. von operativer
Behandlung nicht unbedingt ab, wenn auch bisher nur m wenigen
Fällen scheinbare Heilung von 3—4 Jahren erzielt wurde. Im
allgemeinen bietet die Arsenbehandlung am meisten Chancen,
die nach Z i e m s s e n s u. a. Vorschlägen genauer besprochen
Potain: Dietionn. encyclop. des Sciences med. 18,0. —
Huchard: Maladies du coeur et de l’aorte 1899. — C har cot.
Comptes rendus de la societe de biologie 1858. — Nothnagel.
Perl. klin. Wochensehr. 1867; Kongr. t. inn. Med. V lesbaden 1891
(Diskussion über Angina pectoris); Ueber Gefässclimerzen (\oi-
trag in der Ges. d. Aerzte zu Wien, 10. Nov. 1893); Deutsch. Arch.
f. klin. Med., Bd. III; Zeitsclir. f. klin. Med., Bd. 19. — Askanazy.
Klinisches über Dinretin. Deutsch. Arch. f. klm. Med. 189o.
Krelil: Die Erkrankungen des Herzmuskels. Nothnagels spez.
Path Bd XV _ Blanc: Medico-chirurgical Transactions IV.
Zitiert nach Krelil. — Erb: lieber das intermittierende Hinken
utc. Deutsche Zeitsclir. f. Nervenlieilk., Bd. 13. — Weber.
Societe med. des liöpitaux 1892. — G o 1 d f 1 a m: Deutsche med.
Wochensehr. 1S95, No. 36. — Pauli und K a u i m a n n: W lenei
klin. Rundschau. Festnummer für N o t li n a g e 1, Oktober 1901.
J. Schnitzler: Wiener med. Wochenschr. 1901, No. 11 uncl i-.
Referate und Bücher anzeigen.
Prof. Friedr. Fischer- Strassburg : Krankheiten der
Lymphgefässe, Lymphdrüsen und Blutgefässe. Deutsche Chi¬
rurgie, herausgeg. von E. v. Bergmann und P. v. Bruns.
Lief. 24 a. Mit 12 Abbildungen. Stuttgart, E n k e, 1901. Preis :
11.60 M. . , . . ,
Die Arbeit behandelt nach der 30 Seiten einnehmenden Auf¬
führung der Literatur des betr. Gebietes zunächst die akute Ent¬
zündung der Lymphgefässe, deren Aetiologie, Pathologie und Be¬
handlung, dann die Lymphangitis truncularis, die Lymphangitis
tuberculosa, deren Entstehung durch Eindringen tuberkulöser
Stoffe durch reiche kasuistische Beobachtungen ( J^o r d a n) er¬
wiesen ist, die Lymphangitis syphilit. und die Karzinose der
Lymphgefässe (wobei nach Ansicht des Referenten auch die
Melanose derselben etwas nähere Anführung verdient hätte).
Auch die retikuläre Form der Lymphangitis und die Lymph-
varizen finden nach Symptomen, Diagnose und Behandlung ent¬
sprechende Darstellung. Sodann werden die Erkrankungen der
Lymphdrüsen, die akuten wie die chronischen, der Reihe nach
eingehend besprochen. Der Abortivbehandlung durch Injektion
antiseptischer Flüssigkeiten kann F. nicht das Wort reden, da
häufig Eiterung dadurch entsteht ; auch mit Kataplasmen will F.
nicht Zeit verlieren, sondern plädiert für Exstirpation erkrankter
Drüsen, wobei verdächtiges Gewebe möglichst mitzuentfernen
sei. Im Interesse der Lymphzirkulation rät F. dagegen, mög¬
lichst das gesunde Fettgewebe zu verschonen, besonders das m
nächster Nähe der grossen Gefässe liegende. Bezüglich der
Häufigkeit der Drüsentuberkulose erscheint diese nach einer
grösseren Statistik bei weiblichen Individuen nicht häufiger (die
männlichen verhalten sich zu den weiblichen Fällen wie 4 . o),
weitaus die Mehrzahl der Fälle tritt im Kindes- und Pubertäts-
von Herzinsuffizienz, die ohne wesentliche Oedeme einhergehen,
sich dadurch erklären, dass das Theobromin die Wirkung der Digi¬
talis auf die Gefässe (die ja jetzt wohl zweifellos feststeht; Gott-
lieb und M a g n u s) herabsetzt, während die \V irkung aut den
Herzmuskel bestehen bleibt?
Im 3. Abschnitt werden die chirurgischen Erkrankungen
der Arterien, die akute Entzündung, die chronische Erkrankung,
Endarteriitis def . und besonders die Aneurysmen, eingehend be¬
handelt, deren Aetiologie, Symptomatologie, Diagnose und Be¬
handlung besprochen, bezüglich letzterer die mancherlei jetzt vei-
lassenen Methoden auch erwähnt, die intermittierende Kom¬
pression, G alvano-Elekt ropunktur und Filipunktur und besonders
die verschiedenen Methoden der Unterbindung des näheren ge¬
schildert. Auch das Rankenangiom, die akute Entzündung und
chronische Erkrankung der Venen (Varizen) finden entsprechende
Darstellung.
Einzelne histologische und pathologisch-anatomische Abbil¬
dungen und einige von charakteristischen klinischen Befunden
tragen das ihre zur Erläuterung des Textes bei. Mit der vor¬
liegenden Arbeit ist die „Deutsche Chirurgie“ wieder um eine
wichtige Lieferung bereichert, so dass aus dem allgemeinen ei
nur mehr wenige Lieferungen noch ausstehen. Sehr.
B. K r ö n i g: Die Therapie beim engen Becken. Leipzig,
A. Georg i, 1901. Preis 5 M.
Die Arbeit berichtet in ausführlicher Weise über die in den
Jahren 1891 — 1899 an der Universitäts-Frauenklinik in Leipzig
beobachteten Geburten bei engem Becken. Sie stutzt sich auf
über 700 Geburtsbeobachtungen. #
Bei der Besprechung der Anzeigestellung zu operativen Ein¬
griffen sind die platten Becken mit einer Conjugata vera über
7 cm zusammen mit den mehr allgemein verengten Becken mit
einer Conjugata vera über 714 cm abgehandelt. lür diese
Becken wird die künstliche Frühgeburt verworfen, und weil bei
ihnen mit Wahrscheinlichkeit ein natürlicher Geburtsverlauf er¬
wartet werden darf, ist die Geburt zunächst abwartend zu be¬
handeln. Operativ soll erst vorgegangen werden, wenn bei einer
längeren Geburtsbeobachtung n a c h dem Blasensprunge trotz
anhaltender kräftiger Wehentätigkeit der Kopf nicht durch den
Beckeneingang hindurchtritt. Hat man sich davon überzeugt,
dass eine spontane Geburt nicht möglich ist, so kommt nach den
Erfahrungen der Leipziger Klinik nur die Symphyseotomie und
der bedingte Kaiserschnitt in Frage. Beide Eingriffe müssen
aber abgelehnt werden, wenn bereits Gefahr für Mutter oder Kind
besteht. Ist das Kind bereits gefährdet, so wird es entweder
über diesen grossen Eingriffen absterben oder bald nach der Geburt
zu Grunde gehen, besteht Gefahr für die Mutter (Fieber, Zer
Setzung des Fruchtwassers), so ist nur die Kranioklasie gerec t
fertigt. .
Vor der Ausführung der Symphyseotomie oder des Kaiser¬
schnittes ist der Versuch mit der hohen Zange zu verwerfen.
Nach ausgeführter Symphyseotomie soll die Ausstossung
des Kindes abgewartet und nur eingegriffen werden, wenn durch
das Verhalten der Mutter oder des Kindes hierfür eine Anzeige
eintritt. Bei abwartendem Verhalten lassen sich sicherer Zer
14. Oktober 1902.
reissungen der Weichteile und schwer zu stillende Blutungen ver¬
meiden. ö
Es ist fraglich, ob die Symphyseotomie eine Einschränkung
des Ka.serseto.ttes aus bedingter Anzeige bringen wird. Sie
stellt bei der Operation und in der Nachbehandlung höhere An¬
forderungen und lasst öfter längere Störungen (Incontinentia
ur nae Storungen der Gehfähigkeit) zurück, sie vermeidet aber
sicher Bauchbruche und erleichtert sehr häufig die späteren Go-
bürten.
Stellt sich das Kind in Quer- oder Beckenendlage zur Ge¬
läut, so. soll bei den Beckenverengerungen über 7 bis 7V2 cm im
allgemeinen der Kaiserschnitt und die Symphyseotomie nicht
ausgefu hrt. werden, weil hier die Beobachtung des Geburtsver-
laufes zur Beurteilung des Einflusses, den das enge Becken aus-
ubt, lernt.
Von der Impression des Kopfes in Walcher scher Hänge¬
lage ist eine wesentliche Erleichterung des Geburtsverlaufes nicht
zu erwarten.
Ebenso wird bestritten, dass die künstliche Frühgeburt die
prophylaktische Wendung und die Zange am über dem Becken¬
eingang stehenden Kopfe im stände seien, die Vorhersage für
Mutter oder Kind beim engen Becken zu bessern.
Die Kranioklasie bei lebendem Kinde ist auf die Fälle zu
beschränken, bei denen schon Gefahr für die Mutter besteht
oder wenn bei ungünstigen äusseren Verhältnissen Symphyseo¬
tomie und Kaiserschnitt sich verbieten. Der Versuch der hohen
Zange vor Ausführung der Kranioklasie ist zu unterlassen.
, , Die Kranioklasie bei totem Kinde verdient weitere Aus-
ochnung, sie soll stets, bei grösseren Widerständen und bei Ge-
itirn für die .Mutter in Anwendung1 kommen.
Bei einer Verengerung der Conjugata vera unter 7 cm beim
platten und unter 7% cm beim allgemein verengten Becken ist
die Geburt eines ausgetragenen Kindes nicht mehr zu erwarten.
Es kommen also hier bei lebendem Kinde und nicht gefährdeter
Mutter der Kaiserschnitt und die Symphyseotomie in Frage,
etzteie jedoch nur dann mit günstigem Ergebnis für Mutter
und Kind, wenn im allgemeinen die Conjugata diagonalis nicht
unter 8% cm beträgt.
Ist die Mutter in Gefahr, d. h. besteht Fieber oder Zer¬
setzung des Fruchtwassers, so ist bis zu einer Verengerung der
Conjugata vera wenig unter 6 cm die Kranioklasie auszuführen.
Bei einer Conjugata vera von etwa 6 cm soll im allgemeinen bei
lebendem und totem Kinde der Kaiserschnitt ausgeführt werden
und zwar womöglich am Ende der Eröffnungszeit vor oder we¬
nigstens bald nach dem Blasensprunge.
. Die sehr günstigen Ergebnisse, die an der Leipziger Klinik
nnt der Symphyseotomie und dem Kaiserschnitt erzielt werden,
mögen eine derartige Befürwortung für die Klinik vielleicht
rechtfertigen, sicherlich trifft dies aber für die allgemeine Praxis
nicht zu. Betrug doch z. B. in Bayern nach dem letzten General¬
bericht die Sterblichkeit nach den in den Kliniken und in der
I raxis ausgeführten Kaiserschnitten über 30 Proz. ! Dagegen
ist der Empfehlung eines mehr abwartenden Verhaltens hei den
mittleren Graden der Beckenverengerung und der Einschränkung
der Wendung für diese Fälle gewiss nur zuzustimmen. Der
völligen Verwerfung der künstlichen Frühgeburt und der pro¬
phylaktischen Wendung wird wohl kaum jemand zustimmen
W0 en* A. Gessner- Erlangen.
MüENCIIENEB MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1711
Piof. Dr. A. H o c h e, unter Mitwirkung von Prof. Dr.
A s ch aff e n b u r g, Privatdozent Dr. E. S c h u 1 1 z e, Prof.
iJr. W o 1 1 e n b e r g: Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie.
August II i r s c h w a 1 d. Berlin 1901. 732 Seiten.
Es ist recht erfreulich zu sehen, wie die Berücksichtigung
der .Tatsachen gegenüber der rein theoretischen Deduktion
auch m der Jurisprudenz Schritt für Schritt Boden gewinnt, trotz
^wussten. und durch manche unnötige Gefühlsbetonung ver¬
schärften Widerstandes der Grosszahl der Juristen. Ein
sprechender Ausdruck liiefür ist die buchhändlerische Möglichkeit
eines Werkes, wie das vorliegende.
Im ersten Teil des Buches werden die „rechtlichen Grund¬
lagen der gerichtlichen Psychiatrie“ erörtert, d. h. die einschlägi¬
gen Gesetzesbestimmungen in ihrer Begründung, ihrer recht-
lchen und praktischen Bedeutung und Tragweite dargelegt.
Ein Muster von Klarheit und logischer Schärfe ist der von
Aschaffenburg bearbeitete erste Abschnitt geworden, der
das allerdings relativ einfache Material, das das Strafrecht bietet,
m sich aufgenommen hat.
Zurechnungsfähigkeit, Strafunmündigkeit, •geschlechtliche
Vergehen, Verantwortlichkeit des Irrenarztes, das Recht der
chirurgischen Eingriffe an Geisteskranken und das Berufsgeheim¬
nis finden ihre erschöpfende Behandlung, sowohl de lege lata,
als m den weitgehenden, aber scharf begründeten Wünschen der
lex ferenda In. dem Abschnitt über die Strafprozessordnung
bildet natürlich die formelle Sachverständigentätigkeit ein wich¬
tiges Kapitel.
Es . folgt die verwickeltere zivilrechtliche Psychiatrie
(S c h u 1 1 z e) mit der Geschäftsfähigkeit und ihren Beeinträchti¬
gungen, den Formen und Gründen der Entmündigung, der Pfleg¬
schaft, die Ehe- und Testierfähigkeit, die Deliktfähigkeit für
eigene und Dritter Handlungen.
. Im zweiten Teil gibt der Herausgeber selbst die Grundzüge
einer allgemeinen gerichtlichen Psychopathologie, die allgemeine
Symptomenlehre, die Diagnose des Irreseins mit den Grenz-
zustanden und der Simulation und Dissimulation, hierauf von
Wolle n berg ergänzt, eine Klinik der einzelnen Psychosen.
Schon die allgemeine Psychopathologie behandelt manches,
was der Arzt eher in einem Lehrbuch der Psychiatrie suchen
wird ; dass aber Leute ohne psychiatrisch klinische Bildung, z. B.
das Gros der Juristen, diese genügend verstehen, um sie praktisch
verwerten zu können, scheint dem Referenten ausgeschlossen — -
trotz der prächtigen, verblüffend einfachen Darstellung (die Her¬
vorhebung des Wichtigsten durch gesperrte Schrift wird durch
Missbrauch der letzteren ziemlich verunmöglicht), doch ist dieses
Kapitel wegen der speziellen Beziehung zur Jurisprudenz (Auf¬
lassung der Bewusstlosigkeit, des Willens etc.) nicht zu entbehren.
Eine wohl, unlösbare Schwierigkeit bietet aber in einem sol¬
chen Werke, die Beschreibung der einzelnen Psychosen. Setzt
man alles nötige hinein, so wird der Raum auch eines so gross
angelegten Buches um ein vielfaches überschritten, geht man nur
a in die Details ein, wo die forensischen Gesichtspunkte es ver¬
langen, so erhält man eine unzusammenhängende Darstellung,
die nur dem verständlich ist, der die klinische Psychiatrie bereits
beherrscht.
. So finden wir hier ganz ungleichmässige Abschnitte : bei den
einen Krankheiten ganz kurze Zusammenfassungen der wich¬
tigsten Symptome, mit besonderer Berücksichtigung des foren¬
sisch Bedeutsamen; bei den anderen eine ausführliche, wenn
auch unmöglich erschöpfende Darstellung, die z. B. bei Alkoholis¬
mus und Epilepsie sehr willkommen sein wird, da die Lehrbücher
der Psychiatrie hier für diese Zwecke zu kurz bleiben; bei anderen
ist kaum versucht worden, ein Krankheitsbild zu skizzieren, so
bei den Verblödungsformen und den angeborenen Schwäche-
zustanden. Die kurze Abfertigung der ersten ist aus praktischen
Gründen gewiss zu loben, wenn auch der juristische Teil da und
dort eine klinische Ergänzung gut vertrüge, z. B. in Bezug auf
die Bedeutung der Dementia praecox als Ehescheidungsgrund.
Dagegen lässt sich die kurze Behandlung des angeborenen Blöd¬
sinns nur aus Raummangel erklären; denn die Lehrbücher sind
hier unzureichend und einige klinische Fingerzeige, wie der ge¬
sunde Menschenverstand bei den Untersuchungen auf Schwach¬
sinn anzuwenden sei, namentlich Hinweise, in welcher Rich¬
tungen nach Lücken des Verständnisses gesucht werden müsse,
wären gewiss sehr nützlich. Auch für eine klare Charak¬
terisierung der als Gefängnis- und Militärpsychosen bezeichneten
Zustände, deren Eigentümlichkeiten die Lehrbücher der Psychia¬
trie ebenfalls nicht gerecht werden, hätte sich vielleicht da und
doit etwas Platz sparen lassen. — Die funktionellen traumatischen
Psychosen, denen die allgemeine Beschreibung der Hysterie und
Neurasthenie nicht genügen kann, sind, trotz der Vertröstung
des einen Verfassers auf den folgenden, vernachlässigt. Wenn
dieses schwierige. Kapitel hier nicht erörtert werden konnte, so
wäre wohl wenigstens eine Verweisung auf die benutzbare
Literatur erwünscht gewesen.
Im übrigen finden sich Wiederholungen und Widersprüche,
die unvermeidlich durch das Zusammenarbeiten mehrerer be¬
dingt werden, merkwürdig selten und nur in unbedeutenden
Nebensachen.
Das Buch, das an Vollständigkeit alle anderen übertrifft, ist,
wie ja die Namen seiner Bearbeiter mit Sicherheit erwarten
lassen, ein ausgezeichnetes und wird hoffentlich recht viel Gutes
stiften de lege lata, wie de lege ferenda. Es wäre sehr zu
6*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
wünschen, dass auch die unterdrückten Kapitel über soziale Ge- |
setzgebung und Irrenrecht in absehbarer Zeit erscheinen und das
Werk zu einem lückenlosen Ganzen abrunden würden.
Bleuler- Burghülzli.
Aerztliclie Kriegswissenschaft. Vierzehn Vorträge. Heraus¬
gegeben vom Zentralkomitee für das ärztliche Eortbildungswesen,
in dessen Aufträge redigiert von Prof. K u t n e r. 333 Seiten
mit 2 Tafeln, 56 Abbildungen und 14 Diagrammen im Text. Ab¬
druck aus dem klinischen Jahrbuch, 9. Bd. Jena, Gustav
Fischer, 1902. Preis broch. 6 M., geb. 7 M.
Das Buch umfasst 14 Vorträge, welche das Zentralkomitee
für das ärztliche Fortbildungswesen im Herbst 1901 in Berlin
veranstaltet hat, davon beziehen sich 4 auf die Militär¬
gesundheitspflege : R. Koch: Seuchenbekämpfung im Kriege.
M. Kirchner: Ernährung und Trinkwasserversorgung im
Felde. Schumburg: Hygiene des Marsches und Truppen¬
unterkunft. Krocker: Bekleidung und Ausrüstung. 6 Vor¬
träge umfassen die Kriegschirurgie : v. Bergmann: Erste
Hilfe auf dem Schlachtfelde und Asepsis und Antisepsis im
Kriege. Küttner: Schusswunden an den Extremitäten.
König: Schussverletzungen am Rumpfe, v. Bergmann:
Schusswunden des behaarten Kopfes. A. Köhler: Hieb- und
Stichwunden. Die letzten 4 Vorträge beziehen sich auf die
Organisation des Kriegssanitätsdienstes und die Kriegssanitäts¬
statistik: Schjerning: Organisation des Sanitätsdienstes
im Kriege. Werner: Krankentransport und -Unterkunft im
Kriege. Schaper: Krankenpflege im Kriege. K ü b 1 e r :
Kriegs-Sanitätsstatistik. Die Vorträge geben eine vortreffliche
Uebersicht über die gesamte ärztliche Kriegswissenschaft; sie
sind auch einzeln im Buchhandel zu haben.
Dieudonne - Würzburg.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für klinische Medicin. 1902. 46. Bd. Heft
1. bis 4. Festschrift für Theodor Dun in in Warschau.
1) W. D o m b r o w s k i- Warschau: Untersuchungen, über
das Kontagium der Pocken.
Verfasser fand im- Inhalt der Variolapustel in den ersten
Stadien derselben zahlreiche feine, dunkle, punktförmige Gebilde
mit lebhafter Bewegung und hellem Saum; in den späteren Stadien
waren diese Gebilde weniger zahlreich, dafür traten mehr grössere,
regelmässig geformte Kugeln mit deutlichem schmalen, weissen
Saum teils frei, teils in den Leukocyten auf. Häufig sind Doppel¬
gebilde zu selieu und zwar namentlich solche, bei welchen das eine
Gebilde bedeutend kleiner ist als das andere, so dass das ganze
Bild sehr an die Sprossung der Hefezellen erinnert. Dieselben Ge¬
bilde fand Verfasser auch im Abszesseiter; im Blute fanden sich
die kleinsten Formen. Mit Anilinfarbstoffen Hessen sie sich nicht
färben. Der Versuch, sie auf Agar oder Gelatine zu züchten,
schlug fehl; die mit Pustelinhalt geimpften Platten blieben steril.
Die mit dem Pustelinhalt übertragenen Kügelchen blieben Monate
lang erhalten. Tierversuche wurden nicht angestellt. Verfasser
hält die Kügelchen für die Erreger der Variola, welche sich von
den von Pfeiffer gefundenen hauptsächlich durch Fehlen der
Vermehrung auf dem Wege der Sporoblastenbildung unterscheiden,
sonst ihnen ziemlich ähnlich sind.
2) M. Ha Ipern: Zur Frage über die Behandlung der
Aortenaneurysmen mit subkutanen Gelatineinjektionen. (Aus
der inneren Abteilung Dun ins im Krankenhause Kindlein Jesu
in Warschau.)
Verfasser machte bei zwei Kranken mit Aortenaneurysmen
Injektionen mit 2 proz. Gelatinelösungen von 100 — 200 ccm, ohne
damit irgend eine Besserung oder einen Stillstand der Krankheit
zu erzielen.
3) St. Kopczynski: Kasuistische Beiträge zur Kenntnis
der Geschwülste und Abszesse des Gehirns. (Aus der Nerven -
klinik der Universität in Warschau.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
4) W. JanoAVSki: Ueber die diagnostische und pro¬
gnostische Bedeutung des Blutbrechens. (Aus dem Krankenhaus
Kindlein Jesu in Warschau.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
5) Derselbe: 3 Fälle von Neuritis arsenicalis.
Verfasser geht im Anschluss an drei diesbezügliche Fälle
näher auf die Aetiologie, die Symptomatologie und die Therapie
der Arsenikneuritis ein. Hienaeli kommt die Neuritis sowohl in¬
folge von akuten als auch von chropLSchenVergiftunge.il mit Arsenik
vor. am häufigsten allerdings bei akuten Vergiftungen. Die Läh¬
mungen entwickeln sich am öftesten an den unteren Extremitäten,
besonders im Peroneusgebiet, greifen nicht selten auf die oberen
Extremitäten über;- in manchen Fällen werden auch Lähmungen
im Gebiete der Gehirnnei’ven beobachtet. Die nicht gelähmten
Muskeln zeigen oft Kontrakturen, besonders die Beuger an den
unteren und oberen Extremitäten; gleichzeitig finden sich häufig
Muskelzittern und tonische Krämpfe. Die Muskelatrophie, welche
meist, aber nicht immer, die Lähmung begleitet, erreicht je nach
der Intensität verschiedene Grade. Schmerzen sind sehr häufig
vorhanden und gehören zu den am frühesten auftretenden Sym-
tomen; nicht selten sind Pariisthesien. Die Nervenstämme und die
Muskeln sind häufig auf Druck empfindlich. Der Tastsinn ist auf¬
gehoben oder vermindert bei gleichzeitig bestehender Hyperalgesie;
Temperatursinn, Drucksinn, Ortssinn bleibt häufig normal. Der
stereognostisclie Sinn ist meist sehr stark und lange dauernd ge¬
stört: der elektrische Sinn, entsprechend der Hyperalgesie, meist
gesteigert; die elektrische Erregbarkeit zeigt alle Uebergänge von
der kompletten Entartungsreaktion zum normalen Verhalten. Die
Hautreflexe sind normal oder gesteigert oder vermindert; die
Sehnenreflexe verschwinden oft für lange Zeit, manchmal kehren
sie früh wieder und werden gesteigert. Die mechanische Muskel¬
erregbarkeit ist häufig gesteigert; Ataxie ist in der Mehrzahl der
Fälle vorhanden. Vasomotorische und trophische Störungen sind
nicht selten. Blasen- und Mastdarmstörungen und Störungen der
Genitalfunktionen kommen hie und da vor. Sehstörungen sind
selten, noch seltener Gehörstörungen und psychische Störungen.
Die Prognose ist ziemlich günstig. Der Sitz der Erkrankung ist
primär in den peripheren Nerven, sie kann aber sekundär auch auf
das zentrale Nervensystem übergreifen. Für die Diagnose und Be¬
handlung ist das Auffinden des ätiologischen Momentes von aus¬
schlaggeltender Bedeutung.
(b .T. M a rkie w i c z: Beitrag zur chronischen ankylosieren¬
den Entzündung der Wirbelsäule. (Aus der Abteilung D u n i n s
im Kindlein Jesu-IIospital zu Warschau.)
Von den drei Fällen des Verfassers waren bei dem ersten
hauptsächlich das Kreuzbein und die unteren Lendenwirbel affi-
ziert, bei den beiden letzten ausser den Gelenken der Wirbelsäule
auch die Hüftgelenke und Gelenke der oberen Extremitäten,
bei dem dritten ausserdem noch die Kiefergelenke betroffen.
7) S. M int z- Warschau: Ueber hämorrhagische Magen¬
erosionen.
Das von Einliorn auf gestellte Krankheitsbild der liamor-
rliagischen Magenerosionen wurde vom Verf. bei zwei Patientinnen
diagnostiziert bei welchen neben Erbrechen und Magenschmerzen
als wichtigster Befund konstant Partikelchen von Magenschleim¬
haut in der Spülflüssigkeit des nüchtern ausgespülten Magens
zu finden waren. Die Salzsäureabscheidung kann dabei von
Superazidität bis zur Anazidität variieren; die Motilität ist meistens
ungestört. Die Behandlung besteht in Spülungen mit Höllenstein-
lösungen, 1— 2 prom., und in Darreichung grosser Bismutlidosen;
eventuell ist eine typische Ulcuskur einzuleiten.
8) St. Mutermilch- War schau: Die chemischen und
morphologischen Eigenschaften der fettigen Ergüsse (Hydiops
chylosus et chyliformis).
Bei einem 5 monatlichen Kinde trat im Anschluss an einen
Fall eine Flüssigkeitsansammlung in der rechten Pleurahöhle auf.
Die Untersuchung der aspirierten Flüssigkeit, welche milchiges
Aussehen hatte, ergab, dass es sich um eine sehr feine Fett¬
emulsion handelte. Der Gehalt an Fett und an Eiweiss war ziem¬
lich bedeutend, das Fett in Form zarten Staubes voi lianden,
grössere Fettkugeln oder Fettropfen fehlten. Demnach harte sich
Chylus ergossen. Zur Unterscheidung von fettigen Ergüssen,
weiche durch Verfettung zeitiger Elemente des Exsudates ent¬
stehen, dienen folgende Momente. Bei letzteren Ergüssen finden
sich alle Uebergangsformen der verfetteten Zellen zu freien bett¬
tropfen vor. Traubenzucker, dessen Anwesenheit in mehr als
zweifelhaften Spuren früher als beweisend für Erguss von Gliylus
angesehen wurde, kommt auch in ganz gewöhnlichen Trans¬
sudaten und Exsudaten vor. Der Nachweis zahlreicher viel¬
kerniger, neutrophiler Leukocyten spricht gegen die cliylose Natur
einer Flüssigkeit. Endlich spricht der U ebergang von Naliiungs-
fett direkt für die chylöse Natur.
9) a. Pulawski: Periodische Neurasthenie. (Aus der
Heilanstalt in Nalentsclioff.) .
Verf. beschreibt 9 selbst beobachtete Fälle von periodischer
Neurasthenie. Die Neurasthenie tritt bei dieser Krankheitsform
in Anfällen auf oder exazerbiert wenigstens anfallsweise. Die
Dauer der Anfälle variiert von einigen Stunden bis zu mehreren
Monaten. Manchmal treten die Anfälle stets zur gleichen Tages¬
zeit auf. so dass Verwechslungen mit Malaria Vorkommen können.
Die Anfälle haben den Charakter der Depression. Fälle, bei
denen Exzitationsstadien auch Vorkommen, gehören zu der zirku¬
lären und alternierenden Neurasthenie und sind meist zu wirk¬
lichen Psychosen zu rechnen. Bei der periodischen Neurasthenie
ist die hereditäre Belastung belanglos; die Prognose der periodi¬
schen Neurasthenie ist ungünstiger als die der gewöhnlichen b orm.
Für die Pathogenese der periodischen Neurasthenie hat die An¬
nahme einer Autointoxikation sehr viel Wahrscheinliches.
10) Derselbe: Versuch der Nährwertsbestimmung m
einer Heilanstalt. . . ,
Verfasser berechnet die Mengen von Eiweiss, bett und Konie-
hydraten, sowie die Kalorienzahl, welche bei den verschiedenen
Mahlzeiten in den einzelnen Gerichten in der Heilanstalt Nalent-
sclioff auf die einzelne Person treffen, hauptsächlich nach den
Koni g sehen Tabellen.
11) .T. Pstrokonski: Zur pathologischen Anatomie und
Klinik des primären Magensarkoms. (Aus dem pathologisch-
anatomischen Institut in Warschau.)
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet. .
12) C. v. Rzetkowski: Zur Lehre des Stoffwechsels bei
chronischer Nierenentzündung. (Aus dem Kindlein Jesu-IIöspita
in Warschau.)
14. Oktober 1902.
MtTEN CTIENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1713
tt.,+01?.10 iUlter V'.-,N °,° v (1 0 n s Leitung in Frankfurt ausgefiilirten
I nteisuchungen des Verfassers bei einem Kranken mit chronischer
tlTI, glSCl??' «-gaben als Untei-sclnede Im ISff-
^eclistl gegenüber dem Gesunden: Retention von Phosolmten
dpm 11 kl1 n^eu hl der täglichen N-Ausselieidung mit
dim Hain, endlich etwas verminderte, die niedrigste Norm-ihn-enzo
ab«; nicht ilbei-schfeltende Harnsauremengen n Ha f- " ,1s
schbesst der Verfasser, .lass die Nieren 1,“ toto eSmnkt waten
r“e”n“ faTfSni»artl?f **<* “flslert umi
zn emei fast völligen Kompensation ausreichend waren Die
hieuaus sich ergebenden Indikationen für die Belmndlum*- sind die
möglichster Schonung der Nieren. Das Eiweäss soll ideht n r in
1' 01111 1011 ?Illcl1 gereicht werden, da sonst die Flüssigkeitsmenge
rIüpa7ieW1wiVSSonmt1 eS kM] Kiise’ gekochte Eier, verschiedene
i lapaiate, A\ie Somatose, Nutrose, und auch gesottenes Fleisch
re?iernde Hiilfte rte» Eiweissbedarfes
duicli Milch (1% Liter) zu decken ist. Ferner sind Perioden mit
laxeiei I hat zu gestatten, da es nicht möglich ist. jahrelang strenge
Diät ununterbrochen durchzuführen. Die Schädlichkeit des Vlkoliols
scheint zwar im allgemeinen übertrieben zu Averden, derselbe ist
jedoch mii zu gestatten, wenn er die Aufnahme anderer Naliruims-
sto'fe. Ane^der Fette, befördern oder als Stomacliikum bei gänz-
he lei Appetitlosigkeit und stark heruntergekommenem Eriiiihrun«-s-
zustande dienen soll. Endlich soll der Einfluss der Diät R die
Ausscheidungen im Harn überwacht werden.
1 vi’1 1 v r j 1 11 S k 1 ’ Woloczyska : lieber die operative Be¬
handlung des Hydrops Anasarka.
,1or \01'fasser ziellt auf 6rund seiner Erfahrungen die Entleerung
der Oedeme an den Beinen durch Punktion mit Drainage d£
.Klugen durch Inzision vor. da es bei ersterem Verfahren leichter
gelingt, die Extremitäten trocken zu halten.
, ^l-Anas^.az*Y, E and au: Untersuchungen über die Lei¬
stungsfähigkeit der Nieren mit Hilfe des Methylenblau ( Vus
VarSuT AbtelImis D " '■ ‘ >' » Im Kimllem .Tem.-HoSital lÜ
,a,es Verf?sseFs mit subkutanen Injek-
, ’ f) ' & J^tliylenblau in wässriger Lösung sprechen nicht
zu Gunsten der Methylenblaumethode. Bei akuten Nierenent
Bildungen, bei welchen aus dem sonstigen Befund auf eine sehr
intensive Storung der Nierenfunktion geschlossen werden musste
T\ar nur eine sehr geringe Verspätung des Anfangs und eine
massige V erlangerung der Ausscheidung zu konstatieren, während
nach Bard em verfrühter Anfang und eine verkürzte Dauer der
Ausscheidung zu erwarten gewesen wäre. Bei chronischer par-
. encliymatoser Nephritis fand sich ebenfalls statt Verfrühung Ver-
7P,vtinfi id<iS i ,Aufangs der -Ausscheidung. Bei Schrumpfniere
zeigte sich bald ganz normaler Typus der Ausscheidung, bald ver¬
frühter Anfang und verlängerte Dauer, nie dagegen verspäteter
Anfang und verlängerte Dauer der Ausscheidung, Avie es nach den
französischen Autoren zu erwarten geAvesen Aväre. Bei Stauungs-
niere infolge von Herzinsuffizienz zeigte sich eine Tendenz zu Ver¬
spätung des Anfangs und zur Verlängerung der Dauer der Aus¬
scheidung. Bei Fällen mit Arteriosklerose Aveeliselten die Ver-
haltnisse der Ausscheidung sehr. Die Methylenblaumethode ge¬
stattet also weder einen Schluss auf die Art der Nierenerkrankung
noch auf den Grad der Niereninsuffizienz.
, Tr' Henryk L a n d a u: Experimentelle Untersuchungen über
aas Verhalten des Eisens im Organismus der Tiere und Men-
t-- e^‘ . ^Alls der -Abteilung 'und dem Laboratorium Dunins im
Kindlem Jesu-Hospital in Warschau.)
Verfasser gibt zunächst eine kritische Uebersiclit über die
Literatur der Eisenfrage und beschreibt dann seine Untersuchungen
«am Menschen und an Tieren, bei welchen teils mikrochemisch
auf Eisen m den verschiedenen Organen mit Schwefelammonium
nezw. I erroeyankalium geprüft wurde, teils quantitative Eisen¬
bestimmungen in den Organen gemacht Avurden. Die Resultate
( u sei Vei suche sind: Bei Menschen Avie bei Tieren Averden die
«anorganischen Eisensalze ausschliesslich im Duodenum resorbiert,
durch Lymph- und Blutgefässe. Die absoluten Mengen des resor¬
bierten Eisens sind hiebei sehr gering. Das resorbierte ’ Eisen
wird hauptsächlich in der Milz, zum Teil auch in der Leber und
nn Knochenmark abgelagert, in beiden letzteren wahrscheinlich in
emer testen organischen Verbindung, in welcher es durch die ge¬
wöhnlichen Reagentien nicht immer nachweisbar ist. Nur das in-
lolge massenhaften Zerfalls von roten Blutkörperchen frei
Averdende Eisen sammelt sich fast völlig in der Leber in Form
einer lockeren Verbindung an, Avodurcli der Gesamteisengehalt
des Organes bedeutend steigt. Die Eisenausscheidung findet haupt¬
sächlich in den unteren Darmabschnitten (Blind-, Dick-, Mastdarm),
ni viel geringerem Masse in den Nieren, in den gewundenen Ka¬
nälchen statt. Zusatz von anorganischen Eisensalzen zum ge¬
wöhnlichen Futter steigert bei Kaninchen den Eisengehalt der
Leber und der Milz ziemlich bedeutend. Zusatz von anorganischen
Eisensalzen zu künstlich eisenfreier Nahrung steigert den Eisen¬
gehalt bedeutend, letzterer erreicht aber nicht den Eisengehalt
normal gefütterter Tiere. Die Zufuhr anorganischer Eisensalze
nbt einen günstigen Einfluss auf die Entwicklungsfähigkeit und
auf den Allgemeinzustand der Tiere aus. Der Grund der Wirk¬
samkeit. der anorganischen Eisenpräparate bei anämischen Zu¬
standen ist nicht in deren Nebenwirkung auf die blutbildenden
Organe, sondern wahrscheinlich in einer direkten Wirkung zu
suchen, indem sie das Material zur Hämoglobinbildung und damit
zur Bildung von roten Blutkörperchen liefern.
Ib) .T. S w i e n t o c h o w s k y.: Ueber den Einfluss des Al¬
kohols auf die Blutzirkulation.
l-n.nL, f 1 1 1 , te m Ueberemstimmung mit dem bisher Be¬
kannten durch sphymographische Kurven als Wirkung des Al¬
kohols vor allem Erweiterung der Blutgefässe, ferner Besclileu-
«m,T8 w 61‘ Herzaktl?11 nachweisen, ferner mit dem Gärtner-
"tlieu Tonometer leichte Druckverminderung; dass ein Schluss
Verbesserung der Herzarbeit aus dem Vollerwerden des
l ulses und der I requenzzunalime bei Alkoholzufuhr nicht an¬
gängig ist, zeigen Untersuchungen bei Arteriosklerose, bei welcher
die Aenderung der Gefässweite beeinträchtigt ist. Es zeigte sich
hier deutlich ebenfalls Druckabnahme. Dasselbe zeigte sich be
lm heiSßen Baa°> in welchem auch durch den
Alkohol keine nennenswerte Erweiterung der Gefässe mehr
hervorgerufen Averden konnte. Ebenso war bei einem fiebernden
Phthisiker, der bei hoher Pulsfrequenz und sehr bedeutender Ge-
f a sserweiterung einen sehr niedrigen Blutdruck hatte durch VI-
kohol keine Besserung zu erzielen, sondern es trat jedesmal kurze
Zeit nach der Alkoholzufuhr Kollaps auf. Bei einem Falle von
Heimsystolie, bei welchem durch einmaliges Gehen durch das
Zimmer die zweite Welle im Pulsbilde hervorzurufen war w-lr
AikoholAJal°sll0lTfU-h1' di6S nicht 211 ei'ziel(‘n- Es kommt' dem
Alkohol also keine erregen d e, sondern eine s c h aa- ä
chen de Wirkung auf das Zirkulationssystem zu.
L i n d e m a n n - München.
Centralblatt für innere Medicin. 1902. No. 37.
Luigi Ferra nini: Alimentäre Glykosurie und Lävulo-
sune bei Erkrankungen der Leber.
Nach einem kurzen geschichtlichen Rückblick über die ali¬
mentäre Glykosurie und Lävulosurie berichtet Verf. über Unter¬
suchungen auf alimentäre Lävulosurie und Glykosurie bei 16 kli¬
nisch beobachteten Lebererkrankungen. In einem Falle war im
I rin nach Darreichung von 100 g Traubenzucker und 100 g Lävu-
mse weder l raubenzucker noch lümilose naclizuAveisen In
15 Fällen war die Lävuloseprobe, in 10 Fällen die Traubenzucker-
probe positiv. Die Lävuloseausselieidung war bei «allen Kranken
deutlicher als die Glykoseausscheidung.
Es ergibt sich daraus, dass die Lävulose mehr als die Gl.vkose
die Insuffizienz der glykogenbildenden Funktion der Leber anzeigt
und dass man bei den Erkrankungen der Leber die Probe auf
alimentäre Glykosurie mit Lävulose und nicht mit Traubenzucker
anstellen muss. , K. L i e p e 1 1 - Berlin.
No. 40. 1902.
_ *4' ® 11 (1 ° r 1 f e v- Ein Fall von Vergiftung durch die
Uouglasfichte (Tsuga Douglasii).
Eine etwa 60jälirige Gärtnersfrau erkrankte, nachdem sie
sich wahrend zweier Tage und eines Teiles der Nacht in an¬
gestrengter Weise mit Kränzebinden unter fast ausschliesslicher
t envendung von Zweigen der Douglasfichte beschäftigt hatte mit
Kopfschmerzen. Uebelkeit; bald bildete sich ein schwerer Sopor
mit unwillkürlicher Harn- und Stuhlentleerung, SeliAväche des
linken Armes aus. Erscheinungen von Benommenheit, Unbesinn¬
lichkeit, Unruhe hielten an. Im Urin kein Terpentin. Erst nach
etAva 5 Wochen genas Pat, während der Rekonvaleszenz traten
die psychischen Symptome, Gedächtnisschwäche, leichte Benom¬
menheit am längsten lieiwor. Als Ursache wird Vergiftung mit
einem toxischen, nicht näher festgestellten Stoff der Douglasfichte
angenommen, der durch die Atmung und durch die Haut der
Hände (bei dem Kranzbinden) in den Körper eindrang. Aelmliehe
Erkrankungen leichteren Grades hatte Pat. bei derselben Arbeit
Aviederliolt durchgemacht. Beobachtungen gleicher Art Avie die
des Verf. liegen bislang nicht vor. " ' W. Zinn - Berlin
j
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie,
Bd. VI, Heft 5. 1902.
1) Wilhelm Schlesinger - Wien: Ueber das Nahrungs¬
bedürfnis der Diabetiker. (Aus der I. medizinischen Klinik des
Hofrats Prof. N o t h n a g e 1.) 1. Teil.
2) Theodor Büdingen- Todtmoos (Schw.arzAvald): Ueber
den Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die
Reflexerregbarkeit. Experimentelle Untersuchungen und kri¬
tische Betrachtungen.
^ ersuche am Nervmuskelpräparate des Frosches und ent-
liirnten Fröschen zeigten, dass weder die Bestrahlung mit kon¬
zentriertem roten oder blauen elektrischen Bogenlichte, noch
Sonnenlichte nach Eliminierung der Wärmestrahlen eine direkte
Erregung der Nerven und Muskeln zu stände bringt; ebensoAveuig
liess sich eine Tätigkeitsänderung anderweitig gereizter Muskeln
durch Licht nachAveisen. Die Reflexerregbarkeit des Rücken¬
markes Avurde durch auf die Haut applizierte Strahlen nicht be¬
einflusst.
3) E. M o r y - Adelboden (Schweiz): Die Fangokur und deren
Indikationen.
Erfolgreiche Anwendung bei akutem und chronischem Rheu¬
matismus, gonorrhoischen Gelenkentzündungen, typischem Gicht-
anfalle, Muskelrheumatismus, Lumbago, Icliias und anderen Neur¬
algien, Neuritiden und Beschäftigungsneurosen. Beckenexsudaten,
Metritiden, Oophoritis. Salpingitis, ferner bei Nachbehandlung von
Distorsionen und Frakturen.
4) Alfred Martin: Verwendung älterer Fahrradsysteme
zu therapeutischen Zwecken. (Aus der medizinischen Klinik zu
Zürich.) (Mit 6 Abbildungen.)
Beschreibung atou Fahrrädern, bei denen statt der kreisrunden
Pedalkurbeln Elipsenkurbeln in Verwendung sind, um die Tret-
1714
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
bewegungen den gewöhnlichen Muskelbewegungen beim Gehen
möglichst anzupassen.
5) Rossnitz: Ein neuer Zerstäubungsapparat für All¬
gemeininhalation. (Aus der Abteilung für physikalische Therapie
im Krankenhause München 1. I.) (Mit 6 Abbildungen.)
M. W asser m ann - München.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. G5. Band, 1. Heft.
August 1902. Leipz’g, Vogel.
1) M a n n i n g e r - Ofen-Pest: lieber die Enderfolge der
operativen Behandlung bei Coxitis tuberculosa. (Chirurg. Klinik
Bern.)
Bericht über 44 Fälle. Unter den statistischen Daten inter¬
essiert zunächst die Tatsache, dass Sequesterbildung weit seltener
vorkommt, als man früher annahm, in etwa 25 Proz. der Fälle.
Von Wichtigkeit für die Diagnose der Knochenerkrankung ist das
Röntgenbild.
Die Operation bestand immer in der Resektion nach dem
Kocher sehen Verfahren, die Nachbehandlung in Extension bei
Abduktionsstellung. Die Ergebnisse der Wundbehandlung waren:
Per primam geheilt 27, per secundam 10, fraglich 7 Fälle.
Bezüglich der Endresultate konnten von 41 Patienten brauch¬
bare Nachrichten erhalten werden. Von denselben sind gut ohne
Fistel geheilt IG; mit geringer Fisteleiterung 7; mit profuser Eite¬
rung 5; gestorben sind 9.
Diese Resultate scheinen ja. sehr gut, sie werden aber ver¬
schlechtert durch die weniger glänzenden funktionellen Resultate.
In der Hälfte der Fälle bestand Adduktionskontraktur von im
Durchschnitt 20°. Die Ursache für die Kontraktur sucht Ver¬
fasser in der ungenügenden Nachbehandlung. Die Gebrauchs¬
fähigkeit des Beines war allerdings trotz der Kontraktur meist
eine gute. Die meisten Kranken konnten 2 — 4 Stunden gehen.
Bei der Indikation zur Operation kommt im wesentlichen die
Eiterung und das Vorliegen eines schweren ostalen Herdes in
Betracht. In der Armenpraxis wird man die Indikationen weiter
stecken. Das scheint in Bern der Fall zu sein.
2) Ilartmann-Kassel: Ein Beitrag zu den retroperi-
tonealen Geschwülsten.
Verfasser berichtet sehr ausführlich über die Probelaparo¬
tomie bei einem inoperablen retroperitonealen Tumor, von dem er
glaubt, dass er ein Drüsensarkom sei.
3) Goldstein: lieber die in den letzten 20 Jahren auf der
chirurgischen Abteilung des städtischen allgemeinen Kranken¬
hauses im Friedrichshain vorgekommenen Verletzungen der
Niere.
27 Fälle. G Todesfälle, in 4 Fällen lagen noch weitere Ver¬
letzungen vor.
Die Ursache war am häufigsten Ueberfahrenwerden.
Das Hauptsymptom war in allen Fällen der blutige Harn. Da¬
neben kolikartige Schmerzen und Dämpfung. In G Fällen kam es
nach Verschwinden der primären Blutung zu recht beträchtlicher
Nachblutung.
Die Therapie war in den meisten Fällen symptomatisch. Ope¬
riert wurde 2 mal, beide Male mit tödlichem Ausgang.
4) Derlin: Zur Kasuistik seltener Hodenerkrankungen.
(Städt. Krankenhaus Stettin.)
a) Hämorrhagischer Infarkt eines Hodens
infolge von Torsion des Samenstranges. Die Tor¬
sion wurde begünstigt durch eine linksseitige Hydrocele. Ex¬
stirpation. Heilung.
b) Sarkom atöse Entartung eines Bruch¬
sackes.
5) II i 1 g e r und von der B r i c 1 e: Heber Nachempfin¬
dungen nach Amputationen. (Krankenanstalt Sudenburg-Magde¬
burg.)
Nachempfindungen nach Operationen werden in mehreren
Formen beobachtet: 1. der Patient glaubt die fehlende Extremi¬
tät noch zu besitzen; 2. der Patient denkt im Eifer nicht an die
fehlende Extremität, stürzt beim Gehen, greift beim Greifen ins
Leere; bei Aufmerksamkeit kommt so etwas nicht vor.
Verfasser deuten diese Nachempfindungen als die Wirkung
von psychischen Erinnerungsbildern. Diese Erinnerungsbilder
können durch Reizung der peripheren Nerven wieder erweckt wer¬
den, zeigen aber auch einen durchaus selbständigen Charakter.
Auch accidentelle Empfindungen bleiben nach der Amputation
oft bestehen.
6) Blecher: Ein Fall von operativ geheilter Peritonitis
nach Durchbruch eines Duodenalgeschwürs. (Garnisonslazarett
Brandenburg.)
Auffallend war der sehr allmähliche Beginn. Patient tat
trotz der Peritonitis noch 2 oder 3 Tage Dienst. Der Patient wurde
geheilt. Kreck e.
Archiv für Gynäkologie. 67. Bd. 1. Heft. Berlin 1902.
1) W. Vassmer, Frauenarzt in Hannover: Zur Pathologie
des Ligamentum rotundum uteri und des Processus vaginalis
peritonei.
Von den 2 mitgeteilten Beobachtungen betrifft die eine ein
Fibromyom des Ligamentum rotundum, die andere wahrscheinlich
eine Hydrocele muliebris eystica. Die klinische, anatomische und
histologische Different ialdiagnose wird eingehend besprochen.
2) W. Stoeckel: Weitere Erfahrungen über Ureterfisteln
und Ureterverletzungen. (Aus der Bonner Frauenklinik.)
In der Aetiologie der Ureter Verletzungen treten die gynäko¬
logischen Operationen in den Vordergrund. Für die Diagnose ist
die Oystoskopie unentbehrlich. Die dominierende Operation ist
die abdominale Ureterimplantation in die Blase, welche nach dem
F ritsch sehen Verfahren unter 10 Fällen niemals im Stich liess.
Dabei wird der Ureterstumpf in die an die seitliche Beckenwand
fixierte Blase eingeniilit und mit der Blasenwand umnäht. Katgut,
Dauerkatheter. Als Ersatz dieser Methode kann die zirkuläre
Naht des Ureters vorgenommen werden bei partieller Verletzung
desselben ohne völlige Kontinuitätstrennung.
Ureterimplantation in den Darm oder gar in den anderen
Ureter ist. zu verworfen, dagegen muss die Nephrektomie auch bei
Ureterfisteln als ein durchaus berechtigter Eingriff, als ultimum
refugium, angesehen werden, wenn anders eine Heilung nicht zu
erzielen ist. Eingehende Mitteilung von 5 Fällen abdominaler
Ureterimplantation in die Blase mit dem späteren cystoskopiselien
Befund .
3) G. Heinricius: Ein Fall von Kaiserschnitt nebst Mit¬
teilung über die in Finnland ausgeführten Kaiserschnitte. (Aus
der geburtshilfl.-gynäkolog. Universitätsklinik in Helsingfors.)
Eine 32 jährige Bauersfrau, IX. Gravida, mit Conj. vera von
8,75 cm wollte ein lebendes Kind haben. Da sie schon 4 mal Par¬
tus arte praematurus durchgemacht hatte und ferner bei ihr am
Ende der Gravidität schon 2 mal Kraniotomie (dabei 1 mal Uterus¬
ruptur und Austritt der Plazenta in die Bauchhöhle) und je 1 mal
Forzeps bei hochstehendem Kopf und Symphyseotomie gemacht
worden war, so wurde Sektio caesarea vorgeschlagen und glatt
ausgeführt. Aber dieses lebend entwickelte Kind starb nach
10 Stunden infolge eines angeborenen Bildungsfehlers, Geliirn-
nrucli. Dieses war in der seit 1833 bestehenden geburtshilflichen
Klinik zu Helsingfors erst der vierte Kaiserschnitt, der in dieser
ganzen Zeit vorgenommen wurde. Der erste genau beschriebene
Kaiserschnitt in Schweden wurde 1758 ausgeführt, die Frau starb,
das Kind blieb lebend.
4) R. Ziegenspeck, Privatdozent in München: Ueber die
Entstehung der Hymencysten.
Der von Z. beschriebene neue Fall einer Hymencyste beweist,
dass sich diese Gebilde auch im extrauterinen Leben bilden
können. Aus dem mikroskopischen Befund ergab sich, dass diese
Cyste durch Abschnürung aus Epithelpapillen entstanden war,
und die beigegebenen Abbildungen zeigen alle Stadien des Ab¬
schnürungsprozesses kleiner Cystchen neben der vorhandenen
grösseren Cyste.
5) P. S t r a s s m a n n - Berlin: Placenta praevia.
Die sehr umfangreiche Arbeit besteht aus einem anatomischen
und einem klinischen Teil und basiert auf dem Material der
Charite, wo Str. selbst 101 Fälle von Placenta praevia beobachtete.
Die Besonderheiten und Vorbedingungen einer Placenta praevia
sieht Str. in einer Heterotopie des Eies und der Chorionzotten,
verursacht und begründet durch abnorme Beschaffenheit des
Endometrium' und funktionelle Anpassung an diese Ernährung
mittels Ausstreckung der Eiwurzeln nach Gegenden, wo sie sonst
nicht hingelangen. Jede Blutung bei Placenta praevia wurde als
Indikation zur Unterbrechung der Schwangerschaft angesehen, so
dass auf Tamponade verzichtet wird. Einfachste und sicherste
Therapie bleibt das Durchleiten eines Fusses. Metreuryse, welche
Str. nur 2 mal anwandte, findet eine ziemlich abfällige Beurteilung
und wird nur empfohlen, wenn bei reifer Frucht und mangelhafter
Erweiterung ein lebendes Kind gewünscht wird. Unter 235 Fällen
starben Gl Proz. der Kinder und 9.5 Proz. der Mütter.
G) Albiu Haberd a, Professor der gerichtlichen Medizin und
Landgerichtsarzt in Wien: Zur Frage des Beweiswertes der
Lungenprobe.
Die Lungenschwimmprobe allein beweist nichts, für den Er¬
fahrenen ist sie sogar sicher entbehrlich. Lungen, welche durch
Vergärung lufthaltig geworden sind, kann man mit solchen, die
geatmet haben, nicht verwechseln. Die Arbeit richtet sich be¬
sonders gegen den Aufsatz von Hitschmann und L inden-
t li a 1, Arch. f. Gynäkol. G6, II. Anton H e n g g e - Greifswald.
Archiv für Kinderheilkunde. 34. Bd., 5. u. 6. Heft.
W. Caro: Ueber Buttermilch als Säuglingsnahrung. (Aus
dem Kai. er- und Kaiserin-Friedricli-Kinderkrankenhause in Berlin.)
Bei einer grösseren Anzahl an akuten und chronischen Darm¬
affektionen leidender Säuglinge, wie auch bei Kindern mit nor¬
maler Verdauung, wurde als Nahrung Buttermilch gegeben. Die
Resultate waren, wie auch Baginsky in einem Nachwort be¬
stätigt, sehr gute, Besserung der Stühle und des Ernährungs¬
zustands befriedigend, die Gewichtszunahmen beträchtlich, so dass
die Buttermilch als Nahrungsmittel und Diiitetikum entschieden
Beachtung verdient. Wichtig ist, dass sie stets aus möglichst
frischem Rahm gewonnen wird; hergestellt wird sie im Spital auf
folgende Wese: Einem Liter Buttermilch werden 25 g feinstes
Weizenmehl und 35 g Rohrzucker unter fortwährendem Umrühren
zugefügt und das Ganze 2 Minuten lang gekocht.
II. Sidlauer - Miskolcz : Ein Fall von Persistenz des
Ductus arteriosus Botalli.
Der Fall betrifft ein 4 jähriges Mädchen, bei welchem schon
im Alter von 11 Monaten die Diagnose auf Offenbleiben des Duktus
gestellt wurde. Klinisch findet sich Vergrösserung des Herzens,
besonders im Breitedurchmesser, systolische und diastolische Ge¬
räuscherscheinungen; Zurückbleiben der körperlichen, bei nor¬
maler geistiger Entwicklung; Bradykardie, frequente Respiration.
Dagegen fehlen Cyauose, Trommelschlegelbildung der Finger und
1715
14. Oktober 1902. _ MtTENCHENEft MEftlcmiSCIIE WÖCHENSCHRIET.
Veränderungen der grossen Bauelidrtisen. Bezüglich der einzelnen
Punkte, die zur Diagnose führen, sowie der eingehend behandelten
Differentialdiagnose muss auf die das Thema erschöpfende Origi¬
nalarbeit, welche auch die Literatur vollständig verwertet ver¬
wiesen werden.
E. S c h 1 e s i n g e r - Strassburg: Eigentümlicher Beginn
einer tuberkulösen Meningitis.
Ein 2y„ jähriges Kind wurde in voller Gesundheit plötzlich
von stundenlangen, heftigen, klonischen Krämpfen auf der rechten
Körperhälfte befallen; diesen folgte eine vollständige Lähmung
der rechten Extremitäten und Aphasie. All diese Erscheinungen
waren nach 2 Tagen verschwunden, das Kind schien gesund; und
nun setzte eine tuberkulöse Meningitis ein, mit typischem Verlauf
und letalem Ausgang am 15. Tage. Autopsie wurde nicht ge¬
stattet, doch schliesst Verfasser nach einem analogen obduzierten
Fall, dass das insultartige Auftreten der Hirnsymptome und ihr
schnelles Verschwinden durch Entzündungsprozesse auf der Kon¬
vexität ohne Herderkrankung bedingt gewesen sei.
E. May er- Köln: Portative orthopädische Apparate in
der Kinderheilkunde.
Allgemeine Gesichtspunkte über orthopädische Therapie,
Apparate und Technik.
L. Voigt- Hamburg: Bericht über die im Jahre 1901 er¬
schienenen Schriften über die Schutzpockenimpfung.
Enthält alles über die Geschichte der Impfung, das Kontagimn
der Variola und Vaccine, Variolavaccine, lokale und allgemeine
Erscheinungen der Variola, Vaccine und Varicellen; über Statistik
und Hygiene, Technik, Pathologie der Impfung und staatliche
Verwaltung des Impfwesens.
Referate. Lichtenstein - München.
t
Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch¬
gerichtliche Medicin. 59. Bd., 4. Heft. 1902.
1) Kirchhoff: Die Höhenmessung des Kopfes, besonders
die Ohi’höhle.
K. betont, dass die Lage des Ohrlochs relativ fest und für
Messungen sehr brauchbar ist. Die Ohrhöhe und in Verbindung
damit die Oberstirnlinie lassen sich am Lebenden leicht bestimmen.
Man gewinnt durch sie Schlüsse auf den Teil des Schädelgrundes,
der die grossen Hirnganglien trägt.
2) Räcke: Ueber Hypochondrie.
Unter kurzer Schilderung von 9 Fällen bezeichnet R. die
Hypochondrie als eine abgeschlossene Krankheitsform, die vor¬
wiegend bei Neurasthenie, Hysterie, schwerer Belastung auf tritt.
Sie hat chronischen Verlauf mit Intensitätsschwankungen. Bei
scheinbarem U ebergang in eine andere Psychose handelt es sich
um das hypochondrische Vorstadium letzterer.
3) Nawratzki: Ueber Ziele und Erfolge der Familien-
pflege Geisteskranker.
Auf Grund seiner Erfahrungen im Bereich des von den Ber¬
liner Krankenanstalten angewandten Systems kommt N. zu den
Schlüssen, dass man die Familienpflege von den Anstalten ab¬
trennen soll, sie an die Armendirektion event. an die Deputation
für irrenpflege angliedern und unter die selbständige Leitung
eines in Berlin wohnhaften Irrenarztes stellen solle, unter dessen
Aufsicht die Pfleglinge bis zur endgültigen Entlassung bleiben.
4) Osswald: Die Tuberkulose in den Irrenanstalten mit
besonderer Berücksichtigung der grossherzoglich hessischen und
ihre Bekämpfung. «
Die Tuberkulosesterblichkeit bei den Irren betrug das
3,95 fache derjenigen bei Geistesgesunden. Bei 14, S2 Prom. der
Verpflegten, 23,25 Proz. der Gestorbenen war Tuberkulose die
Todesursache. Besonders Frauen sind bedroht. O. betont, dass
durch die Psychose eine Disposition zur Tuberkulose geschaffen
wird; grössere Bedeutung kommt jedoch der Infektion als solcher
zu. Man soll die Phthisiker, auch die latenten, aussuchen und un¬
schädlich machen. Besondere Beobachtungsstationen für Ver¬
dächtige sind nötig. Für grössere Anstalten sind besondere Tuber¬
kulosehäuser zu verlangen, in denen das ganze therapeutische
Regime anwendbar ist. Hinsichtlich der Prophylaxe der Dis¬
position ist vor allem die Ueberfüllung der Anstalten zu be¬
kämpfen. Eine reiche Literaturübersicht begleitet die Arbeit.
5) Pobiedin: Zur Lehre von den akuten halluzinatori¬
schen Pychosen.
P. sucht eine halluzinatorische Paranoia von der halluzina¬
torischen Amentia zu unterscheiden. Er steht durchaus auf
äusserlich symptomatologischem Standpunkt und sucht die psy¬
chischen Störungen auf derb-schematischem Weg zu erläutern; so
redet er z. B. von der „Vorstellung, die der Zelle a entspricht“.
0) Chotzen: Zur Kenntnis der polyneuritischen Pychosen.
Unter anschaulicher Schilderung von 4 Fällen betont C., dass
die Defektsymptome wie beim Delirium tremens, nicht aber dessen
Reizsymptome auf treten, wozu jedoch noch eine stärkere Hem¬
mung der assoziativen Tätigkeit erscheint und ganze Erinnerungs-
reihen aus der Zeit vor der Erkrankung auslöschen. Die der Re¬
produktionsstörung zu Grunde liegende Veränderung ist schon
durch die Wahrnehmungsstörung bedingt.
Weygandt - Wiirzburg.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. 32. Bd. No. 6. 1902.
1) Weichselbau m, Golm und Sachs- Wien: Beiträge
zur Kenntnis der anaeroben Bakterien des Menschen.
In der Folge soll eine Reihe von Abhandlungen über die an¬
aeroben Bakterien zur Veröffentlichung gelangen, deren erste über
die an aerobe Züchtung berichtet. Nach Prüfung der ver¬
schiedensten Methoden gelangen die Verf. zu dem Resultat, dass
in erster Linie die Züchtung durch Verdrängung des Sauerstoffs
durch W asser Stoff das beste sei. Jedoch müssten nach Um¬
ständen auch andere Methoden zu Rate gezogen werden.
2) H. Ziem an n: Ist die Schlafkrankheit der Neger eine
Intoxikations- oder Infektionskrankheit?
Es wird ein Fall von Schlaf k r a nklieit bei einem Neger
in Viktoria ausführlich nach Entstehung und Verlauf geschildert
und im Anschluss daran die Beziehungen zur Aetiologie be¬
sprochen. Der Stuhl enthielt Eier von Ascaris luinbri-
c o i d e s, aber kein Ankylostoma duodenale. Im Blut
fanden sich Embryonen von F i 1 a r i a persta n s. Bakterio¬
logisch zeigte sich das Blut völlig steril. Die Ursache der Schlaf¬
krankheit, die bisher auf F i 1 a r i a perstans oder A n k y lo¬
st o m a duodenale oder den F ränkel sehen D i p lo¬
co c c u s p n e u m oniae oder den Bazillus von C a g i g a 1
und Lepierre zurückgeführt wurde, konnte nicht als stich¬
haltig angesehen werden; es lenkte sich vielmehr der Verdacht
auf eine Intoxikation durch Nahrungsmittel, und zwar, ähn¬
lich wie in Italien bei der Pellagra verdorbener Mais Schuld
ist, so soll hier der Genuss schlechten oder unzweck-
m ä s s i g bereiteten Manioks die Ursache sein. Es spricht
dafür, dass bei Europäern noch kein sicherer Fall von Schlaf¬
krankheit beobachtet worden ist und dass Kinder unter 3 Jahren,
die bis dahin bei den Negern die Mutterbrust bekommen, kaum voii
dieser Krankheit befallen werden.
3) Bronstein und G r ü n b 1 a 1 1 - Moskau: Zur Frage
über die Differenzierung von Diphtherie- und Pseudodiphtherie¬
bazillen.
Die Verf. schlagen vor, die Bouillonkulturen von fraglicher
Diphtherie oder Pseudodiphtherie mit Mankowskis
Reagens zu versetzen. (2 g Indigokarmin in 100 g Aq.
clest.; 10 g S ä u r e f u clisi n in 100 g 1 proz. KOH. Von Lösung a
werden 2 Teile, von b 1 Teil mit 22 g Aq. vermischt.) Als Zusatz
genügen 3 'Tropfen, nachdem die Bouillon 24 Stunden im Brut¬
schrank gestanden hat. Die normale Bouillon färbt sich sofort
schön blau, die Diphtheriebouillon wird rubinrot und die Pseudo-
diphtheriekulturen werden grün. Später wird auch die Pseudo-
diplitheriebouillon rot.
4) Colamida und B e r t a r e 1 1 i - Turin: Ueber die Bak-
terienflora der Nasensinus und des Mittelohrs.
Beim Hunde und beim Menschen sind die Frontal- und
Ethmoidalsinus fast konstant steril, während die Kieferhöhlen beim
Hunde weniger konstant steril, beim Menschen dagegen viel häu¬
figer konstant steril sind. Auch das Mittelohr ist beim Hunde
fast immer steril. Keime sind verhältnismässig wenig vorhanden,
auch die Arten sind gering. Nur ein gezüchteter Staphyloeoccus
albus erwies sich als pathogen. Das Vordringen der Bakterien
geschieht leichter nach der Kieferhöhle, weniger leicht nach der
Frontalhöhle, am schwierigsten nach der Paukenhöhle hin.
5) S C h ü 1 1 e r - Berlin: Ueber eigenartige Parasitenbefunde
bei Syphilis. Ihre Bedeutung für die Entstehung, Diagnose und
Ausbreitung dieser Infektionskrankheit bei Erwachsenen und Kin¬
dern, sowie für die Beziehungen der Syphilis zu anderen Krank¬
heitsprozessen. (Fortsetzung.)
0) T r o m m sdorf f -München: Ueber den Alexingehalt nor¬
maler und pathologischer menschlicher Blutsera.
Sowohl beim n ormalen Mensche n, wie beim sep¬
tisch schwer erkrankte n Patienten finden sich allerdings
in sehr wechselnder Menge Alexine. Es ist daher aus dem
Gehalt des Blutserums an Alexinen kein Schluss auf krankhafte
Affektionen zu ziehen. Für die Diagnose und Prognose einer
Krankheit spielt also der Nachweis der Alexine im Blut keine
Rolle.
7) A s c h e r - Königsberg: Die Leukocyten als Komplement¬
bildner bei der Cholerainfektion.
8) Halb a n und Land Steiner: Zur Frage der Präzipi¬
tationsvorgänge.
Polemik gegen Eisenbergs Präzipitationsreak¬
tion (Zentralbl. f. Bakt., XXXI., No. 15.)
9) Michaelis - Berlin : U eher Inaktivierungsversuche mit
Präzipitinen.
10) Joch mann: Zur Schnelldiagnose der Typhusbazillen.
Eine Nachprüfung des von Weil angegebenen Nährbodens.
Verf. kommt zu folgendem Schluss: Der W e i 1 sehe Nähr¬
boden hat gegenüber dem gewöhnlich in Laboratorien als Nähr¬
agar verwendeten höher prozentuierten Fleischwasseragar den
Vorzug, dass er bei der Aussaat typhusverdächtiger Stühle bereits
nach 12 Stunden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf die
Erkennung etwa vorhandener Typhuskolonien hinleitet. Da aber
auch gewisse Kolistämme ähnlich geformte Kolonien bilden wie
der Typhusbazillus, so kann man nie aus dem Aussehen der Ko¬
lonien allein auf das Vorhandensein von Typhusbazillen schliessen,
sondern muss stets die differentialdiagnostischen Verfahren zur
Sicherstellung der Diagnose mit heranziehen.
11) Kr aus -Wien: Ueber eine neue regulierbare Vorrich¬
tung für den heizbaren Objekttisch.
12) Kraus- Wien: Ueber einen Apparat zur bakterio¬
logischen Wasserentnahme.
13) Loe b- Frankfurt a. M.: Ueber Versuche mit bakteriellem
Lab und Trypsin.
1716
MTTENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
14» M e u s 1> u r g e r und R a m b o u s e k - Klagenfurt: Bei¬
trag- zum bakteriologischen Nachweis von Trinkwasserver-
unreinigungen anlässlich infektiöser Erkrankungen.
Zur leichteren Ermittlung des Typhus aus dem Trinkwasser
schlagen die \ erf. die früher von Parietti angegebene Methode
vor, welche darin besteht, dass man 3 Bouillonröhrchen mit ca.
5 ccm Bouillon mittels einer 4 proz. Salzsäure und 5 proz. Karbol¬
säure enthaltenden Lösung in der Weise ansäuert, dass das erste
Röhrchen mit 3, das zweite mit (> und das dritte mit D Tropfen von
diesem Säuregemisch versehen werden. Man fertigt sich 3 Serien
solcher Röhrchen an: der ersten Serie werden 4 Tropfen, der
zweiten 8 Tropfen, der dritten Serie 12 — l(i Tropfen des zu unter¬
suchenden Wassers hinzugefügt. Die Röhrchen bleiben alsdann
24 — 18 Stunden im Brutschrank stehen. Von den Kulturen, in
denen Trübung eintritt, werden Platten gegossen. Freilich müssen
bei dieser Methode auch die weiteren diagnostischen Merkmale der
Gasbildung, Milchkoagulation, Indolbildung zu Hilfe genommen
werden, so dass die Methode leider auch nicht viel mehr leistet,
Arie alle anderen bisher bekannten. (Ref.)
II. O. N e u m a n n - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 40.
1) M. Sommer-Jena: Akroparästhesien nach Trauma.
Im Vordergrund des Krankheitsbildes stehen unangenehme
Sensationen in den Händen, meist anfallsweise, und zAvar am
stärksten Nachts und Morgens auftretend. Die Parästhesien sind
fast nie auf das Verbreitungsgebiet eines peripheren Nerven be¬
schränkt, auch fehlt eine Druckempfindlichkeit der Nervenstämme.
ln dem vom Verfasser beschriebenen Falle trat bei dem 45 jährigen
Kranken, der eine Finger Verletzung der linken Hand erlitten hatte,
3 — 4 Monate nach dem Trauma Prickeln und Stechen der verletz¬
ten Hand ein. Der objektive Befund war negativ, auch bestanden
keine Zeichen einer allgemeinen Neurose. Die Behandlung hat
bisher nichts gefruchtet.
2) II. Ziemann: Tse-Tse-Krankheit in Togo (Westafrika).
Verfasser konnte das Vorkommen genannter Krankheit in
Togo feststellen und berichtet eingehend über die Blutbefunde bei
den erkrankten Tieren, sowie über den NachAveis der Parasiten' im
gefärbten Präparat.
3) Fr. M e y e r - Berlin: Zur Einheit der Streptokokken.
Verfasser hat eine grosse Reihe von Streptokokkenstämmen
untersucht, die teils in der Sammlung des Paste urschen Insti¬
tuts zu Paris gezüchtet Avaren, teils frischen menschlichen Krank¬
heitsfällen entstammten. Die hinsichtlich Morphologie, Virulenz,
Hämolyse, Filtratwachstum, Immunsera erhobenen Befunde
Aveisen auf die Forderung hin, mit der Unität der verschiedenen
Streptokokken zurückzuhalten und vor allem die pyogenen mensch¬
lichen Arten von den Formen vieler Anginen und den tierischen
Streptokokken zu trennen.
4) E. H o f f m a n n - Berlin: Heber Quecksilberdermatitis
und die ihr zu Grunde liegenden histologischen Veränderungen
nebst Bemerkungen über die dabei beobachtete lokale und Blut¬
eosinophilie.
Vergl. Bericht der Münch, med. Woehenschr. über die Sitzung
der Gesellschaft der Chariteärzte a'oiu 10. .Tnli 1902.
Dr. Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 40.
1) Th. A x e n f e 1 d - Freiburg: Ein Beitrag zur Pathologie
und Therapie der frontalen und der ethmoidalen Sinusitis und
ihrer orbitalen Komplikationen.
Aus den beiden Beobachtungen geht hervor, dass die nicht
eröffnete Schleimhaut des Sinus einen erheblichen Schutz gegen
eine Infektion, die ihre Aussenfläclie direkt berührt, darbieten
kann, auch avcuu der sie bedeckende Knochen ziemlich umfang¬
reich entfernt ist. und auch, wenn der Kontakt mit der septischen
Eiterung lange Zeit dauert.
2) O. L a ssar - Berlin: Ueber Impf tuberkulöse.
Nach einem im Verein für innere Medizin am 14. .Tuli 1902
gehaltenen Vortrag. Referat hierüber siehe diese Woehenschr.
No. 30, pag. 1278.
3) A. M o e 1 1 e r - Belzig: Zur Frage der Ueber tragbarkeit
der Menschentuberkulose auf Rinder und Ziegen.
Als Resultat seiner Untersuchungen ergibt sich, dass Kälber
durch Füttern und subkutane Injektion von menschlichem tuber¬
kulösen Sputum, durch Inhalation, intraperitoneale und intravenöse
Injektion oder kutane Einverleibung von Reinkulturen mensch¬
licher Tuberkulose nicht an Tuberkulose erkranken,
ebensowenig nach intraperitonealer Injektion von menschlichen
Tuberkelbazillen, die den Ziegenkörper passiert haben; Ziegen
durch Füttern mit diesen Bazillen, auch Avenn man enorme Mengen
zum Futter mengt, nicht erkranken, bei ihnen durch intraperi¬
toneale Injektion, falls man grosso Quantitäten injiziert, eine
Knötchenkrankheit des Peritoneums entstehen kann, jedoch auch
dann (‘in Angehen, d. h. ein Weiter wuchern und damit eine
Ausbreitung der Krankheit im ganzen Organismus des Tieres nicht
zu erzielen ist.
4) E. Neisser- Stettin: Ein weiterer Beitrag zur Kenntnis
vom chronischen Rachendiphtheroid.
Kasuistische Mitteilung, als Ergänzung zu der in No. 33 der
Deutsch, med. Woehenschr. in Gemeinschaft mit Kahnert be¬
schriebenen Gruppe klinisch und ätiologisch zusammengehöriger
Fälle Aon chronischer Erkrankung der oberen Luftwege.
• i) F. M a r c h a n d - Leipzig: Ueber Gewebswucherung und
Geschwulstbildung mit Rücksicht auf die parasitäre Aetiologie
der Karzinome. (Schluss aus No. 39.)
M. kommt zu dem Resultat, dass bei Ansschliessung einer
echten infektiösen (mikroparasitären) Ursache die Erscheinungen
der Malignität der epithelialen Neubildungen nur durch die An¬
nahme von „toxischen“, durch den Lebensprozess der Zellen ent¬
standenen Substanzen erklärt werden können, wenn Bildung und
Anhäufung auf eine „Entartung“ der Zellen, d. h. auf eine Ab-
Aveicliung A'on ihren normalen Stoffwechselvorgängen und damit
zugleich auch von ihrer normalen Zellstruktur, unter dem Wegfall
normaler Regulierung der Zelltätigkeit zurückzuführen ist. Diese
Entartung kann soaa’oIiI dem Grade als der Qualität nach sehr
verschieden sein. Eine gesteigerte Wucherungsfähigkeit kann,
besonders bei embryonalem GeAvebe, unabhängig von einem Ent-
artungsvorgange sein. Die Zerstörung des normalen Gewebes
durch die wuchernden Elemente setzt aber auch hier das Vor¬
handensein toxischer Substanzen voraus. Durch die Annahme
toxischer Eigenschaften erscheint auch das, was man als ver-
minderte Widerstandsfähigkeit des GeAvebes bezeichnet, in etwas
anderer, weniger grob mechanischer Bedeutung. Die 'Wider¬
standsfähigkeit des normalen Organismus gegen die Verbreitung
Avueliernder Elemente Avürde zum grossen Teil darin bestehen, dass
die Zellen nicht die für ihre Weite reut Wickelung geeigneten stoff¬
lichen Bedingungen finden oder dass, mit anderen Worten, ihre
spezifischen schädlichen Eigenschaften durch normale Stoffwechsel¬
vorgänge („gesunde Säfte") neutralisiert worden.
(1) ,T. NI i t u 1 e s c u - Bukarest: Einfluss des neuen Tuber¬
kulins auf den Zellstoffwechsel. (Schluss aus No. 39.)
Das Ergebnis seiner Stoffwechselversuche fasst M. dahin zu¬
sammen, dass das Tuberkulin, als therapeutisches Mittel in kleinen,
vorsichtig an wachsenden Mengen und nur in den für diese Be¬
handlung geeigneten Fällen angeAvandt „keine zelluläre Des-
assimilationsvergrösserung hervorruft, sondern für den Organis¬
mus den Vorteil bietet, eine nutritive Zellerregung zu verursachen,
ein erkennbares Streben zum Proteinansatz und eine schichtweise
Bildung von spezifischen Immunkörpern, welche die Vitalität des
Tuberkelbazillus vermindern und seine Toxine und Proteine neu¬
tralisieren. Lokal entsteht eine perituberkulöse Reizung, welche
die Begrenzung und Incystierung des Tuberkels durch das
sklerotische GeAvebe begünstigt.
7) G. Galli-Rom: Die deutsch-italienischen Beziehungen
und die Aerzte.
8) A. Strauss- Barmen: Zur Aufklärung über das günstige
Verhältnis der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in Bar¬
men zu anderen gleich grossen Städten. M. Lache r.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 32. Jahrg. No. 19.
Max A'. A r x - Kantonspital Olten: Ueber Gallenblasenruptur
in die freie Bauchhöhle. (Schluss folgt.)
Arth. Bossart: Zur Chloräthylnarkose. (Aus der chi¬
rurgischen Abteilung der Krankenanstalt Aarau.)
Kurzer Bericht über 157 Chloräthylnarkosen (Maske von
N i e r i k e r) bei kleineren Operationen und Verbandwechsel, in
letzterem Fall auch Aviederliolt.. Die Epikrise lautet sehr günstig;
unangenehme Nebenerscheinungen sind selten und gering, ln
einem Fall (Diphtherie und Thymusvergrösserung) tödlicher Aus¬
gang. Pischinge r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 40. 1) P. Dömeny-Wien: Stammt die wirksame Substanz
der hämolytischen Blutflüssigkeiten aus den mononukleären
Leukocyten?
Mets c h ni k o f f hat diese Frage bejaht; Verfasser gelangt
jedoch auf Grund neuer Tierversuche zu dem Ergebnis, dass die
M.sche Hypothese vorläufig nicht beAA'iesen Averden kann, A'ielmehr
der Ursprung der wirksamen Substanz hämolytischer Blutflüssig¬
keiten noch in Dunkel gehüllt bleibt.
2) R. M a t z e n a u e r - Wien: Brustdrüsensyphilis im Früh¬
stadium.
Im ganzen sind 12 derartige Fälle beschrieben, in denen sich
die Erkrankung meist schon im ersten Jahre nach der Infektion
entAvickelte. Verfasser teilt einen Fall mit, avo bei einer 17 jähri¬
gen Kranken im Frühstadium sich eine doppelseitige Mastitis mit
eitriger Einschmelzung des I ) rii senge aat ebes entwickelte. Die
ScliAvellung der Brust kommt bei diesen Fällen meist binnen Aveni-
gen Tagen zustande und geht bei spezifischer Behandlung inner¬
halb einiger Wochen oder Monate A’öllig zurück. Meist betrifft die
entzündliche Infiltration das ganze Organ.
3) A. K u r k a - Wien: Ueber metastatische Bindehautent¬
zündung bei Gonorrhöe.
Analog den übrigen gonorrhoischen Metastasen kommen
solche, allerdings sehr selten, auch in der Bindehaut atoi\ Verfasser
teilt 2 derartige Fälle mit. Gonokokken wurden hierbei im Kon-
junkti valsekret nicht gefunden, auch nicht im GeAvebe eines ex-
zidierten Konjunkti vastückchens. Die Affektion wurde bisher nur
bei Männern beobachtet. Ihre klinischen Zeichen sind: starke
Rötung der Conj. palpebr. bei geringer Schwellung, dagegen starke
Schwellung und tiefe episklerale Injektion der Conj. bulbi, schlei¬
mige, fadenziehende Sekretion. Häufig treten Komplikationen
A’on seiten anderer Teile des Auges, soAvie der Gelenke ein, ebenso
MtTEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
34. Oktober 1902.
häufig sind Rezidive. Der Ausgang ist restitutio ad integrum Die
Behandlung ist dieselbe wie die des akuten Bindehautkatarrhs.
Dr. Grassmann - München.
Wiener medicinische Wochenschrift.
N°- 38. R. Trzebicky: Phlegmone und Amputation.
I»estiebt, die konservative Behandlung' (tiefe Inzision) soweit
wie möglich dui chzufühi en, hat T. bei 3 < G schweren Phlegmonen
nur 26 (ö Todesfälle) primär amputiert. Von den 347 übrigen
starben 33; darunter waren nur 11, bei denen der Tod eine Folge
dei Eiterung selbst war, 8 von diesen waren über GO Jahre alt
sie starben an der Allgemeininfektion (hypost. Pneumonie). Für
die nicht ganz zu umgehende Amputation stellt T. folgende In¬
dikationen auf: 1. Putride Gangrän mit Symptomen schwerer All¬
gemeininfektion, um der weiteren Giftresorption vorzubeugen;
2. absolute Unmöglichkeit, dem Eiter freien Abfluss zu schaffen'
wie bei manchen Gelenkentzündungen; 3. Phlegmone bei grosser
Quetschung der Gewebe und Hemmung des arteriellen und ve¬
nösen Kreislaufes, wo die Erhaltung der Extremität ohnehin aus¬
geschlossen ist; 4. wenn ein krankes und bejahrtes Individuum
ein langes Fieber und profuse Eiterung voraussichtlich nicht er¬
tragen wird.
M. Reiner- Wien: Die Zirkumferenz-Osteotomie.
Beschreibung einer neuen Operationsmethode für die blutige
Knochentrennung bei Genu valgum, wie sie an der Lorenz-
sehen Abteilung geübt wird.
Ko. 37 u. 38. J. W e n g 1 e r: Ein Versuch, das spezifische
Körpergewicht am lebenden Menschen zu bestimmen.
W engler hat die bekannte • physikalische Methode
des Untertauchens in Wasser und Bestimmung der
Volumsverdrängung auf den Menschen angewandt und
sich hierzu besonderer einfacher Apparate bedient. Bei 3 männ¬
lichen Personen erhielt er ein spezifisches Gewicht von 1,013 bis
1,042, bei 3 weiblichen 1,019 bis 1,02S. Unter Berücksichtigung
der Körperluft, welche sich genau berechnen lässt, ergeben sich
Werte von 1,07—1,11. Schwieriger und nur bis zu einem gewissen
Wahrscheinlichkeitsgrad wird sich die Knochensubstanz aus der
Berechnung ausscheiden lassen.
No. 39. A. K a r s c h u 1 i n - Olmütz: Kasuistische Mit¬
teilungen.
a) Darmverschluss. Atropinbehandlung ohne Erfolg. Darm¬
resektion, Tod, Pankreaskarzinom, b) Riss der Quadrizepssehne
bei habitueller Luxation der Patella, Heilung mit voller Gebrauchs¬
fähigkeit. c) 2 Fälle komplizierter Schädelfraktur, Trepanation,
Heteroplastik nach A. Fraenkel; in dem einen Fall glatte Hei¬
lung, im zweiten Abstossung der Platte, Heilung durch Knochen¬
neubildung.
No. 39. R. P i r o n e - Neapel: lieber die Gegenwart von Fett
in den Zellen der Neoplasmen.
Seine histologischen Untersuchungen führen P. zu dem Re¬
sultat, dass fettige Degeneration und Fettinfiltration nicht länger
als differente Prozesse, sondern mehr und mehr als verschiedene
Formen der Fettmetamorphose gelten müssen.
B e r g e a t - München.
Inaugnral-Lissertationen.
Universität Erlangen. September 1902.
2G. Stubbe Paul: Ein Fall einer eigenartigen Herzverletzung.
27. Hart m an n Matthäus: Ueber die Beziehungen von Erkran¬
kungen des Zentralnervensystems zum Decubitus pliaryngis.
28. Hof bau er Georg: Ein Fall von Tumorbildung im 4. Ven¬
trikel mit dem Symptomenkomplex eines Tumors in der Vier-
liügelgegend.
29. Graf Paul: Ein Fall vou Leberabszess nach fötider Bronchitis.
30. Recknagel Georg Wilhelm: üeber die Ausscheidung des
Methylenblau durch den Harn.
Universität Freiburg. September 1902.
49. Salomon Willy: Ein Beitrag zur solitären Tuberkulose der
Chorioidea.
50. Hartmann Adolf: Zur Kasuistik der Oesophagotomie, nebst
einigen Bemerkungen über die Bedeutung der Oesophagoskopie
und Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen bei verschluckten
Fremdkörpern.
51. Hemmerdinger Karl: Ueber die Heruia inguinalis und
Hydrocele muliebris.
52. End Friedrich: Ueber den Wert der Drainage des Choledochus.
53. David sohn Felix: Ein Beitrag zur Lehre vom Verschluss
der Zentralarterie.
Universität Giessen. August und September 1902.
27. Fuhrmann Manfred: Analyse des Vorstellungsmaterials bei
epileptischem Schwachsinn.
28. Oh ly Otto: Beitrag zur Lehre der tragfähigen Amputations¬
stümpfe.
29. Terbrüggen Wilhelm: LTeber die eitrigen Mittelohrent¬
zündungen im Kindesalter.
30. W o 1 f f Walter: Die Bewegungen des Duodenums, nebst Be¬
merkungen über einzelne Bewegungsformen des Dünndarms
überhaupt.
31. Flath Hermann: Ein Fall von doppelseitiger Mucocele des
Siebbeinlabyrinths.
32. Pullmann Willy: Beitrag zur Kasuistik der Elephantiasis
des Penis.
~ ~ j.i.aoujftuis. uer jt-amcreasnaemorrnagie
und Fectgewebsnekrose.
34. Budde Josef: Ein Fall von Orchidopexie nach Hahn.
o5. Hof mann Julius: Zur Lehre von den Geistesstörungen im
Senium.
36. Watz Wilhelm: Zur Statistik der Neuritis optica, mit be¬
sonderer Berücksichtigung eines Falles von beiderseitiger re¬
zidivierender retrobulbärer Neuritis.
37. Bohn Philipp: Ueber angeborene und erworbene pathologische
Pigmentierung am Bulbus.
Universität Greifswald. August 1902.
29. Gottschalk A.: Sectio caesarea aus relativer Indikation.
30. Joachim Erich: Ueber Blutungen des Gehirns bei Fett¬
embolie.
31. W eski Oskar: Beiträge zur Kenntnis des mikroskopischen
Baues der menschlichen Prostata.
Nachträge zu den Verzeichnissen August 1901 bis August 1902:
Prang Arthur: Ueber alte Erstgebärende.
Zachlehne r Kurd: Ueber Achsendrehung im Dickdarm.
Prochnow M.: Zur Klinik und pathologischen Anatomie der
sulzigen Skleritis.
S p ä 1 1 i n g Theodor: Die Rückbildung des Pneumothorax nach
Empyemoperation und ihre Beeinflussung durch eine neue Ven¬
tilvorrichtung.
Ferner ist zu lesen:
1901: S. 1763 statt Amelohr — Amdohr.
1902 : S. 1067 statt Leuken — L u i k e n.
Universität Heidelberg. Juli bis September 1902.
16. H erz Kurt: Ein Fall von Sklerodermie.
17. Spuler Rudolf: Ueber die feinere Histologie der Chondrome.
18. Keuthe Walter: Ueber Entwicklungshemmung pathogener
Bakterien, insbesondere von Typhus, durch Medikamente.
19. Pagen Stecher Adolf H.: Ueber Optikustumoren.
20. Joseph Eugen: Die Morphologie des Blutes bei der akuten
und chronischen Osteomyelitis.
21. Löffler Gustav: Ueber kleine abgekapselte Empyeme im
Kindesalter.
22. Küster Hermann A.: Ueber den Durchgang von Bakterien
durch den Insektendarm.
Universität München. August und September 1902.
95. Schmid Heinrich: Ueber Pachymeningitis haemorrhagicä
interna traumatica.
96. Goebel Walther: Ueber Kotgeschwülste.
97. Reitz Johannes: Beiträge zur Kasuistik des Karzinoms im
jugendlichen Alter.
98. Steffan Bruno: Ueber Glykosurie und deren Beeinflussung
durch Medikamente.
99. Brugg er Rudolf: Ueber die Sterblichkeit und Ernährungs¬
verhältnisse der Kinder im ersten Lebensjahre in München.
(Bearbeitet nach einer Statistik vom Jahre 1888 und 1898.)
. 100. W u rm Stefan: Beitrag zur Kasuistik des Carcinoma duodeui.
101. H ü f f e 1 1 Adolf : 50 Fälle von Speiseröhrenkrebs aus dem
pathologischen Institut zu München.
102. K rinn er Anton: Ueber 7 akute Phosphorvergiftungeil, mit
Berücksichtigung der neueren Theorien über diese Intoxi¬
kation.
103. Przegendza Adolf: Beitrag zur Lehre von den Doppel¬
missbildungen (Diceplialus tripus mit Sakralcyste).
104. Plaut Felix: Ueber kryptogene Septikopyämie nach sub¬
kutaner Muskelzerrung.
105. Miller Hermann: Unter welchen Bedingungen tritt nach
Verschluss des Ductus thoracicus Aszites auf?
106. Richter Fritz: Zur Kasuistik der Sarkome der Samen¬
stranghüllen.
107. Spangenthal Hermann: LTeber primären Gallertkrebs
des Omentum majus. Ein Beitrag zur Lehre von dem pri¬
mären Endothelkarzinom der serösen Häute.
10S. Roith Otto: Die Füllungsverhältnisse des Dickdarms.
109. Breustedt Karl: Ueber die Wirkung einiger Aldehyde
der Fettsäure auf das Blut.
110. Schramm Erich: Ein seltener Fall von Kolonkarzinom, als
Beitrag zur Kasuistik des Dickdarmkrebses.
111. Heitz Friedrich: Kasuistische Beiträge zur akuten Chrom¬
säurevergiftung.
112. Leonhard Stephan: Beiträge und klinische Erfahrungen
zur Kenntnis der Influenza aus der Klinik des Herrn Prof.
Dr. v. Bauer aus den Jahren 1891 — 4900.
113. Wiest Franz: Ueber die in den Jahren 1890 — 1901 in der
hiesigen chirurgischen Klinik in Behandlung gekommenen
Fälle von „Caput obstipum musculare“.
114. Oszwaldowski Alexander: Ueber Dermoidcysten der
Kreuzsteissbeingegend.
115. Hey mann Emil: Zur Kasuistik der Schussverletzungen
des Schädels vom Jahre 1S97 — 1902.
116. Thorna Rudolf: Ein Fall von Lupus vulgaris unter dem
Bilde des Lupus erythematosus.
117. Eckart Hans: Die operative Behandlung der Trigeminus¬
neuralgie.
118. Wallau Wilhelm: Neuere Reaktionen auf Acetessigsäure.
119. Rauch Ferdinand: Zwei Fälle von Wangenkarzinom auf
Grund von Leucoplacia bucc-al.
120. Weidner Fritz: 30 Nierenexstirpationen während der letz¬
ten 10 Jahre in der Münchener chirurgischen Klinik,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
1718
321. Glaser Kurt: Ueber die Möglichkeit eines Zusammenhanges
zwischen der progressiven spinalen Muskelatrophie und einem
Trauma,
322. Adler Heinrich: Statistische Zusammenstellung der in der
Münchener chirurgischen Klinik in den Jahren 3893 mit 1900
zur Beobachtung und Behandlung gekommenen traumatischen
Luxationen.
123. Utz Fritz: Ein Fall von Cysticercus racemosus der Gehim-
hasis.
124. Dietlen Johannes: Ueber einige Methoden des Nachweises
von Blei im Harn.
125. Pfister Eduard: Ein Fall von primärem Zervixmyom.
120. Herzog Heinrich: Ein Fall von disseminierter Myelitis.
327. Horeld Eugen: Erfahrungen bei der Nachbehandlung des
Empyems der Pleura mit dem Perthes sehen Aspirations¬
apparate.
128. Dlessl Karl: Ueber akute Alkoholvergiftung mit tödlichem
Ausgang.
329. G angele Karl: Ein Fall von Polyneuritis alcoholica, kom¬
biniert mit Hysterie.
130. Engelmann Wilhelm : Beitrag zur Kenntnis der Bauch¬
fellentzündung, besonders der tuberkulösen Form.
131. Brünn Friedrich Wilhelm: Zur Kenntnis der angeborenen
Sakraltumoren.
332. Salvendi Hugo: Ueber den qualitativen Nachweis von
Aceton im Harn.
333. Bucerius Arthur: Ueber die Beziehungen des Morbus Base-
dowii zu den Erkrankungen der weiblichen Genitalien.
134. Illing Ludwig: Ueber Dystrophia musculorum progressiva.
135. Wandinger Sebastian: Ueber Ponsläsionen.
136. K arpeles Sigmund: Ein Fall von Nebennierentuberkulose
ohne Morbus Addisonii.
137. Gerngross Richard: Ueber komplizierte Schädelfrakturen.
338. Croneberg Hans: Rhinophyma und ähnliche angiomatöse
elephantiastische Erscheinungen an der Hand.
139. Reimers Hermann: Beitrag zur Kasuistik der Tumoren
des rechten Parietalhirns.
140. Haas Alfred: Ueber Vergiftung durch Arsen Wasserstoff gas.
Universität Strassburg. September 1902.
29. Nikes Peter: Abhängigkeit des Geburtsgewichtes der Neu¬
geborenen vom Stand und der Beschäftigung der Mutter.
30. Borg Jakob: Ueber die Hutchinson sehe Sommereruption.
31. Mey erhoff Max: Ein Fall von Ruptur des schwangeren
Nebenhornes.
32. H a n n e s Viktor: Ein Fall von Endarteriitis syphilitica an der
unteren Extremität.
33. Hirse li horn Walther: Die erweiterte F r e u n d sehe
Operation beim Krebs der schwangeren Gebärmutter.
34. Ohl mann Eugen: Ueber Metastasen der Vagina bei Karzi¬
nom des Uterus und der Ovarien und die Bedeutung des retro¬
graden Transportes.
35. Altschüler Emil: Die Konservierung des Hackfleisches
mit (neutralem) schwefligsaurem Natrium, und einige Be¬
merkungen über die Beurteilung des Zustandes von Hackfleisch.
36. Bartels Martin: Ueber Enceplialo-myelo-meningitis diffusa
haemorrhagica mit endoplilebitischen Wucherungen.
37. Neubauer Max: Ueber die Blutungen bei Placenta praevia.
Universität Tübingen. August 1902.
38. Elia Leo: Beitrag zur Kasuistik der Ectopia lentis congenita.
39. Häcker Rudolf: Katalog der anthropologischen Sammlung
in der anatomischen Anstalt zu Tübingen. Nebst einer Ab¬
handlung: Ueber die Grössenentwicklüng der Hinterhaupts¬
schuppe und deren Beziehungen zu der Gesamtform des
Schädels.
40. Schliep Leopold: Ueber Cataracta zonularis.
41. Quenstedt Franz: Ueber Venenthrombose bei Chlorose.
September 1902:
42. Fries Felix: lieber die Behandlung der Konjunktivitis blen-
norrhoica neonatorum et adultorum nach der Methode von
Kalt.
43. Müller Hans: Carcinoma ventriculi, kompliziert mit Peri-
earditis haemorrhagica und Pachymeningitis chronica haemor¬
rhagica interna.
44. Uebelmesser Hugo: Ueber 32 Fälle von Kephalokramo-
klasie nach Zweifel.
Universität Würzburg. September 1902.
46. Ahr ent Fritz: Ueber Mitosen in bösartigen Geschwülsten.
47. Appelbaum Leo: Ueber Hämochromatose.
48. Assmann Heinrich: Zur Kasuistik der Pityriasis rubra
pilaris.
49. Bamberger Isaak: Ueber die Resorption des Silbers von
der Haut aus.
50. Baue r Siegfried: Ueber Cysten- und Divertikelbildung der
ableitenden Harnwege.
51. Bausewein Otto: Ueber die Wirkung des Aluminiums auf
den tierischen Organismus.
52. Dahms Wilhelm: Ein Karzinom des Pankreas mit unge¬
wöhnlicher Generalisation.
53. Eise rt Hans: Ein Beitrag zur Kasuistik des primären
diffusen Nierenkarzinoms.
54. Gärtner Rudolf: Ueber einen unter dem Bilde der perni¬
ziösen Anämie verlaufenen Fall von Carcinoma ventriculi mit
Knochenmetastasen.
55. G u t m a n n Bernhard: Ueber die Entwicklung und das Wachs¬
tum des Hautkarzinoms.
56. Lelirnbecher Paul: Beitrag zur Kasuistik der Binde-
substanz-Drüsen-Mischgeschwülste der Brustdrüse.
57. Meyer Friedrich: Die intrakanalikuläre Form der Hoden¬
tuberkulose. Untersuchungen mit Weigerts Elastinfärbung.
58. O’Brien L. J.: Ueber Verknöcherungs Vorgänge an den
Arterien.
59. Peter mann J.: Ein hyalines Endotheliom der Parotis mit
Pigmentmetamorphose, nebst Bemerkungen über die Natur
der Mischgeschwülste der Parotis.
60. Rüge Ernst L.: Die Entwickelungsgeschichte des Skelettes
der vorderen Extremität von Spinax niger.
61. S a n d 1 e r Aron: Ueber die Gasgangrän.
62. v. Schertel Max: Kritisch-experimenteller Beitrag zur
Lehre von der Absorption und Respiration der tierischen und
menschlichen Haut.
63. Scheu er mann Emil: Ueber chronische Tuberkulose der
Mamma unter dem Bilde des Fibroadenoma.
64. Schroen Fr. W. Chr. A.: Historisches und Theoretisches
zu der Lehre von den Schädelbrüchen, speziell den sogen.
Gegenbrüchen.
Vereins- und Kongressberichte.
1. Hauptversammlung des Deutschen Medizinal¬
beamtenvereins.
(Eigener Bericht.)
Am 15. und 16. September ds. Js. hielt in München der
neugogründete Deutsche Medizmalbeamtenverein seine erste
Hauptversammlung ab. Er ist hervorgegangen aus dem preussi-
schen Medizinalbeamtenverein, der aus den kleinen Anfängen
eines Provinzialvereins unter der tatkräftigen Leitung seines
Vorsitzenden, Regierungs- und Geh. Med. -Rats Dr. Rapmund
in Minden, sich zu beachtenswerter Grösse entwickelt hatte. Der
deutsche Verein zählte anfangs September 1136 Mitglieder (wo¬
von 889 aus Preussen) und hat seitdem, namentlich auch aus
bayerischen Kreisen, manchen Zuwachs erfahren.
Die Lebensfähigkeit des neuen Vereins steht demgemäss
ausser Zweifel und für seine Bedeutung spricht, dass die Re¬
gierungen mehrerer deutscher Bundesstaaten V ertreter ent¬
sandt hatten. Mit derselben Berechtigung und Notwendigkeit,
wie in der wissenschaftlichen Medizin sich Spezialfächer und
Spezialvereine gebildet haben, vollzieht sich auch im Bereiche
der angewandten Medizin eine Arbeitsteilung nach Spezial¬
gebieten, und wie der Deutsche Aerztevereinsbund, der Deutsche
Verein für öffentliche Gesundheitspflege und die deutschen
Bahnärzte, halten nun auch die deutschen Medizinalbeamten
ihre eigenen V ersammlungen ab. Alle diese und ähnliche \ er-
eine sind berufen, sich gegenseitig zu unterstützen und zu er¬
gänzen; sie sind auch, jeder für sich, zu erspriesslichen
Leistungen befähig!, nur dürfen sie den Zusammenhang mit
dem Gesamtgebiete der Medizin nicht verlieren.
Die in einzelnen Bundesstaaten bestehenden Landesvereine
der Medizinalbeamten sollen durch den deutschen Verein keines¬
wegs ersetzt oder verdrängt werden, sondern in und neben ihm
weiterbestehen und wirken. In Bayern bestand bisher kein
eigener Medizinalbeamtenverein — die ärztlichen Bezirksvereine
werden nur oft irrtümlich als bezirksärztliche Vereine an¬
gesprochen — ; die Aerztekammern haben von jeher auch die
Stellung und Dienstesobliegenheiten der Amtsärzte in den Kreis
ihrer Beratungen einbezogen. Ob die bayerischen Mitglieder des
deutschen Medizinalbeamtenvereins sich zu einer besonderen
Sektion organisieren, bleibt der Zukunft Vorbehalten. Bayern,
das von Anfang des vorigen Jahrhunderts an sich der besten
Medizinalgesetzgebung und -Verwaltung rühmen konnte, ist in
den letzten Jahren zurückgedrängt und namentlich von Preussen
überflügelt worden. Es fehlt an den nötigen Mitteln und auch
Personen; ein einziger Medizinalreferent in der Zentralinstanz
kann bei bestem Willen und grösster Arbeitsleistung nicht alle
Aufgaben bewältigen — hat doch schon die Kreisregierung von
Oberbayern zwei Medizinalreferenten — und in der dem Mini¬
sterium des Innern beigegebenen beratenden Körperschaft, dem
Obermedizinalausschusse, hat ausser dem Vorsitzenden kein wei¬
terer Medizinalbeamter Sitz und Stimme. Die Macht der Ver¬
hältnisse und die immer mehr anerkannte Bedeutung einer gut
organisierten Medizinalverwaltung für die soziale Volkswohlfahrt
drängen zu einem Vorwärtsgehen, zu einer Verbesserung der
Stellung der Amtsärzte, zu einer Erweiterung und Befestigung
ihrer Dienstesobliegenheiten. Eine Vereinigung bayerischer
14. Oktober 1902.
Medizinalbeamter könnte liier möglicherweise erfolgreich mit-
Der deutsche Medizinalbeamtenverein verfolgt nach seinen
Satzungen den Zweck: die Wissenschaft auf dem gesamten
' ebiete der Staatsarzneikunde (Hygiene und öffentliches, Ge¬
sundheitswesen, gerichtliche Medizin und Psychiatrie) zu pflegen-
dmch \ ortrage und Austausch persönlicher Erfahrungen eine
Verständigung über wichtige Fragen und die einschlägige Ge¬
setzgebung auf diesem Gebiete herbeizuführen, sowie seinem Mit¬
gliedern Gelegenheit zu gegenseitiger Annäherung zu geben.
Hat r ^ 1 tsb ere c h f 1 gh smd alle in den deutschen Bundes¬
staaten im Staatsdienst, sowie die mit voller Beamteneigenschaft
im Gemeindedienst fest angestellten Medizinalbeamten, die Uni¬
versitätslehrer der Hygiene, gerichtlichen Medizin und Psy¬
chiatrie sowie die an hygienischen, gerichtsärztlichen und psy-
cluatnsehen Instituten fest, angestellten Aerzte, die Direktoren
öffentlicher Anstalten für Geisteskranke, Epileptiker und Idio¬
ten sowie alle staatsärztlich approbierten Aerzte, auch wenn sie
nicht im Staats- oder Gemeindedienst angestellt sind Der
Jahresbeitrag beträgt 12 M.; dafür erhalten die Mit-
g !ed^ den 1.cht u1ber che Hauptversammlung und die „Zeit¬
schrift für Medmnalbeamte“ unentgeltlich und portofrei zu-
geschickt. In den V orstand wurden gewählt : Rap m u n d -
Minden, v D a 1 1 A r m i - München, Engelbrecht - Braun¬
schweig I 1 1 n z e r - Plauen, Gaffky- Giessen, H e c k e r -
\ eissenburg i. E., K ö s 1 1 i n - Stuttgart, Kürz- Heidelberg,
L ehr- Darmstadt, Le senberg- Rostock, Philipp- Gotha.
Richter- Dessau, Siemens- Lauenburg i. P Strass
m ann- Berlin, Wahncau - Hamburg.
Der V erlauf der ersten Hauptversammlung ist, ein sehr gün¬
stiger zu nennen; die Beteiligung war eine ziemlich grosse.
Seitens des Ministeriums des Innern begrüsste Obermedizinalrat
! V- y.a.9 und seitens der oberbayerischen Kreisregierung
Kreismedizmalrat Dr. Messerer die Versammlung. Die «m-
haltenen Vorträge, die hier nur kurz wiedergegeben werden
oinnen und an anderer Stelle nachzulesen sind, behandelten
interessante Gegenstände. Den ersten Vortrag hielt
Geh. MedURat Prof. Dr. Fritsch- Bonn über die Be¬
griffen^ der der Patienten zu operativen Ein-
Mehrere gerichtliche Entscheidungen der letzten Jahre haben
diaser Frage nicht nur ein theoretisches, sondern auch ein grosses
praktisches Interesse zugewendet. Der Vortragende stellte fol¬
gende fhesen auf:
»1. Gesetzliche Bestimmungen über die Notwen fHo-ton
Einwilligung des Patienten zu liner ojeraüon Sgen Ä im
Interesse der Aerzte noch weniger im Interesse des Patienten.
2. t lelmehi ist das Emholen der Einwilligung des Patienten
’iiyr; amtliche mÄ Ä
k !pierPng . bei fehlerhaftem -Handeln, noch zur Recht-
erti„ung des ärztlichen Handelns überhaupt dienen.“
• jEr b<U'ründete dieselben eingehend und sprach sich, wie auch
m der Diskussion Strass mann - Berlin, entschieden gegen
\U\ J|Ur^tlSGbe _ Auffassung aus, die wegen gewisser äusserer
Aehniichkeit mit verbrecherischen Verletzungen in der chirurgi¬
schen Operation eine — allerdings meist straflos verübte —
Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches erblickt.
Der nächste Vortrag verbreitete sich über den normalen
hnd pathologischen Rausch. Der Referent, Professor Dr.
kr am er- Göttingen führte einleitend aus, dass es streng
wissenschaftlich nicht richtig sei, von einem „normalen“ Rausch
zu sprechen, da jeder Rausch etwas Pathologisches, eine Alkohol¬
vergiftung des Gehirns darstelle. Wenn trotzdem das Straf¬
gesetzbuch m dem Rausche einen Straf ausschliessungs- oder
ötratmilderungsgrund nicht erblicke, so sei dies darauf zurück-
zutuhren, dass mit Rücksicht auf die heutigen Volksgewohn-
eiten das allgemeine Volksbewusstsein von jedem Erwachsenen
voraussetze, dass er im Gegensätze z. B. zur CO-Vergiftung eine
gewisse Quantität Alkohol vertragen könne, ohne in seinem Tun
und Lassen auffällig zu werden, die Direktion zu verlieren oder
Strafgesetzbuch in Konflikt zu kommen. Obschon
J18 l > roz- a^er strafrechtlichen Vergehungen in irgend einem
msammenhang mit dem Alkohol begangen werden, seien doch
ne nach dieser Berechnung gewonnenen Zahlen verschwindend
VR>1Uir e®ei^bber den Räuschen und Räuschchen, welche all-
a jeiidhch im Deutschen Reiche nachhause gebracht werden,
lese latsaehe erkläre sich daraus, dass ähnlich wie bei der
MUE NCI1ENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1719
Hypnose auch im Rausche die kontrastierenden Vorstellungen
ihren Einfluss geltend machen können und eine gewisse Schulung
mich hier sich anerziehen lässt. Unter diesem Gesichtspunkte
zelmkTst T Ch ^ T V0lksbeWUSStsein in letzter Instanz wur-
zelnde Strafgesetzgebung verstehen. Zum Thema selbst stellte
rtruktt^Ä “ begründete sie in eingehender, in-
«r
2n,H»/r .. r1!’010*180»«' I'h'selieinungen im eigentifehen
/U. tand des pathologischen Rausches (Angst, delirante Zustände
eigentümliche motorische Reaktionen' ‘ Ver-
halten der Pupillen, terminaler Schlaf u. s. w.). ’
vs liegt in der Natur der Sache, dass bei Punkt 3 hänfiir
Ibe^Pnikt^'uMT1?^11'11118' Mufig lassen
auei 1 unkt i und 2 sich genauer feststellen, so dass doch nnru.
nut grosser Wahrscheinlichkeit die Diagnose gestellt werden kann
Begreiflicherweise wird es aber auch Fälle geben, wolieh weS
d e Hrankheü ausschliessen, noch die Gesundheit beweisen lässt
V ir müssen uns aber auch immer vor Augen halten dass die
pSä'fürTloW™’- V l11? Dla*nose 1,1 Betracht kommenden
eü“ «■“ •— *- K
II. Als besonders erwähnenswerte Punkte
kommen noch weiter in Betracht: c
1. Nach dem heutigen Stande der Gesetzgebung: kann nur
oh!uRailSCh ?ls Pathol°gisch angesehen werden, bei dem eine Be¬
einflussung durch krankhafte Momente erwiesen ist.
Da sachverständige Arzt nur über Krankheit ein Gut-
bämn a.b^lbt> nichf aber über gesunde Zustände, wird er am
GrmH 3 Gutac*Jei\ uber einen normalen Rausch und dessen
d ’ wenn er überhaupt danach gefragt wird, ablehnen.
Rausch^ Intoleranz ^gen Alkohol ist noch kein pathologischer
4. Der pathologische Rausch kann sich, namentlich bei schwe-
rn!t P^c‘hopafh'schen Zuständen, bei ein und demselben Individuum
mit fast gleichen strafbaren Handlungen wiederholen.
ha nripi, oJ1' ^eim habitueI1 eine Intoleranz gegen Alkohol vor-
eäeftlnÄn T--no ef ausnahmsweise gelingt, die besonderen
begleitenden Umstande herbeizuführen, ist es möglich, mit dem
Experiment einen einigermassen positiven Erfolg zu erhalten
. Zur Diagnose des pathologischen Rausches genügt der Nach¬
weis der transitorischen Bewusstseinsstörung allein nicht es
muss vielmehr der Nachweis erbracht werden, dass diese Be¬
wusstseinsstörung durch krankhafte Momente, die nicht allein in
der Alkoholvergiftung- liegen, herbeigeführt ist
7. Die Erinnerung an das Vorgefallene kann bei dem patho-
ogisclien Rausch fehlen, sie kann aber auch mehr oder weniger
partiell sein. b
8 Die Handlungen im pathologischen Rausch sind häufig Ge-
WcllttiKtO.
- ,9- .^ach 4blau,f des pathologischen Symptomenkomplexes er-
rolgt häufig ein jäher Zusammenbruch mit anschliessendem ter¬
minalem Schlaf.
n 1()-. P*e Trägheit der Pupillenreaktion kann zur Diagnose
sein wichtig sein; ihr Fehlen scliliesst aber den pathologischen
Rausch nicht ans.
In der Diskussion machte G udden - München Mit¬
teilungen uber Beobachtungen bezüglich der Pupillarreaktion und
des Patellarrefiexes bei Berauschten.
Dr. W o 1 f f, Kreisassistenzarzt in Stralsund, sprach sodann
über den jetzigen Stand des serodiagnostischen Verfahrens
zur Unterscheidung der verschiedenen Arten von Blut, Milch
u. s. w. und erläuterte mit Benutzung von Demonstrationen die
Bedeutung, die Methoden und die praktische Anwendung dieses
Vei fall rens-, das in der Hand eines geübten Sachverständigen
noch bestimmte Schlussfolgerungen ermöglicht, wo die bisherigen
l Tntersuchungsmethoden versagten.
Am zweiten Sitzungstag erstattete Professor Dr. Fränkel-
Ilalle einen sehr lehrreichen und mit grossem Beifall aufgenom-
menen\ ortrag über: Wissenschaftliche und praktische Hygiene.
Der berufene Träger der Gesundheitspflege sei der Medizinal¬
beamte, zu seinen wichtigsten Aufgaben gehöre der Seuchen¬
schutz. Der persönlichen Disposition käme zwar eine grosse
Wichtigkeit für die Ausbreitung von Seuchen zu, doch dürfe
man sich auf diesen unbestimmten Faktor nicht zu sehr verlassen,
da auch bei geringer,- Disposition eine Infektionskrankheit sich'
ausbreite, wenn die notwendigen Sohutzmassregeln vernachlässigt
werden; das Wichtigste sei eine planmässige vernünftige Pro¬
phylaxe und eine energische Seuchenbekämpfung, wobei Wissen¬
schaft und Praxis Hand in Hand gehen müssen und das Vor¬
gehen sich bei den einzelnen Infektionskrankheiten verschieden
1720
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
gestalten muss. Mit einer weiteren Ausdehnung und Durch¬
führung der Anzeigepflicht, einem möglichst frühzeitigen und
raschen Eingreifen, einer Isolierung, die nach Art der Er¬
krankung strenger oder milder zu handhaben sei, einer fort¬
laufenden Desinfektion der pathogenen und Mikroorganismen
und der Prüfung und Feststellung aller WTege, auf denen eine
Verschleppung der Krankheit möglich sei, lasse sich in jedem
Kalle ein Seuchenschutz zweckmässig organisieren und durch¬
führen. Namentlich der beamtete Arzt habe einen unermüd¬
lichen Kampf gegen die Feinde der Gesundheit zu führen, er
solle möglichst viel in seinem Kreise, möglichst wenig in seinem
Amtszimmer sein; dabei sei eine möglichst enge Fühlung mit
den Fortschritten der Wissenschaft unerlässlich. Es empfehle
sich daher die weitere Durchführung hygienischer Kurse für
die Medizinalbeamten an den Universitäten und hygienischen
Instituten in höchstens 3 jährigen Kursen, wie sie in Hessen
eingerichtet sind. Von grosser Bedeutung sei ferner die Ei¬
richtung von Anstalten, in denen hygienische Untersuchungen
unentgeltlich vorzunehmen seien und die sich zweckmässig an
die bestehenden hygienischen Universitätsinstitute angliederten;
die Kosten sollten auf Staat und Gemeinde verteilt werden.
In der sich anschliessenden Besprech u n g. wobei .
M e w i u s - Neustadt i. Schl., S i e g e 1 - Leipzig, S a 1 o m o n -
Koblenz, R a p m u n d - Minden, R o t h - Potsdam, Fielitz-
Halle und der Referent zum Worte kamen, wurde hauptsächlich
die Frage erörtert, inwieweit die Medizinalbeamten selbst tech¬
nische Untersuchungen vornehmen sollten und in welcher Weise
die vorgenannten Untersuchungsanstalten zu organisieren seien.
Sodann sprach Kreisarzt Medizinalrat Dr. Pfann-
m ü 1 1 e r - Offenbach eingehend über die Beteiligung der Me¬
dizinalbeamten bei der Wohnungbeaufsichtigung an der. Hand
nachstehender Thesen:
1. Die soziale Fürsorge für gesundes Wohnen berührt die
öffentliche Gesundheitspflege so intensiv, dass die Mitwirkung
der Medizinalbeamten dabei notwendig ist.
2. Der beamtete Arzt (Kreis-, Bezirks- u. s. w.-Arzt) soll in
Gemeinschaft mit den Verwaltungsbehörden den Erlass von Bau¬
ordnungen, die Ausarbeitung von Ortsbauplänen und Ortsbau¬
statuten für jede Gemeinde anstreben und begutachtend dabei mit-
wirken. .
3. Vor der Genehmigung von Gesuchen um Dispensation von
Bauvorschriften ist der beamtete Arzt gutachtlich zu hören.
4. In Gemeinden mit über 5000 Einwohnern ist ein Wohnungs¬
inspektor anzustellen, der nach Massgabe seiner Dienstanweisung
alle insbesondere die Wohnungen der Minderbemittelten, die
Schlafstellen für Lehrlinge, Dienstboten, die Massenquartiere und
Herbergen beaufsichtigt und in Verbindung mit dem beamteten
Arzt dafür Sorge trägt, dass gesundheitliche Nachteile vermieden
werden. . , . , .. ,
5. In Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern sind ört¬
liche Gesundheitskommissionen entsprechend zu organisieren, um
denselben Aufgaben zu genügen.
6. Zur Beurteilung der Wohnungen, Schlafstellen u. s. w.
dienen die durch Gesetz oder Polizeiverordnungen festzulegenden
Mindestforderungen an Wohnungen, Schlafräumen, Herbergen
7. In allen Fällen, in denen diesen Minimalforderungen nicht
genügt ist oder dem Wohnungsinspektor bezw. dem betr. Ge-
sundheitskommissionsmitglied gesundheitliche Bedenken entgegen¬
treten, ist das Gutachten des beamteten Arztes eiuzuholen.
8 Der beamtete Arzt revidiert auch ohne solche direkte Re¬
quisitionen alljährlich mit dem Wohnungsinspektor oder der Ge-
sundheitskommission eine Anzahl von Wohnungen.
9. Dem beamteten Arzt steht jederzeit Einblick m die Woh¬
nungsregister und die sonstigen Akten des Wohnungsinspektors
zu er kann demselben Belehrungen und Aufträge erteilen und
übernimmt auch die Anleitung und Ausbildung der demselben
etwa noch beigegebenen Wohnungspfleger.
10 Werden dem beamteten Arzt in Ausübung seines Dienstes,
insbesondere bei Ermittelung ansteckender Krankheiten, unge¬
sunde Wohnverhältnisse bekannt, so stellt er bei der Polizeibehörde
Anträge; ausserdem hat er den Wohnungsinspektor aut solche
Wohnungen aufmerksam zu machen. , M _ , ..
11. Der beamtete Arzt soll durch Wort und Schrift, Vortrage
in Vereinen, Verbreitung geeigneter volkshygienischer Schritten,
periodische Veröffentlichungen über Wohnungsfragen belehrend
und anregend auf das Publikum einwirken und bei der Gründung
von Bauvereinen, Herstellung von Arbeiter Wohnungen in geeig¬
neter Weise mitwirken.
12 Die Mitwirkung der praktischen Aerzte oder dei fetaat-
iirzte kann bei der dauernden Beaufsichtigung der Wohnungen
nicht entbehrt werden; der beamtete Arzt soll deshalb im Ver¬
kehr mit denselben, sowie in den ärztlichen Vereinen Anregungen
geben und selbst zu empfangen suchen.
Eine Diskussion schloss sich nicht an.
Den letzten Punkt der Tagesordnung bildete die Einrich¬
tung' einer Zentralauskunftsstelle über Kurpfuscher. Der Be¬
richterstatter, Kreisarzt Dr. Steinmetz - Strassburg i. E., be¬
tonte die Schwierigkeit, denjenigen zahlreichen Kurpfuschern
beizukommen, die sich unter Zuhilfenahme ausgedehnter Zei-
tungsreklame vorzugsweise mit der brieflichen Behandlung aus¬
wärtiger Kranker befassen; an ihrem Wohnorte selbst benähmen
sie sich oft. sehr zurückhaltend, so dass sie den dortigen Me-
dizinalbehörden entweder gar nicht oder nur ungenügend be¬
kannt seien. Auch sonst seien die Auskünfte meist unzulänglich
und das Verfahren bei den Erkundigungen zu umständlich und
langsam; es empfehle sich daher die Einrichtung einer Zentral¬
stelle durch den Verein, vermittels deren die Medizinalbeamten
der verschiedenen Bundesstaaten in einfacher und rascher Weise
Auskunft über Kurpfuscher sich verschaffen könnten.
In der Diskussion verbreitete sich 'Wille- Oberdorf
über die Kurpfuscherei überhaupt und äusserte sich pessimistisch
über die dagegen gerichteten Massnahmen: seiner Auffassung,
dass durch die Anzeigepflicht bei ansteckenden Krankheiten und
die Anmeldung beim Kreisärzte die Kurpfuscher gewissermassen
staatlich anerkannt und in ihrem Ansehen bei der Bevölkerung ge¬
hoben seien, wurde von Ra p m u n d- Minden ■Widersprochen dei
die Zweckmässigkeit und Nützlichkeit dieser für die Kurpfusche
lästigen und unangenehmen Massregeln betonte. Beckei-
München sprach sich mehr für eine amtliche Auskunftsstelle —
etwa beim Reichsgesundheitsamte — aus, da die amtlichen Er¬
kundigungen zuverlässiger seien und den Verwaltungsbehörden
und Gerichten mehr Handhaben bieten als private Auskünfte.
Wenn in gleicher Weise wie auf dem Gebiete der Aahrungsmittel-
^esetzgebung alle Verurteilungen von Kurpfuschern dem Reichs¬
gesundheitsamte mitgeteilt werden müssten, wäre dieses leie1 i
der Lage, den Amtsärzten zuverlässige amtliche Auskünfte zu ei
teilen. . ..
Die Versammlung beschloss, dem Vorstand des Vereins die
weitere Bearbeitung dieser Frage und die etwa erforderlichen
Schritte zu überlassen.
Hierauf wurde unter den üblichen Förmlichkeiten die erste
Hauptversammlung geschlossen.
74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Karlsbad vom 21.— 27. September 1902.
Referent: Dr. G r a s s m a n n - München.
TTT
Sitzung der medizinischen Hauptgruppe vom
25. September 1902.
Die zahlreich besuchte Versammlung wurde von dem Vor¬
sitzenden Stintzing-Jena mit dem Hinweise darauf er¬
öffnet, dass zum 5. Male seit der Neuorganisation der Gesell¬
schaft die medizinischen Abteilungen sich zu gemeinsamer
Sitzung versammeln und die Erfolge der früheren Sitzungen
bewiesen hätten, dass gerade bei den Aerzten infolge der Spe¬
zialisierung der Fächer ein besonderes Bedürfnis nach Kon¬
zentration besteht. Als heuriges Verhandlungsthema ist die
physiologische Albuminurie gewählt worden.
Erster Referent : Prof. Dieser- Düsseldorf :
Seit den Arbeiten von Bright (1827) über Albuminurie
in ihrem Zusammenhang mit Wassersucht und Nephritis hatte
unter den Aerzten und Laien dem Symptom der Enveissausschei-
dung gegenüber eine unbedingt pessimistische Auffassung Platz
gegriffen, die erst durch die Feststellung der „physiologischen
Albuminurie“ (L e u b e) herabgemindert wurde. Diese Erschei¬
nung kommt durch verschiedene Gelegenheitsursachen deren
Natur aus dem zweiten Referat erhellt zu stände.
Hinsichtlich der chemischen Seite der physiologischen
Albuminurie muss man zunächst fragen, bei welchem Eiweiss
gehalt. die Heller sehe Schichtungsprobe noch positiv ausfällt.
3 Prom. sind noch sicher zu erkennen. Kühne hat gezeigt,
dass die Nubecula des normalen Harnes Eiweiss enthält. Es
kommt darauf an, grössere Harnmengen auf Eiweiss zu unter
suchen, v. N o o r d e n gibt 0,6 mg Eiweissgehalt für 1 Liter
normalen Harnes an. Welche Eiweissmengen sind noch physio¬
logisch? v. Leube gibt auf diese Frage an: bis 0,1 Proz.,
v. Noordenbis gegen 0,4 Proz. Die Beimengung von Zylin¬
dern, besonders hyalinen, deutet schon auf pathologische u
stände hin. Das Harneiweiss besteht aus Serumalbumin, Serum
globulin, Nukleoalbumin. Erstere können nach der von P o i
angegebenen Methode, welche Redner näher anführt, voneinander
getrennt werden. Es liegen Beobachtungen von einem ran
zösischen Autor vor, der bei gesunden jungen Leuten am or
mittag im Harne Serumglobulin, am Abend Serumalbumin ge-
14. Oktober 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE W O CHEN S CTIRIFT.
funden bat. Der Harn zeigt dabei verringerte Menge, dunklere
Farbe, höheren Salzgehalt.
Hinsichtlich der experimentellen Tatsachen, welche auf die
Albuminurie Bezug haben können, erwähnt D. die Theorien
einerseits von Ludwig, andrerseits von H e i d e n h a i n.
Jedenfalls ist festzuhalten, dass mit der Produktion des Harnes
die physiologische Funktion der Niere nicht erschöpft ist, denn
sie regelt überhaupt die ganze Wasserbilanz des Körpers, den
Alkaleszenz- resp. Säurezustand des Organismus. Mit der
Ludwig sehen mechanischen Theorie sind zwei Tatsachen un¬
möglich zu erklären. Es zeigte sich nämlich, dass bei einer nur
IVa Minuten fortgesetzten Kompression der Nierenarterie die
Harnsekretion erst 45 Minuten später wieder begann. Ferner
sprechen die Versuche von Schwarz in Prag, der bei Hunden
das Blut ungerinnbar machte, dagegen. Auch existieren kli¬
nische Beobachtungen (Thrombose der Von. cav. oberhalb der
Nierenvenc bei reichlichem Harn), die gegen die Filtrations¬
theorie sprechen. Tiger stedt betont die Möglichkeit, dass
im Glomerulu's sowohl filtriert als sezerniert wird. D. schliesst
sich dieser Anschauung vollkommen an und zwar auf Grund
seiner kryoskopischen Untersuchungen, die er schon seit 1891
ausgeführt hat. Er untersuchte, ob der Harn osmotisch ver¬
dünnter ist als das Blut. Aber auch rechnerisch lässt sich, wie
Redner zahlenmässig darlegt, die Filtrationstheorie ad absurdum
führen. Bei der Harnsekretion spielt eine Zellentätigkeit mit,
nicht allein der Blutdruck. Andrerseits kann aber auch — ent¬
gegen II eidenhain — eine Resorption von Harnwasser statt¬
finden, wie sich ebenfalls durch Rechnung nachweisen lässt, die
den CI Na-Gehalt des Serums und Harnes berücksichtigt. Tat¬
sächlich bilden eben die Ludwig sehe und die Heidenhain-
B o w m a n n sehe Theorie keine prinzipiellen Gegensätze; jeden¬
falls ist aber eine spezifische Selektion der Zellen der Harn¬
kanälchen nicht zu entbehren.
V ie kommt es, dass bei der Bildung des Harnwassers im
Glomerulus aus dem Blute fast kein Eiweiss herübertritt? Ein
analoges Verhältnis findet sich für das Kammerwasser des Auges.
Auch hier ist der Eiweissgelialt viel geringer als jener der
Lymphe. Wichtig ist eben der Durchgang durch eine Zellschicht,
welche die Kapillaren überzieht. Dann kommen quantitative
Verhältnisse des Eiweisses in Betracht: So wies CI. Bernard
in seinem Harn schon nach Genuss von 2 rohen Eiern Eier-
eiweiss nach. Am leichtesten erscheint das Serumalbumin im
Harn, wofür C 1 o e 1 1 a die Bedingungen aufgedeckt hat. In
jedem Eiweissharn ist Serumalbumin, aber nicht Serumglobulin
enthalten. Das Serumglobulin scheint schwerer zu diffundieren.
Experimentelle Eingriffe können Albuminurie zur Folge
haben : Verletzungen am Boden des 4. Ventrikels (CI. Bernar d),
Durchschneidung der vorderen, Reizung der hinteren spinalen
Wurzeln, Thoraxkompression, Absperrung des arteriellen oder
venösen Blutstromes zu den Nieren. Albuminurie entsteht ferner
bei Eklampsie der Gebärenden, bei Strychninvergiftung, Blei¬
kolik, Tetanus. Auf jede Art von O-Mangel reagieren die
N ierenepithelien mit Albuminurie. Ebenso wirken Ureterenkom-
pression, Entziehung des CI Na aus der Nahrung, spezielle Ein¬
flüsse der Ingesta, z. B. reichlicher Genuss von Seefischen. Bei
der Fäulnis von Fischen entstehen Stoffe, welche die Niere
reizen. Ferner erscheint Albuminurie im Verlauf von Darm¬
krankheiten mit vermehrter Bildung von Indikan und Aether-
schwef eisäuren, dann durch Metalle, verschiedene ätzende und
reizende Substanzen. Die Epithelien der gewundenen Harn¬
kanälchen nehmen das für sie giftige Agens auf, werden ge¬
schädigt und dann ausgestossen. Albuminurie wird auch be¬
wirkt durch eine Steigerung der Viskosität (Zähflüssigkeit) des
Blutes. Diese verursacht langsameren Blutlauf und dadurch
O-Mangel für die Epithelien. Bei der Entstehung der Al¬
buminurie kommt es eben an auf die Empfindlichkeit des Glo-
merulusüberzuges, auf abnorme Porenweite des Epithels des¬
selben, vielleicht angeborene Eigentümlichkeiten des Epithel¬
überzuges. Ein verwertbares Objekt für das Studium der ganzen
Frage wäre die Wanderniere und die daran auf tretenden Ein¬
klemmungserscheinungen.
Dem sehr beifällig aufgenommenen Vortrage folgte sofort
das zweite Referat durch v. L e u b e - Würzburg:
Die frühere Annahme der Physiologie, dass der normale
Harn eiweissfrei sei, kann seit den von Redner (seit 1878) an
119 gesunden Soldaten angestellten Massenuntersuchungen nicht
1721
mehr anerkannt werden. Bei 4 Proz. der Soldaten fand v. L.
Eiweiss, nach Märschen bei 12 Proz. Andere Forscher haben
dies bestätigt, dann hiess es, dass jeder normale Urin Eiweiss
enthalte. Da die Frage wegen der Militärtauglichkeit, Heirats¬
konsens, Lebensversicherungen praktisch wichtig war, so ent¬
stand über die von Redner so benannte physiologische Albuminurie
eine grosse Reihe Arbeiten. Fest steht, dass bei ca. 15 — 25 Proz.
der Fälle im normalen Harn mit den gewöhnlichen Reagentien
Eiweiss nachgewiesen werden kann (Serumglobulin, Serum¬
albumin und Nukleoalbumin). Vor Vz Jahr hat v. L. speziell
auf das Vorkommen der ersteren Bestandteile untersucht und
fand an Soldaten im Nachtharn Eiweiss in 35 Proz. (Nukleo¬
albumin 24 Proz., Serumalbumin 11 Proz.), im Tagharu
(Exerzieren) in 59 Proz. (Nukleoalbumin 32 Proz., Serumalbumin
und Serumglobulin 21 Proz.). Bei leichterem Dienst trat eher
das Fl ukleoalbumin auf. Es scheint bei diesen Unterschieden
vor allem die aufrechte Körperstellung mitzuspielen. Posner
konstatierte zuerst, dass mit feinsten Reagentien in jedem Harn
sich Eiweiss nachweisen lässt, wenigstens in Spuren. Eiweiss¬
ausscheidung gehört also zur Norm, aber es kommt auf die
Menge an.
Warum nun bei gewissen Anlässen im Harn einzelner Ei¬
weiss deutlicher auftritt, ist schwer zu sagen. Diese Anlässe
sind: Muskelanstrengung, aufrechte Körperstellung, Nahrungs¬
zufuhr, psychische Erregungen, kühle Bäder.
Am wichtigsten ist wohl die aufrechte Stellung. Ein zur
physiologischen Albuminurie disponierter Mensch kann beim
Stehen Eiweiss haben, beim Liegen nicht. Mechanisch kann der
Zusammenhang nicht einfach sein. Legt man den Menschen auf
den Bauch oder die Seite, so erscheint kein Eiweiss. Auch Leute
mit Wandernieren, die auf die Seite gelegt werden, so dass die
Nierenlage eine andere wird, zeigen hiervon keinen Einfluss. Es
kann Vorkommen, dass beim Sitzen kein Eiweiss vorhanden ist,
das sofort beim Stehen auftritt, wofür v. L. ein typisches Bei¬
spiel anführt. Der betreffende Patient hatte kein Eiweiss, wenn
er auf dem Bettrande sass, ging er über das Zimmer zum Stuhle,
so zeigte er Eiweiss. Die Muskelanstrengung kann die Al¬
buminurie nicht allein verursachen, das zeigt sich bei liegenden
Menschen, die man sich anstrengen lässt, ohne dass sie Eiweiss
aufweisen. Es gehört die Position auf die Fiisse dazu. Es ist
mindestens wahrscheinlich, dass solche Anstrengungen zur Al¬
buminurie Veranlassung geben, welche Ermüdung herbei¬
führen. Man kann sich vorstellen, dass bei dieser Tätigkeit die
Versorgung der arbeitenden Teile mit Blut auf Kosten der
Niere geschieht. Sicher spielen nervöse Einflüsse eine Rolle,
wie schon F rer ich s feststellte. Nach starken geistigen An¬
strengungen tritt Eiweiss im Harn auf, bei manchen Leuten nur
an bestimmten Tagen (z. B. bei Hysterischen). Unter dem Ein¬
flüsse des Nervensystems können die Zirkulationsverhältnisse
verändert werden, wie auch von der Haut aus durch kalte
Bäder, wenn deren Temperatur unter 20° beträgt. Heisse
Bäder können die Albuminurie redressieren. Die Nahrungs¬
aufnahme als solche ruft sicher keine Albuminurie hervor,
sondern kann im Gegenteil eine bestehende Albuminurie re¬
duzieren. Die Quantität der Ingesta kann von Einfluss sein,
doch ist darüber wenig bekannt. Der Genuss weniger roher Eier
kann Albuminurie provozieren, aber nur wenn die Eier im
Stehen genossen werden, wobei dann erst Serumalbumin, später
Eieralbumin in grösserer Menge von den Nieren ausgeschieden
wird. Leute mit physiologischer Albuminurie verhalten sich
bei Aufnahme geringer Eiermengen wie Gesunde, aber nur, wenn
sie liegen.
Die genannten, den Eintritt der Albuminurie provozierenden
Faktoren sind nur wirksam, wenn die Nieren der betreffenden
gesunden Menschen zum Uebertritt von Eiweiss in den Harn
disponiert sind, wie v. L e u b e schon 1878 annahm. Diese in-
dh iduelle Disposition erklärt sich am besten durch die Annahme
einer angeborenen grösseren Durchlässigkeit der Filtrationsmem¬
bran der Niere, wofür auch das Vorkommen eklatanter physio¬
logischer Albuminurie bei mehreren Gliedern derselben Familie
spricht.
Nach Ansicht des Vortragenden gibt es:
a) Individuen, welche unter völlig normalen Verhältnissen,
auch ohne die Einwirkung jener die Albuminurie begünstigenden
Faktoren (auch im Nachturin), Eiweiss im Harn entleeren —
Menschen mit absolut undichtem N ierenfilter.
1722
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
b) Menschen mit relativ undichtem Nieren¬
filter, d. h. Individuen, die nur bei Einwirkung der genannten '
Faktoren (aufrechte Körperstellung etc.) Eiweiss mit dem Harn
entleeren, während für gewöhnlich der Urin eiweissfrei ist.
e) Menschen mit relativ dichtestem Nieren-
f i 1 1 c r, deren Urin unter allen Umständen eiweissfrei ist.
Die Kategorie b umfasst die Mehrzahl der Gesunden.
Ein Krankheitsbild der physiologischen Albuminurie gibt es
nicht.
Bei der Diagnose der physiologischen Albuminurie, die
besonders, wie erwähnt, wichtig ist wegen der Frage, ob die be¬
treffenden Menschen militärpflichtig sind, heiraten dürfen, in
eine Lebensversicherung aufgenommen werden können u. ä., ist
es notwendig, gewisse Krankheiten im voraus auszuschliessen :
abklingende Nephritiden, Schrumpf nieren im Beginn der Ent¬
wicklung, wo das Eiweiss noch nicht regelmässig auftritt, und
„Pubertätsalbuminurien“, die von den physiologischen Albu¬
minurien prinzipiell abzutrennen sind. Das sind Krankheits¬
bilder.
Die Pubertätsalbuminurie ist die Folge von per¬
verser Blutbildung oder von Herzinsuffizienz bei heranwachsen-
den Menschen mit überstürzter und protrahierter Pubertät. Die
Pubertätsalbuminurien heilen vollständig ab. Die allgemein ge¬
brauchte Bezeichnung „zyklische Albuminurie“ ist ganz fallen zu
lassen.
Zur Differentialdiagnose schlägt v. L. vor: Findet man bei
Tag Eiweiss, so muss zuerst nach etwaiger renaler Ursache ge¬
forscht werden. Ferner ist an Cystitis und Tuberkulose der Harn¬
wege zu denken. Aus der Quantität des Harnes und Eiweisses
lässt sich nicht viel entnehmen. Auch soll aus der Art des Ei¬
weisses kein bindender Schluss gezogen werden. Wichtig ist die
Regelmässigkeit oder Unregelmässigkeit des Auftretens. Natür¬
lich sind die direkt auf Nephritis weisenden Symptome (Herz¬
hypertrophie, Pulsspannung etc.). Harnzylinder sind wichtig,
ohne entscheidend zu sein (besonders nicht bei zentrifugierten
Harnen), da sie auch nach forcierten Radtouren, Sportspielen etc.
erscheinen, v. L. rät, erst nach einem Jahr ein bindendes Urteil
zu sprechen. Kommen bei körperlicher Ruhe Harnzylinder, be¬
sonders Epithelzylinder vor, so liegt immer Nephritis vor, wie
Sektionen beweisen.
Das Auftreten von Eiweiss im Harn ist bei Menschen mit
physiologischer Albuminurie eine harmlose Erscheinung und des¬
wegen kein Gegenstand der Behandlung; die Leute sollen
sich wie Gesunde verhalten. Dagegen kann die Pubertätsalbu¬
minurie, die nur vereinzelt in Nephritis übergeht, gebessert oder
ganz geheilt werden, nämlich durch Verbesserung der Blut-
beschaffenheit und der Herztätigkeit. Zu diesem Zwecke sind
systematisch abgestufte Muskelbewegungen, Mechanotherapie,
Terrainkuren in waldiger Gegend, Hydrotherapie, Eisenpräparate
besonders empfehlenswert.
Diskussion: Harz - Karlsruhe berichtet über einen Fall
von Albuminurie bei einem 14 jährigen Knaben, wo 9 monatliche
Beobachtung sicher erwies, dass hier die geistige Anstrengung den
vorwiegendsten Einfluss auf das Erscheinen des Eiweisses hatte.
H e u b ner - Berlin hat Albuminime bei zwei Knaben von
7 resp. 9 Jahren beobachtet. Hier schien das Aufrechtstehen ätio¬
logisch wirksam. Solche Leute sollen nicht im Bett gehalten
werden, es sind keine Kranken. In dem ersten Falle war nur
Serumalbumin da.
P o s n e r - Berlin hat bei einem Kollegen seit 17 Jahren
Albuminurie beobachtet, ohne dass andere Erscheinungen als
Neurasthenie hinzutreten. Das Eiweiss des normalen Harnes ist
ein Nukleoalbumin.
Matth es -Jena hat Lehrlinge (14 — 18 Jahre) untersucht,
fand in 10 — 20 Proz. Eiweiss (2 Prom.). Diese Leute fühlten sich
meist völlig wohl. Allo 77 Fälle mit Albuminurie zeigten sich als
vorübergehend, nach dem 18. Lebensjahre erfolgte schon eine
kleine Abnahme, nach dem 25. Jahr verschwand das Eiweiss
immer.
A 1 b u - Berlin betont als ätiologische Faktoren die sportlichen
Leistungen, besonders Wettsport. Alle Rennfahrer zeigten nach
forciertem Training Eiweiss und meist auch morphotische Be
standteile. In einzelnen Fällen präsentierte sich völlig das Bild
der Nephritis. Z u n t z und A 1 b u haben einige Leute des Distanz¬
marsches zwischen Dresden — Berlin untersucht. Alle hatten Ei¬
weiss bis zu 2 Prom., das Sediment entsprach einer schweren
Nephritis (sogar Hämaturie). Redner warnt vor sportlichen Ueber-
treibungen.
Schatz- Rostock: Die beim Stehen auftretende Albuminurie
lässt sich doch mechanisch erklären aus dem erhöhten intra-
abdominellen Druck, der beim Liegen sinkt, beim Sitzen steigt.
1 >adurck sind einzelne Beobachtungen v. L e u b e s zu erklären.
Ist der intraabdominelle Druck gering, so sind die Venen weniger
belastet, die Niere wird besser durchblutet. Der intraabdominelle
Druck ist sehr raschen Wechsels fähig.
Benjamin- Berlin hat vor Eintiütt der Menses bei einem
20 jährigen Mädchen regelmässig Eiweiss im Harne beobachtet
und konnte das bei erweiterten Untersuchungen öfters konsta¬
tieren.
P 1 ö n i e s hat bei Heus ventr. öfter Albuinen gefunden, das
sich während der Behandlung bald verlor.
S t e c k e 1 vertritt ebenfalls die Berechtigung der mechani¬
schen Theorie für die physiologische Albuminurie mit Hinweis auf
die Beobachtung, dass Frauen, bei denen die Nierenuntersuchung
mittels bimanueller Palpation vorgenommen worden war, nachher
Eiweiss im Harn hatten.
Pribram - Prag: Die Eiweissmenge ist bei den Pubertäts¬
albuminurien relativ reichlich. Sie treffen zusammen mit dem
schubweisen Wachsen der langen Röhrenknochen.
Pick- Prag hat seit 4 Jahren Sportsleute (Fussballspieler)
untersucht und bei SO Proz. bis 0,4 Prom. Eiweiss gefunden. Trotz¬
dem sind die Leute gesund. Bei trainierten Engländern hat P.
bis 8,5 Prom. Eiweiss gefunden. Redner ist gegen zuviele ärzt¬
liche Warnungen.
Sternberg - Wien fand bei vielen seiner Untersuchten
dyspeptische Erscheinungen, seltener Herzinsuffizienz. Die Leute
mit Albuminurie gaben meist an, dass sie nur schwer und wenig
schwitzen. Es ist der Antagonismus zwischen Haut und Nieren
in Betracht zu ziehen.
Weisker wendet sich gegen Schatz auf Grund seiner
Untersuchungen im Ludwig sehen Laboratorium, Ausführungen,
welche Schatz später bekämpft.
Aufrecht - Magdeburg hat öfter nach Partus Albuminurie
gefunden, welche v. L e u b e später als physiologische erklärt.
Kleinknecht- Braunschweig berichtet von einem 30 jähr.
Patienten, wo das Eiweiss (0,2 Prom.) erst wieder verschwand,
nachdem durch Aenderung der Diät das Verschwinden von Oxal¬
säurekristallen erzielt worden war, welche vielleicht die Niere
vorher gereizt hatten.
Nachdem S t i n t z i n g - Jena auf die schwierige Abgrenzung
der physiologischen Albuminurie gegen Nephritis, spez. beginnende
Schrumpf niere hingewiesen und vor dem zu häufigen Gebrauch
der Zentrifuge gewarnt hatte, wird die Sitzung nach kurzen Ant¬
wortbemerkungen des 2. Herrn Referenten geschlossen.
Abteilung für innere Medizin.
Referent : A 1 b u - Berlin.
II. Sitzung.
1. Herr P ä s s 1 e r und Herr R, o 1 1 y - Leipzig : Experi¬
mentelle Untersuchungen über die Kreislaufstörung bei
akuten Infektionskrankheiten. (Der Vortrag erscheint in dieser
Wochenschrift.)
2. Herr Lewin sohn - Soden : Kritisches zur Mechano¬
therapie chronischer Herzkrankheiten.
Vortr. macht zum Gegenstand seiner Erörterungen die jetzt
vielfach üblich gewordene ITehungstherapie bei Herzschwäche
infolge chronischer Myokarditis. Er hält dafür, dass sie erheb¬
lich eingeschränkt werden muss, um die Patienten vor Schaden
zu bewahren. Denn durch Vermehrung der Herzarbeit werde der
fortschreitenden Degeneration der Herzmuskulatur Vorschub ge¬
leistet. Solche Herzen bedürfen vielmehr der Ruhe und Scho¬
nung. Vortr. empfiehlt kohlensaure Bäder.
3. Herr Mager- Brünn: Beitrag zur Lehre von den
Aneurysmen.
Vortr. demonstriert das Herzpräparat eines 33 jähr. Mannes,
der mit Fiebererscheinungen und den Symptomen einer akuten
Endokarditis zur Aufnahme kam und am 18. Tage seiner Er¬
krankung Symptome darbot — heftigster Schmerz, Atemnot ohne
Cyanose, kleiner Puls — . welche ein Aneurysma dissecans dia¬
gnostizieren liessen. Im Präparat findet sich eine von einem Kalk¬
stachel, der von den Aortenklappen ausgeht, hervorgerufene Per¬
foration der Aorta, die zur Bildung einer von der Adventitia be¬
grenzten Höhle Veranlassung gab, welch letztere wieder eine Per¬
foration in die Aorta pulmonalis zeigte. Weiter fand sich noch
ein Fibrom an den Pulmonalklappen. Die Entstehung der Hoble
wird als traumatisch-mykotisch (Kalkstachel, Fieber) angenommen
und an der Bezeichnung Aneurysma dissecans gegenüber Haema¬
toma arteriae sec. Eppinger festgehalten.
4. Herr Singer-Prag: Zur Kenntnis der Fälle von
akutem Herzjagen.
Vortr. berichtet über einen Fall, der seit 10 Jahren in seiner
Beobachtung ist. Bei dem jetzt 42 jährigen Mann ist die Tachy¬
kardie mit Symptomen seitens des Zentralnervensystems kom¬
pliziert: Dilatation beider auf Licht wie Akkommodation starrer Pu¬
pillen, linksseitige Ptosis, rechtsseitige Trochlearislähmung u. a. m.
Die früher paroxysmale Tachykardie ist nach einem Gelenkrheu¬
matismus permanent geworden. Es hat sich eine Aorteninsuffizienz
mit Erscheinungen von Angina pectoi’is ausgebildet. Bei Bett¬
ruhe hat Pat. nxir 80 Pulsschläge. Ganz besonders bemerkenswert
ist, dass axich bei Anfällen, sowie überhaupt erhöhter Pulsfrequenz
stärkere körperliche Bewegungen keine Besclxwei’den hervorrufen.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1723
14. Oktober 1902.
Durch tiefe Einatmungen können die Attacken koupiert werden
Auf Grund dieser Beobachtung rät Vortr. zur Vorsicht, eine funk¬
tioneile Neurose als das Wesen jeder paroxysmalen Tachykardie
anzusehen.
5. Herr v. Schrötter jun. - YV ien: Bronchiektasie der
rechten Lunge, Fremdkörperextraktion per vias naturales.
Von einem verschluckten Knochen war der Pat. ein Stück
aus dem Bachen herausgezogen worden. Nach 3 Jahren stellten
sich Erscheinungen ein, welche auf eine Bronchiektasie scliliessen
Hessen. RVU bestand eine leichte Dämpfung, doch war das
Röntgenbild negativ. Mittels der direkten Bronchoskopie nach
K i 1 1 i a n gelang es, das Knochenstück im rechten Bronchus zu
sehen und aus einer Tiefe von 29,5 cm zu extrahieren, wo es in
stark blutender Schleimhaut fest eingekeilt war. Die Lungen¬
höhle ist in Ausheilung begriffen.
6. Herr Ziemssen - Wiesbaden : Gesichtsfeldauf nähme
als Kontrolle in der Behandlung’ der Hirn- und Rückenmarks¬
lues.
Vortr. hat Gesichtsfeldaufnahmen für Schwarz, Rot und
Grün gemacht und besonders für die beiden letzteren Farben
bedeutende Einengungen festgestellt, zum Teil bei Patienten,
die anscheinend ganz gesunde Augen hatten, öfters selbst in ganz
leichten Fällen von syphilitischen Hirnerkrankungen. In einer
sehr grossen Zahl von Fällen hat sich nach einer erfolgreichen
antiluetischen Kur die Wiederherstellung des normalen Farben -
gesichtsfeldes ergeben.
III. Sitzung.
1. Herr H. S t r a u s s - Berlin : Ueber Osmodiätetik.
Es kann jetzt als feststehend gelten, dass das Ziel der os¬
motischen Arbeit der verschiedenen Organe auf eine Konstant¬
erhaltung des osmotischen Druckes des Blutes gerichtet ist. Die
osmodiätetische Schonung des Magens verlangt insbeson¬
dere bei motorischer Insuffizienz eine möglichst „gastroisotoni-
sehe“ Nahrung, weshalb Alkohol und grössere Salz- und Zucker¬
mengen bei motorischer Insuffizienz kontraindiziert seien, wäh¬
rend dieEiweiss-Fettbehandlung der motorischen Insuffizienz auch
durch osmologische Gründe gestützt werde. Alkoholika, insbeson¬
dere „Schnäpse“, dürfen als osmodiätetische Reizmittel angesehen
werden, wenn sie auch in hoher Konzentration zunächst die Re¬
sorption und dann erst osmotische Störungen anzuregen scheinen.
Für die Osmodiätetik der Nieren spiele die Dosierung der
Wasser- und Eiweisszufuhr eine grosse Rolle. Da die Polyurie
häufig — insbesondere bei chronischen interstitiellen Nephri¬
tiden — einen kompensatorischen Zweck zu erfüllen
scheine, so solle die Flüssig keits zufulir bei Polyurie nicht
so generell gekürzt werden, als es in den letzten Jahren wieder¬
holt geraten worden sei, wenn auch drohende oder vorhandene
Herzschwäche ein solches V,or gehen tatsächlich rechtfertige. Das
E i w e i s s quantum solle zwar ausreichend sein, aber doch der
unteren Grenze des zur Erhaltung guter Leistungsfähigkeit not¬
wendigen Bedarfes nahestehen. Zweckmässig sei vielleicht eine
intermittierende, periodisch durchzuführende relativ ei weissarme
Diät. Auch die Grösse der Salz zufuhr erscheine bei gewissen
Formen von Nephritis nicht ganz gleichgültig.
2. Herr v. P o e h 1 - Petersburg : Die Autointoxikationen,
bedingt durch Anomalien der Gewebsatmung und der osmo¬
tischen Spannungen.
3. Herr Leo- Bonn : Zur Kenntnis des Fettumsatzes im
Organismus.
Vortr. berichtet über eine Reihe experimenteller Unter¬
suchungen bei Tieren und Menschen, gesunden und kranken, über
das Schicksal einverleibten Glyzerins im Organismus. Zur Iso¬
lierung und quantitativen Bestimmung des im Harn zur Aus¬
scheidung gelangenden Glyzerins hat er eine eigene Methode aus¬
gearbeitet. Nach Eingabe von 10 g Glyzerin ist der Harn stets
frei davon. Erst nach der 3 fachen Menge ist es sicher darin nach¬
zuweisen. Der Grenzwert der Glyzerinmenge, die im Organis¬
mus vollständig verbrannt wird, ist höchstens auf 20 g zu
schätzen. Nach 8 Stunden ist die Ausscheidung schon beendet,
Vortr. schlussfolgert aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen,
dass anzunehmen ist, dass die Fettzer Setzung im Organismus
durch eine Spaltung in Glyzerin und Fettsäure eingeleitet wird.
4. Herr F. Rosenfeld - Berlin : Ueber Indoxylurie.
Vortr. berichtet über Versuche, die er gemeinschaftlich mit
F. Bl umenthal - Berlin angestellt hat zur Entscheidung der
Frage, ob Indol auch durch Gewebszerfall im Körper entstehen
kann. Lei Kaninchen, die bei ausreichender Ernährung gehalten
waren, wurde durch Phloridzininjektion ein gesteigerter Stick¬
stoffzerfall erzeugt, welcher das Auftreten von Indol im Harn
zur Folge hatte. Für die Abstammung desselben aus dem Dann
ist kein Anhaltspunkt ersichtlich.
5. Herr Langstein - Wien : Die Kohlehydratgruppen
der Eiweisskörper im Blutserum. (Der Vortrag erscheint in
dieser Wochenschrift.)
6. Herr v. Noorden -I rankfurt a. M. : Bemerkungen zur
Pathologie und Therapie des Diabetes mellitus.
Zunächst betont Vortr., dass die neuerdings vielfach üblicli
gewordene übermässige Eiweisszufuhr in der Nahrung der Dia¬
betiker zu widerraten sei, da sie die Z ucker ausscheidung steigert
und die Toleranz für die Kohlehydratassimilation herabdrückt.
Unterschiede der einzelnen Eiweissarten hinsichtlich ihres Ein¬
flusses auf die Glykosurie sind noch nicht bekannt. Nach Beob¬
achtungen an 20 Patienten stellt sich am günstigsten das Hühner -
eiweiss, dann Pflanzeneiweiss, Kasein und schliesslich Muskel-
eiweiss. Aber viel mehr ausschlaggebend ist die Individualität
des Kranken. Ein einzelner Eiweisskörper scheint die Glyko¬
surie günstiger zu beeinflussen als die Vereinigung- mehrerer.
Von den Nahrungsfetten erhöht die Butter am meisten die
Azetonausscheidung, wahrscheinlich infolge ihres Gehaltes an
Buttersäure. Dennoch verdient sie in der Praxis den Vorzug,
zumal durch Auswaschen die Fettsäuren entfernt werden können.
Bei weniger als 150 g Buttefzufuhr ist auch die Differenz in der
Azetonausscheidung unwesentlich. Durch Alkalien ist der Ge¬
fahr auch unschwer entgegenzutreten. In vielen, besonders
schweren Fällen wird der Hafer doppelt so gut vertragen wie
entsprechende Mengen von Brot, doch nicht allgemein. In eini¬
gen Fällen sank die Glykosurie sogar unter gleichzeitiger Ab¬
nahme der Azetonurie. Eine Erklärung dafür lässt sich aber bis¬
her nicht geben. Aber nach Aussetzen der längere Zeit an¬
dauernden Verabreichung dieser Haferkost steigt Zucker- und
Azetonausscheidung sehr jäh wieder an, ja es entsteht sogar die
Gefahr des Coma diabeticum, so dass diese Ernährungsform
praktisch als undurchführbar sich erweist.
7. Herr v. J akscli- Prag demonstriert das Sputumpräparat
eines Falles von Asthma bronchiale, das eine sehr grosse Zahl von
eosinophilen Zellen zeigt.
8. Herr Singer- Wien: Ueber spastische Obstipation.
Vortragender unterscheidet eine symptomatische und eine
idiopathische Form. Erstere kommt bei Frauen mit Genitaler¬
krankungen vor, bei Männern infolge von Prostataaffektionen,
ferner Mastdarmerktankungen, Analfissuren, Hämorrhoiden
u. dergl., schliesslich auch bei Nierensteinkoliken. Das Haupt¬
kontingent der zweiten Form wird von Neurasthenikern gebildet.
Neben dyspeptischen Beschwerden bestehen Klagen über Schmer¬
zen in der Gegend des Nabels, des Coekum und im linken Hypo-
chondrium. Der Dickdarm ist in toto oder an einzelnen Stellen
strangförmig zu tasten, oft wechselnd. Selbst das Bild der Darm¬
okklusion kann vorgetäuscht werden. Der krampfhafte Spasmus
des Sphincter recti kann durch die Digitalexploration festgestellt
werden. Die Fäzes sind schafkotartig oder bleistift- und band¬
förmig, oft mit Schleimauflagerungen. Auch Blut ist zuweilen
beigemischt. Therapie: Narcotiea, am besten in Suppositorien,
warme Sitzbäder und Umschläge, warme Oelklystiere und Mast¬
darmbougierung. Zu verwerfen sind Abführmittel und Massage.
9. Herr L o r a n d - Karlsbad : Ueber die Wirkung der
Karlsbader Wässer auf den Diabetes.
Vortragender beobachtete eine Reihe von Fällen mit alimen¬
tärer Glykosurie ex amylo, sowie einige Fälle von leichtem Dia¬
betes, welche ohne jede Diätbeschränkung am Ende der Kur
ein stark amvlaceenreiches Probemahl ohne Zucker auszuscheiden
vertrugen. In 2 Fällen von alimentärer Glykosurie ex amylo
konnten sogar 60 g Traubenzucker keine Spuren von Zucker
hervorbringen. Er glaubt, dass den Wässern allein ein zucker¬
vermindernder Einfluss wenigstens für den leichten Diabetes
nicht abgesprochen werden kann. Er empfiehlt die Karlsbader
Kur prophylaktisch schon in Fällen von alimentärer Glykosurie
ex amylo, besonders wenn es sich um Kinder von diabetischen
Eltern handelt, um auf diese Weise den Ausbruch des Diabetes
zu verhindern.
MUENCIIENER ME DT CIN I SCH E WOCHENSCHRIFT
No. 41.
1724
Abteilung für Chirurgie.
Referent : Herr W ohlgemuth- Berlin.
II. Sitzung.
Vorsitzender : Herr Riedel- Jena.
1. Herr v. Büngner - Hanau: Zur Anatomie und Patho¬
logie der Gallenorgane und des Pankreas.
Die Forderung, die heute mit Recht an die chirurgische Be¬
handlung der Gallensteine gestellt wird, begnügt sich nicht nur
mit der Entleerung der Steine, sondern verlangt auch eine Jrei-
legung des ganzen Choledochus und Inspektion seiner Durch¬
gängigkeit. Diese Forderung nun und praktische Erwägungen
haben ihn dazu veranlasst, an 58 Leichen Erwachsener neue ana¬
tomische Untersuchungen über den Verlauf des Duct. choledochus,
des Duct. Wirsungianus und deren Beziehungen zu einander
anzustellen.
Das Resultat dieser Untersuchungen war folgendes :
1. Der Choledochus verlief fast stets — in 95 Proz. der
Fälle — durch die Substanz des Pankreas hindurch und nur
ausnahmsweise — in 5 Proz. der Fälle — am Ivopf desselben
vorbei. Dabei durchsetzte er den Ivopf des Pankreas in durch¬
schnittlich 2 cm Länge. Der im Pankreas liegende Teil des
Choledochus war so fest in das Gewebe desselben eingeschlossen,
dass er auf stumpfem Wege nicht aus demselben herauspräpariert
werden konnte.
2. Der Choledochus vereinigte sich fast nie — nur
in 1 — 2 Proz. der Fälle — mit dem Wirsungiaus, sondern
Choledochus und Wirsungianus mündeten beinahe immer — in
gg — 99 proz. der Fälle — getrennt in das Duodenum. Dabei
erfolgte die Mündung beider Gänge in durchschnittlich 0,2 cm
Entfernung von einander am Boden des in der Papilla duodenalis
liegenden Diverticulum Vateri. Das relative Lageverhältnis
beider Gänge vor der Mündung verhielt sich verschieden, doch
wurde der Wirsungianus in der Regel vom Choledochus über¬
kreuzt.
3. Der Wirsungianus verlief gewöhnlich ungeteilt. Nur
in 10 Proz. der Fälle gab er einen Nebengang ab, der in ver¬
schiedener Entfernung vom Hauptgange isoliert in das Duo¬
denum einmündete.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen weicht in mancher Be¬
ziehung von den althergebrachten anatomischen Lehren ab.
Was bedeutet dasselbe für die Praxis?
1. Die Tatsache, dass das Endstück des extraduodenalen
Teiles des Choledochus fast stets in die Sub¬
stanz der Bauchspeicheldrüse eingebettet ist,
lehrt: a) Die operative Freilegung des Choledochus ist ohne
blutige Verletzung des Pankreas meist nur bis zur Eintrittsstelle
desselben in dieses, nicht aber bis zum Eintritt desselben in die
Darmwand möglich, b) Solange wir annahmen, dass der Chole¬
dochus in der Regel am Kopfe des Pankreas vorbeiläuft, konnten
wir folgern, dass derselbe durch eine Vergrösserung des Pankreas¬
kopfes — sei es infolge entzündlicher Veränderungen, sei es
infolge von Geschwulstbildung — nur verschoben und erst bei
sehr erheblicher Vergrösserung komprimiert werden könnte.
Jetzt, wo wir wissen, dass der Choledochus fast immer durch
den Kopf des Pankreas hindurchtritt, wird es begreiflich, wes¬
halb eine Kompression des Hauptgallenganges bei allen den¬
jenigen Krankheitsprozessen, welche zu einer pathologischen
Vergrösserung des Pankreaskopfes führen, gewöhnlich unaus¬
bleiblich ist. Je nach dem Grade der Kompression werden wir
deshalb nicht nur bei den Krankheiten des Gallensystems, son¬
dern auch bei denjenigen des Pankreas meistens alle diejenigen
Symptome im klinischen Bilde in die Erscheinung treten sehen,
welche uns die Retention und Resorption der Galle mit ihren
Folgeerscheinungen anzeigen. Nur werden dabei im Gegensatz
zu den isolierten Krankheiten des Gallensystems natürlich auch
diejenigen Erscheinungen auftreten, welche mit einer Retention
des Pankreassaftes einherzugehen pflegen.
2. Die Tatsache, dass Choledochus und Wirsungianus
sich fast nie, wie wir früher als Regel annahmen, vereinigen,
sondern getrennt voneinander münden, lehrt fol¬
gendes :
Die Verlegung des einen Ganges muss nicht naturnotwendig
diejenige des anderen nach sieh ziehen. Vielmehr werden wir
erwarten müssen, dass Prozesse, welche isoliert im Choledochus
spielen, nur Krankheitserscheinungen von seiten dieses Ganges,
Prozesse, welche isoliert im Wirsungianus spielen, nur solche
von seiten des letzteren zur Erscheinung bringen; es wird also
bei Verlegung des Wirsungianus die Galle, bei solcher des Chole¬
dochus der Pankreassaft frei in den Darm abfliessen können.
Anders liegen die Verhältnisse, wenn Krankheitsprozesse
vorliegen, welche nicht in den Gängen selbst spielen, sondern die
zu beiden in Beziehung stehende Ampulle der Papilla duodenalis,
das Diverticulum Vateri, ergreifen. Schwillt bei Duodenal¬
katarrh die Oeffnung der Ampulle zu, lagert sich ein grösserer
Gallenstein vor seinem Austritt in den Darm derart in die Am¬
pulle, dass er dieselbe obturiert, oder wird endlich die Mündung
der Ampulle durch ein Duodenalkarzinom an dieser Stelle ver¬
schlossen, kurz handelt es sich um Prozesse, welche die Papille
als solche und damit die an sich getrennten Ausmündungen
beider Gänge verstopfen, erst dann wird die Sekretion der Galle
und des Pankreassaftes stocken ; beide werden sich in den
Gängen vor dem Hindernis zurückstauen und klinisch werden
nicht nur die Symptome der Gallenretention, sondern auch die¬
jenigen der Pankreassaftretention zur Beobachtung kommen.
Ja, wir werden um so mehr annehmen müssen, dass in solchen
Fällen auch die Sekretion des Pankreassaftes in den Darm auf¬
hören muss und solche Symptome hervortreten, welche eine Ver¬
legung des Wirsungianus erkennen lassen, als — wie oben unter 3
angegeben — der Wirsungianus gewöhnlich ungeteilt verläuft,
die Abzweigung eines isoliert in den Darm mündenden Neben¬
ganges von demselben mithin zu den Ausnahmen gehört.
2. Herr S t o 1 z - Strassburg : lieber das Wachstum der
Gallensteine.
Redner weist darauf hin, dass Gallenstauung und Infektion
nach Naunyn u. a. die wesentlichsten Momente für Gallen¬
steine sind, und macht demgegenüber darauf aufmerksam, dass
nach seinen Untersuchungen in einer Gallenblase, welche bereits
Gallensteine besitzt und dadurch gewiss den beiden Faktoren
Stauung und Infektion Vorschub leistet, sich doch nicht neue
Gallensteine bilden. Dieser Theorie stehe auch entgegen, dass
sich die vorhandenen Steine wieder auflösen können. Dagegen
haben seine Untersuchungen an extrahierten Steinen bewiesen,
dass es sich bei Vermehrung und Vergrösserung der Steine stets
um eine Auflagerung von Kalk handelt, in deren Schale im
Zentrum der Gallenstein liegt. Redner demonstriert die gewon¬
nenen Steine.
3. Herr Riedel - J ena: lieber den pathologisch-anatomi¬
schen Befund bei dem ersten Anfall von Gallensteinkolik.
R. bekommt, wie die Appendizitis, so auch jetzt die Gallen¬
steinkoliken in den ersten 12 Stunden nach dem ersten Anfall
überwiesen. Er berichtet über einige Fälle, die den Eindruck
einer Hydronephrose machten, die er also gleich nach dem ersten
Anfall operierte und die ihn in Erstaunen setzten wegen der
grossen Veränderungen, die sich bereits gebildet hatten: Fast
stets freie Flüssigkeit im Bauche, Ductus cysticus papierdünn,
der Perforation nahe, dabei bakteriologisch fast nichts. Wenn
daher auch die Gefahr der bereits eingetretenen Perforation noch
durch schleunige Operation abgewendet werden kann, so plädiert
er doch nach dem Gesehenen für schleunigste Operation nach
dem ersten Anfall.
4. Herr Keh r- Halberstadt: Ein Rückblick auf 720 Gallen¬
steinlaparotomien unter besonderer Berücksichtigung1 von
90 Hepatikusdrainagen. (Der Vortrag erscheint in extenso in
dieser Wochenschrift.)
5. Herr Körte- Berlin : Erfahrungen über Gallenstein¬
operationen.
Unter 135 Operationen wegen eitriger Gallenblasen- und
Gallengangsentzündung wurde 17 mal die Operation im akuten
Entzündungsstadium nötig aus vitalen Indikationen. Die Ge¬
fahren bestanden in akuter Sepsis oder im Fortschreiten der
Entzündung auf das Peritoneum. Bei 16 Fällen wurden Gallen¬
steine gefunden, in einem Falle 2550 Stück. In 3 Fällen han¬
delte es sich um Solitärsteine, nur 1 mal wurden keine Steine
gefunden. Trotz Vorhandenseins von Steinen war das Leiden
sehr häufig latent geblieben, bis akute Cholecystitis eintrat. Der
Beginn derselben war stets ein sehr plötzlicher, oft mit schweren
Allgemeinerscheinungen eintretender. Der Vorgang des Pro¬
zesses in der Gallenblase war stets der: Verstopfung des Aus¬
wegs der Galle, Infektion in dem abgeschlossenen Hohlraum.
Durch den Abschluss des Hohlraums steigt nun die Virulenz
14. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1725
der Bakterien, meist Bact. coli oder auch Eiterkokken. Eine
fernere Gefahr ist die Spannung- der Wand durch den wachsen¬
den Innendruck, welcher zur Nekrose und Perforation führt. Er
hat einen solchen Fall operiert, der nach Abstossung eines grossen
Stücks der Gallenblase heilte. 2 mal wurde bei älteren Frauen
in der Heilung von Herniotomien das Bestehen akuter eitriger
Cholecystitis mit schweren septischen Erscheinungen beobachtet
bei per primam geheilter Wunde. K. glaubt, dass durch die
vorangegangene Einklemmung Bakterien aus dem Darm die In¬
fektion besoigt haben. 3 mal wurde dicht vor dem Ausbruch
einer allgemeinen Peritonitis operiert. Es fand sich die Gallen¬
blase gespannt zum Platzen, mit nekrotischen Flecken besetzt;
ein Fall bereits perforiert. Alle 3 Fälle heilten. In allen 3 Fällen
war die Wand der Gallenblase verdickt, ödematös, mit Abszessen
mehrfach durchsetzt. 2 mal fanden sich Eiterherde zwischen
Gallenblase und Leber, im Begriff, in diese einzudringen. Die
Schleimhaut war gelockert, ulzeriert, in einigen Fällen so stark,
dass kaum noch intakte Schleimhaut gefunden wurde. Diese
Geschwürsbildung war nicht immer durch Steindruck, sondern
auch durch Eiterung entstanden, sie erinnerte in einigen Fällen
an das Ficus rotundum ventriculi. In einem Falle waren Chole-
dochus und Hepatikus mit Steinen vollgestopft. Die Spontan¬
heilung oder Heilung mit interner Behandlung ist in den Fällen
geschilderter Art vielleicht in einzelnen Fällen möglich, sicher
nicht einmal wahrscheinlich. Im ganzen sind durch die Ope¬
ration im akuten Stadium von den 17 Fällen akuter infektiöser
Cholecystitis 14 geheilt, 3 gestorben; diese waren 65, 66, 75 Jahre
alte I rauen, die mit Myokarditis, Schrumpfniere und Diabetes
behaftet waren und daran zu Grunde gingen. Ein grosser Bauch¬
schnitt und reichliche Umstopfung des Operationsfeldes mit
Gaze schützen vor Peritonitis. Im ersten seiner Fälle hat K
die Cystotomie mit nachfolgender Tamponade und Drainage ge¬
macht. Später hat er die Gallenblase entweder in toto exzidiert
(6 mal) oder reseziert (5 mal) mit nachfolgender Tamponade und
Drainage. 2 mal wurde mit der Cystektomie die Choledochus-
drainage verbunden. K. hält die Cystektomie für das am meisten
zu empfehlende V erfahren, weil 1. der Infektionsherd entfernt,
2. beginnende Lebereiterung freigelegt, 3. die Gefahr des Zurück¬
lassens von Steinen verringert wird. Ausgiebige Tamponade und
Drainage ist dringend notwendig. Subphrenische Eiterung und
Lebereiterung infolge der Cholelithiasis wurde in 9 Fällen ope-
i iert. Der Ausgangspunkt war in 6 Fällen die Gallenblase, sie
heilten durch Inzision und Drainage. In 3 Fällen waren es
cholangitische Leberabszesse. Sie sind meist multipel; bei zweien
war die Operation vergeblich. Der 3. Fall war ein Abszess im
rechten Leberlappen, der nach längerem Suchen gefunden und
perpleural von hinten her inzidiert wurde. Er heilte nach schwe¬
rem Krankenlager. Diffuse Peritonitis ist 6 mal zu stände ge¬
kommen, von denen nur ein Fall durch Laparotomie geheilt
werden konnte. — Auch wenn ein grosser Gallenstein durch die
Naturkräfte ins Duodenum perforiert, ist die Gefahr noch nicht
vorbei, es droht Darmverschluss durch Gallensteine. K. hat den
Vorgang 13 mal beobachtet.
Bei den dann operierten Fällen sass der Stein meist im un¬
teren Heum, 1 mal in der Flexura sigmoidea, 1 mal im oberen
Jejunum. Bei der Operation Längsschnitt mit querer Ver-
nähung, 1 mal mit Enteroanastomose. Von den 9 Operierten
wurden 5 geheilt, 4 starben, 2 im Kollaps gleich nach der Ope¬
ration, 2 an schon bestehender Peritonitis. Die Diagnose auf
Gallensteinileus ist schwer zu stellen, baldige Operation zu raten,
einmal, weil man die Diagnose nicht sicher stellen kann, zweitens
wegen der bei bestehendem Darmverschluss drohenden Gefahr
der Erschöpfung oder der Peritonitis.
6. Herr F i n k - Karlsbad : Operationen am Gallensystem
und an der Leber.
Während in dem ersten Teile der Arbeit die interne Behand¬
lung mit der Karlsbader Kur erörtert wurde, wird in dem
zweiten Teile die chirurgische Seite des Gallensteinleidens ver¬
folgt. Die ausgeführten Operationen waren leichte und schwere.
Zu den ersteren zählt er: Spaltungen, Naht der Fistel, Cysto-
stomie und Cystenteroanastomose; zu den schweren: Cystikotomie,
Cystektomie, Choledochotomie, Hepatikotomie und Hepatikosto-
mie. Die schweren sind überdies untereinander kombiniert.
Während die Zahl der einfachen 26 beträgt, beläuft sich die
Zahl der kombinierten auf 22 Operationen mit 64 schweren
Einzeleingriffen. Die Schwere der Operation und ihre Köm- i
bination fällt bei der Beurteilung der Erfolge in die Wagscliale.
Geheilt wurden 81, 2o Proz., unvollständig war die Operation
und neue Beschwerden traten auf in 41 Proz., Tod an den Folgen
der Operation in 2 Proz. und Tod an Komplikationen in 12,5 Proz.
Es geht daraus hervor, dass nicht die Operation als solche, son¬
dern dass die Komplikationen die Gefahr bei der Operation
bilden.
7- Heil Riedel- Jena stellt 2 Kranke vor, die er wegen
Gallensteinen nach Karlsbad geschickt hat. Bei der Operation
der einen Frau, wo die Diagnose nach Abgang von Steinen und
wiederauftretendem Ikterus sicher schien, fand sich in dein er-
öffneten und sondierten Choledoclius nichts. Dagegen konnte
Bact. coli gezüchtet werden. Dieses schuldigt R. nun für den
wiederauftretenden Ikterus an und ist der Meinung, diese Fälle
gehörten nach Karlsbad. Der zweite Fall, ein 19 jähriges Mäd¬
chen. ein ähnlicher Fall, in dem nach Exstirpation der Gallenblase,
genauer Inspektion des Choledoclius wieder Ikterus auftrat, wurde
zum zweiten Mal operiert. It. schnitt wieder den Choledoclius auf,
dann das Duodenum, drainierte den Hepatikus, alles mit ne¬
gativem Erfolge, schickte dann die Pat. nach Karlsbad. Er be¬
im uptet demnach, dass typische Gallensteinkoliken auch ohne
Gallensteine nur durch die Infektion der Gallenwege Vorkommen.
III. Sitzung.
Vorsitzender : Herr v. Eiseisberg - Wien.
1. Herr Reger- Hannover demonstriert Fieberkurven, die
die gesetzmässige Einwirkung der bakteriologischen Infektion,
des biologischen Verhaltens der Mikroorganismen auf den Nähr¬
boden „Mensch“ dartun sollen.
2. Herr Kausch- Breslau : Der Diabetes in der Chirurgie.
Redner empfiehlt zunächst in allen Fällen sorgfältigste
Urinuntersuchung, kommt dann auf die Operationen an Dia¬
betikern zu sprechen, beleuchtet die Gefahren derselben und will
die Patienten möglichst im zuckerfreien Stadium nach einge¬
leiteter antidiabetischer Kur operiert wissen. Er zieht die Kon¬
sequenzen daraus so weit, dass er den Patienten, der nicht zucker¬
frei zu bekommen ist, wenn keine- vitale Indikation vorliegt, nicht
operiert. Er erinnert an die von R e y n i e r aufgestellte For¬
derung, die Diabetiker nicht zu operieren, wenn die Patellar-
reflexe nicht vorhanden sind, sondern erst dann, wenn dieselben
durch eine antidiabetische Kur wieder da sind. Wir wissen
längst, dass die Forderung auf falschen Voraussetzungen beruht
und dass sie Reynier z. B. dahin geführt hat, ein Mamma¬
karzinom 1 J ahr lang auf die Amputation warten zu lassen.
K. kommt dann auf die Narkose an Diabetischen zu sprechen
und empfiehlt die Aethernarkose. Vor der Operation und eine
längere Zeit vorher empfiehlt er, grosse Dosen von Natr. bicarbon.
zu geben, per os, per elysma oder, wenn die Wirkung schnell ein-
treten soll, mittels intravenöser Injektion. Die Indikationen für
die Absetzung bei diabetischer Gangrän sollen nicht zu eng ge¬
zogen werden ; die Absetzung soll allerdings individualisiert
werden, je nach dem schnellen oder langsamen Fortschreiten der
Gangrän, je nach der Beschaffenheit der durchschnittenen Ge-
fässe.
3. Herr Sternberg - Wien : lieber Operationen an Dia¬
betischen.
Vortragender gibt eine kasuistische Statistik über die in der
G e r s u n y sehen Klinik operierten Fälle, die nichts neues
bieten. Einige seiner Fälle, die geheilt sind, würden nach der
Indikationsstellung von Kausch nicht mehr operiert worden
sein. | I i +|
4. Herr Friedrich - Leipzig: lieber die physiologischen
und pathologischen Funktionen des Stirnhirns.
Demonstration eines Falles von grossem Tumor (Sarkom)
Durae matris frontalis, der mit dem Stirnbein in breiter Aus¬
dehnung verwachsen war und das Stirnhirn, 1. und 2. Stirnwin¬
dung rechts nicht nur komprimiert hatte, sondern bei dessen Ent¬
fernung sich Rindenteile im Zustande gelber Erweichung mit¬
lösten, so dass der rechte Seitenventrikel breit eröffnet wurde.
Die grossen geistigen Störungen, die sich besonders auf sexuellem
Gebiete bewegten, verschwanden sofort nach der Exstirpation.
Demonstration des Präparats und des Patienten. Die Ope¬
ration ist 1 .Talir und 1 Monat her. Der über handtellergrosse
Schädeldefekt ist nicht geschlossen.
5. Herr Kuhn -Kassel: Die Ueber Windung der Flexura
sigmoidea.
Demonstration eines Darmrohres.
G. Herr U 1 1 m a n n - Wien: Demonstration eines Hydro-
thermoregulators und verschiedener Thermokörper.
7. Herr Brenner- Linz : Die operative Behandlung des
kallösen Magengeschwürs.
1726
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Nach kurzer Betrachtung der Symptome und der Diagnose
des kallösen Magengeschwürs berichtet B. über 24 von ihm ope¬
rierte Fälle und beleuchtet die Frage der Resektion oder der
Gastroenterostomie, erwähnt einige Fälle von der Literatur, in
denen nach der Gastroenterostomie die Resektion angeschlossen
werden musste, demonstriert dann einige Präparate, deren eines
eine zweite Verbindung zwischen Magen und Duodenum an der
kleinen Kurvatur aufweist, ein mit dem Duodenum verwachsenes
und in ihm perforiertes Geschwür. 12 Fälle sind mit Resektion
behandelt worden, 12 mit Gastroenterostomie. Von den resezierten
sind 4 gestorben: 1 Urämie, 1 Peritonitis nach Lösung der Naht,
2 inanitionen, eine durch Sanduhrmagenbildung mit undurch¬
gängiger Verbindung, entstanden durch Längsnaht des Magens.
Die Passagehemmung wurde auch nicht durch eine zweite Ope¬
ration (Längsschnitt mit Quernaht) behoben.
Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Sitzung vom 22. September, Nachmittags.
Referent : Dr. Edmund Falk- Berlin.
Herr R. Müllerheim - Berlin : Ueber Infantilismus.
In der Pathologie gibt es eine Reihe krankhafter Zustände,
welche darauf beruhen, dass gewisse Organe in ihrer Grösse oder
Lage, in ihrer Form oder Funktion in einem Stadium verharren,
welches dem fötalen oder infantilen Leben entspricht. M. liefert
einen neuen Beitrag zum Infantilismus auf Grund einer ange¬
borenen Lageanomalie und zwar in 4 Fällen, in welchen die
Niere an einer Stelle liegen geblieben, an der sie nur in der
ersten Zeit des embryonalen Lebens gefunden wird,
d. i. im Beck en. Dieser Zustand — Dystopia renis
hat nichts mit der Wanderniere zu tun, welche abnorm beweglich,
während die kongenitale Verlegung eine absolut fixierte ist. In
der Literatur konnte er fast 200 Beispiele zusammenstellen.
Herr Sperling - Königsberg : Zur Aetiologie der sogen,
intrauterinen Frakturen des Unterschenkels.
Sp. ist zu der Ueberzeugung gekommen, dass es sich nicht
um eigentliche Frakturen, um Kontinuitätstrennungen handelt,
sondern dass die Verbiegung und Verkrümmung der Knochen
das Resultat einer ähnlichen amniotischen Einwirkung ist, wie
die Abschnürung der langen Röhrenknochen. Viele dieser sogen,
solitären Frakturen sind nämlich mit Defekten verbunden.
Diese Tatsache, sowie angestellte Belastungsversuche bei einem
8 monatlichen Fötus überzeugten Sp., dass es sich nicht um ge¬
heilte Frakturen handeln kann. Bewiesen aber wurde dieses
vollends durch mikroskopische Untersuchungen. Denn bei den
anscheinend frakturierten Knochen sieht man keine durch¬
gehende Kallusbildung, keine Auftreibung des Knochens. Das
mikroskopische Bild zeigt häufig kleinzellige Infiltration in der
Umgebung der Krümmungsstelle und es spricht dieses dafür,
dass es sich um eine Periostitis gehandelt hat, welche durch
den Druck eines amniotischen Fadens entstanden ist.
Herren F. Hitschmann und Lindenthal - Wien :
Ueber das Wachstum der Plazenta und: Ueber die Entwick¬
lung der Plazenta unter normalen und pathologischen Be¬
dingungen.
2. Sitzung: 23. September 1902, V ormittags.
Herr W. A. Freund: Zur pathologischen Anatomie der
Parametritis chronica atrophicans. Ein Beitrag zur Lehre von
den nervösen Störungen, speziell von der Hysterie.
F r e u nd hat schon 1895 die pathologisch-anatomischen Ver¬
änderungen bei der Parametritis chronica atrophicans unter¬
sucht und neben dem Befunde der narbigen Hyperplasie des
interstitiellen Bindegewebes eine wahre Perineuritis des grossen
Ganglienapparates (F r ankenhäuse r) mit Auseinander-
drängung der Elemente des Geflechtes, teilweisem Untergang der
Nervenfasern, die sich im Narbengewebe verlieren, und Schwund
der dunkelpigmentierten und zu verschiedenen Formen ge¬
schrumpften Ganglienzellen als wesentlich beschrieben. Dieser
Vorgang, welchen man in Hinsicht auf die reichliche hyper-
plastische Entwicklung des peri- und endoganglionären Binde¬
gewebes als Neuritis proliferans (V i r c h o w) bezeichnen kann,
hat vielfache Analogien. Fr. demonstriert die hochinteressanten
Tafeln, welche die Verhältnisse des Nervengeflechtes bei Para¬
metritis acuta, sowie bei Parametritis chronica atrophicans in
höchst lehrreicher Form darstellten.
Herr Freund hat die Befunde der Parametritis chronica
atrophicans, speziell des Nervenapparates dieser Region, neuer¬
dings einer Revision unterworfen, für welche das reiche Material
des pathologischen Institutes des Friedrichshainer Kranken¬
hauses zu Gebote stand. Die unter tätiger Beihilfe des Herrn
v. Hanse m a n n, seines Assistenten Herrn Dr. F rieden-
t h a 1 und des Herrn Dr. Haschimoto nach den modernen
Methoden ausgeführten Untersuchungen haben Resultate er¬
geben, welche seine alten Befunde der Hauptsache nach be¬
stätigten, dieselben aber in einigen Punkten modifizierten und ge¬
nauer präzisiert haben. F r e u n d erklärt an einem das Becken¬
bindegewebe reproduzierenden Wachspräparat die Topographie
des Ganglienapparates, ferner zeigt er die die gefundenen Re¬
sultate klar und anschaulich beweisenden Präparate und zwar in
makroskopischen Schnitten, welche das normale Parametrium und
neben diesem einige Fälle von Parametritis chronica atrophicans
darstellen, endlich eine Reihe von wohlgelungenen mikro¬
skopischen Präparaten, meistens mit Giesonfärbung, einige mit
Ilämatoxilin und Eosin gefärbt, und zwar erstens normales Para¬
metrium eines 6 jährigen Mädchens, zweitens das atrophische
Parametrium einer 63 jährigen Greisin, drittens akute Para¬
metritis haemorrhagica, viertens mehrere Präparate von Para¬
metritis chronica atrophicans. Aus den Darlegungen Freu n d s
ist zu erkennen, dass er diese Untersuchungen auf breiter Basis
auszuführen beschloss und es ist F r e u n d beizustimmen, dass
dieselben gerade an diesem Organkomplexe ausgeführt ein sehr
lehrreiches Paradigma für derartige Untersuchungen an anderen
Organen und Organkomplexen abgeben müssen. Wir wissen seit
langer Zeit, dass dieser gangliöse Apparat am Parametrium erst
in der Pubertät zur vollständigen Reife gelangt, dass er sich in
der Gravidität mächtig entwickelt, dass er nach der senilen In¬
volution ganz bedeutend mit Lückenbildung schrumpft.
Freunds Untersuchungen haben interessante Veränderungen
bei der akuten und chronischen Parametritis nachgewiesen. Auf
Basis dieser reellen Kenntnisse darf man vermuten, dass auch
andere physiologische (die Menstruation, das Wochenbett, die
Laktation) und vor allem andere pathologische Zustände ört¬
licher und allgemeiner Natur auf das anatomische Verhalten des
Ganglienapparates und damit auf das Zustandekommen von Re¬
flexneurosen einen Einfluss üben werden. Wenigstens hat er in
den Leichen von Mädchen, die an akuten Infektionskrankheiten
(Diphtherie und Scharlach) zu gründe gegangen waren, auf¬
fallende Veränderungen an dem Ganglienapparate gefunden.
F r e u n d glaubt, dass auch andere akute Infektionskrankheiten,
welche, wie z. B. der Typhus, die Cholera, die Pocken, erfahrungs-
gemäss sehr bedeutenden Einfluss auf die Genitalfunktion üben
können, ferner chronische konstitutionelle Erkrankungen (Chlo¬
rose, Diabetes u. s. w.), deren störenden Einfluss auf die Geni¬
talien man ebenfalls kennt, ein fruchtbares Feld für weitere
Untersuchungen abgeben werden. Den Ausgangspunkt seiner
Untersuchungen haben die die Hysterie einleitenden Reflex¬
neurosen abgegeben.
Herr S e 1 1 h e i m - Freiburg i/B.: Der normale Situs der
Organe im weiblichen Becken.
Dem Bedürfniss des in der praktischen Arbeit stehenden
Gynäkologen und Chirurgen nach einer anschaulichen Bearbei¬
tung der Topographie des weiblichen Beckens ist noch nicht hin¬
reichend entsprochen. Für seine speziellen Fragen bleibt die
Ausbeute aus den anatomischen Werken unzureichend. In der
Art der Darstellung auf Schnitten besteht wenig System und
Neigung zur Anpassung an die Bedürfnisse des Gynäkologen und
Geburtshelfers. Es fehlt ein Anschauungsmittel, an der Hand
dessen man die normale Anatomie des weiblichen Beckens be¬
quem lehren und lernen und zu jeder neu auftauchenden Frage
Stellung nehmen könnte.
Vortragender bestrebte sich, diesem Mangel abzuhelfen. Aus
dem i’eichen Material des pathologisch-anatomischen Instituts
der k. k. deutschen Universität in Prag, welches der Leiter, Herr
Hofrat Chiari, in freigiebigster Weise zur Verfügung stellte,
wurden unter allen möglichen Kautelen 10 Becken geschlechts¬
reifer weiblicher Personen mit normalem Situs der Genitalien
ausgewählt. Nach der Fixation in Formol, der Härtung in
Alkohol und der Einbettung in Celloidin wurden die Präparate
nach der vom Vortragenden angegebenen Methode entsprechend
dem II o d g e sehen Ebenensystem (durch bestimmte Knochen¬
punkte gehende, in sagittaler, frontaler und querer Richtung an-
14. Oktober 1902.
1727
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
gelegte, aufeinander senkrecht stehende Ebenen, mit der medianen
Sagittalebene als Basis) in Serienschnitte zerlegt. Die Sagittal-
schnitte wurden entsprechend der Lage, in welcher man unter¬
sucht und vielfach operiert (Steinschnittlage, Rückenlage), also
mit einer Beckenneigung von 20 — 30°, wiedergegeben. Die ge¬
bräuchliche räumliche Bestimmung eines mobilen Organs nach
den selbst verschieblichen Weichteilen oder der sogen. Führungs¬
linie wird als durchaus unpraktisch verworfen und statt dessen
das Prinzip, sich bei der Orientierung im Becken nach fixen
Knochenpunkten zu richten, für die Untersuchung der Weich¬
teile an den Lebenden und an der Leiche eingeführt.
Die Resultate der Arbeit wurden in 40 lebensgrossen, von
Künstlerhand ausgeführten Tafeln, soweit es die Zeit zuliess, im
einzelnen demonstriert.
Im allgemeinen fand sich bei dem eingeschlagenen Verfahren
eine Bestätigung der herrschenden Ansicht über die Topographie
der weiblichen Geschlechtsorgane.
Als eine besondere Frucht dieser Studien ist es aber anzu¬
sehen, dass die genaue Untersuchung der anatomischen Verhält¬
nisse bei Nulliparen und Multiparen, bei jüngeren und älteren,
bei entwickelten und unentwickelten Individuen, ferner bei dem
wechselnden Eüllungszustand der Blase und des Mastdarms, in
welchem der Tod die Personen überraschte, so recht die Breite des
Spielraums kennzeichnet, in welchem die normale Lage der Ein¬
geweide des weiblichen Beckens naturgemäss schwanken muss.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit wurde aber dahin verlegt,
durch die Anwendung von dicht aufeinander folgenden, in den
drei Dimensionen des Raumes aufeinander senkrecht stehenden
Schnitten einen anschaulichen, gewissermassen. plastischen Be¬
griff des als richtig anerkannten Situs von Uterus und Eier¬
stöcken zugleich mit allen übrigen Gebilden des weiblichen
Beckens und ihren gegenseitigen räumlichen Beziehungen zu
geben. Einen dauernden Ratgeber für den Gynäkologen und
Chirurgen zu schaffen, war die Absicht des Vortragenden.
Herr S c h a t z - Rostock : Wann tritt die Geburt ein?
Vortragender hat die bisherigen Ergebnisse seiner Unter¬
suchungen über dieses Thema bereits in der „Deutschen Klinik“
veröffentlicht.
Herr Stolz- Graz: Studien zur Bakteriologie des Genital¬
kanales in der Schwangerschaft und im Wochenbette.
Die in der Klinik des Prof. v. Rosthor n angestellten
Untersuchungen ruhen insofern auf einer neuen Grundlage, als
nur solche Fälle herangezogen, wurden, die in der Geburt nur mit
steriler, d. h. mit sterilem Handschuh bekleideter Hand oder gar
nicht untersucht worden waren. Zur Züchtung der Bakterien
benutzte Stolz Nährböden, die nach den Vorschriften von
Paul und K r ö n i g im hygienischen Institute Graz hergestellt
waren.
Die Untersuchungen über den Keimgehalt
der Scheide Schw a n g e r e r führten zu dem Ergebnisse,
dass sowohl das normale als pathologische Sekret (im Sinne
Döderleins) zahllose Keime, insbesondere aber auch Strepto¬
kokken enthalten könne. Die Streptokokken Hessen sich stets
aerob und anaerob züchten. Injektionen von 0,1 ccm in das
Cavum peritoneale von weissen Mäusen erwiesen ihre hohe Viru¬
lenz. Im Herzblute und im Cavum peritonei fanden sich Strepto¬
kokkenreinkulturen. Die bakterizide Kraft des Scheidensekretes
hatte sich also nicht erwiesen.
Untersuchungen der Uteruslochien am
9. Tage post partum lehrten, dass diese in vielen Fällen
bakterienhaltig waren. Darunter befanden sich auch Strepto¬
kokken. Die Differenz im Reichtum an Bakterien und insbe¬
sondere an Streptokokken war bei Untersuchten und Nichtunter¬
suchten gering. Ebenso schienen die in der Geburt wirkenden
Umstände (Dauer der Geburt- und Nachgeburtsperiode, Prirni-
und Multiparietät etc.) im Bakteriengehalt der Lochien nicht
ausgeprägt.
Die Untersuchungen der Uterualochien an
verschiedenen Wochenbettstagen ergaben, dass
am 3. Tage u. s. f. bis zum 9. stets Keime nachgewiesen werden
konnten, auch Streptokokken. Und zwar schien der Keimgehalt
im F rühwoehenbetfe grösser, als im Spätwochenbette.
Die Untersuchungen über den Keimgehalt
der Uteruslochien des 4. Wochenbettages er¬
gaben in der Tat mehr Keime und mehr Streptokokken als am
9. Tage. Auch hier waren die in der Geburt wirkenden Verhält¬
nisse und Komplikationen in Verschiedenheiten des Reichtums
an Keimen nicht deutlich ausgesprochen. Nur bei Erstwöch¬
nerinnen überwog die Reichhaltigkeit der Keime (und Strepto¬
kokken) die der Mehrwöchnerinnen.
Aus diesen Ergebnissen zog Stolz die Schlussfolgerungen,
dass ein Aszendieren der Keime der Scheide und des äusseren
Genitales unmittelbar nach der Geburt beginne und während des
ganzen Wochenbettes statthabe. Die grössere Reichhaltigkeit
des Frühwochenbettes gegenüber dem Spätwochenbette konnte
nur dadurch erklärt werden, dass man annahm, dass die bakteri¬
ziden Kräfte des Uteruswundsekretes und der Wunde selbst bis
zum 9. Tage schon einen Teil der Bakterien vernichtet hatte und
dass der erschöpfte Nährboden für das Fortkommen eingewander¬
ter Keime unzureichend geworden war.
Aber warum kommt es bei einem so frühzeitigen Eindringen
von Keimen in den Uterus nicht stets zu Wochenbettfiebern?
Wir wissen, dass jede Infektion von der Pathogenität der
eingedrungenen Keime, ihrer Virulenz, ihrer Zahl, der Zeit ihres
Vordringens und von dem Zustand der Wunde abhängig ist.
Um über die Virulenz der gefundenen Streptokokken Auf¬
schluss zu erhalten, hat Stolz mit geringen Mengen von
Bouillonreinkulturen (0,1 bis 0,3 ccm) ca. 150 weisse Mäuse intra¬
peritoneal geimpft. Es zeigte sich, dass die Virulenz, d. h. die
dem Individuum innewohnende lebenszerstörende Kraft, seine
Lebensenergie, ausserordentlich verschieden ist. Züchtet man die
Streptokokken aus den Lochien aufeinanderfolgender Tage, so
findet man auch bei den schwersten Fiebern, die überraschendsten
Virulenzschwankungen. Trotzdem kann man im grossen und
ganzen sagen, dass die Streptokokken der Nichtfiebernden sich
für die weisse Maus ebenso virulent erwiesen, als die der Fiebern¬
den. Die Virulenz schien mit der Dauer des Aufenthaltes im
Uterus zuzunehmen.
Nach dem Gesagten kann die Virulenz allein das' Auftreten
und die Abwesenheit von Fiebern nicht erklären.
Dagegen fand Stolz, dass: die Streptokokken aus den
Lochien Fiebernder in ungleich grösserer Reichlichkeit und
Leichtigkeit angingen.
Bezüglich der Zeit ihres Eindringens sei darauf hingewiesen,
dass das Endometrium schon am 5. Tage p. p. grösstenteils re¬
generiert und somit widerstandsfähiger geworden ist, deshalb
sehen wir die schweren Wochenbettsfieber gewöhnlich frühzeitig
beginnen.
Stolz hat in ca. 90 Fällen die Infektion durch intra¬
uterine Ausspülungen mit 2 proz. Wasserstoffsuper¬
oxydlösung zu bekämpfen versucht. Das Ergebnis war ein durch¬
aus negatives. Auch die Virulenz der Streptokokken nahm nach
den Ausspülungen nicht ab. Dagegen verschwand der üble Ge¬
ruch der Scheidenlochien. Die Ergebnisse der Stolz sehen
Untersuchungen erklären auch jene Wochenbettsinfektionen, die
ohne jede Berührung des inneren Genitales eintreten und selbst
tödlich verlaufen können.
Herr Schröder - Bonn : Zur Eklampsiefrage.
Vortragender geht auf verschiedene Einwände ein, die sich
der Dienst sehen Eklampsietheorie machen lassen, und sucht
den Grund für manche Widersprüche in einer unzureichenden
Kenntnis wichtiger positiver Befunde, die teils irrtümlich, teils
ungenau beobachtet sind. Im Besonderen wird darauf hinge¬
wiesen, dass wir sicherlich ein falsches Bild über das Zusammen¬
treffen von Eklampsie und Albuminurie gewonnen haben, und der
Behauptung von Dienst, dass auch bei den leichtesten Formen
der Eklampsie wohl schon vor dem ersten Anfall eine Albumin¬
urie bestanden hat, die nur bei klinischem und subjektivem Wohl¬
befinden unbemerkt geblieben ist, entgegengetreten. Die Sta¬
tistiken über das Zusammentreffen von Eklampsie und Albumin¬
urie sind unzureichend, es ist häufig in den Krankengeschichten
nicht angegeben, welche Form der Nierenschädigung bestanden
hat, sie sind weiter ungenau, weil bei vielen Eklampsien der
erst nach mehreren Anfällen katheterisierte Harn zur Entschei¬
dung der Frage benutzt wurde, ob vor dem ersten Anfall schon
eine Albuminurie bestand. Hier muss eine neue sorgfältigere
Statistik Wandel schaffen und alle solche Fälle, bei denen nicht
die Urinuntersuchung’ gleich nach dem ersten Anfall vorge¬
nommen wurde, müssen als ungenau fortgelassen werden. Alle
früheren Angaben sind dabei nicht mehr zu benutzen oder nur
1728
MÜENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4L
die genau mitgeteilten Fälle nach strenger Prüfung zuzulassen.
Vortragender liest ein Schema der Bonner Frauenklinik vor, das
in jedem Eklampsiefalle ausgefüllt wird. Hie Hauptfragen, auf
die es in erster Linie ankommt, sind folgende: 1. Wie häutig
zeigt sich bei der Eklampsie die Albuminurie erst nach mehreren
Anfällen? Wie viel Eklampsien treten also bei fehlender Nieren¬
läsion ein? 2. Wie gross ist der Prozentsatz der Nephritiden,
an die sich eine Eklampsie anschliesst? 3. Wie verteilt sich die
Eklampsie auf die einzelnen Formen der Nephritis? 4. Welche
Form der Nieren erkrankung stellt für die Eklampsie das ge¬
ringste Mortalitätsprozent? Weitere Fragen beantworten sich
aus dem ausführlichen Schema.
Abteilung“ für Kinderheilkunde.
Referent : Privatdozent Dr. Bendix - Berlin.
II. Sitzungstag: 23. September 1902, V ormittags.
Vorsitzender : Herr C o m b y.
Referat: Ueber plötzliche Todesfälle im Kindesalter.
I. Herr v. Ganghofner - Prag : Als die zu erörternden,
plötzlichen Todesfälle werden jene bezeichnet, wo sich bei der
Sektion keine Organveränderungen finden, welche den plötzlichen
Tod genügend erklären. Hie Ansicht, dass die vergrösserte
Thymus durch Hruck auf die Luftwege plötzlichen Erstickungs¬
tod herbeiführen könne, hat seit Anfang der achtziger Jahre
wieder Anhänger gefunden. Her Vortragende bespricht die in
der Literatur des verflossenen Hezenniums enthaltenen Fälle, die
eine Kompressionswirkung der vergrösserten Thymus auf Trachea
und Bronchien dartun. Eine Kategorie dieser Fälle geht mit
längere oder kürzere Zeit bestehender Hyspnoe einher, so dass
der Tod nicht ganz unerwartet, nicht plötzlich erfolgt, diese ge¬
hören nicht hierher. Eine andere, nicht grosse Zahl von Fällen,
bietet dem klinischen Verständniss insofern Schwierigkeiten, als
der plötzliche Tod nur dann durch die mechanische Wirkung der
vergrösserten Thymus erklärlich wäre, wenn man eine ganz akut
auftretende Anschwellung der Thymus annehmen würde.
Wenn man von diesen absieht, so erübrigen noch zahlreiche
Beobachtungen, wo Zeichen einer Kompression der Luftwege
fehlen und daher von einer mechanischen Wirkung abgesehen
werden muss. Für diese wurde von vielen Klinikern die Lehre
A. Paltaufs vom sogen. Status lymphaticus zur Erklärung
herangezogen. Hieser von P a 1 1 a u f als besondere Konstitu¬
tionsanomalie aufgefasste Zustand ist gekennzeichnet durch eine
Hyperplasie des gesamten lymphatischen Apparates oder grösserer
Abschnitte desselben, wobei die Hyperplasie des Thymus nur
ein Teilsymptom bildet. Hiese Konstitutionsanomalie geht ein¬
her mit krankhaften Veränderungen der nervösen Zentren für
die Herzbewegung, daher kommt es bei solchen Individuen zu
Herzlähmung infolge verschiedener, oft geringfügiger Schädlich¬
keiten. Hiese Auffassung wurde geltend gemacht für die plötz¬
lichen Todesfälle bei Kindern mit Laryngospasmus, da die kli¬
nische Beobachtung dafür spricht, dass es sich dabei häufig um
plötzliches Versagen der Herztätigkeit handelt und nicht um Er¬
stickungstod; ferner wurde dieselbe herangezogen für die Er¬
klärung von unerwartetem Tod bei geringfügigen Eingriffen
(hydropathische Einwirkung) oder Schädlichkeiten, und zwar
nicht nur bei Säuglingen, sondern auch bei älteren Kindern und
bei jugendlichen Erwachsenen. Es gehören hierher die Todesfälle
nach Sturz ins Wasser (ohne Zeichen des Erstickungstodes) und
die rätselhaften Todesfälle bei der Narkose; von letzteren ist auch
schon früher angenommen worden, dass, sie nicht der Giftwirkung
des Chloroforms allein zugeschrieben werden können. Seit dem
Bekanntwerden der P a 1 1 a u f sehen Darlegungen ist bei zahl¬
reichen Narkosetodesfällen das Vorhandensein des Status lym¬
phaticus konstatiert worden, zugleich auch, dass der Tod unter
den Erscheinungen plötzlichen Herzstillstandes erfolgt. Eben¬
so fand man Hyperplasie des lymphatischen Apparates und häufig
auch eine vergrösserte Thymus in solchen Fällen, wo Kinder
oder jugendliche Erwachsene nach anscheinend nicht lebensge¬
fährlicher Erkrankung, besonders solcher infektiöser Natur, rasch
und unerwartet gestorben waren. Diese Beobachtungen reihen
sich an einzelne, plötzliche Todesfälle nach Seruminjektionen,
welche wohl ähnlich aufzufassen sind, wie die Beobachtungen
der ( hirurgen über plötzlichen Tod bei oder vor einer Operation
mit oder ohne Narkose. Neuerdings ist wieder die Behauptung
diskutiert worden, dass Säuglinge nach Abheilung von Haut-
ausschlägen unter dem Einfluss lokaler Behandlung unerwartet
sterben können. Wenn keinerlei Organerkrankung bei solchen
Säuglingen nachgewiesen wurde, so dürfte die Erklärung des
plötzlichen Todes zu suchen sein in den deletären Folgen einer
Stoffwechselstörung bezw. Ernährungsstörung. Auf Ernährungs¬
störungen als die wahrscheinliche Ursache plötzlicher Todesfälle
bei Kindern der ersten Lebensjahre scheint eine Reihe von Unter¬
suchungsergebnissen hinzuweisen, aus denen hervorgeht, dass das
Nervensystem von Säuglingen durch die Art der Ernährung sehr
beeinflusst wird in dem Sinn, dass eine unzweckmässige Er¬
nährung leicht zu Erregbarkeitssteigerung der Nerven führt.
Hie Beobachtungen über den plötzlichen Tod der an Laryngo¬
spasmus leidenden Kinder, der sich häufig als ein Herztod dar¬
stellt, scheinen die Vorstellung Paltaufs von krankhaften
Veränderungen nervöser Zentren bei Individuen mit Status lym¬
phaticus zu stützen, denn diese Laryngospastiker bieten häufig
die Erscheinungen der lymphatischen Konstitution, zugleich
aber auch Zeichen einer Neurose (Tetanie und tetanische Zu¬
stände, Erregbarkeitssteigerung der Nerven).
Es sind auch verschiedene Hypothesen aufgestellt worden,
welche darauf hinausgehen, die mit dem Status lymphaticus ein¬
hergehende Thymusvergrösserung zugleich mit einer Funktions¬
anomalie derselben in Verbindung zu bringen, welche eine Art
Autointoxikation zur Folge haben soll; man dachte dabei an eine
Analogie mit Funktionsstörung der Schilddrüse. Eine dieser
Hypothesen gipfelte in der Annahme einer Ilyperthymisation des
Blutes durch Hypersekretion der vergrösserten Schilddrüse.
Eine- solche Annahme entbehrt ausreichender Grundlagen,
die Tierexperimente sind nicht beweisend. Hie Annahme ist aus
verschiedenen Gründen nicht wahrscheinlich und kann ins¬
besondere für den Herztod der Laryngospastiker nicht Geltung
beanspruchen, da nur ein Bruchteil derselben eine vergrösserte
Thymus auf weist, während eine solche Vergrösserung bei der
Mehrzahl fehlt. Was die von Pal tauf als lymphatische Kon¬
stitution beschriebenen Veränderungen betrifft, so ist es sehr
fraglich, ob diese Veränderungen einer besonderen Konstitutions¬
anomalie entsprechen. Wohl drängen dieklinischen Beobachtungen
zu der Annahme, dass es Individuen gibt mit einer besonderen
Körperbeschaffenheit, die zur Herzlähmung disponiert. Der
Status lymphaticus kann jedoch, wenn er vorliegt, nur als Finger¬
zeig gelten, dass Störungen des Stoffwechsels vorhanden sind, die
eine solche abnorme Körperbeschaffenheit darstellen; es scheint
jedoch der Status lymphaticus nicht konstant mit diesen Stoff¬
wechselstörungen verbunden zu sein. In ätiologischer Be¬
ziehung dürften ausser fehlerhafter Ernährung wohl auch noch
andere Noxen, vielleicht auch pathologische Veranlagung eine
Rolle spielen, dies entzieht sich vorerst einer sicheren Beurtei¬
lung.
Während bei den jüngsten Altersstufen die häufig vor¬
handenen Zeichen einer Neurose darauf hinweisen, dass der plötz¬
liche Tod von krankhaften Veränderungen nervöser Zentren
abhängt, ist für Erwachsene kein Nachweis in dieser Richtung
erbracht.
II. Korreferat: Herr R i c h t e r - Wien bespricht die
pathologisch-anatomischen Befunde bei plötzlich gestorbenen
Kindern nach den im Wiener gerichtlich-medizinischen Institute
gemachten Erfahrungen. 1897—1901, in 5 Jahren, kamen 1797
plötzlich gestorbener und tot aufgefundener Kinder (bis zum
15 Lebensjahre) zur Obduktion, darunter im 1. Lebensjahre
allein 1525. In den weiteren Lebensjahren nimmt die Zahl rapid
ab; sie beträgt von 1 — 5 Jahren 218, 5 — 10 Jahren 40, 10 — 15
Jahren 14. R. bespricht die einzelnen Todesursachen, in welchen
weitaus die häufigste die kapilläre Bronchitis ist, welche die
Kinder durch Erstickung tötet ; nicht selten ist sie von
katarrhalischer Lungenentzündung oder von Harmkatarrh be¬
gleitet. Seltener ist Darmkatarrh oder Erstickung im Brech¬
akte die Ursache plötzlichen Todes. Ein negativer anatomischer
Befund ergab sich nur in 4 Fällen (abgesehen die faulen Leichen).
Es handelte sich einmal um einen Tod im epileptischen Anfall
bei einem 12 14 jährigen Knaben, einmal um ein rhachitisches
Kind, das wiederholt Glottiskrämpfe hatte, einmal um ein rha¬
chitisches Kind mit fettiger Degeneration des Herzmuskels, ohne
dass eine Ursache für die Degeneration gefunden werden konnte.
Nur einmal, bei einem 214 Monate alten Kinde, wird Status
lymphaticus, Lungenödem als Todesursache angegeben. Hie
14. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1729
Thymus mass 5 cm in der Länge und 5 cm in der Breite; dabei
war jedoch die linke Kammer kaum erweitert, die inneren
Schichten des Herzmuskels blass.
^ Was die I läge des ursächlichen Zusammenhangs zwischen
Thymusvergrüsserung und plötzlichem Tode anlangt, so verhält
sich R. einer solchen Annahme gegenüber skeptisch. Er findet in
der Literatur keinen beweiskräftigen Fall für die Annahme einer
mtra thorakalen Druckwirkung; auch die Frage, ob dem sogen.
Status lymphaticus die ihm vielfach zugesprochene Rolle zu¬
komme, hält R. noch nicht für entschieden. Dazu wären ge¬
nauere Untersuchungen nötig, namentlich über den Zustand des
lymphatischen Apparates bei gesunden, gewaltsam ums Leben
gekommenen Menschen, da der Befund einer grossen Thymus
und grosser Follikel u. s. w. möglicher Weise ein normaler sei
oder doch so häufig, dass ihm im konkreten Falle eine Bedeutung
nicht zugeschrieben werden konnte.
III. Herr J. Lange- Leipzig : Thymushyperplasie lind
Thymustod.
Abgesehen von den relativ seltenen Fällen von Thymustod
infolge von Kompression der Trachea kommen nicht so selten
Fälle von Störung der Herztätigkeit durch Druck der ver-
grösserten Thymus auf die grossen Gefässe vor. Ein von einem
8 monatlichen Kinde, das plötzlich verstorben ist, stammendes
Piäparat erläutert die dadurch entstehende Hypertrophie und
Dilatation, die unter dem Einfluss zufällig verstärkter In¬
anspruchnahme des Herzens zum „Herztod“ führen kann. Von
einem sogen. „Status lymphaticus“ ist hier nicht die Rede. — -
Ausser diesen perakut verlaufenden Fällen gibt es solche, wo
vorher eine Diagnose und eventuell eine Therapie möglich ist.
Zwei kurze Krankengeschichten erläutern diese Verhältnisse. Die
Symptome der Kompression der grossen Gefässe sind: Zeichen
von Herzangst, Unruhe, Schlaflosigkeit, Schreien und Nahrungs¬
verweigerung, ferner Hypertrophie und schliesslich Dilatation
des Herzens bei gleichzeitig nachweisbarer „Thymusdämpfung“;
zuweilen Herzklopfen, Cyanose, Ueberschnappen der Stimme und
Trachealstenose, Die zu versuchende Therapie wäre Beruhigung
des Kindes durch Chloral etc., in manchen Fällen Einverleibung
von Jodkali. Nach dem ersten Lebensjahre werden die Aus¬
sichten durch das Wachstum des Brustkorbes wesentlich gün¬
stiger.
Diskussion: 1. Herr K a s s o w i t z - Wien: Auch für K.
gibt weder die grosse Thymus noch der Status lymphaticus eine
ausreichende Erklärung für die plötzlichen Todesfälle. Aber in
einem Faktor, der bisher wenig berührt, sieht K. allerdings eine
T l Sache für den plötzlichen Tod. nämlich in der exspira torischen
Apnoe (Dyspnoe), wie sie bei schädelrhachitischen Kindern im
laryngospastisclien Anfall eintritt. Die Sektion kann, aber muss
den plötzlichen Tod nicht Erklären. Im Phosphor sieht K. ein
ausserordentliches Prophylaktikum gegen plötzliche Todesfälle bei
Kindern, die an Ivraniotabes leiden.
2- Herr v. R a nke- München sah in den letzten 10 Jahren
bi Fälle plötzlichen Todes. Davon zeig' ten 5 keine Thymusvergrös-
serung, 4 grosse Thymus bis zu 20 g mit anderen Nebenbefunden
(Bronchitis, Dariukatarrhe, Pneumonien), 7 zeigen nur Thymus-
vergrösserungen, davon waren 6 mit Ekzem behaftet, welche nach
Bleiwasserbehandlung plötzlich zu Grunde gingen.
3. Herr H o c h s in g er- Wien macht auf die Bedeutung der
Bestimmung der Thymusgrösse durch Iiöntgenographie aufmerk¬
sam. Chloroform hält II. für gefährlich bei der vorhandenen
Hyperplasie des adenoiden Gewebes. .Mit Ekzem stellt der plötz¬
liche Tod nicht in Verbindung.
4. Herr E s c li e r ich- Wien versteht unter Status lymplia-
tieus eine Art Disposition, die für den plötzlichen Todesfall ver¬
antwortlich gemacht werden muss. Nach E. ist die exspiratorische
Apnoe ein Krampf des Zwerchfells, der bisweilen, wenn auch nicht
so oft, wie K a s s o w it z annimmt, die Todesursache abgibt. Oft
führt auch der Stridor inspiratorius zum Tode. E. gibt Phosphor,
beobachtet aber trotz dieser Behandlung Todesfälle.
•>. Herr R a u c h f u s s - Petersburg zeigt an einem in der
Praxis erlebten Fall, in dem eine grosse Thymusdrüse bestand
neben verbreiteter Bronchitis, dass wiederkehrend die Bronchitis
Erstickungserscheinungen machte, welche jedesmal durch mecha¬
nische Entfernung des Schleimes beseitigt wurde. Wäre dieses
Kind einem solchen Anfall erlegen, so hätte man dieses Ereignis
sicher unter die Fälle von Thymustod gerechnet.
d. Herr Epstein- Prag bezeichnet den Namen „Tliymus-
tod" als eine Hintertür für diagnostische Impotenz. Nicht gar so
selten ist die Todesursache in der Fettsucht der Kinder zu suchen,
bei welcher derTod, wenn auch nicht plötzlich, sodoch überraschend
auf treten kann. Bei rliachitischen Kindern tritt bisweilen rascher
Tod im Verlauf von yz bis 1 Stunde durch Dyspnoe ein. Die Sek¬
tion ergibt bei solchen ein- bis zweijährigen Kindern Atelektase
der Lunge.
7. Herr Basch -Wien hofft durch spätere Darlegungen von
Experimenten über die Thymusdrüse über deren Physiologie und
Funktion einen Anhalt zu weiteren Forschungen über den Thymus-
tod geben zu können.
N. Herr F i s c h 1 - Prag weist auf die jüngst von Gregor
und F inkelstein betonten Beziehungen der künstlichen Er¬
nährung zum Laryngospasmus und der Tetanie hin. Die Bron¬
chitis rufe doch wohl nicht allein plötzliche Todesfälle hervor.
'Venn die mechanischen Verhältnisse für den Thymustod von so
einschneidender Bedeutung sind, so müssten häufige plötzliche
Todesfälle auch bei der Pleuritis gesehen werden. Phosphor hilft
ihm nicht immer bei rhachitischem Laryngospasmus.
9. Herr B a g insky - Berlin macht darauf aufmerksam, dass
g-anz junge Säuglinge auch bei einfacher Coryza plötzlich zu
Grunde gehen. Neben der exspiratorischen Apnoe (K a s s o w i t z)
existiert auch ein Tod in inspiratorischer Apnoe. Viele derartige
Kinder sind gewiss rhachitisch. aber nicht alle, und auch solche
bekommen apnoische Anfälle. Bei ihnen gibt die Phosphortherapie
keinen Erfolg. Sicher existieren aber auch Fälle, die durch grosse
1 hymus, Tracheakompression den Tod herbeiführen.
10. Herr F r i e d j ung- Wien führt an, dass plötzliche Todes¬
fälle bei Empyemkranken kurz vor der Operation bei Beginn der
Narkose oder auch vor derselben Vorkommen. Wir sollten uns be¬
mühen, genauer noch wie vorher klinisch die Symptome solcher
Kinder zu studieren, die den Verdacht eines Status lymphaticus
aufkonunen lassen.
11. Herr S w o b o d a - Prag macht auf die plötzliche Todes¬
fälle im Kindesalter durch Schreck aufmerksam.
12. Herr T h o m a s - Freiburg sieht die Erklärung für plötz¬
liche Todesfälle einmal in Ernährungsstörungen des Atmungs¬
zentrums, ferner in plötzlichem Schreck, hervorgerufen durch
Aspiration von Flüssigkeit nach dem Trinken.
13. Herr G a nghofner (Schlusswort) hofft, dass sein Re¬
ferat zu weiteren Studien auf dem fraglichen Gebiet Veranlassung
gebe. Frappant bleiben immerhin die Fälle von plötzlichem Tod
mit nachgewiesener Kompression der Trachea. Dieser Befund
beruht vielleicht doch nicht immer auf einem - Artefakt. Bei
vielen Kindern fehle Schädelrhachitis. Manche zeigten das Bild
einer einfachen Neurose. Die meisten Kinder der Art sind
künstlich ernährt. Jedenfalls lasse sich nicht leugnen, dass alle
diese Kinder von einer abnormen Körperbeschaffenheit sind oder,
wie man es nennen möge, eine Disposition oder einen Status lym¬
phaticus aufweisen.
14. Herr Rieht er -Wien (Schlusswort): Die Fettsucht der
Kinder genüge kaum zur Erklärung des plötzlichen Todes. Auch
glaubt R. nicht, dass die Experimente Baschs an Tieren weitere
Schlüsse zulassen werden. Die Bronchitiden führen meist all¬
mählich, häufig im Verlauf einer Nacht, den Tod herbei, der dann
Morgens konstatiert als plötzlich imponiert. II. hat nie einen
plötzlichen Tod durch Schreck konstatieren können.
II. Sitzungstag: 23. September 1902, Nach m.
Vorsitzender: Herr Rauchfuss.
I. Herr S a 1 g e : Ueber Agglutination bei Scharlach.
S. berichtet über Versuche, die er zusammen mit Hasen-
k n o p f angestellt hat, in der Absicht, festzustellen, ob sich
spezifische Beziehungen zwischen den bei Scharlach gefundenen
Streptokokken und dem Serum von Scharlachkranken auffinden
lassen, und zwar wurde das Phänomen der Agglutination für die
Untersuchungen benutzt. Da die Streptokokken schon nach
kurzem Wachstum sich zusammenballen, so musste eine be¬
sondere Methode angewandt werden, die es gestattet, die Strepto¬
kokken fein und gleichmässig zu verteilen.
Dann wurde nach dem Vorgang von Koch (bei Agglutina¬
tion von Tuberkelbazillen) so vorgegangen, dass die von der
kalten Flüssigkeit getrennten Streptokokken mit einigen Tropfen
von Voo Natronlauge im Achatmörser A — A Stunde lang ver¬
rieben wurden; die entstandene Emulsion wird mit physio¬
logischer Kochsalzlösung Norm, so stark verdünnt, dass eine
opaleszierende, gleichmässig leicht getrübte Flüssigkeit entsteht.
Setzt man zu dieser Flüssigkeit Serum eines scharlachkranken
Kindes, und stellt es auf 24 Stunden in den Brutschrank, bei
37", so tritt bis zu einer Verdünnung von 1: 500 nach 24 Stunden
deutliche Agglutination ein, d. h. die Flüssigkeit wird klar und
es bildet sich ein krümeliger Bodensatz, der sich auch durch
Schütteln nicht wieder gleichmässig verteilen lässt.
Diese Reaktion tritt nicht ein mit Streptokokken anderer
Provenienz, ebenso nicht mit normalem Serum. Es war dem Vor¬
tragenden nicht möglich, bisher die Wirksamkeit der Sera solcher
Kranken, die eine Streptokokkenaffektion, wie Erysipel etc.
hatten, auf Streptokokken zu prüfen, wodurch erst entschieden
werden könnte, ob die beobachtete Reaktion wirklich spezifisch
für Scharlach ist.
Es geht aus diesen Untersuchungen hervor, dass zwischen
den Streptokokken bei Scharlach und dem scharlachkranken
1730
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Organismus sich deutlich ausgeprägte biologische Beziehungen
auffinden lassen; weitere Untersuchungen müssen lehren, wieweit
diese Beziehungen als spezifische gelten könnten.
2. Herr Baginsky- Berlin : Ueber die Anwendung des
Streptokokkenserums hei Scharlach.
Der Vortragende erinnert an seine Untersuchungen bei
Scharlach, die er in der medizinischen Gesellschaft in Berlin vor¬
getragen und welche bereits publiziert sind. Die Zahl von 411
Scharlachfällen, bei welchen regelmässig im I harynx Strepto¬
kokken nachgewiesen wurden, hat sich im Laufe der Zeit auf
700 vermehrt. Von diesen Fällen wurden in S2 Streptokokken
auch im Blut und in den Organen nachgewiesen. Dieser Befund
gab die Veranlassung, durch Dr. Aronsohn ein Antistrepto-
kokkenserum hersteilen zu lassen. -Dasselbe, zuerst im Tierver¬
such erprobt, wurde dann bei Kindern zur Verwendung gebracht.
Der klinische Versuch — und zwar wurden meist schwerere Fälle
ausgewählt — ergab keine ausschlaggebenden Resultate. Grössere
Dosen (20 ccm) bringen sogar gewisse Gefahren und Kompli¬
kationen mit sich; wenn auch keine eklatanten Erfolge mit klei¬
neren Dosen (10 ccm) zu erzielen waren, so brauche man doch bei
der Unschädlichkeit des Mittels die Versuche noch nicht aufzu¬
geben.
3. Herr P. Moser- Wien: Ueber die Behandlung des
Scharlachs mit einem Scharlachstreptokokkenserum.
Der Vortragende weist in seinen Erörterungen auf die Streit¬
frage betreffs der Beziehungen des Scharlachs zu den Strepto¬
kokken hin und bringt als Beitrag seine positiven Streptokokken¬
befunde aus dem Herzblute von 63 unter 99 gestorbenen Schar¬
lachkranken. Da der Beweis für die Aetiologie dieser Strepto¬
kokken beim Scharlach nicht direkt zu führen ist, versuchte der
Autor denselben auf dem indirekten Wege der Therapie. Vor¬
bildlich waren für ihn vor allem die Anschauungen der belgischen
Schule über die Darstellung von polyvalentem Streptokokken¬
serum. Mit Rücksicht auf die bisher noch nicht bewiesene Art¬
einheit der Streptokokken überhaupt, sowie der bei Scharlach vor¬
kommenden im besonderen, benützte er zur Immunisierung von
Tieren ein Gemenge der aus verschiedenen Scharlachfällen stam¬
menden Streptokokkenbouillonkulturen. Gleichzeitig verzichtete
er angesichts der Tatsache, dass die Virulenz der Streptokokken
gegenüber den Menschen und den Versuchstieren durchaus nicht
parallel geht, auf die Virulenzsteigerung dieser Mikroorganismen
durch die Tierpassage, um die durch letztere bedingten bio¬
logischen Veränderungen hintanzuhalten. Indem er so ledig¬
lich mit aus dem Blute von Scharlachfällen gezüchteten lebenden
und in Bouillon weiter kultivierten Streptokokken Pferde im¬
munisierte, gewann er ein Serum, welchem er zufolge der an der
k. k. Universitätskinderklinik des Prof. Es eher ich in Wien
gemachten Erfahrungen eine spezifische Heilwirkung auf den
Scharlachprozess zuschreibt. Das Serum, welches im staatlichen
serotherapeutisohen Institute (Vorstand Prof. R. P a 1 1 a u f )
hergestellt wurde, kam seit November 1900 zur klinischen Ver¬
wendung. Unter 699 scharlachkranken Kindern des St. Anna-
Spitales wurden 81 injiziert, hiezu kommen noch 3 ausserhalb
des Spitalcs behandelte Fälle. Bei der Injektion wurden die pro¬
gnostisch ungünstigen Fälle stets bevorzugt. Auf Grund der
statistischen Daten, sowie vor allem der klinischenBeobachtungen
zeigt der Vortragende den Wert dieser Behandlungsmethode. Bei
frühzeitiger Seruminjektion (1. oder 2. Tag) war kein Todesfall,
bei späterer Injektion eine stetig steigende Mortalität zu be¬
obachten (3. Tag 14,29 Proz., 4. Tag 23,08 Proz., 5. Tag 40,0 Proz.
u. s. w., 50 Proz. am 9. Tag). Vor allem ist es jedoch das
klinische Bild, welches für die spezifische Heilwirkung des
Serums spricht. Das Allgemeinbefinden bessert sich in über¬
raschend kurzer Zeit, die nervösen Störungen schwinden bald,
Temperatur und Puls zeigen oft schon zu Beginn des Exanthem-
stadiums rapiden Abfall im Gegensatz zur normalen Scharlach¬
kurve. Das Exanthem, die schweren Respirationserscheinungen
etc. gelien ebenfalls bald zurück, .dagegen lassen sich die ver¬
schiedenen Eiterungsprozesse, sowie die Nephritis nicht immer
zurückhalten, treten aber seltener und weniger schwer auf. Die
auch mit anderen Serumsorten, z. B. Marmoreks Strepto¬
kokkenserum angestellten Versuche fielen im Gegensätze zu dem
Scharlachserum negativ aus. Auch die prophylaktischen
Impfungen schienen da, wo es nicht mehr gelang, die Krankheit
zu verhüten, den Verlauf derselben günstig zu beeinflussen.
Nachteilige Wirkungen der Injektion treten trotz der vorläufig
noch notwendigen grossen Dosen selten und dann in derselben
Weise auf, wie sie vom Diphtherieheilserum bekannt sind. Es
ist gelungen, im St. Anna-Kmderpital bei fast 400 an Schailaeh
Erkrankten die Mortalität im Jahre 1901 auf 8,9 Proz. gegen¬
über der Durchschnittsmortalität von 13,09 Proz. in anderen
Wiener Spitälern herabzumindern und dies trotz der ungenügen¬
den Menge und niederen Konzentration des noch derzeit zur "V er-
fiig'ung stehenden Serums, wodurch nur ein Bruchteil der Ei-
krankten dieser Behandlung teilhaftig werden konnte.
4. Herren Moser und v. Pirquet: a) Agglutination
von Scharlachstreptokokken durch menschliches Serum.
Der zur Agglutination verwendete Stamm ist aus dem Herz¬
blute eines an Scharlach verstorbenen Kindes entnommen.
1. Serum Scharlachkranker agglutiniert in geringen Verdün¬
nungen in der Hälfte der Fälle. (37 Versuche; Agglutination in
19 Fällen (51 Proz.), Maximum 1:8.) , .
2. Serum nicht Scharlachkranker (von Kindern und Plazenten)
agglutiniert viel seltener. (28 Versuche; 3 mal Agglutination, Ma¬
ximum 1:4.)
3. Hochagglutinierendes Streptokokken-! in in unser um Aon
Pferden verleiht dem menschlichen Serum hei subkutaner In¬
jektion stets agglutinierende Eigenschaften. (G6 Untersuchungen
hei IS Personen.)
4. Dieselben sind ungefähr der injizierten Serummenge pro¬
portional, erreichen ihre grösste Höhe (maximale Agglutination
1 : 16 000) nach 24 — 36 Stunden, sinken allmählich wieder ah (nach
5 Monaten keine Agglutination). , . . . , .
5. Vom Darmkanale aus gehen die Agglutimne nicht ms Blut
über (2 Personen, 5 Untersuchungen).
Dieselben: b) Agglutination von Streptokokken durch
Pf erdeserä
1. Normales Pferdeserum agglutiniert Streptokokken verschie¬
dener Herkunft häufig, jedoch nur in mässigen Verdünnungen.
(14 Stämme; 5 mal Agglutination zwischen 1:4 und 1:64.)
2. Serum von Pferden, welche mit verschiedenen Strepto¬
kokken immunisiert wurden, die aus dem Herzblute Scharlach¬
kranker ohne Tierpassage gezüchtet sind (polyvalentes Serum
Moro) agglutiniert dieselben Streptokokkenstämme in sein be¬
deutender Verdünnung. (2 Sera, 6 Stämme 12 Untersuchungen;
5 mal Agglutination 1 : 64 000, 1 mal 1 : 16 000, 3 mal 1 . 4000, 2 mal
1 . 10g -^ndere gtämme aus dem Herzblute Scharlachkranker, mit
welchen nicht immunisiert wurde, werden gleichfalls hoch agglu¬
tiniert. (2 Stämme, 2 Sera, 3 Untersuchungen; Agglutination
1 mal 1 : 250 000, 1 mal 1 : 16 000. 1 mal 1 : 1000; ferner em Stamm
aus dem Rachen, 2 Sera 1:4000, 1:1000.)
4 Streptokokkenstämme, die von anderen Erkrankungen her-
rüliren, wurden von denselben Seris nur wenig über der Hohe
des normalen Pferdeserums agglutiniert. (6 Stamme, 2 seia,
0 Untersuchungen : 4 mal Agglutination zwischen 1.4 und . o .)
5 Sera von Pferden, welche mit Streptokokken aus anderen
Erkrankungen immunisiert wurden, agglutinieren die Strepto¬
kokken des Scharlach nur im Masse des normalen Pferdesenuns,
die homologen Stämme jedoch in verschiedener Hohe. (oJ Ver¬
suche mit Serum Marmorek, Tavel, Wiener Streptokokkenserum,
Maximum der Agglutination gegenüber Scharlachstreptokokken
1-64 gegenüber homogenen Stämmen 1:4000.)
6 Ebenso verhält sich das Arouso li n sehe Serum gegenüber
Streptokokken des Scharlach. (9 Stämme, 5 mal Agglutination,
Maximum 1:16.)
5. Herr Langer- Prag : Zur Frage der Hamagglutma-
tion im Kindesalter.
Grün b a u m hatte behauptet, dass Scharlach- und lyphus-
serum die Erythrocyten Gesunder und anders Erkrankter zu ag¬
glutinieren vermag, nicht aber die gleich Erkrankter. Dem
Blutagglutinationsphänomen kommt, wie auch andere Autoren
hervorheben, keine spezifische diagnostische Bedeutung zu; es ist
keine Reaktionserscheinung nach Resorption von Bakterien¬
produkten oder übergegangenen Erythrocyten. Bezüglich letz-
terer Anschauung1 berichtet L. über Hämagglutinationsbefunde
bei Luxationen und Frakturen, die in verschiedenen Zeiträumen
gewonnen ■ wurden und immer das gleiche Agglutinationsbild
boten ; nur darf man nicht mit einer oder wenigen Blutproben al»
Testblut arbeiten, sondern muss die Landsteinerschen Typen
berücksichtigen. Die Ilämagglutinine sind nicht Immunkörper,
denn sie finden sich bei Gesunden, ferner bei Infektionskrank¬
heiten schon am 1., 2., 3. Krankheitstage und ändern sich nicht
im weiteren Verlaufe, noch in der Rekonvaleszenz. Bakterien¬
agglutinine sind nicht identisch mit den Hämagglutinincn, denn
beide können selbständig nebeneinander nachgewiesen werden
oder aber sie finden sich überhaupt einzeln.
Bis jetzt fehlt jeder tiefere Einblick in das Phänomen der
Blutagglutination, da uns die „physiologische“ Breite dieses Blut¬
phänomens unbekannt ist. L. will diese Lücke ausfüllen, indem
14. Oktober 19ÖÖ.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1731
ei* nunmehr das Hämagglutinationsbild in 15 F a in i 1 i e n fixiert.
Hie projektierte Untersuchung in verschiedenen Zeiträumen wird
uns Aufklärung bringen über ein Schwanken oder eine Konstanz
der Blutagglutination : in den Familien finden sich die L a n d -
steiner sehen Bluttypen teils einzeln, teils kombiniert; nie¬
mals liess eine Aehnlichkoit die Blutverwandtschaft erschliessen.
Diskussion: 1. Herr Escherich - Wien: Nach einem
Dank auf Pa ltauf, den Hersteller des Serums, v. Kusi n,
den TJnterstiitzer der Bestrebungen, und den verstorbenen
v. W iderhofe r, der mit grossem Interesse den Versuchen
Mosers gefolgt ist, betont E., dass er auf Grund der klinischen
Beobachtung ein überzeugter Anhänger der Serumbehandlung sei.
per Erfolg tritt um so sicherer und eklatanter auf, je früher
injiziert wird. In den schwersten Eällen, wo sonst in wenigen
Stunden das Ende erfolgte, macht sich insofern eine Einwirkung
des Serums bemerkbar, als der Tod auf Tage hinausgeschoben
wird.
In vielen Fällen ist deutlich innerhalb 24 Stunden ein ekla¬
tanter Erfolg (unter Auftritt agglutinierender Substanzen im Blut)
sichtbar.
Derselbe manifestiert sich: a) durch das bisweilen kritische
Abfallen der Temperatur, b) durch Sinken von Puls und Tem¬
peratur, c) durch die Besserung des Allgemeinbefindens und
Schwinden der Zerebralerscheinungen, d) das Exanthem verliert
die starke Hyperämie, e) das sogen. Schaiiachdiphtlieroid schreitet
nicht weiter. Die Komplikationen der Nephritis und Endokarditis
scheinen durch das Serum nicht vermieden zu werden, indessen
scheint ihre Häufigkeit geringer zu sein. Die klinischen Erfolge
sind unbestreitbar, doch fehlt allerdings noch die experimentelle
Begründung derselben.
2. Herr Paltauf - Wien berichtet über die Geschichte und
Herstellung des Serums und hebt hervor, dass man insofern noch
im Dunkeln taste, als er noch nicht in der Lage sei, die Scharlach¬
toxine zu gewinnen.
Das Serum sonst wurde steril hergestellt, ohne Karbolzusatz.
Die Technik und Gewinnung sei sehr schwierig; vorläufig seien
noch sehr grosse Dosen zur Injektion erforderlich.
3. Herr B aginsky - Berlin erklärt sich noch nicht für über¬
zeugt von der Wirksamkeit des Serums durch die Darlegungen
Esche r ich s, da er kritische Temperaturabfälle auch nach An¬
wendung des A r o n s o li n sehen Serums und auch ohne jedes
Mittel gesehen habe.
4. Herr Moser (Schlusswort) betont gegenüber einer An¬
frage, dass einfaches Normalserum ohne die günstige Wirkung
des Antistreptokokkenserums sei. Er gebe zu, dass die zu in¬
jizierenden Mengen vorläufig noch sehr grosse seien; gegenüber
dem Skeptizismus besonders von Baginsky hebe er hervor,
dass er Erfolge mit dem Serum in den schwersten, ja selbst in
von Kollegen für moribund erklärten Eällen unzweifelhaft ge¬
sehen habe.
6. Herr v. Ranke- .München : Ein weiterer Beitrag1 zur
Behandlung des nomatösen Brandes durch Exzision des er¬
krankten Gewebes. (Der Vortrag erscheint in d. Wochenschr.)
7. Herr E p s t e i n - Prag: Ueber einen Kindersessel für
kleine Rhachitiker von 1 — 3 Jahren, zur Behandlung und
Verhütung von rhaehitischen Rückgratsverkrümmungen.
Die Ueberlegung, dass’ Apparate, Mieder, Gradhalter, heil¬
gymnastische Uebungen, entweder überhaupt nicht anwendbar
oder nur unvollkommen in diesem frühen Alter zu verwerten sind,
hat E. den Gedanken nahe gelegt, den Kindern die gymnastische
Tätigkeit so beizubringen, dass sie dieselbe mehr spielend und
unbewusst ausführen. Zu diesem Zwecke verwendet E. einen
Schaukelstuhl (Thonet- Wien), in welchem das Kind verkehrt,
d. h. das Gesicht den Lehnen zugewendet, hineingesetzt wird;
die Beine hängen durch den Zwischenraum zwischen Lehnen und
Sitz frei heraus, oder die Füsse stützen sich auf die hintere Ver¬
bindungsstange auf. Beim Schaukeln, das das Kind sehr bald
erlernt und mit Vergnügen ausiibt, findet dasselbe sehr bald die
richtige Sitzhaltung mit Streckung des Rückens heraus und be¬
wirkt aktiv eine Geradhaltung der Wirbelsäule. Die mit diesem
„Schaukelstuhl“ bisher erzielten Resultate sind sehr günstige.
Der Stuhl ist auch bei muskelschwachen und nach längeren
Krankheiten herabgekommenen Kindern zur Kräftigung der
Muskeln zu empfehlen.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 7. Oktober 1902.
Vorsitzender : Herr Kümmel!
I. Demonstrationen:
Herr Urban demonstriert zwei penetrierende Bauchver¬
letzungen, die der frühzeitig ausgeführten Laparotomie und Naht
der verletzten Intestina ihre Heilung verdanken. Fall 1: Schuss¬
verletzung des Magens. 4 Stunden danach Aufnahme ins Kranken¬
haus, ohne Zeichen einer Intestinalverletzung. Fall 2: Kind, fiel
aus der 1. Etage auf ein Staket. Eine
sich durchspiesst, aus der Bauchwunde
gleich nach dom Unfall.
Dünndarmschlinge fand
hing Netz. Operation
II. "V o r t r a g des Herrn 0. Rumpel: Erfahrungen über
die praktische Anwendung der Gefrierpunktbestimmungen
von Blut und Harn bei Nierenerkrankungen.
Einleitend bespricht Vortragender die Theorie und Methode
der Kryoskopie. Die grosse Konstanz der osmotischen Konzen¬
tration des Blutes macht die Gefrierpunktbestimmung zu einer
ungemein genauen physikalischen Untersuchungsmethode. Die
Untersuchung ist einfach. 2 Fehlerquellen sind zu erwähnen:
1. Das Thermometer muss ganz in die zu untersuchende Flüssig¬
keit eintauchen und darf nicht am Boden des Gefässes anstossen.
2. Die Flüssigkeit muss so lange mit dem Platinrührer bewegt
werden, bis das Thermometer fällt, da die freiwerdende Wärme
gemessen werden soll.
Es wurden an mehr als 300 Kranken jbestimmungen vor¬
genommen. 1. Gruppe: normale Fälle: j = — 0,55 bis
—0,57; cf (Urin) = — 0,9 bis — 2,3. 2. Gruppe: doppelseitige
Nierenerkrankungen : 41 chronische Nephritiden, 15 mal Cystitis
und Pyelonephritis, 13 mal doppelseitige Nephrolithiasis,
3 Nierentuberkulose, 3 Cystennieren, 2 Tumoren. Im Durch¬
schnitt war j = — U,6u bis —0,65 bmal —0,59, 6mal —0,66.
3. Gruppe: klinisch nachgewiesene einseitige Nierenerkran¬
kung: ca. 85 Fälle, in denen der Blutgefrierpunkt stets in nor¬
malen Grenzen lag.
\ erbindet man die Kryoskopie mit dem Ureterenkatheteris-
mus, so ist man stets in der Lage prognostisch und diagnostisch
wichtige Aufschlüsse zu erzielen. Man wird daher bei Nieren¬
insuffizienz von Nephrotomien Abstand nehmen und gegebenen
1 alles nur die Niere spalten etc. Einer postoperativen Nieren¬
insuffizienz ist daher auch keiner der operierten Fälle erlegen,
während vor Kenntnis dieser Methode 4 Todesfälle in ca. 120 von
lv ii m mell operierten Fällen auf diesen Faktor zu beziehen
waren.
Die Gefrierpunktbestimmung des Urins hat nur vergleichen¬
den Wert und gibt in Verbindung mit der Harnstoffanalyse inter¬
essante physiologische Aufschlüsse. Werner.
Naturhistorisch-Medizinischer Verein Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Officielles Protokoll.)
Sitzung vom 8. Juli 1902.
1. Herr Hegener: Heilung eines chronischen Stirn¬
höhlenempyems durch die K i 1 1 i a n sehe Radikaloperation.
(Vortrag wird anderweitig ausführlich veröffentlicht.)
Der Patient, ein 32 jähriger Schmied, erkrankte im Juli 1901
ohne nachweisliche Ursache unter heftigen Stirnkopfschmerzen,
denen sich bald Schmerzen im linken Auge zugesellten. Es stellte
sich eine Schwellung im Bereich des linken oberen Lides ein, später
Doppelsehen. Zeitweilig entleerte sich übelriechender Eiter aus
dem linken Nasenlocke. Unerträgliche Heftigkeit der Kopfschmer¬
zen, die ihn arbeitsunfähig machten, zwangen ihn am 28. VIII. 01
die Hilfe der Universitäts-Ohrenklinik aufzusuchen.
Der Aufnahmebefund liess mit Sicherheit ein chronisches
Stirnhöhlenempyem, links mit Durchbruch in die Orbita annehmen.
Der erste, sofort vorgenommene operative Eingriff be¬
schränkte sich darauf, nach einem bogenförmig durch die Augen¬
braue geführten Hautschnitt eine 1,5 cm grosse Oeffnung in der
vorderen Stirnhöhlenwand anzulegen, von da aus die mit Granu¬
lationen und Eiter erfüllte Höhle auszukratzen und einen bleistift-
dicken Kanal nach der Nase zu anzulegen. Die Kopfschmerzen
wurden danach wesentlich gebessert, das Doppelsehen blieb.
14 Tage später zweite Operation: Oberes Lid und Periost wer¬
den von der wieder getrennten ersten Schnittwunde aus nach unten
hin abgelöst und das Dach der Orbita freigelegt. Es fand sich vom
liande aus 1,5 cm nach hinten ein haselnussgrosser subperiostaler
Abszess, der mit der Stirnhöhle durch eine feine Oeffnung in der
Mitte des Daches kommunizierte. Das Orbitaldach wurde um die
Fistel herum in Pfennigstückgrösse entfernt, die Abszesshöhle aus¬
gekratzt, die Stirnhöhle nochmals sorgfältig mit scharfem Löffel
gesäubert, der Kanal nach der Nase erweitert und die Hautwunde
bis zum Augenbrauenkopf, wo ein Gazestreifen eingelegt wurde,
geschlossen. Erfolg: das Doppelsehen blieb dauernd fort, da¬
gegen gelang es trotz sorgfältiger, langer Nachbehandlung- nicht,
die Eiterung zu peseitigen.
Am 5. VI. 02 Wiederaufnahme und Itadikaloperation nach
Killian (Arch. f. Laryngol., Bd. XIII). Vor der Operation sorg¬
fältige Tamponade der linken Nasenseite. Der bogenförmige
Hautschnitt geht durch die Narbe des früheren Hautperiost¬
schnittes und die am Brauenkopfe noch bestehende Fistel. Letz-
No. 41.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1732
tere wird exzidiert. Die Ablösung der Haut vom Periost erweist
sich als schwierig und gelingt bei der starken Blutung in dem
alt« u Narbeugewebe erst nach längerer Zeit. Nach Bildung der
Orbitalspange wird die ganze vordere Wand der sehr weit nach
aussen und in die Tiefe reichenden Stirnhöhle entfernt. Diese ist
mit schlaffen Granulationen erfüllt. Dort, wo der freie Abfluss in
die Nase sein sollte, besteht eine Eiteransammlung zwischen miss¬
farbenen Granulationen, ebenso an der Stelle, wo früher die Fistel
nach der Orbita hin bestanden hatte. Die Höhle wird gesäubert
und unter Abtragung der flachen Septen vollkommen geglättet,
dann wird von oben her die untere Wand der Stirnhöhle soweit
wie möglich abgetragen und die Innenseite der Orbitalspange ge¬
säubert. Bei dem Abkratzen des Septum interfrontale fand sich
eine kleine Eiteransammlung, die aus einer verfärbten Partie des
Septum zu kommen schien. Die Stelle wurde abgetragen und da¬
bei die rechte Stirnhöhle eröffnet, die gesund war. Es sei gleich
hinzugefügt, dass sie auch gesund blieb (cf. K i 1 li a n s Erfahrung
Fall VIII und XIII 1. c.). Dann wurden von dem nach unten bis
zur Höhe der Apert. pyrif. bogenförmig verlaufenden Hautperiost¬
schnitte aus die Weichteile bis zum Tränennasenkanal hin zurück¬
geschoben, der Proc. frontal, des Oberkiefers und ein Teil des Proc.
nasal, des Stirnbeins abgetragen und so eine breite Kommuni¬
kation nach der Nase hin geschaffen. Die vorderen Stirnzellen
waren klein, mit Granulationen erfüllt, sie wurden ganz entfernt
und dann das vordere Siebbeinlabyrinth ausgeräumt, das ebenfalls
erkrankt ist. Schliesslich wird die hinterste von oben nicht er¬
reichbare Partie der unteren Stirnhöhlenwand, sowie die vordere
Hälfte der mittleren Muschel abgetragen. Aus der freiliegenden
Nasenschleimhaut wird nach Killians Vorschlag ein Lappen zur
Auskleidung des Verbindungskanales zwischen Stirnhöhle und
Nase gebildet Dann wird ein Gummidrain vom Nasenloch bis zur
lateralsten Partie der Stirnhöhlenwunde reichend eingeführt, das¬
selbe mit Tampons in der Nase befestigt, nachdem zuvor die
Nasentamponade, die vor der Operation angelegt war, entfernt
worden. Ueber dem Drain wurde die Wunde mit exakt angelegten
Seidennähten geschlossen. Von der Verwendung antiseptischer
Streupulver wurde abgesehen. Kompressionsverband auf die
Stirn, lockere Gaze aufs Auge.
Patient überstand die 2 ständige Operation gut, mehrfaches
Erbrechen schadete der Wunde nichts. Am Tage nach der Opera¬
tion fühlte er sich subjektiv wohler als je seit Beginn der Erkran¬
kung. Das Auge blieb reizlos, keine Doppelbilder. Am 4. Tage
wurde der Drain entfernt, am 5. die Nähte, er stand auf, am
Tage wurde der Verband fortgelassen.
10 Tage nach der Operation wird aus der Nase noch ein oben
eingeklemmt gebliebenes Stück des Siebbeinlabyrinthes mit
Schlinge entfernt, seitdem sind die Kopfschmerzen dauernd ge¬
schwunden. Die Sekretion war ganz gering, nach 14 Tagen wurde
noch alle 4 Tage eine kleine Sekretborke von der mittleren Muschel
entfernt. Die vom Orbitalgewebe und der äusseren. Haut nicht
primär geschlossene Partie der Höhle verkleinerte sich sehr
schnell; die Nachbehandlung war leicht und bestand ausschliess¬
lich in der Einführung eines passend gebogenen, mit 2,5 proz.
Arg. nitric.-Lösung getränkten Wattestäbchens in die Wundhöhle
von der Nase aus.
Patient wurde zu genauer Beobachtung noch 4 Wochen in der
Klinik behalten und dann als vollkommen geheilt ohne jede Sekre¬
tion entlassen. Die Heilung ist dauernd geblieben, er ist wieder
vollkommen arbeitsfähig.
Der kosmetische Effekt ist ein vorzüglicher. Die Schnittnarbe,
abgesehen von der Stelle, wo sich die Fistel befand, kaum sichtbar,
die Einsenkung trotz der tiefen Stirnhöhle eine ganz geringe. Ohne
die vorangegangenen Operationen wäre der Effekt sicher noch
besser gewesen und man würde kaum sehen können, dass über¬
haupt «'ine Operation vorgenommen war. Die Kill i an sehe Me¬
thode hat also in diesem hartnäckigen und schweren Falle chro¬
nischen Stirnhöhlenempyems, was Schnelligkeit und Sicherheit der
Heilung, sowie guten kosmetischen Erfolg angeht, ein ganz her¬
vorragend gutes Resultat ergeben.
Diskussion: Herren V ö 1 k e r, P a s s o w, .To r d a n,
H e g e n e r.
2. Herr Brauer: Die Erfolge der Kardiolysis. (Rippen-
rc-sektion bei chronischer adhäsiver Mediastino-Perikarditis.)
Unter Hinweis auf die Ausführungen vom 13. Mai 1902
(diese Wochenschrift No. 25) demonstriert der Vortragende den
zweiten der seiner Zeit vorgeführten Kranken.
Herr Dr. Simon hatte bei dem Kranken die von dem Vor¬
tragenden empfohlene Operation ausgeführt, dieses Mal unter
gleichzeitiger Resektion eines beträchtlichen Teiles des Sternum.
Auch hier findet sich der erwartete Erfolg. Der Kranke,
dessen Herz nun nicht mehr bei der Systole die ganze vordere
knöcherne Thoraxwand hereinzuziehen hat, vielmehr jetzt an
einer nachgiebigeren Bedeckung zieht, hat sich wesentlich erholt,
fühlt sich viel freier in Bewegungen und beim Atmen und ist
von den seiner Zeit bedrohlichen Ilerzinsuffizienzerscheinungen
nahezu völlig befreit.
Die ausführliche Mitteilung erfolgt demnächst.
Diskussion: Herren Kaposi, Simo n, M a g u u s,
S o e t b e e r, B r a u e r.
Physiologischer Verein in Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 26. M a i 1902.
Herr Helferich: TJeber die Talma sehe Operation
bei Lebercirrhose.
H. gibt zunächst eine U ebersicht über den Gedankengang,
welcher Talma in Utrecht und gleichzeitig die englischen
Aerzte Moriso n und I) r u m m o n d zu der neuartigen ope¬
rativen Behandlung des Aszites geführt hat. Es sind jetzt schon
zahlreiche Fälle in der von Talma beschriebenen Weise ope¬
riert. In manchen Fällen wurde nur eine Adhärenz des Netzes
an der Bauchwand erstrebt, in anderen auch die Fixation der
Leber, der Gallenblase und namentlich der Milzoberfläche an oder
gar innerhalb der Bauchwand ausgeführt. Die Erfolge sind
natürlich wesentlich von dem zu gründe liegenden Krankheits¬
zustand abhängig und um so schlechter, wenn die ursächliche
Krankheit schon recht weit fortgeschritten ist, die Operation also
erst in extremis zur Ausführung kommt.
Die theoretischen Einwände gegen die Operation haben sich
nicht als berechtigt erwiesen. Wenn die Leber als ein das Blut
entgiftendes Organ tätig ist, so folgt doch aus einer direkten Ver¬
bindung zwischen Pfortader und Cava inferior nicht die Not¬
wendigkeit einer Vergiftung, wenn wenigstens ein kleinerer Teil
der Leber noch in Funktion bleibt, wie es ja wohl in praxi immer
der Fall sein wird. Auch die Tatsache, dass das grundlegende
Leiden häufig durch Alkoholmissbrauch bedingt und deshalb bei
diesen Kranken mit den Folgen des Alkoholismus zu rechnen ist,
kann nicht massgebend sein. Lokale Störungen durch die
Omentofixation haben sich bis jetzt nicht herausgestellt.
Von hohem Interesse sind für die Beurteilung der Talma¬
schen Operation alte und neue Experimente von Claude Ber-
n a r d, T a p p e i n e r, Schiff, Eck, Queirolo, Min¬
kowski, Hoppe-Seyler u. a., und namentlich diejenigen
von Tilmann, B o z z i, Kusnetzo w, 1 1 o und Omi, weil
die letztgenannten zuerst die gleichzeitige oder vorherige Netz-
implantation etc. mit ausgeführt haben. Unter Vergleich mit
sonstigem Vorkommen von venöser Stauung bei chirurgischen
Affektionen ist festzustellen, dass bei den der Talma sehen
Operation unterworfenen Fällen von Aszites jedenfalls häufig
nicht bloss mechanische Störungen und Transsudatbildungen vor¬
liegen, sondern vielmehr entzündliche Prozesse und entzündliche
Exsudation. II. glaubt, dass für den Erfolg der Talma sehen
Operation neben der Herstellung neuer und der Erweiterung der
bekannten vorgebildeten Verbindungen zwischen Pfortader-
bahnen und dem grossen Kreislauf die Entstehung einer mög¬
lichst vollkommenen Verödung der Bauchhöhle durch \ erwach-
sung der Eingeweide miteinander und mit der Bauchwand
wesentlich sei; denn durch die letztgenannte Veränderung wird
ein Aszites unmöglich gemacht.
Der Fall, welchen H. im Dezember 1901 zn operieren Ge¬
legenheit hatte, war sehr schwer. (Er ist in der Dissertation von
Herrn Dr. W eispfennig, Kiel 1902, genauer beschrieben.) Am
Tag der Aufnahme in die Klinik, 26. November, musste wegen
der Grösse des Aszites sofort die Punktion ausgeführt werden.
Schon am 29. November war eine neue Punktion erforderlich und
am o. Dezember, als die Talmasehe Operation gemacht wurde,
war wiederum eine starke aszitisclie Flüssigkeitsansammlung vor¬
handen. Bei dieser Operation wurde das Netz in eine breite
fächerige Lücke der Bauchwand eingenälit, welche durch Ablösung
des Peritoneums nebst der Fascia transversa gebildet wurde. Die
Wundheilung war bei völligem Verschluss der Hautwunde ohne
Drainage eine günstige; doch platzte der obere Teil der Hautwunde
etwa 8 Tage nach der Operation, als sich ein starker Aszites
wieder eingestellt hatte. Von da an bestand mehrere Tage lang
ein sehr reichlicher Abfluss seröser Flüssigkeit aus der Bauch¬
höhle, und H, glaubt, dass diesem Umstande der günstige Erfolg
zu danken ist, dass die Eingeweide unter sich und mit der Bauch¬
wand an sehr vielen Stellen verwachsen konnten und die Patientin
am 14. Januar 1902 in befriedigendem Zustande und frei von
Aszites entlassen werden konnte. Unter den wenig günstigen
Verhältnissen zuhause trat aber eine allgemeine Abnahme der
Körperkräfte ein und die Frau erlag am 9. Februar .1902, nachdem
besonders die früher schon vorhandenen Herzbeschwerden sich ge¬
steigert hatten, ihrem Leiden. Die Sektion (am 10. Februar
von Herrn Geh. -Rat Heller ausgeführt) ergab, dass das im¬
plantierte Netz in voller Breite eingeheilt war und zu der Ent¬
wicklung neuer, bis zu 2 mm dicker Gefässe an der vorderen
Bauchwand und von dieser zu angewachsenen Dünndarmschlingen
geführt hatte. Ausgedehnte, stark ödematöse Verwachsungen
sämtlicher Baucheingeweide. Zirkumskripte eitrige Peritonitis in
beiden Hypochondrien. Enorm vergrößerte Fettleber mit zahl-
14. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1733
reichen oberflächlichen Narben und starker Bindegewebswuche¬
rung. Zähe Milzschwellung. Starke trübe Schwellung der Nieren.
Lungen zeigten Emphysem, Oedem, starke Kompression der un¬
teren Paitien. Starke Trübung des Herzens mit einzelnen mvo-
karditischen Schwielen. Verkürzung der Sehnenfäden an der
Mitralis. Geringe fettige Fleckung an der Aorta. Cdironisehe
Meningitis.
_ T r li s ma n n: Zwei Fälle von soliden Tumoren der
Bauchhöhle, unbekannten Ursprungs.
Ein über kindskopfgrosses Fibrosarkom wurde . bei einer
in der Bauchhöhle bei reichlichem Aszites vor-
den Organen der Leibeshöhle war keine sichtbare
Nach Erwähnung aller Möglichkeiten betr. der Ur-
w — Geschwulst bleibt für ein accessorisches Ovarium
noch die grösste Wahrscheinlichkeit.
Der zweite Tumor, ein zweifaustgrosses Fibrom mit regres¬
siven Veränderungen, war mit der Serosa. des kleinen Beckens
allseitig verklebt. Aszites war reichlich vorhanden. Eine festere
gefässhaltige Verbindung bestand nur nach der Flexura sigmoidea,’
so dass der Gedanke an eine fibrös veränderte Appendix epiploica
nahegelegt war.
Der Vortrag erscheint in extenso in den Beitr. z. Geburtsh u
Gyn.
Herr Knoop demonstriert und bespricht ein Fibromyom,
welches mit der Nachgeburt ausgestossen wurde, da es mit dem
Chorion verwachsen war.
25 jähr. Frau
gefunden. An
Veränderung,
sprungsart der
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Berlin, den 8. Oktober 1902.
Nachkläng'e und Missklänge von der Leichenfeier für
Virchow. — Komitee für populär-medizinische Vorträge.
Kassenärztliches. — Beilegung des Apothekenboykotts.
Wenige Tage waren vergangen, nachdem sich über dem
Grabe Virchows die Erde geschlossen hatte, da hörte man
von einigen peinlichen Vorgängen bei der Festsetzung der Be¬
erdigungsfeier, welche unliebsames Aufsehen nicht nur in Aerzte-
k reisen, sondern auch im Publikum erregt hatten. Die Stadt
Berlin hatte es als ihre Ehrenpflicht erkannt, den grossen Toten
mit allen seinem Andenken gebührenden Ehren zu bestatten; es
wurden dem Gelehrten, denn Politiker, dem Bürger Lorbeeren
gestreut; für den Arzt Virchow fand man kaum ein Wort der
Dankbarkeit und Anerkennung und für die Vertretung der
Aerzteschaft fand sich bei der Beerdigungsfeier kein Raum.
Die Schuld an dieser Unterlassungssünde trifft nicht die ärzt¬
lichen Körperschaften, die hier in Betracht kommen, sondern
ausschliesslich die Stadtverwaltung resp. diejenigen ihrer Or¬
gane, welche mit den Arrangements betraut waren. Dem Vor¬
sitzenden der Berlin-Brandenburger Aerztekammer, der zugleich
den Auftrag hatte, den Ausschuss der Preussisclien Aerzte-
kammern zu vertreten, war eine Einladungskarte nicht zugesandt
worden. Er bemühte sich daher auf dem Rathaus um Karten
für die Vertreter der Aerztekammer, wurde aber abschlägig be-
schieden, und zwar — so wird unwidersprochen berichtet — auf
Veranlassung des zufällig mit anwesenden Stadtverordneten¬
vorstehers, der selbst Arzt ist und im übrigen als ein warmer
Förderer ärztlicher Interessen gilt. Besonders auffallend klingt
die Motivierung des abschlägigen Bescheids : Virchow wäre
cm Gegner der Ehrengerichte und der Aerztekammern gewesen
und von der Berlin-Brandenburger Kammer wäre ihm sehr gegen
seinen W dien eine Steuer von 176 M. auferlegt worden. Es wird
weiter berichtet, dass auch das Gesuch eines Abgeordneten der
Berliner medizinischen Gesellschaft, welcher für die Mitglieder
dieser Gesellschaft die bei dem beschränkten Raum allerdings
beträchtliche Zahl von 100 Karten verlangte, rundweg abgelehnt
wurde. Wenn man sich vorstellt, dass Virchow die ganze
Affaire erlebt oder erfahren hätte, glaubt man da nicht, sein
satirisches Lächeln auf seinen Lippen zu sehen? Und mit einem
seiner heissend satirischen Worte wäre die Sache abgetan ge¬
wesen. Gewiss, es handelt sich da nicht um ein blosses Ver¬
sehen, es mag das Wort Taktlosigkeit dafür noch als eine milde
Bezeichnung gelten; aber um einen Affront gegen den ganzen
Aerzteetand handelt es sich nicht. Wir hätten gewünscht, dass
nachträglich durch einige entschuldigende Worte die ganze Sache
aus der Welt geschafft wäre, noch ehe sie zu einer Art Prinzipien¬
frage aufgebauscht wurde; es wäre dann nicht nötig gewesen,
dass sich in die vielen Nachrufe für den grössten Mediziner
unserer Zeit der Missklang solcher Erörterungen mischt. Aus I
diesem Grunde hatten wir in unserem früheren Bericht die Dinge
mit Stillschweigen übergangen. Indessen sie werden in brei¬
tester Oeffentlichkeit verhandelt und der Vorstand der Aerzte¬
kammer hat beschlossen, seinem beleidigten Ehrgefühl durch
eine Beschwerde an den Oberbürgermeister Ausdruck zu geben.
Ob der Sache dadurch viel genützt wird, darüber kann man zum
mindestens verschiedener Ansicht sein. Dem verantwortlichen
Stadtrat kann man wohl seine in jenen Tagen gerade sehr be¬
deutende . Ueberlastung und dem greisen Stadtverordnetenvor¬
steher seinen Schmerz um den ihm persönlich eng befreundet
gewesenen I oten zu Gute halten. Zu solchen Zeiten und in
solchen Stimmungen legt man sein Wort nicht auf die Goldwage.
Dass nachträglich eine Entschuldigung oder auch nur eine Er¬
klärung des eigentümlichen Verhaltens erfolgt ist, davon hat
man leider allerdings auch nichts vernommen, und aus diesem
Grunde mag die formelle Beschwerde des Aerztekammervor-
standes nicht unberechtigt erscheinen. Wenn wir uns aber
wiederum vorstellen, dass V irchow in einer solchen Sitzung
zugegen gewesen wäre, er wäre wohl mit den Worten „wir haben
hier wichtigeres zu tun, als Beschwerden über Etikettefragen zu
beraten“ zur Tagesordnung übergegangen.
Seit, einigen Jahren werden in jedem Winter auf Ver¬
anlassung der Zentralkommission der Berliner Krankenkassen
iiir die Kassenmitglieder populär-medizinische Vorträge ge¬
halten, welche sich aufs Beste bewährt haben. Eine ähnliche. Ein¬
richtung, jedoch auf breiterer Grundlage, hat der Aerzteverein
unserer Nachbarstadt und \ orstadt Schöneberg ins Leben ge¬
rufen. Auf seine Initiative wurde ein Komitee zur Abhaltung
populär-medizinischer, speziell volkshygienischer Vorträge ge¬
gründet, dem ärztliche und nichtärztliche Mitglieder, u. a. auch
der Oberbürgermeister angehören. Der Verein geht von der
^ oraussetzung aus, dass Verständniss für hygienische und medi¬
zinische Fragen und das Bestreben, sich über diese Fragen zu
unterrichten, bei allen Bevölkerungsklassen vorhanden ist, und
ei steht zugleich auf dem Standpunkt, dass dieses Bestreben von
den Abwegen und Irrwegen -fernzuhalten und in die rechten
Bahnen zu lenken, zu den sozialen Aufgaben der Aerzteschaft
gehört. So glaubt der Aerzteverein einer sozialen Pflicht zu ge¬
nügen, indem er sich gewiss ermassen zu einem Organ der öffent¬
lichen Gesundheitspflege macht. Eine Einschränkung des Kur¬
pfuscherwesens und seiner unheilvollen Folg'en herbeizuführen,
war nicht der leitende Gedanke, welcher zur Gründung des
Komitees \ eranlassung gab, sondern es waren weiter aus¬
schauende ethische Gesichtspunkte. Da aber gegen jene Seuche
Bildung noch immer als wirksamste Waffe gilt, so würde, wenn
der Verein das Ziel, das er sich vorgesteckt hat, weiter verfolgt,
auch nach dieser Richtung hin ihm ein moralischer Erfolg sicher
sein.
Fin Stück soziale Medizin war auch der Gegenstand einer
Pressfehde, welche kürzlich im „Vorwärts“, dem Organ der sozial¬
demokratischen Partei, zwischen einem männlichen und einem
weiblichen sozialdemokratischen Arzt geführt wurde, und bei dem
die Kollegin den unbestrittenen Sieg davontrug. Es handelte
sich um die Zustände bei der Ortskrankenkasse der Gastwirte,
der rückständigsten aller Berliner Kranlienkassen. Der Vorstand
der Kasse beabsichtigt in den kassenärztlichen Verhältnissen
einige Aenderungen zu treffen, die jedoch keine Verbesserungen
sind; und in dem neuen Vertragsentwurf sind die Grundsätze,
welche von fast allen anderen Kassen bei der Anstellung von
Aerzten anerkannt sind, so sehr ignoriert, dass die Vertrags¬
kommission des Vereins der freigewählten Kassenärzte, welcher
fetatutenmässig alle mit Krankenkassen abzuschliessenden Ver¬
träge vorgelegt werden müssen, diesen Vertrag für unannehmbar
erklärt hat. Wie mehrere andere der bisherigen Aerzte der Kasse
hatte auch Irl. Dr. W. — welche ebenso wie die beiden anderen
in Berlin praktizierenden und in Deutschland approbierten
Aerztinnen vom 1. Januar an Mitglieder des Vereins der frei¬
gewählten Kassenärzte sein wird — es abgelelmt, auf diesen Ver¬
trag einzugehen. In einer Zuschrift an den „Vorwärts“ ver¬
wahrt sie sich gegen den aus diesem Verhalten ihr gemachten
Vorwurf der Arbeiterfeindlichkeit und weist dem Vorstand In¬
konsequenz gegen die politischen Lehren und Forderungen der
Partei nach. Während der Arbeiter sonst von den Unternehmern
die Anerkennung der von der Arbeiterorganisation festgesetzten
Arbeitsbedingungen verlange, wünsche -der Kassenvorstand als
MUENCIIENER MEDICINISC1IE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
1734
Arlieitgeber von seinen Aerzten bedingungsloses Eingehen auf die
einseitig festgesetzten Arbeitsbedingungen, und das im Wider¬
spruch zu den Forderungen der ärztlichen Organisation, er ver-
lange also nichts geringeres als einen Streikbruch. Im Interesse
der Arbeiter aber liege es gerade, die Forderungen der ärztlichen
Organisation zu erfüllen, weil nur so eine gewissenhafte Behand¬
lung gewährleistet werden könne; wer dem Rassenarzt unwüidige
Bedingungen aufzwingt, macht den Kassenkranken zu einem
Kranken zweiten Grades. Anders denkt darüber Herr I)r. B.,
der sachlich wenig oder gar nichts bringt, dagegen die ganze An¬
gelegenheit im Ton eines sozialdemokratischen Agitators be¬
handelt. Nach einer Flut von Vorwürfen gegen die freie Arzt¬
wahl und die Tyrannei des Vereins der freigewählten Kassen¬
ärzte — dem er aber selbst anzugehören nicht Bedenken trägt - ,
erklärt er, dass er der schwer bedrängten Kasse nach wie vor seine
Dienste zu leisten entschlossen sei. Es kann also- hier der inter¬
essante Fall statuiert werden, dass ein politisch hervortretender
Sozialdemokrat in einem wirtschaftlichen Kampf gegen seine
eigenen Berufsgenossen das Streikbrechertum predigt. Bei der
definitiven Erledigung der Angelegenheit wird jedenfalls die
ärztliche Vertragskommission noch ein Wort mitzureden haben
und bei dieser Gelegenheit wieder einmal den moralischen V ert
einer festen Organisation beweisen können. Noch einen anderen
Fall wird sie in den Bereich ihrer Jurisdiktion zu ziehen haben,
einen Fall, der die neueste und wohl eigentümlichste Blüte am
Baume des Krankenkassengesetzes darstellt. Die Tischlerkasse
hat einen Arzt engagiert, einen einzigen, dem sie die gesamte
Behandlung ihrer 30 000 Mitglieder übertragen hat. Da der Arzt
erkennt, dass er dieser Aufgabe allein nicht gewachsen ist, so
bemüht er sich, eine grössere Anzahl Kollegen zu gewinnen,
welche von ihm angestellt werden und sub forma Vertretung die
Arbeit mit ihm teilen sollen. Also eine Art Unternehmertum zur
En gros-Lieferung ärztlicher Arbeit. Der Gedanke hat ent¬
schieden den Reiz der Neuheit, dürfte aber wohl weder bei der
Vertragskommission, noch beim Ehrengericht, noch bei der Auf¬
sichtsbehörde das nötige Verständnis finden.
Seit einiger Zeit schweben wieder Verhandlungen zwischen
den Krankenkassenvorständen und den Apothekenbesitzern, die
dieses Mal endlich zu einem Erfolge zu führen scheinen.
Neuesten Berichten zufolge ist die Beilegung des Apotheken¬
boykotts so gnt wie gesichert ; und wenn man das Resultat be¬
trachtet, so haben in dem langen und ermüdenden Krieg die
Krankenkassen gesiegt. Der von ihnen verlangte Rezepturrabatt
von 12Va Proz. ist von den Apothekern bewilligt worden; zur
Lieferung von Handverkaufsartikeln sollen Apotheker und Dro¬
gisten zugelassen sein. Eine Schwierigkeit bereiten noch die
früher zwischen Krankenkassen und Drogisten getroffenen Ver¬
einbarungen, denen zufolge die Handverkaufsartikel angeblich
nur von Drogisten entnommen werden sollen. Es wird der Zen¬
tralkommission der Krankenkassen nicht schwer werden, diese
Klippe zu überwinden, und dann werden hoffentlich wieder ein¬
fache und geordnete Verhältnisse in der Arzneiverordnung und
-lieferung bestehen. M. K.
Bilder aus China.
Von Oberarzt I)r. G g. Mayer.
I.
Eine Wasserzentrale in Peking,
ln meinem 5. Briefe aus Ostasien erwähnte ich kurz die von
mir in Peking für die Seebataillone errichtete Wasserzentrale.
Da ich hier Filter und Kocheinrichtung in grösserem Masstabe
verwandte, ist eine nähere Schilderung vielleicht nicht ohne Inter¬
esse. Schon die Auswahl des Platzes war schwierig in einer Stadt,
deren Boden im allgemeinen einem festgetretenen Düngerhaufen
nahekommt. Der Platz musste leicht adaptierbare Gebäude bieten,
ungefähr in der Mitte der Truppenunterkünfte liegen, für Wasser-
t'ulinverke ohne Störung passierbar sein, das Erdreich erhöht be¬
hufs Ausschluss einer Verunreinigung durch schädliche Zuflüsse
von aussen, das Gelände selbst früher möglichst wenig oder nicht
bebaut, geringste Ansiedlung in der Umgebung zur Verhütung von
Grundwasserverunreinigung direkt von diesen aus, auf dem Ge¬
lände bei dem völligen QuellenmangeUein wegen der Schmack¬
haftigkeit sp ziell durch Kochsalz nicht zu verderbtes Grund¬
wasser. Mit Hilfe chinesischer Polizei fand ich einen solchen
Platz in einem verlassenen Tempel auf einem niedrigen Hügel
in dem gegebenen NW-Viertel der Chinesenstadt: Längs der hin-
leren Umfassungsmauer begrenzte den Hügel ein grosser aus¬
getrockneter Teich, die beiden Seiten breite Gärten, vor dem
Tempel ein weiter Tlatz mit einem verlassenen Theater, der,
wieder von Mauern umzogen, auf die Chunehitliorstrasse abfiel;
diese Strasse führte zu den Revieren des 1., eine weitere längs des
Teiches zu denen des 2. Seebataillons. Der Tempel hatte -1 gut
erhaltene Hauptgebäude, davor in einem Doppelhof 8 kleinere
halb verfallene (die Priesterwohnungen) und einen Schachtbrunnen
mit wenig, aber genügendem Wasser. Tempelhof und Boden der
Gebäude waren mit Ziegelplatten gepflastert, auf dem übrigen
Gelände mächtige Bäume. Der Tempel war kein ganz gewöhn¬
licher des buddinstisch-taoistiselien Mischglaubens (Foismus). Er
war mit grünen Ziegeln gedeckt; in der Haupthalle sass in der
Mitte erhöht O-mi-do-Fo, der allglänzende Buddha, zu seinen
Seiten Wu-liang-Kuan und Kuan-schi-yin, die Inkarnationen
Buddhas im Pantschen Rimpotsehe in Taschilhumpo und Dalai
Lama in Lhasa; an den Längswänden die 8 taoistisclien Genien
(pa-sien); in den Nebenhallen gewöhnliche Götter: der des Krieges,
Reichtums, häuslichen Herdes, der Zauberer, Literaten u. a. ; in
der 4. Halle in der Mitte die Göttin Kwang-Yin tausendarmig,
links davon dieselbe mit dem Kind auf dem Schoss, rechts Tien-
niu-se, die taoistisclie himmlische Jungfrau, mit dem Blumenkorb
und dem K-i-lin zur Seite, einer löwenartigen Ilundegestalt.
Zwischen den Idolen der 1. und 4. Halle standen die Ho-schang,
Räucherkerzen haltende Knaben: alle Figuren aus Lelnn, auf mäch¬
tigen Backsteinpostamenten; in den 4 Hallen vor den Idolen ein
schwerer Eichenholztisch mit den 5 buddhistischen Opfergeräten:
Räucherstäbchenkessel. 2 Kerzen- und 2 Blumenträger, aus Lelnn-
masse: in der 1. und 4. Halle dahinter noch die symbolischen Ab¬
zeichen der 8 lamaistiselien Kostbarkeiten (aus Holz): Rad, Panier,
Glückseligkeitslinie, Weihwassergefäss, weisse Lotosblume, weisse
Muscheltrompete, goldene Fische aus dem Strom des Unheils und
der Freude, weisser Schirm; endlich im Hofe vor den Türeingängen
inschriftenbedeckte Gedenksteine an den Ta-rI selling Kaiser
Kien-lung, den grossen Förderer des Buddhismus, tiagende, un¬
geheure Schildkröten aus weissem Marmor, vor dem Tempelviereck
die Torhalle mit den 4 Himmelskönigen seitlich (ein blauer, weisser,
gelber und roter), in der (Mitte Mi-Loe, der stehende Buddha der
Zukunft.
Das Aeussere dieser Gebäude war noch gut, das Innere desto-
weniger: Fingerdicker Staub überall, die verschmutzten Papier¬
tapeten zerfetzt von den spinnwebenüberzogenen Wänden und
1 lecken hängend, der Boden und die Ecken voll Gerümpel, dei
Papierüberzug der Holzgitterwände nur angedeutet, die Schrift auf
den herumhängenden Gebetsrollen und -Tafeln unter Staub und
Schmutz verschwunden, die Türschlösser durchgerostet, die Lüren
kaum mehr in den Angeln. Es begann das Aufräumen. Die Lehm¬
götzen wurden gestürzt von Soldatenhand (zur Schonung der
religiösen Gefühle der chinesischen Arbeiter), mit dem Schutt auf¬
geräumt. die Postamente herausgerissen, deren Backsteine zur
Wiederverwendung aufgehoben, die Wände abgekratzt und mit
Kalkmilch getüncht, die Papierverkleidung der Holzgitterseiten
erneuert und die nötigen Glasscheiben eingefügt, die Holzgitter-
decke (der Rattentummelplatz) herausgerissen, die nun zutage
tretende innere Holzauskleidung des Daches weiss getüncht,
Pflasterung ausgebessert, die störenden Verbindungsmauern zwi¬
schen den Hallen abgetragen, die altersschwache Aussenmauer
geflickt, die verfallenen Priesterlniuser und das dem Umsturz nahe
Torhaus niedergelegt zur Materialgewinnung, die unbrauchbaren
wackeligen Mauertiirchen zugemauert, dafür die Vorder- und
Hintermauer breit* durchbrochen und mit verscliliessbaren Holz-
fliigeltoren versehen, mit dem Bauschutt Zufahrtstrassen ge¬
schaffen.
Auch die eigentliche Einrichtung führten die chinesischen
Handwerker rasch und gut aus, wie stets, wenn man sich an
chinesische Muster hielt. Nur die 5 grossen Berkef eidfilter mach¬
ten Schwierigkeiten, sie hatten in ihrer üblichen Packung durch
den Transport unglaublich gelitten: Ein Kessel war der Länge
nach gebrochen, eine Pumpe in der Mitte schräg durchgesprengt,
die Bretter gesprungen, 3 Kessel von den eisernen Stützen und
diese vom Brett gebrochen, zahlreiche Kerzen zertrümmert, vor
allem aber die Verbindungsrohre zwischen Pumpe und Filterkessel
verbogen, geknickt, eingerissen (diese Rohre hatten bei allen
(21) Filtern gelitten, die in meine Hände kamen, was um so miss¬
licher ist. da die Pumpe nicht mehr dicht arbeitet und eine Dich¬
tung wegen nötiger Verschraubungs- und Lötungsarbeiten sehr
schwierig ist). Mein alter Vorarbeiter zog heftig an seinem Zopf
und wir murmelten beide: „buchaula, eben buchaula“ (sehr
schlimm): aber wir brachten aus den 5 gebrochenen 4 ganze Filter
fertig. 3 kleine Filter, vom Marine-Regiment, übergeben, waren
ebenso wie 2 weitere grosse, die ich zur Erweiterung des Betriebs
später erhielt, in passablem Zustand, abgesehen von Sprüngen im
Brett, verbogenen Schrauben und Verbindungsstücken, zertrüm¬
merten Kerzen.
Das Aussehen der fertigen Station war folgendes:
In der Mitte des gepflasterten Hofes, der neu gegrabene
Brunnen, angelegt nach Art der chinesischen Schachtbrunnen,
2 m breit, 8,5 m tief. Die Erdschicht war bis 5 % in Kulturschutt
(Backsteine, Thon- und Porzellanscherben, Kupfer- und Bronze¬
trümmer). hierauf lehmig-sandig; die wasserführende Schicht, m
714 m beginnend, wurde noch iyä m tief ausgehoben, war bräun¬
lich-gelblich, sandig, nicht riechend, Wasser klar und mit starkem
Druck hervordrängend. Der unterste Meter des Schachtes wurde
aus übereinandergelegten breiten Ziegelplatten gebaut und hierauf
mit Backsteinen aufgemauert, das Innere des Schachtes zu unterst
mit einer Lage halbrunder Dachziegel, darüber mit Kieselsteinen,
dann 30 cm hoch mit einer Mischung von Kohlenasche und Sand
14. Oktober 1902.
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1735
mul diese wieder mit Kieselsteinen, das Ganze y, m hoch, gedeckt
Ebenso wurde die Aussenwand des Schachtes“ mit einem Filter
umgeben: 1 ya m von der Schachtmauer wurden bis zu 2 m Höhe
Dachziegel übereinander geschichtet, hinter diesen eine 30 cm
bi eite Kieselschicht, dann, je C>() cm breit, eine Asche und zu innerst
eine Sandschicht, jede Schicht durch lose gestellte Backsteine von
der anderen getrennt. Der über dem Hof 50 cm erhabene Rand
wurde mit Sandsteinplatten abgedeckt, die beiden Oeffnungen zum
Wasserschöpfen erhielten 50 cm hohe, durch Schiebdeckel schliess-
bare Lochsteine, dazu kam noch eine Ziehrolle mit Doppeleimer.
Aus dem schon vorhandenen Schachtbrunnen wurde der Schlamm
ausgeschöpft und ausgeschaufelt, bis in 9 m Tiefe reiner gelber
Sand erschien, hierauf, wie in dem neuen Brunnen, ein Innenfilter,
Vs m hoch, hergestellt, erhöhte Schöpfsteine, Ziehrolle, Doppeleimer
angebracht, Pflasterung um die Brunnen erneuert.
In Gebäude 1 waren 2 durch eine 2 m hohe Mauer getrennte
Räume, im kleineren (la), der Filterkammer, auf einem ITolz-
gestell 3 grosse und 3 kleine Berkefeldfilter montiert, deren
Schläuche den darunter befindlichen Tontöpfen das Wasser ent¬
nahmen, die Saugtrichter waren noch mit einer G fachen Lage Mull
überzogen ; das filtrierte Wasser gelangte je in einen Zinkblechtrichter,
von dem von jedem Filter eine gleiche Röhre durch Hie Mauer das
Wasser den Tontöpfen in 1 b, dem Kochraum, zuführte. Hier war
eine Heizanlage von 5 Feuerungen für je 2 hintereinander ge¬
mauerte chinesische Eisenkessel von SO Liter Fassungsvermögen,
im ganzen also 10 Stück, in denen das filtrierte Wasser y4 Stunde
wallend gesotten wurde. Die Rauchgase wurden durch 2 Kamine
abgeleitet, der Wasserdampf durch einen D/2 m breit und hoch
dem Dach aufgesetzten, mit verstellbarem Klappdeckel versehenen
Ventilationsschlot. Die von der Halle ganz getrennten Seiten¬
räume 1 e und d dienten den Kulis zur Kleiderablage und zum
Essen. Gebäude 2 war ähnlich eingerichtet wie 1: In 2a 3 grosse
Filter, deren Wasser durch die Scheidemauer nach 2 b gelangte
und hier aus den Tontöpfen in G Kessel mit 3 Feuerungen; 1 Kamin,
im Dach der Ventilationsschlot, ln Gebäude 3 waren 25 mit Ilolz-
declceln versehene, je 170 Liter fassende Tontöpfe zur Aufbe¬
wahrung des gebrauchsfertigen Wassers. Durch die Hinterwand
gingen 3 Röhren, innen mit Trichteransätzen, durch die das Wasser
mittels einer auf einer Leiste über den Tontöpfen durch Roll-
hrett verschieblichen, mit Saug- und Druckschlauch versehenen
Handpumpe (von einem abyssinischen Brunnen entsprechend
adaptiert) direkt aus den Tontöpfen in die unter den Ausgussrohren
aussen vorfahrenden Wasserwagen gepumpt wurde. Gebäude 4
enthielt 2 Räume, in dem einen wurden die Reserveteile der Filter
aufbewahrt und die Kerzen gereinigt, zum Auskochen derselben
war hier ein besonderer Heizkessel, daneben ein Gestell zum Ab¬
reiben der Filter und Auf hängen der reinen Kerzen. Der andere
Raum diente den 2 Aufsichtsmannschaften zur Wohnung, hatte
i einen mit 2 Durchsichten mit Eisenplatten versehenen, 2 m hohen
Ziegelofen; in beiden Längswänden Flügeltüren und Ventilations¬
klappfenster. Gebäude 5 enthielt Latrine und Abortsitz für die
Mannschaften, Tonnensystem mit Auswechseltopf, Desinfektion
| aus danebenstehendem Kalkmilchtopf. Hinter Gebäude 1 der
Chinesenabort, mit G Töpfen (bezw. Wechseltöpfen). Die Abfälle
wurden an einer entfernten Stelle des ausgetrockneten Teiches
abgelegt. Der Platz zwischen 4. und 5. Gebäude diente für Hand¬
werkarbeiten und zur Aufstapelung des Brennmaterials.
Zum Betriebe dienten 2 Seesoldaten als Aufsicht, dazu 14 Kuli,
jeder derselben mit festgelegter Arbeit: je 2 hatten Herbeitragen
des Brunnenwassers, Einschöpfen des filtrierten Wassers in "die
Kessel, Feuerung und Kesselreinigung, Hinübertragen des ge¬
kochten Wassers in Gebäude 3, Pumpen in die Wägen nebst den
nötigen Hausarbeiten, 3 pumpten durch die Filter, 1 hatte Filterreini¬
gung und Auswechseln. Folgende Vorschriften waren in chinesischer
Schrift an den Wänden auf gehängt: Die Arbeit dauert von 7 Uhr
Morgens bis 7 Uhr Abends, mit einstiindiger Esspause um 12 Uhr.
Vor Arbeitsbeginn um 7 und 1 Uhr sind die Hände in dem blauen
Blechtopfe im Hofe mit Seife und lieissem Wasser zu waschen.
Zur Arbeit werden die Oberkleider in Raum c und d abgelegt,
die Zöpfe um den Kopf gebunden. Ausspucken, ausser in die
weissen Blechschüsseln, rauchen, essen in den Arbeitsräumen,
Hineinlangen mit den Händen in die Wassertöpfe, Hineinwerfen
von Gegenständen in die Brunnen oder Herumwerfen von solchen
auf dem Hof, das Knoblauchessen überhaupt sind verboten. Die
Holzkübel werden täglich vor Gebrauch mit lieissem Wasser ge¬
bürstet, Abends in Raum 3 gestellt, Boden nach oben. Zum Holen
des Brunnenwassers dienen die blauen, des filtrierten die roten, des
gekochten die gelben Kübel. Alle Räume werden allabendlich mit
verdünnter Kalkmilch aufgewaschen. Die Abgänge sind in dem
Chinesenabort abzulegen, jedesmal ein Löffel Kalkmilch nachzu¬
schütten. Verfehlungen werden mit Lohnabzügen gestraft.
Fürchtet euch und gehorchet! — Die Kuli machten zunächst grosse
Augen über die unangenehme Reinlichkeit und das Verbot so vieler
süsser Gewohnheiten, doch nach einigen Lohnentziehungen (die
später wieder erstattet wurden) ging alles glatt.
Die gesamten Adaptierungsarbeiten waren in IG Tagen fertig
geworden. Inwieweit entsprach nun die Station den gestellten
Anforderungen? Die IG Kochkessel fassten rund 1200 Liter, das
Kochen nahm je 1 Stunde in Anspruch, durch die 9 Filter liefen
unter kräftigem Pumpen und einmal täglichem Filterwechsel in
der Stunde ca. 900 Liter, bei zwei- bis dreimaligem Wechsel 1200,
demnach konnten bei mässigem Betriebe 9000, bei starkem bis
zu 12 000 Liter, oder 9 — 12 Liter pro Kopf und Tag abgegeben
werden. Das Durchschnittsresultat der Wasseruntersuchung im
Schacht des neuen Brunnens vor Einrichtung des Sand-Kohle¬
filters war:
Datum
Wasser¬
tierchen
Gesamt-
Keimzahl
Komma-
Kolonien
Koli-
Kolonien
Anaerobier
Hitzebe¬
ständige
Bakterien
H arte
Chlor
Salpeter¬
säure
Salpetrige
Säure
Ammoniak
Organische
Substanz
13. III. 01
42
28 730
102
251
172
327
14. III. 01
27
25 604
114
204
104 .
292
89,6
1,09
zuviel
zuviel
zuviel
3,79
Nach Einrichtung des Filters und wiederholtem Ausschöpfen :
31. III. 01
12
15 300
89
115
127
201
_
_
2. IV. 01
3
8 275
26
53
98
107
_
_
_
4. IV. 01
4
3 160
18
36
82
76
78,4
0,53
zuviel
wenig
wenig
1,91
9. IV. 01
0
1 876
5
9
31
26
70,1
0,51
viel
6
0
0,81
20. IV. 01
0
1790
7
11
22
19
70,1
0,5
viel
0
0
0,92
39. IV. 01
0
1902
5
7
42
21
70,1
0,5
viel
0
0
0,86
15. V. 01
0
2 400
11
20
60
40
70,1
0,5
viel
0
0
0,97
Im alten Brunnen :
24. XII. 1900 | 21 | 18 900 | 61
45 i 102 i 189
Nach Einrichtung des Innenfilters und wiederholtem Ausschöpfen :
71,0
0,6
viel
0 | wenig
15. III, 01
8
9 200
22
16
31
71
70,0
0,5
viel
0
0
10. IV. 01
0
3 300
15
17
21
39
70,0
0,5
viel
0
0
15. V.01
0
5 200
30
22
65
40
70,0
0,5
viel
0
0
1,09
0,97
0,87
0,93
Meine Voraussetzungen hinsichtlich Boden und Grundwasser
waren nicht bestätigt. Zwar wurde der Tempel nach einer der
Denksäulen im 9. Regierungsjahre Yung-Chings, also 1732 erbaut,
später von Kien-Iung renoviert, bei der geringen Grösse des Tem¬
pels und der Zahl der Priesterhäuser war die Verunreinigung von
oben nicht übergross, der 5 y2 m hohe Kulturschutthügel, aus
noch früherer Zeit, wäre ebenfalls unbedenklich, zumal bei dem
Fehlen der sonst im Untergrund gefundenen Knochen. Doch hatte
der Grundwasserstrom eine andere als die angenommene Richtung,
von Osten, aus einem dichtbevölkerten Viertel, statt, dem Aussehen
des Geländes nach, von Nordnordost; die Richtung erhellte, ab¬
gesehen von dem stärkeren Hervorquellen des Wassers von Osten
in beiden Brunnen, daraus, dass wir reichliches Wasser erhielten,
als ich wegen Wasserabnahme 2, ungefähr 400 m östlich in der
Chunehistrasse liegende, vielgebrauchte Brunnen scliliessen lassen
musste (dies war möglich, da in der Strasse noch 5 andere Brunnen
waren). Ferner nahm ich Abfluss des Grundwassers zu dem
Untergrund des trockenen Teiches an, während dessen Grund¬
wasser, wie ein dort angelegter abyssinisclier Brunnen (mit total
unbrauchbarem Wasser) bewies, auf gleichem Niveau stand. Die
auffällige Abnahme in der chemischen und bakteriologischen Zu¬
sammensetzung beobachtete ich auch anderenorts, die im Boden
angehäuften Stoffe erfuhren durch Anlage und starken Gebrauch
eines Brunnens augenscheinlich eine Art Ausspülung und blieben
später in ihrer Zusammensetzung beständig; das Verschwinden
von salpetriger Säure und Ammoniak, sowie der Rückgang von
organischer Substanz und Bakterienzahl kommt wohl auch auf
Rechnung der Filter, der schon nach einem Monat wieder ein¬
setzende Anstieg der letzterwähnten Bestandteile beweist das
beginnende Versagen der Filter. Das gewonnene Wasser war ge¬
ruchlos, in hoher Schicht weisslieh, nur für grosse Buchstaben
durchsichtig, es enthielt feinst suspendierten Lehm. Durch das
Passieren der Berkefeldfilter wurde es klar, Härte 40 — 41 (durch
Ausfallen des kohlensauren Kalkes), Kochsalz 0,5, organische Sub¬
stanz 0,35 — 0,4. Nach % ständigem Kochen, n i c h t e li e r, fiel
nochmals ein ansehnlicher weissgelblicher Niederschlag aus,
Härte 38, es bildete sich ein gelblich-bräunlicher Schaum, auf der
Oberfläche ferner eine Schicht zusammenrinnender, öliger, glänzen-
1736
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
der Tropfen, organische Substanz 0,3—0,35. Schaum und Tropfen
wurden abgeseliöpft. Die Borkefeld arbeiteten 1 Stunde keimfrei
und leicht, in der 2. leicht, aber schon bis 100 Keime, in der 3.
schwer, bis 400 Keime, in der 4. sehr mühsam, 900 — 1000 Keime;
nach längstens 4 Stunden Filterwechsel. Die Aussenfhiclie der
Kerzen war dicht überzogen mit einer schmierigen, gelblich-bräun¬
lichen Masse, aus Lehm, Kalk, Bakterien, Wassertierchen be¬
stehend. Das fertige Wasser war für Peking brauchbar, nicht
zu kochsalzreich und zu hart, genügend an Menge, aber nicht von
hervorragendem Wohlgeschmack. Einwandfreies geschmackloses
Wasser lässt sich in Peking *) nur durch Destillatoren erzielen,
was ich schon wegen der geologischen Bodenentstehung in den
ersten 14 Tagen meiner Untersuchungen erklärt hatte.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 14. Oktober 1902.
— Man schreibt uns aus Hamburg, den 9. d. M.: Vom G. bis
8. Oktober tagte hier die 9. Jahresversammlung des
Zentralverbandes von Ortskrankenkassen im
Deutschen Reiche, die am 3. Verhandlungstage die Be¬
schlüsse des 30. Aerztetages in Königsberg, soweit sie sich auf die
Krankenkassen beziehen, auf ihre Tagesordnung gesetzt hatte.
Wohl selten sind wir Aerzte in einer öffentlichen Versammlung
so schmählichen Angriffen und Verleumdungen ausgesetzt worden,
als in dieser Debatte am 8. Oktober, und den als Delegierten an¬
wesenden Kollegen Lennhof f- Berlin und Liebeschütz-
Dessau war es nicht möglich, gegen die Uebermacht wirksam auf¬
zukommen. Einige Sätze aus den in der Diskussion gehaltenen
Reden mögen zeigen, von welchen Gesichtspunkten aus in diesen
Kreisen die Vertretung der deutschen Aerzte beurteilt wird.
Der Berichterstatter erklärte die Beschlüsse des Aerztetages
als den Ausfluss der krassesten Standesinteressen. Die letzten
Aerztetage hätten nicht Zeugnis davon abgelegt, dass deren Teil¬
nehmer an sozialpolitischer Erkenntnis gewonnen hätten. Ein
anderer Redner Deputierte den Aerzten, sie nähmen was sie be¬
kommen könnten. Nach ihrer Meinung müsse es im Kranken¬
versicherungsgesetz heissen: „Für jeden Kranken wird 3,00 M.
Honorar bezahlt, das übrige erhalten die Kranken.“ Man sprach
wiederholt von sozialpolitischer „Rückständigkeit“ der Aerzte,
und ein Redner verstieg sich zu dem Ausspruche, viele Aerzte
Ständen an sozialpolitischer Bildung hinter Schustern und Schnei¬
dern zurück.
Schliesslich gelangte mit grosser Majorität die folgende Re¬
solution zur Annahme:
„1 ) i e 9. J a hresversa m m 1 u ng d e s Z e n t r alver-
b a n d es der Ortskrankenkassen erblickt in de n
Beschlüsse n d e s 30. d euts c li e n Aerzte t a g e s, d e n
II o n o rarbesti m m ungen bei den Krankenkassen
die staatliche Taxe zu Grunde zu legen, und
Personen mit einem Gesamteinkommen über
2000 M. von der Krankenversicherung a u s z u -
schliessen, den Ausdruck einseitiger Inter-
essenpoliti k“, nachdem ein Antrag des Vorsitzenden, an
Stelle der letzten 4 Worte zu setzen: „zu weitgehende For¬
derungen“, abgelehnt worden war.
Es ist wieder die leidige Honorarfrage, welche die Kranken¬
kassen so in Harnisch gebracht hat und sie das altbekannte Ge¬
spenst des „finanziellen Ruins“ an die Wand malen lässt. Dabei
ist der Königsberger Aerztetag von der früher stets erhobenen
Forderung der Bezahlung der Einzelleistung abgegangen und ver¬
langte nur, dass den Honorarbestimmungen die staatliche Taxe
zu Grunde gelegt werde. Es ist nicht recht verständlich, warum
die Kassen hiergegen sich so energisch wehren zu müssen glauben.
Nach dem Tone, der auf dem Verbandstage herrschte, und der all¬
seitig zur Schau getragenen Animosität gegen die Aerzte und spez.
gegen den Aerztetag, scheint an Verständigung mit den Orts¬
krankenkassen, wenigstens vorläufig, nicht zu denken zu sein.
— Die einem Münchener Apotheker bisher gesetzlich ge¬
schützte sogen. „G raduieru n g“ der Sublimatpastillen, d. i.
die Anbringung einer Einkerbung in der Mitte der Pastille, wo
durch es ermöglicht wird, dieselbe leicht in zwei gleiche Teile
zu zerbrechen, ist neuerdings gelöscht worden. Die Herstellung
„graduierter“ Pastillen ist somit freigegeben.
— Die konstituierende Versammlung der Deutschen Ge¬
sell s c li a ft zu r B e k ä m pfung der Geschlechts-
k r a n k li e i t e n findet am 19. Oktober 1. J. lly3 Uhr im Bürger¬
saal des Rathauses in Berlin statt.
— Pest. Aegypten. In der Zeit vom 19. bis 2G. Sep¬
tember sind in Alexandrien 4 Erkrankungen und 2 Todesfälle an
der Pest festgestellt worden. — Britisch-Ostindien. In der Präsi¬
dentschaft Bombay sind in den am G. und am 13. September ab-
gelaufenen Wochen 5479 und 7492 Erkrankungen (3932 und 5409
Todesfälle) au der Pest zur Anzeige gekommen, davon 44 und 50
(37 und 56) in der Stadt Bombay, G und 7 (G und 5) in der Stadt
und dem Hafen Karachi. Die Seuche zeigte somit wieder
eine erhebliche Zunahme. — Hongkong, ln der Zeit vom 10. bis
30. August sind 31 Pestfälle, welche sämtlich einen tödlichen Ver¬
lauf hatten und Chinesen betrafen, zur Anzeige gelangt. —
Brasilien. In Rio de Janeiro ist am 2.. 3., 4., 5. und 7. September
je ein weiterer Todesfall an der Pest festgestellt worden.
— In der 39. Jahreswoche, vom 21. bis 27. September 1902,
*) Dieser Umstand, sowie die hochgradige chemische Ver¬
unreinigung führen sich zum Teil auf die Lössformation zurück,
weitere Details sind hier nicht möglich.
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Königshütte mit 35,2, die geringste Kaiserslautern
mit 5,1 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Altona, Beutlien,
an Unterleibstyphus in Bromberg. V. d. K. G.-A.
_ Im Aufträge des Vereins für freie Arztwahl in Stuttgart
haben die Herren Dr. Gutbro d, Prof. Königshöf er und
Stabsapotheker Seel unter Mitwirkung vieler Stuttgarter Aerzte
(äne „A n 1 e i t u n g zur ökonomischen Rezeptur“
herausgegeben. Das an bekannte Muster sich anlehnende Heft¬
chen bringt eine kurze Anleitung zum billigen Rezeptieren, die
allgemeinen Bestimmungen der württembergischen Arzneitaxe und
endlich das Verzeichnis der Medikamente mit den Preisen nach
der Taxe von 1902 mit zahlreichen Rezeptbeispielen. Als Anlagen
folgen Verzeichnis der Spezialitäten, deren Anwendung den
Kassenärzten ohne weiteres gestattet sein soll, Maximaldosen¬
tabolle und Arzneiverordnung und Dosierung für Kinder. Man
kann nur wünschen, dass die hier gegebenen kurzen Anleitungen
von den Kollegen, für die sie bestimmt sind, nach Möglichkeit be¬
achtet werden, um endlich die unverhältnismässig hohen Ausgaben
der Kassen für Rezeptur zu verringern.
(II oc h sc liulnach richte n.)
Berlin. Als Nachfolger Karl Gerhardts wurde Prof.
Friedrich K r a u s in Graz zum Leiter der II. medizinischen
Klinik berufen. Der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Fürbringe r hat
aus Gesundheitsrücksichten bei der städtischen Behörde um Ent¬
bindung von der ärztlichen Leitung der inneren Abteilung des
Krankenhauses Friedrichshain zum 1. April 1903 nachgesucht.
M ünche n. Die Anders Retziusmedaille in Gold der
schwedischen ärztlichen Gesellschaft wurde dem Geheimrat Dr.
C. v. V o i t zuerteilt.
G r a z. Prof. v. Rosthorn hat einen Ruf als Professor der
Frauenheilkunde in Heidelberg angenommen.
P r a g. Habilitiert: Dr. E. Formanek für gerichtliche Me¬
dizin und Toxikologie an der czechischen medizinischen Fakultät.
R o m. Habilitiert: Dr. M. J a 1 1 a, bisher Privatdozent an
der medizinischen Fakultät zu Pavia, für allgemeine Pathologie.
W i e n. Als Privatdozent für Geburtshilfe bestätigt Dr. Josef
F a b r i c i u s. Mit der Supplierung der Lehrkanzel für Hygiene
wurde Prof. Dr. Sc hatten fr oh betraut.
(T odesfäll e.)
In Bonn starb der Geheime Obermedizinalrat a. D. Hermann
E u 1 e li b u r g, ein hochverdienter Medizinalbeamter und Schrift¬
steller auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege. Er
war von 1870—1890 Vortragender Rat in der Medizinalabteilung des
preuss. Kultusministeriums.
Dr. Eduard Meyer, G4 Jahre alt, seit 38G3 Augenarzt in
Paris, ein Schüler G r a e f e s. Ein von ihm zuerst in französischer
Sprache herausgegebenes Handbuch der Augenheilkunde fand
grosse Verbreitung. Seit 1882 Herausgeber der „Allgemeinen
Revue der Augenheilkunde“.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Richard Günther in Treucht-
lingen, seiner Bitte entsprechend, zum Bezirksarzt I. Klasse in
Ilöchstadt a. Aisch.
Verzogen: Dr. Grimm von Nürnberg nach Berlin. Dr.
Voigt von Nürnberg nach Säargemünd. Dr. Iliepp von Alsenz
(Rheinpfalz) nach Lindau i. B.
Gestorben: Dr. Fronmüller in Fürth, 40 Jahre alt.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München
in der 39. Jahreswoche vom 2i. bis 27. September 1902.
Beteiligte Aerzte 132. — Brechdurchfall 14 (20*), Diphtherie u.
Krupp 7 (7), Erysipelas 7 (9), Intermittens, Neuralgia interm.
— (1), Kindbettfieber 1 ( — ), Meningitis cerebrospin. • — ( — ),
Morbilli 10 (15), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 5 (2), Parotitis
epidem. — ( — ), Pneumonia crouposa 4 (3), Pyämie, Septikämie
— ( — ), Rheumatismus art. ac. 10 (15), Ruhr (Dysenteria) — (3),
Scarlatina 2 (6), Tussis convulsiva 20 (20), Typhus abdominalis 4
(1), Varicellen 4 (2), Variola, Variolois — ( — ), Influenza 2 (1).
Summa 88 (104). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 39. Jahreswoche vom 21. bis 27. September 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen : Masern 1 (1*) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u Krupp — (2), Rotlauf — ( — ), Kindbettfieber — ( — ), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) — (1), Brechdurchfall 6 (12), Unterleib-Typhus —
( — ), Keuchhusten 2 (3), Kruppöse Lungenentzündung — (--), Tuber¬
kulose a) der Lunge 16 (19), b) der übrigen Organe 4 (4), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
4 (1), Unglücksfälle 1 (1), Selbstmord 4 (2), Tod durch fremde
Hand — ( — ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 221 (215), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 22,7 (22,1), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 11,1 (10,8).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. Y. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdrucken* A.U., München.
Die Münch. Med. Wochenschr. erscheint wöehenti
in Nummern von durchschnittlich 5—6 Bogen.
Preis in Deutschi, u Oest.-Ungarn vierteljührl. 6 „ä
ins Ausland 8.— M~ Einzelne No. 80 4.
MÜNCHENER
Zn^endungen sind zu adressiren: Für die Redaktion
Amulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND- PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Angerer, C!i. Bäumler, 0, Billiger, H. Curschmann, W, v, Leiibs, G, Merkel, J. v. Michel, F. Penzoldt, H, v. Ranke, F v Wi
München. - - ” - - - 1 ' "
Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
Würzburg.
Nürnberg.
Berlin.
Erlangen.
München.
München.
No. 42. 21. Oktober 1902,
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus der medizinischen Klinik in Leipzig.
Experimentelle Untersuchungen über die Natur der
Kreislaufstörung im Kollaps bei akuten Infektions¬
krankheiten.*)
Von
Privatdozent Dr. Pass ler und Dr. Rolly,
1. Assistent der Klinik. Assistent der Klinik.
Als Ziel jeder Behandlung der akuten Infektionskrankheiten
erstreben wir neben der Bekämpfung der Krankheit selbst die
Beseitigung der das Leben direkt bedrohenden Symptome.
Wenn es auch unzweifelhaft ist, dass eine Infektion die ver¬
schiedensten lebenswichtigen Funktionen schädigen kann, so
steht doch unter den das Leben unmittelbar
gefährdenden Symptomen eine Störung des
Kreislaufs in der ersten Reihe der klinischen
Erscheinunge n.
Die Kreislaufsschwäche der Fieberkranken glaubte man
früher ohne weiteres auf eine Schädigung des Herzens, die Er¬
lahmung des Kreislaufs im Kollaps auf eine Herzparalyse zurück-
führen zu dürfen.
Man berücksichtigte nicht, dass Störungen der Zirkulation
nicht nur vom Herzen, sondern ebenso von den Gefässen ihren
Ausgang nehmen können. Für die Therapie ist es na¬
türlich von fundamentaler Wichtigkeit, zu
wissen, ob die Kreislaufschwäche bei den
akuten Infektionskrankheiten durch eine
Schädigung des Herzens oder der Gefässe oder
beider zugleich herbeigeführt wird.
Durch klinische Beobachtung allein liess sich diese Frage
nicht endgültig lösen; nur im Tierexperiment sind wir in der
Lage, die Leistungsfähigkeit des Herzens und diejenige der
Vasomotoren getrennt zu prüfen.
ln einer grösseren Versuchsreihe an infizierten Tieren haben
zuerst R o m b e r g und P ä s s 1 e r J) die Erscheinungen am
Kreislauf in exakter Weise zu analysieren gesucht. Sie kamen
zu dem Resultat, dass eine Lähmung des Vasomotorenzentrums
in der Medulla oblongata, nicht eine Schädigung des Herzens
die unmittelbare Ursache für die Kreislaufstörungen im Kol¬
laps sei.
Eine Bestätigung dieses Satzes fand Pässler2) später
darin, dass er ebenfalls im Experiment an infizierten Tieren
den sinkenden Blutdruck durch Vasomotorenreizmittel in un¬
gleich besserer Weise günstig beeinflussen konnte als durch Herz¬
mittel.
Die der bisherigen Anschauung widersprechenden Resultate
gaben verschiedentlich Veranlassung zu Nachprüfungen.
Rolly'"’) untersuchte die Tätigkeit des Warmblüterherzens
an dem nach Hering isolierten Kreislauf. Er kam zu dem
Schluss, dass unter dem Einfluss von grossen Mengen in den
Kreislauf injizierten Diphtheriegiftes die Herztätigkeit erlahmt.
*) Nach einem auf der 74. Versammlung Deutscher Natur¬
forscher und Aerzte zu Karlsbad gehaltenen Vortrage.
J) Deutsch. Arch. f. ldin. Med., LXIV., 1899, pag. 652.
) Deutsch. Arch. f. ldin. Med., LXIAh, 1899, pag. 715.
s) Arch. f. exper. Patli. u. Pharm., XLII., pag. 283.
No, 42
Ferner stellte v. S t e j s k a 1 4) im v. Basch sehen Labora¬
torium Tierversuche an. Er injizierte Hunden im Blutdruck¬
versuch grosse Mengen Diphtheriegiftes in die Vene. Der Druck
wurde nach der W a 1 1 e r sehen ') Methode gleichzeitig in der
Kar otis und im linken Vorhof gemessen.
v. S t e j s k a 1 glaubte in seinen V ersuchen eine Bestätigung
der Angaben von Homberg und Pässler zu sehen, dass
das Diphtheriegift die Vasomotoren lähmt. Die ausschlaggebende
1 rsache für die letale Blutdrucksenkung sei jedoch in einer
unabhängig von der Vasomotorenlähmung auftretenden Lähmung
des Diphtherieherzens zu suchen.
Diese zum Teil widersprechenden Resultate sind auf ver¬
schiedenen Wegen gewonnen worden. Es lag nahe, dass die
V idersprüche durch Unvollkommenheiten der Methodik bedingt
sind.
Wir stellten uns daher zunächst die Auf¬
gabe, erneut zu prüfen, ob und in welcher Weise
sich Vasomotorenlähmung und Herzschwäche
im Blutdruckversuch mit Sicherheit von ein¬
ander unterscheiden lassen.
Die früher von R o m b e r g und P ä s s 1 e r angewandte
A ersuchsmethode bestand im wesentlichen darin, dass bei in¬
fizierten Tieren in verschiedenen Stadien der Krankheit der
Blutdruck gemessen wurde. Die Erregbarkeit des Vasomotoren¬
zentrums wurde durch starke sensible Reize oder durch vorüber¬
gehende Erstickung geprüft. Die hierbei auftretende Blutdruck¬
steigerung' setzt die intakte Funktion von Gefässen und Ilerz
voraus. Ein Versagen der Reaktion auf sensible Reizung oder
Erstickung konnte daher bedingt sein entweder durch eine Schä¬
digung der Vasomotoren oder durch die Unfähigkeit des Herzens,
seine vermehrte Füllung gegen erhöhte Widerstände auszutreiben.
Durch Kompression des Unterleibs — Bauchmassage —
wird das Blut aus den grossen Abdominalvenen dem Herzen
ohne aktives Mitwirken der Gefässe in vermehrter
Menge zugeführt. Ein leistungsfähiges Herz treibt die ver¬
mehrte I üllung mehr oder weniger vollständig aus, der Blutdruck
steigt.
Einen weiteren Masstab für die Leistungsfähigkeit des
Herzens sahen Romberg und Pässler in dem Verhalten
des Blutdrucks bei Verschluss der Aorta oberhalb des Zwerch¬
fells. Das leistungsfähige Herz wirft sein Blut auch gegen die
erhöhten Widerstände aus, der Druck in der Aorta steigt. Ein
geschwächtes Herz dagegen vermag sich gegen den erhöhten
Widerstand nur mangelhaft zu entleeren.
Versagte nun an den infizierten Tieren beim Eintritt der
Kreislaufstörung die Reaktion auf sensible Reizung und Er¬
stickung, während die Drucksteigerung bei Bauchmassage und
Aortenkompression bestehen blieb, so wurde daraus auf eine
Lähmung der Vasomotoren bei erhaltener Herzkraft geschlossen.
Versagten alle Reaktionen, so war die Herzkraft erlahmt.
Die von v. Stejskal angewandte Waller sehe Methode
gründet sich darauf, dass normalerweise die dem Herzen zu-
stömefiden Blutmengen vom Ventrikel jeweilig vollkommen
wieder ausgeworfen werden. Wenn das Herz ebensoviel Blut
in die Arterie befördert, als der Verhof erhält, so muss das Ver-
4) Zeitsehr. f. klin. Med., XLIV., 1902, pag. 367.
Du Bois-Reymonds Arch. f. Physiol. 1878, S. 525.
1
No. 42.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1738
liältnis zwischen Arteriendruck und Vorhofdruck ein konstantes
sein. Sinkt der Blutdruck in der Aorta bei Gefässlähmung, also
infolge verminderten Widerstandes, so wird dadurch die Ent¬
leerung des Herzens nicht gehemmt. Sinkt der Blutdruck da¬
gegen, weil das Herz insuffizient geworden ist und sich unvoll¬
kommen entleert, so muss auch die Entleerung des linken \ or-
hofs in den Ventrikel Not leiden: während der Aortendruck
sinkt, steigt der Vorhof druck. In dem Quotienten aus Karotis-
druck und Vorhof druck sah v. Stejskal den Masstab für die
jeweilige Leistungsfähigkeit des Herzens bei seinen Versuchs¬
tieren. Es galt, die Zuverlässigkeit beider Methoden nachzu¬
prüfen. LTnsere Versuche wurden sämtlich an Kaninchen an¬
gestellt. c)
Unsere Versuche begannen wir damit, dass wir das Para¬
digma einer sicheren Vasomotorenlähmung
zu gewinnen suchten. Zunächst injizierten wir den Kaninchen
intravenös Chloralhydrat. Danach sank der Karotisdruck,
während gleichzeitig der Druck im linken Vorhof stieg. Das
Gift rief ausser der ebenfalls eintretenden Gefässlähmung eine
Insuffizienz des Herzens hervor, die sich überdies
durch eine Abnahme der Reaktionen auf Bauchmassage und
Aortenkompression kennzeichnete. Das Verhalten des
Blutdrucks bei Chlor alvergiftung war dem¬
nach zum Paradigma einer reinen Gefäss¬
lähmung nicht geeignet.
Da bei dem pflanzenfressenden Kaninchen die vom Splancli-
nikus innervierten Gefässe den Blutdruck vollkommen beherr¬
schen, so kommt die Wirkung einer Splanchnikuslähmung bei
diesen Tieren — im Gegensatz zu den Fleisch¬
fressern — derjenigen einer totalen Vasomotorenlähmung
auf den Blutdruck bekanntlich vollständig gleich. Wir haben
deshalb den Kaninchen den N. splanchnicus
beiderseits in der Bauchhöhle ausgerottet.
Das Verhalten des Blutdruckes wurde vor und nach der Opera¬
tion geprüft. Wir betrachteten die Ausrottung als gelungen,
wenn auf faradische Reizung der Nasenschleimhaut und des
N. isehiadicus keine nennenswerte Blutdrucksteigerung mehr
auftrat. Der Blutdruck wurde in der linken Karotis und im
linken Vorhof gemessen. Die Folge der Splanch-
nikusresektion ist ein Sinken des Druckes in
beiden Manometern. Die Grösse der Druck¬
senkung ist jedoch in der Karotis und im \ or-
hof ungleich. Ausnahmsweise sinkt der Vorhof druck stär¬
ker als der Karotisdruck. In der Regel sinkt umgekehrt der
Karotisdruck beträchtlicher als der Vorhof druck: das Herz
arbeitet dann also nach Eintritt der Vaso¬
motorenlähmung ungünstiger als bei intakter
Gefässfunktion.
Die Fähigkeit des Herzmuskels, grössere
Arbeit zu verrichten, ist aber nicht geschä¬
digt. Wir erkennen das sofort, wenn wir durch Bauchmassage
oder durch Aortenkompression dem Herzen grössere Leistungen
zumuten. Bauchmassage bewirkt jetzt eine mindestens ebenso¬
grosse, oft grössere Drucksteigerung, als vor der Vasomotoren¬
lähmung; auch der Vorhof druck steigt, aber viel geringer als der
Arteriendruck. Der Quotient aus Karotisdruck und Vorhofdruck
wird dadurch bei Bauchmassage wesentlich vergrössert, und zwar
steigt er oft auf höhere Werte als vor der Splanchnikusresektion.
Auch die arterielle Drucksteigerung bei Arterienkompression
sehen wir nach Eintritt der Vasomotorenlähmung zunehmen,
während gleichzeitig der Vorhofdruck nur wenig steigt oder sogar
sinkt. Der Quotient aus beiden Druckwerten erreicht dadurch
noch dieselben Werte wie bei Aortenkom¬
pression vor der Splanchnikusresektion.
Obwohl also nach Eintritt der Gefässlähmung das. Herz,
wenn der Kreislauf sich selbst überlassen bleibt, relativ ungünstig
arbeitet, so ist es erhöhten Anprüchen gegenüber
keineswegs insuffizient. Der Herzmuskel hat,
wie vorauszusetzen war, an seiner Leistungsfähig¬
keit nichts eingebüsst.
8) Bei Ueberwindung der technischen Schwierigkeiten der
Vorhof druck messung kamen uns Ratschläge des Herrn Prof,
v. Basch zu Hilfe. Wir gestatten uns, ihm für seine bereit¬
willige Unterstützung unseren verbindlichsten Dank auszusprechen.
Hervorgehoben zu werden verdient übrigens noch der Um¬
stand, dass der Anstieg des Blutdrucks in der Karotis im Augen¬
blick der Aortenkompression von dem tieferen Niveau ebenso
rasch erfolgen kann, wie vor der Splanchnikuslähmung von den
höheren Werten aus, wenn nur der Vorhof genügend mit Blut
gefüllt wird. Ein Unterschied ist nur insofern vorhanden, als
jetzt der Druck nach dem ersten rapiden Anwachsen bei gleich¬
zeitig fortschreitender Besserung der Herzarbeit noch eine Zeit-
lang allmählich weiter steigt, während bei intakter Gefässfunk¬
tion die Drucksteigerung auf Aortenkompression das anfangs
erreichte Mass später kaum noch wesentlich überschreitet.
Der Kreislauf zeigt das hier geschilderte Verhalten bei V asor
motorenlähmung nur kurze Zeit. Bald nämlich beginnt sich der
Ausfall der Reaktionen zu ändern. Bauchmassage steigert den
Karotisdruck nicht mehr so stark, man erzielt damit auch nur
noch eine geringere Verbesserung der Herzarbeit.
Ebenso ändert sich das Bild bei Aortenkompression. Auch
hier werden sowohl die arteriellen Drucksteigerungen wie die
Verbesserung der Herzarbeit geringer; zudem erfolgen sie be¬
trächtlich langsamer als anfangs.
Wir sehen daraus, dass der Herzmuskel bei einiger
Dauer der Vasomotorenlähmung erhöhten An¬
sprüchen gegenüber nicht mehr dieselbe
Leistungsfähigkeit zeigt wie anfangs.
Es liegt nahe diese unzweideutige Schädi¬
gung der FI e r z k r a ft auf eine geringere Durch¬
blutung des Herzmuskels, bei Vasomotoren-
1 ä h m u n g zurückzuf ii h r e n. Wir suchten diese Ver¬
mutung auf folgendem Wege zu beweisen.
Die Aorta wurde oberhalb des Zwerchfells dauernd kompri¬
miert, der so eingeengte Kreislauf durch intravenöse Kochsalz¬
infusion in die Vena jugularis besser gefüllt. War unsere Auf¬
fassung — Schädigung der Herzkraft infolge mangelhafter
Durchblutung des Herzmuskels — richtig, so war anzunehmen,
dass das Herz sich von der Schädigung durch die Vasomotoren-
lä Innung wieder erholte. In der Tat erzielten wir eine zu¬
nehmende Erhebung des Karotisdrucks, bei allmählich immer
mehr sich bessernder Herzarbeit bis zu Werten, welche zeitweise
die vorher durch Aortenkompression erzielte Verbesserung der
Herzarbeit sogar noch überschritten. Die nach Vaso-
motorenlähmung aufgetretene Herzschädi¬
gung liess sich also durch ausreichende G e -
fässfüllung wieder beseitigen.
Für die von uns erstrebte Beurteilung der Kreislaufkompo-
nenten gewinnen wir aus den Versuchen mit Splanchnikusresek¬
tion den Schluss, dass der Quotient aus dem Vorhof druck in den
Karotisdruck wohl ein Bild von der jeweils besseren oder schlech¬
teren Herz a r b e i t geben kann, dass wir in ihm jedoch kein
exaktes Mass für die Herz kraft besitzen. Einen Mass¬
stab für die Leistungsfähigkeit des Herzens,
für die Herz kraft, erhalten wir durch den
Quotienten erst, wenn wir an das Herz erhöhte
Anforderungen stellen, wie es bei Anwendung
der Bauchmassage und besonders der Aorten-
kompression der Fall ist.
Wir gingen nun dazu über, das V erhalten des Blut¬
druckes bei Herzinsuffizienz noch näher zu stu¬
dieren. Zunächst versuchten wir, eine isolierte Herzschwäche
bei intakt bleibender Gefässfunktion zu erzeugen. Ein Gift,
welches ausschliesslich den Herzmuskel schädigt, kennen wir
nicht. Den Versuch, das Herz nach dem Vorgänge v. Stejs¬
kal s 7) durch Erstickung zu schädigen, hielten wir für un¬
geeignet, weil in der Asphyxie ausser der Schädigung der ILerz-
kraft in ganz unkontrollierbarer Weise noch andere Faktoren
auf das Verhalten des Blutdrucks wirken.
Wir suchten deshalb das Herz durch intensive Abkühlung zu
schwächen. Auch dieser Weg zeigte sich ungangbar, da das Herz
unter dem Einfluss der Kälte zuerst seine diastolische Erweite¬
rungsfähigkeit verliert und schliesslich in Systole stehen
bleibt. Uebrigens erfährt mit dem Herzen auch sein Inhalt
eine starke Abkühlung; die Folge davon war eine rasch auf¬
tretende Vasomotorenlähmung.
Es stand uns so kein geeignetes Mittel zur Verfügung, bei
sicher intakten Gefässfunktionen eine isolierte Herzschwäche zu
erzeugen. Wir können jedoch den Einfluss der Herz-
21. Oktober 1902.
MUENCITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1739
Schädigung auf die Blutdruck Verhältnisse
auch dann rein d a r s t e 1 1 e n, wen wir das Herz bei
vollkommen gelähmten Vasomotoren s c h ä d i -
g e n. Man hat dazu nur nötig, den Tieren mit Splanchnikus-
lähmung ein Gift einzuverleiben, welches schädigend auf Herz
und \ asomotoren wirkt. Die bereits vorhandene Lähmung der
Vasomotoren kann durch ein solches Mittel nicht mehr ver¬
stärkt werden. Veränderungen an den Blutdruckkurven müssen
also ausschliesslich auf die Schädigung des Herzens bezogen
werden.
\\ ir benutzten C h 1 o r a 1. Sofort sank der Ivarotisdruck
noch tiefer, der Vorhof druck stieg gleichzeitig mächtig an, so
dass der letztere den Arteriendruck sogar noch iibertraf. Aorten¬
kompression und Bauchmassage steigerten wohl noch den Blut¬
druck, sie verbesserten auch die stark verschlechterte Herzarbeit
noch etwas, aber nicht entfernt in dem Masse wie vor der Cliloral-
injektion. Hier sehen wir also den Ausdruck einer wirk¬
lichen Herzinsuffizienz. Ein ganz entsprechendes Bild tritt
auf, wenn wir das Chloral einverleiben, nachdem wir bei bestehen¬
der Gefässlähmung durch Aortenkompressäon und nachfolgende
Kochsalzinfusion in der oben beschriebenen Weise einen nor¬
malen Blutdruck und günstige Ilerzarbeit geschaffen haben.
Auch dann kreuzen sich mit dem Auftreten der Herzschwäche
nach der Chloralinjektion die Kurven des Arterien- und des Vor-
hofdrueks. Damit ist auch der Beweis geliefert, dass die hohe
Drucksteigerung im arteriellen System nach Aortenkompression
und NaCl-Infusion in unseren Versuchen nicht etwa künstlich
durch den Infusionsdruck, sondern nur durch die Energie des
linken Ventrikels erzeugt und unterhalten wurde.
Die bisher geschilderten Versuche haben uns gezeigt, wie
verschieden sich die Blutdruckkurven bei Gefässlähmung und
bei Herzinsuffizienz verhalten. Wir sind darnach wohl
im stände zu erkennen, ob eine im Experiment
aus unbekannter Ursache auf treten de Druck¬
senkung auf einer Schädigung des Herzens
oder der V asomotoren beruht. Es genügt dazu
freilich nicht, einfach den Karotisidr u c k m i t
d e m Vorh,üf druck zu vergleiche n, sonder n w i r
müssen gleichzeitig den Ausfall der Re¬
aktionen auf sensible Reizung und Aorten¬
kompression oder B a u c h m a s si a g e in Betracht
ziehen, wie sie schon früher von Romberg und Pässler an¬
gewandt. wurden. Insbesondere erhalten wir ein für Vergleiche
am selben Individuum sehr exaktes Mass der
Leistungsfähigkeit des Herzmuskels in dem
Quotienten Ivarotisdruck : Vorhofsdruck bei Aortenkompression.
Wir gingen nun dazu über, mit dieser verbesserten Methode
den Kreislauf bei kranken Tieren zu studieren.
Zunächst wählten wir Diphtherie. Da frühere Ver¬
suche von Rollys) ergeben hätten, dass Kaninchen nach Ver¬
giftung mit Diphtherietoxin genau dasselbe Verhalten des Kreis¬
laufs zeigen, wie es vorher von R o m b e r g und Pässler für
Tiere festgestellt war, die mit lebenden Diphtheriebazillen in¬
fiziert sind, so arbeiteten wir mit einem hochwertigen Diphtherie¬
toxin. Die Höchster Farbwerke haben uns die nötigen
Giftmengen in freundlichster Weise zur Verfügung gestellt. Das
Toxin kam teils mit 0,5 Proz. Karbolzusatz, teils ohne jeden
Zusatz zur Verwendung.
Da es erwünscht sein musste, an einem und demselben Tier
den ganzen Verlauf der Blutdrucksverhältnisse vom gesunden
Zustand bis zum Kollaps zu verfolgen, so wurden zunächst den
Kaninchen, trotz naheliegender Bedenken, sehr grosse, hundert-
und mehrfach-tödliche Dosen Diphtheriegifts intravenös in¬
jiziert. Wir beabsichtigten dadurch die Latenzzeit, die be¬
kanntlich selbst bei Anwendung grösster Giftmengen bis zum
Eintritt des Kollapses mindestens mehrere Stunden beträgt,
möglichst kurz zu gestalten.
Vorversuche hatten uns gezeigt, dass bei Kaninchen, ebenso
übrigens bei Hunden, selbst nach intravenöser Injektion ganz
enormer Giftdosen 4 — 5 Stunden bis zum Eintritt schwerer
Kra i lkhei tsersche i nu ngen vergehen .
Es war zu prüfen, ob und welche Störungen etwa eine der¬
artig lange Versuchsdauer an sich schon am Kreislauf des ope¬
7) 1. c.
8) 1. c.
rierten und aufgebundenen Tiers bedingte. Es zeigte sich dabei
sofort, dass auf dem eingeschlagenen Wege keine brauchbaren
Resultate zu erzielen waren. Trotzdem wir die Abkühlung dos
Versuchstiers durch Watteeinpackung nach Möglichkeit ver¬
hinderten, trat im Verlaufe von ca. 2 Stunden eine komplete
Vasomotorenlähmung auf. Ferner entwickelten sich auch Herz¬
störungen, die nur zum Teil auf die Vasomotorenlähmung zu be¬
ziehen waren.
Die Vergiftung desi Tieres erst während des Blutdruckver¬
suchs, wie sie von v. Stejskal7 8) angewandt wurde, müssen wir
deshalb als gänzlich ungeeignet verwerfen. Die Versuchsresul-
tate des genannten Autors, welche mit dieser Methode erhalten
wurden, sind zur Lösung der vorliegenden Frage überhaupt nicht
zu verwerten, da die längst vor Ablauf der Latenzzeit aufge-
| tretenen Kreislaufstörungen gar nicht durch das Toxin bedingt
gewesen sein dürften.
Es blieb nur übrig, nach der Intoxikation den Krankheits¬
verlauf zu beobachten und den Blutdruckversuch anzustellen, so¬
bald das allgemeine Verhalten der Tiere zeigte, dass der Eintritt
des Kollapses bevorstand. Wenn es gelang, den richtigen Zeit¬
punkt zu wählen, in dem sich die ersten Anfänge der Kreislauf¬
störungen eben entwickelten, so musste man bei ihrem rapiden
Fortschreiten den ganzen Verlauf derselben verfolgen und ihre
Komponenten analysieren können.
Unsere derart angestellten Versuche ergaben folgendes: Die
Blutdruckverhältnisse bei den diphtherievergifteten Thieren
blieben zunächst lange Zeit normal. Sobald Störungen auftraten,
bestanden sie regelmässig zuerst in einer Ver¬
minderung der Blutdrucksteigerung auf sen¬
sible Reizung, bei gleichzeitiger prompter Reaktion auf
Bauchmassage und Aortenkompression, und bei noch un¬
verändertem oder schon sinkendem Vorhof-
druck, während der Karotisidruck noch keine deutliche Ten¬
denz zum Sinken zeigte. Wir finden also> die Herzarbeit
in dieser Periode mindestens normal oder gegen vor¬
her sogar gebessert. Bei Anwendung der Aortenkom¬
pression. ergeben die Quotienten aus Vorhofdruck in den Karotis-
druck in dieser Zeit sogar höhere Werte als vorher, auch die
Leistungsfähigkeit des Herzens ist mithin
keinesfalls vermindert, möglicherweise wesent¬
lich erhöht.
In diesem Verhalten des Herzens ist wohl auch der Grund
dafür zu suchen, dass der arterielle Druck nicht, wie zu erwarten,
sogleich im Beginn der Kreislaufstörung und nicht in demselben
Masse sinkt, wie die Abnahme der Erregbarkeit der Vasomotoren
fortschreitet.
Im weiteren Verlaufe der Krankheit wird
die reflektorische Erregbarkeit der Vaso¬
motoren bald auch für die stärksten fara-
dischen Ströme fast vollkommen oder gänz¬
lich aufgehoben. Dabei kann die Herzarbeit eine so
vorzügliche sein, dass die Vasomotorenlähmung zunächst
fast ausschliesslich ein Sinken des Vorhof druckes bedingt,
während der Ivarotisdruck sich noch in ziemlich beträchtlicher
Höhe hält. Komprimiert man die Aorta, so wird die Herzarbeit
noch weiter gebessert. Trotzdem erfolgt der Anstieg des Karotis-
drucks nach der Aortenkompression jetzt langsamer als normal.
Der Grund dafür ist ohne weiteres einleuchtend; er liegt in dem
verlangsamten Zufluss von Blut zum Herzen. Erst der End¬
effekt einer längerdauernde n Aortenkompression ist dem¬
entsprechend eine bedeutende arterielle Drucksteigerung bei
relativ ausgezeichneter Herzarbeit,
Endlich sinkt im weiteren Verlauf des Versuchs der Karotis¬
druck auf durchschnittlich dieselben niedrigen Werte, wie nach
einer Splanchnikusresektion ; der Vorhofsdruck sinkt aber gleich¬
zeitig, die Herzarbeit bleibt gut, in der Regel bessert
sie sich eine Zeit lang noch immer weiter. Auch die
Leistungsfähigkeit des Herzens, gemessen an der Blut¬
drucksteigerung durch Aortenkompression bei gleichzeitiger Vor¬
hofsdruckmessung, • ist während dieses arteriellen Druckabfalls
zunächst noch intakt.
Erst nunmehr entwickelt sich allmählich
II erzsch w ä c h e. Aortenkompression macht nur noch ge-
°) 1. c.
1*
1740
MUENCILENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
ringe Drucksteigerung, die ITerzarbeit bessert sieh hierbei wohl
noch im Vergleich zu vorher, aber nur massig.
Es war nun zu prüfen, ob diese Herzschwäche rein aus dem¬
selben Grunde auftritt, wie bei Vasomotorenlähmung nach
Splanchnikusresektion, nämlich infolge mangelhafter Durch¬
blutung des Herzens; oder ob daran jetzt eine direkte schädliche
Wirkung des Diphtherietoxins in massgebender Weise be¬
teiligt war.
Wir haben zu diesem Zwecke wiederum bei unterbundener
Aorta physiologische Kochsalzlösung in die Vena jugularis in¬
fundiert. Das Herz begann sofort sich zu erholen. Der Blut¬
druck stieg während der Dauer der Infusion gleichzeitig mit dem
Vorhof druck; bald darauf sank jedoch der letztere wieder ab,
das Herz entleerte sich gut. War der Zeitpunkt für den Beginn
der Na Cl-Infusion günstig gewählt, so konnte auf diese Weise
der Karotisdruck und die Herzarbeit noch lange Zeit hindurch
(1 Stunde und mehr) auf dem Ausgangsniveau erhalten werden.
Die bei Diphtherievergiftung final auftretende Herzschwäche be¬
ruht also ebenfalls auf mangelhafter Durchblutung, nicht
auf einer Schädigung des Herzmuskels durch das Diphtheriegift.
Unsere Versuche an diphtherievergifteten
Tieren lehren also unzweifelhaft, dass der
Eintritt der Kreislaufsstörung im Kollaps
ausschliesslich abhängig ist von einer Läh¬
mung der Vasomotoren. Die Gef ässlähmung
ruft erst sekundär Herzschwäche hervor.
Kompensiert man die Folgen der Vaso-
motorenlähmung durch Einengung und bes¬
sere Füllung des Kreislaufs, so kann der Ein¬
tritt der Herzschwäche noch lange verzögert
werde n.
Dennoch verhält sich der Herzmuskel beim
Beginn des Diphtheriekollapses nicht voll¬
kommen wie ein normaler. Wiederholt konnten wir be¬
obachten, dass eine ganz kurzdauernde Asphyxie
(30”) das Herz intensiv un d dauernd schädigte.
Bei gesunden Herzen ruft eine solche kurzdauernde Erstickung
kaum geringe, jedenfalls rasch vorübergehende Schädigung der
Herzfunktion hervor. Diese Eigenschaft des Diph¬
therieherzens dürfen wir wohl als den Aus¬
druck einer direkten Schädigung durch das
Diphtheriegift ansehen. Der anatomischen Schädi¬
gung des Diphtherieherzens, die ihren Ausdruck in der starken
parenchymatösen Degeneration, besonders der fettigen Entartung
des Herzmuskels findet, entspricht physiologisch eine hohe Em¬
pfindlichkeit gegen Einflüsse, die sonst nur in geringerem Masse
den Herzmuskel schädigen. Man kann sich wohl denken, dass
diese verminderte Widerstandsfähigkeit den Beginn einer Herz¬
schädigung darstellt, die bei weiterem Fortschreiten der Gift¬
wirkung zum Herztod führen könnte. Bis es dahin kommt, ver¬
geht jedoch vom Eintritt der Vasomotorenlähmung an selbst bei
dem rapiden Krankheitsverlauf nach Injektion vielfach tödlicher
Toxindosen eine beträchtliche Zeit. Für die ohne äussere Ver¬
anlassung auf der Flöhe der Infektion — nicht postdiphtherisch
— auftretenden Kreislaufstörungen kommt diese direkte Schädi¬
gung des Herzens durch das Diphtheriegift deshalb nicht in Be¬
tracht. Sie wird aber eine grosse klinische Be¬
deutung haben können, wenn z. B. die Atmung
durch Lary nxstenose beschränkt ist. Aus dieser
Eigentümlichkeit des Diphtherieherzens, durch relativ geringe
Schädigungen insuffizient zu werden, lassen sich zum Teil auch
die früheren Resultate Rollys10) an diphtherievergifteten Ka¬
ninchen nach Herstellung des Hering sehen isolierten llerz-
Lungenkreislaufs erklären.
In einer weiteren Versuchsreihe prüften wir mit unserer
Methode den Kreislauf im Kollaps nach Pneumo-
kokkeninfektio n. Wir infizierten Kaninchen mit Pneumo¬
kokkenbouillonkulturen und benutzten die Tiere wieder zum
Blutdruckversuch, teils auf der Höhe des Fiebers, teils im Be¬
ginn des Kollapses.
Das Gesamtbild der Kreislauf Verhältnisse war demjenigen
nach Diphtherieintoxikation äusserst ähnlich. Als erstes Zeichen
der Kreislaufstörung trat auch hier eine Abnahme der Druck¬
steigerung auf sensible Reizung hervor. Das Sinken des Karotis-
,#) 1. c.
drucks erfolgte auch bei dieser Krankheit erst allmählich. Es
wurde durch verbesserte Herzarbeit aufgehalten. Die Leistungs¬
fähigkeit des Herzens, gemessen an der Herzarbeit bei Aorten¬
kompression, war im Beginn der Störung ausgezeichnet, erst
sekundär entwickelte sich wieder Herz-
sch w äche. Auch bei den Pneumokokkentieren
konnte durch Infusion von physiologischer
NaCl-Lösung bei Aortenkompression der Ein¬
tritt der Herzschwäche lange Zeit verhindert
werden. Wir sahen sogar, wie der Quotient der Herzarbeit
(Karotisdruck : Vorhof druck), nachdem die unmittelbare Wirkung
der Injektion vorüber war, Zahlen erreichte, die fast das Dop¬
pelte des Quotienten im Versuchsbeginn bei noch ungestörtem
Kreislauf betrugen. Das Pneumokokkenherz z e i g t c
sich in diesen Versuchen eher noch leist ungs-
f ä h i g e r als da s Diphtheriehe r z..
Ein wesentlicher Unterschied der Versuchsergebnisse bei
Pneumokokkenkaninchen voll denjenigen bei Diphtherie bestand
darin, dass nach Asphyxie eine abnorme Schädi¬
gung des Pneumokokkenherzens nicht be¬
obachtet werden konnte. Eine Erstickung von 2 und
selbst 4 Minuten Dauer machte das Herz nur vorübergehend
insuffizient ; bereits Vz bezw lVs Minuten nach Wiederbeginn der
Atmung hatte der Quotient der Herzarbeit den im Versuchs¬
beginn erhaltenen Wert wieder erreicht.
Eine weitere, bei unseren Diphtherietieren nicht beobachtete
Eigentümlichkeit der Pneumokokkeninfektion bestand darin,
dass auf der Höhe des Fiebers, vor Eintritt
der Vasomotorenlähmung ganz ausserordent¬
lich hohe Steigerungen des Vorhofdrucks, be¬
sonders bei asphyktischer Reizung, teilweise
auch bei den übrigen Reaktionen, zu stände kam. Der Zufluss
von Blut zum Herzen war ein so mächtiger, dass der Quotient
der Herzarbeit selbst bei enormer, gleichzeitiger Steigerung des
Karotisdrucks sank. Das Herz konnte für den Augenblick den
grossen Zufluss nicht bewältigen. Diese relative Herz¬
insuffizienz ist aber nicht der Ausdruck
einer gegen die Norm geschwächten Herz¬
kraft. Das Herz war vielmehr hier an der na¬
türlichen Grenze seiner Leistungsfähigkeit
an ge langt. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir die Ur¬
sache dieser Erscheinung darin sehen, dass der Vaso¬
motorenlähmung ein Z stand erhöhter Reiz¬
barkeit vorausgeht.
Ueber blicken wir das Ergebnis unserer
mit der verbesserten Methode angestellten
Versuche an kranken Tieren, so sehen wir in
erster Linie eine vollkommene Bestätigung
der früher von R o m b e r g und P ä s s 1 e r auf ge¬
stellten Sätze. Die auf der Höhe verschie¬
dener akuter Infektionskrankheiten auf¬
tretenden Kreislaufstörungen beruhen auf
einer Lähmung der Vasomotoren. Das Herz
ist an der im Kollaps auf tretenden Blutdruck¬
senkung nicht beteiligt. Vermehrte ILerz-
arbeit vermag sogar den bedrohlichen Ab¬
sturz des arteriellen Drucks eine Zeitlang
aufzu halten. Wenn schliesslich der Blut¬
druck sinkt, so wird das Herz sekundär ge¬
schädigt.
Allerdings beobachteten wir (ausser der
schon früher von Romberg und Pässler so ge¬
deuteten Aenderung der Schlag folge) auch
eine direkte Beeinflussung des Herzens durch
das Diphtheriegift. Zu einer Zeit, wo der
Herzmuskel noch vollkommen im stände ist,
eine beträchtliche Kraft zu entwickeln, zeigt
er eine wesentliche Verminderung seiner
Widerstandsfähigkeit gegen Erstickung.
Eine direkte Schädigung des Herzens
durch die Pneumokokkeninfektion liess sich
dagegen überhaupt nicht nach weisen. Damit
stimmt es sehr gut überein, dass sich auch anatomisch am
Pneumokokkenherzen keine Veränderungen finden, während das
Diphtherieherz bei Tieren dieselbe bekannte Verfettung und die
21. Oktober 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1741
gleichen sonstigen Veränderungen am Parenchym aufweist, wie
beim Menschen. Wir gehen daher wohl nicht fehl,
w e nn wir die herabgesetzte Widerstands¬
fähigkeit als einen funktionellen Ausdruck
der parenchymatösen Degenerationen des
Herzmuskels bei Diphtherie anseh en.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass
diese Herabsetzungder Widerstandsfähigkeit
des Diphtherieherzens das Auftreten der
sekundären Herzschwäche bei der Vaso¬
motorenlähmungbegünstigt und beschleunigt.
An der Entstehung der auf der Höhe der In¬
fektion auftretenden Kreislaufstörung ist
das Herz indessen auch bei der Diphtherie
nicht beteiligt.
Aus der k. Universitäts-Frauenklinik München.
Zwei weitere Fälle von Uterusruptur, operativ geheilt.
\ on Dr. Gustav Wiene r, Frauenarzt in München-Bad Kohl¬
grub, früher 1. Assistenzarzt der Klinik.
In No. 1 des Jahrganges 1902 der Münch, nied. Wochenschr.
veitrat ich den operativen Standpunkt bei Uterusruptur und ver¬
öffentlichte 2 von mir durch Laparotomie geheilte Fälle. In der
Zwischenzeit hatte ich Gelegenheit, abermals 2 Frauen wegen
Uterusruptur und Austritt des Kindes in die Bauchhöhle zu
operieren, und zwar mit gutem Erfolg. Gerade in letzter Zeit
ist der Streit wieder stärker entbrannt: Soll man bei jeder Rup¬
tur operieren oder konservativ behandeln ? Welchen Standpunkt die
Münchener Frauenklinik zu dieser Frage einnimmt, hat ja mein
hochverehrter früherer Chef, Herr Geheimrat v. Winckel,
selbst und habe auch ich in meiner oben zitierten Arbeit genau
festgelegt. U m aber zu einem bleibenden Resultat über diese
Frage zu kommen, empfiehlt es sich, jeden Fall zu veröffentlichen,
sei er nun geheilt oder nicht geheilt worden. Nur dann kann die
Statistik von Wert sein.
Aus diesem Grunde seien auch meine Fälle beschrieben.
I- I fäulein H., 31 Jahre, III. Para. Mutter lebt und ist gesund,
Vater mit 43 Jahren an Herzleiden gestorben. 11 Geschwister,
9 davon im Kindesalter gestorben, 2 leben und sind gesund. Will
als Kind stets krank gewesen sein, was ihr gefehlt hat, weiss Pat.
nicht anzugeben. Erst mit 3 Jahren lernte sie laufen, erst vom
G. Jahr an war sie gesund. Mit 7 Jahren „Gicht“. Vor 3 Jahren
will Pat. ein Geschwür an den Geschlechtsteilen gehabt haben,
sowie über den ganzen Körper verteilte rötliche Flecken. In Be¬
handlung hat sie sich damals nicht begeben. Erste Menstruation
mit 21 Jahren, unregelmässig, mit 6— 8 wöchentlichen Zwischen¬
pausen, 3 — 4 Tage dauernd, mit Schmerzen verbunden und sehr
schwach. Zuletzt Mitte Mai. 1901.
2 Geburten, zuerst im Jahre 1895 mit 8 Monaten, spontan,
Wochenbett fieberfrei. Das Kind starb mit 0 Wochen, woran,
weiss Pat. nicht. Dann im Jahre 1S99 mit 6 Monaten spontan
„totfaul“. Vor der Entbindung 14 Tage lang „Krämpfe“. Wochen¬
bett fieberfrei.
Jetziger Befund: Leibesumfang 108 cm. Nabelhöhe 30.
Fundushöhe 50. Sp. 27. Cr. 30. Cj. extern. 20. Sehr. r. 21.
Sehr. 1. 22. Cjt. diagon. 11. Beckenunifang 104.
V ehenbeginn am 9. III., Abends, am 10. III., 7 Uhr Morgens
kommt Parturiens auf den Kreissesaal. Das Fruchtwasser ist
noch nicht abgeflossen. Starker Hängebauch. Rücken links, Steiss
mi Fundus, kleine Teile rechts. Herztöne in der linken Nabel-
spmallinie, Kopf über dem Becken beweglich. Innere Unter¬
suchung: Muttermund für 2 Finger durchgängig. Vorliegender
Teil; Kopf, Blase steht.
12 Uhr Mittags. Wehen alle 5 Minuten, von 2 Minuten langer
Dauer. Pat. erbricht öfter gallig gefärbten Schleim.
1 Uhr 30 Min. Wehenpausen kürzer. Wehen von V« Min
Dauer. /ä
4 Uhr. Innere Untersuchung. Muttermund fünfmarkstück-
gross; Pfeilnaht quer 1 cm vom Promontorium entfernt, Blase
gesprungen, deutliche Kopfgeschwulst auf dem vorderen Scheitel¬
bein zu fühlen.
7 Uhr 30 Min. Muttermund etwas mehr als fünfmarkstück¬
gross. Grosse Kopfgeschwulst, Pfeilnaht am Promontorium, Kopf
fest im Beckeneingang.
10 Uhr. Muttermund handtellergross, Pfeilnaht am Pro¬
montorium. Muttermundslippen nicht ödematüs.
11. III. 12 Uhr 30 Min. Herztöne 12:13:12. Wehen alle
3 Minuten, über 1 Min. dauernd, sehr schmerzhaft. Morphium
0,02 subkutan. Kein Kontraktionsring. Wehen immer schmerz¬
hafter. Der Uterus sehr druckempfindlich, verträgt kaum leises
Aufsetzen des Stethoskopes. Infolge des dargereichten Morphiums
nimmt nun die Schmerzhaftigkeit der Wehen ab, ohne sich jedoch
an Intensität und Dauer zu verringern.
No. 42.
5 Uhr Morgens. Muttermund vollständig erweitert. Kopf¬
stand unverändert, sehr grosse Kopfgeschwulst. Temperatur 37,4.
Da die Herztöne des Kindes schwankend wurden, wird um 9 Uhr
zur operativen Beendigung der Geburt geschritten. Ich lasse hier
den Wortlaut des Operationsberichtes des behandelnden Arztes
folgen, dem ich auch die bisherigen Angaben verdanke:
Es gelingt nicht, die Medullarnarkose auszuführen, da man
wegen der starken Lordoskoliose die Nadel nicht zwischen die
Wirbelkörper bringen kann. Deshalb Narkose mit Schleich¬
gemisch I.
Der Muttermund ist Vollständig erweitert. Pfeilnaht quer
verlaufend, ganz nahe am Promontorium (vordere Selieitelbein-
einstellungj. Starke Kopfgeschwulst. Es wird zunächst kathe-
terisiert, der elastische Katheter dringt ohne Schwierigkeit in die
Blase ein, doch entleert sich kaum ein Kaffeelöffel voll rötlich¬
braunen Urins. Anlegung der Breus sehen Zange. Zuerst Ein¬
führung des linken, dann des rechten Löffels, wobei sich eine
geringe Menge Blut entleert. Der rechte Löffel wird nach vorne
geführt, die Zange also im linken schrägen Durchmesser angelegt.
Auf Probezug folgt der Kopf nicht, sondern die Zange droht ab¬
zugleiten und wird daher abgenommen. Da die kindlichen Herz¬
töne noch hörbar sind, wird nochmaliger Zangenversuch beab¬
sichtigt. Doch schon beim Einführen der Hand fällt es auf, dass
der zuerst feststehende Kopf nun ganz beweglich ist und vom
Beckeneingang nach der rechten Seite abweicht, wo er dicht unter
der Haut deutlich gefühlt werden kann. Die innere Hand tastet
nun einen von vorne nach rechts hin sich erstreckenden starken
Riss, durch den das Kind zum grössten Teil in die Bauchhöhle
ausgetreten ist. Im Muttermund ist an Stelle des Kopfes ein
Fuss fühlbar, aus der Scheide fliesst eine mässige Menge dunklen
Blutes.
Die innere Hand bleibt im Uterus liegen und drückt mit der
äusseren fest gegen die Risstelle, worauf die Blutung vollkommen
steht. Diese Kompression wird ca. y2 Stunde fortgesetzt, bis nach
operativer Eröffnung der Bauchhöhle. Der Puls wird indessen
etwas schwächer, auf 3 Kampherinjektionen erholt er sich aber
wieder.
Es wurde nun sofort zur Operation geschritten. In Aether-
narkose wird in Beckenhochlagerung der Leib eröffnet. Es zeigt
sich sofort das in 2. Beckenendlage frei zwischen den Darm¬
schlingen befindliche tote Kind. Dasselbe wird rasch extrahiert
und der Uterus vor die Bauchdecken gebracht. Die Hinterwand
desselben ist frei, ebenso die rechte und linke Seite, nur ist das
Lig. latum rechts durch eiuen grösseren Bluterguss zwischen seine
Blätter entfaltet. Vorne ist der Uterus vollständig abgesprengt.
Man sieht einen fetzigen und zerrissenen Trichter, der vorerst
eine genaue Orientierung unmöglich macht, zumal das ganze Ope¬
rationsfeld mit Blut überschwemmt ist. In der Bauchhöhle selbst
befindet sich weniger Blut. Die Plazenta hängt zum Teil aus dem
vorderen Uterusriss heraus. Sie wird manuell extrahiert, dann, vom
vorderen Riss anfangend, Klammern um den Uterus gelegt, die
Ligamenta lata ebenfalls in Klammern gefasst und dann mit der
Schere das ganze Organ abgeschnitten. Erst jetzt, nachdem die
Bauchhöhle von Blut, Vernix caseosa, Mekonium gereinigt ist,
kann man sich genauer orientieren.
Die hintere Lippe wrar erhalten, dagegen war die vordere
senkrecht von unten nach oben gespalten und dann von rechts
nach links abgerissen, und zwar in der Höhe des inueren Mutter¬
mundes. Das Peritoneum der Blase war ebenfalls von rechts
nach links vollständig abgerissen. Dasselbe wird nun zunächst
durch kleine Klammern fixiert und etwas nach oben gezogen.
Dann wird ein Katheter vorsichtig in die Blase eingeführt, wobei
sich herausstellt, dass dieselbe tief unten im kleinen Becken an
einer etwa pfenniggrossen Stelle durchrissen ist. Die Ränder sind
ödematüs geschwollen, nicht scharfrandig, weshalb von einer Naht
erstens deshalb und dann auch wegen des tiefen Sitzes im kleinen
Becken abgesehen wird. Ausserdem muss man den Wunsch haben,
möglichst rasch zu operieren, weshalb nur der Rest der vorderen
Lippe über die Blasenwunde gedeckt wird. Denn man hofft, durch
Narbenschrumpfung und Verwachsung der wunden hinteren Blasen¬
wand mit dem Rest der vorderen Lippe werde ein spontaner Ver¬
schluss der Blase herbeigeführt. Ein kleiner Riss im Mesenterium
des Colon ascendens und descendens wird mit feinstem Katgut ge¬
schlossen, die Parametrien sowohl als auch der Uterusstumpf ein¬
zeln mit Katgut umstochen und die Ränder des vorderen sagittalen
Risses je mit einer Kugelzange gefasst und, wie schon oben er¬
wähnt, nach vorne gezogen und durch 2 Nähte vereinigt, dann
der Halsteil des Uterus von rechts nach links durch fortlaufend
Katgut geschlossen und das Peritoneum sehr sorgfältig darüber¬
genäht.
Die Bauchhöhle wird mit trockenen Tupfern gereinigt und
die Wunde typisch in 3 Etagen geschlossen. Von unten war die
Blasenverletzung nicht zu erreichen. Der Puls, der während der
ganzen Operation gut war, setzte nur 1 mal auf kurze Zeit aus;
auf Kampher il Spritze während der Operation) hob er sich rasch
wieder. Dauer der Operation 1 Stunde 30 Min. Aetherverbrauch
225 g.
’ Das Kind, ein total ausgetragener Knabe, ist 53 cm lang
und 3960 g schwer. Kopfdurchmesser: grosser querer 10 cm,
kleiner querer 8 y4 cm, gerader querer 10 cm, grosser schräger
15 cm, kleiner schräger 11 cm, Umfang 38 cm, Suboccip. breg.
35 cm. Nabelschnur: Länge 64 cm, Dicke 1 cm, Insertion 4 cm
vom Rande, Windungen spärlich. Eihäute: vollständig, Dicke:
derb, Riss: seitlich. Plazenta: Gewicht 495 g, Grösse 20/15 cm,
Gestalt oval, Dicke iys cm, Gewebe grosslappig, Kalk, Apoplexien,
Cysten; nicht, fibröse Schwarten; am Rande,
2
1742
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Die Rekonvaleszenz verlief gut. Fatientin bekam kein
nennenswertes Fieber, nur am 5., 7. und S. Tag nach der Ope¬
ration war die Temperatur über 38°, jedoch bei vollständigem
subjektiven Wohlbefinden. Die höchste Temperatur betrug 38,8.
Urin ging nur die ersten 3 Tage per vaginam ab, vom 4. Tage
an schon konnte Patientin den Urin spontan entleeren, ohne dass
von der Blasenverletzung Weiteres wahrgenommen worden war.
Auch in der späteren Zeit, und selbst beim Gehen, Husten oder
Niessen. hat sich dieser günstige Zustand nicht mehr geändert.
Vom 13. Tage an war Patientin ausser Bett und am 40. Tage
wurde sie entlassen. Der Zeitpunkt der Entlassung wurde nur
deshalb so weit hinausgeschoben, weil sehr langwierige Verhand¬
lungen mit. der Gemeinde wegen Uebernahme der weiteren Ver¬
pflegung d£r Kranken geführt werden mussten. Bei der Ent¬
lassung war die Wunde am Abdomen gut. verheilt, der Portio¬
stumpf ist ganz klein und nicht druckempfindlich, ziemlich be¬
weglich. Die Parametrien sind frei, nirgends Resistenzen oder
schmerzhafte Stellen. Die Blase ist vollständig kontinent, von
der alten Blasenverletzung ist nichts mehr zu entdecken.
2. Th. H., Taglöhnersfrau, 24 Jahre alt, III. Para, wurde am
2(5. III. 1002 Morgens 0 Uhr in sehr anämischem Zustande in die
Anstalt aufgenommen. Sie gab an: Vater an Bauchfellent¬
zündung gestorben. Mutter lebt und ist gesund. 4 Geschwister
starben im Kindesalter, eines davon an Meningitis. Erste Men¬
struation mit 10 Jahren, alle 14 Tage wiederkehrend, zuletzt Ende
Juni 1901. 2 spontane Geburten 1898 und 1901. Wochenbett
fieberfrei. In der jetzigen Schwangerschaft fiel Patientin im
Januar auf den Leib und hatte seitdem öfters Schmerzen auf der
rechten Seite und in den ,, Mutterbändern“.
Am 24. III. 02 11 Uhr Nachts ging das Fruchtwasser ab.
Die gerufene Hebamme fand bei der inneren Untersuchung den
Muttermund für einen Finger durchgängig. Kopf im Beckenein¬
gang ('?). Wehen waren keine vorhanden. Nach Aussage der
Hebamme sei ihr auffällig gewesen, dass der Uterus immer in
die Höhe steige.
Am 25. III. 1 Uhr Mittags treten schwache Wehen auf, die
um 5 XJlir stärker werden und bis 11 Uhr Nachts anhalten. Wäh¬
rend dieser Zeit war Patientin mitunter auf und fühlte sich ganz
wohl. Um 7 Uhr Abends hatte die Hebamme noch einmal inner¬
lich untersucht und keine Veränderung am Muttermund gefunden.
Um 12 Uhr Nachts habe Patientin scheinbar etwas Drang zum
Mitpressen gehabt, was aber bei Bettruhe auf hörte.
Am 20. III. 1 Uhr Nachts abermalige innere Untersuchung
durch die Hebamme. Muttermund fünfmarkstückgross. Gegen
3 Uhr liess die Hebamme die Frau zur Anregung der Wehen¬
tätigkeit aufstehen. Dabei kollabierte Patientin: 8ie bekam plötz¬
lich keinen Atem mehr und wurde ohnmächtig. Zwar kam sie
bald wieder zum Bewusstsein zurück, jedoch bestand die Atem¬
not fort. Gleichzeitig trat auch eine stärkere Blutung aus der
Scheide auf, nachdem überhaupt seit 1 Uhr fortwährend Leib¬
schmerzen vorhanden waren. Der um y2 4 Uhr Morgens gerufene
Arzt aus der Nachbarschaft war der Ansicht, dass der Mutter
muud genügend zur Anlegung der Zange geöffnet sei. Wegen
der ungünstigen Wohnungsverhältnisse sandte er jedoch die Frau
in die Klinik.
Aufnahmebefund: Aeusserst anämische, kollabierte
Frau mit beschleunigter oberflächlicher Atmung und kleinem,
fadenförmigen Puls von 144 p. M. Geringe Blutung aus den
Genitalien.
Die Palpation des Leibes ergibt unterhalb der beiden Rippen¬
bögen unmittelbar unter den Bauchdecken kleine Teile, der stark
vorgewölbte Leib ist besonders unterhalb des Nabels druck¬
empfindlich. Ueber der Symphyse, direkt median gelegen, fühlt
man eine bis beinahe zum Nabel hinaufreichende, mässig harte
Resistenz von bimförmiger Gestalt, die für den Uterus gehalten
wurde. Temperatur 30.4. Die Diagnose wurde auf komplete
Uterusruptur mit Austritt des Kindes in die Bauchhöhle gestellt
und daher sofort die Operation beschlossen.
In Aethernarkose wird der Leib vom Nabel bis zur Symphyse
eröffnet, und es stürzt sofort eine grosse Menge flüssigen Blutes
hervor. Der Fundus uteri liegt zwischen Nabel und Symphyse,
das Kind in der freien Bauchhöhle und zwar in I. Steisslage.
Neben dem Kinde, ebenfalls frei in der Bauchhöhle, die Plazenta.
Der Schnitt wird nun über den Nabel hinauf verlängert, das
Kind am Fuss gepackt und gleichzeitig mit der Plazenta entfernt,
wobei sich herausstellt, dass es sich um einen sehr grossen
Hydrokephalus handelt. Nun wird der Uterus vor die
Bauchwunde gebracht. Derselbe ist rechts und hinten bis weit
über die Tubeninsertion auseinandergerissen, die Wundränder
sind fetzig und weit klaffend, etwas nach aussen ektropioniert.
Es wird nun zunächst das sehr reichlich vorhandene Blut aus
dem kleinen Becken ausgetupft, das zerrissene Ligamentum latum
dextrum in eine Klammer gefasst, ebenso das Lig. latum sinistrum,
letzteres jedoch unter Zurücklassung des linken Ovariums, dann
weiter von der Risstelle aus der Uterus in mehrere Klammern
gelegt und das Organ abgetragen. Nunmehr Umstechung der
Ligamenta lata, sowie der Uterussubstanz und isolierte Um¬
stechung der noch etwas blutenden Arteria uterina dextra. Es
folgt hierauf die Vereinigung des Uterusstumpfes mit fortlaufen¬
dem, starken Katgut und Uebersäumung der Lig. lata, sowie des
Uterusrestes mit Peritoneum durch dünnes fortlaufendes Katgut
und dazwischen gelegte einzelne Katgutfäden, so dass das ganze
Operationsfeld vollständig von der Bauchhöhle abgeschlossen ist.
Dann wird die Bauchhöhle, soweit es eben geht, von freiem Blut
und den stellenweisen faustgrossen Koagulis gereinigt, mit trocke-
uen Tupfern werden die letzen Reste von Blut und Fruchtwasser
und Blut aufgesaugt und die Bauchhöhle wird in 3 Etagen durch
fortlaufendes Katgut und einzelne tiefgreifende Celluloidzwirn¬
fäden geschlossen.
Gegen Schluss der Operation wurde der Puls sehr schwach.
Deshalb erhielt Patientin 3 mal je 1 1 Kochsalzlösung mit Kognak¬
zusatz per rectum (wovon nur vom letzten Einlauf eine geringe
Menge zurückfloss) und nach Beendigung der Operation 500 ccm
physiologischer Kochsalzlösung subkutan. Der Blutverlust
während der Operation war gleich Null, die Narkose ungestört.
Puls nach der Operation 120 p. M., regelmässig, Dauer der Opera¬
tion 1 Stunde.
Das Kind ist ein Knabe von 53 cm Länge und 4100 g Ge¬
wicht. Die Kopfmasse sind: Grosser querer 13,5 cm, kleiner querer
11,0, gerader 10,0, grosser schräger 17,5, kleiner schräger 11,5,
Umfang 48 cm, Suboccipit. breg. 42 cm. Nabelschnur 37 -f- 7 cm
lang, Dicke derselben % cm, Insertion am Rande, Windungen
spärlich. Eihäute vollständig, Dicke: derb. Riss am Rande. Pla¬
zenta: Gewicht 535, Grösse 20/14, Gestalt länglich, Dicke 1 cm.
Gewebe mittelgross, gelappt; Kalk, Apoplexien, Cysten fehlen.
Fibröse Schwarten am Rande und in der Mitte.
Die Rekonvaleszenz war hier keine glatte. Nicht nur dass
Patientin bis zum 25. Tag katheterisiert werden musste (ohne dass
jedoch Cystitis auftrat), bekam Patientin schon vom 3. Tag an
Fieber, und zwar fast immer nur Abends zwischen 38 und 39 u.
Erst am 34. Tag fiel das Fieber ab. Es bildete sich schon bald ein
doppelseitiges Exsudat, das der Beckenwand flach aufsass, jedoch
in die Vagina durchbrach. Es entleerten sich stellenweise reich¬
liche Mengen von nicht stinkendem Eiter. Am 14. Tag wurde
eine vorsichtige innere Untersuchung vorgenommen, wobei sich
zeigte, dass die Portio ziemlich gut zurückgebildet war, etwa 1 cm
lang. Rechts hinten ein ziemlich tiefer Einriss, narbige Ein¬
ziehungen links und vorne. Muttermund geschlossen. Der Uterus¬
stumpf über der Symphyse zu tasten. Links zwischen Portio und
Beckenwand eine flache, ziemlich derbe, nicht druckempfindliche
Resistenz, die sich zirkulär nach hinten zwischen Rektum und
Vagina und nach rechts in eine weichere, etwas fluktuierende Re¬
sistenz fortsetzt, die eben über dem Beckeneingang zu tasten ist.
Am 37. Tag konnte Patientin auf ihren Wunsch entlassen
werden. Die Bauchwunde war bis auf eine kleine, etwa zelin-
pfennigstückgrosse Stelle am unteren Wundwinkel geschlossen,
nirgends im Leib, selbst auf starken Druck, Schmerzen.
Die beiden liier beschriebenen Fälle haben eine grosse Aehn-
lichkeit miteinander, bei beiden handelte es sich um ein Miss¬
verhältnis zwischen Kindskopf und mütterlichem Becken.
Während im ersten Falle das Kind zwar den regulären Kopf¬
umfang aufwies, war das Becken zu sehr verengt, während im
zweiten Fall zwar das Becken gross genug war, jedoch der Ilydro-
kephalus unverkleinert unmöglich den harten Beckenring
passieren konnte.
Auch sonst waren die Verhältnisse ziemlich gleich, indem
beide Frauen sehr lange vorher schon gekreisst hatten. Wie in¬
tensiv der Uterus in beiden Fällen gearbeitet hat, um seinen In¬
halt auszupressen, sieht man daran, dass in der letzten Zeit vor
der Geburt schon die Wehen sehr schmerzhaft wurden und nach
Eintritt des Risses sowohl Kind wie Plazenta rasch in die Bauch¬
höhle geboren worden sind. Im ersten Falle ist sicher kein Kon¬
traktionsring aufgetreten, während man mit derselben Sicherheit
im zweiten an einen solchen denken muss, will man anders die
ja ganz richtige Beobachtung der Hebamme: „Der Uterus sei
immer nach oben gestiegen“ sich erklären, nur wurde eben dieses
„Nachobensteigen“ von derselben falsch gedeutet.
Ein Unterschied zwischen beiden Fällen bestand insofern,
als der erste Fall sofort erkannt worden ist und dementsprechend
sofort operiert werden konnte, auserdem von dem operierenden
Arzt sofort die Risstelle mit der inneren Hand solange zu¬
sammengehalten wurde, bis die Blutstillung nach Eröffnung des
Leibes von oben vorgenommen werden konnte. In dem zweiten
Falle dagegen wurde die Ruptur ausserhalb der Klinik überhaupt
nicht erkannt und die Diagnose erst in letzterer gestellt. Der
Eintritt der Ruptur lag 3 Stunden zurück, denn Kollaps und
Ruptur sind wohl direkt durch einander bedingt gewesen.
Diese Verschiedenheit der Behandlung kurz nach Erfolgen
des Risses und die raschere Operationsmöglichkeit im ersteren
Falle hat sich auch bei der Rekonvaleszenz gezeigt.
Wenn schon im zweiten Falle eine geringe Infektion im
Beckenbindegewebe erfolgt ist, die wohl auch auf die häufigeren
inneren Untersuchungen durch Arzt und Hebamme und die Ver¬
unreinigung des Peritoneums zurückzuführen sind, so hat sich
Patientin 1 doch viel rascher erholt. Die gar nicht empfindliche
Parametritis im zweiten Falle wäre von Patientin 2 wohl rascher
überwunden worden, wenn hier nicht die Anämie solch bedenk¬
liche Grade schon erreicht haben würde.
Durch die vorhandene Anämie soll man sich nie von der
Operation abhalten lassen, denn wir haben in den Kochsalzein*
21. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1743
laufen subkutan oder per rectum ein ausgezeichnetes Mittel.
Dass bei grossen Blutverlusten sehr grosse Mengen vertragen
werden, sieht man am besten bei Fall 2, bei dem noch während
der Operation 3 Liter in den Darm eingegossen worden sind, die
fast vollständig behalten wurden. Nur habe ich hier während des
Einlaufes die l'lüssigkeit vorsichtig im Darme nach oben ge¬
strichen und sie dadurch sehr rasch zur Resorption gebracht.
Die Frage, wie man operieren will, ergibt sich, wie ich in
meiner ersten Arbeit angegeben, aus der Natur der Verletzung.
Ist der Riss glatt: Vernähung, ist er zerfetzt: Entfernung des
Uterus. Ob man nun den Uterus supravaginal abtragen will
oder ihn total entfernen, untersteht nach meiner Ansicht der
Wahl des Operateurs. Wenn ich auch die Vorteile der breiten
Drainage nach unten, die gerade in letzter Zeit von A m a n n ’)
für die Uterusrupturen warm empfohlen wird, durchaus nicht be¬
streiten will, so glaube ich andererseits, dass der Uterusrest nicht
nur eine gute Stütze für den Beckenboden abgibt, sondern auch
als Deckmittel für Defekte der Nachbarorgane sich gut verwerten
lässt. So gelang es mir in Fall 1 durch einfaches Ueberdachen
der vorhandenen Blasenverletzung, letztere dauernd zu heilen,
und ich ersparte mir die zeitraubende und manchmal doch nicht
haltende Blasennaht.
Wenn auch die grossen Statistiken der letzten Zeit
(Schmit, Klien, v. Franque) und die Wiener gynäko¬
logische Gesellschaft sich fast durchwegs für konservative Be¬
handlung der Uterusruptur aussprachen, so mehren sich doch
immer mehr die Fälle, in denen Rupturen durch rasches opera¬
tives Eingreifen geheilt worden sind.
Ich gebe gerne zu, dass nicht überall und nicht von jedem
Arzt Rupturen durch Koeliotomien behandelt werden können,
aber in Kliniken selbst und in Städten mit Kliniken oder grossen
Krankenhäusern können alle Fälle rasch eingeliefert und dann
in kürzester Zeit der Operation zugeführt werden. Dass selbst
längere Zeit nach dem Eintritt der Verletzung noch mit Erfolg
operiert werden kann, beweist wieder klar mein zweiter Fall.
Von den Verfechtern der konservativen Methode wird als
Hauptmotiv ins Feld geführt, dass die von ihnen empfohlene
Methode auch von Nichtspezialisten und vor allem von der
grossen Zahl der praktischen Aerzte angewandt werden könne.
Aber meine Erfahrungen sind leider nicht derart, dass ich die
Anschauung vertreten könnte, dass die Uterustamponadel von
der Hand eines geburtshilflich Ungeübten als so vollständig un¬
gefährlich oder gar leicht ausführbar zu betrachten sei. Die
enorme Blutung, die gewöhnlich nach einem Riss eintritt, macht
den über die Schwere des Falles schon vorher etwas aufgeregten
Kollegen erst recht nervös, und um sie zu stillen, wird dann ins
Blaue hineintamponiert. Dass dann sehr häufig nicht in den
Uterus, sondern direkt durch den Riss in die Bauchhöhle die
Gaze eingeführt wird und dabei oft nicht unbedenkliche Ver¬
letzungen der Bauchorgane (wie Abreissen des Darmes; cf.
meinen zweiten Fall, Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 1, und
Amann, Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 11) gesetzt wer¬
den, habe ich, wie gesagt, schon selbst erlebt.
Der Arzt in der Stadt, welchem eine Ruptur vorkommt, täte
meines: Erachtens viel besser, nur einen ordentlichen Watte¬
oder Gazebausch in die Scheide zu legen und den Uterus mit
Tüchern oder Kissen und einer festen Binde von aussen zu kom¬
primieren und die Kranken so^ rasch wie möglich einer Klinik
zuzuführen.
Dass die Operation bei Uterusrupturen uns wirklich ausge¬
zeichnete Resultate gebracht hat, davon konnte ich mich durch
Augenschein überzeugen. Zu Anfang meiner Assistentenzeit
wurden alle Rupturen, die uns unterkamen, durch Tamponade
behandelt, und von allen Patientinnen blieb nur eine einzige am
Leben; während in den letzten 2 Jahren die 6 operierten Fälle
(1 von Herrn Geheimrat, 4 von mir und 1 von einem anderen
Assistenten) bis auf den letzten geheilt worden sind und auch
dieser kann der Operation nicht zur Last gelegt werden, denn
die Frau kam schon mit Temperatursteigerung über 39° in die
Anstalt.
Ich glaube also, dass sich die Resultate der operativen Be¬
handlung- der Uterusruptur immer mehr bessern, je syste¬
matischer dieselbe durchgeführt wird.
Eine Statistik über diese Frage in späteren Jahren wird
dann ein Plus von Heilungen bei operativ behandelten Fällen er¬
geben, welche die bis jetzt ja der Masse nach noch ziemlich un¬
günstigen Zusammenstellungen überwiegen dürften. Denn man
darf nicht vergessen, dass in denselben noch sehr viele Fälle ent¬
halten sind, die zu einer Zeit operiert wurden, wo die Technik
noch nicht auf der heutigen Höhe stand.
Die so oft betonte Infektionsgefahr darf in einer gut ge¬
leiteten Anstalt durch die Operation kaum erhöht werden. Es
bleibt also nur der Infektionsweg1 von unten, d. h. durch den
Riss selbst. Eine derart infizierte Frau geht auch bei Behand¬
lung mit Tamponade zu Grunde. Ob nicht sogar die Abschlies¬
sung dieses Infektionsweges durch sorgfältige Vernähung des
Peritoneums nach unten verringert wird, ist nicht als vollstän¬
dig ausgeschlossen zu betrachten. Denn so gut der Gazestreifen
im Uterus und oft zwischen den Rändern des Risses nach unten
drainiert, ebenso kann er das auch nach oben, und die Vagina ist
nie ganz keimfrei.
Zum Schlüsse erfülle ich die angenehme Pflicht, meinem
hochverehrten früheren Chef, Herrn Geheimrat v. W inckel,
für Ueberlassung der Operationen und der Fälle zur Veröffent¬
lichung meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
Ein Fall von kongenitaler Cystenniere mit pararenalem
Haematom bei einem Luetiker.
Ein Beitrag zur Nierenpathologie.
Von II e r m a n n Fels, I. Assistent des patholog.-anatomischen
Instituts in Zürich.
Am 1. Oktober 1901 kam J. D., 42 Jahre alt, in meine Be¬
handlung als poliklinischer Patient des German Hospitals in
London. Der Fall scheint mir einmal wegen des eigentümlichen
klinischen Bildes, dann wegen der Schwierigkeit der Diagnosen¬
stellung und auch wegen des höchst interessanten Sektions¬
befundes wert, vei-öff entlieht zu werden. Speziell für den Nieren¬
chirurgen ist dieser Fall von Interesse.
Die Anamnese ist in Kürze folgende: Der ratient stammt aus
gesunder Familie, ist Engländer von Geburt. Er war früher lange
Jahre Seemann und fuhr als solcher viel in ostindischen und
chinesischen Gewässern herum, war auch in Australien und
Amerika gewesen. Er arbeitete meist als Heizer in grossen Ozean¬
dampfern und hatte als solcher einen sehr angestrengten Dienst.
Patient gibt an, vor 14 Jahren am Darmfieber (wahrscheinlich
Dysenterie oder Typhus abdominalis) gelitten zu haben. Er war
damals 7 Wochen in Philadelphia in einem Hospital. Malaria hat
Patient nach seiner Beschreibung auch durchgemacht. Lues wird
anamnestisch in Abrede gestellt, wird aber positiv bei der Sektion
festgestellt. Im übrigen war Patient stets kräftig und gesund
gewesen. Seit längerer Zeit hatte er jedoch eine blasse Gesichts¬
farbe. Die jetzige Erkrankung führt Pat. auf einen Diätfehler
zurück, den er vor 2 — 3 Wochen begangen. Angeblich nach dem
Genuss einer Flasche Limonade bekam Pat. heftige Diarrhöen und
wiederholtes Erbrechen, verbunden mit kolikartigen Leib¬
schmerzen. Nach einigen Tagen besserte sich diese akute Gastro¬
enteritis und Patient reiste von London nach Kent. Die Appetit¬
losigkeit, die seit der Störung bestanden, nahm zu. Der Pat.
magerte ab, und klagte über heftige Schmerzen in der Milzgegend.
Seit ca. 14 Tagen bemerkte er eine wachsende Geschwulst in der
linken Seite, dicht unter dem Rippenbogen; diese Neubildung be-
Avog ihn dann die allgemeine Poliklinik des German Hospital
zu besuchen, wo ich Gelegenheit hatte, den Pat. zu untersuchen,
und ihn dann auch ins Hospital aufnahm. Der Pat. stellte jeg¬
liches Trauma in der Gegend der Neubildung in Abrede. Die
Harnabsonderung sei stets normal gewesen. Pat. hatte nie Blut
im Urin bemerkt.
Status bei der Aufnahme am 1. Oktober 1901: Grosser,
ziemlich gut genährter Mann, von sehr blasser Hautfarbe, mit
leicht fahl-gelbem Ton, wie bei Kachexie verbunden mit Auämie.
Die Schleimhaut der Lippen und des Mundes hochgradig anämisch,
ebenso die Konjunktiven. Kein Ikterus vorhanden, keine Haut-
ausschläge. Das Knochensystem ist sehr gut gebaut, keine Un¬
ebenheiten an den Tibiae, noch an den Schädelknochen. Die
Muskulatur ist relativ kräftig entwickelt. Im Hals an der linken
Tonsille und nach innen eine zweimarkstückgrosse derbe, strahlige
Narbe. Zunge belegt, etwas trocken, starker Foetor ex ore. Die
Zähne sind stark defekt. Der Hals ist verdickt, beiderseitige
Struma mittleren Grades. Die Venen des Halses kaum sichtbar.
Der Thorax ist gut gebaut, leicht fassförmig. Es besteht ein ge¬
ringer Grad von Lungenemphysem mit leichter chronischer Bron¬
chitis. Im übrigen' die Lungen perkultoriscli und auskultatorisch
ohne weitere Veränderungen. Die Herzdämpfung überragt die
linke Mammillarlinie um 2 — 3 cm. Die Herztöne sind rein, jedoch
leise. Die Leberdämpfung ist normal, reicht bis an den unteren
Rand des Rippenbogens. Das Abdomen ist leicht aufgetrieben, die
2*
’) Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 11.
1744
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Haut fettreich, jedoch nicht ödematös. Im linken Hypochondrium
sieht man schon bei der Inspektion eine Vorwölbung von längs¬
ovaler Form, von gut Handgrösse. Bei der Palpation fühlt man
einen harten, rundlichen Tumor von 20 cm Länge, 15 cm Breite,
der mit seinem oberen Pol unter dem Rippenbogen verschwindet,
und so nach oben nicht scharf abzugrenzen ist, mit dem unteren
Pol bis etwas unter Nabelhöhe ' reicht. Der Tumor ist wenig be¬
weglich, stark prominent, von glatter Oberfläche; die Haut und die
gesamten Bauchdecken darüber verschieblich. Bei der Verschie¬
bung sowohl, als auch bei bimanueller Untersuchung hat man das
Gefühl, dass derselbe bi’eit in der Nierengegend aufsitzt und auf
der Unterlage ziemlich fest angewachsen ist und in die Abdominal¬
höhle hineinragt. Fluktuation ist keine nachzuweisen. Beim Ver¬
such, den Tumor in toto zu verschieben, überraschte uns, dass die
stark prominente Partie sich nach der Mediane hin umklappen
liess, und dabei trat unter die palpierende Hand ein scharfer Rand,
wie bei einer grossen leukämischen Milz. Keine respiratorische
Verschieblichkeit nachzuweisen. Keine Schmerzhaftigkeit bei der
Palpation. Ueber dem Tumor ist gedämpfter Perkussionsschall,
nirgends Tympanie von einer etwa vorgelagerten Darmschlinge.
Die Dämpfungsfigur geht nach oben bis zur 8. Rippe in der Axillar¬
linie, geht also über in die Milzdämpfung. Es lässt sich durch Per¬
kussion auch keine Grenze zwischen Tumor und Milz nachweisen.
Das übrige Abdomen normal. Die rechte Niere nicht vergrössert,
nicht palpabel. Leicht vergrösserte, aber nicht indurierte Lyrnph-
drüsen in der Inguinalgegend. Im Abdomen kein freier Aszites
nachzuweisen. Eine Aufblähung des Darmes vom Rektum aus
wurde leider nicht vorgenommen; sie hätte in diesem Fall, wie der
Sektionsbefund zeigte, die Diagnose intra vitam erleichtern können.
In der Knöchelgegend besteht ein leichter Grad von Oedem.
Der Urin besass ein spezifisches Gewicht von 1010. Die Tages¬
mengen waren 800—1000 ccm in den ersten Tagen. Später wurde
er nicht mehr gemessen, Reaktion: neutral, die Farbe: hellgelb, der
Ui’in ist klar, leicht eiweisshaltig, mit Spui’en von Zucker. Im
Sediment keine oi'gaxxischen Bestandteile, wie Blut- oder Eiter-
körperchen, Zylinder und Epithelien, nachzxiweisen.
Die Blutuntei’sueliung ergab ei*st eiixen Hämoglobingehalt von
20 Pi’oz., später von 35 Pi’oz., also eine sehr starke Oligochromämie.
Beim Einstich in die Fingerkxxppe fliesst das Blut aus der kleinen
Oeffnung sehr reichlich aus, ist blass-hellrot, wässrig, voix sehr
schwachem Gerinnungsvermögen. Zur Stillung der Blutung aus
dem Nadelstich musste ein kleiner Kompressionsverband um den
Finger angelegt werden. In den frischen ungefärbten Blutprä¬
paraten tritt eine stai’ke Vermindenxng der Zahl der roten Blut¬
körperchen zu Tage; letztere sind zudem blass, habeix jedoch eine
gute Tendenz zxxr Geldrollenbildung. Keine Abnormitäten in der
Form der roten Blutköx*perchen, ebenso keine kernhaltigen Formen
zxx sehen. Es besteht neben der Vei’minderung der Zahl der roten
Blutkörperchen eine leichte Vermehrung der weissen Elemente, so
dass oft 5—10 sich in einem Gesichtsfeld finden bei starker Ver-
grösserung Leitz Ocul. II, Objekt 7. Die Untersuchung von mit
E h r 1 i c h s Triazidgemisch gefärbtexx Blutkörperchen ergibt ge¬
ringe Hypei’leukocytose mit sehr wenig eosinophilen Zellen.
Ich stellte anfangs die Diagnose auf Nierentuxnor ganz
allgemein, dachte an eine maligne Form desselben, an ein Karzi¬
nom oder Sarkom, oder an grosse eixxseitige Cystenniere, wofür
die Oberfläche des Tumors aber zu glatt war, oder dann an eine
jener selteneren Niei’entumoren, wie Rhabdomyome oder Hyper¬
nephrome. Die stai’ke Anämie und den leichten Grad der Ab-
magerung in der letzten Zeit suchte ich durch beginnende Kachexie
zu erklären; dachte auch an Niei’enblutungen als Ursache der
Anämie, wie sie bei Tumoren und Steinen so häufig Vorkommen,
wogegen jedoch die Anamnese sprach, nach der Patient nie
blutigen Urin bemerkt hatte. Da ich also in der Diagnose un¬
sicher war, nahm ich den Patienten auf die chirurgische Station
auf, wo ihn Dr. z u m Busch, Oberarzt der Abteilung, sah und
untersuchte und wo er bis zum 8. X. verblieb. Bei totaler Bett¬
ruhe, guter Ernährung gingen die Oedeme der Knöchel zurück, der
Appetit besserte sich bedeutend. Die Temperaturen waren normal,
zwischen 3G,6 0 und 37,1 °. Der Puls regelmässig, 80 — 90 Schläge
in der Minute, jedoch von sehr geringer Spannung. Der Patient
fühlte sich relativ wohl, hatte keine Schmerzen, der Tumor jedoch
blieb unverändert. Das Sensorium war stets klar, nie Zeichen von
Urämie. Da von seiten der Nieren ausser dem leichten Beinödem,
dem gelängen Eiweissgehalt des Urins, i/2 — 1 Prom., keine weiteren
Störungen Vorlagen, und der Palpationsbefund, der deutlich fühl¬
bare schai’fe voi’dere Rand, und ebenso die Dämpfungsfigur, die
ja bis zur 8. Rippe hinaufreichte, mehr für einen Milztumor
sprachen, wurde die zuerst von mir gemachte Diagnose „maligner
Nierentumor“ fallen gelassen. Gegen diese Diagnose sprachen die
Verschieblichkeit des Tumors, die absolute Schmerzlosigkeit des
Patienten und der auffallend gute Emähningszustand bei der
hochgradigen Anämie. Wir fassten deshalb die Geschwulst als
Milztumor auf, und bei der bestehenden Hyperleukoeytose und der
Anämie dachten wir an eine lineale Leukämie mit atypischem
Verlauf. Deshalb wurde auch von jedem operativen Eingriff ab¬
gesehen und der Patient der internen Station des Hen-n
Dr. Fürth überwiesen. Da der Patient mit aller Wahi’sclieinlich-
keit Malaria dux’chgemacht, wurde der Tumor hier als chronischer
Malariamilztumor angesehen und die Anämie und Leukocytose als
chronische Malaiäakachexie axxfgefasst. Die Differentialdiagnose
war also in diesem Fall für den Kliniker keine leichte Aufgabe.
Die Lage des Tumors sowohl, als auch seine derbe Konsistenz
sprachen mehr für einen Niei’entumoi’, der breit in der Lumbal¬
gegend aufsitzt, seitlich jedoch beweglich ist; die Forin und die
mit der normalen Milzdämpfung konfluierende Dämpfungs¬
figur jedoch mehr für einen Milztumor. Der Urinbefund
war für eine schwere Nierenaffektion axxeh' nicht beweisend, der
Blutbefund sprach mehr für eine Milzerkrankung. Die Anamnese
war zu unsicher, um daraus sichere Schlüsse zu ziehen. Da kein
Trauma vorausgegangen, wxxi’de die Fi’age eines traixmatischen
Nierenhämatoms gar nicht aufgeworfen. Die Diagnose blieb also
(äne Wahrscheinlichkeitsdiagnose und musste bis zur Sektion offen
gelassen werden.
Die Krankengeschichte ist in Kürze folgende: Patient wxxi’de
vom 1.— 8. X. auf der chirurgischen, vom 8.-24. X. auf der inneren
Station behandelt. Er erhielt Liq. kali arsenic. und erholte sich
recht gut. Am 22. X. trat eine ganz akute Verschlimmeniug im
Zustand des Patienten ein, mit leichten Temperaturerhöhungen
bis 38,0 °. Pulszahlen von 108—112. Die Oedeme der Beine kehlten
zurück, daneben wurde Patient leicht benommen. Der Eiweiss-
gelialt des Urins war stark vermeint, heftige Diarrhöen traten ein
und am 24. X. machte der Patient ganz plötzlich und unerwartet
Exitus unter dem Bilde einer Sepsis oder Urämie mit akuter
Dyspnoe. Die Sektion fand am 25. X. statt, etwa 12 Stunden nach
eingetretenem Tod, und wurde ausgeführt von Hex-m Professor
A schoff -Göttingen, der an jenem Tage das German Hospital
mit seinem Besuche beeliil hatte.
Sektionsprotokoll: Grosse, gutgenährte männliche
Leiche von sehr blasser Hautfarbe. Gyanose der Lippen, starker
Foetor ex ore. Wenig Totenflecken, Oedem der unteren Exti’emi-
täten und der abhängigen Partien des Rumpfes. Abdomen vor¬
getrieben, wenig gespannt, Bauchdecken leicht grün verfärbt.
Keine Narben am Körper, auch am Penis keine Zeichen eines ver¬
heilten syphilitischen Ulcus zu finden. Paniculus adiposus gut
entwickelt, Muskulatur kräftig, aber sehr blass.
Lungexi beidei’seits frei, in beiden Pleurahöhlen etwas klare,
hellgelbe Flüssigkeit, rieuren spiegelnd und glatt, auf der Schnitt¬
fläche beide Lungen von gutem Luftgehalt, in den Unterlappen
ödematös, stark anämisch. Keine Herde in den Lungen, keine
Narben in den Spitzen. Schleimhaut der Bronchen injiziert, glatt,
mit schleimigeitrigem Sekret belegt. Hilusdriisen etwas ver-
grössei’t, stark anthrakotisch, jedoch ohne Verkäsung noch Ver¬
kalkung. Der Hei’zbeutel ist sehr gross, in ihm ca. 200 ccm hell¬
gelber," klarer Flüssigkeit. Das Herz sehr gross, fast doppelte
Grösse der Faust des Besitzers, sehr schlaff, mit geringem Grad
von Fettumwachsung, namentlich des rechten Ventrikels. Rechter
Vorhof weit, Wandung dünn und blass, im Herzohr keine Throm¬
ben. Txäcuspidalostium weit offen, für 3 Finger gut durchgängig;
der rechte Ventrikel ebenfalls stark dilatiert, Wandung sehr
schlaff, leicht hypertrophisch. Die Muskulatur sehr schlaff und
anämisch. Vom Rande her stellenweise Fetteinwachsung in den
Muskel. Im i’echten Ventrikel keiixe Thromben. Tricuspidal-
klappen ohne Veränderungen, ebenso die Arteria pulmonalis ohne
Abnonnitäten. Intima glatt. Der linke Vorhof und Ventrikel
nur wenig ei’weitert, die Wandung des Ventrikels hyperti’ophisch,
von gelblicher, blasser Farbe, fühlt sich weich an. Die Trabekel
etwas abgeplattet, die Papillarmuskel noch lmtftig entwickelt, axxf
dem Endokard derselben deutliche Gitterzeichnung. Die Mitral¬
klappen zart und glatt, die Klappen der Aorta ebenfalls ohne Auf-
lagei’ungen noch Verkalkungen. Die AoxTa selbst von normaler
Weite, wenig elastisch, die Intima hochgradig verändert, mit
schwieligeix Verdickungen und nindliclien, bis fünfpfennigstück¬
grossen Flecken von heller Farbe, wenig vertieftem Zentrum,
ziemlich dicht übersät. Diese Flecken sind nicht konfluierend und
nicht verkalkt.
Die Zunge ist stark belegt, an ihr keine Narben, noch Ge-
schwüre zu sehen. Die Tonsillen sind von mittlerer Grösse, ohne
Beläge; auf der Schnittfläche keine Eiterpfropfe zu sehen. Neben
der linken Tonsille eine rundliche, strahlige Narbe von derber Kon¬
sistenz, auf dem Quei’schnitt weiss gefärbt. Die Uvula ist ver¬
grössert, dunkelrot, mit eixxem stecknadelkopfgrossen, frischen
Eitei’hei'd an der Spitze. Die Schleimhaut der Uvula und ihrer
Umgebung ist ödematös und stark hyperämisch, ebenso die der
Epiglottis, des Pharynx und des Larynx. Die Stimmbänder und
dei’en Umgebung sind gescliwürig verändert, auf dem Geschwürs¬
grund nekrotisches, schmutzig grau-grün gefärbtes Material; an
einzelnen Stellen festhaftende Membranen auf dem Geschwür zu
sehen. Die Geschwinde umgeben von eixxem stark liyperämischen
Hof. Die mikroskopische Untersuchung des Geschwürsmaterials
und der Membranen ergab in Aufstrichpräparaten mit Gram scher
Fäi’bung reichliche Streptokokken und Staphylokokken neben¬
einander-. Keine Diphtheriebazillen mit Löfflers Methylen¬
blau nachzuweisen. Auf der stark injiziei’ten Schleimhaut der
Trachea eiixe lange, lose aufliegende, aus zähem Schleim und
Speisei’esten bestehende Membran. In der Ti’acliea und in den
Bronchien keine Membranen, Schleimhaut hyperämisch. Mittel¬
grosse seitliche pai’enchymatöse Strumen. Die gi’ossen Gefässe
des Halses und die Brustaoi’ta zeigen dieselben fleckigen und
schwieligen Verdickungen wie der Anfaxxgsteil der Aorta.
In der Bauchhöhle keine freie Flüssigkeit, noch Blutgerinnsel.
Das Netz zurückgezogen, die Leber ist zurückgesunken, übei’ragt
den Rippenbogen um 2 cm. Magen und Därme mässig gebläht,
Serosa spiegelnd und glatt. In der Wandung der Flexura sigmoidea
und des untersten Abschnittes des Colon descendens ausgedehnte
subseröse flächenhafte Blutungen von dunkelbraunroter Farbe,
ebenso das Mesentei’ium des Koloix xxnd der Dünndärme der
rechten Seite blutig infundiert. Die Milz sehr gross, nach oben
21. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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mit dem Zwerchfell, nach unten mit dem im Leben wahrgenom¬
menen Tumor verwachsen. Die Masse sind: 18 zu 10 zu 4 cm.
Die Kapsel ist verdickt, gefleckt, es wechseln hellgraue Partien
mit dunkelbraun pigmentierten ab. Auf der Schnittfläche ist das
Organ von sehr weicher Konsistenz, blassroter Farbe, sein-
wenig bluthaltig, die Milzpulpa weich, zerfliesslich, die
Zeichnung verwischt. Die Leber ist mittelgross. Die Serosa zeigt
tief einschneidende Narben, namentlich am scharfen Rande der
Leber, daneben bindegewebige Verdickungen. Die Gallenblase
enthält wenig dunkelgelbe, zähe Galle, keine Steine. Auf der
Schnittfläche der Leber die azinöse Zeichnung sehr deutlich, die
Zentren braunrot, die Peripherie blass. Das intraazinöse Binde¬
gewebe nur -wenig verbreitert. Die Sektion des Magen- und Darm¬
kanals ausser den schon erwähnten blutigen Infiltrationen der
Serosa, des S romanum und des Mesenterium keine Abnormitäten.
In beiden Hoden strahlige derbe Narben, die vom Hilus zur Tunica
albiginea gehen.
Einer eingehenden Beschreibung bedürfen die beiden Nieren,
indem die im Leben wahrgenommene, und zuerst als Nierentumor
aufgefasste Geschwulst auch wirklich die Niere ist, und nicht ein
Milztumor, wie später angenommen wurde. Der Tumor liegt
retroperitoneal in der linken Lumbalgegend, ist kindskopfgross,
stark prominent, von länglich-ovaler Form, 25 cm lang, 15 cm
breit und 14 cm hoch. Die Oberfläche ist ziemlich glatt, über der
höchsten Prominenz verläuft das Colon descendens; letzteres ist
leer und gut kontrahiert. Die ganze Geschwulst ist etwas beweg¬
lich auf der Unterlage und schimmert durch das Peritoneum als
dunkelblaurote Masse durch. Das subperitoneale Fettgewebe der
ganzen Umgebung ist blutig infundiert. Nach oben ist der Tumor
von der unteren Hälfte der Milz bedeckt und ist mit derselben
verwachsen; der untere Pol der Niere ist in derbe infiltrierte
Massen eingebettet, mit der Muskulatur des Ileopsoas verwachsen.
In diesen schwartigen Massen derben Bindegewebes ist der Ureter
eingebettet. Nach Ablösung des Colon descendens wird der Tumor
in toto mit Nebenniere, Fettkapsel und Peritoneum heraus¬
geschnitten und von der Hilusseite der Niere aus aufgeschnitten,
also umgekehrt wie bei der gewöhnlichen Sektionstechnik. Die
Nebenniere sitzt dem oberen Pol auf und ist von normaler Be¬
schaffenheit. Das Bild, das sich beim Durchschnitt der Niere und
ihrer Umgebung zeigte, ist ein in jeder Beziehung überraschendes
und ungewohntes. Es zerfällt das ganze Gebilde in drei von
einander gut abgegrenzte Teile. Oben unter der Nebenniere ist
ein helles Gewebe, bestehend aus vielen Cysten, die durch eine
derbe, z. T. Fettgewebe enthaltende Zwischensubstanz von ein¬
ander getrennt werden; darunter ist hellgelbe Nierensubstanz, und
zwar ist von der Niere nur ungefähr die untere Hälfte erhalten.
An der Stelle der oberen Nierenhälfte ist das beschriebene cystöse
Gewebe, zwischen beiden ist eine scharfe Grenze zu erkennen.
Der Nierenrest ist auf seiner lateralen und vorderen Seite um¬
geben von einem weichen braunroten Gewebe, das auch den un¬
teren Nierenpol ganz umgibt. Der erhaltene Nierenrest selbst ist
von sehr blasser Farbe, sieht homogen aus, die Zeichnung in Mark
und Rinde ist verwischt, die Pyramidenstreifung der Markkegel
kaum angedeutet. Die Konsistenz des Gewebes ist eine derbe.
Vom Nierenbecken ist auch nur die untere Hälfte erhalten; es ist
klein, ziemlich fettreich, geht über in den nicht erweiterten Ureter,
der bis weit hinunter in derbe
schwartige Massen von Gra¬
nulationsgewebe eingebettet
ist. In der Schleimhaut des
Nierenbeckens punktförmige,
dunkelgefärbte Hämorrhagien.
Neben dem Ureter, der zuerst
etwas nach oben verläuft, um
dann im Bogen nach unten zu
gehen, befinden sich die quer¬
geschnittenen Nierengefässe.
Die Nierenvene ist weit, die
Wandung zeigt • keine Ver¬
änderungen. Die Nierenarterie
klafft, die Wandung zeigt
starke atheromatöse Ent
artung, jedoch keine Verkal¬
kung. Der Platz der fehlen¬
den oberen Nierenhälfte wird
eingenommen von dem er¬
wähnten mit Cysten durch¬
setzten Gewebe. Die Cysten
sind erbsen- bis kirschgross,
nicht kommunizierend, glatt-
wandig, angefüllt mit hell¬
gelber, klarer Flüssigkeit, in
keiner blutiger Inhalt oder
Petechien in der Wandung.
Das derb faserige, mit Fettge¬
webe durchsetzte Stroma
zwischen den Cysten, erinnert
am meisten an eine binde-
gewebsreiche Fettkapsel der
Niere. Diese cystös degene¬
rierte obere Hälfte der Niere ist scharf abgegrenzt gegen die
untere, noch erhaltene Nierenhälfte und ebenso gegen die weichen
Tumormassen. Gegen das Nierenbecken hin ist keine scharfe Ab¬
grenzung vorhanden, und hat man hier den Eindruck, als ob das
No. 42.
Fett desselben übergehe in das Fett des Stromas der cystös de¬
generierten Nierenhälfte. In der verschmälerten und komprimier¬
ten Grenzzone der unteren Nierenhälfte gegen das cystöse Ge¬
webe hin finden sich in der Nierensubstanz auch einige bis erbsen¬
grosse Cysten. Am oberen Ende der Niere, auf der lateralen Seite,
ist, tvie die Figur zeigt, eine nussgrosse Cyste, deren Wandung aus
einer Fortsetzung der Nierensubstanz gebildet wird. Der eigent¬
liche Tumor umgibt die erhaltene untere Nierenhälfte auf ihrer
konvexen und vorderen Fläche wie eine Kappe, überragt auf der
lateralen Seite die Niere bedeutend nach oben; er ist scharf ab¬
gegrenzt gegen die Umgebung. Von der blassen Nierensubstanz
hebt er sich durch seine dunkelbraunrote Farbe scharf ab. An der
Grenze der beiden Gewebe lässt sich deutlich die verdickte fibröse
Kapsel der Niere erkennen. Die Tumormasse besteht aus einem
weichen, bröckligen Gewebe von rotbrauner Farbe; sieht aus wie
geronnenes Blut, das zu einer festen, kompakten Masse kompri¬
miert wurde durch den allseitigen Druck der die Blutung um¬
gebenden, straff gespannten Kapsel, oder dann wie ein weiches
hämorrhagisches Sarkom. Die Struktur auf dem Querschnitt ist
ziemlich homogen, keine alveolare Zeichnung wie bei einem Tumor;
an einzelnen Stellen sieht man schon makroskopisch die für ge¬
ronnenes Blut charakteristische zwiebelschalenförmige Anordnung
der Substanz.
Die Drüsen des Nierenliilus sind wie die der Leberpforte stark
vergrössert und markig geschwellt, von weisser Farbe. Um den
ganzen Tumor herum geht eine derbe Kapsel, die sich fortsetzt in
die Fettkapsel der Niere, darüber ist das Peritoneum.
Die rechte Niere ist wenig grösser als eine normale Niere, die
Fettkapsel ist gut entwickelt. Die fibröse Kapsel teilweise mit der
Niere verwachsen. Die Oberfläche höckerig. Die Höcker werden
gebildet von vielen, dicht nebeneinander stehenden, erbsen- bis
kirschgrossen, blau durchschimmernden Cysten mit klarem, gelbem
Inhalt. Auf dem Querschnitt zeigt sich das ganze Organ durch¬
setzt von diesen dünnwandigen Cysten, die alle isoliert sind und
durch ein blassrotes, faseriges Stroma von einander getrennt wer¬
den. Normal beschaffenes Nierengewebe ist darin keines mehr zu
erkennen. Die ganze Niere zeigt also das typische Bild der sogen,
kongenitalen Cystenniere, nur dass in diesem Fall die Niere nicht
sehr gross ist, während sonst gewöhnlich die Cystennieren enorme
Dimensionen annehmen. Das Nierenbecken ist weit, mit punkt¬
förmigen Blutungen in den Nierenkelchen. Der Ureter von nor¬
maler Weite, die Harnblase angefüllt mit hellgelbem Urin, ohne
Blut. Magen- und Darmkanal ohne Besonderheiten. Die Hirn¬
sektion musste unterlassen werden.
Der anatomische Befund lautet also: HochgTadige
Anämie aller Organe. Oedem der Beine, Hydrothorax duplex.
Bronchitis. Hydroperikardium. Dilatatio cordis mit Hypertrophie
des Muskels. Degeneratio adiposa myocardii. Hochgradige hie¬
tische Atheromatose der Aorta intima sowie der übrigen Arterien
im Körper, insbesondere auch der Nierenarterie. Syphilitische
alte Narben am rechten Gaumenbogen und in beiden Hoden. Ab¬
szesse an der Uvula. Pharyngitis, Glottisödem. Pseudodiphtherie
des Larynx. Milztumor (auf luetischer Basis). Perisplenitis. Peri¬
hepatitis mit Narben in der glissonischen Kapsel. Stauungsleber
mit fettiger Degeneration. Kongenitale Cystenniere rechts. Pe¬
techien im rechten Nierenbecken. Halbseitiger Mangel der linken
Niere. Hochgradige parenchymatöse Nephritis der erhaltenen
unteren Nierenhälfte. Cystöse Degeneration der Fettkapsel der
linken Niere. Ausgedehntes abgekapseltes pararenales Hämatom
der linken Niere zwischen fibröser Kapsel und Fettkapsel und
Peritoneum.
Einer mikroskopischen Untersuchung wurden unterworfen
die Milz, die Nieren und die Leber.
Der makroskopisch wahrgenommenen Milzschwellung ent¬
spricht mikroskopisch eine starke Hyperplasie der Milzsubstanz,
mit starker Hyperämie und Leukocytenansammlungen. Die
Kapillaren sind strotzend mit Blut gefüllt, daneben sind auch Blut¬
austritte in das Milzstroma und die Milzkapsel. Die Follikel sind
stark geschwellt, leukocytenreich, um die Gefässe knötchenförmig
angeordnet, zirkumskript. Nirgends miliare Gummata zu sehen.
Die Wandungen der Gefässe zeigen starke Wucherungen der In¬
tima, einzelne zeigen völligen Verschluss des Lumens (Endarteritis
obliterans). Die Media der grösseren Arterien und Venen auch
verdickt, die Gefässe umgeben von hyalin degeneriertem Binde¬
gewebe. Das Milzstroma ist stark verbreitert und zeigt hyaline
Degeneration.
In der Milz findet sich reichliches Blutpigment in amorphen
gelben Schollen abgelagert. Die Kapsel ist stark verdickt, mit viel
Blut- und Kohlepigment versehen, an verschiedenen Stellen deut¬
liche kleinzellige Infiltration wahrzunehmen. Die Milz zeigt also
nebeneinander akute Prozesse (akuter hyperplastischer Milztumor)
und alte chronische Prozesse, als Induration der Milz, Binde¬
gewebsvermehrung mit hyaliner Degeneration, Pigmentablagerung
und Kapselverdickungen. Alle diese chronischen Prozesse lassen
sich zurückführen auf die hochgradigen Veränderungen an den Ge-
fässen, als deren Ursache wir die Syphilis bezeichnen können.
Die Leber zeigt das Bild der chronisch indurierten Stauungs¬
leber mit reichlicher Ablagerung von Blutpigment als braungelbe
Körner in die Leberzellen hinein. Daneben besteht eine inter¬
stitielle Hepatitis mit Bindegewebsvermehrung der Septen der
Acini, Neubildung von Gallengängen und geringer kleinzelliger In¬
filtration. Jedoch nirgends Gummibildung. Die Leberkapsel ist
verbreitert, besteht aus einem derbfaserigen Bindegewebe mit
spärlichen langgezogenen Kernen. An der Oberfläche einige tief
3
2/s der natürl. Grösse.
1746
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
einschneidende Narben und Einziehungen der Kapsel, von denen
aus breite Bindegewebssepta in die Tiefe führen. Die Gefässe des
interacinösen Bindegewebes zeigen dieselben Veränderungen von
Intima und Media wie die der Milz, jedoch nicht so starke hyaline
Degeneration. Also an der Leber in der Form von Perihepatitis
und Gefässentartung auch die Zeichen durchgemachter Lues zu
erkennen.
Die rechte Niere zeigt das Bild der typischen kongenitalen
Cystenniere. Die grossen Cystenräume sind von einem zum Teil
desquamierten Endothel ausgekleidet. Das Gewebe zwischen den
Cysten ist bindegewebsreicli, zeigt zum Teil noch sehr gut er¬
haltene Glomeruli und Harnkanälchen, zum Teil sind dieselben
stark komprimiert und viele total hyalin entartet. Daneben be¬
steht fleckweise kleinzellige Infiltration und die- oben beschriebenen
Gefässveränderungen. Von der linken Niere wurden verschiedene
Stellen untersucht. Erstens Partien, auf denen sowohl Nierensub-
* stanz als auch das vermeintliche Tumorgewebe vorhanden ist,
dann Partien aus der Grenze des Nierengewebes gegen das mit
Cysten durchsetzte Gewebe. Der vermeintliche Tumor erweist
sieh auch mikroskopisch als ein Hämatom, bestehend aus ge-
ronnenem Blut, von homogener Beschaffenheit, dichtem Gefüge.
An vielen Stellen ist die Masse konzentrisch oder exzentrisch
zwiebelschalenförmig angeordnet. Das Ganze färbt sich mit Eosin
leicht rosa. Das ßiut ist noch zu erkennen an der an einzelnen
Stellen noch schön erhaltenen bienenwabenähnlichen Zeichnung,
entsprechend den einzelnen roten Blutkörperchen, die sich gegen¬
seitig komprimieren. An anderen Stellen sind die roten Blut¬
körperchen zu Grunde gegangen und liegen als amorphe, unregel¬
mässige Schollen von leicht rosa Farbe zwischen den Zügen von
geronnenem Fibrin. Das Blut ist durchsetzt mit Leukocyten-
kernen, die noch gut erhalten sind. Bindegewebskerne oder Ge-
füssprossen sind in der Blutmasse keine wahrzunehmen. Die
Grenze zwischen Blutung und der Niere ist sehr scharf und wird
gebildet durch eine breite Zone von kernarmem, fasrigen Binde¬
gewebe, das der Capsula fibrosa der Niere entspricht. Die Blutung
liegt also ausserhalb der fibrösen Kapsel im Zellgewebe der Fett¬
kapsel der Niere, ist demnach also ein pararenales Hämatom, In
der Nierenkapsel ist sehr viel dunkles Kohlen- und gelbbraunes
Blutpigment. Die Kapsel selbst ist durchsetzt von frischen kleinen
Hämorrliagien. Die mit Eosiu leuchtend rot gefärbten Blut¬
körperchen sind gut erhalten und liegen herdweise angeordnet
zwischen den Bindegewebszügen der Kapsel. Das Nierengewebe
des erhaltenen unteren Nierenpols zeigt hochgradige parenchyma¬
töse Veränderungen. Die Epitlielien der Harnkanälchen, nament¬
lich der H e n 1 e sehen Schleifen, zeigen starke körnige Trübung
und viele Kernschwund. Die Epitlielien sind von der Basalmem¬
bran abgelöst und liegen unregelmässig im Lumen der Harn¬
kanälchen. Die Glomeruli sind stark vergi’össert, also hyper¬
trophisch, wie bei der kleinen Menge von funktionierendem Nieren¬
gewebe ja zu erwarten war. Die B o w m a n sehe Kapsel ist nicht
verdickt und zeigt keine Endothelablösung. Die Gefässknäuel
füllen die Glomeruli total aus und sind sehr kernreich. Die Tubuli
contorti sind deutlich zu erkennen, zeichnen sich aus durch ihre
abnorme Weite und die relativ gut erhaltene Kernfärbung. Das
Protoplasma der Epitlielien ist stark gekörnt, im Lumen der Tu¬
buli contorti findet sich geronnenes Eiweiss. Die Schaltstücke
sind ebenfalls erweitert und die Kerne gut erhalten, basalständig.
Neben den beschriebenen hypertrophischen Glomeruli finden sich
auch total hyalin degenerierte und atrophische, die nur wenig oder
keine gefärbten Endothelkerne mehr aufweisen. Die kompri¬
mierten hyalinen Glomeruli liegen in Bindegewebe eingeschlossen,
das auch schon die Erscheinung der hyalinen Entartung auf weist.
Diese Bindegewebsvermehrung ist nur eine fieckenweise. nament¬
lich unter der Nierenkapsel; an den übrigen Partien der Niere
zeigt das Interstitium der Harnkanälchen normale Beschaffenheit.
Neben den komprimierten und atrophischen Glomeruli finden sich
mich viele komprimierte Harnkanälchen mit engem Lumen, aber
noch gut erhaltenen, basalständigen Kernen in den sklerotischen
Partien. Diese sind auch durchsetzt mit fleckweiser, kleinzelliger
Infiltration, welche an einzelnen Stellen verdickt ist, dass sie ab¬
gegrenzte Knötchen bildet, also kleine Abszesschen. In der Mark¬
substanz der Niere treten einzelne dicht mit Leukocyten und Epi-
thelien angefüllte Harnkanälchen besonders intensiv mit Häma-
toxylin gefärbt hervor, und daneben verschwommene, schwarze
Klexe, die als Kokkenhaufen angesehen werden müssen. Die Ge¬
fässe zeigen im histologischen Bild die schon bei der Milz be¬
schriebenen hochgradigen Veränderungen der Intima und Media.
Auf diesem Schnitt zeigt der Nierenrest das Bild einer kompen¬
satorischen Nierenhypertrophie, wie wir es bei Aplasie einer Niere,
bei einseitiger Hydroneplirose und anderen einseitigen Nieren¬
erkrankungen treffen, und wie es auch experimentell nach ein¬
seitiger Nierenexstirpation bei Mensch und Tier hervorgerufen
werden kann. Ob es sich hier um eine einfache Hypertrophie oder
auch um Hyperplasie handelt, lässt sich nicht entscheiden. Da
wir aber annehmen müssen, die rechte Niere sei eine kongenitale
Cystenniere, so wird wohl auch Hyperplasie mit im Spiele sein,
da ja bekanntlich im jugendlichen Organismus die Niere noch
die Fähigkeit besitzt, die Zahl der funktionierenden Elemente,
also der Glomeruli und der Harnkanälchen, zu vermehren, wie dies
neuerdings experimentell durch Galeotti in Villa Santa an
Hunden und Kaninchen bewiesen wurde. Daneben besteht hoch¬
gradige parenchymatöse Nephritis, im Zusammenhang mit der sep¬
tischen Infektion durch die Pseudodiphtherie (Streptodiplitherie)
des Patienten, was die Kokken und Epithelzylinder der Harn¬
kanälchen beweisen. Neben diesem frischen Entzündungsprozess
finden sich in der Bindegewebswucherung und hyalinen Degenera¬
tion der Glomeruli chronische Vorgänge, welche in Zusamenhang
zu bringen sind mit den ausgedehnten Veränderungen in den Ge-
fässen, also mit der Lues des Patienten.
Von grossem Interesse ist das histologische Bild eines Stück¬
chens Nierengewebes gegen das mit Cysten durchsetzte Fettgewebe
hin. Die ganze Nierensubstanz ist hier analog dem Vorgang bei
Hydroneplirose auf eine schmale Zone von y2 cm zusammen¬
gepresst und umgibt eine erbsengrosse Cyste, deren Epithel zum
grössten Teil ausgefallen ist. Die Grundsubstanz besteht aus
derbem, kernarmem Bindegewebe mit herdweiser Infiltration.
Die Harnkanälchen sind stark komprimiert, an vielen Stellen ohne
Lumen. Die Glomeruli sind auf % der normalen Grösse kom¬
primiert, stehen dicht gedrängt beieinander, sind alle kernlos und
bestehen aus hyaliner, homogener Substanz. In diesem funktions¬
unfähigen Nierengewebe sind viele frische Hämorrhagien beson¬
ders ausgedehnt in der schmalen Brücke von Nierensubstanz
zwischen der Cyste und dem Hämatom. Nach diesem Präparat zu
schliessen, wäre die Niere früher viel grösser gewesen, und muss
ein grosser Teil von funktionsfähigem Gewebe durch langsamen
Druck allmählich zu Grunde gegangen sein. Wir können uns
fragen, ob nicht vielleicht die ganze Niere in früher Jugend nor¬
mal bestanden und erst im Laufe der Entwicklung eine cystöse
Degeneration der Nierenkapsel und wohl auch des oberen Nieren¬
pols eingetreten, als deren Endprozess wir da halbseitigen Nieren¬
schwund und die eben beschriebene Kompression der Nierensub¬
stanz an der Grenzzone aufzufassen haben.
(Schluss folgt.)
Aus der chirurgischen Klinik München (Prof. Dr. v. Angerer).
Weitere Bemerkungen über Atropin.
Von Hr. II. G e b e 1 e.
Mit Rücksicht auf einen Fall von Kotsteinobturation, der
durch Atropin nicht behoben wurde und ob der zu spät erfolgten
Operation letal endigen musste, nahm ich voriges Jahr Anlass,
vor der Anwendung des Atropins beim mechanischen Ileus zu
warnen. Ich schrieb damals, dass Atropin höchstens beim para¬
lytischen Ileus in Betracht käme, und empfahl, vor allem das
Mittel bei schwerer Koprostase, die ileusähnliche Symptome
liervorrufen könne, sowie bei reflektorischen Spasmen des
Darms zu applizieren. Bei letzteren Affektionen konnte auch
Ostermai e r die Wirkung kleiner Atropindosen nicht ge¬
nug rühmen. Neuerdings berichtet nun Ostermaier über
G Fälle von inkarzerierten Hernien, die auf subkutane Injektion
von 1 — 4 mg Atropin spontan zurückgingen. Er schliesst daraus,
dass Atropin hauptsächlich die Peristaltik an rege und eine Ver¬
engerung der Mesenterialgefässe herbeiführe. Die spontane Re¬
position erfolge, indem durch gesteigerte motorische Tätigkeit
des nicht eingeklemmten Darms der eingeklemmte aus dem
Bruchsack herausgezogen werde oder im atonisclien Darmstück
sich wieder peristaltische Bewegung einstelle und der nachteilige
Spasmus sich löse, wodurch die räumlichen Verhältnisse im Bruch¬
sack wieder günstiger würden. Ostermaier stützt sich bei
diesen Deduktionen vor allem auf die Arbeit Hägens.
Nun kam Hage n auf Grund von 13 experimentellen Ver¬
suchen neben anderen besonders zu folgenden Schlüssen: „Nach
Gaben des Atropinsulfates bis zu 1 mg pro d o s i wurde eine
Lähmung der Darmmuskulatur nicht beobachtet.
In 5 Versuchen trat eine sehr heftige, längere Zeit andauernde
Peristaltik ein; in G Versuchen war dieselbe mässig; nach ver¬
schiedenen Injektionen wiederholt auftretend; nur in einem Ver¬
suche konnte keine deutliche Erregung nachgewiesen werden.“
Von 20 klinischen Fällen wurden 3 mit Atropin behandelt,
die Gesamtmenge des Atropins betrug nur 0,001 — 0,0015 g; pro
dosi kam 0,0005 Atropin in Anwendung. Hagen resümiert, man
könne somit wohl den Satz, dass kleine Gaben eine peristaltik-
erregende Wirkung zeigen, als sicher begründet hinstellen.
Schmiedeberg, aus dessen Institut die Arbeit Hägens
hervorging, schreibt in seinem Grundriss der Pharmakologie: „An
den Organen mit glatten Muskelfasern ist der -Einfluss des
Atropins auf die Peristaltik des Darms besonders zu beachten.
Diese Bewegung wird, insbesonders an Katzen, d u r c li
die kleinsten Mengen des Alkaloids vollständig
sistiert, wenn sie bloss von den motorischen
Ganglien in der Darm wand ihre Impulse em¬
pfängt. Sind die Darmbewegungen von vorneherein durch eine
direkte Erregung der Muskeln verursacht, so bleibt die Wirkung
des Atropins mehr oder weniger vollständig aus. Auf die
Darmmuskulatur dagegen wirkt das Atropin
in kleinen Gaben erregend. Nach etwas grösseren
Gaben bleibt die Muskulatur wenigstens erregbar und kontrahiert
sich auf direkte Reizung, ohne dass es indes zu einer Peristaltik
kommt. Nach sehr grossen Mengen erfährt auch
die Muskelerregbarkeit eine merkliche Ab¬
seh w ä c li u n g. An den übrigen Organen mit glatten Muskel¬
fasern, am Magen, an der Milz, der Harnblase und dem Uterus
tritt die Wirkung des Atropins nur dann deutlich vor, wenn
sich diese Organe im Zustand einer krampfhaften Kontraktion
befinden, wie es namentlich bei der Muskarinvergiftung geschieht.
Das Atropin führt vollständige Erschlaffung herbei.“
Tappeiner sagt in seinem Lehrbuch der Arzneimittellehre,
dass Atropin eine Lähmung der gesamten glatten Muskulatur des
21. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1747
wirkt das
in grossen
Körpers, der Speiseröhre, des Darms, der Bronchien, der Harn¬
blase, des Auges etc. bedinge. „Die Wirkung ist nicht
auf die Muskelzellen selbst, sondern auf die
Ne i v e n e 1 e m ent e dieser Organe gerichtet. Der
Lähmung der Peristaltik geht häufig eine Erregung durch direkte
VOra.US- lch erinnere mich auch des Yorlesungs-
yersuches Tappeiners, am lebenden, laparotomierten, in
wairnei, physiologischer Kochsalzlösung gehaltenen Kaninchen
durch I ilokarpin den Darm bezw. die Ganglien zu erregen, durch
Atropm Darm bezw. Ganglien zu lähmen und schliesslich durch
I liysostigmin nochmals den Darm, und zwar die Muskelzellen zu
erregen.
Der pharmakologische Standpunkt in dieser Frage ist also
genau präzisiert. Atropin hat vor allem eine läh¬
mende Wirkung auf den Darm und nicht eine er¬
regende, w i e Ostermaier glaubt. Atropin macht
die in der Darm wand gelegenen Nervenele-
mente (Ganglienzellen), von welcher die regu¬
lären Darmbewegungen abhängig sind, uner-
r e g b a r. Auf die Da r m m uskulatu r
Alkaloid in kleinen Dosen erregend
Mengen lähmend.
Das Atropin ist auch kein Narkotikum, wie andererseits
O st er ma! er meint. Nur die in der Belladonna enthaltenen
anderen Alkaloide, speziell das Hyoscyamin und das Skopolamin
wirken narkotisch. Die Gehirnerscheinungen bei Atropinvergif¬
tungen an Menschen bestehen hauptsächlich in Exaltatious-
zuständen der psychischen Funktionen und empfiehlt Schmie d e-
berg gerade die Anwendung des Atropins zur Bekämpfung von
Lahmungszuständen des Gehirns. Die Wirkung des Atropins auf
das Zentralnervensystem ist somit der auf den Darm konträr.
Atropin soll ferner nach Ostermaier als „Narkotikum“
den Blutdruck steigern. Um hiebei irrtümlichen Anschauungen
vorzubeugen, sei hervorgehoben, dass die meisten Narkotika,” so
z; B- a.U® .au?_ der Fettreihe, wie Chloroform, Aether, Aethylbromid,
Aetliylclilorid etc., den Blutdruck durch Lähmung des Gefäss-
nervenzentrums und des Herzens herabsetzen. Nur das Morphin
bei welchem lediglich eine Beeinfiussung des Gehirns zu beob¬
achten ist, tangiert vasomotorisches Zentrum und Herz nicht
direkt. Die Blutdrucksteigerung nach Anwendung von Atropin
ist auf Lähmung der Vagusfasern, d. i. der Hemmungsvorrich-
tuiigen des Herzens, zurückzuführen, wie Sahli auch ausdrück¬
lich in seinem vorzüglichen Referat über Herzmittel und Vaso¬
motorenmittel auf dem 19. Kongress für innere Medizin erwähnt.
Ist nun, um zu den klinischen Beobachtungen Oster-
m a i e r s zurückzukehren, die Einklemmung des Darms nicht
schwer, besteht der Zustand der Obturation, bei welcher das Darm-
limun nicht ganz geschlossen, der Durchtritt von Gasen, sowie
Peristaltik des Darms noch möglich ist, so wird bei den von
Ostermaier angewandten Atropinmengen, welche pro dosi
mindestens 1 mg betragen, die Peristaltik gehemmt, der meteo¬
ritische Druck verteilt, wahrscheinlich auch die Darmsekretion
herabgesetzt. Dadurch werden zweifelsohne im Bruchsack bessere
räumliche Verhältnisse geschaffen. R u m p e 1 hält gleichfalls für
denkbar, dass ein Minimum der Abnahme des Druckes oberhalb
der Einschnürung oder innerhalb der eingeschnürten Darmschlinge
ein Zurückgleiten dieser Schlinge erleichtern könne. Leichte
Darmeinklemmungen — als solche sieht Ostermaier auch
seine Falle an — mögen also nach Applikation höherer Atropin¬
dosen aus den oben erwähnten Gründen spontan zurückgehen,
doch sehen wir solche Einklemmungen täglich
im warmen, prolongierten Bad nach Injektion
v on 0,01 — 0,02 Morphium zurückgehen. Für die
stärker eingeklemmten Hernien, bei denen eine
Inkarzeration oder gar eine Strangulation mit
Unterbrechung der Kot- und Blutzirkulation
v.orüegt, muss aber aus der Atropinbehandlung
ein grosser Schaden erwachsen. Die gelähmte Schlinge
wird durch Atropin noch mehr atoniscli, es schliesst sich eine all¬
gemeine Darmparese mit ihren schweren Folgen an. Die zeitliche
Dauer der Einklemmung ist kein Gradmesser für die Veränderung
der Darmwand.
L a n z macht auch darauf aufmerksam, dass schon nach
Stunden Darmgangrän vorliegen kann; dies namentlich in Fällen,
wo die elastische Kompression der Bruchpforte bezw. des Brucli-
sacklialses so stark ist, dass neben dem venösen Abfluss auch die
arterielle Zufuhr abgeschnitten und eine anämische Nekrose der
Darmwand die Folge ist. Und gerade diese Formen der Einklem-
sehen in ihren Lokalsymptomen nach Lanz weniger ge¬
fährlich aus. Weil die Zirkulation ganz ausgeschaltet ist, kommt
es nicht zu Blutstauung und ihren Folgen, weder zu er¬
heblicherem Exsudat in die Darmwand, noch zu reichlicher Bil¬
dung von Bruchwasser, so dass der Tumor klein bleibt. Die
Schmerzhaftigkeit der Geschwulst ist immer ein individueller Be¬
griff. Selbst die Beschaffenheit des Pulses und eventuell die Art
des Erbrochenen sind nicht sichere Kriterien für die Schwere der
Einklemmung. Nachdem sich somit leichte und
schwere Darmeinklemmungen klinisch häufig
nicht differenzieren lassen, ist die Anwendung
des Atropins bei inkarzerierten Hernien prin¬
zipiell zu verwerfen. Die Verwendung des Alkaloids kann
nicht geringeren Schaden anrichten als die Taxis, gegen die sich
L a n z energisch gewandt hat. Wie sehr L a n z mit seiner For¬
derung: „Weg mit der Taxis!“ Recht hat, ergibt sich wieder aus
einem Fall, den wir jüngst zu beobachten Gelegenheit hatten und
den ich kurz mitteilen will.
E. M„ Taglöhnerin, 0<> .Tahre alt, mit linksseitiger Inguinal¬
hernie.
Einklemmung am 29. VIII., Trismus am 2. IX. Am 5. IX.
Perforation. 5. IX. Ueberführung der Patientin in die Klinik und
Herniolaparotomie. Partielle Nekrose (L i 1 1 r 6 sehe Hernie) einer
punndarmschlinge, welche am Annulus inguin. internus liegt und
herausgelagert wird. 15. IX. Zirkuläre Darmresektion. Die voll-
standig erschöpfte Patientin ist nahezu geheilt und entlassen. Nach¬
träglich erfahre ich, dass der Taxis, welche blutig war, Atropin-
mjektionen vorausgingen.
Es ist offenbar in diesem Falle nicht zu einer direkten son¬
dern zu einer Spätperforation gekommen durch die nachträg¬
lich sich ausbildende Nekrose der eingeklemmt gewesenen Darm¬
wandpartie.
Zudem schlägt Ostermaier bei eingeklemmten Hernien
in kurzen, etwa halbstündigen Zwischenräumen so lange Atropin¬
dosen vor von 1 — 2 mg, bis die Darmwirkung erzielt ist oder bis
Vergiftungserscheinungen eine weitere Gabe verbieten. Er em¬
pfiehlt, in 4—5 Stunden bis zu 10 mg Atropin zu injizieren. Ein
derartig forciertes Vorgehen ist nach meiner Ansicht zum min¬
desten sehr bedenklich und werden unter diesen Umständen neben
schwerster Lähmung des ganzen Darmtraktus starke Vergiftungs¬
erscheinungen des Zentralnervensystems nicht ausbleiben, welche
alte, mehr oder weniger kollabierte Patienten, für die der Ver¬
such der Atropinbehandlung zunächst in Frage käme, nicht mehr
überwinden können.
Last not least ist ohne Zweifel die Gefahr naheliegend, dass
die „oft geradezu zauberhafte“ Al irkung des Atropins bei weniger
hohen Dosen trotz fortbestehender Einklemmung des Darms den
Patienten nicht mehr zur rechten Zeit zum Entschluss der Ope¬
ration kommen lassen wird. Der Patient, der sich infolge der
Schmerzen, des Erbrechens etc. anfangs nachgiebig der Operation
gefügt hätte, wird sich nach Atropininjektionen und Nachlass der
subjektiven, ja teilweise auch objektiven Beschwerden so und so
oft weigern, die Operation rechtzeitig an sich vornehmen zu lassen
und die Chancen der Operation werden sich zusehends ver¬
schlechtern.
Bezüglich des von Ostermaier gemachten Einwands der
zu geringen Atropinmenge bei dem von mir früher mitgeteilten
Fall von Kotsteinobturation, der letal endigte, wiederhole ich, dass
die Atropinbehandlung des Ileus jedenfalls den Patienten wie den
Arzt über den Ernst der Lage leicht hinwegtäuschen kann. Diese
Seite des Alkaloids wird auch charakterisiert durch einen Fall,
den Herr Dr. La über in Neuburg a. D. behandelte und mir
gütigst zur Veröffentlichung anheim stellte.
B. aus \V„ 69 Jahre alt, am 20. V. 1902 unter Ileuserschei-
nungen plötzlich erkrankt. Nach vorübergehender Opiumbehand¬
lung Injektion von 0,001 Atropin am 3. Tag nach der Erkrankung.
Hierauf stellten sich die schwersten Vergiftungserscheinungen
ein (!). Am 5. Tag allgemeines AArolilbefinden, Abgang von Flatus
und etwas Stuhl. Am 6. Tag wieder Koterbrechen. Da hohe
AVasser- und Oelkly stiere nichts fruchteten, die vorgeschlagene
Operation abgelehnt wurde, bekam Patient vom 7. — 13. Tag wieder
Atropin in allmählich ansteigenden Dosen von y2 — 2yg mg, am
13. Tag eine Gesamtmenge von 5 mg Atropin. Doch trat keine
richtige AVendung in dem Zustand des Patienten ein, deshalb An¬
legung des Patienten ins Krankenhaus am 2. VI. zwecks Ope¬
ration. Am 3. VI. früh Abgang von riesigen Mengen Stuhl, wes¬
halb auf einen operativen Eingriff verzichtet wurde. Nach 2 Tagen
wieder kotiges Erbrechen in geringem Grade trotz Stuhlabgang.
Operativer Eingriff wegen Erschöpfung des Patienten nicht mehr
möglich. Exitus letalis am 9. VI.
Die Sektion ergab eine nicht vollkommene Abklemmung einer
50 cm langen Dünndarmschlinge in einem Mesenterialschlitz. Die
Darmschlinge war etwas mit Kot gefüllt, die Darmwand nahezu
nekrotisch und ganz schlaff.
Der Fall illustriert weiter die Gefährlichkeit und Nutzlosig¬
keit der Anwendung des Atropins beim mechanischen, speziell
beim Strangulationsileus, mit dessen Bild übrigens eine nicht ge¬
ringe Anzahl eingeklemmter Hernien, wie oben schon angedeutet,
übereinstimmt. Einen zweiten, letalen Ileusfall (Intussuszeption?)
bei einer 32 jährigen Frau, den Herr Dr. Lauber ebenfalls in
Behandlung hatte, teile ich nicht näher mit, weil er nicht zur
Sektion kam. Die Patientin erfreute sich unter der vom Arzt un¬
gern durchgeführten Atropinbehandlung — Operation wurde näm¬
lich verweigert — eines guten AVoldbefindens trotz einer mehr und
mehr zunehmenden Geschwulst im linken Hypogastrium. 9 Tage
nach der Erkrankung kollabierte Patientin plötzlich und trat der
Exitus ein. Auf den Nonsens einer Atropinbehandlung des ana¬
tomisch-mechanischen Ileus haben speziell auch Kümmell und
AV i e s i n g e r aufmerksam gemacht. Hieran will ich noch einen
lehrreichen Fall knüpfen, den ich selbst beobachtet habe.
G. J„ Bäcker, 42 Jahre alt, am 20. /21. X. 1901 plötzlich unter¬
diffusen schneidenden Schmerzen im Abdomen erkrankt. Nach
Zunahme der Schmerzen, Auftreibung des Abdomens, Stuhlver¬
haltung seit 20. X. Eintritt ins Krankenhaus 1. I. und am 25. X.
AVasser-, Glyzerin, Oeleinliiufe, auch Kalomel und Rizinus
führten zu keinem Ergebnis — es war die Diagnose auf Kopro-
stase gestellt — , deshalb vom 30. auf 31. X. Injektion von 0,005 g
Atropin subkutan.
3*
1748
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Meteorismus maximal, Darmpunktion an 8 Stellen ohne Ei-
foig. Nun Transferierung am 31. X. ad forum ckirurgicum mit
der Diagnose: Ileus.
Der Befund ergab Hockstand der unteren Lungengrenzen.
Der untere Beberrand stand 3 Querfinger über dem Rippenbogen.
Abdomen riesig und zwar gleichmässig aufgetrieben. Perkussion*,
schall überall tvmpanitisch. Keine Resistenz, keine geblakte
Scklinge, keine Peristaltik zu fiiklen. Rektum oline besonderen
Befund. Bruckpforten frei. Pat. verfallen. Puls klein, weich,
frequent, 132 pro Minute. Temperatur 38,2. Starker Smgultus.
Diagnose: Strangulationsileus. .
Die sofort in Aethernarkose ausgefükrte Laparotomie (ca.
20 cm langer Mediausclmitt) ergab Spangen und fläckenlnute Ad-
käsionen in der Ileoeoekalregion mit zweimaliger Knickung des
Ileums nake der Baukin scken Klappe. Darmwand zw iscken
den 2 Knickungen bezw. Absckniirungen in der Länge von lo cm
nekrotisck. Appendix selbst frei, lang. Lösung der Verwachs¬
ungen. Entlastung des enorm gebläkten Darmes oberhalb der
Knickungen durch kleine Inzision, welche wieder übernäht wird.
Die nekrotische Darmpartie wurde nach aussen gelagert. Patient
erholte sich während der Operation unter Kampherinjektion und
subkutaner Kocksalzinfusion. Nack Schluss der Operation plötz¬
lich Herzkollaps und Exitus.
Die Sektion ergab starke Adipositas cordis mit Dilatation
beider A^entrikel; die Muskulatur der Ventrikel war von Fett
nahezu vollständig verdrängt. Das von Haus aus schlechte Heiz
war durch das 10 tägige Krankenlager so geschwächt, dass es
den Schädigungen der Narkose (Aetherverbrauch 130 ccm) nicht
mehr gewachsen war. Ein Passagekindemis des Darms konnte
nicht mehr gefunden werden.
Wie kritiklos Atropin zum Teil angewandt wird, bewies mir
ein Fall von tvpischer Perityphlitis mit grossem, deutlich abgrenz-
baren und sehr druckempfindlichen Exsudat in der lleocoekal-
region das auch per vaginam und rectum gut zu fühlen war.
Dabei bestand hohes Fieber, galliges Erbrechen, Stuhlverhaltung.
Die Patientin bekam, wegen „Ileus“ innerhalb 4 Tagen lo mg
Vtropin Am 5. Tag wurde erst ein operativer Eingriff und die
Ueberfükmng in die Klinik in Betracht gezogen, nachdem diffuse
Druckempfindlichkeit des Abdomens etc. auf getreten wai. Am
0. Tag erfolgte die Perforation — die Operation war unterblieben
und Atropin fort gegeben worden — , am 7. Tage Kollaps und
Exitus letalis. , , , . . .
Bemerkenswert ist noch, dass Bios, der das Atropin bei
postperitonitischer und postoperativer Darmatonie sehr empfiehlt,
von der Anwendung des Atropins auf der Höhe der Peritonitis
abrät. Die Entzündung sei zu mächtig, als dass eine durch sie
hervorgerufene Atonie medikamentös bekämpft werden könne. Da
müsse erst die Operation das ihrige getan haben. Vollständig
beistimmen muss ich Bios hinsichtlich der unter allen Umständen
irrationellen Opiumbehandlung in der Therapie der Appendizitis
und des Ileus. Doch schätze ich andrerseits bei diesen Er¬
krankungen das Morphium sehr hoch ein.
Also fort mit dem Atropin beim anatomisch-mechanischen
Ileus*! Aber auch fort damit bei inkarzerierten Hernien, bei denen
die von jedem Arzt sogleich auszuführende Herniotomie allein
sicher zum Ziele, zur Genesung des Patienten fühl t, sobald
Spontanreposition auf dem einfachen Wege des warmen Bades
und der Morphiuminjektion nicht zu erreichen ist. Die Anwen¬
dung des Atropins hat nur ihre Berechtigung bei schwerer Kopro-
stase, bei reflektorischen Darmspasmen, bei Darmatonie und bei
paralytischem Ileus, und zwar bei ersteren Affektionen in grös¬
seren, bei letzteren in kleineren Mengen (1 bezw. % mg pro dosi).
Zum Schlüsse erlaube ich mir, meinem hochverehrten Chef,
Herrn Obermedizinalrat Prof. Dr. v. Angerer, für das dem
Thema gewidmete Interesse meinen besten Dank auszuspiechen.
Literatur.
Bios: lieber die Entzündungen des Wurmfortsatzes. Beitr.
z. klin. Chir., 32. Bd., 2. H., 1902. — Geb eie: Zur Atropinbehand¬
lung des Ileus. Münch, med. Wockenschr. 1901, No. 33. — Hagen:
Ueber die Wirkung des Atropins auf den Darmkanal. Inaug.-Diss.,
Strassburg 1890. — K ü mmel 1: Deutsche med. Wochenschr. 1901,
No. 27. Vereinsbeil. — Lanz: Weg mit der Taxis! Münch, med.
Wochenschr. 1902, No. 5. — Ostermaier: Zur Darmwirkung
des Atropins. Münch, med. AN ockensckr. 1900, No. 49; desgleichen
Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 3G. — Rumpel: Deutsche
med. AA'ochenschr. 1901, No. 27; Vereinsbeil. — Sahli: Herzmittel
und ATasomotorenmittel. 19. Kongr. f. inn. Med. 1901, pag. 00.
Schmiedeberg: Grundriss der Pharmakologie 1902. — Tap¬
peiner: Lehrbuch der Arzneimittellehre 1901. — Wiesinger:
Deutsche med. AVockenschr. 1901, No. 27. Vereinsbeil.
Gleich ihm habe auch ich seit dem im vergangenen Jahre in
vielen Nummern der Münch, med. AVockenschr. abgehandelten
Thema „Ileus und Atropin“ letzteres als ein überaus dankbares
Darmmittel weiter schätzen gelernt und dasselbe neben Morphium,
Kokain u s. w. meinem Arzneischatze eingefügt. Zwar sind mir
in dieser Zeit keine Fälle von mechanischem Ileus, von einge¬
klemmten Leisten- und Schenkelbrüchen vorgekommen, wohl aber
eine grössere Anzahl von Blinddarmentzündungen (von Pen- und
Paratyphlitiden), in welchen ich es mit günstigem Erfolge in
täglichen subkutanen Injektionen in Dosen von 0,001— 0,003 an¬
wandte. In allen diesen Fällen konstatierte ich fast unmittelbar
nach der Einspritzung subjektives Wohlbefinden; die grosse
Schmerzhaftigkeit der Ileocoekalgegend liess spontan und bei der
Palpation nach, bei ruhiger Lage erklärten die Kranken ihren Zu¬
stand für erträglich, Flatus stellten sich bald, Stuhl gewöhnlich
spontan am 5. oder G. Tage schmerzlos ein.
In allen Fällen fehlte nach der Einspritzung die Brechneigung,
das Uebelsein, Schwindel und Kopfschmerz, die unangenehmen
Begleiterscheinungen der Morpkiuminjektionen. Lokal erhielten
die Kranken kalte Kompressen aufs Abdomen, symptomatisch bei
Fiebererscheinungen Phenacetin und Antipyrin.
Auf Grund dieser Erfahrungen bin ich auch der Ansicht, dass
das Atropin zu unseren vorzüglichen Narkoticis und Anästlieticis
zu zählen ist. . .
Im Oktober vorigen Jahres hielt ich im Aerzteverem zu
Hagen i/AV. einen Vortrag (er erscheint gerade jetzt im Auszüge
in der AViener klin. Rundschau), in dem ich nach Aufzählung
meiner und der übrigen in der Münch, med. Wochenschr ver¬
öffentlichten Fälle von günstiger Behandlung paralytischen Ileus
mit Atropin, die Kollegen aufforderte, in geeigneten Fällen, wegen
der AATcktigkeit des Gegenstandes, die Wirkung des Atropins nach¬
zuprüfen und über den Erfolg zu berichten.
Nach sehr lebhafter und eingehender Diskussion wurde ein¬
stimmig der Vorschlag des Vorsitzenden, Herrn Geh. Sanitätsrat
Dr Schaber g, angenommen, in Fällen von paralytischem Ileus
Atropin in Dosen von 0,001—0,003 anzuwenden und von jedem so
behandelten Falle in den Sitzungen Mitteilung zu machen.
Schon nach kurzer Zeit konnte mir der Herr Vorsitzende von
günstigen Erfolgen derart behandelter Ileusfälle erfreut berichten.
Um zu einem abschliessenden Urteile über die Wirkung des
Atropins bei Ileus, paralytischem sowohl wie mechanischem, Peri-
typlilitis, inkarzerierten Hernien u. s. w. zu gelangen, mochte ich
das Vorgehen des Hagener Aerztevereins allgemein empfehlen.
Ueber den durch Essigsäure fällbaren Eiweisskörper
in Exsudaten.
Von Prof. Moritz in Greifswald.
In letzter Zeit ist mehrfach ein durch Essigsäure fällbarer
Eiweisskörper besprochen worden, der den entzündlichen serösen
Ergüssen im Gegensatz zu den nicht entzündlichen, also den Ex-
sudaten im Gegensatz zu den Transsudaten zukommt. Rune¬
berg1 2) erachtet ihn als zuerst (1892) von Paijkull ) be¬
obachtet. In der Folge haben Umber3) und (auf Anlegung
F. Müllers) Staehelin4) dem Körper ihre Aufmerksamkeit
zugewendet. , „.. . _ .
Die Akten über die chemische Natur des Körpers sind noch
nicht geschlossen. Er wird von Paijkull als Nukleoalbumin
von Umber als eine zwischen Eiweisskörper und Mucinen
stehende Substanz (Serosamucin), von Staehelin als den Glo¬
bulinen nahestehend bezeichnet. Die Autoren legen, und wohl mit
Recht, diesem Körper nicht nur in theoretischer, sondern auch in
praktischer Hinsicht eine gewisse Bedeutung bei, da er zu der
manchmal nicht ganz leichten Entscheidung, ob bei einem serösen
Erguss ein Exsudat oder Transsudat vorliege, schon an ganz
kleinen, durch Probepunktion gewonnenen Mengen, beitragen
könne. . , , -
Ich entnehme diesen Publikationen die Veranlassung, daraut
hinzuweisen, dass ich diesen Körper gelegentlich einer Unter¬
suchung über Exsudate und Transsudate im Jahre 1886 beobachtet
und in meiner Inauguraldissertation“) beschrieben habe. Es heisst
daselbst: „Tropfen weiser Zusatz von verdünnter, annähernd 5 proz.
Essigsäure bringt in der unverdünnten Flüssigkeit (dem Exsudat)
eine starke Trübung hervor, die anfangs beim Umschütteln wieder
verschwindet, jedoch bleibend wird, wenn die Reaktion neutral
oder schwach sauer wird. Weiterer Zusatz von Säure verstärkt
die Trübung, die öfters flockig wird. Im Ueberschuss von Essig-
Zur Darmwirkung des Atropins.
Von Dr. Aronheim in Gevelsberg.
Zu dem, Artikel von Dr. Paul Ostermaier - München .
„Zur Darmwirkung des Atropins“ (No. 36 vom 9. Septembei 1902)
gestatte ich mir einige kurze Bemerkungen zu machen.
Herr Dr. Ostermaier veröffentlicht seine Fälle von
mechanischem Ileus (inkarzerierten Hernien), bei denen durch sub¬
kutane Atropininjektionen überraschend schnell eine Spontan¬
reposition eintrat, in der Absicht, die Atropinfrage wieder in Fluss
zu bringen.
1) Runeberg: Von der diagnostischen Bedeutung des Ei¬
weissgehaltes in pathologischen Transsudaten und Exsudaten.
Berl. klin. AVockenschr. 1897, S. 710.
2) Paijkull: Bidrag tili kännedomen af de serosa ex-
sudateus kemi. Ref. im Jahresbericht f. Tierchemie 1892, S. 558.
3) Umber: Ueber autolytische Vorgänge in Exsudaten.
Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 28.
Staehelin: Ueber den durch Essigsäure fällbaren Ei¬
weisskörper der Exsudate und des Urins. Müncli. med. A\roehen-
schr. 1902, No. 34. „ , . -
») f. Al o ritz: Beitrag zur Lehre von den Exsudaten unu
Transsudaten. Inaug.-Diss., Alünchen 1886; auch veröffentlicht in
den „Arbeiten aus dem med.-klin. Institut in Alünchen“, Bd.
Leipzig, F. O. W. Y o g e 1.
21. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISClfE WOCHENSCHRIFT.
1749
säure löste in einigen Fällen der Niederschlag sich völli«- wieder
auf, meist war jedoch zwar Aufhellung, aber keine völlige" Lösung
selbst mit sehr viel Säure zu erreichen. In verdünnten Mineral¬
säuren, z. B. Salzsäure, und ebenso in Alkalien ist die Fällung un¬
schwer löslich. Durch sehr vorsichtigen Zusatz verdünnter
jNlineral sauren kann übrigens ebenso wie durch Essigsäure eine
Fällung erhalten werden“.
Auf Grund eingehenderer, in meiner Dissertation nieder-
gelegtei ^ ei suche, sprach ich den Körper als eine globulinartige
Substanz an und machte auf seine Aehnlichkeit mit der im Harn
\ oikommepden, durch Essigsäure fällbaren Substanz aufmerksam
die damals gerade von F. Müller8) beschrieben worden war’
Ich beobachtete in jener Untersuchung die Essigsäurefällung in
ausgesprochenem Masse nur in Exsudaten, eine Regel, von der sich
mir auch späterhin keine Ausnahme aufdrängte. Ich habe daher
von der Essigsäureprobe als Unterscheidungsmerkmal zwischen
Exsudaten und Transsudaten in Unterricht und Praxis seitdem
häufig Gebrauch gemacht.
Ein Rückblick auf 720 Gallensteinlaparotomien, unter
besonderer Berücksichtigung von 90 Hepatikus-
drainagen.
Von Professor Dr. Hans Kehr in Halberstadt.
(Fortsetzung.)
Sie ersehen, m. IT., aus der Aufstellung meiner Indikationen,
die natürlich keinen Anspruch auf erschöpfende Vollständigkeit
macht, dass ich nicht der blutdürstige Chirurg bin, der immer
gleich das Messer in die kochende Sodalösung wirft, sobald ein
Gallensteinkranker die Schwelle des Wartezimmers überschreitet.
In gewissen Fällen drehe ich mich 99 mal herum, ehe ich eine
Operation empfehle. »Meistenteils weiss ich sofort nach An¬
hören der Anamnese und nach einer einmaligen Untersuchung,
was ich zu tun habe. Vergessen wir aber einen Punkt nicht.
Wenn wir Aerzte uns hier auch über die Indikationen zur Opera¬
tion ungefähr einigen, die Patienten fragen weder danach, ob sie
grosse oder kleine Steine haben, noch ob ihre Gallenblase Eiter
oder Serum enthält, ob ihre Koliken mit oder ohne Ikterus ver¬
laufen. Die Art des Schmerzes gibt schliesslich den Ausschlag.
Ich habe immer gefunden, dass Kranke, die unter einem fort¬
währenden Magendruck — und sei er noch so gelinde — leiden,
sich rascher zur Operation entschliessen, als solche, die schwere
Koliken durchgemacht haben, in der Zwischenzeit aber völlig
frei von Beschwerden waren. In der Tat stellt bei keiner anderen
Erkrankung der Patient selbst so häufig die Indikation zur
Operation, wie bei der Cholelithiasis und unter diesem Gesichts¬
punkt betrachtet, ist es ganz richtig, wenn Kocher sagt : „Die
Gallensteine gehören zunächst dem Patienten, und wenn er vor¬
zieht, sie zu behalten und Karlsbader Wasser dazu zu trinken,
so ist das sein Recht, das bekanntlich auch von sehr operations¬
lustigen Chirurgen in Anspruch genommen wird, wenn sie selber
Gallensteine bekommen. Und wenn es ein Patient darauf an¬
kommen lassen will, die Steine per vias naturales unter Qual
und Schmerz sich durcharbeiten zu lassen, so ist das ebenfalls
sein Privatvergnügen“. Aber mit demselben Recht können wir
doch sagen: auch der Kropf, der kranke Wurmfortsatz, die Blasen-
und Nierensteine und das Magenkarzinom gehören zunächst
dem Patienten, und wenn er es vorzieht, beim Kropf Jodkali
einzunehmen, bei der Appendizitis Massage des Abdomens zu
verwenden, bei Nierensteinen Urotropin zu schlucken und bei
Magenkrebs Condurangowein zu trinken, so ist das sein Recht.
Ich glaube nicht, dass Kocher solche Ansichten des Kranken
gutheisst und billigt, jedenfalls kommen wir auf solche Weise
nicht weiter und Kocher selbst scheint dies empfunden zu
haben, denn einige Zeilen später sagt er : „Aber dazu hat der
Chirurg gegenwärtig sicherlich das Recht, einem Patienten mit
Gallensteinen zu sagen, dass er durch die Operation rascher und
sicherer von seinem Leiden geheilt und rascher und sicherer vor
späteren Gefahren bewahrt werden könnte, als mit jeder anderen
Behandlung“.
Gewiss bleibt der Entschluss, ob ein Patient operiert werden
soll oder nicht, in erster und letzter Linie abhängig von dem
Willen des Kranken. Mancher Patient wünscht aber eine Ope¬
ration, wo sie unzweckmässig ist, z. B. beim akuten Choledochus-
verschluss mit seinen rasenden Schmerzen, und er verweigert
sie, weil er keine Schmerzen hat, z. B. beim chronischen Chole-
- 1 - .. . ■ ■ i «I
) F. Müller: Mitteilungen ans der med. Klinik in Würz¬
burg, Bd. 1.
No. 42
dochusverschluss. Und gerade bei dieser Form der Gallenstein¬
krankheit kann nur ein Arzt die Indikation zur Operation
stellen, der weiss, wie viele Menschen an den Folgen der Chole-
dochusobstruktion zu Grunde gehen. Ein Kranker handelt jeden¬
falls richtiger, wenn er auf den erfahrenen Arzt hört, als wenn
er nach seinem Gutdünken sich eine Operation oder eine Karls¬
bader Kur auswählt. Ich lehne oft die Operation ab, wo sie
gewünscht wird, und schlage sie vor, wo der Patient lieber das
Wort Karlsbad oder Neuenahr gehört hätte. Der Kranke kennt
nicht die pathologische Anatomie der Cholelithiasis und hat in¬
folgedessen gar kein Urteil über die Therapie, die zur Anwen¬
dung kommen soll. Er geht lieber in unseren herrlichen Bade¬
ort, um sich am Sprudel zu erquicken und in den schönen Wäl¬
dern des Abergs frische Luft zu atmen, als dass er sich in ein
Krankenhaus oder in eine Klinik aufnehmen lässt, um die Ge¬
fahren einer Operation, die seiner Meinung nach doch „immer
auf Leben und Tod“ geht, in Kauf zu nehmen.
Ich finde es sehr begreiflich, dass jeder Gallensteinkranke
nicht sofort nach ein paar Koliken sich operieren lässt, sondern
sein Heil itn Durande sehen Mittel, in Olivenöl, in Eunatrol,
in Zitronenkuren und in cholagogen Mitteln sucht.
Nebenbei bemerkt sollten die letzteren nur zur Anwendung
kommen, wenn der Verlauf der Krankheit dafür spricht, dass
Steine im Choledochus stecken. Bei Steinen in der Gallenblase
ist es geradezu falsch, die Steine abtreiben zu wollen, dadurch
verschlimmert man nur die Krankheit. Man treibt die Steine
aus der leicht zugänglichen Gallenblase in den tiefliegenden
Gallengang, wo die Konkremente viel mehr Unheil anrichten
können wie in der geräumigen Gallenblase. Zudem ist die ope¬
rative Entfernung von Choledochussteinen 3 — 4 mal gefährlicher
wie die von Konkrementen in der Gallenblase. Das soll man
nicht vergessen, wenn man dem Patienten cholagoge Mittel ver¬
ordnet. Zum Glück gibt es, wie ich annehmen möchte, kein
Arzneimittel, welches die Kraft besitzt, Konkremente durch den
engen Cystikus und Choledochus in den Darm zu treiben; noch
viel weniger V ertrauen schenke ich den sog. Gallensteine auf-
lö senden Mitteln und es ist sehr bedauerlich, dass so viele
Gallensteinkranke in die Hände von Kurpfuschern fallen, welche
versprechen, die Steine durch Thee und Pulver aufzulösen und
abzutreiben.
Unter die Kurpfuscher muss ich leider auch solche Aerzte
rechnen, welche behaupten, Mittel zu besitzen, welche die Steine
in weiche Massen umformen können, so dass ein spontaner Ab¬
gang durch die enge Papille des Duodenums ermöglicht wird.
Sie machen in politischen Blättern Reklame, verschicken Pro¬
spekte, hüten sich aber, die Zusammensetzung ihrer Mittel in
medizinischen Fachschriften zu veröffentlichen. Wenn ein Arzt,
der auf einen wissenschaftlichen Namen Anspruch erhebt, ein
Mittel gefunden zu haben glaubt, von dem er sich eine beson¬
dere WTrkung verspricht, so darf er sich über die Zusammen¬
setzung desselben nicht in Schweigen hüllen, sondern muss es
der Allgemeinheit der Aerzte mitteilen, damit es von objektiver
Seite nachgeprüft wird und, wenn es gut ist und nützt, allen
Gallensteinkranken zugute kommt. Geschieht das nicht, so
kommt ein solcher Arzt in den Verdacht, dass er seine Erfindung
nur zu eigenem schnöden Gelderwerb verwerten will. Es kommt
nun noch dazu, dass die Wundermittel — wie ich feststellen
konnte — zur Anwendung gelangen, gleichgültig, ob ein grosser
Stein den Cystikus verschliesst, ob die Gallenblase mit Eiter
angefüllt ist oder wallnussgrosse Konkremente im Choledochus
sich aufhalten. Viele meiner Patienten waren auf solche
Wunderkuren hereingefallen, denen durch gleichzeitige Röntgen¬
aufnahmen vor und nach der Kur, durch Anwendung der
"V ibrationsmassage und durch eine bestimmte Lagerung des
Kranken ein wissenschaftliches Mäntelchen umgehängt wird.
Wer die pathologische Anatomie der Cholelithiasis genau kennt,
der kann einem solchen Vorgehen nur den Namen „Schwindel“
geben. Schade nur um das Geld, welches solche betrogene Pa¬
tienten umsonst ausgeben müssen; aber in der ersten Freude
über den vorgezeigten abgegangenen Gries, wie man ihn ge¬
legentlich aus jedem Stuhlgang heraussieben kann und der mit
Gallensteinen gär nichts zu tun hat, schwinden häufig — wie
auch nach Sellerie-, Zitronen- und anderen Kuren — die
Schmerzen, und bleiben sie eine Zeitlang aus, so lebt der Name
des Wunderdoktors in aller Munde. Die ihre Koliken aber
behalten, schweigen schön still, damit ja niemand erfährt, dass
4
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
1750
sie auch zu den Dummen, die „nicht alle werden“, gehörten. So
wird nur über gute Erfolge berichtet, die Misserfolge werden
verschwiegen.
Wenn ich mich gegen die „Auflöserei“ und „Abtreiberei“
der Gallensteine wende, so will ich keineswegs behaupten, dass
nicht einmal ein Mittel gefunden wird, dem eine solche Wunder-
kraft innewohnt. Aber solange wir kein solches Mittel besitzen,
muss es Aufgabe der inneren Medizin bleiben, die Steine resp.
die Entzündung zur Ruhe zu bringen. Ich wiederhole noch ein¬
mal: Nicht gegen die Steine als solche richten sich unsere
inneren therapeutischen Massnahmen, sondern gegen ihre Folge¬
zustände, gegen die Entzündung und die Gefahren der Chol¬
angitis, der Cholämie und der Peritonitis u. s. w. ; der Chirurg
aber entfernt, indem er die Steine beseitigt, die begünstigende
Ursache der Entzündung und seine Erfolge müssen deshalb voll¬
kommener sein wie die seiner inneren Kollegen.
Nachdem Sie, m. H., nunmehr meine Indikationsstellung
kennen gelernt haben, möchte ich mir erlauben, mit wenigen
Worten meine Tabellen zu erläutern und meine augenblicklichen
und Dauererfolge zu besprechen.
(Siehe Tabelle I )
Zunächst bitte ich Sie, Ihre Aufmerksamkeit auf diese Ta¬
belle I zu lenken, welche Ihnen eine U ebersicht gibt über sämtliche
von mir ausgeführte Gallensteinoperationen. Ihre Zahl beträgt
720 und umfasst 1131 Einzeleingriffe, die an 655 Kranken vor¬
genommen wurden. Von den Patienten waren 536 Frauen,
119 Männer; der jüngste Kranke war 15, der älteste 78 Jahre alt.
Eine besondere Genugtuung ist es mir gewesen, dass ich 12 Aerzte,
9 Aerztefrauen, 3 Aerztemütter, und 5 Aerzteschwiegermütter von
ihren Steinen befreien konnte. Wenn eine Schwiegermutter auf
den Rat ihres Schwiegersohnes hin sich einer Gallensteinoperation
unterwirft, so ist das gewiss der beste Beweis, dass der chirur¬
gischen Behandlung der Gallensteinkrankheit viel Vertrauen ent¬
gegengebracht wird. In meiner Monographie, die chirurgische Be¬
handlung der Gallensteinkrankheit, habe ich mitgeteilt, dass ich
2 Ehepaare von ihren Steinen befreit habe. Beide sind gesund
geblieben und das eine steht jetzt in meinen Diensten. Der Mann
trägt die schweren Kokseimer zu den Kesseln der Zentralheizung
und besorgt Hof und Garten, und die Frau überwacht in der Klinik
die Wäsche und die Hausmädchen. In gesundheitlicher Beziehung-
lassen diese Ehepaare nichts zu wünschen übrig.
Ein flüchtiger Blick auf diese Tabelle genügt, um Ihnen die
Mannigfaltigkeit des Materials zu beweisen, welches mir bisher
zu Gebote stand. Sie finden hier alle möglichen Operations¬
methoden verzeichnet, von der einfachen Cystostomie bis zur kom¬
plizierten, schon der Aussprache Schwierigkeiten bereitenden
Clioledochoduodenostomia interna, und die komplizierenden Ope¬
rationen am Magen, Darm und Pankreas können Ihnen einen
ungefähren Begriff davon geben, wie verwickelt die pathologisch¬
anatomischen Veränderungen gewesen sein müssen, welche ich
bei meinen Gallensteinoperationen antraf. An einer grossen Zahl
von Kranken wurden neben der Gallensteinoperation zugleich Ein¬
griffe am Magen, Darm etc. vorgenommen. So kamen Ektomien,
kompliziert mit Gastroenterostomien, Pyloroplastiken und Ap¬
pendektomien häufig zur Ausführung — ich bitte die Nummern 25,
26 und 33 zu vergleichen — und der komplizierteste Eingriff, den
ich in dieser Hinsicht vornehmen musste, betraf einen 42 jährigen
Herrn, bei dem ich eine Gallenblasenkolonfistel vorfand, die ich
beseitigte. Das Loch im Dann wurde genäht, die Gallenblase
samt Steinen exstirpiert, der kranke Processus vermifonnis ent¬
fernt und, da ich schliesslich noch eine Stenose am Duodenum
vorfand, eine Gastroenterostomie hinzugefügt, an welche sich
zur sicheren Verhütung des Circulus vitiosus eine Enteroentero-
stomie anschloss. Der Patient hat die fast 2 stündige Operation
gut überstanden und ist ganz gesund geworden.
Doch ich verliere mich in Einzelheiten, wenden wir uns wieder
der Betrachtung der Tabellen zu.
Auf Tabelle I finden Sie hinter jeder Operation 3 Zahlen.
Die erste Zahlenreihe umfasst die von mir in den ersten 8 Jahren
ausgeführten 360 Lapai’otomien (vgl. No. 225 der Samml. klin. Vor¬
träge: Die Resultate von 360 Gallensteinlaparotomien etc.
Oktober 3898); die zwmite, eine ebenso grosse Zahl von Operationen,
die ich in den letzten 4 Jahren in meiner Klinik vorgenommen
habe, und die dritte Zahlenreihe gibt die Summe sämtlicher
Operationen wieder. Ein Vergleich der ersten mit der zweiten
Zahlenreihe wird Ihnen zeigen, dass sich mein Material in den
letzten 4 Jahren verdoppelt hat und dass ich in der Ausw-alil der
Operationsmethoden grosse Wandlungen durchgemacht habe.
Während sich unter meinen ersten 360 Gallensteinlaparo¬
tomien 194 Cystostomien befinden, zähle ich unter den letzten 360
nur 74 Cystostomien. Dafür hat sich die Zahl von 70 Ektomien
um 204 vermehrt und beträgt jetzt 274. Man sieht daraus, dass
ich die Cystostomie zu Gunsten der radikalen Ektomie ein¬
geschränkt habe, und da ich in den letzten Jahren die frühzeitige
Operation nur selten ausgeführt habe, musste naturgemäss die
Zahl der Cystostomien sich wesentlich vermindern.
Tabelle I.
720 Gallensteinlaparotomien.
Vom l.V. 1890 bis 10. VI. 1898
503 Einzeleingriffe bei 360 Laparotomien an 307 Kranken,
Vom 11. VI. 1898 bis 10. VIII 1902
628 Einzeleingriffe bei 360 Laparotomien an 348 Kranken.
Summa 1131 Einzeleingriffe bei 720 Laparotomien an 655 Kranken.
(536 Frauen, 119 Männer).
A. Eingriffe an den Gallenwegen selbst.
o
£
Art des Eingriffs
1890—1898
8 Jahre
1898—1902
4 Jahre
Summa j
12 Jahre 1
1
Einzeitige Cystostomie .
194
74
268
2
Zweizeitige „ .
8
4
12
3
Cystikotomie .
37
42
79
4
Cystikolithotripsie .
1
—
1
5
Cystendyse .
7
6
1 3
6
Extraperit. ideale Operation .
2
—
Z
7
Cystektomie .
70
204
274
8
Choledochotomie .
46
21
67
9
Choledochoplastik .
—
3
3
10
Choledocholithotripsie .
1
87
1
11
Hepatikusdrainage .
3
90
12
Hepatikotomie .
1
3
4
13
Choledochoduodenostomia int .
—
6
6
14
Cystogastrostomie .
—
7
7
15
Cystenterostomie . .
5
5
10
16
Choledochoenterostomie .
3
—
3
17.
Cystikoenterostomie .
3
—
3
18
Gallenblasenfistelverschluss .
11
2
13
19
Wiederöffnung schon geschlossener
Gallenblasen .
7
2
9
20
Probeinzision wegen Tuberkulose, Kar¬
zinom, Lues und Lösung von Ad¬
häsionen als selbständige Operation
20
42
42
B. Eingriffe am Magen, Darm, Pankreas, Niere, Leber etc.,
welche die Gallensteinoperationen complizierten.
12
Laparotomie wegen
a) Gallensteinileus .
2
1
b) Nachblutung nach Ektomie . . .
1
—
22
Eröffnung von intraperitonealen, durch
Cholelithiasis bedingten Abszessen .
6
1
23
Herniotomien, (Hernie der linea alba,
Bauchwandbrüche) .
5
7
24
Magenresektion .
1
2
25
Gastroenterostomie .
25
38
26
Pyloroplastik .
8
17
27
Loretas Divulsio pylori .
1
—
28
Gastroanastomose .
1
—
29
Excisio ulc. ventr. et Duodeni .
1
1
30
Darmresektion .
1
—
31
Enteroenterostomie .
4
9
32
Beseitigung von Fisteln zwischen Gallen¬
system und Intestinis .
14
16
33
Appendektomie .
3
15
34
Einnähung und Exzision von Pankreas¬
cysten . . . -
2
1
35
Inzision von Pankreasabszess .....
1
1
36
Nephropexie (Wanderniere) .
5
1
37
Nephrektomie (Eiterniere) .
1
—
38
Leberresektion .
2
10
39
Hepatopexie .
—
14
40
Rippenresektion (Subphrenischer Abszess
und Empyem der Pleurahöhle) , .
—
4
41
Leberechinokokkus .
—
2
Gesamt-Summe: 1131 Einzeleingriffe.
3
1
7
12
3
63
25
1
1
2
1
13
30
18
3
2
6
1
12
14
4
2
Zertrümmerungen von Steinen im Cystikus und Choledochus
habe ich in den letzten 4 Jahren nicht mehr gemacht; ich bin
dafür, dass man diese Operationsmethode vollständig streicht.
Ebenso will ich heute mein absp ziehendes Urteil über die
Cystendyse und deren Modifikationen nicht wiederholen.
Die primäre Cystikotomie, früher meine Lieblingsoperation,
habe ich in den letzten Jahren nur ein paarmal ausgeführt, da
ich überhaupt die Cystostomie selten geübt habe. Die letzten
42 Cystikotomien aus den letzten 4 Jahren sind meistenteils Vor¬
operationen der Hepatikusdrainage gewesen. Nur wo ich nicht
ektomieren konnte und bei der Ausführung der Cystostomie w-egen
akuter seröser Cholecystitis die sofoilige Entleerung des Cystikus-
steines auf andern Weise nicht möglich war, habe ich die primäre
Cystikotomie voi'genommen. Sekundäre Cystikotomien kenne ich
bei meinen letzten 360 Opex-ationen nicht mehr. Ueberhaupt haben
21. Oktober 1902.
1751
MHENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sich die 2 und 3 maligen Laparotomien an einer Person wesentlich
verringert. Es gelingt mir jetzt fast regelmässig, in einer Sitzung
die Verhältnisse so herzustellen, dass die Entfernung der Steine
ohne einen zweiten Bauchschnitt möglich ist. Besonders gilt das
für die Choledochotomien resp. die Hepatikusdrainagen.
Ueber die Choledochoplastik, die ich in den letzten 2 Jahren
3 mal ausführte, habe ich auf dem diesjährigen Chirurgenkongress
gesprochen, so dass weitere Mitteilungen heute überflüssig sind.
Der Verschluss von Gallenblasenfisteln nach Cystostomie und
die Wiedereröffnung schon geschlossener Gallenblasenfisteln ist
in den letzten 4 Jahren nur je 2 mal nötig gewesen, aus dem ein¬
fachen Grunde, weil ich lernte, die Technik der Cystostomie besser
zu gestalten, und weil ich diese Operationsmethode gegen früher
bedeutend eingeschränkt habe.
Permanente Fisteln, welche die Cystostomie recht in Verruf
gebracht haben, kenne ich nicht. Temporäre Gallen- und Schleim¬
fisteln sind häufig eine Notwendigkeit, aber dauernde Fisteln
sollten dem geübten Gallensteinchirurgen nicht Vorkommen, es sei
denn, dass der Patient gegen ihre Verscldiessung sich hartnäckig
sträubt. Mir persönlich ist es bisher stets gelungen, den Ver¬
schluss solcher Fisteln durchzusetzen. Sehr oft habe ich per¬
manente Gallen- und Schleimfisteln beseitigen müssen, welche
von anderen Chirurgen angelegt waren. Welche Operations
methoden dabei zur Anwendung kamen (Cystendyse, Ektomie,
Cystikotomie, Choledochotomie, Hepatikusdrainage, Cystentero-
stomie, Cystikoenterostomie), darüber zu berichten, würde zu weit
führen.
Unter den ersten 360 Operationen befinden sich, wie ans
No. 8 und 11 hervorgeht, 46 Choledochotomien mit Naht und nur
3 Hepatikusdrainagen, unter den letzten 360 kommen auf 21 Chole¬
dochotomien mit Naht 87 Hepatikusdrainagen.
Die erste Hälfte meiner Tätigkeit auf dem Gebiete der Gallen¬
steinchirurgie umfasst also 54 Proz. Cystostomien, 20 Proz.
Ektomien, 13 Proz. Choledochotomien und 1 Proz. Hepatikus¬
drainagen, während auf die letzten 360 Fälle 20 Proz. Cysto¬
stomien (gegen 54 Proz.), 54 Proz. Cystektomien (gegen 20 Proz.),
6 Troz. Choledochotomien (gegen 13 Proz.), 41 Proz. Hepatikus¬
drainagen (gegen 1 Proz.) kommen. Daraus geht hervor, dass ich;
1. radikaler geworden bin in der Operationstechnik, dass ich 2. in
den letzten 4 Jahren viel mehr schwere Fälle und Spätoperationen
ausgeführt habe und dass ich 3. die Frühoperation gegen früher
eingeschränkt habe.
Warum ich jetzt die Ektomie und Hepatikusdrainage der
Cystostomie und Choledochotomie mit Naht vorziehe, habe ich
schon bei anderen Gelegenheiten auseinandergesetzt, und da der¬
artige Erörterungen mehr vor das Forum des Chirurgenkongresses
gehören, verzichte ich auf eine Begründung meiner diesbezüg¬
lichen Ansichten. Aber Sie ersehen, wie man erst nach sehr grosser
Erfahrung die Indikation für die einzelnen Operationen heraus¬
findet. Als ich meine ersten 360 Operationen ausgeführt hatte,
glaubte ich schon die Auswahl der Operationsmethoden sehr weise
getroffen zu haben. Je mehr ich aber operierte, um so klarer
wurde es mir, dass der Chirurg mit seinem Urteil über Wert und
Unwert dieser oder jener Operationsmethode doch sehr zurück¬
haltend sein muss, und ich sah ein, dass das Wort volle Geltung
hat: „Mit der Zeit kommt die Erfahrung und mit ihr kommt Be¬
scheidenheit.“
Eins aber glaube ich jetzt doch mit voller Bestimmtheit sagen
zu können, dass bei allen akuten Prozessen in der Gallenblase die
Cystostomie den Vorzug verdient, während bei Operationen im
freien Intervall - — analog der Indikationsstellung bei der Appen¬
dizitis — - die Entfernung des kranken Organs, die Langen¬
buch sehe Operation, die richtige Operationsmethode ist und dass
bei Extraktionen von Steinen aus dem Clioledochus die Choledocho¬
tomie mit Naht der offenen Wundbehandlung, d. h. der Drainage
des Ductus hepaticus, in jeder Beziehung nachsteht. Der Um¬
stand, dass Steine im Ductus clioledochus und hepaticus sich lange
Zeit latent verhalten können und sich, weil sie hoch im Hepatikus
sitzen, der Palpation vollständig entziehen, hat mich im letzten
Jahr veranlasst, der Ektomie fast stets die Hepatikusdrainage
hinzuzufügen, weil man nur auf diese Weise den Steinen bei¬
kommen und später eintretenden Rezidiven entgegentreten kann.
Nimmt man einmal das Messer zur Hand, so muss man gründlich
operieren, und im freien Intervall, wo die Entzündung fehlt, wird |
die Gefahr der Ektomie durch Hinzufügung der Hepatikusdrainage
kaum erhöht. Bei einem sonst noch widerstandsfähigen Patienten,
dessen Lungen, Herz und Nieren noch intakt sind und dessen
Gallenwege frei von eitriger Entzündung und Karzinom sind,
schätze ich die Mortalität der Ektomie inklusive Hepatikus¬
drainage nicht höher als 2—3 Proz. Doch davon wollen wir später
reden.
Unter den komplizierenden Eingriffen am Magen, Darm,
Pankreas u. s. w. finden Sie unter No. 20, 42 Fälle, bei denen
Probeinzisionen wegen Karzinom und Tuberkulose vorgenommen
wurden. Unter dieser Rubrik habe ich auch jene Fälle unter¬
gebracht, bei denen statt der vermuteten Gallensteine sich nur
Adhäsionen vorfanden. Verwachsungen an der Gallenblase, be¬
sonders solche am Hals und am Cystikus, können, worauf ich
schon in früheren Publikationen hingewiesen habe, dieselben Er¬
scheinungen machen wie Steine. Die Galle kann sich nicht voll¬
kommen entleeren; es kommt durch Stagnation zu entzündlichen
Prozessen, welche die Koliken auslösen. Ich habe mich häufig
begnügt, die Verwachsungen zu lösen oder eine Gallenblasenfistel
anzulegen; will man aber sicher vor Rezidiven geschützt sein, so
möchte ich Ihnen in solchen Fällen empfehlen, die Gallenblase
zu entfernen.
Im übrigen hat jede Probeinzision, die ich bei hochgradigen
Beschwerden und mangelndem Untersuchungsbefund ausgeführt
habe, Verhältnisse auf gedeckt, welche die Gefahren der Narkose
und des blutigen Eingriffes rechtfertigten. Ich habe niemals um¬
sonst wieder die Bauchhöhle geschlossen, bin aber ganz der Mei¬
nung, dass man von der Probeinzision keinen zu ausgedehnten
Gebrauch machen soll. Es gibt aber Fälle, bei denen selbst der
beste Diagnostiker nicht ein noch aus weiss. Dann soll man,
vorausgesetzt, dass die Schmerzen sehr intensiv sind und jeder
inneren Behandlung gespottet haben, getrost zum Messer greifen:
meine Patienten und ich haben in solchen Fällen den gemein¬
samen Entschluss niemals zu bereuen gehabt.
Das Karzinom der Gallenblase sehen wir Chirurgen sehr
häufig, ungefähr in 10 Proz. der Fälle, die uns zugehen. Aber
wenn wir bedenken, wie viele Tausende von Menschen Gallen¬
steine haben und dass ca. 95 Proz. der Gallensteinträger von ihren
ungebetenen Gästen niemals etwas spüren, so muss man doch
sagen, dass das Karzinom der Gallenblase eine sehr seltene Kom¬
plikation der Cholelithiasis ist. Aus der unumstösslichen Tatsache,
dass die Steine durch Druck und Reiz zur Entstehung von Kar¬
zinomen beitragen, die Forderung ihrer frühzeitigen Entfernung
abzuleiten, ist schon deshalb nicht durchzuführen, weil die aller¬
meisten Gallensteinkranken, die später ein Karzinom bekamen,
niemals von ihren Steinen etwas gefühlt haben. Erst wenn das
Karzinom so gross geworden ist, dass es der Palpation zugäng¬
lich wird, macht es Symptome. Aber dann nützt auch eine Ope¬
ration nichts mehr. Am besten ist es, man behandelt solche
Kranke mit der Morphiumspritze.
Ich habe aber dann und wann bei weit fortgeschrittenem
Karzinom der Gallenblase operieren müssen, obgleich ich die volle
Gewissheit hatte, dass der Eingriff nicht viel nützen würde. Der
betreffende Arzt, der mir den Patienten überwies, hatte diesem
erklärt: Nur eine Operation kann noch helfen. Ich wollte den
armen Kranken die letzte Hoffnung auf Heilung nicht nehmen;
sie wussten ganz genau, dass, wenn sie nicht operiert wurden, sie
unter allen Umständen verloren waren. Der Chirurg, der in sol¬
chen Fällen eine Operation seiner Statistik zuliebe ablehnt, handelt
nach meiner Auffassung inhuman. Zwar bin ich froh, wenn diese
Kranken nichts von einer Operation wissen wollen; aber wünschen
sie dieselbe unter allen Umständen, auch auf die Gefahr, hin, dass
sie unglücklich verläuft, so führe ich dieselbe aus: ein baldiger
Tod ist für solche Patienten nur eine Erlösung. Diese meine Auf¬
fassung bitte ich nachher bei dem Bericht über die Sterblichkeit
nach meinen Operationen zu berücksichtigen.
Recht häufig kombiniert sieh das Karzinom der Gallenblase
mit eitriger Cholecystitis. Man diagnostiziert ein Empyem, hofft
auf einen günstigen Verlauf und ist überrascht, neben dem Em¬
pyem ein Karzinom zu finden. Die Cystostomie, die man dann
ausführt, beschleunigt nur das Ende, wenn auch die Schmerzen
erheblich gemindert werden.
Wegen Gallensteinileus habe ich 3 mal operiert; alle 3 Kranke
sind gestorben, aber nicht an den Folgen der Operation, sondern
weil die Einklemmungen schon zu lange bestanden und zur Per¬
foration resp. zur Peritonitis geführt hatten. Ich gebe zu, dass
viele Fälle von Gallensteinileus auch beim Abwarten günstig ver¬
laufen, in den meisten wird aber der Chirurg zu spät um Hilfe
angegangen.
Unter 274 Cystektomien habe ich nur 1 mal wegen einer
Nachblutung die Bauchhöhle wieder eröffnen müssen. Der Patient
ging aber, da die Operation sehr rasch ausgeführt werden musste
und die aseptischen Massnahmen nicht mit der gewöhnlichen
Peinlichkeit durchgeführt werden konnten, an Sepsis zu Grunde.
Nachblutungen aus der Arteria cystica sind durch gute Unter¬
bindungen zu verhüten; manchmal ist mau gezwungen, die Klam¬
mern liegen zu lassen, da man in der Tiefe des Wundtrichters nicht
unterbinden kann. Die Blutung aus dem Leberbett stand stets auf
Tamponade mit steriler Gaze. Den Paquelin habe ich auch nicht
ein einziges Mal benutzt; die Vaporisation anzuwenden, dazu hatte
ich auch keine Veranlassung.
Weiterhin wird Ihnen unter No. 25 und 26 die grosse Zahl der
Gastroenterostomien und Pyloroplastiken, zusammen 88, auffallen.
In der Tat waren ca. 12 Proz. der Gallensteinleiden durch Magen¬
affektionen kompliziert und es hatte sich auf dem W ege der Peri¬
cholecystitis und Peripyloritis eine Stenose am Pylorus ausgebildet.
Nach Trennung der Adhäsionen habe ich bei hochgradigen Ste¬
nosen 63 mal gastroenterostomiert (13 mal in Verbindung mit der
Enteroenterostomie zur sicheren Verhütung des Circulus vitiosus).
Bei 25 habe ich die Pyloroplastik geübt, doch möchte ich, wenn
man einmal die Stenose gründlich beseitigen will, der allerdings
gefährlicheren Gastroenterostomie den Vorzug geben. In einigen
Fällen war die Cholelithiasis kompliziert mit Ulcus ventriculi und
duodeni und deshalb eine Gastroenterostomie nötig.
Unter No. 33 finden Sie 18 Appendektomien verzeichnet.
15 mal war die Appendix krank, 3 mal gesund und trotz der ver¬
nichtenden Kritik des Herrn v. Hippel habe ich, wie gesagt,
3 mal die gesunde Appendix dann entfernt, wenn kein besonderer
Bauchdeckenschnitt öder eine Erweiterung desselben nötig war,
die ursprüngliche Operation glatt von statten ging und sich ge¬
rade das Coekum mit seinem nichtswürdigen Anhang in die Bauch-
wunde einstellte. Wie wichtig es aber ist, bei einer Gallenstein¬
operation sich daran zu erinnern, dass etwaige Gallenbeschwerden
4*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
1752
durch eine gleichzeitige Appendicitis simplex resp. larvata we¬
sentlich erhöht werden können, möge Ihnen ein Fall beweisen,
bei welchem neben Cholelithiasis ein schwer kranker Wurmfort¬
satz aufgefunden wurde, obgleich niemals ein typischer Anfall
von Appendizitis beobachtet worden war. Dass diese Krankheit
von vorneherein ganz chronisch verlaufen, d. li. ohne akute Exazer¬
bationen auftreten kann, ist eine noch nicht sehr lange bekannte
Tatsache. Dank der aufklärenden Dienste der chirurgischen
Autopsien in vivo haben wir über diese Verhältnisse guten Auf¬
schluss erhalten. Es handelte sich um einen Chirurgen aus
Amerika, der gallensteinkrank war und wünschte, dass ich auch
seiner Appendix bei Gelegenheit meiner Gallensteinoperation meine
Aufmerksamkeit zuwenden solle. I >ie Amerikaner sind gewiss
praktische Leute und gehen mit der Entfernung der Appendix nicht
so zimperlich um wie wir. Und auch in diesem Fall hatte der
Vorschlag des amerikanischen Kollegen sehr viel praktischen
Sinn; denn in der Tat fand ich neben einer chronischen Chole¬
cystitis einen stenosierten und ulzerierten und verwachsenen
Wurmfortsatz. Er wanderte natürlich in das Präparatenglas.
Von den weiteren komplizierenden Operationen möchte ich
nur noch über die Pankreaserkrankungen, die Hepatopexie und
die Nephropexie einige Worte einflechten.
Ich habe in den letzten Jahren immer das Pankreas ab¬
getastet und, soweit man sich auf das Gefühl seiner Fingerspitzen
verlassen kann, es nur in 06 Proz. normal, d. li. nicht verdickt
und vergrössert vorgefunden und ich bin in der Tat der Ueber-
zeugung, dass die Bauchspeicheldrüse ausserordentlich häufig in¬
folge von Cholecystitis und Cholangitis erkrankt. Die 7 Cysto-
gastrostomien (unter No. 14) und die 10 Cystenterostomien (unter
No. 15) sind nicht nur wegen Pankreaskarzinom ausgeführt wor¬
den, sondern wegen chronischer Entzündung im Pankreaskopf,
auf welche Krankheitsform zuerst hingewiesen zu haben, Itiedel
das Verdienst gebührt. ist man gezwungen eine Anastomose
zwischen Gallenblase und Darm auszuführen, so möchte ich das
Vorgehen von Majo Robson, der gern die Gallenblase mit dem
Kolon verbindet, verwerfen. Denn hierbei ist die Möglichkeit
einer aufsteigenden Cholangitis gegeben und dann wird die Galle
bei der Darm Verdauung nicht ausgenutzt. Ich führte in den letz¬
ten Jahren mit Vorliebe die Anastomose zwischen Magen und
Gallenblase aus und habe niemals durch Einlaufen von Galle in
den Magen einen schädlichen Einfluss auf die Verdauung und den
Appetit bemerkt. Kein Patient hat Galle erbrochen oder sonst
über Beschwerden geklagt. Anderweitige Pankreaserkrankungen,
wie Pankreascysten und Nekrose habe ich selten beobachtet,
möchte aber doch einen Zusammenhang mit der Cholelithiasis in
den von mir operierten Fällen nicht gänzlich leugnen.
Die Nephropexie, die ich unter den ersten 360 Fällen 5 mal,
unter den letzten nur 1 mal ausgeführt habe, ist eine Operation,
deren Notwendigkeit und Nützlichkeit ich in den meisten Fällen
von jeher bezweifelt habe. Ich will damit nicht sagen, dass sie
vollkommen überflüssig ist, aber ich habe im allgemeinen durch
die Bandagenbehandlung so gute Erfolge erzielt, dass ich selten
einen Grund fand, gegen dieses Leiden operativ vorzugehen.
Die Hepatopexie führe ich aus, erstens bei Hepatoptose und
zweitens bei der Ektomie, um den subphrenischen Raum abzu-
schliessen. Zwar ist der subphrenische Abszess keine häufige
Komplikation nach Gallensteinoperationen, aber seine Entstehung
wird nach einer Exstirpation einer infizierten und bei der Opera¬
tion eröffneten Gallenblase durch die Hepatopexie fast sicher ver¬
mieden. (Schluss folgt.)
Aus der Privatpraxis und dem Institut für Hygiene und Bak¬
teriologie in Strassburg i. E. (Direktor: Prof. Dr. J. Förster).
Eine Endemie von Paralyphus.
Von
F. M. G. de Fey fer «»d Dr. med. Heinr. Kayser,
praktischem Arzt in Eibergen I. Assistenten des hygienischen
(Holland). Inst tuts in Strassburg.
(Schluss.)
Resümierend haben wir es hier in Eibergen mit einer
Paratyphusendemie zu tun ; die Krankheit zeigt fol¬
genden Charakter bezw. Symptomenbild :
1. Ein kurzes Prodromalstadium leitet sie ein
(1 — 4 Tage); es ist durch unregelmässige Temperatursteige-
rungen gekennzeichnet (nicht höher als 38 0 C.), durch Appetit¬
losigkeit, oft auch Kopf-, Rücken- und Gliederschmerzen.
2. Der Verlauf ist gutartig, wie heftig sich auch die
Erkrankung u. U. im Anfang anlässt. Die Rekonvaleszenz dauert
kurz und die Patienten werden nicht sehr von der Krankheit
mitgenommen.
3. Der akut-infektiöse Charakter steht un¬
zweifelhaft fest. Auf Grund unserer Wahrnehmungen bei den
Hausepidemien können wir sagen, dass der Paratyphus sich leicht
auf die Umgebung des Patienten überträgt. Erkrankten doch
im Laufe der Hausepidemie I alle diejenigen Familienglieder,
welche mit M. A. (No. 1) in direkter Berührung gewesen waren.
4. Die Temperaturkurve ist typisch ; in den leichten
wie schweren Fällen kann man ein remittierendes und
intermittierendes Fieberstadium wahrnehmen. Im
remittierenden Stadium ist manchmal eine Morgen- und Abend¬
exazerbation zu konstatieren. Bisweilen fällt das Fieber kritisch
ab. — Die Mischinfektion — Typhus + Paratyphus
(No. 13) — verlief a f e b r i 1.
5. Die Pulsfrequenz stimmt im ganzen zu der
Temperaturhö li e. Der Puls ist regelmässig, äqual, weich
und bisweilen (während des intermittierenden Fieberstadiums)
klein.
6. Was die Erscheinungen am Tr actus intestinalis
betrifft, so wird bisweilen im Krankheitsbeginn Vomitus und
Magengurren (Borborygmus) wahrgenommen. Die Zunge ist
fast immer mehr oder weniger belegt. Bauchschmerzen kommen
vor; dabei ist der Leib nicht druckempfindlich. Stets kann man
ein Ileocoekalgeräusch konstatieren. Die Milz ist ge¬
wöhnlich nicht palpabel, aber oft perkutorisch vergrössert.
East immer besteht starker Durchfall, dem u. U.
ein Zustand von Obstipation folgt. Der dünne Stuhl ist gelb
und stark riechend. Der Urin zeigt saure Reaktion (spez. Gew.
ungefähr 1020) und ist meist eiweissfrei. Anfangs enthält er
viel Sedimentum lateritium. ln den daraufhin untersuchten
Fällen bestand positive Diazoreaktion und starker
Indik angeh alt.
7. Das Sensor ium findet man gewöhnlich frei. Dann
und wann sind die Pat. etwas somnolent und apathisch.
8. Roseolen wurden in der Hälfte der Fälle angetroffen.
9. Das Blutserum der Patienten agglutinierte in allen
daraufhin untersuchten Fällen die Paratyphusbazillen des
Typus B. (Bezüglich der Details s. u.)
10. Bronchitis ist eine oft vorkommende Komplikation.
11. Angina wird häufig im Beginn der Erkrankung kon¬
statiert.
12. Leichte Darmblutungen sieht man spärlich.
Hier mögen noch einige Bemerkungen zur Klinik unserer
Fälle Platz finden: Einige Male wäre bei den ersten unserer
Erkrankungen fast die Diagnose Typhus abdominalis aus¬
gesprochen worden, so bei der Hausepidemie P., wo Roseolen,
palpable Milz, Durchfall und Diazoreaktion die klinische Dia¬
gnose Typhus zu sichern schienen. In der Hausepidemie M.
jedoch konnte die Diagnose durchaus nicht gestellt werden. Wir
fanden eine normale Milz in zwei Fällen, ein wenig vergrössert
war sie bei dreien. Zwei Roseolen wurden im Fall 2 gesehen,
aber darauf liess sich bei den übrigen Erscheinungen keine Dia¬
gnose „Typhus“ bauen. Die Fieberkurve sprach bald für, bald
gegen diese Krankheit, so z. B. in Fall 2 mit seinem remittieren¬
den und intermittierenden Teil, und in Fall 3, dessen Temperatur¬
zeichnung der verkürzten Reproduktion einer Typhusfieberkurve
ähnelt. Sicher festgestellt war die ansteckende Natur der Er¬
krankung. Bei Pat. v. d. L. (9) hätte die Diagnose Typhus auf
Grund des Bestehens einer Milzvergrösserung, Roseolen, posi¬
tiver Diazoreaktion und der Pulsbeschaffenheit gestellt werden
können. Doch war der Beginn der Erkrankung derart, dass zur
Sicherung der Diagnose das Blut auf seine Agglutinationsfähig¬
keit für verschiedene Bakterien untersucht wurde. Das Resultat
dieser Untersuchungen bildete den Ausgangspunkt unserer wei¬
teren Beobachtungen.
Fälle, wie die von uns wahrgenommenen, finden sich von
Schott m filier, Kurth und Brion - Kayser be¬
schrieben. Von Juni bis Dezember 1899 untersuchte Schott¬
müller alle ihm zugänglichen, klinisch als solche bezeichneten
Fälle von Typhus zu Llamburg (St. Georg). In 80 Proz. der¬
selben gelang es ihm, den spezifischen Krankheitserreger (B. typhi)
aus Armvenenblut zu züchten. In einem Falle jedoch fand er
einen Bazillus, welcher sich durch seine Kultureigenschaften von
dem E b e r t h sehen unterschied. Der klinische Verlauf war
dem des Typhus abdominalis ziemlich ähnlich. Diese Unter¬
suchungen setzte Schottmüller auch im J ahre 1900 fort,
und unter 68 Fällen, die klinisch als Typhus abdominalis galten,
fanden sich wieder 5, deren Krankheitserreger die obigen Stäb¬
chen waren. Er konnte selbst zwei Arten von „typhusähnlichen
Bakterien“ unterscheiden.
Kurth in Bremen untersuchte ebenso im Jahre 1900 eine
grosse Anzahl von derartigen Fällen. Hierunter waren 5, bei
welchen die klinische Diagnose Typhus sicherstand, wiewohl d i e
21. Oktober 1902.
MUENCITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1753
Gruber-W idalsche Reaktion immer negativ
ausfiel. Kurth vermochte den spezifischen Krankheits¬
erreger durch die Serumreaktion und Züchtung nachzuweisen.
Er meinte die Ursache der schon vergessenen Febris gastrica ge¬
funden zu haben, und nannte den von ihm gefundenen Bazillus :
B. bremensis febris gastricae. — Im Jahre 1901 fanden Brion
und Iv ay s e r in dem Blut einer Patientin, welche an Gastralgie
(und florider Gonorrhöe) litt, einen „typhusähnlichen“ Bazillus.
Kayser, welcher in den Besitz der von Iv u r t h und Schott-
m ü 1 1 e r gezüchteten Bazillen kam, konnte durch vergleichende
bakteriologische Untersuchung entscheiden, dass die bis dahin
gefundenen Bakterien auf 2 Typen zurückzuführen sind: das
Bacterium paratyp hi Typi A und B. Vertreter von
beiden Typen waren unter Schottmüllers Fällen.
Hie Benennung der Krankheit als „P aratyphu s“ wurde
von Schottmüller erstmals gebraucht. — Wir sind nach
den Resultaten des einen von uns, sowie von B r u n s und
Kayser im stände, die bis jetzt in der Literatur beschriebenen
Fälle von Paratyphus folgendermassen zu gruppieren:
Typus A: 2 Fälle von Schottmüller, 1 Fall von
Brion - Kayser.
Typus B : 5 Fälle von Schottmülle r, 5 Fälle von
K u r t h, 13 bezw. 14 Fälle von uns (1 Mischinfektion — Pat.
No. 13).
Was die Bakteriologie dieser Fälle anlangt, so stehen
ihre Krankheitserreger zwischen dem B. typhi
abdominalis und dem Bact. coli commune. Hie
Lebenseigenschaften dieser beiden Stäbchen dürfen wir als be¬
kannt voraussetzen. Die Typen A und B des Bacterium
paratyplii zeigen Zuckervergährung bei fehlender Milch¬
koagulation und unterscheiden sich ferner dadurch von Bact.
typhi, dass sie Neutralrotagar (Schüttelkultur nach Roth-
b e r g e r) zum Fluoreszieren bringen , sowie aufhellen.
Auf dem Milchzucker-Lackmus-Boden nach v. Drygalski-
G o n r a d i bilden beide, wie die Typhusbazillen, einen
blauen Rasen. Indol ist bei beiden in alten Bouillonkulturen
nicht nachzuweisen. Ihren Gelatinekolonien fehlt die aderförmige
Obertlächenfurchung, welche die Koli- und Typhusbazillen
haben, sowie kurz nach der Reinzüchtung aus Krankenmaterial
deren Buchten. Durch folgende Eigenschaften lassen sich
die Typen A und B des B. paratyphi voneinander trennen :
Typus A wächst auf allen Nährböden viel zarter und lang--
samer als Typus B. Die glänzenden, dünnen, runden Gelatine¬
kolonien von Typus A sind fast farblos, von Typus B dagegen
dicker und weisslich. Auf der Kartoffelscheibe ent¬
wickelt sich Typus A unsichtbar wie Bact. typhi, Typus B als
graubrauner, dicker Belag wie Bact. coli commune. In Lack¬
musmolke bildet Typus A geringe Mengen Säure, ebenso
wie Bact. typhi, bei Typus B wird die anfangs ebenfalls saure
Molke von der zweiten Woche ab alkalisch. Auch ihr Verhalten
in der Milch ist ein verschiedenes : Typus A lässt dieselbe un¬
verändert, Typus B hellt die Milch nach Wochen (ohne vorherige
Koagulation) fast völlig auf.
Auf die Agglutinationsverhältnisse insbeson¬
dere des Typus A sind schon A. Brion und H. Kayser ein¬
gegangen; unter Einbeziehung des Typus B und mit Berück¬
sichtigung der Gruppenagglutination haben kürzlich H a y o,
Bruns und H. Kayser diese Frage experimentell behandelt.
Sie erklären es als bewiesen, dass die bekannten Ver¬
treter von Bact. paratyphi des Typus A und B
(welch letzterem der Bacillus bremensis febris gastricae angehört)
kulturell und bezüglich ihrer Agglutinin¬
empfindlichkeit je eine Einheit dar stellen,
ebenso wie die BB. typhi abdominalis.
Sie stellten ferner fest, dass ein K a n i n c h e n i m m u n -
s e r u m, welches sein Bact. paratyphi des T y pus A im
Maximum bei einer Zugabe von 1 Teil Serum auf 2500 Teile
12 stündiger Bouillonkultur agglutiniert (mikroskopische Grenze),
auch im Verhältnis 1 : 50 u n w i r k s a m für B a c t. p ara-
typhi des Typhus B, für BB. typhi abdominalis
und eine Anzahl Typhusverwandte ist.
Versuche mit dem Serum zweier Kaninchen, die i n
gleichem Masse gegenüber 2 Vertretern des B a c t. p a r a -
typhi Typ. B immunisiert waren (1 : 2500 -(-), ergaben
andere Resultate. Hier wurden Typhusbazillen im Maxi¬
mum bis zu einer Serumverdünnung 1 : 100 mitagglutiniert
No. 42.
(mikroskopische Probe), dagegen erwies es sich auch bei noch stär¬
keren Zusätzen als unwirksam für B. paratyphi
Typ. A. \ on den nahestehenden Fleischvergiftungsbakterien
ist diesem I ypus B der Bae. breslaviensis Känsche am
nächsten verwandt, wie die Gruppenagglutinationsresultate lehren.
Schottmüller sah (mit einer einzigen Ausnahme) niemals,
dass die Patientenseren des Typus B das Bact. paratyphi Typ. A
agglutinierten, und ebensowenig das Umgekehrte von den Paten -
tenseren des Typus A. Bei seinem Ausnahmefall hat wohl
Mischinfektion Vorgelegen.
Bruns und Kayser schliessen folgendes aus ihren Ver¬
suchen und Strassburger Erfahrungen : Klinisch diagnostisch ist
ein rascher positiver Ausfall der Reaktion (makroskopisch) nach
dem Zusatz von 1 Teil Serum auf 75 Teile 12 stündiger Bouillon¬
kultur der betreffenden Bakterien für das Bestehen eines Para¬
typhus beweisend. Sehr hochwertige Patienten¬
seren können infolge von Gruppenagglutination Typhus
und Paratyphusstäbchen zusammen ballen. Bei
solcher Familienagglutination liegen die
Agglutinationsmaxima meist um ein 20- und
mehrfaches auseinander. Nähern sie sich beträchtlich,
so ist vermutlich Mischinfektion im Spiel und der
Castellani sehe Versuch muss angestellt werden. (Auf diesen
gehen wir unten ein.)
Nach diesen Untersuchungen besteht ein Parallelismus
zwischen Agglutinationstiter eines Immunserums
und der Ausdehnung der Gruppenagglutina¬
tion auf Verwandte des Bakteriums, gegenüber welchem das
Agglutinationsvermögen hervorgerufen wurde.
Die Agglutinationsproben, welche mit den Seren unserer
Patienten angestellt wurden, und deren Resultate zum Teil bei
der Schilderung der Krankengeschichten angeführt sind, liefern
interessante Bestätigungen. Die Agglutinations¬
maxima (mikroskopisch) unserer Patienten-
seren für das B. paratyphi Typus B (ein von Fall Seemann
Schottmüllers stammendes Bakterium, und ein solches von
Kurt h’s Fällen) schwanken zwischen Serumver¬
dünn u n g e n v o n 1 : 120 (No. 14) und 1 : 5700 (No. 11). Alle
diese Seren hatten keinen Einfluss auf B. para-
typhi (B) des Typus A (1: 33). Als Vertreter des Typus A
wurden die Stäbchen vom Fall Müller Schottmüllers,
und Fall S. Brion-Kaysers verwandt.
Was das Verhalten zum B. typhi abdominalis
anlangt, so wurde dieses durch unsere niedrigwertigen
Patientenserennicht agglutiniert (1 : 33), dagegen durch
die beiden ziemlich starken Seren No. 11 und 12 der Haus¬
epidemie P. Serum No. 11 (Agglutinationsmaximum = 1: 5700)
rief in einer Verdünnung von 1:60 rasch makroskopisch
erkennbare Agglutination der Typhusbazillen hervor, beim
Zusatz 1 : 120 war sie nur noch mikroskopisch festzustellen, einige
Bazillen bewegten sich. Serum No. 12 agglutinierte B. typhi
etwas niedriger. Wir sind geneigt, hier eine Gruppen¬
agglutinationswirkung anzunehmen, gestützt auf die
oben angeführten Erfahrungen mit dem Serum immunisierter
Kaninchen. Das weite Auseinanderliegen der Agglutinations¬
maxima für B. paratyphi Typ. B und B. typhi, sowie schliesslich
der "V erlauf der Fälle sprechen ebenfalls für diese Annahme. So
wie hier die Verhältnisse lagen, war der Castellani sehe Ver¬
such nicht durchführbar.
Dagegen sollte er uns im Fall No. 13 Aufklärung verschaffen.
Castellani trägt, wenn ein Serum 2 (oder mehr) Bakterien
agglutiniert, zur Entscheidung der Frage, ob Mischinfek¬
tion besteht, in mehreren Zwischenräumen solange Bazillen¬
aufschwemmungen einer Art in das verdünnte Immunserum, bis
die Agglutinationskraft = Null für diese Mikroorganismen ist.
Nachdem die Röhre längere Zeit im Eisschrank ruhig stand,
wird das ziemlich klare Serum abpipettiert. Im Falle einer
Mischinfektion agglutiniert es das zweite Bakterium in un¬
geschwächtem Masse. War die Doppelagglutination nur ein
Ausdruck der Bakterienverwandtschaft, so ist sie natürlich er-
loschen, nachdem die Agglutinine durch das stärkst beeinflusste
Bakterium gesättigt sind. Das Seru m von N o. 13 B. M. zeigte
1 : 720 noch positive (mikroskopisch) Reaktion für Typhus¬
bazillen, und das B. paratyphi Typ. B wurde bis 1 : 1440
agglutiniert (mikr.). Hier gelang es, mit Hilfe des
ebengenannten Versuches, die Diagnose einer Misch-
5
1754
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
inf ektion (Typhus + Paratyphus) zust.ellen. Die
nach Castelia ni behandelte abpipettierte Flüssigkeit enthielt
noch einige wenige bewegliche Paratyphusbakterien. Trug man
in einen Teil dieses Serums neue Paratyphusbakterien Typus B
ein, so blieben dieselben lebhaft beweglich und keine Häufchen
waren zu bemerken ; die andere Hälfte, mit Typhusbazillen
vermischt, agglutinierte die neueingeführten Stäbchen augen¬
blicklich ").
Einen Gruppenagglutinationsversuch haben
wir mit dem hochwertigen Serum des Falles P. D. No. 11 an¬
gestellt. Es wurde am 5. Juni 1902 entnommen. Folgende Bak¬
terien wurden verwandt :
1. B a c t. paratyp hi Typ. B (2 Stämme) 1 : 3000 positiv
rna. ; 1 : 5700 positiv mi.
2. Baet. paratyphi Typ. A (2 Stämme) 1 : 33 n e g a -
t i v mi.
3. B a c t. typhi (E b e r t h) 1 : 60 positiv ma. ; 1 : 120
positiv (?) mi.
4. B a c. breslaviensis (K ä n s c h e) 1 : 360 positiv
ma.; 1:720 positiv (?) mi.
5. Bac. G a u s t a d (FI ölst) 1 : 180 positiv ma. ; 1 : 360
positiv (?) mi.
6. Bac. Bäcker (Holst) 1 : 60 negativ mi.
7. Bac. Morseelensis (v a n E r m enghe m) 1 : 60
n e g a t i v mi.
8. Bac. Abel 1: 60 negativ mi.
9. Bac. morbificans bovis (Forster-Basenau)
1 : 60 positiv (?) mi.
10. Bac. enteritidis (Gärtner) 1:60 negativ mi.
11. Bac. Friedebergenais (Gaffky-Paak) 1 : 60
negativ mi.
12. B a c t. paracoli (Kayser) 1 : 60 negativ mi.
No. 4 — 11 sind Fleischvergiftungsbakterien.
die zwischen Bact. typhi und coli stehen, No. 6 stammt von einer
Käse Vergiftung (ma. =-• makroskopische, mi. = mikro¬
skopische Probe, ? = einige wenige Stäbchen bleiben unbeein¬
flusst, die überwiegende Mehrzahl ist agglutiniert).
Die Agglutinationsresultate stimmen mit den Befunden
B r u n s und Ifaysers bei ihren Tierversuchen überein.
Die Krankheitserreger selbst waren in keiner der
daraufhin untersuchten Blutproben nachzuweisen. Doch muss
hier bemerkt werden, dass zu den diagnostischen Zwecken, in
jedem der Fälle nur wenige Tropfen Blut zur Verfügung standen.
Die Paratyphen sind gar nicht so selten. Schottmüller
fand unter 118 Fällen, die klinisch als Typhus abdominalis an¬
gesehen waren, 7 Paratyphen, Kurt h unter 62 Fällen 5. Im
ganzen wurden also 12 Pa r a t y p hen unter 180 vorher
als Typhen geltenden Fallen festgestellt — 6,6 Proz.
Unsere Eibergener Fälle tragen den Charakter einer En¬
demie. Vergleichen wir sie mit denen von Schottmüller
und Kurt h, so sehen wir, dass im grossen und ganzen letztere
schwerer als die unserigen verliefen. Das F ieberstadium dauerte
länger und die Kurve glich mehr der des Typhus abdominalis.
Im Verlauf der 10 Fälle (Bakterientypus B) beobachtete man
2 mal Obstipation, 2 mal normalen Stuhlgang und 6 mal bestand
Durchfall. Auch hier war Bronchitis eine oft vorkommende
Komplikation, welche in 10 Fällen nur 4 mal fehlte. Roseolen
wurden in 8 der 9 Fälle gesehen, bei welchen davon die Rede ist.
Die Zunge war meist trocken und belegt; zerebrale Erscheinungen
traten viel mehr in den Vordergrund als bei der Eibergener En¬
demie. Ferner währte das Rekonvaleszenzstadium länger als bei
unseren Patienten.
Oft fühlten unsere Patienten sich so wenig krank, dass
sie nicht das Bett aufsuchten, zum Teil sogar ihre Arbeit weiter
verrichteten ; wir könnten also von einem Paratyphus a m -
bulatorius reden.
Differentialdiagnostisch und hygienisch, wegen
der Möglichkeit der Verschleppung, sind folgende Krankheiten
wichtig :
1. Typhus abdominalis und zwar besonders a) Typhus
levissimus, b) Typhus abortivus, c) Kindertyphus.
i Hierbei ist zu bemerken, dass die Diagnose einer „ Misch -
infoktion“ von bakteriologischer Seite ohne Kenntnis vom Verlauf
des Falles gestellt wurde; aus der Krankengeschichte und Fieber¬
kurve erkennt man in der Tat ein von den übrigen Fällen ver¬
schiedenes Krankheitsbild.
2. Die typhöse For m der Influenza.
3. Catarrhusgastro-intestinalis (mit oder ohne
Fieber).
Schon oben gelten einige Worte dem Versuch einer klinischen
Abgrenzung unserer Krankheit gegenüber dem I yphus abdomi¬
nalis. An einfachen Catarrhus gastro-intestinalis wurde anfangs
in den Fällen 1 und 13 gedacht. Bei dem weiteren Verlaufe wurde
aber diese Diagnose auf gegeben, und, als andere. Familienmit¬
glieder ergriffen wurden, an eine typhusähnliche Krankheit ge¬
dacht. (Die bakteriologische Untersuchung deckte bekanntlich
den letzteren Fall dann als solchen von Mischinfektion durch
Typhus- und Paratyphusbazillen auf). Bei den Patienten 10, 11
und 12 stellte man anfangs die Diagnose „typhöse Form von In¬
fluenza“, doch bald zeigte es sich, dass hier eine Erkrankung
vorlag, welche dem Typhus abdominalis ähnlich war, aber gut¬
artiger verlief.
In der folgenden Zusammenstellung ist in Prozenten die
Häufigkeit des Vorkommens der Paratyphussymptome aus-
gedrückt,, welche auch für den Typhus abdominalis als kenn¬
zeichnend angenommen werden. Wir nahmen nur die¬
jenigen I1 ä 1 le auf, deren Krankheitserreger das Bact.
paratyphi des Typus B war ; auch die von Schott-
m ü 1 1 e r und K u r t li fanden hier Platz.
Die durch sch nittlicheDauer war 20 Tage. Man
kann sie, wenn die Verlängerung durch Komplikationen ab¬
gezogen wird, wohl noch kürzer annehmen.
Roseolen: In 23 der 24 F’älle wurde auf Roseolen ge¬
achtet; sie kamen in 56 Proz. vor, manchmal nur in spär¬
licher Fleckenzahl.
Milz: In 42 Proz. der Fälle war die Milz nicht
vergrössert, in 12,5 Proz. nicht palpabel, in 16,5 Proz. per¬
kutorisch vergrössert, in 29 Proz. wenig vergrössert. Ein leil
der letzteren 29 Proz. kann wohl fast unter die Fälle mit nor¬
maler Milz gerechnet werden.
Sensor ium: ln 55 Proz. war dies vollkommen
frei, d. h. es bestand weder Somnolenz noch Apathie (Kopf-
! schmerzen sind hier nicht berücksichtigt).
U rin: Bei fast 21 P r o z. fand man E i w e i s s ; in 66 Proz.
der hierauf untersuchten Fälle (15) war die Diazoreaktion
positiv.
Komplikationen: In 41 Proz. bestand Bron¬
chitis. Einmal wurde Nasenbluten im Beginn wahrgenommen.
Der Typhus levissimus kennzeichnet sich nach
Jürgense n durch einen plötzlichen Anfang mit Schüttelfrost
und das Fehlen eines intermittierenden Fieberstadiums, 1^ i eb e r-
I m e i s t e r wiederum beschreibt einen allmählichen Beginn ohne
Schüttelfrost. Bei Typhus abortivus und Kinder¬
typ h u s soll der plötzliche Anfang eine Ausnahme darstellen,
und die typische Typhusfieberkurve zu finden sein. Vergleicht
man das obige Symptomenbild mit entsprechenden Details aus
den Arbeiten Jürgen sens, Liebermeisters und II e -
noch s, so lässt sich der Paratyphus bei keiner der drei unter¬
schiedenen Formen von leichtem Typhus unterbringen. Wir
erkennen ferner, dass die Differentialdiagnose,
ob Typhus oder Paratyphus v o r 1 i e g t, allein auf
Grund der klinischen Beobachtungen ein Ding
der Unmöglichkeit ist.
Das Bild der einzelnen Typhusfälle, sowie von Typhus¬
epidemien wechselt sehr. Der Typhus abdominalis lässt sich
nicht in den klinischen Panzer einzwängen, den man ihm gerne
schmiedet. Was die früher beschriebenen leichten Typhusfälle
anlangt, so wäre es sehr wichtig gewesen, wenn immer Aggluti¬
nationsversuche stattgefunden hätten. Man würde dann die
Gruber-Widal sehe Reaktion wohl mehr als einmal vermisst
haben, und hätte heute Grund, an Paratyphus zu denken. Für
die Kenntnis und Diagnose von Typhus und Paratyphus i s t
jetzt die bakteriologische Untersuchung eine
gebietende Notwendigkeit geworden.
Noch sind die Erkrankungsfälle zu erwähnen, bei welchen
das Bact. paratyphi des Typus A als Erreger an¬
zusprechen ist. Schottmüller und Brio n-K a y s e r haben
drei derselben wahrgenommen und beschrieben.
Die Fieberkurve ist der des Paratyphus, welcher vom
Stäbchentypus B verursacht wird, ziemlich ähnlich. Die Krank¬
heit hatte eine kurzes Prodromalstadium. In einem Falle be¬
stand Durchfall, einmal normaler Stuhlgang und einmal Obsti-
21. Oktober 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1755
pation. Immer beobachtete man p a 1 p a b 1 e Milz und
Roseolen. Das Fieber verschwand lytisch ; im Falle Brion-
Kayser wurde der lytische Verlauf von einem plötzlichen
Steigen der Temperatur unterbrochen, worauf dieselbe kritisch
herunterging. Letzterer Fall ist durch zwei Rezidive
merkwürdig. Bronchitis bestand bei allen diesen Patienten.
Auch hier beruht der Schwerpunkt der
Diagnose auf der bakteriologischen Unter¬
suchung und dem Agglutinationsversuch.
Es erübrigt uns noch, einige epidemiologische V
er¬
hält n i s s o zu erörtern, ein Versuch, das gemeinschaftliche
Band zu finden, welches unsere Fälle aneinander kettet.
Vierzehn Fälle haben wir beschrieben; aber es ist
ohne
Zweifel, dass mehr Erkrankungen vorkamen und sich zum Teil
jetzt noch abspielen. Die unter Umständen leichten Symptome
machen eine Hilfe des Arztes eben nicht immer notwendig, so dass
besonders der P a ratyphus ambulato r i u s selten unter
seine Augen kommt. Unter den 14 Patienten waren 4 Mädchen
von 2 — 13 Jahren, eine 54 jährige Frau, 6 Knaben von 6 — 15
Jahren, und 3 männliche Patienten, welche das 15. Lebensjahr
überschritten hatten.
Die Pat. 1 (M. A.) und 6 (O. Z.) erkrankten ungefähr gleich¬
zeitig; auf den Tag genau ist dieser Zeitpunkt nicht anzugeben,
besonders nicht bei O. Z., welcher vielleicht schon länger als M. A.
die Para typhuskeime in sich trug. Wieder fast gleichzeitig,
ungefähr 14 Tage später, wurden die Pat. 2, 3, 4 und 5
(Haus M.) ergriffen (Kontaktinfektion von M. A. her).
In denselben Tagen wurden die Pat. 11 (P. D.) und 12 (P. G.)
krank, kurz nachdem sich deren Mutter und Pat. 10 (H. P.j
eine Infektion zugezogen hatten. Pat. 9 (v. d. L.) war nift
keinem Paratyphuskranken in Berührung gekommen; Infektions¬
möglichkeiten sind oben genannt. Nur 1 Pat. erkrankte zur selben
Zeit wie er, 7 (O. D.), Letzterer ist mutmasslich von 6 (O. Z.)
infiziert worden.
Wir glauben vier Ilauptdata des Beginns annehmen zu
können: den 21. März 1902 für Hausepidemie M. und O., den
8. M a i für Hausepidemie P., den 9. Juni für Hausepidemie B.,
den 20. April für Fall v. d. L.
Von einer Explosion ist also keine Rede.
Schwierig wird die Suche nach der gemeinsamen Infektions¬
quelle dadurch, dass sehr wohl leichte Fälle von Paratyphus auch
in der Umgebung Eibergens sich abgespielt haben können, die
nicht zur Beobachtung kamen.
Bei den verschiedenen Hausepidemien sind schon kurz die
Infektionsmöglichkeiten angedeutet. Wir nannten:
1. Die flüssigen Milchprodukte der Natur¬
butterfabrik in Ei bergen, mit welcher die Familien
M., O. und P. in Verbindung stehen. Diese Milchprodukte wer¬
den bei 80 " pasteurisiert ’) und in sterilisierten eisernen Be¬
hältern abgegeben. Es sind natürlich Fehler im Fabrikbetriebe
möglich.
Gegen eine Verdächtigung dieser Ware spricht aber ausser
der Pasteurisierung der wenig explosive Charakter der Endemie
und die Tatsache, dass Personen ersterkrankten, welche keine
Abnehmer der Fabrik waren (v. d. L., B.).
2. Die Butter. Bemerkenswert ist sicher, dass Familie
M. und v. d. L. die gleiche Butter brauchten. P.s und B.s be¬
zogen sie bei anderen Händlern, welche, ihren Bedarf direkt bei
Bauern deckten. Aber die Fälle M. und v. d. L. nahmen zu ganz
verschiedenen Zeiten ihren Anfang’.
Andere Lebensmittel kamen nicht in Betracht.
3. Der Hauptverdacht bleibt also auf dem T rinkwass e r
ruhen. Pat. O. Z. (6) hatte Wasser aus der Berkel
getrunken. In dieser war Wäsche eines aus B o r k e n zu¬
gereisten, typhusähnlich erkrankten Weibes gereinigt worden.
Eine Infizierung der Berkel hat auf diese Weise wohl statt¬
gefunden. Die Berkel ist ein grosser, schnell strömender Bach.
Wenn man die Topographie unserer Fälle auf der beigefüg¬
ten Karte verfolgt, so ersieht man die Nähe der Berkel für fast
alle unsere Fälle. Eine Infizierung des Strömchens hatte wohl
oberhalb Eibergens stattgefunden (s. o.). Uebrigens reinigte auch
Familie M. ihre Wäsche in der Berkel. Von Pat. B. Z. (14)
wissen wir, wie häufig er beim Fischen dieses Wasser trank. Seine
s) Nach Untersuchungen im Strassburger Institut werden
Paratyphusbazillen bei 05" schon nach 1 Minute getötet.
Mutter B. M. (13) (Mischinfektion) säuberte die gefangenen
Fische und bereitete sie zu. Für Fall v. d. L. und Familie P.
kommen vielleicht die offenen Grundwasserbrunnen nahe der
Berkel in Betracht.
Wir kommen zu dem Resultat, dass das Wasser der
Berkel in einigen Fällen als Infektionsquelle
anzunehmen ist.
Wir haben im Paratyphus offenbar eine
weitverbreitete, typhusähnliche, akute I n -
fektionskrankheit vor uns, welche, unter ähnlichen
ursächlichen Verhältnissen wie der Typhus, epidemieartig
a uf treten kan n.
Die bisher beobachteten Fälle sind gut¬
artig verlaufen.
Der Paratyphus muss u. E. hygienisch-sani¬
tär wie der Abdominaltyphus behandelt wer-
d e n, d. h., es liegt im Interesse der öffentlichen Gesundheits¬
pflege, ihn der Anzeigepflicht zu unterwerfen und die gleichen
Desinfekticnsmassregeln wie beim Typhus anzuordnen.
Dies ist umsomehr zu empfehlen, als — entsprechend der
Aetiologie — von uns Mischinfektion durch
Typhus- und Paratyphusbazillen beobachtet
w u r d e.
Die Diagnose Paratyph u s wird mit Hilfe der
Agglutinationsprobe oder durch die Bakterienzüchtung gestellt.
Literatu r:
A. Brion und H. Iv a y s e r: Ueber eine Erkrankung mit
dem Befunde eines typliusähnlichen Bakteriums im Blute (Para-
typlius). Diese Woebensohr. 1902, No. 15. — II. Bruns und
II. K ay s e r: Ueber die Verwertbarkeit des Agglutinations¬
phänomens zur klinischen Diagnose und zur Identifizierung von
Bakterien der Typlms-Coligruppe (Paratyplms etc.). Zeitsehr. f.
Hyg. u. Infektionskrankli. 1902. — A. Castell a ui: Die Ag¬
glutination bei gemischter Infektion etc. Zeitschr. f. Hygiene
u. Infektionskrankli. Bd. 40, 1902. — F. d e F e y f e r und H. K a y -
s e r: Over een ziekte veroorzaakt door Bact. paratyphi Typ. B
(Paratyphus). Nederlandsch Tydsclirift voor Geneeskunde, er¬
scheint später. — K u r t h - Bremen: Ueber typhusähnliche, durch
einen bisher nicht beschriebenen Bazillus bedingte Erkrankungen.
Deutsche med. Wochensehr. 1901, No. 30/31. — Schottmülle r:
Ueber mehrere, das Bild des Typhus bietende Krankheitsfälle, her¬
vorgerufen durch typhusähnliche Bazillen. Zeitschr. f. Hvg. u.
Infektionskrankli. 1901. Bd. XXXVI, S. 308 und Deutsche med.
Wochensehr. 1900, No. 32.
Nachtrag: Interessante Beiträge zur Paratyphusfrage
bringt neuerdings W. Hoff mann (Zur Frage des Paratyphus
etc.) im 17. Heft der Hygienischen Rundschau 1902.
Ursachen, Symptome und Behandlung der Insuffizienz
des nicht schwangeren Uterus.
Von Dr. A. T h e i 1 h a b e r.
(Schluss.)
D i e F o 1 g e n d er Uterusinsuffizienz sind vor
allem: Menorrhagien, Metrorrhagien, Hyperplasie des Uterus¬
parenchyms, Hypersekretion.
a) Meno r r h a g i e n und Metror r h a g i e n. Bei
allen Formen von Uterusinsuffizienz beobachtet man länger¬
dauernde Blutungen. Dieselben können bis zu mehreren Wochen,
ja sogar bis zu einer ganzen Reihe von Monaten dauern (ich
1756
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
selbst habe des öfteren starke ununterbrochene Blutungen von
4 — 5 Monaten Dauer gesehen), ohne dass eine wesentliche Ano¬
malie an der Schleimhaut sich findet. Die stärksten Blutungen
sieht man beim myomatösen Uterus in den präklimakterischen
Jahren; aber auch bei Uteris ohne Geschwulstbildung sind in den
präklimakterischen Jahren kolossal langdauernde Blutungen
von grosser Stärke durchaus nichts seltenes. Dabei ist es nahezu
pathognomonisch für diese Zeit, dass viele dieser Patientinnen
berichten, dass die Menstruationsintervalle zuweilen weit länger
als normal sind. Viel Aehnlichkeit mit der Blutungskurve der
präklimakterischen Periode hat der Verlauf der Blutungen bei
der Ilypoplasia uteri infantilis; nur sind hier die ausserordent¬
lich langdauernden Blutungen etwas seltener. Doch kommen
sie auch hier vor und auch hier sind die Intervalle zwischen
den einzelnen Menstruationen zuweilen von mehrmonatlicher
Dauer. Bei der Salpingitis und Perimetritis sind die Men¬
struationsintervalle dagegen meist annähernd normal, manch¬
mal ein wenig länger als normal. Dagegen ist die Dauer der
Blutung meist verlängert, nicht selten hält sie 2 — 3 Wochen un¬
unterbrochen an. Blutungen von über 3 — 4 wöchentlicher Dauer
sind jedoch hier sehr selten. — Bei der extrauterinen Gravidität
geht meist dem Eintritt der Menorrhagie eine 5 — 8 wöchentliche
Amenorrhoe voraus. Wenn Abortus tubarius oder Hämatocele
sich gebildet hat, so dauert die Blutung, wenn nicht operativ
eingeschritten wird, meist mehrere Monate an, zuweilen mit ein¬
zelnen Unterbrechungen von 2 — 3 tägiger Dauer.
Die Blutungen treten häufiger als Menorrhagien denn als
Metrorrhagien auf, d. h. sie halten sich öfter an den Typus der
Menstruation, wenigstens bei der reinen Insuffizienz; wenn sich
jedoch die Insuffizienz kombiniert mit starker Hyperplasie der
Schleimhaut, dann kommen nicht selten Metrorrhagien vor.
Häufig ereignet es sich namentlich bei nervösen Erauen, dass die
Blutungen durch psychische Erregungen wesentlich verstärkt
oder sogar vor dem gewöhnlichen Eintritte hervorgerufen
werden; es können auch Blutungen, die aufgehört haben, sofort
wieder beginnen, wenn eine starke psychische Erregung statt¬
findet.
b) Leukorr h ö e, vermehrte Absonderung von Sekret,
findet sich ebenfalls ausserordentlich häufig als Folge der Atonia
uteri : die übermässig ernährten Drüsen sezernieren stärker, auch
aus den stark gefüllten Lymphspalten quillt mehr Transsudat.
Natürlich ist nicht selten auch ein wirklicher Katarrh kom¬
pliziert; besonders häufig ist dies der Fall bei den Erkrankungen
der Adnexa, da ja die Tubenerkrankung meist sekundär ent¬
standen ist, oft durch Fortleitung einer gonorrhoischen Ent¬
zündung von der Schleimhaut des Uterus aus. Aber auch sonst
ist der atonische Uterus natürlich nicht immun gegen Infektion,
gonorrhoische Infektion kompliziert nicht allzu selten die
Atonie des Uterus. Bei unkomplizierter Atonie sah ich die
Hypersekretion häufiger und stärker bei jungen Personen, wäh¬
rend umgekehrt die Menorrhagien sich öfter bei alten Erauen
finden. Sowohl die Leukorrhoe als die Blutungen hängen ausser
von den bereits erwähnten Umständen noch ab von der Ein¬
wirkung aktiver Kongestionen (Exzesse in venere, Steigerung
des Blutdruckes durch reichliche Einfuhr üppiger Kost, starken
Kaffees und Thees, grösserer Alkoholmengen u. s. f.). Auch die
Leukorrhoe wird wesentlich beeinilusst durch psychische Er¬
regungen (wohl infolge der Steigerung des Blutdruckes durch
die Erregung). Es kann aber auch Stauung in den grossen Unter¬
leibsvenen die Blutungen und den Ausfluss begünstigen : Hier¬
her gehören das hochgradige Schnüren, starke Stuhlver¬
stopfung u. s. f. Namentlich sieht man nicht selten, dass die Be¬
seitigung einer Koprostase allein zuweilen genügt, den Ausfluss
wesentlich zu bessern.
c) Vergrösserung des Uterusparenchyms, Ver¬
dickung desselben, Hyperplasie der Schleim¬
haut ist eine häufige, aber durchaus nicht regelmässige Folge
der Insuffizienz des Uterus. Sie ist durchaus inkonstant, denn
sie hängt ausser vom Grad der Insuffizienz des Muskels ja noch
ab von der Stärke der Stauung, von der Dauer derselben, von
der Blutmenge des gesamten Körpers, ferner von dem Umstande,
ob die Stauung konstant durch viele Monate hindurch standhält
oder ob sie periodisch während der Menses auftritt. Bei Hyper-
plasia uteri virginalis ist der Uterus oft jahrelang klein, in einem
späteren Stadium wird er infolge der Stauung oft grösser; beim
Adnexuterus ist die Gebärmutter zunächst gross und breit, weich,
wird im späteren Stadium kleiner und härter. Bei der Sub-
involutio uteri postpuerperalis ist der Uterus in der ersten Zeit
gross, nach einigen Monaten kann er normale Grösse und Form
zeigen, um nach Verlauf von weiteren Monaten wieder durch
Stauung anzuschwellen. Auch bei hyperplastischem Meso-
raetrium findet sich zuweilen normale Schleimhaut. — Nahezu
pathognomonisch ist für die Uterusinsuffizienz eine grössere
Weite der Uterushöhle.
Die Prognose der Uterusinsuffizienz ist
natürlich verschieden, je nach der veranlassenden Ursache. Wo
letztere operativ beseitigt werden kann, ist natürlich die Uterus¬
insuffizienz mit einem Schlage gehoben (Enukleation von Myomen,
Entfernung einer Traubenmole etc.). Dementsprechend pflegen
auch dann die Blutungen schon wenige Tage nach der Operation
verschwunden zu sein. — Beim Adnexuterus pflegen Ausfluss und
Menorrhagie mit dem Rückgängigwerden der akuten Erschei¬
nungen zu verschwinden. — Beim präklimakterischen Uterus tritt
häufig Spontanheilung ein, wenn der arterielle Blutzufluss zum
Uterus spärlicher wird, die Verengerung der Gefässe weitere
Fortschritte macht u. s. f.
Für die Behandlung der Uterusinsuffi¬
zienz stehen uns eine ganze Reihe von Mitteln zu Gebote,
fch möchte die sämtlichen uns als wirksam bekannten Mittel
in folgende Gruppen einteilen:
1. gegen die Insuffizienz spezifisch wirksame Mittel;
2. Mittel, die Kontraktionen des Uterus erregen;
3. Mittel, die eine Verringerung des Blutzuflusses zu den
Beckenorganen bewirken ; -
4. Mittel, die den allgemeinen Blutdruck herabsetzen;
5. Behandlung der (sekundären) Hyperplasie der Schleimhaut
des Uterus.
ad 1. Zu den gegen die Uterusinsuffizienz spezifisch wir¬
kenden Mitteln gehört z. B. das Eisen bei der chlorotischen In¬
suffizienz; liier scheint in der Tat durch das Eisen eine Neu¬
bildung der Muskulatur angeregt zu werden, wenigstens bemerkt
man nicht allzu selten nach der Verabreichung von Ferrum das
völlige Verschwinden von Menorrhagien bei chlorotischen Mäd¬
chen. — Beim Adnexuterus werden alle Mittel, die Resorption
der Adnexerkrankung herbeiführen, auch häufig genügen, um
die Menorrhagie zu beseitigen. — Beim Uterus myomatosus lässt
sich manchmal auf relativ einfache Weise durch vaginale
Enukleation der Myome die Insuffizienz beseitigen etc.
ad 2. Können wir die Folgen der Insuffizienz, den Fluor
und die Blutungen, häufig dadurch beseitigen, dass wir Kon¬
traktionen des Uterus erregen. Empirisch hat man längst zu
diesem Mittel gegriffen, da man den Nutzen der kontraktions¬
erregenden Mittel durch die Erfahrung konstatiert hatte; nur
hat man sich bis jetzt die Art der Wirkung anders vorgestellt,
Uteruskontraktionen lassen sich erzielen durch mechanische,
chemische, thermische, elektrische Reize.
a) Der mechanische Reiz kommt zur Geltung bei der
Ausübung der Massage ; auch die namentlich von Schultze
vielfach empfohlene Ausspülung der Uterushöhle mit Soda- oder
Karbollösungen wirkt wohl in erster Linie nicht durch die
Einwirkung des geringprozentigen Medikaments auf die Schleim¬
haut, sondern die Wirkung wird wohl erzielt durch den me¬
chanischen Reiz. Günstig wirkt auch bezüglich der Erregung
der Kontraktionen die der Ausspülung oft vorausgeschickte Dila¬
tation mit Laminaria. — Die zur Heilung der Endometritis viel¬
fach angewandte Tamponade der Uterushöhle mit Jodoformgaze
wirkt wohl auch in erster Linie durch das mechanische Moment,
da der Fremdkörper Kontraktionen des Uterus erregt. Der
Nachteil der Tamponade liegt nur in ihrer grossen Umständlich¬
keit und dem Umstande, dass sie nicht ganz ungefährlich ist.
b) Die chemische Reizung wird sehr häufig an¬
gewendet, indem man Aetzmittel in die Uterushöhle bringt.
Unter den zu diesem Zwecke empfohlenen Aetzmitteln bevor¬
zuge ich für leichtere Fälle die pure Jodtinktur, für hartnäckigere
Fälle Chlorzink in 10-, 30-, 50 proz. Lösung, ferner das von
Menge empfohlene Forinalin in 40 — 50 proz. Lösung. Wenn
der Uterus überhaupt noch eine grössere Menge Muskulatur be¬
sitzt, so pflegt er auf die Einführung der in ein Aetzmittel ge¬
tauchten Sonde mit einem Tetanus zu reagieren, der sehr lange
21. Oktober 1902.
anliält und durch den
in ausserordentlich
Von den verschiedenen Sonden, die zu diesem Zwecke em¬
pfohlen sind, bevorzuge icli die von M enge angegebene Hart¬
gummisonde. Dagegen war ich mit den bisher vorhandenen
Spekulis niemals recht zufrieden. Die im Handel vorrätigen
Spekula sind in der Hegel viel zu lang. Will man um den
.Knickungswinkel im inneren Muttermund herumkommen, so
muss man die I ortio ein gutes Stück in die Vagina herunter¬
ziehen. Das gelingt nach Einstellung in die langen Mutter¬
spiegel meist nicht. Auch kann man in den gebräuchlichen
Mutterspiegeln die Sonde nicht genügend tief auf den Damm
senken, um in den anteflektierten Uterus hoch hinauf gelangen
zu können. Besser ist das von Ban dl empfohlene kurze
Spekulum, dessen Länge an der vorderen Wand 7 cm, an der
hinteren 9 cm beträgt. Allein es hat den Nachteil, dass sich
mittels desselben die Portio bei einigermassen langer Scheide
oder bei Fehlen abnormen Tiefstandes des Scheiden teils meist
gai nicht einstellen lässt. Man muss dann erst ein langes Spe¬
kulum einführen, nachher ein scharfes Häkchen einsetzen, dann
das lange Spekulum herausnehmen, um nochmals das kurze ein-
zufiihren, eine sehr umständliche Prozedur, bei der es auch
Schwierigkeiten hat, die Portio während des Wechsels der Spe¬
kula genügend zu fixieren. Ich habe deshalb Spekula anfertigen
lassen, die vorne 9 cm, hinten 11 cm lang sind, die ausserdem
nicht konisch verlaufen, sondern bei denen die äussere Oeffnung
viel weiter ist wie die innere. Mit ihnen gelingt es, 99 Proz.
aller Vaginalportionen einzustellen. Die Portio ist leicht soweit
mit der Kugelzange herunterzuziehen, dass der Knickungswinkel
im inneren Muttermunde sich streckt, so dass es ganz leicht ge¬
lingt, mit der Sonde in die Höhle des Uteruskörpers einzudringen.
Ausserdem gestattet das weite periphere Ende des Spiegels,
den Sondengriff tief hinunterzusenken, und infolge der starken
Erweiterung des peripheren Endes fallen viel mehr Lichtstrahlen
in die Vagina, so dass die Portio weit besser beleuchtet wird
als mit den gewöhnlichen Spiegeln. Ich ziehe deshalb mein Spe¬
kulum, das in der Gummiwarenhandlung Metzeier hier zu
haben ist, den übrigen Spiegeln vor, nicht bloss dann, wenn es
sich um Aetzung handelt, sondern überhaupt bei Besichtigung
der Portio, des Scheidengewölbes etc.
Eine sehr wirksame Art der Aetzung ist zweifellos die
mittels Anwendung der Braun sehen Spritze, bekanntlich sind
jedoch bei Gebrauch derselben Unglücksfälle passiert : Infolge
von Durchfliessen der injizierten Flüssigkeit in die Tuben etc.
trat nach den vorliegenden Berichten einzelne Male Peritonitis
mit nachfolgendem Tod ein. Ich habe deshalb seit vielen Jahren
die Braun sehe Spritze nicht mehr in Anwendung gebracht.
Die H o f m a n n sehe Modifikation der Braun sehen Spritze
ist jedenfalls weniger gefährlich, doch sah ich in den Fällen,
m denen ich dies Verfahren anwendete, keinen wesentlichen
Vorzug gegenüber der Aetzung mittels der mit Watte um¬
wickelten Sonde. Das gleiche gilt von den Antrophoren. Auch
sie schienen mir in den Fällen, in denen ich sie anwendete,
keinen Vorzug gegenüber der Aetzung mit der Sonde zu besitzen.
c) Der elektrische Reiz ruft ebenfalls Kontraktionen
des Uterus hervor. Vor allen war es Apostoli in Paris und
seine Schüler, die für die Anwendung der Elektrizität in der
Gynäkologie eifrig Propaganda machten. Mit der Elektrizität
ging es wie mit der Massage. Vor 12 Jahren hochgepriesen,
ist sie heute in der deutschen Gynäkologie beinahe vergessen.
Ich glaube, nicht ganz mit Recht. Gute Wirkung beider Ver¬
fahren lässt sich nicht abstreiten, nur sind leider beide etwas
umständlich, und zur elektrischen Behandlung bedarf es etwas
komplizierter Apparate. Apostoli unterschied eine polare
und eine interpolare Wirkung. Die polare Wirkung war bei
starkem galvanischen Strom in der Hauptsache wohl Aetz-
wirkung, die Säuren wirken in statu nascendi ähnlich wie eine
starke Chlorzink-, Formalinlösung oder dgh, d. li. sie wirken als
chemische Reize auf die Schleimhaut ; hierzu kommt dann noch
die sog. interpolare Wirkung, für die Apostoli eine aus¬
reichende Erklärung zu geben nicht in der Lage war. Ich
glaube, dass dieselbe identisch ist mit der kontraktionserregenden
Wirkung des elektrischen Stromes. So erklärt sich die vielfach
beobachtete Wirkung des galvanischen Stromes auf die Metror¬
rhagien und die Endometritis, so auch zum Teil der Einfluss
No. 42.
1757
aui den Uterus myomatosus. Auch hier dürfte die Besserung
der Muskelinsu t bzienz durch die Erregung von Uteruskontrak¬
tionen sehr viel dazu beitragen, die myomatösen Blutungen, die
ja häufig nur atonische sind, zu beseitigen. Wenn der Uterus
sich kontrahiert, so können durch die Kontraktionen auch die
Ernährungsverhältnisse der Myome so geändert werden, dass das
V achstum derselben einigermassen aufgehalten wird. — Der
f ai adische Strom ist in seiner Wirksamkeit weit schwächer als
der galvanische. — Die von Apostoli empfohlene Elektro-
punktur habe ich niemals in Anwendung gezogen, da dieselbe
nicht ganz ungefährlich ist.
d) Die thermische Reizung der Uterus¬
innenfläche wurde in den letzten Jahren namentlich auf
die Empfehlung von S n e g i r e w und Pincus vor allem in
Form der Atmokausis, der Aetzung mit dem YVasserdampf, an¬
gewendet. Die Atmokausis (Y aporisation) der Uterushöhle kann
dadurch wirken, dass durch dieses Verfahren die Schleimhaut
der Uterushöhle vollständig zerstört wird. Dieses Verfahren
wäre unter Umständen gut bei schweren klimakterischen Blu¬
tungen, wenn maligne Neubildungen sicher auszuschliessen sind.
Allem die totale gleichmässige Zerstörung der Schleimhaut wird
nach den vorliegenden Berichten meist nicht erreicht, und wenn
Schleimhautinseln stehen bleiben, so ist die Möglichkeit neuer
Blutungen nicht auszuschliessen. In der Regel ist also die Ein¬
wirkung der Atmokausis auf die Schleimhaut bezüglich ihres
Effektes sehr ähnlich der Wirkung, die mittels vieler anderer
Methoden ebenfalls erzielt werden kann. Dagegen ist allerdings
die kolossale Hitze, die bei der Atmokausis auf die Innenfläche
des Uterus einwirkt, ein ausserordentlich wirksamer Reiz für den
I terusmuskel. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass auf die Ein¬
wirkung des heissen Dampfes langandauernde Kontraktionen er¬
folgen, und ich bin der Auffassung, dass hierin in der Haupt¬
sache die Wirkung der Atmokausis zu suchen ist. —
Ausspülungen der Vagina wirken erfahrungsgemäss häufig
sowohl gegen den uterinen Fluor als gegen Menorrhagien günstig.
Es war eigentlich nach den bisherigen Anschauungen über die
Endometritis häufig nicht recht einzusehen, wieso derartige Aus¬
spülungen gegen den Fluor wirken sollen, dringt doch bei sehr
vielen Fällen, z. B. bei Nulliparen mit engem Muttermund, ab¬
solut gar nichts von der Flüssigkeit in die Uterushöhle. Nach
meiner Anschauung wirken die vaginalen Irrigationen ebenfalls
kontraktionserregend, und zwar mechanisch durch die Erschütte¬
rung des Uterus, thermisch durch die differenten Temperaturen.
Ich lasse deshalb auch gewöhnlich die Scheideneinspülungen mit
35 40 IL heissem Wasser machen, um möglichst energische
Kontraktionen des Uterus zu erregen. In hartnäckigen Fällen
lasse ich mit 8 — 10 " kalten Irrigationen beginnen und darnach
eine heisse Irrigation nachfolgen. Auf das den Einspülungen
zugesetzte Medikament lege ich einen weit geringeren Wert.
Ein vorzügliches Mittel gegen die Insuffizienz auch des
nichtschwangeren Uterus ist das Ergotin. Namentlich bei
Myomen wirkt das Ergotin zuweilen sehr segensreich. Natürlich
lasst es auch bei vielen Myomen im Stiche, z. B. bei den sub¬
mukösen Myomen und vor allem auch dann, wenn wenig kon¬
traktionsfähige Muskulatur mehr vorhanden ist, wenn die Myo-
fibrosis schon sehr weit vorgeschritten ist, wenn der Uterus in
der Hauptsache aus Bindegewebe besteht.
Die örtliche Hyperämie im Becken zu be¬
seitige n, mache ich vielfach Gebrauch von kühlen Sitzbädern,
die ich meist mit Temperaturen von 15 — 20° R. verwende; die
Patientinnen lasse ich 5 — 30 Minuten drinnen sitzen, bei mage¬
ren, anämischen Patientinnen nehme ich das Sitzbad wärmer und
kürzer, bei fetten länger und kühler.
Eine Verringerung in der Blutzufuhr zum Becken lässt sich
auch erzielen durch Hydrastis canadensis, die Kontrak¬
tionen der grossen Unterleibsgefässe bewirkt. Sie ist namentlich
dann indiziert, wenn das Ergotin im Stiche lässt, oder wenn im
vornherein anzunehmen ist, dass die kontraktionsfähige Muskula¬
tur des Uterus so atrophisch ist, dass das Ergotin nichts mehr er¬
reicht. Das Stypticin scheint mehr durch Herabsetzung des
allgemeinen Blutdruckes zu wirken.
Eine Verringerung der Hyperämie des Uterus wird auch er¬
zielt durch Skarifikationen, durch die man dem Uterus 1 — 2 Ess¬
löffel voll Blut entzieht, ferner durch die Applikation von Gly¬
zerintampons, wodurch den Geweben Serum entzogen wird.
(i
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
die Ernährungsverhältnisse des Uterus
günstiger Weise beeinflusst werden.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
1758
ln nicht zu lange bestehenden Fällen von Insüfficientia uteri
isl eine eigentliche Behandlung der Schleimhaut
des Uterus meist nicht notwendig, die Behandlung der
Uterusatonie genügt, um die sekundäre Hyperämie und Schwel¬
lung der Mukosa zum Schwinden zu bringen. Hatte dagegen
die Insuffizienz der Uterusmuskulatur sehr lange bestanden, so
ist es zuweilen wünschenswert, die Hyperplasie der Schleimhaut
noch speziell zu bekämpfen. Dies geschieht nebenbei schon durch
einen grossen Teil der Maassnahmen, die Kontraktionen der
U terusmuskulatur erregen.
Relativ unbedeutend wirken auf die Textur der Mukosa ein
die Ausspülungen des Uterus mittels intrauteriner Katheter, da
zu diesen Ausspülungen doch nur recht schwache Lösungen der
differenten Arzneien genommen werden können, eine energischere
Einwirkung auf die Mukosa wird erzielt durch die Aetzuug
mittels starker Chlorzink-, Formalinlösungen etc. (vermittels der
mit Watte umwickelten Sonde), noch stärker wirkt auf die
Schleimhaut ein die Verbrühung derselben vermittels der Atmo-
kausis; die grösste Verbreitung hat mit Recht für sehr hart¬
näckige Fälle die Entfernung der kranken Schleimhaut mittels
der Kürette. Fast immer jedoch muss nach Entfernung der
Schleimhaut noch eine lange Zeit fortgesetzte Behandlung
mittels Aetzmitteln eingeleitet werden, um durch Herbeiführung
von energischen Kontraktionen die Schleimhaut zur völligen
Norm zurückzuführen.
Die Herabsetzung des allgemeinen Blut¬
drucks wirkt ebenfalls sehr günstig bei vielen Fällen von
Metrorrhagien und von Fluor infolge von Insuffizienz der Uterus-
muskulatur : sie lässt sich erreichen durch hydrotherapeutische
Prozeduren, ferner durch diätetische Massregeln (Entziehung -des |
Alkohols, Kaffees, der scharfen Gewürze, der Fleischkost etc.),
ferner auch durch Kuren in Sool-, Stahlbädern etc.
Die Erfolge der Balneotherapie werden bezüglich der Be¬
handlung von derartigen Menorrhagien und von Iluor zur Zeit
von der Mehrzahl der Aerzte nicht hoch eingeschätzt. Ich glaube,
nicht ganz mit Recht. In den Badeorten wirken doch eine Menge
von Faktoren ein, die geeignet sind, die Zirkulation im all¬
gemeinen in günstiger Weise zu beeinflussen und dadurch auch
die venöse Stauung im Becken zu vermindern. Solche 1 aktoren
sind die dünnere Gebirgsluft, das Fernsein von der gewohnten
Beschäftigung, körperliche und geistige Ruhe, die gesteigerte Be¬
wegung im Freien etc. Dazu kommt, dass die die Haut reizen¬
den warmen Sool-, Moor-, Stahlbäder etc. durch \ ermehrung der
Blutfülle in der äusseren Haut eine Verminderung der Hyper¬
ämie in den inneren Organen herbeiführen. Leider wird nun der
Nutzen, den derartige Kuren mit sich bringen, häufig zum Teil
paralysiert durch die von den Hoteliers provozierte Unmässigkeit
im Essen und Trinken, wie sie zur Zeit in den meisten Kurorten
üblich ist. Vom ärztlichen Standpunkt ist der Zwang, bei
jeder Mahlzeit grössere Mengen Wein zu trinken, ebenso ener¬
gisch zu bekämpfen, wie die Sitte, die Gäste zur Vertilgung von
5 — 6 verschiedenen Speisen innerhalb einer Stunde zu ver¬
anlassen. Aerztlich ist den Kurgästen zu empfehlen, zur Ver¬
meidung von Ueberladung von Magen und Darm sich auf höch¬
stens 2 Gänge bei einer Mahlzeit zu beschränken, den Alkohol¬
konsum auf ein Minimum hcrabzusetzen oder besser ganz zu
unterlassen.
Wilhelm Griesinger.
Zu seinem Todestage am 26. Oktober.
Vor einigen Monaten, am 18. April d. J., wurde im Garten
der Berliner Charite vor dem Neubau der psychiatrischen und
Nervenklinik den Manen Wilhelm Griesingers ein
schlichtes, würdiges Denkmal geweiht. Keiner der zahlreichen
Orte, an welchen dieser in jeder Hinsicht ausserordentliche
Mann seine bedeutungsvolle Wirksamkeit entfaltet hat, ist so
wie Berlin und das Charitekrankenhaus berechtigt und ver¬
pflichtet, sein Andenken auch nach aussen hin wach zu erhalten.
Denn hier war es, wo er, mit einer hervorragenden Stellung und
grossen Aufgaben betraut, in kurzer, nur 3 jähriger Wirksam¬
keit den Gipfelpunkt seines erfolgreichen Lebens erreichte und
wo er mitten aus seiner grosszügigen und fruchtbaren Arbeit,
mitten aus weitschauenden Reform plänen und aus einer ganz
originalen, geistreichen, zündenden Lehrtätigkeit heraus am
26. Oktober 1868 starb.
Er hat berufene Biographen gefunden und seine interessante,
ungemein komplizierte, ebenso zart als kraftvoll organisierte Per¬
sönlichkeit, seine hervorragenden Qualitäten als Arzt, als kli¬
nischer Lehrer, als wissenschaftlicher Beobachter, als scharf¬
sinniger und formvollendeter Darsteller sind seinerzeit, kurz nach
dem Tode, von Wunderlich, C. Westphal u. a. hin¬
reichend gewürdigt worden.
Aber inzwischen sind 3 Dezennien dahingegangen. Die fort¬
schreitende Entwicklung der Naturwissenschaften, im beson¬
deren der Medizin, die Ausgestaltung verschiedener Spezial¬
disziplinen, das Suchen, Hasten und Jagen nach kleinen Tat¬
sachen und die gänzlich veränderten Daseinsbedingungen des
ärztlichen Standes drohen den Blick des einzelnen und der All¬
gemeinheit von solch ragenden Persönlichkeiten, wie Griesinger
eine war, abzulenken, so dass man im Alltagsgetriebe vergisst,
was sie waren und was sie uns jetzt noch sind und sein können.
Aus diesem Grunde war es ein glücklicher und verdienst¬
voller Gedanke, ihm in der oben bezei ebneten Weise ein Denkmal
zu setzen, welches geeignet ist, die daran vorüberziehende junge
Aerztegeneration an Griesinger und daran zu erinnern, wie
immer und überall die Weite der Gesichtspunkte und die Be-
geisterungsfähigkeit für grosse Gedanken alle Jämmerlichkeiten
des Daseins überwindet und wahrhaft frei macht. Sein Lebens¬
gang und sein Lebenswerk führen uns auf die Höhen der Mensch¬
heit. Er ist ein Klassiker unter den Aerzten. Was er
leistete, war gross, tief, monumental. Der vollendete Stil seiner
Werke, welcher mit dem Goetheschen verglichen wurde, und
die elegante Form, welche er ihnen gab, bereitet uns noch jetzt
einen in der heutigen medizinischen Literatur allzu seltenen
ästhetischen Genuss. Seine gewinnende Persönlichkeit und der
unvergängliche wissenschaftliche Wert seiner Werke trug mit
dazu bei, deutschen Geist und deutsche Wissenschaft im Aus¬
lande zu hohem Ansehen zu bringen.
Wilhelm Griesinger wurde am 29. Juli 1817 in
S tuttgart geboren. Er besuchte die Schulen seiner Vater¬
stadt und war schon seit der frühesten Jugendzeit eng befreundet
mit denjenigen beiden Mitschülern und späteren Studien¬
genossen, welche es nachmals gleich ihm zu hohem Ruhm bringen
sollten, mit Wunderlich und mit Roser. Nach Vol¬
lendung seiner Studien in Tübingen, Zürich und Paris
(1834 — 38) liess er sich 1839 in Friedrichshafen a. Boden¬
see als praktischer Arzt nieder. Aber bereits 1840 nahm er eine
Assistentenstelle an der württembergischen Staatsirrenanstalt in
Winnenthal an, welche damals von dem bekannten Medi¬
zinalrat Zeller geleitet wurde. Hier sammelte Griesinger
seine psychiatrischen Kenntnisse, welche später so reiche Flüchte
trugen, obwohl er zunächst gar nicht die Absicht hatte, sich
dauernd diesem Fache spezialistisch zu widmen; denn wir finden
ihn bereits 2 Jahre später wieder als praktischen Arzt in
Stuttgart. Als dann W underlich 1843 Direktor der
medizinischen Klinik in Tübingen wurde, machte er seinen
Freund zu seinem Assistenten. In Tübingen habilitierte
sich Griesinger als Privatdozent, gab 1845 seine epoche¬
machende „P athologie und Therapie der Geistes¬
kran k h e i t e n“ heraus, veröffentlichte eine Reihe inter¬
essanter Arbeiten über die verschiedensten allgemein-wissen¬
schaftlichen Themata in dem von Roser und W underlich
geleiteten „Archiv für physiologische Heilkunde“ und pflegte
— ein erfreulicher Gegensatz zu unseren heutigen, streng ab¬
geschlossenen Spezialistenkasten — einen anregenden Umgang
mit den Vertretern anderer Disziplinen, gleichfalls jungen
Tübinger Dozenten, wie Bruns, K ö s 1 1 i n, F. Th. V i s c h e r,
Zeller, Schwegler u. a. Die Folge hat gezeigt, wie wert¬
voll dieser geistige Austausch für jeden einzelnen gewesen ist.
Exempla docent !
1847 zum ausserordentlichen Professor ernannt, nahm
er 1849 einen Ruf nach Kiel an, folgte indessen schon 1 J ahr
später, 1850, einem glänzenden Antrag nach Aegypten als
Organisator und Direktor der medizinischen Schule in Kairo,
Leibarzt des Khedive etc. Hier machte er seine berühmten
Studien über Tropenkrankheiten. Aber nicht länger als 2 Jahre
litt es ihn inmitten der dortigen Misswirtschaft und er kehrte
ins Privatleben nach Deutschland zurück, aus dem er 1854
21. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1759
als ordentlicher Professor der Medizin und Vorstand der Klinik
nach Tübingen berufen wurde. Im darauffolgenden Jahre,
1855, erschien seine „Pathologie und Therapie der
Infektion skrankheite n“, ein heute noch nicht über-
troffenes klassisches Meisterwerk, in dem viele „Entdeckungen“
vorweggenommen sind, deren sich heute manche geschichts-
unkundigen Bakteriologen rühmen. 1860 erfolgte seine Be¬
rufung nach Zürich, wo er als Nachfolger Schönleins,
der ihn dort ehemals als Studenten so sehr gefesselt hatte,
gleichzeitig mit Billrot li wirkte. Hier wurde ihm 1863 neben
seinem Amt als Professor der inneren Medizin eine psychiatrische
Klinik eingerichtet und bald darauf der Entwurf der Vor¬
arbeiten für den Neubau einer grossen Irrenanstalt aufgetragen.
Nach 5 jähriger erfolgreicher Tätigkeit in Zürich erfolgte
dann die Berufung in die psychiatrische Professur nach Berlin
(1865), an welche er die Bedingung knüpfte, dass ihm neben
der Irrenabteilung in der Charite eine Nervenklinik und eine
allgemeine Poliklinik eingerichtet würde. Denn er ging von
dem Grundsatz aus, dass einerseits der Spezialist sich nicht ein¬
seitig auf sein Spezialfach beschränken dürfe und dass andrer¬
seits die psychischen und die Nervenkrankheiten im engeren
Sinne Gegenstand derselben Klinik und desselben Lehrers sein
müssten, da sie als Erkrankungen eines und desselben Systems
zahllose enge Berührungspunkte und Uebergänge darböten. Dass
dieses letztere Prinzip späterhin von den meisten und hervor¬
ragendsten Vertretern seines Faches als richtig erkannt und, so¬
weit möglich, in die Praxis umgesetzt wurde, dürfte bekannt
sein. Neben seiner umfangreichen wissenschaftlichen und Lehr¬
tätigkeit und neben seiner ausgedehnten Praxis — er hatte in¬
zwischen einen Weltruf als der grösste Nervenarzt seiner Zeit
erlangt — wirkte er hier 1865 als Mitglied der Cholerakommis¬
sion, leitete 1866 den internationalen Cholerakongress in Weimar
und gründete 1867 das Archiv für Psychiatrie und
Nervenkrankheiten, dessen erster Band gleich mehrere
der bedeutendsten Aufsätze aus seiner eigenen Feder brachte.
Seine Arbeitslust und seine Arbeitskraft hatten um diese
Zeit das höchste Mass erreicht, welches einem Menschen ver¬
gönnt ist; seine geniale Produktivität und seine weit angelegten
Pläne erregten Aufsehen ini Kreise seiner Fachgenossen; speziell
die praktische Psychiatrie war im Begriff, durch Griesinger
teilweise reformiert zu werden; es entwickelte sich, wie immer, wenn
es sich um reformatorische Ideen eines weitausschauenden Geistes
handelt, ein heftiger Kampf, den Griesinger ebenso erbittert
führte, wie seine Gegner — da wurde er am 26. Oktober 1868
nach 5 monatlicher Krankheit dahingerafft. Ein perityphlitischer
Abszess ergab sich als Grund dieses allzufrühen Todes. Seine
Sache aber trug den Sieg davon und seine Werke bleiben un¬
vergänglich.
Wenn diese wenigen Worte am Todestage Griesingers
sein wohlgelungenes Porträt begleiten, so mögen sie nicht nur
den Zweck erfüllen, das Gedenken dieses Mannes und dessen,
was er w a r, für einen Moment wachzurufen, sondern auch das
Gedenken dessen, was er uns jetzt noch sein kann. Nicht nur,
dass seine kleineren wie seine grösseren Arbeiten auch jetzt noch
ihren wissenschaftlichen Wert haben und, stilgewandt, fesselnd
wie sie sind, einen fast modernen ästhetischen Genuss gewähren:
sein Entwicklungsgang zeigt uns — der Nacheiferung würdig —
das fortschreitende Anwachsen mit den grösseren Zielen, das stete
Bestreben und eine, besondere Begabung, einzelne Tatsachen
unter gemeinsame und grosse Gesichtspunkte zu bringen, nicht
am Kleinen hängen zu bleiben und bei allen Arbeiten die höch¬
sten Ziele der Erkenntnis im Auge zu behalten. Uns Jüngeren
gewährt es, wenn wir seine „Gesammelten Abhandlungen“ oder
die alten Jahrgänge unserer Fachzeitschriften durchmustern,
ein erhebendes Gefühl, zu sehen, wie die Persönlichkeit Grie¬
singers erst nur ganz vereinzelt und kaum beachtet, dann
immer bestimmter und fast immer mit neuen Ideen hervortritt.
So war e r es z. B. — was ziemlich wenig bekannt ist — , der,
selbst, noch wenig anerkannt, in einer Psychiaterversammlung
den uns heute selbstverständlichen Antrag stellte, kein foren¬
sisches Gutachten ohne persönliche Voruntersuchung des Geistes¬
kranken abzugeben; sein Antrag wurde damals nur mit Ein¬
schränkung angenommen. Er war es auch, der späterhin das
„No restraint“ (zwangfreie Behandlung der Geisteskranken) als
erster in Deutschland energisch verfocht und in der Charite prak¬
tisch durchführte. Hierin und in seinen anderen, praktisch¬
psychiatrischen Plänen zeigt sich ein weiterer Zug Griesin¬
gers, von dem wir lernen können, nämlich seine Begeisterungs¬
fähigkeit für Ideale, für grosse Gedanken, welche Kulturfort-
?< hritte bedeuten, und im Zusammenhang damit ist auch jenes
schöne Wort zu verstehen, welches er selbst einst gesprochen hat :
„D ie grossen Gedanken kommen aus dem
Herze n“. W. Seiffer - Berlin.
Referate und Bücheranzeigen.
Forel et Mahaim: Crime et Anomalies Mentales con-
S' itutionelles. Geneve, Henry Kündig, 1902. 300 Seiten.
Ist unser Strafrecht gerecht? Entspricht es den sozialen
Bedürfnissen? Ist es da für das Wohl der Gesellschaft oder
mehr zur Rache für verletzte Rechte oder eine verletzte Gottheit ?
Das sind die Fragen, welche die Verfasser sich stellen.
Die Antwort knüpft zunächst an einige hochinteressante
Fälle an, die in allen ihren Konsequenzen besprochen werden:
Luccheni, der Mörder der Kaiserin von Oesterreich ; dann
Dr. Favr e, der als pathologischer Schwindler erklärt, des¬
halb vom Verbrechen der Fruchtabtreibung freigesprochen und
dann gleich darauf von den Sozialisten in den neuenburgischen
Kantonsrat gewählt wurde. So eingehend diese letztere Unter¬
suchung durchgeführt, so schön dieses Gutachten ist, so wünscht
man doch noch eine eingehendere Diskussion der Frage, warum
hier nicht Paranoia vorliegt. Die wissenschaftlichen Wahn¬
ideen des Exploranden scheinen dem Leser doch sehr paranoid
zu sein.
Es folgt der Fall eines wenig bemittelten Mannes, der sich
durch ganz einfältigen Betrug ca. 400 000 Fr. erschwindelt hatte,
ohne auch nur die mindesten Massregeln getroffen zu haben, um
unentdeckt zu bleiben, oder die Früchte seines Verbrechens ge¬
messen zu können. Trotzdem sogar einzelne Geschädigte die
Krankheit des Mannes erkannten, war eine psychiatrische Unter¬
suchung nicht zu erreichen. Es ist sehr schwer, sich in die Logik
des betreffenden Staatsanwaltes hineinzudenken, der einfach die
Wahrheit nicht sehen wollte, eine Expertise verhinderte und
dann den Petenten vorwarf, ihre Meinung beruhe auf ungenügen¬
der Untersuchung.
Klüger handelte das Gericht im Falle eines talentvollen
Schriftstellers, der in Bezug auf Geldsachen ungeschickter und
einsichtsloser als ein Kind war und in der Not eine Anzahl recht
kindischer Betrugverbrechen verübte. Er 'wurde nicht bestraft,
dafür aber sorgte man durch Bevormundung, dass er in Zukunft
die Früchte seiner Arbeit selber gemessen kann. Dieses Vor¬
gehen mag wenig juristisch sein, aber jedenfalls ist es praktisch,
denn der Mann ist nun in ganz nützlicher Weise in den Dienst
der Gesellschaft gestellt worden, während die von anderen Ge¬
richten gegen ihn ausgesprochenen Strafen jeweilen niemandem
genützt, aber allen Teilen Schaden gebracht haben.
Es folgen, ganz aus der Feder F o r e 1 s, mit aller seiner
Schärfe und Klarheit, Erörterungen, die eine praktische Behand¬
lung der antisozialen Elemente anstreben, wobei den Alkoholikern
ein besonderer Abschnitt gewidmet ist. Wer diese Ausführungen
mit den jetzigen juristischen Anschauungen vereinigen will,
stösst natürlich auf Unmöglichkeiten. Wer aber, unbekümmert
um juristische und philosophische Systeme, nur auf die Tat¬
sachen sieht und aus diesen deduzieren will, wie sich die Gesell¬
schaft am besten vor ihren Feinden schütze, wird ihm recht geben
müssen. Das Buch rüttelt mit Macht an eingerosteten
Meinungen und unzweckmässigen Einrichtungen. Es wäre g-ut,
wenn es von allen, die an solchen Dingen ein Interesse haben,
gelesen würde, weshalb auch eine deutsche Uebersetzung recht
wünschbar ist 1). Bleuler- Burghölzli.
P. Haushälter, G. Etienne, L. Spillmann,
Ch. T i r y : Cliniques medicales iconographiques. 62 planches
hors texte. Paris, C. N a u d, 1902.
Das Werk, dessen erste Lieferung bereits in der No. 4 dieser
Wochenschrift, pag. 150, angezeigt war, liegt jetzt vollständig vor
in einem recht stattlichen Bande von fast 400 Seiten Text mit
’) Die in Seite 289 von einem anderen Autor übernommene
Behauptung, dass in Deutschland jeder Angeschuldigte auf Antrag
psychiatrisch untersucht werden m ü s s e, könnte dann korrigiert
werden.
6*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
1760
62 Tafeln. Etwa die Hälfte umfasst das Gebiet der Neurologie
und berücksichtigt vor allem die Neuritis, Kinderlähmung,
trophische Störungen, F azialislähmung, Hydrokephalen, Hysterie,
Akromegalie, Basedow. Der Rest ist- vorwiegend der Dermato¬
logie gewidmet, und hier vorwiegend der Lues mit 6 Tafeln.
Was früher hinsichtlich des ersten Heftes gesagt ist, gilt
auch für das ganze Werk. Die Abbildungen verdienen alle An¬
erkennung wegen der geschickten Auswahl, der vorzüglichen Auf¬
nahme und der meisterhaften technischen Wiedergabe, die man¬
chen Werken unserer Literatur als Vorbild dienen dürfte. Um
nur einiges zu erwähnen, sei besonders hingewiesen auf die Dar¬
stellung der Fazialislähmung, der Basedow sehen Krankheit,
sowie auf Tafel 40, die ein bullöses Exanthem sehr gut wieder¬
gibt.
Die Tafeln bieten in Ermangelung der Objekte sicher ein
gutes Anschauungsmaterial und erfüllen durchaus den Zweck der
Verfasser. Auf mehr Absatz dürfte der Atlas wohl rechnen,
wenn er weniger Gebiete, aber diese vollständig und erschöpfend
behandelt hätte. Ernst Schultze.
Georg J oachimsthal: Die angeborenen Verbil¬
dungen der oberen Extremitäten. Mit 8 Tafeln und 24 Ab¬
bildungen im Text. Preis 9 M. Hamburg, Gräfe & Sille m,
1900.
Derselbe: Die angeborenen Verbildungen der un¬
teren Extremitäten. Mit 9 Tafeln und 52 Abbildungen im
Text. Preis 12 M. Hamburg, Gräfe & Sille m, 1902.
Die beiden Hefte bilden Band 2 und 8 vom Archiv und
Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in typischen
Röntgenbildern, herausgegeben von Dr. med. Albers-Schön¬
borg in Hamburg. Band 2 ist zwar bereits im Jahre 1900
kurz in dieser Wochenschrift angezeigt worden. Doch recht¬
fertigt sich ein nochmaliger Hinweis auf diesen Band durch
das kürzliche Erscheinen von Band 8.
Beiden Arbeiten gemeinsam ist die Behandlung des Gegen¬
standes fast nur nach eigenen Beobachtungen, wobei J. den
Hauptwert auf die morphologischen Verhältnisse legt
und auf die theoretische Seite nur wenig eingeht. Der Wunsch,
nur eigene Beobachtungen zu bringen, hat den Nachteil im
Gefolge gehabt, dass manche Deformitäten fehlen, weil J. keine
Gelegenheit hatte, sie selbst zu sehen. Dahin gehören der an¬
geborene Defekt der Klavikula, Makrodaktylie, angeborene
Luxationen in den Gelenken der oberen Extremität u. a. m. Im
2. Teil hat J. auch auf die Therapie Rücksicht genommen, so be¬
sonders bei den kongenitalen ILüftluxationen und dem Klump-
fuss, wo er die jetzt üblichen Behandlungsmethoden bespricht.
Was den Inhalt anlangt, so enthält der 1. Abschnitt den
Text nebst den dazu gehörigen Abbildungen, der 2. die Tafeln.
Die im ersten Heft behandelten Deformitäten sind: Der an¬
geborene Hochstand des Schulterblattes, die fötalen Ampu¬
tationen, die angeborenen Defekte langer Röhrenknochen (Ober¬
und Vorderarm, Radius), Defekte einzelner Finger und Teile der
Hand, die Brachydaktylie und Hyperphalangie, die Polydaktylie,
Verschmelzung von Metakarpalknochen, Knochen und Fingern,
Verdoppelung der Zeigefinger bei Mangel der Daumen, endlich
die sogen. Spalthand.
Das 2. Heft bringt nach einer kurzen embryologischen Ein¬
leitung über die normale Entwicklung der unteren Extremität
die fötalen Amputationen, die angeborenen Defekte der langen
Röhrenknochen (Oberschenkeldefekte nebst Coxa vara congenita,
Tibia- und Fibuladefekte, sogen. Phokomelen) die angeborenen
Anomalien der Patella, überzählige Bildungen im Bereiche des
Fusses, Defektbildungen desselben, den partiellen Riesenwuchs,
die angeborenen Verrenkungen und Verlagerungen des Fusses
(speziell den Klumpfuss), endlich die sogen. Sirenenbildungen.
An den Text schliesst sich in beiden Heften ein ausführ¬
liches Literaturverzeichnis.
Die Tafeln des 1. Heftes sind durchweg tadellos scharf und
gut gelungen. Das' Rekonstruktionsbild Fig. 4 a auf Tafel III
hätte wohl eher in den Text gehört, in dem auch die übrigen Re¬
konstruktionsbilder ihren Platz gefunden haben.
Dasselbe uneingeschränkte Lob lässt sich auf die Tafeln
des 2. Heftes nicht anwenden. Dieselben lassen vielfach an
Schärfe und Deutlichkeit zu wünschen übrig, so besonders die
Beckenaufnahmen der VIII. Tafel. Eine technisch missglückte
Reproduktion, wie Fig. 1 a dieser Tafel, dürfte in ein Werk,
das auch künstlerischen Anforderungen genügen will, nicht auf¬
genommen werden. Die fehlerhafte Hinweisung auf eine falsche
Tafel, S. 48, Z. 1 und 2 von unten (Taf. VII statt Taf. VIII), ist
wohl auf eine Flüchtigkeit in der Korrektur zurückzuführen.
Diese Mängel werden bei einer etwaigen Neubearbeitung aus¬
gemerzt werden können. Die beiden Hefte J.s bleiben trotzdem
eine wertvolle Bereicherung der Röntgenliteratur.
J affe- Hamburg.
Otto K ü s t n e r : Stereoskopischer medizinischer Atlas
der Gynäkologie. Als 39. und 43. Lieferung der stereoskopisch¬
medizinischen Atlanten herausgegeben von Albert N e i s s e r.
Leipzig, Ambr. Barth. Jede Lieferung 5 M.
Die beiden neuen gynäkologischen Lieferungen enthalten
24 Tafeln, welche hauptsächlich (39. Lief.) normale und
pathologische Schwangerschaft, darunter Blasen¬
mole, Tubargravidität, Uterusruptur, sowie (in der 43. Lieferung)
Missbild n g e n (Epiglossus, Fötus mit Spontanamputa¬
tionen, Hernia diaphragmatica) und gynäkologische Er-
kran k u n g e n darstellen, darunter Endothelioma portionis,
Medianschnitt durch Uterus- und Scheidenprolaps, Inversio
uteri, vom x\bdomen aus gesehen. Jeder Tafel ist eine kurz-
gefasste Krankengeschichte nebst Erklärung des Präparates an¬
gefügt. Durch Fensterschnitte sind die graviden Uteri sehr
übersichtlich und die Plastik beim Betrachten ist tadellos —
einen besseren plastischen Ersatz des natürlichen Präparates gibt
es zurzeit nicht und ausserdem kommt ihnen dokumentarischer
Wert zu. Besonders sind hervorzuheben die Bilder: Traubenmole
in situ, Fötus mit Spontanamputationen, Cystis subchorialis
placentae. Vielleicht wäre es für die folgenden Lieferungen mög¬
lich, einzelne Präparate in Uebersichtsbildern und ausserdem die
wichtigste Stelle in grösserem Bilde wiederzugeben, z. B. das so
seltene und interessante Bild eines Endothelioma portionis vagi¬
nalis uteri. In den letzen Semestern habe ich die stereoskopischen
Bilder regelmässig zum Unterrichte verwendet und das grosse
Interesse feststellen können, mit welchem sie betrachtet werden.
Dr. Gustav Klei n.
Ernst Schreiber: Die Krankheiten der Verdauungs¬
organe im Kindesalter. Für Aerzte und Studierende. Würz¬
burg, Stübers Verlag, 1902. 293 Seiten. Preis 5 M. 40 Pf.
Im Vorwort zu dieser Arbeit, die das Bruchstück eines Lehr¬
buches darstellt, weist der Verfasser auf die Tatsache hin, dass
die Erkrankungen der Verdauungsorgane neben den Infektions¬
krankheiten die häufigste Todesursache im Kindesalter bilden.
Weiterhin wird sehr richtig bemerkt, dass es deshalb Pflicht des
Arztes ist, sich speziell für diese Erkrankungen die nötigen
Kenntnisse anzueignen.
Es braucht nun doch wohl kaum betont zu werden, dass es
unter den Erkrankungen der Verdauungsorgane insbesondere die
Magendarmkrankheiten sind, deren Diagnose und Therapie so
grosse Schwierigkeiten machen. Man ist deshalb erstaunt, dass
gerade diesem Kapitel nur etwa ein Drittel des Buches gewidmet
ist, während der übrige Raum auf eine teilweise recht ausführ¬
liche Beschreibung der Erkrankungen der Mund- und Nasen¬
höhle, der Speiseröhre, des Peritoneums, der Leber, der Gallen¬
wege, der Milz und des Pankreas entfällt. Es ist schade, dass
der Autor auf den letzteren Teil so viel Zeit und Kraft verwen¬
dete, denn wir finden diese Krankheiten auch in anderen Lehr¬
büchern z. T. ebenso mustergültig beschrieben. Was wir brauchen,
ist eine Neubearbeitung des Themas „Magendarmkrankheiten im
Kindesalter“ auf Grund der wichtigen Aufschlüsse, die wir aus
den neuesten wissenschaftlichen Forschungen erhalten haben.
Diese Neubearbeitung dürfte nicht darin bestehen, dem alten
Kleide neue Flicken aufzusetzen, etwa in der Beschreibung ein¬
zelner neuer Symptome und Behandlungsarten, sondern sie
müsste uns vor allem dazu verhelfen, eine einheitlichere Auf¬
fassung über die Aetiologie und die Beziehungen der Magen¬
darmkrankheiten untereinander zu gewinnen. Da noch zu viel
wichtige Fragen ihrer Lösung harren, scheint der Zeitpunkt für
das Erscheinen eines solchen abschliessenden Werkes in Lehr-
b u c li f o r m noch nicht gegeben. In Sch.s Buche vermissen
wir in C. „Krankheiten des Magendarmkanals“ den einheitlichen
führenden Gedanken. Der Autor bietet uns hier ein. buntes
21. Oktober 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1761
Mosaik aus z. T. schönen Steinen, die aber nicht zu rasch
und klar erkenntlichem Bilde zusammengesetzt sind.
Trumpp,
... ^10ner- Die Therapie an den Berliner Universitäts¬
kliniken. Berlin 1902, Urban & Schwarzenber g.
515 S. Preis 10 M.
. üer Autor hat sich mit mehreren an den Berliner Instituten
tätigen Herren vereinigt, um eine vollständige therapeutische
Enzyklopädie in kompendiösem Masstabe herauszugeben. Die
meisten Anstalten Berlins sind vertreten. Das Arbeitsgebiet ist
geteilt wie folgt: Innere Krankheiten: Klinik v. Leyden:
Blumen t, h a 1, Klinik Gerhardt: d e 1 a Camp, Klinik
und Poliklinik Senator: Croner; Kinderkrankheiten:
(11 eubner) Stoeltzner; Nervenkrankheiten : (Poliklinik
S e n a t o r) Rosin; Nasen-, Rachen-, Kehlkopf krankheiten :
(B. 1 ränkels Klinik) Finder; chirurgische Krankheiten-
Klinik v. Bergmann: W o 1 f f , Klinik König: Pels-
L e u s d e n ; Augenkrankheiten : G r e e f f ; Ohrenkrankheiten :
(Lucae) Heine; Geburtshilfe und Gynäkologie: (Gusserow)
Leo Z u n t z ; Haut- und Geschlechtskrankheiten (Lessers
Klinik) A. Buschke. Der Anhang enthält: Vergiftungen
(vom Herausgeber), die für den Arzt wichtigsten Vorschriften
bezüglich der Aufnahme Geisteskranker in Irrenanstalten, Vor¬
schi iften, betreffend die Abgabe stark wirkender Arzneimittel in
den Apotheken (Tuerckhei m). Register der Krankheiten,
Register der Behandlungsmethoden und der Arzneimittel bilden
den Schluss.
Das Buch enthält in der Tat eine vollständige Therapie nach
den an den Berliner Kliniken bestehenden Grundsätzen. Ins¬
besondere sind auch neben der medikamentösen Therapie die
übrigen Methoden so eingehend und kritisch berücksichtigt, wie
es dem Zwecke des Buches entspricht.
Wir können das Werk dem Studierenden und Arzte als einen
zuverlässigen Ratgeber empfehlen. W. Zinn- Berlin.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie
Bd. VI, Heft 6. 1902. 1
1) Albert H o f f a - Berlin: Ueber die orthopädische Behand¬
lung der spinalen Kinderlähmung. (Mit 22 Abbildungen])
Das erste Hilfsmittel der eigentlichen orthopädischen Behänd-
^ oii Kontiaktiiren ist dio Rodrossion. Näcli "Vollendung' der-
selben wird das Glied gewöhnlich mit Gipsverbänden behandelt.
Da aber die ursprüngliche Lähmung weiterbesteht, tritt bald ein
Rezidiv auf. Letzteres kann durch orthopädische Apparate.
Schienenhülsen Vorrichtungen, wie sie zuerst von Hessin g nach
genau gearbeiteten Modellen angefertigt wurden, verhindert wer-
don. Rs folgt Abbildung* iyid Beschreibung der zweckmässigsten
Appaiate. Jedoch tritt leicht bei Gebrauch dieser Vorrichtungen,
tiotz aller Vorzüge moderner Stützvorrichtungen eine wesentliche
Muskelatrophie ein. Die von Nicola doni inaugurierte Methode
doi Sehnentransplantation gewährt nun glücklicherweise in vielen
Fällen die Möglichkeit, auf das Tragen eines orthopädischen Appa¬
rates verzichten zu können. Im wesentlichen kommen 4 Opera¬
tionsmethoden in Betracht: Die Anheftung der Sehne eines ge¬
sunden Muskels an die Sehne eines gelähmten Muskels nach
beiderseitiger vollständiger Durchtrennung, die Fixation der durch¬
schnittenen Sehne eines gelähmten Muskels an die intakt gelassene
Sehne eines gesunden Muskels, die nur partielle Ueberpflanzung
der zur Hälfte durchschnittenen Sehne eines gesunden Muskels
auf die durchtrennte Sehne eines gelähmten Muskels und schliess-
lieh die indirekte Sehnenplastik, indem wegen zu grosser Kürze
der zu überpflanzenden Sehne ein Stück gesunder Sehne ein¬
geschaltet wird. Als besondere Form ist ausserdem noch die
periostale Verpflanzung Langes zu nennen, der die gesunde
Sehne nicht mit einer kranken, sondern direkt mit dem Periaste
vernäht, so dass der Operateur die gewünschte Funktion möglichst
günstig gestalten kann. Kombiniert werden diese Methoden
zweckmässig durch Sehnenverkürzungen oder Sehnenverlänge¬
rungen, da die normale Spannung eines Muskels für die Funktion
von fundamentaler Bedeutung ist. An der Hand einer kleinen
Kasuistik zeigt Verfasser, dass in speziellen Fällen nicht wie ge¬
wöhnlich die Verlagerung der Muskelansatzstelle zum Ziele führt,
sondern auch umgekehrt eine Verpflanzung der Muskelursprungs¬
stelle als indiziert erscheinen kann. So gelang ihm die Behebung
einer Pronationskontraktur im Ellbogengelenke durch Verlagerung
(les rronator teres-Ursprungs vom Condylus internus an den Con-
ü.vlus externus.
-) Karl \V a 1 k o - Prag: Ueber die Behandlung der Enuresis.
(Aus der medizinischen Klinik des Prof. v. Jakscli.)
Kasuistik mehrerer Fälle sowohl reiner idiopathischer wie
symptomatischer Enuresis, welche durch 3— 5 malige bimanuelle
Massage vom Rektum und von der Sympliysis aus geheilt wurden.
Das ätiologische Moment der Enuresis erblickt Verfasser in einem
Iiemmungsphanomen eines an und für sich normal funktionieren-
< en Oigans. Erfahrungsgemäss sind derartige Hemmungswir¬
kungen leicht suggestiven Behandlungsmethoden zugänglich. Wie
l]Sr Massageeffekt dabei mit Suggestionswirkung zusammen-
fallt, lasst W. dahingestellt.
3) Karl Grube-Neuenahr: Ueber den Einfluss der
Mineralwasser auf das Blut. Bestimmung des osmotischen
Druckes (volumetrischer Vergleich der Blutkörperchen in ver¬
schiedenen Lösungen mittels Hämokrit) und des Wassergehaltes
des Blutes (Verdampfungsmethode nach Stintzing) einer¬
seits bei reizloser Nahrung, andrerseits bei der gleichen Kost,
sowohl unter Zuführung gewöhnlichen warmen Wassers als
auch warmen Neuenahrer Sprudels.
Verfasser gelangt zu dem Resultate, dass der osmotische
Druck und der Wassergehalt des Blutes bei gleichbleibender Kost
konstant bleibt, bei Zufuhr gewöhnlichen Wassers sich verringert;
dagegen tritt bei regelmässigem Genüsse Neuenalirer Sprudels
eine Steigerung des osmotischen Drucks bei gleichzeitiger Ver¬
ringerung des Wassergehalts auf. Verschiedene Bestimmungen
am Tage der Wasserzufuhr selbst ergaben, dass diese Verände¬
rungen des Blutes mit Beginn der Diurese, also ca. 1 Stunde nach
der Aufnahme einsetzen und nach ca. 2 yz Stunden ihr Maximum
erreichen.
4) Wilhelm S c li 1 e s i n g e r - Wien: Ueber das Nahrungs-
bedürfnis der Diabetiker. (Aus der I. medizinischen Klinik des
Hof rat es Prof. Nothnage 1.) (Schluss.)
Sc-hl. hat in langen Perioden die hinlängliche Nahrungsmenge
für Diabetiker durch Vergleiche der Nahrungszufuhr und des Kör¬
pergewichts studiert, um festzustellen, ob die von II u b n e r nach
Kalorien berechneten Zahlen des Nahrungsbedürfnisses Gesunder
auch bei Diabetes Geltung haben. Jedoch kam er auf Grund
zahlreicher Beobachtungen zu dem Resultate, dass Diabetiker mit
hoher Zuckerausscheidung eine auffallend geringere Kalorien¬
zufuhr benötigen, als Gesunde, um sich im Körpergleichgewichte
zu erhalten; anders verhält es sich dagegen bei Diabetes.' kompli¬
ziert mit sonstigen Stoffwechselanomalien, ingoferne dadurch das
Nahrungsbedürfnis häufig eine wesentliche Aenderung erfährt.
5) C. B o 1 1 e - Berlin: Zur Therapie der B a r 1 o w sehen
Krankheit.
Schwerer Fall dieser Erkrankung, der innerhalb 17 Tage durch
pasteurisierte Milch geheilt wurde, während vorher stets 15 Minu¬
ten lang gekochte Milch gereicht worden war.
M. Wasserma n n - München.
Centralblatt für Chirurgie. 1902. No. 41.
L. Rydygier: Die intrakapsuläre Prostataresektion als
Normalverfahren bei Prostatahypertrophie.
R. empfiehlt neuerlich diese Methode, nachdem er schon vor
mehr als 2 Jahren die intrakapsuläre Enukleation empfahl (die
auch Al bar ran neuerlich häufiger ausführte), bei letzterer aber
zuweilen eine Verletzung der Pars prostat. urethrae auftreten sah,
die die Nachbehandlung bedeutend verlängerte. R. legt die hin¬
tere Fläche der Prostata vom Damm aus frei (für gewöhnlich von
einfachem Raplieschnitt aus, bei schwierigen Fällen von querem
Bogenschnitt aus). Nach Spaltung der Dammfaszie arbeitet man
sich stumpf in die Tiefe, um die hintere Prostatafläche freizulegen,
unter starkem Auseinanderhalten der Wundränder schneidet man
zuerst auf der einen Seite in einiger Entfernung von der Mittel¬
linie die Prostatakapsel breit auf, fasst die Ränder des Spaltes
mit Hakenzangen und versucht den entsprechenden Lappen der
Prostata aus der Kapsel herauszuschälen und vor den Kapselspalt
herauszuwälzen, in einiger Entfernung der durch den eingeführten
Katheter sicher markierten Harnröhre hört man mit der Aus¬
lösung auf. nach Anlegung einer Klemmzange wird dann der aus¬
gelöste Lappen reseziert und in derselben Weise auf der anderen
Seite verfahren. Bezüglich Rezidive äussert sich R. noch re¬
serviert.
C. Ewald: Thermophorspritze zur Paraffininjektion.
Beschreibung einer von .1. Leiter gefertigten entsprechenden
Spritze. Sehr.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 40 u. 41.
D F. K leine rtz - Stuttgart: Ein Fall von spontaner kom¬
pletter Uterusruptur.
Der Fall ereignete sich bei einer kleinen geschwächten Frau,
die S Geburten und 2 Aborte durchgemacht hatte. 15 Stunden
nach der Ruptur machte K. die abdominelle Totalexstirpation
nach Extraktion des (toten?) ausgetragenen Kindes. Heilungsver¬
lauf ungestört. An dem exstirpierten Uterus fand K. mikro¬
skopisch die Muskelfasern durch ein „gleichartiges, dünnwandiges
Gewebsgerüst“ auseinander gedrängt . Eine sonstige Aetiologie der
Spontanruptur liess sich nicht feststellen.
2) E. S c h r o e d e r - Königsberg: Vaginale Uterusexstir¬
pation im 6. Schwangersehaftsmonat wegen Karzinoms.
Zu erwähnen ist nur, dass es sich um eine VI. Para handelte,
die an der vorderen Muttermundslippe ein beginnendes Platten¬
epithelialkarzinom trug. Die Operation machte S. nach
S c li u c h a r d t. Der Verlauf war glatt.
No. 41. 1) F. A h 1 f e 1 d: Ueber Durchgängigkeit der Tuben.
Bericht über, einen Fall, wo A. wiederholt 10 cm tief die
Sonde in der Richtung der 1. Tube vorschieben konnte und wo
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
1762
der Uterus, der am Tage darauf wegen Yentrofixation freigelegt
wurde, absolut keine Verletzung und keine Narbe auf wies.
2) K r ö n i g - Leipzig: Die doppelseitige Unterbindung der
Aa. hypogastrica und ovarica zur palliativen Behandlung des
U teruskarzinoms.
Die in der Uebersehrift genannte Operation hat K. 3 mal mit
befriedigendem Erfolg ausgeführt. Die Blutungen sistierten
lirompt, der jauchige Ausfluss kehrte allerdings bald wieder.
K. hält die Operation für indiziert in allen Fällen, wo die Laparo¬
tomie ergibt, dass eine Radikaloperation nicht mehr möglich ist.
3) II. Peters- Wien: Zum Artikel: ,,Zur Lehre vom pri¬
mären Chorionepitheliom der Scheide.“ (cf. das Referat in No. 31
dieser Wochensclir., pag. 1312.)
Ein Nachtrag zu obigem Artikel.
4) O. K a i s e r - Dresden: Zur schnellen Erweiterung des
Muttermundes nach B o s s i.
Tv. empfiehlt zur B o s s i sehen Erweiterung des Mutter¬
mundes statt des vom Autor angegebenen ein neues Instrument
(zu haben bei Herrn. Straube in Dresden), welches 8 Hebel be¬
sitzt und sich bequem in seine Teile zerlegen lässt. In 25 Mi¬
nuten soll der uneröffnete Muttermund damit auf 34 cm Weite
gebracht sein. Indiziert ist das Verfahren nur bei notwendiger
schleuniger Entbindung, besonders bei Eklampsie. Bei künstlicher
Frühgeburt ist der Metreurynter vorzuziehen.
5) IT. Queissner - Bromberg: Zur Verwendung von Klem¬
men und Kugelzangen in der Geburtshilfe.
Q. hat in verschiedenen Fällen die Kugelzangen mit Erfolg
benutzt, so bei verschleppter Querlage zum Fassen der Thorax¬
ränder und Extraktion der verkleinerten Kindeshälften, zum
Fassen des perforierten Kopfes beim weiteren Verkleinern des¬
selben, zum Herabziehen des Uterus wegen Atonia post partum.
Die Klemmen benutzt Q. zur Extraktion todfauler Früchte.
fl) O. K a i s e r - Dresden: Ein neues Nähinstrument.
Das Instrument, von K. , .Nähmaschine“ genannt, vereinigt in
sich Klemme, Nadelhalter, Nadel und Fadenfänger und beruht
auf dem Prinzip der Kurz sehen Nadelzange. Abbildung s. im
Original. (Zu haben bei Herrn. Straube in Dresden.)
J a f f e - Hamburg.-
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 36. Bd.,
1. Heft. 1902.
E. H i t z i g -Halle: Alte und neue Untersuchungen über
das Gehirn. IV. (Mit Abbildungen.)
Eine grosse Reihe an die vorausgegangenen Untersuchungen
sich anschliessender Versuche von Läsionen frontaler Hirnwin-
dungen beim Hunde liess erkennen, dass nach solchen Eingriffen
Sehstörungen und Störungen der optischen Reflexe als unmittel¬
bare Folgen von Verletzungen des Gyrus sigmoides, ebenso Stö¬
rungen der optischen Reflexe als direkte Folgen von Verletzungen
des Zentrums für den Orbikularisteil des Fazialis so gut wie regel¬
mässig eintreten, dass ferner Verletzung des mehr nach vorn und
lateral gelegenen Zentrums für den Rest des Fazialis noch häufiger
zu einer Störung des Nasenlidreflexes führt, während Verletzungen
der vorderen Schenkel der II. — IV. Urwindung, einschliesslich des
vorderen Teils des grossen Marklagers und der inneren Kapsel, nie¬
mals direkt eine Sehstörung hervorriefen. Dagegen können nicht
nur durch Schädigung der Rinde des Gyrus sigmoides, sondern
auch auf Grund von Verletzungen eines Teils seiner Markstrahlung
resp. deren Einstrahlungen in das grosse Marklager oder die
innere Kapsel vorübergehende Sehstörungen entstehen.
IT. Zingerle-Graz: Ein Fall von umschriebener Störung
im Oberflächenwachstum des Gehirnes. Ein Beitrag zur Kennt¬
nis der Porenkephalie. (Mit 1 Tafel.)
Das Gehirn eines erwachsenen, nicht gelähmten, erwerbs¬
fähigen Mannes, der in seinem Beruf verunglückt war, wies an der
Konvexität der linken Hemisphäre einen grossen ponisähnlichen,
allenthalben mit Rinde überkleideten und von Pia überzogenen
Defekt auf; in der rechten Hemisphäre fand sich innerhalb der
Stabkranzfaserung zum vorderen Scheitellappen eine walnussgrosse
Cyste. Das mikroskopische Bild zeigte in der den linksseitigen
Defekt auskleidenden Rinde Verminderung der Zahl der Zeilen
und verschiedene Formen von Zellatrophie, ausserdem flecken¬
weise Narbenherde und in dem darunter gelegenen Mark einen
Degenerationsstreifen filzig verflochtenen Fasergewebes, i. e. eine
grosse Narbe. Die sekundären Degenerationen waren nur sehr
geringfügig. An den Gefässen wurden keine schwereren Verände¬
rungen nachgewiesen. Als Ursache der erwähnten Veränderungen
wird eine in den letzten Monaten des intrauterinen Lebens durch¬
gemachte Erkrankung vermutet, die durch Zirkulationsstörung im
Gebiete der Arteria cerebralis media im Marklager anämische
Nekrose verursachte, während die mit reicherer Gefässversorgung
versehene Rinde verhältnismässig wenig geschädigt wurde; der
gleiche Krankheitsprozess hatte im entsprechenden Gefässgebiet
der anderen Seite eine vaskuläre Erweichungscyste wohl durch
Thrombosierung eines kleinen Astes geschaffen. In den nicht
direkt betroffenen Teilen der verletzten Hemisphäre (Thalamus
opticus) und in den der Läsion symmetrischen der anderen Hemi¬
sphäre hatte sich durch Volumszunahme eine gesteigerte Wachs¬
tumsenergie bemerkbar gemacht.
M. P r o b s t- Wien: Ueher Pachy-meningitis cervicalis hyper-
tvophica und über Pachymeningitis interna haemorrhagica bei
chronisch fortschreitenden Verblödungsprozessen in der Jugend.
(Mit 2 Tafeln.)
Der Verf. vergleicht 2 Krankengeschichten, die klinisch das
gemeinsam haben, dass in jugendlichem Alter ein chronisch ohne
Fieber verlaufender Krankheitsprozess fortschreitend mit .T a c k -
son sehen Anfällen zu vollständiger Verödung aller psychischen
Funktionen und durch Lähmungserscheinungen, Sensibilitäts¬
störungen, Inkontinenz, Muskelatrophien und Kontrakturen zur
körperlichen Hinfälligkeit geführt hatte. Aetiologisch kamen An¬
lage, Heredität, Geburtstraumen, spätere Schädeltraumen und
hereditäre Lues in Betracht. Anatomisch war den Fällen gemein¬
sam ein allgemein atrophischer Prozess im Gehirn, der mit Ver¬
schmälerung. Ganglienzellenschwund und Kernanhäufung um die
vermehrten Gefässe vorzugsweise die Rinde betraf. Da nun im
einen Fall eine Pachymeningitis cervicalis hypertrophica bestand,
die im andern fehlte, nimmt der Verf. an, dass der pachymenin-
gitisclie Prozess in solchen Fällen nur ein sekundärer ist,
demnach die Pachymeningitis cervicalis hypertrophica und aus
dieser wieder die hier noch gefundene hämorrhagische Pachy-
meningits nur Folgeerscheinungen eines chronischen entzündlichen
Prozesses im Gehirn sind.
CI. N e i s s e r - Lublinitz: Beitrag zur Aetiologie der perio¬
dischen Psychosen.
Anknüpfend an die Beobachtungen von Pilcz, dass or¬
ganische zerebrale Erkrankungen, soweit sie zu „Himnarben“ ge¬
führt haben, periodische Psychosen auslösen können, teilt der Verf.
mehrere einschlägige Krankengeschichten mit. Eine 51 jährige
Dame erkrankte im Anschluss an einen apoplektischen Insult mit
Sprachstörung und linksseitiger Hemiparese an zirkulärem,
manisch-depressiven Irresein. Zur Zeit der maniakalischen Er¬
regungen kamen Reizerscheinungen im paretischen linken Arm
und vorübergehende aphasiche Störungen rein transkortikal-
motorischen Charakters zur Beobachtung. Mit dem Fortschritt
der Psychose zeigte sich Tendenz zur Verblödung. 2 andere Fälle
periodischer Psychosen liessen Blitzschlag bezw. in frühester
Kindheit durchgemachte traumatisch-zerebrale Störung als einzig
verwertbares ätiologisches Moment erkennen. Endlich hebt der
Verf. auf Grund einer weiteren eigenen Beobachtung hervor, dass
die in (maniakalischen) Einzelanfällen im unmittelbaren
auch zeitlichen Anschluss an Traumen auftretenden
periodischen Psychosen eine günstige Prognose zu geben
scheinen, dass aber die Krankheit solange fortbesteht und Anfälle
wiedereinsetzen können, als in der Zwischenzeit zwischen den An¬
fällen die Pupillen noch abnorm weit und labil bleiben.
R. C a s s i r e r - Berlin: Ueber metastatische Abszesse im
Zentralnervensystem. (I. Isolierter metastatischer Abszess im
Pons und in der Medulla oblongata. II. Multiple metastatische
Abzesse im Rückenmark.) (Mit 2 Tafeln.)
Im ersten Fall hatte ein allgemein pyämischer Prozess mit
Leberabszess und Lungenabszessen wohl im Anschluss an Peri¬
typhlitis zu einem Abszess im Hirnstamm geführt, dessen Folge¬
erscheinungen (linksseitige Hemianästhesie infolge Schleifenläsion
und rechtsseitige Kern- bezw. Wurzellähmung von Fazialis und
Abduzens) das klinische Bild vor dem Tode beherrschten. Im
zweiten Falle fanden sich im Rückenmark einer an rekurrierender
akuter Endokarditis mit vielfachen embolischen Eiterungen ge¬
storbenen Syringomyelie-Kranken ausser Gliosis und Höhlen¬
bildung im Grau des' Zervikal- und Dorsalmarks zahlreiche kleine
perivaskuläre, i. e. embolische Entzündungsherde. Die grössten
davon waren im gefärbten Präparat eben makroskopisch erkenn¬
bar; eine klinische Bedeutung kam diesen Abszessen anscheinend
nicht zu. Beide Fälle sind eingehend mikroskopisch untersucht
und mit den in der Literatur bekannt gewordenen ähnlichen Be¬
trachtungen in Vergleich gestellt worden.
M. Bartels- Strassburg i. E.: Ueber Encephalo-myelo-
meningitis diffusa haemorrhagica mit endophlebitischen Wuche¬
rungen. (Mit 2 Tafeln.) ^
Eine Frau von 32 Jahren kam nach halbjähriger, von^ Kopf¬
schmerzen und gastrischen Beschwerden allmählich zu Konvul¬
sionen, Lähmungen, Neuritis optica, Aphasie, Albuminurie, vaso¬
motorischen Störungen und endlich Kollaps führender Krankheit
zur Obduktion. Das wesentliche Merkmal des mikroskopisch ge¬
fundenen Entzündungsvorganges mit feinsten Blutungen im Ge¬
hirn. dem Rückenmark und deren Häuten war eine universale Er¬
krankung der Venen dieser Gebiete, nicht durchwegs gleieli-
mässiger Verteilung und Entwickelung. Die Kapillaren waren
gleichfalls stark verändert; an den Arterien bestand nur Peri¬
arteriitis. Aus dem anatomischen Bilde wird eine syphilitische
Affektion erschlossen, während klinisch keinerlei Anzeichen von
Lues Vorlagen. Die starke Albuminurie fand durch die sorgfältige
Untersuchung der Nieren keine Erklärung.
II e n n e b erg und Max Koch- Berlin: Ueber . „zentrale*
Neurofibromatose und die Geschwülste des Kleinhimbiiicken-
winkels (Akustikusneurome). (Mit 1 Tafel.)
Im ersten hier mitgeteilten Falle von multipler Neurofibio-
matose bestanden zahlreiche kleine Tumoren der Haut, der peii-
pheren Nerven, der intra- und extraduralen Rückenmarkswurzeln
und ausser anderen Tumoren der Hirnnerven wurzeln, sowie einem
Rankenneurom der Rami recurrentes des Vagus, doppelseitig ein
fast hühnereigrosses Neurofibrom im Kleinhirnbrückenwinkel, mit
dem Faciales und Acustici verwachsen waren. Zudem fanden
sich ein stecknadelkopfgrosses Fibrom im Zervikalmark um
gliöse Wucherungen in der Hirnrinde. Von den klinischen Li-
seheinungen waren ausser den allgemein zerebralen Störungen
(Kopfschmerz, Erbrechen, Neuritis optica) noch dysarthnsc e
21. Oktober 1902.
MüENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1763
Sprachstörung, Schwerhörigkeit, Nystagmus, zerebellare Ataxie
und multiple Hirnnervenlähmung zu erwähnen. Aehnlich war das
i.dd des zweiten Falles, doch fehlten hier die Hauttumoren, die
Sprachstörung und die Ataxie, dagegen war frühzeitig völlige
Blindheit, Pupillenstarre und Taubheit aufgetreten. Hier waren
doppelseitige, _ über kastaniengrosse Neurofibrome des Akustikus
und taubeneigrosses Fibrom der Falx an der medialen Fläche
des rechten Stirnhirns mit Fibrosarkom im vorderen Teile des
rechten Seitenventrikels, Tumoren in der Mitte der Medulla
oblongata und multiplen Fibromen und Psammofibromen der
u eichen und halten Hirnhaut kombiniert. Auch hier fanden sich
gliöse Wucherungen in der Hirnrinde. Hieran scliliesst sich mit
einer weiteren einschlägigen Krankengeschichte nebst Obduktions¬
befund eine Besprechung der wohl meist zu den Neurofibromen
gehörenden Tumoren des Kleinhimbrückenwinkels. Ein beson¬
deres Interesse gewinnen diese Geschwülste durch die bisher aller¬
dings wenig erfolgreichen Versuche chirurgischer Inangriffnahme.
27. Wanderversammlung der Südwestdeutschen Neurologen
und Irrenärzte in Baden-Baden am 24. und 25. Mai 1902.
Sitzungsprotokolle.
Fedor Iv r a u s e - Berlin: Entgegnung auf Herrn Dr. Böt-
tigers Erwiderung.
Abschluss der Polemik aus dem vorigen Band des Archivs.
J a in i n - Erlangen.
Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 32. Bd.
2. Heft. 1902.
6) F. Katsurada- Okayama (Japan) : lieber das Vor-
kommen des Glykogens unter pathologischen Verhältnissen.
(Aus dem patholog. Institut zu Freiburg i. B.)
Iv. bringt seinen Versuchstieren sterilisierte Holundermark¬
plättchen unter die Haut und untersucht die Plättchen, die er
nach bestimmten Zeiten wieder entnommen hat, d. h. die in die¬
selben eingewanderten Zellelemente auf ihren Glykogengehalt
mittels Jodglyzerin. Dabei konstatiert Iv., dass die normalen Blut¬
leukozyten kein oder fast kein Glykogen enthalten, mehr oder
weniger jedoch bald nach ihrer Emigration aus den Gefässen,
ebenso enthält ein grosser Teil der eingewanderten Fibroblasten
und Riesenzellen Glykogen, manchmal sogar in grossen Mengen.
Eine gewisse Unterernährung der betreffenden Zellen scheint die
Bedingung für die Ablagerung zu sein.
7) Derselbe: Ueber eine bedeutende Pigmentierung der
Kapillarendothelien im Gehirn bei einer ausgedehnten Melano-
sarkomatose. (Aus dem patholog. Institut zu Freiburg i. B.)
K. fand in den Kapillarendothelien aufgenommenes Pigment
sowohl im Bereich der metastatischen Geschwulstzellen, als auch
an Kapillaren, die mit denselben keinen direkten Zusammenhang
zeigten.
8) D. Iv i sch eil sky- Moskau: Zur Frage über die Eettresorp-
tion im Darmrohr und den Transport des Fettes in andere Or¬
gane. (Aus dem patholog. Institut zu Freiburg i. B.)
Nach Verfasser ist der Farbstoff ,,S c li a rlac li It“ (Kalle
& Cie.) das schärfste Färbemittel für allerkleinste Fetttröpfchen;
dabei färbt es nur Fette und Fettsäuren. So gelang es Iv. nach
Milchfütterung an jungen Katzen im Kutikularsauin der Epithel¬
zellen an den Zotten des Duodenums und Jejunums feinste Fett-
tröpfclieu nachzuweisen und dadurch festzustellen, dass Fett in
Form kleinster Tröpfchen den Kutikularsauin passieren und so
in das Protoplasma der Epithelzellen des Darmes gelangen kann
tbei neugeborenen Katzen fand Iv. auch in den Zwischenepithel¬
räumen Fett, wo es sich zu grösseren Tropfen vereinigt, die auf
dem Lymphweg weiter transportiert werden. Ebenso war in den
Epithelzellen des Dickdarms sowohl wie des Magens (Pylorus-
gegend) Fett nachzuweisen. Als Folge dieser Nahrungsfettresorp¬
tion erschien Fettinfiltration der Leber, Nieren, Lungen und teil¬
weise der Milz.
9) It. Spuler: Ueber den feineren Bau der Chondrome.
(Aus dem patholog. Institut zu Heidelberg.)
Die Untersuchungen zeigen, dass in allen Chondromen und
zwar nicht nur — wie bekannt — an Degenerationsstellen, son¬
dern auch an Gewebe mit typischem Chondrombau in der Grund¬
substanz Fibrillen nachzuweisen sind; an elastischen Chondromen
findet sich eine dem Normalen vollständig analoge Histogenese des
Knorpelgewebes.
10) Y. Fukuhara: Die morphologischen Veränderungen
des Blutes bei der Hämolyse. (Aus dem patholog. Institut zu
Osaka-Japan.)
11) Fr. Saxer: Ependymepithel, Gliome und epitheliale
Geschwülste des Zentralnervensystems. (Aus dem patholog. In¬
stitut zu Leipzig.)
S. berichtet in der umfangreichen, sehr interessanten Ab¬
handlung zunächst über epitheliale Formationen in
Gliomen und beschreibt 1. ein grosses, scharf abgegrenztes
Gliom des Grosshirns mit Bildung zentraler, von Epithelbelägen
ausgekleideter Höhlen, 2. ein Gliom des Rückenmarkes, kombiniert
mit Syringomyelie, wobei nach S. die Höhlenbildung durch zen¬
tralen Geschwulstzerfall entstanden sein soll, und 3. eine sehr
eigentümliche (vom Ependymepithel ausgehende?) Geschwulst der
Gauda equina von teils myxomatösem, teils epithelialem Bau.
S. erblickt in der Erscheinung, dass innerhalb eines Glioms
sehr reichliche epitheliale Bildungen in Form von Cysten, Kanälen,
Schläuchen auftreteu, nur einen weiteren Beweis für den innigen
Zusammenhang zwischen Epithel und Neuroglia; in Gliomen, die
ursprünglich frei sind von epithelialen Formationen, können nach
S. solche Elemente sich erst bilden als Auskleidung von Höhlen
oder Cysten, welche durch Nekrose und Zerfall
schwulstteile entstanden waren.
der zentralen
Ge
l'einei. beschreibt 8. 3 rein epitheliale Geschwülste des
Gehirns, nämlich 1. einen rein papillären, haselnussgrossen Tumor
des 1. Seitenventrikels, ausgehend vom Ventrikelependym (das nach
S. mit dem I lexusepitliel identisch ist!); 2. ein walnussgrosses
Karzinom (!) der Rauten grübe *), an dem S. den direkten Zu¬
sammenhang zwischen Ventrikelependym und Geschwulstmasse
nacnweisen zu können glaubt; in dessen Innern fanden sich
Spangen von Bindegewebsknochen; 3. eine epitheliale (karzinoma-
löse?) Geschwulst dts Infundibulums und des mittleren Ven¬
trikels, von der S. vermutet, dass sie aus (in die Vorderwand des
Ilypophysisstieles) abgesprengten epithelialen Hypophysisschläu-
clien entstanden sein könnte; dieselbe hängt nicht mit dem Ven¬
trikelependym zusammen.
In den anschliessenden allgemeinen Ausführungen spricht
sich S. sowohl gegen die C o h n h e i m sehe Theorie von der Ge¬
schwulstlehre, wie gegen die Modifikation durch W ilms aus.
H. Merkel- Erlangen.
Archiv für Hygiene. 44. Bd. 4. Heft. 1 902.
1) Weigl -München: Untersuchungen über die bakterizide
Wirkung des Aethylalkohols.
Gegenüber den neueren Anschauungen, wonach ein Alkohol
nur dann genügende bakterizide Kraft habe, wenn er nur 50 bis
70 Proz. betrüge, bringt Verf. neue Versuche, durch die bewiesen
wird, dass der 80 — 90 proz. Alkohol entschieden den nie¬
deren Konzentrationen überlegen ist. Es muss je¬
doch ein gewisser Wassergehalt vorhanden sein und die Ent¬
stehung von gröberen Niederschlägen muss vermieden werden.
Die Desinfektionsfähigkeit kann andrerseits noch erhöht werden,
wenn der Alkohol angesäuert oder alkalisch gemacht wird.
2) Cathcart und Hahn- München: Ueber die reduzieren¬
den Wirkungen der Bakterien.
Am besten lassen sich die reduzierenden Wirkungen der Bak¬
terien studieren unter Zusatz von Methylenblau als In¬
dikator bei 37°. Bei 60° erlischt die reduzierende Fähigkeit. Die
reduzierenden Vorgänge spielen sich am besten in den" Lösungen
ab, die für das Wachstum der Bakterien die günstigsten sind, wo¬
bei N-lialtige Substanzen das Wichtigste zu sein scheinen. Luft¬
abschluss wirkt konservierend, ebenso starke Zusätze von Natrium-
sulfat, Glyzerin, Rohrzucker; dagegen vermindern Antiseptika die
Reduktionsfähigkeit, relativ am wenigsten noch Chloroform und
Toluol.
Es gelang, Trockenpräparate von Bakterien herzustellen,
welche keine Vermehrungsfähigkeit, dagegen ein, wenn auch ver¬
mindertes, Reduktionsvermögen zeigten. Daraus kann geschlossen
werden, dass die reduzierenden Wirkungen hauptsächlich an die
Bakterienzelle geknüpft sind und von ihr durch einen nur auf
bestimmte Reize hin abgesonderten enzymartigen Körper aus¬
geübt werden.
3) II. Wolpert - Berlin: Ueber den Einfluss der Besonnung
auf den Gaswechsel des Menschen.
Die Wirkung der Besonnung auf den Gaswechsel des Men¬
schen äussert sich darin, dass die wärmende Wirkung der Sonne
in einer dem Steigen der Lufttemperatur gleichwertigen Weise nach
Massgabe der Hälfte des Temperaturüberschusses
der Sonnen- über die Schattentemperatur zu Tage
tritt. Die Kohlensäurebildung wird bei tiefer Luft¬
temperatur verminde r t, bei mittlerer Lufttemperatur
e r li ö li t, besonders bei geringer Strahlung. In sehr warmer Luft
wird die Kohlensäurebildung regelmässig vermindert.
4) Schattenfroh - Wien: Spezifische Blut Veränderungen
nach Harninjektionen. I. Abhandlung.
Durch Injektionen von Menschenharn, Ziegenharn und Rinder¬
harn bei Kaninchen und Meerschweinchen bezw. Kaninchen lassen
sich spezifische Hämolysine im Blute der vorbeliandelten Tiere
erzeugen. Bei Injektionen mit Hundeham entstehen auch bei
Kaninchen Agglntinine. Pferdeharn ruft bei Meerschweinchen
und Kaninchen weder Hämolysin- noch Agglutininbildung hervor.
Die lysogenen Stoffe des Menschenharns sind nicht dialysierbar,
ertragen verhältnismässig hohe Temperaturen und sind durch
Alkoholäther fällbar. Bakterienwachstum im Harn lässt unter
Umständen die lysogenen Stoffe derselben intakt.
R. O. N e u m a n n - Kiel.
Arbeiten aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte. 19. Bd.,
2. Heft. 1902
1) Sc ha u d i n n-Rovigno: Studien über krankheitserregende
Protozoen. II. Plasmodium vivax (Grassi u n d F e -
1 e 1 1 i), der Erreger des Tertianfiebers beim
M e n sehe n.
ln einer sehr ausführlichen Arbeit bringt Schaudinn seine
Experimente, Beobachtungen und Erfahrungen über den endo¬
genen und exogenen Entwicklungsgang des Tertianapa r ä -
s i t e n zur Publikation. Die Arbeit ist von besonderem Wert,
weil sie mit grosser Sachkenntniss und Kritik die bisherigen
Arbeiten beleuchtet und vieles Neue bringt. Wohltuend wirkt die
Klarstellung der Nomenklatur der Parasiten nach den internatio¬
nalen zoologisch-botanischen Regeln und Grundsätzen, die leider
*) Durch v. Wuns c h heim bereits publiziert.
1764
MÜENCHENEß HEDICINlSCHE WOCHEN S CHßlET.
No. 42.
so off vernachlässigt worden. 2 Tafeln bringen in 2000 faelier Vor-
grösserung die Parasiten sehr schön zur Anschauung.
2) Weber: Ueber die tuberkelbazillenähnlichen Stäbchen
und die Bazillen des Smegmas.
Verfa sser prüfte die von Petri, M ö 1 1 e r, G r a s s b erge r,
Uiihiuo w i t s e li u. s .w. gefundenen tuberkelähnlichen Organis¬
men nach. Dabei züchtete er aus den Schwarten eines mit Butter
intra peritoneal geimpften Meerschweinchens eine Bakterienart,
welche auf gewöhnlichen fettfreien Nährböden nicht säure¬
fest war. Merkwürdigerweise erhielt dieselbe Säurefestig-
k e i t. als sie auf Rinderfett-, Schweinfett-, Hammeltalg-, Butter-,
Olivenöl-, Lanolin- und Leinölagar gezüchtet wurde. Die Kultur
auf Leinöl- und Olivenölagar besass geringere Säure¬
festigkeit.
Bei der Untersuchung von 18 SmegmaprQ-ben fanden sich
10 mal Stäbchen, welche ebenfalls auf Lanolinnährboden
säure- und resp. alkoholfest wurden. Diese Bakterien, welche vom
P s e u d o diphtheriebakteriu m nur durch die ebenge¬
nannte Eigentümlichkeit und durch ihr blattartiges Wachs¬
tum abweichen, werden möglicherweise für die echten
Smeg m abazille n gehalten.
3) Schmidt: Die Bestimmung des Rohrzuckers in ge¬
zuckerten Früchten.
4) Fischer: Beiträge zur Kenntnis über die im Handel
befindlichen Zündwaaren und über ihre Untersuchung.
Die Arbeit befasst sich mit der Ausarbeitung von Unter¬
suchungsmethoden für die Zündwaren ohne w e i s s e n
Phosphor, Z ü n d w a r e n mit weissem Phosphor und
Z ii n d w a reu o li ne l’hos p h o r. Neben der qualitativen und
quantitativen Bestimmung der chemischen Bestandteile werden
in die Untersuchung auch die Bestimmung des Verhaltens der
Zündhölzer gegen Feuchtigkeit, die Entzündungstemperatur und
das Verhalten der Zündhölzer gegen Schlag und Stoss mit ein¬
bezogen.
5) W. Busse: Beiträge zur Kenntnis der Dammarharze.
0) S c li m i d t : Beiträge zur Zuckerbestimmung nach An¬
lage B und E der Ausführungsbestimmungen zum Zuckersteuer¬
gesetz.
In dieser Arbeit sind Vorschriften ausgearbeitet für die Be¬
stimmung des Zuckers in C h o k o 1 a d e, Karamelle n und
Bonbons, Raf f inadezeltchen, Dessertbonbons,
M arzipa u s, Kakes, Sch a u m w a r e n, verz u ckerte
F r ii chte und kondensierte Milch.
7) Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten.
Die Mitteilungen umfassen die ausführlichen Zusammenstel¬
lungen der Sanitätsverhältnisse im Berichtjahr 1899 und 1900 für
Deutsch.- Ostafrika, Iv a nr e r u n, S en a gaflussge-
b i e t, Togo, Deutsch-Süd westafrika, Marshall¬
inseln, Neu-Guinea, Karolinen, Marianen und
Y a p.
8) G ii n t li e r: Chemische Untersuchung eines neuen im
Handel befindlichen „Dauerwurstsalzes Borolin“ und eines
„Dauerwurstgewürzes“.
Die chemische Zusammensetzung dieser beiden Präparate war
fast dieselbe, nur waren in letzterem noch Pfefferkörner und zer-
stossener Pfeffer vorhanden. Beide Präparate enthielten Bor-
s ä u r e und sehr viel Zuc k e r, das Dauerwurstsalz auch
Borax. Nach dem Bundesratsbeschluss vom 18. Februar 1902
sind beide Salze verboten. It. O. N e u m a n n - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 41.
1) R. Breuer- Wien: Zur Technik der Leukocytenzählung.
Verf. gibt hierzu eine neue Einteilung der Zählkammer an,
welche aus 9 qmm besteht, welche in Rechtecke eingeteilt sind
(cf. Abbildung im Original, wo auch die für die Zählung nötige
Berechnung angegeben ist).
2) A. B u s e h k e - Berlin: Ueber Skierödem.
Bei einem sonst kräftigen und gesunden 46 jähr. Mann trat,
vielleicht im Anschluss an einen Influenzaanfall, ein aussemi’d ent¬
lieh pralles und tiefsitzendes Oedeiq am Nacken, Rücken, Kopf,
Kinn, Gesicht und den Oberarmen auf, das im Verlaufe von
2 Jahren sich grösstenteils zurückbildete, ohne dass in der er¬
krankt gewesenen Haut wahrnehmbare Veränderungen zurück¬
blieben; nur im Gesicht blieb eine dauernde Verdickung der tie¬
feren Schichten der Haut, ohne dass in den oberflächlichen Schich¬
ten sich Veränderungen entwickelt hätten. Diese Umstände
trennen den Fall von der Sklerodermie, mit welcher er sonst
einige Aehnlichkeit besitzt. Möglicherweise handelt es sich hier
um eine diffuse Lympligefässerkrankung.
3) C. Frhr. v. Schüler- Gelsenkirchen: Erfahrungen über
die medikamentöse Behandlung des Typhus abdominalis mit
Laktophenin in 450 Fällen.
Da bei den Kranken eine regelrechte Bädertherapie nicht
durchgeführt werden konnte, verwendete Verf. konsequent das
Laktophenin und sah nach Darreichung von 1 g ein Sinken des
Fiebers um 2 bis sogar 4 Grad, wobei der Wiederanstieg in einigen
Fällen unter Schüttelfrost erfolgte. Der Puls zeigte in keinem
Falle eine Verschlechterung. Günstig beeinflusst wurde nament¬
lich der Zustand des Zentralnervensystems, indem die aufgeregten
Kranken ausnahmslos beruhigt wurden und das Sensorium freier
wurde. Auf periphere nervöse Schmerzen schien keine Wirkung
durch das Laktophenin einzutreten. Dagegen wurde der Magen¬
darmkanal günstig beeinflusst, indem die Symptome der Darm¬
fäulnis eingeschränkt wurden und eine frühzeitige lle'bung d. s
Appetitgefiihh’S sich bemerkbar machte. Letztere Wirkung wird
auf die Abspaltung von Milchsäure aus denn Laktophenin zurück¬
geführt. Auch eine abführende Wirkung des Laktophenins war
zu bemerken, lieble Nebenwirkungen kamen nicht zur Beobach¬
tung. Die Tagesdosis betrug 3 g. Ein spezifischer Einfluss des
Laktophenins auf den Verlauf der Erkrankung war nicht zu kon¬
statieren. Die Mortalität betrug ca. 10 Proz.
4) G. L e v i n s o h n - Berlin: Ueber die Ursachen des pri¬
mären Glaukoms. (Schluss folgt.) Grassm a n n - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 41.
1) L. M i c h a e 1 i s - Berlin: Untersuchungen über Eiweiss¬
präzipitine.
Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Eiweissverdauung.
Nach einem im Verein für innere Medizin in Berlin am 24. März
1902 gehaltenen Vortrag, als erste Mitteilung einer mit Dr. Carl
Oppenheimer gemeinsam begonnenen Arbeit.
Referat hierüber siehe diese Wochenschrift, No. 13, pag. 540.
2) G. A s c 0 1 i - Genua: Ueber hämolytisches Blutplasma.
Das Ergebnis seiner Beobachtungen fasst A. in folgender
Weise zusammen:
1. Dem Plasma sind dieselben hämolytischen Eigenschaften
eigen, die an entsprechenden Serumarten in vitro und in vivo
nachgewiesen sind.
2. Diese Wirkung tritt unter Umständen zutage, durch welche
das Eingreifen osmotischer Faktoren ausgeschlossen ist. — In An¬
betracht der vollkommenen Analogie der in Frage kommenden
Vorgänge erscheint demnach die Annahme unhaltbar, dass die
hämo- und bakteriolytischen Wirkungen von Immun- und Normal¬
seris auf einer Plasmolyse oder Plasmoptyse infolge veränderter
osmotischer Verhältnisse bei Uebertragung in Freunds Serum
beruhen.
3. Soweit durch die an lytischen Seris ausgeführten Beob¬
achtungen die Annahme gestützt erscheint, dass iln*e spezifische
Wirkung auf einem Zusammenwirken zweier Substanzen — sen-
sibilisante und Alexin, Zwischenkörper und Komplement — be¬
ruht. müssen wir auch annehmen, dass dieselben bereits im un¬
veränderten Plasma vorhanden und dass Gerinnung, Leukolyse
und postmortale Vorgänge für dieselben nicht von genetischer
Bedeutung sind.
3) B ö n n i n g e r - Giessen: Zum Nachweis der Milchsäure
im Magensaft.
Gestützt auf verschiedentlich angestellte Versuche betreff der
zurzeit noch strittigen Frage des Nachweises der Milchsäure modi¬
fiziert Verf. die bisher geltenden Anschauungen dahin: Deutliche
Eisenchloridreaktion bei Probefrühstück beweist Milchsäure-
gälirung, ebenso starke Reaktion in dem Morgens nüchtern
Ausgeheberten bei motorischer Insuffizienz. Die Probemahlzeit ist
für den Milchsäurenachweis nicht zu verwerten. Bei guter Mo¬
tilität und Verdacht auf Milclisäuregährung ist eine Mehlsuppe
zu geben und nach 2 — 2 >/3 Stunden auszuhebern, wenn das I’robe-
frühstück keine deutlich positive Reaktion gibt.
4) M. J. R o s t o w z e w - St. Petersburg: Ein Fall von hoch¬
gradiger eystischer Erweiterung des Ductus choledochus.
(Schluss folgt.)
5) E. Wormser-Basel: Ueber Hautgangrän nach sub¬
kutaner Infusion.
Kasuistische Mitteilung.
0) F. K a 1 i s k i - Breslau: Ein Beitrag zur Pentosurie.
Verf. resümiert seine Ausführungen dahin, dass man sich be¬
hufs Entscheidung der Frage, ob eine Pentose oder eine Dextrose
vorliegt, nicht mit der Gährungsprobe allein begnügen soll, son¬
dern zur Diagnose der Pentosurie die Phlorogluzinsalzsäure oder
die Orcinprobe vornehmen soll. Besonders geeignet für den Prak¬
tiker ist die von B i a 1 vorgeschlagene Modifikation der Orcinprobe
(Deutsche med. Wochenschr., No. 25), die sich in wenigen Mi¬
nuten ausführen lässt. Durch die von Verf. angegebene Extrak¬
tion der lauwarmen Urinlösung mit Aether gewinnt die Reaktion
noch ganz besonders an Deutlichkeit.
7) v. K a r w a t - Strasburg i/Pr.: Ein Fall von Uterusruptur
intra partum mit Netz Vorfall durch Laparotomie geheilt.
8) F. G o 1 d s c h m i d t - Berlin: Atrabilin in der Urologie.
Mitteilung erfolgreicher Anwendung des Nebennierenextrak¬
tes, welcher bisher hauptsächlich in der rliinologischen und
oplithalmologischen Praxis sich Eingang verschafft hat und der
von den verschiedenen Autoren in seiner Wirksamkeit überein¬
stimmend gelobt wird, auch in einigen Fällen in der Urologie (bei
Blasen- und Prostataerkrankung.) — Auch prophylaktisch gegen
Blutungen, wie sie gelegentlich beim Bougieren oder bei der Endo¬
skopie besonders der hinteren Harnröhre auftreten, mit Einspritz¬
ungen von 10 ccm einer 25 proz. Lösung.
9) K. K ü s t e r - Berlin: Zur Verhinderung des Schnarchens.
10) Asyl a n d e r: Zur sozialen Lage des Aerztestandes.
NI. L a c li e r.
Berichtigung: In dem Referat über No. 39 der D.med.W.
muss es bei Artikel 4: Ebstein: Nochmals die Tastperkussion,
heissen: E. verteidigt seine Methode gegen die Kritik von E. Bälz
(Sammelreferat von A. Hesse in den Fortschritten der Medizin
1902, No. 19). F. L.
21. Oktober 1902.
MUENCITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 41. 1) r. Mos er -Wien: Heber die Behandlung1 des
Scharlachs mit einem Scharlachstreptokokkenserum.
Yergl. hierüber die Berichte der Münch, med. Woclienschr.
über die diesjährige Naturforscherversanimlurig in Karlsbad, spe¬
ziell die Sitzung der Abteilung für Kinderheilkunde am 22 Sep¬
tember 1902 (S. 1730).
2) S. G o 1 d li e r- Wien: Beitrag zur Diagnostik und Häufig¬
keit des kongenitalen Leistenbruches.
Verf. hat seine Befunde an 800 nach der Methode von
B a s s i n i Operierten erhoben. Seine Ausführungen bezwecken
den Nachweis, dass es viel mehr kongenitale Hernien gibt als
meist angenommen wird. Zunächst stellt er die Merkmale zu¬
sammen, welche nach der Ansicht der Autoren für die Diagnose
eines angeborenen Bruches massgebend sind, und betont, dass der
Befund bei der Operation nicht immer einen sicheren Anhalts¬
punkt dafür liefert, ob man es mit einem kongenitalen Bruche zu
tun hat. An seinem grossen Material prüfte G. besonders das
Merkmal des subserösen Lipoms, sowie das Verhalten des M. cre-
master auf ihre diagnostische Stichhaltigkeit. In den meisten
Fällen der Vorgefundenen subserösen Lipome bestanden daneben
noch andere Anzeichen des kongenitalen Charakters der Hernie.
Für letzteren erwies sich auch der gut entwickelt vorhandene
Kremaster als beweiskräftig. Mit Rücksicht auf den Befund bei
8 Fällen glaubt Verf., dass das gleichzeitige Nebeneinanderbestehen
einer Hernia directa und obliqua mit grösster Wahrscheinlichkeit
für kongenitale Anlage spricht. Nach seinen Kriterien fand Verf.
bei Männern in 53 Proz., bei Frauen in 56 Proz. kongenitale An¬
lage des operierten Bruches, trotzdem der anatomische Befund
keine Anhaltspunkte für kongenitale Verhältnisse ergab. Aus
alledem glaubt Verf. zu der eingangs erwähnten Folgerung berech¬
tigt zu sein.
3) I. J. Sternberg - Wien: Zur Kenntnis der Brachy-
daktylie.
Mitteilung und eingehende Beschreibung zweier Fälle. Im
ersten derselben bestand bei dem 24jähr. Mädchen eine sym¬
metrische Verkürzung der beiden Mittelfinger, bei sonst ganz nor¬
malen Knochenverhältnissen. Die Verkürzung der betroffenen
Finger beruhte auf einer Verkürzung der Metakarpalknochen, wie
bei der Durchleuchtung sich mit Sicherheit nachweisen liess. Nach
Anführung der einschlägigen Kasuistik kritisiert Verf. an der
Hand seines Falles die von Klimm eil über die Entstehung der¬
artiger Missbildungen gegebene Erklärung, mit dem Schlüsse, dass
für die vorliegende Beobachtung eine klare Pathogenese nicht
formuliert werden könne; speziell kann der Einfluss eines voraus¬
gegangenen Traumas nicht abgeschätzt werden. Die Missbildung
kann in diesem Falle überhaupt nicht als kongenital gefasst wer¬
den, sondern ist erst im Kindesalter, vielleicht aus einer embryo¬
nalen Anlage heraus, entstanden. Im zweiten Falle handelt es
sich um Verkürzung des 5. Mittelhandknochens.
4) L. Hof bauer-Wien: Rekurrenslähmung bei Mitral¬
stenose. ! |] ;j
Bei einem 32 jähr. Hilfsarbeiter fanden sich die Erscheinungen
der Mitralstenose, zu gleicher Zeit Heiserkeit, als deren Ursache
eine linksseitige Rekurrenslähmung festgestellt wurde. Ein Media¬
stinaltumor konnte ausgeschlossen werden. Zur Erklärung der
Nervenlähmung nimmt Verf. nicht in Anlehnung an 2 frühere Fälle
an, dass durch den stark ausgedehnten rechten Vorhof der Nerv
stark an die Aorta gedrückt und dadurch geschädigt werde, son¬
dern dass die Schädigung erfolge durch die Kreuzung und Läh¬
mung des N. recurrens am Ligament. Botalli. Der Fall bot noch
das Besondere, dass die vorhandene Heiserkeit eine Abnahme er¬
fuhr, sobald der Kranke Rechts- oder Rückenlage einnahm.
5) F. Rode- Wien: Ueber einige Fälle von traumatischen
Abszessen der Nasenscheidewand.
Nach allgemeiner Schilderung des Krankheitsbildes der übri¬
gens recht seltenen Affektion bespricht Verf. besonders die Rolle
des Traumas für die Aetiologie derselben. Soll durch ein solches
eine zum Abszess führende Schädigung der Nase eintreten, so darf
die einwirkende Kraft nicht zu bedeutend sein, da sonst eine
Fraktur erfolgt, ferner muss sie einen ganz bestimmten Bezirk der
Nase treffen, nämlich den fixen Teil des kartilaginösen Septums.
Verf. gibt die Krankheitsgeschichte von 5 derartigen Fällen, welche
an der Klinik von G li i a r i beobachtet wurden. In allen Fällen
wurde eine Perforation des Knorpels durch den entstandenen
Abszess nachgewiesen, der Abszess selbst durch Inzision behan¬
delt, worauf immer Heilung eintrat. Die von den Autoren unter
den auftretenden Erscheinungen aufgeführte Nasenverstopfung
tritt nach den an diesen Fällen gemachten Beobachtungen nicht
schon so frühzeitig ein. wie gewöhnlich angegeben wird, sondern
erst nach 3 — 7 Tagen. Bei der Inzision der Abszesse fiel auf, dass
die Bepinselung der betreffenden Stelle mit 20 proz. Kokainlösung
nicht ausreichte, um sie unempfindlich zu machen, weshalb es sich
empfehlen dürfte, eine 1 proz. Eukainlösung in die Abszesshöhle
z.u injizieren. Grassmann - München.
Französische Literatur.
G. Carriöre - Lille: Einige Fälle von Angina mit dem
Tetragenus. (Revue de medecine, Juni 1902.)
G. führt hier sowohl die sekundär durch den Tetragenus ent¬
standenen (von Dieulafoy und A p e r t beobachteten) als auch
1765
die primären Fälle von Angina auf, von welch letzteren (11 im
ganzen) 7 seiner eigenen Beobachtung entstammen. Die letzteren
kamen im Alter von 3 — 12 Jahren vor, beim Säugling wurden sie
bis jetzt nicht beobachtet; beide Geschlechter waren gleichmässig
affiziert. Alle Fälle entstanden, während die Atmosphäre ausser¬
ordentlich feucht war (gegen Ende des Herbstes). Was die bak¬
teriologische Untersuchung betrifft, so färbt sich der im Rachen
der Kranken gefundene Tetragenus leicht mit Karbolsäure-Tliioniu
und allen basischen Anilinfarben, ebenso nach Gram. In kli¬
nischer Beziehung unterscheidet C. 2 Arten von Angina, welche
durch den Tetragenus verursacht werden: 1. den Typus mit Röte
und Eiterung und 2. jenen mit Eiterung und diphtherieartigem
Belag. Ersterer beginnt plötzlich mit Magenstörungen, Fieber.
Schluckbeschwerden; die Tonsillen sind geschwollen, der Rachen
lebhaft rot, rasch erscheinen kleine eitrige Herdehen: ausgespro¬
chene Drüsenschwellung. Die Angina ist nach 3 Tagen zu Ende
und es bleibt nur die submaxillare Drüsenschwellung, die Hyper¬
trophie der Mandeln, Tachykardie und Anämie. Bei der zweiten
Form ist der Beginn ebenfalls ein brüsker, mit rasch ansteigendem
Fieber; es ist eine heftige Angina mit weissliehen, resistenten
Pseudomebranen vorhanden, letztere stossen sich bald ab und nach
3 Tagen ist nur mehr eine diffuse Röte des Rachens vorhanden
und, ebenso wie oben, Drüsenschwellung, Tachykardie und An¬
ämie. Die Differentialdiagnose von der rein diphtlieritisehen An¬
gina, ebenso wie von der Pseudodiphtherie, welche durch Strepto-
und Staphylokokken hervorgerufen wird, ist nur mikroskopisch
zu stellen. Die P r o g n o s e der Tetragenusangina ist eine durch¬
aus günstige, in 3 — 4 Tagen ist alles vorüber und niemals traten
schlimme Folgen ein, mag sie primärer oder sekundärer Natur
gewesen sein. Die Behandlung, welche C. einleitete, bestand da¬
rin: 1. die Nase mit Mentholöl (1:50) — 6 Tropfen 4 mal täglich —
zu desinfizieren, 2. Asepsis und Antisepsis von Mund und Rachen
(Gurgeln, Pinseln mit Na-carbon. 1:100, mit Sauerstoff wasser),
3. ein Brechmittel am ersten Tage zu geben, dann flüssige Diät
und 4. während der Rekonvaleszenz stärkende Mittel, wie Leber¬
tran u. s. w.
( ’h. F e r e und M. Francillon: Ueber die Häufigkeit
der Retraktion der Aponeurosis palmaris bei Geisteskranken.
(Ibidem.)
Dieser Zustand kam bei allgemeiner Paralyse zur Beobach¬
tung, und seit dem Jahre 1887 hat man 6 Fälle von bilateraler und
1 Fall von einseitiger Retraktion gesammelt; bei allen Kranken
hatte die Aftektion der Hände begonnen, bevor deutliche Zeichen
der Geisteskrankheit sich eingestellt haben. Nach den 8 Fällen,
welche \ erfasset’ hier beschrieben, ist die Retraktion der Pal-
mara poneürose häufiger bei chronischem Delirium — in 5 von
35 Fällen — , während bei 38 Paralytikern nur 2 mal dieser Zu¬
stand getroffen wurde. Auch in anderen Fällen von Geistes¬
krankheit, bei Dementia senilis, bei Imbeeillitas fanden Verfasser
die Retraktion der Aponeurosis palmaris, welche, der Narben¬
kontraktion ähnlich (s. Abbildung) durch ihr symmetrisches Auf¬
treten auf eine trophoneurotisehe Störung schliessen lässt. Ver¬
fasser fanden im ganzen unter 226 Geisteskranken 14 mal diesen
Zustand, d. i. in einer Proportion von 6.19 Proz. Diese Verhältnis-
zahl ist eine etwas höhere wie die bei allgemeiner Paralyse allein
(5.16 Proz.) gefundene. Daraus, dass diese Sehnenretraktion vor
dem Auftreten der trophischen, der Paralyse eigentümlichen
Störungen sich einstellt, schliessen Verfasser, dass sie bei dieser,
ebenso wie bei anderen Geisteskrankheiten, auf einen angeborenen
anatomischen Defekt zurückzuführen ist.
Georges Rosenthal: Die kontinuierliche pseudolobäre
Bronchopneumonie. (Ibidem.)
Ebenso wie der Streptokokkus erysipelatis verschiedenartige
klinische Erscheinungen verursachen kann, ebenso kann der
Enterokokkus, dessen Chemismus mit jenem des Bakterium coli
verwandt ist, den Respirationsapparat befallen und eine gewöhn¬
liche Bronchitis oder Bronchopneumonie verursachen. Die 4 Fälle
dieser Art, welche R. beobachtete, betrafen alle Erwachsene, bei
welchen Darmstörungen, zuweilen heftige Diarrhöe mit Inkonti¬
nenz vorausgegangen waren. Der Beginn der Lungenaffektion
drückt sich durch Schwäche, Appetitlosigkeit, Brustschmerzen,
Fieber aus. Dasselbe nimmt zu, der Husten wird schmerzhaft, der
Auswurf schleimig-eitrig. Die Auskultation konstatiert eine all
gemeine Bronchitis, kompliziert mit bi’oncho-pneumonischen Her¬
den, welche entweder an der Basis oder an der Spitze oder unter
der Achselhöhle sitzen. Die physikalischen Zeichen können sich
bessern, aber an einigen Stellen bleiben noch Rhonchi und Rassel¬
geräusche, matter Schall bei der Perkussion, kurz alle Zeichen
einer Lungenhepatisation, welche auf einen Lappen oder auf eine
Lungenpartie begrenzt ist; dieser Zustand kann Wochen und
Monate hindurch stationär bleiben, analog einem ähnlichen Sta
dium bei Typhus — daher der Ausdruck kontinuierlich. Der Aus
wurf, die Punktion der Lungen und die Präparate nach der
Autopsie haben in 2 Fällen den reinen Enterokokkus und in den
2 anderen den Enterokokkus mit dem Kokkobazillus assoziiert
ergeben. Die Prognose dieser Bronchopneumonie muss als eine
schlechte angesehen werden, da von den 4 Fällen 2 tödlich endeten,
in den beiden handelte es sich um oben genannte Mischinfektion.
Differentialdiagnostisch ist es wichtig, anfangs Typhus und
während des Verlaufs der Krankheit tuberkulöse Broncho¬
pneumonie auszuschalten. Bei allen 4 Patienten handelte es sich
übrigens um einen geschwächten Organismus (ITeberarbeitung,
Diabetes), bei zweien davon noch um Alkoholiker. Die Kenntnis
dieser schweren Form von Enterokokkenpneumonie ist für Ver¬
fasser ein Antrieb, ein spezifisches Mittel gegen den Enterokokkus,
1766
MIJEN CilEXEJi MEDIClNiSCHE WüCHENSClIKl ET.
No. 42.
vielleicht ein Antienterokokkenserum, zu suchen, welches man
allein oder vermischt mit dem gegen den Kokkohazillus wirk¬
samen Serum anwenden müsste.
A. Mos so: Die Kartoffelkur beim Diabetes mellitus und
dessen Komplikationen. (llevue de medecine, Februar — April
und Juli 11)02.)
Der Schluss, welchen M. aus seinen äusserst ileissigen. um¬
fangreichen rutersuchungen zieht, ist. dass die Anwendung der
Kartoffel als Nahrungsmittel beim Diabetes und dessen chirur¬
gischen Komplikationen nicht nur unschädlich, sondern sehr vor¬
teilhaft ist. Durch die neuen hier beigebrachten Beweise sind
sogar der Heilkraft der Kartoffelkur beim Diabetes und die
Theorie, welche M. über diese Heilwirkung schon früher aufge¬
stellt hat, wonach es sich bei den Kartoffeln um eine ähnliche
Wirkung wie bei den alkalischen Mineralwässern handelt, be¬
stätigt. Bei den Kartoffeln, welche vollständig als Ersatz für Brot,
natürlich je nach der Toleranz des Patienten, zu geben sind, ist
das wirksame Alkali Kalium, welches in vieler Beziehung bei den
saueren Diatliesen und den in verlangsamter Ernährung bestehen¬
den Krankheiten dem Natrium vorzuziehen sei. Die Einzelheiten
über Indikationen und Gegenindikationen der Kartoffelkur, über
die verschiedenen Zubereitungsarten (Kartoffelbrot) u. s. w. sind
im Original nachzusehen.
Bertrand: Einige Betrachtungen über den Mechanismus
der intestinalen Infektion bei der Dysenterie. (Revue de me¬
decine, Juli 1902.)
B. hält daran fest, dass die Dysenterie durch mehrere
Mikrobenarten und deren Assoziation zu stände kommt; dies ist
zu beweisen durch das Aussehen der Stühle, durch die Mikrobio¬
logie der lveberabszes.se (Staphylokokken, Streptokokken, Proteus,
Bac. coli u. s. w.) und auch durch die bei Dysenterie vorkommen¬
den Arthropathien. Der weitere Mechanismus ist vermehrte Viru¬
lenz der Mikroorganismen im Darme (Vas dose), ebenso wie es
(nach I) i e u 1 a f o y) bei der Appendizitis der Fall ist. Thera¬
peutisch ist daher bei Dysenterie die Anwendung von Opium, von
Adstringentien u. ä. vollständig zu verwerfen, sondern der einzig
rationelle und zweckmässige Weg ist ergiebige Evakuation.
Henri F r enkel: Die rythmischen Kopfbewegungen
(M u s s e t sches Zeichen) bei Aortenaffektion und bei gesunden.
Personen. (Ibidem.)
Fr. hält im Gegensatz zu Valentine (s. diese Wochen¬
schrift No. 35, S. 1174) daran fest, dass in seinem Falle von Pleu¬
ritis das Müsset sehe Zeichen ohne irgend welche Affektion der
Aorta vorhanden ist, ferner bringt er den Beweis, dass auch bei
ganz gesunden Personen dasselbe Vorkommen kann. Er schliesst
daraus, was diese Kopfbewegungen bei Kranken mit Aortenin¬
suffizienz u. s. w. und bei manchen gesunden Personen sichtbar
mache, sei nicht diese oder jene Erkrankung des Herz-Gefäss-
systems, sondern die Energie des Herzschlages, die in den Fällen
mit arterieller Hypertension und zumal, wenn noch Hypertrophie
des linken Ventrikels damit verbunden, besonders ausgeprägt
sei. Aber weder letztere, noch die übermässige Spannung im
Arteriensystem sind absolut notwendige Bedingungen, wie Fr. bei
mehreren gesunden Personen vermittels der graphischen Methode
und selbst mit. blossem Auge konstatiert hat.
I* o ula in; Der Einfluss der Lymphdrüsen auf die Ab¬
sorption und Resorption des Fettes. (Revue mensuelle des rua-
ladies de l'enfance, Juli 1902.)
Diese aus dem Laboratorium von Prof. Hutinel kommende
Arbeit beschäftigt sich in ihrem ersten Teile mit dem physio¬
logischen Zustande der Lymphdrüseu; dieselben sind demnach als
Reservoire für die Fettsubstanzen oder noch besser als Organe
aufzufassen, welche dieselben sezernieren. In den Drüsen wird ein
fetthildendes Ferment abgesondert, welches eine Rolle bei der Ab¬
sorption und Resorption spielt; diese Rolle ist vor allem eine re¬
gulierende. bestimmt, gegen die Erschöpfung anzukämpfen, wenn
die Ernährung ungenügend wird, und im Gegenteil ein Fett¬
rest rvoir anzulegen, wenn dieselbe zu reichlich ist. Von diesem
Gesichtspunkte aus halten die Lymphdrüsen, zugleich mit Leber
und Pankreas, das Gleichgewicht der Ernährung aufrecht. Im
zweiten Teile der Arbeit wird die Pathologie, besonders bei In¬
fektionen besprochen. Dieselben vermindern in den Lymph-
territorien. welche den kranken Organen entsprechen, die fett-
bihlend > "Wirkung der Lymphdrüsen; daraus resultiert speziell
eine rasche Abmagerung in Fällen von Darminfektion. Vielleicht
kann diese Veränderung der Drüsen auch zu den ätiologischen
Faktoren der Fettsucht gerechnet werden, aber sie ist jedenfalls
unabhängig von der sogen. Steatose des Parenchyms. Die sub¬
kutane Oelinjektion, welche einigermassen günstig bei kachek-
tischen Tieren wirkte, hat sich übrigens beim kranken Menschen
als ganz unwirksam erwiesen.
V e r g e 1 y - Bordeaux: Die bei Kindern untertags vorkom¬
menden Halluzinationen. (Ibidem.)
Während die nächtlichen Halluzinationen im Kindesalter
schon häufig beobachtet und beschrieben worden sind, ist dies
weniger mit den bei Tag auftretenden der Fall, welche sich nach
V. in der Konvaleszenz mancher Krankheiten der Unterleibsorgane
einstellen. Im ersten der beiden von V. beschriebenen Fälle han¬
delte es sich um Appendizitis bei einem 7 jährigen Knaben, nach
deren Ablauf ausgesprochene Gehörshalluzinationen, im zweiten
um Typhlokolitis bei einem 10 jährigen Mädchen, nach deren
Rückgang Gesichtshalluzinationen auftraten. In beiden Fällen
■waren diese nervösen Störungen besonders ausgeprägt, wenn die
Kinder ermüdet waren, verliefen jedoch ohne weitere Folgen.
F. D e v e; Die inneren Gallenergüsse infolge Ruptur von
Hydatidcncysten der Leber und speziell der intraperitonale Er¬
guss von Gallenfiiissigkeit (Hydatidencholeperitonitis). Revue de
Chirurgie, Juli 1902.)
Es handelt sich in diesen Fällen um einen direkten Erguss
von Gallenfiiissigkeit in die Bauchhöhle im Gegensatz zu der in¬
direkten Art — - Ascites biliosus — , wo die Galle durch die Blut¬
hahn in das Peritoneum gelangt. Auf Grund von 14 aus der
Literatur gesammelten Fällen, welchen sich ein selbst beobachteter
und 5 noch späterhin von Alexinsky publizierte hinzugesellen,
also insgesamt 20 Fällen, gibt hier D. eine genaue Beschreibung
dieser Folgeerscheinung der Lebercysten, deren Symptomatologie,
Verlauf, pathologische Anatomie, Aetiologie und Behandlung. Bei
dieser Choleperitonitis handelt es sich um einen Flüssigkeitserguss,
der im allgemeinen die gesamte Bauchhöhle ausfüllt und bei
welchem man alle Symptome des gewöhnlichen Aszites findet; zu¬
weilen ist jedoch ein abgesacktes Exsudat vorhanden. Die ge¬
wöhnlich sehr reichliche Flüssigkeit dehnt die Bauch wände aus,
drängt das Zwerchfell nach oben und verursacht eine Atemnot,
welche früher oder später die Punktion notwendig macht. Es ist
k ein I k t erus und kein F i e b e r vorhanden. 1 >er Anfang
der Affektion (Ruptur) ist ein brüsker, der Schmerz nimmt aber
rasch ab, um nach einigen Stunden ganz verscim unden zu sein,
der Leib wird sehr stark aufgetrieben — zuweilen schon in
24 Stunden bis einige Tage. Die Flüssigkeitsmenge, welche man
bei der Punktion entleert, beträgt oft 8—10 Liter, häufig sind
mehrere Punktionen, 2, 3 —0, nötig. Die Affektion kann mehrere
Monate hindurch indolent und ohne Fieber verlaufen, der All¬
gemeinzustand wird jedoch bald ein schlechter. Magen-Darm¬
störungen treten auf und unter dem Bilde der Kachexie stellt
sich letales Ende ein. Nicht immer ist dies der Fall, sondern die
Gallenfistel kann sich schliessen und spontan ausheilen. Von den
Komplikationen kommen besonders in Betracht einerseits die
sekundäre Echinokokkenbildung im Peritoneum, andererseits die
Infektion der Cystentasche und dadurch des Bauchfells — 2 der
angeführten Fälle, wo die Infektion in 8 resp. 14 Tagen den Tod
herbeiführte, sind dafür ein Beispiel. AVas die Aetiologie des
Gallenergusses in die Bauchhöhle betrifft, so erfolgte die Ruptur
der Cyste unter den 15 Fällen 7 mal spontan, 4 mal gelegentlich
einer besonderen Anstrengung und 1 mal in Folge eines Traumas;
in 3 Fällen war die Ursache nicht zu ermitteln. AVTas die D i a -
gnose betrifft, so könnte sie sich bei vorher erkannter Leber¬
cyste aus dem oben beschriebenen Verlauf ergeben; hat die Probe¬
punktion das Vorhandensein von Galleflüssigkeit bei kompletter,
aseptischer Peritonitis, welche ganz spontan eingetreten ist, er¬
geben. so sollte man in erster Linie an die Wahrscheinlichkeit
einer Hydatidencyste denken. Bezüglich der B e h a n d lang
verwirft Verfasser vollständig die Methode der wiederholten
Punktionen und hält für die einzig rationelle möglichst frühzeitige
Laparotomie (in der Mittellinie), Auswaschung der Bauchhöhle
(mit einfach gekochtem oder Salzwasser) und Schliessung der
Wunde mit Drainage.
Robert Picque: Die Coxa vara in der Adoleszenz. (Ibidem.)
Seit Hofmeister (1S94) bezeichnet man unter diesem
Namen eine Deformation des oberen Endes des Femur, welche in
einer Deviation von Hals und Schenkelkopf nach unten und hinten
besteht; klinisch kennzeichnet sich dieselbe dadurch, dass die
Unterextremität nach aussen rotiert und adduziert ist. P. bringt
hier eine genaue Beschreibung dieser Affektion — deren patho¬
logische Anatomie, Symptomatologie (3 Perioden der Entwicke¬
lung). Aetiologie und Pathogenese, diagnostische Schwierigkeit und
Behandlung unter Zugrundelegung der gesamten Literatur (An¬
gabe derselben). Die Hauptschlüsse P.s seien hier angeführt.
Die Coxa vara ist angeboren oder erworben, im ersteren Falle
entsteht sie aus einer Missbildung des oberen Femurendes, im
zweiten tritt sie erst nach der Kindheit, im Alter der Tarsalgie (?),
auf. Sie entwickelt sich dann in schleichender AVeise, ohne fühl¬
bare Ursache und ohne Spuren von Rliaehitis und lokalisiert sich
mit ATorliebe an einem Femur, der ursprünglich länger als sein
Homologen der anderen Seite ist. Diese Gelenksaffektion hat also
die Bedeutung eines Kompensationsprozesses, welcher eine
knöcherne Extremität betrifft, die in der Wachstumsperiode dem
Einfluss eines einseitigen Körpergewichts unterliegt und das Be¬
streben hat, die I )yssjymmetrie) derUnterextremitäten auszugleichen.
Die Coxa vara entwickelt sich in zwei Stadien: im ersten, schmerz¬
haften Stadium sind Erscheinungen von Osteoarthritis mit Kon¬
traktion vorhanden, woraus eine bedeutende Beschränkung der
Bewegungen und die Stellung der Extremität in Adduktion und
Rotation nach aussen resultiert. Im zweiten Stadium, der ab¬
geschlossenen Deformität, hört jede Reizerscheinung auf, es be¬
stehen nur die funktionellen, auf der knöchernen Deformation be¬
ruhenden Störungen. Die Behandlung muss also darin bestehen,
diese Heiltendenz der Natur zu begünstigen durch Bettruhe und
Extensionsverband. Späterhin könnte im äussersten Falle die
Osteotomie (über dem Condylus) eine allzu hochgradige Deforma¬
tion korrigieren.
Krasmitski (bakteriolog. Institut zu Kiew): Immuni¬
sierung gegen die Tollwut vermittels der intravaskulären In¬
jektionen des Lyssagiftes. (Annales de l’institut Pasteur. Juni
1902.)
Nach den experimentellen Untersuchungen von K. sind die
Injektionen des Tollwutgiftes direkt in die Blutbahn hinein nicht
gefährlich, vorausgesetzt, dass es in filtrierter und diluierter
Emulsion, welche auf 37 0 erhitzt und langsam entwickelt ist, ge¬
braucht wird. Durch die intravenösen Injektionen macht man die
Tiere rascher refraktär gegen die Tollwut und erhält man eine
festere Immunität als mit den anderen Impfmethoden; macht man
21. Oktober 1902.
MtTEN CHENETv MEDT CINIS CHE WOCHENSCHRIFT.
1767
diese Injektionen dem Kaninchen,
empfindlichsten gegen Tollwut ist,
Einimpfung des Tollwutgiftes, so
hruch der Krankheit zu verhüten,
und grosse Wirksamkeit dieser
und es ausserordentlich wieliti
welches von allen Tieren am
sogar nach der intrakraniellen
gelingt es zuweilen, den Aus-
Nachdem die Unschädlichkeit
intravenösen Injektionen feststeht
ist, bei Personen, welche von toll-
^ - - - * v.ovumt, »vv-ivuc V Uli Ulli-
wutkranken lieren gebissen wurden, besonders in Fällen schwerer
Bisswunden, rasch eine verstärkte Immunität zu erzielen, so
machte Prof'. W y s o lt o w i e z im bakteriologischen Institut zu
Kiew die ersten Versuche mit den intravenösen Injektionen an
gebissenen Personen und die Resultate an den 70 bis jetzt damit
behandelten sollen im ganzen sehr ermutigende sein.
Ein neues Verfahren von Tetanusreinkultur.
a n d :
L. Deb r
(Ibidem.)
I). hatte schon früher bewiesen, dass die Toxine des Tetanus¬
bazillus und die Toxine, welche aus der Reinkultur dieses Bazillus,
assoziiert m i t dem Bac. subtilis, entstehen, identisch seien. Die
weiter sich ergebende Schlussfolgerung, dass man mit den Toxinen,
welche durch Reinkultur dieser beiden Mikroorganismen zusammen
gewonnen werden, ein ebenso wirksames Heilserum erhält, wie
mit dem alten klassischen Verfahren, sucht er durch die in vor¬
liegender Arbeit beschriebenen Experimente zu beweisen. Dieses
neue Kulturverfahren könnte daher an Stelle des alten zur Her¬
stellung des Tetanusheilserums angewandt werden.
Cantacuzene: Untersuchungen über die Resorption der
in den Organismus injizierten Leberzellen. (Ibidem, Juli 1902.)
Das interessante Problem der Zellresorption im gesunden oder
kranken Organismus, welches schon lange die Biologen beschäf¬
tigt. wird hier in einer längeren Untersuchungsreihe von C.. einem
Schüler Metschnikoffs, wieder aufgenommen und, je nach¬
dem die Leber in das Bauchfell oder in die Venen injiziert wird,
sind die Erscheinungen verschiedene. Im erstereu Falle ist die Re¬
sorption eine vollständige und die dazu nötige Zeit beträgt 10 Tage
bis 3 Monate. Die injizierten Leberzellen bleiben 3 Tage am
Leben. Am Anfänge spielen bei der Resorption der Leberzellen
die vielkernigen Leukocyten eine gewisse Rolle, während die Zer¬
störung der Zellen ausschliesslich den grossen einkernigen Blut¬
körperchen zukommt, welche allmählich bis in das Zentrum der
Zellhaufen Vordringen, dieselben auseinanderdrängen, die Zellen
umfassen und in grossen Vakuolen gleichsam auffressen. Die mit
den Leberkörnchen beladenen Makrophagen gehen in den Lympli
ström zurück, sei es im Innern der Lyntphwege, welche zum Epi
ploon gehen oder direkt in die Milz und Mesenterialdrüsen durch
das Endothel des Peritoneums gelangend. Ausserhalb der Zellen
beobachtete man weder im Exsudat noch an der Oberfläche des
Epiploons eine Zerstörung der Lebersubstanz; die Resorption der¬
selben vollzieht sich um so rascher, je näher das Tier, welchem
die Injektion gemacht wurde, der Tierart, von welcher die Leber
stammt, stellt. Bei den Injektionen der Leber in die Venen wird
ein Teil der Lebersubstanz in den Blutgefässen der Lunge auf¬
gehalten. Die Leberpartikelchen, zuerst von vielkernigen Leuko¬
cyten durchdrungen, werden rasch auseinandergedrängt und von
den einkernigen eingehüllt, welche sie nach 24 — 3d Stunden in die
Lymphorgane treiben. Die Kupf f e r sehen Leberzellen halten,
ebenfalls am Anfang, einen Teil der injizierten Leberzellen auf;
die allmähliche Zerstörung von Protoplasma und Leberpigment
kommt hier im Verlaufe von S — 10 Tagen zu stände. Der Hauptort
jedoch, wo die auf dem Wege der Blutzirkulation eingeführten
Leberzellen zerstört werden, findet sich in den Blutbahnen der
Milz, wo man dieselbe Reihenfolge von Tatsachen beobachtet wie
am Epiploon. Die Injektionen von Lebersubstanz verursachen
eine Anzahl toxischer Veränderungen an den Zellen des Organis¬
mus, wie z. B. eine Nephritis, welche ausschliesslich die Zellen
der Tubuli betrifft. Die interessanteste Modifikation ist aber die
amyloide Entartung der Milz, wie sie von D o m i n i c i beobachtet
und beschrieben wurde. (Dazu 2 sehr instruktive Farbentafeln.)
P. Desfosses und A. AI a r tine t.: Der Aderlass. (Presse
medicale 1902, No. 5G.)
Nach einem historischen Ueberblick über die frühere ausge¬
dehnte Anwendung des Aderlasses, zum Teile mit sehr interessanten
Abbildungen aus Werken der vergangenen Jahrhunderte illustriert,
beschreiben die Verf. genau diesen kleinen Eingriff, die Zufälle,
welche dabei Vorkommen können, und die physiologischen Wir¬
kungen des Aderlasses. Die therapeutischen Indikationen, welche
auch jetzt noch für denselben gegeben sind, sind Plethora und
Toxämie; speziell bildet der Aderlass ein ganz hervorragendes Er¬
leichterungsmittel in gewissen Fällen von Herzkrankheiten, bei un¬
komplizierter Insuffizienz der Mitralis, bei herzkranken Schwange
ren u. s. f. Das akute Lungenödem und gewisse Fälle von lcapil
lärer Bronchitis mit Zeichen der Dilatation des rechten Herzens
sind fernere Indikationen für den Aderlass, auch Kongestionen
des Gehirns und Blutungen in dasselbe am Beginne des Leidens.
Schliesslich muss der Aderlass bei akuter Urämie (infolge von
Scharlachnephritis, von akuter primärer Nephritis und bei akuten
Anfällen der Br i glitschen Krankheit) und bei puerperaler
Eklampsie als wichtiges blutreinigendes Mittel bezeichnet werden.
Maurice Per rin: Tetanus des Neugeborenen. (Annales de
medecine et Chirurgie infantiles, 15. Juli 1902.)
In den 2 beschriebenen Fällen, wo typischer Tetanus im An¬
schluss an den Abfall der Nabelschnur (am 15. resp. 5. Tage nach
der Geburt) auftrat, verlief die Affektion ganz verschieden; im
ersten Falle trat nach Gebrauch des Tetanusheilserums vollstän¬
dige Restitutio ein, im zweiten schon nach 5 Tagen der Tod. Die
bakteriologischen Untersuchungen des Nabelschnurrestes wie des
stark nässenden Nabels blieben in beiden Fällen völlig negativ.
Dennoch zweifelt P. nicht, dass die Infektion durch unsaubere
!
1 Linde, schmutzige Masche oder ähnliches von der Nabelwund.*
aus, welche in beiden Fällen sehr verunreinigt schien, zu stände
gekommen ist.
J e a n s e 1 m e: Die Opfer der Blattern im französischen
Indochina. (Presse medicale, No. 02, 1902.)
.1. schätzt, dass in diesen französischen Besitzungen und in
der benachbarten chinesischen Provinz Yunnarn der vierte Teil
der Kinder den Blattern erliegt. Nach N o g u e soll die Zahl der
von der Krankheit überhaupt befallenen Kinder ca. 90 Proz. und
die Sterblichkeit sogar 00—70 Troz. betragen. Am stärksten wer¬
den die Kinder im Alter von 2 — 5 Jahren befallen; die Ursache
hiefür liegt darin, dass 1. die Schutzimpfung (Vaccination) nicht
eingeführt ist und 2. die eingeborenen Aerzte zum grössten Teile
noch der sehr schädlichen Variolisation huldigen. Um diese, für
das Land so verderbliche, Seuche zum Stillstand zu bringen, for¬
dert .T.. der an zahlreichen Beispielen die schlimmen Folgen des
jetzigen Systems nachweist, wie natürlich, Abschaffung der
Variolisation und obligatorische Schutzimpfung der Eingeborenen,
Itevacciuation der einzelnen Truppen, der Miliz, der Polizei¬
organe, der Prostituierten und der in den verschiedenen Anstalten
gefangen Gehaltenen. Stern- München.
Holländische Literatur.
C. L. Itümke: Die Wirkung von Antiarin auf das Herz.
(Weekbl. van bet Nederl. Tydschr. vor Geneeskunde 1902. I, No. 15.)
R. studierte die Wirkung minimaler Dosen von Antiarin, dem
bekanten ostindischen Pfeilgifte aus dem Milchsäfte von Antiaris
toxicaria, bei Rana esculenta und fand, dass das Mittel zu Un¬
recht unter die Kardiotonika gezählt wird. Es bewirkt bei Rana
in sehr kleinen Quantitäten, am besten bei einer Verdünnung von
1 : 7*00 000, einen P u 1 s u s alter n a u s. 1 )iese eigenartige Allo-
rliythmie beruht vorwiegend auf Verminderung der Kontraktilität
und Abnahme des Leitungsvermögens des Herzmuskels.
.T. A. Roorda-Smit: Zungenamputation mit dem Ketten-
ecraseur. (Ibidem.)
R. teilt 2 Fälle von Zungenkarzinom mit, allerdings ohne Be¬
teiligung der Lymplidrüsen, die er mit dem Eeraseur radikal
operierte und bei denen Rezidiv erst nach 7 Jahren auftrat.
Prof. Pekelharing: Ueber den Einfluss von Alkohol
auf die Abscheidung des Magensaftes. (Ibidem, I, No. 10.)
Die Versuche wurden an einem kräftigen Hunde ausgeführt,
dem nach der Methode von P a w 1 o w eine Magen- und Speise¬
röhrenfistel angelegt worden war. In Uebereinstimmung mit
R a dikowsky, Frouin und Moli vier ergab sich, dass die
Zuführung von Alkohol per Klysma die Absonderung des Magen¬
saftes befördert.
J. Breitling: Ueber alimentäre Glykosurie und Lävulo-
surie bei Leberkrankheiten. (Ibidem, II, No. 18.)
Verf. hat in der Klinik von Prof. Rosen st ein die Re¬
sultate von S trau ss (Deutsche med. Wochensehr. 1901, No. 44
bis 45), sowie die von Bierens de Haan (Arch. f. Verdau-
ungskrankh., Bd. III) nachgeprüft. Die Untersuchung geschah
bei 21 Patienten, worunter 19 mit Cirrliose, 1 mit Care, hepat. et
ventr., 1 mit kat. Ikterus. An Zucker wurde gegeben: 100 g Gly-
kose, 100 g Lävulose, 150 g Saccharose, entweder 7 Uhr Abends
oder 0 Uhr Morgens.
Das Resultat von 12 Patienten, bei welchen nach Lävulo-
surie gesucht wurde, war 10 mal positiv und 2 mal negativ; auf
Cirrliose berechnet, ergab sich ein positiver Ausfall von 90 Proz.
Von 15 Patienten, denen Dextrose gegeben wurde, reagierten
3 negativ, 2 positiv (negativ = 87 Proz.).
Von 15 Patienten, die Saccharose erhalten hatten, zeigten 13
Dextrose, 2 Lävulose. Die Resultate bezüglich der Lävulosurie
decken sich also mit den von Strauss erhaltenen.
R. H. Willems: Hautemphysem bei Keuchhusten. Ibid.,
I, No. 19.)
Mitteilung eines ziemlich seltenen Falles (4 jähriger skrophu-
löser Junge), bei welchem infolge von Keuchhusten und Broncho-
piieumouie Hautemphysem im Gesichte und am ganzen Thorax
mit letalem Ausgang auftrat.
A. M. van der Willigen: Rosacea gravidarum. (Ibidem,
1, No. 20.)
Kasuistische Mitteilung von 4 einschlägigen Fällen. W. be¬
tont das Konstantbleiben derselben Erkrankungsform bei Re¬
zidiven, ferner die Häufigkeit der letzteren, die Neigung zu
Spontanheilung unmittelbar nach der Geburt und den akuten Ver¬
lauf dieser sonst so chronischen Krankheitsform.
F. S. Meyers: Idiosynkrasie gegen Folia Uvae Ursi. (Ibid.,
No. 21.)
Die Intoxikationserscheinungen bei der 48jälirigen Frau be¬
standen in: Atemnot, Uebelkeit, Cyanose, kleinem, frequenten,
unregelmässigen Pulse und einem blauroten kontluierenden Exan¬
them auf Brust und Rücken.
Prof. W. K o s t e r - Leiden: Die operative Behandlung von
Strabismus, kompliziert mit Drehung des Auges um die Corneal¬
achse. (Ibid., No. 22.)
Von der interessanten und eingehenden Abhandlung können
hier nur die Konklusionen angeführt werden:
Beim postparalytischen Schielen kann dann operiert werden,
wenn die eigentliche Paralyse so gut wie ganz gewichen ist.
Selbst sehr grosse Abweichungen können dann durch Muskel¬
kürzung und Tenotomien an einem oder beiden Augen korrigiert
Werden.
Das rotierte Schielen (Strabismus naso-, sive temporo-rotatus)
muss in der Hauptsache auf dem Auge korrigiert werden, auf
1768
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
welchem es entstanden ist. Das konvergente und divergente
Schielen sowohl, wie der Strabismus sursuni-, sive deorsum ver-
gens können auf beiden Augen korrigiert werden, wobei vor allem
die Ausdehnung des Gesichtsfeldes in Rechnung gezogen werden
muss.
Um eine Rotation des Auges zu erhalten, kann man in An-
weudung ziehen: 1. Die Tenotomie eines der geraden Augen¬
muskeln oder die Tenotomie des Itectus Superior für die tem¬
porale Rotation und umgekehrt für die nasale. 2. Die Tenotomie
eines der rechten Augenmuskeln mit Durchtrennung der Tenon-
schen Kapsel parallel dem Limbus corneae an der Seite der
Sehne, wohin das Auge rotiert werden muss. 3. Die seitliche Ver¬
schiebung der Insertion von einem der geraden Muskeln in einer
der gewünschten Rotation entgegengesetzten Richtung. Dabei
muss die Sehne jedesmal für 3° Strabismus temporo-rotatus um
1 mm und für je 9 0 Strabismus naso-rotatus 'ebenfalls um 1 mm
gekürzt werden. Zugleich ist dafür zu sorgen, dass die Tenon-
sclie Kapsel genau senkrecht zur Sehne längs des Bulbus voll¬
ständig lospräpariert wird, aber nicht längs des Muskels selbst.
Die seitliche Verschiebung der Insertion soll für alle Grade der
Rotation etwa 3 mm betragen; nur wenn die Muskelkürzung wegen
einer anderen Abweichung grösser wie angegeben genommen
werden muss, soll man die Insertion etwas weniger seitlich ver¬
pflanzen, z. B. um 1,5 mm. 4. Behufs Erhaltung einer genauen
Korrektion tut man gut, soviel wie möglich nach Anleitung der
Doppelbilder zu operieren.
Prof. J. Rotgans: Gastroenterostomia ypsilif ormis ante-
colica anterior. (Ibidem, No. 23.)
R. bespricht hier die beste Operationsmethode der gut¬
artigen Pylorusstenose und teilt zunächst 3 Fälle mit, die er
nach Wölfflers Methode operiert hat, davon 2 mit gutem
Resultate, während ein Fall erlag. Er ging dann zu der
oben angegebenen Methode von R o u x über, nur mit dem Unter¬
schiede, dass er das abführende Darmstück nicht in die Hinter-,
sondern in die Vorderwand des Magens, und zwar so dicht als
möglich über der Curvatura major einheftet. Sämtliche 13 bis¬
her auf solche Weise Operierte sind mit vollständiger Wieder¬
herstellung der Magenfunktion geheilt.
A. A. H y m a n s van den Bergh: Der Wert der Gefrier-
punksbestimmung von Blut und Urin für die Diagnostik der
Nierenfunktionen. (Ibidem, No. 24.)
Verf. ist überzeugt, dass in Zukuft die getrennte Unter¬
suchung des Urins der beiden Nieren als Regel zu gelten hat, will
aber dieses Moment bei der vorliegenden Besprechung ausser acht
lassen.
Bei der molekularen Untersuchung des Blutes fand er bei
gesunden Nieren einen Gefrierpunkt von etwa — 0,56, in einigen
Fällen von Urämie dagegen einen solchen von — 0,60 bis — 0,78.
Die Ansicht Kümmells, dass man bei hohem Werte von d
< Gefrierpunktserniedrigung des Blutes) nicht operieren soll,
teilt B. nicht, es müssen hier alle anderen klinischen Erscheinungen
mit in Erwägung gezogen werden. So kann z. B. die Erkrankung
der einen Niere „reflektorisch“ auch auf die andere funktions¬
hemmend wirken.
Bezüglich der Gefrierpunktsbestimmung des Urins fand
Verf. in einem Falle von chronischer Nephritis, ebenso wie
S t r a u s s, annähernd normale Werte und hält daher die Theorie
v. Koranyis für nicht einwandfrei. Er kommt zu dem Re¬
sultate: 1. dass auch die Gefrierpunktsbestimmung des Harns für
sich allein nicht im stände ist, über die Funktion der Nieren Auf¬
schluss zu geben; 2. dass die Methode von Baltliazard und
Claude dies ebensowenig vermag; 3. dass dagegen das Ver¬
fahren von Roth -Schulz und Kövesi (Bestimmung der
..Akkommodationsbreite“) sehr beachtenswert ist. Doch muss auch
hier erst noch mehr Material gesammelt werden.
Dr. S c h 1 o t h - Bad Brückenau.
Skandinavische Literatur.*)
Thorkild Rovsing (D): Die Behandlung der Prostatahyper¬
trophie. (Hospitalstidende, No. 25, 26, 27 u. 28.)
Auf eine Reihe von 143 eigenen Fällen gestützt, gibt Verf.
einen Bericht über seine Erfahrungen bezüglich der Behandlung
der Prostatahypertrophie. Er gibt genau die Indikationen der
Katheterbehandlung und der operativen Behandlungen an. Was
die Operationen betrifft, zieht er die Kastration und die Vasektomie
der Bottini sehen Operation und der Totalexstirpation vor, die
gefährliche Operationen sind und nie als Normalmethoden be¬
trachtet werden sollen. In gewissen Fällen ist es indiziert, eine
Prostatektomia partialis suprapubica vorzunehmen. Wenn Vas¬
ektomie, Kastration, Bottinis Operation oder Prostatektomie
nicht den gewünschten Erfolg haben, muss man seine Zuflucht
entweder zu regelmässiger Katheterisation oder zur Cystostomie
nehmen. Für wohlhabende Patienten empfiehlt Verfasser die
Katheterbehandlung, für arme Leute der arbeitenden Klasse und
in allen den Fällen, in welchen die Katheterisation Schwierigkeiten
verursacht, die Cystostomie, die er nach folgendem Verfahren aus¬
führt: Ein kleiner Sectio-alta-Sclmitt Avird in Lokalanästhesie,
durch streifenförmige Injektion y2 proz. Kokainlösung in die Haut,
gemacht. Nach Lösung der Peritonealfalte wird ein kleiner Teil
der Blasen wand entweder vermittels zweier Seidenfäden oder
zweier Kocherscher Pinzetten inzidiert. Zwischen diesen wird
*) Nach jedem Autornamen wird durch die Buchstaben D, F,
N oder S angegeben, ob der Verfasser Däne, Finnländer, Norweger
oder Schwede ist.
eine kleine Inzision gemacht; wenn der eingeführte Finger keinen
Blasenstein oder gestielten mittleren Lappen (besonders zur Ex¬
stirpation geeignet), fühlt, wird ein P e z z e r scher Katheter
No. 25 eingelegt, und eArentuell wird die Blasenwunde durch ein
Paar Katgutsuturen dicht an den Katheter genäht. Man lässt
dann die Blase zurücksinken, legt eine kleine sterile Gazemeclie
zwischen die Symphyse und den Katheter und näht den oben¬
liegenden Teil der Bauchwunde mit Aluminium-Brouzesuturen in
2 Etagen. Es bildet sich bald eine Fistel um den Katheter ohne
Heraussickern.
K. K. K. Lundsgaard (D): Atrophiert die Tränendrüse,
wenn der Tränensack exstirpiert wird? (Ibidem, No. 28.)
Verf. gibt auf diese Frage eine verneinende Antwort unter
Bezugnahme auf eine sorgfältige mikroskopische Untersuchung der
rechten Tränendrüse einer an Pneumonie gestorbenen Frau,
deren Tränensack er vor 13 Monaten exstirpiert hatte und deren
Tränenfluss kurz nach der Operation aufhörte. Verf. glaubt, dass
ein (nervöser) Zusammenhang zwischen dem Tränensäcke und der
Tränendrüse existiert, so dass das Ausbleiben eines vom Tränen¬
säcke auf die Drüse reflektorisch wirkenden Irritamentes schuld
an einer verminderten Sekretion ist.
P. Lieb mann (D): Ueber Fixierung und Färbung des
organisierten Harnniederschlags. (Ibidem, No. 31.)
Verf. empfiehlt folgendes Verfahren: Der Harn wird zentri¬
fugiert, bis die obenstehende Flüssigkeit sich abgiessen lässt, ohne
dass der Niederschlag mitfolgt. Dann werden die organisierten
Teile des Niederschlags fixiert und durch Zusatz von 2 bis
4 Tropfen von folgender Flüssigkeit gefärbt: Methylenblau
(Merck) 2 g, gelöst in 10 proz. Formalinlösung, 100 g, die einige
Minuten einwirken soll, während das Zentrifugeglas gut ge¬
schüttelt Avird. Ferner wird das Glas mit Wasser gefüllt, um die
farbige Flüssigkeit zu verdünnen; gleichzeitig wird der grösste
Teil der ungelösten Salze gelöst werden. Das Glas wird Avieder
geschüttelt; man zentrifugiert Avieder, giesst die obenstehende
Flüssigkeit ab, und der Niederschlag ist fertig zu mikroskopischer
Untersuchung. Die hyalinen Zylinder haben eine hellblaue Farbe
angenommen und sind, abgesehen von der mehr oder weniger be¬
deutenden Spiral Windung, die man bei diesen Avie bei allen anderen
Formen von Zylindern findet, vollständig homogen. Dasselbe gilt
von den Avachsartigen Zylindern, aber diese sind sehr intensiv ge¬
färbt, so dass sie fast ganz undurchsichtig sind. In den körnigen
Zylindern sind die Körner stark gefärbt, und gewöhnlich kann man
auch, eine heller gefärbte Grundsubstanz nachAveisen. Die mit
Epithel- oder Rundzellen bedeckten Zylinder sind durch die inten¬
siv gefärbten Zellenkerne leicht kennbar. Die roten Blutkörper¬
chen sind graublau gefärbt und können nicht verwechselt werden
mit den Leukocyteu, deren Kerne distinkt blau sind. Auch Bak¬
terien werden sehr intensiv gefärbt. Vergleichende Untersuch¬
ungen haben gezeigt, dass die kurze Einwirkung des Formal ins,
ohne die Zylinder oder andere Bestandteile des organisierten
Niederschlags zu zersetzen, im Gegenteil einen weit konstanteren
Erfolg der gleichzeitigen Methylenblaufärbung bedingt, als wenn
nur die einfache, Avässerige Lösung des Farbstoffes benutzt wird.
Aage A. Meisling (D): Ein neues Hämoglobinometer.
(Ibidem, No. 33.)
Verf. beschreibt ein von ihm auf physisch-mathematischer
Grundlage konstruiertes Hämoglobinometer, für Avelehes er das
Prinzip der chromatischen, zirkulären Polarisation benutzt. Das
Prinzip ist in den Ilauptzligen folgendes: Wenn eine planparallele,
auf der Achse senkrecht geschnittene Quarzplatte zwischen zAvei
Nicolsprismen angebracht wird, nimmt sie (in gemischtem Lichte)
Farbe an. Die Farbe hängt teils von der Dicke der Quarzplatte
ab, teils von der Stellung der ZAvei Prismen. Durch die Wahl einer
Platte von passender Dicke kann man über eine ganze Reihe für
verschiedene kolorimetrische Untersuchungen brauchbarer Farben
verfügen. Verf. meint, der erste zu sein, der Polarisationsfarben
zur Hämoglobinbestimmung benutzt hat. Die Kontrollunter-
suchungen, die später veröffentlicht werden, haben gezeigt, dass
das neue Hämoglobinometer ausserordentlich genau ist. Der Ap¬
parat kann ferner als eine Art Universalkolorimeter benutzt
Averden. Die Firma Leitz in Wetzlar hat die Fabrikation
übernommen.
Knud Faber (I)): Appendicitis obliterans. (Ibidem, No. 34
u. 35.)
Mit dem dänischen Arzte Toft1) übereinstimmend, aber im
Gegensätze zu den meisten deutschen Klinikern, betrachtet der
Verf. die sogen. Appendicitis obliterans nicht als eine physio¬
logische Obliteration (einen senilen Involutionsprozess), sondern
als die Folge einer Entzündung. Verf. stützt seine Ansicht auf ver¬
schiedene Krankengeschichten, Sektionsbefunde und mikro¬
skopische Untersuchungen. Die mikroskopische Untersuchung
zeigt keinen Unterschied zwischen den Fällen, in welchen die Ob¬
literation nur als zufälliger Sektionsbefund zur Beobachtung ge¬
langt, und den Fällen, in welchen der Entzündungsprozess
Avährend eines frischeren Stadiums, bei der operativen Entfernung
der Appendix, beobachtet wird. Auch nicht aus anderen Gründen
kann die Versehliessung als ein seniler Involutionsprozess an¬
gesehen werden. Sie kann in jedem Alter eintreten, und tritt bei
alten Individuen nicht häutiger als bei jungen ein, obgleich das
Resultat der Entzündung, die Obliteration, am häufigsten bei alten
Individuen beobachtet wird. Gewöhnlich verläuft die Appendicitis
obliterans, ohne krankhafte Symptome zu geben, jedenfalls ohne
*) Om Ulceration of Processus vermiformis. Dissert., Kopen¬
hagen 1868.
21. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1769
d«ass sie als Appendizitis diagnostiziert werden können. In einer
kleineren Anzahl von Fällen haben die Kranken die gewöhnlichen
Symptome der chronischen Appendizitis. Bei den Fällen der chro¬
nischen Appendizitis, welche zur Operation gelangen, ist es selten
Obliterationen zu treffen, und dieselben sind in solchen Fällen
eine für die Krankheit unbedeutende Erscheinung. Gleichzeitig
mit der Obliteiation w erden oft bedeutende Adhärenzen g'ebildet
werden, welche eine grosse klinische Bedeutung haben können.
. (ff) • Eine Methode, Radikaloperation
bei Kruralbruchen auszuführen. (Nordiskt medicinskt Arkiv
1902, Abt. I: Chirurgie, Heft 2, No. 7.)
Nachdem dei Biuchsaclc in gewöhnlicher Weise exstirpiert
und so hoch wie möglich abgebunden worden ist, und möglicher¬
weise vorkommende vergrösserte Lymplidrüsen, wie auch Fett¬
gewebe entfernt worden sind, wird die V. fern., ohne die Gefäss-
scheide zu öffnen, freigelegt. Jetzt wird der Kruralring durch
Durchschneiden des Lig. Foupartii gleich nach innen von der
Durchgangsstelle der Gefässe gespalten. Der Schnitt wird auf¬
wärts durch die sämtlichen Schichten der Bauchwand bis an das
präperitoneale Fettgewebe heran verlängert. Das abgeschnittene
zentrale Ende des Lig. rotundum wird an seinem riatze mittels
Suturen fixiert. Auf diese Weise wird ein dreieckiger Lappen ge¬
bildet, dessen Basis nach oben und nach innen liegt, dessen
einer Iiand durch die untere Kante des Lig. Foupartii, dessen
anderer durch den Wundrand gebildet wird. Der Lappen wird
mobil gemacht, herabgezogen und in der vom Verfasser näher
beschriebenen Weise fixiert, so dass die Stelle der alten Krural-
öffnung völlig mit einem kräftigen Lambeau bedeckt wird. Wenn
eine Inkarzeration vorliegt, muss man das Lig. Foupartii soweit
wie möglich nach aussen durchschneiden. Die Methode kann nur
Anwendung bei Frauen finden und ist nur bei den gewöhnlichen
Formen von Kruralbrüchen erprobt worden.
Elis Essen - Möller (S): Weiterer Beitrag zur Frage von
der plazentaren Nabelschnurinsertion. (Ibidem, No. 11.)
Auf eine grössere Reihe von Untersuchungen gestützt, hält
Verf. sich berechtigt, zu glauben, dass die zentrale Insertion bei
den jüngsten Plazenten die gewöhnlich vorkommende ist, während
diese Art der Insertion mit dem Fortschreiten der Schwangerschaft
immer seltener wird, ferner dass die Nabelschnur an der reifen
Nachgeburt in den überwiegend meisten Fällen exzentrisch in¬
seriert, dass kein gesetzmässiger Zusammenhang zwischen der
Nabelschnurinsertion und der jedesmaligen Höhe des Plazentar¬
sitzes an der reifen Nachgeburt nachzuweisen ist, und dass bei
der exzentrischen Insertion die Nabelschnur ebenso oft sich dem
oberen oder seitlichen, wie dem unteren Plazentarrand nähern
kann.
Th. Lunding Smith (D) : Ein Fall von Struma accessoria
baseos linguae, behandelt durch. Pharyngotomia transhyoidea.
(Ibidem, No. 10.)
Verf. referiert einen eigenen Fall und die ihm aus der Literatur
bekannten 19 anderen Fälle.
Viggo Christiansen (D) : Ein Fall von Schussläsion
durch die zentralen optischen Bahnen. (Ibidem, Abt. II: Innere
Medizin, Heft 2.)
Verf. berichtet einen sehr interessanten, seltenen Fall von
Schussläsion durch die zentralen optischen Bahnen; ein Tier¬
experiment hätte nicht schöner als diese Läsion ausfallen können.
Die genaue klinische und anatomische Untersuchung des Falles
stützt die Auffassung, dass die Sehfasern an das vordere und mitt¬
lere Drittel der medialen Fläche des Occipitallappens gebunden
sind, während die verschiedenen Assoziationsbahnen teils im hin¬
teren Drittel der medialen Fläche, teils auf der konvexen Ober¬
fläche endigen, und dass das kortikale Zentrum der Sehfasern
auf der medialen Fläche, besonders in den um die Fissura cal-
carina gelegenen Teilen zu suchen ist.
Kristen I saget- (D): Zum Auftreten der Tuberkulose auf
dem Lande. (Ibidem, Heft 1 u. 2.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeigneter, epidemiologischer
Beitrag zur Aetiologie der Tuberkulose.
Aage Kock (D) : U eher die therapeutische Anwendung der
Kakodylverbindungen besonders bei Lungentuberkulose. Ibid.,
Heft 1 u. 2.)
Auf eine Reihe klinischer und anderer Untersuchungen ge¬
stützt, findet Verf., dass das kakodylsaure Natron dieselbe Haupt¬
wirkung auf den Organismus wie Arsen hat. Diese Ueberein-
stimmung hat er ferner in seinen Nebenwirkungen, in seinem Ver¬
halten gegen das Blut und in seinem Verhalten gegen die Lungen¬
tuberkulose wiedergefunden. Verf. hält es für berechtigt und be¬
gründet, in den frischen Formen der Lungentuberkulose kakodyl-
saures Natron zu verwenden. Es ist kein Spezifikum, aber doch
ein Hilfsmittel in der Behandlung, und die Aussichten auf eine
Heilung werden sich durch die Einführung des kakodylsauren
Natrons in die Reihen der therapeutischen Mittel gegen die Tuber¬
kulose nur verbessern.
Victor Scheel (D): Ein Fall von primärem Karzinom der
Lebergallengänge. (Ibidem, Heft 2.)
Der Fall hat u. a. wegen der bis jetzt spärlichen Kasuistik
des intrahepatischen Gallengangkarzinoms Anspruch auf Inter¬
esse.
E. Hel lesen (N): Ueber den Stickstoffwechsel der an
Adipositas nimia leidenden Kinder, besonders bezüglich Ab¬
magerungskuren. (Norsk Magazin for Lägevidenskab, September.)
Durch eine Reihe Stoffwechselversuche bei einem 12 jährigen
Mädchen, welches 48 Kilo wog und eine Höhe von 141 cm hatte,
gelangt Verf. zu dem Resultat, dass Abmagerungskuren im Kindes¬
alter wesentlich durch Einschränkung der Fettnahrung geschehen
müssen bei einer Kalorienmenge, die nur % kleiner als die der
Bilanznahrung ist. Man kann auch mit Eiweiss-Kolilehydratdiät
leichter den Hunger des Kindes stillen als mit Eiweiss-Fettdiät.
Johann Scha r f f enbe r g (N) : Zur Geschichte des männ¬
lichen Pseudohermaphroditismus in Dänemark und Norwegen.
(Ibidem.)
Verf. beschreibt 8 solcher Fälle.
Drejer (N) : Meine Erfahrungen über die Entbindung bei
Beckenverengerung, speziell über die operative Behandlung der¬
selben. (Ibidem, Juli u. August.)
Verf. hat in privater Praxis 154 Frauen mit 194 geburtshilf¬
lichen Operationen wegen Beckenverengerung behandelt und gibt
detallierte Mitteilungen über sein Verfahren und die Resultate in
den verschiedenen Fällen.
M. Geirsvold (N) : Die Dysenterieepidemie in Aaseral.
(Ibidem, August.)
ln einem kleinen Dorfe in Norwegen wurden 11 Personen,
insbesondere Kinder, von Dysenterie angegriffen. Nur einer der
Kranken genas. Die Ursache der Epidemie war die Verunreini¬
gung eines Brunnens mit Menschen- und Tierexkrementen; nach¬
dem der Brunnen geschlossen war und die Einwohner nur ge¬
kochtes Wasser benützten, hörte die Epidemie auf. Die Dauer
der Krankheit war durchschnittlich 8 Wochen. Der Sektions¬
befund ergab in allen Fällen gangränöse Ulzeration des Darmes.
Im Brunnenwasser wurde ein kolifoiynes Bakterium isoliert, das bei
Tieren eine generelle hämatogene Infektion mit spezieller Lokali¬
sation im Darme hervorrief; zugleich wurde ein typhoides Bak¬
terium gefunden, das nicht virulent für Tiere war; es war in der
Darm Schleimhaut und den Exkrementen reichlich vorhanden.
Das Blut der Kranken war steril. Agglutinationsversuche mit dem
Blute der Kranken und den isolierten Bakterien waren negativ.
Striga - Kruses Bazillus wurde nicht gefunden. Verf. unter¬
sucht die Häufigkeit der Dysenterie in Norwegen und erwähnt die
neuesten bakteriellen Untersuchungen über diese Krankheit.
P. Aaser (N): Die Ansteckungsgefahr der entlassenen
Scharlachpatienten. (Tidsskrift for den norske Lägeforening,
No. 15.)
Verf. hat von 1895 bis 1902 3800 Scharlachpatienten behan¬
delt, 79 von diesen sollen von entlassenen Patienten angesteckt
sein. Verf. huldigt der Ansicht, dass die Ansteckung mit der Ab¬
schilferung gar nichts zu tun hat, aber dass der Ansteckungsstoff
sich lange Zeit in den Schleimhäuten der Nase, des Rachens und
des Mittelohrs halten kann. Er isoliert deshalb die Patienten, bis
keine abnorme Sekretion mehr vorhanden ist. Durch Pinselung
mit Wasserstoffhyperoxyd entsteht eine starke Gasentwicklung
bei abnormer Sekretion; wenn die Schleimhaut normal ist, entsteht
keine oder sehr unbedeutende Gasentwicklung. Verf. empfiehlt
dann in dieser Beziehung Wasserstoff hyperoxyd als Diagnostikum.
Henry Marcus (S): Studien, über die Aetiologie der De¬
mentia paralytica in Schweden. (Hygiea, Juli.)
Die Untersuchungen umfassen 400 Fälle (352 Männer,
48 Frauen). In 70 Proz. der Fälle wurde vorhergehende syphi¬
litische Infektion erwähnt, in 40 Proz. der Fälle wurde hereditäre
Anlage für Geisteskrankheiten nachgewiesen. Verf. ist der An¬
sicht, dass Syphilis die Ursache der Krankheit ist, ohne doch ganz
die Möglichkeit abweisen zu können, dass ebenso auch andere
Giftstoffe und Ursachen die generelle Paralyse hervorrufen können.
Die Erblichkeit spielt eine ebenso grosse Rolle bei dieser als bei
anderen Geisteskrankheiten.
Anna Stecksen (S) : Trockenpräparat von Hefen. (Ibid.)
Verf. hat durch Untersuchung (Pfiaumengelatinekulturen)
von Couturieux’ „Levurine“ nachgewiesen, dass dieses Prä¬
parat lebende Hefenzellen enthält. Ferner hat sie selbst ein wirk¬
sames Hefenpräparat dargestellt, welches sie Saccharo-
mycetes sicci (Blomquist) 1:1 nennt; dieses Präparat
enthält keine lebenden Hefezellen und lässt sich sterilisieren,
ohne seine Kraft zu verlieren. Das Präparat wird insbesonders
gegen Fluor gonorrhoischen Ursprungs, aber auch gegen Furun¬
kulose und ähnliche Hautkrankheiten empfohlen. Die Dosis ist
ein Kaffeelöffel voll (3 — 7 g) 3 mal täglich vor der Mahl¬
zeit in einem kleinen Glas Bier zu nehmen. Verf. empfiehlt auch,
das Präparat gegen Diabetes und die B a r 1 o w sehe Krankheit
zu prüfen, vielleicht auch gegen Cystitis mit Bakteriurie und al¬
kalischem Harn.
Johan Holm ström (S): Einige Fälle der sogen, essen¬
tiellen Bindehautschrumpfung (Pemphigus conjunctivae). (Ibid.)
Verf. berichtet 4 Fälle dieser seltenen, unheimlichen Augen¬
krankheit. Die Patienten waren sämtlich aus Malmö und seiner
Umgegend (00 000 Einwohner).
R. Faltin (F): Beitrag zur Kenntnis des Volvulus coeci.
(Finska läkaresällskapets handlingar, Juli.)
Als Volvulus coeci bezeichnet Verf. jede zu Darmokklusion
führende Knickung, Achsendrehung oder Verknotung, bei wel¬
cher der Blinddarm beteiligt ist. Auf eine Kasuistik von
75 Fällen gestützt, gibt Verf. eine eingehende monographische
Darstellung dieses Krankheitsbildes. 26 Fälle stammen aus Finn¬
land, ausserdem sind dem Verf. noch 6 Fälle bekannt, die aus ver¬
schiedenen Gründen nicht berücksichtigt werden konnten; es sind
also in Finnland im ganzen 32 Fälle von Volvulus coeci, davon
28 seit Anfang 1897, zur Beobachtung gelangt. 25 Fälle hat Verf.
aus der ausländischen Literatur gesammelt und 24 sind von
v. Manteuffel in seiner Monographie zusammengestellt.
(Uebrigens muss auf ein einschlägiges deutsches Referat der Ab¬
handlung im selben Heft verwiesen werden.)
1770
MTTEN CIIENER MElHCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
K. E d g r e n (F) : Zur Kasuistik der Magen- und Darm¬
perforationen. (Ibidem, August.)
Yerf. referiert einen Fall von V ulnus perforans ventriculi,
einen Fall von Ulcus perforans ventriculi und einen Fall von
Contusio abdominis c. ruptura intestini, in welchen die Heilung
durch Laparotomien und Nähte der Wunden der Eingeweide ein¬
trat, endlich einen Fall von Ulcus perforans duodeni c. peritonitide
septica diffusa mit Exitus letalis trotz Operation. Als Oi)eration
indizierende Kardinalsymptome der Perforationen gibt Verf. an:
die Alteration des Allgemeinbefindens und des Gesichtsausdruckes,
die reflektorische Kontraktion der Bauchwandung und den Er¬
guss in die Peritonealhöhle. Yerf. empfiehlt Drainage mittels
Mikulicz’ Tampon und als Nachbehandlung Kochsalzinfusion.
Georg M e 1 1 i n (F): Zur Kenntnis der Bakteriurie bei Kin¬
dern. (Ibidem.)
Im Jahre 1900 hat Verf. 10 Fälle von Bakteriurie bei Kindern
im Kinderspitale zu Helsingfors behandelt, 5 Knaben und 5 Mäd¬
chen im Alter von 5 Monaten bis zu 4 J ahren, nur ein Knabe war
10 Jahre alt. Schwere Allgemeinsymptome waren nicht vorhanden.
In der Hälfte der Fälle litten die Kinder an Digestionsstörungen,
in einem Fall entstand die Bakteriurie nach einem Abszess in der
Analregion und schwand nach Inzision desselben, ln 5 Fällen
waren Schmerzen während des Urinierens, in 5 Fällen unangenehmer
Geruch des Harns, in 3 Fällen Pollakiurie vorhanden. Der 10 jälir.
Patient litt seit 2 Jahren an Incontinentia diurna. Genitalia ext.
waren in allen Fällen normal.' Die Reaktion des Harns war in
8 Fällen sauer, in einem alkalisch, in einem Falle amphoter.
Zucker wurde nie, Eiweiss nur in einem Falle als Spur gefunden.
Der Harn war diffus unklar, Bouillonkulturen von Bakterien ähn¬
lich. In 8 Fällen war Bacterium coli commune, in 2 Fällen
Staphylococcus pyogenes albus als Reinkulturen vorhanden. Im
zentrifugierten Harn wurden ab und zu einzelne Leukocyten und
Epithelzellen gefunden. Impfversuche auf Kaninchen zeigten,
dass die Virulenz der Bakterien gewöhnlich sehr schwach war.
Verf. huldigt der Ansicht, dass die Krankheit mit Verdauungs-
störungen in Verbindung steht; aber wie die Bakterien in die
Blase hineinkommen, weiss man nicht. Zur Behandlung der Krank¬
heit, die oft spontan durch Regulieren der Diät und durch Be¬
handlung der Verdauungsstörungen heilt, empfiehlt Verf. Salol
25 cg 3 mal täglich zu verabreichen; zugleich werden Spülungen der
Harnblase mit 3 proz. Borsäurelösung, (4 — Vä proz. Lysollösung,
in schwereren Fällen vielleicht mit y2 prom. Lapislösung em¬
pfohlen. Alle die Fälle des Verfassers wurden geheilt, so dass
er die Prognose für eine gute hält.
Adolph H. Meyer- Kopenhagen.
Unfallheilkunde.
Görtz-Mainz: Kommen traumatische Leistenbrüche in
Wirklichkeit vor und von welchen Erscheinungen sind sie even¬
tuell begleitet? (Monatsschr. f. Unfallheilk. 1902, No. 5.)
Durch Gegenüberstellung zweier typischer Fälle, eines wirk¬
lich traumatischen Bruches und eines nur angeblichen „Bruch¬
unfalles“ zeigt Verf. die Schwierigkeiten, die sich bei Beantwor¬
tung der obigen Fragen ergeben.
Aus dem ersteren Falle ist zu ersehen, wie viele und wie
schwere Symptome und besondere Umstände erforderlich sind, um
die ausnahmsweise traumatische Entstehung einer Hernie, wenn
auch noch nicht sicher, doch wenigstens wahrscheinlich zu machen.
Die auf Grund eines reichen Materiales gesammelten Erfahrungen
des Verf. ergeben höchstens 0,1 Proz. „Bruchunfälle“.
E. Bourquin und F. de Quervain- Chaux-de-Fonds:
Beitrag zur Kenntnis der Herzklappenverletzungen durch plötz¬
liche Ueberanstrengung. (Ibidem.)
Bei einem vorher völlig gesunden, zu jeder schweren Arbeit
fähigen 35 jährigen Fuhrmann trat im unmittelbaren Anschluss
an eine plötzliche heftige Muskelanstrengung (Versuch, ein 000 1
haltendes, im Rollen befindliches Spiritusfass zurückzuhalten) ein
ebenso plötzliches, von dem Patienten mit einem Peitschenhieb
verglichenes Gefühl in der Brust auf. Daran schloss sich Nasen¬
bluten, Mattigkeit, am folgenden Tage Bluthusten, Unfähigkeit zu
jeder Arbeit, dann Cyanose, Pulsbeschleunigung, ein auffallend
starkes Mitralgeräusch, Temperatursteigerung, multiple Embolien,
deren eine, eine Hirnembolie, 7y2 Wochen nach dem Unfälle den
Tod zur Folge hatte. — Die Autopsie ergab eine auf einen Teil
des medialen Mitralsegels beschränkte, ulzerös-verruköse, durch
Staphylokokken bedingte Endokarditis mit Fehlen der Sehnenfäden
im Bereich des veränderten Klappenteils. Die Autopsie zeigte
ferner das Vorhandensein von verhältnismässig frischen Milz- und
Niereninfarkten und von einer frischen Embolie der rechten Ar-
teria foss. Sylvii mit rückläufigen Blutungen im Bereiche des
plötzlich auf Nulldruck gesetzten Gebietes.
Der ganze Verlauf des genau pathologisch-anatomisch und
bakteriologisch untersuchten Falles liess sich nur durch die An¬
nahme erklären, dass bei der stattgefundenen Ueberanstrengung
eine vielleicht nur geringe Zerreissung im Bereiche des medialen
Mitralsegels oder seiner Sehnenfäden stattgefunden hatte, die ge¬
nügte, um sofort die Zirkulation zu schädigen und den Pat. ar¬
beitsunfähig zu machen. Zu dieser traumatischen Schädigung der
Mitralis gesellten sich von der 3. — 4. Woche an die Erscheinungen
einer subakut verlaufenden Endokarditis, deren Entstehung nur
so zu denken ist, dass ein zufällig im Blut zirkulierender Staphylo¬
kokkus sich auf der verletzten Klappe ansiedelte. Der Umstand,
dass die Entzündung auf das ursprünglich befallene Gebiet be¬
schränkt blieb und dass es in den Milz- und Niereninfarkten nur
zur Nekrose, nicht aber zur Eiterung gekommen ist, liess an-
nehmen, dass der betreffende Staphylokokkus verhältnismässig
wenig virulent war.
Das Gutachten der Verf. sprach sich demgemäss dahin aus,
dass einzig die Annahme einer traumatischen Endokarditis den
Verlauf genügend zu erklären vermöge, woraufhin der Witwe des
Verunglückten von der Versicherungsgesellschaft der volle Betrag
zugesprochen wurde.
S c h m i d t: Ueber Riss des geraden Bauchmuskels und
seinen Mechanismus. (Chir. und mechan. Heilanstalt zu Kottbus.
Prof. Dr. Thiem.) (Monatsschr. f. Unfallheilk. 1902, No. 6.)
Der durch zwei nacheinander erfolgte Muskelanstrengungen
zu stände gekommene Riss des rechten Rectus abdom., 3 Quer¬
finger breit über der Symphyse, ist nach zwei Richtungen hin
interessant: einmal, weil eine Vereiterung desselben eintrat, was
sehr selten erfolgt, da die Verletzung in den allermeisten Fällen
nur eine subkutane ist; zweitens hinsichtlich des nach dem Unfall
„ohne Würgen“ erfolgten Erbrechens, das vor der Operation einen
perityplilitischen Abszess vortäuschte und auf eine Reizung des
Bauchfells hindeutet.
Wagner-Bad Kreuznach: Zur fabrikmässigen Herstel¬
lung von Plattfusseinlagen. (Mit 3 Abbildungen.) (Ibidem.)
Im Hinblick auf die enorme Verbreitung des statischen und
des traumatischen Plattfusses verteidigt W. die f a b r i k m ä s -
sige Herstellung von Einlagen, um die vorzügliche Wirkung der¬
selben einem grösseren Kreise zuteil werden zu lassen, als dies
möglich ist, wenn die Anfertigung nur dem erfahrenen Orthopäden
gelingen sollte. Die individuelle Behandlung, wie sie Schanz
und Karch verlangen, fällt weg bei Benützung der vom Verf.
angegebenen Einlagen aus federnd gehärtetem Stahl mit Auflage
eines dünneren oder dickeren Filzkeils oder Wattebauschs auf das
Fersenende, wodurch die Höhe der Wölbung reguliert und so eine
Einlage geschaffen ist, die dem Arzte zur Verwendung bei seinen
Patienten ohne weiteres in die Hand gegeben werden kann. Einer
kleinen Aenderung, die' der Arzt jedoch selbst leicht vornehmen
kann, bedarf die Einlage nur in jenen seltenen Fällen, wo das
Os naviculare wie eine Exostose hervortritt; das Os nav. muss
dann gegen den seitlichen Druck der Einlage geschützt werden,
indem man vor und hinter dem Kahnbein an der Einlage selbst ein
Stück Filz befestigt, so dass das Kalinbein hohl liegt, was übrigens
schon bei der Herstellung der Einlage berücksichtigt werden kann,
indem eine Vertiefung in den Stahl beim Pressen eingedrückt wird.
— - Im Einzelnen werden noch die Vorzüge der Einlage gegenüber
den aus Celluloid, Nickelin, Durana etc. hergestellten Sohlen aus¬
einandergesetzt.
E. Iv i r s c h - Magdeburg: Der Nachweis der Simulation und
Uebertreibung. (Monatsschr. f. Unfallheilk. 1902, No. 7.)
Von der geradezu „physiologischen“ Uebertreibung wirklich
bestehender Beschwerden von seiten Unfallverletzter — und zwar
nicht nur der berufsgenossenschaftlich versicherten Arbeiter, son¬
dern auch der bei Privatunfallversicherungs-Gesellschaften Ver¬
sicherten — bis zur gröbsten absichtlichen Simulation eines ganzen
Krankheitsbildes gibt es alle möglichen Abstufungen, so dass sich
nur schwer eine Grenze ziehen lässt. Deshalb gebraucht der
Autor die Ausdrücke Uebertreibung und Simulation als gleich¬
bedeutend. Beides muss „nachgewiesen“, d. h. durch einen schlüs¬
sigen Beweis einem Dritten, dem Richter, überzeugend klargelegt
werden können; die subjektive Ueberzeugung des Untersuchers
hat für sich allein keinen Wert. Zum Nachweis aber gehören
Methoden, die eine Kritik der Angaben des Verletzten und der
gefälscht dargestellten Funktion gestatten, Methoden, die sonst
in der Krankenbehandlung nicht verwendet werden, weil das Ver¬
trauen, das sonst die schönste Grundlage des Verhältnisses zwi¬
schen Arzt und Patient ist, bei dieser Beschäftigung den beiden
in Betracht kommenden Personen gänzlich fehlt.
Nach Vorausschickung allgemeiner Grundsätze für das Ver¬
fahren des Arztes, wenn der Verdacht der Uebertreibung etc. vor¬
handen ist, gibt Verf. die Methoden zum Nachweis der E r d i c h -
t. ung und Vorspiegel u n g krankhafter Zust ä nde
durch falsche Angaben und Verstellung, ohne auf
die freiwillige H e r v o r r u fung v o n Krankheite n
etc. (von Mydriasis durch Atropin, von Fisteln durch unter die
Haut geschobene Fremdkörper u. s. w.) mul die fälschliche
Beziehung von schon bestandenen Krankheiten
z u d e m Unfall (z. B. Verwertung alter Hernien, Stempelung
mancher Alkohol- und Nikotinneurosen zu traumatischen) einzu¬
gehen.
Die Methoden und Manipulationen zur Prüfung des Spontan¬
schmerzes, des Druckschmerzes, der Sensibilität, des Zitterns, der
Parese, der Gelenksteifigkeit werden genau besprochen und für
den praktischen Arzt für Schwachsichtigkeit das Verfahren von
Ziehe n, für Schwerhörigkeit das Verfahren mit dem doppelten
Gummischlauch empfohlen. Interessante und lehrreiche Beispiele
sind überall eingestreut und auch die Rolle des Zufalls auf dem
Gebiet, auf dem der Untersucher „nicht nur gelehrter, son¬
dern auch gescheiter“ sein muss als der Untersuchte, ist
gebührend beleuchtet.
F. Apelt: Arteriosklerose und Commotio cerebi’i. („Her¬
mannhaus“, Unfallnervenklinik der sächs. Baugewerks-Berufs-
genossenschaft, Stötteritz-Leipzig. Chefarzt: Prof. Dr. W ind-
scheid.) (Aerztl. Sachverständigen-Zeitg. 1902, No. 12.)
Der nach Commotio cerebri (mit Kocher statt Ilirnerschiit-
terung besser mit Hirnpressung zu bezeichnen) häufig sich dar¬
bietende, an das Bild der sog. traumatischen Neurose vielfach
21. Oktober 1902.
MUEIST CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1771
erinnernde Allgemeinzustand (erhöhte Reizbarkeit, Erregbarkeit
über Kleinigkeiten, Intoleranz gegen Alkohol, Klagen über "rosse
Energielosigkeit und Mattigkeit, Unfähigkeit zu körperlichen wie
geistigen Anstrengungen, beträchtliche Herabsetzung der rohen
Kraft, besonders regelmässig: Kopfschmerz, Schwindel und Ab¬
nahme des Gedächtnisses) findet sich einerseits bei Patienten, bei
denen eine Arteriosklerose mit ihren bekannten Symptomen: Härte
Rollbarkeit und Schlängelung der sicht- und fühlbaren Arterien’
oft auch accentuierter II. Aortenton sich nachweisen lässt; andrer¬
seits lässt sich bei diesen Patienten nicht gerade häufig eine
Besserung ihrer Beschwerden, die oft schon 2—3 Jahre lang be¬
standen, erzielen, während bei Patienten ohne Arteriosklerose mit
ähnlichen Klagen in kurzer Zeit durch Ruhe, roborierende Diät
und milde hydrotherapeutische Kuren recht ansehnliche Erfolge
erreicht werden können.
Aus den zum Belege angeführten Krankengeschichten geht
u. a. auch hervor, dass die frühzeitig entwickelte Gefässverliärtung
im Arbeiterstand viel häufiger anzutreffen ist als gemeinhin an¬
genommen wird: von 17 Patienten mit Arteriosklerose waren nicht
weniger als 7, die das 30. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten.
Ursache hierfür sind jedenfalls körperliche Arbeit und Alkohol.
M. B i e r f r e u n d - Insterburg: Beiträge zur traumatischen
Entstehung innerer Krankheiten in aktenmässiger Darstellung.
I. Zwei Fälle von Rippennekrose und linksseitigem Empyema
necessitatis nach Quetschung der Brust. (Ibidem.)
Die aktenmässige Mitteilung von Fällen ans der Un¬
fallpraxis ist bei dem Werte dieser Art der Darstellung für die
Unfallheilkunde, versicherungsrechtliche und forensische Medizin
nur zu begrüssen und als Lektüre dem Praktiker zu empfehlen;
speziell auf dem noch so dunklen Terrain der traumatischen Ent¬
stehung innerer Krankheiten wird sie auch ohne Beifügung einer
eingehenden Epikrise manchen wertvollen Beitrag zur Klärung
von obwaltenden Zweifeln und strittigen Meinungen theoretischer
und praktischer Natur zu liefern im stände sein.
Das TJnfallkrankenhaus zu Strassburg i. E. (Ibidem.)
Das am 27. November 1901 eingeweilite Haus mit einem Raum
für 110 Betten, errichtet auf Anregung von Prof. Ledderhose
unter Teilnahme mehrerer Berufsgenossenschaften von einer Ge¬
sellschaft mit beschränkter Haftung mit Aufwendung eines Ka¬
pitals von 400 000 M., ist als erstes seiner Art bemerkenswert.
Besonders beachtenswert ist, dass Ledderhose, eine der
ersten Autoritäten auf dem Gebiet der Unfallheilkunde, dazu ge¬
kommen ist, nicht mehr den Schwerpunkt bei der Behandlung der
Unfallfolgen auf die Apparat Übungen zu legen, sondern sich auf
einfachere Methoden der Behandlung beschränkt und das Haupt¬
gewicht auf das persönliche Moment legt, welches der massierende
oder elektrisierende Arzt ausiibt.
Aus den Worten, welche L. über die gutachtliche Tätigkeit
in seiner Festrede sprach, sei das Resümee derselben zitiert, das
als Direktive für jede gutachtliche Aeusserung dienen kann: „Die
begutachtende Tätigkeit der Aerzte hat sich darin vervollkommnet,
dass sie mehr und mehr eine wissenschaftliche Richtung ein-
gesclilagen hat. Wissenschaft ist nicht so zu verstehen, dass
möglichst viel Gelehrsamkeit zum Ausdruck kommen soll, sondern
definiert als das freie, von keinem Vorurteil behinderte, von' keiner
Vorliebe beherrschte Suchen und Bekennen der Wahrheit. Eine
in diesem Sinne wissenschaftliche Begutachtung wird auch dem
höchsten Ansprüche Genüge leisten, auf den es in der sozialen
Praxis in erster Linie ankdmmt: gerecht zu sein.“
M. B i e r f r e u n d - Insterburg: Beiträge zur traumatischen
Entstehung innerer Krankheiten in aktenmässiger Darstellung.
II. Lungenentzündung, mit Schulter- und Hüftgelenksentzün¬
dung kompliziert, als Unfall anerkannt. (Aerztl. Sachverst.-
Ztg. 1902, No. 13.)
Der „Unfall“ entstand dadurch, dass der Besitzer F. G. auf
dem Dachfirst seines Hauses etwa 1 — ly2 Stunden lang eine Aus¬
besserung des Daches, welches durch einen augenblicklich herr¬
schenden Sturm zerstört zu werden drohte, vornehmen musste
und während dieser Arbeit dem heftigsten Luftzug ausgesetzt
war. Hierbei war die körperschädigende Wirkung des kalten
Luftzuges zeitlich so zusammengedrängt, dass die daraus resul¬
tierende Schädigung als Folge eines Unfalles aufzufassen ist.
Aehnlich wurde vom R.-V.-A. das Erfrieren eines Fusses bei einem
Pferdejungen, welcher bei strenger Winterkälte im Aufträge eines
landwirtschaftlichen Unternehmers längere Zeit auf derselben
Stelle hatte stehen müssen, um einen Jagdhund zu halten, als
Betriebsunfall anerkannt; nicht aber eine Lungenentzündung,
welche sich ein Rohrleger dadurch zugezogen hatte, dass er
m ehrere Tage bei seiner Arbeit mit blossen Füssen im Wasser
hatte stehen müssen.
L o e s e r - Berlin: Enophthalmus traumaticus. (Aerztl. Sach-
verst.-Ztg. 1902, No. 14.)
In der gesamten Literatur sind bisher nur 53 Fälle be¬
schrieben. Im vorliegenden 54. Falle handelte es sich um einen
27jiihL\ Tischler, der einen Faustschlag gegen das rechte Auge
erlitten hatte; der Schlag hatte hauptsächlich die äussere und
obere Partie der Augenhöhlenwandung betroffen.
Befund: Auge deutlich zurückgesunken, so dass die Lid¬
spalte etwas schmäler, das Auge im ganzen etwas kleiner er¬
scheint. Das dem zurückgesunkenen Augapfel aufliegende Ober-
lid, das in seiner Bewegungsfähigkeit ungestört ist, erscheint
etwas verbreitert, und lässt unter dem Supraorbitalrand eine tiefe,
furchenartige Einsenkung erkennen, die links fehlt; noch deut¬
licher wird dieser Reliefunterschied bei geschlossenen Augen.
Ferner bildet sich bei äusserster Rechtswendung zwischen dem
äusseren Lidwinkel und der Bulbuswandung eine tiefe taschen¬
förmige Einsenkung, während sich auf der gesunden Seite die
Lider dicht an den in gleicher Stellung befindlichen Augapfel an-
sclimiegen. Dieses bisher noch nicht erwähnte Symptom ist be¬
merkenswert, weil sein Vorhandensein möglicherweise diffe¬
rentialdiagnostisch gegenüber den gar nicht selten a n -
g e b o r e n e n Entwicklungsassymmetrien Verwendung finden
kann. Die sonstigen Störungen betreffen den Muskelapparat
(Doppelbilder). Schliesslich ist die rechte Pupille deutlich weiter
als die linke, während die Reaktion auf Licht und Konvergenz
prompt erhalten ist. (Akkommodation, Sehschärfe, Gesichtsfeld,
Tonus und ophthalmoskopischer Befund zeigen ganz normales Ver¬
halten; auch sonstige Störungen, speziell von seiten des Nerven¬
systems, sind nicht vorhanden.)
Die Traumen (Hufschlag, Wurf-, Stoss-, Sturz- etc.-Ver-
letzung), die zum Enophthalmus führen, betreffen fast ausschliess¬
lich die Stirn- oder Schläfengegend in der Umgebung des Auges.
Anatomische Untersuchung fehlt bisher. Die Anschauung L e -
derers, der 52 Fälle zusammengestellt hat — dass nämlich die
Verletzung zunächst zu einer, sei es direkten, sei es fortgesetzten
oder indirekten Fraktur der Orbitalwand führt, die einen Blut¬
erguss in das Orbitalgewebe zur Folge hat mit Zerreissung des¬
selben und nachfolgender Narbenbildung, welche ihrerseits zur
Retraktion des Augapfels führt, und dass teils auf direkte, gleich¬
zeitige Läsion der einzelnen Orbitalgebilde durch die Blutung,
eventuell auch durch Knochenfragmente, teils aber auf Mitleiden¬
schaft der den Orbitalwänden jeweils benachbarten Gebilde bei
der Vernarbung der Orbitalwandbrüche alle die mannigfaltigen
Begleiterscheinungen des traumatischen Enophthalmus zurückzu¬
führen sind (Lähmungen der äusseren Augenmuskeln, Pupillenver-
änderungen, Störungen der Akkommodation oder Sehkraft, Läsionen
des Sehnerven, Gefühlsstörungen in der betreffenden Gesichts¬
hälfte u. s. w.) — , erklärt am einfachsten und ungezwungensten
alle Erscheinungsformen und verdient den Vorzug vor allen an¬
deren.
Was die ärztliche Begutachtung eines traumatischen
Enophthalmus bezüglich der Erwerbsbeeinträchtigung betrifft, so
ist zu bemerken, dass die Lageanomalie des Bulbus an sich — die
übrigens einer Besserung kaum zugänglich ist — keinerlei
Funktionsstörungen bedingt. Schädliche Folgen für den Gebrauch
des Sehorgans können ausschliesslich aus den Begleiterscheinungen
resultieren, deren Mannigfaltigkeit, verschiedenartige Dignität und
Dauer in jedem einzelnen Fall eine besondere Beurteilung not¬
wendig machen wird. Schwab- Neuweissensee-Berlin.
Inaugriral-Dissertationen.
Univei’Sität Kiel. August und September 1902.
93. Backhaus Fritz: lieber Entstehung und Behandlung der
kompletten Dammrisse.
94. Vollmer Theodor: Ein Fall von Aneurysma des Arcus mit
Durchbruch in den Herzbeutel.
95. Wortmann Julius: Ein Fall von Enchondi’om der Tibia.
9G. Blumensath Fiätz: Statistisch -klinische Mitteilungen
über das runde Magengeschwür.
97. Bi spin g Heinrich: Zur Kasuistik der Luxatio genu con¬
genita.
9S. Cli astinet Mathias: Kasuistischer Beiti’ag zur Tabes dor¬
sal is mit Ophthalmoplegie und Muskelatrophie.
99. O d e f e y Theodor: Kasuistische Beitrüge zur Lehi’e von den
Fremdkörpern des Uterus.
100. Elimke Ulrich: Ueber die Syndaktylie.
101. Heger Ewald: Ueber Gaumentumoren, nebst Mitteilung
eines Falles von Sarkom des harten Gaumens.
102. Sievert Johannes: Beitrag zur Lehi’e von den Psychosen
bei Infektionskrankheiten. Ein Fall von Psychose bei gonor¬
rhoischer Infektion.
103. W o s s i d 1 o Georg: Vier Fälle von Peniskarzinom.
104. Braess Louis: Ueber Pfählungsverletzungen.
105. Eckstein Hans: Ein Fall von primärer Darmtuberkulose.
106. Mayer Felix: Ein Fall von traumatischer Fraktur des Ober¬
schenkelhalses bei einem 4 jährigen Kinde.
107. Frey er Eduard: Ueber das Rhabdomyosarkom der Niere.
108. Iv ruse Ernst: Ein Fall von Meningocele occipitalis.
109. Bilfinger Oskar: Ueber Leberabszess.
Vereins- und Kongressberichte.
74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Karlsbad vom 21. bis 27. September 1902.
Referent : Dr. Grassmann - München.
2. allgemeine Versammlung a m 26. S e p t. 1902.
Zur Eröffnung der zweiten allgemeinen Versammlung hatte
sich eine sehr zahlreiche Zuhörerschaft, darunter auch viele
Damen, eingefunden, die dem feierlichen Schluss der diesjährigen
Tagung beiwohnen wollten. Zunächst erfolgte die Bekanntgabe
der Telegramme, welche von ihren Majestäten dem Kaiser von
Oesterreich und dem deutschen Kaiser an die Versammlung als
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
1772
Antwort auf die dargebrachte Huldigung eingetroffen waren;
sodann dankte der Vorsitzende II e u b n e r - Berlin der Gesell¬
schaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Lite¬
ratur in Böhmen, welche jedem Teilnehmer des Karlsbader Kon¬
gresses eine Widmung hatte überreichen lassen, nämlich den
1. Band des Briefwechsels zwischen J. W. v. Goethe und dem
Grafen Iv. v. Sternberg, dem Mitbegründer nicht nur des
reichen böhmischen Landesmuseums in Prag, sondern auch
tätigen Mitbegründer der Versammlungen deutscher Natur¬
forscher und Aerzte, der denselben noch weitere und grössere
Aufgaben zugedacht hat als Oken selbst und besonders die
Teilnahme der österreichischen Gelehrtenwelt an dem LTnter-
nehmen auf das Eifrigste betrieb. Wie A. Sauer in der Ein¬
leitung der sehr interessanten Briefsammlung, die auf die warme
Freundschaft Goethes mit dem naturwissenschaftlich aus¬
zeichnet gebildeten Grafen ein helles Licht wirft, des näheren
auseinandersetzt, gewann erst durch den Beitritt v. Stern¬
bergs die Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
den Glanz und das Ansehen, das sie brauchte, die richtige Per¬
sönlichkeit zum Führer und einen Mittelpunkt, an den sich
andere angliedern konnten. Es war daher gewiss eine gute und
dankbar zu begrüssende Idee, ein Werk gerade dieser Art den
Teilnehmern der Tagung in Karlsbad zu widmen.
Als erster Redner sprach A. Freih. v. Eiseisberg -Wien
über die Bedeutung der Schilddrüse für den Haushalt der
Natur und führte folgendes aus:
Vor tausenden von Jahren haben die Chinesen Krankheiten
der Leber und des Gehirns dadurch behandelt, dass sie den Pa¬
tienten rohe Leber und rohes Gehirn zu essen gaben. Wie oft
mag seit dieser Zeit diese Behandlungsmethode belächelt worden
sein! I)a begannen vor etwa 12 Jahren die Aerzte auf Grund
wissenschaftlicher Forschungen eine Reihe von Schilddrüsen¬
erkrankungen dadurch zu behandeln, dass sie ihren Patienten
rohe Schilddrüsen von Tieren zu essen gaben. Bei keinem Organ
ist in zwei Dezennien soviel in Pathologie und Therapie geleistet
worden als bei der Schilddrüse. Deshalb will ich versuchen, in
kurzem den gegenwärtigen Stand der Kenntnis von der Schild¬
drüse auseinander zu setzen.
Die Schilddrüse ist eine hufeisenförmige, am Halse gelegene
Drüse ohne Ausführungsgang. Bis in die neueste Zeit war man
über die Bedeutung derselben vollkommen im Unklaren. Man
vermutete, sie wäre bloss da, um den Hals voller, schöner zu
machen, die Stimmbänder vor Erkältung zu bewahren; noch vor
24 Jahren schien sie eigentlich bloss dazu vorhanden, durch ihre
Entartung den Menschen zu schädigen. Zwei Momente brachten
Klärung: die Kropfexstirpation und das Tierexperiment.
Dass der Kropf nicht nur von kosmetischem Nachteil für den
Träger ist, sondern durch Atembeschwerden und nervöse Erschei¬
nungen ihn aufs schwerste schädigen kann, lehrt ein Blick auf
obige Tafel (Demonstr.). Seit hundert Jahren ist das Jod ein sou¬
veränes Mittel zur Behandlung des Kropfes; leider erweist es sich
nicht immer als ausreichend. Dort, wo die Luftröhre eng zu¬
sammengedrückt ist, heisst es, den Kropf rasch zu entfernen
oder den Kehlkopfschnitt zu machen. Schon in der ersten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts wurden solche Operationen wiederholt
und mit Glück ausgeführt. Wie unsicher aber im allgemeinen
dabei die Erfolge noch waren, lehrt der Ausspruch, den der
Würzburger Professor v. L inhart im Jahre 1872 getan, der
die Kropfoperation als einen Mordversuch bezeichnete. Und
wenige Jahre später konnten Billroth und Kocher über eine
Reihe von mit bestem Erfolge ausgeführte Kropfoperationen be¬
richten. Und damit ja kein Kropf nach der Operation mehr kam,
nahm man gleich die ganze Schilddrüse mit weg. Da erfolgte
mit einem Male eine schwere Reaktion. Ein Teil der Operierten
erkrankte an schweren starrkrampfähnlichen Zuständen, um
daran sogar zu Grunde zu gehen; bei anderen traten Schwel¬
lungen im Bereiche der Haut ein, Haarausfall, und was das
Schrecklichste war, es machte sich bei ihnen eine zunehmende
Verblödung geltend; handelte es sich dabei um jugendliche In¬
dividuen, so blieben dieselben im Wachstume zurück. Was war
die Ursache dieser furchtbaren Erscheinungen? In diesem
Punkte hat das Tierexperiment Klarheit geschafft, welches ergab,
dass bei Fleischfressern (Katze und Hund) die Entfernung der
Schilddrüse von ganz ähnlichen starrkrampfartigen Zuständen
gefolgt ist, wie dies beim Menschen beobachtet wurde, und dass
die Piianzenfresser, welche meist diesen Eingriff längere Zeit
überleben, das Bild der Verblödung, und falls es sich um jugend¬
liche Tiere handelt, bei denen die Operation ausgeführt war, das
schwerer Wachstumsstörung zeigen.
Dass da nur der Ausfall der Schilddrüse und nichts anderes
die Ursache dieser schweren Erscheinungen war, wird dadurch be¬
wiesen, dass die Entnahme der Hälfte, selbst 2/s bis s/4 der
Schilddrüse dem Tiere nichts schadet, erst Reduktionen von 4/0
bis 5/0 schädliche Einwirkungen zeigen. Ein weiterer Beweis
für diese Auffassung wird durch die interessanten Experimente
Schiffs gegeben. Demselben gelang es, die Tiere nach Schild¬
drüsenexstirpation am Leben zu erhalten, dadurch, dass er die
Schilddrüse in dem Bauche des Tieres zur Einheilung brachte.
Später versuchte man, ob ein gleicher Erfolg nicht durch Ein¬
spritzung A^on Schilddrüsensaft, bezw. durch die Fütterung der
rohen Schilddrüse zu erzielen wäre, und auch dies gelang und
führte zu der eingangs erwähnten Schilddrüsen therapie.
Damit war die Wichtigkeit des Organs für das Leben fest¬
gestellt, und die Kropfoperation, an welche man sich nur unter
den schwersten Gefahren für den Menschen herangewagt hatte,
Avar zu dem segensreichsten Eingriffe geworden, bei dem kaum
1 Proz. Mortalität zu verzeichnen ist, vorausgesetzt, dass man
Sorge trägt, ein Stückchen Schilddrüse zurückzulassen. Diese
grosse Errungenschaft verdankt die Menschheit vorwiegend dem
Tierversuche. Ich möchte hier soAvohl die moralische Berechti¬
gung, wie auch den Wert derselben, gegen welche beide so häufig
Aron den Gegnern der- Vivisektion angekämpft Avird, besonders
betonen.
Dass der Mensch über die Tiere frei verfügt und verfügen
darf, bestreitet wohl niemand. Er scheut sich auch nicht, wo
cs sein Vorteil erheischt, das Tier zu quälen; die Kastration der
Haustiere, die Mästung der Enten, das Rupfen der Gänse sind
genügende Belege hiefür. Und gar erst, wenn es sich um die Be¬
friedigung eines Sports oder Vergnügens handelt; das Wild,
welches auf der Jagd angeschossen elend verkümmert, das Pferd,
Avelches als erstes beim Distanzritt ankommt, um tot zusammen¬
zubrechen, der Singvogel, der, damit er schöner singt, geblendet
wird, all das sind Grausamkeiten, welche gelegentlich verurteilt
Averden, niemals aber eine so energische und fanatische Ver¬
dammung erfahren, wie die angeblichen Gräuel der Vivisektion.
Wenn es für Eigennutz und Vergnügen erlaubt ist, die Tiere zu
quälen, soll es dem Naturforscher, der im Dienste der Wissen¬
schaft, dem Arzte, welcher dies im Dienste der Humanität tut,
verwehrt bleiben? Die Dutzende atoii Hunden, die der kühne
Nordpolfahrer mit sich nimmt, sind einem sicheren und qual¬
vollen Ende geweiht, die moderne Physiologie, die ganze moderne
Heilkunde ist auf dem Tierversuche aufgebaut; durch Heka¬
tomben von Tierversuchen, und zAvar recht schmerzvollen, ist
man zum Diphtherieserum, zum Tetanusserum gelangt; bevor
Billroth seine erste Operation am menschlichen Magen und
Kehlkopfe ausgeführt hat, hat er die Möglichkeit dieses Ein¬
griffes an Dutzenden von Hunden studiert. „Ja da kommt etAvas
heraus“ — höre ich die Feinde der Vivisektion sagen — , aber
bloss wissenschaftlicher Probleme wegen ist sie nicht erlaubt !“
Der grosse AI o m m sen hat vor kurzem die Forderung der vor¬
aussetzungslosen Forschung aufgestellt, der Erforschung der
Wahrheit — das ist und bleibt das einzige Ziel. Voraussetzungs¬
los waren die Experimente Schiffs, die er im Jahre 1859 über
die Folgen der Schilddrüsenexstirpation beim Tiere unternahm,
und heute danken Avir ihm zum grossen Teile, wenn so viele
Kropfpatienten durch die Operation glücklich geheilt Averden
können. Dieser kühne Forscher, welcher sich als solcher Wohl¬
täter der Alenschheit erwies, musste im Jahre 1878 Florenz, die
Stelle seiner Tätigkeit, verlassen, da die Regierung, aufgehetzt
durch die Gegner der Vivisektion, ihm jeden Versuch am leben¬
den Tiere verbot. Ich möchte hier übrigens erwähnen, dass die
meisten der Tierversuche unter Narkose ausgeführt werden, da¬
neben aber immer Avieder Versuche ohne Narkose gemacht Averden
müssen. Die angeblichen Gräuel der Vivisektion stellen nur
einen verscliAvindenden Bruchteil all der Schmerzen und des
Leidens dar, welche tagtäglich der Mensch dem Tiere aus Eigen¬
nutz und Sportsucht zufügt. Auch ich verabscheue, wie jeder
Gebildete, unnütze Quälerei : Avenn ein Pferd vom Kutscher miss¬
handelt wird, wenn mutAAdllige Jungen eine verwundete Katze
quälen, der Schnecke das Haus langsam zerstören u. s. w. Das
21. Oktober 1Ö02.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1773
wäre ein Feld für die Gegner der Vivisektion, das ist zwecklose
Tierquälerei! Ich meine ferner, dass, solange so viel Elend und
Armut bei den Menschen besteht, diese Sorge als eine über¬
triebene Sentimentalität bezeichnet werden kann. Wir Aerzte
und Naturforscher werden uns durch das Geschrei der Gegner
nicht irre machen lassen in dem Streben nach Wahrheit und dem
Wunsche, unseren kranken Mitmenschen zu helfen.
Und nun zurück zu unserem Thema. Der Kropf ist nicht
nur eine lästige, sondern eine sehr häufige Erkrankung der
Schilddrüse. Es gibt bestimmte Orte, wo er besonders häufig
vorkommt: Alpen, Pyrenäen, Karpathen, Erz-, Riesengebirge,
Schwarzwald, Thüringen u. s. w. Im Gebirge sind es die luft¬
armen Täler, die Umgebung der Flüsse, wo er besonders häufig
beobachtet wird; Hochplateaus, sowie die Tiefebene und die
Seeküste sind fast völlig frei davon. Nun sollte man meinen,
dass es dabei nicht schwierig sein würde, die Ursache des Kropfes
zu ermitteln. Man weiss eine Reihe von Gelegenheitsursachen
dazu: Vererbung, das Tragen schwerer Lasten auf dem Kopfe,
anstrengendes Singen und Schreien u. s. w. Sicher festgestellt
ist es jedoch nur, dass der Kropf durch das Wasser verbreitet
wird, und zwar durch das Wasser, welches von einem Boden mit
einer bestimmten geologischen Beschaffenheit stammt. Unter
den zahlreichen Beispielen sei hier das von B i r c h e r mit¬
geteilte angegeben. Die Schweizer Gemeinde Rapperswyl wies
bis zum Jahre 1885 bei 59 Proz. der Schulkinder kropfige Ent¬
artung der Schilddrüse auf. Es wurde daher aus einer kropf-
f'reien Gegend eine Wasserleitung angelegt. Schon 1866 waren
nur mehr 44 Proz., 1889 25 Proz. und im Jahre 1895 gar nur bloss
10 Proz. kropfig. Eine bestimmte Beschaffenheit des Wassers
oder gar ein bestimmtes Bakterium als Ursache des Kropfes ist
bisher noch nicht nachgewiesen worden. Jedenfalls ist es sicher¬
gestellt, dass das kröpf erzeugende Wasser durch Kochen un¬
schädlich gemacht wird.
Dort, wo der Kropf sehr häufig beobachtet wird, also ge-
wissermassen im Zentrum seines Vorkommens, sieht man auch
den Kretinismus. Ihnen allen sind von den Gebirgsreisen her
diese unglücklichen Menschen bekannt. Ein Blick auf die Bilder
schildert sie besser, als eine lange Beschreibung dieser im Wachs¬
tum zurückgebliebenen, halb blöden Menschen, deren Haut ein
greisenhaftes Aussehen darbietet, deren Schilddrüse meist zu
einem unförmigen Kropfe entartet ist oder vollkommen fehlt.
Die grosse Analogie dieses Krankheitsbildes mit dem Zustande,
welche der vollkommenen Herausnahme des Kropfes bei jugend¬
lichen Menschen in den 80 er Jahren folgte, musste dazu führen,
in beiden Fällen die Ursache auf eine fehlende Funktion der
Schilddrüse zurückzuführen. In der Tat ergab auch dabei die
Schilddrüsenfütterung, wie Sie sich in dem einen Bilde über¬
zeugen können, gute Resrlltate. Eine weitere Erkrankung, das
sog. Myxödem, wurde vor etwa 20 Jahren in England beschrieben;
bei bis dahin gesunden Menschen traten Schwellungen im Ge¬
sichte, Ausfallen der Haare und Nägel auf unter zunehmender
Apathie und Stumpfsinn, die sich bis zur Idiotie steigerten.
Die Analogie mit dem Bilde der operativen Kachexie und dem
Kretinismus lenkte auch dabei die Aufmerksamkeit auf die
Schilddrüse, welche sich als klein und geschrumpft, in anderen
Fällen als kropfig degeneriert erwies. Bis zum Beginne der
90 er Jahre fehlte jedwede Aussicht auf eine erfolgreiche Be¬
handlung dieser schweren Erkrankung; die Transplantation,
später Injektion, zum Schlüsse sogar Fütterung mit roher Schild¬
drüse feierten gerade bei dieser Krankheit ihre schönsten
Triumphe.
Wir sehen somit, dass die Schilddrüse eine wichtige Rolle
im Haushalte der Natur besitzt. Sondert sie einen lebenswich¬
tigen Saft ab, zerstört sie ein beim Stoffwechsel gebildetes Gift
oder fesselt sie in der Drüse selbst ein solches Gift — das alles
ist noch nicht mit Sicherheit zu ermitteln. In neuester Zeit
haben die Chemiker sich der Frage angenommen und es ist dem
zu früh verstorbenen Chemiker Baumann gelungen, eine or¬
ganische Jodverbindung in der Schilddrüse des Menschen und
der Tiere nac-hzuweisen. Dieselbe konnte sogar chemisch rein
dargestellt werden und hat man damit sowohl beim Tierversuche
als wie bei Ausfallserscheinungen von seiten der menschlichen
Schilddrüse positive Resultate erzielt.
Jedenfalls kann die Schilddrüse als ein sehr wichtiges, un¬
entbehrliches Organ bezeichnet werden, das niemals, selbst wenn
es anscheinend kropfig zerstört ist, ganz entfernt werden darf
und eine wichtige Rolle im Haushalte der Natur spielt. Wenn
Sie, meine Damen und Herren, überlegen, dass die Kenntnis
dessen, was ich heute vorgetragen, kaum 25 Jahre alt ist, so ist
dies dazu angetan, den Naturforscher und Arzt bescheiden zu
machen, indem er jederzeit zu gewärtigen hat, dass der gegen¬
wärtig anscheinend so hohe Standpunkt seines Wissens durch
Forschungen und Funde, die vielleicht die nächste Zukunft
bringt, weit überholt wird. Ich möchte, wenn dasselbe Thema
nach 1 bis 2 Dezennien wieder vor dieser gelehrten Gesellschaft
besprochen wird, wünschen, dass der Vortragende in der Lage
sei, das Wesen der Schilddrüsenfunktion genau zu erklären —
und, wenn ich heute über glänzende Erfolge der operativen Be¬
handlung des Kropfes berichten konnte, dann über gänzliche
Verhütung des Kropfes und des Kretinismus zu berichten, so
dass dann diese Erkrankungen zu den historischen, zur Ver¬
gangenheit gehörenden zu rechnen sein werden.
Dass der durch zahlreiche Zeichnungen dem Verständnisse
der ja auch aus zahlreichen Laien bestehenden Zuhörer möglichst
nahe gebrachte Vortrag sowohl durch seinen Gegenstand, als
besonders durch seine oratorisch glückliche Form und die ein¬
geflochtene warme Verteidigung des Tierexperiments einen leb¬
haften Widerhall und besondere Anerkennung bei den Hörern
fand, bewies der ihm folgende äusserst lebhafte Beifall.
R. v. W e 1 1 s t e in, der Wiener Botaniker, hatte als Vor¬
tragsthema gewählt: Der Neo-Lamarckismus.
Entwicklungsgeschichtliche Probleme haben, wie Redner
ausführt, auch schon im vorigen Jahre die Naturforscherver¬
sammlung in Hamburg beschäftigt und ist man ja in der An¬
nahme der Deszendenztheorie im allgemeinen einig, aber nicht
in der Frage, in welcher Weise die Bildung von neuen Formen
in der Natur zu Stande kommt. Für diesen Vorgang, besonders
für die Vererbung der durch individuelle Anpassung erworbenen
Eigenschaften, reicht die Selektionstheorie nicht aus und es
lässt sich nachweisen, dass die früheren Arbeiten hierin keinen
Abschluss bedeuten und dass Darwinismus und Lamarckismus,
d. h. jene Lehre, welche dem Organismus selbst die Fähigkeit zur
Entwicklung neuer Formen zupricht, sich kombinieren und
keine prinzipiellen Gegensätze bedeuten. Die Lamarckistische
Theorie besitzt noch nicht viele überzeugte Anhänger. Von
Neo-Lamarckismus wird gesprochen als einer Fortbildung der
früheren Lamarck sehen Lehre, da viele Erscheinungen jetzt
eben besser in diesem Sinne erklärt werden können. Die meisten
Zoologen sind Gegner des Neo-Lamarckismus, der aber doch als
zweites Prinzip neben jenem der Selektion herangezogen werden
muss. Auseinander zu halten sind die „Organisations“-Merk-
male und die „Anpassungs“-Merkmale, für welche verschiedene
Momente der Entstehung und Abänderung vorhanden sind.
Mutation und Kreuzung vermögen nicht alle Erscheinungen zu
erklären, besonders aber nicht den Fortschritt in der Entwick¬
lung. Redner betont., dass er sich durchaus nicht ablehnend
gegen den Darwinismus verhalte; aber gerade Beobachtungen
am Pflanzenreich zeigen, dass die Veränderungen der Organis¬
men meist auf dem Wege der direkten Anpassung zu stände
kommen. Die erste Voraussetzung des Lamarckismus, nämlich
die individuelle Anpassungsfähigkeit, ist zweifellos erwiesen ; hin¬
sichtlich der zweiten, der Vererbung der durch individuelle An¬
passung erworbenen Eigenschaften, ist Redner selbst vollkommen
überzeugt, dass sie zu Recht besteht, doch ist das Beweismaterial
hoch nicht so ausreichend. Belege hiefür gibt es aber bereits
in grosser Zahl, namentlich aus botanischem Gebiete. Die
Zoologen bestreiten bekanntlich meist das Zutreffen dieser zwei¬
ten Voraussetzung. 1879 hat Pasteur die Beobachtung ge¬
macht, dass ältere Kulturen des Hühnercholerabazillus bei
längerem O-Zutritte ihre Virulenz verlieren, und ähnliche Beob¬
achtungen hat die moderne Bakteriologie sehr zahlreich geliefert,
ebenso auch die Untersuchungen an Hefezellen von Hansen.
Es kann nicht mehr zweifelhaft sein, dass gewissen Bakterien¬
arten Eigentümlichkeiten angezüchtet werden können, die sie
durch Vererbung festhalten, bis wieder veränderte Kulturbeding¬
ungen andere Eigenschaften bewirken. Bei der Vererbung der
durch individuelle Anpassung erworbenen Eigenschaften handelt
es sich immer um Vererbung von Modifikationen. Dazu kommt,
dass immer eine längere Periode der Anpassung stattgehabt haben
muss, bis eine Vererbung möglich wird. Wichtige Belege für
1774
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
letztere liefern z. B. auch die Beobachtungen am Weizen. Es
zeigt sich liier, dass bei gewissen Sorten die Versuche der Ein¬
bürgerung daran scheitern, dass schon im Laufe weniger Ge¬
nerationen die wesentlichen Merkmale der heimischen Sorten
hervortreten. Das zeigte sich z. B. in Ungarn und Skandinavien
(S c h ii b e 1 e r). Redner selbst hat analoge Beobachtungen am
Lein machen können. Fichten und Lärchen, die aus alpinem
Samen in der Ebene gezogen werden, behalten ihr langsames
Wachstum und ihre geringe Zuwachsgrösse als erworbene Eigen¬
schaften ihrer Vorfahren bei. Es muss daher auch die zweite
Voraussetzung des Lamarckismus als zutreffend bezeichnet wer¬
den, so dass man sich dieser Theorie gegenüber, welche auch
am besten die Rückbildung nicht-funktionierender Organe er¬
klärt, nicht auf den Standpunkt der Ablehnung stellen darf.
In der direkten Anpassung liegt ein Vorgang, welcher den Fort¬
schritt in der Entwicklung erklären kann. Es ist von allgemeiner
Bedeutung, anzuerkennen, dass neben der Selektionstheorie auch
der Neo-Lamarckismus zu Recht besteht, wobei man nur an
ethnographische Probleme, aber auch an die Aufgaben der Hy¬
giene zu denken braucht.
Nach einer längeren Pause sprach 0. v. Miller - München
über: Die Naturkräfte im Dienste der Elektrotechnik.
Redner möchte es als Nicht-Fachmann unterlassen, über die
Fortschritte auf dem Gebiete der Elektromedizin zu sprechen,
und weist nur hin auf die unaufgeklärte Wirkung der Tesla¬
ströme. Die Lösung der darin liegenden grossen Rätsel würde
sicher einen grossen Fortschritt in der Heilkunde bedeuten.
Es werden in erster Linie die Fortschritte auf dem Gebiete
der Elektrochemie erwähnt. Die Fabrikation des Kalziumkarbids
brachte wirtschaftlich grosse Enttäuschungen; die freigeworde¬
nen Arbeitskräfte und Maschinen wurden zum grossen Teil in
den Dienst der Elektrochemie gestellt. Die elektrische Heizung
im Llaushalte ist jetzt in allen möglichen Formen in An¬
wendung; es lässt sich berechnen, dass elektrische Heizung in
grossem Masstab billiger kommt als jene mit Kohle (Nutzeffekt
von fast 100 Proz.). Die von Auer angestrebte Verbesserung
des elektrischen Lichtes verspricht das günstigste Ergebnis. Die
Nernstsche Lampe wird noch weitere Verbreitung finden.
Auch die Bogenlichtbeleuchtung wurde vervollkommnet. Redner
ist überzeugt, dass die Elektrizität in Zukunft das angenehmste
und billigste Licht liefern wird. Sodann wendet sich v. M. zur
Verwendung der elektrischen Kräfte im Verkehr (Strassen- und
Fernbahnen). Die elektrischen Verkehrsmittel können nicht nur
schneller, sondern auch sicherer gestaltet werden als die bis¬
herigen. Die elektrischen Bahnen setzen dichten Betrieb voraus,
zu dem die Bahnverwaltungen die Bedingungen schaffen müssen.
Ausserordentlich wichtig ist die Kräfteverteilung und -Ueber-
tragung mittels der Elektrizität (erste Versuche von ' Marcel
D e p r e z, O. v. Miller u. a.). Vor 11 Jahren konnte die erste
Kraftübertragung auf weitere Entfernung ins Werk gesetzt
werden. Kolossale Wasserkräfte können noch herangezogen
werden. Den Regierungen der verschiedenen Länder erwachsen
neue Aufgaben in der Feststellung der noch brach liegenden
Wasserkräfte, der Beobachtung der Gefälle, der Ergänzung ein¬
schlägiger gesetzlicher Bestimmungen. Wenn alle diese Natur¬
kräfte noch besser ausgenützt werden, so werden diese nicht
die Dampfmaschinen verdrängen, aber dazu beitragen, unsere
Kohlen zu schonen, deren Dauer nicht unbegrenzt ist und die
immer kostbarer werden. Für die Fortentwicklung der Kultur
ist es von höchster Bedeutung, dass alle verfügbaren Kräfte der
Natur zur Ausnützung gelangen.
Der hochinteressante Vortrag war von der Versammlung
mit grösster Spannung entgegengenommen worden und sprach
der Vorsitzende dem Redner hiefür den wärmsten Dank aus.
In seinen Schlussworten gab Heubner - Berlin einen kurzen
Rückblick „auf diese ganz wunderbaren Tage“ und dankte all
den Männern, die im Laufe derselben soviel Anregung und Er¬
leuchtung gegeben hätten.
In den Abteilungssitzungen wurde viel Bedeutsames ge¬
fördert. So wurden in der Abteilung für Physik wertvolle
Untersuchungen über die Eigenschaften der Elektronen, sowie
über die radioaktiven Salze mitgeteilt, in der Abteilung für
Chemie das jüngste Element begrüsst, in jener für Botanik um¬
fassende Untersuchungen über Leuchtbakterien und deren Ver¬
breitung mitgeteilt; die Abteilungen für Zoologie und Botanik
haben den gemeinsamen Beschluss gefasst, an die österreichische
Regierung den Antrag zu stellen, eine Durchforschung des
Adriameeres zu veranstalten; in der Abteilung für Geologie
wurde das Alter des prähistorischen Menschen erörtert und ein
interessanter Vortrag über das Antlitz der Alpen gehalten; in
der Abteilung für pathologische Anatomie fand ein solcher statt
über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Teratologie;
viele wichtige Mitteilungen wurden gemacht in der Abteilung
für innere Medizin und Kinderheilkunde und liier scheint, wie
Redner mit Rücksicht auf die Mitteilungen betr. der Erfolge
des Moser sehen Scharlachserums hervorhob, das Gebiet der
Serumtherapie eine äusserst wichtige Bereicherung erfahren zu
haben. „Tage fast elysischer Heiterkeit liegen hinter uns!“
schloss II e u b n e r, an denen aber die mit so viel Geschick und
Takt arrangierten Vergnügungen den Hauptzweck der Ver¬
sammlung, nämlich ernste Arbeit, nicht gestört haben. Diese
Versammlung hat im Gegenteil den glänzenden Beweis dafür
geliefert, dass es möglich ist, ohne jede Beeinträchtigung des
ersten Zweckes der Gesellschaft diese Vereinigung zu einem
wahren Feste zu gestalten. Das verdanken wir der Karlsbader
Bürgerschaft und speziell den Herren und Damen des Komitees.
Besonderer Dank gebührt vor allem auch den beiden Herren
Geschäftsführern. Der allgemeine Dank, der hier ausgesprochen
werden muss, gebührt jedoch der gesamten Einwohnerschaft als
Komplex einer äusserst rührigen und lebendigen Bevölkerung.
Das auf Karlsbad ausgebrachte Lloch! wurde von der Versamm¬
lung begeistert und dankbar wiederholt. Nachdem der 1. Ge¬
schäftsführer, Stadtgeologe J. Knet t, der Versammlung den
Dank der k. k. Regierung, sowie der Stadt Karlsbad übermittelt
hatte, sprach Bürgermeister L. S c h a e f f 1 e r noch warme
Worte des Abschiedes und bat um Nachsicht, dass die Stadt
sich nicht in der Möglichkeit befunden habe, der Versammlung
so grosse Räume und schöne Institute zu den Sitzungen zur Ver¬
fügung zu stellen, wie das wohl anderwärts der Fall sei. Mit
der Versicherung, dass die treu-deutsche Stadt Karlsbad min¬
destens von bestem Willen beseelt war, und dem herzlichen Zu¬
ruf an die Versammlung „Auf Wiedersehen!“ verabschiedete
sich der um das schöne Gelingen des Ganzen so verdiente Mann.
Um 1/2 Uhr erkl ärte der 2. Geschäftsführer, Dr. Herrmann,
die 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte für
geschlossen.
Während der Abend des Vortages einen grossen Teil der
Teilnehmer zu einer glänzend verlaufenden Reunion in den
grossen Räumen des Schützenhauses vereinigt hatte, bildete den
Abschluss der festlichen Veranstaltungen am Freitag Abend ein
grosser Kommers in der mächtigen Glashalle des Stadtparkes.
Bei rauschender Musik und den sehr guten Darbietungen meh¬
rerer Karlsbader Gesangvereine wurde dort von dem unermüd¬
lichen, allzeit munteren 1. Vorsitzenden der diesjährigen Ver¬
sammlung, ferner vom Bürgermeister der Stadt und noch an¬
deren manch zündendes Wort gesprochen, das die enge Ver¬
brüderung der Teilnehmer mit der Karlsbader Bürgerschaft noch
inniger gestalten musste, und wohl keiner von allen hatte beim
Weggehen einen anderen Gedanken als jenen lebhaftester und
ungetrübtester Befriedigung über den Verlauf all dieser so präch¬
tig gelungenen Festtage und über den so ausgezeichneten Geist
der Arbeitsfreude und des lebensfrohen Genusses, der über den
Karlsbader Tagen schwebte.
Nachtragen möchte Referent noch, dass der entomologisohe
Verein für Karlsbad und Umgeb img während der Dauer der
Tagung eine reichhaltige und sehr schön geordnete Ausstellung
arrangiert hatte, welche Gelegenheit bot, die bunte Fauna der
Umgebung von Karlsbad, die Schädlinge der dortigen Land- und
Forstwirtschaft, sowie die neueste entomologische Literatur
kennen zu lernen. Die vornehmen Räume des Kaiserbades be¬
herbergten ferner eine reich beschickte Ausstellung von chirur¬
gischen, optischen und physikalischen Instrumenten und Appa¬
raten, Röntgeninstrumentarien, Apparaten zur Krankenpflege
u. a., sowie eine spezielle Ausstellung der Stadt Karlsbad, na¬
mentlich in geologischer Hinsicht.
Die schönen Tage von Karlsbad sind vorüber. In diesem
Augenblicke, wo ein dichter Herbstnebel Tal und Höhen bedeckt
und ein rauher Wind über die leeren Fluren streicht, tauchen
sie im vollsten Glanze ihres strahlenden Sonnenscheines, in der
ganzen Fülle ihres Gehaltes an geistigen und materiellen Ge-
21. Oktober 1902.
MUENCIJENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
müssen, im Schimmer der ungetrübtesten Feststimmung und ar¬
beitsfrohen Heiterkeit aus der Versenkung. empor. Die Karls¬
bader Tagung muss den wohlgelungensten ihrer 73 Vorgänge¬
rinnen an die Seite gestellt werden. Die Gesellschaft deutscher
Naturforscher und Aerzte hat wieder bewiesen, dass sie kein
blosses Rumpfparlament, sondern eine vollorganisierte Ver¬
tretung unserer wissenschaftlichen Gelehrtenrepublik darstellt
und insbesondere auch, dass das vom Grafen v. Sternberg
vor Dezennien so heiss ersehnte Ziel, nämlich das eng ver¬
bündete wissenschaftliche Zusammenwirken deutscher und öster¬
reichischer Forscher, im vollsten Masse erreicht ist. Denn letz¬
tere gerade sind auf der Karlsbader Tagung mit dem vollen Ein¬
sätze ihrer Leistungen hervorgetreten und man begreift voll¬
kommen die patriotische Freude, der österreichischen Presse, wenn
sie die ausgezeichnete Rolle hervorhebt, welche österreichische
Gelehrte und deren Forschungsresultate in Karlsbad gespielt
haben.
Allein, wie im Laufe der Versammlung mehrfach hervor¬
gehoben wurde, der wissenschaftlichen Forschung gegenüber gibt
es keine Schlagbäume und farbigen Grenzpfähle : Alle dienen wir
einer Naturforschung. An dieser gemeinsam zu arbeiten,
über die gelösten und noch zu lösenden Aufgaben Aussichten und
Ueberblicke zu gewinnen, welche die engen Schranken der Ein¬
zelnarbeit, des Einzelnlebens vergessen lassen, das wird stets die
Hauptaufgabe und den bleibenden Gewinn der herbstlichen Heer¬
schau unserer deutschen Naturforscher und Aerzte bilden.
Abteilung für Chirurgie.
Referent : Herr Wohlgemuth- Berlin.
IV. Sitzung.
Vorsitzender: Herr K ö r t e - Berlin.
1. Herr Hoeftmann - Königsberg spricht zuerst über ein
Verfahren zur Heilung tuberkulöser Sehnenscheiden und Ge¬
lenke.
Dasselbe besteht in energischer Massage mit einem Blei¬
hammer. II. hat Fälle, die von anderer Seite amputiert werden
sollten, geheilt; gibt die Krankengeschichten derselben und de¬
monstriert Photographien. H. empfiehlt dann noch die Jod¬
injektionsbehandlung der Ganglien, die er so ausführt, dass auf
der einen Seite eine mit Jodtinktur gefüllte Pravazsche
Spritze, auf der anderen eine stärkere Kanüle eingestochen wird.
Die P r a v a z sehe Spritze wird nun in das Ganglion entleert,
bis der Inhalt des Ganglions aus der anderen Kanüle ausgeflossen
und etwas Jodtinktur nachgekommen ist.
2. Herr L ö w e - Berlin demonstriert ein Verfahren und In¬
strumente zur Freilegung der Basis cranii et cerebri von der
Nase aus an Zeichnungen.
Temporäre Resektion der harten Gaumenplatte in toto, Aus¬
räumung des Naseninnem bis zur Unterfläche der Lamina cribrosa.
Er liat dies Verfahren bisher 10 mal ausgeführt.
3. Herr Graser- Erlangen : Ueber Anomalien der Mesen¬
terien.
Nach einigen einleitenden Bemerkungen über die Wichtig¬
keit der Kenntnis abnormer Lagerung der Eingeweide und Me¬
senterien in der Bauchhöhle auch für die praktische Chirurgie
gibt G. zunächst einen Ueberblick über die verschiedenen Ab¬
weichungen der Form und der Befestigung der einzelnen Dann¬
teile, dabei besonders des Coekums, des Colon transversum und
der Flexura sigmoidea gedenkend; weist auf die Erfolg ver¬
sprechenden Versuche hin, auch für die Dünndarmschlingen all¬
mählich bestimmte Durchschnittsnormen festzustellen (TI enke,
Weinberg, Koch und namentlich P. Mal 1). Der kom¬
plizierteste Punkt der Entwickelung liegt in der Gegend des
Duodenums.
Eine eigenartige Erfahrung, die G. bei einer Operation
machte, ist ihm zur Veranlassung geworden, sich mit diesen
Dingen eingehender zu beschäftigen.
Bei einer Laparotomie, welche er unter Mitwirkung von Dr.
d e Quervain im Krankenhaus zu Löcle wTegen diagnostisch
unklarer, seit langer Zeit bestehender Magenbescliwerden bei
einem 58 jährigen Manne vornahm, fand G. eine sehr starke Ste¬
nose des Pylorus, die, federkieldick, merkwürdigerweise keine wei¬
teren Erscheinungen als Magenschmerzen gemacht hatte. Keine
Erweiterung, nur Hypertrophie der Muskulatur. Pyloroplastik
war bei der starken Verdickung unmöglich. Es sollte nun in der
gewöhnlichen Weise nach Hervorziehung des Querkolons die erste
Jejunumschlinge aufgesucht werden. Aber sie war trotz voll¬
kommener Freilegung der Gegend an der normalen Stelle nicht
zu finden. Nachdem die vorgezogenen Teile wieder in die Bauch¬
höhle zurückgebracht waren, zeigte es sich, dass das Querkolon
nicht bis in die Lebergegend herüberreichte, sondern schon in der
Mittellinie nach unten abbog und in ein kurzes, vollkommen frei
bewegliches Colon ascendens undCoekum überging. Das Duodenum
lief nicht, wie normal, unter dem Colon transversum durch, son¬
dern zog von der Pylorusgegend weg (wo pathologische Verwach¬
sungen bestanden) entlang dem unteren Lebex-rande nach rechts
unten, wo es in den Dünndarm überging. Das Duodenum war
an der hinteren Bauchwand nicht festgewachsen, hatte vielmehr
ein Mesoduodenum, das kontinuierlich in das Mesojejunum über¬
ging und nach abwärts zu immer länger wurde. Das Mesoileum
ging unmittelbar in das Mesocoekum und Mesocolon ascendens
über. Da das Jejunum sich vom Magen ganz weit entfernte,
hätte eine Gastrojejunostomie ziemlich gi-osse Komplikationen ge¬
geben, während der senkrecht neben dem Magen nach abwärts
ziehende Teil des Duodenums unmittelbar zur Vornahme einer
Anastomose zwischen Magen und Duodenum einlud, eine Ope-
ration, welche aus anderem Anlass bei hochfixiertem Pylorus
schon von Mikulicz (Heule) ausgefühlt war.
Es konnte zur Anastomose ein Teil des Duodenums gewählt
wei-den, der fast unmittelbar unterhalb der Stenose sass, also noch
oberhalb der Papilla Vateri. Damit waren zugleich die einfachsten
funktionellen Verhältnisse gegeben, die einen Circulus vitiosus von
vornhei’ein ausschlossen. Heilung und Genesung ist auch in voll¬
kommenster Weise eingeti’eten.
Durch Alsberg in Hambui'g erfuhr G. einen zweiten ganz
ähnlich gelagexten Fall, bei dem aber die Orientierung während
der Operation nicht gelang und bei dem langen Suchen dieselbe
sich wesentlich komplizierte und in die Länge zog. Es wurde eine
Gastroenterostomia anterior ausgeführt; Pat. starb nach 14 Tagen.
Bei der Sektion fand sich ein dem oben beschriebenen ganz ähn¬
licher Befund. Der Dünndarm lag fast ausschliesslich auf der
rechten Seite, der Dickdarm ganz links, Coekum, Colon ascendens
und transversum frei beweglich und in Bezug auf Mesenterium
ohne scharfe Trennung vom Dünndarm. Ob auch in diesem Falle
eine Gastroduodenostomie bequem möglich gewesen wäi’e, ist nicht
zu entscheiden. Sicher aber ist der Fall dazu angetan, die prak¬
tische Bedeutung derartiger Anomalien zu illustrieren.
Unter Darlegung der Entwickelung der Bauehorgane nach
den T o 1 d t sehen Untersuchungen, deren Verständnis durch die
Demonstration grosser Tafeln erleichtert wurde, bezeichnet G.
den Zustand der beiden mitgeteilten Fälle als ein Persistieren
eines früheren Stadiums, welcher in Bezug auf die Anordnung,
nicht aber die Entwickelung der Teile auf den Status zurück¬
geführt werden muss, wie wir ihn gegen Ende des zweiten Mo¬
nats des fötalen Lebens vorfinden. Es ist sowohl die Fixierung
des Duodenums als auch die Ueberdrehung und Fixierung des
Dickdarms ausgeblieben, fast so, wie man den Zustand im
„Nabelschleif enstadiu m“ findet, in welchem das hin¬
tere Mesogastrixxm kontinuierlich iix Mesoileuxn und Mesokolon
übergeht. Ein solches Persistiereix hat man wohl axicli mit dem
Namen eines „Mesenterium commune“ belegt, welche Bezeich¬
nung aber auch daixn noch gewählt wird, wenn nur Dünndarm
uixd Dickdarm aix einer gemeinsaixien Bauchfellduplikatur auf¬
gehängt sind. Illustriert wird die Bedeutung dieses gemein¬
samen Mesenteriums noch durch die Beobachtung voxx Achsen¬
drehungen des Dünn- und Dickdarms im Zu¬
sammenhänge, wofür G. auch noch ein Beispiel anführt, das
ihm aus der Kocher sehen Klinik zur Verfügung gestellt war.
4. Herr Gross- Jena: Die syphilitische fibröse Magen-
und Darmstriktur.
Vortragender beschreibt zunächst die syphilitische fibröse
Darmstriktur als das Produkt einer Infektionsform, die sich
lediglich durch die Bildung von reinem Bindegewebe charak¬
terisiere. Er ist auch geneigt, durch zwei Beobachtxxngen an ge-
wonnenen Präparaten, die Zugehörigkeit des ihnen zu Grunde
liegenden syphilitischen Prozesses zxx der eiixfach entzündlichen
irritativen Form aixzunehmen. Gegen die Zugehörigkeit zu
spezifisch-gummöseix Formeix spräche die Intaktheit der Mukosa
im Bereiche der Strikturierungen, die auch Senn als charakte¬
ristisch hervorgehoben hat, weiter die ausgespi’ochene zylindrische
Gestalt der Strikturen, ganz entsprechend der Neigung der ein¬
fach entzündlichen Infiltration, wie sie bisher bei der heredi¬
tären Syphilis der Neugeborenen aixi Darm wie auch am Magen
beschrieben wurde, sich dififxxs in der Fläche auszubi*eiten. —
Redner berichtet über zwei Beobachtungen, die beide den Typus
der zirkumskripten Magenstriktur illustrieren, erstere den in der
Pars präpylorica1 bei relativ freiem Pylorus. Im Gegensatz zu
Hemmeter-Stokes hat G. keine spezifischen Verände¬
rungen, ixur eineix einfach entzündlichen, fibrös hypei’plastischen
Prozess wesentlich in der Submukosa wahrnehmen körmen. Die
grosse Wahrscheinlichkeit bezw. Gewissheit ihrer syphilitischen
1776
MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. •
No. 42.
Genese ergibt sich aber aus den Begleiterscheinungen, Einlage¬
rungen von schwieligen Infiltraten mit strahligen Ausläufern, .
wie sie unter dem Bilde der Perihepatitis und Perisplenitis be¬
kannt sind. Zum Schlüsse werden von dem Vortragenden dann
noch die eventuellen Komplikationen durch gummöse Bildungen,
die Aehnlichkeit des vorliegenden Prozesses mit den Affektionen,
die neuerdings von den Franzosen mit dem Kollektivbegriff der
„submukösen, hypertrophischen und stenosierenden Sklerose“
zusammengefasst werden, und dann die Frage der Therapie er¬
örtert.
5. Herr v. Eiseisberg - Wien : Ueber Invagination.
E. betont zunächst das seltene Vorkommen von Invagination
in deutschen Landen, gegenüber der Häufigkeit derselben in
Amerika. Er hat 13 Fälle operiert, die 6 mal durch Tumoren
bezw. Polypen, Steine verursacht waren, 7 mal war als einzige
Ursache ein abnorm langes Mesenterium zu finden, welches sicher
angeboren war. Bei gestellter Diagnose hält er Abwarten
höchstens bei Kindern für entschuldbar, sonst muss sofort
laparotomiert werden. In 5 von diesen Fällen konnte desinvagi-
niert werden. E. legt noch einmal seinen schon bekannten
Standpunkt klar, dass die Desinvagination keine radikale Heil¬
methode ist, macht auf die Gefahren aufmerksam, die die Darm¬
ausschaltung allein mit sich führen kann, die er an einem Falle
klar macht, in welchem der Kopf des invaginierten Stückes
über die Anastomosenstelle hinausgegangen ist, der sogar nach
einer zweiten Laparotomie in tiefer Enteroanastomose zu Grunde
gegangen ist.
Auch die partielle Resektion hält er nicht in allen Fällen
für gut und ausreichend und empfiehlt ausschliesslich totale
Resektion. Von seinen 12 Totalresektionen sind 9 geheilt.- In
einem Fall hat eine Netzübernäliung resp. ein zu langer Faden
zur neuen Stenose und Relaparotomie nach 3 Monaten geführt.
Sie konnte leicht behoben werden. Bei schwachen Patienten
empfiehlt er eine zweizeitige Operation.
6. Herr Hofmeister - Tübingen : Ueber Darminvagi-
nation.
H. verfügt über 7 Fälle, 4 chronische mit einem, 3 akute mit
zwei Todesfällen. Ein Fall von Intussusception des ganzen
Colon ascendens und transversum mit kolossalem (25 cm) Pro¬
laps per anum ist besonders interessant. Die Länge des resezierten
Stückes betrug 140 cm. In den Invagxnationstrichter war das
Duodenum mit hineinbezogen, das an seiner Pars verticalis bei
der Resektion durchgeschnitten wurde. Sofortige Naht des¬
selben. Der Fall wurde geheilt. Vorlegung des Präparates mit
einer Photographie vor der Operation.
Vortragender spricht dann kurz über die Art der Resektion.
Er bevorzug! die Methode von Braun mit der Doyen sehen
Modifikation. Ein zweiter Fall, 3 Vz jähriges Kind mit akuter
Invagination, deren Spitze in der Ampulla recti zu fühlen war,
verlief wegen des schon bestehenden 10 tägigen Ileus unglücklich.
Das Präparat zeigt ein Kocher sches Dehnungsgeschwür, das
eine einfache Enterostomie nutzlos erscheinen liess.
7. Herren Clairmont und R a n z i - Wien : Experimen¬
telle Untersuchungen über Ileus.
C. und R. haben nach an Tieren künstlich erzeugtem Ileus
mit dem im Bauche gefundenen, filtrierten Inhalt anderer Tiere
injiziert und haben mit grossen Dosen (25 — 30 ccm) unter
40 Tieren 30 mal, am schnellsten bei intravenöser Injektion, Er¬
folg gehabt. Die Tiere starben unter Krämpfen nach Stunden
bis zum 21. Tage. Es ist demnach erwiesen, dass das Gift, welches
bei Ileus zum Exitus führt, aus dem Darm stammt.
8. Herr Schloff er - Prag referiert über 31 Fälle von
operierten Dickdarmkarzinomen.
Er empfiehlt für die Resektion des Dickdarms mit
Ausschluss des Coekums, namentlich wenn im Stenosenanfalle
operiert werden muss, zunächst das Anlegen einer Anus praeter¬
naturalis oberhalb des Hindernisses, hernach die Resektion und
Darmnaht als zweiten, den Schluss des Anus praeternaturalis
als dritten Akt. S. spricht sich gegen die einzeitige Methode aus
und zieht seine dreizeitige Operatiosmethode in
gewissen Fällen, in denen sich das Karzinom schlechter vorziehen
lässt, auch der zweizeitigen (Hochenegg, v. Mikulicz)
vor. Alle 7 nach der dreizeitigen Methode operierten Fälle
wurden geheilt. Im ganzen starben von 10 Dickdarmresektionen
wegen Karzinom nur 2,
9. Herr Hilgen reiner - Prag : Bericht über 822 in
der Prager Klinik operierte Hernien.
Der Vortrag umfasst im wesentlichen eine Statistik mit ein¬
zelnen Krankengeschichten, unter denen Typhlitis, Perityphlitis,
Empyem des Proc. vermiformis im Bruchsack hervorzuheben
sind. Er empfiehlt die W ö 1 f 1 e r sehe Methode der Radikal¬
operation vor der B a s s i n i sehen, weil alle die Nachteile der
Verlagerung des Samenstranges hier fortfallen.
10. Herr Ellbogen - Kladno : Ueber Pfählungsver¬
letzungen.
Demonstration eines Patienten, der beim Sturz mit einer
Leiter sich auf eine Sprosse aufgespiesst hatte. Parasakraler
Schnitt, Entfernung der zahlreichen Holzsplitter, prophylaktische
Injektion von Tetanusserum. Am 7. Tage Tetanus. Nochmalige
Injektion von Tetanusserum und Heilung. E. berichtet dann
noch kurz über 3 ähnliche Fälle, die ebenfalls in Heilung über¬
gegangen sind.
11. Herr H a b e r e r - Wien berichtet über experimentelle
Untersuchungen, die er zusammen mit Clairmont über das
Verhalten des gesunden und kranken tierischen Peritoneums
gemacht hat.
12. Herr Steinthal - Stuttgart : Zur Diagnose und
Prognose der Perityphlitis.
St. wendet sich zunächst gegen die moderne Unterscheidung
der Appendicitis simplex, gangraenosa und perforativa und will
nur zwei Formen unterschieden wissen: die lokale, beschränkte
Appendizitis, a) Appendicitis simplex, b) Periappendicitis cir¬
cumscripta, und solche, die Neigung zur Ausbreitung in die
Bauchhöhle hat. A. ulcerosa perforativa, A. gangraenosa, Peri¬
appendicitis progressiva. Er gibt dann eine längere Ausführung
über die Symptome, Diagnose, Therapie und über die Prognose
nach der Operation, beleuchtet die Fälle, die nach derselben an
Darmlähmung zu Grunde gehen, und empfiehlt die Coekalfistel
mittels Witzeldrain, deren lebensrettende Wirkung er an einem
Falle erprobt hat.
13. Herr Posner - Berlin : Zur Kenntnis der Urogenital¬
tuberkulose.
p. referiert kurz über folgenden Fall: Haselnussgrosser
Knoten in der rechten Epididymis, ein ebensolcher im Corpus
cavernosum urethrae in der Nähe des Orifiziums. Trüber Urin mit
Eiter. Diagnose: Blasentuberkulose. Die Knoten fluktuierten.
Entfernung der beiden cystischen Tumoren. Inhalt: Detritus mit
Cholestearin. Mikroskopische Untersuchung der Cystenwand er¬
gab Tuberkulose. Die Hodenwunde heilte glatt, am Penis bildete
sich eine Fistel. Der Fall zeigt klar den Gang der Urogenital¬
tuberkulose. Der Knoten im Penis trat 8 Monate nach Auftreten
des ersten Knotens ein.
14. Herr Zabludowski - Berlin : Zur Therapie der
Erkrankungen der Hoden und deren Adnexe.
Z. hat seine Methode der Behandlung der Impotentia virilis
weiter ausgearbeitet. Seine neue Methode bezweckt in erster
Linie, starke Blutschwankungen in den affizierten Organen her¬
vorzurufen. Dies wird in einfacher und bequem auszuführender
Art durch wiederholte Umschnürung der Wurzel des Penis und
der Basis des Hodensackes mit einem elastischen Gummischlauche
von etwa 8 mm Durchmesser und 100 cm Länge, dann durch
Melkbewegungen an den Samensträngen und durch Torsionen
derselben erreicht. Ausserdem kommen zur Anwendung mehr
oder weniger ausgedehnte Erschütterungen, intermittierende
Drückungen, Knetungen, Klopfungen des bei der entsprechenden
Technik diasen Manipulationen gut zugänglichen Urogenital¬
gebietes. Neben den passiven Bewegungen wird von denjenigen
duplizierten Bewegungen „Widerstandsbewegungen“ Gebrauch
gemacht, welche die benachbarten Muskeln am Abdomen und an
den unteren Extremitäten in Tätigkeit bringen und dabei Mit¬
bewegungen der für solche Uebungen unmittelbar schwer
zugänglichen Muskeln des Genitalapparates hervorrufen. Z. de¬
monstriert an seinem Phantom sein Verfahren und stellt die In¬
dikationen für diese Methode auf.
Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Referent : Dr. Edmund Falk- Berlin.
Sitzung vom 23. September 1902, Nachmittags.
Herr 0. Schaeffer- Heidelberg: 1. Schlussfolgerungen
aus Untersuchungen der Blutkörperchenresistenz in isotoni¬
schen Lösungen während Schwangerschaft, Geburt und
| Wochenbett.
21. Oktober 1902.
MUEN CHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1777
Mischblutproben aus der Fingerbeere, im Verhältnis 1:100
untersucht in der für Blut unter physiologischen Umständen iso¬
tonisch festgestellten Jodjodkalilösung (1:2:300), ergeben bei
normalen Schwangeren und Selbstnährenden folgende Reihen¬
folge der Befunde:
1. Zunahme des Hömoglobingehaltes der einzelnen Erythro¬
zyten (der Gesamthämoglobingehalt des Blutes bleibt hierbei un-
berührt), Auftreten von hochpotenzierten jodophilen Zellen vom
Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Stillgeschäftes.
Das Auftreten erfolgt nach der Geburt freilich in geringerem
Grade, während der Gebui't selbst und einige Tage nach der¬
selben findet sogar ein vorübergehendes Absinken statt, um dann
wieder etwas anzusteigen. 2. Bedeutende Resistenzerhöhung
während der ersten Schwangerschaftsmonate, ebenso während des
Stillgeschäftes. In der 2. Hälfte der Schwangerschaft und vor
allem kurz vor, während und nach der Geburt erhebliches Sinken
der Resistenz. Auftreten dunkler bis entfärbter granulierter
Erythrocyten, erstere sind bisher noch nirgends beobachtet.
Diese Beobachtungen führen zu folgender Deutung: Der Fötus
bezieht aus dem mütterlichen Serum von der Mitte der
Schwangerschaft durch das Syncytium nicht genügend Nähr¬
material, besonders Phosphate, welche er zur Skelettossifikation,
Gewebskonsolidierung, Ausbildung des Hirnes bedarf. Das Syn¬
cytium beeinflusst, vielleicht nach Art der Seitenkettenbildung,
die an Phosphaten reicheren Erythrocyten direkt zur Ilergabe
des Hämoglobinkörpers.
Bei Frauen, die nicht stillen können, finden sich bereits
während der Schwangerschaft Vorzeichen in der Form geringerer
Blutkörperchenresistenz, die sich post partum unverhältnismässig
steigert.
Bei Anämischen besteht während der Schwangerschaft eine
bedeutende Resistenzsteigerung, desgleichen im Wochenbett,
während direkt nach der Geburt ein auffallend kurzer, wenn auch
heftiger Blutkörperchenzerfall stattfindet. Nach Ausräumung
eines Abortus incompletus ist der Befund derselbe wie bei Nicht¬
stillenden, nach Ausräumung eines retinierten Ovum Vorhanden¬
sein jodophiler Zellen zunächst neben allen Zerfallsformen. Bei
Genitalphlebektasien findet man schon vor Beginn der
Schwangerschaft einen Mangel an Hämoglobin und dauernd
Zerfallsformen. Bei stark ausgeprägtem Chloasma uterinum be¬
steht wechselndes Verhalten: im Beginn der Schwangerschaft
Jodophilie und physiologisches Verhalten, in der Mitte Sinken
und gegen das Ende mässige Erholung. Um die Geburt herum
starkes Sinken. Bei Nichtstillenden fehlen die jodophilen roten
Blutkörperchen im Puerperium ganz.
2. Ein Beitrag- zur Aetiologie einer Form des Icterus gTavi-
darum.
Der Vortrag ist bereits in der Monatsschr. f. Geburtsh. u.
Gynäkol. 1902 veröffentlicht.
Herr Winternitz - Stuttgart-Tübingen.: Die Wahl der
Behandlungsmethoden bei Retroflexio uteri unter besonderer
Berücksichtigung der subjektiven Besclv werden.
Bei der Frage, inwieweit die subjektiven Beschwerden und
Klagen bei vorhandener Rückwärtsbeugung der Gebärmutter mit
dieser Lageveränderung in Zusammenhang zu bringen sind und
welchen Einfluss dieselben auf die Wahl des einzuschlagenden
therapeutischen V erf ahrens haben, unterscheidet Winternitz
bestimmte Gruppen.
Zur ersten Gruppe zählen diejenigen Fälle, in denen es sich
um ledige oder verheiratete Nulliparen handelt und bei denen
man eine Retroflexio uteri mobilis ohne weitere Komplikationen
findet. Solche Kranke sind deshalb, weil ihnen die falsche Lage
ihrer Gebärmutter mitgeteilt wurde und weil sie schon eine
Zeitlang behandelt worden sind, auf ihren Unterleib aufmerksam
gemacht worden und halten sich daher für unterleibsleidend. Bei
der Untersuchung findet man einen kleinen retroflektierten
Uterus, den man unmöglich für alle diese Klagen und Be¬
schwerden verantwortlich machen kann, zumal da jede Kom¬
plikation fehlt. Man wird daher in solchen Fällen ohne Rück¬
sicht auf die anamnestischen Angaben sein therapeutisches Ver¬
fahren einzuleiten haben. In der weitaus grössten Zahl aller
dieser Fälle tritt die Neurasthenie resp. Hysterie bei der Wahl
der Behandlungsart in den Vordergrund. Das beste für solche
Kranken wäre, wenn sie überhaupt nicht untersucht und damit
auch nicht auf eine Lageanomalie, die ohne Bedeutung ist, auf¬
merksam gemacht worden wären. Eine lokale gynäkologische
Behandlung ist daher bei den Kranken dieser Gruppe nicht an¬
gezeigt, sie wirkt sogar schädlich und verschlimmernd auf den
ganzen Zustand. Am zweckmässigsten wäre es, wenn dieselben
aus der Behandlung des Frauenarztes in die eines inneren Me¬
diziners übergehen würden, um die Aufmerksamkeit von der
belanglosen Unterleibsaffektion abzulenken. Auch die operative
Behandlung, welcher Art sie auch sein möge, ist hier zu ver¬
werfen.
Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Kranke, welche
geboren haben. Bei diesen findet man den Uterus retroflektiert
und den Beckenboden gut erhalten, auch sonst sind keine
nennenswerten Komplikationen nachweisbar. Prüfen wir hier
die subjektiven Beschwerden im Verhältnis zum lokalen Befund,
so können wir uns, trotzdem die Retroflexio unkompliziert ist,
des Eindruckes nicht erwehren, dass die Klagen über Kreuz- und
Rückenschmerzen auf diese Lageanomalie zurückzuführen sind,
besonders in den Fällen, in welchen es sich um eine Vergrös-
serung des Uterus handelt, denn die Beschwerden verschwinden,
nachdem der Uterus in Anteflexionsstellung gebracht worden ist.
Da die Beschwerden auf die Retroflexio zurückgeführt werden
müssen, so ist auch die Lageanomalie zu korrigieren. Für diese
verhältnismässig selteneren Fälle kommen ausser der Pessar¬
behandlung die verschiedenen Retroflexionsoperationen in Be¬
tracht.
Weitaus die meisten Fälle von Retroflexio sind aber solche,
bei denen es sich um Frauen handelt, welche mehrfach geboren
haben und bei welchen infolge eines Dammrisses oder infolge
Erschlaffung des Beckenbodens ein Deszensus resp. eine In¬
version der Scheidenwände entstanden ist. Nicht selten wurde
bei diesen Kranken die erste Geburt mit der Zange beendigt und
diese Art der Entbindung muss als LTrsache der Lageverände¬
rung von Uterus und Scheide angesehen werden.
Von den Kranken dieser, der dritten, Gruppe hört, man die
bekannten Beschwerden und Klagen über Druck und Drang nach
abwärts; sie haben keinen Halt mehr im Unterleib, das Gefühl,
als ob unten alles herausfallen wollte, auch wenn es sich nur
um einen leichten Deszensus der Scheide handelt. Fragen wir
uns, inwieweit in diesen Fällen die Beschwerden auf die gleich¬
zeitig vorhandene Rückwärtslagerung des Uterus zurückzuführen
sind, so lehrt der Erfolg der Behandlung, dass in den meisten
dieser Fälle die Retroflexio als solche in den Hintergrund tritt
und dass bei der W ahl der Behandlung nur der Descensus vaginae
in Frage kommt. Legt man nämlich ohne weitere Berücksich¬
tigung der Retroflexio einen runden Celluloidring ein, so sind
die Beschwerden gehoben.
Untersucht man solche von ihren Beschwerden befreite
Kranke, so findet man in vielen Fällen den Uterus retroflektiert,
ein Beweis, dass die Retroflexio nicht die Ursache der Be¬
schwerden abgegeben hat. Winternitz ist infolgedessen
davon abgekommen, in solchen Fällen ein Hodgepessar einzu¬
legen, weil mit den Schultze sehen Celluloidringen bessere Re¬
sultate erzielt wurden. Bei der Behandlung tritt also der Des—
zensus resp. die Inversion der Scheide in den Vordergrund, wo¬
bei natürlich auch ein operativer Eingriff in Frage kommen kann.
Die letzte Gruppe umfasst diejenigen Fälle von Retro-
flexionen, bei welchen Komplikationen der verschiedensten Art,
wie Endometritis, Pelveoperitonitis, Adnexerkrankungen, Fixa¬
tion des Uterus u. a. m. vorhanden sind. Bei der Verwertung der
verschiedenen Klagen und Beschwerden für die Art der Behand¬
lung tritt die Lageveränderung als solche in den Hintergrund,
da die subjektiven Symptome wohl hauptsächlich auf die be¬
gleitenden Affektionen zurückzuführen sind. Meistens dürfte es
sich um eine operative Therapie handeln.
Die Klagen und Beschwerden bei Retroflexio uteri müssen
also mit Vorsicht beurteilt werden. Es dürfen dieselben nicht
ohne weiteres für die Behandlung bestimmend sein, da in einer
grossen x\nzahl von Fällen die subjektiven Symptome nicht auf
die bestehenden Lageveränderungen zurückzuführen sind.
Herr Jung- Greifswald : Zur Behandlung eitriger Affek¬
tionen der Adnexe und des Beckenbindegewebes.
Jung gibt, einen Bericht über 122 Fälle von Becken¬
eiterung, welche in der Greifswalder Klinik zur Behandlung
kamen. Die Mortalität betrug 18 Proz. Die hohe Sterblichkeit
fällt hauptsächlich der Laparotomie zur Last, welche für schwere,
mit starken Verwachsungen verbundene Adnextumoren als Ope-
MUENCHENER MEDICINISCHE W 0 CHEN S CHEIET .
No. 42.
1778
ration der Wahl gilt, während nur kleine, nicht verwachsene
Tumoren durch die Kolpoköliotomie angegriffen werden. Die
ungünstigen Resultate sind auf den hohen Virulenzgrad des
Eiters zurückzuführen. Das Vorwiegen der Streptokokken und
der tuberkulösen Erkrankungen, welche mit schweren Verwach¬
sungen einhergehen, muss die Indikation für operative Eingriffe
einschränken. Martin hat daher in letzter Zeit wieder das
Verfahren der Inzision von der Scheide und der Drainage mehr
geübt und die 21 so behandelten Erauen geheilt. Die Rückbil¬
dung der Infiltrate und Exsudate wird durch Heissluftbehand-
lung nach Bier wesentlich gefördert, auch nicht operierte
Fälle werden dadurch vorzüglich beeinflusst. Für die Diagnose
des Vorhandenseins von Eiter bildet die Leukocytenzählung we¬
sentliche Vorteile.
Herr Knapp: Zur Frage des Accouchement force durch
instrumentelle Aufschliessung des Muttermundes.
Die mechanisch forcierte Aufschliessung des puerperalen
Muttermundes, wie B o s s i sie fordert, gestattet in kurzer Zeit
schwierige Geburten bei nicht erweitertem Muttermunde zu
Ende zu führen. K. hat so in der Klinik von Leopold mit
Erfolg bei Plaeenta praevia und bei Eklampsie operiert; in
25 Minuten gelang die Erweiterung des Zervikalkanals. B o s s i
hat ca. 120 mal die forcierte Dilatation, 38 mal bei Eklampsie,
angewendet. Auch in der Agone tritt das Accouchement force
mit der Sectio caesarea in Rivalität; ferner kann man es in
Fällen von Frühgeburt anwenden und in der Zeit von 2 bis
3 Stunden mit günstigem Erfolg die Geburt einleiten. Es fragt
sich nun, wie sind die Verletzungen? Dieselben können Quet¬
schungen durch direkten Druck und Ileberdehnungen an den
Zwischenstellen sein. Leopold sah keine gefährlichen
Verletzungen. Ein Nachteil ist die ungleichmässige
Dehnung, ferner, dass das Instrument von B o s s i schwer zu
halten ist, und endlich sein hoher Preis. Knapp stellte da¬
her ein leichter handliches Instrument her. Die Spreizvorrich¬
tung unterscheidet sich von der von B o s s i angegebenen in der
Art, dass die Dilatation eine gleichmässigere wird. Verletz¬
ungen und Ueberdehnungen sind daher vermeidbar. Der Preis
ist geringer.
Sitzung vom 24. September 1902, Nachmittags.
Herr Neumann - Wien : Ueber die Erweiterung der un¬
teren Beckenaperturen während der Geburt.
Verf. hat durch zahlreiche Messungen nach der Methode
von B r e i s k y festgestellt, dass sowohl der Querdurchmesser
des Beckenausganges, als die Conj. der Beckenenge während der
Geburt sich auch in anderen Fällen als solchen des kyphotischen
Beckens verlängern können, und zwar maximal bis zu 2Vz resp.
2 cm. Die Erweiterung der unteren Beckenaperturen findet
nicht in allen Geburtsfällen statt. Es wäre nun weiter zu be¬
stimmen, bis zu welchem Grade und unter welchen Umständen
diese Erweiterung eintritt.
Herr A. Mueller - München : Zum Mechanismus der Ge¬
burt.
M. ist der Ansicht, dass bei weitaus den meisten Geburten
beide Druckarten (allgemeiner Inhaltsdruck und Fruchtwirbel¬
säulendruck) zur Wirkung kommen, doch kann man den Ge¬
burtsmechanismus durch jede einzelne allein erklären. Die Wir¬
kung des Innendruckes dürfte von L a h s im allgemeinen zu¬
treffend studiert worden sein; die Wirkung des Fruchtachsen¬
druckes trete nicht, wie meist angenommen werde, am Foramen
magnum, wo sie allerdings angreift, in Wirkung, sondern an
dem, im Einzelfalle allerdings schwer zu bestimmenden Gleich¬
gewichtspunkte aller Widerstände, welche die Schädeloberfläche
im Geburtskanal findet. Der Einfluss der Kopfform und Kon¬
figuration ist von M. früher erörtert. L a h s’ Berührungsgürtel
gibt dem Kopfe die konzentrische Konfiguration und ist von M.
früher besonders eingehend im Texte zu seinem Phantom be¬
handelt und Kompressionsring genannt worden.
Die einseitigen Abplattungen des Kopfes entstehen haupt¬
sächlich durch den Fruchtachsendruck, welcher den Kopf gegen
eine Beckenwand drückt. Wenn Ols hausen jeden Einfluss
der Rotation des Kopfes auf die Rotation des Rückens leugnet,
so stimmt M. dem nicht bei, glaubt vielmehr, dass beide sich be¬
einflussen und dass der Rumpf die Rotation des Kopfes hemmen
oder befördern kann.
Herr F ü t h -Leipzig: Ueber Diabetes mellitus und gynäko¬
logische Operationen.
F. bespricht die Vorsichtsmassregeln, welche bei gynäko¬
logischen Operationen notwendig sind, damit einem unglück¬
lichen Ausgange infolge Coma diabeticum nach Möglichkeit vor¬
gebeugt werde. Diese sind einschliesslich der seither üblichen .
1. Entzuckerung des Urins vor der Operation. In mittel¬
schweren Fällen, die mit malignen Neubildungen kompliziert
sind, Einleitung der strengen Diät. Prophylaktische Dar¬
reichung von Natrium bicarbonicum (N auny n) bezw. Natrium
citricum (Rumpf). 2. Vorsichtige Vorbereitung der Kranken
auf die Operation, soweit dies möglich ist. Bekämpfung der
psychischen Erregung. Vorbereitung darauf, dass gegebenen
Falls kein Narkotikum gegeben, aber alles getan wird, dass
Schmerzen nicht verspürt werden. 3. Besondere Aufmerksamkeit
auf die Anti- und Asepsis. 4. Keine diätetische Vorbereitung
mit Abführmitteln und Ivlystieren zwecks Vermeidung, einer
Unterernährung (II irschfei d). Besondere Vorsicht in der
Hinsicht, dass die Flüssigkeitszufuhr nach Möglichkeit nicht
leidet, zwecks Vermeidung des Wasserverlustes (Rumpf).
Abends vor der Operation ein Klystier. Prophylaktische Dar¬
reichung von Natrium citricum. Operation früh am Vormittag
zur Zeit des physiologischen Ilungerns und Dürstens (Gross-
m a n n). 5. Durchführung der ganzen Operation womöglich
unter vollständiger Vermeidung der allgemeinen Narkose. Für
Laparotomien eventuell Beginn unter Lokalanästhesie. Fort¬
führung soweit als möglich ohne Narkotikum (V eit). Lumbal¬
narkose, für die sich hier ein Feld zu eröffnen scheint. 6. Ener¬
gische systematische Flüssigkeitszufuhr mit Zusätzen, sofort
nach der Operation per rectum, sowie sobald als irgend mög¬
lich Darreichung von leicht verdaulichen, den Magen nicht be¬
schwerenden und den Darm nicht blähenden festen Substanzen.
7. Bei sonst ungestörtem Verlauf der Nachbehandlung Versuch,
die dem Diabetiker so notwendige körperliche Bewegung durch
Massage zu ersetzen.
Herr Schenk: Weitere Untersuchungen über das ela¬
stische Gewebe der weiblichen Genitalorgane (von Schenk
und Austerlitz).
Das elastische Gewebe nimmt in allen Organen des weib¬
lichen Genitaltraktes mit dem Alter zu, wobei es ganz typische
Veränderungen auf weist. Die Menge des elastischen Gewebes
und alles desssen, was sich wie elastisches Gewebe färbt, lässt
keinen Schluss zu auf elastische Qualität. W ird schon an dem
normal elastisch sich färbenden Gewebe eine erheblichere Elasti¬
zität angezweifelt, so gilt dies in noch höherem Masse von der
überraschenden Menge des scheinbar elastischen Gewebes in den
weiblichen Genitalorganen, namentlich alter Individuen, schon
weil dasselbe vielfach Degenerationszeichen an sich trägff.
Ueber die Funktion des elastischen Gewebes der weiblichen
Genitalorgane lässt sich nichts Positives aussagen.
Herr Schenk: Zur Therapie der Extrauteringravidität.
Das Material der Prager Frauenklinik seit Uebernahme der¬
selben durch Prof. S ä n g e r, d. i. seit 1899, umfasst bis heute
58 Fälle von ektopischer Gravidität. Hiervon wurden operiert 32,
konservativ behandelt 26. Unter den 32 operierten F ällen han¬
delte es sich 7 mal um Ruptur der schwangeren Tube, in
25 Fällen um Tubenarbort. Von den 32 Fällen starb ein Fall,
der bereits hochfiebernd eingebracht worden war. Die Obduktion
ergab ausser hochgradiger Anämie eine fettige Degeneration des
Herzens.
Die mittlere Dauer des Spitalaufenthaltes betrug einschliess¬
lich der in der Klinik zugebrachten Zeit vor der Operation
33,7 Tage. Operiert wurde in allen Fällen abdominal. Nach¬
richten über das spätere Befinden liegen vor von 17 Frauen. \ on
diesen waren 3 sofort nach der Entlassung, 3 nach 1 Monat,
2 nach 2 Monaten zu schweren Arbeiten fähig, 8 konnten bald
nach ihrer Entlassung alle häuslichen Arbeiten verrichten, 1 gibt
an, bei grösseren Anstrengungen Schmerzen zu haben. Von den
26 konservativ behandelten Fällen wurden 15 nachuntersucht.
Die durchschnittliche Dauer des Spitalaufenthaltes hatte
31,5 Tage betragen. Von den 15 Fällen hatte es sich je 5 mal
um eine grosse, mittlere bezw. kleine ILämatocele gehandelt.
Was die Arbeitsfähigkeit anbelangt, so sind 13 = 86 Proz.
zu jeder, auch der schwersten, Arbeit fähig und vollkommen be¬
schwerdefrei; nur 2 sind wegen zeitweise auftretender Schmerzen
für schwerere Arbeit untauglich. Die Nachuntersuchung ergab
21. Oktober 1902.
177!)
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
in 4 Fällen kleine Resistenzen an Stelle der einstigen Ilämato-
cele, bei den übrigen ist vollständige Resorption eingetreten.
Hieraus ist ersichtlich, dass die Dauerresultate der exspek-
tativ Behandelten denen der Operierten in nichts nachstehen und
daher die exspektative Therapie in den hierzu geeigneten Fällen
anzuwenden ist, wenn auch die primären Operationsresultate
sehr günstige sind.
M as die bekannten neueren Befunde über die Einbettung
des Eies in der Tube anbelangt, so können diese bis jetzt mangels
klinischer Erscheinungen zur Stütze der operativen Therapie von
Ilämatocelen nicht herangezogen werden.
Herr Kleinhan s-Prag: Demonstrationen (Menstruatio
praecox und 2 Fälle von Chorioepitheliom) .
Herr Nenadovics- Franzensbad : Zur wissenschaft¬
lichen Verordnung’ der Franzensbader Moorbäder bei Frauen¬
krankheiten.
Herr C u k o r - Ofen-Pest-Franzensbad: Heber die Dis¬
lokation der Bauchorg’ane der Frau.
Herr H. F i s c h e r - Karlsbad : Heber intrauterine The¬
rapie mit luftfreiem Spray.
Herr Kleinhans - Prag : Erfahrungen über die ab¬
dominale Radikaloperation des Gebärmutterkrebses.
Die Bestrebungen, den karzinomatösen Uterus mit den Ge¬
weben, welche die nächsten Einbruchstätten des die Uterus¬
grenze überschreitenden Karzinoms sind, ausgiebiger zu ent¬
fernen, sind zurzeit besonders aktuell und kamen auf dem vor¬
jährigen gynäkologischen Kongress in Giessen zum Ausdruck.
K. hat bis jetzt 32 Fälle operiert (zumeist nach der Methode,
wie sie Wertheim angegeben) mit 3 Todesfällen.
(K. gibt eine Tabelle herum mit schematischen Abbildungen,
welche die Befunde bezüglich der Neubildung, das Verhalten der
Parametrien und der Drüsen wiedergeben.)
Zur Operation kamen leichte und vorgeschrittene Fälle.
In den ersten Fällen hat Kl. die Operation vaginal be¬
gonnen — mit Ablösung der Scheide im obersten Drittel, Tampo¬
nade — dann wurde köliotomiert ; später jedoch, nach ent¬
sprechender vaginaler Vorbereitung, nur von oben operiert.
Schilderung des Operationsganges. Die Schwierigkeit, die Ure-
teren frei zu präparieren, ist oft durch entzündliche Verände¬
rungen gegeben. Das Auf finden der Ureteren ist manchmal ver¬
zögert durch bedeutende subseröse Fettmassen.
Das Erkennen des Ureters wird bisweilen durch die Peri¬
staltik derselben erleichtert. Auf die Gef äss Versor¬
gung des Ureters wurde gewöhnlich keine Rücksicht genommen
und ist dies auch nicht gut durchführbar.
Da die Infektion vom Karzinomherd aus. die Hauptgefahr
bildet, muss man in erster Linie trachten, dieser vorzubeugen.
Kl. scheinen die bisherigen Vorkehrungen, wenn einzeln
angewendet, nicht vollkommen zu genügen. Er verwendete des¬
halb in einer Reihe von I allen nach gründlicher Auslöffelung
und Kauterisieren Knieklemmen; in den letzten Fällen aber,
soweit es möglich war, die Exzisio colli mit dem Thermokauter,
wodurch Infektion noch sicherer ausgeschaltet werden dürfte.
In den letzten Fällen wurde auch die von K r ö n i g angegebene
und ausgeführte Blasenraffung, die K. von Vorteil zu
sein schien, vorgenommen..
Wichtig ist es, ein grösseres Stück Scheide mitzunehmen
(W erthei m), 1. wegen besserer Drainage, 2. weil hierdurch
Wundrezidive eher verhindert werden.
In allen Fällen wurden die tastbaren Drüsen entfernt. Sie
waren karzinomatös in 28 Proz. der Fälle. Entzündlich ver¬
änderte Drüsen fanden sich natürlich in weit mehr Fällen. Kl.
weist auf die schon mehrfach hervorgehobene Tatsache hin,
dass auch bei nicht weit vorgeschrittenem Karzi¬
nom Drüsen schon infiziert sein können und umgekehrt. Die
Konsistenz der Drüsen gibt nach Kl. keinen An¬
haltspunkt dafür, ob die Drüse karzinomatös ist oder nicht. Es
sind alle auffindbaren Drüsen zu entfernen.
In der Ueberzeugung, dass bei sehr vorgeschrit¬
tenem Karzinom — Grenzen lassen sich nicht definieren —
die Operation eine Radikalheilung nicht bedingt, hat Kl. die In¬
dikationsgrenzen nicht zu weit gesteckt. Die primären Heil¬
erfolge sind gut zu nennen, werden sich aber bei zunehmender
Erfahrung noch bessern.
Altonaer Aerztlicher Verein.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. April 1902.
Vorsitzender : Herr II e n o p.
Schriftführer : Herr Felgner.
Herr G r ii n e b e r g stellt ein 1 jähriges Kind vor, das seit
seiner 3. Lebenswoche mit einem Naevus linearis behaftet ist,
der dicht unterhalb der Analfalte beginnend, strichförmig an der
inneren, hinteren Seite des linken Beines zur Planta pedis herab¬
zieht und dort, am inneren Rande bis zur grossen Zehe verläuft.
Derselbe zeigt am Oberschenkel mehr den Charakter des Naevus,
während er vom Unterschenkel ab mehr papillomatöse Beschaffen¬
heit hat. Er gehört in das Gebiet der systematisierten Naevi und
ist, da er sich immer einseitig findet, auch als Naevus unius lateris
bezeichnet worden. Man glaubte in Bezug auf die Entstehung
früher an Nerveneinflüsse, daher der Name Nervennaevus oder
neuropathisehes Hautpapillom. Nach der allgemeinen Annahme
jedoch entspricht der Verlauf den Voigt sehen Grenzlinien,
Linien, die durch die Wachstumsverhältnisse der Haut im embryo¬
nalen Leben bedingt sind. Das bei dem Patienten bestehende
Jucken und das Ekzem ist als Folge und nicht als Ursache anzu¬
sehen.
Therapeutisch kommen Elektrolyse, Aetzung mit rauchender
Salpetersäure, Sublimatkollodium und starke Salizylpflastermulle
in Frage.
Ferner demonstriert G. einen 8 jährigen Knaben, der gesunden
Eltern entstammt, dessen Grossvater mütterlicherseits an Tuber-
! kulose gestorben ist, der jedoch sonst keine hereditäre Belastung
aufweist. 4 Geschwister des Patienten leben und sind gesund,
j Geburt des Patienten war sehr schwer, dauerte 2 Tage. Er fiel der
| Mutter in den ersten beiden Lebensjahren durch seine Adiposität
und durch seine krumme Körperhaltung auf. Lernte Anfang des
3. Lebensjahres laufen, ln den letzten beiden Jahren wird das
Gehen immer schlechter, so dass er nicht mehr zur Schule gehen
■ kann.
Organe sind gesund. Intellekt des Pat. etwas minderwertig.
Die Sensibilität ist am ganzen Körper vollständig erhalten. Tatel-
j larreflexe beiderseits nur schwach vorhanden. Die Muskulatur
der oberen Extremitäten, des Rückens und der Oberschenkel sehr
dünn, an beiden Waden hypertrophisch. Die muskuläre .Kraft be¬
deutend herabgesetzt. Pat. geht breitbeinig, watschelnd und kann
sich nur mit grosser Anstrengung in typischer Weise, indem er
an den Beinen herauf klettert, aus der liegenden Stellung erheben.
Die Füsse zeigen minimalen Grad von Spitzfusstellung. Die
faradische Erregbarkeit der Muskulatur ist herabgesetzt. Ent-
i artungsreaktiön nirgends vorhanden. Nirgends fibrilläre
Zuckungen.
Wenn auch in diesem Falle die familiäre Ausbreitung fehlt,
so bietet Pat. doch im übrigen das typische Bild der Dystrophia
muscularis progressiva,
rrognosis dubia. Die Therapie besteht in Massage, Gym¬
nastik und Faradisierung der Muskulatur.
LIerr Al. Schmidt: Ueber einen Fall von Osteopsathy-
rosis. (Erscheint in dieser Wochenschrift.)
Herr B a r g u m zeigt einige mikroskopische Präparate, die
nach der G r a m sehen Methode behandelt sind, nachdem sie vorher
mit Methylenblau gefärbt waren, ein Verfahren, das nach
Dr. Sclioltz von der N ei ss er sehen Klinik den Wert der
G r a m sehen Methode nicht beeinträchtigt. B. weist darauf hin,
wie angenehm es in vielen Fällen ist, vor Einleitung des kom¬
plizierten Gram sehen Verfahrens erst durch die einfache
Methylenblaufärbung prüfen zu können, ob überhaupt verdächtige
Stellen im Präparat Vorkommen.
Herr Schroeder: Statistische Mitteilungen über die
Gesundheitsverhältnisse Altonas.
Herr Fischer zeigt die Präparate von einem 1(4 jährigen
Kinde, das im Kinderspital an gangränöser Diphtherie der
Vagina gestorben war. Das Kind war wegen einer Vulvovaginitis
gonorrhoica poliklinisch behandelt, nach 10 Tagen wegen Diph¬
therie der Vulva aufgenommen, nach weiteren 3 Tagen plötzlich
gestorben.
Die Sektion ergab eine ausgedehnte gangränöse Diphtherie
der ganzen Vulva und Vagina bis zum Muttermund, dagegen Avar
die Uterusschleimhaut völlig gesund. Auf beiden Gaumenmandeln
fanden sich kleine GeschAVÜre ohne Belag, leichter Belag noch auf
der Rachenschleimhaut. Die Muskulatur des Herzens zeigte
hochgradige Verfettung, Leber und Nieren starke trübe Schwel¬
lung. Milztumor; Rötung der Magenschleimhaut und Darmfollikel;
Bronchitis. Abstreifpräparate der Mandelgeschwüre und aus der
Scheide zeigten von ersteren spärliche, von letzterer massenhafte
Diphtheriebazillen und Streptokokken. Bei der ersten Unter¬
suchung des Vaginaleiters waren nur Gonokokken in Reinkultur
A'orhanden. Danach hat sich bei dem Kinde auf dem Boden einer
Gonorrhöe infolge einer leichten Halsdiphtherie, die klinisch keine
Symptome gemacht hatte, eine hochgradige diphtheritische Erkran¬
kung der Vulva. und Vagina entwickelt, die den Tod des Kindes
veranlasste.
Interessant ist, dass bald darauf eine etwas ältere ScliAvester
an einer einfachen Gonorrhöe der Vagina und Diphtherie der Man¬
deln erkrankte; eine Verschleppung der Diphtheriebazillen trat bei
diesem Kinde aber nicht ein.
MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET.
No. 42.
1780
TIi-it Fiseber seliliesst daran eine Bemerkung über die un¬
endliche Häufigkeit der kindlichen Gonorrhöe ausserhalb der
Hospitäler.
Naturhistorisch-Medizinischer Verein Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Officielles Protokoll.)
Sitzung vom 22. Juli 1902.
1. Herr v. Hippel: lieber Beziehungen zwischen dem
Endothel und Epithel der Cornea unter physiologischen und
pathologischen Verhältnissen.
Die von Scher zuerst erkannte Tatsache, dass eine Schädi¬
gung des Hornhautendothels Trübung der Kornea nach sich
zieht, suchte Vortragender für die Pathologie der Hornhaut¬
erkrankungen in grösserem Umfange als es früher geschehen, zu
verwerten, indem er mittels seiner Fluoreszinmethode, über
welche zuerst 1898 beim Heidelberger Ophthalmologenkongress
berichtet wurde, es ermöglichte, klinisch Endothelerkrankungen
durch die Grünfärbung nachzuweisen. Durch experimentelle
Untersuchungen wurde festgestellt, dass eine tief liegende Grün¬
färbung, soweit man nachzuweisen vermag, n u r bei Endothel¬
erkrankungen eintritt. 4 Jahre lang fortgesetzte klinische Be¬
obachtungen lehrten, dass gewisse parenchymatöse Horahaut-
erkrankungen, z. B. tiefe Zentren scheibenförmige Trübungen
ohne Gefässe durch Endothelerkrankung entstehen und im An¬
fangsstadium als einfache Quellungstrübungen zu betrachten
sind. Die Trübung beim glaukomatösen Anfall beruht eben¬
falls auf Endothelschädigung. Auch gewisse angeborene par¬
enchymatöse Hornhauterkrankungen gehen von der Hinterfläche
aus. Die schädigenden Stoffe, welche das Endothel beeinträchti¬
gen, müssen im Kammerwasser enthalten sein, ihre Natur und
Herkunft ist noch unbekannt. Pathologisch-anatomische Unter¬
suchungen stützen die durch klinische Beobachtungen ge¬
wonnenen Anschauungen.
Eine zusammenfassende Darstellung des Gegenstandes wird
demnächst in v. Graefes Archiv erscheinen.
Diskussion: Herren Leber, v. Hippel.
2. Herr Fischler: Zur Frage der Fettdegeneration.
Es wird an der Hand mikroskopischer Präparate demon¬
striert, dass völlig anämische Niereninfarkte, die experimentell
durch Unterbindung eines Astes der Arteria renalis erzeugt wur¬
den, nur in ihren äussersten Randpartien fettig degenerieren, da¬
gegen im grossen Inneren keine Spur morphologisch nachweis¬
baren Fettes enthalten.
Die Randpartie unterscheidet sich vom Inneren namentlich
insofern, als in ihr noch eine Säftebewegung, eine kollaterale
Fluxion, eine Art Zirkulation möglich ist, die im Inneren des
Infarktes fehlt. Fehlen der Zirkulation und Fehlen des Fettes,
andererseits Vorhandensein irgend einer Zirkulation und Auf¬
treten des Verfettung sind evident. Das Infarktinnere verfettet
also nur desshalb nicht, weil ihm sozusagen die Gelegenheit dazu
fehlt, also die Bausteine, die ihm vom Blut zugeführt werden
müssen. Es scheint somit das Auftreten auch des Degenerations¬
fettes als von aussen kommend angesehen werden zu müssen
und somit ein neuer gewichtiger Grund gegen die Theorie der
Eiweissfettdegeneration geliefert zu sein. Denn es hat bis jetzt
niemand gezweifelt, dass das Auftreten von Fett im Infarktrand
als eine Degenerationserscheinung, als eine „Fettdegeneration“
zu deuten ist. Ob nun aber im Blut das Fett in seinen Kom¬
ponenten zirkuliert, was das wahrscheinlichste ist, und die Zellen
daraus synthetisch Fett bilden, oder ob ein unbekannter Stofi
darin ist, der seinerseits vielleicht in fermentativem Sinne Ei-
weiss so spaltet, dass Fett daraus entsteht, was sich auf Grund
dieser Versuche nicht feststellen lässt, wird diskutiert, letzteres
aber als unwahrscheinlich bezeichnet.
Die Zirkulationsstörung löst nun ihrerseits Verfettung aus
und es tritt z. B. nach temporärer Ligatur der Nierenarterie
oder eines ihrer Aeste in dem versorgten Gebiet Fett auf, und
zwar zunehmend nach Zeit der temporären Anämisierung und
der Wiederdurchströmung. Hierfür lässt sich ein bestimmter
Turnus des Auftretens von Fett nachweisen. Dauert die Liga¬
tur so lange, dass das Nierenparenchym abstirbt, dann verfettet
nur das Zwischengewebe, was resistenter ist. Völlig abgestorbene
Nerven nehmen kein Fett mehr auf. Andererseits lässt sich
zeigen, dass das Fett aus einem nicht allzu lange temporär ab¬
gesperrten Nierenteile mit der Zeit wieder verschwindet, sozu¬
sagen eine restitutio ad integrum stattfindet und somit auch das
Hauptcharakteristikum zwischen Eettdegeneration und Eett-
infiltration als wertlos zu bezeichnen ist.
Physiologischer Verein in Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. J uni 1902.
Herr Hoppe-Seyler: Uebei' Entwickelungshemmung
nach Gelenkrheumatismus.
II. -S. schildert die Veränderungen, welche sich bei einem nn
städtischen Krankenhause jahrelang verpflegten und im Mai d. J.
im Alter von 22 Jahren verstorbenen Mädchen im Anschluss an
einen subakuten Gelenkrheumatismus, der im 7. Lebensjahre be¬
gonnen und in den nächsten Jahren öfter rezidiviert hatte, an den
Extremitäten entwickelt hatten. Befallen waren sämtliche Ge¬
lenke der Arme und Beine in verschieden hohem Grade gewesen.
Ls waren teils Verdickungen der Gelenkenden, teils Defekte der¬
selben, Ankylosen und Schlottergelenke, Luxationen und \ erkrüm-
mungen in der Weise entstanden, wie sie bei derartigen chro¬
nischen Polyarthritiden aufzutreten pflegen. Auffallend war
namentlich die Kürze und Kleinheit der Extremitäten, und es er¬
gab sich bei Messungen, dass die Masse ungefähr denen von
7- bis 13 jährigen Kindern entsprachen. Die am stärksten befal¬
lenen Teile, Vorderarm und Hand, entsprachen in der Grösse denen
von 7 jährigen Kindern. Röntgenaufnahmen zeigten, dass die
Knochen der Extremitäten sehr dünn waren, abgesehen von Ver¬
dickungen an einzelnen Gelenkenden. Die Muskulatur war auch
mangelhaft entwickelt. Da die Kranke im übrigen vollkommen
das Bild eines erwachsenen Mädchens darbot (in Bezug auf die
Grössenverhältnisse von Kopf und Rumpf, Menstruation), auch
aus einer Familie stammte, welche sich nicht durch Kleinheit aus-
zeiclmete, so ist anzunehmen, dass das Wachstum der Extremi¬
täten, besonders der oberen, durch den polyarthritischen Prozess
gehemmt wurde. Entwicklungsstörung im Knochen Wachstum er¬
klärt sich am besten durch die Annahme, dass der entzündliche
Prozess vom Gelenk aus auf die Epiphysen überging, in ihnen
den Intermediärknorpel ergriff und funktionsuntüchtig machte.
Aehnliche Wachstumshemmung sieht man ja auch auftreten nach
tuberkulösen Gelenkerkrankungen, nacli Gelenkrheumatismus
scheint aber ein solcher Vorgang noch nicht beobachtet oder be¬
schrieben zu sein. (Wird ausführlicher a. a. O. veröffentlicht.)
Herr Nicolai stellt einen Fall von seltener Form der
hereditären Keratodermia palmarum et plantarum vor, die kli¬
nisch und mikroskopisch der von Besnier beschriebenen sym¬
metrischen Iveratodermie sehr gleicht, aber insoferne ein Novum
ist, als für diese Krankheitsform ein hereditäres Auftreten in
3 Generationen noch nicht beobachtet wurde. (Wird in einer Fach¬
zeitschrift ausführlich publiziert.)
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4. September 1902.
Vorsitzender : Herr Büchner.
Herr Friedrich Merkel berichtet über folgende Fälle, die
er in den letzten 14 Tagen in seiner Klinik operiert hat:
1. G2 jähr. II. Para. Bauchumfang 99 cm, rechtsseitiger rie¬
siger Ovarien tumor mit 2 maliger Stieldrehung; links
nussgrosse Ovarialcyste. Operation. Heilung.
2. 56 jähr. V. Para. Bauchumfang 101 cm; rechtsseitige klein¬
kindskopfgrosse Ovarialcyste mit 3 m a 1 i g e r Stieldrehung,
links Kystoma proliferum papillare; im Uterus 2 kirschgrosse
Myome, blutiger Aszites, Peritoneum und Darm mit kleinen Knöt¬
chen besetzt. Beide Ovarialtumoren entfernt, vorläufige Heilung.
3. 51 jähr. XIII. Para. Bauchumfang 123 cm, linksseitiger
mehrkammeriger Ovarientumor, 2 ys malige Stieldrehung;
blutiger Aszites. Operation. Heilung.
Auffallend war besonders in Fall 1 und 3 bei den grossen
Dimensionen der Tumoren die mehrmalige Stieldrehung.
Herr Hahn demonstriert das Präparat einer Oberschenkel¬
osteomyelitis, das durch Hüftgelenkexartikulation gewonnen
wurde; ferner berichtet er über einen Osteomyelitisfall, der inner¬
halb 6 Tagen an Sepsis zu Grunde ging.
Herr H. K o ch bespricht an der Hand der im XXX. Band
des Archivs für Kinderheilkunde erschienenen Arbeit N etters
die in der Literatur bekannt gewordenen Komplikationen bei
Varizellen und berichtet im Anschluss daran folgenden Fall
eigener Beobachtung :
Ein 1 jähriger kräftiger Knabe war 8 Tage vor Beginn der
Behandlung an Varizellen erkrankt. Aus den Residuen zu
schliessen, hatten die einzelnen Effloreszenzen nur geringen Um¬
fang.
Im Gesicht, am Rumpf, sowie an den Extremitäten waren
noch zahlreiche eingetrocknete, meist linsengrosse Bläschen vor¬
handen. Keines war geschwürig zerfallen.
Der Knabe hatte hohes Fieber (40,2 “), profuse Diarrhöen und
eine Pneumonie im oberen Teil des r. Oberlappens. (25. aI. 1900.)
21. Oktober 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1781
Am 13. Tag nach ihrer Entstehung ging die Pneumonie unter
typischen kritischen Erscheinungen zurück. Die Diarrhöen hatten
schon früher nachgelassen.
Nun folgten einige Tage der Euphorie.
Am 13. XII. 00 trat neuerdings eine Temperatursteigerung
auf 39,8° ein.
Am 14. XII. 00 wurde konstatiert, dass das Kind bei Be¬
rührung des linken Armes Schmerzen äusserte und den linken
Arm steif und unbeweglich hielt. Direkter Druck auf das linke
Schultergelenk verursachte heftigen Schmerz.
Auf einige Dosen Antipyrin schien die Schmerzhaftigkeit im
linken Schultergelenk nachzulassen. Das Fieber ging ebenfalls
zurück, doch schwand es nicht ganz.
Am 18. XII. 00 zeigte sich unter erneuter Fiebersteigerung
eine Pneumonie im linken Unterlappen; zugleich kamen die
Schmerzen bei Berührung und Bewegung des linken Schulter¬
gelenks wieder.
Am 23. XII. 00 schwanden die pneumonischen Erscheinungen
bei Fortbestehen des Fiebers.
Am 24. XII. 00 plötzlich starke Anschwellung der linken
Schultergelenksgegend.
Eine am 25. XII. 00 vorgenommene Probepunktion ergab
dicken, rahmigen Eiter.
Ich nahm an, dass es sich um eine eitrige Scliultergelenks-
entziindung handle und schritt am anderen Tage zur Operation.
Es ergab sich, dass das Gelenk selbst vollständig intakt war
und der eitrige Prozess sich im periartikulären Gewebe abspielte.
Unter ganz ähnlichen Erscheinungen entwickelte sich inner¬
halb zweiter Tage (vom 6. bis 8. I. 01) an der rechten Schulter ein
periartikulärer Abszess. Auch hier erwies sich bei der Operation
das Schultergelenk selbst unversehrt.
Trotz ausgiebiger Inzisionen und Gegeninzisionen blieb die
Temperatur noch volle 3 Wochen über der Norm und die Aus¬
heilung der Wunden beanspruchte eine ungewöhnlich lange Zeit.
Obgleich es sich nur um einfache Weichteilwunden handelte
und weitere Komplikationen nicht mehr auftraten, war der linke
Arm erst am 2. April, der rechte sogar erst am 1. Mai 1901 ge¬
heilt. Eine Störung in der Funktion der Arme ist nicht zurück¬
geblieben; das Kind hat sich nach Ablauf der Erkrankung überaus
rasch und gut erholt.
Eiweiss war im Urin niemals naclizuweisen. In diesem
Falle hatte sich an eine scheinbar leichte Erkrankung von Vari¬
zellen, ähnlich wie bei einer von Netter mitgeteilten Beob¬
achtung, im Rückbildungsstadium eine Reihe schwerer Kom¬
plikationen angeschlossen, die als mit der primären Krankheit
in ursächlichem Zusammenhang stehend und als Ausdruck einer
sekundären Allgemeininfektion anzusehen sind. Profuse Durch¬
fälle, Pneumonien in verschiedenen Teilen der Lungen und zu
verschiedenen Zeiten auftretend, dann schwere eitrige Prozesse
im periartikulären Gewebe beider Schultergelenke geben zweifel¬
los das Bild einer schweren Pyoseptikämie.
Eine besondere Eingangspforte, z. B. eine gesehwürig zer¬
fallene Pustel oder sonst ein Eiterherd, konnte nicht nach¬
gewiesen werden.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein Nürnberg.
In der ordentlichen Vierteljahresversammlung vom 9. Ok¬
tober gibt der Vorsitzende, Herr Hof rat W. B e c k h, zunächst be¬
kannt, dass der Mittelfränkische Aerztetag nunmehr
endgültig am Sonntag, den 2. November stattfinden soll und zwar,
dank dem Entgegenkommen des Stadtmagistrates und des
Krankenhausdirektors im städtischen Krankenhaus, von 1 bis
4 Uhr Nachmittags. Als grössere Vortragsthemata sind in Aus¬
sicht genommen: Die diagnostische und therapeuti¬
sche Bedeutung der Köntgenstrahlen auf allen Ge¬
bieten der Medizin, wozu mehrere Referenten sprechen werden,
ferner: Die Bekämpfung der Geschlechtskrank¬
heiten von Herrn Epstein; weiter haben Vorträge zugesagt
Herr Medizinalrath G. Merkel: Ueber den Wert der Harnzentri¬
fuge, und Herr Prof. Graser aus Erlangen (Thema unbestimmt).
Nähere Bestimmungen und Einladung werden in Bälde erscheinen.
Der Delegierte des Vereins auf dem Deutschen Aerzte¬
tag in Königsberg, Herr Oberarzt Schuh, erstattet kurzen Be¬
licht über die dortigen Verhandlungen.
Ein weiterer Punkt der Tagesordnung betrifft die Erwer¬
bung der Rechte der juristischen Person sei¬
tens des Deutschen Aerztevereinsbun de s. In
seinem auf Ersuchen der Vorstandschaft hierüber erstatteten
klaren und erschöpfenden Referat gibt Herr F r a n k e n b u r g e r
zunächst seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass der Aus¬
schuss angesichts der auch unter den Juristen herrschenden Mei¬
nungsverschiedenheiten über die im vorliegenden Falle nötigen
Voraussetzungen zur Erlangung der Rechtsfähigkeit sich nicht
vorher an der zuständigen Stelle, d. h. beim Amtsgericht Berlin,
hierüber vergewissert habe. Sodann spricht er unter allgemeiner
Zustimmung die Erwartung aus, dass der Geschäftsausschuss trotz
des mit geringer Majorität gefassten entgegenstehenden Be¬
schlusses des Aerztetages nicht selbständig auf Grund der zur
Zeit gefassten gutachtlichen Beschlüsse der einzelnen Vereine die
Statutenänderung des Aerztevereinsbundes betätigen möge, son¬
dern dem nächstjährigen Aerztetag einen verbesserten Entwurf
zur Beratung und Beschlussfassung vorlegen solle; so grosse Eile
hätte die Sache nicht; sodann gibt er seine später einstimmig an¬
genommenen Thesen bekannt: 1. Der ärztliche Bezirks-
v ei’ein N ü r n b e r g i s t. d a f ii r, dass v o m Gesc li ä f t s -
a usschusg des Ae.-V.-B. a u f G r u n d der jetzt v o n
den Vereinen eingereichten Vorschläge ein
neuer Satzungsentwurf behufs Erlangung der
Rech t. s f ä h i g k e i t des Ae.-V.-B. ausgea r b e i t e t u n <1
d e m nächstjährigen Aerztetag zur d e f i n i t i v e n
Beschlussfassung unterbreitet w e rde, 2. Die
Rechtsfähigkeit soll er 1 a n g t w e r den o h n e A e n -
d e r u n g der bis h e r i g e n O r g a. nisation des Bun d e s.
s o dass n a c h w i e vor derselbe aus den Vereine n
und nicht aus den Delegier t e n der V e r eine a 1 s
Mitglieder besteh t. 3. Demgemäss ist z u n ii clist
d. e r \ e r s u c h z u m aclien, die E intragung des
Ae.-V.-B. in das Vereinsregister auf Grund der
bisherig e n Organisation zu erreiche n. 4. Schlägt
dieser Versuch fehl, so ist die Rechtsfähigkeit
d a durch zu erreichen, dass die einzelnen Ver¬
eine, welche Mitglieder des Ae.-V.-B. sin d. für sic h
die Rechtsfähigkeit, soweit sie dieselbe nicht
s c hon besitzen, e r 1 a n gen. 5. Die bis li e r i g e n
S a tzungen des Ae.-V.-B. sollen nur insoweit g e -
ändert w e r d e n, als o h ne Aenderunge n der g r u n d-
lege n den Bestimmungen rein f o r m a 1 e Z u s ä t z e
oder Ae n d erunge n n a c h de m B. G.-B. not w e n d i g
sind. Insbesondere sind die Bestimmungen des
§ 5 Abs. II (Dringliche Anträge), § G Satz II (K oop-
t a t i o n des Ausschuss e s) beiz u b e li alte n.
Ein Eventualantrag des Herrn Seiler, betr. diejenigen Ver¬
eine, welche aus irgend welchen Gründen die Rechtsfähigkeit für
sich nicht erlangen wollten, wird mit Rücksicht auf These 1
(nochmalige Beratung) einstweilen zurückgestellt.
Beim nächsten Punkt der Tagesordnung: Vorlagen zur
Aerztekammer, zu welchem bereits früher gefasste Be¬
schlüsse des ärztlichen Bezirksvereins Nürnberg vorliegen, betr.
Geheimmittel- und Kurpfuschereiunwesen, ärztliche •Fortbildungs¬
kurse, wird der Anregung des Vorsitzenden, der Bezirksverein
wolle sich als solcher dem bereits vom ständigen Kammerausschuss
von Mittelfranken und Oberbayern, sowie vom ärztlichen Bezirks¬
verein München angeregten Protest gegen die beab¬
sichtigte Errichtung e i n es Lehrstuhles f ii r
H o m öopathie anschliessen. einstimmig beigetreten. Des¬
gleichen der weiteren Anregung des Vorsitzenden, dass der B e i -
tritt zum Pensionsverein für die in Staats- und
städtischen Diensten befindlichen Aerzte obligatorisch gemacht
werden solle. Auch der Antrag Frankenburge r findet ein¬
stimmige Annahme: die Staatsregierung solle ersucht werden, die
betr. Justizbehörden anzuweisen, dass die von den Aerzten ein¬
geforderten „einfachen Berichte in Form eines
kurzen Gutachtens“ nicht, wie bisher vielfach geschehen,
nach Ziff. A 6 a der Gebührenordnung (1 — 5 M.j, sondern
nach Ziff. A G b (3 — 10 M.) zu honorieren seien. Antragsteller
weist in der kurzen Begründung u. a. auf den Fall Jungen g e 1
hin und stellt fest, dass die Wendung in Ziff. A 6 a „worunter
auch ganz einfache Berichte oder Gutachten fallen“, in der ur¬
sprünglichen, vom Bezirksverein Nürnberg redigierten Fassung der
Gebührenordnung nicht enthalten gewesen, sondern erst später
von anderer Seite hineingekommen sei. In der Diskussion wird
betont, die Aerzte sollten bis zur voraussichtlich länger dauernden
Verbescheidung des Antrages eine ihren Leistungen entsprechende
Bezahlung von seiten der Justizbehörden entweder auf dem Klage¬
wege, oder einfacher dadurch zu erreichen suchen, dass sie den
eingeholten „einfachen Bericht“ derart kurz fassten, dass die
Justizbehörden veranlasst würden, nachträglich noch einen aus¬
führlichen Krankenbericht (A 6 b) oder ein begründetes Gut¬
achten (A 6 c, 9 — 30 M.) eiuzufordern.
Den Schluss bildeten die üblichen Anträge in Betreff der
K r aukenkasse n. iy.
Sterbekasseverein der Aerzte Bayerns (E. V.).
Die 3. ordentliche Generalversammlung findet am 29. No¬
vember 1902, Abends G Uhr, in München im Lokale des ärztlichen
Vereins, Altheimereck 20, statt.
T a g e s o r d n u n g:
1. Wahl des Vorstandes. 2. Abnahme des Rechenschafts- und
Geschäftsberichtes des bisherigen Vorstandes und Beschluss über
die demselben zu erteilende Decharge. 3. Abänderungen der Satz¬
ungen mit Rücksicht auf das Reichsgesetz vom 12. Mai 1901, die
privaten Versicherungsuntemelimungen betr. (Entwurf der Sta¬
tutenänderung folgt unten.) Die Vorstandschaft.
Satzungsänderungen des Sterbekassevereins
der Aerzte Bayerns.
§ 4. Ein Mitglied, das einen Jahresbeitrag bis zum Ablauf
des betr. Jahres nicht bezahlt, gilt, soweit ihm nicht vom Vor¬
stände Stundung gewährt wurde, vom 1. Januar des darauffolgen-
1782
MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT
No. 42.
den Jahres al> als aus dem Verein ausgeschlossen.. Es haben seine
Relikten im Falle seines Todes keinen Anspruch gegen den Ver¬
ein auf irgendwelche Leistung oder auf Rückvergütung der bisher
gemachten Zahlungen.
§ 5 Abs. 3. Im Falle von Rechtsstreitigkeiten aus dem Ver¬
einsverhältnis zwischen dem Verein und seinen Mitgliedern ist
ohne Rücksicht auf den Streitwert das k. Amtsgericht München I
zuständig.
§ 7 Zusatz: Erst mit der Bezahlung des Eintrittsgeldes und
des ersten Jahresbeitrages gilt die Aufnahme als rechtswirksam.
§ 8 einzuschalten: ist das oberste Organ des Vereines.
§ 18 Abs. 4. Alle von dem Vorstand zu erlassenden Bekannt¬
machungen sind in der Münchener medizinischen V ochenschrift
zu veröffentlichen. Der Vorstand ist jedoch in jedem einzelnen
Falle berechtigt, sich zu diesem Zwecke noch weiterer Zeitungen
zu bedienen.
§ 20 Abs. 5. Das Vereinsvermögen ist in mündelsicheren
1 “apieren anzulegen.
§ 2S Abs. 2. Der Antrag auf Auflösung des Vereins, soweit er
von Mitgliedern ausgeht, muss rechtzeitig beim1 Vorstand ein¬
gereicht werden, so dass er mindestens 14 Tage vor der General¬
versammlung in der in § 18 der Satzungen festgesetzten Weise
veröffentlicht werden kann. — Abs. 3 (der bisherige Abs. 4) mit
Zusatz: Vertreter von Mitgliedern müssen sich durch Vollmachten
mit beglaubigter Unterschrift legitimieren.
§ 20 Abs. 1. Mit der Auflösung des Vereins erlöschen alle
bis dorthin noch nicht zur Entstehung gelangten Rechte der Ver¬
einsmitglieder und bezw. ihrer Relikten auf das Vereinsvermögen.
Die Liquidation des Vereinsvermögens erfolgt durch den letzten
Vorstand; die Generalversammlung, welche die Auflösung des
Vereins bescliliesst, kann aber auch bescliliessen, dass die Liqui¬
dation durch einen oder mehrere zu diesem Zwecke von ihr zu
wählende Liquidatoren durchgeführt wird; das Verhältnis der
Liquidatoren zu einander regelt sich analog den Bestimmungen
im V. Abschnitt der Satzungen.
Das Vermögen des Vereins fällt im Falle seiner Auflösung nach
Abzug aller Schulden und der Kosten der Liquidation an die vor¬
handenen Mitglieder, welche sich in dasselbe nach Verhältnis der
Zahl ihrer Mitgliedschaftsjahre teilen.
Die Generalversammlung kann aber auch bescliliessen, dass
das verbleibende Vermögen an einen bestehenden oder zu grün¬
denden, den Interessen der Aerzte dienenden Verein falle oder zu
einer Stiftung ähnlicher Art verwandt werde.
Auswärtige Briefe.
Bilder aus China.
Von Oberarzt Dr. G g. Maye r.
II.
Der Untergrund Pekings.
Feber den Untergrund Pekings liegen bislang keine direkten
Untersuchungen vor. Desto mehr sind wir durch die chinesische
Reichsgeschichte und -geographie, sowie die Berichte der alten
Jesuiten über einen wichtigen Faktor für den Untergrund, näm¬
lich Dauer der Besiedelung der Stätte und ihre Schicksale unter¬
richtet. Der vom Himmel gestiegene mythische Kaiser Hoangti
soll Ki am Platze des jetzigen Peking gegründet haben. Die geo¬
graphischen Verhältnisse, die nur bei den Engpässen von Nankau
und Kupeiku überschreitbare Gebirgsmauer im Rücken, der leichte
Zugang zu den grossen Ebenen von China nach Süden, haben mit
sich gebracht, dass trotz der exzentrischen Lage Peking von allen
Eroberern des chinesischen Landes als Hauptstadt bevorzugt
wurde. So war es zunächst die des Königreiches Yenn (723 — 221),
unter den Tchouenn-tsiau und Tchann-kouo. Clii-hoang-ti, der
2. Tsin-Kaiser, der China vereinigte und die Feudalherrschaft
brach, zerstörte dann die Stadt (221). Im 4. Jahrhundert Haupt¬
stadt der tatarischen Herrschaft der Mou-Yong, dann Provinzial¬
stadt unter dem Namen Ki, Yenn, Yeou-tcheou, erfolgt 98G die
Eroberung durch die Kitan oder Leao, deren Residenz sie ebenso
ist, wie die der nächsten Eroberer, der tungusischen Dynastie Kinn
(1151). Tcliong-tou oder Ta-ching-fu hiess es damals, und wurde
in 2 Teile geschieden, die innere Stadt Da-ching-chienn und die
äussere Quann-p’ing-chienn. 1215 wird die Kinn-Stadt von
Tschinghis-Klian erobert, von Kublai-Khan (chinesisch Clii-tsou)
zerstört und dafür 12G4 — 12G7 eine neue Stadt als Residenz erbaut,
Khanbalig oder Ta-tou (die grosse Hauptstadt) von Marco Polo be-
sclirieben. Nach Vertreibung der mongolischen Yuen (1366)
änderte der 1. Ming-Kaiser Taitsou 1368 den Namen in Pei-ping-fu,
der 3., Yunglu (1403 — 1423), residierte hier und hiess sie Pei-king.
1543 wurden die südlichen Vorstädte, die heutige Chinesenstadt,
mit einer Mauer umzogen. Seit 1644, dem Jahre des Sturzes der
Ming durch den Empörer Li-tse-cliing, ist sie Hauptstadt der
Tsching, im Volke King-t’-cheng oder King-tu geheissen.
Wie viele von den in China gemeldeten Erdbeben Peking
trafen, ist nicht zu ermitteln für die alte Zeit. Dagegen ist es
1499, 1679, 1720 und 1731 von solchen getroffen. 1679 soll eine
ganze Reihenfolge schwerer Erderschütterungen mit grossem Ver¬
lust an Menschenleben gewesen sein, 1720 dauerten die Erdstösse
2() Tage. 1731 wurde die Stadt zerstört durch das mächtigste, bis
dahin in China bekannte Erdbeben, in einigen Minuten waren
100 000 Einwohner in den Ruinen begraben.
Schlägt man vom Süd westtor der heutigen Chinesenstadt den
Reitweg nach der Hunliobrücke Lu-ku-kiau ein, so trifft man beim
Friedhofe Heikong auf einen westlich ziehenden Wall, längs seiner
Südseite ein kleines Flüsschen, er biegt nördlich dann um und
verläuft bis nahe an die Steinstrasse zur selben Brücke. Ein
anderer, westlich ziehender Wallrest ist ausserhalb der Nordwest¬
ecke der Chinesenstadt zu finden, nördlich des Klosters Po-yun-
kuan. Im Norden der Stadt setzt sich, in direkter Verlängerung
der jetzigen Mauer, der Tatarwall fort, die Anlage seiner Eck¬
türme und Bastionen ist noch gut zu erkennen, ebenso die Stelle
von 4 Toren. Reitet man durch das westliche zum Sommerpalast,
so liegt ausserhalb eine fortartige Umwallung, im Inneren ein
Tempel. Endlich beginnt noch ein Wallrest am Nordufer des
Tung-tchu-Kanales, parallel zur Ostmauer der Mandschustadt
laufend, aussen längs ein kleines Flüsschen, das von der Haupt¬
strasse nach Tung-tchu weiter nördlich von einer unmotiviert
grossen Mormorbrücke überschritten wird. Jene Wälle im Siul-
westen der Chinesenstadt sind nach Bretschneiders und
F a v i e r s Untersuchungen die Reste der Kinn-Stadt, deren Nord¬
ostecke ungefähr am Platze des heutigen Chun-tin-Tores lag, so
dass der Teil westlich von der grossen Chun-tin-Torstrasse noch
innerhalb der alten Residenz lag. Kublais neue Stadt umfasste
die heutige Tatarenstadt und das innerhalb des nördlich ziehenden
Walles gelegene Gebiet. Hongvou, der 1. Minkaiser. liess 5 Li vom
nördlichen Teil wegnehmen, so dass der Umfang sich von 60 auf
40 chinesicbe Meilen (23 km) verringerte; Yunglu erneuerte die
Mauern und verlegte die südliche, welche früher das Obser¬
vatorium als Ecke hatte, weiter südlich. Yunglus Mauern und
Tore sind dieselben wie jetzt, der Kaiserpalast steht so ziemlich
auf dem Platze derer der Ming und Yruen. Der Lotossee ist schon
im 12. Jahrhundert angelegt, der Hügel der Ming-Pagode, Pei-ta-
shan soll von den Kinn zerstört, von Kublai wieder errichtet sein.
Der King-shan (Kohlenhügel) wurde erst unter den Mingkaisern
erbaut, der letzte erhängte sich auf ihm. Die heutige Mandschu¬
stadt ist seit, über 600 Jahren also besiedelt, die Chinesenstadt seit
mindestens 450 Jahren.
In meinem 4. Briefe aus Ostasien hob ich hervor, dass Peking
jetzt nur durch den Ablauf des durch die Quellen von Yü-tsuan-
shan gespeisten, im 12. Jahrhundert von den Kinn angelegten
Sees des Sommerpalastes, des Kun-ming-hu, messendes Wasser
erhält, das durch den Tung-tclm-Kanal das Stadtgebiet verlässt.
Dies war nicht immer so. Der San-li-ho, jetzt im Winter trocken,
im Sommer ein kleiner Bach, bezog ehedem aus Quellen des west¬
lich Pecking ziehenden Tempelgebirges Ta-ör-ting reichlich Wasser,
bildete einen kleinen See, jetzt ein Salzsumpf, an dessen Ufer noch
ein verfallenes kaiserliches Sommerhaus mit Garten liegt, und floss
dann durch die jetzige Chinesenstadt; sein Lauf lässt sich noch in
einer in tiefen Mulden liegenden Reihe sumpfiger, mit Salzaus-
blülnmgen umzogener, im Winter fast trockener Weiher finden,
die sich von der N.W.-Ecke der Chinesenstadt gegen den Tempel
des Ackerbaues und des Himmels und weiter gegen den südlichen
Teil der Ostmauer der Chinesenstadt fortsetzen. Viel besser er¬
halten sind die Reste einer grossartigen Kanalanlage, die das
Wasser des Hunho seinerzeit nach der Kinn-Stadt und dem schon
damals vorhandenen Tung-tchu-Kanal führten. Dem gegen das
Hunho-Tal abfallenden Tempelgebirge ist der isolierte, steil zum
Fluss abstürzende Hügel Sche-King-shan vorgelagert, zwischen
ihm und dem Gebirge ist die schmale, tiefe Landsenke des Kinn-
Iveou, in dem eine mächtige Bronzekuh den Fluss bewacht; der
Sage nach brüllt sie beim Steigen des Wassers. Hier, am west¬
lichen Ausgang des Kinn-Iveou verläuft am Flusse eine gewaltige,
sandüberdeckte Steinbarriere, hinter der ein Graben beginnt, 40 m
breit, mit 7 m hohen Dämmen, zahlreichen Krümmungen, um die
Kraft des Wassers zu hemmen. Das Bett ist jetzt teilweise Kultur¬
land, geht durch die Landsenke, dann weiterhin südlich Pei-sin-
ugan, nördlich Yang-Kia-tchwang, nördlich der Hügel Pa-pan-
shan, südlich Tien-tsun, gelangt in die Nähe des Sumpfsees Wang-
he-leu, und verschwindet in Löss-Ravinen, zeigt sich wieder in
einer tiefen Ravine beim Sumpf Lien-hua-tche, wo eine verfallene
Steinbrücke die Ravine kreuzt. Hierher wird die N.W.-Ecke der
Kinn-Stadt verlegt, in deren N. -Graben der Kanal mündete; von
hier verlief er zu der tiefen Senke des Grabens am Tatarenwall
in den Tung-tchu-Kanal. 1170 wurde der Hunho-Kanal angelegt,
wegen Ueberschwemungen 1175 geschlossen, durch Kublai 1266
neu eröffnet, 1298 aus demselben Anlass geschlossen, ebenso frucht¬
los war ein 3. Versuch 1342. Soweit die Geschichte.
Die vielbewegte Vergangenheit Pekings lässt sich an seinem
Untergrund verfolgen. Erbaut in der äusserst flachen Mulde eines
mächtigen Lössbeckens, hat die Stadt auf dem Löss eine ver¬
schieden mächtige Auflagerung von Kulturschutt, gemischt mit
dem jährlich durch die Staubstürme aus den Steppen der Mongolei
herangewehten Sandmassen. Ich legte 2 Tiefbohrungen zu abys-
sinischen und chinesischen Brunnen in der westlichen Chinesen¬
stadt an, 2 in der östlichen, 4 im Gesandtschaftsviertel. 4 in der
östlichen Mandschustadt. Das bemerkenswerteste sei hier kurz
angeführt: In der östlichen Chinesenstadt fand sich 5 m hoch
Kulturschutt, Ziegelstücke, Thon- und Porzellanscherben, Bronze¬
stücke, Türwinkel; hierauf folgte in einem Schacht bis O'/s nl
gelbrötlicher Sand, dann aber wieder eine Lage Bauschutt, ein
Zeichen einer vor der allgemeinen Besiedelung angelegten Wohn¬
stätte. Im westlichen Teil wurde auf dem Boden der Kinn-Stadt
ein Schacht angelegt, in einem im Winter trockenen Teich, einem
Reste des ehemaligen San-li-ho-Bettes, was der in der Tiefe' ge-
1783
21. Oktober 1902. MtTEKCHENER MEDICIEIS CIIE WOCHENSCHRIFT.
fundene Seelöss und gerollte Steine bewiesen. Unter der Lelnn-
kruste, in 1,35 — 2,75 in, Knochen und Kulturreste; in 2,50 ni, hart
über der Lösschicht und in diese bis zu 3,75 m reichend viereckig
zugehauene, regelmässig aufeinander geschichtete Kalk Stein¬
quadern, an einer vermutlichen Stelle des Ufers. In der östlichen
Mandschustadt war ein Schacht in einem Garten mit mächtigen
Brunnen, nächst dem Yamen eines „Herzogs“, das Gartenniveau
3%m unter dem der Strasse, eine nur 2 m starke Schuttschicht,
dann angewehter Boden und in 4 m charakteristischer Löss; die
Stätte muss seit alten Zeiten nur als Garten gedient haben. In
einem an der Ha-ta-Torstrasse befindlichen alten Tempelhof,
Niveau ebenfalls tief unter der Strasse, war der Löss dierekt unter
dem Pflaster, der Buddhatempel soll aus der Zeit der Yuen
stammen, die direkt auf dem Löss gebauten Höfe und Hallen be¬
weisen, dass die heutigen Anlagen so ziemlich dieselben sind,
wie zur Zeit der ersten Erbauung; wegen der Zerstörung der Denk¬
säulen war das Alter nicht zu bestimmen. Im Yamen des Reis-
ministers fand sich 10 m hoch Kulturschutt, auch äusserlicli an
dem Terrain kenntlich, zum Teil erklärt durch Anlage eines künst¬
lichen Sees innerhalb der Planierung der ausgehobenen Massen.
Von 0 — 7% m war hier der reinste Tierfriedhof: Köpfe und
Knochen von Mauleseln, Schafen, Schweinen füllten die ganze
Schicht. Auf dem Boden der deutschen Schutzwache befanden
sich die 4 Schächte auf einem erst von Yunglu der Mandschustadt
einverleibten Gelände. Wieder 7—8 m Kulturschutt, aber mit
merkwürdigen Einschlüssen. In zwei nebeneinander liegenden
Brunnen fanden sich in 6 % m menschliche Extremitätenknochen
einerseits, menschliche Gerippe andererseits, in gleicher Tiefe
100 m entfernt im 3. Schacht eine geschichtete Ziegellage und
darunter eine Lage mächtiger, glatt behauener Kalksteinquadern,
ganz das Eckfundament eines chinesischen Hauses. Im 4. Schacht
begann im östlichen Eck in 8% m ein gemauerter chinesischer
Brunnen, bis 11% m reichend, anfangs durch völlig schuttfreies,
sandig-lehmiges, später mit gerollten Steiuchen dicht durchsetztes
Erdreich. In 11% m begann hier hellgelber Schwemmlöss, dem
wieder in 18 14 01 aus eckigen Steinen bestehende Schichten folgten.
Nach Beschaffenheit des Erdreiches ist der Brunnen in der Zeit
der ersten Besiedelung des Platzes mit steinernen Häusern an¬
gelegt, und zwar nach Art des Löss und der gerollten Steine am
Bande eines Wasserlaufes, vermutlich des (durch den Hunho-
Kanal verstärkten) Zwischenstückes zwischen Nordgraben der
Kinn-Stadt und Tung-tchu-Kanal.
Verschiedenes.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 135. Blatt der Galerie bei:
Wilhelm Griesinge r. Text hiezu siehe S. 1758.
Therapeutische Notizen.
Das ß i t s e r t sehe Anästhesin (Para-Amidobenzoesäure-
Aetliylester) wurde von II a rt m a n n - Kassel seit einigen
Monaten in der chirurgischen Praxis mit gutem Erfolg verwendet.
Bei den unerträglichen brennenden Schmerzen nach Hämorrhoidal-
operatiou, bei tuberkulösen Geschwüren im Munde, bei Stomatitis
ulcerosa, bei Verbrennungen und schmerzhaften granulierenden
Flächen erwies sich das Mittel« als recht brauchbar und glaubt II.,
dass dasselbe „unter den schmerzstillenden Medikamenten in kur¬
zer Zeit eine hervorragende Stelle einnehmen und dem Aerzte ein
unentbehrliches Mittel in seinem Arzneischatze sein wird“. (Die
Therapie d. Gegenwart 1902, Oktober.) B. S.
In der Charlottenheilanstalt für Augenkranke in Stuttgart
wurde seit über 2 Jahren und in mehr als 800 Fällen das Pro-
targol angewendet und zeigte sich als das bei weitem wirk¬
samste Mittel bei allen mit starker Sekretion einhergehenden
Bindehauterkrankungen. Es hat dem Argentum nitricum gegen¬
über den Vorzug der relativen Beizlosigkeit und der grösseren
Tiefenwirkung bei gleicher antiseptischer Wirkung. Die Wirkung
des Protargol ist nachhaltiger, ebenso bakterizid und adstrin¬
gierend wie die des Arg. nitr., aber nicht kaustisch und daher nie
verschorfend. Es wirkt in 10 — 20 proz. Lösung ebenso energisch
spezifisch gegen die Gonokokken wie Arg. nitr. in 2 proz. Lösung,
ohne dessen verätzende Eigenschaften zu teilen, kann daher zur
Prophylaxe gegen Blennorrhoea neonatorum auch Hebammen un¬
bedenklich in die Hand gegeben werden und ist geeignet, die
Höllensteinlösung in der Prophylaxe zu ersetzen und zu ver¬
drängen. (Büppel: Ueber Protargol. Die oplithalm. Klinik
1902, No. 17.) B. S.
Tagesgeschichtliche iNotizen.
München, 21. Oktober 1902.
— Durch Erlass des k. bayer. Staatsministeriums des Aeussern
und des k. Hauses vom 26. September 1. J. wurde das Gesuch der
oberbayerischen Aerztekammer um Gewährung von Portofreiheit
für die Zählkarten der Morbiditätsstatistik abgelehnt.
Der Erlass, der an anderer Stelle dieser Nummer abgedruckt ist,
zeigt, welche Wertschätzung die hohe Stelle der mühevollen Arbeit
der Aerzte im Interesse der Morbiditätsstatistik entgegenbringt:
eine „Korrespondenz mit den k. Bezirksärzten“! Wir fürchten sehr,
dass die Aerzte in Zukunft noch mehr, als bisher schon, die Kon¬
sequenz aus dieser Auffassung ziehen und ihre „Korrespondenz"
mit den k. Bezirksärzten entsprechend einschränken werden. Es
ist aber höchst bedauerlich, dass auf diese Weise ein Werk zu
gründe gerichtet wird, an dem die bayerischen Aerzte seit fast
ZAvei Dezennien mit grösstem Eifer und mit nicht geringem Auf¬
wand von Zeit und Mühe und gewiss auch nicht ohne Nutzen für
das öffentliche Wohl gearbeitet haben.
— An den sozialen Reformbestrebungen der
Gegenwart dürfte kein Stand von Anbeginn an tätiger und opfer¬
williger Anteil genommen haben, als der ärztliche, ohne dessen
verständnisvolle Mitwirkung gerade die wichtigsten sozialpoliti¬
schen Gesetze, das Kranken-, Unfall- und Invaliditätsversicherungs¬
gesetz, undurchführbar wären. Wie wenig die Selbstverleugung,
welche die Aerzte bewiesen haben, indem sie sich freudig in den
Dienst der sozialen Gesetze stellten, gerade in den Kreisen, denen
ihre Tätigkeit zu gute kam, anerkannt wird, beweist so recht
deutlich wieder die Jahresversammlung des Zentralverbandes von
Ortskrankenkassen im Deutschen Reiche in Hamburg (s. vor. Nr.),
wo die Aerzte mit Schmähungen überhäuft wurden, weil sie endlich
versuchen, für ihre Arbeit Bedingungen zu schaffen, unter denen
ihnen wenigstens eine standeswürdige Existenz ermöglicht wird.
Bei dieser Verständnislosigkeit, die dem sozialpolitischen Wirken
der Aerzte entgegengebracht wird, ist es erfreulich, dass ein Blatt,
das an der Spitze der sozialen Bewegung in Deutschland steht,
die von Prof. Dr. Ernst F r a ncke in Berlin herausgegebene
„Soziale Praxis“, mit Beginn ihres neuen Jahrganges eine
ständige Rubrik für „Soziale Medizin“ eingerichtet hat.
Alit der Redaktion der neuen Rubrik ist Dr. Moritz F ii r s t in
Hamburg betraut, der in seinem einführenden Programmartikel
als Zweck der Neueinrichtung angibt, zu zeigen, „welch bedeut¬
samer Faktor für die Entwicklung der sozialen Reform der Arzt
geworden ist“ und ferner, eine möglichst grosse Anzahl tatkräf¬
tiger und einsichtsvoller Mediziner als Mitarbeiter an der Reform
unserer sozialen Zustände zu gewinnen“. Wir wünschen der
„Sozialen Praxis“ den besten Erfolg in diesen ihren Bestrebungen,
sowohl im Interesse der Lösung unserer sozialen Aufgaben, wie
im Interesse einer gerechteren Beurteilung der Mitwirkung der
Aerzte an diesen Aufgaben.
— Die VIII. Versammlung mitteldeutscher
Psychiater und Neurologe 11 findet am 25. u. 26. d. Mts.
in Dresden im Sitzungssäle des k. Landes-Medizinalkollegiums
(Zeughausplatz) statt. Geschäftsführer sind die Herren Ganser-
Dresden und Pierson- Coswig.
• — ■ Cholera. Aegypten. Zufolge dem Wochenberichte des
Generaldirektors des Gesundheitswesens für die Zeit vom 16. bis
22. (und vom 23. bis 29.) September ist die Zahl der choleraver¬
seuchten Orte auf 1830 (1932) gestiegen. Die Seuche selbst zeigte
jedoch eine erhebliche Abnahme, da in der Berichts woche 6388
(4022) Erkrankungen und 5808 (3593) Todesfälle zur Meldung
kamen. Von den letzteren ereigneten sich 3394 (2125) ausserhalb
der Krankenhäuser. — Niederländisch-Indien. In Soerabaya sind
in der Zeit vom 24. August bis 6. September 184 Erkrankungen
(und 146 Todesfälle) an der Cholera gemeldet, davon betrafen 172
(136) die Rhede.
— Pest. Russland. In der Zeit vom 24. bis 29. September
sind in Odessa 6 Erkrankungen und 3 Todesfälle an der Pest fest¬
gestellt worden. Es wird nunmehr als unzweifelhaft angenommen,
dass es sich nicht mehr um vereinzelte Fälle, sondern um ein epi¬
demisches Auftreten der Seuche handelt. — Britisch-Ostindien.
In der Präsidentschaft Bombay sind vom 14. bis 20. September
9249 Erkrankungen (und 6731 Todesfälle) an der Pest gemeldet
worden, davon 65 (48) in der Stadt Bombay, 23 (15) in der Stadt
und dem Hafen Karachi. Die Seuche hat sonach weitere erheb¬
liche Fortschritte gemacht. — - Neu-Süd-Wales. Die Pest wird
für ganz Australasien als erloschen angesehen.
— Pocken. Grossbritannien. Die Zahl der Neuerkrank¬
ungen an Pocken in London ist im Monat September immer ge¬
ringer geworden. Dementsprechend fiel die Zahl der in Behand¬
lung befindlichen Kranken im Berichtsmonat von 109 auf 42. An
Todesfällen waren in den ersten 3 Wochen je 2 zu verzeichnen,
in der letzten dagegen keiner mehr.
— In der 40. Jahreswoche, vom 28. September bis 4. Oktober
1902, hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die
grösste Sterblichkeit Fürth mit 31,1, die geringste Potsdam mit
0,9 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Scharlach in Altona, Beutlien, Königs¬
hütte, Mülheim a. d. R„ an Masern in Aachen,- Ludwigshafen.
V. d. K. G.-A.
— Einer auf dem internationalen otologisclien Kongress in
London zuerst gegebenen und dort mit Beifall aufgenommenen An¬
regung entsprechend, haben die Heimen O. Brieger - Breslau und
G. Gradenigo - Turin die Herausgabe eines „I n t e r natio¬
nalen Zentralblattes für Ohrenheilkunde“ über¬
nommen. Dasselbe beginnt im Laufe dieses Monats im Verlage
von .T. A. B a r t h in Leipzig zu erscheinen. Das neue Zentralblatt
wird ausschliesslich Referate bringen. Der Preis für den Jahr¬
gang. von 12 Heften beträgt M. 16. — .
_ _ ln Berlin (Verlag von Max II i r s c h) erschien das 1. Heft
einer „Russischen medizinischen Rundschau.
Monatsschrift für .die gesamte russische medizinische Wissen¬
schaft und Literatur“. Dieselbe wird unter Mitwirkung russischer
Aerzte herausgegeben von Dr. S. L i p 1 i a w s k y und
Dr. S. Weissbein in Berlin. Das neue Blatt verfolgt die
dankenswerte Absicht, den deutschen Äerzten einen vollständigeren
Ueberblick über die russische medizinische Literatur zu ermög-
1784
MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET.
No. 42
liehen, als er sonst in deutschen Zeitschriften gegeben werden
bann. Den russischen Aerzten erwächst aus dem Blatte der Ge¬
winn, dass ihre Arbeiten mehr als bisher in Westeuropa bekannt
werden. Im Interesse beider Teile, zwischen denen das Blatt zu
vermitteln sucht, kann man daher nur wünschen, dass das Unter¬
nehmen von Erfolg begleitet sein möge. Die russische medi¬
zinische Rundschau wird monatlich im Umfang von 4 — 6 Bogen
erscheinen und 12 M. für den Jahrgang kosten.
(Hochschulnachrichten.)
Erl a nge n. Der Spezialarzt für Ohren-, Nasen- und Hals¬
kranke in Hagen (Westfalen) Dr. med. Alfred Denker wurde an
Stelle des im Juli d. J. verstorbenen ausserordentlichen Professors
Dr. Wilhelm Kiesselbach als Professor für Ohrenheilkunde
und Direktor der ohrenärztlichen Klinik an der hiesigen Universi¬
tät berufen. D enke r ist ein Schüler Friedrich B e z o 1 d s.
Göttingen. Zum Nachfolger des nach Berlin berufenen
Geheimrat Orth ist Prof. Hugo Bibbert in Marburg ernannt
worden. Prof. Ribbert wird sein neues Amt im Sommer¬
stunester 1903 antreten und bis dahin von Prof. Asch off,
1. Assistenten am pathol. Institut, vertreten werden.
Kiel. Dr. med. Hentze habilitierte sich für das Fach der
Zahnheilkunde.
Kopenhagen. Der bekannte Lepraforscher Dr. Ehlers
ist zum Professor an der Universität ernannt worden.
Prag. Habilitiert: Dr. W. Lieblein für Chirurgie, Dr.
W. Anton für Oto-Rhino-Laryngologie an der deutschen med.
Fakultät.
(Todesfäll e.)
Am 12. d. M. starb der Ohrenarzt, Privatdozent für Laryngo-
logie, Otologie und Rhinologie an der Universität in Basel, Dr. med.
Anton S c h w e n d t.
In New- York starb der ausgezeichnete Orthopäde Dr. Abel
Mix Plielps im Alter von 51 Jahren.
(B e r i c h t. i g u n g.) Herr Dr. S p r i n g e r berichtigt das in
No. 40, S. 1074, erschienene Referat über seinen in Karlsbad ge¬
haltenen Vortrag, wie folgt:
1. Lautete der Vortrag: „U eher Operationsresul-
t a t e bei angeborenen Spalten des Gau me n S“.
2. Sollte es heissen: „B ericht über 53 Fälle v o n
Gaumenplastik“ (Hasenschartenoperationen sind in diese
Zahl nicht eingeschlossen).
3. Ist zu lesen statt: „von 31 rezidivierten Fällen“ „von
31 operierte n Fällen“.
4. 8 nicht geheilte Fälle ist unrichtig. Wir haben nur in 1 Fall
einen Misserfolg gehabt, in 8 Fällen blieben kleine Defekte
zurück.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Karl Schreitmüller in Bechhofen (B.-A.
Feuchtwangen), approb. 1901.
Verzogen: Dr. Pinkus M ii n z von Bad Kissingen nach
N ürnberg.
Ernannt: Der prakt. Arzt und funktionierende Hausarzt am
Zuchthause zu Kaisheim, Dr. Joseph Bscliore r, zum Bezirks¬
arzt I. Klasse in Neustadt a. Aisch.
Auszeichnung: Dem praktischen Arzte Dr. August Di ruf
in Bad Kissingen wurde die Rettungsmedaille verliehen.
Im aktiven Heere: Der Abschied mit der gesetzlichen
Pension bewilligt: Dem Generaloberarzt Dr. Dessauer, Di¬
visionsarzt der 3. Division, unter Verleihung des Charakters als
Generalarzt und mit der Erlaubnis zum Forttragen der Uniform
mit den für Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen.
Mit ihrem Ausscheiden aus der ostasiatischen Besatzungs¬
brigade wieder angestellt: Der Oberarzt Di*. Mayer im 9. Inf.-
Reg. und der Assistenzarzt Dr. Müller im 14. Inf. -Reg., beide
mit ihren früheren Patenten.
Befördert: Zu Assistenzärzten die Unterärzte: Alois Heil-
m a i e r im 4. Inf.-Reg., Dr. August Muggenthaler im G. Feld-
Art.-Reg.; Hans Meyer im 7. Inf.-Reg., Heinrich Kain dl im
12. Inf.-lleg.; Joseph M e i e r im '20. Inf.-Reg.
Im Beurlaubtenstande: Abschied bewilligt: Dem
Stabsarzt Dr. Konrad Sc ha ad von der Landwehr 1. Aufgebots
(Hof) mit der Erlaubnis zum Tragen der Uniform mit den für Ver¬
abschiedete vorgeschriebenen Abzeichen.
Befördert: Zu Assistenzärzten die Unterärzte: Dr. Wilhelm
Hagen in der Reserve (Nürnberg) und Kuno Linneborn in
der Landwehr 1. Aufgebots (I. München).
Amtlicher Erlass.
(Bayern.)
No. 5224 II. München, den 26. September 1902.
Die Verhandlungen der Aerztekammern im Jahre 1901; hier:
Postportofreiheit für die Morbiditätsstatistik der Infektions¬
krankheiten betr.
Wie das Unterzeichnete k. Staatsministerium bereits in seiner
Note vom 17. August 18S6 No. 2833 II ausgeführt und das k. Staats-
ministerium des Innern durch Erlassung seiner Entscliliessung
vom 2. September 1886 No. 11639 anerkannt hat, bieten die Be¬
stimmungen der Kgl. Allerhöchsten Verordnung vom 23. Juni
1829, die rostportofreiheit in Amtssachen betreffend, keinen Raum,
um den praktischen Aerzten hinsichtlich ihrer unmittel-
ba reu Korrespondenz mit den k. Bezirksärzten Portofreiheit zu
gewähren, auch wenn diese Korrespondenz sanitiitspolizeiliche
und damit öffentliche Verhältnisse zum Gegenstände hat.
Die augestrebte Portofreiheit für die Einsendung von Zähl¬
karten. welche seitens der praktischen Aerzte im Interesse der
Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten an die Amtsärzte
erfolgt, könnte demnach nur durch einen Akt besonderer aus-
nalimsweiser Verleihung begründet werden.
Von Seite des Unterzeichneten k. Staatsministeriums wurde
schon wiederholt (vergl. z. B. den stenographischen Bericht über
die Verhandlungen der bayerischen Kammer der Abgeordneten
vom IS. Januar 1. .T. S. 459 f.) hervorgehoben, dass bei der ohne¬
hin unzuträglichen Ausdehnung des Portofreiheitswesens in Bayern
jede Erweiterung desselben, namentlich aber die Schaffung neuer
Portofreiheiten, welche ausserhalb des Rahmens der vorbezeicli-
neten Allerhöchsten Verordnung liegen, aus grundsätzlichen Er¬
wägungen abzulehnen sei.
Das Unterzeichnete k. Staatsministerium sieht sich deshalb
zu seinem Bedauern nicht in der Lage, der von der oberbayerischen
Aerztekammer gegebenen Anregung näher zu treten.
Das k. Staatsministerium des k. Hauses und des Aeusseren.
gez. Graf v. Crailsheim.
Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee
für den Monat August 1902.
Iststärke des Heeres:
65 755 Mann, — Invaliden, 208 Kadetten, 149 Unteroff.-Vorschüler.
1. Bestand waren am
31. Juli 1902:
Mann
Invali¬
den
Kadetten
Unter-
offlz.-
Vor-
schüler
1071
—
—
—
[
im Lazarett:
1041
—
—
9
2. Zugang*.
im Revier:
2814
—
’ -
- ;
1
in Summa:
3855
—
—
9
Im Ganzen
sind behandelt:
4926
— •
—
9
°/oo der Iststärke:
74,9
—
—
60,4
dienstfähig:
3468
—
—
8
°/oo der Erkrankten :
704,0
—
—
888,8
gestorben :
8
—
—
—
°/oo der Erkrankten :
1,6
- ■'
—
—
3. Abgang;
invalide :
33
—
—
—
dienstunbrauchbar :
18
—
—
—
anderweitig :
157
-
—
—
. in Summa:
3684
—
—
8
4. Bestand
in Summa:
°/oo der Iststärke :
1242
18,9
—
—
1
6,7
bleiben am
davon im Lazarett:
831
—
—
1
31. Juli 1902:
. davon im Revier:
411
—
—
—
Von den in Ziffer 3 auf geführten Gestorbenen haben gelitten:
1 an akuter Miliartuberkulose, 2 an Lungentuberkulose, 1 an Ge¬
hirnblutung, 2 an Lungenentzündung, 1 an Leukämie, 1 an Blind¬
darmentzündung.
Ausserhalb militärärztlicher Behandlung sind keine Todes¬
fälle vorgekommen.
Der Verlust der Armee durch Tod betrug demnach im Monat
August nur S Mann.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München
in der 40. Jahreswoche vom 28. September bis 4. Oktober 1902.
Beteiligte Aerzte 139. — Brechdurchfall 16 (14*), Diphtherie u.
Krupp 10 (7), Erysipelas 5 (7), Intermittens, Neuralgia interm.
1 (— ). Kindbettfieber — (1), Meningitis cerebrospin. — (— ),
Morbilli 27 (10), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 4 (5), Parotitis
epidem. 1 (-), Pneumonia crouposa 10 (4), Pyämie, Septikämie
1 ( — ), Rheumatismus art. ac. 8 (10), Ruhr (Dysenteria) — ( — ),
Scarlatina 7 (2), Tussis convulsiva 28 (20), Typhus abdominalis 4
(4), Varicellen 2 (4), Variola, Variolois — ( — ), Influenza 1 (2).
Summa 124 (88). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 40. Jahreswoche vom 28. September bis 4. Okt. 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen: Masern 4 (1*) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u. Krupp 1 (— ), Rotlauf 1 (— ), Kindbettfieber 1 (— ), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) — ( — ), Brechdurchfall 7 (6), Unterleib-Typhus —
( — ), Keuchhusten 3 (2), Kruppöse Lungenentzündung 1 ( --), Tuber¬
kulose a) der Lunge 24 (16), b) der übrigen Organe 10 (4), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
3 (4), Unglücksfälle 2 (1), Selbstmord 6 (4), Tod durch fremde
Hand — ( — ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 242 (221), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 24,9 (22,7), für die
über dem 1. Lebensjalir stehende Bevölkerung 12,9 (11,1).
*> Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von K. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdrucken^ A.G., München.
t>Ie Münch. Med. Wochenschr. erscheint wöehentl.
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Amulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Anprer, Ch. Bäumler, 0, Bollinpr, H. Curschmann, W. v. Leube, G, Marke!, J. v. Michel, F. Penzoldt, H, v. Ranke, F, v. Winckel,
München. ,• o • . - — -- —
Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
Würzburg.
Nürnberg.
Berlin.
Erlaugen.
München.
München.
No. 43. 28. Oktober 1902,
Redaktion: Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem pathologischen Institut der Universität Bonn (Direktor;
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Koeste r).
lieber den Wert der Elastinfärbung für die histo¬
logische Diagnostik.
Von Dr. med. Bernhard F i s c h e r, Assistenten am Institut.
Die W e i g e r t sehe Methode der spezifischen Färbung
elastischer Fasern hat sich dank ihrer Sicherheit und Einfach¬
heit nicht nur für wissenschaftliche Untersuchungen als vor¬
züglich geeignet erwiesen, sondern sie kann auch der praktischen
Medizin unter Umständen die besten Dienste leisten.
Michaelis1) hat diese Methode bereits für den Nachweis
elastischer Fasern im Sputum wärm empfohlen und gewiss mit
Recht. Mit Hilfe dieser Färbung gelingt es bei genügender
Alkoholdifferenzierung ") mit aller nur wünschenswerten Sicher¬
heit auch die feinsten elastischen Fasern im Auswurf aufzu¬
finden, womit der sichere Nachweis eines destruierenden Prozesses
in der Lunge oder den Luftwegen gegeben ist.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf die grossen Vorteile auf¬
merksam machen, welche die Elastinfärbung bei der Unter¬
suchung kleiner Geschwulstteilchen, Probeexzisionen u. s. w.
bietet. Heute, wo Chirurgen und Gynäkologen immer wieder be¬
tonen, dass eine weitere Verminderung der Krebs- und Sarkom¬
todesfälle sich hauptsächlich nur noch durch
frühere Diagnosestellung erreichen lasse, sind
diese Untersuchungen ja von der grössten
praktischen Bedeutung. Von der Beurteilung
eines exzidierten Teilchens hängt oft sehr viel
ab, eine Fehldiagnose kann traurige Folge
haben. In den meisten Fällen kommen wir
allerdings mit den bis jetzt üblichen Hilfs¬
mitteln zum Ziele, aber es ist doch auch keine
Seltenheit, dass wir eine Entscheidung, ob
gut-, ob bösartig, mit Sicherheit nicht treffen
können; es gibt auch hier Grenzgebiete, deren
Beurteilung selbst dem Geübtesten schwierig
oder unmöglich werden kann. Dazu kommt
noch, dass das exzidierte Teilchen gerade
sehr wenig charakteristische Stellen enthalten
und so zu Fehlschlüssen Anlass geben kann,
während die Geschwulst an anderen Stellen
ihren Charakter leicht offenbart hätte. Da ist
es denn wohl angebracht, wenn wir uns noch nach weiteren Hilfs¬
mitteln umsehen, um zur sicheren Diagnose zu gelangen, und als
solches möchte ich hier die (W e i g e r t sehe) Elastinfärbung
(natürlich stets verbunden mit Kernfärbung) warm empfehlen.
Sie kann in solchen Fällen vorzügliche Dienste leisten, und zwar
aus mehreren Gründen.
Zunächst gibt uns die Elastinfärbung in den meisten Fällen
einen vorzüglichen Ueberblick über die Topographie des Gewebes.
Die einzelnen Schichten, z. B. der Haut, heben sich sehr scharf
und deutlich von einander ab; wir können das Vordringen einer
Geschwulst besser übersehen, feststellen, dass dieselbe die
elastischen Fasernetze durchbricht, in die Tiefe eindringt u. s. w.
Sodann treten die Gefässe und ihre Beziehungen zur Geschwulst
sehr deutlich hervor und gerade diese letzteren können von
grösster Bedeutung für die Beurteilung einer Geschwulst sein.
Bricht Geschwulstgewebe in ein Gefäss ein, so ist damit
die Bösartigkeit eines Tumors wohl stets erwiesen, und
dieses Einbrechen lässt sich oft ohne Hilfe der Elastinfärbung
gar nicht feststellen, weil die Gefässwand eben durch die Ge¬
schwulst zerstört ist und nur noch Reste der elastischen Fasern
erhalten sind. Von wie grossem Werte in solchen Fällen die
Elastinfärbung ist, möge kurz an einem Beispiel erläutert werden.
Am 14. Juni d. J. wurde uns mit der Bitte um genaue Unter¬
suchung ein etwa wallnussgrosser, subkutan am Halse gelegener
Tumor zugesandt, der von einer 45 jährigen Dame stammte.
Derselbe erwies sich (mit den gewöhnlichen Färbemethoden be¬
handelt) als zusammengesetzt aus zahlreichen kleinen Rundzellen,
die jedoch durch ein deutliches Maschenwerk zusammengehalten
waren. Nur an wenigen Stellen war diese lymphatische Struk¬
tur ein wenig undeutlich, verwischt; wir vermochten uns deshalb
nicht von der Bösartigkeit der Geschwulst zu überzeugen, son¬
dern nahmen ein einfaches Lymphom an und beantworteten in
diesem Sinne die Anfrage. Nachträglich färbte ich nun — mit
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*) Michaelis: Ueber den Chemismus der Elastinfärbung
und seine Anwendung auf Sputumpräparate. Deutsche med.
Wochenschr. 1901, S. 219.
2) Vgl. hierüber meine in Virchows Archiv, Nov. 1902, er¬
scheinende Abhandlung: „Ueber Chemismus und Technik der
W e i g e r t sehen Elastinfärbung“.
No. 43.
Fig. 2.
ausgedehnteren Untersuchungen über das elastische Gewebe der
Geschwülste gerade beschäftigt — einen Schnitt dieser Ge¬
schwulst auf elastische Fasern und war nicht wenig erstaunt,
jetzt an mehreren Stellen einen Einbruch der Gesehwulstzelleai.
in die Gefässe mit voller Sicherheit feststellen zu können. Da¬
mit war also die Bösartigkeit der Geschwulst dargetan, und wir
berichtigten dementsprechend unsere Mitteilung. In neben¬
stehenden Zeichnungen habe ich versucht die geschilderten Ver¬
hältnisse wiederzugeben.
Fig. 1 zeigt eine Stelle der genannten Geschwulst nach
van Gieson gefärbt, Fig. 2 dieselbe Stelle mit Elastinfärbung.
In Fig. 1 sieht man im Gewebe ein kleines Gefässlumen; Fig. 2
hingegen zeigt, dass das letztere nur der Rest des Lumens eines
grösseren Gefässes ist. Die Wand desselben ist in das Geschwulst-
MUENCHENER MEDICINISCFIE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
1786
gewebe völlig aufgegangen; nur die elastischen Fasern sind noch
erhalten und zeigen an der linken Seite deutlich den Durch¬
bruch der Geschwulstzellen in das Gefäss. Hier haben die Ge¬
schwulstzellen also die Gefiisswand durchbrochen, sind unter dem
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Fig. 3.
Fig. 4.
Gefässendothel zwischen Intima und Media vorgedrungen und
haben das Gefässlumen bis auf den noch sichtbaren schmalen
Spalt verschlossen. Ohne die Elastinfärbung aber ist es, wie
Eig. 1 zeigt, völlig unmöglich, diese Verhältnisse zu erkennen.
Mit Hilfe von Stufenschnitten gelang es mir, an tieferen Stellen
der Geschwulst das wohlerhaltene, ziemlich grosse Gefäss zu
Gesicht zu bringen. Selbstverständlich muss man sich in solchen
Fällen hüten, eine Endarteriitis oder Endophlebitis — wie' sie
in Geschwülsten nicht selten angetrotfen wird und ähnliche
Bilder gibt — mit einem Durchbruch von Geschwulstzellen zu
verwechseln. Doch dürfte dies bei aufmerksamer Beobachtung
kaum Vorkommen; die Art der Zellen, ihre Anordnung, die Zer¬
störung der Gefässwand, die oft noch nachweisbare Durchbruch¬
stelle schützen hiervor. Diese Geschwulstdurchbrüche in Ge-
fässe bekommt man mit Hilfe der Elastinfärbung häufiger zu
Gesicht als man glaubt und vor allem auch schon in frühen
Stadien bösartiger Tumoren.
Ein weiterer Umstand, der die Anwendung der Elastinfär¬
bung für die histologische Diagnostik sehr wertvoll macht, ist
die grosse Widerstandsfähigkeit der elastischen Fasern gegen
zahlreiche destruierende Rrozesse, Fäulnis und ähnliche. Wenn
wir in einem Partikelchen, das erbrochen, ausgehustet, abge-
stossen oder mit dem Urin entleert wurde, keine Zelle, keinen
Kern, kein Gewebe mehr nachweisen können infolge von Nekrose,
Fäulnis oder Zersetzung, so können wir über die Natur dieser
Partikelchen so gut wie nichts aussagen. Es kann sich da um
zersetztes Blut, konkrementartige Ablagerungen u. ähnl., aber
auch um nekrotisches Gewebe handeln. In diesen Fällen sind
dann oft die elastischen Fasern noch sehr schön erhalten und
lassen sich mit Hilfe der Elastinfärbung deutlich zur Darstellung
bringen. Mit ihrem Nachweis ist dann sofort die Entscheidung
dahin gegeben, dass abgestorbene Gewebsteile vorliegen; ja die
Anordnung der elastischen Fasern oder der Nachweis grösserer
Gefässe können auf einen leichteren oder schwereren Prozess
hinweisen, bei dem vielleicht grössere Gewebs- oder Geschwulst¬
teile abgestossen werden. All dies kann natürlich unter Um¬
ständen für den Kliniker von Wert sein. Ein Beispiel möge das
Gesagte erläutern. Am 19. Juli d. J. wurden uns mehrere kleine,
weiche, braune Teilchen mit der Bitte um die Diagnose zugesandt,
über deren Natur nichts weiter mitgeteilt werden konnte, als
dass sie der Blase eines 24 jährigen Mädchens entstammten. Die
histologische Untersuchung dieser Tumormassen gab zunächst
nicht den geringsten Aufschluss, kein Kern, keine Zelle färbte
sich mehr, krümlige Massen bedeckten das Gesichtsfeld, ohne
jede Struktur, nur hin und wieder stärker mit Hämatoxylin ge¬
färbt, so dass man an Kalkniederschläge denken konnte. Dies
Bild ändert sich jedoch bei Anwendung der Elastinfiirbung. Es
zeigten sich nicht nur zahlreiche feine und gröbere elastische
Fasern, sondern auch ziemlich starke Gefässe in mehrfacher
Anzahl und zwar Venen und Arterien, beide nur kenntlich an
ihrem elastischen Gewebe. Fig. 3 zeigt eine Stelle des be¬
schriebenen Präparates, gefärbt nach van G i e s o n, Fig. 4
dieselbe Stelle bei Elastinfärbung, beides bei schwacher Ver-
grösserung. In letzterem Bilde sieht man elastische Fasern,
sowie eine Vene und zwei Arterien. Es lagen also in diesem
Falle nicht etwa — wie man versucht sein konnte, anzunehmen —
abgestossene Blasenepithelien mit zersetztem
Blut und anorganischen Niederschlägen oder
ähnliches vor, sondern es konnte sich nur um
einen Prozess handeln, der zur Nekrose
grösserer Gewebsteile geführt hatte. Wie
wertvoll eine solche Feststellung für die kli¬
nische Beurteilung istj liegt auf der Hand.
Diese wenigen Beispiele — die ich leicht
vermehren könnte — - mögen genügen, um
darzutun, von wie grossem Werte in nicht
wenigen Fällen die Elastinfärbung auch für
die angewandte Histologie, die mikro¬
skopische Diagnostik sein kann. Dieselbe
trägt fast, stets zu einer grösseren Klarlegung
der histologischen Einzelheiten bei, ja zu¬
weilen kann sie für die Diagnose von aus¬
schlaggebender Bedeutung sein und ich halte
es nach den mitgeteilten Erfahrungen in
jedem Falle, in dem ich nicht mit den ge¬
wöhnlichen Kern- und Doppelfärbungen zu
einem ganz sicheren Resultate komme, für meine Pflicht, bei der
Untersuchung auch die Elastinfärbung zu Hilfe zu nehmen.
Möge sie anderen die gleichen Dienste erweisen !
Aus der med. Klinik des Flerrn Geh. -Rat Prof. Dr. Riegel
in Giessen.
Ueber die Sahlische Methode der Funktionsprüfung
des Magens.
Von Dr. Bönniger, Assistenzarzt der Klinik.
Sahli1) hat jüngst ein neues Verfahren zur Untersuchung
der Magenfunktionen angegeben, ausgehend von folgendem Gq-
dankengang: ,,Wenn es gelingt, eine Substanz zu finden, welche,
der Probemahlzeit zugesetzt, im Magen nicht resorbierbar ist
und sich leicht quantitativ bestimmen lässt, so kann nach dey
Ausheberung aus der zurückgebliebenen Menge dieser Substanz
berechnet werden, wieviel davon im Mag’eii zurückgeblieben und
ein wie grosser Teil des ausgeheberten Inhaltes also aus Sekret
besteht.“ In diesem Sinne gibt Sahli 300 ccm einer Mehl¬
suppe, die Butterfett in gleichmässiger Verteilung enthält. Sie
wird nach % — 1 Stunde ausgehebert, Menge und Rückstand nach
Matthieu bestimmt. Aus der Verdünnung der Suppe, be¬
rechnet nach dem Fettgehalt des Ausgeheberten, wird die Menge
des abgeschiedenen Sekrets, welches zur Zeit der Ausheberung
im Magen sich befand, bestimmt. Durch Umrechnung wird dann
die Azidität des reinen Sekrets aus der Gesamtazidität des Aus¬
geheberten berechnet.
Zur Brauchbarkeit einer derartigen für den praktischen Ge¬
brauch bestimmten Methode gehört neben der Zuverlässigkeit
auch Einfachheit. Gegenüber den gewöhnlichen Bestimmungen
scheint sie mir nun dieses Postulat nicht zu erfüllen. Schon
die Bereitung der Suppe ist nach meiner Erfahrung nicht ganz
einfach, und wenn nicht sehr genau ausgeführt, gibt sie zu be¬
denklichen Fehlerquellen Anlass. Von der Suppe ist zu ver¬
langen, dass sie keine Fettaugen zeigt, dass sie völlig gleichmässig
ist, und dass sie auch nach einigem Stehen sich nicht absetzt.
Diese Schwierigkeit lässt sich überwinden; es gelingt, eine Suppe
herzustellen, die diese Bedingungen erfüllt.
Dazu kommt dann noch, dass die Methode an sich sehr viel
komplizierter ist, wie unsere früheren. Indessen wäre das
Nebensache.
Erste Frage ist: Ist die Methode als solche gut und zu¬
verlässig, zweite: gibt sie bessere Aufschlüsse über die Magen¬
funktionen als die alten Methoden.
Bezüglich der ersten Frage handelt es sich zunächst darum,
festzustellen, ob die Suppe die Bedingung erfüllt, dass sie das Fett
in gleichmässiger Verteilung enthält.
0 Berl. klin. Wochenschr. 1902, No.
Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 71 u. 72
10 u. 17 und Seiler:
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1787
Als Methode der Fettbestimmung habe ich dieselbe benutzt,
wie sie Y o 1 h a r d ") für seine Arbeiten über das fettspaltende
Ferment des Magens in letzter Zeit angewandt. Es werden
20 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit mit 75 ccm Aether,
dem 2 ccm Alkohol zugesetzt, mehrere Stunden im Schüttel¬
apparat ausgeschüttelt, dann 50 ccm Aether abgegossen, mit
50 ccm neutralem Alkohol absolutus versetzt und durch Titration
mit Phenolphthalein die freien Fettsäuren bestimmt. Dann wird
10 ccm Normal-Natronlauge zugesetzt, mehrere Stunden mitRück-
flusskiihler auf dem Wasserbad verseift. Nach Zusatz von 10 ccm
Normal-HCl wird titriert. Die erhaltenen Werte stimmen vor¬
züglich überein. Ein Vergleich mit der Soxhletextraktion gibt
annähernd die gleichen Werte. Bei der ersteren Methode muss
natürlich zu den gefundenen Zahlen die Hälfte zugezählt werden,
da sie nur % des gesamten Fettgehalts darstellen. Die Zahlen
von 2 Versuchen lasse ich folgen:
Suppe a. Fettsäure Neutralfett (nach der Verseifung als Fettsäure)
mit */ io Normal-NaOH titriert.
20 ccm f 1. 0,37 23,1
mit Aether ausgeschüttelt \ 2. 0,37 23,1
20 ccm f 1. 0,65 24,0
im Soxhlet 24 Std. extrah. \ 2. 0,6 21,0
- S u pjp e b.
20 ccm fl. 1,6 14,55
mit Aether ausgeschüttelt \ 2. 0,8 14,55
20 ccm f 1. 0,75 14,2
im Soxhlet 24 Std. extrah. \ 2. 0,75 14,1
Zur Kontrolle habe Ich dann in 2 Versuchen den nach Ab¬
hebung von 50 ccm Aether gebliebenen Rest nochmals mit 50 ccm
Aether versetzt, in derselben Weise ausgeschüttelt und verseift.
Versuch a b
Ursprüngliche ganze Neutral-Fettmenge (nach der
Verseifung) mit 1I io Normal-NaOH titrirt . . . 14,25 23
nach erneuter Schüttelung mit 50 ccm Aether in
50 ccm abgehobenem Aether . 3,4 5,7
nach Berechnung mussten darin sein 2/g des
ganzen = 2,2 5,1
Also nennenswerte Mengen Fett konnten durch erneutes Aus¬
schütteln mit Aether nicht gewonnen werden. Wenn es auch
hier nicht auf absolute Zahlen ankommt, so ist es immerhin von
Interesse, sich von der Genauigkeit der Methode auch für quanti¬
tative Bestimmungen zu überzeugen. Dass HCl nicht in stören¬
der Menge in den Aether übergeht, erhellt schon aus den fol¬
genden Zahlen; ich habe mich davon auch noch durch Versuche
mit stärkeren HCl-Lösungen überzeugt.
Behält nun die Suppe im Magen diese gleichmässige Fett¬
verteilung bei und mischt- sie sich so mit dem Sekret, dass sie
sich nicht absetzt? Denn es ist klar, dass man nur so von einer
bestimmten Menge ausgeheberten Inhalts aus dem Fettgehalt die
Menge der Suppe bestimmen kann, die darin ist. Dies schien
mir nun a priori sehr unwahrscheinlich; denn schon wenn bei der
Bereitung der Suppe nur wenig mehr Wasser als vorgeschrieben
genommen wurde, zeigte sie eine bedenkliche Neigung zum Ab-
sedimentieren. Wenn nun nach Sahlis Berechnung im Magen
mindestens die gleiche Menge Saft hinzutritt, so ist ein Ab¬
sedimentieren zu erwarten. Ich habe nun zu meinen Versuchen
nur Patienten genommen, die grössere Rückstände hatten, weil
naturgemäss bei diesen ein Absedimentieren am leichtesten fest¬
zustellen ist; für die letzteren Versuche sind natürlich nur
solche zu brauchen. Selbstverständlich überzeugte ich mich vor¬
her zuerst, dass der Magen leer war. Zunächst habe ich nun die
Suppe 1 h. p. exprimieren lassen, dann sofort in einen Schüttel¬
trichter gefüllt, die Flüssigkeit einen Augenblick zur Ruhe
kommen lassen und in verschiedenen Portionen den Fettgehalt
bestimmt. Schon äusserlich war. eine Schichtung deutlich.
Versuch I.
Atonie mit guten Aziditäten.
mit il io Normal-NaOH titi
Suppe 1 . .
1,3
23,1
„ 2 .
0,7
23,1
Mageninhalt :
oberste Schicht . . .
0,7
6,7
mittlere „
0,75
15,0
unterste |f ...
0,9
14,25
Versuch II.
Derselbe Pat.
Suppe 1 .
0,37
22,25
„ 2 .
Mageninhalt :
0,3
22
oberste Schicht . .
1,6
18
mittlere „ . .
1,8
17,7
unterste „ . .
1,9
Versuch III.
21
Hyperazidität,
motor. Insuffizienz.
Suppe 1 .
0,3
31,7
„ 2 .
Mageninhalt :
0,3
33,7
zuerst exprimiert .
2,4
38,5
unterste Schicht .
1,1
6,Y
mittlere ,.
0,9
3,3
oberste „
1,6
49,6
Im 1. Versuch besteht also eine ausgesprochene Schichtung
des Fettes, im 2. stimmen die Werte einigermassen überein, den
3. führe ich nur an, um zu zeigen, welch grosse Fehler durch
eine nicht ganz vorschriftsmässige Bereitung der Suppe ent¬
stehen. Die Suppe war zu dick und zeigte einige dickere
Brocken. So kommen Werte zu stände, die den Fettgehalt der
Suppe beträchtlich übersteigen. Indessen kann man auch gegen
die beiden ersten Versuche einwenden, dass die Flüssigkeit im
Magen nicht so zur Ruhe komme, wie in einem Scheidetrichter
auch nur bei ganz kurzem Stehen. Immerhin geht doch daraus
hervor, dass die Neigung zum Absedimentieren in hohem Grade
besteht.
Ich habe dann dieselben Versuche gemacht, wie Koziczko-
w s k y 3). Ich habe bei Patienten, die an die Einführung der
Sonde gewöhnt waren und nicht würgten, den Magenschlauch
langsam eingeführt und aspiriert, nachher exprimieren lassen.
Beide Teile werden für sich bestimmt. Den exprimierten Teil
habe ich geschüttelt und so den mittleren Fettgehalt bestimmt.
Versuch I.
Atonie, gute Azidität.
Fettsäure Neutralfett(nach der Verseifung alsFcllsaure)
mit io Normallauge titriert:
Suppe l . 0,4 16,5
„ 2 . 0,3 17,2
Mageninhalt :
zuerst exprimiert .... 0,6 6,3
mittlere Werte des Restes 0,8 10,2
Versuch II.
Motor. Insuffizienz und Hyperazidität,
Suppe 1 . 0,3 23,4
, 2 . 0,4 22,0
Mageninhalt :
zuerst exprimiert .... 0,45 5,4
mittlere Werte des Restes 0,5 10,2
V
Derselbe Pat.
Suppe 1 .
,, 2 .
Mageninhalt:
zuerst exprimiert ....
mittlere Werte des Restes
r s u c h III.
0,45
16,95
0,6
17,0
0,75
12,6
0,75
7,35
Derselbe Pat.
Suppe 1 . . . .
Mageninhalt :
zuerst exprimiert . . .
mittlere Werte des Restes
dto .
Versuch IV.
0,45
29,4
0,45
29,4
0,75
4,6
0,9
5,4
0,9
6,1
In allen Fällen finden wir also einen völlig verschiedenen
Fettgehalt in dem zuerst Ausgeheberten und in dem Mittel des
Restes. Ich komme also zu dem gleichen Resultat wie K o -
ziezkowsky, dass die Fettverteilung im Magen, wenigstens
für viele Fälle, keine gleichmässige ist. Dies ist aber die Grund¬
bedingung der Methode.
Ich bemerke noch, dass, wie aus den Versuchsprotokollen
hervorgeht und bereits von Seiler nachgewiesen ist, eine Fett¬
spaltung merkwürdigerweise nicht oder nur in ganz geringem
Grade zu konstatieren ist. Es muss das wohl durch die eigen¬
tümliche Bindung des Fettes an das Mehl bedingt sein.
2) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 42 u. 43.
3) Deutsche med. Wochenschr. 1902, No. 26.
1*
17S8
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIET.
No. 43.
Endlich möchte ich noch eines Versuches erwähnen. Bei
einer Patientin fand sich bei den Ausheberungen der Mehlsuppe
% h. bezw. 1 h. p. c. keine freie HCl. Bei Probefrühstück hatte
sie die Werte 34 bezw. 49 Gesamtazidität, 25 bezw. 32 freie
HCl, bei Probemahlzeit 3 h. p. 124! Gesamtazidität und 36 freie
HCl. Schon dieser eine Fall lässt Zweifel aufkommen, ob die
Mehlsuppe überhaupt eine geeignete Probemahlzeit für alle
Fälle ist.
Wie sieht es nun weiter mit den mittels der Sahli sehen
Methode gewonnenen Resultaten aus? Die wenigen Fälle, die
Se i 1 e r 4) anführt, scheinen mir nicht entscheidend. Insbeson¬
dere vermisse ich mehrfache Untersuchungen an demselben Pa¬
tienten. Stimmen die einzelnen Untersuchungen überein,
stimmen sie auch nur annähernd überein, wie die Bestimmungen
der alten Methode?
Koziczkowsky hat derartige Versuche gemacht und
fand bei denselben Versuchspersonen Werte für die Azidität des
reinen Magensaftes, die zwischen 6,9 und 1,8 Prom. schwankten.
Nun scheint mir allerdings die Versuchsperson nicht sehr glück¬
lich gewählt. Denn wenn die Motilität so grosse Schwankungen
zeigt, dass einmal 1 h. p. mehr Inhalt da ist, als eingeführt
wurde, das anderemal 76 ccm, so wäre es nicht wunderbar, wenn
auch die Sekretion grössere Schwankungen zeigte.
Dagegen möchte ich einige Zahlen als Beispiel für die
ausserordentliche Konstanz der Resultate der alten Methoden in
vielen Fällen anführen. Ich habe dieselben nicht besonders aus¬
gewählt, sondern die erste grössere Untersuchungsreihe, die mir
in die Hand kam, genommen ; ich könnte zahlreiche andere ähn¬
liche aus den Protokollen über die Magenuntersuchungen der
Klinik anführen. Es handelt sich um einen Magen mit guter
Azidität und leichter Motilitätsstörung. Es wurden an ver¬
schiedenen Tagen Probefrühstücke 1 h. p. ausgehebert und fol-
gende Werte festgestellt:
Menge
ccm
Gesamtazidität freie HCl
in 1 /io Normal-NaOH.
1.
140
59
33
2.
150
55
36
3.
80
51
38
4.
150
51
37
Derartige Fälle scheinen mir die geeigneten, eine Methode
wie die Sahli sehe auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen; wir
müssen von ihr verlangen, dass sie ebenso gleichmässige Re¬
sultate liefert. Das dürfte aber nach den Untersuchungen
Koziczkowsky s und meinen eigenen schwerlich zu er¬
warten sein.
Obgleich damit eigentlich auch unsere zweite Frage, ob die
neue Methode bessere Aufschlüsse über die Magenfunktionen wie
die bisher üblichen gibt, erledigt ist, so sei es mir doch gestattet,
sie in dem Sinne zu erörtern, was wir überhaupt von einer Me¬
thode im Sinne der Sahli sehen gegenüber unseren früheren,
von Sahli so geringschätzig beurteilten, zu erwarten haben.
Eine Methode, die nur für einzelne Fälle, nicht aber für
alle Fälle Anhaltspunkte über die Magenfunktionen gibt, ist
meines Erachtens völlig unbrauchbar. Denn wie soll man vorher
wissen, welche Fälle hiefür geeignet sind, welche nicht?
Ich behaupte dagegen: Die alten Methoden sind für alle
Fälle brauchbar. Nähere Aufschlüsse durch eine neue Methode
wären in einzelnen Fällen gewiss erwünscht.
Sahli meint, die Aziditätswerte, die wir mit den üblichen
Bestimmungen finden, seien von verschiedenen Faktoren ab¬
hängig. Gewiss. Die Azidität ist gleichsam die Resultierende
aus den verschiedensten Komponenten. Trotz dieser kompli¬
zierten Verhältnisse finden wir bei demselben Menschen so
häufig stets dieselben Werte; ich habe oben ein derartiges Bei¬
spiel angeführt. Soll man da annehmen, dass die verschiedenen
I aktoren, aus welchen die Azidität resultiert, stets absolut gleich
sind? Mir scheint das nicht sehr wahrscheinlich. Aber auch
bei verschiedenen Patienten mit normalem Magen stimmen die
Aziditätsbestimmungen gut überein, wenn auch der eine relativ
viel, der andere wenig Rückstände hat, die Zahlen sind
in gewissen Breiten dieselben. Das scheint mir doch ein
Beweis, dass unter normalen Verhältnissen die Magen¬
sekretion sich der Motilität anpasst; wir finden beim ge¬
sunden Menschen keine niedrigeren Werte bei relativ grösseren
Rückständen. Es ist also doch klar, dass der Magen bedeutend
viel mehr Saft abgesondert hat, als bei einem Menschen, bei
dem etwa nach % Stunden kaum noch ein paar Kubikzentimeter
zu erhalten sind. Nachdem P a w 1 o w ") die ausserordentlich
wunderbare Anpassung des Magens an die Nahrung festgestellt,,
so ist es doch selbstverständlich, dass die Sekretion eben dem
Inhalt angepasst verläuft, der sich gerade im Magen befindet.
Exprimiert der Magen seinen Inhalt schnell, so wird die Sekretion
auch bald schwächer werden. Dasselbe gilt von der Resorption
der Eiweisskörper. Berechnet Sahli bei einem Magen, der
nach den alten Bestimmungen normale Werte hat, dass er weniger
als normal absondert, dass also der Magen pathologisch ist, so
scheint mir dem Magen unrecht zu geschehen, der nach physio¬
logischen Gesetzen ebensoviel absondert, als genügt., um die
nötigen Säuregrade hervorzurufen. Tut er die s nicht, sondert
er weniger oder mehr ab, so wird der Mageninhalt eben sub-
oder hyperazid, dann ist die Sekretion meiner Meinung nach
pathologisch. Ob er absolut viel oder wenig absondert, kann uns
zunächst einerlei sein, wenn er nur seine Aufgabe erfüllt. Frei¬
lich muss man sich bewusst bleiben, dass man, wenn man von
Hyperazidität oder Subazidität spricht, damit nicht aus¬
drückt, dass der Magensaft, der abgesondert wird, hyper¬
azid oder subazid ist, sondern nur, dass der Magen zu
viel oder zu wenig Säure für den jeweiligen Inhalt ab¬
sondert. Dabei leugne ich nicht, dass es wünschenswert
wäre, eine Methode zu besitzen, die uns darüber auf¬
klärte, ob diese Ilyperazidität durch eine vermehrte Sekretion
oder durch Hyperazidität des Sekrets entstanden wäre.
Wenn dagegen die Azidität bei den verschiedenen
Probemahlzeiten normal ist, so halte ich es für ausgeschlossen,
dass die Sekretion pathologisch ist. Es kommen hier die sog.
nervösen Magenstörungen in Betracht (subjektive Beschwerden
bei normalem Befund). Dieselben sind in unserer Klinik eine
ziemliche Seltenheit. Dass es wirklich rein nervöse, besser nach
Strümpell6) psychogene Magenstörungen gibt, wird wohl nie¬
mand bestreiten.
Was die Beurteilung der Motilität nach der Menge
des Mageninhalts betrifft, so ist die Abhängigkeit dieser
von der Sekretion nicht zu leugnen ; trotzdem können wir
im allgemeinen doch aus der Menge des Rückstandes Schlüsse
auf die Motilität machen. Dies dürfen wir um so mehr,
wenn wir, wie es an der hiesigen Klinik von jeher üblich,
ausser dem E w a 1 d sehen Probefrühstück auch die Riegel-
sche Probemahlzeit geben und je nach dem Fall die Zeit der Aus¬
heberung wählen. Auch hier gebe ich zu, dass eine Methode für
einzelne Fälle sehr wertvoll wäre, Motilitätsstörungen von
solchen Fällen unterscheiden zu können, wo eine vermehrte Menge
durch stärkere Verdünnung von seiten des Magens entstanden
wäre.
„Die vermeintliche Exaktheit der bisherigen Untersuchungs¬
methoden“ scheint mir demnach keine „Täuschung“ zu sein.
Sie genügen sicher für die meisten Fälle, nicht nur für einzelne.
Aus dem Gesagten geht schon hervor, für welche Fälle
meiner Ansicht nach die neue Methode erwünscht wäre.
Dagegen scheint es mir von vornherein zweifelhaft, ob man
aus der Berechnung der Menge und besonders der Azidität des
reinen Sekrets ohne weiteres für die Diagnose brauchbare Re¬
sultate bekommt. Die „Sekretion“ ist doch nichts Einheitliches,
setzt sich vielmehr aus verschiedenen Faktoren zusammen: aus
der eigentlichen spezifischen Magensekretion (mit HCl und Fer¬
menten) und der Verdünnung, welche durch einfache Osmose
und die dem Magen eigentümliche Fähigkeit, Flüssigkeiten
hypotonisch (bezogen auf das Blut) zu machen, zu stände kommt7).
Wie weit sich diese Faktoren an der Bildung des „Sekrets“ be¬
teiligen, wie sie zeitlich nebeneinander, wie sie bei den verschie¬
denen Mägen verlaufen, wissen wir einstweilen noch nicht. Dass
beide unabhängig von einander verlaufen können, ist bekannt.
Dass aber diese Verhältnisse gerade für die Aziditätsbestimmung
des Sekrets nach Sahli eine grosse Rolle spielen, liegt auf der
Hand. Es wäre z. B. möglich, dass bei einem Magen die Ver¬
dünnung des Mageninhalts durch die spezifische Sekretion hinter
der anderen zurückbliebe, die Quantität und Qualität könnte
°) Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Wiesbaden 1898.
c) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 73.
*) Cf. St rau ss u. Roth: Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 37.
4) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 71 u. 72,
28. Oktober 1902.
1789
MÜENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
völlig' normal sein, nach Sahli würde eine Subazidität eventuell
mit „Hypersekretion“ diagnostiziert werden, was mir nicht be¬
rechtigt scheint. Im umgekehrten Falle hätten wir eine Hyper¬
azidität s).
Auch kann man sich auf diese Weise sehr wohl den Fall
von „paradoxer oder perverser“ Sekretion, den Sahli beschreibt,
erklären, natürlich unter der Voraussetzung, dass die Berech¬
nung der Aziditäten des reinen Sekrets richtig wäre. Es
bestand eine Hypersekretion, der Patient hatte Morgens
nüchtern ein stark azides Sekret im Magen. Wurde er nach
Probemahlzeit ausgehebert, so war bei normaler Menge das Se¬
kret nur schwach azid. Es trat eben eine stärkere Verdünnung
ein, während die Ausscheidung der Säure relativ zurückbliab.
Diese Erklärung erscheint mir ungezwungener, als die Annahme,
dass die Nahrungsaufnahme hemmend auf die Sekretion ein¬
wirkte.
Vorläufig dürften also wohl unsere alten Methoden der
Funktionsprüfungen des Magens noch ihre Rechte behalten und
ich glaube, sie werden auch stets die wichtigsten bleiben, wenn
auch eine Methode im Sinne der Sahli sehen für einzelne Fälle,
besonders aber für das Studium mancher Fragen, von aller¬
grösstem Werte wäre.
Zum Schlüsse sage ich meinem hochverehrten Chef, Herrn
Geheimrat Riegel, meinen aufrichtigsten Dank für die An¬
regung zu dieser Arbeit und das Interesse an derselben.
Ein weiterer Beitrag zur Behandlung des nomatösen
Brandes durch Exzision des erkrankten Gewebes.
Von Prof. Dr. H. v. Ranke.
In einem Vortrage, den ich im Herbst 1900 in der Sektion
für Kinderheilkunde der Naturforscherversammlung zu Aachen
hielt (vergl. diese Wochenschrift 1900, S. 1485), teilte ich 3 Fälle
von Noma faciei mit, welche in unmittelbarer Auf¬
einanderfolge, durch Exzision des brandigen Gewebes, mit
nachfolgender Verschorfung durch den Thermokauter, geheilt
wurden.
Dieser therapeutische Erfolg stand in schneidendem Gegen¬
satz zu meinen früheren Erfahrungen mit den sonst üblichen,
weniger eingreifenden und in ihrer Wirkung weniger kontrollier¬
baren Behandlungsmethoden, mit welchen ich bisher meine
sämtlichen Fälle von Noma faciei ohne Ausnahme durch den
Tod verloren hatte.
Bei der Seltenheit von Noma in München war es nicht auf¬
fallend, dass erst im Laufe dieses Jahres wieder ein Fall von
Noma in meine Klinik aufgenommen wurde.
Der Fall betraf ein 3 jähriges, schlecht genährtes Mädchen,
das am 4. Tage nach Ausbruch der Masern an Noma der Geni¬
talien und des Afters, sowie der beiden Schenkelbeugen erkrankte
und durch gründliche Exzision alles Erkrankten, im gesunden
Gewebe, glatt geheilt wurde.
Dieser 4. Fall von Heilung, in ununterbrochener Reihen¬
folge, beweist mir, dass in der Tat in möglichst frühzeitiger und
vollständiger Exzision, eventuell Kauterisation, des Erkrankten
der Schlüssel zur Heilung einer bisher fast ausnahmslos tödlich
verlaufenden, zweifellos durch lokale Einwirkung von Mikro¬
organismen erzeugten Krankheit gefunden ist.
Diesen vierten Fall verdanke ich der Güte meines Kollegen,
Herrn Prof. Dr. Wilhelm Herz o g, des Vorstandes unserer
chirurgischen Abteilung, welcher auch die Operation ausführte.
Der Fall war am 22. Juli 1902 in die chirurgische Ab¬
teilung unserer Poliklinik mit der eben beginnenden Affektion
zur poliklinischen Behandlung gebracht worden. Bereits am
folgenden Tage (24. Juli) hatte der Brand erschreckende Fort¬
schritte gemacht, wie sie auf nachstehender Photographie er¬
sichtlich sind.
Als mir Herr Kollege Herzog den Fall zeigte, kamen wir
sofort überein, dass hier nur eine gründliche Exzision alles
Brandigen, im gesunden Gewebe, möglicher Weise noch Rettung
bringen könne.
8) Auf unsere gewöhnlichen Methoden haben diese Verhält¬
nisse natürlich auch Einfluss, jedoch in weit geringerem Grade,
als wenn die Aziditäten auf das Sekret umgerechnet werden.
No. 43.
Die Operation wurde in Narkose ausgeführt und, da offen¬
sichtlich alles Erkrankte entfernt war, wurde von Anwendung
des Thermokauters abgesehen.
Die Patientin\wurde dann in meine Abteilung aufgenommen.
Der Verlauf war ein überraschend günstiger. An keiner
Stelle zeigte sich weiterhin noch brandiger Zerfall. Der Zer¬
störungsprozess war wie mit einem Zauberschlage an allen ver¬
schiedenen Stellen zum Stillstand gebracht, und die Heilung
vollzog sich unter antiseptischer Behandlung, täglichen Bädern
und kräftiger Ernährung ohne jeden Zwischenfall, trotz der
grossen ausgeschnittenen Flächen, auch ohne wesentliche Ver¬
unstaltung, wie die zweite Abbildung erkennen lässt.
Nachstehend die Krankengeschichte:
Anna B., eheliche Tochter eines Schlossergehilfen, 3 Jahre
3 Monate alt, erkrankte am 18. Juli an den Masern; 4 Tage später
bemerkte die Mutter brandige Stellen auf der Haut der Ge¬
schlechtsgegend.
Am 24. Juli erfolgte die Aufnahme in die Klinik und wurde
folgender S t a t. prae s. auf genommen : Kind in schlechtem Er¬
nährungszustand, Haut und Schleimhäute blass. Allgemein¬
befinden stark affiziert. Am ganzen Körper noch ein abgeblasstes
Masernexanthem erkennbar.
Augen, Nase und Ohren. Eauces, Herz, Lungen, Abdomen
ohne Besonderheiten.
Im oberen Drittel der Innenseite der beiden Oberschenkel
ausgedehnte, fast handtellergrosse brandige Geschwüre, ebensolche
kleinere an der Vulva und am After. Geschwüre schwarzbraun
verfärbt, gangränös, von jauchig-brandigem Geruch. Temp. 38,4.
Körpergewicht 11850 Gramm.
Di a g n o s e: Noma post Morbillos.
Therapie: Exzision der Geschwüre in ihrer ganzen
Flächen- und Tiefenausdehnung bis ins gesunde Gewebe; teil¬
weises Vernähen der Wundränder. Feuchter Verband mit Bor¬
lösung. Möglichst kräftige Nahrung: Milch, Eier, Wein. Bad
2 mal täglich.
25. VII. Es wird nur sehr wenig Nahrung genommen. Harn
mit Blut vermischt, geringer Husten. Temp. 38,0 — 38,2.
26. VII. Geringe Sekretion der Wunden. Wundränder in¬
filtriert; Temp. 38,2. Es wurden einige Nähte entfernt. Masern¬
exanthem vollständig verschwunden. Kind klagt beim Urinieren
über Schmerzen.
27. VII. Wunden von gutem Aussehen. Appetit besser.
Temp. 37,9—38,0.
28. VII. Allgemeinbefinden bedeutend besser. Kind beginnt
im Bett zu spielen. Temp. 37,8. Es werden wieder einige Nähte
entfernt.
29. VII. Allgemeinbefinden dauernd gut. Normale Temperatur.
30. VII. Wunden beginnen zu granulieren. Es werden die
letzten Nähte entfernt. Aus der Vulva geringer Ausfluss. Das
Kind erhält T. ferri pom. mit Sirup zu gleichen Teilen 3 mal
täglich 12 Tropfen und Abends 1 Kinderlöffel voll Leberthran.
1. VIII. Wunden schon bedeutend kleiner, zeigen gute Gra¬
nulationen. Allgemeinbefinden dauernd gut, reichliche Nahrungs¬
aufnahme.
8. VIII. Körpergewicht 12 S50 g.
10. VIII. Da die Granulationen stellenweise stark wuchern,
werden dieselben mit Lapis leicht geätzt.
15. VIII. Wunden von heute ab trocken, mit Jodoform und
Acid. bor. pulv. ää verbunden. .
18. VIII. Wunden bedeutend verkleinert, Allgemeinbefinden
und Appetit dauernd gut. Temperatur und Urin normal.
21. VIII. Körpergewicht 13 600 g. Die Wunde der rechten
Leistengegend schon bis auf ca. 1 cm Breite zugeheilt.
26. VIII. Wunden der Vulva und des Afters seit gestern, die
der rechten Inguinalgegend seit heute geschlossen. Die Wunde
der linken Inguinalgegend etwa in der Ausdehnung eines Zwanzig¬
pfennigstückes noch offen.
Am 28. VIII. war das Körpergewicht 14 200 g, am 5. IX. 14 800
und am 13. IX. 15 150 g.
2
179Ö
MÜENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43
Nachstehende Photographie wurde am 10. IX. anfgenommen
und zeigt das Kind vollständig geheilt.
Beachtenswert ist noch das Körpergewicht. Dasselbe be¬
trug am Tage der Aufnahme, 24. Juli, 11850 g und am 13. Sep¬
tember 15150 g. Das Kind hatte also während seines 58 tägigen
Aufenthaltes in der Klinik um 3300 g zugenommen, was einer
durchschnittlichen täglichen Zunahme von 57 g entspricht oder,
anders ausgedrückt, das Körpergewicht hatte sieh um volle
22 Proz. vermehrt.
Zur Frage der Ovariotomie in der Schwangerschaft.*)
Von M. Graefe in Halle a/S.
In unserer Zeit, in welcher die Operationsmethoden und die
Indikationen zu denselben so schnell wechseln und die Ansichten
über die einen wie die anderen oft weit auseinander gehen, ist es
stets mit Freude zu begrüssen, wenn über die Anzeige zu einem
operativen Eingriff eine Einigung erzielt wird. Dies schien hin¬
sichtlich der Ovariotomie in der Schwangerschaft der Fall zu
sein. Eine Eierstocksgeschwulst hei einer Schwangeren galt
während der letzten Jahre allgemein als eine Indikation für die
letztere.
Von langer Dauer ist diese Uebereinstimmung nicht ge¬
wesen. Auf der Naturforscherversammlung zu Aachen im Sep¬
tember 1900 hat sich Fehling1 2) wieder im gegenseitigen
Sinn ausgesprochen. Er sieht eine strikte Indikation zur Opera¬
tion nur in der Stieldrehung eines Ovarialtumors in der Schwan¬
gerschaft, bei Einklemmung im kleinen Becken oder bei rasch
wachsenden Eierstocksgeschwülsten, welche durch ihre Grösse be¬
drohliche Erscheinungen hervorrufen. Bei Erstschwangeren, bei
Frauen, welche Kinder gehabt, aber verloren haben, kurz überall,
wo auf das Kindesleben viel ankommt, rät er, die Operation
möglichst hinauszuschieben; bei Frauen dagegen, wo man deut¬
lich ein starkes Wachstum der Geschwulst beobachtet, in Be¬
rücksichtigung der günstigeren Prognose der früheren Monate,
so bald wie möglich zu operieren. Er schliesst mit dem Satz :
„Die Ovariotomie in der Schwangerschaft ist also durchaus nicht
der Operation einer ungeborstenen Graviditas tubaria unbedingt
an die Seite zu stellen“.
E e h 1 i n g stützt seine von dem bisherigen Standpunkt ab¬
weichende Haltung auf eine auf seine Veranlassung von
W ähmer ')> als Fortsetzung der Oiehausen sehen und
Dsirneschen Zusammenstellung auf gestellte Liste von 130 Fällen
von Ovariotomie in der Schwangerschaft, Aus derselben ergibt
sich eine mütterliche Mortalität von 5 Proz., eine Unterbrechung
der Schwangerschaft in 22,4 Proz., bezw. unter Hinzunahme der
durch den Tod der Mutter zu Grunde gegangenen Föten in
27,8 Proz. der Fälle. Fehling fügt hinzu : „Es ist aber zu be¬
denken, dass, wie üblich, mehr nur die günstigen Fälle veröffent¬
licht sind, dass ungünstige Fälle für Mutter und Kind wohl mehr
vorhanden sind, als wir wissen“. Aus dieser Annahme folgert
er keine in Zahlen ausgedrückte Erhöhung der Mortalität der
Mütter, wohl aber eine solche der Früchte auf 33 Proz. Was ihn
dazu veranlasst, diese nicht veröffentlichten Schwangerschafts¬
unterbrechungen gerade mit 5,2 Proz. zu berechnen, erwähnt er
nicht.
*.) Nach einem in der Gesellschaft für Geburtshilfe zu Leipzig
am 1<>. VI. 02 gehaltenen Vortrag.
’) Centralbl. f. Gynäk. 1900. S. 1044 und Deutsche Aerzte-
zeitung 1900, S. 497.
2) Beiträge zur Ovariotomie in der Schwangerschaft. Dissert.,
Halle 1900.
Schon Orgler3) hat sich gegen eine derartige, ganz will¬
kürliche Schätzung ausgesprochen. Wollte man sie zulassen, so
würde statistischen Berechnungen jede feste Grundlage entzogen.
Sehr mit Recht weist Orgler darauf hin, dass es zweifellos
auch manche Operateure geben wird, welche es für überflüssig
halten, durch Veröffentlichung ihrer glücklichen Fälle das zu
Gunsten der Operation sprechende Material noch zu vermehren.
Anhänger der uneingeschränkten Ovariotomie in der Schwanger¬
schaft könnten daher schliesslich mit demselben Recht die Sta¬
tistik zu ihren Gunsten aufbessern. Es ist aber nicht angängig,
dass wir bei Entscheidungen auf grund einer Statistik in die
letztere nach Gutdünken Faktoren einstellen. Wir müssen uns
streng an das tatsächliche Material halten. Je grösser dieses ist,
um so geringer werden die stets vorhandenen Fehlerquellen sein.
Aus diesem Grunde möchte ich die jüngst von Orgler ver¬
öffentlichte Tabelle um 27 weitere Fälle vermehren, von denen
ich 3 selbst beobachtet habe, die übrigen seit dem Erscheinen der
Orgl ersehen Arbeit veröffentlicht worden sind. Ich lasse
nachstehend zunächst die eigenen Beobachtungen ausführlich
folgen.
1. Frau E., 25 Jahre alt. I. Para. Normale Geburt vor
<i Wochen. Stand bereits am 6. Tag p. part. auf. Nährte. Suchte
ärztliche Hilfe wegen geringer Blutung und Kreuzschmerzen nach.
Pntersuchung ergab damals einen schlecht involvierten Uterus,
links neben ihm einen kindskopfgrossen, beweglichen Ovarial¬
tumor. Die genannten Beschwerden verschwanden bei Bettruhe
und innerlichem Gebrauch von Ergotin. Die angeratene Operation
verweigerte Patientin, da sie ihr Kind nährte und der Sommer
vor der Türe stand. Erst nach Ablauf eines Jahres, während
dessen sie sich angeblich wohl befunden haben wollte, liess sie mich
rufen, nachdem am Morgen plötzlich heftige Unterleibsschmerzen
und Erbrechen aufgetreten waren. Sie gab an, im VI. Monat
schwanger zu sein. Bei der Untersuchung fand sich das Abdomen
auf Druck sehr empfindlich. Der wie im III. Monat der
Schwangerschaft vergrösserte Uterus war stark autefiektiert; ihm
aufliegend, hauptsächlich die linke Unterleibsseite ausfüllend, fand
sich ein mannskopfgrosser, schmerzhafter Tumor. Erst, als sich
in den nächsten 2 Tagen die peritonealen Reizerscheinüngen ver¬
schlimmerten, willigte die Patientin in die Ueberführung in das
Diakonissenhaus ein. Bei Eröffnung des Abdomens quoll sofort
reichlicher, blutig fingierter Aszites hervor. Das Kystom war
überall flächenhaft adliäreut. doch Hessen sich die Verwachsungen
leicht mit der Hand lösen. Nachdem die Cyste eröffnet und ihr
gleichfalls blutiger Inhalt entleert worden, wurde sie vorgezogen.
Es zeigte sich der Stiel zweimal torquiert, blauschwarz, ungefähr
5 cm dick. Er wird dicht am Uterus abgebunden. Dabei ergab
sich, dass er infolge völliger Durchblutung ganz morsch, das ihn
bekleidende Peritoneum sehr zerreisslicli war. Schluss der Bauch¬
höhle. Ungestörter Heilungsverlauf. Keine Wehen p. op. Pa¬
tientin wurde nach 3 Wochen entlassen. Normale Geburt am
rechtzeitigen Termin.
2. Frau Scli., II. Gravida. Erste Geburt vor 1 Jahr, verlief
normal, desgleichen das Wochenbett. Nährt noch. Hat die Menses
3 mal seit der Entbindung regelmässig gehabt. Letzte am 17. VII.
Seit kurzer Zeit Rücken- und wehenartige Unterleibsschmerzen.
2—3 Tage anhaltende Obstipation, Aufstossen, zeitweis Erbrechen.
Häufiger Urindrang. Drängen nach unten. Untersuchung am
2b. IX. ergibt das Corpus uteri autefiektiert. entsprechend dem
II. Monat der Schwangerschaft vergrößert. Hinter ihm, bis nahe
an das hintere Scheidengewölbe reichend, ein mehr als faust¬
grosser, praller, druckempfindlicher Tumor, welcher sich ohne Ge¬
walt nicht nach oben schieben lässt. Kolpotomia post, durch
Längsschnitt. Bei Druck von den Bauchdecken her stellt sich die
Cyste in den durch eine hintere Spiegelrinne zugänglich gemachten
Douglas ein. Sie wird angestochen. Es entleert sich schleimig1
Flüssigkeit. Leichte Entwicklung des mit einer Klemme ge¬
fassten Cystensackes bis zum Tubenwinkel. Abbinden des Stiels
mit Ivatgut. Abtragen des Cyste. Reposition. Schluss der Kolpo-
tomiewunde bis auf den untersten Wundwinkel, in den ein ganz
kleiner Jodoformgazestreifen gelegt wird, da hier das Peritoneum
ausgerissen und nicht zu vereinigen ist. Am ersten Tag in längeren
Zwischenräumen ganz leise, wehenartige Schmerzen. Deswegen
3 mal Tct. Op. simpl. glitt. X. Fieberloser Heilungsverlauf. Ent¬
lassung der I'at. am 14. Tag p. op. Schwangerschaft ungestört.
Pat. ist laut brieflicher Mitteilung am normalen Termin spontan
niedergekommen.
3. Frau A., 35 Jahre alt. Verheiratet seit. 4 Jahren. In dieser
Zeit 3 normale Geburten. Das letzte Wochenbett scheint nicht,
ganz fieberlos verlaufen zu sein. Letzte Menses Ende Oktober.
Seit ungefähr 3 Wochen Rücken- und rechtsseitige, wehenartige
Unterleibsschmerzen. Kombinierte Untersuchung ergibt einen dem
Ende des II. Schwangerschaftsmonates entsprechend vergrösserten
Uterus. Hinter ihm im Douglas, mehr nach rechts gelagert, ein
faustgrosser, prallelastischer Tumor, welcher sich ohne Gewalt¬
anwendung nicht nach oben schieben lässt. Kolpotomia post,
durch Längsschnitt. Einstellen des Tumors durch Druck von
oben nach Einführen einer Rinne in den Douglas. Durch An-
3) Zur Prognose und Indikation der Ovariotomie in der
Schwangerschaft. Arch. f. Gynäkol. <15. II. 1, pag. 124.
28. Oktober 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1791
stechen entleert sieh kolloide Flüssigkeit. Leichtes Verziehen des
erschlafften Cystensackes. Abbinden des Stiels mit Katgut Ab¬
tragung der Cyste. Uebernähen des Stumpfes mit Peritoneum.
Reposition. Schluss der Vagmal wunde. Im Laufe des nächsten
Tages mehrmals von der Patientin als schwach wehenartig be-
zeichnete Schmerzen, welche nach Tct. op. simpl. verschwinden
darter Heilungsverlauf. Entlassung am 20. Tag p. 0p. Schwanger¬
schaftsverlauf bisher ungestört (VI. Monat).3*)
Die nachstehende Tabelle enthält, genau wie die Or gl ersehe
angeordnet, die 24 von mir aus der Literatur gesammelten und
die 3 mehligen Fälle. Die laufende Nummer schliesst sich der
letzten O r g 1 e r sehen an.
Resultat für
Unterbrechung dei
?-1
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Operateur und Publikation
die
Mutter
Gravidität durch
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14)
Bossi, La gynicol. V. No. 6
Frommei , Bericht 1900 S. 742
VI.
+
—
—
—
4-
—
Kindskopfgrosser Tumor. Kompressions-
150
Derselbe, ebendaselbst
VI.
+
4-
erscheinungen. Leichte Wehen p. op.
Mannskopfgrosser 'lumor. Leichte Wehen
151
Jarmann, The Amer. Journ.
of Obst. Bd. XLII S. 244
III.
4-
—
—
—
4-
—
p. op.
152
Derselbe , ebendaselbst
VIII.
4-
—
—
4
—
—
—
Im II. M. wallnussgrosser Tumor bemerkt.
Wuchs sehr schnell (Dermoid). Fiüh-
153
Quenu, Compt. rend delasoc.
d’obstr., de gyn et de päd. II.
S. 144
IV.
4-
—
+
—
—
—
gehurt 3 Wochen- p. op.
Dermoid. Aboit am Tag p. op., die nicht
schwierig.
154
Sapalli-Frommel, Bericht
1900 S. 751
VI.
+
—
4-
—
—
—
—
Stiel torsion des mannskopfgrossen Tumors,
der mit Uterus und Därmen verwachsen.
155
Lapeyre, L’Obstetrique 1901
S. 47
II.
4-
—
4
—
—
—
Abort am Tag p. op.
Künstlicher Abort wegen Hyperemesis.
155
Bland-Sutton, The Lancet
1901. Febr. 9.
II.
4-
—
—
—
—
+
4 Tage nach Kolpotomia post.
Seit 18 Monaten verheirathete IV. Gravida.
Bereits 3mal abortiert. Im Douglas faust-
157
Kahn, Amer. gvn. Journ. 1901
Octob S 357
II.
4-
—
—
—
—
4-
grosser Ovarialtumor.
Doppelseitige Ovariotomie. Zahlreiche Ver-
158
Loewenberg, Zentraibl. f.
Gyn. 1901, No. 51, 8. 1389
III.
4
—
—
—
4
— •
wachsungen.
Doppelseitige Ovariotomie (Stieltorsion).
159
Piersig, Inaug.-Diss. München
1901
VII.
4-
—
—
—
—
—
4-
Sehr grosses Kystom. Punktion desselben
3 Tage a. o. Eventration des Uterus be-
1G0
151
Derselbe, ebendaselbst
Derselbe , ebendaselbst
III.
IV.
4*
4-
—
—
_
—
4
4-
hufs Stielung des Tumors.
Grosser Tumor. Leichte Operation.
W ehenartige Schmerzen schon einige Wochen
vor der Operation, hörten nach derselben
162
Derselbe, ebendaselbst
V.
+
—
4
—
—
—
—
auf.
Sehr schwierige Operation infolge zahlreicher
Verwachsungen des Tumors. Viel Er¬
brechen p. op. Erst am 6. Tag auf hohe
Eingiessungen Flatus und Stuhl. Am
163
164
Derselbe, ebendaselbst
Derselbe, ebendaselbst
VIII.
V.
4-
4-
_
_
—
—
—
4
4
7. Tag Zwillinge ausgestossen.
Punktion 14 Tage a. o.
Stieltorsion. Ausgedehnte Verwachsungen
165
166
Derselbe , ebendaselbst
Derselbe, ebendasölbst
VI.
VI.
4-
4
—
4-
-
4-
—
des Tumors.
Ausschälen des intraligamentären Tumors.
Leichte Operation. 26 Tage nach derselben
Frühgeburt von Zwillingen, die 20 Mi-
167
Derselbe , ebendaselbst
IV.
4-
—
—
—
—
4
_
nuten p. p starben.
Stieltorsion. Glatte Genesung. Künstliche
168
169
Derselbe , ebendaselbst
Derselbe, ebendaselbst
IH.
IV.
4-
4-
—
+
—
—
—
4-
Frühgeburt 4 Wochen a. f.
Stieltorsion.
Stieltorsion. Schwierige Operation infolge
fester Verwachsungen. Glatte Heilung.
Fehlgeburt 10 Wochen p. op. infolge
170
171
Derselbe , ebendaselbst
Derselbe , ebendaselbst
IV.
vm.
_
_
+
z
—
4-
körperlicher Anstrengung.
Starke Verwachsungen.
Stieltorsion. Feste Verwachsungen. Am Tag
p. op. Frühgeburt. Kind starb nach ei-
172
173
174
175
Derselbe , ebendaselbst
Gräfe, noch nicht veröffentlicht
IV.
III.
4"
4-
—
—
—
—
—
4“
-p
nigen Stunden.
S. oben. Stieltorsion.
Desgleichen
Desgleichen
II.
H.
4-
4-
—
—
—
—
4-
4-
Desgl. Kolpotomia post.
Kolpotomia post.
21
Vont^iki !1p ^ k U 4JL k 6 * 4e4 K or re k tu r: Inzwischen sind noch folgende Fälle veröffentlicht: 1. Heller, Lancet 1901, Dez.
uplifirpi Vri ^yn. 190l, pag. 11) — 3 Fälle im III., IV. u. VI. M. 2 Kinder ausgetragen, 1 erweicht (wohl todfaul?) 8 Wochen p. op.
OpLi 4 ?; Fl ai sc hl er (Zentraibl. f Gyn. 1902, No. 34). Kindskopfgrosser Tumor im III. M. entfernt. Ausgetragen. 8. Doktor, Gyn.
P Aerzteverems zu Budapest 27. XI. 00. Mannskopfgrosse Dermoidzyste des rechten Ovarium. Operation im VII. M.
sStnU tat "nge®torfc m4-Bafc^er.(Ibld-)- Mannskopfgrosses Kystom. Operation im II M. Geburt rechtzeitig. 5. Marschner (Gyn. Ge-
„ i ... ZU ^sdcn 20. II. 02). Vereitertes Dermoidkystom im Douglas eingekeilt. Kindstöne schon hörbar. Schwere Operation. Schwanger-
unges ort. G Derselbe. Eigrosses Ovarialkystom. Mehrwöchentliche Blutung. Operation. Schwangerschaft ungestört.
^ ährend F e h 1 i n g, wie bereits erwähnt, eine mütterliche
Mortalität von 5 Proz. nach Ovariotomie in der Schwangerschaft
berechnet, sinkt dieselbe in der O r g 1 e r sehen Statistik
'*) Nachtrag bei der Korrektur: Ist inzwischen rechtzeitig
niedergekommen.
(146 Fälle mit 4 Todesfällen) auf 2,7 Proz. Das Verhältnis ge¬
staltet sich noch günstiger, wenn wir die eben wiedergegebenen
27 Fälle, von denen keiner starb, hinzurechnen. Es ergibt sich
dann eine Mortalität von nur 2,3 Proz.
Von den letzten 100 Fällen der O r g 1 e r sehen Zusammen-
2*
1792
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Stellung starben nur 2, die eine Kranke (No. 128) 3 Monate p. op. ^
ausserhalb der Klinik, so dass ein Zusammenhang- mit der Opera- j
tion nicht anzunehmen ist, die andere (No. 130) an den Folgen j
der Entfernung einer intraligamentär entwickelten Cyste am
3. Tag p. op. Diese Cyste enthielt geruchlosen, gelblichen, |
dünnen Eiter, aus welchem Bacterium coli gezüchtet wurde. Die
Obduktion ergab Adhäsionen des Netzes an die rechte Regio in-
guinalis und iliaca, in Folge davon Kompression der unteren
Partien des Ileum ohne Aufhebung der Durchgängigkeit. Jen¬
seits der Kompression war der Dünndarm erweitert und vorder¬
armdick, in der Wand des Jejunum diplitheritische und gan¬
gränöse, bis an die Serosa reichende Herde. Die Darmwand
wurde durchgängig und gab zur fibrinösen Peritonitis Ver¬
anlassung.
Ich habe diesen Sektionsbefund ausführlich wiedergegeben,
da er beweist, dass der Tod der Patientin höchstens durch die
Operation beschleunigt, aber nicht veranlasst wurde. Auch ohne
dieselbe würden die bis an die Serosa reichenden gangränösen
Herde binnen kurzem durchgebrochen sein und zum Exitus
letalis geführt haben. Dagegen ist anzunehmen, dass, wäre die
Patientin frühzeitiger zur Operation gekommen, die Kompression
des Darmes noch nicht zu den erwähnten geschwürigen Prozessen
geführt hätte bezw. diese nicht so weit vorgeschritten gewesen
wären und die Kranke dann den Eingriff überstanden hätte.
Dieser Fall würde also, will man ihn überhaupt verwerten,
nicht gegen die Ovariotomie in der Schwangerschaft sprechen,
scndern für eine möglichst frühzeitige Vornahme derselben.
Leider fehlen bezüglich der 3 anderen Todesfälle (No. 5,
47, 48) in der O r g 1 e r sehen Tabelle alle Angaben über die
Todesursache und etwaige Komplikationen, Schwierigkeit der
Operation. Der Fromme Ische Jahresbericht, nach welchem
sie zitiert sind, ergibt gleichfalls keine Details. Die Original¬
arbeiten konnte ich mir nicht verschaffen. Ich kann deswegen
nicht beurteilen, inwieweit bei diesen Fällen die Operation direkt
für den tödlichen Ausgang verantwortlich zu machen ist und
ob nicht auch bei ihnen dringende Indikationen zur Entfernung
der Geschwulst Vorgelegen haben.
Erfreulich ist es, dass die letzten 126 Operationen, welche
alle erst seit dem Jahre 1892 vorgenommen worden sind, nur
1 Todesfall aufzuweisen haben, den oben erwähnten (No. 130 der
Or gl e r sehen Tabelle), welcher der Ovariotomie nicht zuzu¬
schreiben ist. Dieses glänzende Ergebnis ist wohl unfraglich
zum grossen Teil der Vervollkommnung der Asepsis und der
Technik der Bauchoperationen in den letzten 10 Jahren zu zu¬
schreiben. Finden sich doch unter den Operationen eine ganze
Reihe schwieriger, sowie doppelseitiger Ovariotomien.
Eine erhöhte Gefährdung des mütterlichen Lebens durch
die Ovariotomie in der Schwangerschaft liegt also auf keinen
Fall vor. Anders verhält es sich mit der des Fötus, welche, wie
schon erwähnt, Fehling Veranlassung gibt, eine Ein¬
schränkung der Ovariotomie in der Schwangerschaft zu befür¬
worten. Wir haben gesehen, dass Wähmer aus seiner Zu¬
sammenstellung 22,4 Proz. Schwangerschaftsunterbrechungen be¬
rechnet, denen Fehling mit Recht noch die infolge des Todes
der Mutter (nach ihm 5,4 Proz.) zu Grunde gegangenen Kinder
und willkürlich weitere 5,2 Proz. hinzufügt. Dass letzteres nicht
zulässig ist, wurde bereits erörtert.
Die Orgler sehe Statistik gibt ungleich günstigere Zahlen.
Alle vorzeitigen Schwangerschaftsunterbrechungen (sowohl durch
Abort und Frühgeburt, wie durch das Absterben der Frucht
durch den Tod der Mutter) zusammengerechnet erhält er nur
22,5 Proz. gegenüber Fehlings 27,8 Proz. Ein um ein ge¬
ringes ungünstigerer Prozentsatz (22,7 Proz.) ergibt sich, wenn
wir den 142 Orgler sehen Fällen unsere 25 — einer, in dem
wegen Hyperemesis später künstlicher Abort eingeleitet wurde
(No. 155), ein zweiter, in dem 10 Wochen p. op. infolge körper¬
licher Feberanstrengung Frühgeburt eintrat (No. 169), scheiden
aus — hinzufügen, von denen, wie oben angegeben, alle Mütter
am Leben blieben, während es 6 mal zum Abort bezw. Früh¬
geburt kam. Das Resultat wird aber ein weit besseres, sofern
wir der Berechnung nur die von Orgler gesammelten bezw.
eigenen und unsere Fälle, ingesamt 119 (von den 100 Fällen
O r gl e rs scheiden 6 — 1 krimineller Abort, 2 künstliche Früh¬
geburt n, 1 todfaule Frucht (am Tage p. op. ausgestossen),
1 Blasenmole, 1 Tod der Mutter (nicht durch die Operation) —
aus) zu Grunde legen. Wir erhalten dann nur 16 Proz. der
letzteren mit 19 Schwangerschaftsunterbrechungen. Dieser
Prozentsatz ist noch geringer wie der, welchen sowohl R e in y )
wie J e f f e r ") für die Fälle festgestellt haben, bei welchen der
Tumor nicht operativ entfernt wird (17 Proz.).
Ob dies Zurückgehen der Häufigkeit der Schwangerschafts¬
unterbrechung nach Ovariotomie ein konstantes ist, muss die
Zukunft zeigen. Möglich, dass es nur dem Zufall zuzuschreiben.
Wenigstens spricht die Zahl von 6 Aborten bezw. Frühgeburten
unter den 25 von mir gesammelten bezw. beobachteten Fällen,
welche alle erst den letzten 2 Jahren entstammen, hierfür. Sie
würden wieder 24 Proz. ergeben.
Bei der Wertung der Schwangerschaftsunterbrechungen
muss aber ohne Frage berücksichtigt werden, dass eine ganze
Reihe nach Operationen eingetreten sind, welche auch nach
F e h 1 i n g strikt indiziert waren durch Stieltorsion, Einklem¬
mung des Tumors im kleinen Becken und andere Erscheinungen,
welche eine sofortige Entfernung der Geschwulst erforderten.
So war in Fall 4 (die Nummer bezieht sich auf die Or gl er¬
sehe Statistik und meine Fortsetzung derselben) ein malignes
Ovarialkystom rupturiert. In der Folge hatte sich starker
Aszites entwickelt. Unmittelbar nach der Operation trat Fehl¬
geburt einer 6 monatlichen Frucht ein. Hier wäre einerseits
Abwarten bis zur Lebensfähigkeit derselben geradezu ein Kunst¬
fehler gewesen, andrerseits würde aller Voraussicht nach auch
spontan bald die Unterbrechung der Schwangerschaft eingetreten
sein. Bei Fall 7 bestand Stieltorsion. In Fall 14 bestanden
Wehen und blutiger Ausfluss. Pat. fieberte. Puls 156. Er¬
brechen. Durch Koeliotomie wurde eine überall adhärente, ver¬
eiterte Ovarialcyste entfernt. 4 Stunden später Abort. Trotz¬
dem genas die Patientin. Hier war also bereits vor der Operation
der Abort im Gang.
Bei Fall 31 gaben plötzlich aufgetretene Schmerzen
(Wehen?) die Anzeige zur Operation. Es wurde eine doppel¬
seitige Dermoidcyste entfernt. Am 3. Tag p. op. erfolgte Abort.
Fall 34 wies Stieltorsion auf.
In Fall 41 bestanden bei der im 8. Monat Schwangeren,
welche seit 5 Wochen bettlägerig war, Verschiebung der Herz¬
dämpfung, über der Ilerzbasis Katzenschnurren, über dem ganzen
Herzen ein systolisches Geräusch, kolossale Auftreibung des
Abdomen, Oedem der Unterschenkel, Atemnot bei Bewegungen.
Es wurde zunächst zur Sicherung der Diagnose vom rechten
Hypogastrium punktiert (Entleerung von 100 ccm zäher Flüssig¬
keit), 4 Tage später ovariotomiert. 5 Tage später trat Früh¬
geburt ein.
In Fall 72 und 79 war es zur Stieltorsion gekommen. Ausser¬
dem bestand bei dem letzteren Peritonitis; das am Tag p. op.
ausgestossene Kind war bereits faultot.
Bei Fall 130 wurde wegen schnellen Wachstums der Ge¬
schwulst operiert. Letztere, intraligamentär entwickelt, war viel¬
fach verwachsen und enthielt dünnen Eiter, in dem sich Bac¬
terium coli fand. Patientin starb 3 Tage p. op. Ohne den Ein¬
griff wäre sie sicher zu Grunde gegangen, während durch den¬
selben die Möglichkeit ihrer Rettung gegeben war.
In Fall 138 bestand Stieltorsion.
Bei Fall 140 waren bereits Wehen und Blutungen voraus¬
gegangen. Der intraligamentär entwickelte Tumor war vielfach
mit Netz, Darm, Beckenwand verwachsen, so dass die Operation
sehr schwer war. Am 4. Tag' trat Abort ein.
In Fall 154 war es zu Stieltorsion gekommen, der mannskopf-
grosse Tumor mit Uterus und Därmen verwachsen. Abort am
Tag p. op.
Bei Fall 162 war der Leib seit Jahresfrist immer stärker ge¬
worden. Es bestanden heftige Leibschmerzen, Atembeschwerden
und Mattigkeit. 14 Tage vor der Operation wurden durch Punk¬
tion 14 Liter Flüssigkeit entleert. Der Tumor war mit dem
Bauchfell, der Blase und der vorderen Beckenwand fest und breit
verwachsen. Infolgedessen gestaltete sich die Operation
schwierig. Erst 6 Tage nach derselben gingen, nachdem immer
wieder hohe Einläufe vergeblich gemacht worden waren, Flatus
und etwas Stuhl ab. Am folgenden Tag wurden Zwillinge
(5. Monat) geboren.
4) De la grossesse compliquee de Kyste ovarique. Paris 1886.
5) lieber den Einfluss der Eierstocksgeschwülste auf die Kon¬
zeption. Inaug.-Diss., Tübingen 1861.
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1793
In Fall 169 und 171 bestanden ausser Stieltorsion feste Ver¬
wachsungen des Tumors, welche die Operation erschwerten. Nur
in dem zweiten ist die Frühgeburt der letzteren zuzuschreiben;
im ersten trat diese erst 10 Wochen p. op. nach schwerer körper¬
licher Anstrengung ein.
Aus den vorstehenden kurzen Angaben ist ersichtlich, dass
in diesen 15 Fällen von jeder Rücksichtnahme auf das kindliche
Leben Abstand genommen werden musste, da sonst das mütter¬
liche direkt, bei weiterem Abwarten oder bei der Geburt schwer
gefährdet worden wäre. Man könnte sie daher bei der Entschei¬
dung der Frage, ob Ovarientumoren in der Schwangerschaft auch
ohne zwingende Indikation operiert werden sollen, ausscheiden,
und das umsomehr, als es sich fast durchweg um schwierige
Operationen handelt, nach denen von vornherein der Eintritt der
Fehl- oder Frühgeburt zu fürchten war. Allerdings muss zu¬
gegeben werden, dass sich die Wahrscheinlichkeit der letzteren
nicht immer proportional der Schwere des Eingriffs verhält. Es
finden sich mehrere Fälle, in denen trotz schwieriger Opera timt
die Schwangerschaft ihren ungestörten Verlauf nahm. Ins¬
besondere gilt letzteres für die doppelseitige Ovariotomie, bei
welcher man früher in dieser Beziehung die Prognose sehr
schlecht stellte. Schon O rgler hat darauf hingewiesen, dass
sie keine ungünstigeren Chancen bietet, wie die einfache. Er
stellte 30 Fälle mit 6 Schwangerschaftsunterbrechungen zu¬
sammen. Zu diesen treten aus meiner Zusammenstellung noch
2 weitere (157, 158), bei welchen die Gravidität ungestört weiter
verlief, obwohl sich in dem einen zahlreiche Verwachsungen, in
dem anderen Stieltorsion des einen Tumors fanden.
Auf der anderen Seite sehen wir manchmal Fehlgeburten
bei nicht komplizierten Fällen und nach infolgedessen glatten
Operationen eintreten, so in Fall 9, 17, 23, 27, 28, 29, 107, 148,
153, 155, 166. Ich glaube, dass es, sich hier ebenso verhält, wie
bei Aborten nach anderen Traumen. Wir beobachten nicht selten,
dass geringfügige zur Schwangerschaftsunterbrechung führen,
während heftige dies manchmal nicht tun. Es ist dies nur so zu
erklären, dass im ersteren Fall schon eine Disposition zum Abort,
wohl meist infolge einer Endometritis decidualis vorhanden ist,
so dass es nur eines geringen Anstosses bedarf, um jenen aus¬
zulösen, während im letzteren diese fehlt und infolgedessen selbst
stärkere Gewalteinwirkungen ohne Effekt auf den Uterus bezw.
das Schwangersehaftsprodukt bleiben. Wahrscheinlich würde in
den Fällen, in welchen sich die Fehlgeburt glatten, schnellen
Ovariotomien anschliesst, diese auch ohne den operativen Ein¬
griff über kurz oder lang eintreten.
In der Kasuistik finden sich 3 Krankengeschichten, wo schon
bei den Anzeichen des AJrortus imminens (wehenartige Schmer¬
zen, oder Blutungen, oder beide zusammen) operiert wurde
(Fall 14, 140, 141). Auch bei diesen lag eine gewisse Berechti¬
gung vor, sie bei der prozentualen Berechnung der Schwanger-
sehaftunterbrechung nach Ovariotomie auszuscheiden, da der
Abort nicht dieser, sondern der Komplikation der Gravidität
durch den Tumor zuzuschreiben ist.
Schliesslich sind noch die Fälle zu erwähnen, bei denen die
Anamnese insofern eine Disposition zum Abort ergibt, als ein
solcher schon mehrfach vorhergegangen ist, oder die Beschaffen¬
heit des Eies die Unterbrechung der Schwangerschaft erklärt.
Letzteres ist in Fall 6 der Fäll, wo es infolge von Placenta
praevia 14 Tage p. op. zur Frühgeburt kam, in Fäll 98, bei dem
Blasenmole bestand und in Fall 79, wo die am Tage nach der
Operation ausgestossene Frucht bereits faultot war. In Fall 17
war während der letzten Jahre mehrfach Abort erfolgt; zum letz¬
ten Mal 4 Monate zuvor. Bei Fall 139 waren 3 Aborte, der letzte
vor % Jahren vorausgegangen.
Berücksichtigen wir also, dass es bei durch Ovarialtumoren
komplizierter Schwangerschaft in 17 Proz. der Fälle auch ohne
operativen Eingriff zur Unterbrechung der letzteren kommt, dass
nach Ovariotomie Fehl- oder Frühgeburt auch nur in 22,5 Proz.
eintritt, dass in einem Drittel der Fälle, in welchen dies der Fall
war, eine unabwendbare Indikation zur Operation vorlag, dass
sehr wahrscheinlich oder sicher bei einer Reihe von Patientinnen,
bei welchen es nach der Operation zur Unterbrechung der
Schwangerschaft kam, dies auch ohne dieselbe der Fall gewesen
sein würde, so ergibt sich schon hieraus, dass ein abwartendes
Verhalten nicht gerechtfertigt ist. Und das umsoweniger, als
durch ein solches den Trägerinnen der Geschwulst sowohl
No. 43.
während der Fortdauer der Schwangerschaft, wie während der
Geburt und des Wochenbettes Gefahren erwachsen können. Ich
verweise bezüglich derselben auf die Ausführungen Orglers0),
sowie auf die Berechnung v. W i n c k e 1 s ’), nach der bei ex-
spektativem Verhalten in der Schwangerschaft die Sterblichkeit
der Mutter 39,2 Proz., die der Kinder 67 Proz. beträgt. Nur auf
einen Punkt möchte ich noch eingehen. Findet man bei einer
Schwangeren eine Eierstocksgeschwulst, und entschliesst man
sich, dieselbe nicht zu entfernen, so ist man doch verpflichtet,
der Patientin von ihrem Vorhandensein Mitteilung und sie auf
die durch dieselbe unter Umständen bedingten Gefahren auf¬
merksam zu machen. Unterliesse man dies, so würde man eine
schwere Verantwortung auf sich nehmen. Selbst wenn man die
Kranken auffordert, sich von Zeit zu Zeit wieder vorzustellen
oder bei eintretenden Beschwerden zu schicken, so hat man da¬
durch noch keine Gewähr, dass man sie tatsächlich unter den
Augen behält und Gelegenheit hat, im gegebenen Augenblick so¬
fort einzugreifen. Heutzutage wird nur allzu gern der Arzt ge¬
wechselt und dem neu zu Rate gezogenen die frühere Konsul¬
tation eines anderen verschwiegen. Nach einigen Wochen, selbst
nach kürzerer Zeit kann aber das Krankheiitsbild, der Unter¬
suchungsbefund derart verändert sein, dass derjenige, welcher
den Fall früher nicht untersucht hat, zu einer falschen Diagnose
kommen kann. Besonders gilt dies von der Stieltorsion ovarieller
Tumoren im Wochenbett. Die beiden Fälle, welche ich selbst
operiert habe, waren von den behandelten Aerzten irrtümlich ge¬
deutet worden.
1. Fräulein Sp., Multipara. Frühere Entbindungen und
Wochenbetten normal, auch die letzte. Am 8. Tag des Wochen¬
bettes bekam die Wöchnerin, als sie sich, nachdem sie das Kind
gestillt hatte, schnell auf die andere Seite drehte, plötzlich heftige
Schmerzen, welche sich unter Erbrechen in den nächsten Stunden
steigerten. Der hinzugezogene xlrzt fand das Abdomen stark auf¬
getrieben und ausserordentlich druckempfindlich. Er stellte die
Diagnose auf Peritonitis. Am 2. Tag stieg die Temperatur auf
39,7 °, am 3. auf 40 °. Bis zum 14. Tag schwankte sie zwischen
38,2 und 39,5°. Nach 5 Tagen zugezogen, stellte ich die Diagnose:
Stieltorsion eines grossen Ovarialtumors. Die Angehörigen ver¬
weigerten die Ueberführung der Kranken, welche eine einstündige
Bahn- und halbstündige Wagenfahrt nötig machte. Erst nach
3 Wochen gestatteten sie dieselbe. Die Operation war durch feste
Verwachsung der ganzen Vorderfläche des torquierten Kolossal-
tumors mit der Bauchwand, sowie Netz- und Darmadhäsionen sehr
erschwert. Trotzdem war der Heilungsverlauf ein glatter.
2. Frau H., Multipara. Vor mehreren Monaten spontane Ge¬
burt eines 11 pfündigen Kindes. Angeblich beschwerdefrei, bis
sich plötzlich in einer Nacht heftige rechtsseitige Unterleibs-
Schmerzen einstellten. Der zugezogene Arzt führte sie auf Ver¬
stopfung, bezw. Blinddarmentzündung zurück. Am 3. Tag kon¬
statierte ich einen mannskopfgrossen, hinter dem Uterus gelegenen,
sehr schmerzhaften, prallelastischen, wenig beweglichen Tumor.
Puls 120. Temperatur 38,5 °. Patientin sieht verfallen aus. Dia¬
gnose: torquierter Ovarialtumor. Bei der Köliotomie am nächsten
Tag fand sich ein zweimal um seinen Stiel gedrehtes Ovarial¬
kystom. In dem Stiel bleistiftdicke Venen. Die Tube blutrot,
fingerdick. Abtragung des Tumors. Glatte Genesung. Das Zu¬
standekommen der Torsion war hier durch die ausserordentliche
Schlaffheit der Bauchdecken begünstigt worden.
Man ist also ohne Frag’e verpflichtet, eine Schwangere, bei
welcher man einen Ovarialtumor konstatiert, die man aber nicht
operieren will, von dem Vorhandensein derselben und eventuellen
durch ihn entstehenden Gefahren, bezw. einer vielleicht not¬
wendig werdenden Operation in Kenntnis zu setzen. Ob es rich¬
tig ist, hierdurch eine durch ihren augenblicklichen Zustand in
der Regel auf der einen Seite sehr erregbare, auf dffr anderen
zu psychischer Depression neigende Frau in eine stete Angst und
Sorge zu versetzen, ist mehr als zweifelhaft, selbst bei Erst¬
schwangeren oder Frauen, welche Kinder verloren haben. Wenn
man diesen auseinandersetzt, dass später die Operation doch vor¬
genommen werden müsse, dass bei einer Verschiebung derselben
verschiedene, zum mindesten sehr unangenehme Zwischenfälle
eintreten können, vor allem eine Unterbrechung der Schwanger¬
schaft durch jene nicht mit Sicherheit vermieden werde, so
werden auch sie sich meist zur Ovariotomie bereit erklären.
Obwohl, wie schon erwähnt, schwierige, langdauernde Ovario¬
tomien des öfteren nicht zur Unterbrechung der Schwangerschaft
führen, so muss doch der Operateur bestrebt sein, den Eingriff
schnell und unter möglichster Vermeidung von Manipulationen
6) a. a. O. S. 156.
) Piersig: 14 Fälle von Ovariotomie in der Schwanger¬
schaft. Inaug.-Diss., München 1901, S. 20.
3
1794
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
am Uterus zu beenden. Am leichtesten wird dies in der Regel
auf dem Weg der abdominellen Köliotomie zu erreichen sein.
Sie gestattet, bei Beckenhochlagerung die Geschwulst unter ge¬
nauer Kontrolle des Auges, in nicht komplizierten Fällen ohne
Dislokation des Uterus zu entfernen. Bei intraligamentärer Ent¬
wicklung, Verwachsung des Tumors mit den Nachbarorganen
kommt allein der Bauchschnitt in Frage.
Der andere Weg-, von der Scheide aus, ist nach meinem Da¬
fürhalten nur für eine bestimmte Gruppe von Fällen benutzbar.
Die Ivolpotomia anterior scheidet von vornherein aus, da das Ab-
schieben der Blase von der Zervix, das eventuell notwendig
werdende Hervorziehen des Corpus uteri, die Vernähung der ge¬
setzten Wunde, welche teilweise den letzteren in Mitleidenschaft
zieht, ein viel zu starkes und dabei völlig vermeidbares Trauma
für den schwangeren Fruchthalter bilden. In Betracht kommt
nur die Kolpotomia posterior und zwar ausschliesslich für die
Fälle, in denen ein cystischer Tumor im Douglas bezw. auf dem
hinteren Scheidengewölbe liegt. Hier gestaltet sich die Operation
sehr einfach. Die hintere Lippe der Portio wird im Rinnen¬
spekulum eingestellt, mittels Kugelzange gefasst und nach oben
gezogen, die hintere Scheidenwand median gespalten, der Douglas
eröffnet, eine nicht zu breite Rinne nach hinten in ihn ein¬
geführt. Entweder stellt sich jetzt die Cyste von selbst ein
oder sie wird durch Druck von den Bauchdecken her sichtbar
gemacht. Sie wird angestochen, die Schnittränder beiderseits
mit Klemmen gefasst und, während sich der Inhalt entleert, der
Sack langsam so weit extrahiert, bis er gestielt und abgetragen
werden kann. In den beiden von mir mittels Kolpotomia posterior
operierten Fällen gelang letzteres ohne jede Schwierigkeit, vor
allem, ohne dass ein gewaltsamer Zug am Uterus hätte ausgeübt
werden müssen. Flat man sich nach Legung der Ligaturen und
Abtragung des Tumors, indem man die Fäden locker lässt, über¬
zeugt, dass es aus dem Stumpf nicht mehr blutet, so werden
jene abgeschnitten und der Uterus zurückgeschoben. Darauf
wird die Scheidenwunde durch das Peritoneum mitfassende
Ivatgutnähte geschlossen, eventuell in den unteren Wundwinkel
ein kleiner, kurzer Jodoformgazestreifen eingelegt.
Zix den 7 O rgler sehen durch Kolpotomia post, operierten
Fällen kommen noch meine beiden und ein von Lapeyre (155)
mitg'eteilter. In letzterem wurde 4 Tage p. op. wegen anhaltender
Hyperemesis der künstliche Abort eingeleitet. Von den übrigen
9 nahmen 7 bezüglich der Schwangerschaft einen ungestörten
Verlauf (3 im II. Monat, 2 im IV. Monat, je einer im V. und
IX. Monat); in 2 kam es zum Abort bezw. Frühgeburt
(Schwangerschaft im IV. und VIII. Monat). Aus diesen kleinen
Zahlen irgendwelche Schlüsse zu ziehen, ob die Kolpotomia post,
bei vorgeschrittener Schwangerschaft häufiger zur Unterbrechung
der Schwangerschaft führt, als in früheren, ist nicht angängig.
Es liegt aber auf der Hand, dass der Uterus, je grösser er ist,
um so gewaltsamer nach unten gezogen werden muss, um die
Stielung- und das Abbinden des Tumors zu ermöglichen. Man
muss Bedenken haben, ob dies ganz gleichgültig ist. Voraus¬
sichtlich wird sich die Operation vom Abdomen in den letzten
Monaten der Gravidität wesentlich einfacher gestalten, als von
der Scheide aus. Auf der anderen Seite wäre vielleicht zu diesem
Zeitpunkt zu berücksichtigen, dass, falls die Unterbrechung der
Schwangerschaft dem Eingriff schnell folgt, die frische Bauch¬
wunde nicht ganz gleichgültig ist, sowohl bezüglich des Verlaufes
der Geburt in Folge mangelhafter Funktion der Bauchpresse,
wie eines eventuellen Auseinandergehens der Nähte, während die
kleine Scheidenwunde hier von weit geringerer Bedeutung ist.
Schliesslich wäre auch die Frage zu beantworten, ob es an¬
gezeigt ist, auch da noch zu ovariotomieren, wo der Abort sich
bereits durch Wehen oder auch Blutungen ankündigt. Es ist das
entschieden zu bejahen. Denn eine Reihe von Fällen (Fleisch-
len: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 1894, S. 48, ferner Fall
86, 101, 161, 174, 175) beweisen, dass nach Entfernung des Tu¬
mors die Uteruskontraktionen wieder naclilassen, die Blutungen
aufhören können. Tritt der Abort oder die Frühgeburt aber doch
ein, so verlaufen diese bei sachgemässer, schonender Behandlung
ohne Schädigung für die Patienten.
8) Die Erkrankungen des Eierstocks und Nebeneierstocks.
Veits Handbuch der Gynäkologie III. Bd., I. Hälfte, S. 489.
Nach alledem kann auch ich mich, wie O rgler nur dem
Rath Pfannenstiels8) anschli essen, „zu operieren, sobald
die Diagnose von Ovarialtumor bei Schwangerschaft gestellt ist“.
Zur Frage der Blasennaht nach Sectio alta.
Von C. Hof mann in Köln-Kalk.
Wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, dass man nach der
operativen Eröffnung der Harnblase sowohl durch die Naht, als
auch durch die Drainage bei der Nachbehandlung gute Resultate
erzielen kann, so ist doch nicht zu vergessen, dass die Naht ent¬
schieden das erstrebenswerte und ideale Verfahren darstellt, das,
erfolgreich ausgeführt, in viel kürzerer Zeit eine Heilung herbei¬
führt, als es selbst beim glattesten Verlauf der Drainage möglich
wäre. Bekanntermassen versagt aber die Naht häufig und in
manchen Fällen von starker Cystitis, Wandveränderungen,
Quetschung und Zerfetzung der Wundränder etc. ist sie geradezu
kontraindiziert; und so kann die Frage trotz der befriedigenden
Resultate bei richtiger Auswahl der Fälle für die eine oder andere
Wundversorgungsmethode nicht als gelöst gelten. Unser Streben
wird noch immer auf eine Verbesserung der Naht, sei es im
Sinne der Technik oder der Herbeiführung geeigneter Vor¬
bedingungen, die unter Umständen selbst bei vollkommenster
Technik erst den Erfolg garantieren, gerichtet sein müssen.
Es würde zu weit führen, die Vorteile der Drainagebehand¬
lung gegenüber der Naht oder umgekehrt abzuwägen, auch will
ich nicht auf die Gründe näher eingehen, die bei einem ver¬
mittelnden Standpunkt im gegebenen Falle für die eine oder an¬
dere Art des Vorgehens sprechen; ich will nur erwähnen, dass
tatsächlich eine grosse Divergenz in den Anschauungen herrscht.
Wir finden neben eifrigen Anhängern der Drainage — ich nenne
neben den bekannten älteren v. Dittel, Guyon, Tren¬
delenburg, Zuckerkandl noch Kaczowski1) und
Stierlin2) — , abgesehen von Vertretern eines eklektischen
Standpunktes, auch warme Fürsprecher der Naht; vor allem
haben Chirurgen unserer östlichen Nachbarn, bei denen die Stein¬
krankheit ■ — besonders in Russland und Bulgarien — recht
häufig zu sein scheint, uns durch mehrere neue Nahtmethoden
in den letzten Jahren bereichert. In erster Linie ist hier
Rasumowskis3) Methode, die als wesentlich Neues eine
gleichzeitige Fixation der Harnblase an die vordere Bauchwand
(Cystopexie) mit der Naht bringt, zu nennen. Das Annähen an
die Bauchdecke halte ich überhaupt für sehr empfehlenswert,
da es sowohl den Dauerkatheter unnötig macht, als auch vor
allem den prävesikalen Raum ausschaltet. Die Art des Nähens
ist bei R. ziemlich kompliziert und gipfelt darin, dass, da die
Fäden der einen Seite der Blasenwunde auf der entgegen¬
gesetzten Seite der Hautwunde herausgeführt werden, eine voll¬
ständige Herausnahme der Fäden ermöglicht ist. Dass dieses Vor¬
gehen vor einer gewöhnlichen zweietagigen versenkten Katgut-
oder Seidennaht einen Vorzug hat, glaube ich nicht, so sehr die
gleichzeitig ausgeführte Cystopexie Vorzüge in sich sohliesst, die
bei keiner anderen Naht, es sei denn, dass man die Cystopexie
hinterher besonders ausführt, erreicht werden. Weitere Naht¬
methoden haben Jonnescu4 5), E. Juvara und Bala-
cescu1) angegeben, die aber wegen ihrer Kompliziertheit wenig
empfehlenswert sind. Auch Iwanow0) spricht sich sehr für
die Naht aus ; er fixierte in seinen Fällen nach der gewöhnlichen
Etagennaht die Blase an der vorderen Bauchwand. Seine Re¬
sultate sind übrigens keine sehr günstigen, da er kaum mehr als
50 Proz. primärer Heilung zu verzeichnen hat, während
R a s u m o ws k i nach seiner Methode, wie wir einer Mitteilung
Golisohenskis auf dem russischen Chirurgenkongress 1899
entnehmen, unter 32 Fällen 27 mal eine primäre
9 Centralbl. f. Cliir. 1899, No. 11 und 16. Eine neue Methode
der Harnblasendrainage nach hohem Blasenschnitt zur Verhütung
der Harninfiltration.
2) Stierlin: Zur Technik des hohen Steinschnitts. Deutsch.
Zeitschr. f. Chir. Bd. 44, p. 293.
3) v. Langenbecks Archiv Bd. 57, H. 2. Ein neues Verfahren
der Blasennaht nach Sectio alta.
4) Gaz. des höpitaux 1899, 22. Cystorrhaphie primitive.
Nouveau procede opöratoire.
5) Wien. klin. Bundschau 1898, 40 u. 41. Eine neue Methode
der Cystorrhaphie durch Ueberdachung.
°) Wratsch 1899, No. 29, zit. nach Centralbl. f. Chir. 1899,
No. 45. Einige Bemerkungen zu Gunsten der primären Blasennaht
bei hohem Steiusclinitt.
28. Oktober 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1795
Heilung der Nahtlinie erzielte. Dieses Resultat kann
sich den besten an die Seite stellen und beruht wohl in erster
Linie auf der vollkommenen Technik.
R o m m 7), ebenfalls ein prinzipieller Anhänger der Naht,
berichtet über. 28 Fälle, die alle primär genäht wur¬
den , 4 starben, 12 heilten p. p., die anderen 12 wur¬
den undicht. R o m m öffnet die Blase nahe dem Fun¬
dus, um die Wunde möglichst vom Blasenhals, wo bei
der Entleerung die stärksten Kontraktionen der Wandung
auf treten, zu entfernen. Da R. auch bei septischer Cystitis die
A aht versucht, so erklärt sich daraus sein verhältnismässig nicht
sehr günstiges Resultat in Bezug auf die primäre Heilung.
Mehr der Auswahl redet L i s s j a n s k i 8 *) das Wort, der
50 neue Fälle mitteilt. Bei gesunder Blase empfiehlt er die Naht
mit Fixation an die vordere Bauchwand, welche er für wesentlich
hält, wenn auch weitere Erfahrungen darüber noch zu sammeln
seien. Für die Fälle mit cystitischen Erscheinungen hält er die
partielle Naht oder die offene Behandlung indiziert, besonders
wenn es sich um schwächliche Patienten handelt. Mehr dem
R omni sehen Standpunkt kommt Lotheissen ö) nahe, dessen
Ausführungen sich allerdings nur auf wenige Fälle stützen. Er
empfiehlt für die Sectio alta bei Steinen und Fremdkörpern die
Naht, für Geschwülste der Blase und Tuberkulose dagegen die
Nachbehandlung mittels Drainage, ein Standpunkt, den man
wohl nicht immer wird teilen können.
Wenn man die Resultate der einzelnen Autoren vergleicht,
dann muss man mit Rücksicht auf die Rasumowski sehen
Erfolge fast zu der Ueberzeugung kommen, dass die Heilung
zum grössten Teil von der Nahtmethode abhänge und dass sich
Verbesserungsvorschläge nur nach dieser Richtung hin bewegen
dürften. Wahrscheinlich beruht aber das günstige Resultat von
Rasumowski neben der guten Technik mit auf einer sach-
gemässen Auswahl der Fälle. Rom m, der ausnahmslos die
A aht macht, hat trotz der F ixation der Blase an die vordere
Bauch wand, die ja auch das Wesentliche der Rasumowski-
schen Methode darstellt, ein viel schlechteres Ergebnis erzielt
und zwar wohl deswegen, weil er ohne Ausnahme auch Fälle mit
septischer Cystitis zu nähen versucht hat. In dem jeweiligen Zu¬
stande der Blase scheint mir daher doch wohl der Schwerpunkt
des Zustandekommens oder Versagens der Naht zu liegen. Aus
dieser Erkenntnis heraus empfiehlt auch Lissjanski die
Naht nur bei gesunder Blase.
Es liegt auf der Hand, dass bei dieser Sachlage der Stand¬
punkt Lotheissens, der die Indikation für die Blasennaht
lediglich auf Grund der vorliegenden Erkrankung ohne Berück¬
sichtigung des Zustandes der Blase gestellt wissen will, nicht
sehr rationell erscheint. Man wird viel häufiger eine Blase nach
einer Geschwulstexstirpation erfolgreich nähen können als nach
einer Stein- oder Fremdkörperextraktion. Die freien Körper be¬
dingen fraglos viel schneller und eher einen Entzündungszustand
der Blase als ein Tumor der Wandung, der lange, abgesehen von
gelegentlichen Blutungen, symptomlos verlaufen kann. Von
dem Stein oder Fremdkörper wird man dies nicht sagen können.
Schon die Beweglichkeit des freien Körpers bedingt durch fort¬
gesetzte Reizung eine Entzündung der Blasenschleimhaut ; dieser
Blasenkatarrh ist, wie Sonnenburg10) mit Recht hervorhebt, cha¬
rakteristisch durch sein Verhalten zur Ruhe und Bewegung; der
Iremdkörper wird eben durch die Bewegungen des Körpers über
dem Gehen oder, was noch schlimmer ist, über dem Fahren hin-
und hergeworfen werden und so einen Entzündungszustand er¬
zeugen. Bei Bettruhe kann die Entzündung nicht auftreten oder
wird verschwinden, wenn sie bereits vorhanden war.
Diese schon auf den ersten Blick sehr einleuchtende und
bekannte Tatsache habe ich für die primäre Blasennaht nutzbar
zu machen versucht. Ich sagte mir, dass ein geeignetes Ver¬
halten eines Steinkranken oder eines Patienten mit einem Fremd¬
körper in der Harnblase, bei dem sich schon seit längerer Zeit
entzündliche Symptome gezeigt haben, unter allen Umständen
7) Rom in: Zur Kasuistik und Technik der Sectio alta und
Blasennaht. Deutsche Zeitsclir. f. Cliir. Bd. 44, pag. 572.
8) Lissjanski: Zur Frage vom hohen Blasenschnitt.
oO neue Fälle. Wratsch 1900, 6 und 7; ref. Centralbl. f. Cliir.
No. 24.
°) Lotheissen: Zur Blasennaht beim hohen Steinschnitt.
V ien. klin. Woehenschr. 1900, 9.
10) Handbuch der prakt. Chir. Bd. 111, 2, 2,
den entzündlichen Zustand, die Cystitis, Epididymitis u. s. w.,
zum mindesten bessern, wenn nicht vollständig zur Heilung
bringen würde. Gelingt es aber durch eine systematische
Vorbehandlung, und um eine solche müsste es sich ja
handeln, nach dieser Richtung hin bessernd einzugreifen, dann
ist ein wesentlicher Fortschritt zu gunsten der primären Blasen¬
naht erreicht.
So bin ich kürzlich in einem Fall von Fremdkörper in der
Harnblase vorgegangen :
Ein junger, 20 jähriger Mensch hatte sich Ende Dezember
1901 ein dickes Wachsstreichholz in die Urethra gesteckt, offenbar
zu onanistischen Manipulationen; das Wachsstäbchen war seiner
Hand entglitten und in der Oeffnung völlig verschwunden. Ex¬
traktionsversuche förderten den Körper aber nicht zu Tage; er
war und blieb verschwunden. Besondere Beschwerden sollen
direkt nicht auf getreten sein; erst nach einigen Tagen entstand
eine Trübung des Harns mit Schmerzen nach dem Urinieren.
Eine Behandlung mit Bettruhe etc. brachte vor¬
übergehend Besserung, während sich nach dem
Aufstehen bald die alten Beschwerden wieder
einstellten. Später trat eine schmerzhafte Anschwellung des
rechten Hodens auf, die sich offenbar unter dem Einfluss einer
cystoskopischen Untersuchung noch erheblich verschlimmerte.
Als der blass aussehende und sehr abgemagerte Patient etwa
Ö Monate nach dem Einbringen des Fremdkörpers in die Blase
zu mir in’s Krankenhaus kam, bestand neben einer hochgradigen
Cystitis, eine starke rechtsseitige Epididymitis. Der Urin war
trüb, alkalisch und enthielt Blasenepithelien und reichlich Eiter¬
körperchen.
Da mir bei dem vorliegenden Zustande nach der Sectio alta,
die zur Extraktion des Fremdkörpers nur in Frage kommen konnte,
eine Blasennaht aussichtslos erschien, so leitete ich zunächst eine
systematische Vorbehandlung der sekundär entzündlichen Erschei¬
nungen mit absoluter Bettruhe, hydropathischen Umschlägen und
Darreichung von Salol — Massnahmen, denen sich eventuell noch
Blasenspülungen beizugesellen hätten — ein, obwohl man ja zu der
Ansicht hätte kommen können, dass nach der sofortigen Extraktion
des Fremdkörpers die entzündlichen Erscheinungen von selbst
zurückgehen würden. Der Erfolg der Vorbehandlung war ein sehr
prompter; die Cystitis und Epididymitis gingen bald zurück und
nach 14 Tagen konnte ich durch eine glatte Sectio alta das zu-
sammengerollte und inkrustierte Wachsstreichholz entfernen; die
allgeschlossene 2 etagige Naht der Blase mit Katgut innen und
Seide aussen heilte glatt. Die übrige Wunde war ausgestopft
und für die ersten Tage ein Dauerkatheter, den ich dem sonst not¬
wendigen häufigeren Katheterisieren vorziehe, eingelegt worden.
Ich bezweifle nicht, dass schon häufig vor der Sectio alta
zur Verbesserung der Urinverhältnisse zuweilen Blasenaus¬
spülungen - und ähnliche Massnahmen ausgeführt worden sind,
der Vorschi ag einer systematischen Vorbe¬
handlung zur Erreichung günstiger Ver¬
hältnisse für die Blasennaht ist aber meines
Wissens bisher, so naheliegend er auch ist, nicht gemacht worden.
Ein Anlauf zu einer solchen Vorbehandlung- genügt natürlich
nicht; sie muss so lange konsequent fortgesetzt werden, bis die
entzündlichen Erscheinungen zum mindesten erheblich gebessert
oder ganz beseitigt sind. Der Zeitaufwand wird reichlich durch
die abgekürzte Heilungsdauer nach der Operation ausgeglichen.
Erfolg mit der Vorbehandlung wird man in vielen Fällen
von Blasensteinen und Fremdkörpern haben, in denen die ent¬
zündlichen Erscheinungen sekundärer Art sind; setzt beispiels¬
weise die Steinbildung erst auf dem Boden einer alten Cystitis,
die schon zu Wandverdiekung-en geführt hat, ein, dann wäre
natürlich eine solche Vorbehandlung verfehlt. Ueberhaupt lassen
sich ja solch alte, hartnäckige Cystitiden kaum anders als durch
eine zum Zwecke der Drainage ausgeführte Sectio alta heilen ;
hier schliesst die Art der Erkrankung die Blasennaht von
selbst aus.
Verfährt man in den geeigneten Fällen, die gar nicht selten
sind, in der geschilderten Weise, dann wird doch häufig eine
primäre Heilung der Blasennaht, wo sie bisher nicht eintrat,
zu erreichen sein. Ich habe selbst Fälle, wie den eben geschil¬
derten, in der Erinnerung, wo die Blasennaht nach der sofort
ausgeführten Sectio alta undicht wurde und wo die beschriebene
Vorbehandlung doch wohl zum gewünschten Ziele geführt hätte.
— Ich möchte hier noch im Gegensatz zu Lotheissen bei
Tumoren der Blase gerade die Naht empfehlen, da sich seltener
bei ihnen, abgesehen von ulzerierten, jauchigen Geschwülsten,
cystitische Zustände finden. Nach solchen Geschwulstexstir¬
pationen heilt die Blasennaht, wenn sonst keine Ilinderungs-
gründo vorliegen, ganz gut; ich habe wenigstens eine ganze An¬
zahl noch während meiner früheren Tätigkeit bei W i t z e 1 an¬
standslos heilen sehen.
p. 221.
3*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
1796
Aus der kgl. Universitäts-Ohrenklinik zu Halle a/S. (Geh. Rat
Prof. Schwartze).
Ueber die neuen Angriffe gegen die Parazentese des
Trommelfelles bei der Therapie der akuten Otitiden.*]
Von Prof. Dr. Grunert, I. Assistenten der Klinik.
Wenn auch das Bestreben der praktischen Medizin,
für die Therapie ein immer breiteres Feld zu gewinnen, auf
die Dauer nur in enger Fühlung mit der fortschreitenden theo¬
retischen Erkenntnis von Erfolg sein kann, so darf es doch
nicht zu dem Fehler verleiten, durch langjährige Erfahrung er¬
probte ärztliche Massnahmen einfach deshalb preiszugeben,
weil sich dieselben mit der herrschenden theoretischen Anschau¬
ung des Tages nicht recht in Einklang bringen zu lassen scheinen.
So frisch, fröhlich und fortschrittlich das Leben der theoretischen
Forschung pulsieren muss, so konservativ soll die Therapie sein
in Bezug auf das, was die Praxis bewährt gefunden hat. Welchem
Wechsel sind oft schon in den kürzesten Zeitspannen unsere theo¬
retischen Anschauungen unterworfen gewesen? Wie oft haben
sie nur ein Eintagsfliegendasein gefristet? Diese Tatsache darf
die praktische Medizin niemals aus dem Auge verlieren, und des¬
halb darf sie sich auch niemals blindlings mit Leib und Seele
der herrschenden Tagestheorie verschreiben, sondern ihr Vor¬
wärtsschreiten soll ein vorsichtig tastendes, sorgfältig abwägendes
sein! Nur wenn sie sich diesen, mit Stillstand durchaus nicht
zu verwechselnden, und sie allein zu einem wahren Fortschritte
führenden Konservativismus bewahrt, schützt sie sich vor der
Gefahr verhängnisvoller und sie, wegen der Notwendigkeit baldi¬
gen Widerrufs, in den Augen des Publikums biosstellender
Irrtümer-
Leider kann man es noch täglich erleben, dass sie diese Klippe
nicht zu vermeiden versteht, und auch unsere Fachwissenschaft
bietet eine Anzahl einschlägiger, wenig erfreulicher Beispiele.
Wir brauchen nur auf die Unsicherheit hinzu weisen, welche
im letzten Jahrzehnt durch die leidige theoretische Spekulation
in die Behandlung der entzündlichen Ohrerkrankungen hinein¬
getragen ist. Wer gedächte nicht der Anfeindungen, welche
die Anwendung des Katheters, sowie der Ohrenspritze bei der
Behandlung der Ohreneiterung nur deshalb erfahren, weil eine
müssige und unfruchtbare Spekulation Gespenster sah, welche
das Auge des einsichtsvollen und erfahrenen Ohrenarztes bei
richtiger Anwendung jener unentbehrlichen Instrumente in
Tausenden von Fällen niemals erblickt hatte?
Ja neuerdings ist sogar die Parazentese des Trommelfells
angefeindet worden, die bisher für einen gesicherten Besitzstand
der Medizin in der gesamten Kulturwelt galt, und deren segens¬
reiche Wirkung für Gesundheit, Leben und Gehör über jeden
Zweifel erhaben schien. Diese Angriffe auf ihre Stichhaltigkeit
zu prüfen, soll unsere heutige Aufgabe sein.
Es ist das dauernde V erdienst Hermann Schwartze s,
durch seine vor ca. 30 Jahren erschienene, grundlegende Arbeit **)
„Studien und Beobachtungen über die künstliche Perforation
des Trommelfelles“ das allgemein abfällige Urteil aus dem Wege
geräumt zu haben, welchem die Parazentese durch das Fehlen
wissenschaftlich begründeter Indikationen anheimgefallen war;
durch die Aufstellung und Begründung neuer, wie durch Ver¬
werfung alter, wissenschaftlich unhaltbarer Indikationen, durch
die Mitteilung einer reichen Kasuistik, aus deren erfreulichen
Erfolgen man nicht weniger gelernt hat, wie aus den rückhalts¬
los publizierten ungünstigen Erfahrungen, gelang es Schwartze,
einen durchgreifenden Umschwung in der allgemeinen Wert¬
schätzung der Operation herbeizuführen. Und dieser Umschwung
war ein verblüffend schneller; voll und ganz wurden die pro¬
phetischen Worte erfüllt, welche Schwartze an den Schluss
seiner oben genannten Arbeit gestellt hat: „Ich hoffe, dass bei
Uebereinstimmung der Erfahrungen in nicht zu ferner Zeit der
Parazentese ein wichtiger Platz in der Therapie der gedachten
Erkrankungen gesichert ist.“
Der dauernde Wert der obigen, grundlegenden Arbeit verrät
sich nicht nur durch den Siegeslauf, welchen von da an die Para¬
zentese durch die ganze Kulturwelt genommen hat, sondern vor
allem auch dadurch, dass in ihr bereits alles gesagt ist, was über
*) Vortrag, gehalten auf der 74. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte in Karlsbad.
**) Arcln f. Ohrenheillt. Bd. II, S. 24, S. 239; Bd. III, S. 281.
diesen Gegenstand überhaupt zu sagen war. Die Arbeit bietet
ein so in sich geschlossenes, vollkommenes Ganze dar, dass ein
weiterer Ausbau sowohl hinsichtlich der Indikationsstellung’, als
auch der Technik überflüssig war. Alles, was nach dieser Arbeit
über die Parazentese geschrieben ist, ist nebensächlich oder nur
eine Wiederholung der Schwartze scheu Ideen. Heute noch
gelten die von Schwartze aufgestellten Indikationen für
massgebend, was schon daraus erhellt, dass sie in jedes moderne
Lehrbuch der Ohrenheilkunde übernommen worden sind.
Wenn wir die modernsten Angriffe gegen die Anwendung
der Parazentese bei der Behandlung der akuten Otitiden
einer Kritik unterziehen wollen, müssen wir zunächst den Stand¬
punkt festlegen, welcher bis heute allgemein bezüglich ihrer
Indikationsstellung bei jenen akuten Erkrankungsformen
eingenommen worden ist.
Wir folgen dabei den bisher allgemein anerkannten Indika¬
tionen Schwartze s, wie sie in seiner Operationslehre (Hand¬
buch II, S. 741) für die akuten Fälle auf gestellt worden
sind :
1. „Bei schweren akuten Katarrhen, wenn die Exsudation
eine so reichliche ist, dass das Trommelfell konvex vorgewölbt
ist, oder bei der Luftdusche durch den Katheter kein Auskul¬
tationsgeräusch hörbar wird. Bei seröser Exsudation (deutliche
Begrenzungslinien, gelbgrünliches Durchscheinen des Exsudates,
Knisterrasseln bei der Auskultation) nur dann, wenn Taubheit
und Ohrensausen hochgradig sind und nach öfterer Anwendung
des Katheters keine schnell fortschreitende Besserung der Sym¬
ptome erfolgt.
2. „Bei Otitis media purulenta acuta, wenn sich der spon¬
tane Durchbruch des Trommelfells verzögert.“
3. „Als antiphlogistisches Mittel bei Myringitis acuta, wo
eine hochgradige Schwellung des dunkelblauroten Trommelfells,
am stärksten im hinteren oberen Quadranten, besteht neben un¬
erträglichen Schmerzen.“
Aus diesen Indikationen erhellt, dass
Schwartze nicht in jedem Falle von akuter
Otitis unterschiedslos die Parazentese für
indiziert hält, sondern nur unter ganz be¬
stimmten, oben genau präzisierten Voraus¬
setzungen.
Wir heben das deshalb besonders hervor, weil die neueren An¬
griffe gegen die Parazentese den Fürsprechern des Trommelfell¬
schnittes den Standpunkt einer unterschiedslosen Vornahme
dieser Operation in jedem Falle akuter Otitis zu imputieren
scheinen.
Die älteren Angriffe interessieren uns an dieser Stelle nicht,
weil sie jeder Beweiskräftigkeit entbehrt haben und bereits von
berufenerer Seite abgetan worden sind.
Die neueren dagegen verdienen deshalb eine kritische Be¬
leuchtung, weil sie durch ihr scheinbar wohlbegründetes, theo¬
retisches Beiwerk sehr wohl, besonders in dem Urteil der all¬
gemein praktizierenden Kollegen, Verwirrung anzurichten im
stände sind. Dies gilt besonders von der diesbezüglichen Arbeit
Piffls: „Ueber akute Mittelohrentzündung und ihre Behand¬
lung“; der Verfasser wendet sich sogar direkt an die allgemeine
Praxis treibenden Kollegen, wie aus dem Publikationsort der
Arbeit — Prager med. Wochenschr. XXV, No. 21 — 24, 1900 — ,
sowie aus dem Umstande hervorgeht, dass seine Schrift entstanden
ist aus einem Vortrage, welchen er in einer Versammlung von
praktischen Aerzten gehalten. Wenn es auch in der Wissen¬
schaft eine Autorität nicht gibt, wenn im Gegenteil nur durch
den vor Autoritäten nicht Llalt machenden Kampf diver¬
gierender Meinungen miteinander der wissenschaftliche Fort¬
schritt zu stände kommen kann, so sind wir uns doch der be¬
sonderen Schwierigkeit unseres Unternehmens, mit dem Ver¬
fasser eine Lanze brechen zu wollen, voll bewusst, beruft sich
doch Piffl auf die Autorität eines Forschers, der jederzeit
als rückhaltsloser Vorkämpfer der chirurgischen Behandlung
der Ohrenkrankheiten mit im Vordertreffen gestanden hat, näm¬
lich Z a u f a 1 s. Er sagt nämlich, dass die von ihm geschilderte
Behandlungsart seit fast einem Dezennium an der Zauf al-
schen Klinik üblich sei.
Ehe wir auf die von Piffl geschildei*te Therapie der akuten
Mittelohrentzündungen und die Kritik derselben eingehen, müssen
wir ein paar Punkte des theoretischen Teiles seiner Abhandlung
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1797
hervorheben, die für seine Auffassung nach der Seite der Therapie
hin uns von einschneidender Bedeutung zu sein scheinen.
Die aus dem Bedürfnisse der Praxis heraus entstandene Ein¬
teilung der akuten Otitiden in den akuten Katarrh und die akute
Eiterung will Piffl nicht beibehalten, betont vielmehr, „dass
wir in diesen verschiedenen Formen einen und denselben Prozess
sehen, der nur verschiedene Grade der Ausbildung zeigt, sei es
infolge wechselnder Virulenz der Erreger, sei es infolge ungleicher
Disposition des betroffenen Individuums“.
Zwingt uns denn diese theoretische Erkenntnis, dass es sich
in beiden Otitisformen nicht um prinzipielle, sondern nur um gra¬
duelle Unterschiede handelt, die lediglich praktischen Zwecken
dienende, d. li. dem Praktiker bestimmte Anhaltspunkte für Dia¬
gnose und Therapie gebende Zweiteilung aufzugeben ? Tritt uns
nicht täglich in unserer Praxis die akute Otitis in einer der beiden
Formen entgegen, die doch klinisch ein so differentes Verhalten
zeigen, dass wir von zwei besonderen Formen zu sprechen be¬
rechtigt sind?
Wenn sich P i f f 1 weiterhin darauf beruft, dass es Fälle gibt,
in welchen ein einfacher Katarrh schliesslich in eine Eiterung
übergeht, und dass in Fällen von eitrigem Sekret in der Pauken¬
höhle „das klinische Bild und der Verlauf mehr für eine katar¬
rhalische Affektion gesprochen hätte“, so ist. doch das nicht Hegel,
sondern immerhin Ausnahme.
Piffl will an einer Einteilung der akuten Mittelohrentzün¬
dungen festhalten, die sich auf die Aetiologie stützt. Er teilt die
akuten Mittelohrentzündungen ein in primäre oder genuine und
sekundäre, eine Bezeichnung, unter welcher er die bei oder nach
allgemeinen Infektionskrankheiten auf tretenden Mittelohrentzün¬
dungen verstanden wissen will«
Kann denn diese Einteilung den Anspruch darauf erheben,
eine ätiologische genannt zu werden?
Die Einteilung in genuine und sekundäre Mittelohrentzün¬
dungen wird stets den Widerspruch herausfordern, weil auch bei
oder nach allgemeinen Infektionskrankheiten nicht selten Otitiden
auf treten, welche sich in nichts von den sogen, genuinen Otitis¬
formen unterscheiden.
Aber selbst wenn die bei Infektionskrankheiten auftretenden
Formen akuter Mittelohrentzündungen durchgreifende Unter¬
schiede von den genuinen Formen zeigen würden — dass ein¬
zelne Scharlach-, Influenza otitiden etc. einen charakteristischen
klinischen Verlauf haben, kann man ebensowenig als „durch¬
greifenden“ Unterschied anerkennen, wie die Tatsache, dass unter
den Entzündungserregern bei den genuinen Formen der Pneumo¬
kokkus vorherrscht — , wäre die Einteilung in genuine und se¬
kundäre Formen nicht als „ätiologisch“ zu bezeichnen.
Eine ätiologische Einteilung wäre eine solche, bei welcher die
jeweiligen Entzündungserreger für die Sonderstellung und Be¬
zeichnung der Otitis massgebend sind.
Ob wir jemals in der Lage sein werden, diesem Einteilungs¬
prinzip bei der Gruppierung der akuten Otitiden Geltung zu ver¬
schaffen, mag dahingestellt bleiben; jetzt sind wir jedenfalls noch
himmelweit von diesem Ziele entfernt, wenn es uns auch gelungen
ist, gewisse Verlaufseigentümlichkeiten, z. B. der Pneumokokken¬
otitiden. als solche zu erkennen.
Die Ausführungen des Kollegen 1* i f f 1 haben es nicht ver¬
mocht, uns für sein Einteilungsprinzip so zu erwärmen, dass wir
der leidigen Theorie zu Liebe der in der Praxis altbewährten Ein¬
teilung der akuten Otitiden in den akuten Katarrh und die akute
Eiterung untreu geworden wären.
Von einzelnen Punkten abgesehen, in denen unsere Ansicht
auf Grund einer 13 jährigen Erfahrung in der Sch w artze sehen
Klinik von der P i f f 1 s abweicht — z. B. dass man regelmässig
den eitrigen Inhalt durch die blasenartigen Ausbuchtungen im
Trommelfell hindurchschimmern sehen solle, dass die Perforation
gewöhnlich Stecknadelkopfgrösse habe und im vorderen und
unteren Quadranten liege — , müssen wir noch diejenige Auf¬
fassung P i f f 1 s, den Verlauf der akuten Otitiden betreffend, be¬
rühren, welche geradezu die theoretische Grundlage der von ihm
befürworteten Therapie ist. „Als normal ist der zyklische oder
typische Verlauf der Otitiden zu betrachten, wie wir ihn bei der
kruppösen Pneumonie zu sehen gewöhnt sind: Beginn mit Schüttel¬
frost und kritischer oder lytischer Abfall der Temperatur am
7. oder 8. Tage.“
Dieser von Zaufal herrührenden Anschauung vermögen wir
uns nicht anzuschliessen; nach unseren Erfahrungen kann man bei
den akuten Otitiden von einem typischen zyklischen Verlauf über¬
haupt, nicht sprechen.
Was die Fiebererscheinungen anbetrifft, die sich im Beginn der
akuten Eiterung regelmässig, beim akuten Katarrh aber in seinen
leichteren und leichtesten Formen nicht immer einzustellen pflegen,
so ist es nach unseren, in der Sch w a r t z e sehen Klinik gesam¬
melten Erfahrungen auch bei den schwersten Formen des akuten
Katarrhs nicht die Regel, dass das Fieber 7 oder 8 Tage anhält.
Bei der akuten Eiterung aber ist es Regel, dass das Fieber sofort
nach spontaner oder künstlicher Perforation des Trommelfells und
Entleerung des eitrigen Sekretes aufhört. Die spontane Perforation
und mit dieser der Abfall der Temperatur pflegt in den meisten
Fällen am 2. oder 3. Tage nach Beginn der Entzündung ein¬
zutreten und nicht am 7. oder 8. Tage.
Gewiss gibt es, aber nur ausnahmsweise, Fälle, in welchen
nach Eintritt der Perforation mittleres, ja vorübergehend höheres
Fieber sich noch längere Zeit hinzieht und welche trotzdem weiter
No. 43.
hin günstig verlaufen; wir vermögen aber uns niemals einer ge¬
wissen Besorgnis zu entschlagen, wenn das Fieber bei der akuten
Otitis so lange anhält, wie es nach Piffl zum „normalen“ Ver¬
lauf der akuten Mittelohrentzündung gehören soll.
Wenden wir uns nun dem Hauptgegenstand dieses Vortrages
zu, demjenigen Teil der therapeutischen Vorschläge I* i f f 1 s,
welcher die Angriffe gegen die Parazentese des
T r ommelfells bei der Behandlung der akuten Otitis media
enthält; hierbei ist für die kritische Beleuchtung dieser Angriffe
eine möglichst genaue Wiedergabe des I’ i f f 1 scheu Gedanken-
ganges unerlässlich.
„Massgebend für die Behandlung der akuten Entzündung des
Mittelohrs“, sagt Piffl, „ist für Zaufal die Erwägung, dass
diese Erkrankung einen cyklischen Verlauf besitzt mit akutem Be¬
ginn und kritischem oder lytischem Abfall am 7. oder 8. Tage,
und dass sie im allgemeinen rascher und günstiger abläuft, wenn
es überhaupt nicht zur Perforation des Trommelfells kommt. Es
gilt daher als Kardinalgrundsatz: Die Behandlung hat anzustreben,
die Schmerzen zu lindern und den Prozess selbst derart zu beein¬
flussen, dass der natürliche Durchbruch des Trommelfells hint¬
angehalten und ein künstlicher Durchbruch (Parazentese) nicht
notwendig wird. Um dies zu erreichen, muss einerseits die Aus¬
scheidung von Sekret vermindert und andererseits die ohnedies
ungeheure Resorptionskraft der Paukenhöhlenschleimhaut unter¬
stützt werden. In manchen Fällen wird auch der Abfluss des
Paukenhöhlensekretes per tubam zur Erreichung dieses Zweckes
beitragen.“ Im Anschluss hieran hebt Piffl die sogen. Gefahren
der Fälle mit Perforation des Trommelfells, die Gefahr der Se¬
kundärinfektion, sowie der Cholesteatombildung scharf hervor.
Piffl empfiehlt, im Beginn der Entzündung mit Billrotli-
battist bedeckte und in heisser essigsaurer Tonerde getränkte, alle
3 Stunden zu wechselnde Wattelagen auf Ohr und Warzenfortsatz
zu legen. Ueber Nacht könnten die Umschläge liegen bleiben.
Zugleich soll innerlich alle 2 Stunden 0,5 Natrium salicylicum -
bei Kindern entsprechend weniger — dargereicht werden.
Von dieser Therapie verspricht er sich nicht nur einen prompten
schmerzstillenden Effekt, den er vor allem auf die Wirkung des
Natrium salicylicum bezieht, nach Analogie der schmerzstillenden
Wirkung beim akuten Gelenkrheumatismus, sondern auch eine
günstige Wirkung auf die Resorption des entzündlichen Exsudates,
selbst, wenn es ein rein eitriges sei und als solches schon durch
das vorgewölbte Trommelfell hindurchschimmerte. Werden die
heissen Umschläge nicht vertragen, so plädiert er für Anwendung
der Kälte, eventuell mit Hilfe eines L eite r sehen Kühlapparates.
Von der Kälteapplikation behauptet er, dass sie in der Regel von
den Patienten „sehr unangenehm empfunden und bald weggelassen
werden muss“. Bei Entzündungserscheinungen am Warzenfort¬
satze — starke Schmerzhaftigkeit und Oedem — rühmt er Ein-
pinselungen mit Jodtinktur — eventuell bei empfindlicher Haut zu
gleichen Teilen mit, Tinktura Gallarum vermischt — eine günstige
Wirkung nach. Die Parazentese hält er im allgemeinen nur für
indiziert, „wenn am 7. oder 8. Tage die Symptome, besonders Fieber
und Schmerzen, nicht abgenommen oder sogar zugenommen
haben“. Ein Abweichen von dieser Regel, d. h. eine frühere Vor¬
nahme der Parazentese, will er nur dann für angezeigt wissen,
wenn es sich um akute Otitiden kleiner Kinder mit schwerem
Allgemeinzustande handelt, „ferner bei jeder Otitis, wenn sich un¬
zweifelhafte Zeichen einer Komplikation einstellen, z. B. Oedem
am Warzenfortsatz, Erbrechen, Krämpfe, Benommenheit u. dergl“.
I* i f f 1 hält die Besorgnis für nicht gerechtfertigt, dass in
Fällen, die nicht parazentesiert werden, leichter lebensgefährliche
Komplikationen zu stände kommen könnten. „Denn einerseits
entstehen Komplikationen infolge allgemeiner und örtlicher ana¬
tomischer Disposition oder in Folge hochgradiger Virulenz des
Entzündungserregers und lassen sich daher durch die Parazentese
nicht verhüten, und anderseits liegt die Annahme nahe, dass ein
Prozess, der im stände ist., binnen kurzer Zeit selbst den Knochen
des Warzenfortsatzes zu durchbrechen, sich noch viel leichter
durch das entzündlich gelockerte Trommelfell einen Weg wird
bahnen können.“
Dies die wichtigsten Gedanken P i f f 1 s sowie seine wich¬
tigsten therapeutischen Vorschläge, bei deren Befolgung es mög¬
lich sein solle, die Parazentese in der Regel bei der Behandlung
der akuten Otitiden zu umgehen.
Wir haben uns des Eindruckes bei der Lektüre der Piffl-
sclien Abhandlung nicht erwehren können, dass sie. anstatt dem
Praktiker eine sichere Direktive im ärztlichen Handeln zu geben,
nur im stände ist, ihn zu verwirren und unsicher zu machen. Sie
hat zwar seinen Glauben an die segensreiche W irkung der Para¬
zentese bei der Behandlung der akuten Otitiden erschüttert, hat
ihm aber keine sichere Richtschnur, wie er sich nun zu verhalten
hat, gegeben.
Diese verwirrende Einwirkung kann für den allgemein prak¬
tizierenden Arzt nicht ausbleiben angesichts der Widersprüche,
welche die Arbeit aufweist.
Wozu ist bei der akuten Otitis der kleinen Kinder mit
schwerem Allgemeinzustande „ohne langes Zögern“ die Para¬
zentese nötig, wenn die Behandlung mit essigsaurer Tonerde und
Natrium salicylicum ein selbst eitriges Exsudat zur Resorption zu
bringen vermag? Wozu nicht überhaupt die Parazentese über Bord
werfen, wenn „ein Prozess, der im stände ist, binnen kurzer Zeit
selbst den Knochen des Warzenfortsatzes zu durchbrechen, sich
wohl noch leichter durch das entzündlich gelockerte Trommelfell
einen Weg wird bahnen können?“ Wir können die Meinung nicht
4
MÜENCHENER MEDICIN1SCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41
1793
zurückhalten, dass das unsichere Hin- und Hertasten P i f f 1 s in
Hinsicht seiner therapeutischen Vorschläge vor allem dadurch
bedingt ist, dass er die altbewährte Einteilung der akuten
Mittelohrentzündungen in akuten Katarrh und akute Eiterung
nicht beibehalten hat.
Wenden wir uns nun nach Schilderung des allgemeinen Ein-
druckes, welchen die Lektüre des 1* i f f 1 sehen Artikels in uns
erweckt hat, zum Speziellen. Bringt seine Schrift uns denn etwas
Neues V Er zeigt u ns, dass es F o r m e n von akute r
Otitis gibt, w e 1 c li e o li n e Parazentese und ohne
spontane Perforation heilen. Das ist allen längst be¬
kannt. Wir nennen diese Formen „akuten Katarrh“ und halten
für die grosse Mehrzahl derselben mit Schwa rtze die Para¬
zentese für überflüssig.
Er sagt uns ferner, dass die Fälle akuter
Otitis ohne Perforation rascher zur Heilung
k o m m e n.
Kein Mensch zweifelt daran, dass der akute, nicht zur Per¬
foration des Trommelfells führende Katarrh der akuten Eiterung
gegenüber sich im allgemeinen durch einen rascheren Ablauf aus¬
zeichnet.
Er führt an, dass es Fälle von akuter Otitis
gibt, bei denen die Parazentese infolge der Bös¬
artigkeit der Infektion ihren gewöhnlich in die
Augen springenden Nutzen nicht entfaltet, und
F ä 1 1 e, bei denen sie zu s p ä t k o m m t.
Wer wartet aber auch so lange mit der Vornahme der Para¬
zentese, wie es P i f f 1 tut, bis sicli unzweifelhafte Zeichen einer
Komplikation, Krämpfe und Benommenheit einstellen? Wer so
lange wartet, hat selbst verschuldet, dass die Parazentese zu spät
kommt.
Was noch einige einzelne Punkte der P i f f 1 sehen Aus¬
führungen anbetrifft, so können wir es wenigstens nicht für die
Formen der akuten Otitis media purulenta als „Kardinalgrund¬
satz“ der Behandlung anerkennen, den natürlichen Durchbruch des
Trommelfells hintanzuhalten. Denn erstens ist auf die Tube als
Abflussrohr des eitrigen Sekretes so gut wie nicht zu rechnen,
und zweitens ist uns P i f f 1 den Beweis noch schuldig, dass sich
eitriges Sekret in der Paukenhöhle bei seiner Behandlung zu re¬
sorbieren vermag.
Der vor der Behandlung erbrachte otoskopische Nachweis des
„durchscheinenden Eiters durch das vorgewölbte Trommelfell“ ge¬
nügt uns als Beweis seiner Behauptung nicht — da sind Täu¬
schungen möglich — und noch weniger genügt uns die Angabe,
dass in der Prager Ohrenklinik unter 482 akuten Mittelohrent¬
zündungen, welche im Zeitraum eines Jahres (1896) zur Beobach¬
tung kamen, „kaum 10 Parazentesen“ ausgeführt wurden. Ja,
wenn P i f f 1 hinzugefügt hätte, dass die übrigen 472 Fälle o h n e
nachträgliche Spontan Perforation geheilt worden
Avären! Das wäre ein ReAveis! Er hat uns ja aber nicht einmal
angegeben, in AA’ie A-ielen atou den 472 Fällen später eine Spontan¬
perforation eingetreten ist. Deshalb sagen diese Zahlen gar nichts!
Wenn P i f f 1 weiterhin behauptet, die Parazentese
könne das Zustandekommen lebensgefährlicher Komplikationen
nicht verhüten, weil die letzteren infolge allgemeiner und ört¬
licher anatomischer Disposition oder infolge hochgradiger Virulenz
des Entzündungserregers entstünden, so ist diese Behauptung
nicht bewiesen und setzt sich in ihrer Allgemeinheit in direkten
Widerspruch mit der allgemeinen Erfahrung der Mehrzahl unserer
Fachgenossen. Wenn er seine Behauptung durch ein Beispiel
zu belegen versucht, so ist ihm doch selbst aus der otologisclien
Literatur bekannt, dass dieser von ihm angeführte Fall ein Unikum
ist, Avelchem in der Literatur nur Avenige, an den Fingern abzühl-
bare, zur Seite stehen.
Das Hauptbedenken, Avelches er gegen die spontane Avie arte-
lizielle Perforation des Trommelfells geltend macht, sei die Gefahr
der Sekundärinfektion vom Gehörgange und A'on der Tube aus.
Weshalb die Gefahr der Sekundärinfektion auf dem letzteren
W ege grösser sein soll bei perforiertem als bei unperforiertem
Trommelfelle, entzieht sich unserem Verständnis. Die Gefahr der
Sekundärinfektion vom Gehörgange aus müssen Avir zugeben,
Avissen aber auch, dass wir derselben durch peinliche Reinlichkeit
des äusseren Ohres und seiner Umgebung in der Regel ohne be¬
sondere Schwierigkeit Herr zu werden vermögen.
V as die Applikation der Kälte auf den Warzenfortsatz an¬
betrifft, so behauptet Piff 1. dass sie „in der Regel sehr un¬
angenehm empfunden und bald Aveggelassen werden müsse“. Ich
kann nur betonen, dass diese Behauptung in direktem Widerspruch
stellt zu unseren Erfahrungen. Wir möchten die Anwendung der
Kälte (Eisbeutel) bei der Behandlung der akuten Otitiden nicht
entbehren und haben gesehen, das sie nur ausnahmsweise nicht er¬
tragen wird und ZAvar von anämischen Personen.
Es könnte dem Leser der P i f f 1 sehen Arbeit erscheinen, dass
abgesehen von theoretischen Differenzen zwischen seiner und
unserer Auffassung in praktischer Hinsicht, die Indikation zur
Parazentese betreffend, kein nennenswerter Unterschied der
Meinung bestehe. Der Unterschied sei nur der, dass
Piffl die Parazentese im allgemeinen nicht vor dem 7. oder
8. Tage ausgeführt Avissen wolle, während Avir nach Schwartze
dieselbe bei den von Piffl erwähnten Symptomen Adel früher ans-
1 (ihren wollten. Aber dieser Unterschied bezüglich des Zeitpunktes
der Parazentese ist ja von grösster Bedeutung.
Ob die P i f f 1 sehe Behandlung in ebenso prompter Weise den
Schmerz stillt, wie die Parazentese, entzieht sich unserer Er¬
fahrung, aber so viel können Avir behaupten, dass nach den Er¬
fahrungen der S c h wartze sehen Klinik im allgemeinen die
Fälle, in denen frühzeitig parazentesiert worden ist, einen günsti¬
geren und rascheren Verlauf nehmen, als diejenigen, welche erst
später zur Parazentese gekommen sind. Diese Ansicht vertritt
auch K ö r n e r J), Avelcher sie sogar durch ein zwar noch kleines,
aber doch interessantes statistisches Material belegt hat. Derselbe
Autor beAvies desgleichen durch die Statistik, dass die früh¬
zeitige Parazentese den besten Schutz gegen eine komplizierende
Mastoiditis gewährt.
Wie die diesjährigen Verhandlungen der deutschen oto-
logischen Gesellschaft zu Trier dargetan haben, lehnten die dort
versammelten Ohrenärzte die von Piffl befürwortete Therapie
der akuten Mittelohrentzündungen kurzer Hand ab; nur ein ein¬
ziger namhafter Fachgenosse teilt die Piffl sehen Anschauungen
bezüglich der Gegnerschaft der Parazentese, es ist Prof. Sieben-
m a n n aus Basel (Zeitsehr. f. Olirenlieilk. Bd. 40, S. 213). „Auf
Grund langjähriger Erfahrung“, sagt er, „sind wir nämlich zur
Ueberzeugung gekommen, dass eine parazentesierte Mittelohrent¬
zündung nicht günstiger verläuft, als wenn das spontane Zurück¬
gehen unter Behandlung mit Bettruhe und Eis abgewartet wird.
Im Gegenteil, die parazentesierten Fälle gestalten sich bezüglich
der Schwere und der Dauer und dementsprechend auch der spä¬
teren Funktionsfähigkeit infolge nachträglicher Mischinfektion —
im ganzen genommen — entschieden ungünstiger.“
Diese Einwände gegen die Parazentese erledigen sich nach
dem, was Avir über die P i f f 1 sehen Angriffe gesagt haben, von
selbst.
Solche Aeusserungen öffnen Missverständnissen Tür und Tor,
weil nicht zwischen akutem Katarrh und akuter Eiterung unter¬
schieden Avorden ist. Was bei der einen Form der Otitis zu tun
richtig ist, ist bei der anderen oft grundfalsch.
Wenn aber gar nach Sieben mann die parazentesierten
Fälle beziehentlich der Dauer und späteren Funktionsfähigkeit im
ganzen genommen entschieden ungünstiger verlaufen sollen, so
steht diese Erfahrung in diametralem Gegensatz zu der anderer
Fachgenossen. Zur Erklärung dieses Widerspruchs bleibt uns
dann nichts anderes übrig, als mit der Möglichkeit zu rechnen,
dass die Ursache der ungünstigeren Erfolge Sieben m a n n s
in seiner Technik der Parazentese und deren Nachbehandlung zu
suchen ist.
Ich hotte, m. II., Sie davon überzeugt zu haben, dass die
hier erörterten Angriffe gegen den Trommelfellschnitt nicht
dazu angetan sind, die gesicherte Stellung dieses Eingriffes bei
der Behandlung der akuten Otitiden zu erschüttern. Wir haben
es bei diesen Angriffen mit einer Erscheinung zu tun, welcher
wir auch sonst vielfach in der Medizin begegnet sind und welche
beAveist, dass das Wort „quieta non movere“ nirgends weniger
Geltung hat als gerade in der Medizin. Ich erinnere nur an den
Wechsel der Anschauungen bezüglich der Therapie des Furunkels,
des Ilypopyon, der Irrigationen von Wunden.
Wer die Geschichte der Medizin studiert, kann eine ganze
Fülle derartiger Beispiele sammeln. Und im Interesse des wirk¬
lichen Fortschrittes in der Medizin liegt, es auch, anstatt dem
Quieta non movere zu huldigen, hin und wieder einmal das
Quieta movere zur Tat zu machen. Es müssen von Zeit zu Zeit
solche Behandlungsarten, welche bereits ein gesicherter Bestand
der I herapie zu sein scheinen, mit dem Masstabe nachgeprüft
werden, den eine Menge neuen Beobachtungsmaterials uns an die
Hand gegeben. Und den Anstoss zu solchen Nachprüfungen
geben gerade oft solche Angriffe und Anfeindungen. Und darin
liegt ihr Nutzen! Für bedenklich halten wir es nur, mit diesen
Angriffen vor ein Forum zu treten, welchem naturgemäss nicht
in dem (Masse die Kritik zur Verfügung steht, wie das vor einem
Forum spezieller Fachgenossen der Fall ist.
Und was speziell die Angriffe gegen die Parazentese des
Trommelfells anbetrifft, so müssen dieselben geradezu verwirrend
wirken, wenn sie vor einem Kreise allgemein praktizierender
Kollegen vorgetragen werden, unter denen endlich nach vielen
Mühen die Anschauung sich durchgerungen, dass dieser Ein¬
griff bei der Behandlung der akuten Otitiden unentbehrlich ist,
und dass man viel leichter Schaden anrichten kann durch seine
Unterlassung, als durch seine Adelleicht einmal indikationslos
vorgenommene Ausführung.
r) s. Arch. f. öhrenheilk. Bd. 56, S. S7 u. 88.
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1799
Ein Fall von kongenitaler Cystenniere mit pararenalem
Haematom bei einem Luetiker.
Ein Beitrag zur Nierenpathologie.
Von Hermann E e 1 s, I. Assistent des patholog.-anatomischen
Instituts in Zürich.
(Schluss.)
Der eben beschriebene Fall hat sowohl klinisches als patho¬
logisch-anatomisches Interesse. Die Differentialdiagnose war,
wie erwähnt, für den Kliniker in diesem Fall keine leichte Auf¬
gabe. Da der Tumor sich hart anfühlte und auch von solider
Konsistenz war, dachte niemand an ein Hämatom, welche ja
fluktuieren. Für den Chirurgen ist der Fall wegen seiner Selten¬
heit und der Tragweite eines in Frage kommenden operativen
Eingriffes von grossem praktischen Interesse. Wäre an der Dia¬
gnose „Nierentumor“, die zuerst gestellt wurde, festgehalten
und ein Exstirpationsversuch unternommen worden, so hätten wir
dem Patienten noch den letzten funktionierenden Nierenrest ent¬
fernt. Selbst dem erfahrenen Pathologen war es bei der Autopsie
nicht sofort möglich, makroskopisch die Diffcrentialdiagnose
zwischen geronnenem, zu einer soliden Masse komprimierten
Blut und einem weichen sarkomatösen Tumor mit Plämorrhagien
zu stellen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wäre es dem Chi¬
rurgen im Verlauf der Operation auch nicht möglich gewesen.
Wie schwer in einem solchen Fall die klinische Diagnose sein
kann, beweist nur die eine Tatsache, dass intra vitam keine sichere
Diagnose gestellt werden konnte und wir alle bei der Autopsie
überrascht waren von dem ungewöhnlichen Bild dieser Niere
mit Aplasie der oberen Hälfte, cystöser Degeneration der Kapsel
und dem pararenalen Hämatom. Der plötzliche Exitus letalis,
nachdem sich der Pat. unter Spitalpflege ordentlich erholt hatte,
wird erklärt durch die bei der Autopsie nachgewiesene Strepto¬
kokkendiphtherie mit Glottisödem. Die Aetiologie derselben ist
nicht zu ermitteln, Pat. muss sie im Hospital selbst erworben
haben und zwar erst in den letzten Tagen vor seinem Tode.
Zum mindesten ist sicher, dass kein ursächlicher Zusammenhang
zwischen dem pararenalen Hämatom und dieser lange Zeit nach¬
her aufgetretenen septischen Infektion des ganzen Körpers be¬
steht. Da ja in der Niere starke kleinzellige Infiltration besteht
mit kleinen Abszesschen, Hämorrhagien in der Rinde und im
Parenchym der Niere selbst, daneben Kokkenanhäufungen um
die Gefässe und in den Harnkanälchen, so liegt ja der Gedanke
nahe, die Blutung auf eine Kokkenembolie oder Thrombose eines
Kapselgefässes zurückzuführen. Es muss diese Erklärung aber
in diesem Fall wegen der zeitlichen Differenz der beiden Er¬
krankungen fallen gelassen werden. Die Literatur ist nicht reich
an solchen Fällen von abgekapselten pararenalen Hämatomen,
die spontan entstanden sind. Die Ursache der meisten in der
Literatur beschriebenen Fälle von diffusen oder abgesackten grös¬
seren Blutungen in und um die Nieren ist eine traumatische
Nierenruptur oder eine Zerreissung der Nierenkapsel, seltener
liegt eine Ruptur eines Aneurysmas der Arteria renalis oder
suprarenalis vor. Nach der Anamnese müssen wir diese Ursachen
ausschalten. Eine Verletzung, Fall oder Kontusion der Nieren¬
gegend wird in Abrede gestellt, auch ist am anatomischen Prä¬
parat nirgends eine Rupturstelle in der Niere oder deren Kapsel
nachzuweisen. Auf ein Aneurysma wurde an den grösseren
Gefässtämmen auch gefahndet, jedoch ohne positiven Erfolg.
Es ist aber die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass ein kleiner
Ast der Nierenarterie ein Aneurysma besessen, das der Unter¬
suchung entgangen und das die Ursache des Hämatoms gewesen.
Heller beschreibt in einer Arbeit „Ueber die syphilitische
Aortitis und ihre Bedeutung für die Entstehung des Aneurysma“
Fälle, wo an den verschiedensten Stellen des Körpers solche ab¬
gekapselte Hämatome entstanden infolge von Aneurysma¬
rupturen. In unserem Fall muss man um so eher an eine solche
Aetiologie denken, als der Pat. Syphilis durchgemacht, die ja
bekanntlich unter den LVsachen des Aneurysmas die erste Stelle
einnimmt. Auch waren, wie schon im Sektionsbefund hervor¬
gehoben wurde, an der Aorta und allen anderen grösseren Ge¬
fässtämmen, speziell an den Nierenarterien, hochgradige Ver¬
änderungen der Intima und Media vorhanden, welche für Lues
typisch sind. Die Blutung liesse sich schon aus der Endarteriitis
syphilitica allein erklären ohne Zuhilfenahme eines Aneurysmas,
für dessen Annahme wir ja auch keine Berechtigung haben. Ich
erinnere hier nur an die oft ausgedehnten Hämatome der Hirn¬
arteriell bei Syphilitikern, ohne dass Aneurysmen nachzuweisen
sind. In dieser Ansicht über die Aetiologie des pararenalen
Hämatoms wurde ich bestärkt durch eine kürzlich von mir am
pathologisch-anatomischen Institut in Zürich ausgeführte Sektion
einer 47 Jahre alten Frau mit schwerer Syphilis, miliarer Aus¬
saat von kleinen Gummaknötchen über die ganze Leber, lue¬
tischem Milztumor und denselben Veränderungen der Aorta und
der Arterien des Körpers wie in dem beschriebenen Fall. Die
I rau besass ebenfalls ein ausgedehntes Hämatom, nur diesmal
zwischen Dura und Pia mater, welches die Todesursache gewesen
war. Die Sektion dieses interessanten und für unsere Gegend
so seltenen I alles von schwerer allgemeiner Lues überraschte mich
durch seine Analogie mit dem Fall D. und bestärkte mich in
der Ansicht, dass die Ursache des pararenalen Hämatoms wohl
auch in den spezifisch luetischen Veränderungen der Nieren-
gefässe, eventuell in einer aneurysmatischen Ausweitung einer
kleinen Arterie der Nierenkapsel zu suchen sei. Neben diesem
Erklärungsversuch, der für mich auch die grösste Wahrschein¬
lichkeit besitzt, existiert noch ein anderer, den ich noch be¬
sprechen will. Es könnte sich in unserem Fall auch um eine
Blutung in eine Cyste handeln aus irgend einer Ursache. Die
Blutung ist ja völlig abgekapselt, ihr oberer Teil liegt noch im
Bereich der cystös degenerierten Nierenhälfte und dachte ich
auch anfänglich, es würde sich um einen grossen Bluterguss in
eine geplatzte Cyste handeln. Es sind Fälle in der Literatur
der kongenitalen Cystennieren bekannt mit Hämorrhagien in
den Cysten, jedoch keine von so ausgedehnten Hämatomen. Es
steht in unserem Fall auch die Grösse der Blutung in einem
Gegensatz zu der Grösse der Gefässe, welche eine solche ge¬
platzte Cyste versorgen. Die Literatur über spontan entstandene
pararenale Hämatome ist nicht reich. Hildebrand be¬
schreibt einen solchen Fall bei einem 19 jährigen Mädchen, wo
ebenfalls spontan und ganz akut ein grosses, lVz 1 Blut ent¬
haltendes pararenales Hämatom entstanden. Die Diagnose wurde
in diesem Fall auch nicht mit Sicherheit gestellt; es war nicht
sicher festzustellen, ob das Hämatom von der Niere oder der
Milz ausgehe und ob dasselbe nicht etwa kombiniert sei mit
einer Neubildung. Das Hämatom erwies sich bei der Operation
als ein grosser cystisclier Sack, dessen Innenfläche ein .schleim¬
hautähnliches Aussehen hatte und dessen Inhalt dickflüssiges
Blut war. Die Diagnose war in diesem Fall leichter zu stellen,
da das Hämatom bei der Palpation als elastischer, praller, rund¬
licher Tumor zu fühlen war, während in unserem Fall alles eine
derbe, tumorartige Konsistenz besass und die diagnostisch wich¬
tige Fluktuation völlig fehlte. Die mikroskopische Untersuchung
der Wandung der Blutcyste ergab nur kernarmes Bindegewebe,
ebenso wie in unserem Fall. Bellamy operierte einen Fall
von pararenalem Hämatom am unteren Pol der Niere. Die Dia¬
gnose war auf Ovarialcyste gestellt worden. Sinnreich be¬
spricht in einer kürzlich erschienen Arbeit „Ueber Cystenbildung
am Ureter und seiner Umgebung“ im Zusammenhang mit einem
eigenen Fall von Uretercyste diese pararenalen Hämatome und
kommt zu der Auffassung, es handle sich in diesen Fällen von
spontan entstandenen abgekapselten Blutungen im retroperi-
tonealen Zellgewebe um Hämorrhagien in vorher bestandene iso¬
lierte Cysten, „die entweder aus dem normalen oder überzähligen
Ureter direkt hervorgehen oder ihrer Entstehung nach mit diesen
Gebilden in einem entfernten Zusammenhang stehen“. Ob unser
Fall hierher zu zählen ist, wage ich nicht zu entscheiden; seiner
Lage nach nicht.
Das Bild, welches die Niere selbst auf dem Querschnitt zeigt,
ist ein ganz ungewohntes. Es erinnert etwas an einen von
Krönlein beobachteten Fall, der in Wyss: „Nierenchirurgie.
Erfahrungen aus der chirurgischen Klinik Zürich“ beschrieben
und abgebildet ist.
Nur handelte es sich in dem Fall von Krönlein um eine
enorme Cystenniere, wo obenauf der Nierenrest hantelförmig
sass. Auch in diesem Fall kann man sich fragen, ob es sich
nicht um cystöse Degeneration des Nierenbeckens und der
Kapsel handelt. Das gewöhnliche Bild der sogen, kongenitalen
Cystenniere, über die bereits eine enorme Literatur besteht, ist
das einer meist sehr grossen Geschwulst, oft über Mannskopf¬
grösse, die sich zusammensetzt aus dicht aneinander liegenden
einkammerigen Cysten mit hellgelbem bis dunkelbraunem, oft
kolloiden Inhalt. Die Oberfläche ist infolgedessen grob höckerig,
es reiht sich auch hier Cyste an Cyste, welche dunkelblau durch
4.*
1800
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nu: 43.
die Nierenkapsel durchschimmern. Die Zwischensubstanz lässt
makroskopisch nichts von Nierensubstanz erkennen, besteht aus
Balken derben hellgelben Gewebes. Mikroskopisch sind immer
noch Glorneruli und Harnkanälchen in funktionsfähigem Zustand
zu erkennen. Meist ist die ganze Niere von solchen Cysten
durchsetzt. Die Fälle, wo, wie in unserem (linke Niere) und in
dem K r ö n 1 e i n sehen Fall, noch ein Rest intakter Niere er¬
halten ist, sind selten. Gewöhnlich sind auch beide Nieren von
dem Prozess ergriffen, welche Tatsache für den Chirurgen von
grosser praktischer Wichtigkeit ist. So erlebte ich einen Fall,
wo bei einem alten Herrn wegen Nephrolithiasis und Nierenstein¬
koliken eine Nephrektomie ausgeführt wurde. Die exstirpierte
Niere war aber eine solche grosse kongenitale Cystenniere und
der Pat. starb kurz nach der Operation an Urämie; bei der
Sektion war die andere Niere ebenfalls eine gleiche Cystenniere.
Bei der Durchsicht der Literatur über kongenitale Cystennieren
fällt auf, wie die meisten Patienten ein oft überraschend hohes
Alter erreichen. Auch in unserem Fall wurde ein Alter von
42 Jahren erreicht, ohne dass Pat. je Beschwerden von seiten
der uropoetischen Organe gehabt. Es ist erstaunlich, mit wie
wenig Nierengewebe ein Mensch auskommen kann und ein Leben
lang die schwerste Arbeit zu. verrichten im stände ist. Unser
Pat. hätte sich sicherlich von seinem pararenalen Hämatom er¬
holen können, wenn nicht die Sepsis als gefährliche Kom¬
plikation dazu gekommen wäre. Touche teilt einen Fall mit,
wo ein 76 jähr. Pat. mit doppelter Cystenniere zur Autopsie kam,
der an Pneumonie gestorben und wo im Leben die ganze Nieren¬
affektion symptomlos bestanden. Ewald beschreibt einen Fall,
wo bei einer 67 jährigen Dame, deren Urin stets eiweissfrei ge¬
wesen, der Tod ganz plötzlich an Urämie erfolgte und bei der
Sektion sich ebenfalls beiderseitig total cystös degenerierte
Nieren fanden. Wenn wir auch in unserem Fall nicht ent¬
scheiden können, oh die linke Niere eine kongenitale Cystenniere
ist, so ist dies bei der rechten ziemlich sicher und müssen wir
annehmen, dass bei der geringen Grösse der rechten Niere und
dementsprechend des funktionierenden Zwischengewebes fast die
ganze Stickstoffausscheidung des Körpers von dem erhaltenen
hypertrophischen Rest der 1. Niere besorgt wurde. Dem Kliniker
zeigt dieser Fall in demonstrativer Weise, welch hohen Wert jeder
Rest von funktionsfähigem Nierengewebe für die Vita des Pa¬
tienten besitzt, und dass deshalb, wo es möglich ist, die Nieren¬
resektion der Totalexstirpation vorzuziehen ist. Neben dieser
Form der Cystenniere, die schon seit Virchows ersten Zeiten
ein vielbeschriebenes und vielumstrittenes Objekt der patho¬
logisch-anatomischen Untersuchung gewesen, namentlich was
ihre Aetiologie anbelangt, bestehen noch die sogen. Retentions¬
cysten der Nieren. Diese kommen zu stände durch kongenitale
oder erworbene Atresie der Nierenpapillen und damit auch der
Sammelröhrchen, infolge dessen Harnstauung in den Glorneruli
und Harnkanälchen und Bildung dieser meist kleinen Urincysten.
Dieser Prozess kann im späteren Leben entstehen, durch Ent¬
zündungen im Nierenbecken oder in der Niere selbst, die mit
Bindegewebswucherungen einhergehen und deren Folge die
Atresie von Harnkanälchen oder Nierenpapillen ist. So ent¬
stehen wohl die meisten, gerade bei Nierencirrhosen häufig vor¬
kommenden isolierten kleinen Harncysten. Anfänglich wurde
auch die echte kongenitale Cystenniere auf solche interstitielle
Entzündungen der Papillen in der Marksubstanz zurückgeführt.
So spricht V i r c h o w noch von einer Atresie der Papillen als
Ursache der Cystenniere. Thom in seiner „Genese der Cysten¬
nieren“ (I.-D., Bonn 1882) fand eine interstitielle Entzündung
der Marksubstanz, Durlach: „Ueber die Entstehung der
Cystenniere“ glaubt an eine Entzündung des Nierenbeckens mit
Bindegewebsprozessen in den Markkegeln, Leichte nstern
an eine interstitielle Papillitis. Jetzt wird wohl von den meisten
Forschern, die sich mit der Genese der kongenitalen Cystenniere
beschäftigen, angenommen, es handle sich dabei um eine em¬
bryonale Störung, und wird dieselbe angesehen als ein Neoplasma,
ein Adenokystorn der Niere. Es würde zu weit führen, hier diese
Streitfragen zu erörtern. Die Genese der Cystenniere und damit
ihre Auffassung als Neubildung oder als ein einfaches Retentions¬
produkt ist noch eine offene Frage; ich verweise zur Orien¬
tierung auf die Arbeit von Iv a h 1 d e n „Ueber die Genese der
Cystennieren und der Cysten der Leber“ in Zieglers Beiträgen
zur patholog. Anatomie 1893, Bd. 13.
Neben dieser cystösen Degeneration der Nierensubstanz selbst
finden sich auch noch Cysten der Nierenkapsel beschrieben, die
oft grosse Tumoren bilden, und die schon erwähnten isolierten
Cysten des Ureters und des Nierenbeckens, die ja nach Sinn
reich die Grundlage der spontan entstandenen, abgekapselten,
j pararenalen Hämatome bilden.
Das Bild, das unsere linke Niere darbietet, ist ein Kuriosum
und in der Literatur, soweit mir dieselbe zugänglich war, noch
nicht beschrieben. Von der Niere- ist, wie wir sahen, die untere
Hälfte ganz gut erhalten, mit gut ausgebildetem Nierenbecken,
Ureter und Gefässen. An der Stelle der oberen Nierenhälfte ist
ein derbes Bindegewebe mit vielen Cysten, das scharf gegen die
Nierensubstanz abgegrenzt ist und die angrenzenden Partien der
Niere komprimirt hat, wie schon bei der Betrachtung der mikro¬
skopischen Bilder erwähnt wurde. Diese Cysten entsprechen
mehr dem Bilde, wie es als Cysten der Nierenkapsel beschrieben
wurde. Daneben finden sich gleiche Cysten in der Grenzzone
der Niere gegen das cystöse Gewebe hin. Es wäre denkbar, dass
in diesem Fall beide Bilder vereinigt sind, dass wir also neben¬
einander Adenocystoma renis, sogen, kongenitale Cystenniere und
Cysten der Nierenkapsel haben.
Für die Anregung zu dieser Arbeit und die Unterstützung
während ihrer Ausführung erstatte ich Herrn Prof. Aschoff-
Göttingen meinen besten Dank, ebenso meinem verehrten Chef,
Herrn Prof. E r n s t - Zürich, für die Durchsicht der Präparate
und der Arbeit selbst, und Herrn Dr. F ü r t h - London für die
freundliche Ueberlassung des Falles.
Literaturverzeichnis:
1. Carl Sinnreich: Ueber Cystenbildung am Ureter und
seiner Umgebung. Zeitsclir. f. Heilk. Br. 23, 1902. — 2. Hilde¬
brand: Beitrag zur Nierenchirurgie. Deutsche Zeitsclir. f. Cliir.
Bd. 40. — 3. Bellamy: British med. Journal 1888. — 4. Adler:
Ueber paranephritische Cysten. Berl. klin. Wochensehr. 1893,
Nu. 12. — 5. C. v. Kahlde n: Ueber die Genese der multiokularen
Cystenuieren und der Cysten der Leber. Zieglers Beiträge zur
pathol. Anat. Bd. 13, 1893. — 7. Schmieden: Die Erfolge der
Nierenchirurgie. Deutsch. Zeitsclir. f. Chirurgie 62. Bd., Heft 3.
— 8. Güter bock: Beitrag zur Lehre von den Nieren Ver¬
letzungen. Arch. f. klin. Chirurg. Bd. 51. — 9. Hoff mann:
Ueber die Cysten der Nierenkapsel. Inaug.-Diss„ Königsberg 1895.
— 10. R i ralta: Ueber Cysten der Fettkapsel der Niere. Cen-
tralbl. f. Patholog. VII. — 11. v. Nustach: Beitrag zur Genese
der kongenitalen Cystennieren. Virchows Arch. Bd. 142. —
12. H. Bibbert: Ueber die Entwicklung der bleibenden Niere
und die Entstehung der Cystenniere. Verhandl. d. pathol. Gesell¬
schaft S. 187. — 13. Helfer: Ueber isolierte Cysten der Niere
und der Nierenkapsel. — 14. v. Brackei: Ein Fall von solitärer
Nierencyste. Sammlung klin. Vorträge No. 75, neue Folge. —
15. V i r c li o w: Gesammelte Abhandlungen S. 837 — 872. —
16. Ewald: Zur totalen cystischen Degeneration der Nieren.
Centralbl. f. Patholog. VII, S. 699. — 17. Touche: Mitteilungen
eines Falles von cystiseher Entartung der Nieren. Centralbl. f.
Patholog. Bd. VII. — 18. H u b er: Syphilitische Gefässerkrankung.
Virch. Arch. Bd. 79, 1880. — - 19. v. Lange nb eck: Arteriitis
syphilitica. Arch. f. klin. Cliir. Bd. 26. — 20. Heller: Ueber
die syphilitische Aortitis und ihre Bedeutung für die Entstehung
des Aneurysma. Verhandl. d. deutsch, pathol. Gesellsch. 1900. —
21. Krönlein: Demonstration eines mächtigen Cystadenoms der
Niere. Bericht über die Verhandl. der deutsch. Gesellsch. für
Chirurgie 1899.
Ein Rückblick auf 720 Gallensteinlaparotomien, unter
besonderer Berücksichtigung von 90 Hepatikus-
drainagen.
Von Professor Dr. Hans Kehr in Plalberstadt.
(Schluss.)
Ich komme nunmehr auf die Sterblichkeit nach meinen
Gallensteinoperationen zu sprechen und ich bitte, Ihre Aufmerk¬
samkeit der Tabelle II zuzuwenden.
Tabelle II.
Die Sterblichkeit nach Gallensteinoperationen.
1. 237 konservative Operationen, (Cystostomien, C3'st-
endysen, Cystikotomien) mit 5 Todesfällen . = 2,1 Proz.
2. 161 Cystektomien mit 5 Todesfällen . = 3,1 „
3. 137 Choledochotomien und Hepatikusdrainagen mit
9 Todesfällen . = 6,5 „
4. 114 gleichzeitige Operationen am Magen, Darm,
Pankreas, Leber, Niere etc. mit 24 Todesfällen = 21 „
5. 71 gleichzeitige Operationen bei inoperablem Kar¬
zinom der Gallenblase, des Choledocbus , der
Ieber, diffuser eitriger Cholangitis, diffuser
eitriger Peritonitis, Sepsis mit 69 Todesfällen . = 97 „
Sa. 720 Laparotomien mit 112 Todesfällen = 15,5 Proz.
Unter Abzug von 4. 114 Operationen und
5. 71 Operationen
535 reine Gallensteinlaparotomien mit 19 Todesfällen = 3,5 „
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1801
Bemerken muss ich, dass die eigentliche Zahl der Cvsto-
stomien und Cystektomien viel grösser ist, als die hier ange-
Bei vielen Choledochotomien wurde zugleich cysto-
oder cystektomiert, aber da die Cystostomie und Cyst-
der C holedochotomie gegenüber als untergeordnete Ein-
gebene.
storniert
ektomie
griffe gelten
mu,S8e?' und es llIer nur auf die Zahl der Laparo¬
tomien (<20) und nicht der Einzeleingriffe (1131) ankommt habe
ich nur die Cystostomien und Cystektomien in Rechnung gebracht
die als unkomplizierte Eingriffe anzusehen sind.
W ill man die Sterblichkeit nach Gallensteinoperationen genau
kennen leinen, so darf man nicht, Avie das häufig geschieht, au der
Hand von 20 — 30 Fällen statistische Erhebungen anstellen man
muss mindestens 100 Operationen gemacht haben, ehe man sich
in dieser Beziehung ein Urteil erlauben darf. So könnte ich sagen:
die Mortalität einer nicht durch Karzinom oder septische Cholan¬
gitis komplizierten Gallensteinoperation ist gleich Null, vvenn ich
z. B. die letzten 50 1 alle nur in Betracht ziehe, denn atoh diesen
ist überhaupt kein einziger letal verlaufen. Wenn man aber eine
Serie von ein oder mehreren Hundert Fällen zu gründe legt, so
kommt man doch zu einem etAvas anderen Ergebnis.
Betrachte ich meine sämtlichen 720 Gallensteinoperationen
auf ihre Ausgänge hin, so habe ich eine Sterblichkeit von
15,5 Froz. zu beklagen, wenn ich aber die komplizierenden Opera¬
tionen an Magen, Darm und Leber und die ganz desolaten, jeder
Therapie unzugänglichen Karzinom- und Oholangitisfälle nicht
mitrechne, so ergibt das eine Mortalität von 3,5 Froz.
Dabei habe ich nicht nur die Todesfälle, die in den ersten
Tagen nach der Operation eintraten, berücksichtigt, sondern auch
noch all die tödlichen Ausgänge, die während der ersten 100 Tage
nach der Operation erfolgten. Daher die erschreckende Mortalität,
z. B. beim Karzinom der Gallenblase. Auch die Todesfälle, die
ganz unabhängig von der Operation sich ereigneten, z. B. Apo¬
plexien bei alten Leuten, sind mit in die Tabelle aufgenommen
worden. Gehen wir etwas spezieller auf die Sterblichkeit nach den
einzelnen Operationsmethoden ein, so ergibt die Cystostomie,
Cystendyse und Cystikotomie eine Sterblichkeit Aron 2,1 Froz., die
Cystektomie eine solche von 3,1 Proz. und die Clioledochotomie
und die Hepatikusdrainage eine Mortalität von 6,5 Froz. In den
letzten 2 Jahren habe ich von meinen Choledochotomierten nur
noch 3 Proz. verloren, und ich verdanke diese günstigen Resultate
in erster Linie dem Umstand, dass ich nach einer Choledoclio-
tomie den Gang nicht mehr nähe, sondern prinzipiell offen lasse,
d. h. die Hepatikusdrainage ausführe. Je länger man seine Hände
Aväscht (zu ihrer Sterilisation verwende ich genau eine halbe
Stunde), je schneller man operiert, je grösser die Erfahrung wird,
je besser man die Technik beherrscht, um so günstiger werden die
Erfolge. Auch Majo Robson weist darauf hin, dass, seitdem
er in kurzer Zeit eine Clioledochotomie zu Ende führt, die Resultate
viel besser geworden sind. In wenigen Minuten muss die Bauch¬
höhle eröffnet sein, und zwar durch einen nicht unnütz langen,
aber hinreichend grossen Schnitt, und dann kann man oft in 5 bis
10 Minuten eine Ektomie beendigt haben. Manche Hepatikus¬
drainage inklusrte Ektomie hat mich nicht länger als 20 bis
30 Minuten aufgehalten. Aber unter dieser Schnelligkeit darf die
Gründlichkeit nicht leiden, man muss die Gänge so abtasten und
sondieren, dass man möglichst sicher ist, keinen Stein übersehen
zu haben.
Unter den 5 Todesfällen, welche die konservativen Methoden
ergaben, sind auch jene Operierte verrechnet, welche durch un¬
glückliche Zufälle, Avie sie eben nach jeder Operation eintreten
können, zu gründe gingen. In dem einen Fall starb die Patientin
nach einem völlig fieberfreien Verlauf 2 Wochen post op. an einer
Embolie der Pulmonalarterie, die zweite, eine 60 jährige Frau,
7 Tage später an einer Apoplexie, die dritte an Urämie infolge einer
wahrscheinlich durch das Narkotikum wieder akut gewordenen
chronischen Nephritis u. s. av.
Die Cystektomie ist nur um 1 Proz. gefährlicher Avie die
Cystostomie und hat dabei den Vorzug, dass sie radikaler ist. Auf
die Funktionen des Magens und des Darms hat die Exstirpation
der Gallenblase keinen ungünstigen Einfluss; auch habe ich bisher
eine nachträgliche Entstehung von Lebersteinen nicht beobachtet.
Die Gründe, welche gegen die Ektomie immer Avieder vorgebracht
AA’erden, sind schon deshalb hinfällig, weil meistenteils das Organ
durch Entzündung, Narbenbildung, Schrumpfung so verändert ist,
dass es die ihm von der Natur zuerteilten Funktionen nicht mehr
erfüllen kann. Keine Gallenblase ist besser wie eine chronisch
entzündete, ulzerierte und geschrumpfte Gallenblase. Dass ich
aber in gewissen Fällen die Gallenblase erhalte, geht daraus her¬
vor, dass ich in den letzten 4 Jahren 7S Cystostomien ausgeführt
habe.
Kompliziert sich das Gallensteinleiden mit Erkrankungen des
Magens und Darms, müssen wir zur gleichen Zeit Gastroentero¬
stomien und Pyloroplastiken ausführen, so haben wir mit einer
Mortalität von 21 Proz. zu rechnen.
Ganz schlecht wird die Prognose der Operation, wenn wir ein
Karzinom, Lebercirrhose, Pankreasnekrose, diffuse Cholangitis
u. s. w. aufdecken, und kein objektiv denkender Arzt wird an
solchen desolaten Fällen die Leistungsfähigkeit der Chirurgie
messen wollen. Es ist hier eben unmöglich zu helfen, denn die
Patienten sind gewöhnlich so schwach, dass sie kaum eine Nar¬
kose vertragen. Nur mit Mühe bringt man sie mit Kochsalz¬
infusionen über den Schock hinaus und schliesslich sterben die
No. 43.
Operierten doch an der Grundkrankheit und alle Arbeit war ver¬
gebens. Das V ort von P laten: ,,So A'iel Mühe um ein Leichen¬
tuch kann gerade auf diese Kategorie der Operierten seine Au-
Avendung finden!
„Warum“ — so höre ich einwenden — „werden solche Fälle
dann überhaupt noch operiert, Avenn Avir dabei mit einer Mortali¬
tät von 97 Proz. rechnen müssen?“
Auf diesen Einwand möchte ich folgendes antworten:
Gewiss wäre es im Interesse der Entwicklung der Gallenstein¬
chirurgie das Richtigste, wenn wir derartige, völlig desolate Fälle
\ on dei Operation ausschlössen. Warum das nicht immer möglich
ist, habe ich bereits oben, bei Erklärung der Tabelle I (Karzinom
der Gallenblase) auseinandergesetzt. Es kommt noch hinzu, dass
Avie eine jüngst gemachte Erfahrung beweist, selbst die ausge-
breiteteste diffuse Cholangitis durch eine Operation geheilt werden
kann. Bei dem betreffenden Patienten enthielt der Choledochus
stinkende Galle, und selbst aus einem kleinen, am unteren Rand
des rechten Leberlappens während der Operation entstandenen
Einriss floss eitrige Galle ab. Die ausgeführte Hepatikusdrainage
tat so sehr ihre Schuldigkeit, dass schon nach 5 Tagen die Galle
ganz klar wurde. I’at. wäre ohne Operation unter allen Um¬
ständen verloren gewesen, und wenn es in solchen Fällen n u r
in 3 Proz. gelingt, das Leben zu retten, so ist die Freude über der¬
artige unverhoffte Erfolge um so grösser, da eine innere Behand¬
lung niemals den tödlichen Ausgang verhüten kann.
Schliesslich ist zu bedenken, dass, so sehr sich auch unsere
diagnostischen Fertigkeiten gehoben haben, Avir manchen Fall für
ein sicheres Karzinom halten, wo der Verlauf nach der Opera¬
tion ergibt, dass eine gutartige, heilbare Krankheit (Pancreatitis
chron. interst., Cholangitis) Vorgelegen hat. Stellen wir solche
Fälle von der Operation zurück, so stirbt eben ein solcher Patient,
dessen Heilung durch eine Operation nicht allzu schwer gewesen
wäre. Ich werde nachher noch Gelegenheit haben, auf diesen
Punkt zurückzukommen.
M. H.! Es liegt mir völlig fern, zu behaupten, dass eine
Gallensteinoperation ein unschuldiger Eingriff sei; er ist es be¬
sonders deshalb nicht, Aveil die allermeisten Kranken durch die
Schmerzen, das Fieber, den Ikterus einen guten Teil ihrer Wider¬
standsfähigkeit eingebiisst haben. Haben wir es aber mit sonst
gesunden Menschen zu tun, d. h. mit solchen, deren Herz, Lungen
und Nieren noch intakt sind, und werden wir Chirurgen nicht ganz
zuletzt aus vitaler Indikation zu Hilfe gerufen, so ist die Gefahr
der unkomplizierten Gallensteinoperation sehr gering und beträgt
k a u m m ehr av i e 2 Proz. Wäre die Gefahr gleich Null, so
Aväre es unsere Pflicht, jeden Gallensteinkranken schon nach
der ersten Gallenkolik zu operieren, aber da AA'ir vorher nie
Avissen können, ob der Kranke zu den 98 Proz. gehört, die geheilt
werden, oder zu den 2 Proz., die dem Tode verfallen, müssen wir
schon auf prophylaktische Operationen verzichten, obgleich die
Gefahren der ab wartenden Behandlung in den meisten Fällen
grösser sind Avie die der Operation.
Jedenfalls werden die Gefahren einer Gallensteinoperation
allgemein zu sehr übertrieben und das bezieht sich besonders auf
die Möglichkeit einer postoperativen Peritonitis. Ich habe unter
den letzten 300 Operierten nur einen einzigen an peritonealer Sepsis
verloren.
So sicher AArir nun eine Infektion durch eine peinliche Asepsis
und durch A'orsiclitiges und dabei doch schnelles Operieren ver-
hiiten können, gegen die Gefahren der Narkose, gegen Pneumonien
und Embolien und gegen das rätselhafte, besonders nach Gallen¬
steinoperationen auftretende schwarze Erbrechen sind unsere Ope¬
rierten nicht vollständig gefeit. Der Choledochotomien Gefahren
sind besonders bedingt durch cholämische Blutungen, die man
zweckmässig durch Chlorkalzium bekämpfen kann, durch Pneu¬
monien und durch akute Nachschübe der schon bestehenden
Cholangitis. Die grosse Sterblichkeit der Clioledochotomie, über
die von anderer Seite berichtet Avird, kann nur durch zu langes
Operieren und durch den Nahtverschluss der Choledochusinzision
bedingt sein. Die allermeisten Kranken erliegen aber deshalb dem
Eingriff, Aveil sie zu spät dem Operateur überwiesen werden. Ich
habe es in dieser Beziehung verhältnismässig gut, denn die Aerzte
meines Bezirks schicken fast alle ihre Gallensteinkranken recht¬
zeitig in die Klinik.
Die logische Schlussfolgerung, welche sich aus der Betrach¬
tung meiner augenblicklichen Resultate ergibt, sollte also die sein,
dass man die Steine entfernt, so lange sie noch in der Gallenblase
stecken und noch nicht in den Choledochus übergetreten sind, oder
gar durch entzündliche Vorgänge Magen und Darm, Pankreas und
Leber in Mitleidenschaft gezogen und zur Karzinombildung ge¬
führt haben. Aber die zuerst von Riedel aufgestellte Forderung
der frühzeitigen Operation ist einstAveilen in der Praxis undurch¬
führbar, und deshalb bin ich froh, wenn ich beim Hydrops und
Empyem der Gallenblase, beim chronischen Choledoehusver-
sclduss, bei häufigen, die Erwerbsfähigkeit und den Lebensgenuss
in Frage stellenden BeschAverden nicht garzu spät zum Messer
greifen kann.
M. H.! Bei der Aufstellung von statistischen Untersuchungen
läuft man leicht Gefahr seinen subjektiven Auffassungen allzu
sehr nachzugehen und die Leistungsfähigkeit dieser oder jener
Operationsmethode in ein allzu rosiges Licht zu setzen, besonders
dann, wenn man an ihrer Einführung selbst beteiligt ist. Sie alle
kennen gewiss das Wort von Talleyrand: „Die Statistik ist die
Lüge in Zahlen“, und jenes von Billroth (Archiv f. klin. Chir.
&
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
. -(>2
Bd. X. pag. 50, 1809): „Die Statistik ist wie ein Weib, ein Spiegel
reinster Wahrheit und Tugend, oder eine Metze für jeden, zu allem
zu gebrauchen.“ Nun, m. H., bei meinen sämtlichen Publikationen
ist es mir nie eingefallen, nur die Vorteile der Operation zu schil¬
dern und ihre Nachteile zu verschweigen; ich habe über jeden
Todesfall berichtet, ich habe niemals den Versuch gemacht, et¬
waige Todesfälle, die einer mangelhaften Technik oder schlechten
Narkose, einer falschen Indikationsstellung, einer peritonealen In¬
fektion erlegen sind, in die Grabesrubrik der unheilbaren Fälle,
der Karzinome oder der diffusen eitrigen Cholangitis unter¬
zubringen. Immer habe ich meine Wandlungen in der Auswahl
der Operationsmethoden offen eingestanden. Die Begeisterung für
die Cystostomie und die Cystikotomie hat einer ruhigeren Beur¬
teilung Platz machen müssen, und die anfängliche Verachtung der
Ektomie hat sich in eine grosse Vorliebe für diese Operation um¬
gewandelt. Aber so oft auch meine Ansichten gewechselt haben
und unvorhergesehene Todesfälle mich daran erinnerten, dass
unser Können und Wissen nur Stückwerk ist, das schöne V ort
Billrot lis habe ich nicht aus den Augen verloren: ..Die un¬
bedingte Wahrhaftigkeit gegen sich selbst und gegen andere ist
die Grundlage, auf welcher die Statistik beruht. Zweifelt man bei
einer statistischen Mitteilung an der .Richtigkeit der Tatsachen,
so ist. es nicht wert, dass man sich' mit dem Studium solcher Ar¬
beiten abgibt.“ Und ich möchte hinzufügen: Der Arzt, der die
Gefahren einer Operation bemäntelt und beschönigt, ihre N orteile
allzu sehr in das Licht rückt, ist nicht wert, dass er an der herr¬
lichen chirurgischen Arbeit teilnimmt. Als ich kürzlich mit einem
mir befreundeten Kollegen über meine Sterblichkeitstabelle sprach,
wunderte sich dieser, dass ich die komplizierenden Operationen am
Magen und Darm etc. und die Laparotomien wegen inoperablem
Karzinom und diffuser Cholangitis und Sepsis mitrechne. Seine
Meinung war, ich hätte nur die 535 reinen Gallensteinoperationen
mit 3,5 Proz. Sterblichkeit berücksichtigen sollen. „Viele Aerzte
würden sich durch die hohe Sterblichkeit bei der unter Rubrik 4
und 5 angeführten Fälle von der Operation absclirecken lassen.“
Möglicherweise hat der Kollege nicht unrecht, aber ich hielt es für
richtiger, auch die Karzinom- und Cliolangitisfälle mitzurechnen,
damit man erkennt, wie relativ oft der Chirurg es mit solchen
unglücklichen Kranken zu tun hat und wie selten es gelingt, hier¬
bei zu helfen. Und dann wollte ich nicht in den Verdacht kommen,
dass ich mir die Fälle aussuche, nur die günstigen operiere, die
schweren von der Hand weise. Ich greife zum Messer, sobald ich
die Ueberzeugung habe, dass eine innere Behandlung nichts mehr
nützen kann, der Patient ohne Operation verloren ist, und wenn
ich von 100 nur 3 rette, so bin ich schon zufrieden.
Bei der Beurteilung der Sterblichkeit nach Gallensteinopera¬
tionen kommt es übrigens sehr darauf an. wie viel Cystostomien
und Cystektomien, Avie Adele Choledocliotomien und Hepatikus-
drainagen der Chirurg ausgeführt hat, ob er auch die verzweifelten
Fälle A’oii Cholangitis und Karziom operiert, oder ob er sie von
der Operation zurückstellt. Ich muss darauf hinweisen, dass z. B.
unter meinen letzten hundert Operationen sich ca. 30 Hepatikus-
drainagen und 50 Cystektomien befanden, und dass es sich in fast
sämtlichen Fällen um Spätoperationen handelte. Ich lese in
anderen Berichten, dass auf ca. 100 Operationen 50 Cystostomien
und nur 3 Ektomien und 13 Choledocliotomien kommen, ein Unter¬
schied, der bei der Beurteilung der Sterblichkeit doch sehr ins Ge-
Avicht fällt. Ich hatte unter meinen ersten 360 Operationen 42 Todes¬
fälle, gleich 11,7 Proz. Mortalität, unter Abzug der völlig desolaten
Fälle 3,8 Proz.; unter den letzten 360 70 Todesfälle, gleich 19 Proz.,
unter Abzug der desolaten Fälle aber nur 3,3 Proz. Natürlich
musste die allgemeine Sterblichkeit sich vergrössern, Aveil mir
jetzt die schwersten Fälle überwiesen Averden, seitdem bekannt
geAvorden ist, dass ich mich ganz speziell mit der Chirurgie der
Gallensteinkrankheit beschäftige. Die leichten Fälle werden sel¬
tener, die Choledocliotomien nehmen zu. Auf die ersten 360 Fälle
kamen nur 49 Choledocliotomien und Hepatikusdrainagen, gleich
14 Proz., auf die letzten 360 108, gleich 30 Proz. Sicher der beste
Beiveis, Avie die schweren Fälle sich gemehrt haben. Die 3,8 Proz.
Mortalität unter den ersten 360 Fällen müsste einer Sterblichkeit
von ca. 8 Proz. der letzten 360 entsprechen, wenn die Erfolge sich
gleich geblieben wären. Es ist aber eine wesentliche Besserung
eingetreten und unter den letzten 200 reinen Gallensteinopera-
tionen, d. li. solchen, bei denen weder diffuse Cholangitis noch
Karzinom vorlag, hatte ich nur noch 3 Todesfälle, gleich 1,5 Proz..
Mortalität. Diese Sterblichkeit ist jedenfalls sehr gering, und bei
weiterer innerer Behandlung wäre nur ein sehr geringer Prozent¬
satz geheilt worden, und diese Heilung wäre fast immer nur
eine scheinbare geAvesen, d. h. man hätte wohl die Symptome
der Krankheit, den Ikterus, die Schmerzen und das Fieber be¬
seitigt, die Steine aber Avären zurückgeblieben, und über kurz oder
lang Aväre ein Rückfall, resp. ein unglücklicher Ausgang ein¬
getreten.
M. II.! Was ich bisher mitgeteilt habe, betrifft lauter
Punkte, die ich schon in früheren Publikationen mehr oder we¬
niger ausführlich erörtert habe. Ich möchte Ihnen aber auch
gerne etwas neues sagen und über neue Erfahrungen berichten
resp. frühere \ron mir vertretene Ansichten erweitern und kor¬
rigieren.
Hm gleich mit dem letzten Punkt zu beginnen, so habe ich
früher gesagt, man solle Patienten, die 60 Jahre überschritten
haben, nur unter ganz ZAvingender, d. li. vitaler Indikation ope¬
rieren. Das ist nur teilweise richtig, seitdem ich eingesehen
habe, dass gerade alte Leute den blutigen Eingriff oft über¬
raschend gut vertragen. So habe ich im Verlauf weniger Wochen
drei 70 jährige Frauen operiert und einen ganz glatten Verlauf
beobachtet und dabei handelte es sich 2 mal um Ektomie und
Ilepatikusdrainage.
Weiterhin bedarf einer Korrektur eine früher von mir aus¬
gesprochene Ansicht, dass man Patienten mit chronischem
Ikterus, der nach der Anamnese nicht auf Steinverschluss, son¬
dern auf Pankreaskarzinom beruht, nicht operieren soll, da eine-
Operation bei dem letzeren Leiden keinen grossen Zweck habe.
Ich habe aber einsehen gelernt, dass die Pankreatitis chronica
interstitialis oft dieselben Erscheinungen macht wie ein Pan¬
kreaskarzinom : dieselbe Kachexie, denselben hochgradigen Ik¬
terus u. s. av. Da aber eine Operation bei der Pankreatitis das
Leben retten kann, soll man also operieren; man muss natürlich
vorher in Bezug auf die Prognose sich den Angehörigen gegen¬
über vorsichtig ausdrücken.
Bei Cystostomien und Cystektomien habe ich keine nennens¬
werten neuen Erfahrungen gesammelt. Um so mehr bei der
Hepatikusdrainage, deren Ausbildung mir nach wie vor sehr am
Herzen liegt.
Ich habe die Hepatikusdrainage bisher 6 mal kombiniert mit
der Cystostomie, 29 mal mit der Ektomie u n d Cystikotomie,
49 mal mit Ektomie und 6 mal für sich allein ausgeführt. Die
Ektomie mit der Hepatikusdrainage kombiniert ist die radikalste,
dabe.i aber nicht besonders gefährliche Operation am Gallen¬
system. Ihre Mortalität beträgt ca. 3 Proz. und in Bezug auf
die Dauererfolge gibt sie ganz ausgezeichnete Resultate. Ich
übe diese Operationsmethode bereits seit 6 Jahren und kann mir
also in dieser Hinsicht schon ein Urteil erlauben.
Ohne auf die Technik der Operation näher eingehen zu
wollen, will ich nur bemerken, dass nach Eröffnung des Chole-
dochus, gewöhnlich im supraduodenalen Teil, und Entfernung
womöglich aller Steine ein kleinfingerdickes Rohr in den He-
patikus ca. 4 cm Aveit vorgeschoben wird. Durch dasselbe wird
sämtliche Galle die ersten 14 Tage nach aussen geleitet. Die
Steine im Ilepatikus lassen sich gewöhnlich leichter Avie die im
retroduodenalen und papillären Teil des Choledochus liegenden
entfernen, und wo man nicht sicher ist, dass diese Teile des
Choledochus gänzlich frei sind von Konkrementen, füge ich
der Hepatikusdrainage noch eine solche des Choledochus hinzu.
Dadurch erleichtere ich mir die spätere Ausspülung des Ganges
und die nachträgliche Entfernung von übersehenen Steinen.
Durch den anfänglichen totalen Gallenverlust habe ich — und
das wird besonders die inneren Kollegen interessieren — • nie¬
mals einen besonderen Schaden für die Verdauung eintreten
sehen, obgleich doch fast 14 Tage lang fast sämtliche Galle (oft
500 — 800 g pro die) abfioss. Das einzige, was sich zeigte, war
eine etwas erschwerte Defäkation und ein mässig herabgesetzter
Appetit. Aber in den allermeisten Fällen hatten die Kranken
gar keine Unannehmlichkeit.
Die Hepatikusdrainage, kombiniert mit der Ektomie, halte
ich jetzt für die Normalmethode bei der chirurgischen Behand¬
lung der chronisch rezidivierenden Cholelithiasis. Damit will
ich nicht behaupten, dass die Choledochotomie mit Naht nicht
auch zum Ziele führe; habe ich doch bei meinen ersten 49 Chole-
docliotomien die Choledochusinzision stets geschlossen und dabei
ganz leidliche Erfolge gehabt. Aber
1. Ist die Mortalität nach einer Hepatikusdrainage geringer
als nach einer Choledochotomie mit Naht. Das kommt daher,
dass die Operation rascher von statten geht und die Infektion
im Ilepatikus viel schneller beseitigt wird.
2. Uebersieht man nach einer Hepatikusdrainage viel sel¬
tener Steine Avie nach einer Choledochotomie mit Naht. Bei der
letzteren Operation muss auch der geübteste Chirurg in ca. 10
bis 15 Proz. der Fälle mit übersehenen Steinen rechnen. Bei der
Hepatikusdrainage richtet man aber die Wundverhältnisse so
ein, dass ein nachträgliches Entfernen der Steine leicht möglich
wird. Ich habe so oft bei der Nachbehandlung Steine aus den He-
patikusästen herausgespült, dass ich bedaure, dass die Hepatikus¬
drainage von anderen Chirurgen so selten geübt wird. Aber die
Zeit, dess bin ich gewiss, wird nicht mehr fern sein, dass man
ganz und gar auf die Choledochotomie mit Naht verzichtet.
Früher hat man ja auch die Cystendyse häufig vorgenommen,
28. Oktober 1902.
MUENCIIFNER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1803
in letzter Zeit aber mehr und mehr verlassen. Und wer die
pathologische Anatomie der Cholelithiasis als die Richtschnur
seines Handelns betrachtet, der wird derartige Versenkungen
und Nähereien an Choledochus und Gallenblase aufgeben und
den sicheren Weg der Drainage wählen. Um aber eine spätere
Ausspülung der Steine aus den Gallengängen zu ermöglichen,
ist eine recht ausgiebige Tamponade um den Hepatikusschlauch
herum notwendig, wie ich dieselbe früher in verschiedenen
Publikationen schon ausführlich genug beschrieben habe.
Natürlich besitzen wir selbst in der Ilepatikusdrainage kein
absolut sicheres Mittel zur Entfernung sämtlicher Steine, denn
wenn diese in den feinen Aesten des Hepatikus verteilt sind, so
hilft überhaupt keine Operation, man müsste schon die ganze
Leber entfernen, was bisher aber nur dem pathologischen Ana¬
tomen erlaubt war.
Hat man nach der Hepatikusdrainage die Tamponade ent¬
fernt, was gewöhnlich in meiner Klinik am 14. Tage post op.
vorgenommen wird, so führt man einen Spülkatheter erst in
den Hepatikus und dann duodenalwärts in den Choledochus ein
und befördert übersehene oder absichtlich zurückgelassene Steine
heraus. Aber das ist oft leichter gesagt als getan. Man fühlt
den Stein bisweilen mit der Sonde, er steckt aber so fest, dass
er weder mit Kornzange noch mit Steinlöffeln erreichbar ist.
Da hat sich mir einmal eine technische Massnahme bewährt, die
vielleicht Ihr Interesse erwecken wird. Ich habe in die Cliole-
dochusinzision leberwärts einen Laminariastift vorgeschoben
und so den Hepatikus derartig erweitert, dass der Stein am
nächsten Tag mit einer Kornzange gefasst und entfernt werden
konnte. Für den Patienten war diese Prozedur höchst unan¬
genehm. Der quellende Stift machte ihm unsagbare Beschwerden
und ich musste schon 12 Stunden später denselben entfernen.
Aber er hatte seine Schuldigkeit getan, so dass ich am nächsten
Tag den Stein extrahieren konnte. Der Kranke ist jetzt völlig
geheilt.
Endlich will ich noch bemerken, dass ich nachträgliche
Folgen der Hepatikusdrainage (aszendierende Cholangitis, Fisteln
und Stenosen) bisher nicht beobachtet habe : Der Gallenfluss ver¬
siegt durchschnittlich in der 3. Woche und in der 6. Woche
ist die äussere Wunde verheilt.
Ich will heute weitere Erfahrungen nicht mitteilen, da ich
befürchten muss, Ihre Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch zu
nehmen. Ich behalte mir dieselben für eine spätere Veröffent¬
lichung vor, denn es wird Zeit, dass ich Ihnen über die Rezidive
nach Gallensteinoperationen berichte.
Auch in dieser Beziehung kann ich mich, da ich bereits zwei
ausführliche Arbeiten veröffentlicht habe, kurz fassen.
Ich leugne keineswegs die Möglichkeit eines echten Rezidivs,
d. h. ein Wiederwachsen der Steine, ja ich habe gerade im letzten
Jahre mehrere Beobachtungen bei meinen Operationen gemacht,
die darauf hinweisen, dass die Steinbildung nicht, wie z. B.
Leichtenstern glaubt, als „einmaliger Vorgang, der sich
das ganze übrige Leben nicht mehr wiederholt“, aufzufassen ist.
Nach meiner Meinung kann jede neue Infektion der Gallenwege
zur Steinbildung führen und ist deshalb das Rezidiv in der er¬
haltenen Gallenblase nach Cystostomie recht gut denkbar, trotz¬
dem ich persönlich ein solches durch eine erneute Operation
noch nicht habe nachweisen können.
In ca. 10 Proz. der operierten Fälle entstehen aber unechte
Rezidive durch absichtliches oder unabsichtliches Zurücklassen
der Steine, durch neue Entzündung in der Gallenblase, durch
Bildung von bandförmigen Adhäsionen und Hernien. Wer die
radikale Ektomie der Cystostomie vorzieht, wird seltener Re¬
zidive sehen wie der Chirurg, der nur Fisteln anlegt, und wer,
statt die Hepatikusdrainage in Anwendung zu bringen, grund¬
sätzlich den Choledochus näht, muss, worauf ich schon oben hin¬
wies, in ca. 15 Proz. mit einem Zurücklassen der Steine rechnen.
Es gibt nun Kollegen, die sich eine Freude daraus zu machen
scheinen, Rezidive nach Gallensteinoperationen zu sammeln.
Mit einer Lust und Liebe, wie man sie kaum bei Sammlern
exotischer Schmetterlinge und seltener Käfer findet, gehen sie
an ihre Arbeit. Ob diesen Aerzten die herrliche Entwicklung
der Gallensteinchirurgie Sorge macht oder ob sie nur von Wahr¬
heitsdrang getrieben die Schattenseiten der Gallensteinoperation
aufdecken wollen, wer will das ergründen? Ich halte mich auf
Grund meiner Erfahrungen nicht nur für berechtigt, sondern
sogar für verpflichtet, nochmals darauf hinzuweisen, dass kein
Arzt über die Art des Rezidivs ein Urteil abgeben sollte, der
nicht bei der betreffenden Operation zugegen war oder mit dem
Operateur über den aufgenommenen Befund und die angewandte
Methode Rücksprache genommen hat. Nur der Chirurg, bei¬
den Fall unter dem Messer gehabt hat, kann entscheiden, ob
übersehene Steine, Adhäsionen oder sonstige pathologische Vor¬
gänge das sog. Rezidiv veranlasst haben. Sobald aber ein Gallen¬
steinoperierter wieder Schmerzen bekommt, so tönt es aus allen
Ecken: „Die Steine sind wieder gewachsen!“ Und wenn man
dann dem Lärm nachgeht, so entpuppen sich die vermeintlichen
Steine als Fruchtkerne oder sonstige Gebilde, die der Verdauungs¬
kraft des Darmtraktus widerstehen. Es ist wahrhaftig nicht
nötig, dass wir Chirurgen in der Frage des Rezidivs so bevor¬
mundet werden. Ein guter Chirurg muss so wahrheitsliebend
sein, dass er von ganz allein das Vorkommen von Rezidiven be¬
kennt, und er muss so klug sein, dass er nicht erst abwartet, bis
andere ihn darauf aufmerksam machen.
Jedenfalls habe ich bisher ein echtes Rezidiv, d. h. ein Wieder¬
wachsen von Steinen in einer bestimmt völlig geleerten Gallen¬
blase noch nicht beobachtet und könnte somit die Frage
Naunyns, ob die Operation auch wirklich eine völlige Hei¬
lung garantiert, mit einem lauten „Ja“ beantworten, denn ich
sehe bereits auf eine 12 jährige Tätigkeit auf dem Gebiete der
Gallensteinchirurgie zurück. Aber ich halte die Frage Naunyns
für gar nicht berechtigt. Wenn wir Blasensteine durch Litho-
lapaxie oder durch die Sectio alta entfernen oder wenn wir
Nierensteine aus dem Nierenbecken durch die Nephrotomie ans
Tageslicht befördern, so verlangt weder der Arzt noch der
Patient eine Garantie, dass solche Steine nicht wieder wachsen.
Aus welchen Gründen ist diese Forderung bei Gallensteinen be¬
rechtigt? Verlangt denn der Chirurg, wenn er einen Patienten
nach Karlsbad schickt, dass unter allen Umständen die Koliken
schwinden, Steine abgehen und niemals neue Beschwerden auf-
treten? Man gehe also in seinen Anforderungen an den Chi¬
rurgen nicht zu weit, und wenn es wirklich wahr ist, dass die
Steine wieder wachsen, dann ist es eine sehr schöne Aufgabe der
inneren Medizin, die Wiederentstehung der Steine zu verhüten
und Rezidiven vorzubeugen. Die gründliche Entfernung der
Steine ist Aufgabe des Chirurgen, die Verhütung ihrer Wieder¬
kehr Pflicht des Inneren, so laute die Parole. Jedenfalls steht
das Argument, welches immer wieder gegen die Operation vor¬
gebracht wird, dass die Steine wiederwachsen könnten, auf sehr
rhachitischen Beinen.
Seit meiner letzten Arbeit über Rezidive nach Gallenstein¬
operationen in der Berliner Klinik (Heft 148) habe ich in 13 *)
von mir operierten Fällen über sogen. Rezidive etwas gehört und
ich habe über sämtliche 720 Laparotomien ganz genaue Erkundi¬
gungen eingezogen.
In 2 Fällen hatte ich die Gallenblase entfernt, und da zur Zeit
kein Ikterus bestand, und die Palpation des Choledochus negativ
ausfiel, glaubte ich auf die Inzision des Choledochus resp. auf
die Hepatikusdrainage verzichten zu können. Es kam aber später
zu Koliken mit Ikterus und zum Abgang von alten fazettierten
Steinen und es ist mir jetzt klar, dass ich dieselben im Choledochus
zurückgelassen habe. Gerade diese beiden Fälle haben mich in
meiner schon oben ausgesprochenen Ansicht, dass die Ektomie
inklusive Hepatikusdrainage die Nonnalinethode im sogen, freien
Intervall sein sollte, bestärkt.
In einem 3. Fall hatte ich bei Empyem der Gallenblase,
welches schon in die Bauchdecken perforiert war, operiert und
einen wallnussgrossen Stein entfernt. Patient, im Jahre 1894
operiert, war 8 Jahre lang völlig gesund und bekam dann wieder
Beschwerden, die auf eine neue Entzündung in der Gallenblase
hindeuteten. Der Kranke ist aber so wenig in seinem Beruf ge¬
stört, dass ich zu einer Wiedereröffnung der Gallenblase keinen
Grund hatte.
In einem 4. Fall hatte ich eine Choledochotomie mit Naht
ausgeführt und einen Stein zurückgelassen. Patient war 4 Jahre
lang gesund und bekam dann wieder Ikterus, Koliken und Fieber.
Ich habe deshalb eine neue Operation vorgeschlagen und hoffe,
durch dieselbe den Kranken zu heilen.
Die beiden letzten Fälle zeigen, welch’ grosse Tendenz die
Cholelithiasis zur Latenz hat.
In einem 5. Fall hatte sich ein Stückchen der Gazetamponade
in den Choledochus abgestossen und zur Inkrustation geführt.
Eine Hepatikusdrainage besserte den angerichteten Schaden
völlig aus.
*) Noch in einem 14. Fall kam es nach einer Ektomie zum
Abgang von Steinen, die bei der Operation im Choledochus über¬
sehen wui'den.
5*
IS04
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Im 6. Fall entpuppte sieli das nach einer Ektomie auftretende
sogen. Rezidiv als ein Bandwurm. Als dieser samt Kopf ab¬
getrieben war, blieben die Leibschmerzen weg.
Bei 3 Fällen verschwand das Rezidiv, d. li. ein bohrender und
dumpfer Schmerz in der Gegend der Gallenblase, als die Narbe
wieder aufbrach und sich Seidenfäden abstiessen. Seitdem ich
keine versenkten Nähte mehr anwende, sondern dieselben lang
lasse und vollständig entferne, habe ich von solchen Rezidiven
nichts mehr gehört.
Im 10. Fall verlor sich das rätselhafte Erbrechen und die
häufig wiederkehrenden Schmerzen im Bauche, als statt des er¬
warteten Abgangs von Steinen ein 10 pftindiger Knabe zum Vor¬
schein kam.
Im 11. Fall sind mir die trotz Ektomie immer wiederkehrenden
Koliken, offen gestanden, unerklärlich. Ob dieselben mit der noch
bestehenden Wanderniere in Zusammenhang zu bringen sind,
möchte ich bezweifeln, aber soviel steht fest, dass gleichzeitige
Erkrankungen des Magens (Ulcus), der Appendix und auch die
bewegliche Niere, nicht selten den Erfolg der gut gelungenen
Gallensteinoperation sehr in Frage stellen. Ich habe in den meisten
Fällen, wie auch schon aus der Tabelle I hervorgeht, kompli¬
zierende Erkrankungen des Magens und des Darmes sofort opera¬
tiv angegriffen, aber bei einigen besonders schwachen Kranken
musste jeder Nebeneingriff unterbleiben, und in solchen Fällen
kann man nicht immer auf einen vollen Erfolg rechnen.
Auch dann, wenn die Operation ganz zuletzt als Ultimum
refugium ausgeführt wird und wir den Choledochus und He-
patikus vollgepfropft mit Steinen vorfinden, kehren die Koliken
oft wieder.
2 Fälle dieser Art möchte ich zum Schluss noch kurz mit-
teilen :
Bei der einen Patientin lag ein typischer Hydrops der Gallen¬
blase vor. Nach der Cystostomie floss Galle, aber das Stöpsel¬
experiment stellte fest, dass der Choledochus undurchgängig war.
Ich operierte zum zweitenmal und war erstaunt, den Choledochus
mit vielen Steinen angefüllt zu finden, um so mehr als jede Spur
von Ikterus, auch bei der ersten Operation fehlte. Ich führte die
Hepatikusdrainage aus, aber immer kamen noch Steine während
der Nachbehandlung zum Vorschein. Schliesslich schloss sich die
Choledocliusfistel, doch bekam Patientin wieder Koliken mit
Ikterus, und es unterliegt gar keinem Zweifel, dass ich nicht alle
Steine entfernt hatte. Die Kranke war in diesem Jahr in Karls¬
bad und ist zur Zeit frei von Ikterus und Schmerzeu. Es ist aber
sehr leicht möglich, dass eine nochmalige Operation notwendig
wird.
Der andere Fall ist seinem Rezidiv erlegen. Hier hatte ich
ebenfalls bei der ersten Operation nicht alle Steine auf einmal ent¬
fernen können. Sie steckten tief in den Hepatikusästen und erst
während der Nachbehandlung gelang es mir, noch ca. 200 Steine
aus den Gallengängen herauszuspülen. 3y2 Monate lang habe
ich die Choledocliusfistel aufgehalten und die Lebergänge aus-
gespiilt. Da dann die Galle klar abfloss, und ich schon wochen¬
lang keine Steine mehr gefunden hatte, drängte die Patientin zur
Abreise. Zu Hause fühlte sie sich % Jahre lang ganz wohl, sah
blühend aus, nahm ausserordentlich an Körpergewicht zu und
konnte alle Speisen vertragen. Dann bekam sie Cholangitis
( Fieber, Schüttelfröste und Ikterus) und ging unoperiert zu Grunde.
Erst am 8. Tage der Erkrankung wurde ich um meinen Rat ge¬
lragt. Ich schlug Spaltung der Narbe und Hepatikusdrainage vor,
aber ich kam mit meinem Vorschlag zu spät. Noch an demselben
Tag starb die Patientin ohne Operation.
Im übrigen habe ich nach der Ektomie, kombiniert mit der
Hepatikusdrainage, kein Rezidiv erlebt und ich möchte deshalb
dieser Methode die besten Dauererfolge zuerkennen. Aber auch
bei den einfachen Cystostomien und Ektomien gehören nach¬
trägliche Beschwerden zu den Ausnahmen und ich kann mit
voller Bestimmtheit behaupten, dass 90 Proz. aller Operierten
von Koliken, Ikterus und sonstigen Qualen verschont blieben.
M. II.! Nachdem Sie nunmehr meine Ansichten über die
Erühoperation, die Indikationsstellung zur inneren und chi¬
rurgischen Behandlung der Cholelithiasis gehört haben und über
meine augenblicklichen und Dauererfolge genau orientiert sind,
bescliliesse ich meinen Rückblick mit einem freudigen Ausblick
in die Zukunft, denn ich bin gewiss, dass der Gallensteinchirur¬
gie noch herrliche Erfolge beschieden sind. Zwar wird dieselbe
niemals Allgemeingut der praktischen Aerzte werden, denn dazu
ist die Technik der Operationen zu schwierig und die Nach¬
behandlung zu zeitraubend und nur in einem gut geleiteten Kran¬
kenhause kann man gute Erfolge erzielen. Man muss sich ganz
und gar auf seine klinische Tätigkeit beschränken, wenn man
den grossen Anforderungen, welche die Nachbehandlung der
Gallensteinoperierten an den Arzt stellen, gerecht werden will.
Aus diesem Grunde werden nur Spezialchirurgen, die in ihrer
Pflichterfüllung durch eine hausärztliche Praxis nicht gestört
werden, die Gallensteinchirurgie mit Erfolg ausüben können.
Deshalb sollte der allgemein praktizierende Arzt von einer Gallen¬
steinoperation im Hause des Patienten ein für alle Mal absehen.
Aber es ist zu hoffen, dass unter den Chirurgen selbst die Zahl
derer wachsen wird, welche die Ausbildung dieses herrlichen
Zweiges der operativen Heilkunde sich angelegen sein lassen.
Bisher liegt die Gallensteinchirurgie nur in den Händen ein¬
zelner Chirurgen : diese müssen ihre Erfahrungen mitteilen, da¬
mit die weniger Geübten daraus einen Nutzen ziehen. Am
meisten lernt man aber, wenn man bei den Operationen zugegen
ist, und auch der innere Arzt soll das nicht versäumen, damit
er die pathologische Anatomie erlernt und in der Diagnosen-
und Indikationsstellung sich ausbildet. Wird dieser mein Wunsch
erfüllt, so bin ich überzeugt, dass die Opposition, die sich noch
vielfach gegen die operative Behandlung der Cholelithiasis in
inneren Kreisen geltend macht, von ganz allein schwinden wird.
Bei der Behandlung vieler Krankheiten, die bisher zur un¬
bestrittenen Domäne der inneren Medizin gehörten, hat sich das
Wort Billroths: „Die innere Medizin muss chirurgisch wer¬
den“, teilweise bereits erfüllt. Für die Therapie der Cholelithiasis
möchte ich dies Wort etwas modifizieren und sagen: „Die innere
Medizin muss chirurgischer werden“, und fürwahr, nach
den Erfolgen, die wir Chirurgen auf dem Gebiete der Abdomi¬
naloperationen erzielt haben, dürfte dieses Wort Billroths,
der selbst einmal hier in Karlsbad weilte und die vortreffliche
\\ irkung einer Karlsbader Kur am eigenen Körper erprobte, sich
verwirklichen lassen. Doch dazu gehört ein einmütiges
Vorgehen der inneren Medizin und Chirurgie.
Ich möchte die Stellung, welche der Chirurgie neben der
inneren Medizin bei der Behandlung der Gallensteinkrankheit
heutzutage gebührt, durch eine Art von Vergleich, der sich mir
in dieser Zeit der herbstlichen Manöver unwillkürlich aufdrängte,
kennzeichnen und sagen : das Oberkommando im Kampfe gegen
die Gallensteine gehört unter allen Umständen der inneren Medi¬
zin, doch darf des Chirurgen beratende Stimme nicht gänzlich
überhört werden. Wir Chirurgen sind ja nicht unbescheiden
und verlangen nicht etwa den Posten eines Chefs des General¬
stabs zu verwalten, doch dürfen wir auch nicht ganz zuletzt,
wenn alle Hilfstruppen erschöpft und alle Angriffe vom Feinde
abgeschlagen sind, um unseren Rat gefragt werden. Von An¬
fang an muss dem Chirurgen Gelegenheit gegeben werden, an
der Ausarbeitung des I eldzugplans und an der Kriegsführung
sich zu beteiligen. Und herrscht dann zwischen uns Einigkeit
und Eintracht, und ziehen wir dann vereint gegen den hart¬
näckigen Feind ins Feld, die sieggewohnten Fahnen mit der In¬
schrift „V iribus unitis“ entrollend, dann werden von unserem
einmütigen Vorgehen den grössten Nutzen haben unsere Schütz¬
linge, für die wir kämpfen, unsere Kranken, die vor Schmerzen,
Siechtum und Tod zu bewahren unsere höchste Aufgabe ist:
„Salus acgroti suprema lex !“
Referate und Bücheranzeigen.
Otfrid Förster: Die Physiologie und Pathologie der
Koordination. Eine Analyse der Bewegungsstörungen bei den
Erkrankungen des Zentralnervensystems und ihre rationelle
Therapie. Jena 1902. Gustav Fischer. 316 S.
Das Buch, in dem Verfasser eine zusammenhängende Dar¬
stellung der Lehre von der Koordination zu geben beabsichtigt,
zerfallt in 2 Teile, in einen allgemeinen und in einen speziellen
Teil; der allgemeine Teil enthält einen physiologischen und einen
pathologischen Abschnitt.
Eine Bewegung ist dann koordiniert, wenn sie einen be¬
stimmten Zweck mit geringstem Energieverbrauch erfüllt; hier¬
zu bedarf es des Zusammenwirkens verschiedener Muskeln und
der Tätigkeit von einzelnen Teilen des Zentralnervensystems.
Diese Assoziation beruht, wenn überhaupt, sicher nicht allein
auf besonderen präformierten Einrichtungen in motorischen Ab¬
schnitten des Nervensystems, sondern auf der Funktion zentri¬
petaler Bahnen, die eine positive und negative Rolle bei der Aus¬
lösung der Muskelinnervation spielen können. Das Grosshirn
verwertet optische, vestibuläre und sensible Merkmale im engeren
Sinne. Das Rückenmark wirkt rasch, grob automatisch, das
Gehirn langsamer, feiner abgestuft, mit Wahl; das Kleinhirn ist
tätig im Sinne der Gleichgewichtserhaltung des ganzen Körpers.
Koordinationsstörungen sind alle diejenigen Motilitäts¬
störungen, wrelche auftreten, wenn ein bezweckter Effekt produ-
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1805
ziert wird. Isolierte Störungen einer einzelnen einwertigen Bahn
sind selten. Das Studium der Störungen wird weiter erschwert,
da diese durch bestimmte Einrichtungen cachiert und vermieden
werden können. Tritt an Stelle des defekten Mechanismus ein
anderer der verschiedenen über- und nebeneinander geschalteten
Mechanismen, so sprechen wir von Kompensation. Auf der Mög¬
lichkeit der gegenseitigen Vertretung baut sich eine rationelle
Therapie aus, der Blinde macht von ihr unbewussten Gebrauch,
der den visu-zerebralen Koordinationsmechanismus durch den
sensit ivo-zerebralen ersetzt.
Die Funktion eines geschädigten Mechanismus kann durch
Aufmerksamkeit, durch attentionelle Bahnen, verfeinert werden ;
geschieht dies dauernd, so spricht man von Uebung’. Auch diese
wird neben der Kompensation therapeutisch verwertet.
Der spezielle, bei weitem grössere Teil behandelt eingehend
die tabische Bewegungsstörung. Er bespricht das Verhalten ein¬
zelner Muskelgruppen oder Muskeln bei ihren verschiedenen
Funktionen, erörtert die Art und Natur einer Koordinations¬
störung, ihre Korrektur bezw. Ueberkorrektur und die Möglich¬
keit einer Besserung durch Kompensation oder Uebung. Ein¬
zelne, besonders gewählte Effekte, wie Stehen, Gehen, werden
analog behandelt.
In kurzen Zügen entwirft er ein Bild der physiologischen
Therapie und nimmt besonders auf die Bedürfnisse der Praxis
Rücksicht. Vor allem warnt er vor Uebermüdung, die sich in
der Zunahme der Pulsfrequenz kundgibt. Zum Beweis für den
guten Erfolg der Therapie teilt er verschiedene eigene, lehrreiche
Beobachtungen mit.
Die klare und anregende Darstellungsweise, die immer auf
bestimmte und gut gewählte Beispiele zurückgreift und durch
Illustrationen unterstützt wird, sei besonders hervorgehoben. Sie
macht das Buch auch für den anziehend, der dem Studium der
Koordination nicht ein solches Interesse entgegenbringt, dass er
sich ohne weiteres zur Lektüre einer so umfangreichen Abhand¬
lung über diesen Gegenstand entschliesst. Dass es mit der be¬
sonderen Berücksichtigung der Therapie den Praktikern einen
guten Dienst erweist, ist bereits hervorgehoben.
Ernst Sch u 1 1 z e.
L. W. W e b e r - Göttingen : Die Beziehungen zwischen
Geistesstörungen und körperlichen Erkrankungen. Sammlung
zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und
Geisteskrankheiten, herausgegeben von Dr. Konrad A 1 1. III. Bd.
Heft 7. Halle a. S., Verlag von Carl Mar hold.
Die Abhandlung ist nach einem Habilitationsvortrag ge¬
schrieben. Auf 50 Seiten gibt Verfasser in ausserordentlich über¬
sichtlicher Weise ein Bild von dem, was über den Zusammenhang
von körperlichen Erkrankungen und Geistesstörungen bekannt
ist. Die Erkrankungen, welche sich ausschliesslich am Gehirn
abspielen und dort gröbere Veränderungen setzen, werden natur-
gemäss nur gestreift. Die einzelnen Abschnitte betreffen :
1. traumatische Einwirkungen aller Art, 2. Intoxikationen,
3. akute Infektionskrankheiten, 4. sogen, konstitutionelle er¬
schöpfende Erkrankungen, wie Anaemie, Diabetes, Karzinose,
chronische Tuberkulose, 5. verschiedene, hauptsächlich in ein¬
zelnen Organen oder Organsystemen lokalisierte Erkrankungen.
Dass man bei manchen Schädlichkeiten im Zweifel sein kann,
in welche dieser Gruppen man sie einreihen soll, gibt Verfasser
selbst zu. Selten kommt für die Geistesstörung die körperliche
Erkrankung allein in Betracht. So hält Verfasser z. B. eine
lediglich durch eine Infektionskrankheit entstandene Paralyse
nicht für wahrscheinlich. Zahlreiche andere Ursachen, die man
als Prädisposition zusammenfassen muss, spielen ebenfalls eine
Rolle. Oft ist die körperliche Erkrankung nur das auslösende
Moment. Deshalb haben auch die betreffenden Psychosen nichts
für die Entstehungsursache Charakteristisches und verschwinden
nach Behebung des Grundleidens nicht. Wenn jedoch in seltenen
Fällen die körperliche Erkrankung die einzige oder hauptsäch¬
lichste Ursache der Pychose ist, so weist auch das klinische Bild
gewisse Symptome auf, welche für die Entstehung charak¬
teristisch sind, und es hört mit dem Verschwinden der äusseren
Schädlichkeit auch die psychische Störung auf oder bessert sich
wenigstens. (Einzelne Intoxikations- und Infektionspsychosen.)
Eine Literaturangabe zum Schluss des Buches erhöht den Wert
desselben. Bostoski - Würzburg.
Bibliothek von Coler-Schjerning. Band XIII :
A. M e n z e r : Die Aetiologie des akuten Gelenkrheumatismus.
Mit einem Vorwort von Senator. Mit 5 Tafeln. Berlin,
A. II i r s c h w a 1 d, 1902. Preis 5 M.
Seit der akute Gelenkrheumatismus als eine Infektions¬
krankheit erkannt wurde, ist man von den verschiedensten Seiten
bemüht gewesen, den spezifischen Erreger zu entdecken. Nach
einer kritischen Uebersicht über diese Forschungen schildert
Verf. seine eigenen Untersuchungen, nach denen allerdings
Mikroorganismen, und zwar in der Regel Streptokokken, die
Krankheit verursachen, aber nur dann, wenn das Körpergewebe
in seiner Lebensfähigkeit in irgend einer Weise geschädigt ist.
Die Eingangspforte bilden erfalirungsgemäss die Tonsillen bezw.
die oberen Luftwege; man kann daher den Gelenkrheumatismus
als die Folge einer Angina auf fassen, welche nicht auf die lokale
Rachenerkrankung beschränkt bleibt, sondern durch eine Blut¬
infektion zum Austrag kommt. Bezüglich der Therapie glaubt
Verf., dass die durch hohe Salizylgaben angestrebte rasche Be¬
seitigung der Gelenkschwellungen und des Fiebers der natür¬
lichen Heilreaktion des Organismus entgegengerichtet ist, und
erhofft günstige Resultate von einer Behandlung mit Anti¬
streptokokkenserum.
Band XIV: A. Hi 11 er: Der Hitzschlag auf Märschen.
Mit Benutzung der Akten der Medizinalabteilung des preussi-
schen Kriegsministeriums. Mit 6 Holzschnitten und 3 Kurven.
Berlin 1902. Preis 7 M.
Verf., dem wir bereits von früher her eine Reihe von grund¬
legenden Arbeiten über den Ilitzschlag verdanken, gibt in dem
vorliegenden Werk eine eingehende Beschreibung dieser so wich¬
tigen Armeekrankheit. Zunächst wird die Geschichte des Hitz-
schlages besprochen, dann sein Vorkommen und seine Häufig¬
keit, hierauf besonders ausführlich die Aetiologie; es folgt dann
die Pathogenese, das Krankheitsbild, Verlauf und Ausgänge,
Leichenbefund, Prophylaxis und Therapie. Die Arbeit stützt
sich auf ein Material von 574 Fällen von Hitzschlag mit
95 Todesfällen, die in der preussischen Armee während der
Jahre 1889 bis 1900 sich ereignet haben, und ist dadurch be¬
sonders wertvoll und zuverlässig.
Dieudonne - Würzburg.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1902. 74. Bd*
1. u. 2. Heft.
Nekrologe auf Adolf Kuss maul und Karl Gerhardt.
1) B u 1 1 e r m a u n : Einige Beobachtungen über das V er¬
halten des Blutdrucks bei Kranken. (Aus der medizinischen
Klinik in Greifswald.)
Die mit einem modifizierten Riva-Rocc i’schen Apparat
angestellten Beobachtungen ergaben, dass bei vielen Fällen von
akuter Nephritis der Blutdruck erheblich steigt, und zwar ziemlich
rasch nach Beginn der Nephritis, um in der Regel das Maximum
nach einigen Tagen zu erreichen, und parallel der Besserung der
nephritisehen Erscheinungen abzusinken. Gleichzeitig besteht ent¬
weder nur eine Accentuation der 2. Töne an der Herzbasis und
hebender Spitzenstoß« oder auch noch Dilatation. In anderen,
leichten und schweren Fällen blieb die arterielle Blutdruck-
Steigerung völlig aus, ohne dass sich hiefür ein Grund angeben
lässt. Bei chronischer Nephritis (primäre und sekundäre Schrumpf¬
niere) wurde der Blutdruck ebenso regelmässig dauernd erhöht
gefunden, als er bei Amyloidniere fehlte; bei der chronisch-par¬
enchymatösen Nephritis schwankte der Befund von subnormalen
bis zu normalen Werten. Das Herz war entweder frei von kli- ,
nischen Befunden, oft aber fanden sich accentuierte Töne an der
Herzbasis, Verbreiterung etc.; in solchen Fällen bestanden auch
meist Oedeme, die recht wohl eine Folge relativer Herzinsuffizienz
sein konnten, und die Nierenerkrankung beherrschte das Krank¬
heitsbild.
Bei Venaesektion Gesunder sank der Blutdruck in allen
Fällen, um langsam zur Norm zurückzukehren; bei mehr als 200 g
Blutentnahme gesellten sich Kopfschmerz, Schwindel, Ohren¬
sausen dazu. Bei Zirkulationsstörungen liesse sich dadurch viel¬
leicht eine günstige therapeutische Wirkung erzielen, da wohl eine
vorübergehende Erleichterung der Herzarbeit eintreten würde.
Bei Bleiintoxikation war der Blutdruck unverändert: Gesunde
und Herzkranke ohne Kompensationsstörung zeigten nach Arbeit
am Ergostaten eine mässige Steigerung, während bei Kompen¬
sationsstörung ein Sinken auftrat.
2) H. Hochhaus: Zur Pathologie der Bronchitis fibrinosa.
Die Untersuchung ausgehusteter Gerinnsel ergab in einem
Falle hauptsächlich Schleim, dem in mässiger Menge desquamiertes
Bronchialepithel und wenige Leukocyten beigemengt waren. H.
ist geneigt, die „Bronchitis fibrinosa“ in eine mueinöse und fibri-
1806
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIET.
No. 43.
nüse Form einzuteilen; warum bei wesentlich gleichem anatomi¬
schen Befunde in einem Falle Fibrin, in anderen Mucin abgeson¬
dert wird, ist schwer zu sagen. Doch findet sich auch in ähnlicher
Weise beim Bronchialasthma ein wechselnder Sputumbefund.
Eine dazu verwandte Erkrankung ist wohl auch die sogen. Bron¬
chiolitis ohliterans. Vielleicht repräsentieren diese 3 Affektionen
nur 3 Typen steigender Intensität der Schleimhauterkrankung der
Bronchialwand, wobei auch die klinischen Symptome manche Aehn-
lichkeit aufweisen.
3) E. II e d i n g e r: Klinische Beiträge zur Frage der Hämo¬
lyse. ("Aus der mediz. Universitätsklinik zu Königsberg i. Fr.)
II. studierte die hämolytischen Eigenschaften von Blutserum
verschiedener Herkunft, das aus therapeutischen oder diagnosti¬
schen Gründen durch Funktion einer Arnivene gewonnen wurde.
Bei Typhus, in verschiedenen Stadien der Erkrankung, Pneumonie,
Scharlach, Kompensationsstörungen, Pyämie, Coma diabeticum,
Nephritis ohne Urämie war die Hämolyse ganz normal. Alle diese
Sera zeigten in inaktiviertem Zustande eine starke Agglutination
der roten Blutkörperchen, um so intensiver, je prompter die Hämo¬
lyse eintrat. Auf der Höhe der Urämie bei Nephritis kam sowohl
in unverändertem, als auch mit inaktivem Serum versetztem Serum
keine Hämolyse zu stände; erst mit dem Abklingen der Urämie
stellten sich wieder normale Lösungsverhältnisse ein, gleichzeitig
kam es bei blossem Zusatz inaktivierten Serums wieder zu starker
Agglutination. In einem Falle von Urämie (Scharlachnephritis)
dauerte die gestörte Hämolyse noch lange fort, als schon die kli¬
nisch erkennbaren urämischen Erscheinungen vorüber waren.
Während bei Transsudaten die Hämolyse meist gut war, be¬
stand bei Exsudaten eine ausgesprochene Hemmung der Hämolyse,
ohne dass sich bei der wenig scharfen Grenze beider ein bestimmtes
Gesetz aufstellen Hesse.
Die Frage, warum sich die Störung der Hämolyse nur in
urämischen Seris findet, muss zur Zeit noch als eine offene be¬
zeichnet werden, da die als Erklärungsmöglichkeit in Betracht
kommende Erhöhung der molekularen Konzentration des Blut¬
serums nicht in allen Fällen von Urämie vorhanden ist, anderer¬
seits die Stärke der Hämolyse in serösen Flüssigkeiten nicht von
der Menge der Eiweisskörper abhängig ist. Der praktisch-klinische
Wert der hämolytischen Untersuchung entspricht zur Zeit nicht
seiner theoretischen Bedeutung; dies würde erst dann der Fall
sein, wenn dadurch auf das Drohen einer Urämie aufmerksam
gemacht würde, bevor andere, grobklinische Merkmale darauf hin¬
wiesen, sowie bei der Differentialdiagnose gegenüber urämieähn-
liclien Erscheinungen.
4) Jul. A. Grober: Der Tierversuch als Hilfsmittel zur
Erkennung' der tuberkulösen Natur pleuritischer Exsudate, seine
Methodik und die Bewertung seiner Ergebnisse. (Aus der mediz.
Universitätsklinik zu Jena.)
Die Probepunktion gibt wohl über die Eigenschaften patho¬
logischer Flüssigkeiten manchen Aufschluss, lässt aber in Folge
der geringen Quantität des Versuchsmaterials bezüglich der Aetio-
logie meist im Stiche. Viel wertvoller ist dagegen die Ueber-
itnpfung der durch Punktion gewonnenen pleuritischen Flüssigkeit
in die Bauchhöhle eines Tieres, die zugleich ein vorzüglicher Nähr¬
boden für den Tuberkelbazillus ist und die Verwendung grösserer
Mengen (10 ccm) gestattet. Dann entsteht bei der fast absoluten
Empfänglichkeit der injizierten Tiere für Tuberkulose bei intra¬
peritonealer Infektion eine spezifische Entzündung, die autoptisch
bestätigt werden kann. Nach ausführlicher Besprechung der Vor-
sichtsmassregeln, die nötig sind, um eine zufällige Infektion zu
vermeiden, kommt G. zu dem Schluss, dass in klinisch als tuber¬
kulös anzusprechenden Pleuraexsudaten trotz mangelnden Nach¬
weises durch mikroskopische Methoden der Bazillus regel¬
nd ä s s i g enthalten ist; bei der sogen, idiopathischen, nicht durch
Neubildung oder Infektionskrankheiten bedingten Pleuritis ist in
% — y2 der Fälle Tuberkulose vorliegend. Es empfiehlt sich, meh¬
rere Tiere mit dem gleichen Exsudat (je 10 ccm) zu impfen, um
von dem zufälligen Fehlen der Bazillen selbst in einem grösseren
Quantum unabhängig zu sein.
5) W. Müller: Experimentelle und klinische Studien über
Pneumonie. II. Vorkommen und Verbreitungsweise der Bak¬
terien bei der Pneumonie. (Aus der medizin. Klinik zu Leipzig.)
In dieser sehr interessanten Arbeit sucht M. den Werdeprozess
der Lungenentzündung Schritt für Schritt an Hand experimen¬
teller Vaguspneumonien zu verfolgen und ganz besonders das Ein¬
dringen und Fortschreiten der Infektionserreger im Verlaufe der
Genese der Lungenentzündung auf Uebersiclitsbildern über die
ganze Lunge zu studieren. Nach kurzer Besprechung des kli¬
nischen Bildes der Vaguspneumonie kommt M. auf Grund seiner
mit grosser Sorgfalt angestellten Beobachtungen und möglichst
den natürlichen Verhältnissen angepassten Versuchsbedingungen
zu folgenden Schlüssen:
1. Die bakterienführenden Fremdkörper (Mundepit heben)
reizen die Bronchialschleimhaut zu stärkerer Sekretion und Aus¬
tritt von Kundzellen. Eine Infektion des Lungengewebes durch
die Bronchialschleimhaut hindurch findet nicht statt.
2. Auf das respiratorische Gewebe gelangt, erzeugen die bak¬
terienführenden Fremdkörper zunächst eine mechanische Schä¬
digung des nächstliegenden Lungengewebes, wodurch wohl die
Aufnahme der Bakterien in die Alveolenwand begünstigt wird.
Von dieser aus werden gleichzeitig die anliegenden, nicht mit dem
das Infektionsmaterial zuführenden Endbronclius kommunizieren¬
den Alveolen ergriffen. Bei der Weiterausbreitung in den Septen
gerät der Endluftsack des Endbronchus durch Infektion der ge¬
meinschaftlichen Wand gleichzeitig in Entzündung.
3. Die Weiterverbreitung der Bakterien von dem primären
Infektionsherd erfolgt in den Saftkanälen der Septen, die Aus¬
breitungsweise der Bakterien bei der Vaguspneumonie ist also eine
interstitielle, an das Lymphgefässystem gebundene.
4. Die in den Septen weitergewanderten Bakterien werden
dadurch nach dem Innern der Alveolen eliminiert, dass die aus¬
kleidenden Epithelien sich mit ihnen von der Wand lösen.
5. Auf diese Art der Verbreitung können durch Weiteraus¬
breitung einzelner Herde und deren Konfluenz völlig lobäre Pro¬
zesse entstehen.
Bei menschlichen Pneumonien zeigte sich, dass die Aus¬
breitung der Infektionserreger auch bei den Aspirationsprozessen
und der kruppösen Pneumonie auf interstitiellem Wege in den
Saftbahnen der Septen geschieht und von da aus auf die eigent¬
lichen Lymphgefässe übergreift. Die interstitielle Verbreitung
der Keime, die schon für die „zelügen“ und die Bronchopneumo¬
nien bekannt ist, kommt also allen Pneumonieformen als gemein¬
schaftliches Ausbreitungsprinzip zu. Die frühzeitige Entzündung
der pleuralen Lymphgefässe erklärt die Seitenschmerzen, welche
im Beginn der Lungenentzündung auftreten, noch ehe die Infil¬
trationen und Exsudationsprozesse manifest geworden sind.
Unter 103 Pneumonien fand sich 98 mal Diplokokkus Fränkel-
Weichselbaum, 18 mal in Reinkultur, sonst Bakteriengemische,
4 mal Friedländer, ohne dass sich für die eine oder andere Form
prägnante Symptome aufstellen Messen.
6) L. Schreiber: Ueber multiple Divertikelbildung im
Dickdarm. (Aus dem patholog. Institut zu Königsberg i. Pr.)
Man unterscheidet angeborene, wahre Darmdivertikel,
die von sämtlichen Darmwandschichten gebildet werden (z. B.
Meckel sclies Divertikel), e r w orbene fai s c li e, meist mul¬
tipel auftretende, die lediglich einen liemiösen Durchtritt der
Schleimhaut durch die Muskularis darstellen, und erworbene
wahre Divertikel. Als Ursache der erworbenen, echten Diver¬
tikel fanden sich in einigen Fällen Tumoren der äusseren Darm¬
wand oder chronische Peritonitis, bei den meisten jedoch blieb
die Genese völlig dunkel. Unter Ablehnung der Gras ersehen
Gefässtheorie, dass bei Individuen mit stärkerer Stauung im Ge¬
biete der Mesenterialvenen leicht Ausstülpungen der Darmschleim¬
haut entstehen, da bei der durch die Zirkulationsstörung bedingten
Schwankung in der Füllung und Ausdehnung der Venen grosse
Lücken in der Darmwand entstehen, die eine verminderte Wider¬
standsfähigkeit. besonders der Muskelhaut bedeuteten, neigt Sehr,
hei seinen 6 Fällen, die er für Pulsionsdivertikel hält, zu der An¬
sicht, dass es sich um eine primäre, erworbene Schwäche der
I iarmmuskulatur handelt.
7) M. Kaufmann und L. Mohr: Beiträge zur Alloxur-
körperfrage und zur Pathologie der Gicht. (Aus der mediz. Ab¬
teilung des städt. Krankenhauses zu Frankfurt a. M.)
Muss im Original gelesen werden.
8) II. L ii t h j e: Ueber die Wirkung von Salizylpräparaten
auf die Harnwege nebst einigen Bemerkungen über die Genese
der Zylinder und Zylindroide. (Aus der mediz. Klinik zu Greifs¬
wald.)
L. machte an 33 Kranken die auffällige Beobachtung, dass
nach Verabreichung von Salizylsäure und deren Präparaten
(Aspirin, Salipyrin, Salol) regelmässig bei vorher ei weiss¬
freien Urinen entweder eine mehr oder weniger reichliche Albu¬
minurie oder auch bloss Zylinder oder andere pathologische Form¬
bestandteile aus allen Abschnitten des Harnapparates, gelegent¬
lich auch noch weisse und rote Blutkörperchen auftraten; sehr
häufig fanden sich auch Kalkoxalatkristalle im Sediment. Die
Wiederkehr normaler Urinverhältnisse erfolgte durchschnittlich
2 — 3 Wochen nach Aussetzen des Mittels. Je grösser die Dosis
und die zeitliche Konzentration, um so ausgesprochener im all¬
gemeinen die pathologischen Erscheinungen. Stets wurden die
Kochprobe mit Essigsäure, die Unterschichtung mit N03 H und die
Essigsäure-Ferrocyankaliumprobe nebeneinander verwendet, auch
die minimalste Trübung als positiver Eiweissbefund verzeichnet.
II ä u f i g w a. r e n zahlreiche Z y 1 i n d er v e r s c li i e d e -
n e r A r t. v o r h a n d e n, o b W o h 1 Biwei s s fehl t e (in
33 Fällen 204 mal Zylirder, 96 mal Eiweiss). Es erscheint dem¬
nach zweifellos, dass die Salizylsäure konstant an allen Stellen
des ganzen Harnapparates Reizerscheinungen mit vorwiegend
desquamativem Charakter setzt. Wenn auch ein völliger Verzicht
auf ein so wichtiges Arzneimittel nicht möglich ist, so gibt doch
Verf. jetzt nur mehr massige Dosen und nur 3 — 4 Tage lang.
Jedenfalls ist vor einem chronischen Gebrauch der Salizylpräparate
zu warnen. Den Schluss der Arbeit bildet eine Besprechung der
bisherigen Theorien über die Entstehung der Zylinder.
9) A. II a vi s m a n n: Ueber die Beeinflussung der Azidität
des Harns durch Rhodanverbindungen. (Aus dem ehern. Labora¬
torium der mediz. Klinik zu Freiburg i. Br.) (Mit 3 Kurven.)
II. gab einigen Kranken Rhodannatrium in Dosen von 0.1 bis
0,5 g pro die ohne wesentlichen Einfluss auf das Allgemeinbefinden.
Dagegen fand sich eine Abnahme der Azidität des Harnes, beson¬
ders der zweifach sauren Phosphate; Harnsäure und Gesamt-
pliosphorsäure waren nicht regelmässig verändert.
10) R. R ö s s 1 e: Ueber abnorme Sehnenfäden des Herzens.
(Aus dem patholog. Institut zu Kiel.) (Mit Tafel I.)
Das Vorkommen angeborener abnormer Sehnenfäden
des Herzens ist bekannt, in einigen Fällen sogar intra vitam dia¬
gnostiziert aus dem eigentümlichen Charakter des dadurch he-
28. Oktober 1902.
MUERCHENER MEOICIHISCHE WOCHENSCHRIFT.
1807
dingten Geräusches. R. berichtet über einen Autopsiefall, in wel¬
chem die abnormen Sehnenfäden des Herzens wohl infolge einer
Kompensationsstörung (Insuff, aortae et mitralis) aus den druck-
atrophischen und verdünnten Trabekeln entstanden sind. Die
Anomalie war natürlich infolge des Vitium cordis intra vitam nicht
festzustellen.
31) O. Henssen: Ueber sakkadiertes Atmen. (Heilstätte
Sonnenberg des Kreises Saarbrücken.)
Der klinische Begriff des sakkadierten Atmens beschränkt
sich auf lediglich bei direkter Auskultation wahrnehmbare Ab¬
sätze des Atemgeräusches, welche durch Unterbrechung, Ab¬
schwächung oder auch Verstärkung des Atemgeräusches bedingt
sein können. Das sakkadierte Atmen in den oberen Lungen¬
abschnitten gilt meist als Frühsymptom der Lungentuberkulose.
H. fand dasselbe bei 8(5 Gesunden nur 2 mal, unter 28(! Tuber¬
kulösen 31) mal, beim Inspirium am häufigsten, und zwar fielen
die einzelnen Abschnitte der Sakkade mit dein Herzschlage zu¬
sammen. Das pulsrhythmisch abgesetzte Atmen ist bei Tuber¬
kulose die Regel (besonders nach Amylni'trit deutlich) und ein
Zeichen einer Hyperämie des betreffenden Lungenabschnittes
oder Resterscheinung vorangegangener Entzündungen der Pleura
oder Lunge.
12) Kleinere Mitteilungen.
a) II. E i c h h o r s t - Zürich: Ueber ein Myxom des Magsns.
(Mit Tafel II.)
Ein 37 jähriger Mann, der seit kurzer Zeit leichte Magen¬
beschwerden ohne objektiven Befnud darbot, erbrach unter leicht
blutigem Auswurf ein 4 cm langes, 3 cm breites und ca. 0,5 cm
dickes Myxom, das wohl nur an einem sehr dünnen Stiel der
Magenschleimhaut aufsass. Das Ereignis scheint ohne weiteren
besonderen Schaden abgelaufen zu sein.
b) W. Pfeiffer: Pleuritis im Verlaufe von Typhus ab¬
dominalis. (Aus der mediz. Klinik zu Kiel.) (Mit 1 Kurve.)
Kasuistische Mitteilung.
13) Besprechung. B a m b e r g e r - Kronach.
Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P. v. Brun s.
Tübingen, JL a u p p. 1j02. <35. Bd. 2. Heft. Mit 6 Abb. im
Text u. 9 Tafeln.
Eine Arbeit aus der Breslauer Klinik über Kohlensäure¬
narkose vou O. It o t li s <• li i 1 d berichtet über entsprechende, an
traclieotomierten Kaninchen mit dem Kionka sehen Apparat
unternommene Versuche zur Klarstellung der Frage, ob sich durch
Ueberladung des Blutes mit Kohlensäure eine Narkose erzielen
lässt. Nach anfänglicher Reizung des Atmungszentrums zeigt sich
sofort eine lähmende Wirkung, die um so rascher zum Exitus führt,
je konzentrierter das Kohlensäuregemisch; bei 20 Proz. trat keine
ausgesprochene Narkose auf, bei 40 Proz. verschwanden nach
1 — 2 Minuten die Itefiexe und nach 30 — 00 Sekunden trat voll¬
kommene Unempfindlichkeit auf. bei 40 — 70 proz. Gemischen er¬
folgte in kürzester Zeit tiefe Narkose, aber nicht nur die in Blu¬
tungen auftretenden Veränderungen an Lungen und Pleura, son¬
dern besonders die nach der Kohlensäurenarkose auftretende
toxische Nephritis lässt diese Art der Narkose für die Chirurgie
nicht tunlich erscheinen.
Aus der gleichen Klinik berichtet E. G. Stu m m e über die
Erfahrungen derselben über die Kokainisierung des Rücken¬
marks, im Anschluss an 62 solche Narkosen. 55 mit Kokain, 7 mit
Tropakokain, von denen bei den ersten nach T u f f i e r sterilisiert,
bei den meisten eine 2 proz., nach besonderem Verfahren sterili¬
sierte Kokainlösung injiziert wurde (24 mal mit positivem Erfolg,
6 mal mit unvollkommenem, 6 mal mit negativem); in der Regel
wurde in sitzender Stellung in der Höhe der Darmbeinschaufeln,
etwas seitlich von der Mittellinie eingestocheu und nach Abfluss
von ca. 1 ccm Spinalflüssigkeit die Lösung injiziert und zwar in
kleinen Absätzen. Die Analgesie trat (wenn überhaupt) meist
nach 30 — 35 Minuten, bei einigen erst nach y2 Stunde ein. Sie war
4o mal eine vollkommene, 9 mal unvollkommene und reichte in der
Regel bis zur Nabelhöhe, selten bis zur Mammillarhölie, 12 mal
trat sie nicht ein. Als unangenehme Nebenwirkungen werden
Uebelkeit und Brechreiz, Erbrechen, Schweissausbruch, Beklem¬
mung, Tremor, Kopfschmerz bezeichnet, als Nachwirkungen:
Uebelkeit, Kopfschmerz, Rückenschmerzen, Gürtelgefühl, Schlaf¬
losigkeit. Diese sind auch die Ursache, warum man in der M iku-
1 i c z scheu Klinik von der Kokainisierung des Rückenmarkes Ab¬
stand genommen hat, besonders seit fast ausschliesslich Aether
zur Narkose verwendet wird.
W. Kassel gibt aus der gleichen Klinik einen Beitrag zur
operativen Behandlung der angeborenen Gaumenspalte, mit be¬
sonderer Rücksicht auf die funktionellen Erfolge, worin über
40 Fälle berichtet wird (von denen er 17 persönlich nachunter¬
suchen konnte, über 23 schriftlichen Bericht erhielt). Nachdem
eine lndicatio vitalis zur Frühoperation nicht liestelit, werden
die Kinder in Mikulicz’ Klinik meist zwischen 2 y2 und
4 Jahren operiert. Betr. Prognose und funktionellen Erfolg werden
die Fälle nach Altersgruppen geschildert; im allgemeinen wurden
iu 90 Proz. günstige Erfolge erzielt (lückenlose Heilung in 62 Proz.,
27,5 Proz. fast geheilt, 30 Proz. wurden nicht geheilt.
Aus der Königsberger Klinik belichtet V'. S i m o n über
Splenektomie hei dem primären Sarkom der Milz, im Anschluss
an einen glücklich operierten Fall bei 38 jähriger Frau, deren
Tumor kein schnelles Wachstum hatte und bei dem Schmerzen
fehlten. Im Anschluss daran bespricht S. die bisher operierten
Fälle von Milzsarkom (7 Fälle, 6 mit glücklichem Ausgang), ohne
daraus die sich ergebenden 66% Dauerresultate folgern zu
wollen; nur 3 Fälle scheinen als primäre Karzinome aufzufassen
zu sein.
Aus der Rostocker Klinik schildert .T. E lter — Rektum¬
tumor und Corpus liberum der Bauchhöhle — einen Fall, in dem
ein harter, liöckriger, in den Douglas vorspringender Tumor als
Karzinom des Rektums genommen und als solches operiert
wurde, aber später bei dem an Karzinommetastasen erfolgten
Exitus und durch Nachweis mehrerer ähnlicher Knoten in Netz
und Mesenterium, wie diese wohl als nekrotisiertes und verkalktes
Fibrolipom zu deuten ist, das in die Bauchhöhle gelangt und sich
am Rektum festgesetzt hatte. Anschliessend daran gibt E. noch
einige Mitteilungen über freie Körper der Bauchhöhle.
Aus der Königsberger Klinik berichtet ferner O. Ehrhardt
zur Anatomie und Klinik der Struma maligna und bespricht nach
den bisher in der Literatur niedergelegten Erfahrungen Aetiologie,
Pathologie und Histologie der malignen Struma; in der weit über¬
wiegenden Mehrzahl wird diese in schon vorher kropfigen Schild¬
drüsen beobachtet, in 21 Fällen wurde jedoch besonders erwähnt,
dass kein Kropf vorher bestand, besonders die retrosternale Lage
begünstigt regressive Veränderungen, ln % der Fälle von bös¬
artigem Kropf entstanden die Geschwülste hinter dem Sternum.
E. bespricht den Entwicklungsgang und das Wachstum, das zu¬
nächst intrakapsulär erfolgt, später durch Infiltration und Ver¬
schmelzung von primären und sekundären Knoten erfolgt; histo¬
logisch trennt er die häufigste Geschwulstart, das Medullakarzinom,
von den Adenokarzinomen (und unterscheidet bezüglich letzterer
«las Zylinderepithelkarzinom und das Adenokarzinom im engeren
Sinne). Auch die Sarkome und Mischgeschwülste epithelialer und
bindegewebiger Tumoren werden besprochen. Bezüglich der Sym¬
ptome sind die rasche Vergrösserung des Kropfes, die Schmerzen
und Atmungs- sowie Schlingbeschwerden zu betonen; in 40 Proz.
der Fälle hatte der Tumor seine Beweglichkeit beim Schluckakt
verloren, war auch nicht verschieblich. Von 131 Karzinomen und
307 Sarkomen der Literatur hatten 49 resp. 38 zu Lymplidrüsen-
metastasen geführt; bezüglich der Metastasen wird die auffällige
Bevorzugung der Knochenmetastasen besonders bei den Adeno¬
karzinomen betont, bezüglich der Diagnose auch auf eine bei der Pal
p ition event. sich zeigende Venenthrombose als wichtig aufmerksam
gemacht, da bei gutartigem Kropf Venenthrombosen nicht vorzu¬
kommen scheinen. Im allgemeinen muss jeder Kropf, der beim
Erwachsenen unmotiviert zu wachsen oder zu Beschwerden Anlass
zu geben beginnt, als der Malignität verdächtig erscheinen, wenn
nicht Blutung oder Entzündung als Motiv dieser Veränderungen
nachzuweisen. E. schildert auch die Str, mal. bei Tieren und be¬
tont bezüglich der Therapie, die allein in zeitiger Exstirpation be¬
stehen kann, die Wichtigkeit der Vermeidung allgemeiner Nar
kose; jedenfalls soll man die Operation mit Lokalanästhesie ver¬
suchen und zur Narkose erst übergehen, wenn sich der Eingriff als
zu schmerzhaft oder wegen Unruhe des Patienten unmöglich er¬
weist. Chloroform, in der B i 1 1 r o t h sehen Mischung tropfen¬
weise gegeben, ist dann noch das Beste (Aether wegen des Katarrhs
der Luftwege kontraindiziert). Speziell auch bei Tracheotomie
wegen Struma mal. verschlechtert die Narkose die Prognose. Auch
die Komplikationen bei der Operation, einseitige Karotisunter-
bindung, Vagusdurelitrennung werden besprochen; im allgemeinen
berechnet sich 30 Proz. Mortalität für die Operation der Struma
maligna, 30 Proz. für die mit Resektion der Trachea oder des
Schlundes etc. komplizierten Fälle. Auch die Palliativoperation
(mit sehr ungünstiger Prognose) findet Berücksichtigung und
werden am Schlüsse 26 Krankengeschichten mitgeteilt und eine
ausführliche Literaturübersicht gegeben.
.1. 51 i c lial.ski gibt aus der Züricher Klinik den Schluss
der Arbeit über Hydronephrosis intermittens.
W. A n s c li ü t z berichtet aus der Breslauer Klinik zur
Operation der Skrotalhernien bei Kindern und schildert das hier¬
bei von Mikulicz geübte Verfahren; der Bruchsackhals wird
freigelegt, von seiner Unterlage losgelöst und zunächst in geringer
Ausdehnung inzidiert, der Inhalt des Bruchsacks reponiert (oder
reseziert) und dann der Bruclisacklials mit. feiner, immer bloss
das Peritoneum fas Sender Tabaksbeutelnaht verschlossen, der peri¬
phere Teil des Sackes wird analog der .1 a. b o u 1 a y -Winkel-
m a n li sehen Hydrocelenhehandlung behandelt, d. li. durch Heraus¬
ziehen des Testis umgekrempelt und durch einige Nähte so fixiert;
danach wird die O z e r n y sehe Pfeilernaht oder B a s s i n i sehe
Operation vorgenommen. A. schildert im Anschluss auch die bis¬
herigen Methoden (W ö 1 f 1 e r etc.), eine Resektion des peripheren
Teils des Bruchsacks zu vermeiden. Bisher sind 21 Fälle mit dem
Verfahren tadellos geheilt (wegen zu kurzer Zeit nach der Opera¬
tion können diese aber noch nicht als Dauerresultate gelten). Sollte
sich noch später ein Nachteil der Methode ergeben, so würde nach
.V. beabsichtigt, eine Resektion eines Streifens am Bruclisacklials
vorzunehmen; das Zurücklassen des umgekrempelten Bruchsackes
würde jedenfalls nicht mehr aufgegeben, da es in all den Fällen
praktisch erscheint, wo die Auslösung des Samenstrangs
schwierig ist.
Aus der Tübinger Klinik bespricht 11. K ii t tne r schonende
Nachbehandlung septischer Operationen und gibt darin sehr be¬
herzigenswerte Winke, inwiefern hiebei Schmerzen erspart, werden
können. K. empfiehlt, wo es angängig, statt der Tampons Drai¬
nageröhren anzuwenden, die längere Zeit ruhig liegen bleiben
können und leicht zu wechseln sind; er empfiehlt u. a. warm die
Verwendung grosser Mikulicz scher Tampons, bei Phlegmone
der tiefen Muskelschichten am Vorderarm soll z. B. unter Ent¬
spannung der Muskelbäuche durch Flexion der Hand die ganze
Wunde in ihrer Länge und Tiefe mit einer grossen Gazeschürze
MtTENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
isoä
a.ustapeziert werden und daun erst mit Gazebäuschen tamponiert
werden. Verbandwechsel lässt sich oft mehrere Tage hinaus¬
schieben, wenn nach ausgedehnter Inzision Temperatur und
Schmerzhaftigkeit abnimmt; bei feuchter Tamponade werden
event. nur frische Kompressen aufgelegt; auch der in der Bruns-
schen Klinik bei septischen Wunden geübten Aetzung mit reiner
Karbolsäure kommt ein wohltätiger Einfluss bezüglich der Nach¬
behandlung zu, insofern als dadurch das Wundsekret längere Zeit
hintangehalten wird. Nach K.s Erfahrungen hat der feuchte Ver¬
band viel mehr schmerzlindernde Eigenschaften, als der trockene;
beim Verbandwechsel soll möglichst wenig an der Wunde mani¬
puliert werden. Bei Notwendigkeit der Erneuerung festsitzender
Tampons empfiehlt K., dieselben mit Wasserstoffsuperoxydlösung
zu tränken, da sie sich danach leicht ablösen. Zur Wiederein¬
führung von Tampons in Spalten und Gänge sollen immer die
Teile mit stumpfem Wundhaken auseinander gehalten und auf
sorgfältiges Halten der betreffenden Partie geachtet werden ;
häufiges Abtupfen und Abwischen der 'Wund fläche ist sehr zu ver¬
werfen, auch der Höllensteinstift hat seinen Platz nur gegen
Schluss des Heilungsprozesses; vor Abkratzen von Granulations¬
flächen ist schon wegen der erneuten Infektionsgefahr zu warnen.
Sobald die akute Entzündung demarkiert, Sekretion und Schmerz¬
haftigkeit geringer werden, treten die Salben verbände in ihre
Rechte. Bei Notwendigkeit neuer Inzisionen empfiehlt K. sehr die
Narkose (besonders Operieren im ersten Aether rausch), da bei
eitrigen Prozessen grösserer Ausdehnung alle lokalen Anästhetika
versagen und bei den durch Schmerz und Fieber geschwächten
Patienten dann meist die Gründlichkeit des Eingriffes zu
wünschen übrig lässt. Sch r.
Archiv für Hygiene. 35. Bd. 1. Heft. 1902.
1) R. O. Neumann-Kiel: Experimentelle Beiträge zur
Lehre von dem täglichen Nahrungsbedarf des Menschen unter
besonderer Berücksichtigung der notwendigen Eiweissmenge
(Selbstversuche).
Die Versuche erstreckten sich im ganzen über einen Zeitraum
von 746 Tagen und zerfielen in 3 getrennte Abschnitte. Im ersten
und dritten Abschnitt, welcher je 10 Monate umfasste, suchte
Verf. das Kostmass empirisch auf dem Wege der Berechnung fest¬
zustellen. Im zweiten Abschnitt, welcher 120 Tage umfasste, sollten
die empirisch gefundenen Resultate durch Stof f wechsel-
vers ii c h e kontrolliert werden.
Das Ergebnis war folgendes:
Auf 70 Kilo berechnet, wurde für den Tag ermittelt ein Bedarf von:
Eiweiss
Fett
Kohlehydrate
Alkohol
Kalorien
I. Versuch :
69,1
99,2
242*0
45,6
2427,0
pro Kilo
0,99
1,3
34,5
0,56
34,7
II. Versuch:
79,5
163,0
234,0
—
2777,0
pro Kilo
El
2,3
33,4
—
59,7
III. Versuch :
74,0
106,0
164,2
5,3
1999,0
pro Kilo
1,0
1,5
23,4
90,7
28,5
Die Mittelzahlen betragen : 74,2 Eiweiss , 117 Fett, 213 Kohle¬
hydrate = 2367 Kalorien und sind wesentlich niedriger als die
von V o i t geforderten, auch noch bedeutend niedriger, wie sie
M u n k und Demuth verlangen.
Die Zusammenstellung der Biermengen ergaben, trotzdem nur
relativ wenig — ca. 1000 ccm — pro die genossen wurde, dass sie
einen erheblichen Teil der notwendigen Kalorien decken, aber im
Vergleich mit der festen Nahrung ungleich viel teurer als diese
sind und deshalb ein recht unrationelles Nahrungsmittel darstellen.
Die Kostenberechnung zeigt, dass eine allseitig ge¬
nügende Nahrung mit 60 — 70 Pfennig pro die sehr wohl beschafft
werden kann, ohne dass das Stickstoffgleichgewicht und das Wohl¬
befinden darunter leiden.
Verf. ist der Meinung, dass sich die an seiner Person ge¬
fundenen Resultate auch auf andere Personen mit leichter
Arbeit anwenden lassen und das Kostmass sich folgendermassen
zu stellen hätte:
70 -8D g Eiweiss, 80 - 90 g Fett und 300 g Kohlehydrate. 9 '
Die graphischen Darstellungen der Versuche erläutern die Er¬
gebnisse.
2) K. B. Lehmann- Würzburg: Untersuchungen über die
hygienische Bedeutung des Zinns, insbesondere in Konserven.
Neben einer Reihe von Untersuchungen über den Zinn-
gehalt verschiedener Konserven (Rindfleisch, Goulasch,
Filet), welcher sowohl auf gewichtsanalytischem, wie
elektrolytischem Wege, wie auch jodomet risch be¬
stimmt wurde, berichtet V erf. über Fütterungsversuche
mit Zinn, welche bisher mit praktisch wichtigen ge¬
ringen Dosen noch nicht durchgeführt waren. Eine junge Katze
erhielt 13 Monate lang zinnsaures Natron; die andere
18 Monate lang Zinnacetat, die 3. Katze Zinntatrat 20 Monate
lang. Irgendwelche erhebliche Störungen im Befinden der Tiere
wurden nicht konstatiert, auch war der Sektionsbefund so gut wie
negativ. Auf Grund seiner eigenen Erfahrungen mit den Ergebnissen
der Literatur lautet das Resultat der Untersuchung so, dass bei
Genuss von Konserven aus Zinnbüchsen keine besondere Vorsicht
geboten erscheint, falls es sich nicht um stark wein-
oder apfelsaure Objekte handelt. Akute, aber
meist leichte Verdauungsstörungen können durch den Genuss von
Nahrungsmitteln hervorgebracht werden, welche grössere Mengen
Zinn (100 bis mehrere 100 mg) in löslicher Form enthalten. C li r o -
nische Vergiftungen durch die Mengen, wie sie in Kon¬
serven längere Zeit aufgenommen werden können (4 — 6 mg Zinn
pro Kilo lind Tag) sind bisher niemals am Menschen beobachtet.
Im Katzen versuch sind noch 10 — 14 mg Zinn pro 1 kg und Tag
bei 1- — D/o Jahre lang dauernden Versuchen nicht merklich schäd¬
lich befunden worden. Trotz der geringen Schädlichkeit des Zinns
ist eine Verpackung der Konserven, bei welchen der Genuss
auch geringer Mengen an Zinn ausgeschlossen wäre, sehr er¬
wünscht. Ii. O. Neumann - Kiel.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. 32. Bd. No. 7. 1902.
1) Sion und Negel: Ueber eine von einem atypischen
Colibacillus veranlasste typhusähnliche Hausepidemie hydri-
schen Ursprunges. (Fortsetzung folgt.)
2) M. S c h ü 1 1 e r - Berlin: Ueber eigenartige Parasiten¬
befunde bei Syphilis. (Fortsetzung.)
3) E n g e 1 s - Marburg: Weitere Studien über die Sterili¬
sation von Trinkwasser auf chemischem Wege (Traube sches
Verfahren mit Hilfe von Chlorkalk).
T rauhes Verfahren der Wasserreinigung von Bakterien be¬
steht darin, dass kleinste Mengen von Chlorkalk, 0,000426 g,
mit einem Gehalte von 0,0001065 g wirksamen C h 1 o r s zu 100 ccm
bakterienhaltigem Wasser zugesetzt werden sollen. Nach 2 Stun¬
den setzt man 0,000209 g Natriumsulfit hinzu. Statt
Natriumsulfit kann auch Calciumsulfit zugesetzt werden. Diese
Methode, welche früher als brauchbar auch von anderen Autoren
anerkannt wurde, prüfte Verf. nach und kommt zu dem Schluss,
dass der Chlorgehalt erst in einer Dosis von 0,45 g pro Liter, also
in der von Traube angegebenen 100 fachen Konzentration,
sicher im stände ist, das Trinkwasser innerhalb 10 Minuten von
Cholera- und Typhusbakterien zu befreien. Danach würde auch
das Wasser um 7,1 Härtegrade härter werden. Auf Grund
seiner früheren Nachprüfungen über das Schu m b u r g sehe Ver¬
fahren, welche auch negative Resultate lieferten, glaubt er über¬
haupt nicht, dass mit chemischen Mitteln, abgesehen vom Ozon,
Wasser praktisch in kurzer Zeit zu sterilisieren sei.
4) Müll er- Graz: Weitere Studien über die Fällung des
Kaseins durch Lab und Laktoserum.
Durch Immunisierung mit den peptischen und tryptischen
Spaltungsprodukten des Kaseins liess sich kein kaseinfällendes
Immunserum erzielen, auch zeigten die erhaltenen Sera keine be¬
sondere präzipitierende Fähigkeit gegenüber den Kaseinderivaten,
welche zur Injektion verwendet worden waren. Dagegen riefen
Injektionen von Labparakasein, sowie von Jodkasein die Bildung
von Präzipitinen hervor, welche Kasein niederschlugen. Die lab¬
trennenden Substanzen des erhitzten Normalkaninchenserums
können durch verdünnte Essigsäure oder durch Halbsättigung mit
Ammonsulfat gefällt werden. Trotz der Hemmung der sichtbaren
Abscheidung des Kaseins wird Molkeneiweiss aus demselben ab¬
geschieden; es wird somit die Einwirkung des Labfermentes auf
das Kasein durch das inaktivierte Serum nicht verhindert.
5) Klinge r: Beitrag zum v. Dry galski-Conradi-
schem Verfahren des Typhusbazillennacüweises und zur Iden¬
tifizierung typhusverdächtiger Bazillen durch die Agglutina¬
tionsprobe.
Bei einer Reihe von T yphusf ällen hat sich gezeigt, dass
der v. Drygalski-Conradi sehe Nährboden zur sicheren
Diagnose des Typhus nicht genügt, da man eben auch wie
früher die anderen Unterscheidungsmerkmale heranziehen muss.
Auch die Benützung des N eutralrotagars, der sich nicht
verändern darf, und die geringe Säurebildung in Lack¬
musmolke reicht nicht aus. Es wurde nun der Versuch gemacht,
wie v. Drygalski vorschlug, die Diaguose durch Anwendung
stärkerer Verdünnungen hochwertiger Immunsera sicherer zu ge¬
stalten, jedoch führte auch dies nicht zu dem gewünschten Ziele,
trotzdem Ziegeuser u m verwendet worden war.
6) II e s s e - Dresden: Zur quantitativen Bestimmung der
Wasserkeime.
Verf. teilt 2 Versuchsreihen von Gage und Phelps mit,
welche konstatierten, dass der mit Nährstoff Heyden zu¬
sammengesetzte Nährboden bei der Bestimmung der Anzahl der
Wasserkeime bessere Resultate lieferte als der gewöhnliche Agar
und die gewöhnliche Gelatine.
7) Iv u n t z e - Leipzig: Einige Bemerkungen über die Fär¬
bung der Geissein, besonders über das Verfahren von van Er¬
men g e n.
Das neue Verfahren ist eine Modifikation der van Er-
m e n g e n sehen Silbernitratmethode. Auf das Präparat wird zu¬
nächst alkoholische Silber lös ung gebracht , alsdann
„Entwickler“ (Tannin. Acid. gallic.), darauf wieder alko¬
holische Silberlösung und endlich, nachdem man mit
Wasser abgespült hat, Goldchlorid 1:2000. Am besten ge¬
schieht die Geisselfärbung bei Tageslicht, weil ein photochemischer
Prozess vor sich gehen muss. R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 42.
1) F. J o 1 1 y - Berlin: Ueber Flimmerskotom und Migräne.
(Schluss folgt.)
2) H. Krause: Zur Behandlung der Lungen- und Kehl¬
kopftuberkulose mit Hetol (Länderer).
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1809
Für die Hetolbehandlung, welche Verfasser als eine wenig
umständliche und bei einiger Vorsicht für den Patienten ungefähr¬
liche bezeichnet, verlangt K. vor allem eine sehr lange, auf
mindestens Wochen, aber auch auf Jahre sich erstreckende" Dauer.
Di sah ielati\ günstige Ergebnisse auch bei schon vorgeschrittener
Erkrankung und zwar Rückgang des Fiebers, sogar innerhalb einer
A\ oclie, Aufhören der Schweisse, Abnahme des Sputums, Resse¬
rung der physikalischen Erscheinungen. Diese Erfolge bei schwe¬
ren Fällen fallen um so mehr ins Gewicht, als gerade für diese
Kategorien von Kranken vorläufig keine Heilstätten existieren,
welche aber sehr nötig wären. Die Kur verlangt sorgfältiges In¬
dividualisieren. ferner intravenöse Injektionen, welche an den er¬
krankten Stellen zu Anhäufung von Leukocyten führen. An
kleinen, aus erkrankten Kehlköpfen exzidierten Stückchen konnte
Verf. direkt die Heilvorgänge verfolgen, die aber auch in den gün¬
stigen Fällen mehrere Monate beanspruchen. Bei dem Hetol-
tuberkel kommt es in jedem Stadium zur Leukocytenanhäufung
K. berichtet hier über 21 behandelte Fälle, von welchen 4 geheilt!
K! wesentlich gebessert und 4 gebessert wurden. Die Kranken¬
geschichten liegen bei.
3) II. A r o n s o n - Berlin: Untersuchungen über Strepto¬
kokken und Antistreptokokkenserum. (Schluss folgt.)
4) G. Levinsohn: Ueber die Ursachen des primären
Glaukoms.
Vergl. Bericht Seite 732 der Münch, med. Wochensehr. 1902.
Grass m a n n - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No. 42.
P. IC. Pel- Amsterdam: In memoriam Prof. Dr. B. J. Stokvis.
1) O 1 s h atisen - Berlin: Impfmetastasen der Karzinome.
Kasuistische Mitteilung nach einem in der Sitzung der Freien
Vereinigung der Chirurgen Berlins am 14. Juli 1902 gehaltenen
Vortrag mit Krankenvorstellung.
2) Fr. M e y e r - Berlin: Die Agglutination der Strepto¬
kokken.
In Kürze zusammengefasst ergibt sich aus seinen Versuchen:
1. Dass die Streptokokken in gleicher Weise, wie wir es für
andere Bakterien wissen, von entsprechenden Immunsera aggluti-
niert werden.
2. Dass mittels dieses Phänomens sich bei den menschlichen
Streptokokken absolute Unterschiede zwischen denen der An¬
ginen und der pyogenen Infektionen, wie es bisher den Anschein
hat, heraussteilen. Unter denjenigen der ersten Art (Scharlach,
Gelenkrheumatismus, Angina Simplex) ergeben sich je nach der
Provenienz und Art der Krankheit graduelle Unterschiede; Tat¬
sachen, welche mit Sicherheit gegen die von anderer Seite be¬
hauptete Einheit der Streptokokken sprechen.
3. Dass bakterizide Sera, welche in der menschlichen Therapie
t erwemlung finden sollen, voraussichtlich nicht mittels Bakterien
hergestellt werden dürfen, welche, wie es bisher gebräuchlich war.
durch Tierpassagen virulent gemacht worden sind.
3) Uzuhiko M a y e d a - Giessen: Ein Visimeter.
Vortrag, gehalten in der medizinischen Gesellschaft in Giessen
am 15. Juli 1901.
Von mehr spezialärztlichem Interesse.
4) A. Schanz- Dresden: Schmerzende Füsse.
Interessante Details und nützliche Fingerzeige zur erfolg¬
reichen Behandlung der Plattfüsse, besonders während des Ent¬
stehens derselben.
5) . Cornel M a s s a c i u - Berlin: Ueber den Einfluss des
Lecithins auf den Eiweissansatz.
Verfasser schliesst aus seinem Stoffwechselversuch, dessen Ver¬
öffentlichung mit den analytischen Belegen und neuen gleich¬
sinnigen Versuchen er ankündigt, dass das Lecithin im stände ist,
auch beim Erwachsenen einen Eiweissansatz zu bewirken, ohne
dass so gewaltige Mengen Eiweiss, wie von L ti t li j e (Archiv f.
Min. Med. 1900) verabreicht werden und ohne dass eine der bisher
bekannten Vorbedingungen (Wachstum, Rekonvaleszenz, Arbeits¬
hypertrophie) vorliegt.
0) M. ,T. R o s t o w z e w - St. Petersburg: Ein Fall von hoch¬
gradiger cystischer Erweiterung des Ductus choledochus.
(Schluss aus No. 41.)
Kasuistische Mitteilung einer seltenen Erkrankung, welche in
der Literatur nur 4 analoge Fälle zur Seite hat. Der Fall ist
interessant sowohl hinsichtlich der Dimensionen der Erweiterung,
als auch wegen des isolierten Ergriffenseins eines Gallenganges
und endlich hinsichtlich der Aetiologie.
7) P. S c h e n k - Berlin: Impfergebnisse und Impftechnik.
S) J. Friedlän d er- Frankfurt a/M. : Vergiftung durch
ein Hausmittel.
9) V einer: Ist bei Schwarzwasserfieberanurie die Nephro¬
tomie indiziert?
10) Th. F 1 o re t - Elberfeld : Mesotan, ein äusserlich anwend¬
bares Antirheumatikum.
Verfasser glaubt aus dem Resultate seiner eingehenden kli¬
nischen Prüfung des Mesotaus, des Metliyloxymethylesters der
Salizylsäure, den Schluss, ziehen zu dürfen, dass in demselben
ein Mittel gefunden ist, welches als wertvolle Bereicherung des
Arzneischatzes, als durchaus harmloses Heilmittel, eine grosse
Rolle in der Behandlung der so häutigen und wichtigen rheuma¬
tischen Erkrankungen zu spielen berufen ist. M. L.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 32. Jahrg. No. 20.
E. Wormser- Basel: Die Excochlea tio uteri im Wochen¬
bett.
Das Gurettement ist für die allgemeine Praxis nicht indiziert
bei Eihautretention (hier würde eher das „ecouvillon", eine Art
Rürstchen, in Betracht kommen), ebenso wenig bei Fieber während
der Geburt oder während des Wochenbettes, weil nicht ungefährlich
und nicht sicher erfolgreich (Beobachtung von 20 Fällen); dagegen
ist es von Nutzen bei Blutungen des Früh- und Spätwochenbettes
(18 Fälle). Die Gefahr der Perforation besteht bei Anwendung
breiter Küretten für den einigermassen Geübten nicht.
Max v. Arx- Olten: Ueber Gallenblasenruptur in die freie
Bauchhöhle. -(Schluss.)
Eine Kranke nü! Gallensteinen erlitt bei Defäkation unter
deutlichen objektiven und subjektiven Symptomen einen Durch¬
bruch der Gallenblase in die freit» Bauchhöhle. Am nächsten Tag-
Laparotomie, Cystostomie, Reinigung des Peritoneums mit 55"
lieisser Kochsalzlösung, Heilung mit Gallenfistel; kein Ikterus,
kein Kollaps. Bisher nur 7 ähnliche Fälle. Kritische Zusammen¬
stellung der Fälle von traumatischem und spontanem intraperi¬
tonealen Gallenblasendurchbruch. Ohne Operation würde lebens¬
gefährliche Gallenvergiftung (Gallensäuren, experimentell be¬
wiesen) eintreten, dagegen keine eitrige Peritonitis.
P i s e li i n g e r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 42. 1) G. A 1 e x a n d e r und B. lteko - Wien: Zur Frage
der Verwertbarkeit der Rhodanreaktion des Speichels bei Ohr¬
erkrankungen.
An 85 Kranken haben die Verf. ihre Untersuchungen vor¬
genommen, auf Grund welcher sie zu folgenden Schlüssen ge¬
langen: Der Rhodan reaktion des Speichels kommt bei Ohrerkrank¬
ungen eine gewisse diagnosticlie Bedeutung insofern zu, als bei
vorhandener Ohrerkrankung Rhodanmangel oder Spuren von
Rhodan für eine Mittelohrerkrankung sprechen. Unmittelbar nach
Radikaloperationen tritt Rhodanmangel im Speichel auf; dasselbe
erscheint wieder zumeist 4 Wochen nach der Operation, stellt hie¬
durch ein typisches Ereignis dar und kennzeichnet einen unkom¬
plizierten Wundverlauf. Beiderseitige Zerstörung des Pauken¬
geflechtes kann zu dauerndem Rhodanmangel führen. Eine all¬
gemein prognostische Bedeutung kommt der Rhodanreaktion bei
Ohrerkrankungen nicht zu. Die Erkrankungen der äusseren Ohr¬
sphäre und der Parotis beeinflussen den Rhodangehalt des Spei¬
chels nicht.
2) L. Spitzer- Wien: Erfahrungen über die Janet-
sche Methode der Urethral- und Blasenbehandlung.
Zur Ausführung der Spülung bedient sich Verf. einer in
2 Hälften geteilten Y-förmigen Kanüle, deren einer Schenkel mit
dem Irrigator verbunden wird, während der andere als Ausfluss
dient. Es wurden vergleichende Untersuchungen mit verschie¬
denen Spülflüssigkeiten angestellt, aus welchen hervorging, dass
dem Kalium liypermanganicum der Vorzug gebührt. Hinsichtlich
Konzentration, Temperatur und Quantität hielt sich Verf. genau
an die von J an et selbst gegebenen Vorschriften. Man verwendet
Lösungen von 1 — 3:5000 Wasser. Die Spülungen müssen möglichst
früh begonnen werden und wird der erzielbare Effekt mit 12 bis
15 Spülungen im allgemeinen erreicht. Die Spülung liess Verf.
immer im Sitzen ausführen. Bei Periurethritis ist die Spü¬
lung kontraindiziert. Bei Urethritis anterior wird meist
nach wenigen Spülungen die Urethra fast vollständig trocken.
Tritt bei Urethritis post. Blut im Sekret auf, so ist nach den Er¬
fahrungen von Sp. die Irrigation zu unterlassen. Eine vorhandene
Epididymitis stellt keine absolute Kontraindikation dar, ebenso¬
wenig eine Prostatitis, ausser bei sehr heftigen akuten Erschei¬
nungen. Für die Behandlung der Cystitis gebührt der Janet-
schen Irrigation ein gleichberechtigter Platz neben den anderen
Methoden. Ihr Hauptfeld ist aber die frische Urethritis anterior.
Die mit anderen Medikamenten und Durchspülung erzielten Re¬
sultate sind aus einer Tabelle des Originals zu entnehmen.
3) R. B a r a n y - Freiburg i. Br: Zur Kasuistik der meta-
statischen Karzinome des Gehirns, nebst Bemerkungen zu dem
Symptom der Perseveration.
Die klinische Diagnose lautete bei der 47 jähr. Kranken zu¬
nächst auf rechtsseitige Hemiplegie, chronische Myokarditis, alte
Pleuritis rechts und Encephalomalacie. Später trat eine Reihe
eigentümlicher zerebraler Störungen ein, deren Einzelheiten im
Original genau angeführt sind. Die Sektion ergab primäres Kar¬
zinom der rechten Lunge mit Metastasen in den Lymplidrüsen,
am Lungenhilus, der Pleura, der Leber, der Schilddrüse, ferner
in Rinde und Mark beider Hemisphären und in der Dura mater.
Auf die sehr ausführliche Epikrise kann hier nicht eingegangen
werden.
4) Fr. Erben -Wien: Ein Fall von produktiver tuber-
kulöser Pleuritis.
Bei der 24 jähr. Patientin, einer Prostituierten, trat zunächst
infolge der Tuberkulose der linken Lungenspitze ein Pyopneumo-
tliorax auf, im Anschluss daran ein längerer Stillstand des Lungen¬
prozesses, ferner ein verkäsendes Granulationsgewebe in den
Pleuren, eine produktive tuberkulöse Pleuritis, deren käsige Massen
dem Exsudat beigemengt erschienen. Letzteres zeigte ein ganzes
Jahr hindurch einen ungewöhnlichen Reichtum an Tuberkel¬
bazillen. Grassmann - München.
810
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Wiener klinische Rundschau.
No. 37 — 39. M. B u c li - Wilmanstrand: Uebei’ den Einfluss
von Gemütsbewegungen auf den Sympathikus.
Die bekannten, mit heftiger Gemütsbewegung, Schreck u. dgl.
verknüpften vasomotorischen und- sekretorischen Erscheinungen
werden allgemein als Sympathikusreflexe erklärt, sie werden unter
Umständen zu besonderer Heftigkeit oder längerer Dauer ge¬
steigert und können geradezu besondere Krankheitsbilder liervor-
rufen, die Verfasser als Sympathizismus bezeichnen möchte. Als
deren Grundlage nimmt er eine Neuralgie oder Hyperalgesie des
Sympathikus an, die er in vielen Fällen durch eine beim Gesunden
nicht vorhandene Druckempfindlichkeit des Sympathikus längs der
Lendenwirbelsäule (scheinbares „Wirbelweh“) nachweisen konnte,
ein Symptom, das er mit grosser Regelmässigkeit auch bei Neur¬
asthenie gefunden hat. 14 Krankengeschichten.
No. 39. G. S c li e f t e 1 - Kiew: Ueber die Entstehung der
Fistula vestibulo-rectalis sub coitu primae noctis.
Veranlasst war in diesem, wie in einem zweiten ähnlichen
Falle die Verletzung durch das Bestehen einer angeborenen Ver¬
engerung der Vagina; es wurde bei der ersten Kohabitation ein
falscher Weg vom Vestibulum durch das paravaginale Gewebe
und die Rektalwand gebahnt und eine Fistel von 3 cm Länge
und 2 cm Breite hergestellt. Operative Behandlung: a) Verschluss
der Fistel, b) plastische Erweiterung der Hymenalöffnung und
Dilatation der Vagina.
No. 40. G. Holzkneclit-Wien: Die Bedeutung der
funktionellen Anpassung für die Pathogenese der abnormen
Bindegewebsverknöcherung.
Solche Verknöcherungen, durch die Röntgenuntersuchung
feststellbar, linden sich häufig nach Traumen, speziell der Knochen
mit unvollständiger Heilung, wo eine Störung der statischen Ver¬
hältnisse eingetreten ist. Für deren möglichste Ausgleichung und
für die Wiederherstellung der Funktion unter veränderten Be¬
dingungen sind sie von grosser Bedeutung. Aehnliche funktionelle
Aufgaben erfüllen die bei neurotischen Arthropathien (Tabes) sich
rasch einstellenden Ossifikationen; sie dienen hier nach des Ver¬
fassers Annahme zur Verstärkung des unter dem Krankheits¬
prozess in seiner Leistungsfähigkeit herabgekommenen para-
artikulären Bindegewebes. Vielleicht liegt auch der Myositis ossi-
ficans eine und zwar angeborene Funktionsschwäche des intra-
muskulären Bindegewebes zu Grunde.
No. 41/42. A. Pilcz-Wien: Zur Prognose und Therapie
des Delirium tremens.
Auf der v. W agner sehen Klinik kamen auf 110 Fälle von
Delirium tremens 4 Todesfälle, wovon nur einer eigentlich dem
Delirium zur Last fällt. Dieses sehr günstige Verhältnis schreibt
P. der Therapie zu: Alkohol als spezifisches Reizmittel bei An¬
zeichen von Herzschwäche, keine Hypnotica, ausgiebige Darm¬
entleerung. Die Anstalten, avo der Alkohol verpönt, die Hyp-
notika, speziell Opium und Chloral, im Gebrauch sind, haben viel
ungünstigere Mortalitätsziffern. Wenn, wie es mehr und mehr an¬
genommen wird, das Delirium eine Autointoxikation darstellt, so
erscheint schon vornherein die Opiumbehandlung weniger rationell
als die energische Ausscheidung des Darminhaltes.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 40 — 42. F. Neumann-Prag: Kieferatrophie.
Systematische Abhandlung über die verschiedenen Formen
der Atrophie des Kiefers. Nach N.’s Beobachtungen verläuft die
physiologische Atrophie des Alters mit einer gewissen Regelmässig¬
keit, indem etappemveise zuerst die Zähne des Oberkiefers oder
zuerst die des Zwischenkiefers, nie aber gleichzeitig Vorder- und
Seitenzähne sich zu lockern beginnen. Als Beispiel für die vor¬
zeitige Atrophie wird ein Mann angeführt, der mit 33 Jahren be¬
reits alle Zähne bis auf einen Eckzahn und die G Frontzähne des
Unterkiefers verloren hatte. Aetiologiseli kam höchstens ein vor
14 Jahren aufgetretener Skorbut in Betracht.
No. 40. 0. M ö r 1 - Kostenblatt: Ueber einen Fall von Myx¬
ödem.
Die Erscheinungen des Kretinismus waren bei der 37 jährigen
Patientin hochgradig ausgebildet. Schilddrüsenfütterung hatte in
kurzer Zeit einen deutlichen Erfolg durch Verminderung der
Oedeme, Hebung des Appetites und vermehrte Lebhaftigkeit.
Dabei blieb es. dagegen stellten sich bald Diarrhöen und beträcht-
lielie Abmagerung ein, so dass die Therapie, welche schliesslich
mehr zu schaden als zu nützen schien, eingestellt Averden musste.
Bei so alten Individuen wird man sich überhaupt von der Schild¬
drüsenbehandlung nicht viel versprechen und besonders vorsichtig
sein müssen. Bergeat - München.
Italienische Literatur.
M o r i liefert einen Beitrag zum Studium der Nabeltumoren.
(Gazzetta degli ospedali 1902, No. 63.)
Diese Neoplasmen enthalten fast immer myxomatöses Ge-
Avebe mehr oder weniger mit fibrösem gemischt, Dies entspricht
dem Umstande, dass in den Nabelresiduen Reste der Warte n-
schen Sülze sich befinden, Avelche aus embryonalem, myxomatösem
Gewebe besteht. M. berichtet über einen kleinen, von ihm ent¬
ferntem Tumor, welcher aus fibrösem Bindegewebe und myxoma¬
tösem Gewebe bestand und gibt ausser einem mikroskopischen
Bilde einen Ueber blick über die Literatur der
Nabeltumoren.
Schiassi: Chirurgie und Organtherapie bei Morbus Banti.
(Gazzetta degli ospedali 1902, No. 69.)
In einem anscheinend aussichtslosen Falle von Morbus Banti
— Vergrösserung der Milz auf das Vierfache ihres Volumens,
Schrumpfung der Leber, Aszites und reduzierter Blutbildung — -
machte S. die Einpflanzung der Pfortader in die Vena cava und
später die Einnähung der Milz in eine Parietalfalte des Peri¬
toneums. Die Zirkulationsverhältnisse besserten sich durch das
Verfahren; die Blutbildung blieb schwer darniederliegend. In
diesem Zustande envies sich frischer Parenchymsaft der Leber,
zu 1 — 3 g pro die injiziert, A’on ausgezeichneter Wirkung auf die
Leberfunktion. Die Besserung war sofort an einer Steigerung der
Harnstoffmenge nachweisbar. Der Autor glaubt, dass die Kom¬
bination von chirurgischem Eingriff und Opo¬
therapie für die Zukunft bei der Bantische n
Splenomegalie Aussicht auf besseren t h e r a -
p e u t i s c heu Erfolg biete n av i r d.
Moresc o: Ueber einen Fall von Torsion des Netzes. (Gaz¬
zetta degli ospedali 1902, No. 69.)
Zur Kasuistik der sehr seltenen Fälle von Netztorsion teilt
M. einen Fall mit, in welchem das entartete Netz sich als ein
fast kindskopfgrosser, zum Teil brandiger Tu¬
rn o r e r av i e s. Im ganzen konnte M. 10 Fälle dieser All aus der
Literatur zusammenstellen; immer handelte es sich um Epiplocele,
bewirkt durch alte Hernien mit chronischer Entzündung, De¬
generation und Verlängerung des in ihnen angewachsenen Netzes.
Mastri: Die Schwierigkeiten der Differentialdiagnose
zwischen Milztumor und Tumor der retroperitonealen Lymph-
drüsen. (Gazzetta degli ospedali 1902, No. 63.)
M., Assistenzarzt am Krankenhause zu Copparo, erwähnt,
Avie diese Schwierigkeiten unüberwindliche sein können bei chro¬
nischen Malariakranken und linksseitigem
A b d o m i nalt u m o r dann, wenn Tumor und Milzdämpfung in
einander übergehen. Die Milz zeigte sich bei der Sektion um das
Doppelte vergrössert und an dieselbe sich anschliessend präsen¬
tierte sich eine Geschwulst Aron der Grösse des Kopfes eines Er¬
wachsenen, Avelche Vena cava und Aorta umgab, ohne ihr Lumen
zu verengern. Diese GeschAvulst hatte ihren Ausgang genommen
von den linksseitig von der Aorta liegenden retroperitonealen
Drüsen; sie charakterisierte sich als ein Zylindroma mit meta¬
statischen Knoten in Arerschiedenen Organen. Der 27 jährige
Kranke starb nach 4 tägigem Aufenthalt im Krankenhause, ehe
zur Laparotomie geschritten werden konnte.
Geraldinis Beiträge zur therapeutischen Anwendung
der Gelatine bei schAveren Enterorrhagien ergaben das Resultat,
dass dieselbe nicht nur subkutan, sondern auch per rectum
angewendet sich einer sicheren Wirkung e r -
f r e u t. Die unleugbare Gefahr der Tetanusinfektion bei der
käuflichen Gelatine schliesst man durch die Anwendung per Klys¬
ma ta mit Sicherheit aus.
Neuerdings wurde von Merck sowohl, als auch im Hospital
zu Rom Gelatine (2 proz.) dargestellt, AArelche sicher sterilisiert ist.
G. spricht die Befürchtung aus, dass solche Gelatine durch das
Sterilisierungsverfahren ihre blutkoagulierende, antihämorrhagische
Wirkung verlieren wird. (Gazetta delgi osped. 1902. No. 69.)
Tedeschi erwähnt einen Fall von ungewöhnlicher Sklero¬
dermie. (Gazzetta degli ospedali 1902, No. 72.)
Derselbe bietet Berührungspunkte sowohl mit der Lepra als
mit der Elephantiasis, indessen waren beide bei genauer Unter¬
suchung auszuschliessen. Es handelte sich an den Extremitäten
um Aveinrote bis kirschenrote harte, stellemveise auch erhabene
Flecke bei starker elephantiasisartiger Zunahme der Beine.
Namentlich aber Avar eine Hypertrophie mit Tendenz
zur Abschuppung stark pigmentierter ichthyo-
sisartiger Schuppen vorhanden. T. erwähnt einen Fall
Aron L eder m a n n „mit einer eigenartigen ichthyotischen Fel-
derung“, wmlchem der seinige gleiche.
Bezüglich der Erklärung dieser Veränderungen sind Degene¬
rationen am Nervensystem anzuführen: der Fall reiht sich ein
unter die mit Polyneuritis komplizierten Sklerodermafälle.
A m e n t a berichtet über einen Fall von allgemeiner Hyper-
idrosis. (Gazzetta degli ospedali 1902, No. 72.)
Derselbe trat auf im Anschluss an eine syphilitische Infektion.
wrelclie durch 34 Sublimatinjektionen anscheinend geheilt Avar.
A. nimmt eine Reizung des von neueren Forschem in die Medulla
oblongata verlegten Zentrums für Schweissekretion an, Aron wel-
chem aus der Reiz durch die auf den Bahnen des Sympathikus
Arerlauf enden Nervenfasern an die Schweissdrüsen gelangt. Dieses
Zentrum stellt er sich als durch Luestoxine gereizt vor und fasst
den ganzen Symptomen komplex als eine parasyphi¬
litische Erscheinung auf, wmlche weder durch eine anti-
luetische noch durch eine anderweitige spezifische Behandlung be¬
einflusst sich spontan wieder verlor.
Boeri: Ueber kardiovaskulären Druck. (Gazzetta degli
ospedali 1902, No. 63.)
Ueber Blutdruck und die Wichtigkeit der B e -
s t, i m m u n g der Blutdruckverhältnisse für die
Klinik spricht B., Kliniker der I. med. Klinik Neapels, in einer
längeren Vorlesung, deren Inhalt wir hier nicht erschöpfen können.
„Wir sind“, so sagt der Autor, „gewöhnt, in Bezug auf Be¬
urteilung der Blutzirkulationsverhältnisse eine grosse Wichtigkeit
dem Herzen und seiner Tätigkeit beizumessen und dabei die
Untersuchung der Gefässe etAvas zu vernachlässigen, und auch
selbst, wenn wir Störungen der peripherischen Zirkulation wahr¬
nehmen, so pflegen wir solche als Folgen der Herzaffektion zu be¬
trachten. Es ist dies bis zu einfem gewissen Grade vielleicht eine
28. Oktober 1902.
MUEJSf CHENeR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1811
wohltätige Reaktion gegen die Methode der alten Aerzte welche
dem Pulse und seiner Beschaffenheit eine zu exklusive Bedeuten»'
vmdizierten; aber in der Tat verdient heute der Zustand des neri-
pheren Gefässystems eine sorgfältigere und methodischere Unter-
suchung. Die Ursache der Herzaffektionen ist oft ein gestörter
Gleichgewichtszustand des vasalen Blutdrucks, während man
meist denselben für die Folge hält.“
r,.n £eit ,dem,,Jah.re 1897 . wurden in der Neapolitaner Klinik
;>.)<) Kranke aller Art auf ihre Blutdruckexponenten geprüft’ zur
Anwendung kam das Biva-Ilocci sehe Sphygmomanometer.
Bei noimalen \ eilialtnissen schwankte für gewöhnlich der Blut¬
druck zwischen 120—140 mm. Die höchste Ziffer fand
sich bei einem Hemiplegiker mit Arterio-
skierose, sie betrug 2S0 mm. Ueberliaupt fanden sich bei
Arteriosklerose 170—200—220 mm. Die nächst grössten
Zahlen boten Nephritiden, besonders inter¬
stitielle, bei welchen nicht selten 200 mm erreicht und selbst
überschritten wurden. Auch bei Aorteninsuffizienz fand man
einen hohen Blutdruckexponenten, während er bei der Mitral¬
insuffizienz viel weniger hoch, bei der Mitralstenose geradezu
niedi ig "v\ ai . Bei der M yokarditis ist er dagegen
oft hoch, bei Bleiintoxikation ist er beträ c&h t -
lieh und kann steigen bis 190 mm.
Den niedrigsten Druck konstatierte man bei L ungen¬
au cli Peritonealtuberkulose, beim Ileotyplius, bei der
Lebercirrhose, bei der chronischen Malaria, beim Diabetes, bei
der Influenza, auch bei der fibrinösen Pneumonie und noch mehr
bei der Bronchopneumonie. Ein bemerkenswertes Faktum war
der Einfluss des Schmerzes auf den kardio¬
vaskulären Blutdruck. In Anfällen von Gallenkolik
stieg derselbe beträchtlich, um sofort mit dem Aufhören des
Schmerzes nachzulassen; auch experimentell durch elektrische
P ai adisiei ung liess sich diese Druckerhöhung beim Schmerz be¬
stätigen.
Aus der Bestimmung des Blutdrucks lassen sich Schlüsse auf
den Zustand des Herzens ziehen, wie auf den der Gefässe und
ihre Brüchigkeit. Für gewöhnlich bestimmt der Ueberdruck die
Arteriosklerose mehr, als dass er als Folgezustand derselben auf¬
zufassen ist. Die Individuen mit erhöhtem Gefässdruck sind als
prädestiniert zu Gehirnblutungen, zu interstitieller Nephritis, zu
arteriellen Kardiopathien zu betrachten.
Satullo: lieber abnorm hohe Temperaturen bei akuten
Pneumonien mit Schmerzen in der Appendixgegend.
Vielfach finden sich in der modernen medizinischen Literatur
ohne Gefahr vorübergehende hohe Temperaturen verzeichnet, so
hoch, wie sie früher für unmöglich und mit dem Fortbestände’ des
heben s für unvereinbar angesehen wurden. S. teilt Temperatur¬
kurven von Pneumonikern mit, welche 43 — 45,5° aufweisen. Diese
abnorm hohen Temperaturen hielten 4 — 5 Stunden an. Die Pneu¬
monien verliefen günstig.
Interessant war in allen 3 Fällen der bereits in dieser Wochen¬
schrift unter der Rubrik „Italienische Literatur“ erwähnte Schmerz
im Ausstrahlungsgebiet des vorderen Astes des linken 12. Inter¬
kostalnerven, welcher eine Appendizitis hätte Vortäuschen können.
S. erwähnt, dass ähnliche atypische Fälle von akuter Pneu¬
monie in seinem Bezirke in der Umgebung von Messina, wo häufig
auch Pneumonieepidemien vorkämen, gar nichts seltenes seien.
G a m p a n e 1 1 a empfiehlt subkutane Injektionen von
Atropin gegen Asthma, mit 1 Dezimilligramm beginnend und
wenn nötig bis 1 Milligramm steigend. Die Wirkung soll der der
anderen Narkotika überlegen sein. Bei v e g e tarianis e li e r
Lebensweise werde das Mittel erheblich besser
vertragen. (Gazzetta degli ospedali 1902, No. 69.)
Scotti: Ueber das Verhalten des Pulses bei der willkür¬
lichen Aufhebung’ der Respiration.
Studien, welche Scotti in der De R e n z i scheu
Klinik anstellte und welche er im Giornale internazio-
nale delle Scienze mediclie 1902, No. 21, veröffentlicht,
ergaben, dass die Pulsverlangsamung, welche bei der frei¬
willigen Apnoe erfolgt, intensiver ist bei der
inspiratorischen Apnoe als bei der exspiratori-
s c li e n. Diese Verlangsamung hängt von einer Erregung des
Vagus ab. welche durch Hemmung des Respirationszentrums be¬
wirkt wird, vielleicht auch von Reflexaktionen. Bei tiefen, schnell
aufeinander folgenden Atmungen bemerkt man keine besonderen
1 eräuderungen des kardialen Rhythmus.
Die respiratorischen Schwankungen, welche man in dem
Herzkurvenbilde beobachtet, haben ihren Grund nicht in Kon¬
traktionen der Respirationsmuskeln.
Cölbe rtaldo beschreibt 3 Fälle von Aphasie bei Typhus,
Kinder von 9 und 6% Jahren betreffend. (Gazzetta degli ospedali
1902, No. 60.)
Er erwähnt, dass fast alle in der Literatur bekannt gewor¬
denen Fälle Kinder betreffen, und sieht die Ursache in einer Wir¬
kung des Typhustoxins auf die noch zarten und in der Entwick¬
lung begriffenen nervösen Zentralapparate der Sprache. Die Pro¬
gnose ist. immer günstig.
Comandini: Ueber Chorea. (Gazzetta degli ospedali 1902
No. 69.)
Die Chorea ist nach den neueren Anschauungen eine Krank-
hed infektiöser Natur resp. die Folge einer vorhergegangenen In¬
fektion. Nach Mu rri ist bei derselben immer die
/j0Ua Rolandi beteiligt. Ferner; sie ist vor dem 5. Jahre
selten, doch kann sie ausnahmsweise auch jüngere Kinder sogar
solche unter einem Jahre befallen.
C. berichtet über die Krankengeschichte von 3 Fällen, welche
geeignet sind, die obigen Anschauungen zu bestätigen.
^IMttipaldi: Ueber Diabetes. (Gazzetta degli ospedali
Aus einer dritten von F. aufgezeichneten Vorlesung
De Renz is entnehmen wir über Diabetesdiät: Ein be¬
deutender Fortschritt war die Einführung des Ge¬
brauchs grüner Gemüse, welche gut von Diabetikern
a (- i ti agen a\ eiden, feiner der Lävulose und des Inn lins
von denen das erstere sowohl allein als von Dextrose begleitet
als linksdrehender Zucker im Pflanzenreiche sehr verbreitet ist,
das zAveite, ein Polysaccharid, mit der Eigentümlichkeit, durch
hydi olytische Spaltung nur Lävulose zu erzeugen, in gewissen
Pflanzenarten vorkommt. Das Inulin kann vollständig das ge¬
wöhnliche Amylum ersetzen; es ist ein weisses, körniges, in Wasser
ziemlich lösliches Pulver, nicht färbbar durch Jodtinktur; mit an¬
gesäuertem Wasser gekocht, verdoppelt es sein Molekül und er¬
zeugt Lävulose.
Die gewöhnliche Diabetikerdiät in der Neapolitaner Klinik be¬
steht aus 5 sogen, grünen Suppen, 5 Stücken Fleisch, Avelche alle
zusammen 300 g wiegen, 5 Eiern, y2 Liter Wein: eine Diät, welche
2104 Kalorien liefert. Diese Kalorienmenge würde in Anbetracht,
dass man auf ein mittleres Individuum 2500 Kalorien rechnet, g-e-
ring erscheinen; aber man muss das grosse Assimilationsvermögen
der Diabetiker in Rechnung ziehen.
Wenn diese Diät die Glykosurie nicht beseitigt, so reduziert
inan oder entzieht in erster Linie das Fleisch; wenn dies nicht
hilft, so vermindert man die Gemüsesuppen bis zum gewünschten
Effekt. Immer soll es, auch bei starkem Diabetes, gelingen, den
Zucker in normale ( ?) Grenzen zu bringen. Fasten, Avie es C a n -
t a n i unter Umständen empfohlen hat, hält De Re nz i angesicht-i
der vielen toxischen Substanzen, welche sich bei der Inanition im
Gewebe bilden, für gefährlicher als diese seine unzureichende
Ernährung.
Experimente an durch Pankreasexstirpation diabetisch ge¬
machten Hunden, die man an vegetabilische Diät zu gewöhnen
suchte, ergaben, dass nur diejenigen, welche sich zu dieser Diät
bequemten, keine Glykosurie mehr zeigten; desgleichen Avurde das
bemerkenswerte Faktum notiert, dass diejenigen Hunde, welche
sich an die Ernährung durch grünes Gemüse gewöhnt hatten, nach
der Pankreasektomie nicht diabetisch wurden.
Diese Ernährungskur, ursprünglich symptomatische Therapie,
Avird später eine ätiologische insofern, als man durch die Schonung
derjenigen Organe, welche zur Umwandlung der Kohlehydrate in
Zucker bestimmt sind, eine Wiederherstellung ihrer normalen
Funktion erlangt. Unterstützt wird diese Kur durch alle Be¬
handlungsarten, welche die organische Oxydation verbessern:
Landaufenthalt, Gymnastik, Hydrotherapie, Mineralkuren etc. Die
Elektrizität scheint in der Behandlung des Diabetes eine grosse
Wichtigkeit zu haben; aber De Renzi empfiehlt Vorsicht in der
Anwendung. Er konnte nacliAveisen, dass die Tesla scheu
Ströme die Glykosurie wieder hersteilen, wenn sie auf dem Wege
der Diät beseitigt ist. Diese Ströme beschleunigen den Albumin¬
stoffwechsel; aber sie greifen zugleich die Nukleinsubstauzen an,
führen zur Harnsäureausscheidung durch den Urin und spalten
andrerseits Elemente ab, Avelche zu den von Kossel nachgewie-
senen Nukleinkohlehydraten gehören.
De Domenicis: Ueber den Phloridzindiabetes. (Gazzetta
degli ospedali 1902, No. 75.)
Die alte Galen sehe Anschauung, dass die Veränderung in
den Nieren der Diabetiker die Ursache und nicht die Folge des
Diabetes sei, hat neuerdings Avieder durch Lepine, Klein-
p e r e r, II i c h ter, Schupfe r u. a. an Boden gewonnen.
Auch bezüglich des Phloridzindiabetes stellten Minkowsky
und Lepine die Hypothese auf, dass er dadurch entstünde, dass
• die Nieren das Phloridzin in Zucker und Phloretin spalten.
De Domenicis veröffentlicht seine mit De G i a n a ge¬
meinsam gemachten Experimentaluntersuchungen, aus denen
hervorgeht, dass das Phloridzin keine besondere
W i r k u n g auf die Nieren ä u ssert, sondern a u f
alle lebenden G e av e b e die gleichmässige Wir¬
kung übt, dass es den Glykogen ge halt derselben
v erzeh r t. Diese Wirkung kommt zu stände wie eine In¬
toxikation auf dem Wege des Nervensystems und sie ist in dieser
Beziehung analog dem durch Verletzung des 4. Ventrikels und
dem durch Pankreasexstirpation erzeugten Diabetes; auch diese
letztere Form wirkt nach dem Autor durch Nerveneinfluss.
G a e t a n o, Kliniker Palermos, teilt über den klinischen
Wert der kryoskopischen Urinuntersuchungen dem medizinischen
Kongresse von Sizilien seine Untersuchungsresultate mit. Die¬
selbe hat eine bestimmte diagnostische und prognostische Be¬
deutung namentlich für chirurgische Massnahmen. Zeigt schon
der normale Urin gewisse Schwankungen, so sind dieselben beim
pathologischen Urin noch Aveit ausgiebiger.
EiAveissgelialt des Urins soll den Gefrierpunkt nicht beein¬
flussen; auch bestimmt das spezifische GeAvicht den Gefrierpunkt
nicht.
Sehr zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, dass, wenn
d bis 0,95 beträgt, sicher eine Niere gesund ist. Sind beide Nieren
krank, so sinkt J bis 0,45 und 0,30.
Die Kryoskopie soll ferner eine Differentialdiagnose zAvisclien
Gystitis und Pyelitis erleichtern.
1812
MUENCHENF.R MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Zwischen dem Gefrierpunkte des Urins und dem des Blutes
bestehen keine bestimmten Beziehungen und die Kryoskopie des
Urins gestattet keinen Schluss auf die Toxizität des Blutes.
Bei der Stauungsniere der Herzkranken wird die Storung der
Nierentätigkeit dadurch angezeigt, dass die Quantität des i vms
gering und J abnorm niedrig ist.
Zur Untersuchung hat man immer den Urin von 24 stunden
zu verwenden; den Urin durch Ureterenkatheter von jeder Niere
zu entnehmen, hält G. für unnötig und gefährlich.
Endlich erwähnt G. noch die verschiedenen Formen der Kri¬
stallisierung beim Urin und hält es für möglich, dass dieselben
für die Zukunft diagnostische Bedeutung gewinnen können.
(Gazzetta degli ospedali 1902, No. 69.) ,,
Hager- Magdeburg N .
Laryngo-Rhinologie.
1) B u k o f z e r - Königsberg i/Pr.: Untersuchungen über die
Wirkungen von Nebennierenextrakt (Adrenalin) auf die
Schleimhaut der oberen Luftwege bei äusserlicher Anwendung.
(Archiv f. Laryngol. u. Rhinol. Bd. 18, II. 2.) . , 0
Um die Wirkungsweise des Nebennierenextraktes aut das
Blutgefässystem zu studieren, wurden Versuche teils an Tieren
(Kaninchenohr, Schwimmhaut des Frosches), teils am Menschen
(oberer Respirationstraktus, Vorderarm) vorgenommen. Diese
Hessen erkennen, dass das Adrenalin bei ansserliclier Anwendung
streng lokal wirkt. Auf der Schleimhaut wirkt es zunächst durch
Kontraktion der Kapillaren anämisierend, ohne eine Verengei ung
der Arterien oder Venen im Gefolge zu haben, vermag aber auch
Arterien und Venen zu verengern, sobald es ihnen möglichst nahe
gebracht wird. Die normale Haut dagegen ist gegen Adrenalin
wenig empfindlich; nach Entfernung eines Teiles des Stratum
eorneum der Epidermis trat eine Reaktion auf Adrenalin auch
hier ein die, „wenn man einen leichten Einschnitt mit dem Messei
machte, ohne dass etwa Blut floss, und dann Adrenalin auf die
Stelle brachte“, nach einigen Minuten sich in einer starken Kon¬
traktion der Arterie und einer Blutleere der zugehörigen \ ene
äusserte (Kaninchenohr). Diese „Wirkung auf die Haut nach Be¬
seitigung' des obersten Epithellagers dürfte vielleicht eine Per¬
spektive zur dermatologischen Verwertung geben“. Die mter-
essaiiten Versuche mit ihren physiologischen und therapeutischen
Schlussfolgerungen eignen sich nicht zu kurzem Referat.
2) Grün wald -München: Der heutige Stand der Ozaena¬
frage. (Ibid.) .. .
In einem eingehenden Vortrag präzisiert G r u n w a Dl seine
Stellung zu dem „Ozaena genannten Symptomenkomplex , be¬
spricht kritisch die verschiedenen Theorien, die von den Anhängern
'der g e n uiiie u Ozaena zur Erklärung des Krankheitsprozesses
herangezogen werden, negiert deren wissenschaftliche Berech¬
tigung und weist einzelnen derselben eine mehr accidentelle Rolle
zu- So führt die Infektion mit dem Bacillus mucosus Abel zu einer
starken Klebrigkeit des Sekretes, wodurch neben dessen relativer
Wasserarmut und dessen räumlich und zeitlich ausgedehnterem
Kontakt mit der umgebenden Luft ein weiteres wesentliches Mo¬
ment für die Vertrocknung desselben und die Borkenbildung ge¬
geben ist. „Die Atrophie, soweit nicht primär vorhanden, entsteht
unter dem Drucke und infektiösen Einfluss der massenhaft lagern¬
den Borken.“ „Der Gestank entsteht durch sapropliytische Zer¬
setzung der in halbfeuchtem Zustande durch die abnorme Klebrig¬
keit festgehaltenen Sekretmassen." Die Ursache des Kiaukheits-
prozesses aber, der Herkunftsort des Sekrets ist fast ausnahmslos
in Herd eiterungen (Nebenhöhlen, Nasengänge und adenoides
Gewebe in Epi- und Mesopharynx) zu suchen. Der neuerdings
von Perez in der Nase gesunder Hunde auf gefundene und für
die Ozaena“ als Infektionsursache bezeichnete „Cocco-Bacillus
foetidus“ findet gleichfalls eine kritisch-einschränkende Bespre¬
chung. _ .
3) Citelli und Calamida-Tunn; Beitrag zur Lehre
von den Epitheliomen der Nasenschleimhaut. Mit 2 Tafeln.
(Ibid.) . „
Die Besprechung der einschlägigen Literatur bietet einen Be¬
weis für das seltene Vorkommen von Karzinom der Nasenschleiin-
haut. Nach kurzer Erörterung der Lokalisation (in erster Linie
Dach der Nasenhöhlen, Siebbein-Labyrinth, dann vorderer Teil des
Septum), Aetiologie, Symptomatologie, Alter, Diagnose (Differen-
t ialdiaguose mit Polypen und Sarkomen), Prognose und Therapie
berichten die Autoren über 8 neue Fälle aus der Gr a <1 enigo-
sclien Klinik, deren Krankengeschichten nebst ausführlichem Be¬
richt über die mikroskopischen Befunde in extenso angeführt sind.
4) C horonshi t z k y - Warschau : Eine Modifikation des
Schütz sehen Doppelmeissels. Mit 1 Abbild. (Ibid.)
Handgriff ähnlich dem Mat hi eu sehen Tonsillotom; das In¬
strument kann sowohl zur Abtragung rechtsseitiger, wie links¬
seitiger Spinen verwendet werden.
ö) llanszel - Wien: Involution eines Rhinolaryngo-
skleroms durch Erysipel der Gesichtshaut und eines Sarkoms
des Rachens durch Streptokokken- und Staphylokokkenmfek-
tion. (Monatsschr. f. Ohrenheilk. etc. 1902, No. 7.)
Nach ausführlichem Bericht über obige 2 Fälle aus der
C li iari sehen Klinik zitiert Autor eine Reihe ähnlicher Fälle aus
der Fachliteratur, bespricht die Frage, ob man berechtigt sei. bei
derartigen inoperablen Erkrankungen durch Erysipelübertragung
eine eventuelle Heilung oder Besserung zu erstreben, erwähnt die
neueren Versuche mit Erysipel- und Rhinosklerom-Seren und er¬
örtert zum Schlüsse die Wirkungsweise der interkurrenten, spontan
auf tretenden oder artifiziell gesetzten Infektionserkrankungen «aut
Entwicklung und Verlauf dieser Neubildungen. Verf. weist dabei
auf die Wichtigkeit des Fiebers hin, auf dessen Höhe er bezüg¬
lich des Erfolges ein besonderes Gewicht legt.
6) Broeckaert - Galid: Paraffininjektionen auf dem Ge¬
biete der Oto-Rhino-Laryngologie. Mit 7 Abbild. (Revue lieb-
domadaire de laryngologie etc. 1902, No. 27.)
Unter Bezugnahme auf seine frühere Arbeit berichtet
Broe c k «a e r t über einige Modifikationen der Technik: Das Eck¬
stein sehe Paraffin dürfte das Gersunysche Vaselin voll¬
ständig verdrängen. Während letzteres mit der Zeit resorbiert
wird bleibt das Paraffin dauernd unverändert und erfüllt voll¬
kommen die in dasselbe gesetzten Erwartungen. Anstatt des bis¬
her verwandten Paraffins mit einem Schmelzpunkt von 60" oder
(J5° verwendet Autog ein Paraffin, das bei 56° oder 57° schmilzt,
und vermeidet hierdurch etwa mögliche Verbrennungen. Als ge¬
eignetste Injektionsspritze empfiehlt Autor eine weite
und kurze Spritze mit einem Fassungsvermögen von 3 ccm
. _ diese vermeidet ein zu rasches Erkalten des Paraffins , sow ie
besonders konstruierte Ansätze in verschiedenen Krümmungen,
die in der Arbeit abgebildet sind. Anschliessend verbreitet sich
Verf. über die Technik, die er als äusserst einfach bezeichnet, und
fügt unter Zitierung einer Reihe von Krankengeschichten die In¬
dikationen zur Paraffininjektion bei den einzelnen, dazu geeig¬
neten Affektionen der Nase, des Rachens und des Ohres an.
(cf. diese Wochenschrift 1902, No. 35, 8. 1477/78, Referate No. 9,
11 u. 12.) , .. ,
7) Albert R u a u 1 1 - Paris: Bemerkungen zur Technik der
operativen Verkleinerung der Gaumenmandeln. Mit 1 Abbild.
(Ibid. No. 35.)
Beschreibung und Abbildung des vom Autor seit 10 .Jahren
mit Erfolg angewandten Instrumentes zur Verkleinerung der
Gaumentonsillen. Dasselbe stellt eine entsprechend gekrümmte,
scherenartige Doppelkürette vor, mittels der die Tonsillen stück¬
weise abgetragen werden. Details und Technik sind im Original
a usf ührlich beschrieben.
8) Ai mar R a o ult- Paris: Instrumente zur Verkleinerung
und Ausräumung der Gaumenmandeln. Mit 3 Abbild, (ibid.
No. 3(5.)
Angabe dreier Instrumente zur Freilegung und Ausräumung
der Gaumenmandeln: Das erste, ein kleines, abgebogenes Knopf-
messerclien, dient zur Spaltung der halbmondförmigen Falte vor
dem Reeessus supratonsillaris; das zweite, mit besonderer Krüm¬
mung versehen, ist zur Trennung der Verwachsungen zwischen
Tonsillen und Gaumenbögen bestimmt. D«as dritte endlich — zur
Verkleinerung der Tonsillen und Beseitigung der Cryptenzwischeu-
wiinde _ besteht aus einem schneidenden Löffelpaar, das ähnlich
der 11 e r y n g - L a n d g r a f sehen Doppelkürette (welche für
diesen Eingriff noch geeigneter sein dürfte. Ref.) angewandt
wird. Die Instrumente sind in der Arbeit abgebildet, die Technik
findet entsprechende Erwähnung.
9) (j h arles- Grenoble: Pemphigus der Schleimhäute; akute
und chronisch rezidivierende Form. (Ibid., No. 3.8.)
Nach Zitierung zweier kasuistischer Fälle bespricht Autor
unter Hinweis auf die Literatur Symptomatologie, Aetiologie, Dia¬
gnose. pathologische Anatomie, Bakteriologie, Prognose und The¬
rapie dieser Affektion. deren Details zu kurzem Referat nicht ge¬
eignet sind.
10) T e x i e r- Nantes: Beitrag zum Studium der Diagnose
von Erkrankungen der mittleren Partieen des Cavum nasi. Mit
I Abbild. (Ibid.) 11
Besprechung der von K i 1 1 i a n angegebenen Methode der
Rhinoskopia media nebst Schilderung der Technik und des In¬
strumentariums, welch letzteres Autor in der W eise modifizierte,
dass er statt des K r a m e r - H a r t m a n n sehen Spekulums das
I> u p 1 a y sehe mit entsprechend verlängerten Schnäbeln an wandte.
Autor empfiehlt die Rhinoskopia media aufs wärmste, mit der ei
diagnostisch und therapeutisch ausgezeichnete Erfolge erzielte.
11) K i 1 1 i a n - Freiburg i/Br.: Die durch die direkte Endo¬
skopie erhaltenen diagnostischen und therapeutischen Resultate
bei Fremdkörpern des Oesophagus und des Respirationstraktus.
(Annales des maladies de l’oreille etc. 1902. No. 9.)
In einem Referat über obiges Thema fasst Killian seine
mit Kasuistik belegten Erfahrungen auf diesem Gebiete zu¬
sammen: Die Oesophagoskopie ermöglicht uns in einer grossen
Keihe von Fremdkörperfällen die Vermeidung der Oesopkagotomie
und Gastrostomie und die Extraktion per vias naturales. Nur
bei grossen Fremdkörpern mit scharfen Rändern, z. B. künstlichen
Gebissen, sind Extraktionsversuche gefährlich und können durch
Verletzung des Oesophagus zum Tode führen; hier tritt die Oeso-
phagotomie in ihre Rechte, falls der Fremdkörper nicht weitei
wie 24 _ 26 cm von den oberen Schneidezähnen entfernt liegt; sitzt
er tiefer, so schreitet man zur Mediastinotomia posterior oder
Gastrostomie. Eine Ausnahme unter den künstlichen Gebissen
machen solche aus gehärtetem Kautschuk ohne grossen Metall¬
belag; derartige verschluckte Gebisse kann man zunächst mit der
Glühschlinge zerstückeln und dann Stück für Stück extrahieren.
Besteht bereits eine Oesophagusperforation, so enthalte man sich
jeglicher Extraktionsversuche und schreite zur Eröffnung von
aussen. Heber die Technik und Indikation der Traclieo- und
Bronclioskopia superior und inferior, die gleichfalls in dem Re¬
ferat erörtert werden, wurde bereits des öfteren hier berichtet.
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1813
12) Bezy und Escat: Neue Resultate der Intubation ohne
dauernde Ueberwachung des Patienten. (Archives internationales
de laryngologie etc. 1902, No. 4.)
Unter Bezugnahme auf die frühere Publikation E scats
(cf. diese Wochenschr. 1899, No. 28, S. 939, lief. No. 22) treten
die Autoren erneut für die ausgedehntere Verwertung der In¬
tubation an Stelle der Tracheotomie auch in der Privatpraxis eiu.
Sowohl bei Larynx-Diphtherie und -Pseudo-Diphtherie, als aucli
bei einigen Fällen kindlicher akuter Larynxstenose wurde die In¬
tubation ausgeführt, ohne dass eine dauernde Ueberwachung der
Kranken seitens einer mit der Technik der In- und Extubation
vertrauten Person stattgefunden hätte; die Resultate waren sein-
befriedigende. Die neuerdings von D i o n i s i o angegebene Mo¬
difikation der O’Dwyer sehen uud Bayeux sehen Tuben
durch Anbringung seitlicher Dehnungen verringern die Er¬
stickungsgefahr durch etwaige plötzliche Verstopfung des bis¬
herigen alleinigen Immens für den Respirationsstrom um ein be¬
deutendes. Hecht- München.
Inaugural-Dissertationen.
Universität Leipzig. Juli 1902.
TS. Bloch Otto: Beiträge zur Kohlenoxydvergiftung nach dem
Material der II. medizinischen Klinik zu Berlin (Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Gerhardt).
79. Deutschmann Heinrich: Luxationen im Bereiche des
Talus.
SO. Enge Johannes: Ueber die Dauer der menschlichen
Schwangerschaft.
81. Hilgers Paul: Ein Fall von akuter gelber Leberatrophie.
82. Sonntag Louis: Beitrag zur Therapie der auf Ulcus molle
folgenden Bubonen mit besonderer Berücksichtigung ihrer
Behandlung mit S a 1 z w e d e 1 sehen Spiritusverbänden.
83. Unge r Hans: Das Erbrechen schwangerer Frauen.
84. Salamonski Albert: Zur Geschichte der Sauerstoff¬
therapie.
85. Rebbeling Adolf: Ueber idiopathische Osteopsatliyrosis.
80. Gathmann Adolf: Ein Fall von allgemeiner Karzinose des
Knochensystems 4 Jahre nach der Amputation einer kar-
zinomatösen Mamma ohne Auftreten eines Lokalrezidivs.
87. G e i b el Alexander: Beitrag zur Kenntnis der Ovarialübrome.
88. Eichmeyer Wilhelm: Pathogenese uud pathologische Ana¬
tomie des Hydrocephalus congenitus.
89. Baumfelder Gerhard: Sarcoma ovarii.
90. Aulhorn Ernst: Beitrag zur Kasuistik der primären kom¬
binierten Strangerkrankung.
91. Campbell Duncan: Zwillingsirresein und induziertes Irre¬
sein.
92. Cohn Gotthilf: Ueber das Mangan in physiologischer Hin¬
sicht nebst Versuchen über den Einfluss von Mangan und
Eisen auf die Pepsinverdauuug.
93. Hannig Richard: Ueber kongenitale und traumatische
Cystengeschwülste insonderheit der Abdominalhöhle.
94. Roesle Emil: Die Reaktion einiger Infusorien auf einzelne
Induktionsschläge.
95. Stein Arthur: Der Ikterus ein Symptom sekundärer Sy¬
philis.
90. Hillel Gustav: Myxödem, Syphilis und Tabes dorsalis.
97. Kiwi Simon: Ein Fall juveniler Tabes mit pied tabetique.
98. Meyerstein Richard: Ein Fall von einer beim Menschen
seltenen Cysticercenform im Kleinhirn eiues Kindes.
99. Moritz Viktor: Ueber die tuberkulöse Peritonitis mit Rück¬
sicht auf ihre spontane Ausheilung.
100. Nehmiz Johannes: Ueber die chirurgische Behandlung der
akuten Perityphlitis.
101. Schultze Bruno: Aneurysma aortae bis perforans arteriam
pulmonalem. Zur Kasuistik der Perforationen von Aorten¬
aneurysmen.
102. Simon Friedrich: Eiu Beitrag zur Kenntnis des Ulcus ven-
triculi carcinomatosum.
103. Kühn Willy: Ein Fall von Morbus Weilii mit atypischem
Verlauf.
104. Meyer Hermann: Ein Beitrag zur Exarticulatio iuterilio-
abdominalis.
105. Rau Kurt: Ein Beitrag zur Kasuistik der Hirngliose.
100. Schüfftan Leopold: Ueber Spontanfrakturen im Anschluss
an einen in der berufsgenossenschaftlichen Unfallstation
Berlin IV vom Roten Kreuz beobachteten Fall.
107. Sie wert Fritz: Ueber Polyneuritis und Korsakowsche
Psychose.
108. Weber Friedrich: Ueber die kongenitale Verbindung zwi¬
schen Oesophagus und Trachea.
August 1902.
109. II e m p e 1 Hugo: Untersuchungen über den Nachweis von
Tuberkelbazillen und ihre Zählung im Sputum.
110. Hissbach Friedrich: Ueber Polydaktylie, deren Wesen
und Behandlung.
111. Naumann Leopold: Ueber das spektroskopische Verhalten
der Blutfarbstoffe.
112. Tliümer August: Ueber Chyluscysten der Darmzotten.
113. Sauer br uch Ferdinand: Ein Beitrag zum Stoffwechsel
des Kalks und der Phosphorsäure infantiler Osteomalacie.
114. Ebstein Emil: Ein Beitrag zur Kenntnis der Augenmuskel¬
lähmungen.
115. Goldschmidt Adolf: Ueber das Vulvakarzinom.
116. Laskowski Michael: Zur Kasuistik des Myoms während
der Schwangerschaft.
117. Mellin Hans: Ueber die Entstehung der paralytischen
Skoliose.
118. Rentrop Adolf: Beitrag zur Kasuistik der Mesenterial¬
sarkome.
119. Feichtmayer Fritz: Gibt es ein Abortiv verfahren bei
der Lues?
120. Wagner Julius: Ueber operative Behandlung bei Prostata¬
hypertrophie.
September 1902.
121. Gehl haar Ernst: Beitrag zur Therapie der Oxalurie.
122. Kirchheim Ludwig: Ueber die sogen, diffuse, wahre
Mammahypertrophie (B 1 1 1 r o t h) und ihr Verhältnis zum
Fibrom. ,
123. Lange Walther: Ueber 2 Fälle von Keuchhusten, in denen
unter allgemeinen Konvulsionen der Tod eintrat, sowie über
den Sektionsbefund bei denselben.
124. v. Schroeter Franz: Ueber Neubildung elastischer Fasern
in der Hautnarbe.
125. Reinstädtler Wilhelm: Ueber Gicht mit hochgradigen
Muskelatrophien.
126. Berg Hugo: Ein Fall von halbseitigem Riesenwuchs.
127. Lehmann Wilhelm: Ueber idiopathische Hautatrophie.
128. V o 1 1 o 1 i n i August: Ueber einige der neueren Untersuch¬
ungsmethoden bei schwerem Diabetes und über Milchkuren
bei demselben.
129. Fräulein Ethel Blume aus London: Zur Kenntnis der tuber¬
kulösen Blutgefässerkrankungen.
Auslände r:
März 1902. W ata nabe Hiroschi, approb. Arzt in Japan: Ueber
eine schnellwachsende Struma in der Schwangerschaft mit
tödlichem Ausgange.
16. Juli 1902. v. Ofen heim Ernst, Dr. phil. aus Wien: Ueber
einen Fall von Volvulus infolge eines Mesenterialdefekts.
31. Juli 1902. Myers Burton aus Attika, Ohio, U. S. A.: Beitrag
zur Kenntnis des Chiasmas und der Kommissuren am Boden
des 3. Ventrikels.
Universität Rostock. September 1902.
32. Higuchi Shigeji: Ueber die Verdoppelung des Uterovaginal-
kanals.
33. Isermeyer A.: Ueber Störungen des Nervensystems bei
Karzinom, zugleich ein Beitrag zur Krebsstatistik.
34. Kiku Chi Junichi: Untersuchungen über den menschlichen
Steigbügel mit Berücksichtigung der Rassenunterschiede.
35. Schultz Werner: Ein Beitrag zur Kenntnis des Konjuuktiva-
epithels.
36. Wind sc hü gl B.: Ueber Staphylombildung durch Tuber¬
kulose des Augeninnern.
Vereins- und Kongressberichte.
IV. internationaler Gynäkologenkongress
in R o m, 15. — 20. September 1902.
Bericht, erstattet von J. A. A m a n n, Vorstand der k. II. gynäko¬
logischen Klinik in München.
Oefters hört man abfällige Urteile über den wissenschaft¬
lichen Wert der Kongresse, aber sicher sind dieselben für viele
Bälle unrichtig; denn wenn wir auch absehen von der gewiss-
grossen Anregung, die die persönliche Aussprache, der nähere
Verkehr mit Bachgenossen bietet, die man bis dahin vielleicht nur
aus ihrer literarischen Tätigkeit gekannt, muss doch zugegeben
werden, dass eine sehr grosse Anzahl von Vorträgen speziell für
einen solchen Zweck eingehend ausgearbeitet werden und somit
gewiss unser Interesse beanspruchen dürfen. Besonders gilt dies
für spezielle Fachkongresse, bei welchen schon lange Zeit vorher
für bestimmte Themen, welche gerade im Mittelpunkt des Inter¬
esses stehen, vom Komitee eine Reihe von Referenten aufgestellt
werden und somit eine spezielle, oft fast erschöpfende Bear¬
beitung der betreffenden Fragen zu stände kommt. Im Anschluss
an solche Referate kann sich dann die Diskussion in geordneten
Bahnen und mit besserem Erfolg bewegen.
Zum IV. internationalen Gynäkologenkongress in Rom
hatten sich ca. 400 Mitglieder eingefunden, die den verschieden¬
sten Nationen der Erde angehörten, darunter 40 — 50 Deutsche.
Die grossen Schwierigkeiten, die die Organisation gerade eines
internationalen Kongresses bietet, hat das Komitee des rö¬
mischen Gynäkologenkongresses in glänzender Weise übeiv
wunden. Das Komitee war gebildet aus den Professoren Pas-
q u a 1 i (Präsident), Morisani, Mangiagallj, P e s t a -
1814
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
1 o z z a, ferner Calderini, Guzzoni, N e g r i, Truzzi
und den Sekretären Regnoli, Caruso, R o s s i Doria,
M i ch eli. Gemeinsam mit dem Organisationskomitee rechnete
es sich offenbar auch die Stadt zu besonderer Ehre, den Verlauf
des Kongresses möglichst glänzend zu gestalten; allerdings ist
wohl auch kaum eine andere Stadt nur annähernd im stände,
dies so durchzuführen, wie Rom. Als Sitzungslokal dienten die
grossartigen Räume des Konservatorenpalastes auf dem Capitol.
Die feierliche Eröffnungssitzung wurde vom italienischen Unter¬
richtsminister N a s i als Vertreter des Königs mit längerer,
herrlicher Rede eingeleitet, es folgten Begrüssungsreden des
Vertreters der Stadt, sowie derjenigen Kongressmitglieder, die
als offizielle Vertreter auswärtiger Regierungen und Gesell¬
schaften fungierten.
Von der Stadt wurde am Abend des ersten Tages ein offi¬
zieller Empfang in den festlich beleuchteten Räumen der capito-
linischen Museen den Kongressmitgliedern geboten und auch
die folgenden Abende waren durch Empfänge und Veranstal¬
tungen, eine Zusammenkunft im Pressverein, Serenade auf dem
Pincio, Illumination des Kolosseums und der umliegenden
Denkmäler in der geschmackvollsten und gastlichsten Weise be¬
setzt. Ganz entzückend war der den ganzen Freitag in Anspruch
nehmende Ausflug' nach Tivoli, zu den W asser fällen und Villa
Iladriana, in deren Ruinen jedem Teilnehmer ein Korb, der ein
reichliches Frühstück enthielt, gereicht wurde. Nach Abschluss
des Kongresses war noch eine Exkursion nach Neapel inszeniert
worden, an der eine Reihe von Mitgliedern teilnahm.
Die liebenswürdige und sympathische Art unserer italieni¬
schen Fachgenossen wird jedem Besucher des Kongresses in an¬
genehmer Erinnerung bleiben.
Was nun die w i s s e n s c h a f 1 1 ic h e Seite des Kongresses
anlangt, muss hervorgehoben werden, dass trotz der F ülle un¬
vergleichlicher Anziehungspunkte, di© Rom für jeden Fremden
bietet, und trotz der noch ziemlich grossen Hitze die Sitzungen
stets sehr zahlreich besucht waren. Auch wurde die Erledigung
des Programmes von seiten des Komitees in mustergültiger W eise
durchgeführt.
Folgende 4 Themen waren zur Diskussion gestellt worden:
1. Indikationen der künstlichen Frühgeburt,
2. Die Hysterektomie in der Behandlung der
puerperalen Infektion, 3. Die Genitaltuber¬
kulose, 4. Die chirurgische Behandlung des
Uteruskrebses.
Vom Organisationskomitee waren hiefür folgende Referenten
ernannt worden:
zu Thema 1: Barton Cook Hirst- Philadelphia, Hof¬
meier- Würzburg, P i n a r d - Paris, Rein- St. Petersburg,
S c h a u t a - Wien, Simpson- Edinburgh ;
zu Thema 2 : Fehling- Strassburg, Leopold - Dresden,
rF r eub- Amsterdam, T u f f i e r - Paris ;
zu Thema 3 : Martin- Greifswald, V eit- Leiden,
A m a n n - München, F aure - Paris;
zu Thema 4: Cullen- Baltimore, F reund - Berlin,
Jonnesco - Bukarest, P o z z i - Paris, Wertheim- Wien.
Die Referate mussten Anfang August bereits eingeliefert
werden, damit sie gedruckt (mit den in die verschiedenen
Sprachen übersetzten Konklusionen) dem Kongresse vorgelegt
werden konnten. Ein kurz vor dem Kongresse ausgebrochener
Buchdruckerstreik hätte beinahe die Fertigstellung der letzten
Referate verhindert.
Sitzung v o m 15. S e p t e m her 1902, Nachmittags.
Engelmann - Boston hielt einen Vortrag über das Alter,
in dem die erste Menstruation in nördlichen und südlichen
Klimaten auftritt.
An grossen statistischen Tabellen zeigt er, dass die gewöhnlich
in den Lehrbüchern vertretenen Ansichten von dem frühen Auf¬
treten der Menstruation in südlichen Klimaten nicht richtig sei.
Sitzung vom IG. September 1902.
I. Diskussionsthema: Die Indikationen zur künst¬
lichen Unterbrechung der Schwangerschaft.
Referent H o f m e i e r - Würzburg bespricht die durch
Nephritis gegebene Indikation zur künstlichen Frühgeburt.
II. unterscheidet hierbei den Einfluss der chronischen
Nephritis auf die Schwangerschaft, die sogen. Schwan¬
gerschaftsniere und die akute Nephritis in der
Schwangerschaft. Die chronische Nephritis beeinflusst das Be¬
finden der Schwangeren sehr ungünstig, besonders durch Kom¬
pensationsstörungen, Oedeme, Ergüsse in die Bauchhöhle, die
Pleura, das Perikard; nach der Geburt kann das Leiden verhängnis¬
voll fortschreiten. Die Gefahr der Eklampsie ist hierbei relativ
gering. Die Therapie wird also wesentlich von der all¬
gemeinen Beeinflussung der Gesundheit derartiger Kranken be¬
stimmt. Die grosse Gefahr, die bei dieser Erkrankung für Mütter
und Kinder besteht, geht aus einer früheren Arbeit H of meiers
(aus der Berliner Frauenklinik) hervor, in der festgestellt wurde,
dass von 33 Fällen 11, d. li. 33 Proz. allein an den Folgen der
Nephritis (ohne hinzugetretene Eklampsie) starben, von den Kin¬
dern gingen 50 — 60 Proz. zu gründe. II ofmeie r kommt somit
zu seiner ersten These:
„Bei chronischer Nephritis ist im Interesse der Mutter die
Schwangerschaft dann künstlich zu unterbrechen, wenn trotz ge¬
eigneter Behandlung die sekundären Erscheinungen der Erkran¬
kung sich nicht bessern, sondern verschlimmern.“
Die sogen. Schwangerschaftsniere ist wohl
toxischen Ursprungs; „ob ein Uebergang einer Schwangerschafts¬
niere in chronische Nephritis möglich ist, dafür ist noch kein Be¬
weis erbracht. Es kommen auch rezidivierende Schwangerschafts¬
nieren voi\ Der Nachweis, dass vor der Schwangerschaft gar
keine Alteration der Niere bestand, ist oft schwer zu erbringen.
Die Gefahr der Eklampsie ist bei Schwangerschaftsniere viel be¬
denklicher. Hof meiers zweite These lautet:
„Bei der sogen. Schwangerschaftsniere ist mit Rücksicht auf
die Gefahr der Eklampsie die künstliche Unterbrechung der
Schwangerschaft (hier meist künstliche Frühgeburt) dann ge¬
boten, wenn trotz geeigneter diätetischer Behandlung die Sym¬
ptome sich andauernd verschlimmern.“
Die akute Schwangerschaftsnephritis unter¬
scheidet sich von der Schwangerschaftsniere besonders durch die
reichlichen dem Urin beigemischten roten Blutkörperchen; die
akute Nephritis in der Schwangerschaft kann trotz Weiter-
bestehens der Schwangerschaft selbst bei lebendem Kinde bei
geeigneter Behandlung vollkommen verschwinden. Im Wesent¬
lichen käme hierbei nur die Gefahr der Eklampsie in Betracht.
Hof meiers dritte These lautet demnach:
„Bei akuter Nephritis in der Schwangerschaft ist die künst¬
liche Unterbrechung derselben mit Rücksicht auf die Möglichkeit
eines günstigen Ausganges und mit Rücksicht auf die Wirkungs¬
losigkeit bezüglich der drohenden Eklampsie nicht angezeigt.“
Referent Pinard - Paris bespricht die Frage auch nach all¬
gemeinen Gesichtspunkten, erörtert die Rechtsfrage, und betont,
dass man nicht allein das Leben der Mutter, sondern auch das des
Kindes in Betracht ziehen solle. Pinard unterscheidet zwei
Gruppen von Indikationen: erstens solche, die von Erkrankungen
ausgehen, die durch die Schwangerschaft bedingt; zweitens
solche, die von Erkrankungen ausgehen, die sich während der
Schwangerschaft verschlimmerten. Zur ersten Gruppe gehören:
Uterusblutungen, wenn Puls über 100, Hydramnios, Molen¬
schwangerschaft, Schwangerschaftstoxämien, wie unstillbares Er¬
brechen, Albuminurie, Eklampsie, toxische Nephritis.
Zur zweiten Gruppe gehören: Erkrankungen der Kreislauf¬
organe, Herzkrankheiten, hiebei sei aber jeder Fall für sich zu
beurteilen, Erkrankungen der Harnwege, Nephritis, wenn die täg¬
liche Harnmenge weniger als 800 oder 1000 g beträgt, Pyelo¬
nephritis, wenn sehr schwere Allgemeinerscheinungen bestehen.
Die Lungentuberkulose ist jedoch nach Pinard in keinem Falle
eine Indikation zur künstlichen Frühgeburt. Pinard hat in
10 Jahren von 22 708 Schwangeren (abgesehen von den engen
Becken) nur bei 20 die künstliche Frühgeburt eingeleitet.
Referent E e i n - St. Petersburg ist der künstlichen Früh¬
geburt geneigter-, als die übrigen Referenten. In 13 Jahren (bis
1899 in Kiew) hat er unter 2G90 Schwangerschaften in 37 Fällen,
also in 1,3 Proz. (1:72 Schwangere) die künstliche Frühgeburt
eingeleitet; hiezu kommen noch 4 weitere Fälle, die er seitdem
in Petersburg beobachtete. Seine Indikationen waren:
a) geburtshilfliche: enges Becken 25 mal, Extrauteringravidi¬
tät mit lebendem Kind 2 mal, narbige Vaginalstenose, habituelles
Absterben des Fötus, septische Endometritis je 1 mal.
b) innere Indikationen: Nephritis 6 mal, Eklampsie 4 mal,
Herzleiden 1 mal. In diesen 11 Fällen konnten sämtliche Mütter
und 7 Kinder gerettet werden.
Reins Konklusionen lauten: „Die künstliche Frühgeburt ist
eine der sympathischsten und nützlichsten geburtshilflichen Opera¬
tionen. Sie gibt günstige Resultate sowohl für die Mutter, als
das Kind. Die Mortalität und Morbidität, die in direktem Zu¬
sammenhang mit dieser Operation steht, ist fast gleich Null. Die
häutigsten Indikationen bei inneren Krankheiten sind Nieren- und
Herzkrankheiten. Diese Indikationen sollten im allgemeinen in
grösserem Masstabe gelten, als dies bisher der Fall war. Bei
schwerer Eklampsie während der Schwangerschaft, besonders bei
Erstgebärenden, ist man berechtigt, statt der künstlichen
Schwangerschaftsunterbrechung den Kaiserschnitt aus relativer
Indikation auszuführen.“
Referent Sch au ta- Wien bearbeitete das Thema an der
Hand seines ausserordentlich grossen Materials, nahezu 40 000 Ge¬
burten und mit eingehender Berücksichtigung der betreffenden
Literatur. Er bespricht sämtliche inneren Krankheiten, die event.
zur künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft Veranlassung
geben können. Aus seinen Schlussfolgerungen sei folgendes er¬
wähnt:
Nerven- und Geisteskrankheiten. Polyneuritis
gravidarum gibt in schweren Fällen eine Indikation ab. Bei
Chorea gravidarum entscheidet der Verlauf in den ersten 8 Tagen.
Bei Tetanie kann im Interesse des mütterlichen Lebens, bei G e -
hirntumoren, Hemiplegien kann im Interesse des kind-
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1815
lieben Lebens eine Indikation zur Unterbrechung eintreten Bei
Psychosen nur bei Gefahr des Selbstmordes. II ück e n -
markserkrankungen, Hysterie geben keine Indika¬
tionen, Epilepsie nur in sehr schweren Füllen.
Krankheiten der Sinnesorgane. Von Augen-
k i a u k li e i t e n kommt Retinitis albuminurica, von Haut¬
krankheiten event, Pityriasis versieolor., Pruritus, Ekzem,
Pemphigus, besonders der Herpes gestationis (M i 1 1 o n) in Be¬
tracht.
Respirationsorgane. Pneumonie und Pleu r i-
t i s kontraindizieren die künstliche Unterbrechung; bei
Lungentuberkulose wird höchstens der künstliche Abortus,
(besonders bei der Larynxtuberkulose) etwas nützen. Macht die
Tuberkulose starke Fortschritte, so kann auch später eine Indika¬
tion eintreten. In aussichtslosen Fällen von Tuberkulose ist die
künstliche Frühgeburt indiziert, sobald das Kind lebensfähig ist.
Bronchitiden, E m p hyse m und Asth m a geben
keine Indikation, Pneumothor a x kontraindiziert die Unter¬
brechung.
Herzkrankheiten. Bei zweckentsprechender Behand¬
lung übersteht die übergrosse Mehrzahl der Kranken die Anstreng¬
ungen der Geburt ohne jegliche Störungen (95 Proz.). Kompli¬
kationen mit Tuberkulose und Nephritis sind sehr ungünstig.
Mitralstenosen sind schwere Komplikationen. Sie indizieren schon
bei geringen Kompensationsstörungen die Unterbrechung der
Schwangerschaft. Bei inkompensierten Vitien ist zuerst interne
Therapie zu versuchen. Bei Appendizitis muss ohne Rück¬
sicht auf bestehende Schwangerschaft operiert werden. Ebenso
bei schweren Gallensteinkoliken. Bei Peritonitis
ist die Unterbrechung der Schwangerschaft kontraindiziert.
Die Prognose der Hyperemesis ist weit günstiger, als
im allgemeinen angenommen wird. Nur in den seltensten Fällen
kommt die Unterbrechung der Schwangerschaft in Betracht. An¬
staltsbehandlung, absolute Ruhe, Aufnahme flüssiger Nahrung in
kleinen Quantitäten in horizontaler Lage führen meist zum Ziel.
Albuminurie und Nephritis geben Indikationen
ab, wenn trotz Milchdiät eine Besserung nicht eintritt. Bei
chronischer Nephritis ist eine Schwangerschaft zu unterbrechen,
sobald das Kind lebensfähig ist, oder schwere Komplikationen ein¬
treten.
Bei Eklampsie ist nur bei Häufung der Anfälle trotz
sonstiger Therapie die Schwangerschaft zu unterbrechen.
Bei Pyelonephritis sind zunächst interne Mittel axi-
zuwenden, event. in der 32. Woche die Frühgeburt einzuleiten.
Bei 1 i e n a 1 e r Leukämie ist nur in schweren Fällen der
künstliche Abortus indiziert.
Morbus B a s e d o w i i kann durch Blutungen ins Endo¬
metrium zur Eiablösung führen. Bei hochgradigen Störungen des
Allgemeinbefindens ist die Unterbrechung der Schwangerschaft
indiziert.
Diabetes gravid a r u m gibt eine schlechte Prognose
(y4 der Fälle sterben); die Schwangerschaft ist schon in der ersten
Zeit zu unterbrechen, event. kann die Lebensfähigkeit des Kindes
abgewartet werden.
Für Osteom alacie progrediente, besonders rezidivierende,
bei durchgängigem Becken künstliche Frühgeburt, event. Tuben¬
resektion nach Wochenbett; bei exazerbierter ovarieller Osteo-
malacie in der Schwangerschaft Kastration, nach Ablauf des
Wochenbettes.
Bei hochgradiger oder absoluter Beckenverengerung event.
Sectio caesarea, bei Schwangerschaf tsosteomalacie mit Sterili¬
sation, bei ovarieller mit sofortiger Kastration oder Porrooperation
oder abdomineller Totalexstirpation. Bei schwerer rezidivierender
Osteomalacie event. schon in den ersten Schwangerschaftsmonaten
Totalexstirpation, vaginal oder abdominal.
Bei Typhus. ist die Unterbrechung höchstens in den ersten
Tagen von Nutzen, sonst ist sie kontraindiziert. Bei Typhus
exanthematicus, Morbillen, V airiola, Erysipel,
Dysenterie ist keine Indikation vorhanden, bei Diph¬
therie, Cholera sogar kontra indiziert; bei Malaria ist die
künstliche Frühgeburt unnötig, nur bei hochgradiger Kachexie
indiziert. Lyssa, Rotz, Milzbrand bieten keine Indikation.
Bei Influenza können nur Komplikationen eine Indikation
darstellen, ebenso bei Rekurrens, Parotitis epidemica,
Pertussis.
Bei den meisten Infektionskrankheiten besteht keine Indika¬
tion zur Unterbrechung der Schwangerschaft; in vielen Fällen be¬
steht Kontraindikation wegen Gefahr der Verschlimmerung durch
septische Infektion. (Variola, Diphtheri e). Bei II heu-
matismus besteht Kontraindikation wegen seiner Gefährlich¬
keit im Wochenbett. Bei den verschiedenen Intoxikationen (Mor¬
phium, Blei, Quecksilber) tritt meist spontan Unterbrechung ein.
Bei Tumoren, Myomen, Cysten, Dermoiden be¬
steht keine Indikation; bei Carcinoma uteri ist ohne Riick-
sieli auf die Schwangerschaft die Totalexstirpation zu machen, bei
lebendem Kinde Sectio caesarea, nicht Einleitung der Frühgeburt.
Bei Struma ist die Strumektomie, nicht die künstliche Früh¬
geburt indiziert.
Referent A. R. Simpson - Edinburg gibt eine historische
Einleitung, in der er erwähnt, dass der Schotte George Macau-
1 a y, der in Padua promoviert hatte, der erste war, der die
künstliche Frühgeburt einleitete.
Simpson unterscheidet 2 Gruppen von Indikationen, fötale
und mütterliche. Erstere betreffen a) das habituelle Ab¬
sterben der Frucht, b) das habituelle Zugrosswerden der Frucht,
absolut oder relativ, im Verhältnis zum Becken, betrachtet.
Die mütterlichen Indikationen trennt er in solche Erkran¬
kungen, die schon vorher bestanden haben, oder inter-
lc urrent sind und solche, die direkt von der Schwange r-
Schaft a b h ä n g en .
Zu ersteren gehören Erkrankungen des Nervensystems,
wie Wahnsinn, Apoplexie, Meningitis, Epilepsie und besonders
Chorea, dann Zirkulationsstörungen, namentlich Herz-
leiden; ferner Erkrankungen des Res pirations traktus; die
akuten, wie Pneumonie und Pleuritis, geben keine Indikation. Bei
fortgeschrittener Lungentuberkulose kommt die Unterbrechung in
Betracht, auch im Interesse des Kindes. Verschiedene akute
Krankheiten, wie gelbe Leberatrophie, Peritonitis führen oft selbst
zur Unterbrechung der Schwangerschaft; eine künstliche Unter¬
brechung führt dabei weder für Mutter, noch Kind zu Vorteilen.
Bei fest mit dem Uterus verwachsenen Genitaltumoren, besonders
Dermoiden, könne auch die Frage der künstlichen Frühgeburt in
Betracht kommen; bei Carcinoma uteri solle man das Ende der
Schwangerschaft ab warten.
Letztere, die Erkrankungen, welche in direktem Zusammen¬
hang mit der Schwangerschaft stehen, betreffen die Hyperemesis
gravidarum, Hydramnios, Plazentarhämorrhagien, Schwanger¬
schaftsnephritis und ihre Konsequenzen.
Diskussion: Bossi - Genua erwähnt seine Tierversuche,
nach denen trächtige Tiere für Infektionskrankheiten empfäng¬
licher seien wie andere, ferner Versuche mit dem Ergographen
über die Muskelkraft während der Menstruation, Schwangerschaft,
Geburt und Wochenbett. Die Muskelkraft sinkt vor der Menstrua¬
tion und steigt allmählich während der Menstruationsdauer,
während der Schwangerschaft sinkt sie bedeutend und steigt rasch
im Wochenbett.
Bei der Einleitung der künstlichen Frühgeburt kommt auch die
Art des operativen Eingriffes sehr in Betracht und empfiehlt
Bossi hiefür als schnellstes, sicherstes und bezüglich Infektion
unschädlichstes Verfahren die Anwendung seines Dilatators.
K o h e g h i - Szeged: Ist bei. Tuberkulose der Mutter von
2 Aerzten der Nachweis von Tuberkelbazillen erbracht, so soll der
künstliche Abortus eingeleitet werden, um den Nachwuchs tuber¬
kulöser Generationen zu hindern.
Henrotay - Antwerpen bespricht die juristischen und reli¬
giösen Gesichtspunkte in dieser Frage.
Gutierrez - Madrid hebt das habituelle Absterben der
Kinder als wichtige Indikation zur künstlichen Frühgeburt hervor.
Sinclair- Manchester betrachtet die Lebensgefahr der
Mutter als das einzig massgebende. Jeder Fall muss für sich
beurteilt werden.
La Torre - Rom: Zirkulationsstörungen , Hyperemesis,
Eklampsie sind an sich keine Indikationen. In jedem Falle soll
ein zweiter Arzt beigezogen werden.
Zweifel- Leipzig: Die weitgehenden Einschränkungen der
Indikation, wie sie von S c h a u t a und Pinard vertreten
wurden, erschweren dem praktischen Arzt seine in diesen Fällen
ohnedies schwere Stellung sehr.
Das Material der Kliniker allein ist nicht ganz massgebend,
da die jugendlichen Personen dabei so sehr überwiegen. Z. hat
fast alle Fälle schwerer Komplikationen der Schwangerschaft
durch innere Krankheiten bei älteren Mehrgebärenden im Privat¬
hause kennen gelernt.
Das Erbrechen kann tatsächlich unstillbar sein; Z. hat einen
Fall trotz und nach der Einleitung der künstlichen Frühgeburt
und trotz aller anderen Mittel an dem Erbrechen, das „unstillbar“
war, sterben sehen.
In den Referaten vermisst Z. den Hinweis auf den objek¬
tiven Anhalt, welcher eine Gefahr anzeigt oder die Ungefährlich¬
keit sichert, nämlich das Verhalten des Körper¬
gewichtes; sinkt dieses konstant (in regelmässigen Intervallen
gemessen), so besteht Indikation zum Eingreifen.
Z. hat nur 3 — 4 mal im ganzen den künstlichen Abortus wegen
Erbrechens eingeleitet. Das Körpergewicht gebe auch bei Tuber¬
kulose den richtigen Anhaltspunkt; Z. habe dabei noch nie die
künstliche Frühgeburt eingeleitet, doch möchte er wegen eines
im Puerperium traurig verlaufenen Falles die Unterbrechung der
Schwangerschaft nicht grundsätzlich verwerfen.
Bei Chorea bestehe nach eigenen Erfahrungen strikte Indi¬
kation zur Unterbrechung.
Bezüglich der Beziehung der Nierenerkrankungen zur Eklamp¬
sie stimme er Hofmeier bei, dass nämlich die chronische
Nephritis verhältnismässig wenig zur Eklampsie tendiere und diese
vorwiegend bei der sogen. Schwangerschaftsnephritis ausbricht.
Treten in den letzten 2 Monaten der Schwangerschaft stär¬
kere Blutungen auf, so ist die Frühgeburt indiziert, weil er-
falirungsgemäss, auch wenn die erste Blutung von selbst zum
Stehen kommt, innerhalb kurzer Frist eine zweite zu folgen pflegt,
welcher die dann erst in Behandlung kommenden Frauen in grosser
Zahl erliegen, weil sie durch den ersten grossen Blutverlust zu sehr
geschwächt sind, um den zweiten noch auslialten zu können.
K r o e n i g - Leipzig will die sozialen Verhältnisse bei der
Indikationsstellung mehr berücksichtigt wissen.
D r a g h i e s c o - Bukarest: In 9 Jahren ist bei 18132 Ge¬
burten in Bukarest 17 mal die Schwangerschaft künstlich unter¬
brochen worden, 13 mal wegen Eklampsie, 3 mal wegen Herzfehler,
1 mal wegen Epilepsie.
Referent Pinard (Schlusswort) betont nochmals, dass bei
Tuberkulose, besonders Miliartuberkulose, eine Indikation nicht
bestehe und dass für die Indikation einzig und allein der Arzt
massgebend sei.
1816
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Referent Rein (Schlusswort) befürwortet nochmals die Ope¬
ration, die ungefährlich sei und 90 Proz. der Kinder rette.
Referent S c h a u t a (Schlusswort) bleibt auf seinem kon¬
servativen Standpunkt. Bei Chorea seien die Gefahren der Ge¬
burt gross. Soziale, ökonomische Rücksichten kämen nicht m Be-
traclit. •
Referent Simpson (Schlusswort) erwähnt noch, dass bei
habituellem Absterben der Frucht der Arzt stets die Ursachen des¬
selben bekämpfen müsse.
Sitzung vom IG. September 1902, Nachmittags.
II. Diskus sionsthe m a: Die Hysterektomie in der Be-
1 _ _ J1 _ _ »„»««Annlnn T n -poEll AB
handlung der puerperalen Infektion
Referent Fehling- Strassburg war nicht anwesend, aber
sein Referat lag gedruckt vor. Fehling hat an der Hand der
Literatur, der eigenen Erfahrung und der Berichte, die er von
einer grossen Zahl von Gynäkologen, an die er 1 ragebogen ge¬
schickt hatte, erhielt, das Thema bearbeitet. Er kommt zu fol¬
genden Thesen: . ..
1. Die puerperalen Erkrankungen der Genitalorgane werden
am besten unterschieden in toxische und infektiöse.
2. Bei Intoxikation (Sapriimie) ist, der Erkrankungsherd aut
den Uterus beschränkt; bei der Infektion ist der Prozess selten
noch auf den Uterus beschränkt, meist handelt es sich um
schwere Allgemeininfektion des Organismus.
3. Die Hysterektomie des puerperalen Uterus ist bei allge¬
meiner Septikämie aussichtslos und zu verwerfen.
4. Die Hysterektomie des puerperalen Uterus kann rationell
nur empfohlen werden, wenn der Herd der Intoxikation oder In¬
fektion auf den Uterus beschränkt ist. also bei Zersetzung durch V er-
haltung der Plazenta oder Teile derselben, bei Verjauchung puer¬
peraler Myome, bei verjauchten Eiresten nach Abort und Un¬
möglichkeit der Entfernung derselben auf anderem Wege. Die
Indikation hierzu wird demnach sehr selten vorhanden sein.
5. Bei einzelnen Fällen von Metrophlebitis puerperalis
(Pyämie) kann die Hysterektomie von Nutzen sein, zumal im Zu¬
sammenhang mit Unterbindung oder Exstirpation der tluom-
bosierten Vonen der LigH.ro enta lata und der Sperroatika, odei die
letzte Operation für sich allein.
Referent Leopold- Dresden unterscheidet folgende Grup¬
pen puerperaler Infektion: 1. die puerperale Peritonitis, bei der
eine chirurgische Behandlung unter Umständen nützen kann, eine
Entfernung des Uterus aber keinen Zweck hat.; 2. die Aufspeiche¬
rung der Eitererreger, in den Venengeflechten, venöse Form, wie
sie besonders nach kriminellem Abort, Placenta praeHa und ma¬
nueller Plazentarlösung Vorkommen, bei denen die Entfernung
des Uterus allein keinen Zweck hat, höchstens im Zusammenhang
mit den vereiterten Venen Vorteile haben kann. Ein günstiger
Verlauf nach Totalexstirpation darf nicht zu dem Schlüsse führen,
dass diese Art die allein richtige Therapie war. Einen hervor¬
ragenden Fortschritt bedeute hierin das T r e n d e 1 e n b u r g -
sehe Verfahren der Entfernung der Thromben allein. 3. Die Art
des Fortschreitens der septischen Infektion vom Endometrium auf
Adnexe der einen Seite (Endometritis, Salpingitis, Oophoritis puru-
lenta puerperalis). Hier käme die Entfernung der kranken Ad¬
nexe in Betracht. 4. Die Metritis acuta puerperalis abscedens,
Parametritis posterior et pelveoperitonitis. Die Aufsuchung aller
Eiterherde per laparotomiam scheint hierbei nach Leopolds
Erfahrungen der Totalexstirpation vorzuziehen zu sein. 5. Quet¬
schung von Tumoren, Myomen. Dermoiden mit Gewebszertrum-
merung und beginnende Sepsis; die Hysterektomie kann hiebei
Vorteile bieten, besser ist aber die Trockenlegung und Drainage
der betr. Höhle. G. Verjauchung des puerperalen Uterus bei Re-
tentio placentae, die auf keine Weise durch die Scheide zu ent¬
fernen ist; hier ist die Hysterektomie indiziert.
Leopold kommt zu folgenden Schlüssen : ...
1. In den Fällen von schwerer puerperaler Infektion ist die
Hysterektomie nur dann begründet, wenn alle Symptome darauf
hin weisen, dass der Uterus allein der Sitz und die
fort wirkende Quelle der Infektion ist und wenn
alle anderen Massnahmen zur Bekämpfung dieser Quelle erfolglos
gewesen sind. . . .
Hier kommen vorwiegend die Fälle mit retmierter, m \ er-
jauchung begriffener und nicht entfernbarer Plazenta in Betracht.
2. Hat aber die Infektion den Uterus schon überschritten, sei
es, dass eine schwere Peritonitis oder septische Thrombose oder
Uterusabszesse oder ein- oder doppelseitige schwere Adnex erkrank-
ungen den Hauptcharakter der Krankheit bilden, so ist die
Hysterektomie allein eine unzureichende Massnahme, weil sie
den anatomischen Veränderungen nicht Rechnung trägt.
Bei unaufhaltsamer fortschreitender Erkrankung hat hier je
nach Lage der Sache vor allem die chirurgische Behandlung em-
zusetzen, die sich mit der Aufsuchung und En t -
leerung der Eiterherde zu befassen hat. Inwieweit
die innere Behandlung mit Antistreptokokkenserum und ähnlichen
Massnahmen an sich oder unterstützend anzuwenden ist, weiden
klinische Beobachtungen weiter auszubauen haben.
Jedenfalls muss der grösste Nachdruck hier gelegt werden
auf die möglichst frühzeitige und u n e r m ü d 1 i c h e
Aufsuchung von Eiterherde n. Für die Rettung der so
schwer Erkrankten bleiben mit der Aufsuchung und Entfernung
vereiterter Venenstränge glänzende Erfolge der Neuzeit Vor¬
behalten. .. ... '
Referent Treub - Amsterdam berichtet zunächst über seine
eigenen Fälle von puerperaler Infektion und gibt eine eingehende
Zusammenstellung der für dieses Thema in Betracht kommenden
Fälle der Literatur (36 Fälle von Hysterektomie bei puerperaler
Infektion, ohne Lokalisation derselben ausserhalb des Uterus odei
uterinen Komplikationen (Retentio placentae, I ibrom etc.) \ on
diesen 3G Fällen sind 15 geheilt, 21 gestorben. Tieu b kommt
zu folgenden Schlussätzen: ^ , .. . , . .
1. Bei der Behandlung der ganz auf die Gebärmutter be¬
schränkten Puerperalinfektion sind die üblichen Mittel genügend
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle. Tiv«mv<4'toniio
2 In einzelnen Ausnahmsfallen kann die Hysterektom
nützen wo die geburtshilfliche Behandlung ungenügend ist.
3. Die Indikation zur Hysterektomie soll nur gestellt w eitlen
auf Grund einer sehr genauen klinischen Untersuchung und unte
gew i sseiih after Abwägung der Vor- und Nachteile der Operation
& 5. Derjenige, der in diesen Fällen viele Hysterektomien macht,
macht deren bestimmt zu viel. .
Referent Tuff ier - Paris war selbst nicht anwesend, . e in
Referat wurde verlesen. Er bespricht die Frage, ob es gerecht¬
fertigt ist, den tlterus wegen einer akuten Infektion zu exstirpieren
und welches die Indikationen hiefür sind. . . ..
In seinen Erörterungen betont er die grosse Schwierigkeit
der Indikationsstellung, neue Gesichtspunkte sind jedoch nicht
:£Säsä“sä
ääästä-
sich befindet.
74 Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Karlsbad vom 21.— 27. September 1902.
Abteilung' für innere Medizin.
Referent : A 1 b u - Berlin.
IV. Sitzung.
1. Herr Fr. Pick- Prag: Ueber das glykogenlösende
Fer^cbdeiLm kurzen Hinweise auf die wechselvolle Geschichte
der Streitfrage, ob die Umwandlung des Glykogens in Zucker
innerhalb der Leber ein Akt vitaler Zelltätigkeit oder eine Fer¬
mentwirkung ist, welch’ letztere Anschauung auch m neuesten
Zeit wieder von verschiedenen Autoren verworfen wurde, be¬
richtet P. über diesbezügliche eigene Untersuchungen.. Fr er hie t
durch Extraktion des alkoholgefällten Leberbreies mittels Koch¬
salzfluornatriumlösung eine klare zellfreie Lösung, welche Glyko¬
gen in beträchtlicher Weise zu verzuckern vermag; diese Fähig¬
keit wird durch Kochen aufgehoben. Weitere Versuche betrafen
die quantitativen Verhältnisse der Fermentwirkung und deren
Beeinflussung durch verschiedene pharmakologische Agentien,
wobei Methylviolett eine leichte, Chinin eine deutlich hemmen e
Wirkung zeigte. Ein Vergleich der quantitativen Ferment¬
wirkung mit der postmortalen Zuckerbildung m der Leber zeigt,
dass die Potenz der Fermentmenge, welche aus einem Leberstuc v
extrahiert werden kann, noch grösser ist, als der Umfang der m
derselben Lebermenge vor sich gehenden postmortalen Glykogen¬
lösung. Das Ferment erweist sich in der Leber gleichmassig ver¬
teilt, bei zweizeitiger Entnahme von Leberstücken finden sieb
keine nennenswerten Differenzen. Vergleich des Ferment¬
gehaltes verschiedener Gewebe erwies die Leber wirksamer als
das Blut, Nierensubstanz wirksamer als Leber. Weiter erörtert
P die über die Herkunft des Fermentes geäusserten Anschau¬
ungen- im Hinblicke auf die verschiedentlich vertretene An¬
schauung, dass das Leberferment aus dem Pankreas und den
Speicheldrüsen stamme (Neumeister u. A.), hat er bei einem
Hunde dem das Pankreas exstirpiert wurde, am 8. läge die
Leber untersucht und den Fermentgehalt nicht herabgesetzt ge¬
funden. Zum Schlüsse betont P., dass seine Versuche zwar che
Möglichkeit der Extraktion eines kräftigen Fermentes aus der
Leber ergeben und in diesem Sinne für die Fermenttheorie und
gegen die Deutung der Glykogenlösung als Zelltätigkeit sprechen,
dass jedoch dies eigentlich nur ein Streit um Worte ist, da ( ie
Ergebnisse der modernen Biochemie doch gezeigt haben, welch
grosse Rolle intracellulären Fermenten für die vitalen Vorgänge
zukommt. .
2. Herr L. Schwarz - Prag: Ueber den Fettgehalt des
U Ausgehend von seinen Erfahrungen über die Zunahme der
Azetonkörperausscheidung nach Fettzufuhr bei Diabetes hat or
tragender bei mehreren Fällen von schwerem Diabetes ver
gleichende Fettbestimmungen vor und nach der Au na me
grösserer Buttermengen vorgenommen. Die Methodik bestand m
Vorbehandlung des Blutes mit Pepsin-Salzsäure, Trocknen mi
28. Oktober 1902.
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1817
Seesand und geglühtem Kupfersulfat und Wägen des Aetlier-
extrak tes. Die so ermittelten Differenzen belaufen sich auf 17,
So und 26,8 I roz. Audi makroskopisch und mikroskopisch bot
namentlich im letzten Fall, das Blutserum das Bild der Erhöhung
des Fettgehaltes dar. Die zum Vergleich an Nichtdiabetikern
unter gleichen Bedingungen angestellten Untersuchungen er¬
gaben W erte von nui 3 5 Proz. Demnach scheint beim schweren
Diabetes alimentäre Lipämie vorzukommen. Einige an pankreas¬
losen Hunden gewonnene Beobachtungen lassen sich gleichfalls
im Sinne einer Störung des Fettstoffwechsels verwerten.
3. Herr 0. S i m o n - Karlsbad : Ueber Nachweis und Vor¬
kommen von Glykogen im Harn.
Vortragender bediente sich des von Nerkin g für die
quantitative Bestimmung des Leberglykog'ens angegebenen Ver¬
fahrens zum Aufsuchen von Glykogen im Harn. 90 ccm Harn
werden mit 10 ccm 40 proz. KOH-Lösung versetzt; vom er¬
haltenen Phosphatniederschlag abfiltriert, zum Filtrat 10 g Jod¬
kalium und 50 ccm 90 proz. Alkohol zugesetzt.
Glykogen scheidet sich flockig ab. Normale Harne bleiben
klar. II ratreiche Harne geben kristallinische Niederschläge, von
noch nicht näher zu bezeichnender Zusammensetzung. 28 dia¬
betische Harne waren frei von Glykogen. Aus drei diabetischen
Hainen, die geringe Menge von Albumen ohne Zylinder ent¬
hielten, war auf die beschriebene Weise Glykogen dargestellt und
als solches identifiziert worden. Drei albumenhaltige diabetische
Hafne zeigten kein Glykogen. Vortragender hält das Harnglyko¬
gen für den Ausdruck einer glykogenen Nierendegeneration.
4. Herr Schuster - Aachen : Lebercirrhose und Diurese.
Die Punctio abdominis fördert nicht immer die Diurese;
auch die bewährtesten Diuretika versagen oft auf die Dauer.
Die Diurese hängt in erster Reihe von der Herzkraft, in zweiter
\ on der aufgenommenen Flüssigkeitsmenge ab. Bei zunehmender
Herzschwäche, wo Digitalis versagt, helfen in einem Falle Aether-
und Sparteinsubkutaninjektionen. Bei guter Herzkraft bleibt die
durch dieNiere ausgeschiedene Flüssigkeitsmenge um 2 — 300 ccm
hinter der auf genommenen zurück. Vortragender huldigt der
Lance reau sehen und der von Ebstein auf dem XI. Kon¬
gress für innere Medizin empfohlenen Anwendung der Jodprä¬
parate. Als solche hat er weniger das Jodipin subkutan ange¬
wendet, dagegen viel mehr Rektalinjektionen von Jodkali in Ver¬
bindung mit dem innerlichen Gebrauch von Jodtinktur; letztere
begann mit 2 mal täglich 5 Tropfen in Milch, jeden Tag ge¬
steigert um 1 Tropfen bis zu 2 mal täglich 30 — 40 Tropfen, wo¬
durch schliesslich die Diurese gesteigert wird.
5. Herr F i n c k - Karlsbad : Die Erfolge der Karlsbader
Kur bei Gallensteinkranken.
6. Herr P o n f i c k - Breslau: Pyelothrombose und Trauma.
Vortragender hat nur solche Erkrankungen im Auge, wo es
ohne Infektion und sogar ohne Entzündung zur Thrombose der
Pfortader kommt. Sie sind anscheinend häufiger, als man bisher
geglaubt hat. Die auf Grund der Ergebnisse der Experimental¬
physiologie gewonnene Anschauung, dass es sich stets um ein
schweres, schnell tötlich verlaufendes Leiden handele, kann
nicht mehr als zutreffend erachtet werden. Vielmehr kann die
Thrombose der Pfortader in manchen Fällen unter geringen Er¬
scheinungen oder ganz symptomlos verlaufen, was sich teilweise
aus der schleichenden Entwicklung des Leidens erklären lasse.
Als ätiologische Momente sind bisher Stauung, Tumoren, Ver¬
legung der Gefässe durch Parasiten, Erkrankung der Wand der¬
selben selbst bekannt. In manchen Fällen lässt sich aber keines
dieser Momente als Ursache wirklich in Anspruch nehmen. Des¬
halb hält Vortragender es für geboten, auf die Bedeutung des
Trauma in der Pathogenese dieser Affektion aufmerksam zu
machen. Er berichtet über 2 einschlägige Fälle, wo im An¬
schluss an ein stattgehabtes Trauma ein Krankheitsbild sich ent¬
wickelt hatte, das zur Diagnose einer Lebercirrhose geführt hatte
(Magenblutung, Erbrechen, Aszites u. dergl. m.). Die Sektion
stellte lediglich eine Thrombose der Venae portae fest.
7. Herr Takahashi - Tokio : Ueber Giftfische.
Unter den Giftfischen ist jedenfalls der Tetrodon, welcher
in Japan oft zur Vergiftung führt, der giftigste. Die Versuche
des Vortragenden haben erwiesen, dass verschiedene Arten des
letrodons qualitativ gleich, aber quantitativ ungleich wirken,
lerner ist bemerkenswert, dass der Eierstock das Gift am meisten
enthält, nächstdem die Leber. Der Hoden, die Haut und das
Blut enthalten aber bedeutend weniger Gift. Dagegen ist der
M uskel ganz ungiftig. Die Wirkung des Giftes ist beim
Kaltblüter Herabsetzung der willkürlichen und reflektorischen
Bewegungen; die Atmung wird flacher und seltener. Schliess¬
lich treten Atemstillstand und vollständige Lähmung ein, wobei
das Herz noch eine IV eile fortschlägt. Beim Warmblüter be¬
obachtet. man ausser der Respirationsstörung’ eine bedeutende
Herabsetzung des Blutdruckes. Genauere Versuche haben er¬
wiesen, dass die Todesursache bei der Tetrodonvergiftung die
gleichzeitige Lähmung des Atemzentrums und des vasomoto¬
rischen Zentrums ist. Hieraus kann man ersehen, dass die
Therapie bei der schweren Vergiftung ziemlich erfolglos ist.
Künstliche Respiration und Faradisation des Phrenikus wären
zu versuchen.
8. Herr J. Pohl- Prag: Ueber Allantoinausscheidung bei
Intoxikationen.
Die subkutane Hydrazinvergiftung führt fast regelmässig
zur Allantoinausscheidung durch den Harn (Baumann-
Borissow). In Bezug auf die Herkunft dieses Körpers be¬
stehen eine Reihe von Möglichkeiten, die experimentell durch¬
geprüft werden. Das Allantoin ist — beim Hund — kein inter¬
mediäres Stoffwechselprodukt, da es, per os gereicht, quantitativ
ausgeschieden wird, andererseits im Hungerharn völlig fehlt.
Für die in der Literatur geäusserte Anschauung, einer Beziehung
des Allantoins zur Harnsäure, gelang es nicht, Stützen zu fin¬
den. Die fernere Möglichkeit der Abspaltung oder Bildung des
Allantoins aus Zellbestandteilen setzt eine Methode der Allan-
toinbestimmung aus Organen voraus, die vom Vortragenden aus¬
gearbeitet wurde. Während der normale Körper in seinen
Organen kein Allantoin nachweisen lässt, finden sich auf der
Höhe der Hydrazinvergiftung beträchtliche Mengen desselben
in der Leber. Unter Beziehung auf die nekrobiotischen Verände¬
rungen dieses Organs durch das Gift erhellt die Abstammung des
Allantoins aus den Zellkernpurinen, insbesonders aus dem Hypo¬
xanthin. Es gelang ferner die Bildung des Allantoins in be¬
stimmten Organen extra corpus durch A u t o 1 y s e nachzu¬
weisen, was für die Beurteilung der physiologischen Rolle auto¬
lytischer Fermente von Bedeutung erscheint. Positive Allan -
toinbefunde wurden sodann noch erhoben bei Vergiftungen mit
Hydroxylamin, Semikarbozid und Amidoguanidin, negative bei
solchen mit Phosphor und Arsen.
9. Herr Hocke- Prag : Beitrag zur Kenntnis des Diabetes
insipidus.
Aus den Stoffwechsel Untersuchungen des Vortragenden in
einem von ihm beobachteten Falle sind folgende Ergebnisse her¬
vorzuheben :
Auffallend zeigte sich das Verhalten des Gefrierpunktes des
Harns. Die gefundenen Zahlen schwankten zwischen — 0,2
bis —0,33° C., Werte, wie man sie unter anderen Umständen
nur äusserst selten findet. Der Gesamtstickstoff, sowie die Aus¬
scheidung von Harnstoff zeigten sich bei wiederholt ausgeführten
Bestimmungen normal. Das spezifische Gewicht des Blutserums
betrug 1028. Der Stickstoffgehalt des Gesamtblutes betrug
o,13 Proz. Die Bestimmung des Gefrierpunktes des Blutserums
wurde zweimal ausgeführt. Die gefundenen Zahlen waren das
erstemal — 0,47, das zweitemal 0,52 0 O.
Das Wesen des krankhaften Prozesses in dem vorliegen¬
den Falle scheint darnach darin zu bestehen, dass der Organismus
auf einen erhöhten Wasserstoffwechsel eingestellt ist: Vermehrte
Wassereinfuhr, Hydrämie, vermehrte Wasserausfuhr bei normaler
Gesamtstickstoff- und Harnstoffausscheidung. Mit der Erhöhung
des Gefrierpunktes des Blutserums stimmt auch die Herab¬
setzung des spezifischen Gewichtes desselben, sowie die Herab¬
setzung des Stickstoffgehaltes des Gesamtblutes gut überein.
10. Herr Zupnik-Prag: Ueber den zentralen Angriffs¬
punkt des Tetanusgiftes.
Vortragender spricht sich auf Grund von experimentellen
Untersuchungen sowohl anderer Forscher (Brunner und
Rou x) wie umfangreichen eigenen, die an Kaninchen, Hunden,
Katzen, Ratten und Meerschweinchen vorgenommen wurden,
dahin aus, dass 1. der sogen. Tetanus cerebralis mit dem „Wund¬
starrkrampf“ nichts Gemeinschaftliches hat, 2. dass mit steigen¬
der Empfänglichkeit verschiedener Tierspezies für Tetanus das
Bild des cerebralen Tetanus immer mehr an seiner Vehemenz und
Deutlichkeit verliert, welche bei hochempfänglichen Tieren die
1818
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
intracerebralen Injektionen einen typischen Tetanus erzeugen,
3. dass alle therapeutischen Bestrebungen ausschliesslich auf das
Rückenmark zu richten sind, da letzteres den einzigen cerebralen
Angriffspunkt darstellt.
V. S itzun g.
1. Herr K e 11 i n g - Dresden: Ueber die Bedeutung des
sympathischen Reizzustandes für Diagnose und Behandlung
des Magengeschwürs.
Der Boas sehe Druckpunkt ist nichts anderes als der über¬
empfindliche Ramus dorsalis der Interkostalnerven. Er entsteht
durch Reflexhyperäsithesie von den sympathischen Nerven aus.
Beim Ulcus ventriculi beweist dies einen besonderen Reizzustand
des sympathischen Nervensystems. Da dieser Reizzustand die
Heilung des Ulcus schädlich beeinflusst,, ist es empfehlenswert,
ihn durch Narkotika herabzusetzen, auch wenn bei flüssiger Kost
keine besonderen Beschwerden bestehen. Das Ulcus soll bei
älteren Leuten von Anfang an ganz energisch und wenn dies
ergebnislos ist, nicht länger als ein Vierteljahr intern behandelt
werden. Wenn die Magengeschwüre bei älteren Leuten chro¬
nisch werden, so werden sie leicht karzinomatös.
2. Herr v. Jaksch- Prag- : Ein Beitrag zur Kenntnis des
pathologischen Stoffwechsels.
Bei neueren Untersuchungen über die Verteilung der stick¬
stoffhaltigen Substanzen im Harn des kranken Menschen hat Vor¬
tragender den Nachweis liefern können, dass nicht, wie man bis¬
her geglaubt hat, in allen Fällen der Harnstoff dasi Hauptprodukt
der Stickstoffausscheidung ist, sondern in einer Reihe von Krank¬
heiten ein Stickstoffrest auftritt, welcher die Eigenschaft hat
wie der Harnstoff, durch Phosphorwolframsäure nicht fällbar zu
sein und doch nicht Harnstoff ist. Er bedeutet vielmehr Amido-
säuren. Sie treten in mehr oder minder grosser Menge auf 1. bei
Nierenkrankheiten, 2. bei Phosphorvergiftung, 3. bei Diabetes
insipidus, 4. in geringem Grade auch bei Diabetes mellitus, 5. bei
Typhus abdom. Hier bestehen 20 — 25 Proz. des an sich schon
vermehrten Gesamtstickstoffs im Harn aus Amidosäuren oder
Allantoin.
3. Herr S t ü r t z - Berlin : Ein intra vitam beobachteter
Fall von Eustrongylus gigas.
(Bereits in den Verhandlungen der Berliner med. Gesellschaft
publiziert.)
4. Herr Petruschky - Danzig: Ueber die diagnostische
Verwendbarkeit der Spinalgie als Frühsymptom tuberkulöser
Infektion.
Tn Fällen mit negativem Untersuchungsbefund auf den
Lungen, die erst durch den positiven Ausfall der Tuberkulin¬
injektionen als tuberkulös erkannt waren, hat Vortragender
öfters eine exquisite Druckempfindlichkeit der Dornfortsätze des
2. bis 7. Brustwirbels konstatiert, die er als Frühsymptom initialer
Phthise betrachtet. Er bezieht diese Spinalgie auf eine latente
Bronchialdrüsentuberkulose als Ausgangspunkt der Lungen¬
erkrankung. Er hat sie auch bei 37 von 285 Schulkindern, d. li.
13 Proz. beobachtet.
5. Herr Singer-Prag: Ueber Venenentzündung als
Frühsymptom der Lungentuberkulose (Phlebitis praetuber-
culosa).
Vortragender teilt sehr detailliert die mehrjährige Kranken- *
gesehichte eines jungen, hereditär nicht belasteten Mannes mit,
bei dem eine Entzündung der Vena saph. sin. mit all ihren cha¬
rakteristischen Symptomen dem Ausbruch der Phthisis längere
Zeit vorherging.
6. Herr Mitulescu - Bukarest : Die Entwickelung der
chronischen Tuberkulose, vom Standpunkte des Zellstoff¬
wechsels aus betrachtet.
Die Bedingungen, deren der Tuberkelbazillus zu seiner Ent¬
wickelung bedarf, bestehen bekanntlich einerseits, in einem ge¬
wissen Giftigkeitsgrade des Bazillus und anderseits in der Taug¬
lichkeit des Organismus als Substrat. Einen Anhalt dafür, in
welchem Grade sich der Bazillus bereits des Organismus be¬
mächtigt hat und seinen zerstörenden Einfluss ausübt, geben
exakt ausgeführte Stoffwechselversuche. Im Anfangsstadium der
Infektion ist der Zellstoffwechsel vergrössert und in einigen
Fällen befinden sich die Zellen in einem Inkompensations¬
zustande, welcher durch die Unmöglichkeit des Organismus,
Schutzstoffe zu bilden, bedingt wird; nachher folgt in vielen
Fällen eine Periode von annäherndem Gleichgewichtszustände,
welche durch den Umstand erklärt wird, dass jetzt die Zellen die
Fähigkeit besitzen, die aus den tuberkulösen Herden diffundierten
Proteine zu neutralisieren. Wenn aber dieses Gleichgewicht nicht
mehr zu bestehen vermag, so befinden sich die Zellen von neuem
in einem andauernd wachsenden Inkompensationszustande, \ om
prognostischen Standpunkte aus teilt M. die Evolutionskurve der
Tuberkulose in 3 Perioden ein: 1. Evolutions- resp. Entwicke¬
ln ngsperiode, 2. Stillstandsperiode, 3. Periode der organischen
Degeneration. In der ersten Periode ist die Lungeninfektion
durch wenige äussere Anzeichen charakterisiert und Heilung
leicht möglich; sichere Diagnose nur mit Hilfe von Tuberkulin,
ln der zweiten Periode treten Lungenanzeichen auf, welche über
eine lokale Läsion Aufschluss geben; Kompensationszustand
durch Behandlung andauernd möglich; sichere Diagnose auch
durch Sputumuntersuchung. In der dritten Periode besitzt der
Körper nicht mehr die Fähigkeit, den Zerstörungen zu begegnen,
da die Läsionen schon zu gross sind und der allgemeine Zustand
schon zu tief beeinflusst ist.
7. Herr S t e c k 1 - Wien: Zur Pathologie und Therapie der
Influenza.
Vortragender führt aus, dass es eine Reihe von Influenza¬
fällen gebe, die unter dem Bilde einer Diphtherie verlaufen. Dif¬
ferentialdiagnostisch kommen aus der bakteriologischen Unter¬
suchung das Franke sehe Symptom (fleckige Rötung des
Rachens), Milzschwellung, begleitende Bronchitis und Verände¬
rungen des Pulses in Betracht. Auch aus der Wirkung des Chi¬
nins, das nach Ansicht des Vortragenden eine fast spezifische Wir¬
kung entfaltet, lasse sich die Diagnose stützen. Zwischen Diph¬
therie und Influenza bestehe ein gewisser Antagonismus.
8. Herr Zupnik-Prag: Die Tuberkulinreaktion.
Auf Grund umfangreicher Tierversuche mit Reinkulturen
von Tuberkelbazillen und verwandten säurefesten Bakterien arten,
den Pseudotuberkelbazillen und Streptotriclieen, ist Vortragender
zu der Ansicht gelangt, dass die Tuberkulinreaktion keine abso¬
lute, spezifische für Tuberkulose ist, sondern nur eine Gruppen¬
reaktion all der Bakterien, welche dieselben Stoffe erzeugen. Die
zur selben Gruppe gehörigen Bakterien können auch die gleichen
Krankheitsbilder im menschlichen Körper hervorrufen. Vor¬
tragender teilt als Beweis dafür einen Fall von scheinbarer
Nierentuberkulose mit, wo sich als Erreger aber nicht der Tu¬
berkelbazillus, sondern ein verwandtes Gruppenbakterium fand.
9. Herr Adler- Prag : Zur Diagnose des Typhus abdomi¬
nalis.
Vortragender empfiehlt für die Frühdiagnose die Milzpunk¬
tion und Untersuchung des Milzsaftes auf seine Agglutinations¬
kraft. 1 — 10 Tropfen streng aseptisch mittels Spritze entnom¬
menen Milzsaftes werden auf sterile Bouillon verimpft und zu
Ziegenblutserum in einer Verdünnung von 1:100 000 zugesetzt.
In 92 Proz, der Fälle fällt die Prüfung positiv ausi. Die Milz¬
punktion ist gefahrlos, wenn der Patient danach ruhige Lage
innehält. Kontraindikationen sind : Hämophilie, hämorrhagische
Diathese, Arteriosklerose und höheres Alter. Die Reaktion kann
mit Erfolg zur Differentialdiagnose verwertet werden.
10. Herr Fuchs- Biebrich : Zur Theorie der Wismuth-
wirkung.
Vortragender ist auf Grund eigener Untersuchungen zu der
Ansicht gelangt, dass das Wismuth in der Behandlung des Ulcus
ventr. nicht nur physikalisch (als Deckmittel für den Substanz-
defekt) wirkt, sondern in chemischen Kontakt mit der Magen¬
schleimhaut tritt. Es erfährt dort eine Umsetzung und zwar eine
Reduktion durch das Kochsalz des Blutes, welches freie Salz¬
säure enthält.
11. Herr W i e c h o w s k y - Frag: Die vasomotorische
Wirkung der Analgetica.
VI. Sitzung.
1. Herr B a r u c h - New-York: Die Beförderung der Re¬
aktion der hydrotherapeutischen Prozeduren.
2. Herr S t i c h - Leipzig : Die heutigen Aufgaben der
deutschen Krankenhausapotheken.
Vortragender fordert für jede Krankenhausapotheke die
Schaffung von Einrichtungen, welche die rasche Anfertigung
jeder einzelnen Medizin gestatten, ferner ein technisches Labora¬
torium zur Herstellung von Präparaten, welche sonst fertig aus
Fabriken bezogen werden müssen, schliesslich ein analytisches
Laboratorium zur Nahrungsmittel- und Geheimmittelunter-
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1819
Buchung-, toxikologischen Untersuchungen u. dergl. m.
o. Herr M iura -Tokio: Die Behandlung- der Beri-Beri
\ ortragender empfiehlt für die leichten Fälle Abführmittel’
namentlich eine mehrere Wochen durchgeführte Kur mit salini-
schen Abführmitteln. In Fällen mit Zirkulationsstörungen hat
sich der Aderlass sehr bewährt, der namentlich bei gleichzeitiger
Anwendung der erstgenannten Medikamente günstig wirkte
Diese Kombination hat Vortragendem auch ausgezeichnete
Dienste geleistet bei den Komplikationen der Beri-Beri : Herz¬
insuffizienz, Pneumonie, Pneumothorax, Nephritis u. dergl.
4 Herr S e h n e e jun.-Karlsbad : Das elektrische Vier¬
zellenbad.
5. Herr P 1 o e n i e s - Wiesbaden : Die Beziehung der Mi¬
gräne zum Ulcus ventriculi.
Die cephalalgischen Symptome sollen auf Reizung der Sym-
pathikusverzweigungen im Magen beruhen.
Abteilung für Kinderheilkunde.
Referent : Privatdozent Dr. Bendix- Berlin.
ITI. S i t z u n g s t a g : 24. September 1902.
V orsitzender : Herr Ganglio f n e r.
1. Herr M o n t i - W ien : Zur Frage der Serumexantheme.
Die Serumexantheme sind nach Oertel die Folge einer
durch die Einspritzung einer eiweisshaltigen Flüssigkeit einer
anderen Tiergattung in das Gewebe, bezw. ins Blut bewirkten
Intoxikation. Diese Annahme wurde durch die Versuche von
Johannessen und Monti- bestätigt, die bei gesunden In¬
dividuen bei Einspritzungen von einfachem sterilisierten Serum
die gleichen Serumexantheme wie bei der Anwendung des Diph¬
therieserums auftreten sahen. Nach M.s Versuchen ist es be¬
greiflich, dass, je grösser das Volumen des eingespritzten Serums,
um so häufiger Serumexantheme auftreten. Seitdem man das
hochwertige Serum eingeführt hat, wo grössere Volumina von
Serum nicht mehr angewendet werden, sind die Serumexantheme
harmloser und seltener.
G. demonstriert an Photographien die vom Normalen ab¬
weichenden Atembe wegungen solcher Kinder, sowie eine bei der-
ai-tgen.Fäiien auftretende Thoraxfomi, den „starren, in schlech¬
te! Haltung fixierten Lliorax“ . Eine sogen, schlechte Schulterhal-
ung ist nach G. an sich noch nicht patliognomonisch für eine
Atmungsanonialie, sondern erst dann, wenn sie auf Kommando oder
spontan überhaupt nicht oder nur unter Beschwerden von Seiten
der Kinder korrigiert werden kann.
4. Herr Zuppinger- Wien: Ueber Gelatineinjektionen
im Kindesalter.
Z. machte mit den subkutanen Gelatineinjektionen bei den
verschiedenen hämorrhagischen Diathesen des Kindesalters die
besten Erfahrungen, wofür er einen eklatanten Fall als Beweis
an fuhrt. Bei leichten Fällen genügt die interne Verabreichung
5 10 proz. Gelatine. Wenn sich die Gelatinetherapie noch
immer nicht allgemeiner Anwendung erfreut, sind daran die mit¬
unter nach den Injektionen aufgetretenen Nebenerscheinungen,
wie Fieber, Schmerzen, Abszessbildung, Hautgangrän, Nephritis’
Hämoglobinurie und vor allem das Schreckgespenst des Te¬
tanus schuld. Die gewöhnliche käufliche Gelatine, aus der bis-
liei die meisten Injektionsflüssigkeiten hergestellt wurden, darf
als ganz ungeeignet zu therapeutischen Zwecken nicht mehr ver¬
wendet werden, sondern muss aus den leimgebenden Substanzen
um kommissioneil gesund erklärter und frisch geschlachteter
Kälber hergestellt werden. Die Sterilisierung muss man nach
bakteriologischen Grundsätzen streng durchführen, so dass abso¬
lute Keimfreiheit erzielt wird. In Deutschland hat M e r c k die
Ei zeugung solcher 2 proz. sterilisierter Gelatinelösungen über¬
nommen, welche allen Anforderungen, die man an eine Injek¬
tionsflüssigkeit stellen muss, genügen dürfte. Die Dosierung
richtet sich nach dem Alter des Kindes und der Gefährlichkeit
der Blutungen. Bei Säuglingen fängt man mit 15 ccm einer
2 proz. Lösung an und wiederholt die Dosis, wenn die Wirkung
ausgeblieben ist. Durch lokale Applikation und internen Ge¬
bt auch kann man die Wirkung der Injektionen unterstützen.
Ob Albuminurie und Nephritis als wirkliche Kontraindikationen
anzusehen sind, wird die Zukunft lehren.
Monti rät am Schlüsse seines Vortrages, um möglichst
Serumexantheme zu vermeiden, folgende Regeln zu beachten:
1. Man wende nur ein Serum an, welches ganz klar ist. 2. Wenn
das Serum trüb ist, so erwärme man dasselbe vor der Anwendung
auf 35 0 C. und verwende dasselbe nur dann, wenn nach wieder¬
holtem Erwärmen die Trübung vollkommen verschwunden ist.
3. Dasselbe gilt auch von Serumsorten, die längere Zeit auf¬
bewahrt werden und die einen weissen, flockigen Bodensatz
zeigen. 4. Man wähle nur solche hochwertige Serumsorten, die
uns ermöglichen, trotz Wiederholung der Injektionen über ein
grösseres Volumen als 10 ccm nicht hinaus zu gehen. 5. Vor¬
sichtshalber wäre die wiederholte Erwärmung des Serums auf
35" C. nach den vorliegenden Erfahrungen zu empfehlen, weil man
ohne Schädigung der Wirksamkeit auch bei Anwendung von
grösseren Volumina von Serum die etwa vorhandenen ursäch¬
lichen Momente für eine Intoxikation und Bildung von Exan¬
themen am besten beseitigen kann.
2. Herr R a u d n i t z - Prag: Demonstration von experi¬
mentellem Nystagmus.
3. Herr Gregor- Breslau : Ueber Atmungsanomalien im
Kindesalter.
Der Umstand, dass gewisse Respirationserkrankungen an
ganz umschriebene Perioden des kindlichen Alters gebunden sind,
egt die Vermutung nahe, dass sie mit der gesetzmässigen Ent¬
wicklung der kindlichen Atemmechanik und mit Störungen der¬
selben in ursächlicher Beziehung sitehen.
G. studierte in parallel gehenden Untersuchungen an nor¬
malen und pathologischen Fällen den Gang der Entwicklung der
Atmung vom Säuglingsalter bis zum 14. Lebensjahre mit Hilfe
spuo metrischer Bestimmungen der Atemgrösse und durch die
p lotographische Messung und Registrierung der Atembewegungen
nach 0. Hasse.
Der abweichende Gang der Atmungsentwicklung bei patho¬
logischen Fällen nimmt seinen Anfang im 2. Lebensjahr, ist nach¬
weisbar als eine geringere Ausbildung der Atemtiefe, die im
spateren Kindesalter zu einer Beeinträchtigung der normaler
eise vorherrschenden Tendenz führt, die bei der Atmung ge¬
erntete Muskelarbeit durch Verlangsamung und Vertiefung des
einzelnen Atemzuges herabzusetzen.
5. Heu Söldner- Grunbach (V ürttemberg) : Die Aschen¬
bestandteile des neugeborenen Menschen und der Frauenmilch.
Die Einzelheiten der Arbeit erscheinen demnächst in der
Zeitschrift für Biologie.
6. Herr K a s s o w i t z - Wien : Infantiles Myxödem, Mon¬
golismus und Mikromelie.
K. bespricht eingehend den Symptomenkomplex bei den ge¬
nannten Anomalien. Was den Einfluss der Schilddrüsentherapie
anlangt, so ist er bei den myxödematösen Individuen e v i -
d e n t, namentlich was die Aenderung des äusseren
Habitus anla n g- 1, in manchen Fällen geradezu verblüffend.
Die Aenderung beruht hauptsächlich auf dem rapiden Schwinden
des Myxödems, der Verkleinerung der Zunge, der Beförderung
des Haarwuchses, und namentlich bei frühzeitigem Beginne der
Behandlung einer sehr auffallenden Hebung der intellektuellen
I ähigkeiten. In vielen Fällen bleiben immer noch bedeutende
Intelligenzdefekte zurück.
Eine sichere V irkung dagegen hat die Organotherapie auf
das Längenwachstum, auf das Schwinden der Nabelhernie, auf
die Entwicklung der sexuellen Funktionen und der sekundären
Geschlechtscharaktere (Pubesi, Bartwuchs, Mammae etc.) auf die
Involution der Fontanelle, auf die Dentition, auf die Schweiss-
sekretion, auf die Hebung der (vor der Behandlung fast immer
subnormalen) Temperatur und namentlich auf die Obstipation.
Viel weniger günstig ist der Einfluss dieser Therapie beim
Mongolismus. Hier lässt sich nur dasi ziemlich prompte Schwin¬
den der Obstipation, die Heilung der Nabelhernie und die Be¬
seitigung der initialen psychischen Torpidität (Schlafsucht, ver¬
minderte Nahrungseinnahme) mit Sicherheit konstatieren. Un¬
sicher ist schon die Wirkung auf die Dentition und den Fon-
tanellschluss und ganz negativ bleibt der Erfolg in Bezug auf
den äusseren Habitus und die früher charakterisierte psychische
Anomalie.
V as endlich die mikromelische Missbildung anbelangt, so ist
auf diese eine Einwirkung der Organtherapie überhaupt nicht zu
konstatieren.
7. Herr P i n e 1 e s - Wien: Ueber das kongenitale und
infantile Myxödem.
8. Herr F r i e d j u n g - Wien : Die Diastase der Musculi
recti abdominis in der Pathologie des Kindes,
1820
Ko. 48.
MUEKCHEKER MEDICIRISCHE WOCHENSCHRIFT.
Im Jahre 1897 hat Büdinger über die Beobachtung von
Inkarzerationserscheinungen an Kindern mit Diastase der Linea
alba berichtet. F. hat diese Frage an der Hand eines grossen
Materials seit Jahren verfolgt und kommt auf Grund von 32 ein¬
schlägigen Beobachtungen und auf zugehörige ergänzende Unter¬
suchungen gestützt zu folgenden Schlüssen : Die Diastase der
Muaculi recti abdominis bezeichnet im Kindesalter ohne Unter¬
schied des Geschlechts das normale Verhalten; es findet sich bei
75 Kindern vom 100 und macht im allgemeinen keine krank¬
haften Erscheinungen. Dort, wo sie mit Hysterie zusammen-
trifft, kann sie zu einem typischen Krankheitsbilde führen, das
sich durch inkarzerationsähnliche Anfälle charakterisiert; es
handelt sich dabei um eine Hyperästhesie der Baucheingeweide,
die auch in der anfallsfreien Zeit bei der Untersuchung nach¬
weisbar ist. Diese Deutung der Anfälle ist nur nach der Aus¬
schliessung aller ähnlichen Symptomenkomplexe zulässig. Das
Fehlen des Rachenreflexes, noch mehr der herabgesetzte Korneal-
reflex sind bei sonst nervengesunden Kindern keine ganz zuver¬
lässigen Kriterien der Hysterie. Jenes hysterische Symptom des
Kindesalters bietet der Suggestivtherapie ein sehr lohnendes Feld.
Die Tinctura valeriana leistet dabei in den meisten Fällen gute
Dienste.
Verein für innere Medizin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 13. Oktober 1902.
Herr v. Leyden widmet den verstorbenen Mitgliedern
C. Gerhardt und Rudolph V i r c h o w einen kurzen, warm
empfundenen Nachruf und teilt mit, dass eine eigene Gedächtnis¬
feier für die beiden Dahingeschiedenen am 27. d. Mts. vom
Verein abgehalten werden wird.
Tagesordnung' :
Herr M. Wassermann: Heber die biologische Mehr¬
arbeit des kindlichen Organismus bei künstlicher Ernährung.
Bordet hatte seine glänzende Entdeckung von den Prä¬
zipitinen und der Differenzierbarkeit der Eiweisse verschie¬
dener Tierarten mittels derselben u. a. auch zum Nachweise
dafür verwendet, dass zwischen der Frauen- und Kuhmilch deut¬
liche biologische Unterschiede bestehen. Hierüber und über da¬
raus zu ziehende Schlüsse auf die Säuglingsernährung
hatte Vortr. im verflossenen Jahre in diesem Vereine berichtet
(gemeinsam mit Schütze). Es ergab sich aus den Unter¬
schieden zwischen den Eiweissen der Frauen- und Kuhmilch
eine Bestätigung der klinisch schon feststehenden Tatsache,
dass erstere Ernährungsweise als die naturgemässe vorzuziehen
sei; sie sei, wie Vortr. sich ausdrückt, die unmittelbare Fort¬
setzung der Plazentarernähxung.
In jüngster Zeit hat Heubner mit Hilfe des Rubner-
schen Verfahrens nachgewiesen, dass künstlich, d. h. mit Kuh¬
milch genährte Kinder, auch bei gleichem Kalorienwert der
Nahrung, erheblich hinter natürlich, d. h. mit Muttermilch ge¬
nährten Zurückbleiben. Es geht also bei künstlicher Ernährung
ein Teil der zugeführten Energien verloren. Diesen Verlust,
den die Kliniker als durch die Verschiedenheit der Verdauungs¬
säfte bedingt anselien, suchte Vortr. experimentell zu erklären.
Wenn man nach Bordets Vorgang einem Meerschwein¬
chen Serum einer fremden Tierart in die Bauchhöhle einspritzt,
so 1 ioht man bald darauf eine sehr grosse Menge von Bakterien,
z. B. Typhusbazillen, die man nach einiger Zeit ebenfalls ein¬
spritzte, zu Grunde gehen, sie werden aufgelöst. Spritzt man
da fremde Serum nicht ein, so erliegt das Tier der Typhus-
infoktion. Dies Vermögen, die eingespritzten Bazillen aufzu¬
lösen, i iihrt daher, dass sich unter dem Einfluss des vorher ein¬
gespritzten Serums F e r m onte (Komplemente E h r 1 i c h s.
Alexine B u e h n e r s) in der Bauchhöhle ansammeln. Der
gleiche Vorgang der Ansammlung von Fermenten findet nicht
bloss bei Einspritzung von Serum, sondern von jedem hetero-
logen, also einer anderen Tierart entstammenden Eiweiss, also
z. B. Milch, ebenfalls statt. Diese Ansammlung von Fermenten
bedingt aber, da sie dem übrigen Körper entzogen werden, einen
\ erlus t für den Gesamtorganismus und dieser Verlust erkläre
die Differenz in dem Wachstum künstlich und natürlich ge¬
nährter Säuglinge.
Diskussion: Herr L. Michaelis: Der eigentliche Mechanis¬
mus, weshalb fremdes Ehveiss eine Mehrleistung verlange, sei durch
die mitgeteilten Beobachtungen noch nicht geklärt, denn nach
seinen eigenen Untersuchungen sei die eigentliche Funktion des
Pepsins darin zu suchen, die Spezifität des Ei¬
weis s e s zu vernichten. Das Eiweiss, welches den Magen
passiert hat, also der Pepsinwirkung unterlegen war, ist kein
fremdes Eiweiss mehr. Bei der Milch komme nun aber noch die
Labwirkung hinzu. Das Labferment bewirke, dass die eingeführte
Milch sofort in Klumpen gerinne und somit der Einwirkung der
W assermann sehen Fermente entzogen werde. Die Milch
muss erst durch das Pepsin wieder gelöst werden, welches aber
dabei seine entdifferenzierende Wirkung entfalte. Somit sei die
Erklärung Wassermanns — wenigstens für den Erwach¬
senen, worauf sich seine Untersuchungen beschränken — nicht
zutreffend; es bleibe noch zu beweisen, dass für das Kind die
Verhältnisse anders lägen.
Herr G. Klein pe rer: Er gehe noch weiter wie Michaelis
und gestehe nicht zu, dass der nicht zu leugnende Unterschied
zwischen natürlicher und künstlicher Ernährung in den Präzipi¬
tinen begründet sei. Denn die Fermentansammlung, von der
Wasser m a n n gesprochen, finde zwar in der Bauchhöhle, nicht
aber im Darme statt. Ausserdem werden, wie Michaelis
schon betonte, die Eiweisse im Darme völlig ihres Eiweisscharak¬
ters entkleidet und das Eiweissmolekül völlig zertrümmert, um
als Tyrosin, Leucin und ähnliche Zerfallsprodukte resorbiert zu
werden. Ein Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern
bestehe nicht.
Herr v. Leyden: Er frage, wie denn die Resorption der
Milch von der Bauchhöhle aus zu stände komme.
Herr L. Michaelis: Für das Serum könne er diese letz¬
tere Frage beantworten. Es bilden sich auf dem Peritoneum
Klümpchen von Serum, die von einem Lymphoeyten-
wall umgeben sind, die wohl den Metschnikoff scheu
Phagocyten entsprechen. Es findet also wohl ein Zusammen¬
wirken von Fermentwirkung E h r 1 i c h s und Phagoeytose
Metschnikoffs statt.
Herr A. Baginsky: Der Darm des Kindes sei anders als
der des Erwachsenen, die lymphatischen Apparate seien noch
nicht völlig entwickelt.
Er glaube, dass ein Teil der Frauenmilch direkt resorbiert,
werde, ohne dass eine Fermentwirkung statthabe.
Herr G. Ivlemperer: Diese Ansicht Baginsky s könne
nicht richtig sein, da sonst nach den Untersuchungen V o i t s
Milchzucker im Urin auftreten müsste.
Herr Baginsky: Das Auftreten von Zucker im Lü'in junger
Kinder sei auch nachgewiesen.
Herr Wassermann: Die biologische Reaktion sei viel
feiner als die chemischen und unsere Einblicke in die chemischen
Verhältnisse noch nicht genügende. Die Resorptionsverhältnisse
des kindlichen Darmes seien, wie Esche rieh nachgewiesen,
grundverschieden von denjenigen des Erwachsenen. Letztere re¬
sorbieren z. B. Antitoxine nicht unverändert, dagegen tue das der
kindliche Darm. Das gleiche hat Ehrlich für das Diphtherie¬
serum gefunden. Und dies gelte wohl auch für Milcheiweiss.
Hans K o h n.
Aerztlicher Verein Jn Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 21. Oktober 1902.
Vorsitzender : Herr Kümmel!
I. Demonstrationen:
1. Herr Kellner demonstriert 3 Idioten mit Missbil¬
dungen; a) 7 jähriger Knabe mit ausgedehntem, halbseitigen, den
Nervenstämmen folgenden Xanthom (Naevus verrucosus), b) 12jähr.
Knabe mit einer eigentümlichen Schädelform, die auf Hydro-
cephalus und Rachitis zu beziehen ist. c) Knabe mit Spalthänden
beiderseits, Fehlen der Mittelfinger und Mittelmetakarpalknochen,
Syndaktylie etc.
2. Herr König- Altona demonstriert eine neue Lagerungs-
Vorrichtung für zu operierende oder zu verbindende Kranke, die
darin besteht, dass ein beliebiger Teil des Körpers erhöht werden
kann durch eine an einer Kurbel auf- und abwärts zu bewegende
schmale, rollenartige Vorrichtung. Diese ist an den Seitenbauten
des Operationstisches beweglich anzubringen. Der Vorteil besteht
darin, dass die Kissen und Rollen, die man sonst uu terzuschieben
hat, durch ein schmales handliches Gestell ersetzt sind.
3. Herr Frieben demonstriert ein ausgedehntes Karzinom
des Handrückens, das die Exarticulatio liumeri bedingt hat und
seine Entstehung einem Röntgenulcus verdankt. Patient war Ar¬
beiter in einer Röntgenröhrenfabrik und benutzte 4 Jahre lang
seine Hand als Testobjekt bei der Röhrenprüfung. Aus einem
anfangs kleinen Röntgenulcus entwickelte sich allmählich ein
grosses Kankroid; Demonstration von mikroskopischen Präparaten
des Kankroids und der durch die Röntgenbestrahlung bedingten
histologischen Kutisveränderungen mittels Skioptikon.
4. Herr Grube bespricht an der Hand eines Falles von
Ileus die erfolgreiche Wirkung des salpetersaueren Strychnins
auf die Darmperistaltik, das er in Gaben von 0,003, 0,003 und 0,004,
zusammen also 0,01 (Maximaldosis) innerhalb 0 Stunden gibt.
Peristaltik und Flatus werden bald ausgelöst, häufig auch Stuhl¬
gang. Genaueres über die Darreichung des Mittels in der Arbeit
des Vortragenden: Oentralb! f. Gyn. 1901, No. 25.
5. Herr W a i t z demonstriert einen Mann, bei dem er die
Weichteilnase aus der Haut des Armes ersetzt hat. Es handelte
28. Oktober 1902.
MUENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1821
sich um eine Zerstörung durch Lupus, die nach Heilung des Lupus
durch Auskratzung und Röntgenbestrahlung ersetzt wurde d i
eine am Unterarm vorgebildete Prothese. Ein ähnlicher Fa 11 ist
früher schon demonstriert. 1
II. Diskussion über den Vortrag des Herrn 0 Rum¬
pel: Erfahrungen über die praktische Anwendung der Ge-
irierpunktsbestimmungen von Blut und Harn bei Nieren¬
erkrankungen.
Heil B ert elsmann bestätigt die Angaben des Herrn
Rumpel und bezeichnet es als besonders wichtig, dass ein nor¬
maler Gefrierpunkt bei doppelseitiger Nierenerkrankung nicht
Er fragt, ob bei einseitigem Nierenkarzinom j stets
herabgesetzt ist, wie das beschrieben ist. B. hat ferner bei einer
' schwerer Verbrennungen d -Bestimmungen gemacht und
glaubt in dem Verhalten des Gefrierpunktes einen prognostisch
wichtigen Fingerzeig annehmen zu können. Die tödlicheS Ver¬
brennungen ergaben eine Herabsetzung.
Herr Iv ö n i g erwähnt Israels Angaben, wonach d
gesetzt ist auch bei ausgedehnten Karzinomen besonders der
Bauchhöhle. Die Kryoskopie allein genügt nicht immer, um sich
ubei den F unktionsgrad der Nieren zu orientieren. Der Ureteren-
kathetensmus bezw. ähnliche Methoden, die auf das getrennte
ÄTichtS. Sekrt>te j6der 6inzelnen Niere ^richtet sind, sind
Herr J e ® s e n erwähnt Untersuchungen bei chronischer Ne¬
phritis und gibt vorläufige Notizen über das Resultat wieder¬
holter Untersuchungen beim gleichen Individuum.
Heu Kümmell rekapituliert kurz seine ausgedehnten Er¬
fahrungen auf kryoskopischem Gebiet und betont besonders dass
J — r-0:59 die .°üerste Grenze sei, bei der noch eine Operation
zulässig ist. Ein normaler Gefrierpunkt zeigt eine normale
Nierenfunktion an, lässt aber nicht mit Sicherheit auf normales
Nierengewebe schliessen.
Herr R umpel: In dem Falle von einseitigem Nierenkarzinom
mit erhöhtem d bot die andere Niere das Bild der Nephritis war
also in der Funktion gestört, daher die d -Erhöhung. _ Bezüglich
der Untersuchungen von Nierenkranken hat R. zumeist nur%in-
malige Bestimmungen ausgeführt. Im urämischen Anfall kann
es sich wohl um ^-Erhöhung wegen der Konzentrationserhöhung
handeln. — Der ursprüngliche Bechmann sehe Apparat ist den
neueren Modifikationen vorzuziehen.
III. Herr Albers-Schönberg hält seinen angekün-
digteii Vortrag über die Röntgendiagnostik in der inneren
Medizin.
Es wird in erster Linie die von Moritz angegebene Me¬
thode der Herzmessung besprochen und durch Vorführung
der in Betracht kommenden Apparate erklärt.
Projektionsbilder, welche der Sammlung des Vortragenden
und der von Professor Moritz- Greifswald entstammen, er¬
läutern den Vortrag. Werner.
Auswärtige Briefe.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Wien, 25. Oktober 1902.
Die Hilfsärzte der Wiener Krankenanstalten. — Ein
sozialärztlicher Kongress. — Aerzte als sachverständige Zeu¬
gen vor Gericht. — Die Wiener Aerztekammer gegen neue
Krankenkassen.
Das Dienstverhältnis der Hilfsärzte in den Wiener
k. k. Krankenanstalten soll künftighin ein anderes werden.
Einige Bestimmungen des jüngst publizierten Statutes sind aber
derart, dass die davon betroffenen Aerzte, wie dies jetzt Usus ist,
m einer sofort einberuf enen Versammlung dagegen Stellung¬
nahmen. Zum besseren Verständnisse wollen wir vorerst mit-
teilen, dass es sich hier keineswegs um die Universitätskliniken
handelt, deren Assistenten den Unterrichtsbehörden unterstehen,
dass also vom neuen Statute die Aspiranten, Sekundarärzte und
Assistenten der zahlreichen chirurgischen, internen, gynäko¬
logischen, sowie der Abteilungen für Augen-, Syphilis-,
Hautkranke etc. berührt werden, deren Vorgesetzte Behörden die
Statthaltereien resp. das Ministerium des Innern sind. Bisher
wurde ein Doktor an einer Spitalsabteilung Aspirant und diente
als solcher 2 — 3 Jahre und auch länger ganz unentgeltlich; er
rückte sodann, wenn eine Stelle frei wurde, zum bezahlten Sekun¬
da rarzt II. Kl. vor und wurde sogar, wenn er recht viel Glück
und einige Protektion hatte, ein besser bezahlter Sekundararzt
l. Kl., vulgo Abteilungsassistent. Der Sekundararzt musste im
Hause wohnen und konnte 4 Jahre lang an verschiedenen Ab¬
teilungen seine praktische Ausbildung anstreben. In Hinkunft
wird die Dienstzeit eines Hilfsarztes, also die des Aspiranten und
Sekundararzt es zusammengerechnet, bloss 4 Jahre betragen
düifen, was naturgemäss dazu führen muss, dass der Aspirant
f i ü h e r in die besoldete Sekunda rär ztl iehe Stelle vorrücken
wird. Das ist eine Bestimmung, die allen zusagt, da man wäh¬
rend eines 4 jährigen Spitaldienstes (als Aspirant und Sekun¬
dararzt) zur Genüge für die Praxis ausgebildet sein kann. Um
abei gegen allerlei zu befürchtende Protektionsmassnahmen
sichei zu sein, fordern die llilfsärzte, dass die Ernennung der
Sekundarärzte nur nach der Anciennität erfolge und nicht, wie
es im neuen Statut lautet: „unter gleichmässiger Berücksich¬
tigung der dienstlichen, ferner der wissenschaftlichen Quali¬
fikation, sowie der Dauer ihrer Dienstzeit“. Weiters fordern die
Hilfsärzte die Zusage von alljährlichen Urlauben, die Abschaf¬
fung der geheimen Qualifikationslisten, die Zulässigkeit der Ver¬
längerung- der Dienstzeit eines Assistenten bis zu 3, auf chi¬
rurgischen und gynäkologischen Abteilungen bis zu 5 Jahren,
die unbeschränkte Zulassung von Aspiranten (das neue Statut
will einen förmlichen Numerus clausus derselben einführen),
die Einsetzung von Disziplinarkommissionen, in welchen auch
die llilfsärzte durch 2 Mitglieder vertreten seien etc. etc. End¬
lich fehlen in den neuen Bestimmungen alle Uebergangsbestim-
mungen.
Sonderbar berührte es den Fernstehenden, dass eine so in¬
terne Spitalsangeigenheit, wie es die Neuregelung des hilfsärzt¬
lichen Dienstes ist, in unseren grossen politischen Tagesblättern
des Langen und Breiten erörtert wurde. Es ist aber vielleicht
gut so, denn bei uns in Oesterreich erreichen in den letzten
Jahren nur jene Parteien und jene Volksklassen etwas, die so
laut schreien, dass es den verschiedentlichen Bureaukraten lange
m den Ohren gellt. Andrerseits war es untunlich, ein solches
Statut zu erlassen, ohne auch nur die Direktion der Kranken¬
häuser um ihre Ansicht gefragt zu haben. Schliesslich und end¬
lich erscheint uns das neue Statut auch ganz unzeitgemäss, weil
ja fiülier oder später für die promovierten Mediziner das obligate
praktische Dienst jahr in den Spitälern wird eingeführt werden
müssen, was wiederum neue Erlässe, neue Statuten etc. zur Folge
haben wird. Die Hilfsärzte haben durch ihre lebhafte öffentliche
Agitation schon das erreicht, dass das neue Statut den Spitals¬
direktoren zur nochmaligen Begutachtung übergeben wurde, dass
Uebergangsbestimmungen für die derzeit schon dienenden Se¬
kundarärzte erlassen wurden u. dgl. m.
Eine Aktion im grossen Stile plant auch der Verband der
Aerzte Wiens, nämlich die Einberufung eines sozialärztlichen
Reichskongresses, der zu Ostern nächsten Jahres in Wien tagen
soll. Erst jüngst fand ein Aerztekammertag statt. Neuerdings
wurde eine ganze Reihe von Resolutionen gefasst, wurden Me¬
moranden an die gesetzgebenden Körperschaften und Ministerien
gelichtet und wichtige Anträge hinsichtlich der Regelung des
Verhältnisses der Aerzte zu den Krankenkassen, der Erhöhung
der Disziplinarbefugnisse der Aerztekammern etc. beraten und
zum Beschlüsse erhoben. Man wünscht jedoch eine lebhaftere
und eindringlichere öffentliche Manifestation, die Beleuchtung
der traurigen Lage der praktischen Aerzte Oesterreichs — sit
venia verbo — mit elektrischem Lichte, so dass die grosse Publi¬
zität und mit ihr alle Schichten der Bevölkerung eine volle Auf¬
klärung- darüber erhalten, dass es nicht weiter angehe, die För¬
derung der sozialen Wohlfahrt stets neuer Volksklassen immer
wieder auf Kosten der Aerzte durch- und diese selbst dem völligen
Ruine entgegenzuführen. Der soziale Reichskongress soll aber
auch die zahlreichen indolenten Mitglieder unseres Standes selbst
aus ihrer Gedankenträgheit aufrütteln und sie zur kräftigen
Mitarbeit aneifern. Zumal unsere besser situierten Kollegen, die
mit grossen Erdengütern und leichtem Erwerbe gesegneten sog.
Koryphäen der Medizin sollen durch diesen Kongress daran er¬
innert werden, dass sie gegen die Plebs misera contribuens
der praktischen Aerzte ernste Verpflichtungen haben, denen sie
sich in Hinkunft nicht mehr entziehen können, wie dies leider
derzeit noch vielfach geschieht. Es wird sich die Gelegenheit
ergeben, hierüber zur Zeit noch mehr zu sagen.
Es hat sich des öfteren ereignet, dass Aerzte statt als Sach¬
verständige vor Gericht vernommen und dafür bezahlt zu werden,
bloss als „sachverständige Zeugen“ vorgeladen wurden, dass sie
dann förmliche Gutachten abgeben mussten, ohne dafür und für
den Zeitverlust ein Entgelt zu erhalten. Diese Angelegenheit
war eine prinzipiell wichtige und wurde da und dort angeregt.
1822
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
jedoch nicht endgültig erledigt. Die deutsch-tirolische Aerzte-
kammer hat jüngst von ihrem Rechtsfreund in der Frage der
Verpflichtung der Aerzte zu gerichtlichen Aussagen als „sach¬
verständige Zeugen“ ein Gutachten eingeholt, welches in seinen
Hauptpunkten lautet :
„Der § 350 der geltenden Prozessordnung bestimmt, dass
die Vorschriften über den Zeugenbeweis auch Anwendung fin¬
den, insoweit zum Beweise vergangener Tatsachen oder
Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde
erforderlich war, solche sachkundige Personen zu vernehmen
sind. Dieser Vorschrift sind auch vom Gerichte geforderte sach¬
kundige Aussagen von Aerzten unterworfen und darf die Aus¬
sage bei drohender Arreststrafe nicht verweigert werden. Für
solche Aussagen können nach Massgabe der bestehenden Vor¬
schriften nur Zeugengebühren verlangt, nicht aber Sachver¬
ständigengebühren in Rechnung gestellt werden, wenn sich das
Gericht weigert, solche Gebühren zu liquidieren. Sollten die Ge¬
richte diese Verpflichtung der Aerzte in einem Umfange oder
unter Voraussetzungen in Anspruch nehmen, die ein Entgegen¬
wirken der Aerzte rechtfertigen, kann dies nur in folgender Weise
geschehen : a) Der Arzt ist berechtigt, die Aussagen über
gegenwärtige Tatsachen und Zustände, welche durch
Sachverständige festgestellt werden können, zu verweigern;
b) der Arzt ist nur verpflichtet, über Tatsachen und Zustände
fachkundige Auskunft zu geben und kann die Aussage über alle
fachmännischen Konklusionen, die er aus dem Befundmateriale
gezogen, verweigern, kurz, es kann von ihm nur die Aussage
über den objektiven Befund verlangt werden ; c) jeder
Zeuge ist nur verpflichtet, über Tatsachen Auskunft zu geben,
soweit sie in seinem Gedächtnis erhalten sind, und kann keine
gesetzliche Bestimmung gefunden werden, welche den Zeugen
verpflichtet, aus ihm allfällig zur Verfügung stehenden Mate¬
rialien und Aufzeichnungen, eventuell durch anderweitige Er¬
hebungen sein Gedächtnis vor der Vernehmung nach Möglich¬
keit aufzufrischen“. — Da .hier ein systematisches Vorgehen
der Gerichte gegen Fachärzte, also eine konsequente Schädigung
des ärztlichen Standes vorzuliegen scheint, so wird ein gemein¬
sames Vorgehen aller Aerztekammern Oesterreichs geplant, um
dauernde Abhilfe zu schaffen.
Fortwährend finden noch Neugründungen von beruflichen
Kranken- und Ilnterstiitzungskassen statt, deren Vertreter so¬
dann an die Aerzte herantreten, damit diese ihre Hilfe so billig
als möglich zur Verfügung stellen. So rief auch die neugegrün¬
dete Unterstützungskasse „Gasterea“ des Bundes österreichischer
Gastgewerbe-Angestellter (registrierte Hilfskasse) in Angelegen¬
heit der in ihrem Statute vorgesehenen Beistellung der freien
ärztlichen Behandlung ihrer erkrankten Mitglieder
durch angestellte Aerzte die Intervention der Wiener Aerzte-
kammer an. Der Vorstand der besagten Aerztekammer hat je¬
doch folgendes geantwortet: „Der Beschluss der Wiener Aerzte¬
kammer vom 25. Februar 1902, mit welchem die Annahme jeder
wie immer gearteten und benannten ärztlichen Stelle bei allen
neu zu gründenden Hilfskassen, welche ihren Mitgliedern unent¬
geltliche ärztliche Behandlung Freistellen, für standeswidrig er¬
klärt wurde, findet seine Anwendung auch auf
die neugegründete Hilfskasse G a s t e r e a.“ —
Hievon wurden auch alle Aerzte Wiens verständigt und so mag
die neue Kasse Zusehen, wie sie sich fix angestellte Kassen- und
Revisionsärzte verschafft. Dass dies gegen den Willen der
Kammer nicht gelingt, das hat die Krankenkasse der Bank¬
beamten Wiens zur Genüge erfahren.
Bilder aus China.
Von Oberarzt Dr. Georg Mayer.
III.
Oeff entliehe Gesundheitspflege und Wohlfahrtseinrichtungen.
Die Regierungen von China versuchten von jeher bei Pesti¬
lenz, Teuerung, Wassersnot durch unentgeltliche Verabreichung
von Arzneien, Naturalien, Steuernachlass, Geldspende den be¬
troffenen Gegenden zu helfen. In früheren Jahrhunderten, bei Ver¬
minderung der Bevölkerung durch Aufstände etc. wurde viel für
das Wiederanwachsen der Steuerzahler getan. 189 vor Christus
wurden unverheiratete Mädchen zwischen 15 und 30 Jahren mit
der 5 fachen Steuer eines Mannes belegt. S5 nach Christus
sollte jedes Weib im letzten Monat der Schwangerschaft 3 Sack
Ilirse aus der Schatzkammer erhalten, der Mann ein Jahr frei von
der Kopfsteuer sein. Unter den Tang, Anfang 7. Jahrhunderts,
wurden zur Erleichterung der Volksernährung bestimmte Preise
für die Nahrungsmittel festgesetzt. 845 mussten 265 000
buddhistische Mönche zur Welt zurückkehren. Ende 10. Jahr¬
hunderts erteilten die Sung den Beamten Belohnung, wenn sie die
gewohnheitsmäßige Landstreicherei und den Menschenverkauf
einschränkten. Die, welche sich aus Not verkauft, wurden aus¬
gelöst; zur Einschränkung des Kindermordes sollten Arme Geld
und Nahrung erhalten, ausgesetzte Kinder auf Staatskosten er¬
nährt, solche, die Ausgesetzte aufnahmen, belohnt werden. Die
Beamten, die alles stahlen, konnten jedoch lange nicht zur Aus¬
führung gezwungen werden. Die Kinn im nördlichen Reich zwan¬
gen ebenfalls die nicht, mit Regierungserlaubnis ermächtigten
Mönche zur Rückkehr in die Welt. Die Yuen verboten den Ver¬
kauf der Kinder als Sklaven und ihre Verpfändung, entzogen den
Klöstern die ihnen früher zugeschriebenen Bauern. Kanghi gebot
40 Hiebe für den, der den Schmutz des Hauses auf der Strasse
liesse.
Die Lepra ist eine Geissei im Süden; der Volksglaube und Re¬
gierungsedikte bezeichnen sie als erblich, unheilbar, ansteckend,
schändlich; Berührung und Geschlechtsverkehr als Verbreiter. Im
Falle des Verdachtes holen die Nachbarn den Aeltesten eines Lepra¬
dorfes und Aerzte, bei Konstatierung wird der Kranke aus den
Gesellschaftsrechten ausgestossen, Kinder dürfen sich von Eltern
trennen, Verlobung und Heirat werden gelöst. Der Kranke hat
sich im Lepradorf (Ma-fung-tsun) niederzulassen, für Arme steuern
die Nachbarn zusammen, sich ihrer zu erledigen; das Lepradorf
steht unter dem Aeltesten, der über den Stand des Asyls an die Be¬
hörde berichtet und unumschränkter Machthaber ist. Manchmal
sind die Geschlechter in getrennten Abteilen untergebracht; Hei¬
raten kommen nur unter Kranken gleichen Grades vor, in der
3. Linie soll die Lepra sich mildern, in der 4. versclrwinden. Jedes
Asylmitglied soll 15 — 20 Mo (= 3—4 Pfg.j täglich erhalten, teils
von der Regierung, teils durch private Stiftung, viel Geld wird
aber von den Behörden gestohlen. Es ist erlaubt, zum Betteln
das Asyl zu verlassen. Beim Tode wird der Körper verbrannt.
Ein Arzt soll unentgeltlich die Behandlung üben. In Hunan soll
Lepra verschwunden sein durch das Edikt, jeden einzusperren und
lebendig zu verbrennen. In Amoy sind eine Anzahl Lokalgesetze,
ein eigener Unterstützungsverein zur Unterbringung ausserhalb
der Stadt. Swatau ist der grosse Verladeplatz der nach auswärts
angeheuerten Kuli, auf einem der Kulidampfer sah ich bei meiner
Anwesenheit dortselbst zahlreiche Lepröse, obwohl solche nicht ex¬
portiert werden sollen. In der Stadtumgebung heissen zahlreiche
Orte „Lepradorf“, doch sieht man Gesunde und Lepröse durch¬
einander. In Futshau sind ausserhalb des Ost- und Westtores
Asyle, in jedem in erbärmlichen Hütten ungefähr 300, sie haben
kleine Läden und eine Freischule. In Canton waren früher 2 Asyle,
jetzt nur eines, ungefähr 3 km vom südlichen Osttor der alten
Stadt, mit einer Hauptstrasse, einigen Seitengassen, einem grossen
Platz mit Bäumen, Tempel, Schule, die Häuser klein, schmutzig,
ca. 5 — 600 verlumpte Unglückliche. In der Stadt ist ein Heim für
Lepröse besserer Stände, sie dürfen nur in dicht geschlossenen
Sänften ausgehen. Auf dem Fluss sind 2 Leprabootankerstellen,
eine wurde mir unterhalb Shamin und eine in der östlichen Vor¬
stadt gezeigt. Da überall den Leprösen der Bettel gestattet ist,
so ist die Isolierung illusorisch. Auch in Hongkong sieht man
Lepra, die Erkrankten sollen aber nach Konstatierung auf das
Festland evakuiert werden, trotzdem wissen sie immer wieder zu
kommen.
Gesellschaften für öffentliche Wohlfahrt, grösstenteils von
Privaten, durch Schenkung von Häusern, Grundstücken, Geld, teil¬
weise von den Behörden und durch öffentliche Sammlung unter¬
stützt und erhalten, sind allgemein verbreitet. Genaueres erfuhr
ich bei gelegentlichem Aufenthalt in den Küstenstädten Hangtshau,
Futshau, Canton, in Shanghai und Sutshau, in den Yangtsestädten
Chingkiang, Wuliu, Kiukiang, Hankau, Shasi, Kueitshau, Tshung-
king. In Peking war m der Nordwest- und Südwestvorstadt ein
Asyl für Greise und eines für Kinder, früher angeblich unter Auf¬
sicht von Hofbeamten, damals ein schmutzstarrender Aufenthalt
verdächtigen Lumpengesindels. Durch Privatmittel werden Wägen
unterhalten, zum alltäglichen Einsammeln toter Kinder und Ver¬
bringung in einen allgemeinen Friedhof. Ausserdem würden die
Kinder einfach in Matten gewickelt vor die Mauer gelegt, „dem
„himmlischen Hund“ dargebracht, da die Menschenseele bis zum
8. Jahr unvollständig, daher ungeeignet für das Familienbegräbnis.
In Ningpo sind längs der Stadtmauer 2 Türme, durch deren iy2 m
über dem Boden befindliche Fenster tote Kinder hineingeworfen
werden, von Zeit zu Zeit wrerden dann die Leichen heraus¬
geräumt und ausserhalb der Stadtmauer vergraben. Alle
Wohltätigkeitswerke werden nicht des edlen Zweckes halber
getan, sondern zur Anhäufung von Verdienst, Erreichung per¬
sönlichen Vorteils bei der Gottheit; besondere Bücher lehren die
praktische Anwendung der Tugend und die Abrechnung zwischen
guten und bösen Taten. In den erstgenannten Städten finden sich
Asyle für alte Leute, erwerbsunfähige Männer,
eines in Hangtshau besonders gut; Speiseraum, Küche, Schlaf¬
zimmer, Arbeitsraum; ferner Findling- und Waisen¬
häuser: die neugeborenen Kinder, meist Mädchen, wTerden
Ammen übergeben, die 15 — 1800 Mo monatlich erhalten, können
sie ein zweites Kind nähren, 1000 Mo mehr Sie haben die Kinder
2 — 4 wöchentlich zu zeigen, mit dem 2. Lebensjahr kommen diese
ins Haus zurück, werden unter Wärterinnen erzogen, Knaben zu
28. Oktober 1902.
M t'KN( 'I lERKlt MEDtCtNlSCÜE WOCHENSCHRIFT.
1825
einem Handwerk und in die Schule geschickt, Mädchen wird ein
Älann aus dem ärmeren Volke verschafft, der sie als Frau kauft
\ erkauf als Konkubinen ist verboten, die Distriktspolizei soll dar¬
über wachen. In den Asylen soll sich wöchentlich ein Arzt Um¬
sehen. Die Sterblichkeit ist enorm, über 50 Proz. In anderen
Asylen werden Kranke und Verunglückte aufgenommen
erhalten etwas Unterhalt, meist müssen sie noch betteln Den
ganzen langtse hinauf sind Lebensrett ungs°- es eil
schäften, sie unterhalten, unterstützt von der Regierung, rote
Boote auf dem Fluss, vorzüglich bemannt, rasch und wirksam bei
dt n häufigen Unfällen, namentlich in den Stromschnellen oberhalb
Itshang eingreifend; bei Ertrunkenen werden Wiederbelebungs¬
versuche gemacht, Gerettete erhalten Nahrung und Kleidun- bei
Krankheit freie Medizin und Verpflegung, 10-20 Cent tüi jeden
lhImE?fTegeS/a? ,der Heiuiat. Die Rettungsboote er¬
halten 1000 Mu für jeden Lebenden, 500 für jeden Toten dieser
wird beerdigt Grosse Vereine unterstützen tugendhafte
W itwen, sie bringen sie entweder samt Verpflegung in Häusern
unter oder geben ihnen, z. B. in Futshau die Gesellschaft im
^lieIwnte^ni)e1’, 4r5(-0^Iu monatlich, auf Lebenszeit odnr, wenn
sie einen Sohn haben, bis zu dessen IG. Lebensjahr, heiratet er
bekommt er 4-5000 Mo, stirbt de Witwe, wird Begräbnis und ein
Zuschuss an die Hinterbliebenen bezahlt. Die kostenlose Liefe-
mng von Sargen, Bestattung, Begräbnisplatz für Arme ist Zweck
grosser Vereine, die ausserdem beiseite gestellte Särge und auf¬
gedeckte menschliche Gebeine bestatten. Freie Schulen wei¬
den unterhalten zum Unterricht der Knaben, so ist es möglich
dass fast jeder etwas lesen und schreiben kann. Es werden
m o r a i i s c h e Bücher unter das Volk verteilt, so namentlich
}?u Staatsexamenskandidaten Schriften gegen den Mädchenmord
hiergegen erscheinen auch Edikte. Einige Vereine beschäftigen
sich mit Unterstützung der Behörden mit der U nterd r ü c k u n -
unmoralischer Bücher. Schwangere Frauen erhalten
Bücher über das Verhalten bei Schwangerschaft, Geburt und
Kindespflege. Die organisierten Bettlergilden bekommen
Abfindungssummen, um Aermere nicht zu belästigen ihre Mit¬
glieder werden in Häusern untergebracht. Unglücklich Ver¬
armten schiessen Geldinstitute zinsenlos Summen vor so in
Tshungking bis zu 50' 0 Mo, in 100 Tagen in 5 tägigen Raten zu-
luckzahlbai. Ebenso werden zinsenlose Vorschüsse für Heirat
und Begrabniss geleistet. Bei Ueberschwemmung und Brand er-
'''c* t0“ , . besondere Vereine Mattenhäuser für die Betroffenen.
Oeftenthche, freie Hospitäler, genannt Schi-i-King-Keuli in
Kreisstadt vorhanden, von den Behörden mit unter¬
stützt, sind mir in Hangtsliau, Shanghai, Sutshau, Tshungking und
Tshengtu, der Hauptstadt von Szecliuen, gezeigt worden. In
Canton ist ein Heim für Blinde, in Tshungking und Hankau
sind 2 Apotheken und einige Drogerien, in denen kostenlos
Medizin verabreicht wird; die kostenlose Arzneiverteilung im
Sommer, namentlich gegen Malaria und Dysenterie, ist allgemein
von Vereinen und Behörden geübt; längs der Landstrassen und in
den Städten stehen Mattenhäuschen, darinnen ein grosser irdener
Topf mit Thee, oder Thee mit einer adstringierenden Arznei ge¬
mischt, für die durstigen Arbeiter. Ebenso werden im Winter
alte wattierte Kleider und Decken verteilt an Bedürftige, speziell
auch an die Gefangenen. Bei grosser Kälte, Hungersnot, Ueber¬
schwemmung, wie voriges Jahr ich im Yangtsetal bewiesen sah,
wird überall gesammelt, der Hof und die Gouverneure steuern
grosse Summen, es werden Suppenküchen errichtet, Reis,
Thee, Brot verabreicht, Regierungs- und Privatspeicher geöffnet
und den von der Polizei festgestellten Bedürftigen die Vorräte
ausgeteilt. Im \\ inter bestehen solche Suppenküchen durch
3 Monate, in Tshungking soll eine Gesellschaft im ersten Monat
des Jahres an 50 arme Männer und 100 arme Witwen Beträge bis
zu 1500 Mo zahlen. Noch 2 Arten von Wohltätigkeit sind auf-
zufuhren: Die eine ist ein Asyl für Tiere im Tempel Yuing-
sce bei Hangtshau: die Tiere sollen bei der nächsten Seelen wande-
lung durch die Heiligkeit des Tempels Männer werden. Die
andere ist die hochwichtige Erbauung von Pagodent ti r m e n
durch den Kaiser, hohe Beamte, Reiche oder öffentliche Subskrip¬
tion, zur Beeinflussung des Fong-Sliue (Wind und Wasser), der
dämonischen Einwirkung unangreifbarer, allgegenwärtiger, all¬
mächtiger Naturkräfte, Bringer von Epidemien und Unglück, aber
auch von allem Glück; durch die Pagode wird das Fong-Sliue
günstig gestimmt.
Badchäuscr findet man zahlreich in grossen und kleinen
Städten. Das Bad kostet 6-10 Mo. Im Eingang des Hauses ist
ein grosser Raum mit Schränken, zum Aufheben der Kleider, der
Besucher erhält hier ein Handtuch. In der neueren Art der Bade¬
hauser (nur in den fremden Niederlassungen) steht im Badezimmer
ein grosser irdener Topf, der mit lieissem Wasser gefüllt wird,
zum Vonbad oder Sitzbad. Die ältere, gewöhnliche Art enthält
mi Badezimmer eine seichte, viereckige Vertiefung aus Ziegeln
oder Marmor, in den Boden eingekittet mehrere grosse eiserne
Kessel, die, mit Wasser beschickt, von unten geheizt werden, man
sitzt auf Pfosten darüber und wäscht sich in den aufsteigenden
YVasserdämpfen; das Wasser wird höchstens 2 mal täglich er¬
neuert, die Anstalt nur von Männern benützt. Jede Art kalten
Bades gilt als gesundheitsgefährlich.
Zum Schlüsse einige Gesundheitssprüche aus dem Nei-kin:
Nimm Speise, wenn du Bedürfnis hast, im Alter ist es geringer,
reize es nicht. — Nimm bei gutem Appetit nicht mehr Nahrung als
billig. — Oftmaliges Waschen zerstört oder mindert die Lebens¬
kraft. _ Der ganze Zimmerboden soll nicht geheizt sein. —
Nichts schadet mehr als Zorn. — Tiefes und ernstes Nachdenken
dauere nicht zu lange. — Unter den 4 Jahreszeiten ist der Winter
lur Alte und Schwache am besten. Lebe im Frühling an einem
massig warmen Ort ruhig und heiteren Gemütes. Bleibe im
Sommer an kühlen Plätzen und bewege dich nicht zu heftig. Ge-
niesse im Herbst ölige, saftige Speisen und mache dir viel Be¬
wegung.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Thomas-Pessar. Um den Vorteil des verdickten Bügels
des Thomaspessar mit der Biegsamkeit der Celluloidpessare” zu
vereinigen, habe ich mir ein gewöhnliches ringförmiges Celluloid¬
pessar in der Weise lierricliten lassen, dass ich ein Viertel des
Kreisbogens mit Celluloidmasse verdicken liess. Legt man dies
Pessar in kochendes Wasser, so kann man ihm jede beliebige Form
nach dem Erweichen geben. Dies ist ein grosser Vorteil gegen¬
über den starren aus Hartgumi gefertigten Thoniaspessaren, die
sich sicher einer grösseren Beliebtheit erfreuen würden, wenn das
einzelne Exemplar eine grössere Variabilität der Gestalt erlaubte.
Die Pessare sind beim Bandagisten F u c h s in Lüneburg zu
haben. Dr. Hildebrandt - Lüneburg.
DDr. S. Drago und A. M o 1 1 a C o c o, Assistenten am
pathologisch-anatomischen Institut der Universität Catania stellten
klinisch-experimentelle Untersuchungen über
die Wirkung des T h i o c o 1 s und des Sirolins an, aus
welchen sie scliliessen, dass die beiden Mittel in der Therapie der
Tuberkulose hohe Beachtung verdienen. Sie übertreffen das Kreo¬
sot und Guajakol durch die völlige Geruch- und Reizlosigkeit, die
leichte Assimilierbarkeit und hauptsächlich durch den wohltätigen
Einfluss auf den lokalen Prozess, die Beeinflussung der per¬
kutorischen und auskultatorischen Erscheinungen, des Hustens,
des Fiebers, der Nachtschweisse. Die Tuberkelbazillen nehmen
unter der Thiocolbeliandlung an Zahl immer mehr ab, nehmen
die spezifische Färbung schlecht an und weisen eine Granulierung
auf; mit dem Sputum von mit Tliiocol behandelten Kranken ge¬
impfte Meerschweinchen wiesen keinerlei tuberkulöse Erschei¬
nungen auf und zeigten auch bei der Sektion keinerlei tuberku¬
löse Veränderungen. Die experimentellen Untersuchungen an
Tieren ergaben, dass das Tliiocol die Blutbeschaffenheit günstig
beeinflusst, indem die Eiweisskörper des Plasmas beträchtlich zu¬
nehmen, und das prozentuale Verhältnis zwischen Serumglobulin
und Serumalbumin sich zu Gunsten des letzteren ändert. Die Zahl
der roten Blutkörperchen und die Hämoglobinmenge wird erhöht,
die Leukocyten nehmen auf Kosten der Polynukleären zu, die Iso-
tonie und die Alkaleszenz des Blutes wurden gesteigert. Die Dar¬
reichung der Mittel geschah entweder bei Tliiocol in Pulvern von
0,3—0, 5 pro dosi und 1,0— 5,0 pro die, oder bei Sirolin in Dosen
von 2 — 6 Tlieelöffeln tägl. (Klin.-therap. Wochensclir. 1902, No. 31
11 ■ 32. — Experimentelle und klinische Versuche an der III. medizini¬
schen Abteilung des k. k. allgemeinen Krankenhauses in Wien er¬
gaben gleichfalls, dass das Tliiocol und Sirolin infolge ihrer Vor¬
teile gegenüber allen Kreosotderivaten, besonders durch ihre Un¬
giftigkeit, Appetit und Verdauung fördernde, Fieber, Nacht¬
schweisse und vor allem den Lokalprozess günstig beeinflussende
Wirksamkeit als die derzeit besten Guajakolpräparate bei Phthise
zu bezeichnen und zu empfehlen sind, und zwar vor allem bei be¬
ginnender Phthise, aber auch gegen die Symptome schwerster
Lungentuberkulose und besonders bei Komplikation mit Darm¬
tuberkulose. Das Tliiocol wurde hier in Pulver oder in Tabletten
ä 0,5, pro die 3,0 bis 6,0 gegeben, vom Sirolin 3— 5 mal täglich ein
Kaffeelöffel. Widerwille, Intoleranz oder unangenehme Neben¬
wirkungen traten nie auf, dagegen zeigte sich seiir rasch eine be¬
deutende Hebung des Appetits als erste und konstanteste Wirkung.
(Fuchs: Klinisch-therapeutische Erfahrungen über Tliiocol und
Sirolin. Wiener klin. Rundschau 1902, No. 21 u. 22.) R. S.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 28. Oktober 1902.
— Am 19. ds. wurde in Nürnberg der von der „Nürnberger
medizinischen Gesellschaft und Poliklinik“ errichtete Neub a u
der Poliklinik durch eine würdige Feier eingeweiht. Der
Vorsitzende Dr. Flat a u hielt eine glänzende Festrede, eine von
dem Schriftführer Dr. F r ankenburge r verfasste Festschrift
schildert die Gründung und das bisherige 24 jährige Wirken der
Poliklinik. Der schmucke, von Architekten Prof. J. Schmitz
entworfene Bau enthält Warteräume, Sprechzimmer, Labora¬
torium, Operationszimmer, Bibliothek und Sitzungssaal. Der Bau
bildet die Krönung langjähriger, selbstloser Arbeit der medi¬
zinischen Gesellschaft im Dienste der Wissenschaft und der
Humanität. Die Gesellschaft kann auf den erzielten Erfolg mit
Recht stolz sein.
— Das k. bayer. Staatsministerium des Innern hat die hohe Be¬
deutung, welche es der Verbesserung der Wohnungsverhiiltuisse
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
für die Wohlfahrt der Bevölkerung beimisst, von Neuem dadurch
bewiesen. dass sie im Finanzgesetz für die kommende
XXVI. Finanzperiode den Betrag von 300 000 M. für Zwecke der
F ö r d e r u 11 g d e r W ohnungspflege vorgesehen hat. Nach
den Motiven zum Entwürfe dieses Gesetzes können aus diesen
Mitteln vor Allem einzelnen Gemeinden Zuschüsse gewährt wer¬
den, wenn die Durchführung der Wohnungsaufsicht und insbe¬
sondere die Veranstaltung umfassender Wohnungserhebungen
namentlich in den grösseren Städten beträchtlichere Kosten ver¬
ursachen. Den Vereinen und Genossenschaften, die sich die Ob¬
sorge für Wohnungen zur besonderen Aufgabe machen, können
zwar staatliche Zuwendungen für ihre Bautätigkeit nicht in Aus¬
sicht gestellt werden; insoweit jedoch auf die Begründung und
Befestigung, Ausgestaltung und Förderung solcher Vereinigungen
erheblichere Ausgaben erwachsen, ist es ermöglicht, auch nach
diesen Richtungen dem gemeinnützigen Wirken für das Wohnungs¬
wesen mit Beiträgen des Staates entgegenzukommen und Vor¬
schub zu leisten. Der Stadtgemeinde München wurde zur Durch¬
führung einer allgemeinen Wohnungserhebung ein angemessener
Staatszuschuss in Aussicht gestellt, so dass zu erwarten steht,
dass die Veranstaltung einer Wohnungsenquete in München nun¬
mehr in Bälde in Gang gebracht werde.
— Das Museum für A r b e i t e r - Wohlfahrtsein¬
richtungen in München (Kegelhof 3 in der Au), eine nach
ihrer hygienischen Bedeutung von den Aerzten kaum genügend
gewürdigte und gekannte Anstalt, hat mit der Herausgabe einer
illustrierten Beschreibung ausgewählter Ausstellungsgegenstände
des Museums begonnen. Von dieser Beschreibung sind bis jetzt
3 Bogen erschienen, welche die Schutzvorrichtungen beim Dampf¬
betrieb (Wasserstandssicherungen, Kontroll- und Warnapparate,
Manometer, Absperrventile u. a. m.) behandeln. Die Beschreibung
wird, soweit der Vorrat reicht, an den regelmässigen Besuchstagen
— jeden ersten und dritten Sonntag im Monate, Vormittags von
10 bis 12 Uhr — im Museum an Interessenten abgegeben, auch
kann dieselbe durch das Museumsbureau bezogen werden.
— Anlässlich des am 9. Januar 1903 zu feiernden Geburtstages
Friedrich v. Esmarchs beabsichtigt ein Komitee, an dessen
Spitze Prinz Heinrich von Preussen, Prinz Ludwig Ferdinand
von Bayern und Herzog Karl Theodor in Bayern stehen, die Er¬
richtung eines Denkmals in Esmarchs Vaterstadt Tönning.
Es ergeht daher an alle Verehrer, Berufsgenossen und Schüler
des hochverdienten Chirurgen der Ruf, Beiträge für diesen Zweck
zu leisten. Der Geschäftsausschuss des Esmarcli-Denkmal-
Komitees besteht aus den Herren E h r i c li, Bürgermeister,
A. Davids und Dr. Thran in Tönning. Beiträge sind unter
dem Vermerk „Esmarch-Denkmal“ zu senden an die Reichsbank¬
hauptstelle in Kiel oder an die Städtische Spar- und Leilikasse in
Tönning. Näheres siehe auf dem Umschlag dieser Nummer.
_ Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfu n g
der Geschlechtskrankheiten ist am 19. ds. durch die
konstituierende Versammlung im Berliner Rathaus begründet wor¬
den. Zum Vorsitzenden wurde Neisser - Breslau, zum stell¬
vertretenden Vorsitzenden Besser- Berlin und zum General¬
sekretär Blascliko- Berlin gewählt. Die Gesellschaft zählt
bereits 700 Mitglieder.
_ Die 33. Versammlung der südwestdeutschen Irrenärzte
findet am 1. und 2. November in Stuttgart statt. Beginn der Ver¬
sammlung am Samstag den 1. November, Nachmittags 2 y3 Uhr im
Vortragssaal des k. Landesgewerbemuseums. Geschäftsführer
sind die Herren Sanitätsräte Dr. Wilder muth und Dr. F aus er.
— C li o 1 e ra. Russland. Nach den im Regierungsanzeiger
vom 9. Oktober veröffentlichten amtlichen Mitteilungen sind im
Amurbezirke vom 29. September bis 5. Oktober 22 Neuerkran¬
kungen an der Cholera vorgekommen. Im Ganzen sind im Amur¬
bezirk seit dem Ausbruch der Seuche 11S3 Personen an der Cholera
erkrankt; davon entfielen 888 — 75 Proz. auf die drei bedeutend¬
sten Städte des Gebiets: Blagowesclitsehensk, Wladiwostok und
Chabarowsk. Im Kwantungbezirke sind vom 28. September bis
1. Oktober nur in Fort Arthur 5 Personen und in Dalnij 1 Ferson
an der Cholera erkrankt, im Ganzen sind in diesen beiden Städten
vom 13. Juli bis 1. Oktober 1015 Cholerafälle beobachtet. — Türkei.
In Syrien dringt die Cholera von Süden in der Richtung auf
Jerusalem vor. Einer Mitteilung vom 0. Oktober zufolge war die
Seuche zunächst in 2 Ortschaften, die 4 — 0 Stunden von Gaza ent¬
fernt liegen, festgestellt. Jn Gaza selbst wurde zunächst eine auf¬
fallend iiohe Sterblichkeit beobachtet und, nachdem gegen dessen
Herküufte eine 10 tägige Quarantäne angeordnet war, wurde dort
am 18. Oktober die Cholera amtlich festgestellt; 2 Tage vorher war
schon in Lydda bei Randeh die gleiche Feststellung erfolgt. Der
Verkehr zwischen Jaffa und Ramleli war zufolge einer Mit¬
teilung vom 18. Oktober unterbrochen. Die Angabe, dass in
Hauran Cholerafälle • vorgekommen seien, wird neuerdings be¬
stritten. In Hodeida sind einer Mitteilung vom 5. Oktober zufolge
25 Erkrankungen und 21 Todesfälle festgestellt. In Medina ist
am 28. September unter den Soldaten ein Choleratodesfall vor-
aekommen. — Aegypten. In der Woche vom 30. September bis
6. Oktober sind nach dem Berichte des Generaldirektors des Ge¬
sundheitswesens 1971 Ortschaften verseucht gewesen, aber nur
noch 1571 Erkrankungen (und 1546 Todesfälle) an der Cholera
zur Anzeige gelangt, d. i. 2451 (2047) weniger als in der Woche
vorher. Von den Choleratodesfällen der letzten Berichtswoche
ereigneten sich 668 in den Krankenhäusern, 87S ausserhalb der¬
selben. — Japan. Nach einer Bekanntmachung des Ministeriums
des Innern waren bis zum 29. August in Alt-Japan 4329 Erkran¬
kungen an asiatischer Cholera vorgekommen, von denen jedenfalls
1650 tödlich endeten. Hierzu kommen uoch 213 Fälle, die bis
zum 26. August auf Formosa festgestellt sind und von denen 133
einen tödlichen Ausgang nahmen.
— Pest. Russland. In der Zeit vom 30. September bis
7. Oktober wurden in Odessa 5 neue Erkrankungen und 1 Todesfall
an der Pest festgestellt. — Aegypten. Am 11. Oktober wurde in
Alexandrien ein neuer Pestfall festgestellt. — Britisch-Ostindien. In
der Präsidentschaft Bombay sind vom 21. bis 27. September 9931
Erkrankungen (und 7443 Todesfälle) an der Pest zur Anzeige ge¬
langt, d. i. 682 (712) mehr als während der W'oche vorher. Aus
der Stadt Bombay waren 78 (63), aus Stadt und Hafen Karachi
39 (13) Fälle gemeldet.
— In der 41. Jahreswoche, vom 5. bis 11. Oktober 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Beuthen mit 39,1, die geringste Schöneberg mit 6,8 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Dortmund, Kiel, an Diphtherie
und Krupp in Borbeck, Bromberg, Elberfeld, Königsberg.
V. d. K. G.-A.
(Iiochschulnachrichten.)
M ü nche n. An Stelle des verstorbenen Prof. Hans Buch-
n e r wurde Hofrat Prof. Max G r u b e r zum ordentlichen Mitglied
des k. Obermedizinalausschusses ernannt.
Strassbur g. Herr Dr. med. Richard T h o in e habilitierte
sich für Anatomie mit einer öffentlichen Antrittsvorlesung über
das Thema: ,,Der Bau der Lymphdrüsen“.
Baltimore. Der Professor der Anatomie Dr. Randolpli
W i n s 1 o w wurde zum Professor der Chirurgie an der University
of Maryland ernannt.
Belfast. Dr. T. IT. Milroy wurde zum Professor der
Physiologie ernannt.
Kasan. Habilitiert: Dr. V. Wladimir off für Geburts¬
hilfe und Gynäkologie.
Lausan n e. Dr. A. II o u d wurde zum ausserordentlichen
Professor der Anatomie ernannt.
Neapel. Habilitiert: Dr. A. Capuldi für Geburtshilfe und
Gynäkologie.
Philadelphia. Dr. H. M. Christian wurde zum Pro¬
fessor der Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane an der
Philadelphia Poliklinik ernannt.
T o m s k. Habilitiert: Dr. S. Tsc h u gunoff für Chirurgie.
T u r i n. Habilitiert: Dr. E. Berta relli für Experimental¬
hygiene.
Wien. Habilitiert: Dr. Julius Zappert als Privatdozent
für Kinderheilkunde.
(Todesfälle.)
Am 17. ds. starb in Kiel der ausserordentliche Professor für
gerichtliche Medizin Geh. Med.-Rat Dr. Johannes Bockeudahl,
75 Jahre alt.
Dr. A. Castro, Professor der chirurgischen Klinik zu
Buenos-Ayres.
Dr. Melitön Gonzalez del Solar, Professor der Hygiene
zu Buenos-Ayres.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Philipp Klingel, approb. 1894, in Nürn¬
berg. Eugen Schlesinger, approb. 1900, in Nürnberg. Dr. Hans
Eisert, approb. 1902, zu Würzburg. Dr. Johannes V e 1 1 u n g,
approb. 1S79, zu Würzburg.
Gestorben: Dr. Theodor Gaggel in Miltenberg, 63 Jahre
alt. Dr. Joli. Biiclel in Oberstaufen, 54 Jahre alt.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München
in der 41. Jahreswoche vom 5. bis 11. Oktober 1902.
Beteiligte Aerzte 145. — Brechdurchfall 11 (16*), Diphtherie u.
Krupp 15 (10), Erysipelas 11 (5), Intermittens, Neuralgia interm.
1 (1), Kindbettfieber — ( — ), Meningitis cerebrospin. — ( — ),
Morbilli 28 (27), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 1 (4), Parotitis
epidem. — (1), Pneumonia crouposa 10 (10), Pyämie, Septikämie
1 (1), Rheumatismus art. ac. 15 (8), Ruhr (Dysenteria) 1 ( — ),
Scarlatina 5 (7), Tussis convulsiva 29 (28), Typhus abdominalis 2
(4), Varicellen 9 (2), Variola, Variolois — ( — ), Influenza 1 (1).
Summa 139 (124). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 41. Jahreswoche vom 5. bis 11. Oktober 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen: Masern 4 (4*) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u. Krupp — (1), Rotlauf — (1), Kindbettfieber 1 (1), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 1 ( — ), Brechdurchfall 6 (7), Unterleib-Typhus —
( — ), Keuchhusten 5 (3), Kruppöse Lungenentzündung 2(1), Tuber¬
kulose a) der Lunge 33 (24), b) der übrigen Organe 7 (10), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
4 (3), Unglücksfälle 4 (2), Selbstmord 3 (6), Tod durch fremde
Hand — ( — ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 236 (242), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 24,3 (24,9), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 15,6 (12,9).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mülilthaler's Buch- und kunstdruckerw A.G., München.
Die Munch. Med Wochenscbr. erscheint wöchentl
ln Nummern von durchschnittlich 5—6 Botren
Preis in Deutsch!, u Oest.-Üngarn vlertelifthrl. 6 JC
ms Ausland 8. — M.. Einzelne No. 80 -d.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressiren : Für die Redaktion
Arnulfstrasse 26. — Für Abonnement an J. F. Leh-
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDHMISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0, v. Angerer, Ch. Bäumler, 0, Bollinger, H. Curschmann, W. v, Leube, G. Merkel,
München. Freiburg 1, B. München. Leipzig. Würzburg. Nürnberg
J. v. Michel, F. Penzoldt,
Berlin. Erlangen.
NO. 44. 4. November 1902, Redaktion: Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26.
Verlag: J. P. Lehmann, Heustrasse 20.
H. ». Ranke, F. y, Winckel,
München. München.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem staatlichen hygienischen Institute zu Hamburg
(Prof. Dr. Dunbar).
Lieber Zellgifte und Schutzeinrichtungen im mensch¬
lichen Organismus.*)
Von Dr. Wolfgang Weichardt, Assistent am Institute.
Nachdem der Unterschied zwischen aktiver und passiver
Immunisierung und zwischen antitoxischen und bakteriziden
Seris erörtert worden, so dürften Sie auf Grund der E h r 1 i c h -
sehen Iheone nunmehr auch die komplizierteren Vorgänge ver¬
stehen, welche an die neueren und neuesten biologischen For¬
schungen auf diesem auch für die Praxis mehr und mehr wich¬
tigen Gebiete anknüpfen.
Lm die Wirkung der bakteriziden Sera sicherer zu gestalten,
fügte W assermann, wie wir oben sahen, den einzuverleiben¬
den Zwischenkörpern grosse Quantitäten bestimmter Kom¬
plemente zu.
Leider gehen diese Komplemente im Körper infolge von
Antikomplementbildung oder Verankerung an indifferente
Körperzellen zumeist zu Grunde. Daher verdient der Vorschlag
Ehrlichs Beachtung : Möglichst grosse Mannigfaltigkeit von
Amboceptoren zu erzielen durch Behandlung der verschie¬
densten Tierspezies, damit die Amboceptoren möglichst grosse
Chancen haben, passende, natürlich vorkommende Komplemente
in dem passiv zu immunisierenden Organismus zu finden.
Es dürfte z. B. ein bakterizides Affenserum sicherlich vor
allem bei der Gattung homo sapiens ein passendes Komplement
finden !
Obigem V orschlage Ehrlichs folgend, hat Römer ein
bakterizides Pneumokokkenserum dargestellt, welches er bei
Ulcus corneae verwendet. Diese Erkrankung beruht bekanntlich
auf Invasion von Pneumokokken. Jedoch kann bei Ergriffen¬
sein einer so minimalen Partie des Körpers keine merkliche
Antikörperbildung stattfinden, nicht entfernt so wie bei lobärer
Pneumonie, wo sie uns unter dem Bilde der Krisis entgegentritt.
Daher ist ein Zufügen von Antitoxin bei Ulcus corneae durch¬
aus zweckmässig.
Die Antitoxine sind, wie wir bereits gesehen haben, ab-
gestossene Atomgruppen — Receptoren. E h r 1 i c li nennt diese
freien abgestossenen Receptoren ILaptine. Er unterscheidet
Uniceptoren und Amboceptoren.
Zu ersteren gehören:
1. Die Haptine erster Ordnung, die Antitoxine, welche re¬
lativ einfach gebaut sind und die haptophoren Gruppen der To¬
xine verankern.
2. Die Haptine zweiter Ordnung, die Koaguline, Präzipi¬
tine und Agglutinine., Diese sind komplizierter gebaut und be¬
stehen aus einer haptophoren Gruppe, welche verankert, und
einer zymophoren, welche die Zerlegung der Eiweisstoffe ein¬
leitet.
*) Nach einem Vortrage, gehalten am 30. Sept. 1902 in der
biologischen Abteilung des ärztlichen Vereines zu Hamburg. Der
Abdruck des ersten Teiles dieses Vortrages, in dem die elemen¬
taren Tatsachen der Immunitätslehre erörtert wurden, ist absicht-
iQn unterlassen worden, weil er sich zum Teil mit der in No. 52
1901 dieser Wochenschr. veröffentlichten Arbeit des Autors: „Mo¬
derne Immunitätslehre“ decken würde.
No. 44.
Die Cytolysine, Hämolysine und Bakteriolysine besitzen
die Amboceptoren — früher Immunkörper genannt — als spe¬
zifisches Agens. Sie reihte Ehrlich unter die Haptine dritter
Ordnung ein. Ihr Bau ist noch komplizierter: Die Amboceptoren
haben die Fähigkeit, zunächst die fermentartig wirkenden Kom¬
plemente des normalen Blutes an sich zu reissen und dadurch
die verankerten Stoffe weiter zu zerlegen.
Metschnikoff stellt sich nun vor, dass die Ambo¬
ceptoren — Fixateure, wie er sie nennt — sich an die Bakterien
fixieren und sie dadurch geeignet machen für die Phagocytose,
die durch die Amboceptoren selbst mächtig angeregt wird.
Die Zerstörung der grossen Protoplasmamoleküle braucht
übiigens nicht in den Körpersäften vor sich zu gehen, sondern
kann im Innern der Leükoeyten erfolgen. Die dies bewirkenden
Kräfte, die Makrocytase und Mikrocytase, welche nach
Metschnikoff erst beim Tode der Leükoeyten frei werden,
konnte Metschnikoff isolieren und ihre Wirkungen ge¬
nauer studieren.
Gestatten Sie mir nunmehr auf die Art und Weise, wie sich
die Toxine an die Körperzellen zu verankern pflegen, einzugehen.
V asserma n n fand, dass 1 rösche, denen er Tetanus¬
toxin injiziert hatte, bei 8 " C. überhaupt nicht an Tetanus er¬
krankten, wohl aber, sobald er die Temperatur auf 32° erhöhte.
Also ist die \ erankerung der haptophoren Gruppe je nach der
Temperatur unter Umständen eine verschiedene.
Bei cytolytischen Seris kann die Avidität des Amboceptors
zui Zelle dadurch, dass sich Komplemente an ihn ketten, ver¬
mehrt werden.
Sind mehr Amboceptoren vorhanden, als sich an die Zelle
ketten können, so sind bei gewissen Aviditätsverhältnissen die
freien Amboceptoren im stände, die Komplemente in Beschlag
zu nehmen. N e i s s e r und W echsberg' haben diese Ver¬
hältnisse zuerst genauer studiert und gezeigt* dass so durch ein
Zuviel des bakteriziden Serums dessen Wirkung abgeschwächt
wird (Komplementablenkung).
Das Tetanustoxin wird nur an die Receptoren der Nerven¬
zellen gebunden. Kocht man aber das Rückenmark, so binden
dessen Receptoren das Tetanustoxin nicht mehr. Der Zustand
der Körperzellen ist somit ausschlaggebend für die mehr oder
weniger leichte Bindung der Toxine an die Receptoren und für
die Antitoxinbildung.
Durch allzu starke Reizung bestimmter Zellen mittels
wiederholter grosser Dosen von Toxinen kann ein Schwund der
Zellreceptoren eintreten, so dass bisweilen durch wiederholte
Injektion eines bestimmten Giftes hochimmunisierte Tiere bei
weiteren Injektionen einen rapiden Rückgang des Antitoxin¬
gehaltes ihres Blutserums zeigen und schliesslich zur Antitoxin¬
produktion für ein bestimmtes Gift gänzlich unbrauchbar
werden.
Antitoxinproduktion entsteht übrigens nur durch Bin¬
dung eines Giftes an die Körperzellen, nicht durch blosse Ab¬
lagerung der Gifte in den Organen. Die Narkotika und
Antipyretika, die, wie wir sahen, nicht die Bildung spezifischer
Antikörper im Organismus anzuregen vermögen, also nicht assi¬
milationsfähig sind, gehen nach Ehrlich mit dem Zellproto¬
plasma eine Verbindung ein, wie sie bei starren Lösungen oder
lockeren Salzbildungen gefunden wird. Hierfür spricht u. a.
die leichte Extrahierbarkeit solcher „nicht assimilationsfähiger
1
1823
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Stoffe“ aus ihren Protoplasmaverbindungen. Rach den Versuchen
von Besredka sind auch Glukoside nicht im stände, im tie¬
rischen Organismus Antikörper zu bilden. Assimilierbar
sind nur die hochkompliziert gebauten Pro¬
dukte der tierischen und pflanzlichen Zelle,
nur sie vermögen durch ihre Bindung an das
Zellprotoplasma die Produktion von Anti¬
körpern anzuregen.
Manche Tiere können Antitoxin auch produzieren gegen
Gifte, gegen die sie selbst gänzlich unempfindlich sind: Die
Organzellen des Alligators reissen z. B. injiziertes Tetanusgift
schnell aus dem Blutkreisläufe an sich und bilden reichlich Anti¬
toxin. Die Alligatorzellen selbst aber werden durch das Tetanus¬
gift nicht geschädigt, sie sind unempfindlich gegen die toxophore
Gruppe des Giftes.
Ganz anders, wenn man einer Schildkröte Tetanustoxin in¬
jiziert. Auch hier bleibt das Tier nach der Injektion gesund,
eine Tetanus- Antitoxinbildung findet jedoch in diesem Palle
nicht statt, die Zellen besitzen keine Receptoren für das Tetanus¬
gift, sie binden es nicht, so dass das Gift noch lange Zeit
nach der Injektion im Blute nachweisbar ist. Bei der Schild¬
kröte findet dementsprechend, ganz im Gegensätze zum Alligator,
keine Antitoxinproduktion statt.
Ebenso kommt eine Antikörperproduktion nicht zu stände
hei Bakterienagglutininen und Bakterienimmunkörpern, finden
doch diese ihre Receptoren an den Bakterien und nicht an den
Körperzellen. Es nahm daher Ehrlich schon früher, auf
Grund der Seitenkettentheorie, die Unmöglichkeit einer Anti-
körperbildung in diesem Palle an. In der lat konnten Wasser¬
mann, Kraus und Eisenberg nachweisen, dass diese
theoretische Annahme der Wirklichkeit entspricht. Ganz anders
liegen die Verhältnisse bei den Agglutininen von Körperzellen,
die ja ihre Receptoren an den Körperzellen selbst finden. Hier
müssen diese abgestossenen Receptoren als Antiagglutinine auf-
treten. So konnte ich Antiagglutininwirkung, welche im stände
war, Spermatozoenagglutinine zu neutralisieren, in einem anti-
spermatoxinhaltigen Serum nachweisen. Ford konnte, wie aus
einer unter Wassermanns Leitung angefertigten Arbeit
hervorgeht, Antihämagglutininbildung finden.
Alles das und vieles andere sind Bestätigungen der E h 1 -
1 i c h sehen Seitenkettentheorie; doch möchte ich mich an cliesei
Stelle auf weitere Einzelheiten nicht einlassen.
Um sich ein Urteil bilden zu können über einen theoretisch
oder praktisch wichtigen Fortschritt auf dem Gebiete der Serum¬
forschung, muss man sich stets zunächst 3 Fragen vorlegen .
1. Welche Zellreceptoren kommen in Betracht ?
2. Welche Aviditätsverhältnisse sind möglich?
3. In welchen quantitativen Verhältnissen stehen die ver¬
schiedenen Bestandteile zu einander?
Die Anregung, welche die moderne Pathologie und Physio¬
logie der Cytolysinlehre verdankt, ist schon jetzt nicht gering,
namentlich seit dem Bekanntwerden der Isolysine und Auto-
lysine. # ....
Wird einem Meerschweinchen Kaninchenblut injiziert, so
bildet sich, wie wir bereits gesehen haben, Hämolysin, eines der
Cytolysine oder, nach Ehrlich, da dieses Cytolysin im Blute
einer anderen Spezies auftritt, ein Heterolysin. Wird dagegen
Blut eines Kaninchens einem anderen Kaninchen, also derselben
Spezies, injiziert, so erfolgt auch Hämolysinbildung, hier Iso-
liämolysin genannt, aber weit schwieriger und nur unter An¬
wendung gewisser Kunstgriffe.
Bei einigen Erkrankungen, bei Typhus, Scharlach und Lues,
konnten von verschiedenen Autoren im menschlichen Blute Iso¬
lysine und Isoag'glutinine konstatiert werden. Eine Autolysm-
bildung, die gegen das Blut desselben Individuums gerichtet ist,
wurde dabei nicht beobachtet. Dagegen meinen Michaelis
und Kober eine Autohämolysinbildung bei rascher Resorption
von grossen Blutergüssen beobachtet zu haben. Ebenso ist
Autocytolysinbildung möglich, ja wahrscheinlich bei Lebercir-
rhose, parenchymatöser Nephritis u. s. f.
Man vergegenwärtige sich, dass in den betreffenden Organen
einige wenige Zellen zerfallen und im Körper des Patienten, spe¬
zifische Cytotoxine erzeugen. Dadurch muss ein Circulus vitiosus
eintreten; denn die Cytolysine greifen unaufhaltsam immer
neue Zellen der geschädigten Organe an und hinwiederum ent¬
steht allmählich eine immer grössere Menge der in derartigen
Fällen höchst verderblichen Autolysine.
Nicht unerwähnt möge folgender Versuch von D e 1 e -
zenncs bleiben: Er erzeugte bei Hunden mit kleinen Dosen
Chromsäure Nephritis. Das Serum dieser liere* obschon nicht
mehr chromhaltig, erzeugte, anderen Hunden injiziert, ebenfalls
Nephritis. _ . . .
Metschnikoff schädigte die eine N iere eines Kanin¬
chens dadurch, dass er den einen Ureter unterband. Die andere
Niere liess er intakt. Das Tier blieb gesund, eine Autolysm-
bildung trat nicht ein. Wohl aber hatte Isocytolysinbildung
stattgehabt; denn das Serum dieses Tieres, anderen Kaninchen
injiziert, erzeugte bei denselben parenchymatöse Nephritis.
A r c o 1 i und F i g a r i sind, wie aus einer neueren Ver¬
öffentlichung hervorgeht, der Meinung, dass Nephrolysine durch
direkte Einwirkung auf verschiedene Organe gewisse Uranne-
symptome hervorzurufen im stände seien. Weitere exakte Ver¬
suche müssen auf diesem Gebiete noch Klarheit schaffen.
Ein interessanter Befund von Delezennes möge hiei
Erwähnung finden. Dieser Autor konnte nachweisen, dass die
von den Makrophagen (Metschnikoff) gebildete Entero-
kynase des Darmsaftes sich an Fibrin kettet, dass aber eine Ver¬
dauung des Fibrins erst dann zu stände kommt, wenn aussei -
dem der Pankreassaft, dem in diesem Falle die Rolle des Kom¬
plements zukommt, sich an dieser Verbindung mitbeteiligt.
Bordet zeigte, dass durch Injektion von Meerschweinchen
mit Kaninchenserum ein Antikörper im Meerschweinchen -
Organismus gebildet wird, der nur gegen den hitzebeständigen
Teil des Fibrinfermentes im Kaninchenserum gerichtet ist.
Ueberhaupt lässt sich ein ausreichendes Verständnis der
Fermentwirkungen mittels der Seitenkettentheorie anbahnen .
Für das Labferment kann man eine haptophore, spezifisch ver¬
ankernde Gruppe annehmen; eine zweite Gruppe, die zymophore
des Fermentes, wirkt katalytisch auf die verankerten Körper.
Komplizierter gebaute Fermente dürften von gleicher Struk¬
tur sein wie die Amboeeptoren.
Metschnikoff injizierte Meerschweinchen Spermato¬
zoon anderer Meerschweinchen. Dadurch bildeten sich., bei
den injizierten Tieren Isospermatoxine; denn das Serum tötete
sofort die Spermatozoon anderer Meerschweinchen, während
die Spermatozoen der behandelten Tiere intakt blieben.
Nahm Metschnikoff aber die Spermatozoen der^ letz-
teren aus den Hodenkanälchen heraus und fügte das Serum
eines anderen Meerschweinchens hinzu, so wurden sie schnell
leblos. Bei dem somit zweifellos gebildeten Autocytotoxni
war also das Komplement wahrscheinlich durch eine regula-
torische Einrichtung in der Wand der Samenkanälchen, wie
Metschnikoff annimmt, in den Leukocyten, zurück-
gehalten worden. Uebrigens ist anzunehmen, dass die Autocyto-
toxine durch die Bildung von Antiautotoxinen im Organismus
unschädlich gemacht werden. . .
Das Vorhandensein eines Antiautohämolysins, im mensen-
lichen Serum, das gegen ein etwa auftretendes Autohämolysin
wirken muss, wies Besredka nach. Auf die komplizier te
Versuchsanordnung dieses Autors hier einzugehen, würde, zu
weit führen. Ich möchte daher auf das interessante Original
(Annal. de lTnstit. Pasteur 1901) verweisen. Die Befunde von
Müller, der in erwärmtem Meerschweinchenserum ein anti-
hämolytisches Vermögen spezifischem hämolytischen Meer¬
schweinchenserum gegenüber fand, ferner die Befunde von
Camus und Pagniez können in eben diesem Sinne ge¬
deutet werden.
Im normalen Pferde- und Menschenserum lassen sich spe¬
zifische Antihämolysine nachweisen, die gegen ganz bestimmte
Hämolysine wirksam sind; und zwar konnte Müller zeigen,
dass hierbei Antikomplementwirkungen in Frage kommen.
Uebrigens sind die Hämolysine keineswegs lediglich. Pro¬
dukte von Körperzellen; auch verschiedene Mikroorganismen
vermögen ganz spezifische Hämolysine zu produzieren. Ich ei-
innere an den schnellen Austritt des Hämoglobins aus den Blut¬
körperchen septischer Leichen. Besonders genau studiert ist
durch Neisser und W e c h s b e r g das Staphylolysin. Die
genannten Autoren zeigten, dass dasselbe eine haptophore und
toxophore Gruppe besitzen müsse. Ausser dem die roten Blut¬
körperchen auflösenden Staphylolysin produzieren die Staphylo-
4. November 1902.
_ MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
c"enge"st“din’ WWra** «■“ ^
Das Serum eines Kaninchens, das mit Ziegenserum behan¬
delt wurde, lost Meerschweinchenblut nicht auf, während das
Serum des unbehandelten Kaninchens hämolytisch auf Meer-
schweanchenblutkörper wirkt. Diese Tatsache beruht nach
Eh ihc h und M o r g e n r o t h auf einer Autoantikomplement-
bildung. Die Autoantikomplementbildung hebt die Komplement-
Auktionen der Kaninchenhämolysine auf, so dass eine Auf¬
lösung der Meerschweinchenblutkörper nach Behandlung der
Kaninchen mit Ziegenserum nicht mehr eintreten kann
Folgende Heberlegungen führten zu dieser Anschauung:
Das Ziegenserum enthält viele, den Kaninchenkomplementen
ähnliche, m ihrer haptophoren Gruppe gleiche Komplemente.
Diese besetzen die Amboceptoren des Kaninchens und machen
sie unwirksam, so dass die Zellen zur Abstossung neuer Ambo¬
ceptoren angeregt werden. Diese neu abgestossenen Ambo¬
ceptoren müssen jetzt als Autoantikomplemente die Komplement¬
funktionen des Kaninchenserums aufheben.
. Jk durfte am platze sein, noch einmal die feineren Vorgänge
im Plasma, um die es sich bei der Wirkung eines Cytolysins
handelt, kurz zusammenfassend zu besprechen.
Durch Cytolysme, z. B. das oben erwähnte Hämolysin, oder
von mir zuerst experimentell hergestellte Cytolysine der Plazenta
werden die einzelnen Zellen gleichsam zerrissen; denn die hapto-
phore Gruppe des Cytolysins fesselt einzelne Atomgruppen der
Zelle (Receptoren) an sich und hierbei werden andere, wahr¬
scheinlich zahlreiche Atomgruppen frei. Grobsinnlich kann man
bei richtiger Versuchsanordnung unter dem Mikroskop einen
derartigen fortgeschrittenen Prozess als Zellzerfall wahr-
nehmen. Die freigewordenen Atomgruppen treten nunmehr als
Joxine auf, welche, da sie ja ungesättigt sind, an geeigneten
Receptoren des Protoplasmas der Körperzellen sich zu verankern
suchen und dadurch unter Umständen toxisch wirken.
3?ie wie man den mangelhaften Antitoxinschutz
der für ein Gift empfänglichen Individuen zu denken hat, kann
nach den bisherigen Erfahrungen ganz verschieden beantwortet
werden.
Ich will zunächst eine Betrachtungsweise vorweg nehmen,
die neuerdings am Ehrlich sehen Institut experimentell be¬
gründet, vielleicht unsere Begriffe von Zellimmunität und
Giftkonstitution im wesentlichen zu modifizieren berufen
sein wird : Elechser und Noguchi hatten zunächst ge¬
zeigt, dass gewisse, früher als einheitlich angesehene Schlangen¬
gifte aus einer Anzahl von Amboceptoren bestehen, die durch
Komplemente des Serums aktiviert werden. Mittels exakter
Versuche konnte nun amEhrlich sehen Institute nachgewiesen
werden, dass gewisse durch Schlangengift lösliche Blutkörper-
c ien diese die Giftambozeptoren aktivierenden Komplemente im
Inneren ihres Protoplasmaleibes besitzen, und dass anderen, durch
das Gift nicht löslichen roten Blutkörperchen diese sogen. Endo-
vomplemente fehlen. Von dem Vorhandensein dieser Endokom-
plemente in den Zelleibern hängt es also in vielen Fällen ab, ob
ein nicht einheitliches Gift auf Zellen einzuwirken vermag oder
nicht. Auch ist hier das oben beschriebene N e i s s e r sehe
Phänomen der Komplementablenkung zu beobachten. Sehr starke
osen des Giftes lassen die Blutkörperchen intakt, während die¬
selben durch schwache Dosen gelöst werden, denn die bei starken
Dosen in grossem Ueberschuss vorhandenen freien, nicht an
(he Blutkörperchen geketteten Amboceptoren nehmen alle Endo-
komplemente aus den Zellen heraus und für sich in Anspruch.
Die Zellen bleiben also ungelöst.
Eührt man einem Tiere grosse Mengen eines einheitlichen
Giftes, ein und das Tier erkrankt unter typischen Vergiftungs¬
eischeinungen, so kann zunächst nicht vorliegen vollständiger
Receptorenmangel der Zellen für das Toxin, oder eine gänzliche
nempfänglichkeit gegen die toxophore Gruppe desselben. An
den Beispielen der Schildkröte und des Alligators, denen Tetanus¬
toxin injiziert wurde, sahen wir oben diese beiden, ursächlich so
verschiedenen Arten der Unempfänglichkeit erläutert.
Es ist vielmehr zunächst daran zu denken, dass Antitoxin
im Blute des unter typischen Vergiftungserscheinungen erkrank¬
en Individuums in genügender Menge nicht vorhanden
ist.. Wäre Antitoxin reichlich vorhanden, so würde das In¬
dividuum gegen gewöhnliche Dosen des einheitlichen Giftes sich
immun verhalten haben, wäre gesund geblieben.
Ferner besteht die Möglichkeit, das Erkranken des betreffen¬
den Biuividuums auf noch nicht abgeschlossene Antitoxinbildung
zuruckzuiuhren. Man nimmt eine Ueberempfindlichkeit der
Zellen an, dadurch zu stände gekommen, dass die auf das Toxin
eingestellten Rezeptoren von den betreffenden Zellen nicht in ge-
g einigender Menge in das Blut abgestossen worden sind ').
Endlich,, drittens, können ja die Antitoxine bei unempfind¬
lichen Individuen, wenn nicht im Blute, so doch als Rezeptoren
an indifferenten Körperzellen existieren, während diese Rezep¬
toren bei empfänglichen Individuen vor allem an lebenswichtigen
Organen vorhanden sind.
Um mit voller Sicherheit entscheiden zu können, welcher
Modus von allen diesen der vorherrschende ist, bedarf es in jedem
einzelnen Falle besonderer Tierversuche.
Jedenfalls wird Ihnen jetzt die Beobachtung von Belirin g
verständlich sein, dass bei aktiver Immunisierung, d. h. also in
den Fallen, in welchen die Körperzellen das Antitoxin selbst pro¬
duzieren, die Avidität des Toxins zu diesen Körperzellen grösser
ist, als zu den freien, in das Blut abgestossenen Receptoren. Um¬
gekehrt bei passiver Immunisierung, bei welch letzterer ja die
von anderen Tieren stammenden Antitoxine nur in Blut und
Lymphstrom vorhanden sind.
Möge also die. Auffassung in Bezug auf die feineren Modali¬
täten des unzureichenden Antitoxinschutzes sich in jedem be¬
sonderen Falle nach der einen oder anderen Richtung zuneigen
das steht zweifellos fest: Die rechtzeitige Einverlei¬
bung genügender Mengen eines spezifischen
Antitoxins gewährt Schutz gegen ein einheitliches, nicht
komplex gebautes Toxin aus tierischen oder pflanzlichen Zellen.
Aus dem hygienischen Institute in München.
Zur Kenntnis der hämolytischen Saponinwirkung.
Von Dr. W. Schanzenbach.
Das Saponin wurde von Schräder1) zuerst im Jahre 1809
aus den Wurzeln der Saponaria rubra dargestellt.
_ En Laufe der Zeit hat man auch in anderen Arten der
Sileneen einen dem Saponin analogen Stoff gefunden; selbst
Pflanzen anderer Familien, so der Primulaceen, Spiraceen, Poly-
galeen und Sapoteen, haben diesen Körper geliefert.
. Rochleder und Schwarz2) erhielten beim Kochen
einer wässerigen Saponinlösung mit verdünnter Salz- oder
Schwefelsäure einen Körper, den sie als identisch mit der China¬
säure bezeichneten :
C 24 H 20 0 11 c 12 H 0 O 3 -f- C 12 H 11 0 11 J
SaPonin Chinasäure Kohlehydrat.
B o 1 1 e y nimmt eine Spaltung des Saponins durch ver¬
dünnte Schwefelsäure in Sapogenin und Zucker an.
Im Jahre 1891 stellte Kruskal Nicolae3) fest, dass die
Saponinstoffe Protoplasmagifte seien, die, in das Blut ein¬
gespritzt, Auflösung der roten Blutkörperchen, hämorrhagische
Enteritis, subseröse Extravasate und Tod durch Kollaps zur
Folge haben.
Die W irkung auf die roten Blutkörperchen wurde bestätigt
von P o u s c h e t 4), K u n k e 1 5) und K o b e r t °). Sie erklären
die Saponine ebenfalls als Protoplasmagifte. Durch Erhitzen in
alkalisch reagierender Lösung könne man im Tierkörper stark
wirksam befundene Saponine unwirksam machen. Die Saponin¬
kni per seien vom Darme aus schlecht resorbierbar ; mit 2 proz.
Schwefelsäure gekocht, liefern die Saponinkörper verschiedene
Mengen von Zucker (rechtsdrehend) und Sapogenin.
in neuerer Zeit hat sich Ransom ') wiederum mit der
hämolytischen Eigenschaft des Saponins beschäftigt und dabei
,) bpezihscli erhöhte Reizempfindlichkeit von Zellen und zwar
im Gehirn gravider Tiere bestimmten Krampfgiften gegenüber ist
4 on / u n z und Blum reich konstatiert worden; eine nach
Obigem vielleicht erklärliche Tatsache.
9 Schräder: Gehl. allg. Journal d. Chem. Bd. S.
2) Rochleder und Schwarz: Wien. akad. Berichte
Bd. 11, S. 335.
') Kruskal Nicolae: Ueber einige Saponinsubstanzen. Dor-
pater pharmakol. Arbeiten VII, S. 1.
4) Pou sehet: Scille et saponaires. Etüde pharinacolog
Bull, de Ther. CXXXV, 6, 1898.
5) Kunkel: Handbuch der Toxikologie.
°) Kobert: Experiment. Pathol. u. Pharmakol. 23, S. 233.
7) Ransom: Saponin und sein Gegengift. Deutsche med
Z. 1891, S. 194.
1*
1823
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
folgende Feststellungen gemacht, die sich auf das Saponin, pur.
alb. Merck beziehen:
1. Saponin löst die Blutkörperchen auf.
2. 2 mg Saponin lösende Dosis für rote Blutkörperchen m
0,7 ccm Hundeblut. _ T .
3. 2 mg Saponin teilweise lösende Dosis für 0,9 ccm Hunde-
WU 4. 2 mg Saponin ohne Wirkung auf 2 ccm Hundeblut.
5. Wird das Blut der Saponinmenge in Raten zugesetzt, so
löst sich weniger Blut auf, als wenn die Blutmenge mit einem
Male zugegeben wird. Das Saponin wird bei der Entfaltung
seiner hämolytischen Wirkung verbraucht oder gebunden.
6. Serum gewährt einigermassen Schutz gegen den Angriff
des Saponins, indem es selbst das Gift fixiert.
7 0 75 ccm Hundeserum sind im stände, 2 mg Saponin
so zu fixieren, dass nachgeschicktes Blut nicht angegriffen wird.
8. Rote Blutkörperchen selbst fixieren das Saponin. Hunde¬
blutkörperchen aus 0,75 ccm ohne Serum binden 2 mg Saponin,
so dass bei weiterem Zusatz von Blut keine Auflösung stattfindet.
Auf Veranlassung von Herrn Professor Dr. Hans Büchner
habe ich eine Nachprüfung der Ransom sehen Resultate vor¬
genommen und die Saponinwirkungen zunächst bestätigen
können. Zur Verwendung kam das Saponin, puriss. alb. Merck
Was zunächst die mikroskopische Wirkung des Saponins aut
die Blutkörperchen anlangt, so sieht man im hängenden Tropfen,
wenn Blut mit Saponinlösung zusammengebracht wird, zuerst
deutliches Anschwellen der Blutkörperchen, dann Austreten von
kleinen Bläschen aus dem Inneren der Blutkörperchen ; diese
Bläschen sammeln sich zu kleinen Häufchen an; die Blutkörper¬
chen nehmen wieder runde Form an, erscheinen aber kleiner in
ihrem Umfang. Im vorletzten Stadium strecken die Blutkörper¬
chen Fortsätze aus und gewinnen so Sprosspilzform. Zuletzt
lösen sie sich ganz auf. Die Stromata verschwinden auf einmal.
Wie aus nachfolgender Tabelle I ersichtlich, wurden die
Versuche mit verschiedenen Blutarten angestellt. 1 ccm einer
2 prom. Saponinlösung wurde mit von 1 — 8 ccm verdünntem
Blut (1:5 CI Na 0,78 proz.) im Reagensglase zusammengebracht
und das Elüssigkeitsquantum durch weiteren Zusatz von physio¬
logischer CI Na-Lösung auf 10 ccm ergänzt.
Tabelle I.
1 ccm
1 „
1 „
1 „
1 „
1 ccm
1 „
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1 „
1 „
1 ccm
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1 „
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1 „
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1 ccm
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5 „
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5 „
4 „
1 „
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1 „
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5 „
4 „
1 „
8 ccm
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4 „
1 „
8 ccm
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1 ccm
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8 „
1 ccm
3 „
4 „
5 „
8 „
1 ccm
3 „
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5 ,
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1 ccm
3 „
4 „
5 „
8 „
1 ccm
3 „
4 „
5 „
8 „
1 ccm
3 „
4 .
5 „
8 „
Rind
Hammel
Schwein
Ziege
Meerschwein
Mensch
15 Min.
35 „
1 Std.
5 „
24 „
20 Min.
1 Std.
8 „
24 n
12 Min.
17 „
1 Std.
12 „
24 „
19 Min.
1 Std.
8 „
24 „
sofort
2 Min.
3 „
15 „
7 Std.
5 Min.
10 „
24 Std.
\ 24 „1
gegebene Art durch Nachschicken von Blut zu schon von Saponin
aufgelöstem Blut beweisen.
Doch versuchte ich auch auf eine andere Art den Beweis
zu führen.
5 ccm Saponinlösung (lprom.) wurden mit 5 ccm unverdünn¬
tem Rinderblut zusammengebracht und sofort zentrifugiert. Von
der überstellenden klaren Flüssigkeit wurden 2 ccm mit 0,6 ccm
Rinderblut und 1,4 ccm physiologischer Kochsalzlösung gemischt.
Dieses Blutgemisch war nach 14 Stunden ungelöst, während die
Kontrolle — 1 ccm frische 1 prom. Saponinlösung + 3 ccm
Rinderblut (1:5) — nach 14 Stunden fast ganz gelöst war.
Was die Resistenz der Körperchen der einzelnen Blutartei
betrifft, so wurden die voll Meerschweinchen am leichtesten, von
Hammel und Ziege am schwersten gelöst (Tabelle I u. II).
Auch das Blut immunisierter Tiere wurde verwendet, deren
Blutkörperchen eine etwas grössere Resistenz gegen Saponin
zeigen.
Tabelle II.
Saponinlösg.
CI Na
Blutmenge
Blutart
gelöst
2 prom.
0,78 Proz.
1:5 CI Na
Die Beschlagnahme von Saponin durch die roten Blut¬
körperchen konnte ich zunächst auf die von R a n s o m an¬
Saponinlösg.
2 prom.
CI Na
0,78 Proz.
Blutmenge
1 : 5 CI Na
Blutart
1 ccm
8 ccm
1 ccm
Ziege mit
1 „
0 „
Menschen-
1 ,,
5 „
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blut immu-
1 ,,
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8 „
1 ccm
8 ccm
1 com
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3 „
mit Rinder-
1 „
5 „
4 „
blut immu-
1 ,,
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nisiert
1 „
i „
8 „
1 ccm
8 ccm
1 ccm
1
6 „
3 „
Meerschwein
1 „
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typhusimmu-
1 „
4 „
5 „
nisiert
1 ,,
1 „
8 „
gelöst
30 Min.
2 Std.
10 „
(24
3g Min.
12 ..
35 „
6 Std.
24 „
4 Min.
15 „
45 „
7 Std.
24
Bei der immunisierten Ziege brauchten 2 mg Saponin
30 Minuten, um 1 ccm Blut aufzulösen, dagegen 19 Minuten
für die gleiche Blutmenge einer normalen Ziege (Tabelle I).
Bei dem mit Menschenblut immunisierten Meerschweinchen
lösten 2 mg Saponin 1 ccm Blut in 3V2 Minuten, bei dem typhus¬
immunen Tiere in 4 Minuten; dagegen wurde die gleiche Blut¬
menge eines normalen Meerschweinchens sofort gelöst.
Wie aus nachstehender Tabelle ersichtlich, verleiht auch
Salzzusatz von 0,75—5 Proz. Schutz gegen die Saponinwirkung,
während höhere Salzlösungen (5 — 20 Proz.) die Saponinwirkung
verstärken. Auch hier zeigten die Blutkörperchen der verschie¬
denen Tierarten ein voneinander abweichendes Verhalten.
^Tabelle III siehe nächste Seite.)
Die schützende Wirkung des Serums der gleichen Tierart,
die von Ransom angegeben wurde, konnte in der von ihm
angegebenen Versuchsordnung bestätigt werden.
Tabelle IV.
Saponinlösg.
Serum
CI Na
Blutart
gelöst
2 Prom.
0,78 Troz.
1 ccm
1
1
1
1
»
1 ccm
1
1
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1
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1
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0,75
0,5
0,25
0,125
1
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0,5
0,25
0,125
1
0,75
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0,125
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(nach 24 Stund.
J nicht gelöst.
24 Std. etwas gel.
24St.fastganzgel.
24 Std. gelöst.
(nach 24 Stund,
j nicht gelöst.
24Std etwas gel.
24St. fastganzgel.
24 Std. gelöst.
(nach 24 Stund
) nicht gelöst.
;24Std etwas gel.
24St. fastganzgel.
24 Std. gelöst.
Es ergibt sich, dass, je
der gleichen Menge Saponin
grösser die Serummenge gegenüber
war, um so energischer das Saponin
4. November 1902.
nr dex« ttener medicinische Wochenschrift.
1829
T abelle III.
Saponinlösg
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yy
yy
9Va
5
yy
»
yy
vom Serum unschädlich gemacht wird und zwar gleichviel, ob
frisches Serum oder auf 55 0 und 65 0 erhitztes Serum verwendet
wurde.
Durch Salzzusatz wird die konservierende Wirkung des
Serums verstärkt und zwar so, dass bei Serumzusatz im Gegen¬
sätze zu den Ergebnissen der Tabelle II hier eine höhere Salz-
Konzentration mehr Schutz gewährt, am meisten die 5 proz.
Tabelle V.
bringt die mit 0,78 proz. CI Na-Lösung aufgeschwemmten restie-
renden Blutkörperchen mit 1 ccm Hundeserum zusammen, so
tritt hei 37 nach 50 Minuten Lösung ein, während die Kontrolle
(0,5 ccm frisches Rinderblut und 1 ccm Hundeserum) in 24 Stun¬
den noch nicht gelöst ist.
Wie Kontrollversuche, in denen das Blut nicht abzentri¬
fugiert, sondern nur durch Absetzen die Blutkörperchen ge¬
wonnen wurden, zeigen, ist diese Differenz nicht etwa allein
durch eine Beschädigung der Blutkörperchen beim Zentrifugieren
zu erklären, wenngleich die Differenz sich hier verkleinerte.
. Dle lösende Wirkung des Saponins im Tierkörper macht
sich, wie ich feststellen konnte, schon in Dosen von 5 mg pro
Kilo Tier geltend, welche noch nicht den Tod des Tieres herbei¬
führen.
. .. 3 ccm Blut eines mit 1,5 ccm einer 2 prom. Saponinlösung
injizierten Meerschweinchen zeigten, mit 8 ccm CI Na-Lösung
zusammengebracht, deutliche Auflösung der Blutkörperchen
aurch Rotfärbung der überstehenden CI Na-Lösung, während
3 ccm Blut des Kontrolltieres in 24 Stunden nicht gelöst waren
und die überstehende CI Na-Lösung völlig klar blieb.
Dieses Verhalten des Saponinblutes legte den Gedanken
nahe, zu untersuchen, ob, wie II. Büchner8) wiederholt fest¬
gestellt hat, die bakterizide Wirkung eines mit kleinen Saponin¬
dosen behandelten Blutes bezw. des Blutes von einem Tiere, das
mtra vaskulär der Saponinwirkung ausgesetzt war, erheblich
sich ändert, weil liier die aus den roten Blutkörperchen aus¬
gelösten Nährstoffe der bakteriziden Aktion entgegenwirken
Zunächst musste aber festgestellt werden, ob das Saponin’
a ein zum Serum zugefügt, nicht die bakterizide Aktion be¬
einflusst.
Tabelle VI.
2 ccm
2 ccm
B a e t. lactis.
1 ccm Rinderserum -f- 1 ccm Saponinlösung 2 prom.
sofort nach
Aussaat
nach 3 Std.
nach 6 Std.
nach 24 Std.
f aktiv,
f inakt.
1 ccm I
( aktiv.
\ inakt.
1620
4910
tinderserum,
4320
6930
900
11 790
4- 1 ccm Clh
990
30 370
85
16 085
'a-Lösung 0,7 ;
99
59 837
3 440
83 700
3 proz.
59 750
250 000
t aus Tabelle VI ersichtlich, ist die oben supponierte
Wirkung des Saponins nicht vorhanden. Die bakterizide Aktion
des Rinderserums wird durch Saponinzusatz nicht beeinflusst.
Dagegen ergibt sich ein grosser Unterschied in der hak¬
ten ziden Wirkung, wenn man nicht Serum, sondern Blut für
den Versuch wählt.
Tabelle VII.
Seram
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5
cn
s-
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T3
2
rö
G
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1 ccm
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1 „
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§ 1 ccm
I 1 ..
CI Na-Lösung
in Proz.
Blutmenge
Blutart
gelöst
3 ccm 25
1 ccm
Meerschwein
lnach 24 Stdn.
3 „ lu
1 „
yy
/etwas gelöst.
3 „ 5
1 ,,
yy
ungelöst.
3 „ 1,5
1 ,,
n
5 Stdn. gelöst.
3 „ 0,75
1 „
yy
55 Min. gelöst.
3 ccm 25
1 ccm
Pferd
lnach 24 Stdn.
3 „ lu
1 „
yy
/etwas gelöst.
3 „ 5
1 ,,
yy
ungelöst.
3 „ 1,5
1 ,,
lnach 24 Stdn.
3 „ 0,75
1 „
»
/fast ganz gel.
3 ccm 25
1 ccm
Rind
1 nach 24 Stdn.
3 „ 10
1 „
yy
/etwas gelöst.
3 „ 5
1 ,,
yy
ungelöst.
3 „ 1,5
1 „
lnach 24 Stdn.
3 „ 0,75
1 „
yy
/fast ganz gel.
Der durch das Serum verliehene Schutz des Blutkörperchens
gegen die Saponinwirkung ist nach meinen Versuchen kein voll¬
ständiger, da doch eine gewisse Beschädigung der Blutkörper¬
chen durch das Saponin eintritt.
Lasst man 2 mg Saponin auf 1 ccm Rinderserum einwirken
Un gibt nach !4 Stunde 0,5 ccm Rinderblut zu, zentrifugiert und
No. 44.
Baet. lactis.
2 ccm Rinderblut -j- 2 ccm Saponinlösung 2 prom.
sofort nach
Aussaat
nach 3 Std.
nach 6 Std.
nach 24 Std.
aktiv
inaktiv
2 ccm
aktiv
inaktiv
2610
7650
Rkiderblut -
2790
7830
1080
9180
- 2 ccm CIN
126
8230
9 010
46 080
a Lösung 0,78
48 1
46 800 ;
cn
cn
proz.
cn
JrJ a c. typhi,
2 ccm
Hammelblut -f~ 2 ccm Saponinlösung ]
prom.
sofort nach
Aussaat
nach 3 Std.
nach 6 Std.
nach 24 Std.
aktiv
inaktiv
155
3650
87
48 700
59 400
cn
cn
- I CA
2 ccm Hammelblut, + 2 ccm 01 Na-Lösung 0,78 Proz.
aktiv
inaktiv
167
3730
3
40 770
0
53 750
t/3
CA)
) H. Büchner: Ueber den Einfluss der Neutralsalze auf
Serumalexine, Enzyme, Toxalbumine, Blutkörperchen und Milz¬
brandsporen. Arch. f. Hygiene 1803, S. 139.
2
1830
MUElSfCHENER MEDICINI SCITE TV OCIIEN SGIIRII T.
No. 44.
Diese Versuche lassen kaum eine andere Erklärung zu, als
dass hier das Austreten der Zellinhaltsstoft'e aus den roten Blut¬
körperchen die Ernährung der Bakterien begünstigt und c arm
die bakterizide Aktion zurückgedrängt hat.
Nach diesen Feststellungen wurde versucht, auch innerhalb
des Tierkörpers die durch Saponininjektion eingetretene V er-
minderung des bakteriziden Vermögens und damit die gemmder e
Resistenz gegen Infektion nachzuweisen.
Die ersten Versuche wurden an Meerschweinchen angestellt,
die 1 mg Saponin subkutan erhielten und 6 Stunden darauf
mit Milzbrand infiziert wurden, während je ein Konfrontier
Saponin, ein anderes nur Milzbrand erhielt. Die Tiere starben
fast gleichzeitig in allen 4 Versuchsreihen, so dass ein beschleu¬
nigender Einfluss durch das Saponin nicht zu erkennen war,
trotzdem das nach dem Tode entnommene Blut, des Saponintieres,
mit Kochsalz vermischt, Auflösungserscheinungen zeigt» . . u
fallend war nur, dass das Milzbrandödem bei den Saponintieren
fehlte.
Weitere Versuche wurden an Kaninchen gemacht, die 1 mg
Saponin pro Kilogramm Tier bekamen und zwar intravenös (m
die Ohrvene eingespritzt); 20 Stunden darauf wurden dieselben
Tiere mit Schweineseuche infiziert, während je ein Kontrolltier
nur Saponin, ein anderes nur Schweineseuche erhielt. Die mit
Saponin und Schweineseuche behandelten Tiere gingen durch¬
schnittlich um 48 Stunden früher ein, als die mit Scliweine-
seuche allein infizierten. Die Saponinkontrolltiere blieben am
Leben.
Tabelle VIII. _ .
Kaninchen
Saponininjektion
Sehweinesem he
6. II. 3 U. n.
6. II. 3 U. n.
13. II. 3 U. n.
13. II. 3 U. n.
24. II. 3 U. n.
24. II. 3 U. n.
3. III. 3 U. n.
4. III. 3 U. n.
14. III. 3 U. n.
7. II. 10. U. v.
7. II. 10. U. v.
H.
14.
II.
II
25. II.
25. II.
4. III
4 III.
5. III
5. III.
10 U.v.
10. U. v.
10. U. V
10. TJ. v.
10. U.v
10. U. V.
10 U. v.
10. U. v.
lebend.
7. II. 2 TJ n.
8. II 8U.fr.
lebend.
17. II. 4 U. n.
19. II. 10 U.v.
lebend.
28. II. 8U.fr.
3. III. 8U.fr.
15.111. 10. U.v.
15.111. 10. U.v.
7. III.
10. III.
10.111.
11. 111.
4 U. n.
10 U.v.
4 U. n.
fr.
16. III 8 U. fr
18 III. 10U.fr.
Da die Tiere, welche Saponin allein erhalten hatten, munter
blieben und sogar teilweise an Gewicht Zunahmen, so ist die
Saponinwirkung an sich hier nicht das entscheidende. Man
kann vielmehr nicht umhin, da in allen Versuchen, in denen die
Tiere Saponin und die Bakterien der Schweineseuche erhalten
hatten, der Tod früher erfolgte, diese Wirkung auf eine Kom¬
bination der Saponinwirkung mit der Infektion zurückzuführen,
und nach den vorausgegangenen Versuchen über die Vermin¬
derung der bakteriziden Aktion in vitro bleibt das wahrschein¬
lichste, dass auch im tierischen Organismus selbst die Auflösung
der roten Blutkörperchen die Ernährung der Bakterien begün¬
stigt und damit die bakterizide Aktion erschwert hat. Es ist
aber durchaus nicht notwendig, dass nun auch jedes hämolytisch
wirkende Gift oder Saponin, mit jeder Infektion kombiniert, die
gleiche Wirkung auslöst. Meine negativen Versuche nnt Milz¬
brand deuten darauf hin, dass die Art der infizierenden Bakterien
hiebei entscheiden kann, und Rosatzins”) negative \ ersuche
mit Toluylendiamin und Glyzerin zeigen, dass auch die
Art des hämolytischen Giftes wesentlich in Betracht kommt.
München, den 20. Juni 1902.
°) Rosatzin: Untersuchungen über die bakterientötenden
Eigenschaften des Blutserums und ihre Bedeutung für die ver¬
schiedene Widerstandsfähigkeit des Organismus II. Teil. Zur
Lehre von den Geschwülsten und Infektionskrankheiten i . Lot.
Dr. O. Lu bar sch, Wiesbaden 1899.
Aus der medizinischen Klinik zu Bonn (Direktor: Geheimrat
Prof. Dr. Schultz e).
Ueber Pleuraergüsse bei Herzkranken.
Von Dr. Jos. Esser, Assistenzarzt.
Unter obiger Ueberschrift weist D. Gerhardt1) an der
Hand von 7 Krankengeschichten auf eine Art von Pleuraergüssen
bei Herzkranken hin, die, eine mehr selbständige Stellung im Ge¬
samtkrankheitsbilde einnehmend, sich vorwiegend bei Herz-
muskelerkrankungen finden, meist die rechte Brustseite betreffen
und trotz häufiger Punktionen und Digitalisverabreichung sehr
hartnäckig weiter bestellen bleiben. Nehmen wir die neueren
deutschen Werke über Herzkrankheiten zur Hand, so finden wir
über diese Art von Pleuraergüssen nur ungenügende Angaben.
R o m b e r g 2) spricht nur von einer Kombination von ex¬
sudativer Pleuritis und Hydrothorax bei Herzkranken, die sich
durch eine auffällige Verschiedenheit der Flüssigkeitsmengen m
beiden Pleurahöhlen kundgäbe. „Die Stauungspleuritiden“ heisst
es weiter, „verlaufen oft noch torpider als die Broncho¬
pneumonien Herzkranker.“ . _
K rehl 3) erwähnt ebenfalls nur die Kombination von Pleu¬
ritis und Hydrothorax, und bei Jürgensen4) lesen wir die
Notiz : „Transsudate — Hydrops pleurae — sind bei den höheren
Graden der Herzschwäche etwas Gewöhnliches. In der Regel
aber sie hat öfters Ausnahmen — finden sich die Ergüsse doppel¬
seitig. Aeltere Verwachsungen auf einer, freie Verschiebbarkeit
der Pleurablätter auf der anderen Seite, dann eine Körperhal¬
tung, welche die Schwerkraft vorwiegend in einer Richtung zur
Wirkung kommen lässt — das sind die Bedingungen, unter deren
Herrschaft die Abweichungen vom Gewöhnlichen entstehen.“
Wir sehen, einer Sonderstellung sind Pleuraergüsse bei Herz¬
kranken von den bisher zitierten Autoren wohl nicht gewürdigt;
eingehender sollen sie nach Gerhardt in einer auf
Huchards Anregung entstandenen These von F. Robert
(Paris 1897) besprochen sein. Nach dessen Ausführungen sollen
allerdings die meist rechtsseitigen Pleuraergüsse Herzkranker
vorwiegend bei Aortenklappenfehlern und Krankheiten der auf-
steigenden Aorta oder des Aortenbogens Vorkommen.
Durch die Arbeit D. Gerhardts veranlasst, machte kurz
nachher O. Rosen bach darauf aufmerksam, dass er schon seit,
langer Zeit diese Komplikationen bei Herzkrankheiten verfolgt
und ihre diagnostische und therapeutische Bedeutung ver¬
schiedentlich '') literarisch hervorgehoben habe. So lesen wir z. B.
in seiner Monographie über „die Erkrankungen des Brustfells“
in Nothnagels Spez. Pathologie u. Therapie auf S. 98: „Bei chio-
nischer Muskelerkrankung des Flerzens, die sich ausnahmsweise
noch nicht durch erhebliche allgemeine Symptome dokumentiert,
kommt auffallend häufig ein rechtsseitiger, langsam steigender
Erguss in der Pleura vor, an den sich erst nach längerem Be¬
stehen Oedem der Beine, stärkere Leberschwellung und erst viel
später auch ein linksseitiges Transsudat der Pleura anschliesst“.
Die Aetiologie dieser eigentümlichen Pleuraergüsse ist bis¬
her dunkel.
Gerhardt meint, dass es sich schwerlich um einfache
Stauungstranssudate als Folge der Herzschwäche handele. Da¬
gegen spräche der Mangel oder doch die viel geringere Entwick¬
lung anderer Flüssigkeitsansammlung im Körper, ferner der hart¬
näckige Verlauf und das ständige Wiederanwachsen des Ergusses
auch bei guter Diurese. Das auf der Grenze zwischen dem bei
entzündlicher und dem bei hydropischer Flüssigkeit stehende
spezifische Gewicht könne auch nicht zur Entscheidung hei an¬
gezogen werden. Er neigt zu der Vorstellung, dass diese Ergüsse
eine Mittelstellung einnehmen zwischen Trans- und Exsudaten.
Auch nach Rosenbach gehören diese Ergüsse, wie der Ver¬
lauf der Erkrankung lehre, wohl ebensowenig ausschliesslich in
die Kategorie der Pleuritis, wie in die des Hydrothorax, wohin-
9 I>. Gerhardt: Deutsche Aerzteztg. 1901, H. 1.
*) It o m b e r g: Ebstein-Schwalbes Handbuch d. prallt. Mod.
Bd. I. 8. 706. . „_r
9 Ivrehl: Nothnagels spez. Pathol. u. Therapie Bd. XV,
I. Teil. V. Abteil., S. 122.
4) Jürgensen: Nothnagels spez. Pathol. u. Therapie
Bd. XV, I. 'Teil, I. Abteil., S. 158. (
9 O. Bosen bach: Münch, med. Wochensohr. 1901, S. o34.
°) O. Rosenbach: a) Nothnagels spez. Pathol. u. Therapie
Bd. XIV, I, S. 98; b) Eulenburgs Realencyklopädie, III. Aufl.,
Artikel: Hydrothorax, Bd. XI, S. 171.
4. '.November 1902.
-M_LK ~X ( 1 1 I:xi':r tMEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
7 m l V 1 d " R 2 b 6 r tj nachdcm cr Infarktbildung in der
Lunge, Einfluss einer Stauungsleber und Kompression der Verna
azygos als recht unwahrscheinliche Ursachen eines solchen Er
gusses zuruckgewiesen hat, .sich für ihre Entstehn, g au (LVl
e.nes von der Aortenwand auf die Pleura übergreifenden chrö
rnsch entzündlichen Prozesses ausspricht. Gerhardt steht letz-
eiei Annahme nicht völlig ablehnend gegenüber, erwartet aber
von IeuUeret ■1UT'lt U1 Che Entstehungsweise dieser Ergüsse
lon Sektionsbefunden. ÖUÖtw
Solche stehen mir nun von 3 Fällen zu Gebote und sie
PnthneU’ W1G f ß.aube’ emig6S Licht in die bisher noch dunkle
^aergüsse bei Herzkrank
1831
9. s'ss ?'V
Klinik behandelt wurde. " XL 1 01 111 hlesiger medizinischer
auamnesShenlchtf' BesoSekTnnzuglben ‘V,™ M11''’*
jor seiner Aufnahme wieder einer Verschlimmerung Platz iimcht“
£ ääS
~ IÄ?
“Sr°SDte SÄ1'^ ,M'mn mässl*em Ernährungs:
S. mttSgf o1Sem.,St ***»* Cyan',tlScl1- ”>■ Uutcr-
Die Atmung ist dyspnoisch (Anzahl der Atemzüge 24 nro Min i
Die Lungengrenze stellt vorn rechts im G. Interimstalrau hinten
lechts an der 8. und hinten links an der 10. Kippe liier ist sie
ma wenig hinten rechts gar nicht verschieblich Ueber der ge
dampften Partie hinten rechts unten ist das Atem-eräilsch auf’
gehoben, sonst vesikulär mit diffusen giemenden Nebengeräuschen'
?eXgbisAzurriec^LBSftSPlUTn- ^ HeBdtoÄÄ
inius uis zum lechten Stemalrand, nach links 2 cm qnwwhüih
!-nmn ;UaminurIip-M’ W0Selbst der Spitzenstoss im 5. Iiiterkostal
GalopprhAdhimistUlistai' i10/' • Dle Herztätigkeit zeigt deutlichen
t a eiTT unf.e8elmässig und beschleunigt
ti-u l uise pio Mm.). Die Herztone sind leise, dumnf- an der
Herzspitze hört man ein systolisches Geräusch und über der Pul
monalis keine Verstärkung des 2. Tones. u1'
Im Abdomen ist ein mässiger Aszites nachweisbar. Die Leber
ist aXtSr1 Rippenbogen; eine deutliche Pulsation
, ,Pie ^rilz ist nicht palpabel. Der Urin enthält Albumen in
zelte bv«wnge’ifeiner ,fm(len sicb iu ihm mikroskopisch verein¬
zelte hjalme und granulierte Zylinder.
nissen™ Nei'vensysteru entspricht der Befund normalen Verhält-
TTnfü!Cb°n.“ach 5 Ti agen fühlte sich der Kranke bedeutend besser
IfJlf1 Pigitahs und Bettruhe sind die Oedeme an den Beinen fast
olh& geschwunden, das Atmen ist beschwerdefrei, die Urinmenge
hat ion oOO bis auf 3100 ccm zugenommen und der Urin ist frei
gW VV(?1SS ^md Formbestandteilen. Der Befund am Herzen ist,
• »gesehen von einer geringen Verlangsamung der Herztätigkeit
4er gleiche geblieben. Die Lungengrenze hinten ?echts unten
• ttht nach wie vor an der 8. Rippe. Die Leber überragt den
Rippenbogen etwa 3 Querfinger breit
stelbmf^r °ilK;S Mo^es blieb der Zustand leidlich, dann aber
nip iL f wieder stärkere Herz- und Atembeschwerden ein.
Die Dampfung hinten rechts stieg höher, während links die
Punktionen11^ d^10- RiPPe blieb- Auch nach mehrfachen
L, iv \Per fChten PKuraliöhle und Verabreichung von Digi-
‘ iSn1,1Uretm GtC' batte (las Flüssigkeitsniveau bald wieder die
errebld11^ scblles*llch eiüe Höhe bis zur Mitte der Skapula
öe« Ac ’-fals sf Zunahme der Oedeme an den Beinen und
üdefe ^ • allmaüllch auch ein linksseitiger Hydrothorax aus-
L miete. Bei der 1. Punktion wurden über ly2 Liter einer klar
Dm SttU- FlllSSlgkeit mit einem spez. Gewicht von 1013 entleert
trnt Tl*nler n£h“ Jetzt mehr und mehr ab und schliesslich
tiat am 19. XI. 01 der Exitus letalis ein.
Die Körpertemperatur schwankte zwischen 3G und 3G 5 0
Hoi-vn i • einf' klinischen Vorstellung Anfang November von
T.>i-, peheimrat Schnitze gestellte Diagnose lautete auf eine
p la ukmig des Herzmuskels mit eventueller Beteiligung des
Endokards und den erwähnten Folgezuständen. Aus dem Sektions-
bebe.,lcb folgendes hervor: Hypertrophie und Dilatation
Si- ,\eiRrikel: Herzmuskulatur makroskopisch trüb, mikro-
stHmu T? 1 V’ neben fettiger Degeneration diffus zerstreute, inter-
vrmiov Herderkrankungen; geringe Endocarditis verrucosa am
T . i en Mitralzipfel; Aortenwand ohne Abnormität; Stauungs-
in?n/e, 'Heber, -Niere, -Milz; in beiden Lungen mehrere bis wal-
mssgrosse Infarkte; die Pleuren blank; die Lym p li drüsen
•> in rechten L u n genhilus beträcli tlic h ver-
grossert (einige über walnussgross), äusserst
r'i,“”??, schwarz pigmentiert; am linken
»enhilus nur wenige, kaum bohnengrosse,
nicht völlig indurierte Lymphdrüsen- auch die
u n d vorh ä r t e t“ Mediastlnaldrüsen ve’rgrössert
Bei dem zweiten Falle handelt es sich um einen 32 Tab re
To™ nmff ?OT vom 2li 1X' 1901 M» ™"Seinem
-Lode am 11. I. 02 in der hiesigen medizinischen Klinik befand
?mTHA?Dfime gab er aa> dass seine Eltern, 64 iSp!
l . ‘ 11 ? aR, beRle am „Herzschlag“ gestorben seien. Er selbst
hat, soviel er sich zu erinnern weiss, in der Kindheit nur Masern
daan wahrend des Feldzuges 1870/71 gastrisches Fieber Gehabt
und will sonst stets gesund gewesen sein bis zum Aprif 1901
Bei angestrengter Tätigkeit habe er immer gut und reiJhl ch ae
lebt, doch me übermässig getrunken. 11CÜ ge
, V,11 April 1901 bekam er plötzlich in einer Nacht einen starken
Ant«11 von Atemnot mit Schmerzen in der Herzgegend In der
° sollen sich derartige Anfälle meist Nachts doch snäter
auol, am Tage wiederholt haben, nnd zwar in immer küraeren
Zwisehemaumen, so dass sie sieh in den letzten Wochen vor seiner
Aufnahme in die Klinik fast jede Nacht einstellten. Dazu ge-
sdlte sich Herzklopfen, ferner Husten mit etwas Auswurf Annetit-
losigkeit und allgemeines Schwächegefühl. Seit etwa 4 Wochen
vor seinem Eintritt in die Klinik sollen auch die FüZe nameSlicS
Abends häufiger angeschwollen sein. Der Kranke ist ein grosser
ter Herr in ziemlich gutem Ernährungszustand
geii4ef Oedema 1St ’ Über den Knöcbelu ündet sich ein
Die Atmung ist anfallsweise beschleunigt (28 pro Min) und
erschwert. Die Lungengrenze steht vorn rechts an der 5. hinten
lechts an der 8. und hinten links an der 10. Rippe; links ist sie
verschieblich, rechts nicht. Ueber beiden Lungen ist das Atem
ge lausch, abgesehen von den gedämpften Partien, über denen es
aufgehoben ist, vesikulär, von mässig zahlreichen giemenden und
rasselnden Nebengeräuschen begleitet. Spärlicher Auswurf mit
Herzfehlerquellen. Die Herzdämpfung reicht nach rechts 1 Quer-
hnger über den rechten Brustbeinrand und nach links, 3 Ouer-
finger ausserhalb der Mammillarlinie. Der Spitzenstoss ist im
o. Hiterkostalraum eben fühlbar. Die Herztätigkeit ist reo-el-
massig, pro Min. 100 Schläge. Die Herztöne sind leise und
düng niclS^'eSartct1 S“
+1 \n einer Tagesmenge von 1000—1200 ccm gelassene Harn
Zylinder81116 maSSlge Menge von E‘weiss und spärliche hyaline
Sonst lässt sich an den Unterleihsorganen ebenso wie am
Neivensy stem kein abnormer Befund erheben. Psychisch ist der
Kranke deprimiert und neigt leicht zum Weinen, wenn er auf sein
Leiden zu sprechen kommt.
\\ ährend etwa zweier Monate blieb sein Zustand, abgesehen
her mm'm dauernder subjektiver Besserung, im wesentlich objektiv
dei gleiche. Dann aber kamen die Anfälle von Atemnot Beklem-
Schmerzen in der Herzgegend immer Mufigfr.
Trotz mehrfacher Punktionen nahm der rechtsseitige Hydro-
tliorax immer wieder zu. — Bei der ersten Punktion hatte die ent¬
leerte klar seröse Flüssigkeit das spez. Gewicht 1010 — Die
vorübergehend geschwundenen Oedeme an den Beinen wurden
starker, zu dem rechtsseitigen Hydrothorax gesellte sich ein links¬
seitiger und allmählich bildete sich ein Aszites aus
Der Kranke delirierte viel und am 11. I. 02 trat der Tod ein
Fieber war wahrend des ganzen Krankheitsverlaufes nicht vor-
Jmnden. Die klinische Diagnose lautete auf Myodegeneratio als
ursächliches Leiden.
Bei der Sektion war das Herz in allen Teilen vergrössert-
m der hypertrophischen Muskulatur Hessen sich makroskopisch
vorne Herderkrankungen erkennen, dagegen erwies sie sich mikro-
skopisch in diffuser Weise von kleinen interstitiellen Rundzellen-
lnfiltrationen durchsetzt. An der Aorta fand sich geringe Intima-
veiuickimg. Die Koronararterien waren durchgängig, nicht sklero-
siert. Die verschiedenen inneren Organe zeigten einfache Stau-
ungs Veränderungen. In den Lungen, von denen namentlich die
rechte, vrnl weniger die linke komprimiert war, fanden sich keine
Infarkte.
Wiederum waren die rechtsseitigen Hilus-
df'usen stark ver grosse r t, fast steinhart, sch w a r z
pigmentiert, mit verkalkten Partien, wohin¬
gegen sich am linken Lungenhilus nur wenige
kaum haselnussgrosse, sukkulente Drüsen
fände n.
Tv E,in dritter, erst jüngst nur kurze Zeit klinisch beobachteter
1< all betrifft einen 51 jährigen pensionierten Lehrer, der schon
2 J age nach seiner am 8. IX. 02 erfolgten Aufnahme in die medi¬
zinische Ivlinik starb.
Früher immer gesund, auch aus gesunder Familie, wollte er seit
etwa 12 Jahren namentlich nach geringen Anstrengungen Atemnot
und Herzklopfen bekommen, viel an Husten mit manchmal blu¬
tigem Auswurf gelitten und häufiger geschwollene Füsse gehabt
haben. ö
Als vor etwa einem Jahre die Beschwerden stärker wurden,
musste er seine Stellung als Schullehrer aufgeben.
Im letzten halben Jahre liess er sich von einem „naturwissen¬
schaftlich-medizinischen Privatgelehrten“ und zwar mitgebrachten
Rezepten gemäss mit homöopathischen Dosen von Strophantin
und Digitoxin Merck etc. behandeln. Als auch selbst hierbei keine
Besserung, vielmehr Verschlimmerung eintrat, liess er sich in die
hiesige Klinik aufnehmen.
Er kam mit starker Cyanose, mit ausgebreiteten Oedemen
an Armen und Beinen, mit Aszites und doppelseitigem, aber rechts
2*
1832
MUENCHENEB MEDICINISCHE WOCHENSCHBIET.
No. 44.
bedeutend stärkeren Hydrothorax. Die Lungengrenze stand vorn
rechts an der 4. Rippe, hinten rechts Mitte der Skapula, hinte
links 9. Rippe und war nirgends verschieblich. Die Atmung war
sehr erschwert und beschleunigt (pro Min. 20). Ueber den Lung
hörte man nur Giemen und Rasseln.
Am Herzen, dessen Grenze nach rechts nicht bestimmbar war
und sich links 2 Querfinger ausserhalb der Mammfilarbme befand,
hörte man bei beschleunigter (210 Schläge pro Mm.), umc„^
massiger Aktion nur leise, dumpfe Töne. Der luls i war an den
nicht " geschlängelten und nicht sklerosierten Gelassen kaum
Die Palpation und Perkussion des Abdomens ergab c^es
Aszites wegen kein Resultat. Der in äimserst spärlicher Menge
gelassene Urin enthielt ziemlich viel Eiweiss und hyaline Zyimae .
Der Befund am Nervensystem war der Norm entsprechend.
2 Tage nach der Aufnahme starb der Kranke. Als uns be¬
sonders hier interessierend fand sich bei der Sektion ein in aRen
seinen Teilen hypertrophisches Herz mit makroskopisch^ sicht¬
barer fettiger Degeneration (Tigerung) und fleckiger Tiubung.
Mikroskopisch fanden sich ausserdem zerstreut lnteistitielle eu
zündliche Veränderungen. Im Anfangsteil der Aoita j!
mässige Intimaverdickung und -Verfettung nachzuwuse .
Lungen waren durch alte, ziemlich feste Adhäsionen au die Kostal-
pleura in ihren hinteren und seitlichen Partien fixiert, und zua
namentlich die rechte. Links fand sich ein massiger (etwa /« LteO,
rechts ein drei- bis vierfach so starker Hydrothorax (spez. Gewicht
bei einer Punktion 1012). In den Lungen fanden sich, abgesehen
von den durch Stauung hervorgerufenen Veränderungen, die a
die Abdominalorgane zeigten, und einer sehr starken Bionchit s
keine Herderkrankungen.
Noch weit stärker als in den beiden vorigen
Fällen war in diesem die Veränderung der
rechtsseitigen Hilus - und Bronchialdrus e n au -
geprägt. Durch über eigrosse, verhärtete und
schwarz pigmentierte, auf dem D ur c h s c hn i t 1
mit gelblich erweichten und mit vei kalkten
Herdchen durchsetzte Lymphdrusen w a r d e r
rechte Hauptbronchus bedeutend ko mp r i m i e r t.
Auch noch weit ins Innere der Lunge hinein um¬
fehl o s se n verdickte und schiefrig indurierte
Lymplidrüsen die B r o n c h i al v e r z w e i g u n g e n
Auch die rechtsseitigen Mediastinaldrusen
waren derart verändert, während sich linker¬
seits, wie auch in den beiden anderen 1 alle
nur einige kaum haselnussgrosse, derbe, pig¬
mentierte Drüsen vorfanden.
Diesen, klinischen und pathologisch-anatomischen Befunden
gemäss haben wir in allen 3 Fällen hei Herzmuskelerkrankungen
(im ersten neben einer Endokarditis) einen rechtsseitigen lesp.
rechtsseitig stärkeren Hydrothorax und gerade auf der Seite des
stärkeren Ergusses im Brustraum hochgradige Lymphdrüsenver-
änderungen.
Zunächst wäre nun zu erörtern, warum sich diese Pleura¬
ergüsse am häufigsten bei Erkrankungen des Herzmuskels vor¬
finden. Ich glaube, weil gerade Herzmuskelerkrankungen über¬
haupt früher und häufiger als Herzklappenerkrankungen zu den
verschiedenen Arten der Eymphstauung V eranlassung geben,
letztere eben nur dann, wenn wiederum der Herzmuskel aus
irgend einem Grunde insuffizient wird. So fand sich denn auch
z. B. bei den von Gerhardt (1. c.) aus der Strassburger
Klinik beliebig herausgegriffenen 150 Klappenfehlerkranken
29 mal Hautödem und Höhlenhydrops, 19 mal nur Hautödem und
10 mal nur Höhlenerguss, wogegen bei 119 Herzmuskelerkran¬
kungen die betreffenden Zahlen 44, 19 und 9 betrugen, also
38,6 Proz. gegenüber 60,5 Proz.
Eine andere Frage ist die, warum diese Ergüsse in die Pleura
überwiegend rechts Vorkommen. Der Pleuraraum ist als ein
grosser lymphatischer Baum aufzufassen, in dem die zum Zweck
des leichteren Auseinandergleitens der Pleurablätter unter nor¬
malen Verhältnissen in geringer Menge enthaltene 1 Bissigkeit
einem steten Wechsel unterworfen ist. Der Flüssigkeitsstrom
geht hierbei wahrscheinlich von der pulmonalen zur kostalen
Pleura (G r o b e r 7). Nun geht nach Henle8) gerade rechter¬
sei ts die Ly mph (Bissigkeit aus der inneren Auskleidung des
Thorax in einen Lymphdrüsenstamm, den Truncus broncho-
mediastinus, in den unter anderem auch die Vasa efferentia dei
Bronchialdrüsen führen. Linkerseits gehen die Vasa efferentia
dagegen der Begel nach direkt in den Ductus thoracicus, doch
kann auch links ein Truncus bronchiomediastinus aus¬
gebildet sein.
7) Grober: Zieglers Beiträge z. pathol. Anatomie u. allg.
rathol. Bd. XXX, S. 267 u. ff. TTT
6) Henle: Handburch der Anatomie des Menschen Bd. Ill,
S. 438.
Ist nun infolge von Entzündungen etc. eine völlige y er-
ödung und Verlegung der Drüsen und Lymphgefässe . einge¬
treten so führt diese allein nur äusserst selten zur Entwicklung
eines Oedems, weil ausserordentlich zahlreiche^ Anastomosen
helfend eintreten können, ferner ein direkter üebergang der
Lymphe in das Blut stattfindet.
Anders liegen aber die Verhältnisse in den Fällen, wo ein
lokales Hindernis in den Lymphbahnen sich zu einer Schwache
der auch die Lymphe treibenden Herzkraft gesellt. Die Druck¬
erhöhung in den Venen behindert dann den direkten Uebertntt
von Lymphe in die Blutbahn, bedingt vielmehr erhöhte Trans¬
sudation, und dabei ist der andere Weg durch die Lymphbahn
zum grossen Teil verlegt. Genügend ist durch letzteres mecha¬
nische Moment meiner Ansicht nach auch die Hartnäckigkeit
der Ergüsse erklärt; und schliesslich dürfte es auch verständ¬
lich sein, dass sich bei dem langen Bestehen der Ergüsse nach
den Gesetzen der Endosmose ein für einfache Stauungstrans
sudate hohes spezifisches Gewicht einstellt. Dass endlich gerade
bei Herzkranken infolge der chronischen Bronchitiden auch die
Bronchialdrüsen in Mitleidenschaft gezogen werden, und zwar
unter Bevorzugung der auch sonst, z. B. bei Tuberkulose, meist
rechts stärker als links befallenen ), bedarf nur einer kurzen
Erwähnung.
Meinem hochverehrten Chef, Herrn Geheimrat S ch u 1 t z e,
spreche ich für die Ueberlassung der Fälle und die Durchsicht
der Arbeit meinen herzlichsten Dank aus.
Aus der Bostocker chirurgischen Klinik (Prof. Garre).
lieber parenchymatöse Magenblutungen.
Von Dr. Ernst Moser in Zittau, früherem Assistenten
der Klinik.
Bei dem allgemeinen Interesse, das den parenchymatösen
Magen- und Darmblutungen heutzutage entgegengebracht wird,
dürfte sich die Besprechung selbst einzelner einschlägiger Fälle
ohne weiteres rechtfertigen. Ich teile deshalb in folgendem einen
Fall mit, der noch unter Herrn Geheimrat Garre in der
Kostocker Klinik beobachtet wurde. Eine Beihe von un¬
vorhergesehenen Ereignissen hat die Mitteilung verzögert.
Die Krankengeschichte gebe ich aus den Beobachtungen der
Bostocker medizinischen und chirurgischen Klinik im Aus¬
zuge.
Am 22. X. 1897 wurde der 41jährige Taglöliner Wilhelm S.
in die medizinische Klinik (Geh. Ober-Med.-Rat Thierf eldei)
aufgenommen. Er will früher stets gesund gewesen sein und
meint, dass seine jetzige Krankheit dadurch veranlässt sein könne,
dass er Johanni 97 in erhitztem Zustande kaltes Quellwasser ge¬
trunken habe. Er hat damals Schmerzen in der Magengegend,
LTebelkeit und schliesslich Erbrechen gehabt. Die Beschwerden
haben seit der Zeit angehalten. Die Schmerzen waren unabhängig
vom Essen, dauerten oft einen ganzen Tag; an anderen Tagen
wiederum war Pat. vollkommen schmerzfrei. Das Erbrechen er¬
folgte stets 1 — 2 Stunden nach dem Essen; blutig oder kaffeesatz¬
ähnlich soll es nie ausgesehen haben. Oefters dagegen hat Pat.
Aufstossen, verbunden mit salzigem Geschmack. Saueres hat er
gar nicht mehr vertragen können. Der Stuhlgang soll in den letz¬
ten Wochen vorübergehend schwarz gewesen sein. Durchfall
wechselte dabei mit Verstopfung. Allmählich ist Pat. abgemagert
und blass geworden. Der Bauch soll dagegen auch nach Ansicht
des Arztes angeschwollen gewesen sein. An vermehrtem Durst
hat Pat. zeitweise gelitten.
Aus dem Status der Aufnahme wäre zu erwähnen, dass Pat.
mittelgross und von gutem Knochenbau war, Muskulatur massig,
Fettpolster gering. Von Seiten der Lunge und des Nervensystems
keine Besonderheiten, Herztöne rein, Puls 56 — 72. Das Abdomen
ist im Mesogastrium teilweis vorgewölbt. Im rechten Hypo-
chondrium Druckempfindlichkeit. Gleich am Tage der Aufnahme
erbrach Pat. % Topf voll, später nochmals H Topf voll.
23. X. Probefrühstück. Exprimiert wurden 400 ccm gut zer¬
kleinerten Inhalts. Freie Salzsäure +, Milchsäure — . Gesamt¬
acidität = 50 Proz., freie Salzsäure 35.
24. X. Nüchtern 400 ccm einer sauer riechenden, trüben,
wässrigen Masse exprimiert, deren Gesamtacidität = 68 Proz. ist.
Milchsäure — , freie Salzsäure -|— Nach dem Exprimieren ver¬
schwanden die Schmerzen bis zum Mittagessen. Am Nachmittag
wieder 100 ccm erbrochen.
25. X. Nachts wegen Schmerzen nicht geschlafen. y2 Dipl
voll erbrochen. Abends iy2 Glas voll exprimiert. Hinterher Spü¬
lung des Magens. Ord.: Natr. bicarbon. 30,0, Rhizom, zing. 3.6;
i/o Theelöffel voll nach jeder Mahlzeit.
I 9) E s s e r: Münch, med. Wochensehr. 1902, S. 356.
4. November 1902.
» Ä” etwas Bitten kaP 'Ä t? ocT" •**?
Gesamtacidität = 50 Pros. Ausspülung expmmert.
. breiten unter den Nabel. 1 leicllt ^ — 3 Finger¬
kleinerten Inhalts Cmi?e Flöckchen ^^eronnener1 MnSjiCh gUt -zer'
Gesamtacidität = 39 Proz. Milchsäure expnmiert.
wurde. X' °Ut geschlafen> obwohl gestern Abend nicht exprimiert
3. XI. Dauernd beschwerdefrei. Wünscht mehr zu essen
o XI. Expression nach Probefrühstück (Tliee und JSw
ergibt einen Esslöffel voll trüb gelblicher Fl iss - Z^lebacb)
acidität = 24 Proz. Salzsäure + lussigkeit. Gesamt-
Zunehmender Appetit bei fester Kost.
hntnri^h ni Abdomen nirgends druckempfindlich. Magen ner
kutonsch nicht vergrossert. Entlassen. gen pei
Nach seiner Entlassung fühlte sich Pst wr>i,i m 0
ö swn rat. wohl bis zum Sommer
ä iävSHsHSSt?
ÄfpSSS
letztei /eit. Appetit schlecht, Durst gesteigert Ci . ,L
Schmerzen Tknr»r>i-*-pr»n * 1, . oClilHt (luicli
gestört, Durchfall wechselt mit Verstopfim«- nb Auf.
ahme in die medizinische Klinik am 21. XII. 1899 ^ Schlechter
Ä;
04 Au/ Einlauf erfolgt schwarzer Stuhlgang.
ISVauf' M™h ’o 0l“ritf'
„* * *> * » “ *
Ä ° Ä & r Erbrechen
aber ohne Blutbeimengung. Gegen 4 Uhr wird wieder B 1 n t er’
a Ä,sr « ^
Ord. f'NiihrM, Stere“ im Eplgastrlum' Ke,ne Uebellret mehr.
11- I* Pat. erholt sich wieder.
milch.2' L Keine Schmerzen’ auch nicht beim Trinken von Eis-
im bS: L . Gestern gegen 10 Uhr bekam Pat. heftige Schmerzen
rSzEEStdeT’siche an? allm^HCh Steigerten- EanftralS
9 ITh,. ff rf'ih «K 1 ^ e1lne MorPhiumgabe etwas legte, gegen
: 1 ln 1 ruh a*>er zum Erbrechen von 50 ccm s. t a r thi ,7 t
£«,Sr,Ä * öS Blntbrecben LSrte SfrSÄ S? T™
SÄ 5S?äs- -«• Ä
nach1BeIwegungenBb,nb4<: '»«“ -'««erU.U .leb, besonders
vcriett La Gf°.sle Mattigkeit. Pat. nach der chirurgischen Klinik
(Pmf^Garfll rm rUfige-r Morphin-Aetliernarkose Operation
U ior haiie). Laparotomie in der Mittellinie zwistou n
T* “er Magen !
dickimeen n? 1 SICh frische Blutungsspuren oder Ver-
Perm f V Dagegen zei^en sich kleine weissliehe Stränge in der
%rjrT Kuryatur, und besonders in der' Pyloris-
gegend. Gastioenteroanastomosis posterior retrocolica ' nach
1ßCT imit dreifac‘her Nahtreihe. Bauchdeckennaht.
Befinden. c merzen unter der linken Schulter, sonst leidliches
Jo {• ScWechtM Aussehen. Ansteigen des Pulses auf 132
peratm- 38 o erschlecliterung des Pulses (bis 150). Tem-
ausspülung ’ ’ brechen gaIlig ^färbter Flüssigkeit. Magen-
19. I. Exitus letalis.
tone ^^Bon^iro tokoll^.)1 V"in ^er^ U mgebung der WuSe^a's Perf
S“* freie Flüssigkeit. Nacb Entf emung ÄZ*
SSÄ1« kollabiert, die zutührenV SÄS" Bei
SSÄ8» dH W?“ ist d 1 1 V ^ iÄ£
die'o dt' 1 ' “V P» “ 0 P d Vo^ Ringen ‘ £ £
In derfpvT8 111 den Darm 8'ut für einen Daumen durchgängig
einer HÄfl- Tiehllte Verwachsungen in der Grösse
Handfläche. Die Magenschleimhaut ist blass, teilweise
No. 44.
MTEm-IIEXER MEDICtNISCIIE WOtHTErnnnmeT
1833
, . fh ®™n'1 ,k:r immerhin reichlichen Magenblutung waren
ei der Obduktion nur 4 punktförmige Blutstellen gefunden
worden, von denen nur eine einen flachen Epitheldefekt zeigte'
Auch die weitere Untersuchung dieser Stellen hat gar nichts bei
d“ Lebe7sf e“tst“d™ nun diese Blutungen während
lieh E-nh 1 Sei‘S genü*fellde Erklärung zu geben ist nicht mög-
hch, lch mochte nur versuchen, einige Punkte näher zu be-
leuchten und ihre Bedeutung hervorzulieben.
Es sei kurz auf verschiedene, uns hier interessierende Ent¬
stehungsarten von Magenblutungen hingewiesen.
Experimentell konnten hämorrhagische Erosionen im Magen
nach Unterbindung der Pfortader erzeugt werden (Müller)
Biese Entstehungsart ist ja erklärlich. Viel schwieriger ist die
Deutung der viel herangezogenen Schiff sehen und E b s t e i n-
VppW VerSUCht T>DlGSe Autoren konnten bei Kaninchen nach
\ erletzung und Beizung gewisser Hirnteile (Einseitige Durch-
schneidung des Thalamus opticus und der PeduncuH cerebri
Ibchitf], Läsionen der vorderen Vierhügel, Verletzungen des
lokal vei+teib Markb Und ^ °beren Teils des Rückenmarks)
Wn h - am°T f 8Che Infiltrationen der Magenschleimhaut
NeZ»rag?- r Au,ch"ach wiederh°R- Beizung peripherer
Nerven Hschmdmus), ferner durch Durchtrennung des Ischiadi-
cus hoch oben konnten dieselben Veränderungen im Magen ge-
funden werclen.^ F. v. P r e u s c h e n stellte auch derartige
IV i?11’ mdTp er (-üu’omsau reherde im Gehirn anlegte,
danach sah er rni Magen m dreifacher Weise Veränderuno-en
aiif treten. Einmal fand er etwa steeknadelkopf- bis hanfkom-
giosse Extravasate m der Schleimhaut, besonders an der Kardia
und am h undus (beim Kaninchen!), in anderen Fällen fand er
die Extravasate dem Verlauf der Gefässe folgend, in noch anderen
hallen schliesslich nur einzelne Blutextravasate von 1—2 cm
Lange. Blieb das Versuchstier am Leben, so konnte es wieder
spater durch Arrosion der diese Stellen bedeckenden Schleim-
naut zu beträchtlichen Blutungen kommen.
V- ? r 6 Uf n und Pomorski erklären das Auftreten
on Melaena deshalb als Folge von Hirnblutungen, auch Gärt-
11 6 dieSer Ansicht für einen Teil der Melaenafälle.
\Y ahrend die früheren Experimentatoren erst nach einer
Keine von^ Stunden diese Blutaustritte fanden, konnte v. Preu-
se ien sie schon 214 Stunden nach der Hirnverletzung fest-
steilen. unwillkürlich wird man dadurch an die Mitteilung
3. Kruegs erinnert, der Blutbrechen bei Paralytikern kurz
nach Verstandenen Anfällen oder ärgeren Aufregungs-
zustanden auch bei. anderen Geisteskrankheiten konstatierte.
lese Blutergüsse bei der progressiven Paralyse, die K r u e g be-
schneb, sind rein parenchymatöse. Das Blut wurde oft direkt
auf die. freie Oberfläche der Magenschleimhaut ergossen, be¬
sonders m der Pylorusgegend. In anderen Fällen fand er Blut¬
ergüsse neben den Gefässen der Mukosa und Submukosa, mit
seröser Durchtränkung der letzteren. Ein weiteres überein¬
stimmendes Moment zwischen den Erscheinungen bei der pro¬
gressiven Paralyse und solchen nach Hirnverletzungen bei
leren bilden die oft beobachteten subpleuralen Blutungen.
Es ergibt sich daraus die Notwendigkeit, bei Magenblutungen
auch stets an eine zerebrale Ursache zu denken.
Wie die Blutungen bei Verletzungen und Krankheiten des
Gehirns zu stände kommen, ist noch ganz unklar. Die Möglieh-
kmt dass die Widerstandskraft der Blutgefässwandungen und
überhaupt des Gewebes leidet, ist wohl nicht von der Hand zu
weisen, wenn auch über das „Wie“ des Zustandekommens damit
wenig gesagt ist. Bemerkenswert sind die Ausführungen von
Brosch über Buptur des Oesophagus. Dieser Autor nimmt
direkt eine Prädisposition des Oesophagus zur Malacie bei Ver¬
letzungen und Krankheiten der Schädelhöhle an.
Auch reine Neurosen als Ursache von Magenblutungen sind
beschrieben worden (Leo, Lancereaux). Lancereaux gibt
3
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
No. 44.
1834
als Kriterium der neuropathischen Blutungen an, dass sie in
aufeinander folgenden Schüben kommen, und dass sie durch ihre
Wiederholung gefährlich werden. Er fand solche neuropatlnsehe
Blutungen in den Schleimhäuten der Verdauungs-, Atmungs¬
und Harnwege, dann ausserdem in der Haut in der Nähe der
Gelenke. Sainton beschreibt gleiche Blutungen aus Ohr und
Mammilla. . ,
Dass übrigens auch bei den Blutungen auf der Basis der
Hämophilie das Zentralnervensystem eine grosse Rolle spielt,
dafür sprechen die prämonitorischen Erscheinungen vor Blu¬
tungen: Angst, allgemeine Unruhe, Schwindelgefühl, Ohren¬
sausen, Ilerzpalpitationen u. a. m. Nach Litten machen t le
Lungen-, Nieren- und Magenblutungen bei der Hämophilie nur
6 Proz. aus. Auch beim Skorbut können Magen- und Darm¬
blutungen ohne ulzerative Prozesse eintreten, oft nach Anregung
der Peristaltik durch Abführmittel. _
Nur beiläufig erwähnt seien die vikariirende.n und
menstruellen Magenblutungen, und solche, die, dem Mitte -
schmerz entsprechend, in die Mitte von 2 Perioden lallen
Auch nur kurz erwähnen will ich hier die entfernter liegen¬
den Ursachen für Magenblutungen, da sie in unserem Fall ganz
bestimmt nicht in Betracht kommen. So sind Blutungen be¬
schrieben bei Appendizitis von D i e u 1 a f o \ (meist ei
allgemeiner Sepsis!) und J. Bo ecke 1. Heber heftige Magen¬
blutungen bei chronischer Milzvergrösserung und
Chlorose in Zwischenräumen von 9 — 12 J ahren berichtet O s t e r.
Blutungen ohne Geschwürssymptome bei Cliole-
1 i t h i a s i s erwähnt Fleiner. Magenblutungen nach Gallen¬
blasenoperationen erklärt D a hl er mit Infarcierung der Magen¬
schleimhaut infolge Abbindens der adhärenten Netzstränge. Au
dieselbe Art werden die Blutungen nach Herniotomien erklärt
(Eiseisberg, Lauenstein). Blutungen bei inkarzenerten
Brüchen, die natürlich viel mehr den Darm, als den Magen be¬
treffen, erklärt Kukula in einigen Fällen durch Verletzungen
bei der Taxis, in anderen durch hämorrhagische Infarktbildung
der Darmwand infolge Kompression der Venen des Darms oder
des Mesenteriums; in noch anderen Fällen hält er Blutungen
infolge kompletter Ischämie durch Inkarzeration für möglich.
L. T i x i e r und C.Niannay konnten nach einer Hämatemesis
mit innerer Einklemmung bei der Sektion irgend eine Ver¬
letzung der Darmschleimhaut nicht feststellen. Es war allei-
dings ein E all von schwerer Allgemeinintoxikation. Preindls-
b e r g er fand bei der Sektion eines 46 jährigen, nach der Opera¬
tion einer inkarzerierten Hernie gestorbenen Mannes, der Darm¬
blutungen gehabt hatte, nekrotische Schorfe, teilweise schon ab-
gestossen, auf der Höhe der Ileumfalten, eine Lokalisation, die
früher schon II a r 1 1 u n g als besonders zu Blutungen geeignet
hervorgehoben hatte. Erinnert sei schliesslich noch an die Darm¬
blutungen, die nach längerem Ilutigern aufzutreten pflegen, die
auch einer anatomischen Unterlage entbehren.
Im Magen selbst finden ihre Entstehung die Blutungen aus
Aneurysmen der Magenarterien und aus Varicen. Einen Fall
tödlicher Blutung aus einem kleinen Aneurysma einer Magen¬
arterie bei einem 79 jährigen Mann teilt Sachs mit. Hier
fand sich in der Nähe der kleinen Kurvatur, etwa in der Mitte
des Magens, ein ganz kleines, fadenförmiges Gerinnsel, der Kuppe
einer Hervorragung in der Schleimhaut aufsitzend. Mikro¬
skopisch fand sich Aneurysma. „Dasselbe sass einer
kleinen Arterie der Submukosa gerade an einer Stelle auf, wo
dieselbe einen Bogen beschrieb, dessen Konvexität in die Schleim¬
haut hineinragte. Die Arterie war dabei so scharf abgebogen,
dass die konkave Seite geradezu wie abgeknickt erschien und eine
Art Sporn in das Lumen hineinschickte. . . . Die Kuppe zeigte
sich auch im mikroskopischen Präparat geborsten und durch eine
mit roten Blutkörperchen durchsetzte Fibrinflocke verlegt, . lieber
dem Aneurysma war auch die Schleimhaut, die der Arterie sein
dicht anlag, verdünnt und an der Kuppe eingerissen, die um¬
gebende Schleimhaut eine Strecke weit reichlich mit Rundzellen
durchsetzt.“ ,
Variköse Blutungen sind von einer Reihe von Autoren be¬
schriebenworden (Sachs, Lancaster, Le t u 1 1 e, A. Ca h n)-
Nach Sachs treten die varikösen Magenblutungen „ohne v or-
boten, ohne dyspeptische Beschwerden, ohne äusseren Anlass auf,
und es können bis mehrere Liter flüssiges Blut erbrochen werden.
Sie wiederholen sich und sind stets von auffallend rascher Wieder-
herstellung gefolgt, Symptome eines Ulcus ventriculi, eines
Karzinoms fehlen. Dagegen sind venöse Stauungserscheinungen
der Abdominalorgane, oft eine Lebercirrhose, fast stets ein zu¬
weilen sehr beträchtlicher Milztumor vorhanden. Letzterer kann
während der Blutung gänzlich verschwinden, selbst bei vorher
enormer Grösse.“ Da der blutende Varix oft sehr schwer nach¬
zuweisen ist, so hat C a h n die Ansicht ausgesprochen, dass bei
den mitgeteilten Fällen unaufgeklärter Magenblutungen es sich
möglicherweise um variköse gehandelt habe. Zum Nachweis des
Varix empfiehlt er Lufteinblasung in die Venen. Nun ist ja das
in unserem Fall nicht geschehen, trotzdem halte ich es für aus¬
geschlossen. Die Untersuchung, die seinerzeit von Herrn
Dr. Rick er angestellt wurde, ergab nichts weiter als die er¬
wähnten vier punktförmigen Blutaustritte in dm Schleimhaut,
Andere Untersucher waren auch nicht glücklicher; in einem Fal e
von Reichard konnte die Untersuchung von Stücken der
Magenwand im Laboratorium von Ewald keinerlei Verände¬
rungen nachweisen. Schliesslich sind in unserem Fall auch keine
Zeichen von Stauung vorhanden gewesen, wie Milztumor, die
gerade Cahn als pathognomonisch für variköse Magenblutung
ansieht.
Schliesslich kommen, wenn auch selten, so doch . sicher
Magenblutungen bei akuter und chronischer Gastritis vor
(Ewald, L a m b o 1 1 e). Dieser Umstand scheint mir auch
in unserem Fall nicht ganz von der Hand zu weisen. Die
Verwachsungen um den Pylorus herum müssen ja mangels
anderer Erkrankungen auf irgend welche entzündliche Prozesse
bezogen werden. Ich glaube daher, dass, obschon nichts nachweis¬
bar war, doch eine Gastritis, wenn auch nur als. unterstützendes
Moment, mit im Spiel war. Bei weitem wichtiger scheint mir
aber ein anderer Umstand zu sein, nämlich die Pylorusstenose.
Eine deutliche Stenose am Pylorus ist bei der Obduktion
ja nicht gefunden worden. Dass sie aber intra vitam vorhanden
war, beweist der anatomische Befund der Muskularishypertrophie
am Magen und zweitens der klinische Verlauf. Durch eine Reihe
von Beobachtungen ist es erhärtet, dass während des Lebens
Stenosen (meist muskuläre) am Pylorus vorhanden sein können,
ohne dass man bei der Obduktion die geringste Verengerung
findet (Ben n et). Ueber das Bestehen einer Pylorusstenose
besteht wohl kein Zweifel, wenn z. B„ wie bei dem ersten Auf¬
enthalt des Pat. in der medizinischen Klinik, 400 ccm Magen¬
inhalt früh nüchtern exprimiert werden können.
Folgen der Pylorusstenose sind Retention von Mageninhalt
und venöse Hyperämie der Schleimhaut (L a m b o 1 1 e). Aus
dieser hyperämischen Schleimhaut erklären sich die Blutaus-
tritte als Folge der Muskelkontraktionen ohne besonderen Zwang.
Hat doch Harttung Blutaustritte aus hyperämischer Schleim¬
haut im Darm auch ohne nachweisbare Veränderung der Kapil¬
laren gefunden; um wie viel leichter müssen sie bei einem Magen
zu stände kommen können, wo die Verengerung des Ausganges
immer wieder neue Muskelkontraktionen in der stets wieder mehr
liyperämisch gewordenen Schleimhaut anregt. Auch die Magen¬
kontraktionen beim Erbrechen befördern natürlich die Blutungen,
während andererseits das in den Magen ergossene Blut als
Emetikum wirkt, vielleicht sogar dadurch auch neue Pylorus-
kontraktionen anregt, so dass der Circulus vitiosus dann vol -
ständig wird. Auffallend ist jedenfalls,. dass auch Lambotte
bei seinen Fällen von parenchymatösen Magenblutungen Pylorus¬
stenosen vorfand.
Auf ähnliche Weise, Muskelkontraktion bei Hyperämie, er¬
klärt Harttung im Magen das Zustandekommen von
Erosionen, indem das hämorrhagisch infiltrierte Schleimhaut¬
gewebe nur unvollkommen oder gar nicht von Blut durchströmt
wird und somit der verdauenden Wirkung des Magensaftes
unterliegt. In unserem Fall war nur an der einen kleinen Stelle
eine Andeutung einer Erosion, und es drängt sich die Frage au ,
warum hier keine Erosion resp. Ulcus entstanden ist. . Denn
dieser früher angezweifelte Uebergang von Erosionen in Ge¬
schwüre dürfte jetzt wohl als sicher gelten (cf. z. B. Glu
zinski). Zunächst kommt es da wohl darauf an, ob das Blut
sogleich an die freie Oberfläche und in die Drüsenlumina oder
aber in das Gewebe der Schleimhaut selbst ergossen wird. Je
nachdem das Blut mehr hierhin als dorthin gelangt, kommen,
natürlich LTebergänge von grösseren Blutextravasaten, späteren
Erosionen, zu punktförmigen, parenchymatösen Blutungen vor.
4. November 1902.
Ausser der Ausdehnung der in die Schleimhaut hinein er¬
gossenen Blutmassen kommen zur Entwickelung der Erosion auch
noch andere Momente m Betracht, wie Hyperchlorhydrie oder
A.Chf !C’ ^nfW1\Ung def Bacillus lacticus u. a. m. Besonders
wird dem Catarrhus aeidus jetzt eine grosse Einwirkung auf das
Entstehen der Geschwüre zugesprochen. Ich halte es für o-ar
nicht ausgeschlossen, dass auch unser Patient in der Gefahr der
Erosions- und Geschwursbildung geschwebt hat, und dass durch
che seinerzeit bald nach der Erkrankung in der medizinischen
Jvlimk eingeleiteten Therapie eine zerstörende Wirkung des
Magensaftes auf die kleinen blutenden Stellen hintangehalten
wurde. Die Therapie bestand in Magenspülungen und Dar-
leichung von Alkalien (Natr. bicarb.). Der Abfall der Säure-
mengen vom 24. X. zum 25. X. nach der Magenspülung von
68 Proz, auf 50 Proz. und weiterhin auf 39 Proz., dabei das
prompte Aufhoren der Schmerzen sprechen deutlich für 'eine
unangenehme Aetzwirkung der Säure. Die innere Therapie hat
demnach vielleicht das Entstehen eines Ulcus verhindert, aber
nicht die Pylorusstenose beseitigt, so dass Pat. durch diese
schliesslich als letzte Ursache zu Grunde gegangen ist. Eine
entsprechend zeitiger angelegte Gastroenteroanastomose, Pyloro-
plastik oder vielleicht nur Pylorusdehnung hätte ihm meiner
Ueberzeugung nach das Leben gerettet.
Wo die Pylorusstenose herkommt, ob sie, was mir das Wahr¬
scheinlichste ist, eine durch den Magenkatarrh ausgelöste
spastische ist, ob sie eine primäre ist, lasse ich mangels Ge¬
nügender Anhaltspunkte dahingestellt. Die Sekretionsverhäl't-
msse des Magens scheinen mir nicht genügend für diese oder jene
Auflassung zu sprechen.
Jedenfalls stehe ich nicht an, auf Grund dieses unseres
I alles und der einschlägigen Beobachtungen von L a m b o 1 1 e
der Pylorusstenose einen grossen Einfluss auf das Zustande¬
kommen parenchymatöser Magenblutungen zuzuschreiben.
Die 5 Fälle Lambottes lasse ich im Auszuge folgen.
Der letzte, von ihnen ist vielleicht keine rein parenchymatöse
Blutung; jedenfalls zeigen aber alle eine Pylorusstenose.
I. 34 jährige Frau. 1892 vaginale Uterusexstirpation wegen
hämorrhagischer Metritis. Morphinismus, chronische Obstipation
Verdauungsbeschwerden. Juli 1897 reichliches Erbrechen von
irischem Blut. Bei der geringsten Flüssigkeitsaufnahme heftige
Schmerzen, gefolgt von Blutbrechen. Dieser Zustand durch
7 Wochen hindurch. Trotz rektaler Ernährung bleibt Blut-
brechen. Schmerzpiuikt im Epigastrium. Zunehmende Schwäche.
... , ° P e r a t i o n 12. IX. 1897. Keine Verwachsungen oder Ver¬
härtungen am Magen, nur starke Hyperplasie des
i yiorus und Dilatatio ventriculi. Pylorusresektion. Heilung
Am resezierten Pylorus beträchtliche Hypertrophie der Musku-
Ian*; Mukosa gesund, nur an der des Magenteils Erosionen des
II. 31 jährige Frau. Seit der letzten Entbindung vor 7 Jahren
Dyspepsie und saures Aufstossen. 15. VI. 1899. Enorme Häma-
temese mit plötzlichem Kollaps. Am 30. VII. wieder schwere Svn-
kope, am nächsten Tage schwarze Stühle.
Operation 1. VIII. 1899. Keine Verwachsungen. Pv-
hT™,S v erd ic kt, sonst Magen, Dünndarm ohne Besonder¬
heiten. Pylorektomie. Heilung. Keine Blutungen mehr.
■ °0 jähriger Mann. Seit 27 Jahren magenleidend, Schmer-
zen und saures Aufstossen nüchtern. 1892 plötzliche Hämatemese
j}} / ^ ^ dann Bliitbrocbon, Öfter wiederholt. Bei dem letzten
Afid er tUf der Strasse um- Emphysem, Bronchitis,
u i gr.adl^e Anämie bei leidlichem Ernährungszustand. Magen-
dilatation ; nüchtern Plätschern.
Operation: Am Magen keine Verwachsungen; Varicen
Pylorus, m der Tiefe fixiert, zeigt leichte Ver-
n g: .. K.ein Ulcus. Gastroenteroanastomosis anterior.
Tl-g' schwindet. Nach 8 Wochen 6 kg Zunahme.
-6 Ja*nge Emu. Guter Ernährungszustand. Seit der
,SlI xraUllU?SbeSChWerden- Vor 7 J ahren erste, lebens-
d-n., ^be Hämatemese. Erscheinungen von Hyperchlorhydrie;
“ne Reihe von Magenblutungen. Letzte Hämatemese
bei dov LT1’ T C?I,erat1011- Plätschern. Erträgliche Schmerzen
oei clei I alpation der Magengegend.
JflUENClIENER M EDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1835
wiel-elmV atiOIi-39- XL 1899- Erweiterter Magen, stark ent-
PvU m, Ke,me Adhäsionen, kein Ulcus, keine Induration.
y e 1 Eypertropüis c h. Pylorektomie. Heilung,
v ' • 30 jähriges Fräulein. Gross und kräftig. Verdauungs-
geschät7t eüASen •Ialnln' ,15- X hefti-e Hämatemese. auf 2 Liter
Anuri? L ÄUC'h mit Stuhl BIllt eutleert Anämie, Hypothermie,
sichtWa vR i \° 11 31‘ X' Helles Blut- schwer gerinnend. Keine
am Magen ; Pylorushypertrophisc h.
Liosion des Pylorus. Heilung. Anämie verschwindet.
trrwB TTider ^IaSenoberfläche des resezierten Stückes eine 3 mm
blosse ülzeration.
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bÄ woch“T^:rpdSn ATITlI” “o TUT
T U‘4 iokTca.esT.nsTa
nT 7 D6ceSe i899 T ?7 ? T ^Ige de clih-ui-g. VII.
London im- vf- \ ' Lancaster: Clinical Societv of
8 m t Q • Munch- med- Wochenschr. 3896, No. 45 _
¥' Lancer eaux: Des hemorrhagies-nevronathioues Tn
semame med. 1900, pag. 286 und Sitzung vom 4 Dezeäber 1001
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-I. Ostei. Edinburgh med. jouru. Vol. VII. _ 25 Pomorabi-
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- 30. M. Sainton: La semaine medicale 1901, pag i43 _
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^ebdS^NoV3118 ^ COlU'S de r°CcluSion iatestinale. ‘ Ste
Ein Beitrag zur Pathologie und Therapie der syphi¬
litischen Trachealstenosen.
Von Dr. Alexander S t r u b e 11 in Dresden.
In einer Sitzung der k. u. k. Wiener dermatologischen Ge-
Wi li V lhabVC1, anlässlich der Vorstellung eines Falles von
syphilitischer Trachealstenose durch Herrn Ilofrat Neumann
eines ähnlichen I alles Erwähnung getan, den ich während meiner
Jenenser Assistentenzeit zu behandeln Gelegenheit hatte. Meine
Bemerkung- wir hatten unseren Fall nicht tracheotomiert, weil
syphilitische Tracheotomien eine schlechte Prognose quoad vitam
und restitutionem boten — erfuhr seitens einiger namhafter
byphihdologen einen Widerspruch, der, ebenso wie der Umstand,
c ass der I all auch sonst manches interessante bietet, die Ver¬
anlassung zu dieser Publikation ist. I)a mir genauere Auf¬
zeichnungen fehlen, so werde ich den Fall aus meinem Gedächt¬
nis, das mich nur m Bezug auf das genaue Datum der Auf¬
nahme und Entlassung im Stiche lässt, mitteilen, und an den¬
selben einige Bemerkungen über die Therapie der syphilitischen
I rachealstenosen knüpfen.
iw* m ?•" Tin 43 Jähriger Kaufmann aus P. Wurde Ende Januar
’ die metL K1inlt aufgenommen. Der Patient hatte
1881 bei einem Itegimente von Light Horse in englischen Krie<-s-
diensteii den Feldzug in Natal gegen die Kaffem mitgemacht
.Nach Beendigung des Krieges blieb er als Kaufmann in Natal
und akquirierte 1S82 in Port Natal (Durban) Lues, die bis auf
Kaiomeibehandhmg des Primäraffektes, die ein englischer Arzt
IDtie! hand,'ltbll(T- Anfang der neunziger Jahre siedelte
I atient nach Amerika über und hielt sich in New- York auf wo
er sich auch vor einem Jahre (d. li. 1898) verheiratete. KurzeZeit
iTnu? HoT<jbz1eit bekam Pat- eine Schwellung des rechten
Hodens, der Hoden wurde ihm von einem amerikanischen Arzte
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
' Or»
bob
exstirpiert. Als ein halbes Jalir darauf der linke Hoden ebenfalls
erkrankte, entfernte der amerikanische Arzt auch den linken
Hoden. Da sein Leiden: allgemeine Zeichen seiner Syphilis (Haut¬
geschwüre), sich trotz dieser radikalen operativen Behandlung
nur verschlimmerte und Patient den Wunsch hatte, sich in
Deutschland behandeln zu lassen und, falls die Behandlung er¬
folglos bliebe, wenigstens in seinem Vateriande zu sterben, siedelte
der unglückliche Mann mit seiner jungen Frau nach I. in Th.
über und suchte die Jenenser med. Klinik auf.
Bei der Aufnahme bot der Pat. das Bild grosser Entkräftung:
Der Ernährungszustand war stark herabgekommen, die Musku¬
latur atrophisch. An den Beinen und Armen fanden sich kutane
und subkutane (auch der Subkutis) ungehörige) Geschwüre bis zu
Thalergrösse, von denen das eine über dem rechten Ellbogen¬
gelenk bis auf das Gelenk ging und die Sehnen freilegte. Dieses
Geschwür war schlaff, seine Ränder unterminiert, die übrigen Ge¬
schwüre mit speckig belegtem Grund zum Teil wie mit dem Loch¬
eisen herausgeschlagen. Ueber den Lungen einzelne Rassel¬
geräusche, die rechte Spitze leicht gedämpft.
Stimme heiser. Kehlkopfbefund: Taschenbändei ge¬
rötet und geschwellt, Stimmbänder in ihrem hinteren Drittel
beiderseits oxulzeriert, in den vorderen zwei Dritteln verbreitert
und verdickt. Keine Zeichen von Dyspnoe. Keine Tuberkelbazillen
in dem mässig reichlichen Sputum. An den Bauchorganen nichts
Abnormes; Urin: kein Eiweiss, kein Zucker. Am Penis ausser
der Narbe vom Primäraffekt nichts Abnormes. Das Skrotum ist
leer, rechts und links glatte Operationsnarben.
Diagnose: Lues ulcerosa cutis und subcutis,
luetische Ulzerationen der Stimm bä ndei.
Mit Rücksicht auf die Schwere der Affektion wurde trotz des
herabgekommenen Zustandes des Patienten bei reichlicher Er¬
nährung eine höchst energische Sclnnierkur und Jodkalikur (o,0
Unguent. hydrargyr. und 5,0 Kali jodat. pro die) eingeleitet und
S Wochen lang mit kürzeren Unterbrechungen, die durch die
Stomatitis mercurialis erzwungen wurden, fortgesetzt. Ausseidem
Emplastrum hydrargyr. auf die Geschwüre. Der Erfolg liess lange
auf sich warten, aber allmählich überhäuteten sich die Geschwüre,
das Körpergewicht nahm um mehrere Kilo zu, Patient erholte sich
sichtlich. Da trat nach etwa 0 wöchentlicher Behandlung eine Ver¬
schlimmerung des Zustandes auf in Gestalt einer allmählich sich
steigernden Heiserkeit mit in- und exspiratorischer Dyspnoe.
Patient wurde völlig aplionisch, die Dyspnoe erreichte bedenkliche
Grade. Allmählich wurde der Pat. gezwungen, die Nächte im
Bette sitzend zu verbringen und es war ihm, als ob sich beim Aus¬
atmen und Husten etwas vor die Stimmritze legte. Laryngo-
skopisch erscheint der Kehlkopf sehr verengt dadurch, dass die
Stimmbänder in den vorderen zwei Dritteilen stark verbreitert sind
und mit ihren Rändern nicht nebeneinander, sondern übereinander
liegen ; bei der Inspiration erweitert sich die
Glottis nicht und es kommt der Rand des linken Stimm¬
bandes über das rechte zu liegen und bildet so einen ventilartigen
Verschluss eines grossen Teiles der Glottis. Die Inspirationslutt
strömt fast ausschliesslich durch das hintere exulzerierte Dritteil
der Glottis. Die Ulzerationen der Stimmbänder sind grösser als
früher, die Aryknorpel sind geschwellt und gerötet, ebenso die
TaschenbändeiC Einen Einblick in den subglottischen Teil des
Kehlkopfes und die Trachea zu gewinnen war nicht möglich, da
sich bei der Inspiration der Glottis nicht erweiterte. Bei den zahl¬
reichen Hustenstössen wird ein reichliches zähes, schleimig-eitriges
Sputum entleert, das bei mehrfacher Untersuchung keine Tuberkel¬
bazillen enthält. Aashafter Geruch des Sputums, starker süsslich-
fauliger Fötor ex ore des Patienten.
l)a Patient durch die Dyspnoe und die schlaflosen Nächte
sehr herabgekomraen ist, wird der Versuch gemacht, mittels der
Sehr ötter sehen Hartgummidilatatoren die bestehende Stenose
zu erweitern. Der Versuch misslang, da es mir nicht möglich war,
den Sonden die für diesen Fall geeignete Krümmung zu geben.
Da wir die Verantwortung des schweren Falles bei den täg¬
lich sich wiederholenden Suffokatiousanfällen nicht mehr allein
tragen wollten, so wurde der Patient unserem Chirurgen (Geheim¬
rat Riedel) zur Verfügung gestellt behufs eventueller Tracheo¬
tomie. Geheimrat Riedel lehnte binnen 4 Wochen 2 mal die
Tracheotomie ab. Es blieb somit nichts übrig, als es weiterhin
mit einer konservativen Behandlung zu versuchen. Ich wählte
mir beim Instrumentenmacher metallene Uteruskatheter in ge¬
eigneter Stärke aus, denen ich eine entsprechende Krümmung gab,
und es gelang mir nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen, unter
Leitung des Spiegels und unter gründlicher Kokainanästhesie mit
einer ziemlich dünnen Nummer im hinteren, beiderseits exulzerier-
ten Dritteil der sonst fest schliessenden Stimmbänder die Stenose
zu passieren. Die Sonde war dabei in einem schwach konvexen
Bogen fast bis zum Winkel von 180 0 gestreckt und wurde bei stark
zurückgeneigtem Kopfe des Patienten eingeführt. Beim Passieren
des Haupthindernisses, das unterhalb der Stimmbänder lag, musste
ich ziemliche Kraft anwenden. Der Patient empfand durch die
Sondierung Erleichterung (der Katheter blieb % Stunde liegen),
welche wuchs, als ich mit Röhren stärkeren Kalibers die verengte
Stelle forcierte. Das Passieren des — soweit ich taxieren konnte
y, _ l cm unter der Glottis liegenden — ersten Hindernisses (dass
mehrere bestanden, wurde im späteren Verlaufe wahrscheinlich,
dann sicher) geschah, sobald Katheter von etwas beträchtlichem
Kaliber (Bleistift- bis Kleinfingerstärke) eingeführt wurden, unter
Anwendung nicht unerheblicher Kraft, die nötig war, um den
Widerstand der anscheinend knorpelharten Stenose zu überwinden.
Neben der täglich wiederholten Sondierung wurde die Schmier¬
kur, die wir eine Zeitlang ausgesetzt hatten, mit erneuter Energie
fortgesetzt. Patient hatte noch weiterhin das Gefühl, dass ein
Körper unter den Stimmbändern mit dem Luftstrom auf- und
abwärts flottierte. Eines Morgens hustete er mit vielem Sekiet
zwei kleinere rauhe Knorpelstückchen aus. Etwa 14 Tage nach
Beginn der Sondierung bekam Patient früh Morgens einen be¬
sonders starken Suffokationsanfall und würgte, als ich gerufen
wurde, unter grosser Dyspnoe und mit vielen Anstrengungen einen
rundlichen Körper von der Grösse einer kleinen Bohne aus.
Dieser Geschwulstknoten war von einer Schicht schleimig-eitrigen
Sekretes bedeckt und von elastischer gummiartiger Konsistenz
(leider ging der Tumor verloi'en und wurde nicht mikroskopiert).
Nach Abstossung des Geschwulstknotens fühlte sich Patient
beträchtlich erleichtert, doch bestand Dyspnoe noch fort. Die
Sonde fand unter den Stimmbändern geringeren Widerstand, beim
tieferen Einführen des Katheters aber war eine zweite stenosierte
Stelle, an der es gelang, denselben mit Anwendung einiger Kraft
vorbeizuführen. Nach weiteren 14 Tagen bekam Pat. wieder das
sich täglich steigernde Gefühl eines mit der Atmung auf und ab
gehenden Körpers und hustete unter vielem Würgen mit einigen
Knorpelstückchen eine zweite, kleinkirschgrosse, rundliche Ge¬
schwulst von gummiartiger Konsistenz aus. Danach trat be¬
deutende Erleichterung ein: Patient schlief wieder, bekommt
Appetit. Die Hautgummata sind sämtlich vernarbt. Husten und
Auswurf sind geringer, der Auswurf stinkt wenigei. Die Son¬
dierung gelingt leichter, doch besteht noch immer eine deutliche
Stenose. Patient hat auch das subjektive Gefühl des Druckes
an der vorderen Trachealwand, besonders zur Zeit der Inspiration.
Anfang Mai 1899 wurde Patient wesentlich gebessert entlassen.
Im Juli 1899 erhielt ich von ihm einen Brief, worin er seine grosse
Besserung zwar konstatierte, aber die Absicht kund gal), zur Hei¬
lung seines noch immer quälenden Leidens die Klinik a\ iedei auf¬
zusuchen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.
Der ätiologisch, wie mir scheint, eindeutige I all ist — ab¬
gesehen von der offenbaren in New-York erfolgten, hei einem
jung verheirateten Mann geradezu tragischen Verwechslung einer
Orchitis gummosa mit einer tuberkulösen, mit nachfolgender
doppelseitiger Exstirpation der Hoden in mehrfacher Be¬
ziehung interessant. Erstens sind syphilitische Trachealstenosen
an sich nicht allzu häufig. Zweitens ist die Form, unter dei
die Stenose hier auftrat, die Entwicklung von umschriebenen
Gummiknoten, die bei weitem seltenere, wobei selbstverständlich
nicht gesagt sein soll, dass in diesem I alle nicht auch diffuse
gummöse Infiltration der Trachealwand und des subglottischen
Teiles der Kehlkopfwand bestanden haben kann; es ist im Gegen¬
teil im höchsten Grade wahrscheinlich, dass die nach Ausstossung
der beiden Tumoren zurückbleibende Enge durch narbige Retiak-
tion früheren gummös infiltrierten Gewebes resp. durch Per¬
sistenz solcher gummösen Infiltration bewirkt wurde. Im höchsten
Masse bedauerlich ist es, dass die beiden Knoten abhanden ge¬
kommen sind und nicht mikroskopiert wurden. Dass dieselben
nicht subchordale Polypen, sondern wirkliche Gummen waren,
dafür spricht schon die Tatsache, dass gleichzeitig Zeichen von
Zerstörung der Trachealwand : aus gehustete Knorpel-
stückchen, vorhanden waren. Die Art, wie man sich die all¬
mähliche Vergrösserung und spätere Lockerung und endliche Los¬
lösung der Knoten von der Wand der Trachea zu denken hat,
ist folgende: Der Knoten wächst von der Wand in das Lumen
hinein und dann beginnt das Gewebe an der Stelle, wo er auf¬
sitzt, zu ulzerieren, so dass aus dem breit aufsitzenden Knoten
ein solcher mit immer dünner werdendem Stiele wird: der Tumor
flottiert mit der In- und Exspiration auf und ab, schliesslich
hört der Zusammenhang mit der Basis auf; der Tumor ist,
event. mit anderen Bestandteilen der Wand (Knorpelstückchen)
herausulzeriert und wird ausgehustet oder verlegt als Fremd¬
körper einen Bronchus. Sehr gut wird dieser Abstossungs-
vorgang durch eine Abbildung eines Leichenpräparates in dem
Lehrbuche der Laryngologie von Sehr ötter anschaulich ge¬
macht, wo sich auch dieselbe Deutung des Befundes verzeichnet
findet. Es ist ohne weiteres klar, dass ein solcher Abtrennungs¬
vorgang durch tägliche Sondierung der Trachea begünstigt und
beschleunigt werden kann, in unserem Falle sicher beschleunigt
worden ist. Immerhin ist diese Besserung durch Abstossung
der Tumoren eine höchst erfreuliche und, wie es scheint, recht
seltene, da ich in der Literatur einen ähnlichen Vorgang intra
vitarn nicht verzeichnet finde.
Was die Methode der Sondierung mit metallenen Uterus¬
kathetern anbetrifft, so ist es selbstverständlich, dass bei wech¬
selndem Sitz und Gestalt der Verengerungen teils in Form von
Knoten, teils in Form von diffusen Infiltrationen oder Narben-
4. November 1902.
zugen der Wand, bald dies, bald jenes Instrument das geebnetste
sb 1 dl,eB™,raUe missIa"S dio Soudierunl mit den
Schrott er sehen Dilatatoren, die anderen gute Dienste Z
leistet haben. Es kommt hier viel auf die subjektive Vorliebe
man ? t6S an’ SC.,l iesshch lst jedes Instrument dazu gut, wenn
man ihm nur leicht die entsprechende Krümmung geben und
es gut desinfizieren kann : diese beiden Eigen sch af-
t/u hab®n dl^ Metallinstrumente. In unserem
Dalle, wo die Geschwülste anscheinend an der vorderen Wand
sassen und das hintere Drittel der Glottis durch die Exulzerierung
dei Stimmbänder erweitert, die vorderen zwei Drittel verengert
waien, gelang die Sondierung im hinteren Drittel, während" sie
vorn unmöglich war. Dass solche instrumenteile Eingriffe nur
bei völliger ßeaktionslosigkeit des Patienten, also unter gut”
okainanasthesie und unter genauer Leitung durch den Snio-nd
angestgllt werden dürfen, leuchtet ein, besonders wenn, wie "in
unserem Falle, ein gewisser Kraftaufwand zum Passiven der
Stenose notig war; man muss da schon sehr genau wissen in
welcher Richtung man die Sonde stösst, wenn man Wen
Schaden anrichten will. So angreifend die Behandlungsmethode
fm den Patienten auch ist und so viel Geduld sie auch erfordert
T dQ°chreme der dankbarsten: Der Patient fühlt sich
das Gesehen]'”1 ]p01 tT Crleidlt.ert und empfängt gewissermassen
Arztel! h v 1 LebenS ghch aufs neue aus der Hand des
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
183?
i T^m. nan auf dl® . Drage der Tracheotomie in diesem Ealle
und bei den syphilitischen Trachealstenosen überhaupt ein¬
zugehen, muss ich des genaueren auseinander setzen, warum
unser Patient nicht tracheotomiert wurde. Zunächst hatten wir
t gewichtige Bedenken, den schwer kachektischen Mann
einer eingrerienden Operation zu unterziehen. Geheimrat
1 , 6 ; der. Bedenken teilte, hatte aber noch einen
zweiten Grund für die wiederholte Weigerung in diesem Falle
um Messer zu greifen. Nach seiner auf dem Gebiete der
rurgie der. Syphihs besonders grossen Erfahrung bluten
T C1,e SJP uh tische Infiltrationen der Luftröhrenwand bei der
Tracfieotonne oit so profus, dass es fast unmöglich erscheint,
dei Blutung Herr zu werden, und die höchste Gefahr besteht
den Patienten durch Suffokation auf dem Tische zu verlieren
0 fr bmnen wenigen Tagen an Aspirationspneumonien zu Grunde
geien zu sehen. Diese Erfahrungen, die Geheimrat Riedel
nur persönlich zu explizieren die Freundlichkeit hatte, erscheinen
allerdings wenig geeignet, günstig für die Tracheotomie zu
stimmen, am wenigsten bei einem Mann, der nicht in der Lage
war, einen stärkeren Blutverlust auszuhalten und der sicher an
der vorderen Trachealwand luetische Infiltrate sitzen hatte.
w 1 W1’ n°ACh Bedenken steht im allgemeinen der aus-
b dehnteren Anwendung der Tracheotomie bei der in Frage kom¬
menden Affektion entgegen: Wer einige Erfahrungen über die
Iiacheotomie bei Diphtheriekindern hat, der kennt die grosse
Befahr der Granulationsstenosen. Diese Gefahr steigt zweifellos
mit der Lange der Zeit, während der man die Kanüle in der
liachea liegen lasst. Ich kann mich von einer ziemlich grossen
Anzahl von Tracheotomien an Diphtheriekindern, bei denen ich
teils selbst operiert, teils assistiert habe, nur eines einzigen
i alles entsinnen, bei dem eine Nachoperation wegen Granula-
tionsstenose rmtjg gewesen wäre. Dieses günstige Resultat führe
oli aut die konsequente Anwendung des Prinzipes zurück, wenn
igend möglich, am 4. Tage post Operationen! die Kanüle zu
topsein und am 5. Tage zu entfernen. In anderen Kranken-
niusern, wo die Kanüle länger liegen gelassen wird, sind die Re¬
sultate durchschnittlich schlechter. Wenn nun schon ein über
Wochen sich erstreckendes Verweilen der Kanüle in einer jugend¬
lichen Irachea eine solche Reizung hervorbringen kann, wie viel
grosser muss die Gefahr einer nachträglichen Stenosierung durch
diesen Reiz sein bei syphilitischen, kachektischen Individuen,
eren Irachealwand bereits gummös infiltriert ist, wo die Röhre
o viele Monate event. Jahre lang liegen bleiben muss. Wenn
cas Wort: Reizung und Syphilis irgend wo mit Recht Anwen¬
dung findet, so ist es in derartigen Fällen, wo durch die Opera¬
tion (wenn dieselbe an und für sich ohne Schädigung des Pa¬
tenten verläuft) nur momentane Erleichterung, aber keine Hei¬
lung der Stenose erfolgt, wo diese Heilung auch nach der
racheotomie erst durch langwierige Dilatationsverfahren an¬
gestrebt werden muss. Ich glaube, dass wir unserem Patienten
No. 44.
haben“ k°nSerTativen Behandlung den besten Dienst erwiesen
knoten auf. Sole,“
verengten Stelle der Trachea fanden sic , 3 uV oA , ■ d.er
rundliche, ü b e i- d i e U m g e b u u V. | ", " , ® g„e,! , 11 “ 8 8 1 *
“mV“" <1<!1' ?r8SSe elues 50 Centimesstückes von blass!
welcher KoÄS. Sks" Zentrum ' jtfe?
I uftrühr, weicher als die Ränder; beim AnseiuanderVhen der
Luftröhre n querer Richtung bildeten die Depressionen tu.fl
rii ZTJ^TZosT^eT Ä ÄÄÄ
äs vssss rÄiisfjc,"??
?„ trf wai' r‘.e Sehleimhaut bis über die BifurkationssteUe hinaus
n ein weiss glanzendes Narbengewebe verwandelt das mit nnni t
förmigen Einsenkungen und mehr oder weniger brSÜu Vw
zu Sde kam!S) VerSehen war’ 80 dass eiu wabenartiges Ausselen
die Bd- XV> S- 308 - 3*>) beschreibt
, f’1316, Narbenmasse in der Trachea ist ausserordentlich vor
g^e™M£irBo1oft“L^ChrUm?ft aUf daS illlsserste und macht
t,exaue uesnaib so oft Laryngostenose. Dafür erheben sich «w
gewe?enSSürtPundre Wucheranfn- Teil durch Narben-
öcvveue aDgeschmut und emporgehoben, nicht selten qi« (u„i-0
reine, glatte Kolben und Zapfen, aus ganz verdicktem ÄlerolÄS
hat^Vgie^f^o'wn('Sft°091O1^)ela,rti^e,1Tr'XifSSehen bestehend.“ Ferner
uat vnchow (S. o09) in einem Falle eine flache linsen«rosse
Narbe Sge sehen . hmteren Trachealwand nebst einer strahligen
Es ist klar, dass die Tumoren, die Moissonet sah etwn«
schreibt und di* Papillären Erhebungen, die Virchöw be-
chreibt und die Steiner — Jalirb. f. Kinderheilk 1862 2 en
gefunden hat. Bei den letzteren beiden handelt
mS n h Um Schieimhautpartien, die von dem umgebenden straffen
IS ai beuge webe abgeschnürt und emporgehoben wurden um Pro
dukte eines entschieden reparatorischra Vorgänge“ während d!e
be, M o i s s o n e t beschriebenen Erhebungen ebfnso wie d e von
meinem Patienten ausgehusteten Knoten jedenfalls wirklich -um-
mose Gebilde sind bei dem noch bestehenden regressiven d h
ÄÄt1* Umgebung. Sehr lehrreich Z S schon
onen erwähnte Fall von Schrott er (Vorlesungen über die
viankheiten der Luftröhre, Wien und Leipzig 18ÜG S 62) wo
Heinei8 StefufT*^111 Grauula‘tionsgewebe bestehende, 'an“ einer
hm^dis^RtiihlTenpu^^n11«’ ^Umgebung derselben : Umwand-
1 ftundzellen- in Spindelzeliengewebe zeigende Tumor meb
der Schleimhautoberfläche nlzerierte. Das etwm eidisenäroäse Ge-
schwur sass an seiner Basis an der vorderen Trachealwand und
brach in die Aorta gleich nach Abgang deT 1 Subklarta dnS
Merkwürdigerweise ist Schrott er im Gegeniitze zu anderen
Autoren der Ansicht, dass diese zirkumskripte Gummabüdung dte
häufigste Form der Lues in der Trachea sei! Dassdas Auftreten
ton Syphilis in Form von Gummiknoten in der Trachea ein seltenes
m i'f c™uss’ falur spricht auch die Tatsache, dass J. Neumann
f l ,eiEAr grossen Erfahrung in seinem Buch über Syphilis (Notli-
S , UtCh’ Bd- XXI11’ 1S9ß) die Gummafonn in dei Tra¬
chea überhaupt nicht erwähnt.
«ni, .S c b e c ^internationale klinische Rundschau 1S87, p. 142 ff)
de? Bifnfw-l a11 trache°Sk0pisch eiueu “Obrere Zentimeter übe?
cp1 an ?er vorderen Wand gelegenen, bleistift-
dicken, konisch zugespitzten Tumor der von
wähl Jo“reTr,"-,dei' re,ctteu Seitc HlntVrä
e nd der Tiachea aufsitzenden, breitbasi^pn
n n d nach links schauenden Geschwulst kaum
1 mm getrennt war. Bei der Sektion fand sich dass der
konisch zugespitzte Tumor die obere, wallarttee Ab-
lk1nZ1Ung ^neS vertikal gestellten Geschwüres war, Im Be-
dieS,GS Geschwüres ist clie Trachea und das peritoneale
8 imnbDicke VerdlCkt; die recllte Wand hat noch 1 cm, die linke
P eJ s.e 1 b e Äut°r beschreibt 2 Fälle von Trachealsvnhilis
(Deutsch. Arch. f. Hin. Med., Bd. XXXI, S. 410). Bei dem ersten
wurde im Auswurf ein schwerer Gewebsfetzen (Lungengewebe)
ausgehustet. Ebenso stellten sich im zweiten Falle von Tracheal¬
stenose nach Syphilis einige ausgehustete roteFlerich“
nVkroskoP1®ch als Lungengewebe mit deutlichen Lungen¬
alveolen heraus. Im übrigen waren Kehlkopf und der obere Teil
dei Trachea frei. Unmittelbar über der Bifurkation erscheint das
Lumen der Trachea verengt durch breit aufsitzende, knotige kreis-
oiniig angeordnete Unebenheiten von dunkelroter Farbe- die¬
selben setzen sich hauptsächlich in den r. Bronchus fort, dessen
1838
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Lumen etwas verzogen erscheint. • Durch kräftige antisyphilitische
Kur wurde sowohl die Traeheal- wie die Lungensyphilis (?) ge¬
heilt; an Stelle der eben beschriebenen Tumoren besteht einfache
Rötung der Schleimhaut. Substanzverlust oder Narben wurden
nicht bemerkt. Es handelt sich nach Schechs Meinung sicher
um Syphilome der Trachea.
Pletscher- Ingals (New-York med. Journ. 1889, 11. Okt.)
beobachtete unter 3 Fällen einen, wo y2 Zoll unter der Glottis an
der vorderen Wand der Trachea ein kleiner Tumor laryngoskopisch
nachgewiesen werden konnte, nach dessen Verschwinden (! ■)
2 mal analoge konische Geschwülste auftraten, die schliesslich die
Tracheotomie wegen hochgradiger Stenose notwendig machten.
Der Gebrauch von Jodkali ermöglichte 6 Monate nach Ausführung
der Operation die Entfernung der Kanüle. In den beiden anderen
Fällen wurde durch den Gebrauch grosser Mengen von Jodkalium
Besserung resp. Heilung erzielt.
Ivopp: Syphilis der Trachea und der Bronchien (Deutsch.
Arch. f. klin. Med., Bd. XXXII, 1883, S. 303) beschreibt einen Fall
(Fall 1) von syphilitischer Trachealstenose, wo man in der Tiefe
der Trachea knapp oberhalb der Bifurkation eine Geschwulst mit
höckeriger Oberfläche sah, die hochrot und röter als die umgebende
Schleimhaut mit schiefer Abdachung gegen das Lumen zu vor¬
sprang und dasselbe bis auf einen halbmondförmigen Spalt ’s er-
engte. Bei der Sektion stellte sich heraus, dass eine trichter¬
förmige Verengerung der Trachea bestand, die Wand war an dieser
Stelle von derbem faserigen Bindegewebe (Narbengewebe) zu¬
sammengesetzt.
Einen ähnlichen Fall beschreibt Vierling (Deutsch. Arch.
f. klin. Med. Bd. XXI, S. 325), wo man in der Tiefe der Trachea
eine nicht genauer definierbare, mit eitrigem Sekret bedeckte Pro¬
minenz wahrnahm. Die Sektion ergab ältere und frischere Ge¬
schwüre in der Trachea unterhalb der Tracheotomiewunde bis in
die Bronchien hinein.
Krieshaber (Contribution ä l’etude des troubles respira-
toires dans les laryngoplithisies syphilitiques; Paris 1879, S. 26)
sah bei einer 28jährigen, mit Larynxstenose behafteten Frau:
,,une tumefaction sous-glottique“, von der er supponiert, dass sie
eine Gummigeschwulst sei. Nach 17 Tagen schon sah er voll¬
ständige Heilung eintreten (zitiert nach L e w i n).
Hanszel (Wiener klin. Wochenschr. 1898, S. 955, No. 42)
sah einen interessanten Fall, den er als zirkumskriptes Gumma
der Trachea deutet, das sich unter Jodkaligebrauch prompt ver¬
kleinerte. Der laryngoskopische Befund der 49 jährigen Patientin,
die Lues negiert, niemals abortiert hat und auch
sonst keine Symptome von Lues bot, war folgen¬
der: „Larynxsclileimhaut anämisch, Stimmbänder normal und gut
beweglich. Unterhalb der Glottis sitzt breitbasig am Ringknorpel
und nach abwärts an der rechten und hinteren Trachealwand ein
intensiv roter, kugeliger Tumor, dessen Oberfläche ein dichtes Ge-
fässnetz besitzt. Der Tumor füllt das Lumen der Trachea bis
auf einen kleinen seitlichen Spalt aus, durch den man nur eine
ganz kurze Strecke in die Tiefe sehen kann. Seine Konsistenz,
mit der Sonde geprüft, ist weich, er ist leicht kompressibel. Thera¬
pie: Inzision des Tumors an mehreren Stellen mit dem gedeckten
Kehlkopfmesser unter Kokainanästhesie, womach mässige Blu¬
tung; doch wird kein Eiter entleert. Gleich nach der Blutung wird
der Tumor etwas kleiner. Bereits nach 9 Tagen war der Tumor,
auf Gaben von nur 2 g Jodkali täglich, wesentlich verkleinert.
Seidel hat in einer mir nicht zugänglichen Arbeit (Jenaische
Zeitschrift 1866, S. 497) eine blassrote Exkreszenz beschrieben, von
der Grösse einer Erbse, in der Höhe des 4. Trachealringes, auf
der Mitte der hinteren Wand. Er hielt diese Exkreszenz für ein
breites Kondylom.
Es ist hier nicht der Ort, die Frage zu ventilieren, ob diese
Deutung, die Seidel dieser Exkreszenz gibt, die richtige sei; noch
auf den wissenschaftlichen Streit einzugehen, der sich an die be¬
kannte Arbeit von C. Gerhardt und Roth (Virchows Archiv
Bd. XX, S. 402 und Bd. XXI, S. 1) angeschlossen hat, welche be¬
haupteten, dass als die allgemeinste Ursache der frühzeitigen
Heiserkeit bei Syphilitischen, sowie der damit zusammentreffenden
Schlingbeschwerden, Halsschmerzen etc. : breite Kondy-
1 o m e angesehen werden müssten. L e w i n (Charite- Annalen
1881, S. 549 unterzieht in seiner fast monographischen Arbeit diese
Ansicht von C. Gerhardt, Rot h und Seidel einer scharfen
Kritik und ist der Meinung, dass breite Kondylome, wo immer
sie Vorkommen mögen, niemals die Form von „flachen, weissliclien
Zacken, stecknadelkopfgrossen, zugespitzten Höckern“, „roten
Wülsten“, „auf ihrer Höhe von freien Exkreszenzen besetzt“ an¬
nehmen. Auch die mangelnde Wirksamkeit des Hydrargyrum
führt L e w i n gegen die Auffassung dieser Autoren an.
Dagegen dürfte es von Wichtigkeit sein, darauf hinzuweisen,
dass die Feststellung solcher Knoten als Gummigeschwülste auf
sehr grosse Schwierigkeiten stösst. L e w i n stellt in seiner oben
zitierten Arbeit die kleine Zahl der bis 1881 veröffentlichten Fälle
von Gummen des Kehlkopfes zusammen und schliesst sich der An¬
sicht Ziemssens an, „dassdas G u m m a a m Lebenden
n och nicht genügend studiert s e i“. C. Gerhardt
(Ileymanns Handbuch Bd. I, 2. Hälfte, S. 1199 u. 1208) äussert
sich sehr skeptisch auch über die mikroskopische Diagnose des
Gummiknotens. Er schreibt S. 1199: „Bei den Gewebsverände¬
rungen, die durch Syphilis zu Stande gebracht werden, liegt die
Sache wiederum anders. Hier kennen wir zur Zeit keinen bezeich¬
nenden Parasiten mit genügender Sicherheit, hier ist nur für die
Minderzahl der Erkrankungsformen, die durch Syphilis zu stände
kommen, die gewebliche Bauart, die ein- und kleinzellige Neu¬
bildung einigermassen bezeichnend . Die einfachen Reizungs¬
erscheinungen der Gewebe kommen ohnehin viel häufiger vor, als
ihre eigentliche gummöse Neubildung.“
Eine genaue histologische Untersuchung derartiger isolierter
Gummata der Trachea scheint demnach bis jetzt zu fehlen, und
man wird sich vorläufig damit begnügen müssen — wie ich schon
oben ausgeführt habe — , die auf dem Boden gummöser Infiltration
oder selbständig sich erhebenden Gummiknoten mit eventuell spä¬
ter ulzerös zerfallender Haftstelle von den durch Narbengewebe
abgescliniirten polypenähnlichen Exkreszenzen zu unterscheiden.
Was nun die mangelhafte Erweiterung der Stimmritze an-
betrifft, so war ich anfangs geneigt, sie als Postikuslähmung an¬
zusehen. Es ist aber in Rücksicht auf die starke Exulzeration
des hinteren Dritteils der Stimmbänder wohl nicht zweifelhaft,
dass es sich um Perichondritis des Cricoarytaenoidealgelenkes
gehandelt hat, die erst zur Infiltration und später durch Narben¬
bildung zur Ankylose des Gelenkes geführt hat. I1 ür eine Peii-
chondritis dieses Gelenks spricht ferner auch noch der Umstand,
dass aus der Trachea neben den oben erwähnten Tumoren auch
rauhe Knorpelstückchen ausgehustet wurden, also auch hier peri-
chondritische Veränderungen Vorlagen. Auch Lew in erwähnt
in seiner Arbeit (Beiträge zur Lehre der Perichondritis laryugea;
Charite-Annalen 1887, S. 781) die Tatsache, dass Knorpelstückchen
ausgehustet wurden und bezieht sich auf eine Bemerkung des
Ilippokrate s, sowie auf Fälle von Sachse, T ü r c k und
Schrotte r, und berichtet über zwei eigene Fälle.
Uebrigens sind syphilitische Postikusläh¬
mung e n wohl recht selten:
Penzoldt (Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XIII, S. 107)
sah bei einer 61 jährigen Frau, welche eine Apoplexie nach Lues
gehabt hatte, Lähmung der Postici: Luetischer Defekt des weichen
Gaumens; Stimmbänder, Epiglottis und Aryknorpel nicht wesent¬
lich gerötet und geschwellt. Bei der Inspiration lassen die Stimm¬
bänder nur einen kleinen Spalt offen. Starke Dyspnoe: Tracheo¬
tomie; nach 8 Tagen Exitus durch Pneumonie: die Sektion ergab,
dass beide Vagi und Recurrentes ebenso wie Accessorii auffallend
dünn und grau verfärbt waren. Die Mm. cricoarytaenoidei postici
waren beiderseits blass braunrot, mehr als die übrigen Muskeln
ins fahle spielend. Die genannten Muskeln und Nerven wiesen
auch mikroskopisch Zeichen leichter Degeneration auf.
Hansen (Petersburger med. Wochenschr. 1876, No. 6) sali
einen Fall, wo ausser Postikuslähmung auch noch andere syphi¬
litische Larynxaffektionen vorhanden waren, unter Schmierkur
völlig heilen.
Lewin (Charite-Annalen 1881, S. 579) beobachtete einmal
klinische Symptome von Postikusparese, aber gleichzeitig bei
besserer Beweglichkeit des linken Stimmbandes eine rundliche
erbsengrosse Ulzeraticn des rechten Processus vocalis. Antisyphi¬
litische Kur brachte Besserung, nicht Heilung.
Ziemssen (Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XVIII) sah
Postikuslähmung bei einem 26 jährigen Bäckergesellen, der mit
16 Jahren eine zwar „nur kurz dauernde Geschlechtskrankheit ge¬
habt hatte, bei der aber, als die Lähmung eintrat, eine gänseei¬
grosse Geschwulst des rechten Hodens und Nebenhodens von knor¬
pelharter Konsistenz, sowie geringe Schwellung des linken Neben¬
hodens bestand“.
Sokolowski (Gazetta lekarska 1887, No. 35, Referat:
Centralbl. f. innere Med. 1888, S. 461) berichtet über 2 interessante
Fälle von offenbar syphilitischer Postikuslähmung.
Der zweite Fall, bei dem wegen der Postikuslähmung Tracheo¬
tomie gemacht wurde, hatte vor 20 Jahren Lues gehabt. Er ging
nach einigen Monaten an Lungenblutung (!?) zu Grunde(i). Nach
des Autors Meinung war die Lähmung eine syphilitische, da In¬
fektion vor 20 Jahren stattgefunden hatte und Tuberkelbazillen
im Sputum nicht gefunden wurden. Der erste Fall, ein 19 jähriger
Patient, kam mit Zeichen starker Stenose (vollständige Postikus¬
lähmung) ins Spital, wo er traclieotomiert wurde. Nach 14 Tagen
Exitus plötzlich suffokatoriseh. Bei der Autopsie fand sich die
Wand der Luftröhre 2— 3 fach verdickt, aus blassem, faserigem
Bindegewebe bestehend, die innere Fläche blassrot, hier und da
injiziert und mit sternförmigen Narben durchsät; die ganze
Schleimhaut epithellos und an vielen Stellen gänzlich vernichtet.
Auf dem Durchschnitt fanden sich in der ganzen Dicke infiltrierte
Wanderzellen, an einigen Stellen so gedrängt, dass es zu um¬
schriebenen, aus Granulationsgewebe bestehenden Knötchen
kommt, welche teils in der Schleimhaut sitzen, teils auf die Sub¬
mukosa und auch den Knorpel übergehen. Riesenzellen und Tu¬
berkelbazillen waren nicht gefunden. Die Luftröhre und die Bron¬
chien, in deren Wand sich ähnliche Veränderungen finden, sind
wegen der Verdickung der Wand um ein Drittel verengt. Die
mehrjährige Schweratmigkeit hing mit der Lähmung der Postici
und der Verengerung der Atemwege zusammen; den Erstickungs¬
tod führte die Verstopfung beider Bronchien mit Schleimpfropfen
herbei (! ?).
Mechanisches Dilatationsverfahren: ^ Bereits
Hippokrates hat die Einführung von Röhren in den Kehlkopf
bei Larynxstenosen empfohlen (siehe Bardeleben: Chirurgie
1872, III. Bd., p. 442). Desault liess irrtümlich eine Schlund¬
sonde 8 Stunden in der Trachea liegen und empfahl daraufhin die
Anwendung derselben zur Behandlung der Trachealstenosen.
Roux (Gazette des höpitaux 1856) versuchte vergebens einen
4. November 1902.
tuberkulösen Larynx zu dilatieren.
jlüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1839
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■ Wiener Klinik 1890). W e i n 1 e e ] , . , l.V ■lT!\n\ ^nehealslenasMi,
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heilten 2;
ÄTÄ 8 FäU0 1 Stlm<le »is na^dT der
S ausKKn*hch bat sich Le win (Charite- Annalen 1S82
S o89 u. ff.) mit dieser Frage beschäftigt. Obwohl der Autor der
- n^endung der Tracheotomie bei Tracheal- und Larynxsynhilis
lw°1Iend gegenübersteht und eine Reihe von 'Falle,/. -m-
• it, wo durch Tracheotomie wenigstens bei Larynxstenose Hei
mg erzielt wurde, verkennt er nicht, wie gefährlich diese One/a-
tion sem und welche schwere Folgen sie nach sich ziehen kann.
fliesseis von BbTm/r aTUfffie Gefahr der Blutung und des Ein-
dis BbitveH.Soi r- e LuGw.?ge ein, würdigt sowohl die Gefahr
die i Uu ^schwächte Syphilitische überhaupt, als
s m!, +deU operatlven Schnitten auf obstruierende
,'i,SohdG tl0nen 211 stossen- was unfehlbar eine Hämor-
/ • tn- T dieS<oU 80 leicht blutenden Gebilden erzeugen müsse
Er zitiert eine Bemerkung aus einer Arbeit von SchüleT der
ein GkngaS de^Cr 1sogfrt.erleben könne- dass in wenigen Stunden
iSnüle bPifofcf^® ? Ulatl°nen’ welcher beim Herausnehmen der
JollsSndit Zh ?r?Teg n0Ch der Lichtung derselben entsprach,
man atl?nen ausgefullt und verwachsen ist. Wird
man dann durch die zunehmende Asphyxie gezwungen die Kanüle
«> man durch Zerquetschen der Gmmdi
moift iecbt unangenehme Blutungen hervorrufen.“ Bö ekel
iarti der Trno/0m+e’ Tll{,'SO ?e Strassbourg 1867) sali wenige Tage
01 Mao Tracheotomie etaie Blutung auftreten. desgleichen vei-
nach der o™/6 r™* durch Blut™S m der ersten Woche
die MöMichkAif^ A^~Win macht weiterhin aufmerksam auf
I no'r / 2 l i Ablösung der Schleimhaut der Trachea vom
SohSlmnt 1 cb Eiter oder durch zwischen Perichondrium und
hleimhaut sich ausbildendes gummöses Gewebe Man führt
knmmeTdf ibIÖ?.Vn? be8teht nach Durchschneidung der Tracheah
li -i ut ,/ Kanu|e 111 das vermeintliche Tracheallumen, in Wirk-
sode ZW18cbea Knoi-pel und Schleimhaut ein und vermehrt
Po , te * von Pit ha, Lew in, Schrötter und
, W \® rrning VOn Dupuytren (Leeons orales Tom. III.
l • »oh Auch phlegmonöse Entzündung, Gangrän der Wunde Zell
SÄrwr? mm l '
P * Komplikationen der Tracheotomie Syphilitischer auf.
hält d ehKaZnV!m-euSCl?atZeuder Prozentsatz von Syphilitischen be-
dleselb! :,V e Jabrelang weil es nicht möglich ist. den Patienten
u bi/ fugewohnen. Dafür aber, dass der Begriff: Reizung
nteressan/ 8 1 l^fer Wahn isti fühi‘t Lewin einen lioch-
mteiessanten, eigenen Fall auf:
-^nSn/,jilhriger Knabe, Sohn syphilitischer Eltern, anscheinend
L.i t , lf *• X)ren’ erkrankte später an Hautgeschwüren. Er wurde
R, n. hifT-n!ld hatte Schlingbeschwerden (Ulzera der Epiglottis,
h, Z:ßflei;hm^eren Larynx wand und der Stimmbänder). Patient,
s‘ holl Trachea man ausser Rötung der vorderen Wand nichts
tiachhnS tr°tZ Kmreibungskur Erstickungsanfälle und musste
‘Vhlhvni 7en werden. Er wurde, entgegen den ärztlichen Rat-
sd nü," - °ach Kause genommen; die Inunktionskur wurde
Kam-üJ / Tf fortaeführt- Kfich 8 Monaten bekam Pat., der die
vm. ? tTr1-f. Wleder Erstickungsanfälle, denen er erlag, be-
I irv’nv / h,6 i11 kam- Es fand si°h bei der Eröffnung des
. ux und der Trachea eine tumorartige Anschwel¬
lung unterhalb der Operationswunde am 4 _ 8 Trachealknomel
von 6 cm Breite. Die Schleimhaut darüber ^ grau von deSll
n r 1 S,tenz; An der stelle> wo die Kanüle auf lag, fand sich eine
I. ii. „liehe Ulzeration. Der Vergleich des laryngologischen Be-
tundes mit dem der Sektion weist nach Lewins Mein um- mit
► mherheit darauf hin, dass die Geschwulst in der Trachea erst
nachträglich unter dem Einfluss der rezidivierenden Syphilis durch
die Trachealschleimhaut stattfindenden Druck erzeugt
^oiden ist. Fui diese Ansicht plaidieren vielleicht auch iene Fälle
m welchen innerhalb eines grösseren Zeitraums die Traclieotomik
wegen neu auftretender Stenosierung des Larynx und der Trachea
ausgefuhrt werden musste. Während die erste Tracheotomie
wegen Stenosierung des Larynx ausgeführt wurde musste die
™,e, e wegen Trachealstenose gemacht werden’ (Fähe von
PUha und Trendelenburg). Ferner hat auch ohne (len
Reiz der Kanüle das Narbengewebe an der Operationsstelle die
i igung, stark zu schrumpfen und von neuem Stenose zu er¬
zeugen. cuutnc 4U CI
C. Gerhardt (Heymanns Handbuch) steht der Tracheo-
In {Lesen Fallen sehr kühl gegenüber, hält die bisherigen
Li folge für sehr wenig ermutigend und spricht die Hoffnung aus
dass durch das mechanische Dilatationsverfahren in Zukunft über¬
flüssige Tracheotomien vermieden werden möchten. Auch bei Er¬
krankungen im untersten Abschnitt der Trachea hält er dm
1 racheotomie in vielen Fällen für entbehrlich, ein konservatives
Bougierungs verfahren für indiziert.
Interessant für unsere Frage ist die Bemerkung von Jurasz
(Referat auf der Sitzung der laryngo-rhinologischen Abteilung der
>o. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürn¬
berg am 12. September 1893), welcher die Seltenheit des zirkum-
s \iipten Syphiloms der Trachea betont und bei blutigen Eingriffen
an der Trachea empfiehlt, Jodkali weiter zu geben, selbst wenn
keine Dyskrasie mehr zu bestehen scheint, damit m a n
sicher ist, dass durch die Verletzung das
schlummernde Gift nicht geweckt und der Hei¬
lungsvorgang nicht gestört wird.
Genug der Beispiele ! Der Ueberblick über die ein¬
schlägige Literatur, den wir gewonnen haben, bestärkt uns in
der Meinung, dass Tracheotomien bei den syphilitischen Tracheal¬
stenosen tunlichst vermieden werden sollen, und an ihre Stelle
irgend ein rechtzeitig eingeleitetes dilatatives Verfahren gesetzt
zu werden verdient. Die Prognose ist auch dann noch immer nicht
glänzend zu nennen, jedenfalls spart man Kräfte des Patienten
und erspart ihm Gefahren, die man vorher nicht übersehen kann.
Aus der Dr. Brehmer sehen Heilanstalt zu Görbersdorf i/Schl.
(Chefarzt : Geheimrat Dr. Petr i).
Ein Beitrag zur Diagnose der Lungen-Kavernen.
Von Dr. H. Cybulski, Sekundärarzt der Anstalt.
Unter den zahlreichen Symptomen, welche uns instand¬
setzen, sei es durch Auskultation oder durch Perkussion, die An¬
wesenheit von Kavernen gewisser Grösse zu erkennen, habe ich
niemals dasjenige, auf welches ich jetzt die Aufmerksamkeit
lenken möchte, vorgefunden. Dieses Symptom stützt sich auf
die Tatsache, dass das Rasseln, welches in der Kaverne entsteht,
nicht nur beim Auskultieren wahrzunehmen ist, sondern auch
dann, wenn wir das Ohr dem breitgeöffneten
Munde des Kranken nähern und ihn tief atmen
lassen; dann hört man ganz deutlich in der Tiefe der Lungen
das Rasseln, dessen Charakter und Grösse vollständig dem ent¬
spricht, was man auf gewöhnlichem Wege zu hören vermag. Ich
muss nun noch hinzufügen, dass der Charakter dieses Rasseins
meist etwas schärfer und deutlicher wahrzunehmen ist; man hört
also auf diese Weise klingendes Rasseln, metallisches, Gargoulle-
ment; ebenso Rasseln, welches zwischen klingendem und feuch-
^cra <be Mitte hält. Durch gleichzeitiges Auskultieren auf ge¬
wöhnlichem Wege ist man imstande, identische Geräusche über
der Kaverne wahrzunehmen. Von dem feuchten Rasseln, welches
in den Luftröhren entsteht, unterscheiden sich diese Geräusche
durch den Charakter, sowie durch ihre Lokalisation. Man ist
nämlich sehr gut imstande wahrzunehmen, dass sie aus der Tiefe
dei Lungen stammen und nicht in den gröberen Luftröhren
lokalisiert sind; dabei weist ihr Kaliber auf die Entstehung in
feineien Bronchien hin. Dieses Symptom ist ungemein ver¬
breitet; man kann es nämlich fast in jedem Falle von Lungen¬
kavernen antreffen, wovon ich mich durch zahlreiches Material
uberzeugt, habe. Dieses Symptom kann einen diagnostischen
Veit in jenen Fällen erlangen, wo das Kavernenrasseln durch
andere Geräusche verdeckt wird, welche in den umgebenden Ge¬
weben entstehen. Dann weisen die Geräusche, welche man auf
oben beschriebene Weise wahrnehmen kann, ganz deutlich auf
4*
1840
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
die Existenz von Lungenkavernen hin. In einigen ähnlichen
Fällen hat sich dieses Symptom vollständig bewährt; denn als
das umgebende Gewebe sich ein wenig gereinigt hatte, und
man infolgedessen das tiefer liegende Rasseln deutlicher hören
konnte, nahm man die Existenz von Kavernen wahr, nachdem
früher nur bronchiales Rasseln gehört worden ist.
Es wäre überhaupt wünschenswert, diese Art von direkter
Auskultation (wenn man sie so nennen darf) öfters anzuwenden.
Auch jedes Rasseln, welches in Trachea und Bronchien entsteht
(Giemen, Pfeifen u. s. w.), lässt sich auch auf diese Weise wahr¬
nehmen.
Ein Fall von Morphiumvergiftung im frühesten
Kindesalter.
Von Dr. Katzenstein in München.
Schweren Fällen von Morphiumvergiftung im frühesten Kin¬
desalter begegnet man in der Praxis wie in der Literatur recht
selten. Infolgedessen ist die Symptomatologie diesei sein
schweren, ja meist letalen Erkrankung bis jetzt noch nicht ge¬
sichert, und Edlefsen fordert mit Recht, dass jeder derartige
Fall mitgeteilt werden möge.
Ich habe nun vor kurzem einen sehr schweren Fall von
Morphiumvergiftung erlebt ; da sich derselbe sowohl durch die
im Vergleich zu dem jugendlichen Alter des Kindes hohe Dosis,
als auch durch die erfolgreiche Therapie und besondere Sym¬
ptomatologie auszeichnet, möge derselbe in etwas ausführlicherer
Weise dargestellt werden.
In der Naclit vom 3. bis 4. Mai dieses Jahres wurde ich zu
dem 24 Tage alten, bis dahin gesunden Kinde, Gretch. R., ge¬
rufen, weil es im Schlafe gestöhnt und bald darauf einen Krampf¬
anfall bekommen habe, wobei es ganz blau geworden sei. Da ich
die Familie seit, langem kenne, und das Kind seit seiner Geburt
fast täglich zu beobachten Gelegenheit hatte, war es mir un¬
begreiflich, aus welcher Ursache heraus sich dieser telephonisch
gemeldete Anfall entwickelt haben konnte. Bei meiner Ankunft
fand ich das Kind in einem eklamptischen Anfall; die Atmung
■war sehr erschwert, das Kind hochgradig cyanotiscli. Die Pu¬
pillen waren klein, jedoch nicht übermässig verengt. Pupillar-
und Kornealreflex waren erloschen. Da sich der Fall in einer
Familie ereignete, in welcher die Pflege der Kinder mit hervor¬
ragender Sorgfalt und Äengstliclikeit gehandhabt wird, so unter¬
drückte ich den Gedanken an eine Vergiftung mit einem Narkoti¬
kum und behandelte den Fall wie einen eklamptischen Anfall.
Ich badete das Kind, machte kalte Uebergiessungen, hierauf gab
ich dem Kind einen kühlen Mastdarmeinlauf. Darauf machte ich
eine heisse, nasse Einpackung des ganzen Kindes bis zum Hals
und auf den Kopf kam die Eisblase. Das Kind wurde liieiauf
ruhiger, nur fiel es auf, dass die Lippen und die Gesichtsmuskeln
fortwährend in zitternder Bewegung waren. Die Atmung war
verlangsamt und oberflächlich. Nach etwa 10 Minuten wollte ich
mich überzeugen, ob das Klystier von Erfolg Avar, und da fand ich.
dass trotz der sorgfältigen Einpackung das Kind nicht nur nicht
Avarm, sondern am Körper ganz kalt geAvorden war. Das erregte
von neuem meinen Verdacht auf eine Vergiftung mit einem
Opiumpräparat. Auf meine Frage versicherte mir die Wärterin,
dass irgend ein Beruhigungsmittel nicht gegeben worden sei.
Da die Konvulsionen von neuem auf traten, wurde die ganze, oben
beschriebene Prozedur wiederholt. Als auch jetzt sowohl das
zweite Klystier ohne irgend eine Wirkung blieb, der Leib viel¬
mehr sich teigig, ich darf sagen, Avie leblos anfühlte, als auch
Aviederum trotz der heissen Ganzpackung eine erschreckende Ab¬
kühlung des Kindes erfolgt Avar, erfuhr ich endlich durch eine List,
dass die Wärterin in der Tat dem Kinde ein Morphiumpulver ge¬
geben hatte. Ich entfernte sofort Eisblase und Wickel und liess
dem Kinde fortwährend mit heissen Tüchern den Körper reiben.
Da. das Pulver bereits um 10 Uhr Abends gegeben Avorden war, und
seitdem 3 Stunden verflossen waren, glaubte ich von einer Magen¬
spülung absehen zu sollen. Ich flösste dem Kinde mit dem Löffel
etwas Tliee und ein Kalomelpulver, das zur Hand Avar, ein, gab
Seifenwassereinläufe in den Mastdarm und später ein Glyzerin-
klvstier. Die Krampfanfälle Aviederholten sich von nun an, an¬
fangs in Pausen von einer halben und später von einer ganzen
Stunde, so dass Avir bis Nachmittags 3 Uhr am 4. Mai etwa
20 Anfälle hatten. Inzwischen Avaren die Pupillen bis zur Steck¬
nadelkopfgrösse verkleinert. In den ZAvischen den Anfällen
liegenden Pausen lag das Kind bewusstlos auf seinem Bettchen.
Von dem dargereichten schwarzen Tliee schluckte es zeitweise,
Avährend zuweilen gar keine Schluckbewegungen stattfanden, so
dass das vorsichtige Darreichen von Flüssigkeiten ganz unter¬
brochen Averden musste. Die Zuckungen im Gesicht dauerten in
den anfallsfreien Zeiten immer fort; der Kornealreflex war
Avalirend dieser Zeit abgeschwächt, zum Teil nicht vorhanden, die
Lippen Avaren schön rot gefärbt, die Atmung verlangsamt. Das
Herz funktionierte ausserordentlich gut während der anfallsfreien
Zeit; die Herztöne waren deutlich und der Puls klein aber leidlich
fühlbar. Leider bin ich nicht im Stande, die Frequenz der Atem¬
züge und der Herztöne in Zahlen anzugeben, da ich mich infolge
der angestrengten Aufmerksamkeit auf die Lebensäusserungen des
Kindes auf meine abschätzenden Empfindungen beschranken
musste. So beruhigend das Aussehen des Kindes im anfallsfreien
Intervall war, so erschrecklich gestalteten sich die Anfalle, welche
nach wenigen Momenten in einen Zustand atoii A’ollstandigei As-
phvxie übergingen. Während anfangs die Anfälle den Eindruck
einer infantilen Eklampsie machten, etwa wie bei einem Stimm¬
ritzenkrampf, gestalteten sich dieselben später folgendermassen:
Bei dem ruhig liegenden Kinde sah man zuerst eine allmählich
stärker werdende Blaufärbung der Fingernägel und der Lippen.
Gleichzeitig wurde die Atmung seltener und noch flacher als vor¬
dem; hierauf trat ein Tetanus des ganzen Körpers ein und zu
gleicher Zeit mit diesem hörte die Atmung vollständig auf. Dabei
schlug das Herz zunächst ruhig und gleichmässig fort Der
Tetanus löste sich nach etwa 15 bis 30 Sekunden, es trat a oll-
ständige Erschlaffung der Muskeln ein und der Zustand war genau
wie man ihn bei neugeborenen asphyktischen Kindern zu sehen
Gelegenheit hat. Ich behandelte diese Anfälle mit den bekannten
Methoden der künstlichen Atmung und achtete ganz besonders
auch auf die Massage des Herzens. Denn wenn die Massage des
Brustkorbs nicht konstant fortgesetzt und auch nur auf Sekunden
unterbrochen oder gemässigt wurde, so erlebte ich es. in jedem
Anfall mehrere Male, dass die Herztöne an Kraft nachliessen und
die Herzschläge in immer grösser werdenden Intervallen auf¬
einander folgten. Die Massage des Brustkorbs setzte ich deshalb
auch dann fort, Avenn ich das Kind während des Anfalles in
lieisses Wasser Arerbrachte. Während in diesem asphyktischen
Zustande alle Hautreize, sogar kalte Uebergiessungen im Bad, ohne
eine Spur von Wirkung waren, so konnte, selbst wenn die Asphyxie
die höchsten Grade erreicht hatte, das Eintauchen des Kindes m
lieisses Wasser stets einen Reflex hervorrufen. Jedesmal machte
das Kind einen tiefen Atemzug und bewegte Arme und Beine.
Die Wirkung Avar zwar bloss momentan, immerhin war ein erfolg¬
reicher Hautreiz gesetzt, dem Kinde eine geAvisse Wärmemenge
wieder zugeführt und die Lungen- und Herzmassage konnte ant
dem Tisch wieder fortgesetzt Averden. Ich benutzte allerdings
Wasser von 35 0 R., d. s. ca. 44 0 C. Die Dauer dieser Anfalle,
während Avelcher das Kind selbständig nur 3 bis 4 Atemzüge, d. h
je einen Atemzug beim jedesmaligen Eintauchen in das Masse
machte, war Arerscliieden gross. Nach Angabe des Vaters, der di
Anfälle mit der Uhr verfolgte, dauerten die leichtesten Anfall
15 Minuten, die meisten 35 Minuten, der längste Anfall ubei
40 Minuten. Die Anfälle gingen vorüber, indem das Kind verein¬
zelte Atemzüge machte, AArelclie allmählich sich vertieften und
häufiger wurden. Mit der Massage konnte ich jedoch erst dann
aufhören, wenn das Kind auf Hautreize milderer Art als heisse
Bäder, z. B. auf die zum Schluss der Anfälle im Bad gemachten
brunnenkalten Uebergiessungen oder auf Kneifen der Haut mit
tiefen Atemzügen reagierte. Es ist hieraus, ersichtlich, dass es
einer grossen körperlichen Anstrengung, ebenso bedeutender Aul -
merksamkeit und Energie bedurfte, um durch die Massage die
Tätigkeit des Herzens aufrecht zu erhalten und die der Lungen
Avieder lieiworzurufen. Rechne ich alle Zeit der künstlichen Atem-
beAvegungen zusammen, so dürfte die Summe mindestens 0 bis
7 Stunden innerhalb des ganzen Zeitraums von 14 Stunden be¬
tragen. Um auf die Eliminierung des Giftes einzuwirken, machte
ich dem Kinde, bei welchem die Mastdarmeinläufe noch nicht ei-
scliienen waren, in Intervallen warme Kochsalzeinläufe in den
Mastdarm und ebensolche subkutane Einspritzungen. Es wurden
ungefähr 12 subkutane Einspritzungen ä 10 ccm = 120 ccm Wasser
gemacht. Mast da rmeinsprit zungen ä 100 ccm machte ich ca. 10
— 1 Liter, ist zusammen etwa 5/4 Liter Wasser, abgerechnet die
vorher zur Erreichung eines Stuhles schon erwähnten Ein¬
spritzungen. Vermittels dieser Mastdarmeinläufe wurden dem
Kinde im ganzen auch 4 Kaffeelöffel Kognak beigebracht, ebenso
etwa 50 ccm schwarzen Kaffee. Am Sonntag Vormittag hatte Heu
Dr. Oppenheimer die LiebensAVÜrdigkeit, mir bei den an¬
strengenden Wiederbelebungsversuchen beizustehen. Auf seinen
Wunsch wurden Inhalationen von Sauerstoff versucht, doch waren
dieselben während der Atmungslosigkeit des Kindes erfolglos, so
dass schliesslich von einem av eiteren Versuch abgesehen Avurde.
Von Nutzen dagegen schienen dieselben zu sein von dem Augen¬
blick an, avo das Kind selbständig atmete. Die erwähnten Frot¬
tierungen mit heissen Tüchern während der anfallsfreien Zeiten
Avurden ca. 30 Stunden unaufhörlich fortgesetzt. Selbstverständ¬
lich war das Zimmer, in welchem sich das Kind befand, sehr gut
geheizt. Da weder Stuhlgang, noch Urin entleert Avurden, gab ich,
als das Kind gut schluckte, ein weiteres Kalomelpulver und ent¬
nahm der gefüllten Harnblase am Vormittag ca. 120 ccm Urm
vermittels Katheter. Der Urin Avar eiweisshaltig. Nach etAva
G Wochen war der Harn eiweissfrei. Da vor der Vergiftung zu
einer Urinuntersuchung keine Veranlassung vorlag, ist es unmög¬
lich, festzustellen, ob die Vergiftung das Auftreten des Albumens
verursacht hat. Der letzte Anfall erfolgte Sonntag um 3 Uhr
Nachmittags, also 17 Stunden nach der Vergiftung. Nachts um
12 Uhr, also 26 Stunden nach der Einverleibung des Morphium¬
pulvers, trank das Kind die erste Flasche Milch. Nunmehr er¬
folgten frehvillige Entleerung von Urin und einer Reihe reich¬
licher dünner Stühle. Erbrechen war während der ganzen _v cr-
giftungsperiode nicht vorhanden. In der Nacht vom 4. >• ) •
verhielt sich das Kind ganz ruhig und machte den Eindruck, wie
Avenn es sich in gutem Schlafe befinde. Am anderen Morgen, dem
5. V., hatte das Kind Früh um 10 Uhr eine Temperatur Aron 40, o
4. November 1902.
_ ^UENCHENER MEDIOINTSOI LE WOCHENSCHRIFT.
betrug 1,11,1 am Abeml noch 38,5
Das Kind Zi ,',n v - ien!PT:ltlu' vollständig normal.
Eindruck, nimmt seine Nalmmg wie zuvo“ hat ST ulsleenn^in
und bat nur folgende Verletzungen davongeti-a^n- Die Haut auf
beiden Seiten des ganzen Brustkorbes etwa in der Mammnia •
hmg in Hebung SÄÄ Ä, T'Ch
Bi-anlnSe Ä “eines3 S ^
InjektiinenS dM Kind ZT 1I?eil.ung slchtbar- Die subkutanen
konstatierte TemperaturerhöhTg^ensSeSuf^tSleTSnlen
können. Was die Menge des Morphiums betrifft, Teiche daTlHM
PniT.men ,at S?.eifulu' ich V011 der Wärterin, dass sie ein ganzes
.... . ' e! ' ei ab reicht habe. Nach Ausweis des Rezeptes welches
lui eine erwachsene Person aufgeschrieben war enthielt das
Pulver g 0,007 Morphium hydrochloricum. enthielt das
Von besonderem Interesse an dem mitgeteilten Fall sind die
beschriebenen klonischen und tonischen Krämpfe. Infolge nar¬
kotischer Vergiftung treten nach Angabe der Lehrbücher der
ioxikologie und der Arzneimittellehre derartige Krämpfe regel-
massig bei niederen Tieren, z. B. bei den kaltblütigen Fröschen
aut. Bei Menschen sind sie nur dem allerfrühesten Lebensalter
eigentümlich. S oltmann gibt hierfür eine plausible Er-
i arung. Darnach besitzt das Gehirn des Neugeborenen, schon
gegenüber dem des alteren Säuglings auf Grund seiner rück¬
ständigen anatomischen Beschaffenheit (Fehlen der strengen
rennung zwischen weisser und grauer Substanz; vielfaches
elilen der . Markscheiden um die Achsenzylinder, mangel¬
hafte Entwicklung der Pyramidenbündel etc.) an und für
sich eine erhöhte Reflexdisposition. Auf Grund dieser ver¬
schiedenen physiologischen Entwicklungen reagiert eben der Neu¬
geborene auf Opium wie ein niederes Rückenmarkswesen. So
kennte ich infolge der grossen Jugend des Kindes die deletäre
irkung des Morphiums auf die Zellen der Grosshirnrinde und
der Medulla oblongata nebeneinander beobachten. Bei älteren
Säuglingen und Erwachsenen fällt die bis zu Krämpfen führende
Wirkung des. Morphiums infolge der zahlreichen Reflex-
hemmungsvorrichtungen gewöhnlich fort.
Das Gewicht des Kindes beträgt 3500 g, infolgedessen be-
lechnet sich für das Kilo Körpergewicht 2 mg Morphin. Für
einen Erwachsenen von 50 kg Gewicht würde das eine Dosis von
1 dcg Morphin bedeuten, d. i. das Dreifache der Maximaleinzel¬
dose. Es ist bekannt, dass bei Erwachsenen die Toleranz gegen
Morphin sehr verschieden ist (Singer). Lew in teilt einen
tall mit, bei dem schon bei einer Dosis von 0,06 g der Tod er-
w v-i •Bei Hindern jedoch ist die Intoleranz gegen Morphin im
V erhältnisse, zu ihrem Gewichte und ihrer Jugend ganz unver-
haitnissmässig gross. Diese Anschauung finden wir in der ganzen
hier zutreffenden Literatur vertreten. Ich erwähne unter
anderen die Arbeiten vonLewin und H a r n a c k, W y s s und
S o 1 1 m a n n. Tappeiner sagt in seiner Arzneimittellehre •
„Besonders empfindlich, weit mehr als sich durch das geringe
Körpergewicht erkennen lässt, sind kleine Kinder. Bei Säug¬
lingen kann schon ein Tropfen Opium tinktur oder 0,001 g Mor-
phrn lebensgefährliche Vergiftungen hervorrufen.“ In einem
ausführlichen Gutachten, teilt E d 1 e f s e n einen Fall mit, der
einem Arzte so verhängnisvoll wurde. Dort bekam ein 7 Monate
altes Kmd pro Körpergewicht 1,045 mg Morphin innerhalb eines
Zeitraumes von mehreren Stunden und ging daran zu gründe.
Unser kleiner Patient von 24 Tagen, bei dem die Toleranz der
grosseren Jugend wegen entsprechend kleiner als in jenem Falle
angenommen werden muss, erhielt auf einmal 2 mg Morphin pro
Kilo Körpergewicht. Der selten schwere Verlauf der Vergiftung,
infolge deren das Kind einmal 40 Minuten, mehrere Male rund
30 Minuten vollständig ohne eigene Atmung war, und das Herz
öfter seine Thätigkeit einzustellen drohte, beweist, dass 2 mg
Morphin pro Kilo Körpergewicht des kindlichen Körpers als im
allgemeinen letale gelten muss.
Der glückliche Ausgang dieser Vergiftung ist wohl in aller¬
erster Linie der künstlichen Atmung zu verdanken. Dieses beste
und ohne jegliches Hilfsinstrument überall und jederzeit ver¬
wendbare Mittel wird daher von vielen Autoren gerühmt. So
teilt Husemann einen Fall von Thomas mit, in dem es
gelang durch Thoraxkompression bei einem Säugling in
24 Stunden 37 mal die Atmung zu beleben und schliesslich das
Leben zu retten. Unter anderem wurde künstliche Atmung an¬
gewendet von Caldi, der sich ausser auf warme Bäder mit
U ebergiessungen auf dieses Mittel beschränkte. Von einer Reihe
No. 44.
1841
. utoren wird die künstliche Atmung neben anderen Heilmitteln
empfohlen- Da schemt allerdings nach den Berichten von
Model, Gor ton und anderen die Faradisation der Nervi
phrenici eine sehr wichtige Rolle zu spielen.
Der Einfluss der Atropinbehandlung als Antidot wird sehr
gelobt von Wyss,Lewin, Husemann und Dornberger
Gruse empfiehlt auch bei Kindern grosse Dosen Atropin.'
urgess dagegen teilt mit, dass er von Atropin keinen ErfoD
gesehen habe, während Lenhartz die Atropinbehandlung bei
Morphiumvergiftung sowohl infolge seiner Erfahrung als auch
aut Grund experimenteller Studien für absolut irrationell hält.
Ich selbst habe im vorliegenden Falle von der Anwendung des
Atropin abgesehen. Aus meiner Studienzeit unter Wagner
m Leipzig erinnerte . ich mich mehrerer schwerer Fälle von
Morphin Vergiftung, die trotz rechtzeitiger Atropinbehandlung
einen unglücklichen Ausgang nahmen. Dann aber scheint mir
eine wirksame und doch unschädliche Dosis für das Säuglings¬
alter schwer zu finden; andererseits aber habe ich den Eindruck
dass alle m der Literatur mitgeteilten Fälle von Heilung der
Morphin Vergiftung durch Atropin so leichte waren, dass sie wahr¬
scheinlich auch ohne Atropin geheilt wären.
Auf die von englischen Autoren vielgerühmte Methode der
Kaliumpermanganbehandlung der Morphinvergiftung sei hier nur
hingewiesen und gleichzeitig darauf aufmerksam gemacht, dass
hinwiederum zwei Engländer, Thomson und Holder, den
\Vert des Kaliumpermangan als Antidot nachgeprüft und bei
J leren ein absolut negatives Resultat bekommen haben.
In dem vorliegenden Fall schien mir die sonst vielgerühmte
Magenspülung nicht opportun. Erstens waren bereits 3 Stunden
seit der Darreichung des Pulvers verstrichen; so war das Vor¬
handensein des Morphium zweifelhaft, und dann wurde be-
urchtet, dass durch die Manipulation ein neuer Krampf und
ein neuer Anfall von Asphyxie hervorgerufen werden könnte.
cnn wenn auch die Anfälle ohne äussere Veranlassung sich
wiederholten, so hatte ich doch den Eindruck, dass verschiedene-
male die Anfälle früher erfolgten, wenn an dem Kinde irgend
welche Manipulationen vorgenommen wurden.
P m dp© Magenspülung zu ersetzen, hatte ich im Anfang
als das Kind , noch schluckte und später, als es nach Schluss
der Anfalle wieder schluckte, Kalomel gegeben, das denn auch,
wie oben angegeben, reichliche grüngefärbte Kalomelstühle her¬
vorrief Ferner waren dem Kinde VA Liter Kochsalzwasser bei¬
gebracht worden, eine für das Körpergewicht des Kindes an¬
sehnliche Menge. Dieses Wasser sollte das Gift verdünnen und
rascher zur Ausscheidung bringen. Mir scheint das gelungen
zu sein, denn das Kind bekam nach 26 Stunden die ersten
Stuhl- und Harnentleerungen. Und da besonders durch den
Darmkanal (Tappeiner) das Gift entfernt wird, und der
grösste Teil des resorbierten Wassers durch Darm und Nieren
entfernt wurde, so wurde unsere Absicht sicher erreicht.
In der Tat erholte sich das Kind ausserordentlich gut und
schnell ; es war nach 26 Stunden so gut wie ganz frei von jeg-
liehen Symptomen der Morphiumverg’iftung*.
Hie Notwendigkeit, die mangelhafte Wärmeentwicklung des
Kindes künstlich zu unterstützen, ergab sich jedoch durch die
schnelle Abkühlung der Extremitäten von selbst. Die erwähnten
Exzitationsmittel dürften wohl nicht ohne Nutzen gewesen sein.
. Zum Schlüsse möge noch bemerkt werden, dass das Kind
seinem Alter gemäss frisch, dass seine Ernährung eine vorzüg¬
liche ist. In der ersten Woche nach der Vergiftung hatte es
um 210,0 g an Gewicht zugenommen. Auch Caldi z. B. be¬
merkt, dass das von ihm behandelte Kind späterhin ganz ge¬
sund war.
Literatur.
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Le win: Eulenburgs Real-Enzyklopädie: Artikel Mor-
plmim..— Husemann: Handbuch der Therapie von P e nz o 1 d t
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Walker: Therap. Monatsh. 1896. — Caldi (Referat): Ärch f
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No. 44.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
1S42
inod. W'oehensclir. 1S9G, No. 44. — Singer: Therap. Monatsh.
1900, .Juli. — Edlefsen: 1. Therap. Monatsh. 1901, April;
2. Münch, med. Wochenschi*., No. 5, 1901. — Pani: Prager med. ,
Wochenschr. 1893. No. 17. — Sol t manu: Die Beziehungen der (
physiologischen Eigentümlichkeiten des kindlichen Organismus zur
Pathologie und Therapie. Leipzig 1895. — Esc lile: Ein Beitrag
zur Kasuistik der Opiumvergiftungen. Therap. Monatsh. 1890,
Aprilheft.
Zur unblutigen Phimosen-Dehnung.
Von Dr. Graeser,
dirig. Arzt am Deutschen Krankenhaus in Neapel.
Die Erfolge mit unblutiger Phimosendehnung, über welche
Orlipski in No. 35 dieser Wochenschrift berichtet, kann ich
nur bestätigen. Ich wende dies Verfahren, durch lange Er¬
fahrung ermutigt, bei jeder Art Phimosen an und bediene mich
dabei gewöhnlicher Kornzangen, welche mich bisher immer zum
Ziele geführt und niemals unangenehme Nebenwirkungen,
wie Druckerscheinungen, gemacht haben. Die Vorhaut wird
anfänglich zweimal täglich je einige Minuten nach allen Rich¬
tungen gedehnt und jeweils direkt daran anschliessend werden
Versuche gemacht, die Vorhaut über die Eichel zurückzuziehen.
Man kann auf diesem Wege alte Narbenverengerungen dehnen
und für die Eichel passierbar machen. Intelligente Personen
lasse ich die Dehnung eigenhändig vornehmen, um durch öftere
Wiederholung schneller zu einem Dauererfolg zu kommen. Der
bei starker Dehnung eintretende Schmerz bildet ein genügendes
Korrigens gegen zu gewalttätiges Vorgehen.
Ueber rhino-pharyngologische Unterrichtsmethoden.
Von Dr. R. Kaf e m a n n,
Privatdozent an der Universität zu Königsberg.
Wenn ich nach 10 jähriger ununterbrochener unterriclitlicher
Tätigkeit in der Rhinopharyngologie heute an dieser Stelle das
Fazit meiner Erfahrungen ziehe, so geschieht es nur aus dem
Grunde, weil ich dieselben für wichtig genug halte, um auch
einen grossen, der Rhinologie fernstehenden Leserkreis zu inter¬
essieren. Dass ich diese Erfahrungen überhaupt sammeln konnte,
verdanke ich ausschliesslich der einzig dastehenden L i b e r a 1 i -
t ä t des Leiters des k. anatomischen Instituts
zu Königsberg, Herrn Geheimrat Prof. S t i e d a, der mir zu
jeder Zeit das reichhaltige Leichenmaterial zur Verfügung stellte,
wofür ich auch an dieser Stelle nicht verfehle, meinen verbind¬
lichsten Dank abzustatten.
Der praktische Aerzt wird sich gewöhnlich erst nach dem Ver¬
lauf einer längeren selbständigen Thätigkeit mit tiefem Bedauern
darüber klar, welche Bedeutung den Erkrankungen der oberen
Luftwege, sowohl ihre Fülle als die Wichtigkeit ihrer Mani¬
festationen für sich in Anspruch zu nehmen gestattet. Der Prak¬
tiker sieht sich aber leider infolge des Mangels an jeglicher
Technik genötigt, von jeder eigenen Betätigung auf diesem schwie¬
rigen Gebiet Abstand zu nehmen. Sollte er mit aussergewülin-
licliem Mute ausgestattet es wagen, sich desselben zu bemächtigen,
so würde er sehr bald die Erfahrung machen, dass die von ihm in
der besten Absicht unternommenen Eingriffe nicht den Patienten
zu helfen, sondern ihn zu verscheuchen geeignet sind. Die Er¬
klärung dafür liegt einzig und allein in dem Mangel jedweder
Technik. Ich entsinne mich selber noch genau jenes mich be¬
schämenden Momentes, als ich nach Monate währender rliino-
skopirender Beschäftigung zum ersten Male den Auftrag erhielt,
eine gewaltige Hyperplasie des vorderen Endes der mittleren
Muschel mit der galvanokaustischen Schlinge abzutragen und hier¬
zu aus Mangel an genügender technischer Ausbildung nicht im
stände war.
Bereits im Jahre 1897 bemerkte ich hierüber in meiner Ab¬
handlung: Zur R e f o r in des r li i n o - p li a r y n g o 1 o gischen
Unterrichtes1), deren Lektüre ich auch heute noch allen
Interessenten auf das wärmste empfehle.
Jeder, der wie ich, oft Gelegenheit gehabt hat, zu beobachten,
wie anscheinend geschickte Individuen einen ganz besonders be¬
quem sich der Schlinge darbietenden Nasenpolypen, resp. eine
Muschelhyperplasie erst nach zahlreichen, den Kranken erheblich
belästigenden, erfolglosen Versuchen zu fassen im stände waren,
wird diesen in doppeltem Sinne humanen Bemühungen (nämlich
durch fieissige Uebungen an der Leiche diese Technik zu über¬
mitteln) sein Interesse nicht versagen können. Human erstens,
weil dieselben zahllosen Patienten eine Unsumme von Quälereien
zu ersparen, zahlreichen Studierenden jenes Mass von Technik
zu übermitteln im stände sind, dessen Besitz einen moralischen
Faktor allerersten Ranges darstellt und sie befähigt, erfolgreicher,
als es bis heutigen Tages, der Fall ist, im eigenen Wirkungskreise
der Ausübung der Nasenheilkunde sich zu widmen.
J) Verlag von Franz Deuticke, Preis 40 Pf. — Vergleiche
auch Verhandlungen der Berliner laryngol. Gesellschaft, in welcher
ich auf den Wunsch des Herrn Geheimrath B. Fraenkel 1897
über diese Frage Demonstrationen vornahm.
In der Tat kann ich heute nach achtjährigen Beobachtungen
mit Sicherheit sagen, dass diese von mir inaugurierten Uebungen
eine erstaunliche Abkürz u n g d e r D a u er de r A u s -
Bild u n g herbei zu führen im stände sind — ein Moment, welches
angesichts des gewaltigen zu assimilierenden Wissensstoffes und
der grossen Summe zu erwerbender technischer Fähigkeiten bei
dem Mediziner gewiss sehr bedeutungsvoll ist. Ich unterscheide
eine externe und interne rhinologisclie Chirurgie. Dass die Kennt¬
nis ersterer, welche Operationen, wie die Eröffnung der Stirnhöhle
nach Kuh nt und Killian, der Kieferhöhle nach L u c etc.,
umfasst, genau nach den Grundsätzen der allgemeinen Chirurgie
übermittelt werden jnuss an der Hand von Uebungen an der
Leiche, erscheint von vornherein selbstverständlich. Aber auch die
interne Chirurgie, wie die Operation von Polypen, Muschel¬
abtragungen, Eröffnung der Nebenhöhlen, insbesondere der Sieb¬
beinzellen etc. etc. von innen, verlangt gebieterisch die Beobach¬
tung derselben Grundsätze.
In erster Linie wird der Studierende die Fähigkeit sich er¬
werben müssen, die Entfernungen in der Nasenhöhle richtig zu
taxieren. Am schnellsten wTird er dazu gelangen durch Uebungen
mit der Sonde und der Schlinge. Ist er im stände, Tumoren von
jeder Grösse, winzige wie ein Stecknadelkopf und gewaltige wie
eine Walnuss, mit unfehlbarer Sicherheit zu ergreifen, so sind
schon die Vorbedingungen für eine Reihe schwierigerer Eingriffe,
wie z. B. die Eröffnung der Siebbeinzellen mit der II a r t m a n n -
G r ti n w a 1 d sehen Zange erreicht. Mit einem reichen Leichen¬
material ausgestattet, ist man im stände, die so erstaunlich grosse
Mannigfaltigkeit der Natur bis zu einem gewissen Grade nach-
zualimen und den lebensvollen Reichtum der Verschiedenheit
wieder herzustellen. Ein künstliches Nasenphantom kann meines
Erachtens deshalb nicht mit der Leichennase konkurrieren, weil
man an der letzteren annähernd den gleichen Bedingungen sich
gegenüber sieht, wie bei einer kokainisierten und adrenalisierten
Käse des Lebenden. Letztere empfindet auch keine Schmerzen
und produziert nur minimale Blutungen. Die starre schematische
Anordnung eines Modells des Naseninnern kann niemals die
launenhafte Mannigfaltigkeit der Natur, ihre zahllosen Kompli¬
kationen ersetzen, welche gegenüber den Modellen den wertvollen
Vorzug besitzen, ein bedeutend gesteigertes diagnostisches und
technisches Können herbei zu führen.
Ich habe eine ziemlich erhebliche Zahl von Studierenden und
Aerzten auszubilden Gelegenheit gehabt und bei dieser Gelegenheit
recht häufig beobachten können, wie schnell sich diejenigen asso-
ciativen Verbindungen herausbildeten, welche die manuelle Technik
der Nase erfordert.
Ich kann meine heutigen Bemerkungen nicht besser schliessen,
als mit den Schlussätzen meines vorhin erwähnten Vortrages:
Würden derartige Uebungen, mehr als es bisher der Fall war,
einen integrierenden Bestandteil des rhinologischen Unterrichtes
bilden, so würde nach einer kurzen Frist die Betätigung der prak¬
tischen Aerzte in dem Gebiet der Rhinologie eine erfolgreichere
und umfangreichere werden und die jetzt allerorten bestehende
Misstimmung der praktischen Aerzte gegen das Spezialistentum,
soweit die Rhinologie in Frage kommt, baldigst verschwinden.
Aerztliche Standesang elegenheiten.
Zur Geschichte der Versammlungen mittelrheinischer
Aerzte.
Von Dr. A r thurHoff m a n n in Darmstadt.
In No. 23 der Münch, med. Wochenschr. vom 10. Juni 1902,
pag. 981, erstattete Dr. Benno Lewinsolin-Bad Soden a/T. Be¬
richt über die „48.“ Jahresversammlung mittelrheinischer Aerzte zu
Bad Soden a/T. vom 20. Mai 1902. Am Schlüsse; seines Berichtes
bemerkt der Referent, mit dem nicht direkt ausgesprochenen Hin¬
weis auf ein im Jahre 1904 zu feierndes 50 jähriges Jubiläum,
dass in Frankfurt a/M. 1854 der erste mittelrheinische Aerztetag
abgehalten worden sei.
Es ist dies ein historischer Irrtum. Wie ich mich auf der
Sodener Versammlung überzeugte, wurde dieser Irrtum von vielen
dort anwesenden Aerzten geteilt, und ist deshalb eine Richtig¬
stellung wohl am Platze.
Eine kurte Betrachtung der Entstehungs- und Entwicklungs¬
geschichte der Versammlungen mittelrheinischer Aerzte dürfte
aber auch weiteren ärztlichen Kreisen von Interesse sein. Han¬
delt es sich doch um eine der ältesten derartigen Institutionen in
Deutschland und verdankt dieselbe ihre Gründung doch im wesent¬
lichen der Initiative eines Mannes, der in seiner Wissenschaft, der
operativen Gynäkologie, eine bahnbrechende, hervorragende Rolle
zu spielen späterhin berufen war. Zudem blicken wir in diesem
Jahre schon auf 50 Versammlungen mittelrheinischer Aei*zte zu¬
rück, eine Tatsache, welche die Existenzberechtigung und Lebens¬
kraft dieser regelmässigen Zusammenkünfte wohl hinlänglich be¬
weist.
Als Quelle benutzte ich neben den Akten des Vereins hessischer
Aerzte in erster Linie den von dem langjährigen, hochverdienten
Vorsitzenden dieses Vereins, Geh. -Rat Dr. Eigenbrodt*), imJahre
1884 abgefassten „Bericht über die Tätigkeit des Vereins vom
*) Geb. 7. Febr. 182G zu Darmstadt, gest. 25. Mai 1900 zu
Darmstadt.
4. November 1902.
S tat. als
kolle der Versammlungen ndtSin If , benchtet- Da die Proto-
wo die Aerzte stets am Orte.
recht mühsam, die einzelnen Versnmn / ' , ei )en’ war es zum Teil
zustellen; durch dte danlS?wS? uachträglich fest-
ssr- K— trs
»Ä ln ’Ä” '* ro?t’>- ”hatte
regung zu gemeinschaftlichen wisselSaftbMpn ^v“ e erf!te An'
«SÄ —=
» « Vf? S- f « ÄS
wärmste Entgegenkommen fand1 U“d Dr- 8 P 1 e s s sen. das
Vereinsakten befindet: „Mehrere Frankfurter"! nt°ch bei (lerl
‘C so “sreile“' ich IS®“,- r ""»Ä
un? ÄÄ“Sr ~
den, !r ÄÄCÄS St«
hrzShen81! **?" Prä|,l<Jent! anterselchnete VoStand
SL *«“«!*•• «• erl!ulbt sich. Ihnen mit
iir ’ k> Di. Spie ss dem Vereine tinzeie’te wie e^ riei*
Y n.nsch mres Vereines ist, dass von beiden Seitef einV gemeln-
. < mt liehe Zusammenkunft zur Förderung der Wissenschaft vn
s ande komme. In unserer gestrigen Sitzung wird^Ihr Vorschlag
mit vielem Vergnügen angenommen und zugleich beschlossen dn^
staZtn würdSWert Se/’ wenn es den Mitgliedern beider vSe ge
Etalldu™? ^;i1PrnS/“i-an Aerzte ihrer Bekanntschaft seinerzfit
lassen wn. ü/' ete,lbgunj> an gedachter Versammlung zu er-
T‘, ‘ ’ ,M*! hoffen, dass diese letztere Ansicht gleichfalls von
men gebilligt werde, und indem wir Sie ersuchen uns gefälligst
hierüber Antwort zukommen zu lassen, wünschen wir SS
mh Ihne? naS Nabere uber die gemeinschaftliche Zusammenkunft
niit Ihnen besprechen zu können. Indem wir Sie ersuchen unser
reSrtäfer ' S'lS'JVT Y«*®"« ** bri^n, verbleiten wir.
f ,™0, IIeri Präsident, mit grösster Hochachtung- der Vor
K ^s^erzthehen Vereins zu Frankfurt a. M. Dr. E. Seidl-
lu»> !• Präsident. Dr. F. Funck, Sekretär.“
. w., J Dezember 1856 frug dann der Verein hessischer Aerzte
n I lankfurt an, ob für den Schluss des Monats Januar eine ae
— Zusammenkunft des Frankfurter und hiesigen
könne hGAi V£rem!- zur Fördening der Wissenschaft“ stattfinden
^>nne. Als Tag dieser ersten Zusammenkunft wurde nach einem
Bnffe \°rnPr- SPiess der 24. Januar 1857 und als Oit Frau
ounA M‘ fe|tgfs?tzt‘ Die wissenschaftliche Sitzung fand Nach
* laft !°«3T,5 SlLcm Hörsaale.del' Senckenterglschen GeseH-
„HollLÄm Ho? gemeinschaftliches Mittagessen in,
teilt ”DnifSeu-eiVe Zusammenkunft ist“, wie Eigenbrodt1) ur¬
teilt, „als die Urversammlung1) de r „m i 1 1 e 1 r h e i n i -
_J^UENC1IEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1843
. 0 Jahresbericht des Vereins hessischer Aerzte, zugleich ärzt-
dafLÄr6lnS, fflr «• Darmstaat und Grelgerau fte
e« v 11 . 1884’ 111 A einem Berichte über die 40 jährige Tätigkeit
Pag. Ao Vom Tage seiner Gründung, dem 30. Sept. 1S44, an.
0 1. c. pag. 19.
Armt-- GelJ' 3°; Mai 1824 zu Darmstadt, 1848—1861 grossh liess
Militärarzt und prakt. Arzt in Darmstadt, 1SG1— 1867 Professor der
ZZUl^D£°Tk' l86^878 Pl0,esSM- *'“• Chirnrgieln Heidel1.
äi-zmehef vf;-, ,UfUSt 1S7(l m Heselberg. Simon hatte für
L ,s ^ ei einsieben ein besonderes Interesse. So gründete er
AerzteSednerr ^ Rostock den Verein baltischer
wah/ wfoT , ’ I)1saf'lll!dl die 3 nordischen Universitäten Greifs-
vaiü, Kiel und Rostock umfassen sollte; späterhin war er auch
e?eif er Jf vUl'hebei'i der DeutÄ“ Gesellschaft für Clfirurgfe
ücien eiste \ ersammlung im Jahre 1872 stattfand.
) 1. c. pg. 19.
o. Inn??,. .nu5L diese Frankfurter Zusammenkunft vom
hum mXi,iw7-af v o r Versammlung oder als erste Versamm-
5S1 lrbc ^^^her^erzte auffassen will, erscheint ziemlich un-
weSf!' lll bJn bie1' der Auffassung E igenbrodts gefolgt,
lehemu nach dem Aktenmaterial des Vereins hessischer Aerzte
Slcb za Paben scheint. Dass übrigens schon damals auch
r ‘ adere Auffassung Anhänger hatte, geht daraus hervor, dass
THrm . !“ if11 bei der Veröffentlichung seines am 4. Juli 1857 in
mir ta dt fehaltenen Vortrags (Monatsschrift für Geburtskunde
and Frauenkrankheiten, Berlin 1858, Bd. XII, pg. 42) bemerkt-
l a n z e n M? ’ I,g n ü. e n Zusammenkünfte die A e r z t e d e s
privatim Aerzte ihrer Bekanntschaft eingeladen w2Tf ’ n1ur
noch im selben Jahre für den 4 Juli nach Ält bG1 der
ST»? -«.x
SMxisSSl
sammenkunft ebenfalls SSS^SchS
Aerzte zu Darmstadt“, und auch Dr. Th v nt«,'! •
Namen des Heidelberger Naturhistorischen Vereins für die' 'von
ergangene Einladung dankte, spricht in diesem Sclireb
n l on dei „1 ersammlung mittelrheinischer Aerzte“.
lese erste, am 4. Juli 1857 in Darmstadt abgehaltene Ver
Sammlung mittelrheinischer Aerzte tagte im 7 V r'
Traube“ und begann Nachmittags um 3 Uhr. Es waren mich der
mir vorliegenden Präsenzliste 50 Teilnehmer erschienen uml zwar
stedt° Frankfurf1611^03^1-61’ Cl'ontha1’ Crumstadt, Darmstadt, Eber-
bui^’v a a' M" Giessen, Grossgerau, Heidelberg. Bad Hom-
buig \ . d H., Langen, Mainz, Mannheim, Marburg a. d. L Offen-
bacli a. M., Pfungstadt, Umstadt und Worms. Ausserdem war
noch ein Arzt aus Russland anwesend. Von diesen 50 Teiknebmmm
1A ben/1zuizeit üoch 6; es sind dies die Herren: E c k h a r d - Giessen
zu Freibur«? f rRiDaw-fitaidt’ 1864 Professor der Gynäkologie
stmit f ^ ’ Mdhelm Hess- Mainz, Heumann-Pfung-
Worms m Bensbeim» H- O r t h - Darmstadt und Salzer-
. 1 ,i(‘ 1 ;1gesordnung dieser ersten Versammlung ist nicht allein
tgen der Vortragenden, sondern auch wegen der gewählten The-
JSSJ“ besonderem Interesse. Es wurden füllende VortSge
d«, Ueber Durchschneidung
?: Prof- Dr- Kussmaul- Heidelberg: Ueber Fallsucht Dip
kiirl,nffgeteUte.r ”kÜ1'Zlieb beendeten“ berühmten Arbeit») wurden
A Sr Dr• . P ° s e r. ' Marburg: Ueber Cystenfisteln.
4 Militärarzt Dr. Simon- Darmstadt: Ueber die Heiluiv
lidt \- '!Sfeiu"Scliei<Tc!1"-1,lll|d Blasen-Gebärmutter-Scheidenfisteln 1),
mit Vorstellung geheilter Frauen. ’
obacLS\™ ppepMe'ISe.,'mStadt: Ue6er eh,e •«-
FhloretomSt Bücbner' Darmstadt: Ueber einen Fall von
auf d7ip^°^?lonECVard-Hiessen: Ueber den Nerveneinfluss
aut die Speichelabsonderung, mit einem Experiment.
+ « Aus^deni standen noch auf der Tagesordnung folgende Vor-
tia&e. Dr. P a s s a v a n t - Frankfurt a. M.: Ueber die Hei-
b!af, der Gaumenspalte. Militärarzt Dr. Eigenbrodt- Darm-
stadt. Ueber die Operation der Cataracta aecreta. Dr. Alfred
H e g a r - Darmstadt : Ueber die Beschaffenheit der Nieren bei Er¬
hängten. Militärarzt Dr. T e n n e r - Darmstadt: Ueber die An-
des Ecraseur von Chassaigna c, nebst Vorstellung
\°n Patienten bei welchen derselbe angewendet wurde
An die wissenschaftliche Sitzung schloss sich „ein heiteres
gemeinschaftliches Mittagessen in demselben Lokale“ an.
kur die in den folgenden Jahren abgehaltenen Versamm¬
lungen mittelrheinischer Aerzte wurde das Programm ganz in
i ei selben V eise auf gestellt, wie für die eben geschilderte erste
V ersammlung. Die wissenschaftliche Sitzung beginnt gewöhnlich
i 1V1^r.frUhen Nachmit tagsstunde, etwa um 1 Uhr, das gemein¬
schaftliche Essen etwa um 4 Uhr. Es ist hierdurch den Teil¬
nehmern möglichst Gelegenheit gegeben, vor ihrer Abreise an den
Versammlungsort ihren dringendsten Beriifsverpflichtungen zu
Hause noch nachzukommen. In jeder Versammlung wird der Ver¬
sammlungsort des nächsten Jahres auf Grund der eingegangenen
Einladungen durch Abstimmung festgesetzt.
Nur in den Jahren 1S60, 1862, 1863 und 1872 wurden 2 Ver-
sammlungen abgehalten. In allen übrigen Jahren fand nur eine
V ei Sammlung statt, und zwar wurde schliesslich ein für allemal
clei I fingstdienstag als Versammlungstag angenoaimen.
„gehalten am 4. Juli 1857 in der zweiten Versammlung der
„mittelrheinischen Aerzte“ in Darmstadt.“ Simo n gibt in einer
Anmerkung noch folgende Erklärung: „Zu diesen Versammlungen,
welche im vorigen Jahre (1857) zweimal stattfanden, vereinigen
sich Aerzte von Frankfurt, Darmstadt, Heidelberg, Giessen, Mar¬
burg, Offenbach, Wiesbaden, Mannheim u. s. w. Die erste Ver¬
sammlung wurde in Frankfurt, die zweite in Darmstadt gehalten.“
") Untersuchungen über Ursprung und Wesen der fallsucht¬
artigen Zuckungen bei der Verblutung, sowie Fallsucht überhaupt
\ oii I lof. Adolf Kussniäul und Adolf T g n n g r in Hoidolborg.
Untei suchungen zur Naturlehre des Menschen und der Tiere her¬
ausgegeben von Jacob Moleschott, Bd. III pg 1 Frank¬
furt a. M„ 1857. ’ i e
7) Monatsschrift für Geburtskunde 1. c.
5*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
An folgenden Orten wurden die einzelnen Versammlungen
abgebalten: I. 4. VII. 1857 Darmstadt; II. 26. IV. 1858 Giessen;
III. 26. IV. 1859 Heidelberg; IV.— VI. 30. V. 1860, 13. X. 1860,
22. V. 1861 Frankfurt a. M.; VII. 22. IV. 1862 Darmstadt; VIII.
1. XI. 1862 Heidelberg; IX. 26. V. 1863 Mainz; X. 28. XII. 1863
Frankfurt a. M.; XI. 17. V. 1864 Wiesbaden; XII. 6. VI. 1865 Bad
Nauheim; XIII. 3. IV. 1866 Frankfurt a. M.; XIV. 23. IV. 1867
Darmstadt; XV. 2. VI. 1868 Heidelberg; XVI. 18. V. 1869 Mainz;
XVII. 7. V. 1870 Mannheim; XVIII. 30. V. 1871 Wiesbaden;
XIX. 22. V. 1872 Frankfurt a. M.; XX. S. X. 1872 Winzingen
i. d. Pf.8); XXI. 3. VI. 1873 Worms; XXII. 20. V. 1874 Darmstadt;
XXIII. IS. V. 1875 Heidelberg; XXIV. 6. VI. 1876 Karlsruhe;
XXV. 23. V. 1877 Frankfurt a. M.; XXVI. 11. VI. 1S78 Mainz;
XXVII. 3. VI. 1879 Wiesbaden; XXVIII. 18. V. 1880 Bad Hom¬
burg v. d. H.; XXIX. 7. VI. 1881 Mannheim; XXX. 30. V. 18S2
Heidelberg; XXXI. 15. V. 1883 Dürkheim a. H.; XXXII. 3. VI. 1884
Mainz; XXXIII. 26. V. 18S5 Wiesbaden; XXXIV. 15. VI. 1886
Darmstadt; XXXV. 31. V. 18S7 Bad Sodena.T.; XXXVI. 22. V. 1S88
Frankfurt a. M.; XXXVII. 11. VI. 1889 Mannheim; XXXVIII.
27. V. 1890 Mainz; XXXIX. 19. V. 1891 Heidelberg; XL. 7. VI. 1892
Worms; XLI. 23. V. 1893 Kreuznach; XLII. 15. V. 1894 Darmstadt;
XLIII. 4. VI. 1895 Baden-Baden; XLIV. 26. V. 1896 Bad Nauheim;
XLV. 8. VI. 1897 Marburg a. d. L.; XLVI. 31. V. 1898 Otten¬
bach a. M.; XLVII. 23. V. 1899 Hanau; XLVIII. 5. VI. 1900 Bad
Homburg v. d. H.; XLIX. 2S. V. 1901 Bingen; L. 20. V. 1902 Bad
Soden a. T.
Die Versammlungen fanden also statt: 8 resp. 9 mal in Frank¬
furt a. M., je 6 mal in Darmstadt und Heidelberg, 5 mal in Mainz,
4 mal in Wiesbaden, 3 mal in Mannheim, je 2 mal in Bad Hom¬
burg v. d. H., Bad Nauheim, Bad Soden a. T. und Worms, je 1 mal
in Baden-Baden, Bingen, Dürkheim a. H., Giessen, Hanau, Karls¬
ruhe, Kreuznach, Marburg a. d. L., Offenbach a. M. und Win¬
zingen i. d. Pf.
Eine Zusammenstellung sämtlicher Vorträge, welche auf
diesen 50 Versammlungen mittelrheinischer Aerzte gehalten
worden sind, würde jedenfalls ein intex-essantes Bild der Entwick¬
lung unserer medizinischen Wissenschaft geben. War es doch von
jeher das Bestreben der Vortragenden, auf diesen Versammlungen
gerade das für die Praxis wichtige Neue, man kann wohl sagen:
die aktuellen Fragen zu behandeln.
Vielleicht versucht später einmal ein fleissiger Sammler,
das zerstreute Material zusammenzutragen und auf diese Weise
ein getreues Bild der ersten 50 Versammlungen mittelrheinischer
Aerzte zu geben. Vivant sequentes!
Referate und Bücheranzeigen.
Prof. Dr. Friedrich E e i n k e, Prosektor am anatomischen
Institut in Rostock: Grundzüge der allgemeinen Anatomie.
Zur Vorbereitung auf das Studium der Medizin nach biologischen
Gesichtspunkten bearbeitet. Mit 64 Abbildungen. Wiesbaden,
Verlag von J. F. Bergmann, 1901. 333 Seiten.
Das vorliegende Werk ist das erste in seiner Art; es ist der
erste wirkliche Versuch einer Sammlung des Stoffes auf dem
Gebiete der allgemeinen Anatomie. Die älteren, unter gleichem
Titel erschienenen Werke sind nicht in Anrechnung zu
bringen, da sie dem Usus ihrer Zeit gemäss nur Histologie
enthalten. R e i n k e s Buch würde also sicherlich auch dann
noch verdienstlich sein, wenn es weniger glücklich abgefasst wäre,
als wirklich der Fall ist.
Von der „erkenntnistheoretischen Einleitung“, welche der
Autor gibt, möchten wir absehen : R e i n k e ist auf diesem Ge¬
biete Dilettant, und es schadet seinem guten Namen nur, wenn
er sich auf derartige Dinge einlässt. Wir besitzen auf dem in
F rage kommenden Gebiete ein exzellentes W erk von A. Riehl
(Philosophischer Kritizismus, Leipzig, W. Engelmann,
Bd. II), welches jedem Bedürfnis genügt und auf welches wir
verweisen.
Der Verfasser beginnt dann zunächst mit dem Bau der Zelle,
betrachtet das Protoplasma, seine chemische Zusammensetzung,
seinen Aggregatzustand, seine Struktur, sichtbare und un¬
sichtbare etc., geht dann gleicherweise auf den Zellkern und die
Zentralkörper über und scliliesst dann, nach Betrachtung des
Morphologischen, die allgemeine Physiologie der Zelle an, soweit
sie dem Usus gemäss von Anatomen untersucht und abgehandelt
wird. Hierzu gehört zunächst das Kapitel der Zellteilung, der
Bewegung, der gestaltenden Tätigkeit, der Reizbarkeit, der Be¬
fruchtung und Vererbung. Hierauf lässt Reinke das Kapitel
der Entwicklungsmechanik folgen, welches in ziemlich ausführ¬
licher Weise nach dem Vorbilde Roux’ abgehandelt wird. An
8) Nachbarort von Neustadt a. d. H., jetzt als Neustadt-Ost
eingemeindet. Diese Versammlung wurde iu Verbindung mit der
20. Generalversammlung des Vereins Pfälzer Aerzte abgehalten.
Dr. Fr. Loechner: Zur Geschichte des Vereins Pfälzer Aerzte.
Vereinsbl. d. Pfalz. Aerzte, V., pg. 168, Aug. 1889.
dieses schliessen sich dann sinngemäss die „funktionelle An¬
passung“ und endlich die „Regeneration“ an, womit das Buch
endet.
Wie aus dieser Inhaltsangabe ersichtlich ist, findet man in
Reinkes Buch sehr vieles, und bei der zweifelsohne grossen
Intelligenz des Autors ist auch die Darstellung im allgemeinen
eine glückliche und angemessene. Nur ist der Autor manchmal
zu stark ins Exzerpieren geraten, was bei der Wiedergabe der
meist schwierig stilisierten Arbeiten Roux’ der Verständlich¬
keit sehr schadet.
Was die Auswahl des Stoffes anlangt, so würde ja jeder
Anatom in einem solchen Werke, bevor nicht der Umfang des
in Frage kommenden Gebietes der „allgemeinen“ Anatomie völlig
feststeht, seine eigenen Liebhabereien hervorkehren. Es ist also
nicht möglich, im einzelnen an dem Inhalt Ausstellungen
zu machen. Trotzdessen hoffen wir keinen Anstoss zu erregen,
wenn wir hervorheben, dass das Buch eine grosse Lücke
besitzt, die bei einer zweiten Auflage des Werkes, welche wir dem
Verfasser herzlichst wünschen, sicher ausgefüllt werden muss.
Reinke hat nämlich unterlassen, jene allgemeinen Prinzipien
der Anatomie zur Darstellung zu bringen, welche aus der ver¬
gleichenden Anatomie herfliessen. Eine „allgemeine“ Anatomie,
in welcher nicht die Rede ist von Metamerie, Antimerie, bio¬
genetischem Grundprinzip, Caenogenese, Palingenese, Indivi¬
duen, Tierstöcken, Kolonien etc. ist nicht gut denkbar.
Im übrigen möchten wir keine Ausstellungen machen.
Reinkes Leistung ist gross genug, um alle Anerkennung zu
verdienen. Es gehört viel Mut dazu, ein solches Werk zu planen
und zu schreiben, und empfehlen wir dasselbe der Aufmerksam¬
keit weitester Kreise. Martin Heidenhain.
Prof. E. Leser: Operationsvademekum für den prak¬
tischen Arzt. II. Aufl. Berlin 1902. Verlag von S. Karger.
Die neue Auflage des vorliegenden Buches bietet im Gegen¬
satz zu der ersten Auflage eine Fülle von Originalabbildungen.
Es musste ja bei der Besprechung der ersten Auflage darauf
hingewiesen werden, dass der Verleger sich seine Aufgabe durch
Entnahme zahlreicher Bilder aus den gangbaren Büchern und
Atlanten von Kocher, Zucker kandl u. a. etwas zu leicht
gemacht hatte. Für die neue Auflage hat der Herr Verfasser
es sich angelegen sein lassen, bei Operationen an der Leiche oder
am Lebenden passende Präparate zu gewinnen und dieselben
durch photographische Aufnahme zu fixieren; für die Photo¬
graphien sind dann autotypische Nachbildungen hergestellt wor¬
den. Diese Verbesserung ist entschieden anzuerkennen, doch
dürfte es einer dritten Auflage Vorbehalten sein, eine weitere
Verbesserung durch Herstellung noch deutlicherer Abbildungen
anzubahnen. W'er die Abbildungen Fig. 6, 7, 8, 9, 10, 11 z. B.
betrachtet, wird wohl noch nicht ganz zufrieden sein, denn die
Abbildungen werden nur durch den dazu gehörigen Text ver¬
ständlich gemacht, während sie doch im Gegensatz dazu zu der
Illustrierung des Textes dienen sollen. Auch andere Abbildungen,
z. B. diejenigen, welche die Resektion und zirkuläre Naht des
Darmes, Fig. 46, 47, 48, erläutern sollen, sind nicht deutlich, und
ich kann nicht sagen, dass die zu demonstrierenden Details in
diesen Abbildungen gut kenntlich wären. Ebenso steht es auch
mit einigen Abbildungen von Operationen an Extremitäten, wie
Figur 81, 84 u. a. Das, was einem grösseren Leserkreis das Buch
wertvoll gemacht hat, sind offenbar nicht die Abbildungen, son¬
dern das ist der Text, welcher in einer kurzen, klaren Weise
die Beschreibung der nach Ansicht des Verfassers für den prak¬
tischen Arzt wünschenswerten Operationsmethode darstellt.
Eine kleine Bemerkung möchte ich zum Schluss aber auch
in dieser Richtung machen. L. beschreibt als empfehlenswerte
Methode für die Entfernung kleiner Unterlippenkarzinome die
keilförmige Exstirpation. Ich vertrete den Standpunkt, dass man
prinzipiell bei der Exstirpation von malignen Tumoren ohne jede
Rücksicht auf die nachherige Vereinigung der Wunde resp.
Plastik vorgehen soll, und halte aus diesem Grunde auch die
prinzipielle Ausführung des Keilschnittes bei Unterlippenkrebs
für keine empfehlenswerte Methode. Ich finde, dass in dem be¬
treffenden Passus, und namentlich in der Fig. 21 des Les er¬
sehen Vademekums ein Moment zu Gunsten meiner Anschauung
vorliegt: der in dieser Figur rot gezeichnete Keilschnitt kommt
zu nahe an das Karzinom, und wie das hier auf der Abbildung,
welche ein Fachmann zur Belehrung von praktischen Aerzten
4. November 1902,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
publiziert, der lall ist, so wird es noch weit mehr in der Praxis
Vorkommen, wenn Aerzte zur Exstirpation von Unterlippenkarzi-
nomen schreiten und von vornherein darauf rechnen, mit derKeil-
exzision die erforderliche Plastik zu ermöglichen.
Helfe rieh - Kiel.
Di. H. Chailton Bastian: Heber Aphasie und andere
Sprachstörungen. Aus dem Englischen übersetzt von Dr Moritz
U r s t e i n. 511 S. Leipzig 1902. W. Engel m a n n.’
Das interessante Werk, das jetzt in verdienstvoller deutscher
1 Übersetzung erschienen ist, behandelt hauptsächlich die ver¬
schiedenen Formen der „Aphasien“. Der Verfasser schildert sie
eingehend und veranschaulicht sie durch 114 eigene und fremde
Krankengeschichten. An zahlreichen Stellen führt er zur Er¬
klärung der Aphasien seine eigenen, früher schon hier und dort
ausgesprochenen, Auffassungen vor. Dieselben weichen von denen
anderer Autoren zum Teil erheblich ab, was sich ja leicht ergibt
bei \ ersuchen, verwickelte seelische Vorgänge in bestimmte
Gegenden des Gehirns zu verlegen. Ich greife aus dem reich¬
haltigen Buche folgendes heraus.
Zunächst bespricht Bastian die Entwicklung des Sprech-
\ ei mögens und der Fähigkeit zu lesen und zu schreiben beim
Kinde, dabei nimmt er an, dass nicht eine Uebung, sondern nur
eine genügende Reife des Gehirns zum Sprechen nötig sei. Er
unterscheidet dann 4 Arten des Wortgedächtnisses: ein
akustisches, optisches, glossokinästhetisches und cheirokinästhe-
tisches, die beiden letzten für die Bewegungsempfindungen beim
Sprechen und Schreiben. Diese 4 Arten sind an 4 besondere,
durch mancherlei Kommissuren verbundene Zentren geknüpft.
Die grösste Intensität der primären Wiederbelebung der Worte
und damit die grösste Bedeutung für das Denken besitzt bei den
meisten Menschen das akustische Wortzentrum, nächst diesem
das optische, während die selbständige Erinnerungsfähigkeit der
beiden kinästhetischen Wortzentren sehr gering ist; diese werden
von den beiden anderen Zentren aus erregt. Bastian nennt
jene beiden Zentren sensorische, „Unästhetische“, obwohl sie in
der Broca sehen und wahrscheinlich im Eusse der zweiten
linken Stirnwindung liegen, also an Stellen, die man sonst als
motorische Gebiete bezeichnet. Nach seiner Ansicht gibt es
nämlich eigentliche motorische Zentren nur in den motorischen
Zellen des Bulbus und des Rückenmarks. Die Aphasie ist keine
eigentliche Lähmung, sondern die Folge eines Verlustes des Ge¬
dächtnisses für die Sprechbewegungen.. Die Wortzentren können
durch äussere Sinneseindrücke, durch Assoziation oder drittens
. durch willkürliche Wiederbelebung erregt werden. Die letztere
1 orm leidet am ehesten not. In der rechten Hemisphäre sind
die gleichen Wortzentren, aber nicht so hoch entwickelt, wie
in der linken Hemisphäre, die infolge der Rechtshändigkeit
überhaupt besser organisiert und schwerer geworden ist als die
rechte. Die einfachen Formen des Denkens sind nicht, wohl aber
die höheren, notwendig an die Sprache geknüpft. Bastian
läugnet das Vorhandensein eines Begriffszentrums als psycho¬
logisch unannehmbar und überflüssig. Bekanntlich erklärt er
die sogen, „transkortikale motorische Aphasie“ einfach durch
verminderte Erregbarkeit des akustischen Wortzentrums. Die
Begriffe werden in Adnexen der Wahrnehmungszentren vollendet,
die den Assoziationszentren Flechsigs entsprechen.
Die Sprachstörungen nach Läsionen der bulbären Zentren
und der Pyramidenbahnen und besonders die Aphasien nach
kortikalen Läsionen der Zentren und der Kommissurenbahnen
werden eingehend hinsichtlich der Symptomatologie, Aetiologie,
Diagnose, Prognose und Therapie besprochen. Auch wird die
Frage erörtert, welche Aphatiker zur Ausübung bürgerlicher
Rechte, namentlich der Abfassung von Testamenten, noch fähig
seien.
Der Verfasser steht ganz auf dem Boden der Lehre von der
Zusammensetzung der Sprachvorstellungen aus einzelnen
Sprachbildern und von den verschiedensten Sprachzentren.
Ei glaubt sogar an eigene Zentren für Zahlen und für
Musiknoten, entsprechend den Wortzentren, und denkt sich
m der rechten Ilirnhiilfte ebenso viele solcher Zentren ge¬
lagert wie in der linken. Ausser grundsätzlichen Be¬
denken drängt sich dem Leser wiederholt die Empfindung auf,
dass die Erklärungen des Verfassers für die Sprachstörungen
bezw. für das Ausbleiben von Sprachstörungen in Fällen, wo
No. 44.
1845
_ _
nach den schematischen Anschauungen solche zu erwarten ge¬
wesen wären, zu gewagt und willkürlich seien, zumal da, wo eine
Sektion fehlt. Es sollte z. B. die wichtige und wohlgestützte Er¬
kenntnis der ganz überwiegenden Bedeutung der Läsionen der
linken Hirnhälfte für die Aphasien Rechtshändiger nicht ohne
triftige Gründe durch die Annahme verwischt werden, dass die
i echte Hälfte für die Sprache ganz ähnlich, nur weniger gut aus-
gebildet sei. Wäre dies der Fall, dann müssten Beschädigungen
der rechten Hälfte öfter Aphasien verursachen oder Aphasien
bei links gelegenen Herden öfter ausheilen. Auch geht es nicht
an, rein funktionelle Störungen, wie die hysterische Stummheit,
durch eine Läsion in den engen Grenzen der beiden unteren
Stirnwindungen zu erklären. Solche Hypothesen werden zu
leicht als Tatsachen auf gefasst.
Das klar und anziehend geschriebene Buch kann dem, der
sich für Aphasie näher interessiert, warm empfohlen werden.
Th. Zahn - Würzburg.
v. M i k u 1 i c z und V. Toraascze wski: Ortho¬
pädische Gymnastik gegen Rückgratsverkrümmungen und
schlechte Körperhaltung. Mit 103 Figuren im Text. Jena
Verlag von G. Fische r, 1902. Preis 3 M.
Das Büchlein ist dazu bestimmt, Aerzten und Erziehern eine
Anleitung zum orthopädischen Turnen zu geben. Die von
v. Mikulicz herrührende Einleitung schildert in kurzer,
klarer, allgemein verständlicher Darstellung Ursachen und Sym¬
ptome der Skoliose, die wesentlichen Gesichtspunkte für Pro¬
phylaxe und Therapie. Der Hauptteil des Buches hat zur Ver¬
fasserin die erfahrene Leiterin einer orthopädischen Turnanstalt
in Breslau.
Auf die Beschreibung der notwendigen Turnapparate folgt
die ausführliche und durch gute und viele Bilder verdeutlichte
Aufzählung von Uebungen auf der Turnbank, mit Hanteln und
Stab, an Trapez und Leiter, an Schaukelringen etc.
Die Auswahl von Uebungen ist so gross, dass der Arzt sich
leicht aus derselben eine Serie solcher aussuchen kann, welche
iiir den speziellen Fall besonders geeignet scheinen.
Das übersichtlich angeordnete und vorzüglich ausgestattete
Buch erfüllt seinen Zweck in ausgezeichneter Weise.
V u 1 p i u s - Heidelberg.
Neueste Journalliteratur.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 65. Bd, 2.-4. Heft.
September 1902. Leipzig, Vogel.
2) _ Stolper -Breslau: Ueber die Beziehungen zwischen
Syphilis und Trauma, insbesondere in gerichtlich.- und versiehe-
rungsrechtlich-medizinischer Hinsicht.
Auf Grund ausgedehnter Literaturstudien und reicher eigener
Erfahrungen erörtert Verf. die Beziehungen zwischen Syphilis und
Trauma im allgemeinen, sowie im Hinblick auf die Fragen des
gegenwärtigen Rechts.
Bezüglich der Veränderungen an Haut und Muskulatur exi¬
stieren eine Zahl von einwandfreien Beobachtungen, bei denen
sich eine syphilitische Hautmuskelaffektion am Orte eines Traumas
entwickelte. In unseren Fällen fiel die Verletzung in die Zeit zwi¬
schen Infektion und Ausbruch des ersten Exanthems. In den
meisten Fällen zeigte sich an dem Orte des Traumas eine spät¬
syphilitische Produktion (ulzeröses Hautgumma) in Verbindung
mit gummöser Muskelerkrankung.
Bezüglich der Erkrankung der Knochen und Gelenke ist zu¬
nächst die Tatsache von Interesse, dass gewisse oberflächlich lie¬
gende Knochen (Schädel, Tibia, Vorderarmknochen, Klavikula)
häufiger erkranken. Das ist wohl darauf zurückzuführen, dass
diese Knochen eben häufiger Traumen ausgesetzt sind. Dass
Traumen gelegentlich ein auslösendes Moment für syphilitische
Neubildungen sind, ergibt sich aus der Kasuistik mit Bestimmt¬
heit, häufig führen die Traumen auch eine mehr oder weniger
jähe Verschlimmerung herbei. Ferner kann es am Orte alter
Traumen zur Entwicklung eines luetischen Prozesses kommen.
Die Diagnose der luetischen Knochenerkrankungen ist durch die
Untersuchung mit Röntgenstrahlen wesentlich erleichtert worden.
Verf. bringt die Abbildungen mehrerer charakteristischer Röntgen¬
bilder aus der Sammlung des Breslauer pathologischen Institutes.
Charakteristisch ist besonders eine tiefere Schattenbildung im ver¬
breiterten Periostband. Natürlich müssen daneben alle an¬
deren Untersuchungsmethoden verwertet werden.
Die Spontanfrakturen, die ja so häufig durch Lues bedingt
sind, kommen gewöhnlich erst in der Spätperiode der Syphilis
vor, 10—12 Jahre nach der Infektion. Bekannt ist auch, dass die
Lues häufig eine verzögerte Konsolidation und Pseudarthrosen-
bildung verursacht. Wichtig ist weiter, dass in alten Fraktur¬
narben sich oft ein Gumma festsetzt.
fi
1846
Für die Gelenksyphilis kann das Trauma auch gelegentlich
ein auslösendes Moment werden, wenn auch die Kasuistik über
diese Verhältnisse keinen sicheren Aufschluss gibt.
An den inneren Organen sind besonders wichtig diejenigen
Fälle, in denen eine umschriebene syphilitische Erkrankung des
Zirkulationsapparates durch ein Trauma ausgelöst oder verschlim¬
mert wird. Dahin gehören die gummöse Myokarditis, die lue¬
tischen Veränderungen der Aorta besonders an den Abgängen der
Koronararterien, die Aneurysmen. Auch die Venenentzündungen
jugendlicher Individuen müssen oft auf ein Trauma in A erbin-
dung mit Lues zurückgeführt werden. Von den Organen der
Bauchhöhle ist Sicheres bisher nur über den Hoden bekannt, m
dem es häufig zu Gummabildung nach voraufgegangenem Trauma
kommt. ..
Die gerichtliche Frage, inwieweit ein Trauma als verschlim¬
merndes Moment bei immanenter Syphilis anzusehen ist, kann
natürlich nur von Fall zu Fall entschieden werden.
8) Matthiolius-Kiel: Betrachtungen über den Stand
der Kriegschirurgie.
Auf Grund der Erfahrungen in den letzten Kriegen gibt M.
eine kurze Uebersicht über diejenigen Punkte, die für den Militär¬
arzt in einem Feldzuge in Betracht kommen werden. Die A erlust-
grössen werden kaum über diejenigen der früheren Kriege, 10 bis
20 bis 30 Proz. hinausgehen. Die Verletzungen werden sich ent¬
sprechend den Erfahrungen mit den kleinkalibrigen Geschossen
gestalten. Verblutungen auf dem Schlachtfelde werden selten
sein, Aneurysmen häufiger. Bauchschüsse sind relativ ungefäln-
lich Die frische Kleinkaliberschusswunde kann für die Praxis
als rein angesehen werden. Für die Anfertigung fixierender A er-
bände gibt Verf. trotz aller empfohlenen Schienen immer wieder
dem Gips den \Torzug.
Für die Seeschlachten, bei denen die gewaltigen Schnellade-
kanonen den starken Panzern gegenüber stehen, fehlt eigentlich
bis jetzt noch jede Erfahrung. .
9) Z i e g 1 e r - München: Beiträge zur Zirkulation m der
Schädelhöhle.
In weiterer A'erfolgung seiner bekannten früheren Unter¬
suchungen hat Verf. Injektionen der Gefässe des Gehirns und
seiner Häute vorgenommen und dabei an der Dura ein äusseres
und inneres ziemlich enges Gefässmaschennetz gefunden. Auch in
den das Gehirn einhülleuden weichen Gehirnhäuten und in dem
Gehirne hat Z. ein reiches Gefässnetz gefunden. Messungen der
Volumenszunahme des Gehirns bei diesen Injektionsversuchen er¬
gaben, dass eine solche nicht stattfindet: der Liquor entweicht in
den dehnbaren Rückenmarkskanal.
Bei weiteren Studien über die Resorption des Liquor hat Verf.
den Optikus vom Subduralraum aus injiziert und hat die injizierte
Flüssigkeit bis in einen Sack direkt hinter der Sklera verfolgen
können. , . .
10) L o e v y: Zur Indikation der Trepanation bei Gehirn¬
blutung im Verlaufe des Keuchhustens. (Friedrichshain Berlin.)
Bei einem 7 y3 jährigen keuchhustenkranken Kinde trat plötz¬
lich Bewusstlosigkeit, Lähmung der rechten Körperhälfte mit
Aphasie und Krämpfen in den gelähmten Gliedern ein. In der
Annahme, dass es sich um einen grösseren Bluterguss handle,
wurde wiederholt die Notwendigkeit der Trepanation erwogen. Es
trat jedoch spontane Heilung ein.
11) Biagi: Ueber die Reparationsprozesse der Schädel¬
knochen mit Bezug auf die gewöhnlich angewandten Methoden
der Kranioresektion. (Chirurg. Institut Rom.)
5 Jahre bevor Müller sein osteoplastisches Verfahren der
Schädelresektion veröffentlichte, hat Durante einen ähnlichen
AA^eg beschritten. Durante beschränkt sich darauf, Knochen¬
bruchstücke am Periost anliängen zu lassen: halbkreisförmiger
oder rechteckiger Hautschnitt, Ablösung kleiner, am Periost an¬
hängender Knochenstückchen durch den tangential aufgesetzten
Meissei; nach Ablösung des sehr beweglichen Hautknochenlappens
Anlegung des Schädeldefektes.
Nach diesem Verfahren hat Verf. mehrere Experimente an
Tieren ausgeführt, auch Teile der ganzen Dicke des Schädeldaches
dauernd und temporär reseziert und die Knochenreparationspro¬
zesse genau studiert. Eine klinische Beobachtung hatte ihn be¬
lehrt, dass 11 Jahre nach der Durante sehen Operation eine
vollkommene Restitution des Knochens eingetreten war. Die Tier¬
experimente zeigten, dass sowohl Dura als Periost an der AVieder-
herstellung des Defektes gleichen Anteil hatten. Eine Beteiligung
der Elemente der Diploe und der Hävers sehen Kanäle konnte
ebenfalls erwiesen werden.
Wurde die Dura exzidiert, so trat nur eine Verzögerung der
Knochenneubildung ein. Der resezierte, von den AVeichteilen
ganz befreite und reimplantierte Knochen gellt beständig der
Nekrose entgegen; von der Dura und dem Periost her diingen die
Osteoblasten ein und ossifizieren sich.
AVird der resezierte Knochen von den bedeckenden A\ eich¬
teilen, Periost und Dura nicht getrennt und bleibt er mittels eines
grossen Stieles mit den AATeichteilen in Zusammenhang, so bleibt
die Knochenscheibe grösstenteils am Leben. Beschränkte nekio-
tische Zonen können Vorkommen dort, wo die Gefässe der Throm¬
bose verfallen.
12) P e r t h e s - Leipzig: Heber gutartige Epitheliome, wahr¬
scheinlich kongenitalen Ursprungs.
In dein ersten der 2 beschriebenen Tumoren, von der Ober-
lippe eines Chinesen stammend, fand sich ein Netzwerk von Epi¬
No. 44.
thelzellenzügen, die von der Epidermis in die Tiefe zogen. Durch
das Verhornen des Plattenepithels waren in den Zellzügen Cysten
von wechselnder Grösse entstanden. Einzelne Bälge zeigten in¬
folge der Bildung von haarähnlichen Hornfäden und des Hervor-
sprossens von Talgdrüsen Analogien zu den Haarbälgen. Die
letztgenannten Verhältnisse lassen den Tumor als eine kongenitale
Missbildung auf fassen.
Auch der zweite Tumor, ebenfalls von der Oberlippe stam¬
mend, zeigte von den Epidenniszapfen ausgehende Zellschläuche,
welche sich vielfach in Cysten umgewandelt hatten. Das Epithel
zeigte aber hier fast durchgängig den Typus eines zweischichtigen
Zylinderepithels, A^erhornung fehlte gänzlich, ebensowenig waren
haarähnliche Bildungen und Talgdrüsen in den Cystenwandungen
nachzuweisen. Verf. fasst diese Bildungen als abnorm entwickelte
Schweissdrüsenanlagen auf und schlägt für den Tumor den Namen
,.Hydradenom“ vor.
13) P e i s e r: Zur Kenntnis der Pankreasnekrose. (Moabit-
Berlin.) .
Bei einer 28 jährigen Patientin entwickelte sich im Epi-
gastrium ein Tumor, der als Pankreascyste diagnostiziert wurde.
Im Urin fanden sich 4 Proz. Zucker. Bei der Operation fanden
sich als Inhalt des Tumors grössere, schmierige, gelbliche Fetzen
neben etwas gelblicher breiiger Flüssigkeit, die keine Fermente
enthielt, aber verschiedene Bakterien (Staphylococcus albus,
Streptokokken, Diplokokken, kurze Stäbchen). Nach 2 Tagen
wurde eine nekrotische Masse aus der AVunde ausgestossen, die
anscheinend das ganze Pankreas darstellte. Die Anwesenheit von
Pigmentschollen im Sekret macht es wahrscheinlich, dass Blu¬
tungen in das Pankreasgewebe zu der Nekrose des Organs geführt
haben. Die Ursache für die Blutungen muss wohl in einer bei
einer Entbindung zu stände gekommenen Anämie und in der Ge¬
burt selbst gesucht werden.
Die Patientin starb 5 Wochen nach der Operation an ihrem
Diabetes. _ .
Dos weiteren berichtet Verf. über 2 Fälle von Pankreatitis
haemorrhagica und stellt die Literatur dieser interessanten Er¬
krankung zusammen. 41 mal hat dieselbe Veranlassung zu chi¬
rurgischem Eingreifen gegeben. Nur 2 der Operierten blieben am
Leben.
14) G f e 1 1 e r: Beitrag zur Kenntnis der angeborenen Darm¬
cysten. (Spital in Chaux-de-Fonds.)
11 jähriges Mädchen. Seit dem 5. Jahre häufig kolikartige
Beschwerden. Vor 2 Tagen wieder erkrankt unter peritonitischen
Erscheinungen. Laparotomie. Eine grössere Dünndarmschlinge
um 360° gedreht, ln der Darmwand des dilatierten Teiles fand
sich eine orangengrosse Cyste. Exstirpation derselben. Heilung.
Die Cyste sass zwischen Längs- und Quermuskulatur. Ihre
AVand bestand aus einer doppelten Schicht von glatter Muskulatur,
einem lockeren subepidermoidalen Gewebe und einer grossenteil s
aus geschichtetem Pflasterepithel bestehenden Epithelschicht, in
die geschichtetes und einschichtiges Zylinderepithel (kein Darm
epithel!) eingelagert war.
Verf. teilt die einschlägige Literatur mit und verbreitet sich
ausführlich über die Genese der Cyste. Dieselbe kann mit Be¬
stimmtheit weder den ektodermoiden, noch den entodermoiden.
noch den gemischten Cysten zugeschrieben werden.
15) Regling: Ueber solitäre Darmstenosen. (Chirurgische
Klinik Greifswald.)
3 Fälle. In den ersten beiden Fällen konnte die Aetiologie
nicht aufgeklärt werden. Bei der ersten 58 jährigen Patientin
waren die typischen Erscheinungen der Darmstenose vorauf¬
gegangen; die zweite Patientin, ein 9 jähriges Mädchen, war ganz
plötzlich unter den Zeichen des Darm Verschlusses erkrankt. Der
dritte Fall kam zur Sektion: die Stenose sass 4 Querfinger ober¬
halb der B aulii n sehen Klappe und war auf Grund der fibrösen
Verdickungen und der Obliteration des AVurmf ortsatzes als Peri¬
tonealnarbe von einer alten Perityphlitis herrührend anzusprechen.
Alle 3 Fälle wurden operiert und jedesmal die Enteroplastik nach
Art der Pyloroplastik Heineke-Mikulicz ausgeführt. Die
beiden ersten Patienten wurden geheilt, der dritte starb infolge
Nahtinsuffizienz und Peritonitis.
16) v. Eicken: Ein Sarkom der Speiseröhre. (Laryngo-
rlrinolog. Klinik Freiburg.)
Die Krankheit verlief unter dem Bilde eines Abszesses der
Speiseröhre. Die pathologische Diagnose wurde bei der Sektion
zunächst auf Phlegmone oesophagi dissecans gestellt, erst die
mikroskopische Untersuchung wies nach, dass es sich um ein
Spindelzellensarkom handelte.
Es sind bisher 13 Fälle von Speiseröhrensarkom bekannt ge¬
worden.
17) AVendel: Ueber die Torsion eines Eettbruches und
ihre Folgen. (Chirurg. Klinik Marburg.)
Es handelte sich um eine leere Schenkelhernie, bei der die
Torsion eines präperitonealen Lipoms zu Einklemmungserschei¬
nungen geführt hatte. Interessant war die Bildung einer Er¬
weichungscyste in dein Lipom.
18) Ilertle: Ueber eine neue Methode zum plastischen
Ersatz von Sehnendefekten. (Chirurg. Klinik Gi’az.)
Auf Grund eines glücklich geheilten Falles schlägt H. vor.
bei Sehnendefekten die beiden Stümpfe zunächst an eine Nachbar¬
sehne anzunähen und nach 3 AVochen dieselben wieder loszu¬
trennen unter Mitnahme der halben Sehne, an die sie angeheilt
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
4. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1847
wurden. In des Verf. Falle wurde der Substanzverlust im Ex¬
tensor pollicis longus durch eiu Stück aus der benachbarten Sehne
des Radialis extemus ersetzt. K r e c k e.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Heft 6.
1) S ta u d e - Hamburg: Ueber Totalexstirpation des karzi¬
nomatösen Uterus mittels doppelseitiger Scheidenspaltung.
S. teilt das Ergebnis von 51 seit 1894 von ihm operierten
Uteruskarzinomen mit. Die Operabilität aller Fälle beträgt
56,7 Proz. Für seltene Fälle zieht S. die abdominelle Operation
nach W erthei m in Ueberleguug, für die meisten aber hält er
zunächst die erweiterte vaginale Methode nach Schuch ardt
1 iir durchaus berechtigt. Diese änderte er bei seinen Operationen
dahin ab, dass er eine doppelseitige Scheidenspaltung ausführte
und das obere Vaginaldrittel bis hinter die Portio unterminierte,
um den nötigen Raum zur weiten Freilegung und guten Uebersicht
über das Parametrium zu gewinnen.
2) Krönig- Leipzig: Zur Technik der abdominellen Total¬
exstirpation des karzinomatösen Uterus.
K. operierte in letzter Zeit 8 Fälle nach der Werthei m -
sehen Methode. Ein Todesfall infolge einer Nachblutung am
14. Tag nach der Operation. Um die Gefahren des Nekrotisch¬
werdens des Ureters, der oft eintretenden postoperativen Cystitis
und der Bindegewebsphlegmone zu verringern, verfährt K. ab¬
weichend von Wertheim in der Weise, dass er das Peritoneum
nicht mehr nahe am Ureter spaltet, sondern nach Spaltung der
Blätter des Ligamentum latum den Ureter am hinteren Blatt auf¬
sucht und einen breiten Peritoneallappen mit ihm in Verbindung
lässt. Nach Exstirpation des Uterus wird ferner die freiliegende
hintere Blasenwand stark eingerafft, und der vordere Scheiden¬
wundrand mit der Basis des vorderen Peritoneallappens an der
Stelle, wo dieser auf den Fundus der Blase übergeht, mit einigen
Knopfnähten vernäht. Das Peritoneum des Douglas wird in ähn¬
licher Weise mit dem hinteren Scheidenwundrand vernäht, die
Bindegewebswunden auf den Dannbeinschaufeln über je ein in
die Scheide führendes Drainrohr geschlossen, die Bauchhöhle so¬
dann mit dem vorderen Peritoneallappen vollständig geschlossen.
Nach seinen bisherigen Erfahrungen ist K. überzeugt, dass
die Wertheim sehe Operation berufen ist, alle vaginalen Me¬
thoden definitiv aus dem Felde zu schlagen.
3) K r ö n i g - Leipzig: Gleichzeitiges Vorkommen vonUterus-
und Magenkarzinom. Abdominelle Totalexstirpation des Uterus,
Gastrektomie mit Gastrojejunostomose.
Bei einem der nach Wertheim operierten Fälle handelte es
sich neben einem Portiokarzinom um ein gleichzeitiges Vorhanden¬
sein eines Pyloruskrebses. Dieser wurde bei der Exstirpation des
Uterus übersehen und 3 Monate später von K. nach Kocher
operiert. Das kleinfaustgrosse Magenkarzinom kann nicht als
Metastase des beginnenden Portiokarzinoms angesehen werden.
Der Fall ist ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig es ist, bei
Anwesenheit von Genitalkrebsen den übrigen Körper auf das Be¬
stehen einer Neubildung zu untersuchen.
4) Schaeffer - Heidelberg: Ein Beitrag zur Aetiologie des
wiederkehrenden Icterus graviditatis.
Durch jahrelange Beobachtung eines Falles von Ict. grav. ist
Verfasser in der Lage, eine ausführliche Pathogenese dieser Form
festzustellen. Der eingehend beschriebene Fall lässt sich nicht
kurz referieren und muss im Original nachgesehen werden.
5) Dirmoser - Wien: Die Vaginae- und Ventrofixation
des Uterus, ausgeführt in der Zeit vom Jahre 1893 bis Ende
1900.
Geschichtlicher Ueberblick über die Vaginae- und Ventro-
ftxation, nebst einer Zusammenstellung der in dem Maria There-
sien-Frauen-Hospitale in Wien ausgeführten Operationen dieser
Art. Weinbrenner - Erlangen.
Centralblatt für Gynäkologie. 1902. No. 42 u. 43.
No. 42. 1) J. M. C. Mouton- Haag: Zur Geschichte der
fötalen Theorie über die Ursachen der Eklampsie.
Bekanntlich hat Fehling zuerst 1899 die fötale Theorie der
Eklampsie aufgestellt, wonach die fötalen Toxine im Kreislauf der
Mutter unter gewissen Bedingungen zur eklamptischen Erkrankung
der letzteren führen. M. stellt nun fest, dass van der Hoeven
schon 1896 dieselbe Theorie aufgestellt und verteidigt hat. Nach
v. d. H. entsteht die Toxämie dadurch, dass die Quantität Arbeit,
welche die Nieren zu leisten haben, dabei über ihre Kräfte geht
und die Stoffwechselprodukte nicht genügend ausgeschieden wer¬
den. Hierdurch kommt es zur Akkumulation von Toxinen und
deren Folgen. Als Stützen für seine Theorie nennt v. d. H. das
öftere Vorkommen von Eklampsie bei Zwillingsschwangerschaften
und das Verschwinden der Symptome, wenn der Fötus in utero
abstirbt. , H I3?
2) Axel Wallgren - Helsingfors: Ueber anaerobe Bak¬
terien und ihr Vorkommen bei fötiden Eiterungen.
Obligate Anaerobien sind bisher bei appendikulären Peritoni¬
tiden, Leber- und Lungenabszessen, Lungengangrän, fötiden Oti¬
tiden, Hirnabszessen und vom weiblichen Urogenitalapparat aus¬
gehenden Infektionen gefunden worden. Als beste Methode zur
Untersuchung empfiehlt W. das Liborius-Veillon sehe Ver¬
fahren, dessen Beschreibung im Original nachzusehen ist.
W. selbst fand bei einer Frau, die im Anschluss an eine akute
Parametritis Hirnabszesse bekommen hatte und gestorben war,
in den letzteren alle Bakterien, die schon in vivo aus dem Eiter
des Beckenabszesses gezüchtet worden waren, darunter 6 verschie¬
dene Obligatanaerobien: 4 Kokken und 2 Stäbchenformen.
3) O. S c h m i d t - Bremen: Ueber einen. Fall von Chorion¬
epithelioma malignum
Der Fall ereignete sich bei einer 23 jähr. Nullipara im An¬
schluss an eine Blasenmole und kam durch vaginale Totalexstir¬
pation zur Heilung. Als Ursache nimmt S. eine mangelhafte Ge¬
rinnbarkeit und geringen Hämoglobingehalt des mütterlichen
Blutes an, die von Albert und Kworostansky als begün¬
stigende Momente für das Zustandekommen der Geschwulst be¬
zeichnet worden sind.
No. 43. L. A. Oliva- Genua: Neuer Apparat für Hypo-
dermoklyse und endovenöse Injektionen.
Beschreibung eines Apparates zur subkutanen oder intra¬
venösen Infusion von Kochsalzlösung nach Blutungen. Derselbe
besteht im wesentlichen aus einem Irrigator, einem doppelwan¬
digen Schlauch mit Trichter und einer Hohlnadel. Die nähere Be¬
schreibung ist im Original nachzusehen.
O. hat seinen Apparat bisher nur in 3 Fällen von Urämie ge¬
braucht, zwreifelt aber nicht, dass derselbe sich besonders bei Blu¬
tungen post partum empfehlen dürfte.
Verfertiger sind L i n c k & P 1 a z o 1 1 a in München, Vertreter
Glorialanza Anafesto in Genua, Piazza Ospedale Pam-
matone. Jaf f e - Hamburg.
Virchows Archiv. Bd. 169. Heft 3. 1902.
16) M. Penkert: Ueber idiopathische Stauungsleber (Ver¬
schluss der Venae hepaticae). (Aus dem pathol. Institut der Uni¬
versität Greifswald.)
Bei einem 22 Monate alten Knaben wurde eine stetige Zu¬
nahme des Leibesumfanges bemerkt. Der dies bedingende Aszites
wird durch öfteres Punktieren entfernt, kehrt aber rasch wieder,
auch die Vornahme der Talma sehen Operation hält den Exitus
nicht auf. Bei der Sektion findet sich ein fast vollständiger Ver¬
schluss der Lebervenen, in die Vena cava münden nur einige ganz
feine, kleine Venen, die noch durch vollständig organisierte
Thromben verschlossen sind. Die Leber bildet das Bild der ex¬
quisiten Stauungsleber. P. führt diese Verhältnisse auf eine kon¬
genitale Anomalie zurück.
17) Mönckebe r g: Ueber einen Fall von Doppelkarzinom
der Gallenblase, zugleich ein Beitrag zur Metaplasiefrage. (Aus
dem pathol. Institut des allgemeinen Krankenhauses Hamburg-
Eppendorf.)
Das mikroskopische Bild einer karzinomatösen Gallenblase
zeigte einmal ein Adenokarzinom und dann auch einen Platten¬
epithelkrebs mit Hornperlen. An einzelnen Stellen sind Epithelien,
die weder zu der einen, noch zu der anderen Krebsform gezählt
werden können. M. hält sie für pseudometaplastische Gebilde. In
den Metastasen kommen beide Geschwulstformen teils getrennt,
teils zusammen, aber nicht in einander übergehend vor. Das Kan-
kroid ging nach M. von einer durch Metaplasie ent¬
standenen Plattenepithelinsel der Gallenblasenwand aus, nicht
aber wandelte sich das Adenokarzinom in ein Kankroid um.
18) Pappenheim - Hamburg: Weitere kritische Aus¬
führungen zum gegenwärtigen Stand der Plasmazellenfrage.
Dazu ein Anhang: Die Histogenese des Tuberkels betreffend.
Im Anschluss an die Abhandlungen des gleichen Autors über
Plasmazellen (d. Arch. 165/166) kommt P. in der vorliegenden
Arbeit zu dem Ergebnis, dass im Granulationsgewebe nur die
multinukleären Leukocyten hämatogener Abkunft
seien, alle anderen Rundzellen dort betrachtet er als
Derivate von Bindegewebszellen.
Bezüglich der Tuberkelknötchenbildung kommt P. zu dem
Schluss, dass ausschliesslich im Sinne von Baumgarten eine
histiogene Bildung der Knötchen stattfinde und nicht eine
histiogen-hämatogene.
19) A. Schlesinger: Ueber Plasmazellen und Lympho-
cyten. (Aus dem pathol. Institut des städt. Krankenhauses am
Urban. Prosektor Prof. Dr. Bend a.)
Sch. erklärt die Unna sehe Methode, weder was Härtung,
noch was Färbung anbetrifft, als eine spezifische. Zellen
des lymphoiden Gewebes können durch Aufnahme von Plasma in
Plasmazellen verwandelt werden, dies ist besonders deutlich bei
akuter Lymphämie.
20) Ostwald: Die Chemie und Physiologie des Kropfes.
(Aus dem chemischen Laboratorium der med. Klinik in Zürich.)
Nach Untersuchungen des Autors hängt der Jodreichtum der
Strumen von der Colloidmenge derselben ab. Der relative Ge¬
halt aber an Jod-Thyreoglobulin, also der wirksamen Substanz,
ist um so kleiner, je vorgeschrittener die Colloidentartung ist.
Das .Tod-Thyreoglobulin aus Strumen hat die gleichen physio¬
logischen Eigenschaften wie das aus normaler Schilddrüse ge¬
wonnene Thyreoglobulin, aber in etwas geringerem Masse. Nach
O. ist die Erkrankung der Schilddrüse bei der Basedow sehen
Krankheit nicht die Ursache dieser, sondern ein Folgezustand.
21) Herter und Wakemann - New-York: Ueber Adrena-
ling’lykosurie und verwandte, durch die Wirkung reduzierender
Substanzen und anderer Gifte auf die Pankreaszelle hervor¬
gerufene experimentelle Glykosurien.
In zahlreichen Versuchen zeigt H. und W., dass Adrenalin,
wie auch andere reduzierende Substanzen, besonders Blausäure,
wahrscheinlich durch Beeinträchtigung der Oxydationsfähigkeit der
6*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Pankreaszellen Glykosurien hervorrufen. Histologische Verände¬
rungen wurden dabei am Pankreas nicht beobachtet.
22) A r o n s o h n - Ems-Nizza: TJeber den Ort der Wärme¬
bildung in dem durch Gehimstich erzeugten Fieber. (Aus der
speziell-physiologischen Abteilung des physiologischen Instituts zu
Berlin.)
Als Ort der Wärmebildung wird von A. beim natürlichen wie
beim künstlich erzeugten Fieber die Muskulatur, besonders die des
Skeletts, bezeichnet. Das Blut nimmt keinen direkten Anteil an
der Wärmebildung.
Kleine Mitteilung.
23) Liepmann: TJ eber die B e n d a sehe Reaktion auf
Fettnekrosen. (Aus dem patholog. Institut des städt. Kranken¬
hauses am Urban.)
Die im 161. Band d. Arcli. publizierte Bend a sehe Methode
der Fettnekrosereaktion wurde von L. darauf untersucht, ob nicht
kadaveröse Veränderungen die Ursache der Reaktion seien. Die
Versuche L.’s ergaben nun, dass kadaveröse Veränderungen —
auch in bakterieller Hinsicht — die Reaktion nicht beeinflussen.
Konr. Schneider - Erlangen.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
48. Bd., 3. u. 4. Heft.
11) Leie k und Winckler - Greifswald: Die Herkunft des
Fettes bei Fettmetamorphose des Herzfleisches.
Zur Entscheidung der Frage, ob das Fett im Herzen bei der
fettigen Degeneration durch Einwanderung aus anderen Fett¬
depots oder an Ort und Stelle durch Protoplasmazerfall entstanden
sei, untersuchten die Verfasser die Fettarten in den verschiedenen
Organen mittels Bestimmung der Jodzahl bei normalen und mit
Phosphor vergifteten Hunden und Hammeln, sowie bei Hunden,
die zuvor mit Hammelfett gefüttert worden waren. Es ergab sich,
dass das Herzfett unter allen Umständen eine höhere Jodzahl als
das Fett der Fettdepots besass. Bei Phosphorvergiftung stieg
die Jodzahl noch weiter an. Das fettig entartete Herz des vor der
I>- Vergiftung mit Hammelfett gefütterten Hundes enthielt mit
dem Hammelfett fast identisches Fett, woraus man auf ein Ein¬
wandern von Depotfett in den Herzmuskel schliessen muss. Ob
das Fett in die degenerierenden Organe wandert, um den Platz
untergegangenen Protoplasmas auszufüllen oder ob es nur sicht¬
bar wird, weil es nicht mehr sofort verbrennt, ist eine noch offene
Frage.
12) Schwenke- Greifswald: lieber den Stoffwechsel von
Tieren in der Rekonvaleszenz.
Es wurde der Stickstoff- und Kohlenstoff- Stoffwechsel bei
3 Hunden festgestellt, von denen der erste eine Hungerperiode
durchgemacht hatte, der zweite und dritte durch Injektionen einer
Pepsin- und Albumosenlösung resp. einer Colibouillonkultur krank
gemacht worden war. Das Ergebnis war, dass die gesamte
W ärmeproduktion bei gleicher Nahrungszufuhr während der Re¬
konvaleszenz sich nicht wesentlich anders gestaltete als bei voller
Gesundheit; dagegen vermag der rekonvaleszente Organismus Ei-
weiss leichter zurückzuhalten und Fett in erhöhtem Masse zu
verbrennen.
13) R. C o h n - Königsberg i/Pr.: Zur Frage der Glykokoll-
bildung aus Leucin im tierischen Organismus.
Cohn konnte entgegen Angaben von Wiener feststellen,
dass an sich ungiftiges Leucin in Verbindung mit nicht toxischen
Benzoesäuredosen intensive Vergiftungserscheinungen bewirkt.
Zu einer Vermehrung der Glykokollbildung resp. Hippursäureaus¬
scheidung kommt es nicht.
14) H. Lüthj e - Greifswald: Ueber die Kastration und ihre
Folgen. I. Mitteilung. Der Fett- und Eiweisstoffwechsel nach
Kastration, nebst einigen allgemeinen Bemerkungen über die
Folgen der Kastration.
Von rassereinen Hunden eines Wurfes wurden 2 Paare unter
ganz gleiche Lebensbedingungen gesetzt und nach einiger Zeit das
eine Tier jeden Paares kastriert, während das andere als Kontrol¬
lier diente. An beiden Paaren wurden genaue Stoffwechsel- und
Gewichtsuntersuchungen angestellt, nach 2 Jahren alle Tiere ge¬
tötet und die Körper einer Analyse auf N- und Fettgehalt unter¬
worfen. Als Resultat der äusserst sorgfältigen Untersuchungen
ergab sich, dass ein häufig angenommener direkter spezifischer
Einfluss der Geschlechtsdrüsen auf den Fetthaushalt nicht
existiert. Die nach Kastration öfter beobachtete Zunahme des
Fettpolsters ist vielmehr als indirekte Folge zu betrachten,
indem zunächst eine Wirkung auf die psychische Sphäre (gi'össere
Ruhe) und daran anschliessend geringere mechanische Arbeits¬
leistungen, somit verminderter Verbrauch an Energie stattfindet.
Scheinbar nur geringe Differenzen in den Körperleistungen können
dennoch grosse Unterschiede im Energieumsatz bedingen.
15) M. C 1 o e 1 1 a - Zürich: Ueber die Beziehungen zwischen
Funktionsleistung der Niere und Albuminurie bei der akuten
Nephritis.
Nachdem Verfasser früher festgestellt hatte, dass Globulin
und Nukleoalbumin bei Nephritis um so reichlicher ausgeschieden
werden, je frischer und heftiger die Entzündung ist, suchte er
jetzt nach Beziehungen zwischen dem Verhalten der Ei weisskörper
im Harn und der molekularen Konzentration des Blutes. Zu dem
Zwecke wurden Kaninchen mit Aloin, Cantharidin und Kali
• hromieum vergiftet und neben der Harnanalyse die Gefrier¬
punktsbestimmung im Blut ausgeführt. Es ergab sich, dass weder
die Mischung der Eiweisskörper im Harn, noch die Höhe der Albu¬
minurie überhaupt eine bestimmte Beziehung zur molekularen
Konzentration des Blutes hat, ja es kann die Albuminurie ganz
verschwinden, die Nephritis also anscheinend abheilen und trotz¬
dem die molekulare Konzentration des Blutes ansteigen. Das
hauptsächlich auf die Glomeruli wirkende Cantharidin scheint die
Funktion der Niere weniger zu schädigen, als Aloin und Kal.
chromieum, welche mehr das Epithel der gewundenen Harnkanäl¬
chen angreifen.
16) E. Erd mann - Halle: Ueber das Kaffeeöl und die physio¬
logische Wirkung des darin enthaltenen Furfuralkohols.
Aus gerösteten Kaffeebohnen geht mit gespanntem Wasser¬
dampf ein flüchtiges Oel über, das Valeriansäure, Furfuralkoliol
(zu 50 Proz.), eine stickstoffhaltige Substanz, welche die wesent¬
liche Trägerin des Kaffeearomas ist, und Phenole enthält. Auf
dem Gehalt an Furfuralkoliol beruht ein Teil der toxischen Eigen¬
schaften des starken Kaffeeabsudes (Wirkung auf die Atmung.
Sensibilitätsverminderung, Sinken der Körpertemperatur-, Saii-
vation, Durchfall). Die pharmakologische Prüfung der aroma¬
tischen stickstoffhaltigen Substanz steht noch aus.
17) R. Gottlieb und R. Magnus- Heidelberg: Ueber den
Einfluss der Digitaliskörper auf die Hirnzirkulation.
Bei der Blutdrucksteigerung nach Digitaliskörpern verhält
sich der Hirnkreislauf gleich den Gefässen der Körperoberfläche.
Strophanthin bewirkt eine Zunahme des Blutstroms durch das Ge¬
hirn, ebenso wie in Haut und Muskeln, während gleichzeitig das
Splanehnikusgebiet verengt wird. Nur Digitoxin bewirkt in beiden
Gruppen von Gefässen eine Verengerung.
18) E. S. F a u s t - Strassburg: Ueber das Acocantherin. Ein
Beitrag zur Kenntnis der amerikanischen Pfeilgifte.
Chemisch-pharmakologische Studie über ein in Ostafrika ge¬
bräuchliches, zur Digitalisgruppe gehöriges Pfeilgift.
19) G. S w i r s k i - Dorpat: Ueber das Verhalten der festen
Magendarminhalts bei absoluter Karenz der Kaninchen.
V enn man Kaninchen vollkommen hungern lassen will, so
muss man ihnen einen Maulkorb vorlegen, da sie sonst regelmässig
ihren eigenen Kot fressen. J. Müller- Würzburg.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 43.
DP. Baumgarten - Tübingen: Weitere Untersuchungen
über Hämolyse im heterogenen Serum.
\ ortrag, gehalten in der Sitzung der Deutschen pathologischen
Gesellschaft auf der diesjährigen Naturforscherversammlung in
Karlsbad.
2) IV. Thor ner - Berlin: Zur Photographie des Augen¬
hintergrundes.
Verf., der sich schon lange mit diesem Problem beschäftigt,
hat nun einen Apparat zusammengestellt, welcher erlaubt, den
Augenhintergrund solcher Tiere zu photographieren, welche ein
sogen. Tapetum von viel erheblicherer Lichtstärke besitzen als
der Mensch, z. B. jenes der Katze. Die Beschreibung und das
Schema des Apparates ist im Originale einzusehen. Die Photo¬
graphien lassen besonders hinsichtlich der Gefässe eine grosse
Menge von Details erkennen, z. B. die rechtwinklige Ueber.
kreuzung von Arterien und Venen, dann die Dicke der Gefässe,
deren Grössenverhältnisse genau gemessen werden können. Da¬
durch ist die Möglichkeit gegeben, die Wachstumsveränderungen,
die Einwirkung verschiedener Arzneien, von Temperaturdifferenzen,
elektrischen Strömen, von Nervenreizung oder Durchschneidung
am lebenden Tier mittels der Photographie genau zu verfolgen.
3) F. J o 1 1 y - Berlin: Ueber Flimmerskotom und Migräne.
Verf., der in seiner Jugend das linke Auge verloren hat. gibt
eine genaue Schilderung des an sich selbst beobachteten Verlaufes
von Flimmerskotomanfällen, aus dem besonders hervorzuheben ist.
dass .T. hie und da auch einen zum gewöhnlichen Ablauf um¬
gekehrten Verlaufsmodus an sich genau beobachten konnte. Sehr
interessant sind die beigegebenen Zeichnungen. Auf Grund seiner
anatomisch-physiologischen Erwägungen kommt J. zu dem Schlüsse,
dass das Flimmerskotom in seiner häufigsten, hemioptischen Form
wahrscheinlich nicht im grossen Gehirn, jedenfalls nicht in der
Rinde zu stände kommt, sondern in den primären optischen Bahnen
und zwar im Tractus opticus oder in der Gegend des Corp. genic.
extern.: ferner, dass die binokularen zentralen und die die Mittel¬
linie überschreitenden halbseitigen Skotome in noch mehr peri¬
pheren Teilen der Bahn, wahrscheinlich in der Gegend des Chiasma.
ihre Entstehung haben, dass die rein einäugigen Skotome im Nerv,
opticus oder in der Retina des betr. Auges zu stände kommen.
4) II. Aronson - Berlin: Untersuchungen über Strepto¬
kokken und Antistreptokokkenserum.
Vergl. hierüber das Referat der Münch, med. Wochenschr.
S. 1278 des diesjährigen Jahrgangs.
5) IV. K o e r t e - Berlin: R. Virchows Unfall und Krank¬
heit.
Der Fall auf dem Pflaster hatte eine Fractura colli feinoris
sin. intertroclianterica zur Folge gehabt. Es erfolgte ausge¬
sprochene Kallusbildung. (Röntgenaufnahme beigegeben). Der
Tod erfolgte unter den Erscheinungen des allmählichen Herznach¬
lasses. (Sektionsbericht fehlt. Die Unterlassung der Obduktion
dürfte wohl kaum im Sinne des grossen pathologischen Anatomen
gelegen gewesen sein. Red.) G r a s s m a n u - München.
4. November 1902.
JHJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1902. No 43
PylomsV‘ P‘ °brastzo w - Kiew : lieber die Palpation des
Nach einem auf dem VIII. P i r o g o f f sehen Kongress zu
Moskau am 20. Januar 1902 gehaltenen Vortrag
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet. * '
. . zj J ' F 1 a s e r - Berlin: Die Bedeutung des Typhusbazillus
bei Erkrankungen des Respirationsapparates im“ Gefolge d-s
Ileotyphus und sein Auftreten im Auswurf. (Schluss ffdgt >
HosÄSÄ a/M': ^
15. S^ptonber^BOil^ehaltenmi^mlrag^ ZU Fraukt‘lirt a/M- am
Im Sinne des N e i s s e r sehen Falles: .Ueber chrnnter-imw
Raehendiphtheroid“, ausgeführte Untersuchungen ergaben eben-
Hnmf S • I.ufc!;tlonsursaclie bei einer Hospitalepidemie virulente
DiphthenebazUlen im Rachensekret einer scheinbar gesunden
YU.iteiin Ein Vergleich des Dienstganges dieser Schwester mit
e,".? ifeS A}lftretens der Diphtheriefälle in den einzelnen Fällen
< ^ab dass die ganzen Diphtherieerkrankungen mit dem Dienst
da sei Schwester gingen. Ganz entschieden blieb die Frage nicht
ob die beiden Schwestern den Kindern die Diphtherie gebracht
oder ob sie selbst von den letzten Fällen infiziert wurden"
Pfropfes be]n.‘ Neugebore^"' ^ Bedeut'In= Mekonium-
} on mehr spezialärztlichem Interesse.
5) K. G erson- Berlin: Seifenspiritus als Desinfiziens medi¬
zinischer Instrumente.
wesentlichen Vorteile dieses Verfahrens, dessen Zuver¬
lässigkeit in Bezug auf Aseptik der Instrumente Verfasser durch
gleichzeitig angegebene bakteriologische Versuche hinlänglich er-
l ti,n!irhfb8f11 glaubt, lassen sich dahin zusammenfassen:
1. Schnelligkeit. Einfachheit und Bequemlichkeit der Sterili¬
sierung. indem das umständliche und den Instrumenten schädliche
Kochen unnötig wird; 2. stete Keimfreiheit und daher 3 stete
Gebiauchsfertigkeit der Instrumente.
fraktur.SCllUlteS"'Tena: Seltene Ursacbe einer Phalangeal-
.ri C. S t e r n - Düsseldorf: Bemerkungen zu der II. inter¬
nationalen Konferenz zur Verhütung der Syphilis und der
Iieefimrn?hei\ ^a^kheiten in Brüssel, mit einer Antwort auf vor¬
stehenden Artikel von A. Blaschko.
7) O. v. Fürth- Strassburg: Mahnung zur Vorsicht beim
Gebrauch von Nebennierenpräparaten. M. Lacher
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Mvxödenrf' „«li F-' f 1 ed: Ueber Thyreoplasie (kongenitales
itt.yxod.em) und infantiles Myxödem.
und \erziagmaw J,4' Versammlnng deutscher Naturforscher
mid Aeizte in Karlsbad, am 24. September 1. J. Vergl hiezu die
Referate der Münch, med. Wochenschr.
K- D®1 ne r- Wien: Ueber die sogen, skarlatiniformen
Serumexantheme bei Diphtherie.
~ ' erf‘ beachtet über eine Reihe von sogen, skarlatiniformen
il/^Semeil’t,WelChe SiCh aber bei bingerer Beobachtung alle
Tt ; ' h(|xantheme erwiesen. Im Jahre 1901 sah L unter
fos F;niithenek^anSn M Solche Fälle’ im heurigen Jahre unter
ION Fallen von Diphtherie 6 derartige Exantheme. Dieselben traten
£5 “ !e“ fsten 5 Taf™ nach der Injektion auf, waren vS
Nephritis r»ÄUng+if gt:-Öfter erschien nachher Glomerulo-
iefTlItls; I)as Exanthem erwies sicli als kontagiös und zwar hatte
das Koatagium eine hohe Tenazität. Exanthem und Sehuppung
ahmen häufig von der Injektionsstelle ihren Ausgang. Die Trans"
fenerung der betreffenden Kinder auf das Scharlachzimmer und
Schiria?Wnr11FefhaItnn de™selbeu batte hei denselben nie einen
ÄS B™Äe.Dan“ llesen <,te BCWe,Se fItr ,,le SohIlrla''"-
Diinndarmvolvulus! a ^ 1 V-ieu: Ein Beitrag zur Aetiologie des
Bei der 25 jährigen Kranken, welche mehrere. Geburten und
n u n Abort us durchgemacht hatte, trat Meteorismus, Erbrechen
Uenstaltik im Gebiete des Dünndarmes, zeitweise
me iw mm tv S° dass unkompletter Darmverscbluss angenom-
3 K tri , ?*L?nSdld"rch*ie Operation bestätigt, bei welcher
1849
«» CU •• W.U. ivu uic wpciclliuil UcöUllliil. I)P1 WP O lPl
idrehtgsogdflsm^ni7Uidem- Der ganze Eünndarm war um 180 "
n l !i e Vorderflache des Mesenteriums nach rückwärts
hesi »rieht frangbildung war die rechte Tube beteiligt. Verf.
• JiKbt in der Literatur anfgeführte ähnliche Fälle, die zum
Teil eine wenig aufgeklärte Aetiologie zeigen.
G r a s s m a n n - München.
Wiener medizinische Wochenschrift.
,9‘ Drankl- Wien: Die Kraniotomie und deren
Technik im Hinblick auf die Privatpraxis.
mal ZwS? aiit aus/dhrlichen Gründen für die Unentbehrlichkeit
des n™SS5aSS1?Ce!f der Kraniotomie> zumal für die Verhältnisse
ms praktischen Arztes ein.
die Beriirrmt!?rCh die bäufig verspätete Ausführung und durch
lnsti-mn n+ht g- V°aJ scbweren Verletzungen der Mutter durch die
• t ui mente so m Misskredit gekommen. E. hat ein neues Instru-
* ®rt’ welcbes tlie breite Eröffnung des kindlichen
Sno'!.dw •VOn “i11011 nacl1 aussen bewirkt und dessen Zacken in
yl Meise gedeckt sind, dass die mütterlichen Weichteile nicht
ÄÄtT Aut" ™'- '«'■ I>el’foration .1« SÄ
i Kopfes gibt I . ein — zur Vermeidung von Verletzungen zu
sammenklappbares — Perforatorinm an. gen /u~
- « Nb). 41/42. .1 H r a c k - PrzemySl: Aphasie und Hemiplegie
naHs86 Emb°he der Arteria fossae S3rivii nach Typhus abdomi-
tt >ii,Kl:Ui)keU-J:eScbi<‘bte eilles 23 jährigen Mannes, bei dem die
Iulung bereits zu einem sehr befriedigenden Grade gediehen ist
t ei asser warnt eindringlich vor einer längeren (mehr als 24 Stiin-
! <“n) Applikation der Eisblase, da sie die notwendige Entwicke¬
lung des Kollateralkreislaufes liemmt. • imnvicki
Aug^0’ 42' A' T°P °1 an ski: Ueber Vaselininjektionen am
„ ,Teclmiscli ist das Wichtigste, das Vaselin in einem Zustand
z I|d1/-icren, wo es rasch erstarrt und durch Vermeidung’ von
l'aS l,er varhUten lylm
werte« T IM 'Sf'-t ‘ j^ftiousraasse «och geän.U'rt
„ Wi ■ bat aber bereits jetzt bei Ektropium Entronimn
Ä*SÄ S8.l“es «ml WwJTto
Ueber diabetische und
2o Fällen recht gute Resultate gehabt.
No. 43. S. E li r m a n n - Wien:
gj.clitisch-arthritische Dermatosen.
liehe?- °u eUier Wiedergabe der genauen Charakterisienm«- fra«>-
lei! lelwl1”^?8011 milss hier abgesehen werden. Bei Diabetes
den Genitalien ‘an den rf" 5rpiSCh! Ekzeme mit Lokalisation an
dm-ch (2 t “ L 5D en 1111 Fllssoblen- die sich besonders
nuszeiehnen welche off den
sam erwmst sieh nur die diätetische Behandlung während- mII o-
v e rl nt ■] n-e ii"* IRe -hüse he"^ e ^ ^ und Bissigkeit’ der Haut noch
.n,e , . y iBmchen Dermatosen treten in ähnlicher Weise
lU'iUgt zirkumskripte Affektionen, zflk -
liehkeit^ il a aiigememer Verbreitung und erhöht die Empfind
H hkeit der Haut gegen differente Mittel, wie Teer Clirvsarnbin
i-raS ä1e°Sai,tLl?w,"‘Te-nd' , Auch auf •»“*«• JoKlan-eichuug
s aie Dant solcher Kranken ausnehmend leicht.
Wiener klinische Rundschau.
tung^ und* Reproduktloii vo'n kSgraSln ^ DeU'
Mangelhaftigkeit, fest'unbi^
™S«2tEei,r0!ll,k|-?ei1 liacb Böntgenanf nahmen Hin.
vl ’ I 1 1,b&t oft Ursprünglich auch ganz fein gelungen waren
. , ^.1.1)1bfleblt dann auch die Herstellung und lithoo-rapliisohe \'ei-
vieltal tigung von guten Zeichnungen nach RöStgenbilclem
befimllei,S' bSt em<’ Eelhe ln8truktlver Zeichnungen nach Knoclien-
Arthropathien. D ° ‘ k ’ °fen-Pest: Beitrag au den tabiachen
• Dtfr ein.e Fal1 zei^t bei einer tabischen Kniegelenksscliwelluinr
l!!10 ,. ä'i'ossening des Unterschenkelumfanges durch derbe In"
fiitration der Wadenmuskulatur, nach D.s AiitTassuig eine der Ge-
( n vsei vianivimg- analoge Affektion, in dem zweiten ist die seltene
rH enkd^'V Artbropathie am Ellenbogengelenk und an einem
b ö e k ffnd n “ Sfl,ng,ers, »«“«kenswert. Im Gegensatz zu K i “
beteilig Voi T rfa<? -eine Barifikation der an der Arthropathie
sonderin VeräSng““ 8 ,e,stere aUerdlnS8 **»»•
Prag'er medizinische Wochenschrift.
No. 43. J. Wedeles- Rossbach: Ueber Einführung riner ge¬
regelten Geburtsbeschau. ö g
t amnL0?nrSpiich^ sich vori eiuer solchen, der obligatorischen
Leichenschau analogen, den Amtsärzten zu übertragenden Mass¬
egel vor allem eine bessere Belehrung der Mütter, eine vS-
, daag Tmancher Sauglmgskra nkheiten (Augenblennorrhöe) eine
Ä^raCl'?ng dei‘ Hebammen, alles in allem besonders
e nc Herabsetzung der grossen Kindermortalität in den armen Be-
volkerungskla ssen. Bergeat- München
Englische Literatur.
Bern ay s: Zur Frage der Dünndarmresektion. (Aunals
of Surgery, Juni 1902.)
V erfasser resezierte bei einem 30 jährigen Manne bei der Ent¬
fernung eines Mesenterialsarkoms 9 Fass 31 Zoll vom Ileum und
ejunnm. Der Kranke erholte sich rasch, leidet aber seit einiger
Zeit an Attacken von heftigem Kopfschmerz und gelegentlichem
Erbrechen beides verschwindet stets prompt nach einem sali-
mschen Abführmittel. Verfasser stellt 35 Fälle von ausgedehnte-’
Resektion des Dünndarms zusammen, nur in 4 Fällen wurde mehr
als m Verfassers Fall entfernt. Gelegentlich wurden Verdauiings-
beschwerden beobachtet, auch trat unverdaute Nahrung im Stuhl
aut trotzdem scheint es, als ob man ohne grosse Gefahr 10 Fass
entfernen kann.
Bo u l f 1 e u r: Die Bottini sehe Operation von der Blasa
aus. (Annals of Surgery, Juli 1902.)
Da die Durchbrennung der hypertrophischen Prostata nach
° 1 1 ni eigentlich doch ziemlich im Dunkeln gemacht werden
muss und Neben Verletzungen nicht mit Sicherheit auszuschliessen
1850
MÜENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
sind so empfiehlt Verfasser die in die Blase vorstehende Prostata
durch einen suprapubischen Blasenschnitt freizulegen und nun
unter Leitung des Auges von der Blase aus die Prostata mit dem
Thermokauter durchzubrennen. In 2 Fällen will er aut diese
Weise gute Erfolge erzielt haben. (Die Methode ist nicht neu, mit
sich anderen Autoren aber nicht bewährt. Refer.)
A. M a c C o li key: Mastitis purulenta, hervorgerufen durch
den Typhusbazillus. (Brit. Med. Journ., 13. Sept. 1902.)
Eine 38jälirige Frau erkrankte nach völlig abgeheiltem
Tvplius an einer Mastitis. Der durch Operation entleerte Eiter ent¬
hielt Typhusbazillen in Reinkultur. Während der Eiter sowohl auf
die aus ihm gezüchteten Bazillen, wie auch auf andere im Jennei-
institut gezüchtete Typhusbazillen stark agglutinierend "ii \ e, »a, *
das Blut der Patientin nur eine sehr schwache Serumreaktion.
E. T. Bur ton: Cannabis indica bei Chorea und Keuch¬
husten. (Ibid.) „ .
Die Tinct. Cannabis indicae hat sich dem Verfasser in ein
sehr schweren Falle von Chorea glänzend bewahrt, nachdem
Arsenik und Opium in grossen Dosen keinerlei Besserung
gebracht hatten, auch bei Keuchhusten wirkt das Mittel prompt
gCgenCrEHMtfPhy: Angeborene Stenose der Urethra (Ibid.)
Vertes “r operferte bef einem 24 Stunden alten Knaben da
auch die feinste Sonde nicht passieren konnte Es fand sich e
fast völliger Verschluss der Harnröhre 1 Zoll Analer über
die Striktur war V, Zoll lang und wurde exzulieit und spateiuo
einem Dauerkatlieter yenüült. Glatte Heilnng.
dem Knaben das Präputium fast v ollstandi».
SelU' James Barr: 3 Fälle von B a n t i scher Krankheit.
(LaUNatch2|enauer1Beschreibung der 3 von ihm beobachteten Fälle
(Anaemia splenica) spricht Verfasser die Ueberzeugung aus, dass
die Bantfsche Krankheit als eine vasomotorische Parese im Ge¬
biete des Splanchnikus aufzufassen sei; hervorgerufen durch eme
Erkrankung der viszeralen Sympathikusganglien. u's .
Anschoppung der Leber und Milz, zu vermehrter Hamolysis mit
Oligochromaemie und Oligocythämie. Nach und nach tritt . b
gewebige Schrumpfung in den befallenen Organen auf, mit den
bekannten Folgen. Therapeutisch rät \ erfassei nicht die L
fernung der Milz, sondern eine kräftige, leicht verdauliche Diät,
Eisen, Digitalis und grosse Dosen von Chlorkalzium gegen
aroheua^Bimungem^: ^ ^ von Leistenheraie nach
Kocher-Bassini operiert. (Ibid.)
Verfasser wendet die Verfahren von Koc her und Bass in
kombiniert an und hat damit gute Erfolge erzieh ®rn h?nV Jeh
wichtig, die Hautnähte sehr frühzeitig zu entfernen oft nach
24 Stunden), da man auf diese Weise am sichersten Stichkanaleite-
rungen und tiefere Eiterungen vermeidet.
A. E. B a r ker: Operationen wegen gutartiger Magenleiden.
(Ibl<Verfasser hat im Laufe des letzten Jahres 10 derartige Fälle
operiert.. 8 mal operierte er wegen Pylorusstenose und Magen¬
erweiterung (1 mal Sanduhnnagen), 2 mal wegen häufiger u-
tungen aus einem Magen- resp. Duodenalgeschwür. Alle Falle
wurden geheilt. Verfasser legt grosses Gewicht auf die \ oi-
bereitung der Kranken. Mehrere Tage lang spült er vor der Opera¬
tion den Magen häufig mit Borsäure aus, dann gibt er Darmanti-
septica und Klysmen, ausserdem hebt er durch subkutane In¬
fusion von 5 proz. Glukoselösungen den Kraftezustand. Die
Gastroenterostomie wird immer als retrocolica und ohne Knopf ge¬
macht. In der Nachbehandlung wird darauf geachtet, dass der
Kranke auf der rechten Seite und etwas aufgerichtet liegt. r ris¬
sige Nahrung wird schon in den ersten 24 Stunden nach der
Operation gegeben, bei Brechreiz wird sofort der Magen ausge-
* H Raquer: Der Gebrauch der Narkotika bei der Schlaf¬
losigkeit in beginnenden Psychosen. (Journal of Mental Science,
JUh So° wichtig es auch häufig ist, bei beginnenden Psychosen
Schlaf herbeizuführen, so sollte man nach Verfassers Meinung
doch eigentlich niemals von Narkoticis und Hypnoticis Gebrauch
machen. Höchstens sind ganz kleine Dosen von Bromsalzen und
Alkohol erlaubt. Meistens genügen protrahierte warme Bader und
Massage, beides Massnahmen, die zugleich auch den Appetit an¬
regen und den Stoffwechsel fördern.
Dawson Turner: Krebs und Röntgenstrahlen. (Bnt. Med.
Journ., 27. Sept. 1902.) . .
Kurze Notiz über 9 Fälle rezidivierender Krebse (o Biust-,
1 Larynx-, 1 Unterkiefer-, 2 Drüsenkrebse), die durch Behandlung
mit Röntgenstrahlen wesentlich gebessert, oder, was das Bestehen
von Tumoren anlangt, scheinbar geheilt wurden.
Mayo Roh son: Zur Radikalbehandlung der chronischen
Darmtuberkulose mit Bemerkungen über die Behandlung fri¬
scherer Formen, sowie der tuberkulösen Peritonitis. (Lancet,
27. Sept. 1902.) , ... .
Die Arbeit enthält 7 sehr interessante Krankengeschichten
von Fällen, die wegen Tuberkulose des Magens und Darmes ope¬
riert wurden; Verfasser empfiehlt übrigens, wenn wegen tuberku¬
löser Peritonitis laparotomiert wird, womöglich immer den pri¬
mären Herd in den Tuben, Mesenterialdrüsen, tuberkulöse Darm¬
schlingen oder Wurmfortsätze zu entfernen.
G. A. Moynihan: Ueber einige Fälle von chronischer
Pankreatitis. (Ibid.) ' , . ,
Verfasser hat im ganzen bei 7 Fallen dieser nicht allzu
seltenen Krankheit operiert, 1 mal fand er ein Gumma des Pan¬
kreaskopf es, 2 mal Steine im Ductus pankreaticus und ilei Papille
und 4 mal Steine im Ductus choledochus als Ursache der chroni¬
schen Verhärtung. Beseitigung der Steine und Drainage dei
Gallenblase brachte in 6 Fällen Heilung, in dem Gummafalle tiat
Heilung durch Jodkali ein. Verfasser glaubt übrigens, dass es
auch eine alkoholische Pankreatitis gibt. . , nbid 1
T R Glvmr 2 Fälle von gonorrhoischer Paralyse, (lind.)
Im 1 Falle handelte es sich um eine Mischung von aufsteigen¬
der Paralyse und peripherer Neuritis, im zweiten um einfache peri¬
phere Neuritis im Gefolge einer Gonorrhöe. (Da die Kranken g -
surnl wurden, so steht ein genauerer Befund aus, und durfte die
Diagnose nicht über jeden Zweifel erhaben sein; che interessanten
ausführlichen Krankengeschichten sind im Original einzusehen.
H. Littlewood: Ueber Operationen unter spinaler An-
& Verfasser operierte als ersten Fall einen Kranken mit Alteis-
gangrän, die Amputation durch das Knie war schmerzlos, üble
Nebenwirkungen traten nicht ein. Im ganzen hat er 11 mal d e
Kokainisierung des Rückenmarks angewendet und 10 mal volle
Schmerzlosigkeit erzielt, einmal war der Erfolg ungenügend doch
handelte es sich um einen sehr aufgeregten Kranken. Ohnmächten
llaubt er durch vorherige subkutane Einspritzung von Strychnin
vermeiden zu können. Trotz dieses guten Erfolges verwendet ei
die Methode nicht gern und will sie nur in den Fällen gelten lassen,
in denen ein allgemeines Anästhetikum als direkt lebensgefährlich
erscheint, also z. B. bei Diabetesgangrän etc.
William G. Savage: Eine Erleichterung der Leukocyten-
ZähT» beiratzt einen Zählapparat nach T ho m a- Z e i s s und
zieht .las Blut bis zur Marke 1,0, dann verdünnt man es hundert-
mal mit der To isson sehen Lösung (Methylviolett 0,02o, Natrium¬
chlorid 1,0, Natriumsulfat 8,0, Glyzerin 30,0, Aqu. dest. 160 ccm,
die Lösung muss häufig erneuert und vor dem Gebrauch filtriert
werden). Nachdem man die roten Blutkörperchen m gewohnte
Weise gezählt hat, zieht man das Okular des Mikroskopes so weit
aus bis das Gesichtsfeld genau eine gewisse Anzahl von Quadraten
enthält Diese Anzahl, die das ganze Gesichtsfeld genau ausfullen
muss, bezeichnet man mit x. Dann zähle man m verschiedenen
Gesichtsfeldern die Leukocyten und dividiere die gefundene Zal
der Leukocyten mit der Anzahl der Gesichtsfelder um die Dm ch-
schnittszahl für jedes Gesichtsfeld zu erhalten diese Zahl be
zeichnet man mit y; die ^Anzahl der Leukocyten im Kubikmill
meter ist nun = y- ™here Begründung diese
ynrmpl ist im Originale nachzusehen. .
F. Parkes Weber: Syphilis und die Lebensversicherungen.
Q bi hinter 500 Todesfällen, die nacheinander der „North British
and Mercantile Insurance Company“ zur Auszahlung (1er V ei-
«icheruno-ssumme vorgelegt wurden, sind 18 nach Webers
Meinung* der Syphilis zuzuschieben (8 Fälle von Dementia paia-
lvtica 4 von Tabes, 3 Hirnerkrankungen apoplektischer Natu ,
3 Herz- und Aortenerkrankungen). Die Aufnahmeprotokolle dieser
'500 KraSken ergaben nur in 3 Fällen eine Gesehnte von vorbei
o-po-mo-ener luetischer Erkrankung und diese 3 Kianken staibcn
nhM an Folgen der Lues. Runeberg hat für die finnische Ver¬
sicherung „Kaleva“ ausgerechnet, dass 15 Proz. aller Todesfälle
auf Lues zurückzuführen: Weber berechnet für die englische
Gesellschaft nur 3,6 Proz. Die Tuberkulosetodesfalle beiechnet
2uneberg für die „Kaleva“ auf 21,3. Weber für die englische
Gesellschaft nur auf 7,8 Proz.; allerdings erreichten 240 seiner
500 Fälle ein Alter von 65 Jahren oder darüber. Weber «ribrf
betont übrigens, dass seine Lebensversicherung ihre Kandidaten
durchschnittlich aus den besser gestellten Standen nimmt, wahrend
die „Kaleva“ auch viele Arme versichert.
j Shaw M’Laren: Ueber intraperitoneale Blasenzerreis-
sunff. (Scotish Medical and Surgical Journal, Aug. 1902.)
Der Riss in der Blase verläuft nach des Verfassers Statistik
fast immer in vertikaler Richtung, dies beruht wahrscheinlich auf
der Anordnung der Muskelfasern, die im intrapentonealen Ab
schnitt der Blase vorwiegend in der Längsrichtung verlaufen.
Unter den Symptomen, die auf Blasenzerreissung hmweisen, nimmt
die sogen, „blutige Anurie“ die erste Stelle ein. Verf. v^rwirft e-
durchaus, die Blase mit Luft zu füllen, um bei Bestehen des Bisses
das Entweichen der Luft in die Bauchhöhle und das Verschwinden
der Leberdämpfung nachzuweisen. Dieser Versuch fuhrt leicht .
schwerem Schock. Die Behandlung hat stets in der . Nalit m
Blase zu bestehen und zwar näht Verf. auch die Schleimhaut diese
natürlich mit Katgut, darüber kommen zwei Reihen Bembert-
scher Seidennähte. Er empfiehlt ferner, den Douglas zu garnieren,
verwirft dagegen das Einlegen eines Dauerkatheteis und e
denselben *du.-cb regelmäßige» vierstündiges Käthe W««
2 Krankengeschichten (1 Fall geheilt, 1 gestorben) scliliessen die
Alb( Alexander Bruce: Ueber Blutung im Rückenmark wäh¬
rend der Schwangerschaft. (Ibid.)
Eine 31jährige Frau erkrankte im 5. Monat der Schwankt r
schaft plötzlich mit Schmerzen im Rücken und Rumpf, die mtolg
4. November 1902.
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1851
heftigen Erbrechens auftreten, daran schliesst sich sofort Lähmung
der Beine der Rumpfmuskeln, Retentio urinae, Verstopfung und
4 Unterhalb des Proc. enslformis ist di" Se ™
bilitat völlig erloschen. Pie Lähmung war eine schlaffe, der linke
Kniereflex war erloschen, der rechte war vorhanden; B a b i n s k i
Phänomen war vorhanden; die tiefen Reflexe verschwanden nach
b Tagen, um am 10. zurückzukehren. Vorübergehend bestand
Tarese beider Hände; Dekubitus trat rasch auf. Inf? Mo“t
w urden ohne Gefühl und ohne Wissen der Kranken spontan Zwll-
lmge geboren, bald darauf verstarb sie an Bronchitis und Er¬
schöpfung. Die Sektion ergab eine Anzahl kleinster Angiogliome
und eine sehr ausgedehnte intramedulläre Blutung Verf schliesst
au diesen Fall Betrachtungen über die Physiologie der Geburt die
im Original nachzulesen sind. ’
L. R. Sutherland: Ein Fall von Chloroma. (Ibid )
Genaue Krankengeschichte und Sektionsprotokoll eines dieser
seltenen Falle, die Verf. in enge Beziehung zur Leukämie bringt
Die grünen Geschwülste waren sehr verbreitet durch den Körper.
R. A. I' lern i n g: Ueber die periphere Theorie der Nerven-
regeneration und über periphere Neuritis. (Ibid., Sept. 1902.)
Die Arbeit bringt experimentelle Bestätigung der schon 1891
von Bungne r und kürzlich wieder von Ballance und S t e
wart aufgestellten Behauptung, dass auch das periphere Stück
eines durchschnittenen Nerven sich aus sich selbst regeneriert;
zur V ledei lierstellung der Funktion müssen die neugebildeten peri-
pheren Fasern natürlich mit dem zentralen Stumpf wieder ver¬
bunden werden.
TubSio3eM(IbMlftn: D‘e Behandlun^ d8r <*‘mrgtachen
, .. Verf. operiert in der Hospitalpraxis die tuberkulösen Hals¬
drusen, wahrend er in der Privatpraxis häufig durch Aufenthalt
an der See und gute Ernährung Heilung erzielt, allerdings nur
dann, wenn die Falle frühzeitig zur Behandlung kommen ' Auch
in der Behandlung der Knochen- und Gelenktuberkulose ist das
konservative Verfahren am meisten angezeigt, es ist dazu aber
notig,. Spezialhospitäler für diese chirurgischen Tuberkulosen zu
• bauen und zwar womöglich an der See.
Henry M. Ohurch: Ueber einen Fall von Fistel im Je¬
junum. (Ibid.)
. , Es f?1 hler nur auf die für die Verdauungsfrage interessante
Arbeit hingewiesen; die Kranke konnte übrigens eiweissreiche
Nahrung sehr gut, vegetabilische dagegen nur schlecht ausnützen.
1 uüiew MacKaig: Fliegen und die Verbreitung der
Cholera. (Edinburgh Medical Journ., August 1902.)
, Verf- weist in dieser Arbeit darauf hin, dass in Indien zweifel¬
los die I liegen als Helfer bei der Verbreitung der Cholera zu be¬
trachten sind. Der Cholerakranke und seine Dejektionen sind
buchstäblich mit Fliegen bedeckt, ebenso aber auch die Nahrung
der Gesunden; er führt eine Reihe von Fällen an, wo Europäer die
sehr vorsichtig in Bezug auf Wassertrinken waren, auf diese Weise
5J1" , V »hrscheinlichkeit infiziert wurden. (Im südafrikanischen
1 eldzuge haben englische Aerzte vielfach darauf hingewiesen
dass Fliegen den Typhus verbreiten. Ref.)
J. A. Coutts: Das Vorkommen und die Behandlung der
kruppösen Pneumonie im frühen Kindesalter. (Ibid., September )
Verf. sieht eine grosse Anzahl dieser Fälle in seinem Kranken¬
hause und zwar sind sehr häufig die Oberlappen ergriffen Eine
spezifische Behandlung gibt es nicht. (In England wird noch
immer auf Droguen, wie Akonit und Veratrum grosses Gewicht
gelegt. Ref.) Die Hauptsache ist die Bekämpfung zu hoher Tem-
peraturen; Die Hyperpyrexie, die manchmal am ersten Tage auf-
tritt bekämpft man am besten mit Opium, im späteren Verlaufe
der Krankheit steht der Alkohol an etster Stelle, event. in Ver¬
bindung mit lauwarmen Abwaschungen. Kalte Packungen ver¬
wirft Verf.; das Bad erwähnt er überhaupt nicht; sehr empfehlens¬
wert sind nach seiner Meinung dagegen kühle Eingiessungen in
aas Rektum. Gelingt es auf diese Weise nicht, die Temperatur
herabzusetzen, so gibt er Antipyrin oder noch besser Chinin in
Dosen von 0,2 für ein 1 jähriges und 0,35 für ein 2 jähriges Kind.
Heftige Schmerzen bekämpft er mit Opium und Blutegeln; die
Eisblase verwirft er, weil der längere Gebrauch derselben leicht zu
Kollaps fuhrt. Gegen Schlaflosigkeit gibt er Alkohol, im Anfangs-
stadium auch Opium. Gegen die drohende Herzschwäche ist
EUghahs ganz machtlos; von grossem Nutzen sind dagegen Alkohol
und Strychnin. In schweren Fällen greift er zum Aderlass und
zwar öffnet er die Arteria dorsalis des Fusses, da die Venen am
Arm bei kleinen Kindern schwer zu eröffnen sind. Bei Zeichen
von Otitis oder Meningitis setzt er Blutegel hinter das Ohr. Bei
Empyemen versucht er, besonders wenn sie klein sind, zuerst die
einfache Aspiration, sammelt sich wieder Eiter an, so inzidiert er
bei kleinen Kindern, bei grösseren reseziert er eine Rippe. Er
sowie sein chirurgischer Kollege im Shadwell Hospital London
glauben, dass die einfache Inzision bei kleinen Kindern völlig ge-
nugt; auffallend ist noch, dass Verfasser empfiehlt, die Empyem-
hohle mit schwachen Jodlösungen auszuwaschen. Bei eitriger
e-IikardA's’ die er häufig sieht, empfiehlt er einen operativen Ein-
giift, falls die Kräfte des Kindes ihn noch erlauben. 2 operierte
Kinder starben 4 Tage nach der Operation, die zu bedeutender
zeitweiliger Besserung geführt hatte.
iqao^011^^11 Hutchinson: Arsenikkrebs. (Polyclinic, Juli
1902.)
Am 29. September 1899 sah Verfasser einen 70 jährigen Mann,
der am rechten Zeigefinger und auf der rechten Schulter (dort,
wo der Hosenträger rieb) ein eigentümliches Geschwür hatte; da
ausserdem noch Keratose beider Handflächen bestand, so dia¬
gnostizierte H u t c li i n s o n Arsenikkrebs, d. h. ein Epitheliom,
das dl~ " del\ fortgesetzten Gebrauch von Arsenik entstanden
,.Sory011 der K,ranke wie sein Arzt behaupteten, dass er nie
.m^eie Zeit Arsenik genommen hatte, genauere Nachforschung
jedoch ergab, dass er seit dem Alter von 20 Jahren an Psoriasis
gelitten hat, wogegen er häufig mit Arsenik behandelt wurde; zu-
fiZtr^hmT,er Yir.etiVa 3 Jahren 3 Monate lang täglich 21 Tropfen
des Liqu. I owlen, dann traten Nebenerscheinungen auf die zum
Aussetou des Mittels zwangen; bald nachher nahm er es jedoch
"l;.:1'“1 ..mKl n,ln traten zuerst die Iteratosen an der Handfläche
.Ulf , spater traten auch Iveratosen an den Seiten und am Rücken
der Iunger auf, sowie zahlreiche kleine Plaques von trockener
lauher Haut an verschiedenen Körperteilen, auch Im Gesicht, am
Kopf und an den Fussen sind Iveratosen zu finden. Die exstir-
pierten Ulzera (der Finger wurde amputiert) zeigten bei mikro¬
skopischer Untersuchung die Zeichen des Epithelioms. Ein Jahr
spater fand sich, nicht weit entfernt von der Narbe an der Schulter
nnn5rOSnr’ subkutaner Tumor; die darüber liegende Haut war
Im n ‘ •• DleEntfernuug und nachfolgende Untersuchung ergab
ein azinöses Karzinom. Hutchinson hat zuerst 1887 auf das
\ orkomen dieser Epitheliome und auf ihren Zusammenhang mit
dem ubermassigen Gebrauch von Arsenik hingewiesen. 1894 wuitD
dann von Arbuthnot Laue ein Fall beschrieben; ein 63 jähriger
Mann hatte seit etwa 30 Jahren wegen Psoriasis Arsenik ge-
nomrnen. Apnl 1892 wurde vom Rücken des Vorderarms ein
- Zoll grosses Epitheliom entfernt; 1893 wurde 3 Epitheliome des
Skrotums entfernt, 9 Monate später und Anfang 1894 wurden -in
derseiben Stelle neue Epitheliome gefunden. Im ganzen wurden
11 Epitheliome entfernt. Obwohl 1893 das Arsenik ausgesetzt
Ferrnw w**?} -n°Ch 1 Jahr später neue Epitheliome auf.
der 1 H ti t c hins on einen 35 jährigen Mann beobachtet,
f-vlm r ? x.ArSen.1.kgebraucl1 an Iveratosen beider Hände er-
v anlvte, 10 Jahre später traten an verschiedenen Stellen Epi-
smh iri4aTl’b?ieAeiltfeiint WU1'den- Ein 46 iahriger Mann hat seit
^ l t) Inik §enomm°n. In einer alten Psoriasisstelle
Bauck tiat Krebs auf, ein zweites Epitheliom fand sich am
stllh n;mbeideillandf waren sprö<3e und trocken. Der Kranke
F?fle sah e“ mn Hutchinson gesehen hatte. 2 weitere
!w'l!!?v, i \l f w-er’ m deuen bei Personen, die lange Arsenik se¬
inen hatten, Karzinome am Halse auftraten. (Diese Fälle sind
lae^eUAUSfnaIl be0baChtet Iief-> Ferner sah er^ine Dame, die
lange Arsenik genommen hatte. Dezember 1888 trat Keratose der
KeJItoI <laS Al‘senik wurde ausgesetzt und dS
ilnbnl H TVerSCbwanden- Während sie 1877 viel Arsenik nahm
nahm der Lupus, an dern sie litt, alle Zeichen eines Lupus rodens
j dann durch starke Aetzmittel zerstört wurde. Eine
Ain Hnfse S ^ langer Zelt an Keratosis der Handflächen,
wurdl dm* Tbltl h 18olierter aPfelgrosser Tumor, der entfernt
. ’ dl.e Untersuchung ergab Karzinom. Gleichzeitig bestand
' H ’eschb ulst unter der Haut der linken Brustgegend, ferner
< en die Leistendrüsen einer Seite stark vergrössert Mehrfach
J,erdickte1 imd ulzerierte Hautstellen aus den Handflächen
g ' . iniUen v oiden, doch waren dieselben stets rezidiviert Hut
c h i ns o n diagnostizierte sofort Arsenikkrebs, doch wurde der Ge¬
brauch von Arsenik geleugnet. Spätere Erkundigungen bei tom
Arzte ergaben jedoch, dass sie 1879 und 1SS0 während 20 Monale
naehdInI0v1OfPfen S°L Fowlen genommen hatte. Sie starb bald,
nachdem \ eifasser sie gesehen hatte, unter dem Verdacht von
im Gehirn. (Ich habe die Arbeit des bekannten Dermato-
ogen lnev so genau referiert, weil eben Hutchinson der Autor
*st’ »leichzeitig kann ich mich aber der Meinung nicht enthalten
das® dle dann niedergelegten Theorien nur wenig Anklang finden
u erden, zumal da die Anzahl und auch die Art der Fälle nur
wenig beweiskräftig ist. Ein so gesuchter Konsiliarius wJe
a 1 11 s ?.u Slellt doch sicher im Laufe des Jahres eine grosse
Anzahl von Fällen, die lange Zeit hindurch Arsenik genommen
haben, und es muss deshalb überraschen, dass es ihm nicht ge¬
lungen ist, mehr einschlägige Fälle zu finden. Nebenbei möchte
II I nrh ei‘wal\nea- dass Verfasser vor kurzem auch die Meinung
r'iflr,10i<'10n dass eine Entstehungsweise der Sarkome auf
Jodkaligebrauch beruhe. Ref.)
, H* E G oclw in: Antistreptokokkenserum bei Puerperal¬
fieber. (Lancet, 27. Sept. 1902.) *
Genau beschriebener Fall, bei dem 290 ccm Serum angewandt
wurden ; es scheint, als ob die schliessliche Heilung auf die spe¬
zifische Behandlung zurückzuführen war.
serum ^Ibid ) *' *' ** d= Akute SePsis und Antistreptokokken-
Dieser Fall ist auch deshalb interessant, weil das scheinbar
so erfolgreiche Serum (trockenes Serum des Institut Pasteur zu
Paus) bereits über 2 Jahre vom Verfasser in Indien gehalten
Avorden war. 8
_ Charles Ballance: Die Unterbindung der Vena iugularis
■p 1 Sp? Sri) Schlafenbein ausgehenden Eiterungen. (Lancet,
Die für den Arzt sehr lesenswerte Arbeit würde meiner An¬
sicht nach erheblich gewonnen haben, wenn Verfasser die zahl-
leichen (übei 50) Zitate aus älteren und neueren Dichtungen fort¬
gelassen hätte, die sich in einem wissenschaftlichen Aufsatz über
die Chirurgie des Schläfenbeins recht sonderbar ausnehmen.
Verfasser rät, in jedem Falle eine möglichst genaue Untersuchung
und Diagnose vor der Operation zu machen und womöglich schon
vorher zu entscheiden, ob die Vena jugularis zu unterbinden ist
1852
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 44,
oder nicht. Dies ist immer nötig, wenn akute Pyämie oder Sepsis
besteht, einerlei, ob der Sinus flüssiges oder geronnenes Blut ent¬
hält, ferner wenn die Sinuswand gangränös und sein Inhalt faulig
ist; dann wenn der Bulbus jugularis oder gar die Jugularvene
tlirombosiert sind; in allen diesen Fällen, also fast immer, entfernt
Verfasser die Vena jugularis nach Abbindung ihrer Seitenäste bis
/.um Bulbus hin. Bei Thrombosis der Jugularis interna beginnt die
Abtragung an der Vereinigungsstelle mit der V. subclavia. M o-
möglicli beginnt die Versorgung der Vena jugularis die Operation
am Schläfenbein, dann erst legt man den Sinus vom Bulbus jugu¬
laris bis zur Torcula Heropliili frei und entfernt alle darübei-
liegenden Knochen. Nur diese sehr ausgedehnten Operationen
geben einen gewissen Schutz gegen weitere Verbreitung des sep¬
tischen Materials. Sehr wichtig ist eine rasche und sichere Aus¬
führung der Operation.
H. D: Rolleston: Dauerndes hereditäres Oedem der un¬
teren Extremitäten. (Ibid.)
Verfasser gibt die Krankengeschichten einer Mutter und lhiei
beiden Kinder. Die Mutter leidet seit vielen Jahren an Oedemen
beider Beine, bei den jetzt 16 resp. 13 Jahre alten Kindern haben
sich die Oedeme, die bis zur Leiste reichen, seit dem 10. Lebens¬
jahre bemerkbar gemacht. Alle 3 Personen sind im übrigen völlig
gesund. Das Oedem verschwindet bei Hochlagerung der Beine;
trotz des langen Bestehens sind keinerlei Störungen an der Haut
der Beine zu verzeichnen, elephantiastisclie Schwellung fehlt 'voll¬
kommen. Verfasser bespricht die mögliche Aetiologie dieser
hereditären Erkrankung, sowie ihre Beziehungen zur Rayn a u d -
scheu Krankheit und zur Erythromelalgie.
W. Stuart- Low: Mucin und maligne Geschwülste.
Tatsachen und Theorien. (Ibid.) ...
Verfasser betont in dieser Arbeit, dass bösartige Geschwülste
besonders bei Personen Vorkommen, die an Hjpomyxia (mangel
hafter Schleimabsonderung) leiden. Die nähere Begründung dieser
Behauptung muss im Original nachgelesen werden; liier sei nur
erwähnt, dass Verfasser seine Krebskranken, angeblich nnt gutem
Erfolge mit Mucin behandelt, und zwar wird das Mucin sowohl
innerlich genommen, als auch in die Krebsgeschwulst resp. deren
Nähe eingespritzt. , . _ .
Byrom Bram well: Die Behandlung der akuten Peri¬
karditis. (Clinieal Studies, 1. Okt. 1902.)
Verfasser legt ein grosses Gewicht darauf, bei akutem Gelenk¬
rheumatismus eine ausschliessliche Milchdiät zu geben: bei be¬
ginnender Perikarditis sucht er durch lokale Anwendung von Hitze
oder Kälte den Prozess aufzuhalten; hat sich ein Erguss aus¬
gebildet, so setzt er eine Anzahl von Blasenpflastern auf die Herz¬
gegend; nur bei Perikarditis im Gefolge von Nierenentzündung
oder Pyämie vermeidet er das Blasenpflaster, sonst glaubt er
grossen Nutzen davon gesehen zu haben. Innerlich gibt er Jodkali,
zuweilen auch Merkur, bei grossen Exsudaten aspiriert er. Gegen
die Schmerzen gibt er Morphium. Da es niemals absolut sicher
ist, ob ein Erguss vorliegt oder eine Herzerweiterung, so rät Verf.
dazu, lieber auf das Perikard einzuschneiden als zu punktieren,
er selbst hat durch Punktion mit nachfolgender Blutung in den
Herzbeutel einen Fall verloren. Anhangsweise spricht Verf. noch
über die von amerikanischen Aerzten geratene direkte Punktion
des Herzens bei Erschwerung des Kreislaufs. B r a m w e 1 1 und
S 1 o a n haben einen solchen Fall geheilt. Es handelte sich um
eine 19jähr. Lehrerin, die an Rheumatismus und Perikarditis er¬
krankte. Während die Aerzte anwesend waren, kollabierte die
Kranke plötzlich und schien bereits tot, als man die Nadel eines
Aspirators in den 4. Interkostalraum stiess. Es folgten 301) ccm
reinen Blutes; nachdem das Blut auf gehört hatte zu fliessen und
Verf. die Nadel entfernte, fing das Herz plötzlich wieder an zu
schlagen. Es dauerte aber ungefähr 12 Stunden, bis ein einiger-
massen leidlicher Zustand eintrat, da die Kranke fortwährend
schaumige Massen avishustete und häufig kollabierte. Urin wurde
erst 24 Stunden später entleert, schliesslich trat vollkommene Hei¬
lung ein. In diesem Falle wurde das Herz unabsichtlich punktiert,
wie es scheint aber mit glänzendem Erfolge.
R. J. Pye- Smith: Ein einzig dastehender Fall von Cyste
des Hodens. (Quarterly Medical Journal, August 1902.)
Ein 34 jähr. Arzt war vor ungefähr 6 Jahren während eines
Fieberanfalls in Indien katheterisiert worden. Bald darauf be¬
merkte er eine Schwellung am rechten Hoden, die allmählich
grösser und deutlich cystiseh wurde. Die Punktion, die 6 Jahre
später von Pye-Smitli gemacht wurde, entleerte etwa 80 ccm
einer milchigen Flüssigkeit. Dieselbe enthielt zahlreiche Sperma¬
tozoon und ausserdem eine grosse Anzahl von lebenden Vertretern
einer Acarusart. Im ganzen waren ca. 800 dieser lebenden In¬
sekten vorhanden. Dr. Trou essart aus Paris stellte fest, dass
es sich um einen nahen Verwandten der Krätzmilbe handelte, der
aber bisher noch nicht bekannt war. Er beschrieb ihn als „Hestio-
gaster spermaticus“. Trou essart glaubt, dass ein eiertragen¬
dos Weibchen am Katheter geklebt hat und mit ihm in die Urethra
und von hier aus durch den Ductus ejaculatorius und das Vas
doferens in den rechten Hoden gelangte. Hier legte das Insekt
seine Eier und der Reiz der auskriechenden Jungen führte zur
Bildung der Cyste.
A. E. W right: Ueber die Erfolge der Schutzimpfung gegen
Typhus. (Mit 1 Tabelle.) (Lancet, 6. Sept. 1902.)
Verf., der bekannte Bakteriologe des Netley-Hospitales, hat
in dieser Arbeit alle Zahlen zusammengestellt, die ihm in Bezug
auf die von ihm inaugurierten Schutzimpfungen gegen Typhus zu¬
gegangen sind. Meist handelt es sich um Soldaten in Indien oder
Südafrika. Es ist unmöglich, hier das ganze, in 2 grossen Tabellen
niedergelegte Zahlenmaterial wiederzugeben; ich beschränke mich
deshalb darauf, aus den 24 Unterabteilungen 3 herauszugreifen,
,lie die grösste Anzahl von Einzelbeobachtungen umfassen. In
Indien wurden 4502 englische Soldaten geimpft, während 25 851 un-
geimpft blieben. Von den geimpften erkrankten 44 (0,98 Proz.),
von den ungeimpften 657 (2,54 Proz,). Von ersteren starben 9
(0.2 Proz.), von letzteren 146 (0,56 Proz.). Die Sterblichkeit der
Fälle betrug 1 auf 4,9 im ersteren, 1 auf 4,5 im letzteren Falle.
Im belagerten Ladysmith waren 1705 geimpfte auf 10 529 un-
geimpfte Soldaten. Von ersteren erkrankten 35 (2,05 Proz.) und
starben 8 (0,47 Proz.), von letzteren erkrankten 1489 (14,14 Proz.)
und starben 329 (3,12 Proz.). Die Sterblichkeit der Fälle betrug
also 1 auf 4,7 und 1 auf 4,5. Im Jahre 1900 wurden in Indien
5999 englische Soldaten geimpft, während 54554 uugeimpft blieben.
Es erkrankten 52 (0,87 Proz.) und starben 8 (0,13 Proz.) gegen
731 (1,69 Proz.) und 224 (0,58 Proz.). Die Sterblichkeit unter den
Fällen betrug 1 auf 6,5 und 1 auf 3,3. Verf. ist überzeugt davon,
dass seine Schutzimpfung von grossem Nutzen ist; sie kann aber
auch gefährlich werden und zwar dann, wenn die allgemeine Ver¬
fassung des Kranken vor der Impfung eine schlechte war oder
wenn ein Mensch mit einer vollen Dosis geimpft wird und ge¬
zwungen ist, in einer typhusgefährlichen Umgebung zu leben, oder
wenn die Impfung mit zu grossen Dosen vorgenommen wurde
oder eine zweite der ersten sehr rasch folgt. In allen diesen
Fällen scheint die Schutzimpfung das Gegenteil von dein zu be¬
wirken, Avas sie leisten soll, und scheint sie wirklich die Disposition
für die Ansteckung zu steigern. Diese Nachteile lassen sich aber
A crmeiden; auch ist es gelungen, einen Schutzstoff herzustellen,
dessen ImmunisierungSAvert bekannt ist, so dass zu starke Dosen
leichter zu vermeiden sind Avie früher.
Thelwall Thomas: Die Tenotomie der Achillessehne bei
gewissen Brüchen des Beines. (Ibid.)
Namentlich bei Brüchen des unteren Femureudes, bei Schräg¬
brüchen der Tibia, bei tiefsitzenden Brüchen der Tibia und Fibula
und bei Brüchen des Fersenbeins hat Verf. grossen Nutzen von
der Tenotomie der Achillessehne gesehen. Selbst in den Fällen,
in denen eine Reposition ganz unmöglich schien resp. keine
Schiene oder Lagerung die Reposition fixierte, gelang es der Teno¬
tomie, alle Schwierigkeiten zu überwinden, so dass man von
Nageln oder Nähen abselien konnte.
Leonard Rogers: Der diagnostische und prognostische
Wert der Leukocytenzählung bei Cholera asiatica. (Ibid.)
Verf. hat gefunden, dass bei Cholera stets die Leuköcyten
vermehrt sind; pathognomonisch für Cholera und deshalb für dia¬
gnostisch sehr wichtig hält er das Verhältnis der grossen mono¬
nukleären Zellen zu den Lymphocyten, erstere überwiegen die
Lymphocyten und finden sich zu ihnen oft im Verhältnis von 2
zu 1, statt 1 zu 5, wie in der Norm. Ein prognostisch sehr un¬
günstiges Zeichen ist es, Avenn eine bedeutende Leukocytose (über
20 000 im Kubikzentimeter) besteht und gleichzeitig die grossen,
mononukleären Zellen stark vermehrt sind.
Byrom Br am well: Ueber Chlorose und perniziöse An¬
ämie. (Clinieal Studies, 1. Okt. 1902.)
Ausführliche Beschreibung dieser beiden Krankheiten. Verf.
hält es für sehr schädlich, clilorotisehe Kranke herumgehen zu
lassen; er hält strenge Bettruhe für das beste Heilmittel, daneben
gibt er Eisen in grossen Quantitäten. In seinen Bemerkungen
über perniziöse Anämie Averden ausführlich Hunters Ansichten
kritisiert, der glaubt, dass die perniziöse Anämie als chronische
Sepsis infolge ausgedehnter Zahnkaries aufzufassen ist. Ein¬
spritzungen von Antistreptokokkenserum haben Bramwell
nichts genützt, Arsenik scheint manchmal wirksam. Verf. hält
aber die Prognose für sehr schlecht, da er selbst nie eine Heilung
beobachtet hat. Er hat alle seine Fälle nachverfolgt und hat ge¬
funden, dass auch die Kranken, die scheinbar gebessert oder ge¬
heilt das Krankenhaus verlassen, bald rückfällig werden und an
ihrer Anämie sterben. J. P. zum Busch- London.
Ophthalmologie.
Steindorff: Ueber den Einfluss klimatischer Faktoren
auf den Ausbruch des akuten primären Glaukomanfalles.
(Sitzungsber. d. Berl. oplithalmolog. Gesellsch. Centralbl. f. Augen-
lieilk., August 1902, S. 238.)
Das Beobachtungsmaterial umfasst 83 Kranke, an denen
vom 1. Mai 1885 bis 30. April 1902 102 akute, primäre Glaukom¬
anfälle zur Behandlung kamen. 65 derselben fallen in die Zeit
vom 1. September bis 31. März und 37 in die Sommermonate. Das
Maximum zeigen Dezember und Januar (11 bezw. 18 Anfälle), das
Minimum der Juni (kein Anfall). Demnach kommt akutes Glau¬
kom in der kalten Jahreszeit weit häufiger vor als in der
warmen. An der Hand der Veröffentlichungen des k. preuss.
meteorolog. Instituts bespricht Vortr. die klimatischen Faktoren
an den betreffenden Aufallstagen und Aveist besonders der T e m -
p erat u r einen bedeutenden Einfluss zu auf die Spannung im Ge-
fässrolir bezAv. Auge. Andere klimatische Faktoren, Avie Luft¬
druck, Luftgeschwindigkeit, absolute und relative Feuchtigkeit
der Luft u. s. aa\, sind ohne Bedeutung.
Bach L. : Die okularen Symptome bei Erkrankungen des
Kleinhirns, der Vierhügel und der Zirbeldrüse. (Zeitsclir. f.
Augenheilk., August 1902, H. 2, S. 213 — 237.)
Die Arbeit Bachs ist eine Zusammenstellung und kritische
Betrachtung der bisher in der Literatur veröffentlichten experimen-
4. November 1902.
MUENCIbENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1853
teilen Untersuchungen und der Kasuistik der einschlägigen Fälle.
I le kntische Betrachtung lehrt nun zunächst dass Seli-
s t () ru ii g e n sowohl bei Kleinhirnaffektionen als bei solchen
der Vierkugel- und der Zirbeldrüse stets als indirekte Svm
ptome zu betrachten sind — hervorgebracht entweder durch den
gesteigerten intrakraniellen Druck oder durch die Mitbeteiligung
des ausseren Kniehockers, der Sehstrahlung etc.
,r. A u.?enm " ?k el Störungen. Für die Diagnose einer
Vieiliugelaffektion ist in hohem Grade wertvoll das
t ui handensein von s y mmetrischen Augenmuskelaffektionen
Zu solchen wird es hauptsächlich kommen bei Erkrankungen der
Iv e r n gebiete se 1 b s t und dann, wenn vom Vie r h ü g e 1 -
c f ^ k !^e e 1 n Druck auf das Kerngebiet ausgeübt
vird. Aach dem Austritt aus dem Kerngebiet verlaufen die
t0in?ndQer 011U aSern bekl°1' Seiten ziemlich weit getrennt von
Bei Kleinhirnaffektio n e n sind symmetrische Läli-
wmS1 Hier h r^t0rillr Trochlearis selten beobachtet
v oiden. Hier betreiten die Augenmuskellähmungen den Ab-
duzens und den okularen FaziaLis, und zwar ein- und doppelseitig
Ay stagmus, sowie konjugierte Ablenkungen der Augen wer-
vf m-61 Kiemhn-nerkrankungen weit öfter als bei solchen der
\ ierhügel beobachtet.
Pupillen. In den vorliegenden Beobachtungen von Stö¬
rungen im Verhalten der Pupillen können keinerlei diagnostische
Merkmale weder für Kleinhirn-, noch für Vierhügel-Zirbeldrüsen¬
erkrankungen gefunden werden.
, Sensibilitätsstörungen am Auge durch Affektion
des Trigeminus werden sowohl bei Kleinhirntumoren als bei sol¬
chen der V lerhugelgegend beobachtet; sie scheinen bei ersteren
häufiger zu sein. H
* V,6 rrT e U ° stöl’ungen. Es kommen vor: Ataxie
Schnindel, Hemi- und Paraparese und -plegie, Sensibilitäts¬
storungen, Schwerhörigkeit, Kopfschmerzen. Ertireclien etc Im
allgemeinen tritt bei Kleinhirnerkrankungen die Ataxie etwas
fmhzeiüger und intensiver auf, die Kopfschmerzen sind heftiger
das Erbrechen anhaltender und häufiger. Neben den symmetri-
schen Augenmuskellähmungen sprechen zentrale einseitige" T a u b -
hct, durch Erkrankung des mit dem tauben Ohre fekreuäen
hinteren Vierhugels bedingt, sowie deutliche Ataxie der Arme und
—rscho^atische Bewegungen mehr für die Lokalisation des
Krankheitsherdes im Vierhügel.
f a P' RT.Ö-^er; Zur Fra§'e des Blendungsschmerzes. (Zeitsclir
f. Augenheilk., August 1902, H. 2, S. 237 )
scinvom wVTbtrheft ?er klin- MonatsbL f. Augenheilk. 1901 be-
. hieibt TV A. N a g e 1 seine Beobachtungen „über den Ort der
Auslosung des Blendungsschmerzes“, wonach, wie wir seinerzeit
berichtet, beim plötzlichen Einfall hellen Lichtes ins Auge neben
dein Blendungsgefühl auch noch unter Umständen wirklicher
Srt meiv nnf^UgewftrittL,Nagel ist der Meiu«ng, dass dieser
r H u öeftigeu Zu^ammenziehung der Iris beruhe und
Tnrnw i, Beweis dafür das Ausbleiben dieses Schmerzes bei
LnuhesteHung der Pupille durch Homatropin.
, Corner hat nun die Nage Ischen Angaben über den Blen-
dungssclimerz mit Unterstützung von G medizinisch gebildeten
rten'eL^o?igtePn rrrDie VerSuche werden unter den vefschieden-
' Beleuclitungsdifferenzen nach verschieden langen Dunkel-
adaptionen beim Blick gegen wolkenlosen Himmel und direkt in
a t SÄllt; dieselben ergaben, „dass von einem im Auge
auftretenden Sch m e r z keine Rede sein kann“. Unangenehme
nihahenUUg UUd Scllmerzempfinduhg ist hier scharf auseinander-
It. folgert weiter: Wenn es richtig wäre, dass die heftige Zu-
bedinSUZiohU“:? /leSv Spllinkter pupillae den Blendungsschmerz
der iiL i usste dleser Schmerz noch heftiger auftreten, wenn
üen n .it gez™m&n wird, sich noch viel stärker zu kontra-
stärkste Lichtintensität bewirken kann,
Blenrbin o-n Eserinwirkung. Der Versuch zeigte, dass hiebei die
Ilen-pn in.r J1Z| enorm. war’ aber V011 keinem der kontrollierenden
träufeln w Scdime.rz !™ Auge empfunden wurde. Auch bei Ein-
K',n i Bserm m die Augen von lichtscheuen ekzematösen
i\ winken wurde keine Zunahme der Lichtscheue beobachtet.
abfiihr Ueber Tränenabsonderung und Tränen-
Gesefisr-l? , Exstirpation der Säcke. (Verhandl. d. Ophthalm.
(jcsellsch. zu Heidelberg v. Jahre 3902.)
öO Patienten, denen der Tränensack vor 3 — 81/, Jahren
Hälfte 'der U" n ^i Waf’ lmt. ^ ortr' eruiert, dass iu der grösseren
WhKle tSJ 16 V iV1?0 1111 Zimmer nicht, wohl aber stets im
ri on + nm' dle. kle,meFe Hälfte gibt an, dass nach der Ope-
beruht nä h/ ™“entruufeln besser geworden sei. Die Besserung
be m Menti em,er Ati;opllie der Tränendrüse; eine solche ist
kennen F« w ? ■ \ ! Velen Jahren klinisch nicht zu er-
vom nnnnu ^ crdeii viel in ehr beim ruhigen Aufenthalt im Zimmer
v !!• n? ’r™ Y uge Tranen in so geringer Menge produziert (% bis
niefs/ niciu3? ' niir lüle 1—2 Stunden ein Tropfen fliesst, was
Bindeh nii*! Tranen empfunden wird. Für die Befeuchtung der
lriut pHouI -11^ d‘eSe Sekretion nickt in Betracht; die Sclileim-
. nt eilialt sich vorzugsweise selbst feucht. Wenn nach Ex-
iunkt'ivit'i dai Tranenträufeln fortdauert, so liegt entweder Kon-
Be em L er1 Entropium vor. Führt hier eine entsprechende
; “lc.ht bald zum Ziel, so soll man zur Entfernung der
paipebralen Druse schreiten. Rhein.
Vereins- und Kongressberichte.
Konferenz des internationalen Zentralbureaus zur
Bekämpfung der Tuberkulose
zu Berlin v o m 22. — 26. Oktober 1902.
(Eigener Bericht.)
Alkohol, Syphilis, Tuberkulose — die drei Erbfeinde des
Menschengeschlechts ! Wohin man um sich blickt, überall ist
dci Rumpf gegen sie entbrannt und wird auf der ganzen Linie
mit zähester Erbitterung geführt. Wo auf irgend einer Tagung
die Gelegenheit sich bietet, auf dem Frauentage, auf "dem
Ki ankenkassentage, da sucht man ihnen einen Hieb zu versetzen
und schliesslich lässt man auch das schwerste Geschütz auffahren,
das die moderne Zeit kennt : die Hongresse'! In Stuttgart kon¬
zentrierte sich die Armee der Antialkoholisten, m Brüssel ver¬
sammelten sich die Venereologen aus aller Herren Länder zur
Beratung prophylaktischer Massregeln gegen die Syphilis, vor
einer Woche konstituierte sich in Berlin die Deutsche Gesell¬
schaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und vor
o ragen wurde, ebenfalls in Berlin, die Honferenz des inter¬
nationalen Zentralbureaus zur Bekämpfung der Tuberkulose er¬
öffnet. Man sieht, es ist viel sozialer Kampfesmut in der Welt
und das internationale Heer der Tuberkulosekämpfer, das in
diesen lagen zu gemeinsamer Aussprache hier zusammenkam,
machte einen recht stattlichen Eindruck. Man sah die Träger
bekannter N amen des In- und Auslandes, besonders zahlreich
waren die. Delegierten aus Frankreich, Oesterreich und Russ¬
land erschienen.. Heber das Wesen und den Zweck dieser Kon¬
ferenz wollen wir noch vorausschicken, dass das „Zentralbureau
zur Bekämpfung der Tuberkulose“ als eine internationale Zentral¬
stelle von den in den meisten Ländern bestehenden Tuberkulose¬
gesellschaften begründet wurde. Die Organisation des inter¬
nationalen Bureaus wurde dem deutschen Zentralkomitee
übertragen, der Organisationsausschuss besteht aus den Herren
A.l t h o f f , B. Fraenkel, v. Leyden und Pannwitz.
Die jetzt stattfindende Konferenz ist die erste Versammlung
sämtlicher Mitglieder, zu ihren Aufgaben gehört ausser der
gegenseitigen Aussprache über alle aktuellen Fragen der Tuber¬
kulosebekämpfung u. a. auch die Organisation der internatio¬
nalen T uberkulosekongresse.
Die Verhandlungen wurden von dem Präsidenten, Staats-
minister v. Posadowsky, mit einer längeren Ansprache er¬
öffnet, es . folgten Begrüssungsreden durch den Vizeoberzere-
monienmeister der Kaiserin und durch den Oberbürgermeister
von Berlin und dann begann B. Fraenkel - Berlin die Reihe
der Vorträge mit. einem Ueberblick über die Entwicklung des
Kampfes gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit bis zur Be¬
gründung des internationalen Bureaus. Er erwähnte die For¬
schungen von Virchow, Vi llem in und Koch, welche
uns die Erkennung des Wesens der Krankheit als einer Infektions¬
krankheit ermöglichten. Die Richtung, in welcher sich die Be¬
stie billigen zur Verhütung der Krankheitsverschleppung bewegen
müssen, ist durch die Untersuchungen von Cornet und Flügge
angegeben, die Wege, welche zur Heilung führen, sind von
B rehmer und Dettweiler gezeigt; worden. Die auf der
Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse allenthalben errichteten
^ olksheilstätten haben schon jetzt schöne Erfolge aufzuweisen.
An diese Ausführungen schlossen sich Mitteilungen über den
Stand der Bestrebungen gegen die Ausbreitung der Tuberkulose
m den einzelnen Ländern an; und als dritter Punkt der ersten
Sitzung wurden die Mittel zur weiteren Propaganda besprochen.
Die gesamte . Tagesordnung ist eine ungemein reichhaltige und
es kam dabei eine solche Fülle anregender Fragen zur Erörte¬
rung, dass wir uns im Rahmen dieses Referates darauf be¬
schränken müssen, aus den Vorträgen und den von den ein¬
zelnen Rednern aufgestellten Leitsätzen nur das Wichtigste in
kurzen Zügen hervorzuheben. Obertüschen - Wiesbaden be¬
sprach die Aufgaben der Schule bei der Schwindsnchtsbekämpf-
ung. Als Hauptträgerin der Kultur habe sie das Recht und
als eine obligatorische staatliche Einrichtung die Pflicht, an
dieser allgemeinen sozialen Aufgabe im Interesse der Lehrer und
der ihr anvertrauten Schüler mitzuwirken. Die Heilbarkeit der
Krankheit einerseits, ihr ansteckender Charakter andrerseits be¬
dinge die Fernhaltung aller tuberkulösen Kinder und Lehrer
von der Schule. Die erkrankten Kinder müssen möglichst in
MUENCLIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
1854
einer Kinderheilstätte untergebracht, dem Lehrer müsse Gelegen¬
heit gegeben werden, ohne dass sein Gehalt eine Verminderung
erleidet, solange in einer Heilanstalt zu bleiben, wie seine Krank¬
heit noch übertragbar ist resp. solange es ärztlicherseits für not¬
wendig erachtet wird. Bei der Natur des Krankheitserregers
habe die direkte Prophylaxe, welche in einer Vermeidung der
unmittelbaren Ansteckungsgefahr besteht, nur bedingten W ert,
um so grösseren aber die indirekte Prophylaxe, welche auf die
Bekämpfung der durch die Disposition begründeten Verbrei¬
tungsgefahr gerichtet ist. Diese indirekte Prophylaxe wird in
erster Linie in einer grösseren Berücksichtigung der freien
Leibesübungen zu bestehen haben, insbesondere solcher Hebungen,
welche der Kräftigung der Lungen und des Herzens dienen.
Auf diese Lungengymnastik ist besonders zur Pubertätszeit Wert
zu legen, wo erfahrungsgemäss ein vorhandener Krankheitskeim
am leichtesten sich entwickelt. Die Schule soll auch den von ihr
entlassenen Zöglingen bei der Berufswahl zur Seite stehen und
überhaupt alle diejenigen Bestrebungen unterstützen, welche
zur Kräftigung der heranwachsenden Jugend beitragen. Schliess¬
lich soll die Schule auch die Belehrung der Schüler über die Natur
der Infektionskrankheiten und die Mittel zu ihrer Verhütung
in den Bereich ihrer Tätigkeit ziehen; zu diesem Zweck müssen
die Lehrer auf dem Seminar die entsprechende Vorbildung er¬
halten. Bei der Durchführung dieser Aufgaben wird die Schule
der Mitwirkung ärztlicher Kräfte nicht entraten können, daher
ist eine wirksame Mithilfe der Schule bei der Schwindsuchts¬
bekämpfung nur bei der überall durchzuführenden Anstellung
von Schulärzten zu erreichen.
Nach einer kurzen Pause, während welcher Grunmach-
Berlin die von ihm ausgestellten sehr instruktiven Aktinogramme
aus dem Gebiete der Brusticrankheiten und Blumenthal-
Moskau eine von ihm zusammengestellte „Tuberkulosekollektion“
erläuterte, wurde die Nachmittagssitzung eröffnet, deren The¬
mata die Anzeigepflicht, Polikliniken und Dispensaires, Werk¬
stätten und sonstige geschlossene Räume und Sputumbeseitigung
waren. Vor Eintritt in die Tagesoi’dnung machte v. Baum-
g’ a r t e n - Tübingen eine kurze Mitteilung über den „Kampf
gegen die Tuberkulose vom Standpunkte der pathologischen
Mykologie“. Er entwickelte dabei seine Ansichten über die
Natur des Krankheitsgiftes und die Art seiner Verbreitung. Den
Tuberkelbazillus innerhalb des Organismus zu töten, ist bisher
nicht gelungen; alle Versuche, welche darauf hinzielten, be¬
wirkten nur eine Vernichtung des Gewebes, in welchem der
Bazillus lebt. Nichtsdestoweniger müssen die Versuche zur
direkten Vernichtung des Krankheitserregers im Körper fort¬
gesetzt werden. Hm die Ausbreitung der Krankheit zu ver¬
hindern, bemüht man sich, die aus dem erkrankten Körper
stammenden Tuberkelbazillen unschädlich zu machen. So wesent¬
lich das auch ist, so dürfen doch auch die anderen Faktoren
der Tuberkuloseverbreitung nicht ausser Acht gelassen werden,
das sind die Vererbung und Disposition. Gegenüber der heute
fast allgemein herrschenden Ansicht, dass die Vererbung nicht
in einer unmittelbaren Hebertragung der Krankheit von der
Mutter auf das Kind, sondern in einer Vererbung der Krankheits¬
anlage besteht, betont v. Baumgarten, dass eine direkte
Vererbung sehr wohl vorkomme, und dass man tuberkulöse Er¬
krankungen bei Kindern in den ersten Wochen, ja in den ersten
Tagen ihres Lebens konstatiert habe. Diesen Fällen gegenüber
können die Einwände, dass es sich um eine durch den engen
Verkehr mit den Eltern bedingte Ansteckung handle, nicht als
stichhaltig angesehen werden. Neben der Heredität ist natürlich
die Disposition von wesentlicher Bedeutung; das eigentliche
Wesen der Disposition ist uns aber noch nicht völlig bekannt;
um eine krankhafte konstitutionelle Anlage zu bekämpfen, sind
wir auf die allgemeinen hygienischen Massregeln angewiesen.
In Vertretung des abwesenden van R y n - Brüssel ent¬
wickelte D e w e z die Prinzipien der Anzeigenflicht hei Tuber¬
kulose. Hm die Ansteckungsherde zerstören zu können, muss man
vor allem über ihren Ritz unterrichtet sein, aus diesem Grunde
bedarf es für alle Länder der gesetzlichen Regelung der Anzeige¬
pflicht. Bei der Durchführung dieser Forderung wird man aller¬
dings mancherlei Einwänden begegnen; durch die Anzeige der
Erkrankung könne der Arzt in Konflikt kommen mit seiner
Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses und der Kranke
einen Eingriff in seine persönliche Freiheit erleiden. Aus Furcht
vor einem solchen würde der Kranke sich vielfach der ärztlichen
Beobachtung zu entziehen suchen, und dadurch würde sein Zu¬
stand verschlimmert werden. Auch wirtschaftlich würde der
Kranke geschädigt werden; denn dadurch, dass seine Krankheit
bekannt ,wird, würde er Gefahr laufen, seine Stellung zu ver¬
lieren und keine Beschäftigung zu finden, van R y n ist jedoch
der Ansicht, dass diese Einwände gegenüber dem grossen all¬
gemeinen Interesse nicht schwer ins Gewicht fallen. Allerdings
wird man sich hüten müssen, bei der praktischen Durchführung
der Anzeigepflicht allzu schroff vorzugehen, man wird sie viel¬
mehr Schritt für Schritt zur Ausführung bringen müssen. In
erster Reihe ist eine genaue Statistik der Todesfälle an Tuber¬
kulose in allen Ländern erforderlich. Ferner müssen die Ver¬
walter von Asylen, Gefängnissen, Pensionaten, Hotels und
anderen Häusern, in denen eine grössere Anzahl von Personen
Zusammenkommen, verpflichtet werden, den Namen und den
letzten Aufenthaltsort jedes in den betreffenden Anstalten ver¬
kehrenden Tuberkulösen zur Anzeige zu bringen. Diese Ver¬
pflichtung kann auch dem behandelnden Arzt auferlegt werden.
Nach erfolgter Anzeige müssen die Behörden sofort die not¬
wendigen prophylaktischen Anordnungen treffen. Bei Erkran¬
kungen von Privatpersonen soll eine freiwillige Anzeige durch
die behandelnden Aerzte eingeführt werden. Es soll dann zu¬
nächst den Kranken und ihrer Umgebung selbst überlassen blei¬
ben, die erforderlichen Massnahmen gegen die Weiterverbreitung
der Krankheit zu treffen ; und erst wo sich das nicht als aus¬
reichend erweist, sollen die Behörden eingreifen. Ob die frei¬
willige und unentgeltliche Anzeige genügt, oder ob es zweckmässig
sein wird, Prämien für die Ermittelung der Krankheit auszu¬
setzen, und ob es schliesslich möglich sein wird, die allgemeine
Anzeigepflicht einzuführen, wird Sache der einzelnen Re¬
gierungen sein. Dass diese letztere, weitestgehende Vorschrift
gute Früchte zu zeitigen geeignet ist, beweise das Beispiel-Mer
Vereinigten Staaten, besonders New-Yorks, wo im Laufe der letz¬
ten Jahre die Tuberkulosesterblichkeit um 30 Proz. zurückge¬
gangen sei.
Im Anschluss an diese Ausführungen schilderte Andvord-
Christiania die einschlägigen Verhältnisse in Norwegen, wo seit
dem 1 . Januar 1902 das Gesetz, betreffend die Anzeigepflicht bei
tuberkulösen Krankheiten, in Kraft ist. Anzeigepflichtig sind
nur die Fälle, welche mit solchen Absonderungen verbunden sind,
von denen eine Ansteckungsgefahr zu befürchten ist. Die An¬
zeige muss durch den behandelnden Arzt erfolgen, und zwar an
den Vorsitzenden der Gesundheitsbehörde, welcher ebenfalls
immer ein Arzt ist. Besondere Schwierigkeiten haben sich bis
jetzt nicht ergeben, ein abschliessendes Urteil über den Wert
der Einrichtung lässt sich bei der Kürze der Zeit bis jetzt nicht
fällen.
In der Diskussion wies v. Schroetter- Wien darauf
hin, dass es sich hier um eine für die Kranken, die Behörden und
die Aerzte in gleicher Weise höchst schwierige Frage handle, und
machte den Vorschlag, es solle ein internationales Komitee ein¬
gesetzt werden, welches die Frage beraten und dann seine Vor¬
schläge dem internationalen Zentralbureau unterbreiten solle.
Dieses sollte sie dann wieder den einzelnen Regierungen vorlegen
und ihnen auf diese Weise zugleich den Rückhalt schaffen, den sie
bei der Einführung so einschneidender gesetzlicher Bestimmungen
brauchten. Kirchner zeigte an der Hand der Bestimmungen,
welche in den einzelnen Staaten eingeführt sind und ein sehr ver¬
schiedenartiges Bild zeigen, Avie ausserordentlich schwierig die
Behandlung der ganzen Materie ist. Er empfiehlt ebenfalls ein
nicht zu schroffes, schrittweises Vorgehen. Vorerst müsse man
sich damit begnügen, jeden Todesfall an Tuberkulose und jeden
Fall vorgeschrittener Lungen- oder Kehlkopftuberkulose, welcher
mit der Gefahr der Weiterverbreitung der Krankheit verbunden
ist, zur Anzeige zu bringen; diese Bestimmungen können eventuell
später, wenn sie sich als nicht ausreichend erAAreisen, weiter aus¬
gedehnt werden.
Heber die Tuberkulosebekämpfung in Frankreich, speziell
über die „Dispensaires antituberculeux“ berichtete Calmette-
Lille. Diese „Dispensaires“ stellen Einrichtungen dar, Avelche
von den betreffenden Stadtbehörden und den dabei interessierten
privaten Gesellschaften unterhalten werden und den Zweck haben,
durch häusliche Hilfe, welche den Kranken gewährt wird, sowie
durch ärztlichen und materiellen Beistand und durch Belehrung
vorbeugend gegen die Tuberkulose zu wirken. Sie sollen also die
Sanatorienbehandlung nicht ersetzen, sondern ergänzen. Ihre
Zahl hat sich im Laufe der letzten 2 Jahre erheblich vergrößert,
i Die Aufgabe des leitenden Arztes besteht nicht nur in der Er-
I teilung ärztlicher Ratschläge, sondern er muss die Kranken auch
4. November 19Ö2.
1\IÜEN CIIENER MEDICINISCHE WOCHEN SOHR 1 FT.
1855
auf die in ihrem eigenen Interesse und dem ihrer Umgebung
zu treffenden prophylaktischen Massregeln aufmerksam machet
besonders auf die Innehaltung der nötigen Sauberkeit in ihren
Wohnungen und bezüglich ihrer Wäsche; und schliesslich muss
er ihnen^ Lebensmittel zur Verfügung stellen für die Zeit, in der
sie am "V erdienen ihres Lebensunterhalts verhindert sind/ Einen
Typus dieser Einrichtungen stellt das Dispensaire „Emile Roux“
in Lille dar, dessen Betrieb C a 1 m e 1 1 e im einzelnen beschreibt.
Es besteht dort der Grundsatz, dass die grösste Hilfe denjenigen
armen Kranken zu gewähren ist, welche am wenigsten leidend
sind. Darin liegt keine Inhumanität, sondern das Bestreben, das
Leben der Kranken möglichst zu verlängern und sie wieder
leistungsfähig zu machen. Nach dem Grade ihrer Bedürftigkeit
und dem Stadium ihrer Krankheit werden die Patienten in
3 Kategorien eingeteilt. Bei der ersten Kategorie erhält jeder
Kranke die Miete, 100 kg Kohlen pro Monat und 250 g Ochsen¬
fleisch für jeden zweiten Tag; in der zweiten Kategorie 100 kg
Kohlen pro Monat, 1 kg Brot und 1 Liter Milch pro Tag und
ferner täglich einen Gutschein für ein Mittagbrot in den Volks¬
küchen, welches aus Suppe, Gemüse und Fleisch besteht. Die
dritte Kategorie endlich erhält täglich 1 Liter Milch und wöchent¬
lich 13 Eier. Ausserdem wird jedem Kranken ein Spucknapf,
eine Taschenspuckflasche und das nötige Quantum Lysol ein¬
gehändigt, nach Bedarf auch Kleidung und Schuhwerk verab-
i eicht. In bestimmten Zwischenräumen werden die Wohnungen
der Kranken gesäubert und desinfiziert und ihre Wäsche zum
Reinigen abgeholt. Die Kranken stellen sich zu bestimmten
Zeiten zur Untersuchung vor; ihr Auswurf wird mindestens
einmal im Monat untersucht; soweit es irgend angängig ist, wer¬
den die Kinder in ein am Meer gelegenes Sanatorium geschickt.
Ein Angestellter des Dispensaire besorgt die hygienische Be¬
lehrung in den lamilien. Die durchschnittliche Frequenz be¬
tlägt jetzt etwa 120 pro lag, wovon ungefähr je 20 der ersten
und zweiten und 80 der dritten Kategorie angehören; für diese
120 Kranken belaufen sich die Kosten auf ungefähr 2500 Fr.
monatlich, wobei aber die allgemeinen Unkosten nicht eingerech¬
net sind. Die Unterstützungsdauer schwankte zwischen 1 und
9 Monaten,, dabei wurden zum Teil recht befriedigende Resultate
erzielt. \ iele der Kranken konnten ihre Arbeit wieder auf¬
nehmen und boten das Bild vollster Gesundheit dar. Angesichts
dieser Erfolge müssen die Bestrebungen dahin gehen, viele der¬
artige Einrichtungen zu treffen, und besonders in den Industrie¬
städten Anstalten zu schaffen, in denen nicht nur Konsultation
abgehalten, sondern auch die Kranken mit Rat und Tat unter¬
stützt werden.
.Das Beispiel Frankreichs hat, wie C o z z o 1 i n o - Neapel
berichtete, in Italien bereits Nachahmung gefunden. In Deutsch¬
land haben wir solche Einrichtungen nicht; hier ist auch das
Bedürfnis dafür ein geringeres, denn ihre Aufgaben werden zum
Teil von den V olksheilstätten erfüllt ; ein Analogon dazu, wenn
auch mit engerem Wirkungskreise, bildet die Berliner Poliklinik
für Lungenkrankheiten, über welche ihr Leiter M. W o 1 f f -
Berlin berichtete. Sie dient in erster Reihe als Untersuchungs¬
stelle für die ihr überwiesenen bezw. in ihr Rat suchenden
Kranken; dabei wird es ermöglicht, die Diagnose mit allen Hilfs¬
mitteln der V issenschaft so früh als möglich zu stellen und eine
Auswahl für die Heilstättenbehandlung zu treffen. Unter den
ca. 16000 Patienten sind ca. 5000 für Heilstätten geeignet be¬
funden, worden. Einen weiteren Zweck erfüllt die Poliklinik als
Unterrichtsanstalt für spezialistisch auszubildende Aerzte. Be¬
handelt werden nur solche Patienten, welche nicht in ander¬
weitiger ärztlicher Behandlung stehen, allen wird die nötige Be¬
lehrung zu Teil, wobei auch von der Verteilung geeigneter
Druckschriften ausgiebiger Gebrauch gemacht wird.
lieber die Massregeln gegen die Verbreitung der Phthise in
Arbeitssälen, Bureaux etc. hatte Flügge- Breslau einen Vor¬
trag angemeldet. Er war zwar verhindert, den Vortrag zu halten;
bei dem Interesse, das der Gegenstand bietet, wollen wir jedoch
kurz den Inhalt seiner Leitsätze angeben. Der Staub, welcher
auf Möbeln, Akten etc. 1 — l’A m über dem Fussboden liegt, ent¬
hält, auch wenn sich in den Räumen Phthisiker aufgehalten
haben, nur selten virulente Tuberkelbazillen. Das erklärt sich
daraus, dass das Sputum nur sehr schwierig in so feine, trockene
Teilchen verwandelt werden kann, dass sie bis zu Kopfhöhe auf¬
gewirbelt werden; viel eher können sie von Taschentüchern,
Kleidungsstücken oder von den Händen aus auf die Möbel etc.
gelangen. Das Aufsammeln des Sputums in Spucknäpfen und
Spuckflaschen allein genügt daher nicht, sondern es muss auch
dafür geborgt werden, dass die I aschentücher, welche stets zum
Abwischen von Sputumresten benutzt werden, unschädlich ge¬
macht werden. Am geeignetsten wären Papiertaschentücher,
v eiche nach ihrer Benutzung verbrannt werden; auch müssen
die Kranken auf die Reinhaltung der Kleidung hingewiesen
werden. Eine oft noch wichtigere Ursache für den Gehalt der
Atmungsluft an luberkelbazillen ist die \ erstreuung aus¬
gerüsteter Tröpfchen. Da diese meist nicht weiter als 1 m in
horizontaler Richtung geschleudert werden, so ist der Phthisiker
anzuweisen, heftiges Husten mit offenem Munde möglichst über¬
haupt zu vermeiden, bei Hustenstössen sich auf Armlänge von
anderen Menschen fern zu halten, den Kopf abzuwenden und die
Hand oder das Taschentuch vor den Mund zu halten. In Arbeits-
läumen soll der Abstand zwischen je 2 Köpfen mindestens 1 m
betragen; es empfiehlt sich, bei Schreibpulten, an denen sich
2 Personen gegenüber sitzen, in der Mitte eine vertikale Glas¬
wand bis % m über Kopfhöhe und zwischen benachbarten Ar¬
beitern, soweit es der Betrieb erlaubt, eine trennende Zwischen¬
wand anzubringen.
Besondere „KrankheitsveiRütungs-Vorschriften“ für Ar¬
beitsstätten, analog den bereits gesetzlich eingeführten „Unfall¬
verhütungsvorschriften“ empfiehlt Freund, der Vorsitzende der
Landesversicherungsanstalt Berlin. Es sollen dadurch nach
Möglichkeit die ungünstigen Einwirkungen, welche durch
schlechte Beschaffenheit der Arbeitsräume, die Einatmung von
IIolz-, Metall- und Steinstaub u. a. erfahrungsgemäss leicht zur
Entwicklung der Tuberkulose führen, verhindert werden. Von
wesentlicher Bedeutung ist es auch, dass der krank gewesene Ar¬
beiter nach beendigtem Heilverfahren nicht wieder in die alten
Arbeitsräume mit ihren vielfachen Schädlichkeiten zurückkehrt.
Ein Mangel unserer Gesetzgebung besteht nach Freunds An¬
sicht darin, dass die Kranken- und die Invaliditätsversicherung
getrennte Organisationen bilden. Die Invaliditätsversicherungs¬
anstalt hat das grösste Interesse daran, dass die Diagnose sehr
früh gestellt und das Heilverfahren früh eingeleitet wird;
sie wird daher ihre Aufgaben bei der Bekämpfung der Tuber¬
kulose sehr viel wirksamer erfüllen können, wenn ihr auch die
Durchführung der Krankenversicherung gesetzlich übertragen
wird.
Aus der Notwendigkeit der Frühdiagnose und der Häufig¬
keit derUebertragung der Tuberkulose in Bureaux, Werkstätten
etc. ergibt sich nach der Ansicht Savoires-Paris auch die Pflicht,
in solchen Räumen eine obligatorische ärztliche Ueberwachung
einzurichten. Die Aufgabe des überwachenden Arztes hätte darin
zu bestehen, die Arbeiter über die Verbreitung der Tuberkulose
und über die Nützlichkeit der getroffenen Einrichtungen zu
unterrichten, die nötigen hygienischen Anordnungen zu treffen
und ihre Ausführung zu überwachen. Der Arzt hätte ferner den
Gesundheitszustand aller Mitglieder der betreffenden Gemein¬
schaft zu überwachen, die Verdächtigen oder Prädisponierten
so oft zu untersuchen, bis sie sich als gesund oder krank er¬
weisen. Die heilbaren Tuberkulösen müssen den Sanatorien,
die unheilbaren besonderen Pflegestätten überwiesen werden.
Letztere könnten auch unter der Bedingung strenger Innehaltung
der hygienischen Vorschriften und bei Strafe sofortiger Ent¬
lassung im Falle des Zuwiderhandelns in der Werkstätte ver¬
bleiben.
Zum Schluss der zweiten Sitzung besprach v. Dubräv-
\\ ien die technischen Hilfsmittel zur Aufnahme tuberkulösen
Sputums zum individuellen und allgemeinen Gebrauche. Das
Prinzip, dass das Sputum nicht auf den Boden geschleudert
werden dürfe, sondern in besonderen Behältnissen aufgefangen
werden müsse, sei zwar allgemein anerkannt, die Wahl dieser
Behältnisse aber vielfach dem Belieben des einzelnen überlassen.
Es sind infolge dessen vielfach unzweckmässige Vorrichtungen
im Gebrauch, deren Reinigung und Instandhaltung mitunter
schwierig, umständlich und unzuverlässig ist, so dass gerade
dadurch von neuem die Gefahr der Verbreitung des Infektions¬
stoffes hervorgerufen wird. v. Dubräv hält es daher für not¬
wendig, dass von autoritativer Seite die an solche Utensilien zu
stellenden hygienischen Anforderungen festgestellt und dass ein¬
fache, leicht zu behandelnde Spuckutensilien autoritativ em¬
pfohlen werden.
Ib56
No. 44.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Am Freitag fand keine Sitzung statt. Ein grosser Teil der
Teilnehmer benutzte den Tag zur Besichtigung der Volksheil-
stiitte in Belzig und der neuen Heilstättenanlagen der Landes-
Versicherungsanstalt in Beelitz.
In der Vormittagsitzung am Sonnabend wurde über die ver¬
schiedenen Arten der Unterbringung der Kranken verhandelt;
die ersten Vorträge beschäftigten sich mit der Fürsorge für
tuberkulöse Kinder. Andvord - Christiania weist darauf
hin, dass der Zeitpunkt der Infektion bei der weitaus über¬
wiegenden Mehrzahl der Kranken in das Kindesalter fällt, und
dass ein bedeutend grösserer Zwischenraum, als man im allge¬
meinen anzunehmen gewohnt ist, zwischen der Infektion und dem
Ausbruch der Krankheit liegt. Aus dieser Tatsache ergibt sich
die Notwendigkeit, für einen Schutz der Kinder gegen die ba¬
zilläre Infektion Sorge zu tragen; in der Pubertätszeit muss
darauf Bedacht genommen werden, dass die häufig schon vor¬
handene Disposition nicht zur Entwicklung der Krankheit selbst
füren kann. Um das zu erreichen, ist es notwendig, dass die
Prinzipien der Sanatoriumsbehandlung, soweit sie prophylak¬
tische Bedeutung haben, auch der Lebensweise innerhalb und
ausserhalb des Hauses zu Grunde gelegt werden. Auch Egger-
Basel spricht sich dafür aus, dass das Hauptgewicht bei der Be¬
kämpfung der Kinder tuberkulöse auf die Prophylaxe zu legen sei,
da die Formen, in denen die Krankheit bei Kindern .auf tritt,
einer Behandlung überhaupt nicht zugänglich sind. Patienten
mit offener Tuberkulose der Lungen oder der Knochen müssen
unbedingt isoliert werden, während solche mit geschlossener
Tuberkulose auch in Rekonvaleszentenheimen mitverpflegt werden
können. Egger beschreibt die Einrichtungen, welche die Stadt
Basel seit einer Reihe von Jahren mit gutem Erfolge zur Be¬
kämpfung der Kindertuberkulose getroffen hat; sie bestehen im
wesentlichen in Krippen, Ferienkolonien, Rekonvaleszenten¬
heimen, Kinderspitälern und einer Kinderheilstätte.
Derecq- Paris erinnerte an die verringerte Widerstands¬
fähigkeit, welche ein Organismus in der Rekonvaleszenz von
anderen Krankheiten dem Tuberkelbazillus gegenüber zeigt, und
folgert daraus die Notwendigkeit, bei Rekonvaleszenten mit
grösserer Sorgfalt, als es gewöhnlich zu geschehen pflegt, auf die
strenge Durchführung aller prophylaktischen Vorschriften zu
dringen.
Eine verhältnismässig grosse Bedeutung hat in Frankreich
die bei uns nur in geringem Umfang bestehende Einrichtung von
Sanatorien an der Seeküste; die dort erzielten Resultate sind,
wie Armaingaud - Bordeaux berichtete, sehr befriedigend
und machen sich nach zwei Richtungen hin geltend. Einmal
werden die infolge von Anämie, Rhaehitis oder anderen Ursachen
schwächlichen Kinder gekräftigt, so dass sie der Invasion des
tuberkulösen Virus gegenüber einen weniger günstigen Nähr¬
boden darbieten. Ausserdem aber sind eine ganze Reihe von
Kindern, die an Knochen- und Gelenktuberkulosen litten, tat¬
sächlich geheilt worden, wenn die Behandlung frühzeitig be¬
gonnen und auf genügend lange Zeit ausgedehnt werden konnte.
Armaingaud empfiehlt daher, den Regierungen die Begrün¬
dung und Förderung solcher Seehospize, als einer wertvollen
Waffe im Kampfe gegen die Tuberkulose, vorzuschlagen. Auch
Ewald- Berlin bestätigt die günstigen Erfolge, welche bei uns
in den Kinderheilstätten an der deutschen Seeküste erzielt
wurden, besonders seitdem es ihnen ermöglicht wurde, die Kuren
auf längere Zeit auszudehnen.
Als ein wertvoller Faktor in der Bekämpfung der Tuber¬
kulose haben sich die von Becher und Lennhof f ins Leben
gerufenen Erholungsstätten erwiesen, über deren Betrieb
Becher- Berlin berichtete. Den Anstoss zu ihrer Begründung
gaben die Untersuchungen über die Wohn ungs Verhältnisse der
Tuberkulösen, speziell der tuberkulösen Kassenkranken. Die
Kranken waren arbeitsunfähig geschrieben, bezogen ihr Kranken¬
geld, waren zum Teil für die Lungenheilstätten angemeldet; aber
während der vorläufig noch unvermeidbaren Wartezeit ver¬
brachten sie den ganzen Tag in der Stadt resp. in ihren schlecht
ventilierten Wohnräumen und inzwischen verschlimmerte sich
ihr Zustand. Diesem Uebelstand wurde durch Gründung der
Erholungsstätten abgeholfen; aber es werden in ihnen alle Arten
von Kranken aufgenommen, von den leichtesten bis zu den
schwersten Formen. In Folge dessen dienen die Erholungs¬
stätten zugleich als Nachkur für Kranke, die aus den Heilstätten
entlassen sind, und ferner als ein Ersatz für die Asyle für sieche
Tuberkulöse. Ein besonderer Vorzug der Erholungsstätten be¬
steht darin, dass die Aufnahme eine sehr leichte ist — meist ver¬
gehen zwischen Anmeldung und Aufnahme nur wenige Tage
und dass die Herstellungs- und Unterhaltungskosten verhältnis¬
mässig geringe sind; die Herstellungskosten betragen, wenn der
Grund und Boden unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird,
4 — 5000 Mark. Eine Ergänzung hat die Einrichtung durch Be¬
gründung einer Kinder-Erholungsstätte gefunden. Bei Kindern
zeigt bekanntlich die Tuberkulose häufig nur selxr wenig aus¬
gesprochene Erscheinungen, viele der anämischen, rliachitischen,
schwächlichen Kinder haben kaum mehr als eine geringe
Dämpfung über der Klavikula, aber bei fast allen besteht eine
hereditäre Belastung. Solche Kinder sollen möglichst lange, etwa
10 — 13 Wochen in der Erholungsstätte bleiben, sie stehen dort
unter dauernder ärztlicher Beobachtung, im Gegensatz zu den
Erwachsenen, welche in Behandlung ihrer eigenen Aerzte bleiben.
Um die Fürsorge für die Kinder wirksam zu gestalten, hält
Becher es für noth wendig, eine Auslese der tuberkulösen
Kinder in der Schule zu treffen, und empfiehlt, dass zu diesem
Zweck sämtliche Schulkinder einmal jährlich auf Tuberkulose
untersucht werden. Der einzige Mangel der Erholungsstätten
könnte darin gesehen werden, dass sie nur im Sommer geöffnet
sind; aber man hat bei einem Teil der Tuberkulösen die Be¬
obachtung gemacht, dass die Sommerkur sie in den Stand setzte,
im Winter zu arbeiten ; und vielleicht wird es später möglich sein,
den Betrieb auch auf den Winter auszudehnen.
Es folgten jetzt Mitteilungen Espenä y Capos - Madrid
über gewisse Bedingungen, welche bei der Gründung und Ein¬
richtung für Sanatorien für arme Kranke in der Umgebung
grosser Städte auf gestellt werden müssen und ein Vortrag
v. Leub es- Würzburg über Tuberkulosespitäler und -Stationen,
in dem er für eine bessere Fürsorge für die in späteren Stadien
der Erkrankung befindlichen Tuberkulösen eintritt. Er empfiehlt
die Errichtung von eigenen Tuberkulosespitälern von Seiten der
Gemeinden in waldiger Gegend in der Nähe der Städte, oder
wo dies nicht möglich ist, die Errichtung besonderer Tuberkulose¬
stationen in den allgemeinen Krankenhäusern.
Auf der Tagesordnung standen noch mehi'ere andere Vor¬
träge, die jedoch der vorgerückten Zeit wegen nicht mehr zur
Verhandlung kommen konnten, denn das grösste Interesse kon¬
zentrierte sich auf die Nachmittagssitzung, in welcher die Be¬
ziehungen zwischen Menschen- und Tiertuberkulose erörtert
wurden. In einem einleitenden Vortrage gab Köhler- Berlin
ein übersichtliches Referat über den augenblicklichen Stand
dieser Frage. Die Auffassungen über die Identität der Menschen-
und Rindertuberkulose sind bekanntlich durch die Mitteilungen
Kochs auf dem Londoner T uberkulosekongress erschüttert
worden. Köhler beschreibt ausführlich die von Koch dort
mitgeteilten negativen Resultate der Uebertragungsv ersuche.
Die Versuche sind seitdem an verschiedenen anderen Stellen
wiederholt worden, u. a. auf Kochs eigene Veranlassung am
Kaiserlichen Gesundheitsamte ; diese sind noch nicht abge¬
schlossen. Die anderweitigen Versuche ergaben entweder ein
negatives Resultat oder doch jedenfalls eine Abschwächung der
Virulenz beim Uebergang auf den Tierkörper. Wichtiger aber als
die Frage der Uebertragbarkeit der menschlichen Tuberkulose
auf das Rind ist die Möglichkeit der Liebertragung der Rinder¬
tuberkulose auf den Menschen. Die Frage ist naturgemäss ex¬
perimentell schwer zu entscheiden. Für und gegen die Identität
sind manche .Gründe statistischer, bakteriologischer und kli¬
nischer Art angeführt worden, doch können sie auf absolute
Stichhaltigkeit keinen Anspruch machen, auch stehen sie zum
Teil im Widerspruch mit einander. Lassar, Joseph u. a.
haben untersucht, ob Leute, die viel mit Rindern zu tun haben,
wie Schlächter, Tierärzte u. a. besonders häufig an Hauttuber¬
kulose leiden; zum Teil bestätigen diese Untersuchungen die An¬
nahme der Identität, doch lassen auch sie ein abschliessendes
Urteil nicht zu. Man versprach sich einen Aufschluss in dieser
Frage von der Untersuchung über das Vorkommen primärer
Darmtuberkulose beim Menschen. Es war besonders vor der
Entdeckung des Tuberkelbazillus sehr oft Gelegenheit, die Milch
tuberkulöser Kühe zu gemessen; es müsste also, zumal bei Kin¬
dern, besonders häufig eine primäre Tuberkulose der Verdauungs¬
organe sich zeigen. Die Beobachtung ist allerdings auch hier eine
schwierige. Man muss auch mit der Möglichkeit rechnen, dass
nicht Milch, sondern Staub, Schmutz u. dergl., welche mit den
4. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1857
Fingern in die Mundhöhle gebracht werden, die Infektion ver¬
mitteln. Im allgemeinen aber hat man gefunden, dass die Fälle
primärer Darmtuberkulose verhältnismässig viel weniger zahl¬
reich sind, als man unter der Voraussetzung der Identität beider
Bazillenarten annehmen müsste. Die ziemlich häufige Tabes
mesaraica der älteren Autoren erwies sich nicht als identisch
mit Tuberkulose, sondern diese Fälle beruhten meist auf Angaben
der Standesbeamten. Allerdings sind die Wege, welche der dem
Organismus mit der Nahrung zugeführte Tuberkelbazillus im
Eörper nimmt, noch nicht völlig bekannt, z. B. kann die Infektion
durch die Mandeln geschehen. Immerhin spricht die relative
Seltenheit primärer Darmtuberkulose gegen die Identität. Sehr
interessant sind Versuche, welche an unheilbaren Krebskranken
angestellt wurden. Diesen Kranken wurden mit ihrer Zustim¬
mung Tuberkelbazillen eingeimpft. Man ging dabei von der
Annahme aus, dass die Gifte des Krebses und der Tuberkulose
einander ausschliessen, und wollte an die Stelle des Karzinoms
als das kleinere Hebel die Tuberkulose setzen. Die meisten lebten
noch über 1 Jahr. Die Obduktion ergab bei keinem Tuberkulose;
man kann daraus, schliessen, dass Kranke mit vorgeschrittener
Karzmomatose keinen geeigneten Nährboden für die Entwicke¬
lung der Tuberkulose abgeben. Aus den bis jetzt vorliegenden
Forschungen und Erfahrungen kann man nur den Schluss
ziehen, dass zurzeit weder die Gleichheit noch die Ungleichheit
der Menschen- und Rindertuberkulose nachgewiesen ist ; die
Uebertragbarkeit ist weder bewiesen noch widerlegt, es sind viel¬
mehr. noch weitere Forschungen zur Klärung der Frage not-
Avendig. Darum ist es auch noch nicht an der Zeit, Schluss¬
folge] ungen für die Praxis zu ziehen und die bestehenden Be¬
stimmungen zu ändern. Insbesondere wird man die Abkochung
der Milch noch immer für notwendig halten müssen, schon des¬
halb, weil sie auch für andere pathogene Organismen einen
günstigen Nährboden gewährt. Jede Infektionskrankheit hat,
wie Koch sagt, ihre besondere Eigentümlichkeit, welche zugleich
einen Fingerzeig für ihre Bekämpfung bietet; das ist für die
Cholera das Wasser, für die Pest die Ratten, für die Pocken
dei Impfzwang, für die Tollwut der Maulkorbzwang, für die
Tuberkulose ist es die Erkennung derjenigen Bedingungen,
unter denen das Zusammenleben der Menschen ohne gegenseitige
Gefährdung möglich ist.
Einen sehr viel schärfer ausgesprochenen Standpunkt nimmt
A r 1 o i n g - Lyon ein. Seiner Ansicht nach besteht die Auf¬
fassung von der Identität der menschlichen und der Rinder¬
tuberkulose trotz der gegenteiligen Ansichten von Koch und
Sc h ü t z auch heute noch zu Recht. Es bestehen zwar gewisse
Unterschiede zwischen der Virulenz und der Wirkung des Tu¬
berkelbazillus beim Menschen und beim Rind ; in manchen
Fällen wird die \ irulenz des Bazillus bei der Uebertragung auf
Ilerbivoren erheblich abgeschwächt, in anderen jedoch bleibt sie
in vollem Masse bestehen. Aber auch bei abgeschwächter Viru¬
lenz treten, zum mindesten bei intravenöser Inokulation, in den
Lungen Veränderungen auf, die häufig nur mikroskopisch er¬
kennbar sind und sehr bald eine fibröse Umwandlung erfahren.
Die negativen Resultate Koch s erklärt A r 1 o i n g aus der
Veränderung der Virulenz der Bazillen. Er konnte Rinder mit
menschlicher Tuberkulose infizieren und die Weiterverimpfung
gelang noch bei der vierten Passage. G egen die Schlussfolgerung
Koch s, dass, wenn eine Darmtuberkulose beim Menschen
durch Perlsuchtbazillen hervorgerufen werden kann, die Bazillen
dieser Darmtuberkulose, dem Rinde eingeimpft, eine allgemeine
T uberkulose des Rindes bewirken müssten, was in Wirklichkeit
nicht geschieht, führt Arloing an, dass allgemeine Tuber¬
kulose beim Rinde durch subkutane Impfung überhaupt schwer
zu erzeugen sei. Entsprechende Versuche fielen negativ aus, ob¬
gleich sich das Virus später bei intravenöser Einspritzung als
sehr virulent gegen Kälber erwies. Der Genuss roher Milch
bringt jedoch, wie Nocard - Alfort ausführte, mancherlei Ge¬
fahren mit sich. Die Gefahr ist besonders gross für Kinder
und für Kranke, denen ein Milchregime verordnet ist. Darum
wird es nötig sein, Tiere mit Eutertuberkulose aus den Kuhställen
fernzuhalten und zu diesem Zweck die Kuhställe einer regel¬
mässigen Aufsicht zu unterstellen. Da dies vorläufig noch nicht
durchzuführen ist, ist zurzeit das wichtigste Mittel, um einen
Schaden durch die Milch zu verhüten, die Milch nur im ab¬
gekochten Zustand gemessen zu lassen.
An die Vorträge schloss sich eine sehr lebhafte Diskussion
an. H ueppe - Prag wies darauf hin, dass nicht nur die Bazillen
von Mensch und Tier verschieden sind, sondern dass sie auch
beim Menschen selbst sich sehr verschieden verhalten können; er
hatte mit Bazillen experimentiert, welche sich in dem einen Fall
als hoch virulent, in einem andern als ganz wirkungslos zeigten.
Man darf eben nicht die Reaktion des Organismus auf die ver-
suchte Difektion unterschätzen. Diese spielt eine sehr bedeutungs-
Aolle Rolle und so erklärt sich die verschiedenartige Wirkung der¬
selben Mikroorganismen auf verschiedene Individuen, nicht nur
aut verschiedene Spezies; es sind eben verschiedene Nährböden,
auf die die Bakterien verimpft werden und « auf denen sie sich
daher in verschiedener Weise entwickeln. Angesichts dieser Tat¬
sachen genügt ein einziger Fall — und es sind bereits mehrere
bekannt — , um die Uebertragbarkeit der menschlichen Tuberkulose
auf das Rind und umgekehrt zu beweisen. Für die Praxis ist es
jedenfalls unbedingt notwendig, alle Vorsichtsmassregeln im bis¬
herigen Umfang aufrecht zu erhalten, v. Baumgarten hält
die Versuche Kochs ebenfalls für nicht einwandfrei, schon des
halb, weil der subkutane Weg fast nie zum Ziel führt. M. W o 1 f f
führt gegen die Annahme der Verschiedenheit der Krankheitsarten
an, dass die Fälle primärer Darmtuberkulose in Wirklichkeit gar
nicht so sehr selten sind. W o 1 f f hat einen zweifellosen Fall
primärer Darmtuberkulose benutzt, um auf dem Wege über ein
Meerschweinchen ein durch Tuberkulinprobe als gesund erwie¬
senes Kalb mit dem so produzierten Virus zu infizieren. Das Kalb
bekam an der Injektionsstelle einen Tumor, in dessen Umgebung
auch die Lymphdrüsen anschwollen; es reagierte jetzt sehr stark
auf Tuberkulin. Die Obduktion des Kalbes ergab eine exquisite
Perlsucht der inneren Organe. Der Fall beweist jedenfalls, dass
ein Kalb perlsüchtig gemacht werden kann durch Material, welches
von Menschen stammt. B a n g - Kopenhagen konnte bei 3 Käl¬
bern durch Einimpfung tuberkulösen Materials typische Iristuber¬
kulose erzeugen; eine weitere subkutane Verimpfung von einem
dieser Kälber auf ein viertes ergab Knötchenbildung, aber keine
allgemeine Tuberkulose. M ö 11er- Belzig berichtete über den
negativen Ausfall seiner Uebertragungsversuche, dagegen vertrat
auch Orth- Berlin und mehrere andere die Ansicht, dass eine
Verschiedenheit zwischen Menschen- und Tiertuberkulose keines¬
wegs erwiesen sei, dass viele Momente zwar gegen eine solche
Verschiedenheit sprechen, dass aber die Frage heute noch nicht
völlig spruchreif sei. Mit gespannter Aufmerksamkeit folgte die
Versammlung den Ausführungen Koch s, des letzten Diskussions¬
redners. Er versuchte in längerer Rede die Richtigkeit seiner Auf¬
lassung zu beweisen, beschäftigte sich jedoch so gut wie gar nicht
mit der Uebertragung menschlicher Tuberkulose auf das Rind,
sondern übte hauptsächlich Kritik an den in der Uiterätur ver¬
öffentlichten Fällen von primärer Darmtuberkulose. Wenn sonst
Vergiftungen durch pathogene Mikroorganismen Vorkommen, wie
bei Typhus, Cholera, Milzbrand, so sind immer Massenvergiftungen
die Folge, das ist aber bei der Tuberkulose nur ganz verschwindend
selten beobachtet worden; und doch werden unendlich grosse
Mengen von Milch, Fleisch und — worauf gewöhnlich wenig Wert
gelegt wird — Butter, in denen Perisuchtbazillen enthalten sind,
genossen. Wenn man das bedenkt, so muss man annehmen, dass
fast jeder Mensch Perlsuchtbazillen genossen hat, und doch
kommen Massenerkrankungen so gut wie nie vor; die ausserordent-
lich wenigen Beobachtungen dieser Art halten einer strengen
Kritik nicht stand. Einzelerkrankungen kommen allerdings vor.
aber sie bieten doch immer gewisse Besonderheiten dar, welche
ihre Beweiskraft in Frage stellen, meist können sie durch In¬
fektion von der Umgebung der Erkrankten aus erklärt werden;
auch müsste in jedem Fall bewiesen werden, dass die Milch von
einem Tier mit Eutertuberkulose stammt und dass jede andere
Infektionsquelle ausgeschlossen ist. Im übrigen leugnet Koch
nicht die Möglichkeit der Uebertragbarkeit der menschlichen
Tuberkulose auf das Rind überhaupt, er hält sie nur für ausser¬
ordentlich selten. Nach seiner Ansicht ist noch kein einziger Fall
von tuberkulöser Erkrankung des Menschen durch den Genuss
perlsuchtbazillenhaltiger Stoffe einwandfrei erwiesen, obwohl fast
jeder Mensch schon mehr oder weniger solcher Stoffe genossen hat.
Wenn man versucht, das Fazit aus diesen so ungemein wich¬
tigen und aktuellen Verhandlungen zu ziehen, so muss man sich
eingestehen, dass die Frage eine wesentliche Förderung nicht
erfahren hat; man ist kaum um einen Schritt weiter gekommen,
es stehen sich die Gründe für und wider noch ohne Ausgleich
gegenüber und von einem abschliessenden Urteil sind wir vor¬
läufig noch weit entfernt. Nach der einstündigen Rede Kochs
war die Zeit bereits so weit vorgerückt und auch die Arbeits¬
fähigkeit der Versammlung so weit erschöpft, dass die Ver¬
handlungen für diesen Tag geschlossen und zur Erledigung der
noch auf der Tagesordnung stehenden Themata eine ausserordent¬
liche Sitzung für Sonntag Vormittag anberaumt werden musste.
In dieser Sitzung sprach zunächst Gebhard - Lübeck
über Invalidenlieime für Tuberkulöse. Da niemals sämtliche
Tuberkulöse in Heilanstalten untergebracht werden können, so
bedarf es, wie Gebhard- Lübeck ausführte, der Gründung
von Invalidenheimen für solche Kranke, die für die Sanatorien¬
behandlung nicht mehr geeignet sind. Die Versicherungs¬
anstalten sind in erster Reihe zwar nicht Organe der öffent¬
lichen Gesundheitspflege, aber sie sind dennoch in der Lage,
1868
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
solche Invalidenheime zu gründen, und können das Recht dazu
aus den gesetzlichen Bestimmungen herleiten, insofern alle Ein¬
richtungen der vorbeugenden Gesundheitspflege wiederum den
Versicherungsanstalten zu gute kommen. Mit diesen Isolier¬
anstalten muss ein Grundbesitz in solchem Umfang verbunden
sein, dass die Kranken, soweit ihr Zustand es erlaubt, sich im
Freien ergehen können, ohne dass sie das Gefühl haben, sich in
einer Art Gefängnis zu befinden. Eine Schwierigkeit bereitet
die Kostenfrage, denn die Anlagekosten, berechnet auf den ein¬
zelnen Pflegfall, sind ungleich grösser als bei den Heilanstalten,
weil in den letzteren die Kurdauer auf durchschnittlich 3 Mo¬
nate, bei ersteren dagegen auf 3 — 4 Jahre zu veranschlagen ist.
Da mit solchen Anstalten aber auch Aufgaben wissenschaft¬
licher und anderer Natur verbunden werden, welclie über den
unmittelbaren Zweck der Landesversicherungsanstalten hinaus¬
gehen, so wäre es gerechtfertigt, einen Teil der Kosten auf an¬
dere Organe, eventuell auf den Staat, abzuwälzen, und je nach
den gegebenen Umständen wird ein Zusammenwirken dieser Or¬
gane mit den Versicherungsanstalten gute Früchte bringen
können. Die Insassen der Invalidenheime sind immer Renten¬
empfänger, also im Sinne des Gesetzes erwerbsunfähig; man wird
ihnen Arbeiten in irgendwie nennenswertem Umfang nicht auf-
bürden dürfen. Auch die Frage der Familienversorgung bedingt
gewisse Schwierigkeiten, da es sich um jahrelange Unterstütz¬
ungen handelt. Indessen sind die von Gebhard erwähnten
Schwierigkeiten nicht allzu hoch anzuschlagen; das zeigen, wie
F r e u n d - Berlin berichtete, die Erfahrungen der Landesver-
sicherungsanstalt Berlin, welche ein Invalidenheim besitzt. Die
Herstellungskosten sind allerdings grosse, aber doch im Rahmen
der Aufgaben der Versicherungsanstalten gerechtfertigt. Die
anfangs gehegten Befürchtungen, dass die Pfleglinge sich
wie in einer Totenkammer Vorkommen würden, haben sich nicht
bestätigt. Bei dem bekannten Optimismus der Schwindsüch¬
tigen haben selbst die Todesfälle, die dort vorgekommen sind,
keinen anhaltenden deprimierenden Einfluss ausgeübt. Zur Auf¬
nahme eignen sich aber nur ganz schwere Fälle, denn die anderen
fühlen sich bald so weit gebessert, dass sie wieder heraus wollen.
Dadurch werden aber die Kosten geringer, denn die meisten In¬
sassen haben nicht 3 — 4 Jahre, sondern nur % — 1 Jahr noch
zu leben und es regelt sich so auch die Frage der Familienver¬
sorgung, da ölen Angehörigen nicht der Ernährer geraubt, son¬
dern eine Last abgenommen wird. Ein Verkehr der Pfleglinge
mit ihrer Familie ist aus humanitären Gründen nicht ganz zu
verbieten, doch ist die Infektionsgefahr bei den seltenen kurzen
Besuchen nicht eben gross.
Beherzigenswerte Vorschläge zum Zweck der internationalen
Verständigung machte Turban- Davos. Die Nomenklatur
und die Klassifikation der verschiedenen Formen und Stadien
der Tuberkulose bedürfen einer einheitlichen Regelung als
Grundlage aller statistischen und diagnostischen Untersuchungen.
Die von den Franzosen zuerst eingeführte Unterscheidung zwi¬
schen offener und geschlossener Tuberkulose ist auch von den
anderen Autoren angenommen worden. Als eine möglichst ein¬
fache Klassifikation hat Turban die Einteilung der Krankheit
in 3 Stadien vorgeschlagen; das erste umfasst die leichte Er¬
krankung höchstens eines Lungenlappens, das zweite die leichte
Erkrankung höchstens zweier oder schwere Erkrankung höch¬
stens eines Lappens und das dritte alle über I und II hinaus¬
gehenden Formen. Turban wünscht, dass diese Stadienein¬
teilung als Grundlage internationaler Verständigung allgemein
eingeführt werde. So wünschenswert das ist, so ist doch nicht
zu verkennen, was auch in der Diskussion hervorgehoben wurde,
dass dieser Forderung in der Praxis sich mancherlei Schwierig¬
keiten in den Weg stellen, da die Krankheit meist nicht einen
so schematischen Verlauf nimmt.
Der letzte der wissenschaftlichen Vorträge wendet sich
gegen die TJebertreibungen in den prophylaktischen Vorschrif¬
ten. Sangmann-Dänemark stellt den Satz auf: Der Kampf
gegen die Tuberkulose darf nicht zu einem Kampf gegen die
Tuljerkulösen werden. Er wendet sich gegen die aus der
Flügge sehen Lehre von der Tröpfcheninfektion gezogenen
allzu weit gehenden Schlussfolgerungen, wie die Aufstellungen
von Scheidewänden in Bureaux und Arbeitssälen u. dgl., die bei¬
nahe an die Warnungssignale, zu denen früher die Leprösen ver¬
urteilt waren, erinnern. Die Folge solcher Uebertreibungen ist
die Förderung der Phthiseophobie. Zudem ist die Infektiosität
ausgehusteter Tröpfchen bis jetzt nur durch Tierversuche bei
Meerschweinchen erwiesen, für den Menschen aber nicht. Direkte
Versuche am Menschen können natürlich nicht angestellt wer¬
den, aber die Natur hat sie in vielen Tausenden von Fällen bei
den Spezialärzten für Hals- und Lungenleiden angestellt, welche
dem täglich wiederholten Angehustetwerden sich gar nicht ent¬
ziehen können, und doch ist eine besonders starke Morbidität
oder Mortalität unter diesen Kollegen nicht bekannt. Sang-
m a n n stellt eine Sammelforschung bei den Hals- und Lungen¬
spezialisten in Aussicht, durch welche er seine Auffassung sta¬
tistisch zu begründen gedenkt.
Nachdem der wissenschaftliche Teil der Verhandlungen be¬
endet war, folgte eine Schlussitzung, in welcher der Vorsitzende
Brouardel einen kurzen Ueberblick über die Arbeiten der
Konferenz gab, die Ernennung von Ehrenmitgliedern verkündete
und einige geschäftliche Mitteilungen machte. Nach einer An¬
sprache des Kultusministers S t u d t wurde dann die erste Kon¬
ferenz des internationalen Bureaus zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose geschlossen.
Es erübrigt nun noch ein Rundgang durch das in den
Räumen des Abgeordnetenhauses, in dem die Verhandlungen
stattfanden, ausgestellte Tuberkulosemuseum. Dieses bot un-
gemein viel Interessantes und Sehenswertes. Von historischem
Interesse ist eine Reinkultur von Tuberkelbazillen, die erste,
welche Koch im J ahre 1881 hergestellt hat ; daneben sehen wir
eine Zusammenstellung von Bildwerken, welche den Habitus
phthisicus in der Kunst zeigen. Sehr umfangreiche karto¬
graphische Darstellungen und verschiedene Druckschriften
zeigen die Ausbreitung der Tuberkulose. Aus der Abteilung
„Diagnose“ ist die sehr reichhaltige Moulagensammlung (von
Besser, Lassar und Berliner ausgestellt), sowie Möllers
Kulturen von Tuberkulose- und Pseudotuberkulosebazillen er¬
wähnenswert, ferner eine grosse Anzahl höchst instruktiver
pathologisch-anatomischer Präparate und Röntgenbilder. Zahl¬
reich sind die ausgestellten Spucknäpfe und Spuckflaschen, man
sieht da alte und neue, brauchbare und auch weniger brauchbare
Modelle; am praktischsten sind jedenfalls die ganz wohlfeilen,
die bald nach der Benutzung verbrannt werden; sehr sehenswert
sind auch die Einrichtungen, welche sich auf die Schulhygiene
beziehen, die verschiedenen Muster von Schulbänken und Tafeln,
welche die durch schlechte Haltung der Schulkinder entstehenden
Rückgratverkrümmungen illustrieren. In einem anderen Saal
werden Liegestühle, ein Respirationsstuhl, ein Zimmerruder¬
apparat und verschiedene andere Einrichtungen, die sich auf die
Krankenpflege beziehen, gezeigt. Pläne und Modelle von Heil¬
stätten und den in ihnen befindlichen Einrichtungen vervoll¬
ständigen die Ausstellung, die in ihrer Gesamtheit wohl einen
lückenlosen Ueberblick über alle die Mittel gibt, welche uns bei
der Bekämpfung der Tuberkulose zu Gebote stehen. M. K.
IV. internationaler Gynäkologenkongress
in R o m, 15.- — 20. September 1902.
Bericht, erstattet von J. A. A m a n n, Vorstand der k. II. gynäko¬
logischen Klinik in München.
(Fortsetzung statt Schluss.)
Sitzung vom 17. September 1902, Vorm. Sy2 U h r.
III. Thema: Die Tuberkulose der weiblichen Genitalien.
Referent Martin-Greisfwald. Seit Hegars bahnbrechender Arbeit
(1886) ist auf diesem Gebiet viel gearbeitet worden. M. bespricht
die grosse Häufigkeit der weiblichen Geuitaltuberkulose (2 — 7 Proz.
aller weiblichen Genitalerkrankungen). M. erwähnt die aszen-
dierende und deszendierende Form (letztere sei häufiger), die Infek¬
tion auf metastatischem Wege, vom Nabel aus, vom Darm aus (diese
sei am häufigsten) und die plazentare Infektion, ferner die Ueber-
tragung per coitum. Disposition sei gegeben in der Aplasie und
Hypoplasie, in den Schwangerschafts Veränderungen, Gonorrhöe,
Lues und Arteriosklerose. Der ganze Genitaltraktus oder einzelne
Abschnitte können erkrankt sein. Die Symptome sind nicht cha¬
rakteristisch, meist besteht Sterilität. Die Prognose ist sonst aber
nicht unbedingt ungünstig. Martin bespricht die Tuberkulose
der Vulva, der Scheide, des Uterus, der Tube und der Ovarien.
Martin kommt zu folgenden Schlussfolgerungen:
1. Die weiblichen Genitalien sind viel häufiger, als wie bisher
angenommen wurde, an der Infektion durch Tuberkelbazillen be¬
teiligt.
2. Die Infektion durch Tuberkelbazillen kann sich in allen
Abschnitten des weiblichen Genitalapparates lokalisieren und zur
Entwicklung kommen.
1859
4. November 1902. MUENCHENEÜ MEDICINIÖCHE WOCHENSCHRIFT.
3. Primäre Erkrankung der Genitalien an Tuberkulose kommt
vor, ist aber wesentlich seltener als die sekundäre.
4. Die Uebertragung der Bazillen erfolgt zuweilen von der
t ulva aus (aszendierende Infektion), häufiger von den oberen Ab¬
schnitten her (deszendierende Infektion). Wahrscheinlich erfolgt
dieselbe am häufigsten von dem Darm her, sei es direkt, sei es
durch die Vermittelung der Drüsen oder des Peritoneums. Die
Infektion der weiblichen Genitalien entwickelt sich auch auf häma¬
togenem oder nietastatischem Wege.
5. Bei allen Formen der Uebertragung kann die Lokalisation
in den Genitalien sich kontinuierlich oder sprungwese ausbreiten
Meist sind mehrere Abschnitte gleichzeitig erkrankt, zwischen
ihnen liegen gelegentlich auch gesunde Abschnitte.
6. Oft kommt die Tuberkulose an der Ursprungsstelle zur Hei¬
lung, während sie sich in den Genitalien zu intensiver Höhe ent¬
wickelt.
7. Chronische Entzündungsprozesse, puerperale, gonorrhoische,
luetische schaffen in den Genitalien eine Art Disposition, ebenso
wie die Dystrophie und Hypoplasie.
8. Pathognomonische Symptome kennen wir zurzeit noch nicht.
t). Entzündliche Erkrankung der Genitalien bei evidenter
Tuberkulöse in anderen Organen muss den Verdacht einer Tuber¬
kulose auch in den Genitalorganen erwecken.
10. Die Diagnose ist nur auf Grund einer pathologisch-ana¬
tomischen Untersuchung als einwandfrei zu erachten. In den
meisten Fällen ist es möglich, durch den Nachweis von Tuberkel¬
bazillen die Diagnose einwandfrei zu stellen. Bei mangelndem
Bazillenbefund wird der mikroskopische Nachweis typischer Tu¬
berkel von vielen Autoren als genügend bezeichnet.
11. Die Prognose ist stets eine ernste, aber nur bei weit¬
gehender Zerstörung eine aussichtslose.
12. Bei weitgehender Erkrankung, besonders auch anderer
Organe, ist die Therapie auf die Allgemeinbehandlung und die
Bekämpfung einzelner Symptome zu beschränken. Ist der Pro¬
zess auf die Genitalien beschränkt oder tritt die Genitalerkrankung
zurzeit in lebenbedrohender Weise in den Vordergrund, so bietet
die Exstirpation des betreffenden Herdes eventuell der gesamten
Genitalorgane Aussicht auf Erfolg und ist daher geboten.
Referent Faure- Paris betrachtet das Thema nur vom rein
chirurgischen Standpunkt aus. Das makroskopische Bild der Er¬
krankung des Ivavum der Tuben ist bald das eines alten Abszesses
der Tube, bald das einer fungösen Salpingitis. Uterus und Ovarien
sind selten von Tuberkulose ergriffen. Die Diagnose wird selten
vor der Operation gestellt. Jeder als solcher erkannte tuber¬
kulöse Herd an den Genitalien muss zerstört werden, wenn die
K ranke im stände ist, die Operation zu überstehen.
Bei lokalem tuberkulösem Portiogeschwür soll dasselbe kau-
terisiert werden. Bei Kollumtuberkulose ist die supravaginale Am¬
putation zu machen oder besser der Uterus vaginal zu exstir-
pieren, da man nicht weiss, Avie weit der Prozess vorgeschritten
ist. Bei ausgesprochener Uterustuberkulose ist der Uterus mit
den Adnexen vaginal zu exstirpieren. Sind mit Bestimmtheit nur
die Adnexe der einen Seite als erkrankt zu bezeichnen, so kann
man konservativ verfahren, andernfalls ist der Uterus mitzu¬
nehmen. Faure empfiehlt hiefür den abdominalen Weg. In
seltenen Fällen, in denen die Tuberkulose mit sekundärer eitriger
Infektion verbunden ist, zieht F. den vaginalen Weg vor.
F aure empfiehlt besonders die subtotale Uterusexstirpation
per laparotomiam. In eingehender Weise beschreibt F. die ver¬
schiedenen Methoden der abdominalen Entfernung des Uterus und
der Adnexe von Doyen, Richelot, Kelly, Terrie r etc.
und seine eigene Technik.
Der Allgemeinbehandlung der Tuberkulose sei nicht viel zu
vertrauen. Auch bei recht schweren Erkrankungen gibt oft das
operative Vorgehen noch gute Erfolge.
Referent A m a n n hat das Thema mehr vom ätiologischen
und prophylaktischen Standpunkt aus bearbeitet und in einem An¬
hang auch die sog. Urogenitaltuberkulose besprochen. Er kommt
in seinem Referate zu folgenden Schlussfolgerungen:
1. Die kongenitale tuberkulöse Infektion des Menschen kommt
bestimmt vor, sicher erfolgt dieselbe auf dem Blutwege, die Lo¬
kalisation der Tuberkulose kann hierbei in den verschiedensten
Organen, auch im Genitaltraktus, stattfinden. Manche Genital¬
tuberkulose kleiner Kinder ist darauf zurückzuführen, aber auch
hier werden gewöhnlich die Keime zuerst in den Drüsen auf¬
gespeichert und gelangen A’on dort erst in die Blutbahn. Wahr¬
scheinlich gehen die kongenital tuberkulös infizierten Kinder bald
zu Grunde, doch ist lange dauernde Latenz nicht ganz auszu-
schliessen. In seltenen Fällen kommen tuberkulöse Primäraffekte
an den äusseren Genitalien kleiner Kinder durch lokale In¬
fektion vor.
2. Bei älteren Kindern und Erwachsenen erfolgt die tuber¬
kulöse Infektion des Körpers fast ausnahmslos vom Respirations-
traktus aus (aerogen) und zwar zunächst in die Traclieo-
bronchialdriisen mit oder ohne Schädigung der Eingangs¬
pforte — weit seltener, wenn überhaupt primär, vom Darm (Füt¬
terungstuberkulose) aus: Mesenterialdrüsen. Unter Verkäsung der
Drüsen vermehren sich die Tuberkelbazillen in den Lymphdrüsen
sehr stark, durch Arrosion der naheliegenden Blutgefässwände
gelangen sie in die Blutbahn, werden auf dieser in die verschie¬
densten Körperorgane verschleppt und setzen dort sekundäre
tuberkulöse Herde.
3. Es ist sicher, dass sich der primäre Drüsenherd ziemlich
oder sehr weit zurückbilden, ja verkalken kann, während sich der in
einem speziell disponierten Organe (z. B. Knochen, Niere, Geni¬
talien etc.) befindliche sekundäre Tuberkuloseherd Aveit aus¬
breiten kann und auch wieder seinerseits in das Gefässystem eiu-
brechen und sogar eine Miliartuberkulose veranlassen kann.
4. Von den Wegen der Entstehung der Aveiblichen Genital¬
tuberkulose ist nur der hämatogene Weg von Bronchialdrüsen
aus sicher erwiesen (Fälle ohne Beteiligung des Peritoneums, des
Darmes etc., Avie mein Fall, Fall Gostensoux etc.). Weibliche
Genitaltuberkulose durch Vermittelung von Peritonealtuberkulose
oder per conti g'uitatem vom Darm aus scheint ziemlich selten zu
sein, ebenso die Vermittelung durch Lympliwege.
5. Bei weiblicher Genitaltuberkulose ist fast ausnahmslos
Lungen- resp. Bronchialdrüsentuberkulose gleichzeitig vorhanden.
Die Formveränderungen an Tube etc. sind bei einwandfrei er¬
wiesener hämatogener Infektion die gleichen typischen Avie bei
den Aveiblichen Genitaltuberkulosen überhaupt.
6. Die Disposition der weiblichen Genitalien für Tuberkulose
ist grösser als die der männlichen: bei tuberkulösen Männern
3 Proz., bei tuberkulösen Frauen bis 20 Proz. Genitaltuberkulose.
Die Hypoplasie der Genitalorgane steigert beim Mann und der
Frau die Disposition zur tuberkulösen Infektion (unter 80 weib¬
lichen Genitalhypoplasien 24 Genitaltuberkulosen, Merletti).
Desgleichen scheinen chronisch entzündliche, z. B. gonorrhoische,
Veränderungen, soAvie der puerperale Zustand die Disposition zu
steigern.
7. Zuerst ist fast ausnahmslos die Tube ergriffen, auch stets
am stärksten, von hier aus erfolgt die Infektion des Uterus, der
Zervix, der Vagina durch abfiiessendes Sekret oder sie sind auch
sämtlich oder nur streckenweise auf hämatogenem Wege infiziert.
8. Die Existenz einer primären, durch direkte Infektion von
aussen entstandenen Genitaltuberkulose beim Weibe ist in hohem
Grade fraglich.
9. Die als Beispiele für primäre Genitaltuberkulose angeführ¬
ten Fälle sind fast durchgehend nicht einwandfrei. Nicht klinische
oder Operationsbefunde können hier in Betracht kommen, sondern
nur Autopsiebefunde und von diesen nur solche, die mit der be¬
stimmten Absicht, nach den eventuell verborgenen Herden zu
suchen, erhoben sind (cf. N ä g e 1 i).
1U. Die Grösse der Ausbreitung der tuberkulösen Veränderung
im Genitaltraktus ist für die Frage primär oder sekundär belanglos.
11. Die Hinaufbeförderung der Tuberkelbazillen, die keine
Eigenbewegung haben, in die Tube liesse sich noch am besten
durch Beteiligung der Spermatozoen erklären. Im Sperma Tuber¬
kulöser auch ohne Genitaltuberkulose können sich Tuberkelbazillen
befinden. Allein der Tuberkelbazillus geht stets mit dem Sekret-
strom, also im Uterus nach abwärts, die Spermatozoen regt da¬
gegen der Sekretstrom, Avie bekannt, zum Gegensclrwimmen an.
Es müssten also die ohnedies, Avie festgestellt, sehr spärlichen
Tuberkelbazillen als direkt den Spermatozoen angeklebt angenom¬
men Averden. Bei dem reichlichen Uterussekret dürfte die Flirume-
rung der Schleimhaut kaum einen Einfluss haben. Durch die Ver¬
suche Pinners ist festgestellt worden, dass korpuskulare Ele¬
mente durch den Flüssigkeitsstrom durch die Tube und den
Uterus bis in die Scheide rasch transportiert werden.
12. Meiner Ansicht nach bietet bei den sogen. Kohabitations-
infektionen das lange Zusammenleben mit einem tuberkulösen
Manne viel mehr andere Infektionsmöglichkeiten, besonders für
den Respirationstraktus der Frau, als die Kohabitation.
13. Tuberkulöse Primäraffekte an den äusseren Genitalien
oder Vagina mit entsprechender Drüsenschwellung sind so gut
wie nicht beobachtet, diese müssten bei den von einigen Autoren
angenommenen Einimpfungen ins paravaginale GeAvebe vorhanden
sein.
14. Von besonderer Wichtigkeit erscheinen die Angaben
der pathologischen Anatomen: Bollinger, v. Reckling¬
hausen, R i b b e r t, Albrech t- Wien, Schmaus, Schmorl,
A s c h o f f , Albrecht - München haben keinen einwandfreien
Fall von primärer Genitaltuberkulose beim Erwachsenen gesehen.
15. Die Bezeichnung aszendierende und deszendierende Form
der Genitaltuberkulose ist unzweckmässig, da auch in den sogen,
primären, also angeblich aszendierenden, Fällen die Tuben zuerst
ergriffen sind.
16. Mit absoluter Sicherheit ist jede äussere Infektion aus¬
geschlossen in den Fällen von Genitaltuberkulose bei kongenitaler
Atresie der Vagina (Thompson, Kretz).
17. Die Prophylaxe der Genitaltuberkulose beruht, Avie bei der
Lungentuberkulose, auf Stärkung der Reaktionskraft des Organis¬
mus, Verminderung der Infektionsgefahr, Beeinflussung der prä¬
disponierenden schädigenden Momente (Gonorrhöe, Puerperium
etc.).
18. Der Ausdruck „weibliche ürogenitaltuberkulose“ ist un¬
zweckmässig; es handelt sich um zAvei selbständige, nebeneinander
bestehende Systemerkrankungen; Uebergänge von der einen zur
andern kommen wohl nicht vor. Die Tuberkulose der Hamwege
ist deszendierend, die Niere wird auf hämatogenem Wege von
eiern Drüsenhefd aus infiziert (Ausscheidungstuberkulose oder
tuberkulöse Embolie), von hier aus erfolgt die Infektion der Ure-
teren und der Blase; letztere können auch isoliert auf hämatogenem
Wege infiziert werden.
Referent Veit- Leyden erörtert zunächst die Häufigkeit der
weiblichen Genitaltuberkulose auch an der Hand des von
L860
MUEN CHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
v. Hanse mann ilim zur Verfügung gestellten Materials, nach
letzterem 4 — 5 Proz. der tuberkulösen Frauen, nach Stolper und
Posner 20— 30 Proz. der tuberkulösen Frauen. Veit betont bezüg¬
lich der primären Genital tuberkulöse, dass dieselbe sehr selten ist; die
hiefür angeführten klinischen Beweise seien sehr mit Vorsicht auf-
zuuehmen, nur sorgfältige anatomische Untersuchung kann zum
Beweis herangezogen werden. Veit stellt einige Fälle aus der
Literatur zusammen, die er als primäre anerkennt. Der aszen-
dierende und der deszendierende Weg käme in Betracht, letzterer
\ on der Peritonealhöhle aus, ferner müsse noch der hämatogene
Weg der Infektion und der Weg der Lymphbahnen als möglich
angenommen werden. Veit bespricht die Diagnose und die The¬
rapie, wobei er die Behandlung von Genitaltuberkulösen in Sana¬
torien befürwortet. Wenn überhaupt operiert werden soll, dann
sehr radikal; der abdominale Weg ist vorzuziehen.
Veit gelangt zu folgenden Schlussfolgerungen: a) bezüglich
der Genitaltuberkulose:
1. Die Genitaltuberkulose ist häufiger, als man früher an¬
nahm.
2. Primäre Genitaltuberkulose kommt sicher vor, die sekun¬
däre ist häufiger.
3. Die Genese der Genitaltuberkulose ist meist deszendierend,
seltener aszendierend, doch kann auch auf dem Wege der Blut¬
bahn oder nach zufälligen Verletzungen auf den Lymphbahnen die
Infektion erfolgen.
4. Die Diagnose der Genitaltuberkulose soll sich möglichst
auf den Nachweis des Tuberkelbazillus gründen, doch genügt even¬
tuell auch der sichere Nachweis der Tuberkel.
5. Spontane Heilung von Tuberkulose der Genitalien
kommt vor.
0. Bei primärer resp. isolierter Genitaltuberkulose ist die
Operation, wenigstens zur Zeit, noch die beste Heilungsmethode.
7. Bei nicht isolierter resp. sekundärer Tuberkulose der Geni¬
talien kommt in erster Linie die allgemeine Therapie, vor allem
Anstaltsbehandlung in Frage, doch kann mau nicht verkennen,
dass in einzelnen Fällen auch die Operation gute Dauererfolge er¬
reichte, sie kommt also ausnahmsweise in Frage.
8. Unter der palliativen lokalen Therapie steht die Anwendung
des Jodoform obenan.
bi Bezüglich der tuberkulösen Peritonitis:
1. Die tuberkulöse Peritonitis ist stets sekundär; man unter¬
scheidet die aszitische und die adhäsive Form.
2. Die Erkrankung der Genitalien kann primär sein, kann
sekundär sein und kann endlich nur in Tuberkulose des Peri¬
tonealüberzuges der Genitalien bestehen.
3. Peritonitiden mit ausgedehnter Knötchenbildung, die nicht
durch Ovarialtumoren oder durch Karzinom zu erklären sind, muss
man im allgemeinen als tuberkulös ansehen.
4. Die Peritonitis tuberculosa kann spontan ausheilen, wenn
auch nicht sehr häufig.
5. Die Peritonitis tuberculosa heilt durch Laparotomie, wenn
auch einzelne Misserfolge, meist bedingt durch weit vorge¬
schrittene Tuberkulose anderer Organe, beobachtet wurden.
6. Eine allgemein angenommene Erklärung dieser Heilungen
besteht noch nicht; der Einttuss des — normalen oder antitoxisch
gewordenen — Serum ist hier sehr wahrscheinlich.
7. Therapeutisch soll man bei frischen Fällen dann operieren,
wenn Beschwerden durch die Pex-itonitis bestehen; die Wieder¬
holung der Operation kann, wenn man sehr früh operiert, nötig
werden.
8. Chronische Fälle beobachte man; beginnt sich nicht bald
der Anfang der spontanen Heilung zu zeigen, so operiere man.
0. Die Operation besteht in der einfachen Laparotomie in der
Linea alba, der völligeix Entleerung der Flüssigkeit und dem
Schluss der Bauchhöhle; nur bei gleichzeitig gefundener, völlig-
isolierter Genitaltuberkulose schliesse man die abdominale Radi-
kaloperation an.
Diskussion: G ut i e r r e z - Madrid: Die primäre uterine
Genitaltuberkulose existiert; man findet sie öfter, wenn man die
Vaginalsekrete untersucht. G. hat 10 Fälle beobachtet. Die
sekundäre Form ist häufiger. Bei der tuberkulösen Peritonitis ist
eine aszitische und eine adhäsive Form zu unterscheiden; erstere
heilt oft spontan aus, letztere vei-anlasst chirurgische Eingriffe
wegen Darmokklusion.
Pichevin- Paris ist mehr für subtotale Exstirpation. Zur
Diagnose sei die charakteristische Tubenform zu verwerten.
S p i n e 1 1 i - Neapel berichtet über 31 Fälle von Genital¬
tuberkulose; in der Mehrzahl der Fälle nimmt er primäre Form au.
In 3 Fällen war der Mann lungenleidend, in einem Falle litt der
Mann an Genitaltuberkulose. Das Puerperium wirkt für die Aus¬
breitung der Tuberkulose begünstigend. Die tuberkulöse Peri¬
tonitis geht meist, von den Genitalien aus. Es gibt eine knotige
Form der Peritonitis tubei’culosa, die als maligner Tumor ange¬
sehen werden kann, auch am Utenis kommen Verwechselungen
mit Adenokarzinom vor. S p i n e 1 1 i ist für operative Eingriffe.
v. F r a n q u e - Würzburg: Im Wochenbett findet die Tuber¬
kulose wohl Gelegenheit zu deszendieren, ebenso wie die Gonori'höe
unter gleichen Umständen häufig aszendiert. v. Franquö er¬
wähnt einen charakteristischen Fall, in dem offenbar eine schon
vorher bestandene Peritonealtuberkulose am zav eiten Wochenbetts¬
tage, zur Zeit der ersten Temperatursteigerung, in das Cavum
uteri deszendiei*te. Die Diffei-entialdiagnose zwischen schleichend
verlaufenden, puerperalen Infektionsprozessen und deszendieren¬
der Genitaltuberkulose ist nicht immer möglich, v. Franque
pflichtet ausdrücklich A m a n n bei, der eine ausgedehntere An¬
wendung von Impfversuchen an Tieren behufs Diagnosestellung
empfiehlt, da es öfters trotz charakteristischen Verlaufes, Be¬
fundes, Anamnese nicht gelingt, Bazillen, Tuberkel, Riesenzellen
zu finden.
P o z z i - Paris erklärt sich im Gegensatz zu F a u l* e absolut
gegen den vaginalen Weg der Uterusexstirpation in diesen Fällen:
1. aa eil dieser Weg gefährlich sei Avegen der starken Vei’Avacli-
sungen, 2. Aveil er nur ganz un\Tollkommene Operationen zulässt.
Trotzdem er sonst konseiwativ sei, so sei er für die Operation
tuberkulöser Prozesse absolut radikal; immer müssen beide Ad¬
nexe entfernt werden und auch der Uterus total, um nicht Schleim¬
haut zurückzulassen, die tuberkulös sein könnte. Er venvirft
die Hemisektion und das Morcellement des Uterus. Ist die Lungen¬
tuberkulose gleichzeitig weit vorgeschritten, so soll mau nichts
mehr tun.
Fargas - Bai-celona glaubt, dass G0 Troz. von Peritoneal¬
tuberkulosen spontan mit Hinterlassung von destruierendeu Pro¬
zessen an den Adnexen ausheilen können.
T h e i 1 h a b e r - München: Bei der tuberkulösen Peritonitis
sei die Entstehung des Aszites wesentlich durch Kompression der
Mesenterialvenen bedingt. Die Heilung nach Laparotomie komme
zu stände durch Adhäsionsbildung; in den Adhäsionen entAvickle
sich ein Kollateralkreislauf, dadurch verschwinde der Aszites. Die
vaginale Koeliotomie sei daher für die Behandlung der tuberku¬
lösen Peritonitis nicht so geeignet, Avie die abdominale.
Gottschalk - Berlin bespricht die Frage der hereditären
primären Geixitaltuberkulose; diese kommt auf hämatogenem Wege
zu stände oder es können dem befruchtenden Samenkeni an¬
haftende Tuberkelbazillen die Geschlechtszelle und damit die spä¬
teren Keimzellen bezAV. die Keimzelle infizieren. Zum Beweise er-
Avähnt Gott schalk einen Fall, der eine 32 jährige Vii'go be¬
traf, die in zweiter Generation väterlicherseits hereditär tuberkulös
belastet war. Käsige Saktosalpingen, Verkäsung beider Ovarien,
Pyometra, zottiger Tumor an Portio; Aplasie der Tuben und des
Uterus. Vaginale Totalexstirpation; Pat. seitdem 2y3 Jahve ge¬
sund. G. nimmt primär hereditäre Ovarialtuberkulose an. Ferner
zeigt G. Präparate, die eine in der Uterusmuskulatur lokalisiei-te
Tuberkulose erweisen. G. ist nicht für Spaltung des Uterus, da
in demselben ein infektiöser Abszess vorliegen kann.
Truzzi- Padua dankt A m a n n, dass er in seinem Referat
der aus seiner Schule heiworgegangenen Arbeit Merlettis so
viel Interesse entgegengebracht hat. Er betont nochmals die
Uterus- und Tubenhypoplasie als Avichtiges prädisponierendes
Moment für die Entwicklung der Genitaltuberkulose. Ferner hebt
er den hohen Wert der Impfungen der Sekrete auf Tiere zu dia¬
gnostischen Zwecken hervor. Zur Therapie der Peritonealtuber¬
kulose erwähnt er die endoperitonealeu Injektionen einer dünnen
Formalinlösung Avährend der Laparotomie.
Schlusswort der Referenten, Martin: Der von
allen Referenten aufgestellte Satz der überraschenden Häufigkeit
der Genitaltuberkulose hat sich in der Diskussion bestätigt. Die
pathologische Anatomie hat als Ausgangspunkt für die Therapie
zu gelten. Bei den meist irgendAVo im Körper noch vorhandenen
^Herden kann von einer radikalen Heilung auf operativem Wege
nicht gesprochen Averden. Mit radikalen Eingriffen muss man
vorsichtig sein. Allgemeinbehandlung kann auch im Augenblick
nicht harmlos erscheinende Herde zur Ausheilung bringen. M a r -
t i n tritt für den vaginalen Weg ein; derjenige, der vaginal zu ope¬
rieren versteht, wird sehr vieles vaginal mit genügendem Erfolge
erledigen xmd dabei der Kranken die ganzen Gefahren der Bauch¬
narbe ersparen. Man soll nicht „radikal“ Vorgehen, sondern nur
die Herde selbst entfernen, die zu Resorptionserscheinungen
führen.
A m a u n: Die Diskussion und die Referenten haben zu meiner
Befriedigung den von mir aufgestellten Satz bestätigt, dass die
aus der Literatur zu entnehmende angebliche Häufigkeit der p r i -
m ä r e n Genitaltuberkulose nicht dem Tliatsächlichen entspricht.
Mit Recht hat Veit gesagt, eine primäre Genitaltuberkulose ge¬
hört zu den Raritäten. Natürlich gebe auch ich zu, dass schliess¬
lich ebenso, wie vereinzelt einmal eine Inokulationstuberkulose
an der äusseren Haut vorkoiumt, auch einmal am Genitaltraktus
eine vielleicht durch Colpitis senilis veränderte Portiooberfläche
(event. Fall K auf f mann) auf irgend eine Weise direkt mit
Tuberkelbazillen infiziert Averden mag — aber der gewöhnliche In¬
fektionsmodus bei der Genitaltuberkidose ist dies nicht (vergl. mein
Referat). Die Genitaltuberkulose des Weibes ist im allgemeinen
als sekundäre Erkrankung aufzufassen. Für die Beurteilung
zAveifelliafter Fälle möchte ich nochmals auf die hierfür ange¬
gebene Sektionstechnik Naegelis hinweisen.
Für die Therapie ist Avichtig, dass auch in ganz desolaten
Fällen noch Spontanheilung gesehen Avurde; allgemeine Therapie
bietet gute Chancen, doch ist trotz des meist sekundären Charak¬
ters der Erkrankung auch nicht selten opexutiv einzuschreiten,
wie bei anderen sekundären Organtubei'kulosen; die Art der
Operation soll sich, wie auch Martin mit Recht betont, nach
dem pathologisch-anatomischen Befunde richten. Ich freue mich,
dass auch v. F ranque die Notwendigkeit häufigerer Tier-
impfungen zu diagnostischen Zwecken betont.
Veit: Die Notwendigkeit, unsere Therapie mit der patho¬
logischen Anatomie in Einklang zu bringen, wurde besondex's von
Martin betont; Veit schliesst sich ihm voll an, dagegen kann
4. November 1902.
MlTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1861
gi F «i u i 0 und 1 o z z i niclit folgen, wenn sic lipi TnhovimiA
den eingreifendsten Operationen raten. Poni fürch et be Tube"
k ulose etwas zuruckzulassen, etwa wie beim Karzinom - aber e,'
muss uns aut Grund der Anatomie Zusehen “ ,, „ e
:iirn^s
ÄÄ ffSSn SSÄ habe!-
ldSonsbUdung^uch^nic^! fo^gen^11^ e^Tt ^oi-d.01?^^ ^ der Ad‘
mente publizieren lassen, die für den Einfluss des Sera ms 'sprechen
\ eit kann nicht zugeben, dass die Laparotomie als ^ehe
Adhäsionen macht. Das Wichtige an (w «„n, • + , solclle
olme makroskopisch sichtbare Ursache Heilung etaStefsfehT"
Sitzung vom 17. September 1902, Nach m .3 V li r
im hygienischen Institut des Herrn Prof. Celli. *
Martin- Greifswald demonstriert mittels Proiektinns
apparat eine Reihe mikrophotographischer Aufnahmen ins drnn
Gebiete der weiblichen Genitaltuberkulose. h dem
a °Jr n tt4° n Cincinnati demonstriert mikroskopische Schnitte
d ui cli die Uterus wandung verschiedener Tiere. 1 hmtte
R e i n - Petersburg demonstriert Photogramme von am
tomischen Praparaten des Nervensystems der Beckenorgane.'
C u 1 1 e n - Baltimore demonstriert Bilder von 19 Fällen vrm
H f d^ÄSSii ££
oW enTwSeP Zte T ^ im Zentrilm befindliches Str-
WS!," einT Jährigen Patientin. Metastasen
nicht nachzuweisen A. bezeichnet den Fall als Unikum
(Schluss folgt.)
74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
m Karlsbad vom 21.-27. September 1902.
VI.
Abteilung für Chirurgie.
V. Sitzung.
Vorsitzender: Herr v. H a e k e r - Innsbruck.
1. Herr Stolper- Breslau : Heber Beckenbrüche.
“ d6r Hand V011 33 anatomischen Prä-
“;°n Eeckenb™chei1 Ulld ^stützt auf zahlreiche klinische
Beobachtungen besonders den Typus der Beckenbrüche. Diese
seien meist die nicht durch Kontusion, sondern durch Kom¬
pression des ganzen Beckenringes oder Zusammenwirken beider zu
: ^ebkr“ V1®lfachen Biegungsbrüche, Die Folge der
c ttgehabten akuten Zusammenpressung des Beckenringes seiet
J rakturenbezw. Fissuren an der vorderen und an der hinterer
aiite. \ orn seien besonders häufig Brüche der Umrahmung des
^endeetd ^ Kamuf. horiz‘ descend. ossis pubis u. r
deSCend-.os"ls lscllll> ibrem Sitz nach oft symmetrisch
hinten komme es m leichten Fällen zur Lockerung der Kreuz¬
ern ugen, m schwereren zu Kompresisionsverletzungen des
furch2 n ^ Seitenteile splittern oder Fissuren
durch die Eoramma sacralia einseitig oder beiderseitig hinziehen.
Seltener gehe die hintere Fissur durch die Darmbeinschaufeln,
W ld begkltende Randbrüche in der Regel Folge der direkten
Jvontusion seien.
]• , DleQ BlSSaren Sltzen in leichteren Fällen einseitig, z. B. am
etnfl l r Td an der linken Symphysis sacroiliaea, ge-
egentlieh aber auch gekreuzt, also vorn links, hinten rechts.
t e f algaignesche doppelte Vertikalfraktur, auch ein
typischer Biegungsbruch ist als besonders markant herausge-
hoben, weil sie mit Verlängerung bezw. Verkürzung eines Beines
einhergeht.. Schneidet nämlich die Fissur vor dem Hüftgelenk
flfl lejenige hinter demselben, dieses gewissermassen aus dem
■ ( v( innige heraus, so hat jede Dislokation dieses das Hüft¬
gelenk umfassenden Segments eine scheinbare Längenverände¬
rung des zugehörigen Beins zur Folge. In geringem Grade ist
•KS? -i schein ung bei allen mit Dislokation verbundenen Becken -
nngbrüchen zu beobachten.
Nicht bloss bei schweren vielfachen Beckenbrüchen, auch bei
leichteren komme es gelegentlich zu Harnröhren- und Blasenzer-
reissungen. Die Harnröhre ist durch die sehr häufigen Frak-
ruren am Ramus horizontal« und an der Symphyse, die Harn-
ase durcb im Moment der Pressung am Innenrande ab-
SP 't lern de und in die Tiefe g'etriebene Knochenspangen ge¬
fährdet. Wo sich eine Läsion der Harnröhre oder der Harnblase
mit Sicherheit annehmen lässt, da ist sofortige Operation,
ITrethrotomia externa bezw. Blasenschnitt, geboten. Blutbei¬
mischung zum erstentleerten Urin ist oft das ausschlaggebende
Symptom, welches auf diese anfänglich oft sehr harmlos sich aus¬
nehmende, im Grunde aber sehr ernste Komplikation hinweist.
Die primäre Naht einer Harnröhrendurchquetsehung hält
Stolper für unausführbar wegen der weitreichenden Ver¬
letzung. Die Behandlung der Beckenbrüche besteht im all¬
gemeinen in einfacher Rückenlagerung im Bett. Deutliche Dis¬
lokation lässt sich dabei meist durch einen leichten Zug beseiti¬
gen. Bei Hüftgelenksverletzung ist daneben leichte Extension
des Beins geboten.
2. Herr Friedrich Straus- Frankfurta.M. : Zur Ureteren-
und Nierentätigkeit bei Ectopia vesicae.
Vortragender stellte diesbezügliche Untersuchungen an
einem Fall von totaler Bauchblasenspalte an. Ein solcher Fall
bietet den \ orteil, dass er am Lebenden Untersuchungen un¬
mittelbar zulässt, die sonst nur mittels des Cystoskops bezw.
des Ureteren cystoskops möglich sind.
Blasenschleimhaut auf ihrer ganzen Oberfläche in granu¬
lationsähnlichem Zustand und mit glasig gallertiger Schleim-
schicht bedeckt. Dieser Schleim wird von verlagerten Urethral-
driisen abgesondert. Eigentliche Urethraldrüsen fehlen.
Fs wird die Erfahrung bestätigt, die vermittels des Ureter¬
katheters an der normalen Blase gemacht wurde. Es zeigt sich
die gleiche Erscheinung an der freiliegenden Blase: Beide
Nierenbecken arbeiten niclit synchron, sondern alternierend.
Urinmenge rechts 3 mal soviel wie links. Bei über IV2 stündigem
Verweilen der Katheter in den Ureteren fliesst nicht 1 Tropfen
I rins neben den Kathetern aus: Beweis dafür, dass zum getrenn¬
ten Auffangen des Urins nur Katheterisierung eines Ureters
nötig ist.
Fs interessierte zu erfahren, wie sich die oberen harnableiten-
den Organe, die fortgesetzt der Infektion ausgesetzt waren —
wie sich Ureteren, Nierenbecken und Nieren verhielten. Der
Blasen-Gesamturin war stark ammoniakalisch mit viel Mucin.
Darnach hätte doppelseitige Pyelitis vermutet werden können,
nd essen entleerten linke wie rechte Niere völlig klaren, stark
sauren Urin. Mikroskopisch keine Formbestandteile, weder aus
der Niere noch aus dem Nierenbecken, weder links noch rechts.
Die Ursache, dass keine Infektion eintrat, ist nach der Ansicht
\on St. darin zu suchen, dass der Urin seinen ständigen Abfluss
hatte und die Ureteren durch die eigentümliche Klappenbildung
lhier Orifizien gegen Infektion geschützt waren.
S. bespricht sodann die Operation der totalen Bauchblasen¬
spalte.
A ü X 1
LiUUUl
fine lVLusKe zur üetnyi-
ihm konstruierten Mundsperre
Chloridnarkose nebst einer von
und Aetliylchloridtube.
4. Heu Kersting - Aachen demonstriert leicht abnehm¬
bare Angelschienen für Unterkieferbrüche und Resektionen.
5. Herr Salz wedel - Berlin : Die Verwendung des Spiri¬
tus für chirurgische Zwecke. (Der Vortrag erscheint in d. W.)
<>. Herr S c h 1 o f f e r - Prag: Ueber embolische Verschlep¬
pung von Projektilen. ^
Sc bloffer demonstriert einen Fall von Schussverletzung
cles Thorax, m deren Gefolge eine ischämische Lähmung des
rechten \ orderarms eintrat. Das Projektil entfernte S. aus
. u. m e 11 d e r A r t e r i a axillaris. An der Hand der
einschiiigigen bisher publizierten Erfahrungen und kasuistischen
i litteilungen weist der A ortr. nach, dass das Projektil einzig und
allem 111 den^ linken Ventrikel eingedrungen und von dort in den
aiteiiellen Kreislauf emboliscli verschleppt worden sein kann.
Der Kranke weist jetzt, offenbar infolge
einer Schädigung von
- ^ iiuui6c ciiiri oviiUAiii; uug V UU
l apillarmusKeln gelegentlich der Verletzung, eine Stenose lind In'
sufflzienz des linken venösen Ostiums auf.
7. Herr Länderer- Stuttgart : Operative Behandlung
der Varikositäten und Beingeschwüre.
L. beleuchtet zunächst die T rendelenburg sehe Opera¬
tion in Bezug auf ihre Erfolge und spricht sich dahin aus, dass
von einer so kleinen Operation eine Rückbildung grosser Vari¬
kositäten nicht erwartet werden kann. Auch die Exstirpation
einzelner Stücke verwirft er vollkommen, da die von ihm so ope¬
rierten Patienten noch schlechter daran waren, als vor der Opera¬
tion. Er steht vollkommen auf dem Standpunkt der Totalexstir¬
pation, die er 70 mal mit 80 Proz. Dauerheilung ausgeführt hat.
8. Herr Graser- Erlangen : Ueber die sogen. Bursitis
proliferans.
1862
Unter diesem Namen verstellt man mit Virchow eine
chronische Erkrankung der Schleimbeutel, welche mit einer \ er-
grösserung des Hohlraums, einer Verdickung der Kapselwand
und sehr unregelmässiger Innenfläche einhergeht. Die Innen¬
fläche ist oft mit zahlreichen Prominenzen der verschiedensten
Gestalt, mit Balken, welche den Hohlraum durchqueren und mit
der Bildung freier Körper der verschiedensten Grösse verbunden,
Befunde, welche zwar verschiedentlich beschrieben sind, aber
doch verhältnismässig wenig Berücksichtigung und Bearbeitung
erfahren haben. Die Deutung dieses Zustandes war bisher ziem¬
lich allgemein die, dass es sich um entzündliche Gewebsneubil¬
dung handle, auf welcher wiederum mehrschichtige Fibrinnieder¬
schläge zu Stande kommen, die ihrerseits wieder von den Ge-
fässen aus organisiert werden können. Bei der Untersuchung
eines besonders kompliziert ausgestatteten derartigen I alles fand
nun G. einen Teil der Prominenzen und der freien Körper aus
in Schrumpfung begriffenem Fettgewebe bestehend, und damit
war wenigstens für diesen Teil der Innenwand die Möglichkeit
der bisherigen Erklärung ausgeschlossen. Kicker- Rostock
hatte bereits im Jahre 1900 in 1 irchows Archiv eine Arbeit über
die Verflüssigung des Bindegewebes veröffent¬
licht. Dort ist neben anderen 1 erflüssigungen, innerhalb von
Tumoren und neugebildetem Bindegewebe, auch über eine fort¬
schreitende Zerstörung der Innenwand von Schleimbeuteln be¬
richtet. G. hat nun im Verlauf eines Jahres in 6 verschiedenen
Fällen, die alle durch Operation gewonnen wurden, eine grosse
Anzahl von Präparaten gesammelt, die alle geeignet sind, die
von Kicker vertretene Ansicht zu bestätigen. Die unregel¬
mässige Gestaltung der Innenfläche entsteht nicht durch Wuche¬
rung, sondern durch eine ungleiclnnässige Degeneration und
Auflösung der den Hohlraum umgebenden Teile. Die Prominen¬
zen und die den Hohlraum durchquerenden Balken sind die¬
jenigen Teile, welche wegen besserer Ernährung der Zerstörung
bisher getrotzt haben. Die van Giesonsche Färbung ist ein gutes
Reagens auf die der Verflüssigung vorangehenden Verände¬
rungen, indem die dem Zerfall geweihten Teile nicht mehr die
fuchsinrote Färbung, sondern eine gelbe Farbe annehmen, wo¬
bei häufig ein unmittelbarer Zusammenhang und U ebergang der
verschiedenen Bestandteile nachzuweisen ist. Gegen die Deu¬
tung dieser Massen als Exsudat oder Niederschlag spricht über¬
zeugend die Tatsache, dass man in den degenerierten Teilen oft
noch die Anordnung der Kerne in typischer Weise auffinden
kann. Auch die kompliziertesten Bilder sind vollkommen durch
diese Deutung zu erklären. Der Prozess der Zex*störung geht
nicht nur an der Innenfläche, sondern auch in den tieferen
Schichten vor sich und kommt bisweilen zum Stillstand, so dass
mit der Zeit eine Art von Selbstheilung eintreten kann.
Andeutungen über solche Erklärung hatte schon Virchow
in seinen Abhandlungen über die Geschwülste gegeben. Auch
Schuch ardt hat in einer Arbeit aus dem Jahre 1890 einen
Teil der Befunde, namentlich in kleinen Schleimbeuteln als
„fibrinoide Entartung“ gekennzeichnet. Diese Deutungen be¬
zogen sich aber stets nur auf einzelne Stellen und namentlich
war für die chronische Wucherung immer noch Raum freige¬
lassen. Die Befunde erinnern vollständig an diejenigen, welche
durch Ledderhose und Payer über die Entstehung der
Ganglien gewonnen wurden und nun allgemein anerkannt sind.
Die dort im Gewebe auf tretende gallertartige Vei*flüssigung ist
zwar ein ähnlicher, aber nicht der gleiche Vorgang.
G. schlägt für die Bezeichnung der beschriebenen Erkran¬
kungsform Hygroma destruens vor; weitere im Gang befindliche
Untersuchungen werden ergeben, ob nicht alle Hygroine diesen
Werdegang auf weisen.
9. Herr S c b a n z - Dresden: lieber Quadrizepstransplan-
tation.
Vorstellung eines kleinen Patienten, dessen Quadrizeps er
durch den Sartorius ersetzt hat.
10. Herr Dollinger- Ofen-Pest : Methode zur blutigen
Reposition veralteter Schulterverrenkungen.
D. hatte in der chirurgischen U Universitätsklinik in Ofen-
Pest während der letzten 5 Jahre 19 veraltete Sehulterverren-
kungen zu behandeln. Davon deponierte er meistens nach
K o chers Methode 7, grösstenteils 4 — o W ochen alte Fälle und
(inen 3 Monate alten Fall. In 2 Fällen wurde noch vor voll¬
kommener Ausbildung seines Operationsverfahrens in den
Jahren 1897 — 99 während der Rotation der Oberarm abgedreht,
No. 44.
und in 10 Fällen, in welchen die Repositionsversuche erfolglos
waren, wurden blutige Operationen ausgeführt. Ein I all von
diesen war mit Bruch im Collum chirurgicum und einer mit
Bruch im Collum anatomicum kompliziert. Davon wurde in
einem Falle das in Winkelstellung angeheilte obere Bruchende
mit dem Kopfe reseziert, im zweiten wurde eine lineare Osteo¬
tomie ausgeführt. In einem dritten, mit Bruch des Tuberculum
majus komplizierten Falle wurde dieses entfernt und dann re-
poniert.
In 7 Fällen war keine Komplikation vorhanden. Die Luxa¬
tion bestand seit 5, 8, 10 12, 16 und 17 W ochen. Zuerst wurde
in Narkose die Reposition nach Kochers Methode versucht
und dann, nach Erfolglosigkeit dieses Versuches, operiert. Auf¬
fallend war bei der Operation in allen Fällen der Mangel seiner
grossen Veränderungen — Kallusmassen, dicke Bindegewebs-
schwarten etc. — , welche die meisten Autoren als Befund be¬
schreiben und wegen welcher sie das Ivollum gewöhnlich skeletti-
sieren. Die Operation ist nun folgende: Hautschnitt etwas ein¬
wärts von der Vena cephaliea vom Schlüsselbein bis zum Ansatz
des M. pectoralis major. Eindringen in die Tiefe in dem Spalt
zwischen Deltoideus und Pectoralis major bis auf den I roc. cora-
coides. M. pectoralis minor nach oben, Coraco-brachialis nach
aussen, Pectoralis major nach innen gezogen. Jetzt liegt der
Sulcus intertubercularis und das Tuberkulum minus vor. Die
lange Bizepssehne wird während der Operation nicht freigelegt.
Der Humeruskopf steht jetzt nach hinten und etwas nach innen
gedreht. Es wird nun nach aussen rotiert, worauf der M. sub-
scapularis hervortritt und ihn bedeckt. Nun wird die Sehne des
M. subscapularis durchgeschnitten, die Auswärtsrotation wird da¬
durch nun bis zum erwünschten Grade möglich und die Repo¬
sition nach Kochers Methode gelingt leicht. Aus dieser Tat¬
sache, dass die Reposition in allen 7 Fällen, in denen sie vor der
Tenotomie der Subscapularis nicht gelungen ist, nach dieser
Durchschneidung leicht ausgeführt werden konnte, schliesst D.,
dass das Repositionshindernis bei den nicht komplizierten ver¬
alteten Schulterverrenkungen nicht, wie bisher angenommen
wurde, neugebildete Bindegewebsschwarten, oder wie Kocher
annahm, Verwachsungen im Bereiche des alten Kapselrisses
zwischen dem Pfannenrande und dem anatomischen Halse sind,
sondern dass der retraliierte imd vielleicht auch sklerotische M.
subscapularis das Hindernis bildet, unter dem bei der Luxatio
subcoracoidea der Humeruskopf zu liegen kommt und dessen In¬
sertionspunkte einander um 1 — 3 cm genähert werden. D. ist der
Meinung, dass auch in akuten Fällen, in der Reihe jener Fak¬
toren, welche den ganzen Mechanismus des Repositionshinder¬
nisses zusammensetzen, dem M. subscapularis eine bedeutende
Rolle zufällt.
In einem Falle gelang die Reposition trotz des Sehnen¬
schnittes nicht, weil in der Fovea glenoidalis das Hindernis sass.
Durch den Sehnenschnitt hindurch konnte dies leicht entfernt
werden. Von 11 Operationen heilten 6 mit Eiterung, 5 per
primarn.
11. Herr Hofmeister - Tübingen spricht über ein neues
Massageverfahren, welches in rhythmischem Eintauchen der be¬
treffenden Extremität, in metallisches Quecksilber besteht. Die
Hebung kaun der Patient selbst besorgen, 15 Minuten. 1 Stunde
lang, je uach der Kraft des Patienten. g_;
11. benutzt einen 50 cm hohen Eisenzylinder, den er zur Hälfte
mit Quecksilber füllt. Ein Vorzug des von ihm mit grossem Er¬
folge erprobten Verfahrens ist die absolute Schmerzlosigkeit.
12. Herr Worizek- Prag demonstriert einen Redressions¬
apparat für Skoliosen und Kyphosen.
13. Herr Stäuber - Ivonicz: lieber die Behandlung
skrophulöser Prozesse mit Ivoniczer Jodsoole.
Herr Dr. X enge b a uer - Miihr.-Ostrau wünscht das über
seinen Vortrag in Xo. 40, S. 1074 gebrachte Referat wie folgt zu
berichtigen:
„Durch Erfahrungen, welche mit der Kückeumarksanalgesie
mit Tropakokain in 170 Fällen gemacht wurden, kommt X. zu
dem Schlüsse, dass man mit der Verwendung kleinerer Gaben,
welche allerdings nur die unteren Extremitäten und die angrenzen¬
den Beckenabschuitte genügend zu analgesieren im stände sind,
vorzügliche Erfolge erzielen kann. Eine Voraussetzung der¬
selben sind: 1. frischausgekochte Lösungen des Mittels, 2. Verwen¬
dung eines sterilisierten und völlig trockenen Instrumen¬
tariums, zur Vermeidung von Beimengungen anderer Flüssigkeiten.
Die Folgeerscheinungen fehlen dann zum Teile gänzlich, oder
können wohl mit denen tiefer Xaikosen konkurrieren.“
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
4. November 1902. _ MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT,
Abteilung für Kinderheilkunde.
Referent : Privatdozent Dr. B. Bendix - Berlin.
IV. Sitzung sta g, 25. September 1902.
1. Herr v. Pirquet - Wien demonstriert einen neuen
Zungenspatel.
2. Herr H o h 1 f e 1 d - Leipzig : Zur Pathologie der Niere
bei den Magendarmerkrankungen des Säuglings.
Der Vortragende hat bei 40 magendarmkranken Kindern aus
dem ersten Lebensjahre in methodischer Weise den Harn unter¬
sucht und bei 35 dieser Fälle der klinischen auch die anatomische
Untersuchung der Nieren angeschlossen.
Im Gegensatz zu den bisher darüber vorliegenden Mit¬
teilungen hat er relativ häufig und besonders bei den protrahierten
Fällen auch 1 eränderungen am Blutgefässbindegewebsapparat
der Niere nachweisen können; in erster Linie an den Malpighi-
schen Körperchen in Form von teilweiser oder völliger Verödung
des Glomerulus und Verdickungen der Kapsel. Weiterhin fand
sich aber in der Hälfte seiner Fälle auch in den anderen Teilen
der Niere liier und da eine Hyperplasie des Bindegewebes, so in
Gruppen von Kanälchen dicht unter der Oberfläche, in der Um¬
gebung der Gefässe und auch mitten im Parenchym; manchmal
liess sich in solchen Herden eine kleinzellige Infiltration mässigen
Grades nachweisen. Häufig fanden sich kleine Cysten, bei einigen
Fällen auch infarcierende Prozesse.
Auf die Genese aller dieser Veränderungen will der Vor¬
tragende an anderer Stelle eingehen, deutet aber an, dass bei
einer Reihe von ihnen einfache Störungen der Ernährung in
Betracht kommen dürften. Fälle, die auf Lues verdächtig
waren, wurden in der Arbeit nicht verwertet.
3. Herren Boeder und Sommerfeld - Berlin : Die
kryoskopische Untersuchung des Säuglingsharns bei ver¬
schiedenen Ernährungsformen.
Zur Untersuchung gelangten Säuglinge verschiedener Alters¬
stufen, und zwar erstens normale Säuglinge, die mit Muttermilch,
mit verschiedenen Milchmischungen ernährt wurden, zweitens
Säuglinge, welche nach überstandenen Verdauungsstörungen ver¬
schiedener Art sich in Gewichtszunahme befanden, und eine An¬
zahl pathologischer Fälle, darunter Säuglinge mit Nephritiden.
Die Ergebnisse der Untersuchungen waren folgende : Die Gefrier¬
punktserniedrigung des Harns der Säuglinge ist geringer wie
beim Erwachsenen und schwankt je nach der Ernährung in er¬
heblichen Grenzen. Die Gefrierpunktswerte sind schwankend,
bald höher, bald geringer und stehen nicht in einem konstanten
Verhältnis zu den in den einzelnen Proben ausgeschiedenen
Kochsalzmengen. Die Schwankungen erscheinen am geringsten
bei dem mit Muttermilch ernährten Säugling. Verglichen mit den
Gefrierpunktswerten, dem osmotischen Druck der Nahrung zeigte
sich bei dem Brustkind und dem mit verdünnter Kuhmilch er¬
nährten Kind, dass die Gefrierpunktserniedrigung des Urins ge¬
ringer ist wie die der Nahrung. Jedenfalls ist der osmotische
Druck des Nahrungsmittels nicht ohne Einfluss auf die mole¬
kularen Konzentrationsverhältnisse des Harns. Unter Berück¬
sichtigung der pro Kilogramm Körpergewicht eingeführten
Flüssigkeitsmenge ist die Gefrierpunktserniedrigung des Harns
als eine verhältnismässig sehr grosse zu bezeichnen. Ob die hohen
Werte auf Rechnung der Dissoziation zu setzen sind, wird von
den beiden Autoren auf Grund entsprechender Untersuchungen
an anderer Stelle noch berichtet werden.
4. Herr R o e d e r - Berlin : Ein kritischer Beitrag zur
Harnsekretion, mit Berücksichtigung der osmotischen
Leistung der Säuglingsniere.
5. Herr Gutzmann- Berlin : Die Schreiatmung des
Säuglings.
6. Herr Moro-Wien: Ueber die Fermente der Milch.
Vortragender konnte in der Milch (Mensch, Kuli, Ziege)
diastatisches, proteolytisches Ferment (in Spuren), ferner Fibrin¬
ferment, Salol spaltendes Ferment (Lipasenwirkung) und Oxy-
dasen nachweisen. Die Anwesenheit eines unorganisierten glyko-
lytischen Fermentes (Spolverini) wird bezweifelt.
Vortragender berichtet ferner über 2 Versuche, die er an
Brustkindern angestellt hatte. Beide Säuglinge erhielten Men¬
schenmilch aus der Saugflasche; vorerst im unveränderten, dann
im sterilisierten Zustande. Während der 2. Ernährungsperiode
verhielten sich beide Säuglinge entschieden weniger gut, was an
den Gewichtskurven demonstriert wurde. Es ist anzunehmen,
18G3
dass durch die Sterilisation die Milch minderwertig geworden ist,
was gegen die Milchsterilisation einerseits und für die sich immer
mehr und mehr verbreitende Rohmilchernährung andererseits
spricht.
7. Herr E. M ü 1 1 e r - Berlin : Beitrag zum Kalkstoff¬
wechsel des Säuglings nach gemeinschaftlichen Stoffwechsel¬
untersuchungen mit Dr. W. A r o n h e i m.
Die Verfasser haben, angeregt durch einen früheren Stoff¬
wechselversuch, bei welchem ein Kind bei Ernährung mit sterili¬
sierter Kuhmilch eine negative Kalkbilanz zeigte, nun weitere
Stoffwechseluntersuchungen an 2 Säuglingen angestellt, indem
sie den Kindern in dem einen Versuche rohe Milch und in dem
Kontrolversuche die gleiche Milch sterilisiert, und zwar in
gleicher Menge pro Tag und Kilogramm verabreichten. Die Ver¬
fasser schliessen aus ihren Versuchen, dass sehr gesunde Kinder
wohl in der Lage sind, ihren Kalkbedarf aus roher wie aus sterili¬
sierter Kuhmilch zu decken, wenigstens für kurze Zeit, dass aber
doch die sterilisierte Milch mit Bezug auf den bei dem ver¬
schiedenen Organismus so wichtigen Kalkansatz der rohen nicht
ganz gleichwertig ist. Der N und das Fett der sterilisierten
Milch wurde mindestens ebenso gut retiniert, wie die gleichen
Stoffe der rohen Milch. Die Verfasser betonen zum Schlüsse
noch die Möglichkeit, dass die durch die Sterilisation der Milch
zerstörten Fermente und Enzyme der rohen Milch eine gewisse
Bedeutung besitzen, deren Einfluss sich allerdings bisher unserem
Nachweise entzieht.
8. Herr Hochsinger- Berlin : a) Hereditäre Früh¬
syphilis ohne Exanthem.
H. stellt die Tatsache fest, dass es eine exanthemlose heredi¬
täre Erühsyphilis gibt. Er betont mit Nachdruck, dass man bei
sicher gestellter Diagnose der hereditären Syphilis, gleichviel in
welchen Organen dieselbe lokalisiert ist, unverzüglich die Be¬
handlung des Falles in Angriff nehmen muss. Es wäre verfehlt,
den Ausbruch eines Exanthems abzuwarten, weil ein solches nicht
immer auftreten muss und weil es, wie die Fälle des Vortragen¬
den bewiesen haben, auch gelingen kann, solche rein viszeral
lokalisierte Formen der hereditären Infektion durch sofort ein¬
geleitete syphilitische Behandlung zur Heilung zu bringen.
b) Die radioskopischen Verhältnisse der hereditären
Knochensyphilis der Neugeborenen und Säuglinge.
9. Herr Holz: Zur Frage de*r von Stöltzner bei der
Nebennierenbehandlung der Rhachitis beobachteten Knochen¬
veränderung.
Holz wendet sich gegen Stöltzners Angabe, wonach
durch Einwirkung der Nebennierensubstanz auf den rhachi-
tischen Knochen eine Umwandlung der azidophilen Reaktion des
osteoiden Gewebes in eine basische zu stände kommt. Er ist ge¬
neigt, die in Anwendung gezogene Technik hierfür verantwort¬
lich zu machen.
10. Herr Basch- Prag: Ueber Ausschaltung der Thymus¬
drüse.
In Anknüpfung an die Versuche Friedlebens aus dem
Jahre 1858 hat Basch Totalexstirpationen der Thymus bei
jungen Hunden vorgenommen und die hiernach eintretenden
Veränderungen am Knochensysteme studiert. Um ausser dem
anatomischen Verhalten der Knochen auch das Ossifikationsver¬
mögen zu prüfen, hat derselbe bei operierten Tieren und bei
Kontrolltieren desselben Wurfs subkutane und komplizierte
Frakturen an gleichen Stellen angelegt und deren Heilung ver¬
folgt. Es stellte sich heraus, dass, während das Kontrolltier an
der Stelle der Fraktur einen deutlichen, massigen Kallus dar¬
bot, beim operierten Tiere mir eine geringe periostale Verdickung
an der Frakturstelle zu fühlen war und die Verletzung bei dem
letzteren klinisch wie eine Infraktion beim rhachitischen Kinde
verlief. Um alle Phasen des Ablaufs der Fraktur zu verfolgen,
wurden Röntgenphotographien hergestellt und deren Kopien de¬
monstriert. Als auffällige Begleiterscheinung dieser Verände¬
rungen zeigte sich im Stoff Wechsel versuche, dass das Tier ohne
Thymus wesentlich mehr Kalk durch die Nieren ausschied als
das Kontrolltier. Neben der individuellen Schwankung in dem
Unterschiede der Kallusbildung zeigte sich auch eine Differenz
je nach der Zeit, in welcher die Fraktur nach der Herausnahme
der Thymus angelegt wurde. Frakturen aus den ersten 2 Wochen
nach der Thymusexstirpation zeigten keine so bedeutende Diffe¬
renz der Heilung, wie solche, die nach 1 — 2 Monaten angelegt
MUEN OHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
864
waren, was damit zusammen zu hängen scheint, dass die Ver¬
armung an zirkulierendem Thymussekret erst längere Zeit nach
Wegnahme dieses Organs einzutreten scheint. Als physiologische
Wirkung dieses Sekrets bei Einführung in die Blutbahn zeigte
sich Herabsetzung des Blutdrucks, bei toxischen Dosen gleich¬
zeitig allgemeine Krämpfe und Atmungsstillstand. Bei den Ver¬
suchen von Wiedereinheilen der eigenen Thymus der Tiere an
verschiedenen Stellen der Haut nach Herausnahme der Drüse aus
dem Brustraume, wurden die eingepflanzten Thymusstücke inner¬
halb 14 Tagen resorbiert, und kurze Zeit nach festgestellter Re¬
sorption gingen die so operierten Tiere, meist unvermittelt, unter
allgemeinen Krämpfen zu gründe. Milzexstirpation nach vor¬
genommener Thymusexstirpation erhöhte die Veränderung am
Knochensysteme nicht. Die anatomischen Veränderungen am
Knochensysteme der operierten Tiere bestanden vorwiegend
darin, dass die Knochen weicher und biegsamer wurden und in
der Entwicklung und Verknöcherung zurückgeblieben waren. Sie
zeigten eine stärkere Hyperämie, eine Verbreiterung und Un¬
regelmässigkeit der Epiphysenlinie, eine Erweiterung der Mark¬
räume. Bei frischen Frakturen fand sich nur ein geringer peri¬
ostaler Kallus vor, während beim Kontrolltier neben dem mäch¬
tigen periostalen Kallus oft auch ein die ganze Markhöhle sklero-
sierender medullärer Kallus vorhanden war. Die erwähnten Ver¬
hältnisse werden als Knochenlängsschnitte, die mit natürlicher
Färbung in Kayserling scher Lösung konserviert wurden,
demonstriert.
1 1. Herr Flachs- Dresden : Beitrag zur Impftechnik.
Die sogen. Impfschädigungen werden der Reihe nach durch¬
gegangen und die Vorkehrungen, welche dieselben verhüten sollen,
einer Kritik unterzogen. Redner empfiehlt, nicht mehr am Arm
zu impfen, sondern an der Brust. Seine Residtate ergaben einen
glatten, reaktionslosen Verlauf und lassen diese Methode als sehr
zweckmässig erscheinen.
12. Herr S w o b o d a - Wien : Zur Lösung der Variola-
Varizellenfrage.
S. erklärt die Behauptung der Unitarier, dass ein Vari¬
zellenkranker auf einen Gesunden echte Blattern übertragen
kann, damit, dass es eine schwere Form der Varizellen, Varieellae
varioloformes, gebe. S. kommt zu dem Schluss, dass bei Vari¬
zellen alle Formen und Abstufungen, ebenso wie bei Variola Vor¬
kommen können, so dass im sporadischen Fall z. B. bei den Erst¬
lingen einer Variolaepidemie eine Differentialdiagnose unmöglich
sein kann. Die Dualisten hätten also Unrecht, wenn sie den
Unitariern gegenüber an der morphologischen und klinischen
Trennung festhielten. Die Tatsache, dass es eine Varicella
varioloformis gibt, hat das theoretische Interesse, dass man durch
sie die Variola-Varizellenfrage aus der Welt schaffen kann, dass
sich ferner der Einwand gegen den Wert der Impfung, dass ein
Individuum nach der Impfung oder nach überstandener Variola
noch Variola bekommen kann, wesentlich reduzieren lässt, denn
hier handelt es sich meist um Fälle von Varicella varioloformis.
Diese Tatsache hat auch ein praktisches Interesse. Wenn ein
solcher Fall richtig erkannt wird, wird der Bevölkerung die Auf¬
regung des falschen Blatternalarmes erspart.
13. Herr P a s s i n i - Wien: Ueber anaerobe Darm-
bakterien.
P. hat aus Stühlen von Brustkindern, Flaschenkindern und
Erwachsenen regelmässig anaerobe Bakterien gezüchtet — und
zwar den beweglichen Buttersäurebazillus (G r u b e r), den un¬
beweglichen Buttersäurebazillus (Schatten froh und
Grassberger) und den Bacillus putridus Bienstok. Er er¬
kennt den Bacillus bifidus communis (Tissier) nicht als
Anaerobier im strengsten Sinne des Wortes an, da derselbe auch
üppiges Wachstum bei vorwiegender Tension des Sauerstoffes
zeigt.
14. Herr Fischl-Prag: Ueber das Elastingewebe des
Säuglingsdarmes.
Im Magendarmtrakt des Erwachsenen und verschiedener
Tierrassen spielt das mächtig entwickelte Elastingewebe die Rolle
eines Gerüstes, in welchem die Gewebselemente quasi eingehängt
erscheinen. Bei Föten aus den letzten Sehwangerschaftsmonaten
ist es selbst in den Arterien mittleren Kalibers kaum angedeutet,
bei reifen Neugeborenen in den Wandschichten des Digestions¬
kanals noch nicht vorhanden, und auch in den ersten Lebens¬
monaten erlangt es bei Brustkindern eine äusserst geringe Ent¬
wicklung. Gleich anderen anatomischen Besonderheiten des
Verdauungsschlauches sieht F. auch in diesen von ihm er¬
hobenen Befunden einen Beweis für seine geringe Leistungs¬
fähigkeit, welche digestive Schonung derselben gebietet. Vor¬
tragender erläutert seine Ausführungen durch Demonstration
zahlreicher mikroskopischer Präparate.
Altonaer Aerztlicher Verein.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 28. Mai 1902.
Herr König zeigt einen 51 jährigen Patienten, bei dem er
wegen eines 40 cm hinter der Zahnreihe gelegenen Karzinoms der
Kardia am 11. März d. .T. eine schräge Magenfistel angelegt hatte,
unter Herunterziehen des Magens und Durchziehen durch den
linken M. rectus abdominis. Bei dem Patienten, der nur flüssige
Speisen mehr nehmen konnte, war bereits starke Abmagerung und
Kachexie aufgetreten. Schon 2 Tage nach der Operation konnte
er durch den Mund schlucken, und während die Wunde heilte,
wurde die Nahrung bald durch den Mund, bald durch die Fistel
eingeführt. Zur Zeit der Vorstellung hat der Patient wieder be¬
trächtlich zugenommen, schluckt alles, sogar Brot und Kartoffel,
durch den Mund, benutzt die Fistel nicht mehr. Iv. erklärt die gute
Wirkung hier — ebenso wie in einem früher*) vorgestellten Fall —
dadurch, dass bei der Magenfistelbildung der Magen tief nach unten
und dadurch die polypösen Karzinommassen aus der Kardia bezw.
aus dem Zwerchfellring nach unten gezogen werden, wodurch die
Passage wieder frei wird. Er sieht also in diesem Herabziehen
des Magens eine kurative Wirkung der Operation insofern, als der
Patient, der wieder schlucken kann, selbst an die Heilung glaubt.
Im Anschluss daran demonstriert K. das Sektionspräparat
von dem Oesophaguskarzinom eines 42 jährigen Mannes, dessen
Tod dadurch erfolgt ist dass ganz spontan und nicht etwa nach
einer Sondierung an demselben Morgen eine Perforation in die
Aorta und an einer anderen Stelle in den linken Bronchus erfolgte.
Die eintretende Blutung setzte dem Leben ein Ende. Dass wirk¬
lich die Ereignisse ganz frisch waren, ist daran zu ersehen, dass
keine Spur einer Phlegmone oder einer Lungenerkrankung zu
finden war. K. macht angesichts dieses Falles auf die Gefahren
aufmerksam, die sicli dem Arzt hier beim Sondieren hätten ergeben
können: gewiss war der Fall geeignet, eine plötzliche Verblutung
beim Sondieren eintreten zu lassen. Er empfiehlt im allgemeinen
die Anlegung der Magenfistel, wenn nur flüssige Speisen passieren
und spricht seine Verwunderung aus über das scheinbar sehr
häufige Auftreten des Speiseröhrenkrebses hier am Orte.
Herr Hahn: Ueber die therapeutische Verwendung von
Röntgentrahlen hei Hautkrankheiten.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 1. Juli 1902.
Vorsitzender : Herr E. F r ä n k e 1.
Schriftführer : Herr Moltrecht.
I. Demonstrationen:
Herr Richter berichtet unter Vorzeigung von mikro¬
skopischen Präparaten über einen Fall von Malaria, welcher sich
klinisch als F. quotidiana darstellte. Die Blutpräparate zeigen nun
gleichzeitig verschiedene Entwicklungsstufen der Plasmodien der
F. tertiana und zwar neben den .Tugendformen (eiförmige Gebilde
und Ringe) auch Sporulationsformen und vereinzelte Gameten.
Dieser Befund rechtfertigt, die Auffassung, dass es sieh um ein
doppeltes Tertianfieber gehandelt hat, indem zwei Generationen
von Parasiten vorhanden sind, deren Entwicklung im Abstande
von 24 Stunden zur Teilung geführt hat.
Der Erfolg der eingeleiteten Chininbehandlung war ein
prompter.
Herr Schümm: Ueber die chemische Identifizierung des
Pankreassekrets.
S. stellte im Anschluss an die Entdeckung Danilewskys,
dass sich bei der Einwirkung von Labferment auf Produkte der
peptischen Eiweissverdauung bei schwach saurer Reaktion bei
Körpertemperatur eine ei weissähnliche Substanz ausscheidet, Ver¬
suche an über die Einwirkung verschiedener Fermente auf Lö¬
sungen von Albumosen und Peptonen. — Er berichtet über Ver¬
suche mit dem Sekret einer menschlichen Pankreasfistel, das
eiweisspaltende, fettspaltende und diastatische Kraft besass.
Wurde eine neutrale, konzentrierte, sterilisierte Lösung von
Wittepepton mit etwa 0,5 Proz. Soda alkalisiert und
mit dem Sekret längere Zeit bei Körpertemperatur dige¬
riert, so entstand eine mehr oder weniger reichliche
Ausscheidung von Tyrosin. Die Menge des ausgeschiedenen
Tyrosins wechselte je nach dem Verhältnis, in dem die
*) Münch, med. Wochensehr. 1902, p. 100.
4. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Peptonlösung mit dem Sekret gemischt war. Es schied sich
stets in den bekannten feinen, nadelförmigen Kristallen aus die
meist zu makroskopischen, rein weissen, garben- und sternartigen
Drusen angeordnet waren. In sekretreichen Gemischen hatten die
gebildeten Kristallaggregate makroskopisch oft die Form kreis-
rundei Scheiben, die einzeln oder zu zweien aneinander^elagert
auftraten. s
Der Durchmesser der Scheiben betrug etwa 0,5 mm. Bei
mikroskopischer Betrachtung erschienen diese Scheiben als stern¬
förmige Aggregate feiner Nadeln. Am schnellsten erfolgte die
Bildung der Tyrosindrusen in Mischungen aus einem Gewichtsteil
Sekret und einem bis drei Gewichtsteiien einer etwa 30 proz., mit
0,5 Proz. Natr. carb. sicc. versetzten Lösung von Wittepepton
Eine Mischung aus gleichen Gewichtsteilen Sekret und obiger
Peptonlösung lieferte ausnahmslos innerhalb 24 Stunden eine reich¬
liche Ausscheidung makroskopischer Tyrosindrusen. Zur Ver¬
hütung der Fäulnis wurden sämtliche Proben mit Chloroform ge¬
sättigt oder mit 1 Prom. Sublimat, in wenig heissem Krasser gelöst,
vermischt; Fäulniserscheinungen wurden in keinem Falle be¬
obachtet. Seit langem gilt die Fähigkeit, die Eiweisskörper inner¬
halb kurzer Zeit bei alkalischer Reaktion bis zu den kristallisier¬
baren Amidosäuren zu spalten, als eine Eigentümlichkeit des
Trypsins. Die bekanntesten der Amidosäuren sind das Leucin
und Tyrosin. Sie entstehen nach K ii h n e bei der tryptischen Ver¬
dauung aus dem zunächst gebildeten Pepton. Da demnach unter
obigen Bedingungen und bei Ausschluss der Fäulnis der Nachweis
einer reichlichen Bildung von Tyrosin gleichbedeutend ist mit dem
Nachweis des Trypsins, so empfiehlt S. bei der Untersuchung der-
artiger Flüssigkeiten folgendes Vorgeben:
In starkwandigen Reagensgläsern oder anderen gut ver-
scliliessbaren Gläsern setzt man an: a) etwa 5 ccm einer 25 bis
30 proz.. mit Soda, schwach alkalisierten Lösung von Wittepepton
mit einigen Kubikzentimeter der zu prüfenden Flüssigkeit und
einigen Tropfen Chloroform; b) 5 ccm derselben Peptonlösung,
etwas Chloroform und soviel mit Soda schwach alkalisierten
M asseis wie bei ,,a)‘ von der zu prüfenden Flüssigkeit genommen
wurde; c) eine kleine Menge Fibrin und einige Kubikzentimeter
der zu prüfenden Flüssigkeit und etwas Chloroform; d) die gleiche
Menge Fibrin, etwas Chloroform und ebensoviel mit Soda schwach
alkalisierten Wassers wie bei ,,c)“ von der zu prüfenden Flüssig¬
keit genommen wurde; e) die gleiche Menge Fibrin, etwas Chloro-
fonn und ebensoviel von der zuerst aufgekochten Flüssigkeit Avie
bei ,,d)“. (Zur Prüfung auf diastatisches und fettspaltendes Fer¬
ment setzt man in üblicher Weise einige Proben mit Stärkekleister
und einige mit neutralem Olivenöl an.)
Die Proben werden kräftig durchgeschüttelt und gut ver¬
schlossen in den Brutschrank gestellt. Ist Trypsin in grösserer
Menge vorhanden, so tritt innerhalb 24 Stunden in Probe „a“ reich¬
liche Ausscheidung von Tyrosin ein, bei Gegenwart sehr geringer
Mengen von Trypsin dauert es dagegen länger; auch sind dann
die Tyrosindrusen kleiner, immer aber bei mikroskopischer Be¬
trachtung leicht zu erkennen.
Ist es auch nach 48 ständigem Verweilen im Brutschrank in
der Probe ,,a“ noch nicht zur Bildung ATon Tyrosindrusen ge¬
kommen, so lässt man sie noch einige Zeit bei gewöhnlicher Tem¬
peratur stehen, damit sich etwa in Lösung befindliche kleine Mengen
von Tyrosin ausscheiden. BisAveilen kann man solche auch da¬
durch zur Ausscheidung bringen, dass man die Flüssigkeit ein¬
dampft, bis sich an der Oberfläche eine Haut zu bilden beginnt,
und dann erkalten lässt. S. konnte auf letzterem M7ege nach
20 ständigem Stehen im Brutschrank noch bei einer Mischung aus
10 Tropfen Peptonlösung, 3 Tropfen Sekret, 2 Tropfen Chloroform,
0,02 g getrockneter Soda und 5 ccm Wasser eine deutliche Tyrosin¬
ausscheidung konstatieren. Der feine kreidige Niederschlag be¬
stand bei mikroskopischer Betrachtung aus einer grossen Anzahl
schöner Drusen von feinen Tyrosinnadeln. Bei Anwendung des
unverdünnten Sekrets liess sich der NacliAveis der Tyrosinbildung
schon in der Art führen, dass ein Tropfen Peptonlösung mit einem
Tropfen Sekret, in einen hohlgeschliffenen Objektträger gebracht,
gemischt, etwa die Hälfte mit Fliesspapier abgesogen, dann ein
Deckglas aufgelegt und das ganze etwa 20 Stunden in den Brut¬
schrank gestellt wurde. Es fanden sich dann in grösserer Zahl
weisse bis etwa y2 mm im Durchmesser haltende Tyrosindrusen,
die mikroskopisch leicht zu identifizieren Avaren.
Das zu den Versuchen benutzte Wittepepton erwies sich als
genügend rein; denn es gelang nicht, in G g der trockenen Substanz
1 y ros in aufzufinden. Ebenso kam der normale Tyrosingehalt des
Sekrets nicht in Betracht, da er sich in diesen überhaupt erst bei
I ntersuehung einer grösseren Portion nachweisen liess. Hat man
auf keine M7eise eine Ausscheidung von Tyrosin erhalten, so kann
der Tyrosingehalt des Sekrets nur sehr gering sein, und man ist
dann gezAvungen, in der bisher üblichen umständlichen MTeise den
Nachweis des Tyrosins zu führen. Man überzeugt sich, ob in
1 robe „c“ das Fibrin in der charakteristischen Weise „angefressen“
ist und prüft dann die Probe „c“, „d“ und ,,e“ in bekannter Art
vergleichend auf etwa vorhandene Spaltungsprodukte des Fibrins.
Ein etAvaiger Gehalt des zu untersuchenden Sekrets an Tyrosin er¬
schwert die Untersuchung nicht. Erhebliche Mengen Tyrosin
durften sich nur in trypsinreichen Sekreten finden, und bei solchen
liefert die unter „a“ angegebene Probe ein eindeutiges Resultat;
em minimaler Tyrosingehalt des Sekrets macht sich aber bei obiger
V ersuchanordnung überhaupt nicht bemerklich. Zur genauen
Indentifizierung der bei den verschiedenen Versuchen gebildeten
1865
Tyrosinkristalle bediente sich S. der Piriaschen und Ilof-
mann sehen Probe. Eine ausführliche Beschreibung hierher¬
gehöriger Versuche, sowie der Eigenschaften des dabei' benutzten
Pankreassekrets stellt S. in Aussicht.
Diskussion: Herr Schmilinsky fragt an, wie das
Pankreassekret desinfiziert sei.
Herr S c li u m m: Beim Desinfizieren von Pankreassaft müsse
man sehr vorsichtig sein. Er hat demselben 1 Prom. Sublimat¬
lösung zugesetzt, wonach keine Fällungen entstehen. Später hat
S. nach S a 1 k o w sky Chloroform benutzt, wodurch das bei
Sublimat eintretende Dunkelwerden der Präparate vermieden wird
Herr U n n a erwähnt, dass Salko w sky die Chloroform¬
methode nicht erfunden habe, sondern dass dieselbe schon früher
von ihm selbst und M i e 1 c k angewandt und auch publiziert sei.
Herr Embden: Ausser dem genannten hat die Chloroform -
methode noch einen Vorzug; das Chloroform fällt Blutfarbstoff
und stellt so aus dem oft mit Blut untermischten Pankreassaft
eine klare Lösung her. Die Methode ist von Salko w sky zuerst
veröffentlicht, allerdings schon früher im Eppendorfer Kranken¬
hause angewandt worden.
Herr Schümm: Bei geringen Blutmengen ist die Methode
von Nutzen, grosse Mengen dagegen erzeugen eine gallertige Fäl¬
lung. Er empfiehlt, das Sekret gut zu filtrieren, damit keine Fctt-
kristalle hineingeraten.
Herr Adam: Demonstration eines Präparates von einem
in den Hauptbronchus des linken unteren Lungenlappens durch¬
gebrochenen periösophagealen Abszess. Diagnostiziert Avar diese
Kommunikation von Oesophagus und Bronchus aus der Heftigkeit,
mit der jede auch flüssige Nahrung Hustenstösse auslöste, es war
jedoch angenommen Avorden, dass ein erweichtes Oesophagus¬
karzinom die Verbindung hervorgerufen habe. Der Abszess sass
an einem Oesophagusdivertikel.
Diskussion: Herr Fraenkel hat einige Präparate der
Art beobachtet, Avie Herr Adam vorgestellt hat. Zweimal waren
es zufällige Sektionsbefunde, ein Beweis, dass eine solche Kom¬
munikation nicht stets Besclnverden zu machen braucht. Fehlt
der Hustenreiz beim Schlucken, so muss man allerdings annehmen,
dass die Kommunikation ganz allmählich entstanden und ein ge¬
schlängelter Weg zwischen beiden Organen vorhanden ist. Die
Deutung Herrn A d a m s hält er auch für die nächstliegende, dass
es sich nämlich entweder um ein Divertikel oder um einen entzünd¬
lichen Prozess gehandelt hat, sowie dass die Affektion des Oeso¬
phagus das Primäre war.
II. Vortrag des Herrn Unna: Ueber eine Modifikation der
Pappe n heim sehen Färbung auf Granoplasma und deren
Anwendungsgebiet.
Dieselbe bedient sich einer Mischung von Lösungen des
Methylgrüns und Pyronins zu einer einzeitigen Doppelfärbung
und, wenn Schnitte gefärbt werden, einer nachträglichen Beize
mit einer Resorcinlösung. Diese Methode wurde von U n n a
dahin vereinfacht, dass er die notwendige Beize gleich der
Farbmischung zusetzte; unter den dazu brauchbaren Beizen:
Resorcin, Karbolsäure, Formalin erwies sich als beste die
Karbolsäure als Vz proz. Zusatz. Die Sicherheit des
Erfolges Avurde durch ein viel höheres prozentuales Verhältnis
des Pyronins 5:3 Methylgrün vermehrt (statt 1 : 3 in
der ursprünglichen Vorschrift). Danach lautet IT nnas Formel
der P appenheim sehen Mischung :
Methylgrün
0,15
Plvronin
0,25
Alkohol
2,50
Glyzerin
20,10
V 2 proz Karbolwass
mrad 100,0
Hierin werden die nur in Alkohol gehärteten und in
Celloidin geschnittenen Gewebe 10 Minuten gefärbt, dann in
Alkohol entwässert und in Bergamottöl auf gehellt. An so ge¬
färbten Schnitten ist jedoch das Granoplasma weniger tief ge¬
färbt als an solchen, die mit polychromer Methylenlösung ge¬
färbt sind. Dieser tinktoriellen Schwäche des Pyronins wird
abgeholfen durch eine Färbung in der Wärme (30 — 40 0 C.
5 Minuten) und rasches Abkühlen der gefärbten Schnitte.
Die P appenheim sehe Methode Avurde ursprünglich er¬
sonnen, um Lymphocyten zu färben, und dann für Plasmazellen
gebraucht. Diese Spezialfälle ordnen sich aber der allge¬
meinen Indikation unter. Kernchromatin und
Granoplasma tinktoriell zu trennen. Diese kommt
Avieder hauptsächlich für das sclnvierige Studium der kleinen
P lasmazellen (Plasmatochterzellen) in Betracht, bei denen
alles auf dife gute Färbung der kleinen Granoplasmareste neben
stark tingiblcn Kernen ankommt. Hierbei erleichtert der prä¬
zise Farbenkontrast im kleinsten Raume das Studium, ohne dass
sich wesentlich neue Resultate ergäben. Eine wichtigere dia¬
gnostische Bedeutung hat die Färbungsmethode aber
bei dem Studium der Zellbröckel und Zellabkömm-
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
1866
1 i n g e, die sich frei im Gewebe befinden ; sie lehrt auf das ein¬
fachste ihre Herkunft aus dem Granoplasma der Zellenleiber
oder dem Kernchromatin erkennen. Nächst der Konstatierung;
von Kerncliromatin und Granoplasma steht als zweitwichtigste
die zwischen Kern chromatin und schwer färb¬
baren Bazillen. Das Prototyp für diese Anwendung liefert
der Streptobazillus des weichen Schankers,
dessen erste Entdeckung bekanntlich IT n n a auch nur auf Grund
seiner Protoplasmafärbmethoden gelang. Die modifizierte
Pappenheim sehe Färbung gibt nun bei einfacher Alkohol¬
fixation direkt schon so scharf kontrastierende Bilder des
Streptobazillus, wie die Methylenblaufärbung erst bei Formalin¬
fixation und nachträglicher Tannin-Orange-Entfärbung.
In dritter Linie kommt für die neue Färbung das alte
Problem in Betracht : Kokken und Kernchromatin
tinktoriell zu differenzieren, speziell bei den Staphylo¬
kokken inmitten von Eiter mengen. Hier reiht
sich die Methode ebenbürtig und als die einfachere den Gen¬
tiana- Jod-Methoden an. Ja, sie ist diesen noch in Bezug auf
das feinere Detail der toxischen Wirkung der Staphylokokken
überlegen, indem sie zeigt, dass in nächster Nähe der Kokken
die Kerne der absterbenden Leukoeyten ihr Chromatin in diffuser
Weise an die Leiber der Leukoeyten abgeben.
Im Anschlüsse an diese 3 Hauptindikationen der neuen
Färbemethode bespricht Herr Tnna noch ihre Anwendung zur
Färbung der Krusten, des Gonokokkeneiters und
zum Studium der Kernkörperchen und des K e r a to¬
ll y a 1 i n s.
Diskussion: Herr Pappenheim: Die Ausführungen
des Herrn U n n a haben mich begreiflicherweise mit grosser Ge¬
nugtuung erfüllt. Wenn eine Autorität, ein anerkannter Meister
der Technik, wie IT n n a. eine Methode der Anwendung und Kul¬
tivierung für wert befindet, so darf ihr Erfolg wohl als von vorn¬
herein gesichert gelten; die Verwendung der konzentrierten Me-
thylgrün-Pyroninfärbung zur differenziellen Analyse der sogen.
C h r o m atin sc h m elze seitens U n n a, so bei Rotz, Typhus¬
roseolen etc., war eine seinerzeit von mir noch gar nicht geahnte.
Hinsichtlich der „Plasmazellen“ haben nun die Bemüh¬
ungen IT n n a s erreicht, dass nunmehr auch die schmalen em¬
pfindlichen Cytoplasmen der kleinen Tochterzellen den ba¬
sischen Farbstoff festlialten. was mir seinerzeit in diesem Um¬
fang noch nicht gelungen war. Aus diesem tinktorielleri
Verhalten a 1 1 e i n indes einen Schluss herzuleiten, dass diese
Gebilde „Plasmazellen“, d. h. bindegewebige Elemente und
keine Blutlymphocyten seien, halte ich nicht für berechtigt. Ich
habe in dieser neuen Modifikation noch keine Erfahrung; ich stehe
indessen keinen Augenblick an, zu behaupten, dass die Methode
in ihrer jetzigen Form auf lymphoide Organe angewendet — wa s
bisher noch nicht geschehen ist — daselbst die Lymphocyten eben¬
falls als ,, Plasmazellen“ wird erscheinen lassen. In Schnittpräpa¬
raten ist solches bisher von mir ebenfalls noch nicht erzielt worden.
Tch habe Ihnen unter dem Mikroskop einen Tonsillenschnitt
aufgestellt. Sie sehen schon mit mittelstarken Vergrösserungen,
dass sich in den Follikeln nur die grossen Keimzentrumszellen wie
..Plasmazellen“ verhalten, dagegen die kleinen Tochterzellen der
Peripherie vorwiegend nur Kernfärbung aufweisen. Auf dem
Deckglaspräparat finden Sie dagegen, wie das Blutpräparat von
Lymphocytoseleukämie demonstriert, dass auch die kleinen
Lymphocyten ebenso wie die grossen Pyroninreaktion (Plasma¬
reaktion) aufweisen.
Es besteht also eine vollständige Analogie zwischen Plasma¬
zellen und Lymphocyten, und zwar verhalten sich die grossem
Plasmazellen wie die grossen Lymphocyten der Keimzentren blut¬
bildender Organe, die kleinen Tochterzellen Avie die kleinen
Lymphocyten des Blutes.
Dastink torieile Verhalten der Plasmazellen
allein berechtigt also nicht, diese Gebilde als
e t. w a s Besonderes, als nicht hä m a t o g e n e, i. e.
histiogene Gebilde anzusprechen.
Umgekehrt aber bestreite ich entschiede n,
dass wegen des tinktoriell und morphologisch
gleichen Verhaltens die Plasmazelle n, i. e. d i e
Rund zellen des granulierenden Bindegewebes
als basale, ausge av änderte B 1 u 1 1 y mphocyte n
angesprochen w e r d e n d iirfen: Ein Zwilling, ein
Doppelgänger kann ja freilich leicht mit seinem Ebenbild Arer-
wechselt werden, dieses alter ego ist doch aber eine zweite In¬
dividualität und nicht mit seinem Ebenbild identisch, geht auch
aus ihm nicht hervor. Und wenn den Lymphocyten, aa'us in letzter
Zeit geschehen ist, noch so sehr Lokomobilität zuzuerkennen ist,
eine Tatsache, die in unversöhnlichem Widerstreit allerdings zu
einem der obersten Axiome der Ehrlich sehen Hämatologie
steht, für die allgemein pathologische Lehre der Bindegewebs-
granulatiou sind daraus keine Konsequenzen herzuleiten.
Hier sind es A'or allem z aat e i andere Tatsachen, die
vornehmlich gegen die Lehre \r. Baumgartens
sprechen, dass die Rundzellen der sogen, kleinzelligen Infil¬
tration nur vom Blut ausgewanderte Exsudatzellen seien;
erstens das Fa k t um, dass man im Eiter grosse
L y m phocyten findet, die, im Gegensatz zu den kleinen,
bekanntlich im Blut selten fehlen — ein ansgestelltes Präparat*)
von Gonorrhöe veranschaulicht diese Verhältnisse und an Schnitten
von Ule. molle sieht man, Avieso diese grossen Lymphocyten in
das Exsudat gelangen. (Der Exsudatstern selbst besteht aus poly¬
nukleären Leukoeyten, er reisst aber von den mit Plasmazellen
„infiltrierten“ Geschwürs rändern grosse Plasmazellen mit
sich.) Zweitens ist es Ar ö 1 1 i g unerklärlich, aat i e
die L y m phocyten durch dicke Arterien av ä n d e
li indurch emigrieren solle n, da doch Emigration nur
an Kapillaren der kleinen Venen statthat. Aber gerade um Ar¬
terien herum findet man im Granulationsgewebe Plasmazellen¬
anhäufung. Bei einer normalen Milz hat noch kein Mensch be¬
hauptet, dass die Lymphocyten der auf den Pinselarterien sitzen¬
den M a 1 p i g h i sehen Follikel aus der Arterie ausgewanderte
Zellen seien; bei den ganz homologen Granulomen tut man es un¬
begreiflicherweise.
Hier bleibt nichts übrig, als die Feststel-
1 u n g e n M a r c h a n d s z u r E rklärungheranzuziehe n,
der zeigte, dass bei der Infiltration gewisser Zellen der Ad vent.it ia
eine Brut lymphocytenähnlicher Elemente entsteht, dass es sich
also um periarteriitische Herde handelt. Somit halten auch AA'ir
die Plasmazellen der Granulation für lokal entstandene autochthone
Elemente, für Bildungszellen des Gewebes selbst, für Abkömm¬
linge fixer Strumazellen. Sie sind Lymphocyten ähnlich, können
aber keine Blutlymphocyten sein, sondern sind nur lymplio-
c y t o i d e Elemente oder allenfalls — diese äusserliche Kon¬
zession bin ich zu machen bereit — , Avenn „lymphocyt“ nur einen
morphologischen Begriff ohne g e w e b s genea¬
logischen Index bedeutet (denn auch Plasmazellen können
ins Blut, geraten und dort als „Lymphocyten“ figurieren), dann
sind die Plasmazellen der Bindegewebsgranu-
1 a t i o n nicht „h ämatogene Lymphocyte n“, s o n -
d o r n „h istiogene Lymphocyte n“. Dadurch bleibt aber
die Anschauung U n n a. s gewahrt, dass ein Gra n ulo m kein
I n f i 1 t r a t, s ondern ein Neoplasma i s t.
Herr Fraenkel fragt, ob die Methode anwendbar sei ohne
Rücksicht auf die Art der Fixierung der Präparate.
Herr IT n n a: Zur Granoplasmafärbung ist eine Härtung der
Präparate in reinstem Alkohol notwendig. Formol, Sublimat, be¬
sonders Tannin sind schädlich, da sie mit dem Granoplasma Ver¬
bindungen eingehen, welche nur diffus färbbar sind. Dann färben
sich natürlich nur grobe Dinge, feinere Einzelheiten sind nicht
erkennbar.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 29. Oktober 1902.
Gedächtnisfeier für Rudolf Virchow.
In dem zweckentsprechend geschmückten Saale des Langen-
beckhauses Areranstaltete die medizinische Gesellschaft eine ihres
verstorbenen Ehrenpräsidenten würdige Gedächtnisfeier.
Etwa 800 Aerzte, darunter die Jugendfreunde Virohows,
Körte sen., Langerhans, der Stadtverordnetenvorsteher,
und N e u m a n n, dann die meisten Angehörigen der Fakultät,
der Rektor der Universität, Gierke, der Kultusminister
Dr. S t u d t mit mehreren seiner Räte, die Spitzen des Sanitäts¬
korps der Armee und endlich die Gattin des Verstorbenen mit
den übrigen liier lebenden Familienmitgliedern Avaren anwesend.
Nach einem Liede des Domchors ergriff Exz. v. Berg-
m a n n das Wort zu einer kurzen, tiefempfundenen Ansprache,,
in welcher er das Verhältnis V ireho ws zu der medi¬
zinischen Gesellschaft schilderte, der er 42 Jahre und
darunter den grösseren Teil als Präsident angehörte.
Nach dem Liede „Integer vitae“ hielt Herr Prof. Orth,
der Amtnachfolger Virchows, die eigentliche Gedächt¬
nisrede und entledigte sich in meisterhafter Weise der
schwierigen Aufgabe, die so oft geschilderten und darum all¬
bekannten Züge des Lebensbildes Virchows aufs Neue in
fesselnder Weise zu einem objektiven, von allen Uebertreibungcn
freien Bilde des unvergleichlichen Mannes zusammenzufassen.
Ein weiterer Gesang schloss die erhebende Feier.
Hans Koh n.
*) Hier siebt man auch die Doppelfärbung der Zellkerne (grün)
und Gonokokken (rot).
4. November 1902.
MTIEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1867
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 28. April 1902.
Vorsitzender : Herr Hochhaus.
Schriftführer : Herr Schulte.
Herr F. Cahen: Chirurgische Demonstrationen.
1. Multiple Karzinose des Gesichtes.
C. zeigt die Photographie einer 58 jährigen Frau mit 3 von¬
einander getrennten Krebsgeschwülsten der linken Gesichtsseite.
3 derselben von Markstückgrösse am unteren Augenlid und an der
linken Nasenseite zeigen das ausgeprägte Bild des Ulcus
roden s. Eine dritte, handflächengrosse, pilzförmige Geschwulst
mit zerklüfteter, leicht blutender Oberfläche nimmt den Raum zwi¬
schen der linken Augenbraue und der Haargrenze ein. Keine
nachweisbaren Drüsenschwellungen, ziemlich gutes Allgemein¬
befinden. Die Haut der Patientin weist zahlreiche, auf dem
ganzen Körper zerstreute Pigmentflecken, sowie kleine Angiome
von wechselnder Grösse auf. — Ueber die zeitliche Entwickelung
der Gesichtstumoren liess sich nichts Sicheres feststellen. Eine
operative Hilfe wurde verweigert.
Es handelt sich in diesem Fall um das gleichzeitige
Auftreten zweier verschiedener Karzin o in -
arten der Gesichtshaut in unmittelbarer Nachbarschaft von¬
einander. Wenn auch für eines der beiden Kankroide die Möglich¬
keit der Implantation vom andern zugegeben werden muss, so ist
der Stirntumor sicherlich eine gleichzeitige, primäre Karzinom¬
entwickelung.
Die in der Literatur niedergelegten Beobachtungen von mul¬
tiplem, primären Karzinom sind in der Mehrzahl der Fälle ent¬
weder Impfmetastasen derart, dass z. B. Plattenkrebse des Ge¬
sichts, der Speiseröhre oder Zunge sekundäre Tumoren im Magen
verursachten oder unabhängig voneinander an zwei verschiedenen
Organen aufgetretene verschiedene Karzinomarten. Der vor¬
liegende Fall hat am meisten Aehnliehkeit mit dem von
Schimmelbusc h beschriebenen Augenlid d r ii s e n •
k rebs bei gleichzeitigem Auftreten zweier Ho r n krebse
der Wange.
2. Luxation des Os lunatum.
C. demonstriert die Röntgenbilder eines derartigen Falles.
Dieselben stammen von einem 28 jährigen Patienten, der am
20. I. 1902 7 m hoch von einem Gerüst herabgestürzt war. Be¬
fund vom 0. III.: Der linke Vorderarm des muskelkräftigen
Mannes zeigt eine Abmagerung gegenüber dem rechten, das linke
Handgelenk verbreitert und verdickt. Umfang desselben distal-
wärts von dem Proc. styloideus gemessen links 19, rechts 1(5,5 cm.
Beim Abtasten der Vorderarmknochen keine Veränderung. In der
ttegend der ersten Handwurzelreihe, ungefähr in der Mitte ein
Knochenvorsprung, welcher die Beugesehnen vorwölbt. In/
Handgelenk ist aktiv Volar- und Dorsalflexion um ca. 20 *
möglich, passiv ist die Dorsalflexion frei, die Volarflexion bis
20° ausführbar. Die Bewegungen der Finger sind passiv
unbehindert, aktiv ist die Streckung der Finger in normalem
Umfang auszuführen, die Beugung derselben dagegen stark be¬
hindert. Auf der Volarfläche der Hand und der Finger bestehen
Sensibilitätsstörungen genau dem Gebiet des N. medianus ent¬
sprechend. Von den vorliegenden Photogrammen zeigt das kleine
bei der Durchleuchtung der Hand von der Dorsalseite, dass das
Os lunatum zum Teil von dem Os capitatum und Os hamatum
überlagert ist. Eine Aufnahme in Mittelstellung der Hand und
Beleuchtung von oben lässt die ungemein starke Verbreiterung
des Handgelenks sehr deutlich erkennen. Dem Verletzten wurde
die Exzision des Os lunat. angeraten. Er war jedoch zu keinem
operativen Eingriff zu bewegen.
3. Vortr. zeigt die nach dem Pick sehen Verfahren konser¬
vierten Präparate eines gangränösen Darm wandbruches und eines
faustgrossen Karzinoms des Colon descendens, bei denen durch
Vereinigung der resezierten Darmenden mittels Murphyknopf
glatte Heilung erzielt wurde.
4. Ueber einen Fall von Gehirnabszess.
Das vorliegende Gehirn entstammt der Sektion eines 39 jälir.
Brunnenbauers, der am 18. N. 1901 in einen Brunnen lieh Hinter¬
herstürzende Steine brachten ihm 5 Kopfwunden bei. Er wurde
auswärts behandelt und am 25. XII. mit einer fistulösen Narbe
über dem 1. Stirnbein in unser Krankenhaus aufgenommen.
Freilegung der Wunde in Narkose ergab, dass ein ca. 3 Mark¬
stück grosses Stück des Schädels vollständig losgesprengt unter
das Schädeldach deprimiert und gänzlich nekrotisch war. Das¬
selbe lag rings von Eiter umspült losgelöst auf der Dura und
wurde nach ausgiebiger Trepanation entfernt. 5 Wochen später,
24. XII., nachdem die Wunde sich gereinigt hatte, wurde der De¬
fekt im Schädel durch eine Müller sehe Knochenplastik ge¬
schlossen.
2 Tage nach dieser Operation zeigten sich Störungen des All¬
gemeinbefindens; am 1. II. motorische Aphasie, rechtsseitige Fa¬
zialisparese; kein Fieber, keine Pulsverlangsamung. In der An¬
nahme einer Schädigung des Gehirns durch die Knochenplastik
werden die Nähte gelöst, der Lappen zurückgeklappt. Aphasie
und Fazialisparese gehen zurück, der Kranke erholt sich soweit,
dass er das Bett verlassen kann; der blossliegende Knochen des
Knochenlappens wird nekrotisch und daher abgetragen.
Am 14. ir. abermalige motorische Aphasie, Parese des r. Fa-
zialis und rechten Armes. Patellarreflex r. gesteigert, ln der An¬
nahme eines Hirnabszesses wird die Schädelöffnung in
Narkose nach hinten und nach der Schläfe hin erweitert. Die
Dura pulsiert überall. Nach Spaltung der Dura dringen reichliche
Mengen Eiters hervor. Die Dura ist in der Gegend der II. und
II I. Stirn Windung mit der Pia verwachsen; hier findet sich ein
P 1 1 il 11 111 engrosser Hir n a bszess mit der Längsachse
nach hinten unten. Breite Eröffnung desselben und Tamponade
mit Jodoform gaze, die nach Verlauf von 2 Tagen durch Drainage
ersetzt wird.
Die Hirnerscheinungen bildeten sich zunächst zurück. Das
Allgemeinbefinden besserte sich und wir glaubten den Kranken
auf dem Wege zur Heilung, da traten am 3. III. abermals die
oben beschriebenen Ausfallssymptome auf in ausgedehnterem
Masse als zuvor; motorische und sensorische Aphasie, Lähmung
des rechten Fazialis, Armes und Beines; dazu gesellte sich all¬
mählich zunehmende Benommenheit. Kein Fieber, keine Pulsver¬
langsamung. Augenhintergrund unverändert. Die Erscheinungen
wiesen auf eine abermalige Eiteransammlung im Gehirn hin, aber
alle Versuche, durch Probepunktion nach den verschiedensten
Richtungen Eiter zu aspirieren, schlugen fehl. Da der Zustand
des Kranken sich von Tag zu Tag verschlechterte, wurde am
10. III. durch eine ausgedehnte osteoplastische Lappenbildung die
Gegend der Zentralwindung freigelegt, aber auch hier nirgendwo
Eiter gefunden. Am 14. III. Exitus.
Die Sektion zeigte uns den Abszess da, wo wir ihn nicht ver¬
mutet hatten. Sie sehen hier eine kugelige, kleine, apfelgrosse
Abszesshöhle von 5 cm Durchmesser im vordersten medialen Teil
der weissen Substanz des Stirnhirns. Die Reste des ersten ope¬
rativ eröffneten, nahezu völlig ausgeheilten Abszesses finden sich
in Gestalt eines 2 cm langen, engen, fistulösen Ganges in der
dritten Stirnwindung; eine Kommunikation zwischen den beiden
Herden lässt sich bei genauester Prüfung nicht nachweisen.
Das Interesse der Beobachtung besteht einmal in dem Auf¬
treten zweier getrennter Stirnabszesse, andrerseits in
der schwierige n Lokalisation u n d A u f f i n d u n g
des zweiten Abszesses. Alle Erscheinungen sprachen
dafür, den Abszess in der Nähe der Zentralwindung zu suchen;
es erschien uns unwahrscheinlich, dass die Lähmungssymptome
durch Fernwirkung auf die innere Kapsel bedingt waren. Diese
Ueberlegnng erwies sich bei der Sektion als irrig; der grosse un-
eröffnete Abszess in der Marksubstanz des Stirnhirns hatte, offen¬
bar in ähnlicher Weise, wie es neuerdings von den Abszessen
des Schläfenlappens angenommen wird, Störungen im Blut- und
Lymplistrom der inneren Kapsel und dadurch die Ausfall¬
erscheinungen herbeigeführt.
Herr Huismanns:
1. demonstriert einen selten grossen Tumor lienis leucae-
micus, welcher in vivo unten bis zur Symphysis pubis, oben die
Zwerchfellkuppel hinaufdrängend bis zur linken 3. Rippe reichte;
2. führt 2 Patienten mit gekreuzten Adduktorenreflexen bei
Syringomyelie und Neuritis iseliiadica vor. (Der Vortrag erscheint
in extenso in der Deutsch, med. Wochenschr.)
3. spricht über das Thema: Trauma, Myelitis, Syringo¬
myelie.
II. betont, dass er von der Annahme einer Neuritis ascendens
als Bindeglied zwischen Trauma und Rückenmarkserkrankung
zurückgekommen ist, und begründet diese Ansicht.
Bezüglich des anatomischen Prozesses bei der Syringomyelie
erwähnt er die Arbeiten von W e s t p h a 1, Schultze u. a.
und kommt zu dem Resultate:
Das Bild der Syringomyelie kann durch Gliome (oder durch
Sekundärinfektion einer Blutung im Rückenmark V) hervor-
gerufen werden. In den meisten Fällen aber liegt demselben
eine chronisch-progrediente, in Erweichung übergehende in¬
fektiöse Myelitis im Anschluss an Embolie resp. Thrombose der
zentralen Gefässe des Zervikalmarkes zu Grunde.
Weitere Einzelheiten, auch bezüglich der Frage, weshalb
die Arthropathien bei der Syringomyelie in dem oberen, bei der
Tabes in dem unteren Extremitätengürtel sich zuerst zeigen,
siehe Zeitschr. f. klin. Med., in welcher der Vortrag ausführlich
veröffentlicht werden wird.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
(Sommersemester 1902.)
Herr Schloff er: Annäherung abstehender Ohren auf
operativem Wege an den Kopf.
Herr v. Jaksch demonstriert einen hochgradig anämi¬
schen Patienten, bei dem Ankylostoma duod. im Stuhle gefunden
wurde. Im Blute geringer Grad von Poikilocytose, hingegen be¬
deutende Vermehrung der eosinophilen Zellen. Er seliliesst sich
deshalb der Ansicht an, dass die Erscheinungen nicht allein durch
den Blutverlust hervorgerufen werden, sondern dadurch, dass die
I Tiere ein Ferment produzieren, welches giftig wirkt und eine
MÜENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
1868
Heizung in denjenigen Organen liervorruft, welche als Bildungs¬
stätten der eosinophilen polynukleären Leukocyten anzusehen sind.
Die angestellten Stoffwechseluntersuchungen haben keine wesent¬
lichen Veränderungen ergeben.
Herr C h i a r i : TJ eher Darmstrikturen, durch sekundäres
Peritonealkarzinom bedingt.
Herr P e t r i n a demonstriert einen Fall von Stenosis art.
pulm. mit Offenbleiben des Ductus Botalli. Bemerkenswert das
Alter des Pat. (24 Jahre) und die geringen Störungen, die er auf
das Offenbleiben des D. B. zurückführt.
Herr Winternitz demonstriert 1. Kopfhaare eines
Knaben, die an ihren Schnittenden verdickt sind. Die Verdickung
lässt sich mikroskopisch in Reinkulturen von Bazillen auflösen.
2. Eine Patientin, bei der früher eine Alopecia areata vorhanden
war, und bei der die nachgewachsenen Haare vollständig weiss
sind.
Herr Tauber spricht über Hämoglobinurie nach geplatz¬
ter Tubargravidität. Bei einer 35 jährigen Pat., bei der die Dia¬
gnose auf Tubarabort gestellt wurde, trat unter Fieber am 3. Tage
eine dunkelrote Färbung des Harnes ein, der eine intensive Blut¬
reaktion, im mikroskopischen Bilde nur eine geringe Anzahl roter
Blutkörperchen zeigte. Nachdem Tauber alle anderen Momente
(Nephritis, paroxysmale Albuminurie oder Durchbruch des Extra¬
vasates in die Blase) ausschliesst, nimmt er als Erklärung das
Auftreten von Autolysinen an, denen der Organismus bei der
schnellen Resorption des Blutes und der grossen Menge desselben
keine Antiautolysine entgegensetzen konnte.
Herr Fritz 24 e u m a n n hat eine über wallnussgrosse Zahn-
wurzelcyste durch Paraffininjektionen zur Heilung gebracht und
rühmt den therapeutischen und kosmetischen Effekt.
Herr Klein ha ns demonstriert ein 4 jähriges Mädchen,
welches mit Ablauf des ersten Lebensjahres regelmässig men¬
struiert wird. Brüste gut entwickelt, Pubes schwarz behaart.
Körperlänge 112 cm. Becken breit, nähert sich in seiner Form dem
der Erwachsenen.
Herr v. Ritter zeigt einen geheilten Fall von Atresia
laryngis ex intubatione.
Herr Springer demonstriert ein 13 Monate altes Mädchen
mit ausgebreiteter Nekrose an Stirne und Hinterhaupt, ent¬
sprechend den Touren einer Mitra. Als Ursache sieht er Er¬
nährungsstörungen infolge eines Magendarmkatarrhes an.
2. einen Fall von durch Laparotomie geheilter retroperitonealer
Cyste bei einem 8 jährigen Knaben. 3. Ein Präparat von Echino¬
kokkus der rechten Pleurahöhle (nach Durchbruch von der Leber),
der durch Resektion zweier Rippen, Drainage und Tamponade in
toto zum Abstossen gebracht wurde.
Herr Leo Schwarz zeigt 1. eine Patientin mit doppel¬
seitiger Lähmung der Stimmritzenerweiterer (Paresis bilat.
musc. cricoarythenoid. post.) nach Abkühlung; 2. einen 20jähr.
Mann mit Friedreich scher Ataxie, bei dem das späte Ein¬
setzen der Erkrankung und der Umstand, dass er bis jetzt das
einzige kranke Mitglied der Familie ist, bemerkenswert erscheint;
3. einen Fall von Polyneuritis alkoh. mit Stereoagnosie.
Herr Friedei Pick spricht über die Beeinflussung des Ge-
fässtonus durch mechanische und thermische Mittel. (Vergl.
Bericht des internen Kongresses. Münch, med. Wochenschr.
No. 18, S. 766, 1902.)
Herr Schenk stellt eine 30jährige, im VIII. Monate gra¬
vide Frau vor mit acquirierter Stenose der Vagina. Die Scheide
ist am Uebergange in das obere Drittel durch eine Membran ver¬
legt, in deren Mitte sich eine feine Oeffnung befindet, durch die
sich eiterähnliches Sekret entleert. Die Stenose ist auf eine im
18. Lebensjahre durchgemachte Blatternerkrankung zurückzu¬
führen.
Herr R. W. Raudnitz: Experimenteller Nystagmus.
R. hat bereits vor 7 Jahren eine Theorie des Spasmus nutans ent-
wi ekelt, welchen er als Analogon des Nystagmus der Bergleute,
hervorgerufen durch Finsterheit der Wohnung, hinstellte. Aus¬
gehend von der Tatsache, dass zentrale Makeln der Hornhaut beim
Menschen Nystagmus zur Folge haben, hat R. solche Trübungen
bei 3 16 tägigen Hündchen sowohl ein- als auch beiderseits er¬
zeugt. Trotzdem 2 Hunde 1 Jahr lebten, zeigten sie keine beson¬
deren Erscheinungen. Im heurigen Frühjahre wurden nun
2 Hunde desselben Wurfes vom 14. Lebenstage an in verhängten
Käfigen, 2 im Freien gehalten. 2 Monate nach Beginn des Ex¬
perimentes boten die 2 Duukeltiere schönen horizontalen Nystag¬
mus. Derselbe verlor sich, als das Tier ins Freie gelassen wurde,
in den nächsten 3 Wochen, um bei neuem Dunkelarreste wieder¬
zukehren. Es scheint daraus hervorzugehen, dass es nicht Ueber-
müdung, sondern der Ausfall regulatorischer Gesichtseindrücke
ist, welcher den Spasmus nutans erzeugt. Bei dem Nystagmus der
Bergleute scheint ausserdem noch Uebermiidung eine gewisse Rolle
zu spielen. O. W.
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Clinical Society of London.
Sitzung vom 10. Oktober 1902.
Die nasale Behandlung des Asthmas.
A. F r a n c i s - Brisbane (Australien) führte aus, dass seinen
Erfahrungen nach, entgegen der Auffassung der meisten Rliino-
logen diejenigen Fälle von Asthma einer nasalen Behandlung
am meisten zugängig sind, bei denen Polypen und sonstige grö¬
bere Abnormitäten fehlen. Seine Statistik umfasst 402 Fälle.
Von diesen zeigten normale Verhältnisse an der Nase: 346, Polypen
fanden sich 32 mal und andere gröbere Abnormitäten 24 mal.
Resultate: komplette Heilung 194 mal; vollständige Heilung, soweit
die Beobachtung dauerte: 30; wesentliche Besserung: 73; wesent¬
liche Besserung, so lange die Beobachtung dauerte: 50; vorüber¬
gehende Besserung: 20: geringe Besserung: 4; nicht genauer ver¬
zeichnet: 17; kein Erfolg: 14 Fälle. Männer 2S2, Frauen 120.
F. stellt folgende Thesen auf: Asthma ist bedingt durch einen re-
flektorisclien Krampf der Bronchien. 2. Der Reiz kann in der
Nase entstehen; dies wird erhärtet durch die Erfahrungen beim
Heufieber und dem auf manche Nasenverletzungen erfolgenden
Asthma. 3. Asthma wird nicht durch irgend welchen mecha¬
nischen Verschluss der Nasenwege unmittelbar verursacht, und
die Komplikation von Asthma und Polypen ist nicht so häufig,
wie gewöhnlich angenommen wird. Verfasser hat die besten Re¬
sultate durch Kauterisieren des Septums, ohne die Polypen zu be¬
rühren, erzielt, während in einigen Fällen die Totalexstirpation
der Polypen das Asthma geradezu verschlimmerte. Das Betupfen
des Septums mit Kokain beseitigt oft alle Beschwerden, selbst
bei verdickten Muscheln, während die mechanische Freilegung der
Passage nichts erzielt.
G. Mac Donald lobt das Verfahren als einfach und wirk¬
sam; er hält die Beobachtungen von F. für durchaus zuverlässig.
Scanes S p i c e r wundert sich, dass das einfache Berühren
mit dem Galvanokauter bei einem so grossen Prozentsatz von
Fällen dauernde Heilung bewirken sollte. Allerdings entstehen
vielfach asthmatische Beschwerden dadurch, dass das Os turbi-
natum medium auf das Tuberkulum septi narium, den vom Vor¬
tragenden behandelten Teil, drückt. Somit wird eine Verkleine¬
rung des einen oder des anderen der sich berührenden Teile von
Nutzen sein. Andererseits bedingt, wie gezeigt worden ist, ein
Verschluss der Nase einen ganz erheblichen negativen Druck im
Respirationstraktus und im Zusammenhang damit einen starken
Blutandrang. Auch werden zugleich verschiedentlich Nervenendi¬
gungen gedrückt und gereizt. Jedenfalls aber dürfte das Ver¬
fahren im englischen Klima sich kaum als dauernd ausreichend
erweisen.
II. T i 1 1 e y hat bei einer Familie von Asthmatikern von
wiederholtem, ausgiebigen Kauterisieren keinen Erfolg gesehen.
F r a ncis sagte, dass er durch Zufall auf seine Behandlungs¬
weise gestossen sei und selbst über die Erfolge sehr erstaunt ge¬
wesen wäre. Philippi - Bad Salzschlirf.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein Augsburg.
Der ärztliche Bezirksverein Augsburg hat in seiner Sitzung
vom 21. Oktober 1902 beschlossen, und zwar einstimmig, beim Ge-
schäftsausscliusse des deutschen Aerztevereinsbundes vorstellig zu
werden, dass nachstehende Punkte in die neuen Satzungen auf-
genominen werden.
1. Nicht die Delegierten, sondern die Ver¬
eine als solche sollen Mitglieder sein.
Gründe: Sinken der Machtstellung nach aussen, wenn der
deutsche Aerzte Vereins bund nur mehr ein Delegierten-
bund ist. — Teilnahmslosigkeit für die Angelegenheiten des deut-
. sehen Aerztevereinsbundes bei den einzelnen Mitgliedern der Be¬
zirksvereine, wenn diese nicht mehr Mitglieder des Aerztevereins¬
bundes sind. — Entstehung von Parteilagern in den einzelnen Ver¬
einen, wenn neben dem Vorsitzenden der Delegierte — als Re¬
präsentant des Vereines im Aerztevereinsbunde — eine zweite
Spitze bildet oder Interesselosigkeit der einzelnen Mitglieder, wenn
das Amt eines Vorsitzenden und eines Delegierten vereint ist (cf.
auch Gründe zu 2).
2. Ein Verein kann mehrere Delegierte zum
Aerztetage entsenden.
Gründe: Jedem Mitgliede muss die Möglichkeit gegeben
sein, Delegierter zu werden. — Die Entsendung von mehreren Dele¬
gierten kann bei wichtigen Fragen sachdienlich sein, oder bei
Fragen, in denen das eine oder andere Vereinsmitglied besonders
orientiert ist.
3. Mehrere Vereine können das Mandat ein
u n d dem sei bell Delegierten übertragen.
Grund: Kleinere Vereine, welche aus pekuniären Gründen
einen eigenen Vertreter nicht entsenden können, sind sonst von der
Beschlussfassung ausgeschlossen.
4. Die Anerkennung eines Vereines hat nicht
durch den Vorsitzenden allein, sondern durch
den Geschäftsausschuss zu erfolgen.
Grund: Eine für einen Verein so wichtige Entscheidung
darf nicht in das Ermessen einer Persönlichkeit gelegt sein. In
keinem Vereine entscheidet der Vorsitzende allein über die Auf¬
nahme eines Mitgliedes.
5. Bei der Zuwahl der Mitglieder des Ge¬
schäftsausschusses sind die sonst nicht ver¬
tretenen Teile des Reiches tunlichst zu berück¬
sichtigen.
G r u n d: In einem deutschen Bunde müssen auch an der
leitenden Stelle die einzelnen Teile des Reiches entsprechend ver¬
treten sein.
4. November 1902.
1869
MÜENCHENEB MEDICINISCITE .WOCHENSCHRIFT.
Auswärtige Briefe.
Hamburger Brief.
(Eigener Bericht.)
Hamburg, 26. Oktober 1902.
Der Kampf um die Polikliniken.
Wie Ihren Lesern wohl erinnerlich sein wird, habe ich vor
Vs Jahre über die hiesige Agitation gegen die Polikliniken be¬
richtet, die ihren Ausdruck in einer Denkschrift des Aerztlichen
Vereins fand, welche Senat und Bürgerschaft überreicht werden
sollte und worin um die Aufhebung der staatlichen Polikliniken
und Ambulatorien petitioniert wurde (cf. No. 16 dieser Wochen¬
schrift, S. 684). Von der Bürgerschaft ist überhaupt keine Ant¬
wort erfolgt. Dagegen hat der Senat in einem kurzen Bescheid
an den \ orstand des Aerztlichen \ ereins sich dahin ausgespro¬
chen, dass auf die Petition nicht einzugehen sei.
Inzwischen hat die vom Verein eingesetzte Kommission
fleissig in dieser Frage weiter gearbeitet und unter den hiesigen
Aerzten eine Enquete darüber veranstaltet, welches ihre Stellung
zu den Polikliniken und Ambulatorien sei? Das Ergebnis dieser
Enquete lag dem Verein in einer ad hoc einberufenen General¬
versammlung am 25. d. Mts. vor. Dieselbe hatte sich vorher
über die Frage zu äussern, ob es einem Arzt, der noch nicht Mit¬
glied des Vereins ist, sich aber zur Aufnahme gemeldet hatte,
erlaubt ist, eine Privatpoliklinik zu gründen? Der betreffende
junge Kollege, gegen den sonst nichts vorlag, hatte im vorigen
Jahr auf Grund eines zu diesem Zweck bestimmten Legats eines
Verwandten eine Kinderpoliklinik gegründet, die sich regen
Zuspruchs erfreuen soll. Die umwohnenden Aerzte hatten gegen
diese Poliklinik Einspruch erhoben und, als dieser erfolglos blieb,
beim Ausschuss des Aerztlichen Vereins gegen die Aufnahme
des Kollegen protestiert. Der Ausschuss des Vereins stimmte
zwar mit o gegen 2 Stimmen für die Aufnahme; da aber statuten-
gemäss 4 Stimmen zur Aufnahme erforderlich sind, so machten
die vorschlagenden Kollegen von dem ihnen in diesem Falle zu¬
stehenden Rechte Gebrauch, an die Entscheidung der Generalver¬
sammlung zu appellieren. In solchen Fällen, die bei uns zu
den grössten Seltenheiten gehören und in den letzten 20 Jahren
kaum einmal vorgekommen sind, stimmt die Generalversamm¬
lung ohne Diskussion durch Kugelung ab, wobei zwei Drittel
Majorität zur Aufnahme notwendig sind. Bei der am 25. statt¬
gefundenen Abstimmung erhielt der fragliche Kollege nicht ein¬
mal die Hälfte der abgegebenen Stimmen (76 von 184), wodurch
die Versammlung ihre Stellung zur Poliklinikenfrage sehr un¬
zweideutig zum Ausdruck gebracht hat.
Das Ergebnis der Enquete, an der 407 Aerzte sich durch
Beantwortung der Fragebogen beteiligt hatten, war z. T. über¬
raschend. Während nämlich 304 Aerzte die Frage, ob sie
glauben, dass Polikliniken und Ambulatorien den ärztlichen
Stand schädigen, mit Ja beantwortet hatten, waren nur 116.
also etwas über 28 Proz., für völlige Abschaffung derselben und
181, also über 44 Proz., erklärten, dass sie dieselben für dem
ärztlichen Stande nützlich halten. Dagegen erklärte eine grosse
Mehrheit, nämlich 268, also über 65 Proz., die jetzige Kontrolle
an den Polikliniken für ungenügend und fast ebensoviele, nämlich
227 =: 55 Proz., befürworteten eine Unterstellung der Poli¬
kliniken unter die Armenanstalt. In dieser Richtung bewegte
sich auch ein neuer Antrag der Kommission, der schliesslich
mit 81 gegen 59 Stimmen angenommen wurde und dahin lautete,
dass die Ergebnisse der Enquete dem Senat und der Bürger¬
schaft zur Kenntnis gebracht werden sollen mit der aus dem
Resultat der Enquete motivierten Bitte, die Polikliniken und
Ambulatorien der Armenanstalt zu unterstellen.
Dass dieser Antrag mehr Aussicht auf Erfolg habe, als der
ursprüngliche radikale auf Abschaffung der staatlichen Poli¬
klinik und Ambulatorien, ist kaum anzunehmen, nachdem der
Senat den letzteren soeben a limine abgelehnt hat und bekannt
geworden ist, dass die Armenanstalt sich gegen die Uebernahme
der Polikliniken ebenfalls ablehnend verhält. Es stehen der¬
selben eine genügende Anzahl von besoldeten Armenärzten und
freiwilligen Spezialärzten zur Verfügung, um ihren Schutz¬
befohlenen hinreichend ärztliche Hilfe zuteil werden zu lassen.
Das Hauptmaterial der Polikliniken bilden Frauen und Kinder
solcher Arbeiter, die zwar selbst in irgend einer Krankenkasse
gegen Krankheit versichert sind, deren Familienmitglieder aber
I nicht. I ür letztere in Erkrankungsfällen die ärztlichen Kosten
aufzubringen, ist den Arbeitern oft schwer oder unmöglich und
an die Armenärzte können sie sich nicht wenden. Diese Leute
strömen in die 1 olikliniken und sie würden ganz ohne ärztliche
Hilfe sein,, wenn letztere nur für notorisch Arme reserviert
blieben. Sie bilden auch ein schlagendes Beispiel für die Not¬
wendigkeit, die Lücke im Krankenversicherungsgesetz auszu-
füllen, wonach auch die I amilienmitglieder obligatorisch mit¬
versichert sein müssen. Hoffentlich füllt die demnächst zu er¬
wartende Novelle des K.-V.-G. diese Lücke aus.
Bilder aus China.
Von Oberarzt Dr. Georg Mayer.
IV.
Kulturelle Auswüchse.
Nach Meng-tse ist die grösste Beleidigung kindlicher Liebe,
keine Kinder zu haben, aber nur Knaben gelten als solche, nur sie
können in der Ahnenhalle opfern. Fragt man jemand nach der
Zahl seiner Kinder, so nennt er nur die der Knaben. Mädchen
zählen nicht. Das Gewohnheitsrecht gibt dem Vater Gewalt über
Leben und Tod des Kindes, daher kann man sich überflüssiger
Kinder entledigen. Der Kinder m o r d erscheint zum erstenmal
beglaubigt unter den späteren Sung (11. und 12. Jahrh.), die Be¬
amten setzten, um die von der Regierung gewünschte'. Familien¬
vermehrung zu erzielen, unmündige Kinder auf die Zählungs- und
Steuerlisten, die Armen töteten die Kinder, um dem Steuerdruck
zu entgehen. Jetzt beschränkt sicli der Kindermord fast nur auf
Miidchen, herrscht am stärksten in den südlichen Provinzen, in
Fokien sollen bis 40 Proz. umgebracht werden. Der Mord ge¬
schieht durch Ertränken in einem Wassertopf oder Fluss, oder
lebendig Verbrennen; in letzterem Fall soll das nächste Kind ein
Knabe werden. Der Vater ist gewöhnlich der Ausführer. Die
Armen töten das Mädchen aus Not, die Reichen, weil sie nicht
zuviel wollen. Bei wiederholten Mädchengeburten werden diese
grausam zerstückelt, man glaubt, es sei ein böser Geist, der die
Eltern höhnt und eine derbe Lehre erhalten müsse. Bei Er¬
krankung der Mutter nach der Geburt wird das Kind oft dafür
beschuldigt, getötet, um den Geist, der die Krankheit brachte, zu
versöhnen. Schwer kranke oder sterbende Kinder werden aus
dem Haus geschafft und sich überlassen; der böse Geist wird so
abgehalten, weitere Opfer zu holen. Genest das Kind, wird es
wieder angenommen, wenn nicht, für einen bösen Geist gehalten,
der sich als Unglüekb ringer ins Haus geschlichen. Getötete Miul-
clien gewinnen nach dem Glauben der Seelenwanderung, denn ihre
Seelen können das nächstemal in Knaben erscheinen. Früh
sterbende Kinder heissen Twan-ming-Kwei: kurzlebiger Geist.
Der Körper wird aus dem Hause geworfen, nicht begraben. Feuer¬
zeug abgebrannt und mit Gongschlägen und Musik der Geist ver¬
trieben.
Leibeigenschaft existiert noch heute. Als unter Slii-
liwang-ti (3. Jb. v. Ch.) die Frohnleistungen zu drückend wurden,
konnten die Armen sich nicht loskaufen, verkauften sich selbst
und ihre Familien und entgingen der Steuer, die nur Freie zahlen.
Gewolinheitsmässige Verschreibung als Leibeigene auf Dauer oder
Zeit begann unter den Han (200 v. Chr.); lebte stärker auf unter
den Sung (10. Jahrh. n. Clir.). Trotz oftmaligen Verbotes von
Menschenverkauf und -pfändung und selbst Auslösung der Be¬
troffenen durch die Regierung, blieb die Sitte. Es besteht das Ge¬
brauchsrecht, dass Eltern ihre Kinder verkaufen können als Leib¬
eigene, als Adoptivkinder, die Mädchen als Nebenfrauen, leibeigene
Dienerinnen, in öffentliche Häuser als Scheinheirat oder Schein¬
adoption. Eine verheiratete Frau kann nur mit ihrer Einwilligung
und nur als Frau eines anderen verkauft werden. Gekaufte Kinder
können weiter verkauft werden, der Verkauf geschieht auf Dauer
oder Zeit, letzteres speziell an Theater. Weibliche Sklaven sollen
im heiratsfähigen Alter einen Mann erhalten, er kauft sie meist.
Männliche Sklaven sollen mit 30 Jahren eine Frau erhalten, die
Söhne und Enkel gehören dem Eigner, werden meist nicht ver¬
kauft; die 4. Generation ist frei. Weibliche Kinder gehören dem
Vater, Leibeigene können das Staatsexamen machen, wenn sie ihre
Vorfahren loskaufen, sie gelten dann freigeboren. Die Behandlung
der männlichen wie weiblichen Leibeigenen ist gut. Viele Leib¬
eigene kauft man aus Findlings- und Waisenhäusern. Hier der
Wortlaut eines Kaufvertrages aus Shanghai (dem Handel habe
ich beigewohnt): „Ich, Ching-tu-siaug (Blechmacher im englischen
Viertel), habe eine 15 jährige Tochter Da-oel (grosser Edelstein),
von mir geboren. Ich und meine Frau können sie nicht unter¬
halten, daher überlassen wir sie einem anderen, in der Ferne oder
Nähe, zu Wasser oder Lande. Wir teilten es den Grosseltern mit,
die sie nicht behalten wollen. Daher suchten wir den Zwischen¬
händler Kong-clieong (im Hongkew-Viertel) auf, der einen Käufer
brachte, dem sie gefällt und der sie unter den festgesetzten Be¬
dingungen nimmt. Der Preis ist 50 Hai-kwan-Taels (150 Mark).
Wir stimmen alle 3 überein, ebenso* die beiden Familien, der
Handel gilt. Der Verkauf ist rechtmässig, sie ist nicht gestohlen,
nicht wider Willen gezwungen, nicht als Schuldobjekt übergeben.
Sie ist garantiert jungfräulich, frei von körperlichen und geistigen
Gebrechen; der Verkauf ist hinfällig beim Gegenteil. Sie kann
1870
MUENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
sofort weggeführt, ihr Name geändert werden, sie bleibt, wo der
Käufer will, sie steht ihm ganz zur Verfügung, bei Ungehorsam
steht ihm freies Recht zu; wir haben jedes Recht an sie abgetreten,
jede Beziehung zu unserer Familie ist gelöst, sie wird nie zurück¬
gekauft. Im Todesfall, der von beiden Seiten als Verhängnis des
Himmels zu betrachten, gebührt ihr rechtmässiges Begräbnis.“
Unterzeichner: der Vater, der Schreiber, ein Bürge, der Zwischen¬
händler, sowie die Fingereindrücke des Mädchens.
Eigentliches Kastenwesen gibt es nicht. Doch sind
gewisse Klassen ausgeschlossen vom Staatsexamen, dürfen nur
unter sich heiraten, auch ihre Kinder sind davon mitbetroffen.
Dahin gehören die Schauspieler, Wäscher, Barbiere, Leibeigenen,
alle in niedrigen Diensten (Kuli) und die ganze Bootbevölkerung.
Diese hat sich schon unter den Tsin (3. Jahrhundert vor Christus),
dann unter den Sung (10. Jahrhundert nach Christus) und speziell
unter den Yuen (13. und 14. Jahrhundert) gebildet, um den
Kriegen und Aufständen zu entgehen und dem Steuerdruck, da die
Abgabe an den Besitz von Land gebunden ist. Jetzt liegt vor
allen Städten der Küste und des Yangtse eine grosse Hausboot¬
stadt, der Abschaum des Volkes, die in Canton z. B. über
300 000 Seelen zählen soll.
Dem Volke ist nur eine* durch Heirat rechtmässige Frau
erlaubt, dagegen kann jeder beliebig viele Nebenfrauen besitzen,
Grund zum Konkubinat ist oft Kinderlosigkeit der Ehefrau. Kinder
der Konkubinen gelten als rechtmässige Kinder der Ehefrau und
werden von ihr erzogen. Nach dem Tode der Frau kann eine
Nebenfrau an ihre Stelle rücken. Als Ehescheidungsgründe gelten
ausser anderem Unfruchtbarkeit, Sinnlichkeit, unheilbare Krank¬
heit der Frau, gegen den Mann nur Aussatz. Ausser mit Tanten
und Nichten ist mit allen Blutsverwandten überhaupt die Ehe
verboten, Verschwägerung gilt vor dem Gesetze nicht als Ver¬
wandtschaft, nur auf Heirat der Witwe des Bruders steht Er¬
drosselung. Erst als Grossmutter erhält die Frau höhere Rechte,
sie dirigiert die Frauen und Diener der ganzen Familien ihrer
Söhne.
Polyandrie herrscht in der Präfektur T’ing tshu in Fo-
kien. Die Einwohner sind Hakka-Iieste, sehr arm; sie haben
die Sitte mit nach Formosa gebracht. Meist teilen sich Brüder
in eine Frau, die sie wechselnd bestimmte "Zeit besitzen.
Zur künstlichen TT nterbrechung der S c hwanger-
scliaft werden Mittel teils durch Hebammen, teils Apotheken
in grossen Plakaten auf der Strasse angepriesen: Pillen oder
Arznei zur Umformung des Fötus in Blut, Aufsaugung aller Gc-
seliwiilste im Unterleib, Unterdrückung schädlicher Scheiden¬
geschwülste, lebenschützende Pillen; Warnungen vor Austragen
des Kindes: „Die Geburt ist schwer, das Kind kann quer liegen
oder zu rasch kommen, ehe Mutter wird geschädigt; wenn ihr einen
Sohn habt, überrascht euch neue Schwangerschaft, die das Leben
der Frau bedroht. Wollt ihr keine Kinder, so geht und kauft die
Pillen, die Unfruchtbarkeit machen auf Jahre hinaus, 10 000 Er¬
folge.“ Die Behörden kümmern sich um diesen Unfug gar nichts.
Von den zahlreichen Geheimgesellschaften ist eine
auch unter den Mädchen verbreitet, ich hörte von ihr in Wei-hsien
in Schantung, wo gerade ein Fall einer Ermordung eines Gatten
in der Hochzeitsnacht passierte. Diese Mädchen verpflichten sich,
nicht zu heiraten, oder wenn dazu gezwungen, dem Manne keine
Annäherung zu gestatten, ihn ums Leben zu bringen. Sie richten
es so ein, dass mehrere des Bundes am gleichen Tage heiraten,
in der Nacht stürzen sie sich gemeinsam ins Wasser, vergiften sich.
Die Gesellschaftsangehörigen graben Knabenleichen ans und
tragen deren Knochen mit sich, wodurch ihnen Zauberkunst ver¬
liehen ist.
Eunuchen hat der kaiserliche Hofstaat (ca. 3000), die
Prinzen von Geblüt je 30, die Neffen und Enkel des Kaisers je 20.
die entfernteren Verwandten je 10, die Abkömmlinge der Mand-
schurenfürsten, die Shun-te zum Tron verhalten, je 10. Jeder
Prinz hat alle 5 Jahre 8 Eunuchen dem Hofe zu stellen und erhält
für jeden 250 Taels. Die, welche Eunuchen zu Averden wünschen,
melden sich in einem Hause nahe dem Da-Tshing-Tor, dort wird
die Operation gemacht; das Amt ist in der Familie erblich, der
Operateur erhält 6 Taels. Es soll zunächst eine leichte Iloden-
atrophie durch Umschnürung bewirkt werden, dann durch Droguen
Schmerzlinderung. Der Betreffende kommt auf eine Art Bettlade,
und wird um Bauch und Gesäss zusammengeschnürt. Ein Gehilfe
fasst ihn um die Hüfte, zwei andere spreizen die Beine. Zur Opera¬
tion dienen gekrümmte und gerade, breite Messer, oder auch eine
Blattscheere. Der Operateur fasst mit der linken Hand die Ge¬
schlechtsteile, drückt sie zusammen und dreht sie. Nun fragt er
nochmals den Mann, oder bei einem Kinde die Eltern, um ihre Ein¬
willigung. dann — werden mit eine m Schnitt die ganzen Ge¬
schlechtsteil»' radikal Aveggeschnitten. Ein kleines, rundes Stück
Holz oder Zinn kommt in die Harnröhre, die Wunde wird mit
kaltem Wasser und Branntwein gewaschen, feuchte Papierblätter
aufgelegt und mit Druck sorgfältig verbunden. Der Operierte
muss zunächst mehrere Stunden auf und ab gehen, darf 3 Tage
nichts trinken, Verband bleibt liegen, heftige Schmerzen durch die
Wunde und die Harnverhaltung. Nach 3 Tagen wird der Verband
gewechselt, der Patient muss versuchen, zu urinieren, geht es
nicht, ist es gleichbedeutend mit Tod, denn Katheter kennt man
nicht. Die Heilung erfolgt durch heftige Eiterung, sie soll 100 Tage
dauern, ein»' dreieckige Narbe hinterbleibt. Tod in 5 Proz.
Häufigste Folge Inkontinenz des Urins, die sich später manchmal
bessert. Gegen den Verschluss der Harnröhre Avird entweder
-obiges Holzstück, meist ein gebogenes Zinnstück eingeführt, das
fortwährend getragen und im Bedürfnisfall entfernt wird. Trotz¬
dem häufig Obliteration der Harnröhre, Blasenkatarrh und Blasen-
stein sind gewöhnlich. Nach erfolgter Heilung kommen die Leute
gleich zu ihren Herren. Die Geschlechtsteile, „das grosse Wert-
A'olle“, Averden vom Eunuchen oder gegen Schein vom Operateur
aufgehoben in Branntweingläsem, da jeder Eunuclie sein Wert¬
volles bei Beförderung und bei Revision durch den Aufseher A’or-
zeigen muss. Ausserdem erhält er sie mit in den Sarg und ist
dann im Jenseits AA'ieder intakt. Hat der Eunuche das ,,Wert-
Arolle“ verloren oder beim Operateur, so muss es bei Reichen um
hohe Summen im Todesfall Avieder erworben AA'erden.
Verschiedenes.
Eine ehrengerichtliche Entscheidung.
Eine interessante und prinzipiell Avichtige Entscheidung hat
unterm 7. Februar 1. J. der preuss. Ehrengerichtshof getroffen.
Dieselbe ist im Ministerialblatt für Medizinal- etc. Angelegenheiten
unter der Ueberschrift „Fö r d erung der Ei n f ü li r u n g
freier Arztwahl“ veröffentlicht und lautet Avie folgt:
„Durch Beschluss des ärztlichen Ehrengerichts für die Pro¬
vinz . vom 6. Dezember 1901 ist der Angeschuldigte im
nichtförmlichen Verfahren wegen standeswidrigen Verhaltens mit
einer Geldstrafe von Einhundert Mark und einem Verweise
kostenpflichtig bestraft Avorden.
Gegen diesen Beschluss hat er rechtzeitig in einer als Be¬
rufung bezeiclmeten Eingabe Beschwerde eingelegt.
Unter Verneinung der Schuldfrage bezüglich einiger anderen
Punkte stellt die erste Entscheidung, auf Avelche hiermit Bezug
genommen wird, einen Verstoss des Angeschuldigten gegen § 3 des
Gesetzes vom 25. November 1899 fest, weil derselbe in einer von
Mitgliedern der Gemeindekrankenkasse Sch. abgehaltenen Ver¬
sammlung ATom 21. April 1901 das Bl. 14 der Akten abschriftlich
befindliche Gesuch, in welchem die Unterzeichneten Mitglieder im
Namen sämtlicher Mitglieder der Kasse die Einführung der freien
Arztwahl erbitten, verfasst und dieses Gesuch bei dem Landrats¬
amt in E. eingereicht hat, trotzdem bereits ein anderer Arzt.
Dr. P„ sich im Besitze der Kassenpraxis in S. befand. Insbesondere
macht die erste Instanz dem Angeschuldigten zum Vorwurf, dass
er in das offizielle Schriftstück die übertriebene Behauptung, die
Unterzeichneten handelten im Namen sämtlicher Kassenmitglieder,
aufgenommen, ferner, dass er, ohne sicli mit Dr. P. dieserhalb
A'orher zu A'erständigen, in die Agitation für die rfeie Arztwahl
in Sch. eingegriffen habe. Das notorisch zwischen dem Angeschul¬
digten und Dr. P. bestehende unkollegiale Verhältnis — der An¬
geschuldigte ist bereits durch ehrengerichtliches Urteil Arom
17. November 1900 wegen Beleidigung des Dr. P. mit einem Ver-
Aveise bestraft Avorden — lasse keinen ZAveifel, dass der Ange-
schuldigte beabsichtigt habe, Dr. P. von Sch. aus der Kassenpraxis
zu verdrängen.
In der Beschwerderechtfertigung macht der Angeschuldigte,
unter Wiederholung seiner erstinstanzlichen An- und Ausführungen
geltend, dass er lediglich den Wunsch der Mitglieder der Ge¬
meindekrankenkasse, welche infolge ihrer niedrigen Bildungsstufe
zur Selbsthilfe nicht befähigt gewesen wären, zum Ausdruck ge¬
bracht habe. Die in der schriftlichen Eingabe an das Landrats¬
amt enthaltene Behauptung, dass sämtliche Kassenmitglieder
die freie ArztAvahl wünschten, habe er auf Grund einer dies¬
bezüglichen Erklärung der in der fraglichen Versammlung An¬
wesenden auf gestellt. Eine A’orhergehende Verständigung mit
Dr. P. habe ihm dieser selbst durch sein alle kollegialen An¬
näherungsversuche abweisendes Verhalten unmöglich gemacht.
Im übrigen rechtfertigt der Angeschuldigte sein Verhalten mit Er-
strebung des dem ärztlichen Stande vorschwebenden Zieles der
allgemeinen Einführung freier AerzteAvahl.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Angeschuldigte in der
an das Landratsamt gerichteten Eingabe vom 21. April 1901 tat¬
sächlich einem allgemeinen Wunsche der Gemeindekrankenkassen¬
mitglieder das Wort geredet hat, ob ferner ihm damit ein Vorwurf
zu machen ist, dass er sich mit dem ihm offenbar feindlich ge¬
sinnten Dr. P. nicht ms Einvernehmen gesetzt hat, bevor er die
Bestrebungen der Kassenmitglieder auf Einführung der freien
Arztwahl unterstützte. Die Verletzung der ärztlichen Stanaes-
pflichten seitens des Angeschuldigten besteht darin — hierin ist
dem ersten Richter durchaus beizutreten — , dass er für Ein¬
führung der freien Arztwahl bei einer Kasse agitiert hat, deren
Praxis sich bereits in festen Händen eines anderen Arztes befand.
Die von dem Angeschuldigten beanstandete Alt und Weise der Er¬
langung dieser Praxis durch Dr. P. ist, selbst wenn die Vorwürfe
des Angeschuldigten nach dieser Richtung begründet wären, hier¬
bei unerheblich. Die Standeswidrigkeit in dem Verhalten des An-
gescliuldigten ist insbesondere dadurch begründet, dass sein»1 Be¬
mühungen um Einführung der freien Arztwahl gleichzeitig seinem
eigenen materiellen Interesse dienen sollten, mithin darauf ge¬
richtet waren, den gegenwärtigen Besitzstand des Dr. 1*. zu seinen,
des Angeschuldigten, Gunsten zu beeinträchtigen.
Die Beschwerde des Angeschuldigten war demnach, da auch
die Höhe der erkannten Strafe nach Lage der Sache, insbesondere
im Hinblick auf die Vorstrafe desselben, angemessen erscheint,
4. November 1902.
MUENCIIENEE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1871
wie geschehen, als unbegründet zurückzu weisen. Den Kosten¬
punkt regelt § 46 des Gesetzes vom 25. November 1S99 “
Dieses Erkenntnis ist der Gegenstand erregter Erörterungen
m der medizinischen Presse. Man erblickt in demselben einen
gegen die freie Arztwahl gerichteten Schlag; man meint, wenn die
dort ausgesprochenen Grundsätze allgemein zur Geltung kommen
sollten, so wurde jede Agitation für freie Arztwahl gegen die
Ehre des Standes verstossen und zu bestrafen sein; die Mitglieder
des Berliner \erems zur Einführung freier Arztwahl würden
dm cli ilne blosse Zugehörigkeit zu dem Verein Standes widrig
handeln. Hier wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Es
ist zuzugeben, dass Ueberschrift und Begründung des Erlcennt-
nisses recht unglücklich gefasst sind. Wenn man, ohne Berück¬
sichtigung des Tatbestandes, sich nur an den Wortlaut der Be¬
gründung hält, so mag allerdings die Meinung entstehen, dass hier
die Agitation für freie Arztwahl, sofern damit ein eigener ma¬
terieller Vorteil angestrebt wird, unter allen Umständen für
standeswidng erklärt werde. Das war gewiss nicht die Absicht
des Ehrengerichtshofes. Wenn man dagegen den Kern der Sache
ins Auge fasst und fragt, ob in dem besonderen Falle ein unkolle¬
giales Verhalten vorlag, das von dem Ehrengericht mit Beeilt zu
rügen war, so wird wohl jeder diese Frage bejahen. Unter dem
Vorwände der Agitation für freie Arztwahl sollte* hier einem
Kollegen ein Teil seiner Praxis abgejagt werden. Es heisst die
Vereine für freie Arztwahl beleidigen, wenn man ihre in der
Hauptsache von idealen Motiven ausgehende Tätigkeit auf gleiche
Stufe stellt mit der von Gehässigkeit und Eigennutz diktierten
Handlungsweise des hier verurteilten Arztes. Als überzeugte und
warme Anhänger des Gedankens der freien Arztwahl sprechen wir
es aus, dass uns eine freie Arztwahl um jeden Preis, auch um
den Preis einer Verschlechterung der ärztlichen Sitten, wie sie in
dem vorliegenden Falle zu Tage tritt, nicht wünschenswert er¬
scheint. Es kann darum nur auf einer missverständlichen Auf¬
fassung der Tendenz des Urteils beruhen, wenn wir lesen, dass
der Berliner Verein zur Einführung freier Arztwahl das Erkennt¬
nis zu einer Haupt- und Staatsaktion zu machen gedenkt und dass
sogar die Zentrale für freie Arztwahl diese Gelegenheit zu be¬
nützen beabsichtigt, um zu zeigen, dass sie noch am Leben ist
Und wenn wir gar hören, dass ein Berliner Kollege bei dem
Ehrengericht der Berlin-Brandenburger Aerztekammer die Ein¬
leitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens gegen sich selbst be¬
antragt habe, weil er in Versammlungen von Kassenmitgliedern
für Einführung der freien Arztwahl agitiert habe, obwohl ihm
bekannt gewesen sei, dass bei der Kasse flxierte Kassenärzte an¬
gestellt sind und ihm durch Einführung der freien Arztwahl ein
Vorteil in Aussicht stand, so hoffen wir, dass die Männer, die dieses
Ehrengericht zusammensetzen, ernstere Aufgaben zu erfüllen
haben werden, als sich mit einer derartigen Farce zu beschäftigen.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Münche u, 4. November 1902.
~ sächsische Gesetz, betr. die ärztlichen
Bezirksvereine, das in den 6 Jahren seines Inkraftseins
schon so manche Lücke und manchen Mangel gezeigt hat, soll jetzt
abgeändert werden. Ein vom Ministerium ausgearbeiteter Entwurf
des abgeänderten Gesetzes soll demnächst in der Plenarversamm¬
lung des Landesmedizinalkollegiums beraten werden. Die Aende-
rungen sind zum Teil einschneidender Art und sichtlich beein¬
flusst durch die 1 orkommnisse anlässlich des Konfliktes zwischen
Ortskrankenkasse und Bezirksverein Leipzig. So der neue Absatz 3
des § 1, der bisher nur als Verordnung bestand, nunmehr aber in
das Gesetz auf genommen wird: „Die ärztlichen Bezirks vereine sind
der Aufsicht der Kreishauptmaunschaften unterstellt, welche ins¬
besondere darauf zu achten haben, dass die Vereine und deren
Organe ihre Obliegenheiten erfüllen und sich ungesetzlicher Mass-
legeln, insbesondere einer Ueberschreitung ihrer Zuständigkeit,
enthalten. Zur Durchführung ihrer Verfügungen können die
Kreishauptmannschaften gegenüber den Vorsitzenden und den
übrigen Vorstandsmitgliedern der Bezirksvereine Geldstrafen an¬
drohen und vollstrecken.“ Ferner Absatz 2 § 6: „Auf Grund der
Standesordnung kann von keinem Arzte ein' Verhalten gefordert
werden, welches ihn mit seinen staatsbürgerlichen Pflichten in
Widerspruch bringen oder Organe oder Körperschaften des öffent-
liehen Rechts an der Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Ob¬
liegenheiten hindern würde.“ Die Ehrenräte, 29 an der Zahl, die
bisher von den Bezirksvereinen gewählt wurden, werden ersetzt
durch 5 aus der Wahl der Kreisvereinsausschüsse hervorgehende
Ehrenräte, die ihren Sitz bei den Kreishauptmannschaften haben.
Sie bestehen aus einem Vorsitzenden und drei ärztlichen
Beisitzern, welche nebst der entsprechenden Zahl von Stellver¬
tretern vom Kreisvereinsausschusse gewählt werden, und einem
vom Ministerium des Innern hierzu aus den Räten und Hilfs¬
arbeitern der Kreishauptmannschaft bestimmten juristischen Bei¬
sitzer. An Stelle der bisherigen 5 Ehrengerichtshöfe tritt ein
einziger Ehrengex*ichtshof in Dresden, welcher aus einem juristi¬
schen Vorsitzenden und 4 ärztlichen Beisitzern besteht. Der Vor¬
sitzende wird vom Minister ernannt, die Beisitzer vom Landes¬
medizinalkollegium gewählt. Die Entscheidungen des Ehren¬
gerichtshofs sollen nicht, wie bisher, endgültig sein, sondern sie
sollen angefocliten werden können durch Klage bei dem Ober-
I Verwaltungsgerichte. Dieses hat sich auf die Prüfung der Frage
| oli eine Rechtsverletzung vorliegt, zu beschränken, und wenn es
infolge dessen zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
gelangt, dm Sache an den Ehrengerichtshof zurückzuverweisen.
Dieser ist an die Rechtsansehauung, von der das Oberverwaltungs-
der
. , , g o' 1 » ui »v au ii
rericlit ausgegangen ist, gebunden. Alles in allem bedeutet
wesentliche Ein-
das Gesetz vom
Entwurf neben zweifellosen Verbesserungen eine
Schränkung der den sächsischen Aerzten durch
23. März 1896 gegebenen Rechte.
Zur Erhaltung eines tüchtigen Hebammenstandes und im
Interesse der hiezu unbedingt notwendigen F o r t b i 1 d u n «• d e r
II e b a m m e n ist es dringend angezeigt, dass die Hebammen
durch Besuch eines Repetitionskurses ihre Kenntnisse
und Erfahrungen auffrischen, festigen und ergänzen. Die k Staats¬
ministerien des Innern beider Abteilungen haben deshalb in ähn¬
licher Weise, wie in anderen deutschen Staaten, die Einrichtum-
getroffen, dass alljährlich für eine grössere Zahl von Teilnelimw
rinnen Repetitionskurse und zwar vorläufig an der Hebammen¬
schule in München abgehalten werden. Die Zeit der Abhaltung
der Repetitionskurse, deren Dauer sich vorerst auf 4 Wochen er¬
strecken soll, wird mit der Aufforderung zur Bewerbung um die
Zulassung bekannt gegeben. Die Kosten für eine Teilnehmerin
berechnen sich mit Einschluss der Kosten für Unterkunft und
Verpflegung in der Anstalt zurzeit auf 80 M„ wozu noch die Reise¬
kosten, sowie ein mässiger Betrag für kleinere Bedürfnisse
kommen. Mit einer Summe von 100 M. wird liienach in der Regel
der Gesamtaufwand gedeckt sein. Die Bewerbungsgesuche, in
welchen anzugeben ist, ob die Gesuchstellerin die Kosten der Teil¬
nahme an dem Kurse aus eigenen Mitteln bestreitet oder ob sie
hiezu um eine Unterstüzung nachsuchen will, ferner ob und even¬
tuell wann die Gesuchstellerin bereits einen Repetitionskurs mit¬
gemacht hat, sind bei den zuständigen Distriktsverwaltungs¬
behörden nebst dein Prüfungszeugnisse nach § 16 der K. Allerh.
Verordnung vom 26. Juli 1890 einzureichen. Wünschenswert ist.
dass bedürftigen Hebammen zu fraglichem Zwecke aus Gemeinde-'
Distrikts- und Kreismitteln tunlichst ergiebige Beihilfen geleistet
werden; soviel bekannt, werden im Bedarfsfälle auch staatliche
Zuschüsse gewährt:.
— D('1- 24. Baineologenkongress wird unter Leitung
des Herrn Geheimrat Liebreich im März 1903 in Berlin tagen.
-7 Anmeldungen von Vorträgen und Anträgen nimmt entgegen der
Generalsekretär der Baineologischen Gesellschaft, Geh. Sanitätsrat
Broc k, Berlin SO., Melcliiorstr. 18.
Das College of Physicians in Philadelphia schreibt den
A 1 v a r enga-Preis im Betrag von 180 Doll, für das Jahr 1903
aus. Preisarbeiten, die irgend einen Gegenstand der Medizin be¬
handeln können, sind bis 1. Mai 1903 an den Sekretär des College,
1 >r. Thomas R. N e i 1 s o n, einzusenden. Die Arbeit muss ein
Motto tragen und von einem verschlossenen Briefumschlag be¬
gleitet sein, der dasselbe Motto zeigt und Name und Adresse des
Verfassers enthält. Der Alvarenga-Preis für das Jahr 1902 wurde
mangels einer entsprechenden Arbeit nicht verliehen.
— C h o 1 e r a. Russland. Nach den im Regierungsanzeiger
vom 16. Oktober veröffentlichten amtlichen Mitteilungen sind im
Amurbezirke vom 6. bis 11. Oktober 28 Personen an der Cholera
erkrankt. Hiervon entfielen 3 Erkrankungsfälle auf die den
Amur befahrenden Dampfer; die übrigen 25 Fälle verteilten sich
auf die Städte Blagowesclitschensk (4), Chabarowsk (10), Nikola
jewsk (6), Nikols-U ssurysk (3) und Wladiwostok (2). Im Kwantung-
bezirke erkrankten in der Zeit vom 2. bis 8. Oktober in Port
Arthur 6 und in Dalnij 5 Personen. — Aegypten. Vom 7. bis 13. Ok¬
tober hat die Choleraepidemie nach dem Berichte des General¬
direktors des Gesundheitswesens weiter erheblich nachgelassen.
Im Laufe dieser Woche wurden 819 Erkrankungen und 772 Todes¬
fälle gemeldet. Von letzteren hatten sich 259 in den Kranken¬
häusern und 513 ausserhalb derselben ereignet; 11 Choleratodes¬
fälle entfielen auf Kairo, 57 auf Alexandrien, 26 auf Damiette,
je 7 auf Suez und auf Port Said. Besonders heftig trat die Seuche
noch immer in und bei Rosette auf, von wo während der Berichts¬
woche 147 Erkrankungen, darunter 129 ausserhalb des Hospitals
tödlich verlaufene, gemeldet waren. Vom 13. bis 17. Oktober waren
aus ganz Aegypten nächeinander noch 128, 95, 79, 116, zusammen
418 neue Erkrankungen und 110, 84, 74, 85, zusammen 353 Todes¬
fälle an der Cholera gemeldet.
- Pest. Russland. In der Woche vom 8. bis 15. Oktober
wurden in Odessa 2 neue Erkrankungen und 1 Todesfall an der
Pest amtlich festgestellt. — Britisch-Ostindien. In der Präsident¬
schaft Bombay sind vom 28. September bis 4. Oktober 10 861 Er¬
krankungen (und 7903 Todesfälle) an der Pest zur Anzeige gelangt,
d. i. 930 (460) mehr als während der Woche vorher, in der Stadt
Bombay 112 (101), in der Stadt und dem Hafen Karachi 26 (23).
— In der 42. Jahreswoche, vom 12. — IS. Oktober 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Liegnitz mit 25,1 ,die geringste Linden mit 5,6 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬
storbenen starb an Scharlach in Altona, Beuthen, Bochum, Brom¬
berg, Königshütte; an Diphtherie und Krupp in Gleiwitz, Königs¬
berg; an Unterleibstyphus in Gera. V. d. K. G.-A.
— Das von Dr. E. Graetzer in Sprottau herausgegebene
„Centralblatt für Kinderheilkunde“ (Verlag von
Job. Ambr. Barth in Leipzig) wird vom 1. Januar 1903 ab in
bedeutend erweitertem Umfange erscheinen.
1S72
MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHENS CHBIFT.
No. 44.
(Hochsehulnaeh richte n.)
Berlin. Am 27. v. Mts. wurde das neue pharmazeutische
Institut eingeweiht. Leiter desselben ist Prof. Dr. T h o m s. —
Zu Professoren wurden ernannt die Privatdozenten Dr.H. Straus»,
1 )r II. li o s i n, Dr. P. Jaco b und Dr. M. Mich a e 1 i s.
II a 1 1 e a. S. Dr. med. O. F rese, Assistenzarzt an der medi¬
zinischen Klinik, habilitierte sich für Laryngologie und Rhinologie.
_ Der Privatdozent der Augenheilkunde Dr. B r a u n s c h w e i g
und der Privatdozent der Hygiene Dr. So beruhe im erhielten
den Professortitel.
K o i> enhage n. Zum Rector magniflcus an der
Universität wurde für das Universitätsjalir 1902 — 190.1
der Philosophie H. Hoff ding, zum Dekan an der med
Fakultät wurde Professor Th. Rovsing gewählt.
hiesigen
Professor
iziuisclien
(Todesf ä 1 1 e.)
In Berlin starb am 1. ds. der ausgezeichnete Chirurg Professor
Dr. Eugen Hahn. Direktor der chirurgischen Abteilung des
städtischen Krankenhauses am Friedriclishain, 61 Jahre alt.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Phil. Bohn zu Albisheim, Dr. Heinr.
K u li 1 m a n n zu Maikammer, Dr. Karl Miesemer zu Schopp.
Verzogen: Dr. Haverkamp von Maikammer. Dr. P. Münz
wohnt nur im Winter in Nürnberg, im Sommer auch fernerhin in
Bad Kissingen (Berichtigung der Notiz in No. 42).
Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Felix Maria Sc h m i d t in
Schwarzhofen zum Bezirksarzt I. Klasse in Neustadt a. d. WN.
Auszeichnungen: Der Verdienstorden vom heil. Michael 2. Kl.
dem Obermedizinalrate im k. Staatsministerium des Innern Hubert
Ritter v. G r a s h e y. Der Titel und Rang eines k. Hofrates dem
prakt. Arzt Dr. Friedr. Gramer in München.
Gestorben: Dr. Anton Ott, k. Bezirksarzt a. D. in München.
Dr. Friedrich Albert Bratsc h, k. Generalarzt a. D. in München.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München
in der 42. Jahreswoche vom 12. bis 18. Oktober 1902.
Beteiligte Aerzte 109. — Brechdurchfall 16 (11*), Diphtherie u.
Krupp b (15), Erysipelas 5 (11), Intermittens, Neuralgia interm.
2 (1). Kindbettfieber — (-), Meningitis cerebrospin. — (— ),
Morbilli 18 (28), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 3 (1), Parotitis
epidem. — ( — ), Pneumonia crouposa 6 (10), Pyämie, Septikämie
— (1), Rheumatismus art. ac. 6 (15), Ruhr (Dysenteria) — (1),
Scarlatina 6 (5), Tussis convulsiva 17 (29), Typhus abdominalis 1
(2), Varicellen 9 (9), Variola, Variolois — (— ), Influenza 1 (1)
Summa 94 (139). Kgl. Bezirksarzt Dr. v. Dall’Armi.
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle derVorwoche.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 42. Jahreswoche vom 12. bis 18. Oktober 1902.
Bevölkerungszabl : 499 932.
Todesursachen : Masern — (4*) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u Krupp 1 (— ), Rotlauf — (— ), Kindbettfieber 1 (1), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 1 (1), Brechdurchfall — (6), Unterleib-Typbus
( — ), Keuchhusten 4 (5), Kruppöse Lungenentzündung — (2), Tuber¬
kulose a) der Lunge 26 (33), b) der übrigen Organe 5 (7), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
6 (4), Unglücksfälle 1 (4), Selbstmord 1 ()3, Tod durch fremde
Hand l (— ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 205 (236), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 21,1 (24,3), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 11,9 (15,6).
Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten in Bayern: August1) und September 1902.
Regierungs¬
bezirke
bezw.
Städte mit
über 30,000
Ein¬
wohnern
Brech¬
durchfall
Diphtherie,
Krupp
Erysipelas
Influenza
Intermittens
Neuralgia
int.
Kindbett-
M
£>
Q
0)
Meningitis
cerebrospin.
s
f-,
o
Ophthalmo-
Blennorrh.
neonator.
A. |
S.
A.
S.
A.
S
A.
S.
A | S.
A. |
s.
A. I
S.
A. | S.
A.
S
Oberbayern
481
440
66
69
93
77
102
129
11
10
11
6
3
5
131
141
9
13
Niederbay.
163
171
18
33
28
30
60
69
8
12
5
3
2
5
5
4
3
2
Pfalz
39 t
311
33
42
14
17
16
8
8
5
4
3
3
1
72
32
6
3
Oberpfalz
246
197
37
30
29
23
17
56
4
6
3
2
1
—
3
2
3
4
Oberfrank.
158
145
81
90
32
26
31
29
3
2
3
2
—
—
213
114
—
—
Mittelfrank.
42' >
359
56
62
41
38
55
44
3
10
5
1
2
1
6t
28
4
5
Unterfrank.
111
136
20
32
29
22
44
15
1
2
—
1
—
37
30
—
i
Schwaben
365
295
32
31
31
28
91
181
2
2
6
4
1
1
231
218
4
8
Summe
2338
2084
343
339
297
261
416
531
39
48
39
21
13
13
753
569
29
36
Augsburg5)
51
75
6
16
4
4
4
3
_
_
1
1
_
_
109
152
_
2
Bamberg
33
32
26
16
1
1
2
5
—
—
—
—
—
—
2
—
—
—
Hof
9
8
5
2
3
—
- -
—
—
1
—
—
—
4
3
—
—
Kaiserslaut.
23
13
2
4
2
Ludwigshaf
85
30
4
5
3
2
—
—
—
—
—
—
—
—
14
21
1
—
München3)
120
106
lb
29
27
28
—
3
1
1
3
1
1
2
50
49
5
9
Nürnberg
220
177
27
35
26
26
13
14
—
3
1
—
2
—
12
10
3
5
Pirmasens
25
11
4
3
1
1
—
—
1
—
—
—
—
—
—
—
—
—
Regensburg
55
56
5
4
4
5
6
15
2
1
—
1
1
—
3
—
3
2
Würzburg
33
31
5
1
7
9
—
—
—
—
—
—
—
—
—
2
—
—
Bevölkerungsziffern: Oberbayern 1'323,888, Niederbayern 678,192,
Pfalz 831,678, Oberpfalz 553,841, Oberfranken 608,116, Mittelfranken 815,895, Unter¬
franken 650,766, Schwaben 713,681. — Augsburg 89,170, Bamberg 41,823, Hof 32,781,
Kaiserslautern 48,310, Ludwigshafen 61,914, München 499,932, Nürnberg 261,081,
Pirmasens 30,195, Regensburg 45,429, Würzburg 75,499.
Einsendungen fehlen aus den Aemtern Bogen, Grafenau, Wegscheid, Ncu-
markt, Neunburg v./W., Höchstadt a./A , Stadtsteinaeb, Staflelstein Fürth, Nürn¬
berg, Weissenburg, Hofheim, Königshofen, Lohr, Mellrichstadt, Ocbsenfurt,
Würzburg, Augsburg, Kaufbeuren, Kempten und Nördlingen.
Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet
aus folgenden Aemtern bezw. Orten:
Brechdurchfall: Stadt- und Landbezirke Freising 52, Schwabach 39,
Neu-Ulm 38, Schweinfurt 35, Straubing 32, Aemter Germersheim 56, Neustadt a./H.
54, Zweibrücken 42, Pfaffenhofen und Wolfratshausen je 33 beh. Fälle.
Diphtherie, Krupp: Fortsetzung der Epidemie im ärztl. Bezirk Creussen
(Pegnitz), 23 beh. Fälle.
Influenza: Weitprs gehäufte Fälle im Amte Zusmarshausen in den ver¬
schiedensten Orten, 19 behandelt, meist gastrische Formen. Stadt- und Land¬
bezirk Neuburg a /D 49, Aemter Dachau 31 (davon 23 im ärztl. Bezirke Schön¬
brunn), Krumbaek 25, Regensburg. Sonthofen und Müncben je 21 (von letzteren
11 meist schwere Fülle in Uuterschleissheim), ärztl Bezirk Lauingen (Dillingen)
27 beb. Fälle.
Morbilli: Fortsetzung der Epidemie in der Stadt Memmingen, Abnahme
(47 beb. Fähe) im Amte Wunsiedel. Epidemisches Auftreten ferner in den Be¬
zirken Traunstein (von 81 beh. Fällen 60 im ärztl. Bezirk Bergen, Schulschluss
in Siegsdorf', Marktheidenfeld (leichte Epidemie in Stadt- und Dorfprozelten und
Schollbrunn) und Donauwörth (ausgebreitete Epidemie in Donauwörth, 6 Schul¬
klassen geschlossen, nur 32 Fälle behandelt)
Parotitis epidemica: Epidemie im kath. Waisenhause in Landstuhl
(Homburg), 33 heb. Fälle.
Scarlatina: Fortsetzung der Epidemie in Weiden (Neustadt a./WN.).
Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemien in den Bezirken
München (noch häufig in Feldmoching), Alzenau (sehr intensiv neben Masern in
Parotitis
epidemica ||
Pneumonia
crouposa
Pyaemie,
Septi-
kaemie
Rheumatis¬
mus art. ac.
Ruhr
(dysenteria)
Scarlatina
Tussis
convulsiva
Typhus
abdominalis
Varicellen
1 Variola,
00
O
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Zahl der Aerzte
überhaupt
Zahl der be¬
teil. Aerzte |
A.,
s.
A.
S.
A.
S.
A.
S.
A. |
S.
A. |
S.
A
S.
A.
S.
A.
s.
A.
s.
s.
23
26
104
77
6
6
135
118
4
5
12
23
245
201
4
16
46
23
_
_
949
219
14
2
51
45
4
4
52
41
3
—
2
4
38
23
6
7
11
3
—
—
188
80
7
39
74
63
3
6
39
22
1
—
32
44
149
97
9
18
4
8
—
—
299
110
4
_
63
44
4
2
32
28
1
—
27
21
126
67
1
4
10
2
—
—
158
82
4
4
124
104
1
3
31
29
1
1
21
34
84
99
1
10
14
10
—
—
206
108
7
11
142
112
2
1
58
57
2
2
84
84
113
95
5
1
2t
32
—
—
367
196
9
11
90
80
1
1
16
23
—
1
25
17
56
35
8
5
13
7
—
—
328
82
10
13
129
59
5
3
47
39
1
—
4
9
108
64
9
3
14
—
—
—
295
173
78 106
1
777
584
26
26
410
357
13
9
207
236
919
681
43
64 133
85
—
2790
1050
*)
12
12
1
2
6
11
3
2
9
6
i
1
_
_
55
54
_ -
—
4
3
—
—
2
1
—
—
3
6
19
29
—
—
—
2
—
41
13
_
1
2
1
—
—
_
4
—
—
4
6
10
13
—
1
—
—
—
17
6
3
1
1
1
3
3
—
2
2
2
—
23
4
_
_
7
8
1
—
3
1
—
—
9
141 16
30
—
3
—
—
30
18
6
2
15
11
_
1
50
49
2
4
9
16
132
106
2
8
15
11
—
583
132
2
2
32
35
2
_
31
26
2
1
53
59
74
58
3
1
16
25
—
156
126
_
1
2
_
1
1
—
—
—
1
1
6
1
14
4
_
. _
5
6
—
1
6
5
—
—
3
3
67
34
1
1
—
44
35
—
3
10
7
—
—
2
3
—
11
8
5
3
3
4
4
90
24
Krombach, heftig in Feldkahl und Rottenherg), Donauwörth (in Weinding) und
Neuburg a./D. (in Neuburg, Etting. Untermaxfeld). Epidemisches Auftreten ferner
in den Aemtern Tirschenreuth, Münchberg (leicht, nur 19 beh. Fälle) und Hers-
bruck (in d°n Landgemeinden) ; Stadt- und Landhezirk Günzburg 27 beh. Fälle.
Typhus abdominalis: Aemter Wunsiedel 5, Freising, Deggendorf und
Zweibrücken je 4 beb. Fälle.
Varicellen: Epidemie in Alsenz (Rockenhausen).
Fehris gastr. : Fortsetzung der Epidemien in den Aemtern Dachau
(64 beh. Fälle) und Mallersdorf (massenhafte, mit hohem Fieber, Schüttelfrost,
intensivem Kopfschmerz einhergehende Magen- und Darmerkrankungen) ; häufige
Erkrankungen ferner im Amte Landau a./I.
Pemphygus infect. : Mehrere Fälle in Steingaden (Schongau), nur
3 behandelt.
Milzbrand: 1 Fall im ärztl. Bezirke Weyarn (Miesbach).
Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird um
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Berichts¬
monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehl¬
anzeigen ersucht, womöglich unter anmerkungsweiser Mittheilung von Epi¬
demien. Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswerth,
dass Fälle aus sog. Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen
Amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern
mitgetheilt werden.
Meldekarten nebst Umschlägen zur portofreien Einsendung an das
K. Statistische Bureau sind durch die k. Bezirksärzte zu erhalten. Diese Karten
dienen ebenso zu sog. Sammelkarten, welch’ letztere zur Vermeidung von
Verzögerungen ohne Rücksicht auf etwa ausständige Anzeigen gleich¬
falls bis längstens 20. jeden folgenden Monats einzusenden wären. Allenfalls
später eingekommene Meldungen wollen auf der nächstfolgenden Karte als
Nachträge gekennzeichnet, aufgenommen werden. Noch in Händen be¬
findliche sog. Postkarten wären aufzubrauchen, jedoch durch Angabe der
behandelten Influenzafälle zu ergänzen und gleichfalls unterümschlag ein¬
zusenden. — Sog. Zählblättchen dagegen werden vom K. Statistischen Bureau
weder beschafft noch versendet.
*) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 40) eingelaufener Nachträge. — s) Im Monat August 1902 einschliesslich der Nach
träge 1067. — ®) 32 mit 35. bezw. 36. mit 39. Jahreswoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler’ß Buch- und Kunatdruekerw A.G., München.
bie künch. Med. Wochenschr. erscheint wöchentl
in Nummern von durchschnittlich 6—6 Bneen.
Preis in Deutschland, Oeslerr. -Ungarn u. Luxemburg
vierteljährl. Ji 6. — in allen übrigen Ländern Jt 8.—°
Einzelne No. 80 4.
Zusendungen sind zu adressiren: Für die Redaktion
Arnulfttr. 26. — Sprechstunde der Red. 10—11 Uhr. —
Für Abonnement an F. J. Lehmann, Heustr 20. —
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse,
Promenadcplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
0. v. Angerer, Ch. Bäumler, 0.
München. Freiburg i. B. München.
Herausgegeben von
> H- Curschmann, W . v. Leube, G. Merkel, J. v. Michel, F. Penzoldt, H, v. Ranke, F. v. Winckel,
Leipzig.
Würzburg.
Nürnberg.
Berlin
Erlangen.
München.
München.
No. 45. 11. November 1902,
Redaktion: Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
M. v. Nenckis Untersuchungen über den Blutfarb¬
stoff und dessen Beziehungen zum Blattfarbstoff.*)
Von Frau Dr. Nadine Sieber-Scliumoff in St. Petersburg.
In der umfassenden Lebensarbeit M. Nenckis nehmen
seine und seiner Schüler Untersuchungen über den Blutfarb¬
stoff eine hervorragende Rolle ein. Mit unermüdlichem Fleiss
und dem ganzen Aufgebot aller zur Verfügung stehenden
Methoden, mit seltenem Scharfsinn hat N e n c k i gerade dieses
Gebiet bis in seine letzte Lebenszeit hinein bearbeitet und, man
darf sagen, etwas Ganzes geschaffen, das die biologischen Grund¬
anschauungen in hohem Grade zu beeinflussen geeignet ist. Da
aber seine Untersuchungen zum Teil mehr in chemischen, dem
Mediziner schwerer zugänglichen Zeitschriften niedergelegt und,
ihrer Form nach, mehr für den Chemiker geschrieben sind, so
erscheint es nicht überflüssig, dieses wichtige und abgeschlossene
Gebiet auch einmal im Zusammenhänge der medizinischen Lese¬
welt näher zu bringen.
Die erste Arbeit M. Nenckis über den Blutfarbstoff ist
im Jahre 1884 erschienen. Ihr folgten jedes Jahr weitere Unter¬
suchungen bis 1890. Dann trat eine Unterbrechung von einigen
Jahren ein, nach denen er von neuem das für eine Zeitlang
verlassene Gebiet aufnahm. Seine Hauptaufmerksamkeit wandte
N e n c k i dem TI ä m i n zu. Ungeachtet dessen, dass die
Teichmann sehen Kristalle seit einem halben Jahr¬
hundert entdeckt waren, herrschte bis in die letzte Zeit hinein
keine Einigkeit unter den Forschern, welche mit der ge¬
nannten Substanz sich beschäftigt hatten, betreffend die Zu¬
sammensetzung dieses Körpers. Jeder, welcher sich damit be¬
schäftigte, kannte zu gut, sagt N e n c k i, alle die Schwierig¬
keiten, mit welchen man zu kämpfen hat, um den Körper voll¬
kommen rein zu erhalten.
Dank anhaltender, während mehrerer Jahre fortgeführter
mühevoller Untersuchungen ist es, Nencki gelungen, in glän¬
zender Art und Weise alle die hierauf bezüglichen Meinungs-
differenzen durch feststehende Tatsachen und Beobachtungen zu
beseitigen. In der ersten Arbeit, die gemeinschaftlich mit
N. Sieber ausgeführt wurde, ist es Nencki1) gelungen, durch
Amylalkohol den Farbstoff aus dem Blute, zu extrahieren und
das Hämin in grossen Quantitäten und sehr reiner Form zu er¬
halten. Durch vielfache Analysen der verschiedenen Präparate
wurde die Formel festgestellt, und zwar für Hämin
= C82 H31 N4 03 Fe CI.
Durch Auflösen des Hämins in Alkalien wurde das freie
Hämatin von der Formel = C8, H32 N4 Fe 04 erhalten.
Darauf folgten weitere Untersuchungen, welche immer mehr
Licht, sowie neue und wichtige Fortschritte und Tatsachen zur
Erkenntnis des Charakters und der Zusammensetzung dieser und
anderer Verbindungen brachten. So z. B. wurde von Nencki2)
mit N. Sieber das venöse Hämoglobin in kristallinischer
Form fast zu gleicher Zeit, aber ganz unabhängig von Hüfner
im Jahre 1886 dargestellt. Auch wurde das sogen. Parahämo-
*) Nach einem in der russ. Aerztegesellschaft gehaltenen Vor¬
träge.
ü Ber. 1884, S. 267.
s) Ber. 1886, S. 128.
No. 45.
globin erhalten und von Nencki3) und Lachowitz4 * * 7 8) weiter
untersucht.
Von sehr grosser Bedeutung war die Erkenntnis, dass die
mit salzsäurehaltigem Amylalkohol aus dem
Blute dargestellten Häminkristalle Amylalkohol,
sowie dass die mittels Eisessig erhaltenen Kristalle
in ihrem Molekül Eisessig enthalten.
Diese Beobachtung war leider von den anderen Forschern
nicht genügend beachtet, obschon gerade die Verwendung von
Alkohol und Mineralsäuren bei der Darstellung des
Hämins den Verdacht erwecken sollte, sagt Nencki, dass
das Haemin zum Teil esterifiziert werden könnte.
Die Vermutung wurde durch weitere Untersuchungen be¬
stätigt, und zwar zuerst durch die aus dem N encki sehen Labora¬
torium (in St. Petersburg) stammende Untersuchung von
M. Bialob rzeski '), welcher feststellen konnte, dass aus
Häminlösungen im Amylalkohol, in welchem Chlorwasserstoff
enthalten ist, beim lange Zeit fortgesetzten Erwärmen ein
Produkt erhalten wird, das nicht mehr in
Alkalien löslich ist. Nencki mit Rozycki1') ist es
weiter gelungen, verschiedene Ester des Hämins darzu¬
stellen und rein zu erhalten. Hauptsächlich aber durch die
weiteren wichtigen Untersuchungen von Nencki mit
Z a 1 e s k i ') wurde festgestellt, dass im Häminmolekül
zwei Hydroxyle enthalten sind, und dass dieser
Körper, nicht allein mit Säuren und Alkylradi¬
kalen Aether gibt, sondern selbst mit indiffe¬
renten Verbindungen Additionsprodukte
bildet.
So erhält man, wenn Blut durch Eisessig und Kochsalz
zum Zweck der Hämindarstellung nach Teichmann be¬
handelt wird, Acethämin, in welchem eine Acetyl-
gruppe enthalten ist, die weder mit O, noch mit N
in Verbindung steht.
Die verschiedenen Hämine und seine Derivate sind durch
verschiedene Kristallformen zu unterscheiden. Das Hämin aus
Aceton kommt in haarförmigen Kristallen; aus Amyalkohol in
sechsseitigen Tafeln u. s. w.
Zur Darstellung des Hämatoporp hy r i n s, das von
M u 1 d e r und Hoppe-Seyler durch Auflösen des
Hämatins in konzentrierter Schwefelsäure
erhalten und analysiert wurde, schlugen Nencki mit Sieber*)
vor, Bromwasserstoff in Eisessig zu verwenden. Nach dieser
Methode erhaltenes Iläinatoporphyrin ist eisenfrei und
zeichnet sich durch charakteristische Absorptionsbänder des
Spektrums als ein Farbstoff von der Formel C10 II1S N2.08 aus.
Durch Salzsäure wurde aus dem Hämatoporphyrin das salz¬
saure Ilämatoporphyrin in kristallin i. scher
Form von prächtig roter Farbe erhalten (C16 H1S N„ 03 HCl).
Durch Reduktion mittels naszierenden Wasserstoffes, am
besten durch Zinn und Salzsäure in alkoholischer Lösung, erhält
man aus Hämatoporphyrin einen dem Urobilin aus
3) Ber. 1885, S. 2126.
4) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmol. Bd. XX, 332 u. 325.
B) Ber. 1896, 2842.
°) Ber. XXXII, 2928.
7) Zeitschr. f. pliysiolog. Chemie Bd. 30, S. 384, 1900.
8) Arch. f. exp. Pathol. Bd. 24, 430.
1
s74
Bilirubi n ähnlichen, isomeren Körper, der durch
grüne Fluoreszenz mit der ammoniakalischen Chlorzink¬
lösung , sowie durch das gleiche Absorptionsband , näm¬
lich in gleicher Lage des Spektrums, ausgezeichnet, ist.
Durch Verreiben der Häminkristalle mittels konzentrierter
Schwefelsäure nach N e n c k i und Sieber wurde das An¬
hydrid des Hämatoporphyrins, wie es sich nachher
gezeigt hat, erhalten, das aus zwei Molekülen des Hy¬
drats unter Austritt vom Wasser gebildet
wird: (Clö II18 N„ 03)2 = C32 IF34 N4 05 + H2 O.
Von Nene k i mitl. Zaleski0) wurde das Hämato-
porphyrin, von der Formel C16 H1S N2 03 auch durch B r o m-
wasser Stoff aus Acethämin erhalten und durch ein¬
gehende Untersuchungen festgestellt, dass das Hämatoporphyrin
den Charakter einer Amidosäure besitzt, auch Salze
mit Basen zu geben vermag. Auch wird es leicht
esterifiziert.
Inzwischen hatten E. S c h u n k und Marchlewski )
darauf hingewiesen, dass das Phylloporphyrin C10H18N,O,
der roteBlutfarbstoff, der aus Phyllotaonin resp. C h 1 o r o -
p h y 1 1 erhalten wird, dem spektroskopischen A erhalten und der
Zusammensetzung nach nahe dem Hämatoporphyrin
von Nencki und Sieber steht.
Phylloporphyrin = C10 II1S O V
Hämatoporphyrin = C10 H1S 03 N2.
Nunmehr wurden von Nencki und seinem Mitarbeiter Ver¬
suche angestellt, ob man durch Entziehen von 2 Atomen Sauer¬
stoff aus dem Hämatoporphyrin nicht zu dem Phylloporphyrin
von S c h u n k und Marchlewski, dem Derivate des Chloro¬
phylls, gelangen könnte.
Von Nencki mit Zaleski wurde versucht, durch
Schütteln mit Diamid den Sauerstoff zu entziehen, sowie auch
nach dem Beispiel von E. Fischer die beiden Hydroxyle des
Hämatoporphyrins mittels (PC15) Phosphorpentachlorid durch
Chlor und hierauf die eingeführten Chloratome wieder durch
Wasserstoff zu ersetzen. Im letzteren Fall fand in der Tat eine
Einwirkung statt, aber die Reaktion ging zu weit. Es wurde
sogar zu einem biologischen Reduktionsmittel 'ge¬
griffen und dadurch die Einwirkung an aerober Bak¬
terien (Tetanus und malignes Oedem), sowie durch C li o 1 e r a-
Vibrionen in Mischkultur versucht, den Sauerstoff
dem Hämatoporphyrin zu entziehen, ohne aber dass das erstrebte
Ziel erreicht wurde.
In einer Abhandlung, welche im J ahre 1896 u) veröffentlicht
wurde, hat Nencki auf die Aeknlichkeit der Muttersub¬
stanzen der beiden F arbstoffe, des Hämins und des P h y 1 Io¬
ta o n i n s (aus Chlorophyll), betreffend ihr chemisches V er¬
halten, speziell auf das V ermögen, Ester zu bilden, hin¬
gewiesen. Durch Verseifung der entsprechenden Ester werden
einerseits das FI ä m a t i n (C32 H31 03 N4 Fe OH), anderer¬
seits das freie Phyllotaonin (C40 H30 N„ 05 OII) erhalten.
Nencki äusserte die Ansicht, „dass er es als eine der
wichtigsten Aufgaben der physiologischen Chemie betrachtet,
die Ueberführung des einen der beiden Farb¬
stoffe in den anderen zu bewirken und dadurch ihre
genetische Beziehung zu einander festzustellen. Er meinte, dass
damit „uns ein Einblick in die entfernteste Vergangenheit der
Entwickelungsgeschichte organisierter Wesen gestattet und auf
die Stammverwandtschaft der so verschiedenen Organismen, wie
der pflanzliche und tierische sind, hingewiesen wird“.
Die Verschiedenheit der Organismen, sagt Nencki, ist
„nicht allein durch die Form und den Bau der Organe, sondern
auch durch die chemischen Verbindungen, aus welchen die
lebendigen Zellen bestehen, bedingt. Von der Natur dieser Ver¬
bindungen hängt der Modus des Stoffwechsels ab, und je nach
dem Stoffwechsel richtet sich die Gestalt der Zellen und ihre
Differenzierung zu einzelnen Organen. Ein tieferes A erständnis
der Entwickelungsgeschichte der Organismen ist daher nicht
allein vom Vergleich der Formen, sondern auch vom Vergleich
der chemischen Zusammensetzung des Zelleibes und des Stoff¬
wechsels zu erhalten.“
°) Zeitschr. f. physiolog. Chemie Bd. XXX, 384.
10) Ann. d. Chem. 284, 81 und 290, 306.
X1) Ber. 1S96, 2877.
No. 45.
Enthält das Hämatoporphyrin zwei durch Al¬
kyle ersetzbare W asserstoffe, so kann es als Di¬
oxydverbindung des Phylloporphyrins ange¬
sehen werden. Zum Ziele konnte man auf zwei AV egen, wie
Nencki meinte 12), kommen, nämlich entweder durch Oxy¬
dation des Phylloporphyrins, d. h. durch Dar¬
stellung seines Dioxydproduktes oder umgekehrt d u r c h
ReduktiondesHämatoporphyrins. Da das Phyllo¬
porphyrin schwer zugänglich ist, so wurde zuerst der zweite W eg
eingeschlagen. Durch frühere Beobachtungen von Nencki
und Sieber wusste man nämlich, dass, wenn bei der Dar¬
stellung des Hämatoporphyrins statt des
bromwasserstoffhaltigenEisessigs jodwasser¬
stoffhaltiger verwendet wird, kein Hämatopor¬
phyrin, sondern ein jodhaltiges amorphes Produkt
entsteht. Aus dem Roh- Acethämin wurde durch J odwasser-
stoff oder Jodwasserstoff säure auch ein amorphes Produkt er¬
halten. Durch Einwirkung aber von Phosphonium-
jodid auf Roh-Acethämin, in Eisessig auf¬
gelöst, wurde nunmehr von Nencki und Zaleski ) ein
kristallinischer j o d f r e i e r Körper, der mit
Mineralsäuren kristallinische Salze gibt, er¬
halten. Die Analysen dieses neuen Körpers haben ergeben, dass
ihm die Formel C10 FI1S 0„ N2 zukommt, und dass er infolge¬
dessen in der Mitte zwischen dem Phylloporphyrin und
dem Hämatoporphyrin steht, weswegen er Meso-
porphyrin genannt wurde. Spektroskopisch sind das Meso-
und Hämatoporphyrin nicht zu unterscheiden.
Mittels Salzsäure erhält man das Salzsäure - Meso-
porphyri n. Aus der alkoholischen Lösung des Salzsäure-
Mesoporphyrins wurde durch Kalium-, Natrium-, Ammonium¬
acetat das freie Mesoporphyrin in grösseren Kristallen erhalten.
Es wurden auch Kristalle dargestellt, die grosse Aehnlichkeit
mit den Hämatoidinkristallen besassen, welche in den
Blutextravasaten beobachtet werden. A on besonderer AVichtig-
keit war aber die Entdeckung des M e s o p o r p h y r i n s, weil
dies bedeutend reaktionsfähiger zu sein scheint als das Hämato¬
porphyrin und damit für weitere Forschungen über
den Zusammenhang zwischen Blatt- und Blut¬
farbstoff auch viel geeigneter.
Durch Oxydation des Mesoporphyrins in Salzsäurelösung
mittels AVasserstoffsuperoxyd wurde eine Verbindung erhalten,
w eiche dunkelgrün gefärbte mikroskopische
Kristall nadeln bildet und als chlorhaltiges Produkt auf-
gefasst werden kann.
Von Nencki und Zaleski13) wurde weiter beobachtet,
dass, wenn bei der Darstellung des Mesoporphyrins die Lösung
länger erwärmt oder mehr (PH4I) Jodphosphonium zugesetzt
wird, ein mit AVasser dämpfen flüchtiger, sauerstof freier, ölartiger
Körper erhalten wird, welcher Hämopyrrol genannt wurde.
Das Hämopyrrol ist in Wasser wenig löslich, es färbt einen
befeuchteten Fichtenspan intensiv rot, was für ein Pyrrolderivat
spricht. Es besitzt einen an Skatol oder Naphthalin erinnern¬
den Geruch. Mit Sublimat gibt das Hämopyrrol ein
Quecksilber-Doppelsalz in Form eines amorphen,
weissen Niederschlages, welcher in Alkohol löslich, in AVasser
aber vollkommen unlöslich ist; durch Pikrinsäure erhält man
ein Pikrat in Form von gelben Nadeln oder 6 seitigen Blätt¬
chen. Die Analysen der beiden Salze ergaben Zahlen, welche
für die folgende Zusammensetzung des Hämopyrrol sprechen
— C8 II13 N. Das Hämopyrrol ist in Mineralsäuren löslich,
nicht aber in Essigsäure.
Die Zusammensetzung des Quecksilbersalzes spricht dafür,
dass durch Metall im Hämopyrrol der Imidwasserstoff
ersetzt wird.
Das Hämopyrrol färbt sich schnell (schon nach
2 tägigem Stehen) an der Luft rot und gibt hämatogenes
LT r o b i 1 i n, welches durch entsprechende Reaktionen fest¬
gestellt wurde. Die Absorptionsbänder des Spektrums sind iden¬
tisch mit denen des Urobilins aus Bilirubin (Gallen¬
farbstoff).
AVeiter wurde ermittelt, dass das Hämopyrrol durch den
Tierkörper (Hund und Kaninchen) als Urobilin aus-
,2) Monatsh. f. Chemie 9, 91, 1888.
13) Ber. 34, S. 997.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
11. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1875
geschieden wird. Im Ivanincbenharn wurde nach Ilämo-
pyrrolinjektion kein Indikan gefunden.
Da das Hämin durch Bromwasserstoff fast quantitativ in
2 Moleküle Hämatoporphyrin gespalten wird, so müssen,
meinte Fi e n c k i, das H ä m a t o - resp. IVl eso- resp.
P h lloporphyrin aus 2 Molekülen Hämopyrrol bestehen.
Unter \ orbehalt, dass die weiteren Untersuchungen es bestätigen
würden, wurde von N e n c k i und Z a 1 e s k i ein unge¬
fähres Bild von dem chemischen Bau des
Hämins und der Porphyr ine entworfen und zwar die
3 Möglichkeiten ausgesprochen. Entweder ist das Hämo¬
pyrrol ein Ilexahydroindol oder die mit dem
P y rrolkern verbundene C4II3- Gruppe bildet
eine offene Kette, d. h. das Hämopyrrol konnte ein
B u t y 1 oder Methylpropylpyrrol u. s. w. sein.
Da es nicht gelungen ist, sagt Nencki, auch nur in
Spuren Indol aus Hämopyrrol zu erhalten, so spricht
alles mehr für die letzten 2 angeführten Möglich¬
keiten, d. h. dass das Hämopyrrol entweder
Butyl oder Methylpropyl-Pyrrol repräsen¬
tiert.
Für die Methyl-Pyrrol-Präexistenz im besonderen spricht
nun aber der Umstand, dass diese Farbstoffe aller Wahrschein¬
lichkeit nach als Spaltungsprodukte des Eiweisses bezw. der
chromogenen Gruppe desselben gebildet werden.
Nach Nencki ist es wahrscheinlich, dass die beiden
Porphyrinmoleküle im Hämin durch das Eisen
zusammengehalten werden. V on den 3 Sauerstoffen
des Hämins hat keiner die Eigenschaften eines Aldehyds oder
Ketonsauerstoffes. Nachgewiesen sind darin 2 Sauerstoffe,
welche als Hydroxyle enthalten sind. Das Chlor in der
salzsauren Verbindung ist wahrscheinlich mit dem Eisen ver¬
bunden und durch Hydroxyle beim Auflösen des Hämins in
Alkalien, wobei Hämatin entsteht, ersetzt. Möglich, auch nach
Nencki, dass das Eisen nicht 2 Kohlenstoffatome,
sondern 2 Stickstoffatome in dem Porphyrinmolekül zu¬
sammenhält.
Schon in der vorher zitierten Arbeit hat Nencki seine
Meinung geäussert, dass er nicht zweifelt, dass aus Phyllo-
porphyrin mittels J odwasserstoff und Phosphoniumjodid in
Eisessig Hämopyrrol zu erhalten wäre. Es war ferner be¬
reits festgestellt — und auch das liess sich zu Gunsten der
Pyrrolnatur des Hämato- und Phylloporphyrins anführen — ,
dass beide Präparate bei der trockenen Destillation Pyrrol
resp. seine Homologe liefern.
Aber der Zusammenhang zwischen Hämato- und
Phyllo porphyrin konnte erst als endgültig festgestellt
werden, wenn es gelang, auf dem gleichen Wege — also mittels
Jodwasserstoffsäure, Phosphoniumjodid und
Eisessig — das Phylloporphyrin in Hämopyrrol
überzuführen. Dieses Ziel, das endgültig die
Beziehung des Blatt- und Blutfarbstoffes
klar stellt und damit auch einen grundlegenden Zu¬
sammenhang zwischen Tier- und Pflanzen¬
welt, wurde durch Nenckis und Marchlewskis11)
Unter suchungen erreicht. Aus Phyllocyaninkupfer-
acetat (Chlorophyllderivat) gelang es in der Tat, durch Jodwasser¬
stoffsäure, Phosphoniumjodid und Eisessig Hämopyrrol zu
erhalten und durch charakteristische Reaktionen, so wie in
Form seiner Quecksilberverbindung darzustellen und dasselbe
auch in Urobilin überzuführen.
In der mehrmals zitierten Abhandlung „U eher die bio¬
logische Beziehung des Blatt- und Blutfarb¬
stoff e s‘k sagt Nene k i, „wir haben Grund, anzunehmen,
dass Lebewesen, welche relativ mit den einfachsten Mitteln
die organische Materie aus Kohlensäure, Wasser und Ammoniak
aufbauen, mit zu den ältesten Bewohnern unserer
Erde gehöre n“. Die pflanzlichen Organismen bedürfen,
das Chlorophyll, um unter Mitwirkung der Sonnenstrahlen die
Kohlensäure in Stärke überzuführen. Aus der Muttersubstanz
des Chlorophylls entsteht dann in einer viel späteren Periode
nn Tierkörper der Blutfarbstoff. Dessen Funktion scheint, vor¬
läufig, eine viel einfachere zu sein, nämlich, den Luftsauerstoff
in lockerer Bindung zu den Zollen der einzelnen Organe zu über¬
bringen. Das Chlorophyll aber, sagt Nencki, ist nicht nur
den Pflanzen eigen. Nach Untersuchungen von K. Brand
gibt es zahlreiche Protozoen, Coelente raten, sowie
Planarien, in welchen das Chlorophyll nicht von
diesen Tieren selbst erzeugt ist, sondern in besonderen Organis¬
men, einzelligen Algen (Zoochlorellen) enthalten ist. Diese
Zoochlorellen ernähren ihre Wirte vollständig. „Wenn der
Wirt wenig oder gar keine Zoochlorellen ent¬
hält, so ernährt er s i ch als echtes Tier durch
Aufnahme organischer Stoffe. Sobald die
Wirte genügende Mengen dieser grünen Algen
enthalten, ernähren sie sich vermöge derselben
wie echte Pflanzen — durch Assimilation von
anorganischen Körper n.“
Die chlorophyllosen Nitritbakterien sind
andererseits nach S. Winogradski im stände , aus
Kohlensäure, Ammoniak und anorganischen Salzen auch
komplexe organische Verbindungen aufzubauen. Gleich wie in
grünen Pflanzen findet in ihnen eine Reduktion der CO„ und
Bildung organischer Substanz statt, mit dem einzigen Unter¬
schiede, dass der Sauerstoff nicht als Gas entweicht, sondern zur
Oxydation des Ammoniaks zu salpetriger Säure verwendet wird.
Es gibt aber auch Spaltpilze, welche wie die tierischen Organis¬
men von komplexen Eiweissubstanzen sich ernähren und der
zur Oxydation notwendige Sauerstoff wird entweder aus der Luft
oder aus dem Nährboden (Anaerobiose) entnommen. Es gibt un¬
zweifelhaft auch Tiere, sagt Nencki, welche mittels eines an
ihr eigenes lebendiges Protoplasma gebundenen, von Chloro¬
phyll nicht zu unterscheidenden Farbstoffes
im Lichte wie grüne Pflanzen Kohlensäure assimilieren. Wie es
chlorophyllose Pflanzen gibt, so gibt es bekanntlich im Tier¬
reiche ganze Klassen, die kein rotes Blut haben, so z. B. findet
sich bei den Coelente raten, Ascidien und acephalen
Mollusken statt roten Blutes eine farblose Flüssigkeit vor,
in welcher Eiweisstoffe und zellige Elemente enthalten sind.
Die Cephalopoden, Gastropoden und Crusta-
c e e n haben in ihren Gef ässen einen farblosen Eiweisskörper,
der an der Luft bläulich wird — das Hämocyanin — , wel¬
chem respiratorische Funktion zugeschrieben wird. Erst bei
den W ürmern und bei allen Wirbeltieren ist rotes liämo-
globin haltiges Blut vorhanden.
Ferner gibt es nach Nencki „in der organisierten
Welt zahlreiche Beispiele, wonach die Reduktion
der Kohlensäure zu organischer Materie und
die Oxydation der letzteren zu Kohlensäure
ohne Chlorophyll oder Hämoglobin geschieht.
Bei den extremen Repräsentanten des Pflanzenreiches, den
Blattpflanzen, und andererseits den rotes Blut
führenden Tieren werden aus einer und der¬
selben Muttersubstanz einerseits das Chloro¬
phyll, andrerseits das Hämoglobin aufgebaut.
Unserem biologischen Denken ist, wie wir sehen, ein neues
Gebiet erschlossen und eine neue, wichtige Erkenntnis zu den
vorhandenen Tatsachen hinzugefügt, die uns beweisen, dass
Tier- und Pflanzenreich auch in biologischer Bezieh¬
ung nicht so streng von einander zu scheiden
sind, wie man, noch vor wenigen J ahrhunderten, anzunehmen
geneigt war.
Hämoglobin
Hämin
Hämatin
Hämatoporphyrin
Cl6 Hl8 N2 Ü3
Mesoporphyrin
Cl6 His N2 62
\
3") Damit Urobilin aus Hämopyrrol entsteht, müssen 4 Mole¬
küle Hämopyrrol unter Aufnahme von Sauerstoff uncl Abspaltung
von Wasserstoff, wie es aus der folgenden Gleichung zu sehen ist,
in Reaktion treten: (C3 H13 N)4 -ff Ö13 = C32 H10 07 N4 -|- 6 H, O.
1*
Chlorophyll
Pb yllocyanin
Phyllotaonin
Phylloporphyrin
Cie His N2 0
Hämopyrrol
Cs H13 N
I
Urobilin13)
C32 Hio O7 N4.
u) Ber. 34, S. 1687.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
1876
Wir verdanken diese Erkenntnis den bahnbrechenden Unter¬
suchungen, der unermüdlichen Arbeit eines Gelehrten, der in sel¬
tener Weise chemisches und biologisches Wissen in seiner Person
vereinigte und gerade dadurch befähigt war, dieses schwierige
Gebiet zu klären.
Zur besseren Orientierung sei hier noch einmal der Zu¬
sammenhang zwischen Blut- und Blattfarbstoff, sowie ihrer
Derivate, kurz gegeben. (Siehe vorige Seite.)
Die Kohlehydrate der Eiweisskörper des Blutserums.*)
Von Dr. med. et phil. Leo Langstein.
Die klinisch und experimentell sichergestellte Tatsache, dass
sich im tierischen Organismus Zucker aus Eiweiss bilden könne,
hat die Aufklärung des Problems der Zuckereiweissfrage von
chemischer Seite erhoffen lassen. „Das Eiweiss lässt sich als ein
Glykosid bezeichnen, das bei seiner Spaltung im Organismus
neben kohlensaurem Ammon . hauptsächlich Kohlehydrat
liefert“, zu dieser Auffassung bekennt sich v. Hering im
Jahre 1887 in einem Vortrag über Diabetes melitus, und er
schliesst daran: „Ich bin fest überzeugt, dass es der Chemie
gelingen wird, aus Eiweiss Kohlehydrat und Kohlehydratsäuren
abzuspalten“.
Man war nahe daran, das Problem der Zuckereiweissfrage
für gelöst zu halten, als es P a v y gelungen war, aus einigen Ei¬
weisskörpern reduzierende und Osazon gebende Substanz zu ge¬
winnen, und er selbst war wohl der überzeugteste Vertreter jener
Richtung, die in der „glykosidischen Natur“ des Eiweisses des
Räthsels Lösung erblickte.
Die heutzutage ziemlich allgemein geteilte Auffassung ist,
um es kurz zu sagen, derjenigen, die Pavy und mit ihm viele
andere vertraten, gerade entgegengesetzt. Diese Wandlung der
Anschauungen, die sich innerhalb des letzten Dezenniums voll¬
zog, ist eine Folge genauerer Kenntnisse der Kohlehydratgruppen
gewisser Eiweisskörper. Es empfiehlt sich wohl, dieselben in
folgendem kurz zu präzisieren.
Aus Knorpeleiweiss lässt sich ein stickstoffhaltiges komplexes
Kohlehydrat abspalten, das sog. Chondrosin. Nach Schmiede¬
berg enthält dasselbe in seinem Molekül die Gruppe des Chito¬
samins und der Glykuronsäure. Doch ist diese Tatsache noch
nicht hinlänglich gestützt. Eine Reihe von Mucinen, Mucoiden,
wie auch einige echte Eiweisskörper — Eialbumin, Eiglobulin,
Albumin aus Eigelb — enthalten Chitosamin, dasjenige stick¬
stoffhaltige Kohlehydrat, das Ledder h ose aus Chitin durch
Spaltung mit konzentrierter Salzsäure erhielt. Die Kohlehydrate
der Nukleoproteide scheinen vorwiegend Pentosen zu sein.
Das Kohlehydrat des Pankreasnukleoproteids hat Neu¬
berg durch eine wichtige Untersuchung als Xylose identi¬
fiziert.
Wir sehen, dass es bisher nicht gelungen ist, aus einem Ei¬
weisskörper einen gärfähigen Zucker, ein Kohlehydrat, dessen
Beziehungen zur Glykogenbildung unzweifelhaft sind, abzu¬
spalten ; und man ist immer mehr geneigt, den Befund des Chito¬
samins zu verallgemeinern und damit den chemischen Teil des
Zuckereiweissproblems für gelöst zu halten. Es wird dabei über¬
sehen, dass die im Haushalt des tierischen Organismus eine Rolle
spielenden Eiweisskörper fast gar nicht untersucht sind. Gerade
eine genauere Kenntnis der Kohlehydratgruppen dieser — das
werden meine folgenden Ausführungen zeigen — beweist jedoch,
dass auch der chemische Teil der Zuckereiweissfrage viel kom¬
plizierter, als man gegenwärtig annimmt, dass eine jede Vei’-
allgemeinerung auf Grund vorliegender Befunde verfrüht ist.
Als bestbekannte Repräsentanten tierischer Eiweisskörper
habe ich die des Blutserums untersucht. Bezüglich des krystalli-
sierten Serumalbumins kann ich mich kurz fassen, da eine Mit¬
teilung meiner Resultate vor einiger Zeit in Hofmeisters Bei¬
trägen erfolgte. Das Serumalbumin ist ein kohlehydratarmer
Eiweisskörper. Auf das Reduktionsvermögen der Glukose be¬
rechnet, enthält es ungefähr Vs Proz. Kohlehydrat. Dieses ist
Chitosamin oder ein isomeres. Ausserdem beteiligt sich an seiner
Zusammensetzung eine stickstoffhaltige, ammoniakalische Silber¬
lösung reduzierende Kohlehydratsäure, deren Konstitution noch
nicht hinreichend geklärt ist.
*) Nach einem in der inneren Sektion der 74. Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad gehaltenen Vor¬
trag.
Viel komplizierter, aber auch viel interessanter liegen die
Verhältnisse beim Blutglobulin, das ich im Laboratorium meines
verehrten Chefs, Herrn Prof. Friedrich Müller, an der medi¬
zinischen Klinik in Basel untersuchte. Ich habe bei dieser Unter¬
suchung vollständig von der noch nicht geklärten Frage ab¬
gesehen, wie viele Eiweisskörper sich an der Zusammensetzung
des Blutglobulins beteiligen. Zur Untersuchung wurde der ge¬
samte, durch Halbsättigung von Pferdeblutserum mit Ammon¬
sulfat aussalzbare Anteil herangezogen. Bei der Herstellung des¬
selben wurde ich in uneigennütziger Weise von den Höchster
Farbwerken unterstützt. Dass im Blutglobulin ein Kohle¬
hydratkomplex präformiert ist, war durch Untersuchungen von
lörner und E i c h li o 1 z sichergestellt. Ueber die Natur des¬
selben haben die beiden Forscher nichts Näheres ermittelt.
Eichholz ist der Meinung, dass das Kohlehydrat nicht aus
dem Globulin, sondern aus einem diesem beigemengten Mucoid-
stoff stamme. Auf Grund meiner eigenen diesbezüglichen Er¬
fahrungen, die ich a. a. O. mitteilen werde, kann ich dieser Auf¬
fassung von Eich holz nicht beipflichten, ich schliesse mich
Mörner an, der in einem Globulin die Muttersubstanz des
Kohlehydrates sieht.
Da in nächster Zeit eine ausführliche Mitteilung meiner
Untersuchung der Kohlehydrate der Blutglobuline in Hofmeisters
Beiträgen erscheint, mit genauer Angabe der Methodik, kann
ich mich hier auf die Mitteilung des Notwendigsten beschränken.
Zur Abspaltung der Kohlehydrate diente mir verdünnte Brom¬
wasserstoffsäure, zur Identifizierung jener die Oxydations- und
Benzoylprodukte, aus welch letzteren die Kohlehydrate selbst
durch Verseifung dargestellt wurden. Es wurden isoliert: Lin
stickstoffhaltiges Kohlehydrat, das nicht Chitosamin ist, dessen
Benzoylprodukt durch gutes Kristallisationsvermögen ausge¬
zeichnet ist; ein linksdrehender, nicht vergärbarer, ein gut
kristallisierbares Osazon gebender Zucker; endlich als wich¬
tigstes Ergebnis: ein rechtsdrehendes, ver¬
gärbares, zu Zuckersäure oxydables Kohle¬
hydrat, dessen Benzoylprodukt vollständig
identisch war mit Benzoylglukose. Es kann
demnach keinem Zweifel unterliegen, dass
Traubenzucker, dieses im Haushalt des tieri¬
schen Organismus die wichtigste Rolle spie¬
lende Kohlehydrat, sich am Aufbau des Blut¬
globulins beteiligt.
Ob von mir nachgewiesener Fruchtzucker im Blutglobulin
wirklich präformiert ist, muss vorläufig dahingestellt bleiben,
da er sich bei der zweimal vorhanden gewesenen alkalischen- Re¬
aktion möglicherweise aus Traubenzucker sekundär gebildet hat.
Auf die Bedeutung des Befundes von Traubenzucker im Ei¬
weissmolekül als stickstof freien Baustein desselben wurdevon Prof.
Hofmeister bereits in seinem Vortrag über die Konstitution des
Eiweissmoleküls in Karlsbad hingewiesen, es mögen hier nur noch
ein paar Worte über die physiologische Bedeutung Platz finden.
Vor allem sei die Frage aufgeworfen: Erklärt uns der Befund
von Traubenzucker im Blutglobulin seine Bildung aus Eiweiss
im Organismus? Können die grossen Mengen Traubenzuckers,
die z. B. vom diabetischen Organismus aus Eiweiss gebildet wer¬
den, durch die einfache Abspaltung von Traubenzucker aus Blut¬
globulin, durch die glykosidische Natur dieses Eiweisskörpers,
ihre Erklärung finden?
Külz hat seinerzeit den Ausspruch getan, dass, wenn es
selbst einmal gelänge, aus Eiweiss einen Körper abzuspalten,
dessen Beziehungen zur Glykogenbildung unzweifelhaft sind, es
für die Beurteilung der physiologischen Bedeutung dieses Be¬
fundes im wesentlichen auf die Menge ankäme, in der dieser
Körper vorhanden wäre. Nach meiner Berechnung enthält das
Blutglobulin ungefähr 1 Proz. Glukose, eine nicht im entfern¬
testen ausreichende Menge, um die vom diabetischen Organismus
aus Eiweiss gebildete zu decken. Allerdings gibt der Befund des
Traubenzuckers zu einer anderen Betrachtungsweise Anlass.
Das Blutglobulin könnte im stände sein, sich mit Kohlehydrat zu
beladen, um es in der Leber abzugeben, so dass es kohlehydrat¬
ärmeres und kohlehydratreicheres Blutglobulin gäbe — eine An¬
nahme, die jüngst Mörner für das kristallisierte Ovalbumin
gemacht hat. Diese Hypothese gewinnt an Wahrscheinlichkeit
durch den von S e e g e n erhobenen Befund eines stickstoffhalti¬
gen Kohlehydrates in der Leber, das durch Spaltung sich in einen
vergärbaren Zucker überführen lässt; denn ein stickstoffhaltiges
11. November 1902,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1877
Kohlehydrat muss nach Hörners und meiner Untersuchung
auch als Muttersubstanz der Globulinglukose angenommen
werden.
Was ich eben vorbrachte, ist nur eine Hypothese, die nicht
mehr als den Wert einer solchen beansprucht. Der Zweck dieser
vorläufigen Mitteilung ist vollständig erfüllt, wenn es mir ge¬
lungen ist, zu zeigen, dass auch der chemische Teil der Zucker¬
eiweissfrage noch keineswegs erledigt ist, dass vielmehr ein jeder
Fortschritt in diesem anregend wirkt für höchst wichtige Stoff¬
wechselfragen.
Aus der I. medizinischen Klinik des Herrn Professor v.Bauer
in München.
Zur Kenntnis der rhinogenen purulenten Meningitis
und Zerebrospinalmeningitis.
\ on Dr. Theodor Struppler.
Noch bis vor ca. 20 Jahren wurde bei Sektionen von
Menmgitisf allen der Ausgangspunkt häufig nicht aufgedeckt; als
man aber den pneumatischen Höhlen des Schädels mehr Beach¬
tung schenkte, ist die Diagnose „sporadische epidemische Zere¬
brospinalmeningitis“ klinisch und auch auf dem Sektionstisch
viel seltener geworden und die Literatur über die sogen, rhinogene
und otogene Meningitis, je fleissiger danach gesucht wird hat
stets zugenommen. Damit soll nun nicht gesagt sein, dass bei
der echten Zerebrospinalmeningitis nicht auch in den Nasen¬
nebenhöhlen ausserdem noch andere komplizierende Prozesse sich
lokalisieren könnten, die höchst wahrscheinlich erst nach Aus¬
bruch des Grundleidens entstanden sein können, zu welcher An¬
nahme daraufhin gerichtete Untersuchungen von E. Fränkel
drängen.
Nachdem W eigert bei einigen Sektionen von Zerebro¬
spinalmeningitis gezeigt hatte, dass die oberen Teile der Nasen¬
höhlen einen intensiv entzündlich-eitrigen Zustand auf wiesen,
hat Strümpell (1882) bei einer Besprechung der Aetiologie
der Meningitis cerebrospinalis epidemica den Gedanken aus¬
gesprochen, dass die Entzündung in der Nasenhöhle möglicher¬
weise einen Anhaltspunkt geben könne für die Erforschung des
Weges, . äuf ^ welchem der Infektionsstoff der epidemischen
Meningitis in den Körper, speziell in die scheinbar so abge¬
schlossenen Höhlen des Gehirns und Rückenmarks gelangt.
Strümpell hat deshalb damals ausser den Störungen des
Gesichts und Gehörs auch den Störungen des Geruchs eine ge¬
wisse Bedeutung beim Beginn und im Wesen der Zerebrospinal¬
meningitis beimessen wollen. Eine ältere, sichere und genau be¬
schriebene Beobachtung von Mair, wo der Zusammenhang
zwischen diffuser eitriger Meningitis und linksseitiger Antrum¬
eiterung nach Karies eines Molarzahnes (also dentalen Ursprungs)
vollständig klar war, hatte indessen schon vorher, seit 1866 Vor¬
gelegen.
Auch W eichselbaum, der wohl zuerst am posi¬
tivsten auf den rhinogenen Zusammenhang hingewiesen hat,
fand in 5 von 10 1 allen tödlich verlaufener Zerebrospinal¬
meningitis die Nasenhöhle mitergriffen und konnte somit den
früheren Hinweis von Weigert und Strümpell bestätigen.
Im Eiter der erkrankten Stellen waren von W eichselbaum
Pneumoniekokken nachgewiesen worden.
Die hierher gehörigen klinischen Beobachtungen über die
nasale Aetiologie der Meningitis haben bis zum Jahre 1896
Grünwald, Dreyfuss und neuerdings K i 1 1 i a n,
Schultz e, auf deren Arbeiten wir hiermit verweisen wollen,
bereits aufgeführt. Aus dieser Kasuistik kann man entnehmen,
dass es unrichtig ist, wenn man die chronischen Eiterungen der
Highmorshöhlen unter den eitrigen Nebenhöhlenkatarrhen, für
die am meisten harmlosen in Bezug auf Mortalität halten wollte.
Auch ohne dass operative Eingriffe an der Nase — die man
gerne anzuschuldigen pflegte — vorausgegangen wären, kann es
von der Kieferhöhle aus auf dem Wege der venösen Blut- und
Ly ni p li bahnen zu Infektion der Meningen kommen (nach den
Untersuchungen Zuckerkandis anastomosieren die Nasen¬
venen mit denen der Dura mater1); dabei kann das Siebbein-
’) Z u c k e r k a n d 1 gelang es, durch Injektion einer Flüssig-
111 öen Sinus longitud. superior unmittelbar über der Nasen¬
höhle zu beweisen, dass die Venen der Schleimhaut der Stirn¬
höhlen und diejenigen, welche zum Foramen coeeum hinführen,
ebenso wie die der oberen Hälfte der Nase mit der von obenher
No. 45.
labyrinth gleichzeitig sekundär miterkrankt sein oder ganz gesund
befunden werden.
Ganz besonders hat Grünwald den Zusammenhang der
tödlichen endokephalen Entzündungen mit latenten Eite¬
rungen betont und zu beweisen versucht, dass die jeweilige Ope¬
ration — von Fällen wirklicher, grober Kunstfehler abgesehen —
nur als Gelegenheitsursache zum Ausbruch der ersteren aufgefasst
werden könne. — Im Verlaufe der letzten paar Jahre ist eine
weitere Reihe von Fällen, welche teils mit gutem, teils mit
schlechtem Erfolg operiert wurden, und solche, die unoperiert ge¬
blieben und ad exitum gekommen sind, bekannt geworden. Be¬
merkenswert erscheinen uns die folgenden:
Dennis: Empyem der Siebbeinzellen. Operation. Tod.
E. Fränkel: Chronische Eiterung in beiden Highmors¬
höhlen. Empyem der Stirnhöhle. Thrombophlebitis des oberen
Längsblutleiters mit Fortkriechen nach dem Querblutleiter und
konsekutiver Pyämie. Keine Operation. Tod.
iNaen n. vvertneims Statistik über 10 394 Autopsien
des Breslauer pathologischen Instituts durften 6 der endo-
kraniellen Eiterungsfälle2) der Kategorie zugezählt werden, bei
welcher die Nasenaffektion mit Sicherheit die endokranielle Kom¬
plikation ausgelöst hatte:
4 männliche Individuen von 13, 17, 23 und 43 und 2 weibliche
Individuen von 37 und 52 Jahren. In den Wertheimscheu
Fallen handelte es sich 4 m a 1 um eine Menin-
g 1 * 1 1 s p u rulenta, 1 m a 1 um Hirnabszess mit
Meningitis, 1 m a 1 um Stirnlappenabszess In
emem der 6 Fälle bestand nur Stirnhöhleneiterung, in einem
andern nur Keilbeinhöhlenempyem, 2 mal Keilbein- und Kiefer-
liohlenempyem zugleich; 1 mal waren Stirnhöhlen, Siebbeinzellen-
und Keilbeinhöhlen, 1 mal Stirnhöhlen, Siebbeinzellen und Kiefer¬
höhlen gleichzeitig Sitz der Erkrankung.
d1 r e i t e 1 hat etwa 6000 Sektionsprotokolle des Berliner
pathologischen Instituts durchgesehen, darunter konnten 3 Fälle
von Hirnabszess auf eine Eiterung der Stirn -resp. der Stirn-
und Siebbeinhöhle bezogen werden.
Röpke Stirnhöhleneiterung mit Durchbruch in die Orbita
und vordere Schädelgrube. Operation.
Nach Aufmeisselung der eiternden Stirnhöhle liegt die Dura
frei; lateral wärts kommt man mit der Sonde in die Orbita 4b-
meisselung des grössten Teiles der vorderen Wand, breite Durcli-
meisselung nach dem Siebbein, Ausschabung der kranken, stark
verdickten, sulzigen Schleimhaut der Stirnhöhle. Seitdem Wohl¬
befinden des Patienten.
Hopmann beobachtete einen ähnlichen günstig verlau¬
fenen Fall.
Claoue: Empyem der 1. Kieferhöhle. Akute Sekundär¬
affektion der anderen linken Nebenhöhlen. Tod durch diffuse
Meningitis.
Kieferhöhle war von der Alveole her geöffnet worden,
die Infektion der Stirnhöhle und besonders die der Etlimoidal-
zellen konnte aber dadurch nicht verhütet werden. Es wurden
diese letzteren noch von aussen her eröffnet. Trotzdem kam es
sehr bald zu Meningitis.
Gibson: Empyem der Stirnhöhlen und intrakranielle In¬
fektion.
Symptome von seiten der Nasen- und Stirnhöhlen, die seit
ü Jahren bestanden. Eröffnung beider Sinus. Exitus nach
9 Tagen an basaler Meningitis.
Schlagenhauf er : Meningitis suppurativa und Thrombo¬
phlebitis der Sinus longitudinalis bei „cystischer Entartung“
der Schleimhaut der Keilbeinhöhle, der Nase, beider Highmors¬
höhlen und der Siebbeinzellen.
Denker: Rhinogener Frontallappenabszess und extra¬
duraler Abszess in der Stirngegend, durch Operation geheilt.
H insberg: Stirnhöhleneiterung. Meningitis. 36 Stunden
nach der Operation Exitus letalis. —
Wir verfügen über 3 weitere einschlägige Fälle, welche wir
unter dem Meningitismaterial der medizinischen Abteilung des
injizierten Flüssigkeit erfüllt waren. Die Vena ethmoidalis anterior
und post, münden gewöhnlich in den Sinus longitudinalis superior,
manchesmal treten sie auch durch die Vena ophthalmica sup in die
Meningea ein und seltener durch die Vena ophthalm. inferior.
Es existiert auch eine Vene, welche durch die Lamina cribrosa
durchtritt und in den Sinus longitudinalis einmündet oder in die
Venen des Tractus olfactorius.
2) „Bezeichnend für diese mehr oder weniger klargestellten
Fälle ist die Zeit, in der sie zur Beobachtung kamen: einer der
6 Fälle wurde nämlich 1892/93, 3 Fälle wurden 1895/96 und
2 Fälle 1896/97 obduziert. Darnach entfallen also 5/0 dieser Fälle
auf das letzte Lustrum, in dem man ja erst angefangen hat, bei
der Sektion solcher Fälle auf die Verhältnisse in den Nebenhöhlen
der Nase besonders zu achten.“
2
L878
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
No. 45.
Herrn Prof. v. Bauer in den letzten 6 J ahren beobachten
konnten. Für die Ueberlassung der Kranlienberichte sage ich
auch an dieser Stelle meinem hochverehrten Chef verbindlichsten
Dank.
Auch diese Fälle von rhinogener Meningitis verdienen, wie
wir sehen werden, in vieler Beziehung besonderes Interesse.
I. Y. Oskar, Tischler, 24jähr.; Journal.-No. 945. (0. II. bis
IS. III. 1897.)
Auszug aus der Krankheitsgeschichte:
Anamnese nur dürftig zu erheben, da Pat. bei der Auf¬
nahme schon etwas benommen ist. Angeblich schon seit 8 Tagen
grosse Mattigkeit in den Gliedern, Schmerzen im Nacken, Rücken
und Kreuz; seit 3 Tagen Atem- und Schluckbeschwerden; viel Kopt-
weli, etwas Husten. 1890 Rippenfell-, Unterleibseiitzündung, Ge¬
lenkrheumatismus. Von Nasen- und Ohrenerkrankung ist nichts
bekannt.
Verlauf: 6. II. Temperatur bis 40,0°. Puls SO. Eiweiss,
Zucker positiv. Nackenstarre, Gehirnnerven intakt. Hyper¬
ästhesie der unteren Extremitäten. — Nach 2 Wochen ausgesproche¬
ner Trismus; Blasen-, Mastdarmstörung, zunehmendes Koma;
Klonus der Finger; Pupillen weit, Reaktion träge; subnormale
Temperaturen. Puls voll, aber stets sehr frequent. Bei dei
Lumbalpunktion konnten einmal 65 ccm, nach 8 lagen
70 ccm klarer Flüssigkeit entleert werden. — Unter zunehmender
Schwäche Exitus letalis. . , .
Anatomische Diagnose: Subakute, eitri0-
fibrinöse und fibröse Leptomeningitis cere¬
bral i s (der Basis und Konvexität) und s p i n a 1 1 s
nach Eiterung der beiden Highmorshöhlen, be¬
sonders linkerseits. Nebenbefund: Obsolete
Spitzentuberkulose. Extradurale Blutung.
Aus dem Sektions Protokoll: Nervensyste m.
Nach Wegnahme des Daches ist in der 1. Schläfengegend vor der
Meningen media die Dura in Fünfmarkstückausdehnung duicli
einen dunklen, geronnenen Bluterguss abgehoben; bei \\ egnahnie
des Daches zeigt sich, dass ein Teil der vorderen Hirnteile dei
Dura innig adhärent und graurot verfärbt ist. An den Knochen-
teilen der Basis und Schädelkapsel kein pathologischer Anhalts¬
punkt. Die weichen Häute, entsprechend dem Stirnlappen bis
fast zur Scheitelhöhe sind milchig getrübt und verdickt. Im bub-
arachnoidealraum etwas sulzig-gelbliche Massen. Die weichen
Häute der Basis in der Regio foss. Sylv. auch milchig getrübt und
fibrös verdickt, aber ohne flüssige Einlagerung. Dem extraduralen
Erguss entsprechend an der Seitenfläche des 1. Stirnlappens eine
leichte Impression. Grosshirn weich, alle Ventrikel etwas er¬
weitert mit einigen Tropfen klarer Flüssigkeit. Ependym beson¬
ders in der Rautengrube etwas granuliert, sehr wenig injiziert.
Basalganglien, Pons, Cerebellum, Oblongata makroskopisch ohne
pathologischen Befund. . . . ,
Bei Eröffnung der Sieb- und Keilbeinhohlen ist
die Schleimhaut sehr dünn, wie eine fast rein weisse Membran.
In beiden Kieferhöhlen, besonders stark aber in der linken,
ist die Schleimhaut stark sulzig geschwellt und bedeckt mit einer
reichlichen Menge von grünlich-eitrigen Massen.
Rückenmark: Die weichen Häute des R.-M. sind ähn¬
lich wie die Häute an der Fossa Sylv. grün-gelblicli getrübt und
von einer schleimig-sulzigen Masse diffus durchsetzt, am stärksten
an der dorsalen Seite des Lendenmarks, etwas weniger stark in der
Gegend des Halsmarkes. Auf Querschnitten die Rückenmark¬
substanz überall sehr deutlich, die weisse Substanz nur wenig
überquellend. r , AT
II D. Karl,- Klavierstimmer, 43 jahr. Journal-No. 1108.
(4.-5. II. 1902.) _ . , . w
Auszug aus der Krankheitsgeschichte. _
Pat. ist bei der Aufnahme ganz benommen. Von seinen Kol¬
legen ist in Erfahrung zu bringen, dass die Krankheit mit Uebel-
keit, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Fieber und Er¬
brechen 5 Tage vor Krankenhausaufnahme begonnen habe. Er¬
brechen sei auch aufgetreten, wenn Pat. sich niedergelegt habe.
Kopfweh habe schon seit einiger Zeit bestanden. Frühere durch¬
wein achte Krankheiten sollen nicht vorhanden gewesen sein.
Verlauf: 4. II. Bewusstlosigkeit. Kein Herpes. Zahne
sehr defekt. Pupillen eng, Reaktion erhalten. Keine Fazialis¬
lähmung. Nackensteifigkeit. Klonische Zuckungen m beiden
oberen Extremitäten. Patellarseknenreflexe beiderseits gesteigert.
Ternp. 40,7. — - L u m balpunlction negatii.
5 II. Linke Nasolabialfalte verstrichen, Gesicht nach rechts
verzogen Ueberall, besonders an den unteren Extremitäten, er¬
höhter Muskeltonus. Pupillen mittelweit, reagieren nur sehr trage.
Spez. Gewicht des Urins 1027. E -f (Esbach 1,2 Prom.), Blut +,
Zucker _ . Im Harnsediment massenhaft hyaline, granu¬
lierte, degenerierte Epithelzylinder, vereinzelte, kugelige Epi-
thelien, Erythrocyten. Exitus letalis im Koma.
Anatomische Diagnose: Leptomeningitis
rulenta acuta nach chronischem Empyem
r. Highmors höhle. Hyperämie und O e d e m
L u n g e n. Nephritis parenc li. acuta.
Nebenbefund: Adhäsivpleuritis. Narbe
der Magenschleimhaut.
Aus dem Sektionsprotokoll: Nervensystem.
Nach Wegnahme des Schädeldachs ist die Dura aussen glatt, mit
stark gefüllten Gefässen. Auf der Innenfläche der Pia Spuren
eines bräunlich gefärbten, leicht abstreifbaren Belages. Ueber
dom r. Frontallappen findet sich in den Subarachnoidealraumen
eine trüb gelbliche, sulzige Masse. Die weichen Häute der Basis
ohne Trübung. Am Rand des Kleinhirns sind zu beiden Seiten
sie
r.
ca.
pu-
d e r
der
i n
-die weichen Häute sulzig infiltriert und besonders über dem Wurm
von der Hirpsubstanz abgehoben und vorgewölbt. Beim Ein¬
schneiden über diesen Stellen entleert sich klare Flüssigkeit.
Seitenventrikel nicht erweitert. Ependym getrübt, von ver¬
waschenen Flecken durchsetzt, ohne Knötchen. Venen der lela
sehr gefüllt. Stammganglien, Pons, Oblongata normal. An der
Wand des Wirbelkanals nichts Abnormes.
Beim Eröffnen der Nasen-, Sieb- und Keilbein-
höhle nichts Besonderes. Am Boden der r. K i e t e r -
höhle eine graue Hervorwölbung, die beim Einstechen einen
rahmigen, gelblichen Eiter entleert.
III. A. Magdalena, -Zugeherin, 45 j ahr. Journal-No. —39.
(10.— 13. III. 1902.) Dieser Fall bot klinisch wegen komplizierender
Verhältnisse besondere Schwierigkeiten.
Auszug aus der Krankheitsgeschichte:
Anamnese: Pat. klagt in den wenigen Augenblicken, wo
etwas bei sich ist, über Kopfdruck und Schmerzen m der
Stirn- und Gesichtshälfte. Diese Beschwerden haben vor
4 Tagen begonnen, gleichzeitig mit grosser Schwäche, Mattig¬
keit und Fieber! Auch sollen Schmerzen in beiden Ohren bestanden
haben. Am heutigen Tage sei sie plötzlich sehr blass und vorüber¬
gehend bewusstlos geworden; ihrer Umgebung konnte sie sich nicht
mehr verständlich machen. Von früheren Krankheiten hat 1 at.
vor 1 Jahre Influenza durchgemacht. Seit % Jahren leide sie viel
an Kopfweh. Ohren- oder nasenleidend sei Pat. nie gew-esen; seit
einigen Jahren trage sie künstliches Gebiss.
Nervensystem: Grosse motorische Unruhe. Nacken¬
steifigkeit. Patellarsehnenreflexe gesteigert, wechselnd in der In¬
tensität. Die sämtlichen Extremitäten paretisch. Pupillen eng,
Reflexe fehlend. Links Lagopktlialmus. Rechts Strabismus con-
vergens. R. Fazialis gelähmt. Analgesie auf beiden unteren Ex¬
tremitäten. Urinverhaltung abwechselnd mit Harnträufeln.
Am Augenliinterg r u n d beiderseits die Pupille scharf
abgegrenzt mit leichter physiologischer Exkavation und mässiger
Füllung der Retinalvenen.
Verlauf: 10. III. Temp. 39,5 — 38,7. Puls 120—132. Re¬
spiration 40 _ 44. Spez. Gewicht des Urins 1019. Eiweiss -j-
(Esbach 1 Prom.), Blut -f-, Azeton -(-, Urobilin -f-, Indikan ,
Diazo — Im Urinsediment reichlich Zylindroide, Ivornchen-
und metamorphosierte Zylinder, platte und polygonale Epithelien;
etwTas spärlicher Leukocyten in fettiger und körniger Degeneration
und ausgelaugte Erythrocyten.
11. III. Am Schädeldach keine Krepitation. Processus mastoi-
deus beiderseits nicht druckempfindlich. Heute überall Hyper¬
ästhesie. (Analgesie geschwunden.) Vermehrter Muskeltonus der
oberen Extremitäten. Zeitweise Trismus. C he y n e - St okes-
sclies Atmen. Andauerndes Koma. Lumbalpunktion ei-
gebnislos. , ,. .
12. III. Bei der otologischen Untersuchung fand
sich der linke knöcherne Gehörgang von einer polypösen Wuche¬
rung eingenommen, welche mit der Sonde von oben, lome tind
unten gut zu umgehen ist; Sekret nicht vorhanden. Der klein-
bohnengrosse Polyp wird mit der Schlinge abgetragen und ist
etwas schwer zu durchschneiden. Da man auf Grund dieses
Ohrenspiegelbefundes (Polyp vor dem Trommelfell) als Ausgangs¬
punkt der Meningitis mangels genauerer anamnestischer Daten
eine linksseitige Mittelohraffektion vermutete, wurde von Hofrat
B e z o 1 d das Antrum eröffnet und die mittlere Schädelgrube bloss¬
gelegt, doch erweisen sich das Antrum und die betref¬
fende freigelegte Stelle der Dura als u n \ ei¬
ändert. Bei der Inzision der Dura entleert sich ein kleines
Blutkoagulum, aber kein Liquor.
13. III. Zeitweise auftretender tonischer Krampf m der
1. oberen Extremität. Schlaffe Lähmung der 3 übrigen Extremi¬
täten. Lungenödem. Exitus letalis.
Anatomische Diagnose: Akute, purulente,
diffuse Leptomeningitis über Basis, Konvexi¬
tät Pons, Medulla oblongata und Cerebellum
n a c h E m p yem in der 1. High morshöhle u u d
Eite r a n s am mlung in der angrenzenden Sieb-
beinhölile. Allgemeine Septikämie; septischer
Milztumor; akute parenchymatöse Hepatitis.
Nephritis. Anämie der Organe. D i 1 a t a t i o cordis.
Aus d e in Sektionsprotokolle: Nervensystem.
Dura auf der Aussenfläche glatt, innen mit gelblich-rahmigem
Exsudat bedeckt, ebenso die weichen Häute über der ganzen Kon¬
vexität und Basis, namentlich im Bereich des Chiasma, Pons und
Cerebellum und der Medulla oblongata. Das ganze Gehirn ist
auf seiner Oberfläche in eine grünlich-gelbe Masse von Exsudat,
wie in einen Mantel eingehüllt. Dura der Basis im Be¬
reich des 1. Schläfenbeins aussen und innen
spiegelnd, glatt und reaktionslos. Dicht über dem
Ursprung des 1. Felsenbeins findet sich eine operative linsengrosse
Eröffnung des Warzenfortsatzes; die entsprechende
Stelle des Schläfenlappens reaktionslos und
ohne Belag. Gehirnsubstanz und die zentralen
Ganglien etwas blutarm. Nach Aufmeisselung
des Siebbeins findet sich in demselben und in
der Stirnhöhle etwas eiteriges Exsudat, na¬
mentlich an der Ueber gangsstell ezur 1. Augen¬
höhle. Bei Eröffnung der 1. Highmorshohle
zeigt sich dieselbe mit reichlichem gelblichen
Eiter angefüllt.
Epikrise: Was die Beurteilung* unserer Fälle betrifft, so
war klinisch bei Fall I und II die Annahme berechtigt gewesen,
dass es sich möglicherweise um epidemische, bei Fall Hl;
11. November 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1879
da^s es sieb wahrscheinlich um eine otogene ^Meningitis handeln
werde. Doch dürfte durch die Sektion bei diesen 3 kasuistischen
Mitteilungen, von denen besonders II und III durch einen ganz
foudroyanten Verlauf der Meningealeiterung ausgezeichnet sind,
ebenfalls1 der Zusammenhang zwischen latent gebliebener
Highmorshöhleneiterung und diffuser purulenter MEningitis
(II und III) und Zerebrospinalmeningitis (I) ziemlich klargestellt
sein. Operative Eingriffe an der Nase waren nicht voraus¬
gegangen, spielten also ätiologisch auch keine Rolle.
Wenn nun Craig behauptet hat und andere Autoren ähnliche
Meinungen vertreten, dass die intrakraniellen Erkrankungen am
häufigsten Thrombosen der Sinus cavernosi als Folge .von Em¬
pyem der Ilighmorshöhle darstellen, während der intrazerebrale
Abszess dem Empyem der Stirnhöhle folge und die spezifische
Hirnerkrankung nach Empyem der Siebbeinzellen dagegen die
Meningitis sei, so müssen wir doch im Gegensatz dazu auch auf
Grund unserer und der Wertheim sehen Fälle daran fest-
halten, dass eine solche, sagen wir Regelmässigkeit aus anatomisch
leicht begreiflichen Gründen nicht bestehen oder nur zufällig
für eine kleine Minderzahl der Fälle zutreffend sein kann.
Literatu r.
E. F r ii. n k e 1: Virch. Arch., Bd. 143, S. 77/80. — Weigert:
Zit. nach Strümpell 1. c. — Strümpell: Deutsch. Arch. f.
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Gefolge von Naseneiterungen. 1S9G. — Killian: Heymanns
Handb. d. Laryngol., Bd. III, 2. — Friedrich Schnitze: Die
Krankheiten der Hirnhäute und die Hydrokephalie. IX. Bd.,
III. Teil. 1. Abteilung der Nothnagelschen spez. Path. u. Ther.
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Nasenhöhle. Wien. I. Bd., 2. Aufl.. 1S93. — Dennis: Zeitschr.
f Ohrenheilk. 1890, S. 289. — Wertheim: Arch. f. Laryng., XI.,
Bd. 2. — Tr eitel: Berl. klin. Wochenschr. 1S90, S. 1139. —
Röpke: Münch, med. Wochenschr. 1898, S. 125. — Hopmann:
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G i b so n: Centralbl. f. Laryngol. 1900, S. 10. _ Schlag e n -
h a u f e r: Wiener klin. Wochenschr. 1899. 35. — Denke r: Arch.
f. Laryngol. 1900, S. 411. — Hinsberg: Verhaudl. d. Deutsch,
otol. Gesellsc-h. 1901. — Crai g: N.-Y. med. Journ., 24. III. 1900.
Ref. Centralbl. f. Laryngol. 1901, S. 348.
Aus dem Kinderambulatorium der medizinischen Universitäts¬
klinik zu Bonn (Direktor : Geheimrat Prof. Dr. S c h u 1 1 z e).
Ueber Aristochin, ein geschmackloses Chininderivat
Von Dr. H. Stursberg, Assistenzarzt der Poliklinik.
Die Darreichung von Chinin bietet seit Einführung der
Gelatinekapseln etc. bei Erwachsenen in den meisten Fällen
keine Schwierigkeiten, dagegen erschwert bei Kindern der Ge¬
schmack der gebräuchlichen Präparate seine Anwendung in er¬
heblichem Masse. Die bisher dargestellten „geschmacklosen“,
d. h. im Speichel schwer löslichen Verbindungen der Chininbase
haben sich keine allgemeine Anerkennung zu sichern vermocht,
da sie entweder zu wenig Chinin enthielten oder auch von den
Verdauungssäften nicht ausreichend gelöst wurden. In neuerer
Zeit sind nun Präparate hergestellt worden, die bei
hohem Gehalt an Chininbase fast geschmacklos sind.
Eine Arbeit Dresers1) beschäftigt sich mit ihrem phar¬
makologischen Verhalten. Aus ihr geht hervor, dass
von den als Euchinin, Salochinin und Aristochin
bezeichneten Verbindungen die letztere, der Dichininkohlensäure-
ester, wohl als die zweckmässigste anzusehen ist.
Aristochin enthält nach Mitteilung der Fabrik*)
96,1 Proz. Chininbase. Die uns zur Verfügung gestellte Ver¬
suchsmenge bildet ein weisses Pulver ohne erkennbaren Ge¬
schmack. Nach Dreser löst es sich gut in verdünnter Salz¬
säure (0,104 Aristochin in 5,3 ccm 0,25 proz. Salzsäure) und fällt
bei allmählicher Herabminderung der Azidität der Lösung nicht
wieder aus, ein Umstand, der für die Aufsaugung im Dünndarm
von Wichtigkeit ist. Die Ausscheidung von Chinin im Harn
nach Einnahme von Aristochin war eine reichliche, z. B. bei Zu¬
führung von 1,5 g in den ersten 24 Stunden 0,0769. Es erwies
sich darin dem Salochinin gegenüber erheblich überlegen und
steht dem Euchinin ungefähr gleich, ohne indessen die Aus¬
scheidungsgrösse bei Darreichung gleicher Mengen Chinin,
muriat. zu erreichen.
In Uebereinstimmung hiermit konnte ich nach Einnahme
von 0,3 Aristochin bei nüchternem Magen bereits nach Vz Stunde
im Harn durch die Jodjodkaliumprobe Chinin nachweisen, jedoch
erreichte die Reaktion im Laufe des Tages nie dieselbe Intensität
wie nach Zuführung von 0,3 Chinin, muriat.
Dreser hebt ferner hervor, dass Aristochin in Lösung keine
lokale Belästigung der Magendarmschleimhaut hervorruft, dass
seine protozoentötende Wirkung doppelt so stark ist wie beim
Chinin, dass dagegen „die allgemeine Giftigkeit des Chinin¬
moleküls bei Kalt- und Warmblütern am ausgesprochensten in
Form des Aristochins vermindert“ ist.
Aus Veranlassung von Herrn Professor Ungar, den die
Fabrik um klinische Prüfung des Präparates ersucht hatte, be¬
handelte ich damit im vergangenen Sommer eine Anzahl von
Keuchhustenfällen. Ich hielt mich dazu um so eher berechtigt,
als einerseits jede Bereicherung unseres Arzneischatzes gegen¬
über diesem Leiden freudig zu begrüssen wäre und andererseits
der alte Streit über die Wirksamkeit des Chinins bei Pertussis,
auf den einzugehen hier wohl zwecklos ist2), noch keineswegs
endgültig zu seinen Ungunsten entschieden scheint. Dazu kommt,
dass ein Haupthindernis für seine Darreichung, der schlechte
Geschmack, der tatsächlich eine geregelte Durchführung der Be¬
handlung, besonders in der poliklinischen Praxis, ausserordent¬
lich erschwerte, bei dem Aristochin wegfällt.
Der Keuchhusten trat während des Sommers in verhältnis¬
mässig gutartiger Form auf, insofern Komplikationen kaum be¬
obachtet wurden. Die Dauer der Erkrankung, sowie die Zahl
und Schwere der einzelnen Anfälle war allerdings bei vielen
Kranken eine recht beträchtliche. Im ganzen wurde 18 Kin¬
dern im Alter von 5 Monaten bis zu 6 Jahren Aristochin ver¬
ordnet; 6 von ihnen wurden der weiteren Beobachtung entzogen,
die übrigen 12 bekamen das Mittel länger als eine Woche. Be¬
züglich der Dosierung folgte ich im allgemeinen der von Binz
aufgestellten Forderung; Kinder unter einem Jahr erhielten
0,05 bis 0,1 Aristochin, grössere bis zu 0,3, 3 mal täglich. Letztere
Gabe wagte ich mit Rücksicht auf die noch fehlende Erfahrung
bezüglich seiner Wirkung bei Kindern zunächst nicht zu über¬
schreiten.
Die Darreichung mit etwas Wasser bot nach Angabe der
Mütter keinerlei Schwierigkeiten, und es wurde weder Erbrechen
noch sonstige schädliche Folgen nach der Einnahme beobachtet.
Ich will jedoch nicht unerwähnt lassen, dass bei einem 6 monat¬
lichen Mädchen nach mehrtägigem Aristochingebrauch (0,05 X 3)
eklamptische Anfälle eintraten, die sich im Laufe eines Tages
mehrfach wiederholten. Dies Zusammentreffen mahnte jeden¬
falls zur Vorsicht, wenn ich auch keineswegs die Entstehung
der Krämpfe mit Wahrscheinlichkeit auf die Medikation zurück¬
führen konnte, zumal das Kind Zeichen von beginnender Rha-
chitis, Kraniotabes geringen Grades, aufwies.
Zur Kontrolle des Krankheitsverlaufs hatte ich mich ur¬
sprünglich der z. B. von Heubner3) verwendeten Methode be¬
dient, von der Mutter die Anfälle durch Striche auf einem Blatt
Papier auf zeichnen zu lassen. Ich musste mich aber bald davon
überzeugen, dass diese Buchführung fast immer sehr ungenau aus¬
fiel, oft unzweifelhaft für mehrere Tage gleichzeitig erledigt
wurde. Ich beschränkte mich deswegen darauf, mir jedesmal
über Zahl und Stärke der Anfälle Bericht erstatten zu lassen.
In etwa der Hälfte der Fälle war ein deutlicher Erfolg der
Aristochinbehandlung nicht zu bemerken, es liess sich bei ihnen
allerdings mehrfach der Nachweis unregelmässiger Darreichung
erbringen. Dagegen gewann ich bei den übrigen Kindern den
Eindruck, dass der Verlauf der Erkrankung ein recht günstiger
war. So war bei einem 27 Monate alten Knaben, der am 20. V.
angeblich seit 8 Tagen hustete und viertelstündlich Anfälle be¬
kam, die Zahl derselben bereits am 26. V. erheblich zurück¬
gegangen (halbstündlich und seltener) und am 4. VI. traten nur
noch etwa 5 Anfälle in 24 Stunden auf. Besonders auffallend
waren mir die Angaben betreffs zweier Kinder, bei denen aus
verschiedenen Gründen (Krankheit der Mutter etc.) eine Unter¬
brechung der Behandlung eingetreten war: während des Aristo-
chingebrauclis seien die Anfälle seltener geworden, hätten aber
J) Deutsche Aerzte-Zeitung 1902, Heft 5.
2) Literatur bei Sticker: Der Keuchhusten. Nothnagels
Handbuch, Bd. IV.
8) Kongr. f. inn. Med. 1887, S. 289 der Verhandl.
2*
*) Farbenfabriken vorm. F. Bayer & Co., Elberfeld.
No. 45.
1880
MUENCHENER MEDICINISCHE
WOCHENSCHRIFT.
nach Aussetzen des Mittels wieder zugenommen. Das eine von
ihnen wurde nach erneuter Verabfolgung des Medikaments nicht
wieder vorgestellt, während bei dem anderen nach Mitteilung
der Mutter bereits nach wenigen Tagen die Zahl der Anfälle
wieder wesentlich zurückging.
Ich bin mir bewusst, dass derartige poliklinische Beobach¬
tungen keineswegs den Nachweis für die Wirksamkeit eines Prä¬
parates zu erbringen vermögen, glaube aber auf Grund derselben
zu weiteren Versuchen mit Aristochin bei Keuchhusten anregen
zu dürfen. Da sich das Mittel als unschädlich erwiesen hat,
würde eine Steigerung der Dosen besonders bei im Krankenhaus
beobachteten Fällen meines Erachtens keine Bedenken haben.
Gelegenheit zur Erprobung des Aristochins bei anderen
Krankheitszuständen bot sich mir bisher nicht. Seine starke
Giftigkeit für Protozoen (D r e s e r) licsse es theoretisch be¬
sonders zur Bekämpfung der Malaria geeignet erscheinen.
Aus dem anatom. Institut des Hafenkrankenhauses in Hamburg
(Prosektor Dr. Lochte).
Ueber den Wert der Kryoskopie zur Diagnose des
Todes durch Ertrinken.
Von Dr. Revenstorf, Assistent.
Dass ein Teil der Ertränkungsfliissigkeit nicht nur bis in
die Lungenalveolen, sondern auch in die Lungenkapillaren und
damit in den Kreislauf gelangen kann, diese Beobachtung finden
wir zuerst von Falk1) genauer beschrieben und experimentell
nachgeprüft.
Schon vor ihm erwähnt D o e h n e 2), dass er mehrmals an
der innereen Herzfläche und selbst in der Aortenwand die Er-
tränkungsflüssigkeit nachweisen konnte. Sich au ähnliche
physiologische Experimente anlehnend, benutzte er dabei als Er¬
tränkungsflüssigkeit eine Eerrocyankaliumlösung und Eisen¬
chlorid als Reagens.
Gwosdew3) ertränkte Kaninchen gleichfalls in einer kon¬
zentrierten Blutlaugensalzlösung und fand Ferrocyankalium im
Blut des Herzens.
Falk wandte statt der Ferrocyankaliumlösung eine Stärke¬
lösung als Ertränkungsflüssigkeit an und benutzte zum Nachweis
derselben im Blut Jod.
Auch Hof mann4 5) fand, wenn er Tiere in der gewöhn¬
lichen Weise in Ferrocyankalium ertränkt hatte, dass er die Salz¬
lösung nicht bloss in den peripheren Teilen der Lunge, sondern
auch im linken Herzen nachzuweisen im stände war. Beiläufig
erwähnt er, dass er in einem Falle sogar noch in der Bauch¬
aorta die Reaktion erhielt.
Wenn diese Experimente auch ausreichten, den Uebertritt
von Ertränkungsflüssigkeit in den Kreislauf ausser Frage zu
stellen, so war es eine weitere Aufgabe, Methoden zu ersinnen,
die dem Gerichtsarzt ermöglichten, durch den Nachweis dieser
Vermischung des Blutes mit der Ertränkungsflüssigkeit den Tod
durch Ertrinken zu diagnostizieren.
Französische Autoren haben auf die auffällige Flüssigkeit
des Blutes Ertrunkener aufmerksam gemacht, die, wie Dever-
g i e c) beobachtete, mitunter beinahe der des Wassers gleicht.
„Das Blut fliesst wie Wasser aus dem geöffneten Pierzen.“ Bei
direkter Einspritzung von Wasser in das Gefässystem von
Hunden beobachtete CI. B e r n a r d 6) dasselbe.
Französische Autoren versuchten zuerst, mit Rücksicht auf
die forensische Bedeutung, den Uebertritt von Wasser ins Blut
Ertrunkener nachzuweisen.
Schon Falk hatte die Vermutung aufgestellt und II o f -
m a n n dieselbe bestätigt, dass die Aufnahme grösserer Mengen
Wassers in die Luftwege erst gegen Ende des dritten Stadiums
durch jene nach längerem Atemstillstand erfolgenden terminalen
Inspirationen geschieht.
') Falk: Vircliows Archiv 47. 1869.
-) Do eh ne: Das Ertrinken in physiologischer und gericht¬
lich-medizinischer Beziehung. Iuaug.-Diss., Marburg 1857, S. 8.
:‘) Gwosdew: Archiv f. Anatomie u. Physiol. 1867, S. 637.
') Hof mann: Vierteljahrsschr. f. gericlitl. Med. 19, pag. 228,
1873.
5) Devergie: Mßdicine legale t. II. pag. 690, 1852.
") CI. Bernard: Legons sur les liquides de l’organisme, t. I,
Wenn aber das Eindringen von Ertränkungsflüssigkeit in die
Lungenalveolen somit wesentlich ein agonaler Vorgang ist, so
kann auch der Uebertritt derselben ins Blut erst im letzten
Stadium des Ertränkungstodes erfolgen; und da das mit dem
Wasser vermischte Blut zunächst in das linke Herz gelangt,
wird sich auch im linken Herzen eine erheblichere Verdünnung
des Blutes finden, als im übrigen Gefässystem und im rechten
Herzen.
Dieses festzustellen, wurden verschiedene Methoden an¬
gewandt.
Brouardel und Loye1) bestimmten den Abdampf-
rückstand gleicher Blutmengen des rechten und linken Herzens.
Brouardel und Viberts) bestimmten die Zahl der
roten Blutkörperchen vor und nach dem Ertränken von Ver¬
suchstieren im rechten und linken Herzen, erhielten aber nur
zum Teil brauchbare Resultate. Sie kontrollierten ihre Zählung
durch kolorimetrisehe Hämoglobinbestimmungen, die Paltauf ”)
bereits zur Diagnose des Todes durch Ertrinken angegeben hatte.
Der Wert dieser Methoden ist angezweifelt worden. Stra s s-
mann10) erklärt dieselben zu forensischen Zwecken für un¬
brauchbar.
In neuester Zeit hat Carrara11) alle diese Methoden von
neuem experimentell an 4 Hunden nachgeprüft, ausserdem in
jedem Falle das spezifische Gewicht (Pyknometer), den Gliih-
rückstand und schliesslich die Menge des Eisens bestimmt, letz¬
teres, um daraus mit grösserer Genauigkeit, als es mit d:m
Fleischl sehen Hämometer möglich ist, den Hämoglobingehalt
zu berechnen.
Vor allem aber hat er in der Bestimmung des A des
Blutes beider Herzhälften eine Methode angegeben, die es ge¬
stattet, eine event. Verdünnung des Blutes durch Ertränkungs¬
flüssigkeit mit grosser Schärfe und Sicherheit nachzuweisen.
Auf Anregung von Herrn Dr. Lochte, der mir auch in
liebenswürdigster Weise das reiche Material des Institutes zur
Verfügung stellte, übernahm ich die Aufgabe, einerseits die aus
einer verhältnissmässig sehr geringen Zahl von Tierversuchen
gezogenen Schlüsse Carraras nachzuprüfen, andererseits den
Wert dieser Methode für forensische Zwecke an einer grösseren
Zahl von Wasserleichen festzustellen.
Technik:
1 . Alle Gefrierpunktsbestimmungen sind mit dem Beck-
in a n n sehen Thermometer ausgeführt.
2. Zu jeder Bestimmung wurden 15 — 20 ccm Blut verwandt.
Das Blut wurde aus den erüff neten Vorhöfen aufgefangen, der
A unmittelbar nach dem Auffangen bestimmt (bei der Eröffnung
des linken Vorhofes muss sorgfältig darauf geachtet werden, dass
uicht zufällig ein grösseres venöses Gefäss — Vena coron.
magna! - — durchschnitten wird).
3. Die Methode gewann, wie sich im Laufe der Unter¬
suchungen herausstellte, dadurch bedeutend an Wert, dass sich
die Möglichkeit ergab, bereits unmittelbar nach der Einlieferung
der Leichen bei der ersten Besichtigung die Gefrierpuuktsbestim-
mungen auszuführen.
Zu dem Zwecke wurde in geeigneten Fällen das Blut aus
einer beliebigen Arterie und Vene entnommen.
Aus der Vene erhält man leicht die genügende Menge Blut;
aus der Arterie nicht immer. Am geeignetsten hat sich die
A. brach, dexti'a erwiesen, in die eine 20 cm-Pipette von passen¬
dem Kaliber (mit weiter Oeffnung) eventuell bis in die Aorta
thoracica hineingeschoben werden kann. Füllt sich die Pipette
nicht von selber bis zur Marke, so kann man durch eine auf¬
gesetzte Aspirationsvorrichtung ansaugen. Im Notfälle öffnet man
eine zweite periphere Arterie, lagert die Leiche entsprechend und
treibt durch Lufteinblasen die nötige Menge Blut heraus. Nach
der Blutentnahme werden an die geöffneten Gefässe Klemmen
gehängt.
4. Carr a r a, der seine Resultate ausschliesslich aus Tier¬
versuchen gewann, zentrifugierte das gewonnene Blut zuvor,
pipettierte das Serum ab, verdünnte die gewogene Menge des¬
selben mit der gleichen Menge Aq. dest., bestimmte den A dieser
Mischung und korrigierte das Resultat im Verhältnis der Ver¬
dünnung.
Im allgemeinen ist dieses Verfahren nicht empfehlenswert, da
durch die umständliche und zeitraubende Serumgewinnung, die da¬
bei stattfindende Wasserverdunstung und Ungenauigkeiten beim
Abwägen unnötiger Weise Fehlerquellen geschaffen werden
7) Brouardel und L o v e: Archiv de Physiologie 1889,
I, II, III.
s) Brouardel: Pendaison etc., 1897.
°) Paltauf: Berl. klin. Wochenschr. 1892, No. 13, S. 299.
Strass m a n n: Lehrbuch.
") Carrara: Arch. ital. de Biologie Bd. XXXV, Fase. III,
1901.
l>«g.
il. November 1902.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
I88i
Der A des Blutes beträgt nach den übereinstimmenden An¬
sichten deutscher Autoren im Mittel 0,56 °, kann aber auch beim
gesunden Menschen zwischen 0,55 0,57 0 schwanken. Italie¬
nische Autoien nehmen an, dass der A auch beim gesunden
Menschen gelegentlich tiefer liegt und sogar 0,605° erreichen
kann ). Unter pathologischen Verhältnissen kommen etwas
grössere Variationen vor. Koeppe11) fand bei der Untersuchung
■von Kranken, die an Diabetes, Nephritis, Pleuritis etc. litten,
Verschiedenheiten, die sich zwischen 0,51° bis 0,63° bewegten!
Immerhin halten sich diese Schwankungen in bestimmten, ver-
hältnissmässig bescheidenen Grenzen.
Im Moment des Todes ist natürlich der A des Blutes in
allen Gebieten des Kreislaufs gleich. Das gilt für alle Todes¬
arten, mit Ausnahme des Todes durch Ertrinken, wie Carrara
gezeigt hat.
C. knüpft seine Publikationen an folgende beiden Er-
triinkungsversuche :
b - — -*-• vTesamBuiUTes, z. eine
erhebliche Differenz des A beider Herzhälften.
Während er auf den ersten Punkt weniger Wert legt, sieht
C. in der Feststellung dieser Differenz ein sicheres Mittel, den
Tod durch Ertrinken zu diagnostizieren.
Carraras Versuchsresultate konnten wir in folgenden
Experimenten bestätigen.
Tabelle 2.
A des lebenden Tieres
Aorta und
linkes Herz
rechtes Herz
Ertränkungs-
flüssigkeit
Katze 1 0,59°
„ 2 0,60°
„ 3 0,61 o
„ 4 0,00«
0,25°
0,33°
0,42«
0,‘4PU
0,47°
0,55°
0,61°
0,53°
0,02°
0,01°
0,02°
0,02°
Ganz abgesehen von den Schlussfolgerungen Carraras
sehen wir in diesen Resultaten zunächst einen neuen Beweis für
die bereits von älteren Autoren aufgestellte Behauptung, dass der
Uebertritt von Wasser in die Zirkulation ein wesentlich agonaler
\ organg ist. Die Zahlen beweisen, dass die Zirkulation sistiert,
nachdem gerade noch übermässig durch Wasser verdünntes Blut
in das linke Herz gelangt ist. Daher haben wir die Resorption
der Ertränkungsflüssigkeit aufzufassen als die allerletzte Ver¬
änderung, die den Tod durch Ertrinken begleitet. Diese Fest¬
stellung ist nicht ohne Bedeutung für das folgende.
Die Diagnose des Todes durch Ertrinken in forensischen
Fällen würde nun auch beim Fehlen aller übrigen Zeichen leicht
sein, wenn sich in jedem lalle bei Ertrunkenen die beiden be-
zeiehneten Befunde, eine allgemeine Verdünnung des Blutes und
eine Differenz in der Konzentration beider Herzhälften, bei nicht
durch Ertrinken ums Beben Gekommenen keine Veränderung der
mol. Konzentration des Gesamtblutes und Gleichheit des A
beider Herzhälften findet.
So einfach liegen die Verhältnisse aber durchaus nicht.
1. Auch bei Personen, die unzweifelhaft im Wasser ums Leben ge¬
kommen sind, kann eine Verdünnnung des Blutes durch Er¬
tränkungsflüssigkeit fehlen.
Fälle von Synkope scheiden für unsere Betrachtung aus.
Alle Autoren betonen, dass die Sektionsbefunde Ertrunkener
eine gewisse Variabilität in der Regelmässigkeit des Auftretens
der für diese Todesart charakteristischen Veränderungen und
insbesondere ihrer Intensität zeigen. Das betrifft sogar einen der
wichtigsten Befunde, die Lungenblähung, die gelegentlich sehr
wenig ausgeprägt vorhanden sein kann. Das gilt auch vor allen
Dingen von der Menge der aspirierten Ertränkungsflüssigkeit.
12) Siehe Rumpel: Münch, med. Wochenschr. 1901, No. G,
S. 233.
ls) hucianl, zitiert von Carrara.
14) Koeppe: Physikalische Chemie in der Medizin, 1900.
No. 45.
Tabelle
1.
A des lebenden Tieres
linkes Herz
rechtes Herz
Ertränkungs¬
flüssigkeit
Hund 0,60°
—
0,300
0,02°
Hund 0,60°
0,29°
0,42°
0,02°
Individuelle und äussere Verhältnisse beeinflussen dieselbe. Nach
Bi ouardel und L o y e ) dringt die Ertränkungsflüssigkeit
um so tiefer in die Lungen hinein und in um so grösserer
Menge, je länger die terminalen Atembewegungen gedauert haben
und je intensiver dieselben gewesen sind. Nach S e y d e 1 lö)
inspirieren narkotisierte Tiere mehr Ertränkungsflüssigkeit;
wärmeres Wasser wird leichter aspiriert als kaltes.
Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Bereits Brouar-
d e 1 machte die Beobachtung, dass eine Resorption von Wasser
durch die Lungenkapillaren, die er in der angegebenen Weise
feststellte, meistens fehlte, wenn er seine Versuchstiere in
wenigen Minuten durch einmaliges Untertauchen tötete; dass er
dagegen positive Resultate erhielt, wenn er den Tieren gestattete,
mehrfach wieder an die Oberfläche zu kommen: Submersion
prolongee.
Der Grund für dieses verschiedene Verhalten wird darin zu
suchen sein, dass im ersten Falle bei dem stürmischen Ablauf
der Erstickungserscheinungen das mit den terminalen Atem¬
zügen eindringende Wasser durch die noch in der Lunge be¬
findliche Residualluft verhindert wird, bis in die Alveolen zu
langen. Bei der Submersion prolongee ist dagegen bereits längere
Zeit vor dem Tode vielfach Wasser in die Luftwege gelangt und
anfangs kräftig, später mit der zunehmenden Ermüdung und der
herabgesetzten Reflexerregbarkeit mangelhaft exspektoriert. Mit
den terminalen Atemzügen gelangt dieses bereits in den Luft¬
wegen befindliche Wasser sogleich in die Alveolen und in Kon¬
takt mit den Kapillaren. Dadurch wird nicht nur die Resorption
dieses, sondern auch eines Teils des mit den terminalen Atem¬
zügen eindringenden Wassers ermöglicht.
Lm kurz zu resümieren: Aus Gründen verschiedenster Art,
die zum Teil noch ungenügend aufgeklärt sind, können schon
die gewöhnlichen Symptome des Ertränkungstodes in ihrer
Intensität erheblich variieren oder zum Teil ganz fehlen. Es
kann daher nicht Wunder nehmen, dass auch die Verdünnung
des Blutes durch Ertränkungsflüssigkeit vielfach fehlt, zumal sie
die letzte in der Kette aufeinander folgender Symptome ein¬
tretende Veränderung ist.
2. C a r a r a behauptet : „Ausser beim Ertrinkungstode gibt
es in dem Blute beider Herzhälften keine merklichen Unterschiede,
in einigen Fällen besteht sogar ein umgekehrtes Verhältnis als
beim Ertrinkungstode.“
Dass der A des Blutes beider Herzhälften gleich ist, trifft
aber nur zu für die Zeit unmittelbar nach dem Tode. Späterhin
zeigten sich dagegen zum Teil recht erhebliche Differenzen.
Die folgende, beliebig aus einer grossen Zahl von unter¬
suchten Fällen (in denen es sich nicht um Ertrinkungstod han¬
delte) ausgewählte Tabelle (Sektion: 24—72 Stunden post
mortem) demonstriert dieses.
Tabelle 3.
A des linken Herzens
A des rechten Herzens
1
0,66°
0,66°
2
0,69°
0,740
3
0,70,0
0,82°
4
0,6 4'°
0,75°
5
0,80°
0,89°
6
0,640
0,68«
7
0,69,o
0,74°
8
0,68°
0,770
9
0,70°
0,74°
10
0,71°
0,7113
11
0,69«
0,69°
12
0,730
0,790
Aus diesen Untersuchungen geht hervor:
1. dass der A des Blutes entsprechend der Länge der seit
dem Tode verstrichenen Zeit sinkt 17) ;
2. dass der A des Blutes beider Herzhälften vielfach un¬
gleich ist.
Diese Verschiedenheit besteht in der überwiegenden Zahl
der Fälle in der Weise, dass der A des Blutes des rechten Her-
15) Brouardel
1G) S e y d e 1, cit.
und Loye, 1. c.
von Hofmann: Lehrbuch S. 575.
7) Eine Arbeit, die diese Verhältnisse ausführlich behandelt,
erscheint demnächst in der Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med.
3
1 882
MITEN CITENER MEDICINJSCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Zolls tiefer liegt als der des linken Herzens; gelegentlich ist er
gleich; in seltenen Fällen besteht eine Verschiedenheit im um¬
gekehrten Sinne, d. h. in der Mehrzahl der I alle findet man eine
Differenz des A beider Herzhälften gerade in demselben Sinne,
wie sie durch den Uebertritt von Wasser ins Blut erzeugt wird.
Daraus geht hervor, dass aus dem Vorhandensein dieser Differenz
allein ohne Rücksicht auf die absoluten Werte — das behauptet
Carrara — die Diagnose des Todes durch Ertrinken nicht
gestellt werden darf, vielmehr muss unbedingt die Forderung
aufrecht erhalten werden, dass diese Diagnose aus
dem Blutbefund nur zu stellen erlaubt ist,
wenn sich aus d e n a b s o 1 u ten Werten die statt¬
gefundene Blutverdünn u n g noch in i r g e n d
einem Teil des Kreislaufes nach weisen lässt.
Wie bereits erwähnt, ist die obere Grenze der bei gesunden
Menschen vorkommenden Schwankungen 0,55 ". Da der grössere
Teil der Fälle von Tod durch Ertrinken Unglücksfälle sind, die
im übrigen ganz normale Menschen betreffen, so wird dieser Wert
im allgemeinen bei der kryoskopischen Diagnose als Grenzwert
angesehen werden müssen.
Ergibt die (eventuell später stattfindende) Sektion patho¬
logische Veränderungen, vor allem Anzeichen bestehender oder
kürzlich überstandener akuter Krankheiten, die vermuten lassen,
dass zu Lebzeiten der Gefrierpunkt des Blutes abnorm hoch war,
so muss 0,51° als Grenzwert angesehen werden.
Die stattgehabte Verdünnung des Blutes durch Ertränkuugs-
fliissigkeit ergibt sieh in jedem Falle aus der Feststellung der
Gefrierpunktserniedrigung des Blutes des linken Herzens; wenn
die Sektion frühzeitig genug ausgeführt wurde, auch aus der
Gefrierpunktserniedrigung des rechten Herzens. Doch hat letz¬
tere Feststellung gegenüber ersterer untergeordnete Bedeutung,
einerseits weil die Verdünnung bei weitem nicht so hochgradig
ist und der A infolge der Fäulnis in kurzer Zeit den ursprüng¬
lichen Konzentrationsgrad wieder erreicht und überschreitet,
analog dem Verhalten des Blutes in jeder Leiche; andrerseits
günstigstenfalls die aus der Feststellung der noch hochgradigeren
Verdünnung des Blutes im linken Herzen bereits sichere Dia¬
gnose nur bestätigt. In keinem Falle aber verringert der ne¬
gative Ausfall der Blutuntersuchung des rechten Herzens den
Wert der konstatierten Verdünnung des Blutes im linken
Herzen.
Lässt sich nach dem Vorgetragenen das Vorhandensein einer
Differenz des A beider Herzhälften allein für die Diagnose des
Todes durch Ertrinken nicht verwerten, so ist andrerseits das
Fehlen oder der geringe Grad derselben zweifellos ein Moment,
das von vornherein sehr gegen die Wahrscheinlichkeit des Ueber-
tritts von Wasser ins Blut ins Gewicht fallen würde.
Nach diesen Erörterungen wird es nicht schwer sein, den
Wert der Kryoskopie zur Diagnose des Ertrinkungstodes an der
Hand von 12 einschlägigen Fällen zu beurteilen. Ich bemerke
ausdrücklich, dass in allen Fällen die charakteristischen Zeichen
Ertrinkungstodes einwandfrei festgestellt wurden.
Tabel
e 4.
A des linken Herzens
A des rechten Heizens
1
0,62°
0,67°
2
P,58°
0,69°
3
0,67°
0,67°
4
0,77°
0,81°
5
0,G3°
0,74°
6
0,64°
0,75°
7
0,62°
0,64°
Tabelle 5.
A des linken Herzens
A des rechten Herzens
1
0,48°
0,6S°
2
0,52°
0,62°
3
0,49°
0,63°
4
0,28°
0,55°
5
0,51°
0,66°
Aus diesen Tabellen geht hervor, dass in dem grösseren Teil
der Fälle die Resultate der kryoskopischen Methode negativ sind
(Tab. 4). Das ist nach den vorausgeschickten Ausführungen
über die Variabilität der Symptome des Ertrinkungstodes und
über die Bedingungen, die den Uebertritt von Ertränkungsfliissig-
keit ins Blut weniger begünstigen, erklärlich. Insbesondere wird
verhältnismässig selten eine „Submersion prolongee“ stattfinden.
Damit soll nicht gesagt sein, dass beim Tode durch Ertrinken
nach einmaligem T ntertauchen eine Resorption von Ertränkungs-
fliissigkeit überhaupt nicht zu stände kommen kann. Das beweist
Fall V 5 (ein Epileptischer, der im Anfall ins Wasser fiel und
ertrank, ohne wieder aufzutauchen).
In dem anderen, wenn auch kleineren Teil der Fälle waren
die Resultate positiv (Tab. 5).
Diese Fälle haben das Gemeinsame:
1. In keinem Falle liess sich eine Verdünnung des Blutes
im rechten Herzen nacliweisen. Grund: die bereits eintretende
Fäulnis der Leiche.
2. Die Differenz der Gefrierpunktserniedrigung des Blutes
beider Herzhälften ist enorm (0,10 0 — 0,27 °).
3. Das Ausschlaggebende ist aber, dass die molekulare Kon¬
zentration des Blutes im linken Herzen eine derartig niedrige
ist, wie sie nur durch Resorption von Ertränkungsflüssigkeit er¬
zeugt werden kann. Sie ist geringer als die physiologische; mit
Ausnahme von 2 Fällen auch noch geringer, als sie unter patho¬
logischen Umständen Vorkommen kann.
Von besonderem Interesse waren bei unseren Untersuchungen
2 Fälle:
Der erste Fall betraf einen Schiffsführer, der zwischen An¬
legebrücke und Schiff ins Wasser fiel. Die Sektion ergab einen
Wirbelbruch, mehrere Zerreissungen innerer Organe, 500 ccm
flüssiges Blut in der Bauchhöhle etc. Es warf sich die Frage auf,
ist der Mann ertrunken, oder verblutet, ehe er ertrinken konnte.
Wir sehen völlig ab von den übrigen Befunden. Die Gefrier-
pimktsbestimmung ergab: Blut des linken Herzens — 0,67°, des
rechten Herzens —0.70°.
Nach den vorhergehenden Ausführungen spricht dieser Be¬
fund weder für noch gegen den Tod des Ertrinkens.
Im zweiten Falle handelt es sich um einen Werftarbeiter, der
beim Fall ins Wasser mit dem Kopf auf eine straff gespannte
Stahltrosse aufschlug. Bei der Sektion ergab sich eine Basis¬
fraktur, die eine nicht unerhebliche Blutung veranlasst hatte, eine
Verletzung, die unter Umständen ausreichend gewesen wäre, den
Tod in ganz kurzer Zeit herbeizuführen. Diese Verletzung hatte
der Arbeiter bereits davongetragen, ehe er ins Wasser fiel. Die
Gefrierpunktsbestimmung ergab: Blut des linken Herzens — 0,50",
des rechten Herzens — 0,Gi“. Die Diagnose des Todes durch Er¬
trinken war dadurch sicher gestellt.
Was die Zeitlänge anbetrifft, die seit dem Tode verflossen
ist, so ist dieselbe insofern von Bedeutung, als die Fäulnis um
so weiter vorgeschritten sein wird, je längere Zeit seit dem Tode
verflossen ist. Infolge der Fäulnis sinkt aber, wie erwähnt, der
A des Blutes. Nach verschieden langer Zeit wird daher in allen
Fällen die stattgehabte Verdünnung des Blutes nicht mehr er¬
kennbar sein. Manchmal ermöglichen Bedingungen, die den
Fortschritt der Fäulnis wenig begünstigen (vor allem niedrige
Temperatur) den Nachweis derselben noch nach relativ langer
Zeit, wie in einem unserer Fälle noch nach 6 Tagen (Tab. 5
Fall 1). Bei grünfaulen Wasserleichen dagegen ist die Methode
nicht mehr zu verwerten.
Im Vorhergehenden war als Ertränkungsflüssigkeit stets
Flusswmsser (Süsswasser) gedacht von dem ungefähren A von
0,02° — 0,03", mutatis mutandis liefert die Methode natürlich bei
Flüssigkeiten, die einen niedrigeren A besitzen als Blut (z. B.
Meerwasser) ebenso gute Resultate.
P a 1 1 a u f 1S), der durch Bestimmung des Trockengewichtes
und der Asche die Aspiration von Ertränkungsflüssigkeit zu be¬
stimmen versuchte, irrt sich, wenn er behauptet: „Sogar das sehr
salzreiche Meerwasser bleibt trotz seiner 0,35 Proz. Na CI um
mindestens ebensoviel an Salzgehalt hinter dem der Transsudate
zurück“, da Meerwasser nicht 0,35 Proz., sondern 3,5 Proz. Koch¬
salz enthält.
Wegen des hohen Salzgehaltes beträgt daher der A z. B. des
Wassers im Mittelländischen Meere —2,18° (Carrara).
Wie Carrara bei einem im Meerwasser ertrunkenen Sol¬
daten und einem Tierexperiment festgestellt hat und wir durch
mehrere Tierversuche nachgeprüft haben, findet man in diesen
JS) F altauf 1. c., auch zitiert von H o f m a n n.
11. November 1902.
1883
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
I allen eleu des I> lutes im linken Herzen niedriger als im
rechten.
Auch bei in Jauche etc. ertrunkenen Neugeborenen- dürfte
die Methode positive Resultate liefern.
Leider macht in diesen Fällen die Fäulnis besonders schnell
die kryoskopischen V erte zur Stellung der .Diagnose unbrauch¬
bar, da der A des Blutes des rechten FEerzens schnellei* sinkt
als der des linken.
Tiotzdem die Methode nur in einem Feil der Fälle positive
Resultate liefert, halten wir es für empfehlenswert, jede Sektion
von Fällen, bei welchen der Tod durch Ertrinken in Frage kommt,
durch die Feststellung des A beider Herzhälften zu "ergänzen!
Als besondere Vorzüge können wir der Methode vor allem
nachrühmen :
1. Sie ist schnell und leicht auszuführen.
2. Sie gründet sich auf die Feststellung einer Begleiterschei¬
nung des Todes durch Ertrinken, deren Feststellung allein und
unabhängig von allen übrigen Symptomen ausreicht, die Dia¬
gnose zu sichern.
3. Sie gestattet die Diagnose gegebenenfalls schon vor der
Sektion bei der ersten Besichtigung der Leiche.
Zur Vermeidung der Hämatombildung nach Küstners
suprasymphysärem Kreuzschnitt.
Von Dr. Karl Heil, Frauenarzt in Darmstadt.
Die Mitteilung von R. v. Feilen!) erg aus der Berner
gynäkologischen Klinik [1] „Ueber den suprasymphysären Bogen¬
schnitt nach Küstner“ veranlasst mich, über meine 12 bezw. 14
nach dieser Methode operierten Fälle schon jetzt zu berichten,
wenn auch die Beobachtungszeit hinsichtlich der Dauerresultate
noch zu kurz ist.
v. Felle n berg sah bei seinen 70 Fällen 15 mal Häma¬
tome auftreten, also in 21,4 Proz., während ich bei meinen Fällen
dieses Vorkommnis nicht ein einziges Mal zu beobachten Gelegen¬
heit hatte; die gleiche prozentuale Häufigkeit vorausgesetzt, hätte
es sich 2 — 3 mal (2,56 mal) ereignen können.
Auch bei den anderen Autoren bin ich keinen Angaben über
das Auftreten von Hämatomen begegnet.
v. Fellen berg empfiehlt zu ihrer Vermeidung Drainage
der Wunde und zwar in erster Linie das Anlegen einer besonderen
Drainöffnung. Nach der an meinen Fällen gemachten Erfahrung
glaube ich dieses störende Moment der Hämatombildung auf
einfachere Weise ausschalten zu können : durch Auflegen
eines Sandsaokes während der ersten 24 — 36 Stunden
nach der Operation. Ich folgte hierbei dem Vorgänge Zweifels
hei der Alexander-Adams sehen Operation, aber ohne
Einlegen eines subkutanen Drains [2] .
Ich habe Küstners Schnittführung in 12 Fällen von
Ventrifixur (teils nach C z e r n y - L e o p o 1 d, teils nach Ols-
hausen) angewandt; die Fixationsfäden wurden stets', durch
Peritoneum und Faszie bezw. Muskulatur geführt und versenkt.
Den Hautquerschnitt habe ich etwas oberhalb der Haargrenze
angelegt in der ursprünglich von K üstner [3] angegebenen
Ausdehnung von 7 — 8 cm; Bauchhaken zum Auseinanderziehen
der Längswundränder habe ich nicht benutzt und bin auch ohne
jene ganz gut zum Ziel gekommen. Den Uterus suchte ich ent¬
weder durch feste Tamponade der Vagina oder durch die Finger
eines Assistenten von der Vagina aus entgegendrängen zu lassen
und hakte den Fundus von oben her mit einer Kugelzange an.
Die Lösung von Adhäsionen gelang ohne besondere Schwierigkeit.
Die Peritoneal wunde wurde isoliert durch fortlaufende Naht,
die Muskel-Faszien wunde durch einige Knopf nähte exakt ver¬
einigt und die quere, Haut und Unterhautfettschicht durch¬
setzende Wunde wurde mit fortlaufender Naht geschlossen, wo¬
bei nach K üstner „die Nadel im Grunde durch die Faszie
mitgeführt“ wurde. Als Nahtmaterial wurde ausschliesslich der
Braun sehe Celloid in zwirn (von Alexander Schädel-
Leipzig) benutzt. Dass auf exakte Blutstillung Wert gelegt
wurde, braucht kaum besonders betont zu werden.
Die Ventrifixur wurde ausgeführt : bei Retroflexion des ad-
härenten Uterus 3 mal, bei Retroflexion des mobilen Uterus 4 mal
(darunter ein Rezidiv nach einer von anderer Seite ausgeführten
Alexander-Adams sehen Operation), in Verbindung mit
scheidenverengemden Operationen wegen Genitalprolaps 5 mal.
Der \ erlauf war in 10 Fällen vollkommen fieberlos; in einem
Falle trat einmalige Temperatursteigerung bis 38° am 1. Tage
auf und beim anderen Fall war der Verlauf gestört durch eine
fieberhafte Bronchitis, die zweimalige Temperatursteigerung bis
39 0 zur Folge hatte.
In allen 1 ällen wurde prima reunio erzielt.
Bei 3 Fällen traten nach Entfernung der Hautnaht aus 1 bezw.
2 Stichkanälen einige 1 ropfen serösen Sekrets aus; in einem
weiteren Falle zeigte ein Stichkanal geringe Eiterung; diese
Patientin verliess aber bereits am 10. Tage das Bett.
Die Hautnaht wurde gewöhnlich am 10. Tag entfernt ; Ent¬
lassung erfolgte am 12. 14. Tage. Eine Leibbinde ist über¬
flüssig.
Der 1. Fall wurde am 5. II. 1901. der letzte am 12. III. 1902
operiert. Soweit ieli inzwischen die Patientinnen wieder gesehen
habe (% Jahre, 5 und 3 Monate nach der Operation), war (las Re¬
sultat. durchaus befriedigend, die Narben linear. Bei einer Pa¬
tientin war in der Mitte der kaum bemerkbaren Narbenlinie eine
linsengrosse Fistel entstanden, durch die ein versenkter Fadeu
ausgestossen worden war; die kleine Fistel heilte nach Auskratzung-
rasch.
Bei 2 weiteren Fällen war ich genötigt, den anfänglichen
Kreuzschnitt durch eine nabelwiirts angelegte Längsinzision zu
vergrössem, um ausgiebigeren Zugang zur Bauchhöhle zu ermög¬
lichen. Einmal handelte es sich um doppelseitige, iu Verwachs¬
ungen eingebettete Sactosalpinx und Retroflexio des von mul¬
tiplen Myomen durchsetzten Uterus, ein anderes Mal um eine
grosse, linksseitige, retroperitoneale Cyste, die als linksseitiges
glattes Ovarialkystom diagnostiziert worden war. Beide Male trat
trotz der komplizierteren Wundverliältnisse reaktionslose Heilung
per prima m ein. Bei der ersten Patientin hat sich an der Kreu¬
zungsstelle der beiden Hautwundlinien eine fingerkuppengrosse
Hernie gebildet.
Obwohl ich in diesen beiden Fällen mit dem suprasymphy¬
sären Kreuzschnitt nicht ausreichte, bezweifle ich dennoch keines¬
wegs, dass es mit dieser Schnittführung gelingt, auch grosse,
nicht öden- nur wenig adliärente Ovarialkystome (eventuell nach
vorausgeschickter Entleerung) und Adnextumoren zu entfernen
(Schauta, v. Feilenberg, Ivüstner, Strassman n).
Neben dem idealen kosmetischen Effekt
bietet der Ivüstnersche Kreuzschnitt den nicht
zu unterschätzenden Vorteil, dass das Tragen
einer Leibbinde überflüssig wird; weiterhin
glaube ich, dass diese Sohnittf ührung bessere
Dauerresultate hinsichtlich der II e r n i e n b i 1 -
düng liefern wird, und stehe endlich nicht an,
die Erwartung zu hegen, dass der Küstnersche
Schnitt in Verbindung mit der Ventrifixur
nach Olshausen eine Konkurrenzoperation
der Alexander-Adamsschen Operation wer¬
den wird. Ebenso dürfte sich der Kreuz¬
schnitt besonders eignen für die sterilisie¬
rende Tubenresektion. D i e B i 1 d u n g v o n Häma¬
tomen glaube ich durch Auflegen eines Sand-
sackes wirksam bekämpfen zu können.
Zum Schlüsse veranlasst mich die Mitteilung v. Fellen-
b e r g s zu einigen literarischen Bemerkungen.
y. Feilenberg fand ausser Küstners erster Mitteilung 13|
(die übrigens nicht 1897, sondern bereits Sept. 189(1 erschien) nur
die Angabe von Kahn [4] und von Schauta [5]. Bei ge¬
nauerer Durchsicht ist die Literatur über Küstners Kreuz-
sclmitt doch schon etwas reichhaltiger.
Bereits am 12. I. 1S97 hat Mi kucki [6] in der gynäko¬
logischen Gesellschaft zu Krakau über 2 Fälle berichtet und lobte
das Verfahren; auch Switalski anerkannte in derselben
Sitzung die Vorzüge desselben, wenn er es auch nur selten
für indiziert hält: in einem Falle von Kastration bei Osteomalacie
konnte er mit dem K ii stner scheu Schnitt allein nicht aus-
kommen. Frantzeu [7] modifizierte bei der Ventrifixur zur
Vermeidung versenkter Fäden und zur Beseitigung toter Räume
das Verfahren in der Weise, dass er durch den Fundus uteri, Peri¬
toneum und Faszien zwei Silkwormnähte legte, alsdann den Haut¬
lappen in der Richtung nach der Symphyse über den Längsschnitt
zog, die beiden Fixationsuälite durch die Haut nach aussen durch¬
führte iirnl sie später nach Schluss der Wunden über zwei Marly¬
bäuschen knüpfte.
Strassma n n [8] hat in der Berliner Gesellschaft für Ge¬
burtshilfe und Gynäkologie am 9. XI. 1900 über 7 nach K « s t n e r
operierte Fälle berichtet; alle Operierten genasen. Die Ventrifixur
will Strassmann immer nach dieser Methode vorgenommen
haben.
K ii li n e [9] teilt 12 Fälle aus der Marburger Klinik mit.
(5 mal Ventrifixur bei mobiler Retroflexio. 7 mal in Verbindung
mit scheidenverengernden Operationen). Die Fixationsfäden wur¬
den versenkt. K ii li n e weist darauf hin, dass unter Umständen
die Haut noch iu der Längsrichtung gespalten werden müsse,
3*
1884
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
so dass ein T-Sclinitt resultiere, wie ich es in 2 Fällen ausgeführt
habe. Kühne ist entgegen dem ablehnenden Urteil Hof-
meiers [10], dass „der suprasymphysäre Schnitt ganz kom¬
plizierte Wundverhältnisse gibt“, mit den Resultaten so zufrieden,
dass er ihn in geeigneten Fällen nach wie vor anwenden wird.
Kühne zitiert Abel [11], nach dem Rap in zuerst die Me¬
thode des Kreuzschnittes eingeführt habe im Interesse der
Aesthetik.
In der 14. Jahresversammlung der amerikanischen Gesell¬
schaft für Geburtshilfe und Gynäkologie zu Cleveland 17. — 19. IX.
1901 sprach Cumston [12] über quere Inzision bei Laparo¬
tomie; seine Methode ist identisch mit dem K ii s t n e r sehen
Kreuzschnitt; es ist aus dem Referat nicht ersichtlich, ob C u m -
ston unabhängig von K ü s t n e r zu seiner Methode gekommen
ist; jedenfalls gebührt Küstner die Priorität.
Weiterhin stellt Tiegel [13] in seiner Inauguraldissertation
(Breslau 1901) „Ueber die Vorteile des suprasymphysären Faszien¬
querschnittes nach P f a n n e n s t i e 1“ beide Methoden einander
gegenüber und endlich hat Küstner [14] selbst auf dem vor¬
jährigen Gynäkologenkongress in Giessen mitgeteilt, dass er bis
1901 über weit mehr als 100 nach seiner Methode operierte Fälle
verfügte und dass er die Indikationsstellung seit seiner ersten
Veröffentlichung wesentlich erweitern konnte. Bauchhernien
kamen in keinem Falle zur Beobachtung.
Bei den mehrfach angeführten 5 Fällen Schautas [5]
handelt es sich um den suprasymphysären Kreuzschnitt nach
Küstner und nicht um Pfannenstiels suprasymphy¬
sären Faszienquerschnitt, was Daniel [15] gegenüber ausdrück¬
lich festzustellen ist.
Die beiden Schnittführungen — nach Küstne r und nach
Pfannen stiel — sind auseinander zu halten ; sie sind im
Prinzip, wenn auch ähnlich, so doch verschieden und sind des¬
halb auch hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit und ihrer Dauer¬
resultate gesondert zu beurteilen.
Nach Pfannenstiels Methode habe ich erst 1 mal
— mit gutem Erfolg — operiert.
Literatur.
1. v. F e 1 1 e n b e r g: Centralbl. f. Gyn. 1902, No. 15, S. 385/390.
— 2. Ivriinig-Feuchtwanger: Monatssehr. f. Geburtsli.
u. Gyn., Bd. XI, H. 3, S. 623. — 3. Küstner: Monatsschr. f. Ge-
burtsh. u. Gyn., Bd. IV, H. 3, S. 197. 1896. — 4. K ahn: Centralbl.
f. Gyn. 1S97, S. 990. — 5. Schauta: Centralbl. f. Gyn. 1901, No. 49,
S. 1344. — 6. Mikucki: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gyn. 1897,
Bd. VI, H. 5, S. 544. — 7. Frantzen: Centralbl. f. Gyn. 1897,
No. 17, S. 464. — 8. Strassmann: Centralbl. f. Gyn. 1901, No. 1,
8. 9. — 9. Kühne: Centralbl-. f. Gyn. 1901, No. 4, S. 102. —
10. Hofmeier: Grundriss der gynäkologischen Operationen.
S. 71. — 11. Abel: Arch. f. Gyn., Bd. LVI, S. 672. — 12. Cum¬
ston: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gyn., Bd. XIV, II. 6, S. 826. —
13. Tiegel: Inauguraldissertation, Breslau 1901. — 14. Küst¬
ner: Verhandl. d. IX. Versamml. d. deutsch. Gesellsch. f. Gyn.
1901, S. 584 ff. — 15. Daniel: Centralbl. f. Gyn. 1902, No. 15,
S. 392.
Nachtrag bei der Korrektur: Zur Prioritätsfrage
Rapin - Küstner vergl. noch O. Beuttner- Genf : Supra-
svmphysärer Bogenschnitt nach Rapin-Küstner. Centralbl.
f‘ Gyn" 1902, No. 29, S. 777.
Aus dem Allgemeinen Krankenhause Hamburg-Eppendorf
(Medizin. Abteilung; Oberarzt Dr. Nonne).
Ein Fall von kruppöser Pneumonie und Sepsis, her¬
vorgerufen durch den Pneumobazillus Friedländer.
Von Dr. E. Philipp i, Assistenzarzt.
In der Festschrift zum 70. Geburtstag v. Leydens
„Internationale Beiträge zur inneren Medizin“ Bd. II findet sich
ein Aufsatz von A. F r a e n k e 1 - Berlin „Ueber Pneumokokken¬
befunde im Blute und über das Verhalten des arteriellen Druckes
bei der menschlichen Lungenentzündung“.
Der Verfasser geht aus von den sich widersprechenden Re¬
sultaten bei den Untersuchungen über das Vorkommen von
Mikrokokken im Blute des Lebenden bei Pneumonie, bespricht
seine eigene Erfahrung auf diesem Gebiete und berichtet ein¬
gehend über die Anschauungen Prochaskas von der an¬
zuwendenden Methode bei den betreffenden Blutuntersuchungen
und über die hierbei von diesem Forscher erzielten Resultate.
A. Fraenkel resümiert dann auf Grund seiner eigenen und
Prochaskas Untersuchungen wörtlich folgendermassen : „Bei
keinem seiner Kranken traf Prochaska den F riedländer-
schen Pneumobazillus, so dass seine Untersuchungen in Ver¬
bindung mit meinen eigenen Erfahrungen einen wichtigen Beleg
für die Richtigkeit des stets von mir verfochtenen Satzes bilden,
dass der Erreger der typischen Pneumonie des Menschen aus¬
schliesslich in dem lanzettförmigen Pneumokokkus und dessen
unmittelbaren Varietäten zu suchen ist.“
Gegenüber dieser so bestimmt ausgesprochenen Annahme,
erscheint die Mitteilung eines Falles gerechtfertigt, den ich auf
der Abteilung des Herrn Oberarztes Dr. Nonne im vergangenen
Frühjahr beobachten konnte.
Am 31. März Abends wurde ein kräftig gebauter, älterer
Mann, lebhaft delirierend und unklar, so dass die Anam¬
nese nicht erhoben werden konnte, aufgenommen. Es fand sich
bei ihm auf der i*echten Lunge hinten im Bereich des ganzen Ober¬
lappens und des Unterlappens bis auf eine ca. 3 Querfinger breite
Partie und vom von der Spitze bis zur 4. Rippe absolute Däm¬
pfung mit leicht tympanitischem Beiklang. Im Bereich der Däm¬
pfung war bei dem sehr oberflächlichen Atmen des benommenen
Patienten kein Atemgeräusch, wohl aber vereinzeltes feines
Rasseln zu hören.
Nur im Bereiche der rechten mittleren Axillarlinie, in der
Höhe der 3. bis 4. Rippe hörte man weiches Bronchialatmen.
Reichlicher, rubiginöser, schaumiger Auswurf. Am Cor sehr
leise, aber reine Töne. Pulsfrequenz 116; Temperatur 39,1; Re¬
spiration 42.
Diagnose: Akute, kruppöse Pneumonie.
Am i. IV. hielt sich die Temperatur etwa auf 39,4; die Puls¬
frequenz stieg auf 126 an, die Respiration auf 50.
Dem im Eppendorf er Krankenhaus allgemein geübten Ver¬
fahren entsprechend, wurden Morgens aus der linken Vena
mediana mit der L u e r sehen Spritze 15 ccm Blut entnommen und
auf 6 Glyzerinagarröhrchen verteilt. Schon am Abend spät waren
die Platten alle dicht übersät mit sehr kleinen Kolonien, die am
nächsten Mittag (2. IV) üppig gewuchert waren und bereits makro¬
skopisch von Herrn Dr. Schottmüller als vom Pneumo¬
bazillus Friedländer erzeugt angesprochen wurden und sich auch
mikroskopisch im Ausstrich als solche erwiesen. Am 2. IV. Mittags
starb der Patient und wurde am 3. IV. Mittags seziert.
Es fand sich in der rechten Lunge eine keinesfalls ungewöhn¬
lich aussehende, brettharte pneumonische Infiltration des gesamten
Oberlappens und des oberen Abschnittes des Unterlappens, Im
vorderen unteren Teile des Oberlappens fand sich ein ausgedehnter
Erweichungsherd, bestehend aus matschigen, dunkelroten, stinken¬
den Massen.
In den gefärbten Abstrichpräparaten aus den nicht erweich¬
ten Partien fand sich nur der Pneumobazillus Friedländer,
während sich in den aus den erweichten Partien angefertigten
Präparaten noch diverse andere Bakterien, aber nicht der Diplo-
coccus lanceolatus fanden.
In dankenswerter Weise hatte Herr Dr. Schottmüller
die Liebenswürdigkeit, die weitere genaue kulturelle Untersuchung
der aus dem in vivo entnommenen Blute und der aus dem Lungen-
abstrich gewachsenen, als Pneumobazillus Friedländer ange¬
sprochenen Stäbchen zu übernehmen. Seine Untersuchungen und
die von dem Prosektor Herrn Dr. Eugen Fraenkel aus dem
Wirbelknochenmark der Leiche erhobenen bakteriellen Befunde
bewiesen zur Evidenz, dass es sich hier um eine allein durch
den Pneumobazillus Friedländer hervorgerufene Pneumonie und
Sepsis handelte.
Man kann somit den Pneumokokkus F raenkel nicht aus¬
schliesslich als Erreger der typischen Pneumonie des
Menschen ansehen, sondern muss auch heute noch den seiner¬
zeit von Friedländer zuerst als Erreger der Pneumonie er¬
klärten Bazillus für sehr vereinzelte Fälle als solchen anerkennen.
So fand ihn auch Weichselbaum (Wien. med. J ahrbücher
86) unter 83 Fällen nur 6 mal. In jüngster Zeit kam Kief f er
in seiner Arbeit: „Contribution ä l’etude bacteriologique de la
pneumonie lobaire suppuree“ zu dem Schluss, dass das isolierte
Vorkommen des F r a e n k e 1 sehen Pneumokokkus bei der
eitrigen Pneumonie die Regel bilde, fand aber selbst in einem
Falle den Pneumobazillus F riedländer. Dass in meinem
Falle neben der Pneumobazillen-Pneumonie auch eine Pneumo-
bazillen -Sepsis vorlag, erscheint mir bei der Schwere der
Infektion in Analogie mit dem Pneumokokkus Fraenkel
nicht auffallend, doch dürfte wohl ein solcher Fall bisher noch
nicht publiziert sein.
Aus dem Augusta-Hospitale in Köln (Abteilung : Professor
Dr. linkowsk i).
Ein Fall von luetischer doppelseitiger Postikuslähmung
mit Ausgang in Heilung.
Von Dr. F. Steinhaus, ehemaligem Assistenzarzt.
Die Kasuistik über die doppelseitige Lähmung der Mm. crieo-
arytaenoidei postici hat in den beiden letzten Jahrzehnten des
vorigen Jahrhunderts einen ziemlich erheblichen Umfang an¬
genommen (es sind über 100 Fälle beschrieben worden) und
mehrere grössere Arbeiten haben sieb eingehender mit dieser
interessanten Lähmungsform beschäftigt. Trotzdem liegt viel¬
leicht eine Berechtigung vor, der Kasuistik einen weiteren genau
beobachteten Fall anzureihen, weil demselben Lues mit grösster
11. November 1902.
MUEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1885
Wahrscheinlichkeit als ätiologisches Moment zu Grunde liegt
und weil derselbe bei entsprechend gewählter Therapie in voll¬
kommene Heilung überging. Der Fall gelangte auf der inneren
Abteilung dei städtischen Krankenanstalten (Augusta-Ilospital)
zur Beobachtung und wurde mir von meinem Chef, Herrn Prof.
Mmko ws k i, zur Veröffentlichung übergeben, wofür ihm auch
an dieser Stelle mein Dank gebührt.
Krankengeschichte : Der 39 Jahre alte Patient A. W. gibt an
vor 2 Jahren an einem Hautausschlag gelitten zu haben. Dieser
wurde als ein luetischer aufgefasst und der Patient demgemäss
einer mehrmaligen antiluetischen Kur unterworfen. Vor seinem
Kintritt, in das Hospital befand er sich wegen Lues auf der Haut-
uml Geschlechtsabteilung der städt. Krankenanstalten, woselbst
mit ihm eine 6 wöchentliche Inunktionskur vorgenommen wurde
Kurz darnach trat er in die Anstalt ein mit Klagen über reissende
Schmerzen in der linken Unterextremität, die ihn beim Gehen sehr
behinderten.
Dt i Aufnahmestatus ergab folgendes: Herz und Lungen
zeigen keine Abweichungen von der Norm. Desgleichen ist an den
Organen des Abdomens nichts Krankhaftes zu finden. Die Pa-
tellarrefiexe sind gesteigert, angedeuteter Patellarklonus. Des¬
gleichen ist 1' ussklonus beiderseits vorhanden. Die Sensibilität
ist völlig intakt. Patient hat Schmerzen beim Gehen, die von der
linken Hüfte den Oberschenkel entlang an seiner Beugeseite in den
l nterschenkel ausstrahlen. Patient wurde nach 4 wöchentlichem
Aufenthalte als gebessert entlassen.
Etwa. 10 Tage später trat er von neuem ein mit im wesent¬
lichen den gleichen Klagen. Die Schmerzen bestehen in derselben
Weise fort; sie sollen nur anfallsweise auftreten. Dabei hat Pa¬
tient das Gefühl von Kribbeln und Hitze in dem linken Bein. Das
rechte Bein ist schmerzfrei. Im Urin ist weder Albuinen noch
Saccharum nachweisbar. Das R o m b e r g sehe Phänomen ist
nicht vorhanden. Die Pupillen reagieren auf Lichteinfall träge,
auf Konvergenz besser und sind gleich weit. Die Sehnenreflexe
an beiden Unterextremitäten sind auffallend gesteigert. Sensi¬
bilitätsstörungen fehlen vollständig. Der Gang des Patienten ist
hinkend; der Kranke schont das linke Bein beim Gehen und
schleppt es in gestreckter Haltung nach. Es besteht eine skolio-
tische Verbiegung der Wirbelsäule.
Die Therapie bestand in Darreichung von Natr. salicyl. 5,0 g
pro die. Ausserdem erhielt Patient täglich ein warmes Vollbad.
Nach 14 Tagen war eine Besserung in dem Zustande des Kranken
bei dieser Medikation nicht eingetreten.
Bei dem skizzierten Symptomenkomplex wurde wegen der an
der Ilinterseite des linken Oberschenkels auftretenden Schmerzen
und wegen Druckschmerzhaftigkeit an der Austrittsstelle des
N. ischiadicus an Neuritis ischiadica rheumatica gedacht. Dann
wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, ob es sich nicht um
lanzinierende Schmerzen handle, die mit der trägen Reaktion
der Pupillen kombiniert die ersten Erscheinungen einer sich ent¬
wickelnden Tabes darstellen konnten. Die gesteigerten Sehnen¬
reflexe sprachen nicht gegen eine solche Auffassung des Krank¬
heitsbildes, da sie häufig bei den Formes frustes der Tabes
(s. auch Erb: Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 29) zur Be¬
obachtung gelangen. Schliesslich war auch der Gedanke an eine
beginnende Neuritis alcoholica nicht von der Hand zu weisen,
da der Patient eingestandenennassen ein starker Potator war.
Die exakte Diagnose blieb somit in suspenso.
Am 14. Tage seines Aufenthaltes im Hospitale klagte der
Patient über Halsschmerzen und Beschwerden beim Schlucken,
für die ein Anhaltspunkt sich aber nicht finden liess. Zwei Tage
später trat Nachmittags plötzlich inspiratorische Dyspnoe
stärksten Grades ein. Der Kranke bot folgendes Bild dar: Er
lag mit nach hinten gebeugtem Kopfe im Bette. Die Atmung war
beschleunigt und ging mit sehr lautem inspiratorischem Stridor
einher, der weithin vernehmbar war. Die Haut des Gesichtes war
stark eyanotiscli verfärbt. Daneben bestand profuser Schweiss¬
ausbruch. Die Sprache war erhalten: Patient beantwortete deut¬
lich jede an ihn gestellte Frage. Eine vorgenommene laryngo-
skopisclie Untersuchung ergab folgenden Befund:
Die Aryknorpel zeigen keine Veränderungen. Die Glottis
bildet bei der Inspiration, in zwei Teile zerfallend, nach vorne
einen schmalen ovalen Spalt, nach hinten einen kleinen drei¬
eckigen Ausschnitt. Die Stimmbänder selbst sind unverändert
und verharren in Medianstellung. Bei der Inspiration schliesst sich
der ovale Spalt. Die Exspiration war möglich und infolge dessen
auch die Sprache erhalten.
Es bot sich also das klassische Bild der doppelseitigen
Postikuslähmung dar, das v. Ziemssen in folgende Symptome
zusammenfasst : Ganz allmähliche Entwicklung einer rein in¬
spiratorischen laryngealen Dyspnoe, meist ohne Katarrh und
Sprachstörungen. Exspiration frei. Laryngoskopisch bildet die
Glottis einen schmalen Spalt, der sich bei der Inspiration noch
weiter schliesst. Klangreichtum, Klangfarbe und Höhe der
Stimme wird nicht verändert. In Abweichung von diesem Bilde
hat sich in unserem Falle die Dyspnoe akut entwickelt.
No. 45.
Verordnung bestand in Auflegen von heissen, feuchten
Umschlagen auf die Kehlkopfgegend und in innerlicher Dar¬
reichung von Jodkali.
In den nächsten Tagen blieb der Zustand zunächst unver¬
ändert. Es wurden die Vorbereitungen zur Tracheotomie getroffen,
um im Falle bedrohlich zunehmender Dyspnoe die Operation sofort
vornehmen zu können. Der Stridor wurde so laut, dass der Patient
im Interesse der übrigen Kranken isoliert werden musste. Es
fiel auf, dass die Dyspnoe anfallsweise sich steigerte, so dass
Zeiten mit relativ leichter Atmung abwechselten mit solchen be¬
denklich hochgradiger Dyspnoe. Die Artikulation der Sprache
blieb ungestört.
Unter Berücksichtigung einer Bemerkung v. Ziemssens:
„Ob übrigens Kranke mit Postikuslähmung die Möglichkeit des
Singens in höheren Lagen — worauf die Tätigkeit der Postici von
wesentlichem Einflüsse sein dürfte — bewahrt oder verloren
haben, wäre noch festzustellen“, wurde eine häufigere Prüfung
an dem Kranken nach dieser Richtung vorgenommen. Es gelang
ihm niemals, höhere musikalische Töne anzulauten.
Nach etwa 8 Tagen ist eine geringe Besserung eingetreten,
insofern, als Patient, wenn er sich ruhig verhält, ziemlich gut
atmen kann. Bei den geringsten Bewegungen dagegen, namentlich
auch beim Sprechen, steigert sich die Dyspnoe erheblich.
Der Patient erhält von nun ab täglich eine Injektion von
Hydrargyr. succinimidatum nach der Formel:
Hydrarg. succinmidat. 0,G5
Cocain, hydrochloric. 0,5
Aq. dest. ad 50,0.
Unter dem Einflüsse dieser Injektionen besserte sich der Zu¬
stand des Kranken so auffallend, dass nach weiteren 14 Tagen
die Dyspnoe als beseitigt betrachtet werden und Patient das
Bett verlassen konnte.
Auffallend war bei der weiteren Gestaltung des Krankheits¬
verlaufes, dass sich unter der spezifischen Behandlung auch die
Erscheinungen an der linken Extremität verloren. Der Gang
wurde von Tag zu Tag freier und unbehinderter, die Schmerzen
in dem linken Beine liessen nach. Nach 3 monatlicher Behand¬
lung konnte der Patient als vorläufig geheilt entlassen werden.
Im Entlassungsbefunde ist notiert, dass die Glottis voll¬
kommene Schlussfähigkeit bei der Phonation und normale Er¬
weiterung bei der Inspiration aufweist. Die Stimmbänder zeigen
keinerlei Veränderungen. Die Sprache ist laut und deutlich, die
Intonation sämtlicher musikalischer Töne ist möglich.
Wenn ich an dieser Stelle einen Ueberblick über die für die
Postikuslähmung in Betracht kommenden ätiologischen Momente
wrerfe, so lehrt die Literatur, dass dieselben mannigfach in ihrer
Natur sein können. In den wenigsten Fällen ist ein Katarrh
der Stimmbänder als Ursache in der Literatur verzeichnet. Einen
etwas grösseren Raum nehmen Intoxikationen verschiedener Art
ein. Des weiteren können Tumoren des Kehlkopfs und seiner
Nachbarorgane von ursächlicher Bedeutung werden. Die Lite¬
ratur weist fernerhin eine grössere Zahl von Fällen auf, bei denen
Nervenkrankheiten eine kausale Rolle gespielt haben. Im
Vordergründe stehen hier die Tabes dorsalis und andere Er¬
krankungen des zentralen Nervensystems, wie Syringomyelie
und solche Herderkrankungen des Gehirns, die den Vaguskern
in ihren Bereich gezogen hatten. Sodann ist die Hysterie als
ätiologisches Moment angeführt worden. Auch die progressive
Muskelatrophie ist in einigen Fällen mit doppelseitiger Postikus¬
lähmung kompliziert gewesen.
Die bei weitem häufigste Ursache stellen aber die Infektions¬
krankheiten dar. So ist die Postikuslähmung im Gefolge von
Typhus abdominalis, Diphtherie, Erysipel, Gonorrhöe und Lues
zur Beobachtung gelangt.
Für die bei unserem Falle eingeschlagene Therapie war die
anamnestische Angabe von massgebender Bedeutung gewesen,
dass vor einigen Jahren eine luetische Infektion erfolgt war, die
wenige Monate vor der Aufnahme des Patienten neuerliche Er¬
scheinungen gemacht hatte. Da nun die antiluetische Behand¬
lung eine solche Wirkung entfaltete, dass der Kranke nicht nur
von seinem lästigen Kehlkopfleiden, sondern auch von seinen
übrigen körperlichen Beschwerden völlig befreit wurde, so steht
wohl der Annahme nichts im Wege, die Lues als Causa efficiens
morbi aufzufassen. Zugleich ist damit der Beweis erbracht,
dass auch die Veränderungen an den Unterextremitäten auf die
Wirkung des syphilitischen Virus zu beziehen waren, dass mit¬
hin eine Neuritis ischiadica luetica mit grösster Wahrschein¬
lichkeit sich in dem linken Beine etabliert hatte.
Was nun die Lokalisation der Kehlkopf erkrankung anlangt,
so wird es für eine Erörterung dieser Frage zweckmässig sein,
die Einteilung der Postikuslähmungen, wie sie von Gerhardt
vorgeuommen wurde, zu Grunde zu legen: es kann sich nach
ihm um eine zentrale Erkrankung, um eine periphere Affektion
4
i8b ’ )
MUEN CFIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
des N. recurrens und schliesslich um eine Veränderung der be¬
troffenen Muskeln handeln.
Eine periphere Erkrankung der Muskeln glaube ich bei Be¬
trachtung sämtlicher Krankheitserscheinungen ausschliessen zu
können. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der
Kranke noch andere Veränderungen an seinem Nervensystem
darbot (träge Pupillenreaktion, gesteigerte Reflexe, Schmerzen
nach Art der lanzinier enden), dürfte es wohl nicht ganz auszu-
schliessen gewesen sein, dass wir das Anfangsstadium der Tabes
dorsalis vor uns hätten, bei der einige Male eine Postikuslähmung
als Initialsymptom zur Beobachtung gekommen ist (s. auch
Weil: Berl. klin. Wochenschr., Bd. 23, No. 13). Es ist ferner
auch der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, dass eine Affek¬
tion des Gehirns, eine Herderkrankung, die erst in ihrer Ent¬
stehung begriffen ist, als Ursache der gesamten krankhaften Er¬
scheinungen, die der Kranke darbot, in Frage kommt, in Ana¬
logie mit einem Falle, den Taylor (ref. Schmidts Jahr¬
bücher 1884, pag. 205) beschrieb. Auch bei diesem Falle lag
Lues als Aetiologie vor; es trat zunächst LIeilung ein;
Vs Jahr aber nach dem Ablauf der Postikuslähmung machten
sich zer ebrospinale Erscheinungen in Form von Taubsein,
Schmerzen in der linken Körperhälfte und Hemiplegie bemerk¬
bar. Schliesslich könnte man noch eine periphere Erkrankung
des N. recurrens als Ursache in Betracht ziehen, eine Neuritis,
Die Annahme, dass eine solche Vorgelegen hat, also die neuro-
paralytische Form der Lähmung, hat meines Erachtens den gröss¬
ten Grad von Wahrscheinlichkeit für sich, wenn man erwägt, dass
im Bereiche des 1. N. isehiadicus zu gleicher Zeit eine Neuritis
vorlag.
Wenn ich meine Auffassung demnach über die Kehlkopf -
erkrankung hinsichtlich des ihr zu Grunde liegenden anatomi¬
schen Substrates präzisieren müsste, so würde ich am ehesten
zu der Meinung hinneigen, dass es sich um eine periphere Er¬
krankung des N. recurrens handelte, wobei ich es aber nicht für
ausgeschlossen halten möchte, dass eine forme fruste der Tabes
dorsalis resp. Initialsymptome derselben Vorgelegen haben könn¬
ten. Die weitere Beobachtung des Kranken muss lehren, welche
Annahme am meisten zu Recht besteht.
Das Interesse unseres Falles beruht darauf, dass bei einem
nachweisbar luetisch infizierten und an Nerven¬
störungen leidenden Patienten plötzlich eine Lähmung
beider Mm. crico-arytaenoidei postici auf¬
trat, die bei einer ein geleiteten antiluetischen
Injektionskur innerhalb einiger Wochen ohne
Tracheotomie in völlige Heilung überging.
Da die Zahl der syphilitischen Postikuslähmungen an sich nicht
bedeutend und die der Heilungen ohne Tracheotomie nicht gross
zu sein scheint, ist die Veröffentlichung des Falles als Beitrag
zur Kasuistik der Postikuslähmungen sicherlich angebracht.
Ein Fall von Lobärpneumonie mit konsekutivem Pem¬
phigus acutus bei einem 2 V2 jähr. Kinde.
Von Dr. med. Oskar Moos, prakt. Arzt in Heilbronn a/N.
Während der Pemphigus bei Neugeborenen in der allge¬
meinen Praxis dann und wann beobachtet wird, gehört der Pem¬
phigus acutus bei älteren Kindern und Erwachsenen zu den
Raritäten der ärztlichen Beobachtung.
Der von mir beobachtete Fall erscheint mir ganz besonders
erwähnenswert, weil die Blasenbildung erst sekundär aufgetreten
ist, und zwar fällt der Beginn des Auftretens der ersten Blasen
auf den 9 Tag einer Affektion, welche nach ihren Symptomen
(heftiger Husten, kontinuierliches Fieber, Bronchialatmen) als
Lobärpneumonie aufgefasst werden musste.
Paula H., 2 y2 Jahre alt, früher immer gesund, von guter Kon¬
stitution, erkrankte am 20. Mai mit heftigem Hustenreiz, Temp.
40.0, Lungeubefund normal. Am 23. Mai war über dem ganzen
linken Unterlappen deutliches Bronchialatmen zu hören, Schall
relativ gedämpft. Rechte Lunge normales Zellenatmen. Die Dia¬
gnose lautete demnach: Pneumonia crouposa lob. inf. sin.
Das Allgemeinbefinden war bei reichlicher Aufnahme von
Milch und regelmässigen, dem Alter entsprechenden Gaben von
Tokayer befriedigend. Ord. 2 — 3 mal täglich 1 Bad von 30 0 C.,
mit allmählicher Abkühlung auf 27,5° C. und nachfolgender Ueber-
giessung 22° C.; Nachts 2 stündlich kühle Stammwickel. Intern:
Liqu. Ammon, anis.
Vom 2G. Mai ab, mit Eintritt der hyperpyretischen Tempera¬
turen. verschüchterte sich von Tag zu Tag der Zustand des kleinen
Patienten. Puls 165, oberflächliche, sehr beschleunigte Atmung.
Langsamer, aber fortschreitender Verfall der Kräfte. Ord.: Bäder
wie oben, nur etwas kühlere Uebergiessung, innerlich Camplicr.
0,02 2 stttndl.
Am 2S. erstes Auftreten einiger Bläschen wässrigen Inhalts
von Stecknadelkopf- bis Linsengrösse auf der Vorderseite der
Brust. Dem Aufschiessen der Bläschen ging keine Röte der Haut
voraus, sie selbst waren von einem schmalen, blassroten Saum
umgeben. Tags darauf waren diese Effloreszenzen beträchtlich
vergrössert bis zur Grösse eines 1 »reimarkstückes. Neue Bläs
chen zeigten sich vereinzelt auf Rücken und Brust. Der Zustand
war jetzt so bedrohlich (Puls 170, wachsgelbes Aussehen), dass zu
Kampherinjektionen geschritten werden musste (3 stiindl. 0,02
Campkor. subkutan). Am 30. geringe Besserung des Allgemein¬
befindens, während der Ausschlag immer weiter um sich griff. Am
nächsten Tage bot der Rumpf mit seinen bis hühnereigrossen
Blasen und den nach Abtragung der abgehobenen Epidermis ent¬
standenen Hautdefekten ganz das Bild einer ausgedehnten,
schweren Verbrennung zweiten Grades. Am 1. Juni war die
untere Hälfte des Rückens in toto ihrer Epidermis beraubt, und
auch auf der Vorderseite des Rumpfes, an Brust und Bauch, waren
über handtellergrosse Partien freiliegenden Koriums. In diesem
Stadium musste, da jede Berührung und passive Bewegung der
kleinen Dulderin unsägliche Schmerzen bereitete, von jeder hydria-
trisclien Prozedur Abstand genommen werden, und konnte ich
mich um so leichter dazu entschliessen, als der Prozess aul der
Lunge so ziemlich abgelaufen war. Die Hautaffektion behandelte
ich trocken, anfangs mit adstringierendem Puder, später mit
Bardelebens Brandbinden, welche sich mir bei ähnlich aus¬
sehenden, ausgebreiteten Verbrennungen mehrfach gut bewährt
hatten. Vom 31. Mai ab zeigte sich lytischer Temperaturabfall.
Die wenigen an den späteren Tagen noch entstandenen Blasen b
sassen nicht mehr die Neigung, sich wesentlich zu vergrösseiu.
Die Brandbinden wurden nur in den ersten 2 Tagen täglich
erneuert, konnten dann stets 2 bis 3 Tage liegen bleiben. Vom
12. Juni ab konnte jeder Verband weggelassen werden, da keine
nässende Stelle mehr vorhanden war.
Die Rekonvaleszenz erfuhr keine Störung, und das Kind er¬
freut sich w ieder guter Gesundheit.
Aetiologiscli möchte ich die Krankheit als eine Mischinfek¬
tion auffassen; zu der anfänglichen Pneumonia crouposa ge-
. 1 1 n ^ H nlm Pnrwn rn n>n C
auftretende hyperpyretische Temperatur, in der ich damals die
Perturbatio critica zu erblicken geneigt -war, war gleichsam das
Prodrom der nachfolgenden Febris bullosa.
Wie sonst beim Pemphigus acutus, so haben wir auch in
unserem Falle hyperpyretische Temperaturen, die jeglicher Anti-
pyrese hartnäckig trotzen.
Stichwunde in die Niere.
Von Oberstabsarzt Dr. T ubenthal.
Nierenverletzungen durch Stich oder Schnitt sind immer
noch verhältnismässig selten beobachtete Verletzungen. Gibt
doch Küster*) die Zahl der in der Literatur niedergelegten
Beobachtungen auf nur 43 an. Mögen nun auch in der Zwischen¬
zeit noch einzelne Beobachtungen gemacht sein, so ist die vor¬
handene Zahl der berichteten Fälle doch verhältnismässig gering
und die Mitteilung jedes einzelnen Falles erwünscht, wenn auch
nur daraus hervorgehen sollte, dass unkomplizierte Verletzungen
der Niere bei geeigneten Massnahmen eine durchaus günstige
Prognose bieten.
Zwrei Unteroffiziere eines bayerischen Infanterieregiments
trieben miteinander Scherz, der eine hatte das kurze Seitengewehr
M S4 mit der Hand an der Spitze gefasst, dasselbe entglitt seiner
Hand bei einer schwingenden Bewegung, flog in die Luft und traf
einen anderen Unteroffizier, welcher dem Werfenden in leicht ge¬
beugter Stellung den Rücken zukehrte, beim Herabfallen auf die
x) Küste r: Die chirurgischen Krankheiten der Niere.
Deutsche Chir., Lief. 52b, S. 221.
11. November 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1887
liuke Seite des Rückens, ging durch
durch und in die Weichteile hinein.
Die Blutung soll anfangs ziemlich
Verwundete langte am späten Abend
Lazarett an. Es. fand sich 5 cm links von der Wirbelsäule in
horizontaler Richtung entfernt eine 2 cm lange, parallel und etwas
unteihalb dei 11. Rippe verlaufende, glattrandige Wunde, welche
nicht mein blutete und deshalb wieder mit einem Gazeverbande
versehen wurde.
Litewka und Ilemd hin-
heftig gewesen sein. Der
mit einem Notverband im
Am nächsten Morgen sah ich den Verletzten. Die Lage der
Wunde und eine dünnrötliche Flüssigkeit, welche aus der Wunde
hervortrat, legten die Vermutung nahe, dass es sich um eine
Nierenverletzung handle. Bei vorsichtigem Sondieren mit einer
geschlossenen Kornzange kam man leicht in eine Tiefe von 5 cm
I rin war nicht vorhanden, angeblich nicht gelassen. Jedenfalls
war bei dem guten allgemeinen Verhalten keine Gefahr im Ver¬
züge. In die Wunde wurde ganz lose ein Jodoformgazetampon
eingeführt.
Am nächsten Tage war blutiger Urin vorhanden. Als man
nun den Verband löste, zeigte sich derselbe von einer rötlichen
I' Bissigkeit durchtränkt, die Weichteile der Nierengegend waren
deutlich vorgetrieben und leicht gerötet. Kein Zweifel, es han¬
delte sich um eine Nierenverletzung. Die Schwellung der Weich¬
teile musste man als beginnende Infiltration und Infektion an-
selien, zumal ja alle Nierenverletzungen nach Kochers und
T a v e 1 s Untersuchungen die Eigenschaft haben, sehr schnell die
Umgebung zu infizieren.
Es wurde deshalb mit einem schrägen Querschnitt, welcher
im Winkel zwischen der 12. Rippe und der Wölbung des M. sacro-
lumbalis begann, die linke Niere freigelegt. Der Schnitt hatte
eine Länge von 14 cm und fiel in der Richtung mit der ursprüng¬
lichen W unde zusammen. Nachdem die Fascia lumbo-costalis ge¬
spalten und die Wunde gehörig auseinander gezogen war, erschien
in der Tiefe die Niere. Während nun aber die Ausseuwunde in
der Haut quergestellt war, verlief die Nieren wunde im Liings-
durclimesser der Niere, ungefähr der Nierenmitte entsprechend.
Es musste also das Seitengewehr eine drehende Bewegung beim
Durchschneiden der Weichteile gemacht haben. Man konnte deut¬
lich sehen, dass aus der Nierenwunde Flüssigkeit hervortrat. In
die Nierenwunde wurde ein Jodoformgazestreifen eingeführt, die
grosse Aussenwunde für sich tamponiert. Die Körpertemperatur
hob sich nur am Operationstage und dem folgenden Tage auf
38°, war sonst stets normal.
Nach 6 Tagen wurde der Nierentampon fortgelassen, nachdem
er in der Zwischenzeit einmal erneuert war. Die Nierenwunde
bedeckte sich mit Granulationen. 11 Tage nach der Verletzung
war die Nierenwunde geschlossen, nachdem schon einige Tage
vorher jeder Blutgehalt auch bei mikroskopischer Probe aus dem
Urin geschwunden war. Die Aussenwunde wurde allmählich durch
Sekundärnähte geschlossen. Ungefähr nach 5 Wochen war auch
ilie äuesere Wunde vollkommen mit glatter, 14 cm langer Narbe
geheilt.
Irgendwelche nachteiligen Folgen sind von der Verletzung
nicht zurückgeblieben, der Mann versieht wieder seinen Dienst als
Unteroffizier.
Ueber einen Fall von angeborenem Diabetes insipidus
kombiniert mit nach Insolation hinzugetretener Epilepsie.
Von Dr. Lichtwitz jr. in Ohlau (Schlesien).
Im Sommer vorigen Jahres wurde mir der Packer Fr. M. über¬
wiesen. aus dessen Vorgeschichte folgendes zu bemerken ist: Der
jetzt 23 Jahre alte Fr. M. ist das jüngste Kind einer ziemlich
kinderreichen Familie. Sein Vater ist hochbetagt gestorben, seine
Mutter und seine Geschwister befinden sich am Loben und bei
guter Gesundheit. Nerven- und Geisteskrankheiten, insbesondere
Epilepsie, sind in der Familie nicht zu verzeichnen. M. brachte
einen ungeheuren Durst mit zur Welt, der durch die Angabe seiner
Mutter, dass er als kleines Kind versucht habe, das Wasser, in
dem er gebadet wurde, zu trinken, wohl am besten charakterisiert
wird. 1 on jeher hat er auch enorme Menge Urins ausgeschieden.
M ährend der Zeit der Entwicklung war er stets schwächlich und
zarb blieb jedoch von schwereren Krankheiten verschont. Krampf¬
anfälle irgend welcher Art sind sowohl während der Kindheit
als auch späterhin nicht auf getreten. Diese Angabe darf nicht an-
gez weif eit werden, da sich M. stets sehr sorgsamer Pflege er¬
freute, welcher derartiges nicht entgangen wäre. Aus dem
weiteren Lebenslauf des Patienten ist hervorzuheben, dass die
Schule ihm unüberwindliche Schwierigkeiten bot. Sehr im Gegen¬
satz zu allen anderen Mitgliedern seiner Familie ist M. recht wenig-
intelligent. Er musste sich mit einem geringen Grad von Kennt¬
nissen begnügen und einen Beruf erwählen, wie er wohl seiner
Herkunft nach — sein Vater war Superintendent — als auffallend
bezeichnet werden muss. Was sein Temperament anlangt, so
wird er von seinen Angehörigen als „guter Kerl“ gerühmt. Sein
Durst, und sein Urindrang ist unverändert geblieben. Er
steht des Nachts — wie er angibt, ohne ganz munter zu werden —
alle 2 Stunden auf, um zu trinken und zu urinieren. In seinem
Zimmer wird des Abends eine Kanne Wasser deponiert. Bei einer
gelegentlichen Gebirgsreise, wo diese Vorsichtsmaassregel ausser
Acht gelassen wurde, sahen sich die beiden mitreisenden Herren
am Morgen ihres Waschwassers beraubt. Missbrauch von Alkohol
kann mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden.
Wie hervorgehoben, war M. mehrere Jahre lang als Packer
in einer Fabrik beschäftigt. Seine Tätigkeit spielte sich aus¬
schliesslich in den Fabrikräumen ab. Ausnahmsweise hatte er am
Tu Juli vorigen Jahres, einem sehr heissen Tage, mit einem zweiten
Arbeiter auf dem Güterbahnhofe Ballen von 100 kg Gewicht zu
verladen. Diese Beschäftigung dauerte von 1—6 Uhr. Auf dem
Heimwege empfand M. Kopfschmerzen und bekam in seiner
Wohnung heftiges Erbrechen, das von einem Mattigkeitsgefühle
gefolgt war. Am nächsten Tage nahm er trotz Kopfschmerzen die
Arbeit wieder auf. Etwa 14 Tage später wird er in früher Morgen¬
stunde von seiner Mutter bewusstlos am Fussboden gefunden,
mit Krämpfen, einer Hautabschürfung an der Stirn und einer
Bisswunde der Zunge. Er selbst wusste am nächsten Tage von
diesem Vorfall nichts. Aehnliche Anfälle wiederholten sich in
unregelmäsigen Zwischenräumen, etwa 1—3 mal im Monat, und
waren von Kopfschmerzen gefolgt. Ein Anfall wurde von dem
Herrn Kollegen l\i. beobachtet und als epileptischer Anfall be¬
zeichnet.
Status praesens: M. ist ein mittelgrosser, breitschultri¬
ger Mann von mittlerem Ernährungszustand und ziemlich guter
Muskulatur, aber blasser Gesichtsfarbe. Die inneren Organe
lassen Abweichungen nicht erkennen, auch das Nervensystem
bietet keinerlei Befund. Am Schädel fällt das Fehlen der Hinter¬
hauptswölbung auf. Die Zunge zeigt eine alte Bisswunde, sonst
sind Narben oder frische Verletzungen am Körper nicht vorhanden.
In der Zeit zwischen den Anfällen besteht Wohlbefinden, doch
fällt seinen Angehörigen eine gewisse Reizbarkeit auf, die früher
nicht bestanden hat.
W as nun die Diskussion des Zusammenhanges der geschil¬
derten Erscheinungen und Vorfälle anbelangt, so können wir
als erstes Moment aus der Harnruhr, dem geringen Grade der
Intelligenz und der Beschaffenheit des Schädels auf eine an¬
geborene Gehirnanomalie schliessen. Wenn nun wohl auch das
Auftreten der Epilepsie im 23. Lebensjahre, zumal bei Anwesen¬
heit anderer Störungen des Zentralnervensystems, etwas auf¬
fallendes nicht hat, so kann doch ein ätiologisches Moment, wie
die aus den Zerebralsymptomen des Erbrechens und Kopf¬
schmerzes kenntliche Insolation, nicht übergangen werden. Die
Tatsache, dass der erste Anfall erst 14 Tage nach jener er¬
folgte, macht den Zusammenhang nicht unwahrscheinlich. Denn
wir wissen, dass an einen jeden in der Schädelhöhle bestehenden
Reizzustand sich noch nach Jahren epileptische Anfälle an-
schliessen können (F reund und Sach s). Neigt man der An¬
nahme zu, dass der epileptische Anfall die Folge einer Hirn¬
anämie ist, so wird man einen solchen als sogleich auftretende
I olge einer Insolation, bei der sich die Hyperämie wohl nicht
auf die Meningen beschränkt, nicht erwarten dürfen. Doch er¬
scheint die Auffassung plausibel, dass durch den Insult des
Sonnenstiches die zentrale epileptische Veränderung gesetzt
worden ist, welche gelegentlich durch nicht näher zu kontrol¬
lierende Ursachen als Anfall in die Erscheinung tritt.
Da die Schädigung bei einer für M. aussergewölinlichen
Betriebsarbeit erworben wurde, so stellt dieselbe einen Betriebs¬
unfall dar, der zu einem noch nicht abgeschlossenen Entschädi¬
gungsverfahren geführt hat.
Aus der „Neuen Heilanstalt für Lungenkranke“ zu Schömberg
(O.-A. Neuenbürg).
Ein weiterer Beitrag zu der Frage: „In welcher
Beziehung stehen Körperbewegungen, Körperwärme
und Albumosurie zu einander und zum Fieber im
Verlauf der Phthise?“
Von
Dr. G. Schröder, dirig. Arzt, und Dr. Th. Brühl, Assistenzarzt.
Wenn wir auf die Entgegnung Otts1) gegen unsere Ver¬
öffentlichung in No. 33 und 34 dieser Wochenschrift erst heute ein-
gehen. so geschieht es in der Absicht, seine Ausführungen durch
weiter unten berichtete Versuche auch sofort experimen¬
tell zu widerlegen.
In nebensächlichen Dingen sich verlierend hat Ott den
schwerwiegendsten Vorwurf gegen seine Versuchsanord-
n ung ii b erhaupt nicht beantwortet. Experimente, aus deren
Ergebnissen berechtigte Schlüsse bezüglich thera¬
peutischer Massnahmen gezogen werden sollen, müssen natur-
gernäss den thatsächlichen Verhältnissen genau
e n t s p r eehend angeordnet sein. Es wird aber doch wohl
keinem vernünftigen Phthisiotherapeuten einfallen, entgegen
allen seit langem anerkannten p h t h i s i o thera¬
peutischen Grundsätze n (cf. schon Brehmers
Arbeiten), Phthisikern mit teilweise labilen Temperaturen einen
Marsch von 4y3 km in einer Stunde mit einer Terrain-
’) Münch, med. Wochenschr. No. 38, 1902.
ibSS
MUENCHENER MEDICIRISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
steig« n g zu E n d e des Weges, wie ihn Ott zur Grundlage
seiner Versuche macht, als kurgemässen Spaziergang ärztlich zu
verordnen. 1 >ass infolge solcher forcierten Leistungen
bei Tuberkulösen wirkliches Fieber samt Albumosurie auf-
treten können, haben wir gar nicht bezweifelt, sind vielmehr an¬
gesichts der bekannten Neigung der Tuberkulösen zu wirklichen
Fieberbewegungen auch ohne jede Untersuchung fest davon über¬
zeugt.
Mit Stillschweigen übergeht Ott weiterhin die von uns
gefundene (übrigens schon früher2) bekannte und beschriebene)
a. u f f ii 1 1 i g e und für die Beurteilung der ganzen Frage doch
li ö c hst wichtige Tatsache, dass auch N i c h 1 1 u b e r k u -
1 ö s e schon nach massigen Körperbewegungen rektale Tem¬
peratur Steigerungen, ja sogar relativ höhere als
T ulie r k u 1 ö s e, auf weisen!
Um nun auf Otts Ausführungen direkt einzugehen, so sollen
unsere von den seinigen abweichenden Resultate, wie so oft in
solchen Fällen, unserer Untersuchungstechnik zur Last fallen.
Mit der Angabe des 96proz. Alkohols als Fällungsmittel ist uns
ein Schreibversehen unterlaufen. Wir nahmen natürlich stets
a b s o 1 ut e n Alkohol, also 99 proz.
Die Menge von 10 ccm Urin genügt nach Bang trotz des
auch bei dessen Methode eintretenden Verlustes an Albumosen
zum (i u a 1 i t a t i v e n Nachweis von Albumosen vollkommen.
Wir durften deshalb annehmen, dass auch das Schultess sehe
Verfahren mit dieser Menge Urin für unsere Zwecke brauchbare
Resultate ergeben würde, um so mehr, als das Bangsche in den
meisten Fällen die Ergebnisse kontrollierte, und überdies die bei
verschiedenen Fällen suspekten, sowie positiven Ausfalls der Re¬
aktion hervortretenden Differenzen in der S t ä r k e der
R e a ktion stets zu Ungunsten der Bang sehen Methode
sich ergaben. Die letztere halten wir im Gegensatz zu O 1 1 für die
g e n au e r e, weil sie durch ihre Manipulationen das Urobilin
als Fehlerquelle mehr als andere ausschaltet.
Mit dem tropfenweisen Zusatz der Kupfersulfatlösung
befinden wir uns völlig im Einklang mit den Lehr¬
büchern (cf. Sahli: Lehrbuch der klinischen Untersuchungs¬
methoden).
Die 10 p r o z. Kupfersulfatlösung wird zur Anstellung der
I? i u r e t r e a ktion von L enhart z in seinem Buche: „Mikro¬
skopie und Chemie am Krankenbett“ ausdrücklich an¬
gegeben! Weshalb hat Ott übrigens seine Versuchs technik in
seiner ersten Veröffentlichung nicht schon angegeben,
wenn er deren Einzelheiten für so ausserordentlich wichtig hält?
Um aber den Ott sehen Einwendungen gegen unsere Er¬
gebnisse selbst diesen, wie gezeigt, nur schwachen Boden einer
i on der seinen abweichenden Untersuchungstechnik zu entziehen,
haben wir unter minutiösester Beobachtung der von
ihm angegebenen Teclini k unsere Untersuchungen an 16 neuen
F ii 1 1 e n wiederholt, stellten aber die Reaktion stets sowohl
mit 10p roz. als auch mit lproz. Kupfersulfatlösung an:
Ein Fall des III. Stadiums mit intermittierendem Fieber er¬
gab trotz Bettruhe Albumosurie.
3 Fälle des II. Stadiums mit subfebrilen Temperaturen, die
stets Freiluftliegekur machten, ergaben absolut negative Re¬
sultate.
4 Fälle des I. Stadiums, sowie 2 des II. Stadiums, laut Mund-
niessung fieberfrei und unserer klinischen Beurteilung nach
ziemlich leistungsfähig, zeigten nach kurgemässe m
einstündigen Spaziergang keine Albumosen.
Unter 6 Fällen des II. Stadiums mit labiler Temperatur,
aber sonst trefflichem Allgemeinbefinden ergab sich ‘ein m a 1
nach y2 ständigem lturgemässem Gange ein Verdacht auf
Albumosurie. In allen Fällen war ausgesprochene Stei-
g e r u n g der Rektaltemperatur im Verhältnis zur Mundtemperatur
nach dem Spaziergange zu konstatieren.
Vir haben also mit diesen Untersuchungen die Schlussfolge¬
rungen aus unserer ersten Arbeit nur bestätigt. Auftretende
Albumosurie nach Körperbewegungen bei sonst fieberfreien
Lungenkranken zeigt uns nur, dass dieselben übermässigen An¬
strengungen zu ihrem Schaden ausgesetzt wurden. Die Unter¬
suchungen Otts sind dementsprechend aufzufassen. Nach dieser
Richtung hin bleibt die Untersuchung auf Albumosen für die
Therapie wertvoll. Für den Erfahrenen wird ihre Anstellung stets
unnötig sein.
Zum Nachweis der Simulation bei Hysterischen und
Unfallskranken.
Nachtrag zu dem Artikel in No. 41.
Von Stabsarzt Dr. N i e d n e r.
Zu meiner Mitteilung in No. 41 der Münch, med. Woclienschr.
erhalte ich von Herrn Kollegen v. H ö s s 1 i n nachstehende Zu¬
schrift, welche ich unseren beiderseitigen Mitteilungen als Er¬
gänzung anfügen möchte:
„In dem Falle, welchen Sie in der Münch, med. Woclienschr.
vom 14. d. M. veröffentlichen, würde auch ich aus dem vorhandenen
Phänomen der paradoxen Kontraktion der Antagonisten nicht auf
-') Botkin: Mediz. Klinik. Berlin 1889, Hirsch w a 1 d.
Simulation geschlossen haben, weil eine Gelenkaffektion vorliegt,
welche den Kranken veranlassen kann, eine beabsichtigte, resp.
verlangte Bewegung durch gleichzeitige Kontraktion der Antago¬
nisten willkürlich oder reflektorisch zu hemmen; es handelt sich
also um die Ausnahme, auf die ich in meiner Arbeit in No. 37 der
Münch, med. Wochenschr., S. 1522, Spalte I, Zeile 4 von unten hin¬
gewiesen habe; ich habe vielleicht versäumt, weiter unten, nach
dem von Ihnen zitierten Satz: „bei allen denjenigen Unf alls¬
kranken, bei denen der objektive Befund die von den Kranken an¬
gegebenen Beschwerden erklärt, habe ich das Symptom der para¬
doxem Kontraktion der Antagonisten regelmässig vermisst“, noch
einzuschalten: wenn die Gelenke in dem auf das Phänomen unter¬
suchten Gebiete frei waren.
Jedenfalls halte ich es für sehr wichtig, dass Herr Kollege
noch darauf hingewiesen haben, dass das Phänomen der paradoxen
Kontraktion der Antagonisten auch bei solchen Kranken Vor¬
kommen kann, welche neben sicherem objektiven Befund noch
nebenbei simulieren, was wir ja nicht selten beobachten. In
solchen Fällen prüfe ich darauf, ob das Phänomen auch in einer
vom erkrankten Gebiet entfernten Muskelgruppe nachzuweisen ist.
Findet man z. B. bei einer ziemlich normal geheilten Ivlavikular-
fraktur noch Knarren und Schwerbeweglichkeit im Schultergelenk,
hat aber den Verdacht, dass der Kranke übertreibt oder simuliert,
so würde ich auf das Phänomen der paradoxen Kontraktion der
Antagonisten durch Widerstandsbewegungen im Handgelenk
prüfen, während das möglicherweise erkrankte Schultergelenk
fixiert wird. Fällt die Prüfung positiv aus, so simuliert der
Kranke jedenfalls dazu, auch wenn eine Erkrankung im Schulter-
gelenk vorhanden ist.“
Zur Darmwirkung des Atropins.
Erwiderung auf Div Gebel.es: „Weitere Bemerkungen über
Atropin“ in No. 42 d. Wochensclir.
von Dr. Paul Ostermaier in München.
In dieser Sache sei es mir gestattet, folgendes zu entgegnen:
1. Den Schluss, dass das Atropin — auch in den bisher an¬
gewandten Dosen — die Peristaltik nicht lähme, sondern errege,
zog ich nicht nur aus meinen eigenen Beobachtungen, sondern
hauptsächlich aus den zahlreichen diesbezüglichen Publikationen
von anderer Seite. Den pharmakologischen Standpunkt in dieser
Frage kann ich erst dann für präzisiert halten, wenn — wenigstens
ungefähr — die Dosis bekannt ist, bei der der erregende Einfluss
auf die Darmmuskulatur beim Menschen in den lähmenden
umschlägt.
2. Dass nicht bloss Belladonna, sondern auch das Atropin
narkotische Wirkung besitzt, davon kann man sich leicht über¬
zeugen. Dass es sich als Narkotikum mit anderen, besseren Nar-
kotizis nicht im entferntesten messen kann, ändert an oben¬
genannter Tatsache nichts. Penzoldt z. B. äussert sich fol-
gendermassen: „Als Beruhigungsmittel für sensible und motorische
Erregungszustände wird Atropin in örtlicher Anwendung vom
Kokain, in allgemeiner vom Morphin u. a. iibertroffen“ (Klinische
Arzneibehandl. 1897).
3. Gebele sagt: „Das Atropin soll ferner nach Oster-
m a. i e r als Narkotikum den Blutdruck steigern.“ Ich aber schrieb:
„...vielleicht trägt zu der günstigen Beein¬
flussung des Kollapses auch die narkotische
Wirkung einen kleinen Teil b e i.“ Das ist doch
zweierlei.
4. „Für stärker eingeklemmte Hernien muss aus der Atropin¬
behandlung ein grosser Schaden erwachsen“ sagt Gebele. „denn
die gelähmte Schlinge wird durch Atropin noch mehr atonisch,
es sehliesst sich eine allgemeine Darmparese mit ihren schweren
Folgen an.“ Dies wäre richtig, wenn durch die bisher angewandten
Dosen Lähmung der Peristaltik zur Beobachtung gekommen wäre.
5. Bei den Vergiftungserscheinungen sind bisher solche des
Zentralnervensystems, die besonders Disponierte nicht mehr über¬
winden konnten, nicht beobachtet worden. Dass man aber trotz¬
dem mit dieser Möglichkeit rechnen muss, habe ich, in meiner Mit¬
teilung ganz besonders betont. Auch habe ich auf die Gefahr einer
Verzögerung eines rechtzeitigen operativen Eingriffes durch Ver¬
schleierung des Krankheitsbildes hingewiesen. Ich habe aber auch
hervorgehoben, dass mit der Atropinbehandlung frühzeitig be-
! gönnen werden muss und (lass dieselbe über eine gewisse kurze
Spanne Zeit hinaus nicht protrahiert werden dürfte.
6. Durch ein paar Atropininjektionen in z. B. halbstündigen
Intervallen wird, für die Privatpraxis wenigstens, eine nötige
Herniotomie auch nicht länger hinaiisgeschoben als durch ein
warmes Vollbad.
7. Aeltere Beobachtungen erlauben den Schluss, dass durch
kein anderes Mittel ein so hoher Prozentsatz von Spontanrepo-
sitionen erzielt wird als durch Atropin und Belladonna.
Endlich möchte ich mich noch dahin äussern, dass ein richtiger
anatomisch-mechanischer Ileus (aber nicht jeder!) durch
Atropin günstig beeinflusst werden kann.
11. November 1902.
MUENCHENEE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1889
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Handapotheken und öffentliche Kassen.
Von Dr. G ö b e 1, k. Rechnungskommissär in München.
Gemäss Ziffer 8 der Arzneitaxordnung für das Königreich
Bayern vom 27. März 1901 haben öffentliche Anstalten und Kassen
bezüglich der für ihre Rechnung erfolgten Arznei lief erung An¬
spruch auf einen Abzug von 10 Proz. des taxmässigen Preises.
Ilei piakt. Arzt I)r. S. in A. will sich zur Zulassung eines
solchen Rabattes an seiner Rechnung für die an die k Gen¬
darmerieangehörigen aus der Handapotheke abgegebenen Medi¬
kamente nicht verstehen, weil aus der neuen Arzneitaxordnung
nicht et sichtlich sei, dass Besitzer von Handapotheken gegenüber
öffentlichen Kassen zur Rabattgewährung verbunden sind, und
beruft sich überdies auf die Würdigung der Sache durch den zu¬
ständigen Amtsarzt; dieser, k. Bezirksarzt Dr. T. in B., erachtet
die Inhabei von Handapotheken in der gedachten Richtung wenig¬
stens seit der Verordnung vom 29. Dezember 1900 (Ges. u. Ver¬
ordn. -Bl., S. 1225 ff.) nicht verpflichtet, während vordem die Frage
jederzeit sehr umstritten gewesen wäre.
Hiergegen kömmt folgendes zu erwidern:
Rücksichtlich der auf Grund von Rezepturen der Hand¬
verkauf ist einer Taxe nicht unterworfen — abgegebenen Medi¬
kamente sind die mit Allerh. Verordnung vom 27. März 1901,
No. 7361, „die Arzneitaxordnung für das Königreich Bayern batr.“
(Ges.- u. Verordn. -Bl.. S. 161 ff.) genehmigten neuen Taxbestim-
mungen massgebend.
In denselben werden unter den „besonderen Bestimmungen“
die Taxen der Arzneimittel nach Gewichtsgrössen festgelegt (siehe
auch hierzu die Aenderimgsbestimmungen der Bekanntmachung
vom 21. Mai 1902. Ges,- u. Verordn. -Bl., S. 193 ff), nachdem die
Grundsätze über Taxieren bei Gewichtsabstufungen. Berechnung
von Minimaltaxen, Taxieren von Drogen und Präparaten u. a. m. in
den „allgemeinen Bestimmungen“ erörtert worden sind; hierunter
lindet sich auch die Bestimmung, dass öffentliche Anstalten und
Kassen bezüglich der für ihre Rechnung erfolgten Arzneilieferung
Anspruch auf einen Abzug von 10 Proz. des taxmässigen Preises
haben.
Ohne Unterscheidung einer Abgaben quelle, Apotheke oder
Handapothekenbesitzer, wird sohin lediglich die Arznei liefe-
r u n g als solche der Berechnung der Arzneitaxe mit dem Abmasse
zu Grunde gelegt, dass zu Gunsten gewisser E m p f ä n g e r Preis-
ermässigung zugestanden wird, ganz ebenso wie dies unter den
„besonderen Bestimmungen“ für den Fall der Abgabe von Di¬
phtherieserum, hier unter Aufführung besonderer, Ziffern-
m ä s s i g festgestellter Preisermässigungen, die zweifellos auch
für Handapotheken bindend sind, im Gegenhalte zu „Privaten“
als Abnehmern, vorgesehen erscheint.
Hiernach und bei dem Mangel besonderer Ausnahmsvor-
scliriften für die Besitzer von Handapotheken muss an der Ver¬
bundenheit der letzteren zur Gewährung eines 10 proz, Rabattes
festgehalten werden. Nicht entgegen steht der Umstand, dass
diesbezügliche Bestimmungen in der Allerh. Verordnung vom
29. _ Dezember 1900 entgegen derjenigen vom 8. Dezember 1890,
§ 27, vermisst werden. Hier handelt es sich nur um Vorschriften,
betreffend „die Zubereitung und Feilhaltung der Arzneien“ und
erscheint der Mangel einer ausdrücklichen Anziehung der Arznei¬
taxordnung als massgebend für die Preisfestsetzung um so weniger
bedenklich, als dieselbe im Eingänge auf die Einführung der
4. Ausgabe des Arzneibuches für das Deutsche Reich, welches
zufolge § 15 der angeführten Verordnung vom 29. Dezember 1900
als Norm für die Wahl der Arzneikörper und für die Zubereitung
der Arzneimittel zu dienen hat, als Anlass zur Revision der Tax-
bestimmungen himveist und damit deren Anwendung auf die
letztberegte Verordnung statuiert hat.
Weshalb in der Verordnung vom 8. Dezember 1890 auf die
1 orschriften über die Arzneitaxe ausdrücklich hingewiesen worden
ist, kann ununtersucht bleiben, nur darf nicht unbetont gelassen
werden, dass die ganze Materie des § 27, nämlich der Vor¬
behalt der Arzneitaxbestinnnungen hinsichtlich der Preisfest¬
setzung. und nicht — wie die Anschauung des k. Bezirksarztes zu
sein scheint - — nur der Absatz 3 desselben in der Verord¬
nung vom 29. Dezember 1900 keine Aufnahme gefunden, eine Aus¬
merzung dieses Absatzes allein, der von der Gültigkeit der Be¬
stimmungen der Arzneitaxordnung auch für die Handapotheken
handelt, sohin nicht stattgehabt hat.
Ini übrigen bietet gerade diese spezielle Vorschrift, über¬
nommen aus dem § 25 Abs. 3 der Allerh. Verordnung vom
15. März 1866 (Regierungsblatt S. 354 ff.): „Die Arzneitaxordnung
muss auch von Handapotheken eingehalten werden“ einen wert¬
vollen Behelf für die Auslegung der strittigen Frage entgegen der
Anschauung der beteiligten Aerzte.
Hiebei wird gerne zugestanden, wie darin eine Härte für die
Handapothekenbesitzer gegenüber den Apotheken liegt, welche
bei dem Massenbedarf e ihre Vorräte zu Vorzugspreisen beziehen
und sohin einen Rabattabzug wesentlich leichter ertragen können;
allein hieraus kann nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen kein An¬
lass zu einer eingeschränkten Anwendung des Gesetzes abgeleitet
werden; la legge saria tiranna, se non fosse per tutti.
Aus vorstehenden Erwägungen hat die staatliche Rechnungs¬
revision die treffende Medikamentenrechnung um den Betrag des
10 proz. Rabattes gekürzt; Sache des beteiligten Ai’ztes muss es
bleiben, eine etwaige Weiterverfolgung dieser prinzipiellen Frage
zuständigen Ortes zu betreiben.
Wohl mag entgegengehalten werden, dass speziell hinsicht¬
lich der Behandlung der Gendarmerieangehörigen zufolge der ein¬
schlägigen „Dienstesinstruktion über die Verwaltungsgeschäfte
einer Gendarmeriekompagnie“ (vom 10. Dezember 1878j „bei allen
Apotheker reclnnmgen ... an der Summe ... 10 Proz. tax-
mässiger Rabatt in Abzug gebracht sein muss“ (§ 93 Ziff. 3) ; allein
abgesehen davon, dass eine blosse instruktioneile Bestimmung der
gesetzlichen Vorschrift selbst bei dem Vorliegen eines Wider¬
spruches nicht zu derogieren vermöchte, steht ein solcher tatsäch¬
lich nicht in Frage, da die gleiche Verwaltungsstelle, das k. Gen¬
darmeriekorpskommando, in dem mit Ordonnanz vom 1. Mai 1878
herausgegebenen exemplifizierten Formulare für Erstellung von
ärztlichen Deservitenrechnungen mit der an merkungs weisen An¬
leitung: „Wenn Medikamente aus Handapotheken der praktischen
Aerzte verabfolgt werden, so sind dieselben nach den Deserviten
gesondert auszuweisen und ist hievon der 10 proz. Rabatt in Ab¬
zug zu bringen“ ihrer Willensmeinung in einer jeden Zweifel aus-
schliessenden Weise Ausdruck verliehen hat.
Referate und Bücheranzeigen.
Dr. G-. Emilio Curätulo: Die Kunst der Juno Lucina
in Rom. Geschichte der Geburtshilfe vou ihren ersten Anfängen
bis zum 20. Jahrhundert. Mit nicht veröffentlichten Dokumenten.
Berlin, Hirschwald, 1902. Mit Tafel und 47 Textbildern,
gr. 8 °. 247 Seiten. Preis 9 M.
Gegenüber der stattlichen Reihe italischer Anatomen und
Naturforscher von Falloppio bis Morgagni, von Cae-
s a 1 p i n o bis Spalanzani erscheint uns das Häuflein der
nennenswerten Geburtshelfer in jeder Beziehung klein. Ueber-
setzungen der Bücher unserer Schröder, G. A. Br a u n und
Kleinwächter mussten hier aushelfen, so dass E. Winckel
(1889) in seinem gediegenen Lehrbuche nur zwei neuere italische
Werke über Lucinas Kunst auf führt.
Das Buch Curätulo s, von dem das Dichterwort g'ilt :
„Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, teilt seinen
reichen Inhalt in 25 Kapitel, von denen besonders Kap. III über
römische geburtshilfliche Mythologie, Kap. VIII über Lex regia,
Kap. IX über die ältesten Autoren, Kap. XVI — XVIII über
S c i p i o Mercurio, ferner Kap. XIX, XX über Franz
Asdrubali die Aufmerksamkeit fesseln.
Wie die Päpstin Johanna in das Buch kommt, ist nicht er¬
sichtlich; sie könnte nur als Paradigma für Sturzgeburt zu¬
gelassen werden. Die Literatur des höchst pikanten Mythus ist
dem \ erf. nicht ganz bekannt, sonst müsste er die musterhafte
Arbeit Döllingers in dessen berühmten „Papstfabeln“ an¬
führen. Da könnte er auch finden, dass die Dominikaner es
waren, welche das grösste Verdienst um die Verbreitung der
interessanten Sage erworben haben.
Bei der Lex regia, die man mit Unrecht dem halbmythischen
Numa zuschreibt, wäre die bedeutende Arbeit Voigts in den
Abh. d. sächs. Akad. VII, 1879 zu erwähnen. Dass jenes be¬
rühmte Gesetz durch Wahrnehmungen an Opfertieren entstanden
ist, muss zurückgewiesen werden, da trächtige Tiere den Un¬
sterblichen nicht dargebracht wurden. Dagegen konnte auf
Jagden wohl beobachtet werden, dass bei Wunden des Bauches
lebende J unge austreten, wie die 3 Epigramme Martials über
das verwundete Wildschwein beweisen.
Mit Recht wurde auch Soranus herangezogen, der in
Rom praktiziert hat. Aber gelesen hat Verf. den Ephesier nicht,
sonst hätte er z. B. die Stelle I 40 angeführt, welche die
römischen Mütter so ungünstig qualifiziert.
PI ini us darf als Fundgrube nicht unterschätzt werden.
W er eine gute Ausgabe mit Index, z. B. die von S i 1 1 i g, gesehen
hat, wird über die Masse von gynäkologischen Notizen erstaunen.
Es ist störend, dass die griechischen Eigennamen in der
italienischen Form gegeben sind, z. B. Coo statt Kos, Etius statt
Aetius, Coronide statt Koronis etc.
Das Lustspiel des Terentius Afer heisst Andria (Mäd¬
chen von Andros), nicht „Adria“, wie konsequent gedruckt ist.
— Die Ackerbrüder (Fratres arvales) werden „Brüder Arvali“
genannt. Das ist stark ! Ihr berühmtes Lied findet man im
1. Bande von M o m m s e n s römischer Geschichte.
Auf pag. 59 wird von einer Salbe gesprochen, die man
„obstetrix“ genannt habe. P 1 i n i u s spricht aber von einer
Hebamme namens S a 1 p e, wahrscheinlich eine griechische Pfu¬
scherin, die mit den verdächtigen Kolleginnen Lais, Elephantis
lsyo
MUENCHENER MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
und Sotira in der abergläubischen Weltstadt ihr Glück suchte j
und fand.
Die von P 1 i n i u s berührte „M a 1 a c i a“ ist nichts als
Pica, Kissa (Gelüste der Schwangeren). Unser Autor macht
aber daraus die Osteomalacie, welcher leider erst am Ende des
18. Jahrhunderts genauer erkannt wurde.
Unter dem Pflanzennamen „Eschenwurz“ kann sich der Laie
nichts denken. In solchen Fällen sollten die richtigen botani¬
schen Namen geg'eben werden (Dictamnus).
Die pag. 35 zitierte Stelle aus Terentiu s’ Andria ist
irrig erklärt. Wer sich hier gut benommen hat, ist Pamphilus,
der Kindsvater, nicht das Kind. Diese Worte sollen beweisen,
dass der Fötus tätigen Anteil an der Geburt nehme, (cf. Act. III,
Sc. II.)
Auf pag. 106 ist die Rede von F ragmenten des S o r a n u s,
die in „Etium“ gefunden wurden ; es soll aber heissen : bei Aetius
von Amida.
Im übrigen verdient die Arbeit Curat u los alle Aner¬
kennung. Glänzend ist die Ausstattung, die der Verleger dem
Buche verliehen hat, das ein Schmuck jeder Bibliothek sein wird.
Der Preis ist geradezu fabelhaft billig.
J. Ch. Huber- Memmingen.
Aus der Praxis der Gothaer Lebensversicherungsbank.
Versicherungs- Statistisches und -Medizinisches. Bearbeitet von
Prof. Dr. K a r u p, Dr. med. Gollmer und Dr. med. Flor-
schütz. Herausgegeben vom Vorstand "der Gothaer Lebens¬
versicherungsbank a. G. zur 7o. Wiederkehr dos Gründungstages
der Bank. Jena 1902, Gustav Fischer. 520 S. Preis 13 M.
Der vorliegende Band enthält eine Zusammenstellung von j
29 Aufsätzen der genannten Autoren, welche seit 1886 teils in
den „Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik“, teils
in den „Monatsblättern für die Herren Vertrauensärzte der
Lebensversicherungsbank für Deutschland“ publiziert wurden.
Da letztere Zeitschrift im Buchhandel nicht erscheint und nur
mit Mühe zu erlangen ist, sichert sich die Gothaer Lebensver¬
sicherungsbank den Dank aller mit Lebensversicherungsangelegen¬
heiten beschäftigten Aerzte, wenn sie nunmehr aus dem reichen
Schatze ihres riesigen Materiales und ihrer langjährigen Er¬
fahrungen einiges einem weiteren Leserkreise zugänglich macht.
Der Band zerfällt in 2 Abteilungen : I. Versicherungs-
Statistisches, enthaltend die interessanten Arbeiten
K a r u p s und Gollmers über die Mortalitätsverhältnisse des
ärztlichen Standes, des geistlichen Standes und der Lehrer nach
den Erfahrungen der Bank, sowie die Darstellung der Sterblich¬
keit der Versicherten während der 50 jährigen Periode von
1829 — 1878, nach Todesursachen untersucht. II. Versiehe-
rungs - Medizinisch es, umfassend 25 Arbeiten, von
welchen besonders erwähnt seien : Der Glykosuriker als Antrag¬
steller (Florschütz); Pleredität und persönliche Kon¬
stitution in ihrer Bedeutung für die Lungenschwindsucht; die
Abwehrmassregeln gegenüber der Tuberkulose; die gegenseitige
Infektionsgefahr bei Ehegatten hinsichtlich der Lungenschwind¬
sucht; das Schwangerschaftsrisiko; wie lange soll die Syphilis
geheilt sein, ehe Antragsteller, die daran gelitten haben, ver¬
sichert werden können?; eine Untersuchung über die Sterblich¬
keit nichtversicherter Aerzte (sämtlich von Gollmer). Aus
der Praxis für die Praxis geschrieben, bieten die Aufsätze dem
Leser eine Fülle von Anregungen und einen Einblick in die Be¬
urteilung der Versicherungsfähigkeit und in die komplizierte
Tätigkeit bei der Auswahl der geeigneten Risiken, wie er aus
irgend einem „Handbuch für den Vertrauensarzt“ nicht zu ge¬
winnen ist. Wir können daher nur wünschen, dass die Hoffnung
des Bankvorstandes auf eine freundliche Aufnahme des Buches
in den Kreisen der Fachgenossen sich erfüllen und demselben
die verdiente weite Verbreitung zuteil werden möge. R. S.
0 h 1 e m a n n : Die neueren Augenheilmittel. Wiesbaden
1892, J. F. Bergmann. Preis 3.60 M.
Tin Anschluss an sein 1896 im gleichen Verlage erschienenes
Buch : „Augenärztliche Therapie für Aerzte und Studierende“
führt Verf. alle neueren Heilmittel und auch ältere in wieder
modern gewordener Anwendung auf. wobei nur die Sonde der
Kritik mit etwas weniger Rücksicht anzulegen gewesen wäre.
Da nicht nur arzneiliche Mittel, sondern auch mechanische Be¬
handlung, thermisch wirkende Mittel, Elektrizität, Serum- und
Organtherapie, sowie Balneotherapie in den Kreis der Bespre¬
chung gezogen, endlich auch noch Prophylaxe und Allgemein¬
behandlung kurz und treffend behandelt werden, so kommt Verf.
einem wirklichen Bedürfnisse entgegen und kann seine fleissige
und umsichtige Arbeit, die von der Verlagsbuchandlung sehr
schön ausgestattet ist, bestens empfohlen werden. S e g g e 1.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für klinische Medizin. 46. Band, 5. u. 6. Heft.
Nachruf für C. Gerhardt.
17) Flitz Meyer: Zur Bakteriologie des akuten Gelenk¬
rheumatismus. (Aus der I. mediz. Klinik v. L e y d e n s in Berlin.)
Dem Verfasser gelang es, aus der Bakterienllora der Lakunen
der anginösen Tonsillen bei Gelenkrheumatismus durch Passage
durch den Tierkörper eine besondere Streptokokkenart zu isolieren.
Diese liess sich nämlich in dem zuerst auftretenden Gelenk-
exsudat allein nachweisen. Auffallend ist die sehr geringe Viru¬
lenz der so isolierten Streptokokken, welche sich auch nicht durch
die gebräuchlichen Methoden, wie oftmalige Passage durch den
Tierkörper etc., steigern lässt. Zuerst erkranken meistens die
Kniegelenke, später die Schultergelenke; nach einigen Tagen ver¬
schwindet die Schwellung des Gelenkes wieder vollständig, um
dann an anderen Gelenken aufzutreten. Das Exsudat ist von grau-
weisser bis graugelblicher Farbe, leicht fadenziehend und fibrin-
reich, nicht eitrig, enthält ziemlich viel einkernige Leukocyten
und Endothelien; die Bakterien finden sich nur in der ersten Zeit
und fast ausnahmslos intrazellulär in den einkernigen Leukocyten
und den Endothelien. Der ganze Prozess ist ein rein synovialer.
Nach Ablauf der Entzündung finden sich wieder ganz normale
Verhältnisse au den Gelenken. Bei 21 Proz. der geimpften Tiere
trat eine verruköse Endokarditis auf, welche der beim Menschen
beobachteten rheumatischen sehr ähnlich war. Bakterien fanden
sich nur ganz im Anfang und nur in den zentralen Partien des
ursprünglichen Thrombus in Diplokokkenform. Nirgends ist eine
Nekrose oder stärkere Gewebsschädigung zu sehen. In späteren
Stadien sind die Bakterien sehr schlecht färbbar, offenbar
abgestorben. Diese Befunde, welchen sich noch das bei 3 Proz.
beobachtete Auftreten von choreaähnlichen Zuckungen, sowie das
häufige Auftreten von pleuritisclien und perikarditischen Ex¬
sudaten anscliliesst, sprechen dafür, dass einerseits die gefundenen
Bakterien eine besondere Streptokokkenart darstellen, dass an¬
dererseits diese mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als die
Erreger des Gelenkrheumatismus anzusehen sind.
18) E. Rogovin: Klinische und experimsntelle Unter¬
suchungen über den Wert der Sauerstoffinhalation. (Atis der
I. mediz. Klinik v. L e y d e n s in Berlin.)
Nach einer Besprechung der theoretischen Seite der Sauerstoff¬
inhalationen berichtet der Verf. über 4 Fälle, bei welchen mit
günstigem Erfolg Sauerstoffinhalationen angewendet wurden.
2 der Fälle betrafen Mitralstenosen, der dritte, letal endigende
einen Kollaps bei Leberabszess mit eitriger Pleuritis infolge von
perforiertem Ulcus ventriculi, der vierte eine Bronchopneumonie
bei Scharlach. Ferner stellte der Verf. zahlreiche Tierversuche
an, indem er an Fröschen, Mäusen und Ratten, einige Male auch
an Kaninchen und Katzen den Verlauf verschiedener Vergiftungen
unter dem Einflüsse von Sauerstoffinhalationen studierte. Bei
den meisten Versuchen mit Strychnin, Morphium, Chloroform,
Leuchtgas und Anilinöl liess sich eine günstige Beeinflussung der
Vergiftungserscheinungen durch die Einatmung der sauerstoff¬
reichen Luft beobachten; es verstrich meistens viel mehr Zeit bis
zum Eintritt des Todes als bei Einatmung gewöhnlicher Luft; in
manchen Fällen gelang es, durch die Sauerstoff einatmung die Tiere
am Leben zu erhalten.
19) F o c k e - Düsseldorf : Was lehrt die medizinische Ka¬
suistik über die jahreszeitlichen Schwankungen in der Stärke
der offizinellen Digitalisblätter?
Verf. zieht aus einer Durchsicht der diesbezüglichen Kasuistik
folgende Schlüsse: Auffallend schwache Wirkungen der Digitalis¬
blätter sind zu jeder Zeit, besonders häufig aber im Frühjahr ent
sprechend dem zeitlichen Vorkommen minderwertiger Blätter be¬
obachtet worden. Aussergewöhnlich starke Wirkungen. Ver¬
giftungen nach Avenig über 1 g fol. Digit, im Infus, sind nur im
Spätsommer, d. h. bald nach dem Termin für die Erneuerung der
Blätter vorgekommen. Die Schwankungen in der Stärke der ge¬
trockneten Digitalisblätter sind überall und zu allen Zeiten in
regelmässigem Zusammenhang mit der Jahreszeit. Die Kasuistik
spricht dafür, dass die alten Blätter zu Anfang August von
den neuen Blättern um das 4 f a c h e an Kraft über¬
troffen werden.
20) J. Strasburger: Untersuchungen über die Bakte¬
rienmenge in menschlichen Fäzes. (Aus der medizin. Klinik
Schnitzes in Bonn.)
Um zu einwandfreieren Resultaten als nach den bisherigen
Methoden zu gelangen, verfuhr Verf. bei seinen Kotuntersuchungen
folgendermassen: Von dem genau abgegrenzten Gesamtkot wurde
das Volumen festgestellt, von 2 ccm desselben das Trocken¬
gewicht bestimmt, dann wurden ferner 2 ccm Kot mit 30 ccm
% proz. Salzsäure A:errieben und zentrifugiert, die über dem Se¬
diment stehende, fast nur Bakterien enthaltende Flüssigkeit ab¬
gesaugt, das Sediment wieder mit verdünnter Salzsäure verrieben
und dann wieder zentrifugiert, die Flüssigkeit tvieder abgesogen
und mit der ersten vereinigt. Diese Prozedur wird dann so oft
wiederholt, bis der Bodensatz nur noch ganz geringe Bakterien-
11. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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mengen abgibt. d. li. bis die Flüssigkeit nach dem Zentrifugieren
mir noch massig getrübt bleibt. Meist ist 4 maliges Zentrifugieren
erforderlich. Die bakterienlialtige Flüssigkeit wird' da in. reichlieh mit
96proz. Alkohol versetzt, eingeengt und dann zentrifugiert der Boden¬
satz, welcher aus den Bakterien besteht, mit absolutem Alkohol
ausgewaschen, dann mit Aether geschüttelt und einen Ta- stehen
gelassen, dann der Aether abzentrifugiert, das Sediment '"mit Al¬
kohol iu ein Schälchen gespült, getrocknet und gewogen. Die Prü-
1 ung des \ eifalnens ergab, dass auf diese Weise die Bakterien
fast vollständig von den übrigen Kotbestandteilen getrennt werden
können. Die so ausgeführten Untersuchungen ergaben dass ein
Drittel der Trockensubstanz des Kotes gesunder Erwachsener bei
mittlerer Kost aus Bakterienleibern besteht. Das Trockengewicht
der täglich ausgeschiedenen Bakterien beträgt bei Erwachsenen
normalerweise im Durchschnitt 8g — ungefähr 128 Billionen
Kolibakterien, bei dyspeptischen Darmstörungen 14 _ 20 g bei habi
tueller Obstipation durchschnittlich 5,5 g, unter Umständen nur
2,6 g. Bei habitueller Obstipation ist die Trockensubstanz des
Kotes vermindert, die Ausnutzung der Nahrung eine bessere als
beim normalen Menschen. Wahrscheinlich fehlt ein geeigneter
Nährboden für die Bakterien im Dickdarm, da auch Zufuhr von
Bact. coli per os keine Zunahme der Kotbakterien bewirkte. In¬
folge diesei ungenügenden Bakterienentwicklung werden nicht
genug die Peristaltik anregende Zersetzungsprodukte gebildet und
so das Auftreten von habitueller Obstipation sehr befördert. Bei
einem I all von Galleabschluss war die Bakterienmenge sehr ge¬
ling, 3,2 g pio lag; nach Hebung des Hindernisses wurde sie
wieder normal, ein Verhalten, das nicht gerade für die antiseptische
Wirkung der Galle spricht. Bei Säuglingen sind die Verhältnisse
annähernd dieselben. Bei Dyspepsie der Säuglinge kann die Bak¬
terienmenge bis auf das Doppelte, d. li. % der gesamten Kotsub¬
stanz steigen. Von dem N-Gehalt des Kotes trifft die Hälfte auf
die Bakterien; dies Verhältnis gilt auch für den Hungerkot. Mit
der Methode des Verf. ist man endlich auch im stände, die Wirk¬
samkeit der Darmantiseptica zu prüfen und die Frage der Darm¬
desinfektion der Entscheidung zu nähern.
21) G. Jochmann und O. S c h u m m: Zur Kenntnis des
Myeloms und der sogen. Kahler sehen Krankheit. (Multiple
Myelome, einhergehend mit Bence-Jones scher Aibumos-
urie. (Aus dem allgem. Krankenhause Hamburg-Eppendorf
mediz. Abteilung R u mpel s.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
Lindem a n n - München.
Centralblatt für innere Medizin. 1902. No. 41, 42, 43 u. 44.
No. 41. D. Hel man: Beiträge zur Kenntnis der Melanine.
(Auf Prof. Koberts Institut in Rostock.)
Verfasser teilt aus einer ausführlichen Arbeit über die
Melanine hier die wichtigsten Ergebnisse mit. Die Anwesenheit
von Melanin in melanotischen malignen Tumoren schliesst das
Glykogen meist, aber nicht immer aus. Die relative Menge des
Melanins in Geschwülsten beträgt bis zu 7,3 Proz. Die Tumoren
4 von 8, enthielten sowohl Eisen als Schwefel, 3 nur Schwefel und
1 nur Eisen. Echtes Melanogen ist nur da im Harn als sicher an¬
zunehmen, wo 1. sich auf vorsichtigen Eisenchloridzusatz hin ein.
schwarzer, die Phosphate einschliessender Niederschlag von Me¬
lanin bildet, wo 2. dieser Niederschlag sich in kohlensaurem Na¬
trium mit schwarzer Farbe (ohne Phosphate) löst, und wo 3. aus
dieser Lösung durch Mineralsäuren ein schwarzes oder braun¬
schwarzes Pulver gefällt werden kann. Das Auftreten von echtem
Melanogen im Harn des Menschen deutet meist — nicht ausnahms¬
los — auf Anwesenheit melanotischer Tumoren. Die Reaktion mit
Bromwasser, Chromsäure, die T li o r m ä li 1 e n sehe Reaktion
wird nicht von allen Melanogenharnen geliefert.
No. 42. I r i e d e b e r g - Magdeburg: Einige Bemerkungen
über zwei seltene Vergiftungen. I. Intoxikation durch Ex-
tractum hydrastis fluidum.
Ein 22 jähriges Mädchen erhielt wegen Gebärmutterblutung
(Abort) 2 Tage lang 3 mal tägl. 25 Tropfen von 15 g Extr. hydrast. ;
da kein Erfolg eintrat, nahm sie am 3. Abend den ganzen Rest
der Medizin, ca. 9,0 g, auf einmal. Sofort Brennen im Magen,
Uebelkeit, Schwindel, kurze Ohnmacht; in der Nacht Unruhe,
Kopfschmerzen, Gesichtshalluzinationen, Druck in der Herzgegend,
Atembeschwerden, gegen Morgens mehrmals Erbrechen. Status
am folgenden Tage: Palor faciei, leichte Cyanose der Lippen, j
Schwäche. Atmung oberflächlich, Puls 46, schwach, unregelmässig.
Pupillen erweitert, reagieren. Harn normal. Reflexe vorhanden.
Therapie: Analeptika, Wasserklysmen. Am 5. Tage Heilung.
II. Intoxikation durch Petroleum.
Ein 25 jähriger Mann trank aus Vergehen zwei Schluck Pe¬
troleum. Brennen im Schlund und Magen; am nächsten Tage
Kopfschmerz, Appetitmangel, Durchfälle, Mattigkeit; „alles roch
nnd schmeckte nach Petroleum“. Am nächstfolgenden Tage
Rachen- und Magendarmkatarrh. Weder Atem, noch Harn riechen
nach Petroleum. Am 3. Tage Heilung. Dagegen hielten die un¬
angenehmen Geruchs- und Geschmackstörungen 6 Tage an, um
dann plötzlich zu verschwinden.
No. 43. J. Mitulescu: Die Entwicklung der chronischen
Tuberkulose, vom Standpunkte des Zellstoffwechsels aus be¬
trachtet. (Aus der I. med. Klinik und dem Institut für Infektions¬
krankheiten in Berlin.)
Verfasser bespricht das Verhalten des Stoffwechsels bei der
chronischen Tuberkulose. Er unterscheidet 3 Perioden: 1. Evo-
lutions- resp. Entwickelungsperiode, 2. Stillstandsperiode, 3. Periode j
der organischen Degeneration. Die erste Periode wäre diejenige,
geben. Hier ist die sichere
der Fälle durch Auffinden
und durch folgerechte Be-
Kompensationszustand zu
in welcher der Organismus
den Bazillus im Verein mit
in welcher die lokale Lungeninfektion durch wenige sichere An¬
zeichen charakterisiert ist, wenn nämlich mehr Erscheinungen auf
eine gelinge Intoxikation, welche aus dem Herde der Lunge
stammt, hindeuten, und wo die anatomische Heilung leicht möglich
ist. Dies wäre die Periode, in welcher die sichere Diagnose nur
durch das Tuberkulin erreichbar ist. Die zweite Periode wäre
diejenige, in welcher sichere Lungenanzeiehen auftreten, welche
uns über eine lokale Läsion Aufschluss
ätiologische Diagnose in der Mehrzahl
des Bazillus im Sputum festzustellen
handlung wenigstens ein andauernder
erzielen. Die 3. Periode ist diejenige,
auf Grund der vorgeschrittenen, durch
anderen Bakterien bewirkten Läsionen, nicht mehr die Möglich¬
keit besitzt, den Zerfall zu begrenzen. Die Resorption ist stark,
die zelluläre Desassimilation vergrössert; es liegt die Unmöglichkeit
vor, durch geeignete Behandlung einen andauernden Kompen¬
sationszustand zu erzielen und der Organismus geht zu Grunde.
Seine Ausführungen belegt der Verfasser mit mehreren Stoff¬
wechselbeobachtungen an Menschen und Tieren.
No. 44. W. S a 1 a n t - New-York: Ueber den Einfluss des
Dickdarminhaltes auf Strychnin.
Verfasser studierte die Ausscheidung des Strychnin bei
Tieren, besonders bei solchen, die nephrektoiniert waren. Er nahm
an, dass l ei ausgeschalteter Nierenfunktion vielleicht die Ausschei¬
dung des Strychnin in den Magendarmkanal hinein erfolgen könnte.
Die entsprechenden Versuche ergaben zunächst ein negatives Er¬
gebnis. Bei der genaueren Prüfung zeigte sich dann, dass der Dick-
darminlialt das Strychnin so verändert, dass es mit unseren
jetzigen Methoden nicht mehr chemisch nachweisbar ist. Das dem
Inhalt des Magens oder des Dünndarmes beigemischte Strychnin
ist dagegen mit Leichtigkeit nachzuweisen. Dieses eigentümliche
Verhalten des Dickdarmes, resp. seines Inhaltes, will der Verfasser
in der Folge genauer ermitteln. W. Zinn- Berlin.
Archiv für klinische Chirurgie. 68. Bd., 3. Heft, Berlin,
Hirschwald, 1902.
30) v. B a r a c z - Lemberg: Ueber die Lumbalhernien und
seitlichen Bauchhernien (Laparocelen).
Die Einteilung der Lumbalhernien nach der Bruchpforte stösst
wegen der Inkonstanz der anatomischen Verhältnisse auf Schwierig¬
keiten; viel rationeller scheint die Einteilung nach den ätiologischen
Momenten, v. I>. unterscheidet von diesem Gesichtspunkt aus
4 Gruppen: 1. Kongenitale Lumbalhernien und zwar a) echte
Hernien, welche infolge von Defektbildungen der Rippen und der
Bauchmuskeln entstehen und b) Pseudohernien, Ektasien der
Bauchwand, die entweder auf Schwäche und Atrophie der Bauch¬
muskeln zurückzuführen sind oder durch abgegrenzte Lähmung
der Bauchmuskulatur entstehen, deren Aetiologie noch nicht auf¬
geklärt ist. 2. Nach Trauma entstandene Lendenhernien. Die¬
selben entstehen entweder durch direkte Gewalteinwirkung oder
durch Rupturen der Rückenmuskeln infolge grosser Anstrengungen.
3. Nach Senkungsabszessen entstandene Lumbalhernien. 4. Spon¬
tan entstandene Lendenhernien.
Die Bruchpforte der Lendenhernien scheint selten dem Petit-
schen Dreieck, sondern in der Regel dem von Lesshart be¬
schriebenen Raume unterhalb der 12. Rippe zu entsprechen (vergl.
tolgende Arbeit). Die einzelnen Formen der Lendenhernien illu¬
striert v. B. durch Beispiele aus der Literatur und 7 eigene Fälle.
31) v. Baracz und Burzynski - Lemberg: Ueber die
Lendengegend, mit besonderer Berücksichtigung der Durch¬
trittsstelle der Lendenhernien.
Lm die Frage über die Durchtrittsstelle der Lendenhernien zu
entscheiden, haben v. B. und B. an 38 Leichen die Lendengegenden
genau anatomisch untersucht. Die durch eine grosse Anzahl von
Abbildungen illustrierten Befunde führten zu folgenden Resul¬
taten: Das Trigonum Petiti existierte in 63 Proz. und fehlte in
37 Proz. der Fälle. Dagegen bestand in 93,5 Proz. der Fälle
eine zweite schwächere Stelle der lateralen Lendengegend, das
Spatium tendineum lumbale. Dies Feld, dessen Grösse und Form
stark variiert, wird begrenzt durch den unteren Rand des M. ser-
ratus post. inf. samt dem inneren Rande der XII. Rippe von oben,
dem AL erector trunci medial, und dem M. obliq. abdom. int. und
den hinteren Rand des Al. obliq. abdom. ext. lateral; sein Grund
wird durch den medialen, aponeurotischen Teil des AI. transversus
abdominis gebildet; es entspricht dem Triangle lumbo-costo-ab-
dominale Grynfeltts oder dem Lesshaft sehen Dreieck.
Das Spatium tendineum lumbale bildet die schwächste Stelle der
Lendengegend; den schwächsten Punkt derselben bildet die Durch¬
trittsstelle der A., V. und N. subcostalis. Diese Stelle dürfte am
meisten geeignet sein, den von den Körpern der Lendenwirbel
stammenden Senkungsabszessen sowie den oberen Lendenhernieu
die Oeffnung zu lassen. Das Trigonum Petiti dürfte wegen seiner
grösseren Resistenz dazu weniger geeignet sein. Eine zweite, weni¬
ger resistente Stelle der Lendengegend befindet sich medial vom
Trigonum Petiti in dem sehnigen Teil des Latissimus dorsi, gleich
oberhalb der Crista ilei, nämlich die dem Durchtritte des Ramus
lumbalis der A. und V. ileolumbalis dienende Lücke. Auch durch
diese können Senkungsabszesse sowie die unteren Lumbalhernien
ihren AVeg nehmen.
32) B r a a t z - Königsberg: Zur Theorie und Praxis der
chirurgischen Dampfdesinfektion.
33) Pels-Leusden: Ueber papilläre Tumoren des Nieren¬
beckens in chirurgischer und pathologisch-anatomischer Hin¬
sicht. (Chirurg. Universitätsklinik König in Berlin.)
No. 45.
1892
MUENCHENER MEDICHHSCIIE WOCHENSCHRIFT.
Vorträge auf deiu 31. Chirurgenkongress. Referate s. No. 17
dieser Wochenschrift.
34) v. H i p p e 1 - Kassel: Heber die Laparotomie im Kriege, j
v. H. unterzieht an der Hand der neuesten Literatur, vor
allem der des südafrikanischen Krieges, die Behandlung der
Bauchverletzungen durch Kleinkalibergeschosse bezüglich der
Indikation zur Laparotomie und deren Ausführbarkeit einer kri¬
tischen Besprechung. Eine Zusammenstellung der Veröffent¬
lichungen aus den Burenkriegen bestätigt die Behauptungen der
englischen Chirurgen weder hinsichtlich der guten Prognose der
Bauchschüsse noch hinsichtlich der Aussichtslosigkeit der Laparo¬
tomie. Die Mortalität der unoperierten Fälle betrug immerhin
ca. 55 Proz.; nur das eine steht fest, dass ein nicht sicher be¬
stimmbarer Prozentsatz von Bauchschüssen durch Kleinkaliber
einen bis dahin nicht beobachteten, ungewöhnlich günstigen Ver¬
lauf nimmt. Andererseits beweist die schlechte Operationsstatistik
des südafrikanischen Krieges nichts gegen die Berechtigung der
Laparotomie, da überhaupt nur ganz wenige und überdies zum
Teil aussichtslose Fälle der Laparotomie in den ersten 12 Stunden
unterworfen wurden.
v. H. hält die Laparotomie für indiziert: a) primär, d. li.
innerhalb der ersten 12 Stunden bei inneren Blutungen, bei Ver¬
letzung der Gallenblase und Gallengänge, bei Zerreissung der
Blase infolge gleichzeitiger Beckenzertrümmerung, bei antero-
posteriorer oder transversaler Schussrichtung im Bereich des Dünn¬
darms und Querkolons, auch ohne sichere Zeichen einer Darm¬
verletzung, bei jeder anderen Schussrichtung, wenn sichere Zeichen
einer Dünndarmverletzung bestehen, b) Sekundär, d. h. nach
Ablauf der ersten 12 Stunden bei bereits bestehender allgemeiner
Peritonitis, wenn der Kräftezustand es gestattet; bei spät einsetzen¬
der oder fortschreitender Peritonitis ursprünglich symptomloser
oder nur leichte peritoneale Reizerscheinungen zeigender Fälle.
c) Als Probelaparotomie bei schräg zwischen Flanke und Nabel
verlaufenden Schüssen, sowie bei fehlender Ausschussöffnung, so¬
weit die Zeit dazu reicht.
Zur Ausführung der Laparotomie macht v. H. folgende Vor¬
schläge: Da der Hauptverbandplatz sieh nicht zur Laparotomie
eignet, wegen der meist bestehenden Unmöglichkeit, in ge¬
schlossenem Raum zu operieren, und wegen der Notwendigkeit
eines Transportes nach der Operation, soll dieselbe in einem eigens
dazu bestimmten Feldlazarett ausgeführt werden, in das die Bauch¬
verletzten direkt zu transportieren sind. Dasselbe soll bis in
möglichste Nähe des Schlachtfeldes vorgeschoben und in ge¬
schlossenen Räumen etabliert werden, soll mit 1 — 2 Krankentrans¬
portwagen, einem Petroleumofen ausgerüstet und mit besonders
ausgewählten Aerzten und Sanitätsmannschaften ausgestattet
sein und soll möglichst bald durch ein Kriegslazarett übernommen
werden.
35) Berger: Die Verletzung’en der Milz und ihre chirur¬
gische Behandlung. (Chirurg. Privatklinik Iv e h r in Halberstadt.)
Fortsetzung folgt.
36) Haasler: Heber Darminvagination. (Chirurg. Klinik
in Halle.)
H. hat 10 Fälle von Invagination beobachtet, deren inter¬
essante Krankengeschichten ausführlich wiedergegeben sind. Es
handelte sich in allen Fällen um chronische Invaginationen, akute
Fälle kamen nicht zur Behandlung. Unter den 8 Invaginationen
bei Erwachsenen fand sich 3 mal ein Tumor, 2 mal eine Inversion
der Appendix als Ursache; 1 mal wurde Invagination bei Darm¬
tuberkulose beobachtet.
Während die Anwendung hoher Einläufe bei akuten Invagi¬
nationen wohl Erfolg verspricht, hat sie bei subakuten oder chro¬
nischen Fällen nur vorbereitenden Wert; das rationellste Verfahren
ist die Resektion der Invagination im gesunden Darm mit pri¬
märer Darmnaht. Sie entfernt den geschädigten Darm und damit
den Anlass für Folgeeikrankungen (Ulzeration, Stenose, Perfora¬
tion, Peritonitis), sie beseitigt den Darinteil, in dem das Grund¬
leiden, das die Invagination veranlasste, seinen Sitz hat und elimi¬
niert damit den Ausgangspunkt der Rezidive.
37) Kleinere Mitteilungen:
P o s ne r- Berlin: Notiz über vogelaugenähnliche Ein¬
schlüsse in Geschwulstzellen. H e i n e k e - Leipzig.
Centralblatt für Chirurgie. 1902. No. 42 u. 43.
No. 42. O. Rumpel: Ein Fall von Nephrolithiasis bei be¬
stehender Hufeisenniere.
Mitteilung eines von K ü m m e 1 1 erfolgreich operierten Falles
von (mit Steinbildung kombinierter) hydronephrotischer Ent¬
artung einer Hälfte einer Hufeisenniere bei 43jähr. Mann, der
M-lmn lange vorher an Schmerzanfällen gelitten, bei dem ein ver¬
schieblicher Tumor nachweisbar, aber cystoskopisclie Unter¬
suchung wegen impermeabler Striktur unmöglich war. Das
Röntgenogramm ergab deutlichen Steinschatten 1. neben der Wirbel¬
säule. Bei der lumbalen Operation zeigte sich nach Unterbindung
der Gelasse und des Ureters beim Vordringen zum unteren Pol,
dass dieser in ca. 8 cm Breite nach der r. Seite hinüberzieht resp.
in die r. Niere übergeht, so dass nach Abklemmen der Brücke der
Nierenstumpf durch fortlaufende tiefgreifende Katgutnaht ver¬
sorgt wird. Der exstirpierte, ziemlich dickwandige, mit schmutzig¬
brauner Flüssigkeit gefüllte Sack enthielt 10 Steine von der
Grösse, Farbe und Form der türkischen Bohnen und zusammen
13,5 g Gewicht. R. misst der Lage des röntgenographischen Stein-
schattens (dicht an der Wirbelsäule in der Höhe des 2. und
3. Lendenwirbels) für solche Fälle Bedeutung bei, während ge¬
wöhnlich bei Nierensteinen der Schatten in einigen Zentimetern
Entfernung von der Wirbelsäule und unterhalb der 12. Rippe ge¬
legen ist.
No. 43. V u 1 1 i e t - Lausanne: Hartes traumatisches Oedem
des Hand- und Eussrückens.
V. schildert diese von Secretan 1901 beschriebene, gewöhn¬
lich nach lokalisiertem Schlag oder rascher Dorsalflexion etc. auf¬
tretende traumatische Affektion, die wahrscheinlich in einem
librüsen, diffusen Exsudat zwischen der sehr dehnbaren Haut und
dem harten Untergrund besteht und bei der kein Zeichen von Ent¬
zündung, keine Dellenbildung durch Fingerdruck, höchstens zu¬
weilen Krepitation zu konstatieren ist. Der Verlauf dieser speziell
für die Unfallpraxis nicht unwichtigen Affektion ist ein ungemein
langsamer, die Geschwulst besteht meist hartnäckig lange Zeit
und verschwindet erst allmählich nach 8 — 12 W ochen und länger.
V. schildert die Differentialdiagnose von entzündlichen Oedemen,
Metakarpalfrakturen etc. Die Behandlung besteht in warmen
Bädern. Massage schien V. eher schädlich zu sein, auch Druck¬
verbände mit Watte beschleunigten die Rückbildung nicht. Sehr.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 22. Bd. 1. u.
2. Heft. 1902.
Alfred Schiften hei in: Ueber einen Fall von Stichver¬
letzung des Rückenmarks (Brown-Sequard scher Läh¬
mung)" mit besonderer Berücksichtigung des Lokaiisationsver-
mögens. (Aus der med. Klinik in Breslau.)
Durch einen Stich zwischen 5. und 6. Halswirbel wurde die
rechte Hälfte des Rückenmarks zwischen der 7. und 8. Zer¬
vikalwurzel durchtrennt. Die Ausfallserscheinungen entsprachen
dem B rown-S e q u a r d sehen Typus, d. h. es bestand Ueber-
empti ndlichkeit für Schmerz und Temperatur, ferner Aufhebung
des Lagegefühls und Ataxie auf der gleichen Seite, Thenn¬
anästhesie und Analgesie auf der gekreuzten Seite. Hier war
auch eine Unteremptindlichkeit für Berührungseindrücke. Der
Autor studierte in diesem Fall besonders das Lokalisationsver¬
mögen und kommt zu dem Schlüsse, dass es dort am stärksten
beeinträchtigt ist, wo bei intakter Tiefensensibilität sich Motilitäts¬
störung mit Störung der Oberfiächensensibilität kombinierte. Auch
aus der Literatur ist zu ersehen, dass da. wo Störung der Bewegung
und der Sensibilität sich vereinen, auch immer das Lokalisations¬
vermögen ein sehr schlechtes ist.
W. F ü r n r o li r: Ein Fall von Brown-Sequard scher
Halbseitenlähmung nach Stichverletzung des Rückenmarks.
(Aus der med. Klinik in Erlangen.)
Der Verfasser berichtet über eine typische Brown- Se-
q u a r d sehe Halbseitenlähmung, die bei einem kräftigen und bis
dahin gesunden Mann nach einem Messerstich in den Rücken, in
der Höhe des 2. Brustwirbels, auftrat. Er bespricht die dabei be¬
obachtete motorische Lähmung des rechten Beines, sowie die dem
Bro w n - S e q u a r d sehen Typus eigentümlichen Sensibilitäts¬
störungen (Drucksinn und Lagegefühl schlecht auf der Seite dei
Lähmung, Schmerz- und Temperaturempfindung schlecht auf der
entgegengesetzten Körperhälfte). Erörtert wird ferner das Ver¬
halten der Reflexe (Patellar- Achillesreflexe rechts stark gesteigert,
Kremaster- und Bauchdeckenreflexe fehlen. Der Babiuski-
sclie Reflex und das S t r ü m p e 1 1 sehe Tibi'alisphänomen waren
rechts deutlich auszulösen.
J. Krön: Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Hem¬
mung der Reflexe nach halbseitiger Durchschneiaung des
Rückenmarks. (Aus der Mendel sehen Klinik in Berlin.)
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
M. Bielscliowsky: Zur Histologie und Pathologie der
Gehirngeschwülste. (Aus der M e n d e 1 sehen Klinik in Berlin.)
Kasuistische Mitteilungen mit genauen Krankengeschichten
und eingehenden mikroskopischen Untersuchungen.
W. Erb -Heidelberg: Bemerkungen zur pathologischen
Anatomie der Syphilis des zentralen Nervensystems.
Erb weist darauf hin, wie unbillig es ist, gummöse Neu¬
bildungen und syphilitische Gefässerkrankung, die in ihrer histo¬
logischen Struktur ja kein sicheres Zeichen der ursächlichen Er¬
krankung haben, auf die Syphilis zurückzuführen, wenn man sich
scheut, die Degenerationen im Gehirn und Rückenmark, die sich
so häufig, wenn auch erst spät an diese Krankheit anschliessen.
mit ihr in ursächlichen Zusammenhang bringen zu wollen. Es
werden doch solche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
gar nicht selten gleichzeitig mit den sogen, „spezifischen“ Verände¬
rungen bei einem und demselben Patienten beobachtet. E r b ist
deshalb auch dagegen, dass man die Rückenmarks- und Gehirn¬
erkrankungen, die sich an die Syphilis anschliessen (Dementia
paralytiea, syphilitische Spinalparalyse, Tabes), als post- oder
metasyphilitische bezeichnet, da sie sich eben häufig mit an¬
erkannt syphilitischen Veränderungen, allerdings meist tertiärer
Natur, paaren.
O. Vulpius - Heidelberg: Zur Sehnenüberpflanzung bei
spinaler Kinderlähmung.
Durch mehrfache Operation konnte der Autor die infolge
spinaler Kinderlähmung atrophische Muskulatur des Quadriceps
femoris völlig ersetzen, indem er die Sehne des Musculus biceps.
semitendinosus und semimembranosus nach vorn verlagerte und
am mittleren und äusseren Rand der Kniescheibe anniihte. Die
beiden Kinder, die vorher nur auf allen vier Extremitäten sich
weiterbewegten, können jetzt in aufrechter Haltung recht gut
gehen.
H. Kühn- Hoya a. W. : Klinische Beiträge zur Kenntnis
der hereditären und familiären spastischen Spinalparalyse.
11. November 1902.
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1893
Talire immer mehr
Untersuchung steht
seltene Form der
wie in den von
u u d familiär auf-
kürzlich verstorbenen Kranken
dass es sieh, wie der Autor an-
Pyramidenseitenstrangdegenera-
Drei Söhne eines Vaters, der auch schon an einer eigenartigen
.ehstoiung litt, erkrankten im Jünglingsalter mit spastischen Er
sclieiuungen an den Beinen, die im Laufe der ' '
und mehr zunehmen. Nach dem Ergebnis der
es ausser Zweifel,, dass es sich um die so
spastischen Spinalparalyse handelt, die hier
Strümpell beschriebenen Fällen, hereditär
tritt Sensibilitätsstörungen sind auch hier nicht nachzuweisen
Veitasser teilt noch einen vierten, in seiner Familie vereinzelt
dastehenden Fall mit. Referent, der Gelegenheit hatte Rücken-
markspraparate von diesem erst . - ’ uucken
zu untersuchen, kann bestätigen,
nimmt, um eine reine primäre
tion handelt.
, ,n- Lund borg- Upsula: Ueber die Beziehungen der Mvo-
clonia familiaris zur Myotonia congenita.
. .,Ia eilA®m . schwedischen Geschlecht sind mehr Fälle von
familiärer Myoklonie aufgetreten, als bisher im Ausland zusammen
beschrieben worden sind. Lundborg, der Gelegenheit h^te
diese Kranken zu untersuchen, weist darauf hin, wie viel Aehn-
lchkeit dieser Symptomenkomplex mit der Myotonia congenita
Uhomsen) hat. Es handelt sich auch hier um einen Kilmpf-
zustand der gestreiften Körpermuskulatur, der meist erst in der
spateren Kindheit zu Tage tritt, dessen wesentlichster Unterschied
von der T h o m s e n sehen Krankheit im Auftreten von klonischen
Muskelzuckungen besteht. L. ist geneigt, beide Krankheiten auf
Autointoxikation zuruckzufüliren.
, B. ickel: Der B a b i n s k i sehe Zellenreflex unter
p ysiologischen und pathologischen Bedingungen. (Aus der
med. Klinik in Göttingen.)
Bei der Untersuchung des Fussohlenstrichreflexes bei nerven¬
gesunden schlafenden Personen findet sich auffallend häufig
Dorsalflexion der grossen Zehe. Erweckt man die betreffende^
ei sonen, so zeigt der Babinskische Reflex während des Er¬
wachens ein unregelmässiges Verhalten, um dann bei völligem
\\achsem wieder deutlich negativ zu werden. Aelinlich sind die
Verha müsse auch bei der beginnenden und sich lösenden Narkose.
„Aus all dem geht hervor, dass in vielen Fällen eine funktio-
nelie Untätigkeit der Rinde, bezw. der kortikofugalen Balm ge¬
nügt, um den vorher negativ ausfallenden Reflex positiv werden
zu lassen.“
M. Rosenfeld: Zur Läsion des Conus medullaris und der
Cauda equina. (Aus der Poliklinik für Nervenkrankheiten in
Strassburg.)
t i <druncI einer klinischen Beobachtung bestätigt Rosen-
teld die von dem Referenten auf gestellte Behauptung, dass die
nervösen Zentren der Blase, des Mastdarms und des Genital¬
apparates nicht im Rückenmark gelegen sein könnten. Ein
Kranker mit typischer Konusläsion bot folgende Störung von
»eiten der oben erwähnten Organe: Die Blase entleert sich von
Zeit zu Zeit, spontan, aber ohne dass der Patient eine Empfindung
davon hat, es besteht kein Urinträufeln. Der Stuhl fällt, wenn er
fest ist, beim Husten oder Niessen heraus, der dünne Stuhl fliesst
einfach ab. Kein Analreflex. Erektionen kommen noch ganz gut
auf psychischem Wege, aber nicht mehr auf mechanischem Wege
zu Stande. Die Störungen sind ganz dieselben, wie bei Hunden
denen dei unterste L eil des Rückenmarks herausgenommen worden,
und sprechen mit Sicherheit dafür, dass die nervösen Zentren für
die in Rede stehenden Funktionen im sympathischen Nervensystem
zu suchen sind.
Besprechungen. L. R. M ü 1 1 e r - Erlangen.
Archiv für Hygiene. 45. Bd. 2. Heft. 1 902.
1) K 1 e i n - Amsterdam : Die physiologische Bakteriologie
des Darmkanals.
Aus den Untersuchungen am Kaninchen geht hervor, dass im
ganzen Darmkanal vom Duodenum bis zum Rektum nir¬
gends eine Verme h r u n g der Bakterien, dagegen aber vom
Anfang bis zum Ende eine fortlaufende Vernichtung der
lebenden niederen Organismen vor sich geht: „Die Bakterien des
Darmkanals des Kaninchens lassen sich mit einem Heer ver¬
gleichen, das durch ein feindliches Land zieht und fortwährend
dezimiert wird.“ Im Coekum, Processus vermiformis und Colon
ascendens tritt da.s meiste Absterben ein. In allen Teilen des
Darmes finden sich anaerobe und aerobe Bakterien. Neben
Ivoli und koliähidiehen, die am meisten vertreten sind, auch viele
v e rflüssigende Arten. Letztere sind gegen die Körper-
sdfte am wenigsten widerstandsfähig, sterben am leichtesten ab
und sind daher auch viel weniger zu finden als Ivoli.
Die Frage nach der Bedeutung der Bakterien bei der Ver-
d a u u n g muss nach Klein verneint werden.
2) K. B. Le h m a n n - Würz bürg: Hygienische Untersuch¬
ungen über Mehl und Brot. XI. Ueber die Bedeutung der Schä¬
lung und Zermahlung des Getreides für die Ausnützung (Avedyk-
und Steinmetz verfahren). Nebst einigen Versuchen über die
Bedeutung des Weizenmehlzusatzes zum Roggenbrot.
Das Brot, welches nach dem A vedy k v e r f a h r e n. d. h.
aus unvermalilenem Roggen gebacken wird, stellt nach
den zahlreichen Ausnützungsversuchen » des Verfassers ebenso¬
wenig wie das Gelinckbrot einen Fortschritt dar. Die Aus¬
nützung der Gesamttrockensubstanz ist eine sehr schlechte.
Der Kot beträgt ca. 19 Proz. des eingeführten Brodes. Die Aus¬
nützung des Stickstoffs mit ca. 45 Proz. ist befriedigend. Da das
Korn ungemahlen aufbewahrt werden kann, so könnte möglicher¬
weise das Verfahren für Kriegszwecke in Betracht kommen.
rimr, m * e \ n m e t z v e r f a h r e n, bei welchem das Korn nach
dem Schalen im ganzen gemahlen wird, also sehr viel Kleie ent-
halt und demnach bedeutend eiweissreicher ist, könnte vom
nationalokonomiscken Standpunkte empfohlen werden wenn es
niclirih r" F iTwl!6 b.riicM,e- . Pa das aber nach den Berechnungen
nicht der Fall zu sein scheint, so kann man das Verfahren nicht
hoher bewerten, als die bekannten Brotherstellungsmethoden Das
Steinmetzmehl resp. Brot mit nicht unter 15 Proz. Kleieabsonde
3 !?£?£? üblichen Roggenmehl gleichwertig. Es ist aber selbst
auch nm bei 6 Pioz. Kleieentternung, aber ordentlicher Bemahlung
dein gewöhnlichen Schrotbro d, dem Gelinck- und A v <-
c ykbrot vorzuziehen. Gegenüber der reinen Brotkost besteht
bei g e m l s c h t e r Iv o s t in der Wirkung kein besonderer Unter¬
schied, ob dem Mehl 18 oder 25 oder 38 Proz. Kleie entzogen sind
Ausnutzungsversuche mit Roggenbrot, dem vor dem
Backen W e l zenmehl zugemischt war, ergeben eine günsti¬
gere Ausnützung als mit dem Roggenbrot allein.
, . 8‘ Peft- 1) Engels- Marburg: Bakteriologische Prüfung
desinfizierter Hände mit Hilfe des P a u 1 - S a r w e y sehen
Kastens nach Desinfektion durch Heisswasseralkohol Seifen¬
spiritus und Kombination von Alkohol und Formaldehyd.
Die Versuche, mittels Heisswasseralkohol, Seifen-
s p i i i t u s , . Alkohol -j- Formalin und Lysoform-
alkohol die Hände zu desinfizieren, ergaben, dass 1 _ 3 proz.
F o r m alinalkohole am intensivsten auf Bakterien wirken
Jedoch sind die Formalinalkohole wegen des Entstehens von Haut¬
erythemen nicht zu verwenden. Demnächst weist der I, yso-
formalkohol die besten Desinfektionserfolge auf. In 2 proz.
Lösung ist er am geeignetsten zu verwenden und übertrifft darin
den Heisswasseralkohol, wie auch den Seifenspiri-
t u s. Mit 2 proz. Lysofor m alkohol erzielte Verfasser
70,7 Proz. Sterilität der Platten, mit Heisswasseralkohol
nur 29,1 Proz. Sterilität und mit Seifenspiritus gar nur
3,5 Proz.
2) E n g e 1 s - Marburg: Bakteriologische Prüfungen des¬
infizierter Hände mit Benutzung des Paul-Sarwey sehen
Kastens nach Desinfektion mit Bacillol.
Es wurde sowohl Bacillol Avasser als auch Bacillol-
a 1 k o h o 1 zu den Versuchen verwandt. Der Bacillol alkohol
ist dem Bacillol wasser bei Aveitem überlegen, in 1 proz.
Lösung Avies er 73,8 Proz., in 2 proz. Lösung 64,6 Proz., in 3 proz
Losung 69,2 Proz. sterile Platten auf, während das Bacillol-
wasser in 1 proz. Lösung 0 Proz., in 2 proz. Lösung 10,8 Proz.,
in 3 proz. Lösung 7,7 Proz. sterile Platten zeigte. Der Bacillol-
alkohol übertrifft demnach noch um ein geringes den Lyso-
formalkohol. r. o. N e u m a n n - Kiel.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1902.
41. Bd. 2. Heft.
1) Sch u m b u x* g - Hannover: Ueber die Desinfektionskraft
der heissen Luft.
Trockene, heisse Luft ist für die Desinfektion von
Kleidungsstücken durchaus unsicher, jedoch gewinnt die heisse Luft
sofoifi an Desinfektionskraft, wenn sie 55 — 65 Pi’oz. relative
Feuchtigkeit enthält. Dieser Feuchtigkeitsgrad wird leicht
errmcht, wenn man in den Raum mit lieisser Luft von 100° ein
Gefäss mit Wasser einsetzt. Sporen werden allerdings nicht ab¬
getötet, Avohl aber Cholera, Typhus, Tuberkulose u. s. w.
Wichtig ist, dass selbst bei 6 — 8 ständigem Verweilen in lieisser,
feuchter Luft Leder und empfindliche Stoffe nicht leiden.
2) Sch u m b u r g - Hannover: Wurstvergiftung.
Es erkrankten im vorigen Jahre 34 Personen an Dar m -
erscheinungen, Durchfällen, Erbrechen, ohne dass
jemand starb. Alle Personen hatten „R i n d e r av u r s t“ gegessen,
Avelclie nur wenige Minuten einer Temperatur von 50° ausgesetzt
AArai\ Bei der Untersuchung fanden sich Bazillen aus der Gruppe
des Mesentericus und des Proteu s. Eine kleine Menge
Wurst an Ratten und Mäuse verimpft, tötete dieselben nach
24 Stunden. Aus den Leichen liess sich Proteus züchten. Rein¬
kulturen des Proteus tötetexx ebenfalls Mäuse und Ratten,
desgleichen starben sie auch, wenn ihnen sterilisiertes Fleisch,
Avelches mit Proteus infiziert war, injiziert wurde. Selbst
Proteusbouillonfiltrate töteten subkutan in Dosen von
01 — 0,5 ccm die Vei’suchstiere. Es ist also kein ZAveifel, dass die
Erkrankungen durch Proteusgift hervoi’gebracht waren.
3) A. Lotz: Der Typhus abdominalis in Kleinbasel von
1875—1900.
Den Betrachtungen lässt sich entnehmen, dass nach der
Ausschaltung des Riehenpumpwerkes im Jahre
1.890 die Kleinbaseler Typhusepidemien in ihrer spezifischen Form
gänzlich ausfallen und nun zwischen der Typhusmorbidität
Kleinbasels und Grossbasels kein Unterschied mehr
besteht.
4) Sch ii d e r und Proskauer - Berlin : Ueber die Ab¬
tötung pathogener Bakterien im Wasser mittels Ozon nach dem
System Siemens und H a 1 s k e.
Zur Benutzung diente die von der Firma Siemens und
Halske konstruiei*te Versuchsanlage in Martinikenf elde
bei Berlin, in der bei'eits von anderer Seite Untersuchungen an¬
gestellt waren, welche die Brauchbarkeit des Ozonverfahrens für
Wasserreinigung erwiesen haben sollteii. Die Verfasser kamen
jedoch zu ungünstigen Resultaten. Erst als sie eine Aenderung
einti’eten Hessen, indem sie die grobe Füllung im Sterili¬
sationsturme durch ein kleinkörniges Material
ersetzten, wui-den die Ergebnisse günstigei’. Es ge-
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
1894
lang, Cholera, Typhus, Ruhr und Kolibakterien sicher abzutöten
und zwar bei einer Ozonkonzentration von 3,4 bis 4 g
Ozon für 1 cbm Luft, Durchgang von 25 cbm der Luft in der
Stunde bei einer Durchlaufsgeschwindigkeit von 8 y2 bis 9 Minuten
pro Kubikmeter Wasser und bei einer Abnahme der Oxydierbarkeit
des Wassers durch die Ozonisierung von 0,05 bis 0.92, in einem
Falle auch sogar von 2,24 mg Sauerstoff verbrauch pro Liter.
5) Engel h a rdt - Halle: Histologische Veränderungen
nach Einspritzung abgetöteter Tuberkelbazillen.
6) R e i c h e n b a c h - Göttingen: Ueber den Einfluss der
Farbe künstlicher Lichtquellen auf die Sehschärfe.
Als Resultat der Untersuchungen ergibt sich, dass N entst¬
und Auerla m p e einer Glühlampe von gleicher optischer Hellig¬
keit so weit an Sehschärfenhelligkeit nachstehen, wie einer Ver¬
minderung der optischen Helligkeit um 12 bis 14 Proz. entspricht.
Da die wirtschaftliche Ueberlegenheit der ersteren beiden Lampen
aber ganz bedeutend ist, so kommt dagegen die etwas geringere
Sehschärfenhelligkeit kaum in Betracht, denn die Nernstlampe
nutzt die elektrische Energie fast doppelt so gut aus, wie die Glüh¬
lampe und der A u e r 1) r enne r das Gas 0 mal so gut wie der
A r g a n d b r e n n e r.
7) Berger- Hannover: Di© Einleitung von Kaliindustrie¬
abwässern in die Flüsse, besonders mit Berücksichtigung der
Wasserversorgung grosser Städte.
Die Betrachtungen und Untersuchungen über die Möglichkeit
der Einleitung von Abwässern der Kali f a b r i k e n in die
Flüsse führen Berger, welcher im Speziellen die Abwässer der
Kaliindustrie in der Nähe von Hannover, die in die Leine geführt
werden sollen, ins Auge gefasst hat, zu dem Resultat, dass man die
Einleitung versagen müsse, sobald eine erhebliche V e r -
m e li r u ng de r II arte (über 30 °) u n d der Salze der be¬
treffenden Flüsse zu befürchten sei. Besonders bei wasser¬
armen Flüssen und oberhalb grösserer Städte wird die Ab¬
leitung nicht zu gestatten sein.
8) B u r d ach- Deutsch Eylau: Der Nachweis von Typhus¬
bazillen am Menschen.
Verfasser bespricht die bei dem Nachweis der Typhusbazillen
aus der Leiche, aus dem Eiter, aus dem Stuhl, aus dem Blut, den
Roseolen, der AI ilz und dem Urin angewandten Methoden und teilt
mit, dass er in 25 klinischen Typhusfällen 18 mal den Typhus¬
bazillus habe züchten können.
9) Shiga: Weitere Studien über den Dysenteriebazillus.
Das Resultat der Untersuchungen, die im Frankfurter Serum¬
institut vom Verfasser angestellt wurden, zeigte, dass der
Dysenterieoriginalstam m, den Shiga in Japan iso¬
liert hatte, sowohl bei bakteriziden Reagensver¬
suche n. wie auch bei Agglutinationsversuchen
völlig identisch mit dem K ruse sehen befunden wurde.
Das vom Verfasser hergestellte Dysenterieimmunserum vom
Tferd ist sehr ho c li wertig und das erste Serum, dessen
Komplettierbarkeit durch menschliches Serum nachgewiesen
worden ist. R. O. Neu m a n n - Kiel.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. 32. Bd. 1902. No. 8 u. 9. Doppelheft.
1) v. E s m a r c li - Göttingen: Ueber kleinste Bakterien und
das Durchwachsen von Filtern.
Aehnlich wie bei den pathogenen Keimen es einige gibt,
welche unsere bekannten Filter passieren können, so muss man
von vornherein annehmen, dass ebensolche kleine Bakterien auch
unter den Saprophyte n zu finden sind. Darauf hinzielende
Versuche, die Verf. wohl mit 50 verschiedenen fauligen und son¬
stigen Bakteriengemischen anstellte, waren erfolglos. Nur in
einem Falle trübte sich das Filtrat eines Fäulnisgemisches nach
10 Tagen und erwies sich diese Trübung als eine Reinkultur
kleinster choleraähnlicher Vibrionen, die in man¬
chen Nährböden zu Spirillen auswuchsen. Sie sind von der
Grösse der Influenzabakterien, verflüssigen die Gelatine nicht und
sind nicht patlioge n. Sie wachsen recht gut in Pepton-
wasser und verdünnter Bouillon. Der Mikroorganismus erhielt,
den Namen Spirillu m p a r v u in.
2) K o n i n s k i - Krakau: Ein Beitrag zur Biologie der An¬
aeroben.
Bei der Züchtung von m alignem O e d e m und It ausch-
b r a n d machte Verf. einige Beobachtungen, von denen von Inter¬
esse ist, dass sich die Organismen von der Einstichstelle am Rande
des in ein Becherglas in hoher Schicht ausgegossenen Agar binnen
2 — 3 Tagen durch die ganze Masse verteilen können. Inter¬
essant ist ferner die Symbiose von Anaeroben mit Aeroben in
sauerstoffhaltigen Kulturen. Wenn man z. B. malignes Oedem
auf Agarstrich impft und lässt die Kultur stehen, so bleibt sie
anscheinend steril. Impft man darüber M i c r o c. caudic a n s,
so sieht man nach 2 Tagen im Innern des Agar die anaeroben
Kolonien entstehen.
3) Kindborg -Halle: Ein die Gelatine verflüssigender
Pneumokokkus.
Wurde aus pneumonischem Sputum gezüchtet und wies alle
Eigenschaften des echten Pneumokokkus auf.
4) Cipolli na -Genua: Ueber das Vorhandensein der sog.
säureliebenden Bakterien im Stuhl des erwachsenen Menschen.
Es wurden von 20 Kranken die Stühle untersucht und
stets Keime gefunden, welche in 1 proz. essigsaurer
B o u i 1 1 o n sehr gut gediehen. 4 verschiedene Hessen sich iso¬
lieren und zwar Bacillus lactis acidi, Diplococcus
acido philus, Bacillus acidophilus filiformis, der
gewöhnliche Bacillus acidophilus.
5) Sion und N e g e 1 - Jassy: Ueber eine von einem atypi¬
schen Kolibazillus veranlasst© typhusähnliche Hausepidemle
hydrischen Ursprungs. (Fortsetzung.)
0) Rüge- Kiel: Syphilis und Malaria.
Die Betrachtungen über Syphilis und Malaria führen Rüge
zu der Vermutung, dass auch bei Syphilis der Erreger ein
Protozoon sein dürfte, denn beide Krankheiten hätten eine
Reihe von Vergleichspunkten. So sei bei beiden Krankheiten
eine ausgesprochene deutlich begrenzte Inkubationszeit
vorhanden, beide Krankheiten seien nur in einem gewissen Sta¬
dium übertragbar und zwar im F rühstadi u m; sie hinterliessen
eine lange I m m unit ä t, bei beiden sei eine ausgesprochene
Neigung zu Rückfällen vorhanden und endlich sei der Sitz der
Erreger in beiden namentlich das Gehirn, wenn auch bei Syphilis
erst in späterer Zeit. Trotz des grossen Einwandes, dass doch
die Uebertragung bei Malaria und Syphilis eine ganz andere sei,
könne doch die Hypothese aufrecht erhalten werden, da auch
andere Protozoen, z. B. C o c c i d i u m oviform e, direkt über¬
tragbar seien.
7) Galli-Valerio und Rochaz - Lausanne: Neue Be¬
obachtungen über die Larven von Anopheles und Culex im
Winter.
Die überwinternden Larven bevorzugen mehr noch als im
Sommer die Tümpel und Pfützen, in denen sich Carex und
Schilf pflanzen angesiedelt haben. Besonders wichtig er¬
scheint, dass die Eier der Culiciden auch überwintern zu können
scheinen, wenn der Boden inzwischen trocken geworden ist. Ver¬
schiedene Versuche Hessen auf eine sehr grosse Widerstandsfähig¬
keit der Eier schliessen.
8) Schüller: Ueber eigenartige Parasitenbefunde bei
Syphilis. Ihre Bedeutung für die Entstehung, Diagnose und
Ausbreitung dieser Infektionskrankheit bei Erwachsenen und
Kindern, sowie für die Beziehungen der Syphilis zu anderen
Krankheitsprozessen.
Seiner ausführlichen Arbeit, die kurz nicht wiedergegeben
werden kann, ist zu entnehmen, dass die Erreger der Syphilis
wahrscheinlich eine besondere Abteilung oder Spezies der bisher
noch unbekannt gebliebenen grossen Gruppe niederer tierischer
Lebewesen bilden, von welchen eine andere grosse Abteilung die
von ihm bei Karzinom gefundenen Organismen darstellen sollen.
Dass man Tiere nicht mit Syphilis infizieren kann, könnte viel¬
leicht darin seinen Grund haben, dass die Parasiten nicht in
lebendem Zustand übertragen worden sind, da sie sofort die
Lebens-, Infektions- und Vermehrungsfähigkeit verlieren sollen,
auch wenn sie nur momentan unter die Körpertemperatur ab¬
gekühlt werden.
Auf 0 Tafeln sind die fraglichen Parasiten in extenso ab¬
gebildet.
9) L. Co li n - Greifswald : Zur Kenntnis der Myxosporidien.
10) M a c C a 1 1 u m - Baltimore: Heronimus chelydrae, nov.
gen. nov. sp. A new monostome parasite of the American
snapping turtle.
Zoologische Studie.
11) M i u r a und N i s li i u c li i - Tokio: Ueber befruchtete und
unbefruchtete Askarideneier im menschlichen Kote.
In den Fällen, wo im Kote nur die unbefruchteten
Eier zu finden sind, kann man nur Weibchen austreiben. Im
Uterus solcher Weibchen finden sich keine Samenkörperchen und
der Kern der Eier ist im Ruhezustände, während man beim Weib¬
chen, welches mit dem Männchen zusammen war, befruchtete
Eier mit Samen- und Eikern findet.
12) B o n h o f f - Marburg: Ueber Hautdesinfektion.
Im Marburger hygienischen Institut wurden von Wynen
und Engels mittels des Paul-Sa rwey sehen Kastens Des¬
infektionsversuche der Hände mittels einer Reihe Mittel geprüft
und deren Wirkung in Vergleich gesetzt mit dem Mikulicz-
sehen Seifenspiritus und dem Heisswasseralko¬
hol. Es wurden geprüft: 1 — 3 proz. Formaldehyd alko-
h o 1, 1 — 5 proz. L y s o f o r m a 1 k o li o 1, 1 — 3 proz. Bacillol-
w a s s e r, 1 — 3 proz. Bacillolalkoho 1, 1 — 3 prom. S ubla-
m i n w a s s e r und 1 — 3 prom. Sublaminalk o h o 1. Aus der
Tabelle geht hervor, dass die alkoholischen Lösungen
dem Heisswasseralkohol und den wässerigen Lösungen
derselben Mittel bedeutend überlegen sind. Besonders dürfte der
2 prom. S u b 1 a m i n a lkohol als ganz besonders günstiges
Desinfektionsmittel angesehen werden.
13) K e r e z - Zürich: Ueber das bakterizide Vermögen des
Fluor Silbers (Tachiol Paternö) im Vergleich zum Silbernitrat,
zur Karbolsäure und zum Sublimat.
Das Fluor Silber (Tachiol) hat ziemlich das gleiche
bakterizide und sporizide Vermögen wie das Silbernitrat. Beide
Silbersalze werden jedoch vom Sublimat weit übertroffen. Die
Karbolsäure weist nur in 5 proz. Lösung höheres bakterizides Ver¬
mögen auf als 1 proz. Lösungen der beiden Silbersalze. Als Des-
infiziens für tuberkulöses Sputum scheint sich das Tachiol
wenig zu eignen.
14) B e c k - Frankfurt a/M.: Einwirkung von Mikroorganis¬
men auf einige chemische Normallösungen.
Durch Einwirkung gewisser Bakterien kann eine Entfärbung
der zur Lunge Zeckendorff - Kohlensäurebestimmungs-
metliode gebrauchten Lösung gesetzt werden. Bei luftdichtem
Verschluss ist sie haltbar.
1895
11. November 1902.
MITENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
Wässerige Oxalsäure lösimgen
mycelien Veränderungen, selbst im
Lösungen sind haltbar.
erleiden durch Pilz-
Dunkeln. Sterilisierte
Das zuweilen in ^ - Natriumthiosulfatlösungen
® J- _f 1 " e s c e i‘ s 1 i q. hat keinen Einfluss
bilitat des Titres.
sich
auf
findende
die Sta-
Schimmelpilze vei mögen unter Umständen in ^Salz-
säure zu wachsen. 10
io) Plaut- Hamburg: Züchtung* der Trichophytiepilze in
Erwiderung des Verf. gegen Hollborn, welcher seine
Zuchtungserfolge unter Feuchtigkeitszufuhr erlangt
haben wm, wahrend gerade Plaut bei seinen Kulturen Wasser
ängstlich vermeidet.
l(i) Czapiewski: Ein Beitrag zur Züchtung des In¬
fluenzabazillus. 5
^ erf. benützt Agar mit T a u b e n b 1 u t.
v. Ni essen- Wiesbaden: Zu Thellungs „Experi-
menteller Beitrag zur Frage der Agglutination der Tuberkel¬
bazillen1 . 11. O. N e u m a n n - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902 No. 44.
1) J . Orth- Berlin: Nekrolog auf R. V i r c h o w.
2) .T. M i t u 1 e s k u - Bukarest: Beiträge zum Studium des
Stoffwechsels in der chronischen Tuberkulose. (Fortsetzung folgt.)
3) E. v. Kocz-iczko w s k y - Berlin: lieber den klinischen
Weit dei Ehrlich sehen Diinetliylamidobenzaldehydreaktion.
Die Reaktion bestellt darin, dass sich das JDini. in salzsanrer
Lösung mit einem noch unbekannten Körper des Harnes zu einem
roten Farbstoff vereinigt. Verf. hat an über 1000 Harnen die
Reaktion zeigten ein erhöhtes spezifisches Gewicht. Ein Zusammeu-
genommen, wenn eine hell- bis dunkelrote Farbenveränderung
auftrat. Letztere wurde beobachtet bei Phtliisis pulm., tuber¬
kulöser Peritonitis, Dei Pneumon. fibrin., Endocarditis acuta,
Cholecystitis und Cholangitis infect., chronischer Bronchitis,
akutem Gelenkrheumatismus, Scharlach. Alle Urine mit positiver
Reaktion zeigten ein erhöhtes spezifisches Gewicht. Ein Zusammen¬
hang mit der Iudikanausscheidung bestellt nicht. Bei 5 der Fälle
liess sich beobachten, dass die pathologische Reaktion mit der
Verschlimmerung des betreffenden Leidens zu- und dann mit der
Besserung wieder abnahm. Doch ist ein pathologischer Grad der
Reaktion bei keiner Krankheit in allen Fällen vorhanden. Der
Parallelismus der Reaktion mit dem Verlauf zeigte sich speziell
bei Krankheiten toxischen bezw. toxisch-infektiösen Charakters.
Oedemflüssigkeit ergab die Reaktion nicht. Die Art der Ent¬
stehung der Reaktion ist noch unklar.
4) E. S t o r c h - Breslau: Die moderne Lokalisationslehre in
psychologischer Beleuchtung.
Verf. führt aus, dass es für das Verständnis unseres räum¬
lichen A orstellungs- und Wahrnehmungsvermögens unerlässlich
ist, in der Hirnrinde Erinnerungsbilder spinaler Innervationsvor¬
gänge anzunehmen. Es ist festzulialten, dass diese Erinnerungs¬
bilder als Kombinationen der gleichen zerebralen Symbole der
Muskelinnervation zu betrachten sind, welche von der den mo¬
torischen Willen begleitenden Vorstellung ebenfalls erregt werden.
Grassm a n n - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 44. 1) W agner v. Jauregg - Wien: Ueber erbliche Be¬
lastung.
Vor allem fordert Verf. viel eingehendere Untersuchungen
darüber, in welchem Grade eine hereditäre Belastung der Geistes-
gesunden hinsichtlich der Psychosen besteht, da nur aus solchen
Zusammenstellungen geschlossen werden könnte, dass die Geistes
kranken tatsächlich stärker belastet sind als die normal Bleibenden.
Ferner sollen bei der Feststellung von belastenden psychischen
Krankheiten der Aszendenz nur die Eltern der betreffenden
Kranken herangezogen werden, nicht aber die Seitenlinien. Auch
muss berücksichtigt werden, dass es für die verschiedenen For¬
men geistiger Störungen auch verschieden starke Dispositionen
gibt, welche vielleicht übertragen werden können. Der Begriff
der Geisteskrankheit muss daher auch für die ganze Frage der Erb¬
lichkeit mehr spezialisiert werden. Die Methode, Stammbäume
zusammenzustellen, um die Bedeutung der erblichen Belastung
zu zeigen, ist wissenschaftlich wertlos. Verf. spricht sich gegen
die so häufig beliebte einseitige Betonung der Erblichkeit als eines
ätiologischen Faktors in der Genese der Geisteskrankheiten aus,
womit besonders in foro criminali oft ein offenkundiger Missbrauch
getrieben werde. Es geht überhaupt nicht an, die Menschen in
Belastete und Nic-htbelastete ganz allgemein einzuteilen, wir sind,
da von 10 000 Menschen mindestens 450 geistig erkranken, alb;
mehr oder weniger belastet.
2) R. Kaufma n n und W. P a u 1 i - Wien: Zur Symptomato¬
logie des stenokardischen Anfalles.
Die Verf. schildern eine Reihe von Beobachtungen, in welchen
es sich bei den Kranken um heftige Schmerzen meist krampt'
artigen Charakters handelte, welche ihren Sitz im Epigastrium
oder um den Nabel herum haben, von verschiedener Dauer, von
wenigen Sekunden bis zu 5 Stunden, sind, von der Qualität der
Speisen unbeeinflussbar erscheinen, dagegen ausgesprochen von
der Quantität, die ferner fast immer durch körperliche Anstreng¬
ungen provoziert werdeu. In manchen Fällen sind diese Schmerzen
Vorläufer eines ausgesprochenen stenokardischen Anfalles, in an¬
deren treten sie isoliert auf, sind aber immer mit Angst verbunden.
Bei diesen Kranken handelt es sieh immer um Leute mit krank¬
haften Veränderungen des Gefässystems; ferner besteht während
der Anfälle, in geringerem Grade auch ausserhalb derselben eine
Druckschmerzhaftigkeit der Aorta abdominalis. Die sehr wirk¬
same Therapie besteht in der Darreichung a*oii Diuretin mit Jod.
V ahrscheinlicli handelt es sich hiebei um einen bei Läsionen
eines arteriosklerotischen Gefässes eintretenden Krampf der Ar¬
terien. Die Digitalistherapie ist wegen ihrer blutdrucksteigerndeu
Wirkung zu verwerfen.
3) N. Ortn er- Wien: Zur Klinik der Angiosklerose der
Darmarterien (Dispragia intermittens angiosklerotica intesti¬
nalis).
In dem liier beschriebenen Falle traten bei dem 55 j ähr Pa¬
tienten regelmässig 2—3 Stunden nach der Aufnahme einer grös-
seren Mahlzeit unter Auftreibung des Leibes heftige Schmerzen
um den Nabel herum auf und wurde das Colon asc. und transvers
durch die Bauchdecken hindurch sichtbar. Nach einigen Stunden
gingen dann die Erscheinungen wieder zurück. Dabei bestand
Obstipation. Probelaparotomie, Tod nach 2 Tagen an septischer
Peritonitis. Die Obduktion ergab chronische Endokarditis der
Brust- und Bauchaorta. In dem klinischen Verlauf findet Verf.
eine Aelmlichkeit mit den Erscheinungen der Claudication inter-
mittente an den Extremitäten. Da von Wagenmann eiu
analoger Zustand an der Retina beobachtet worden ist, an deren
Gefässen ein Krampf direkt mit dem Augenspiegel wahrgenom-
men werden konnte fein Phänomen, für welches die vom Verf.
gebrauchte Bezeichnung: „intermittierendes Hinken der Retina“
sehr merkwürdig sich ausnimmt, lief.), so nimmt O. an, dass bei
seinem Kranken während der Funktion des Darmes eine Ischämie
im Versorgungsgebiete der Arter. mesenterica sup. eintrat. Es
wäre dies der erstbeobachtete Fall dieser Art.
G r a s s m ann- München.
Vereins- und Kongressberichte.
IV. internationaler Gynäkologenkongress
in R o m, 15. — 20. September 1902.
Bericht, erstattet von J. A. A m a n n, V orstand der k. II. gynäko¬
logischen Klinik in München.
(Schluss.)
Sitzung v o m 18. S e p t e m b e r 1902, Ar o r m. Sy2 U h r.
IV. Thema: Die chirurgische Behandlung des Uteruskrebses.
Referent C u 1 1 e n - Baltimore hat die verschiedensten
Methoden versucht und adoptiert die AV erthei m sehe Methode.
Er glaubt, dass es möglich sein wird, 50 Proz. der au Uterus¬
krebs erkrankten Frauen mit dieser Operation zu heilen. Zur Er¬
reichung dieses Resultates ist es nötig, dass jede kranke Frau aufs
genaueste untersucht wird, damit möglichst frühzeitig operiert wer¬
den kann. In diesem Sinne ist eine weitere Schulung der prak¬
tischen Aerzte anzustreben.
Referent J o n n e s c u - Bukarest macht den Versuch, eine ge¬
naue anatomische und klinische Einteilung des Uteruskarzinoms
zu geben und bespricht die Art der Ausbreitung der Karzinome
des Lterus auf die umgebenden Gewebe, insbesondere Blase und
Ureter und die Diagnose dieser Metastasen. Er hebt inbesondere
hervor, dass es Metastasen in den Drüsen gibt, ohne dass das
dazwischenliegende Gewebe erkrankt ist. Es können sogar ein¬
zelne Drüsenetappen (Iliakal- und Hypogastrikaldrüsen) gesund
bleiben, während die dritte Etappe (Lumbaldrüse) erkrankt ist.
Die Diagnose, ob die Drüsen karzinomatös erkrankt sind, ist auch
nach Eröffnung des Abdomens fast unmöglich, erst das Mikro¬
skop bringt die exakte Entscheidung, sie sind ln 61,5 Proz. der
Fälle nach Jonuescu erkrankt. Bestimmte klinische Anhalts¬
punkte oder Regeln für ihre Erkrankung sind nicht möglich auf¬
zustellen. Er kommt daher zu dem Resultate, dass die Operation
eine möglichst radikale sein soll.
Die Rezidive teilt .T. in derselben AA'eise wie Winter in lokale,
regionale und Rezidive in entfernteren Organen ein.
Im zweiten Teile seines Referates bespricht Verfasser ausführ¬
lich die verschiedenen Operationsmethoden bei Uteruskrebs und
ihre primären und Dauerresultate; er beschreibt die Amputatio
colli uteri, die supravaginale Amputation, die vaginale, sakrale
und perineale Totalexstirpation. J. verwirft die zurzeit nicht
mehr vollkommener zu gestaltende vaginale Totalexstirpation,
da es nicht möglich ist, mit Hilfe derselben die Drüsen in hin¬
reichender Weise zu entfernen und bekennt sich als Anhänger
der abdominalen Exstirpation. Nach einer Schilderung der Ent¬
wicklung dieser Operation stellt er die Forderung auf, dass in
allen Fällen von Karzinom, wenn dasselbe operiert wird, das
Becken in systematischer AA'eise ausgerüumt wird. Er selbst hat
dies seit 1900 28 mal gemacht.
Nach Besprechung der verschiedenen Techniken anderer
Operateure schildert er seine Methode in ausführlichster Weise
an der Hand zahlreicher Abbildungen. Das AA^esentliche an der¬
selben ist, dass nach Entfernung der inneren Genitalien in 5 Zeiten
systematisch folgende Teile freigelegt werden, um das daselbst
liegende Binde- und Drüsengewebe zu entfernen: 1. Die lliacae
externae, Nervus obturatorius, Arteria umbilicalis und Fossa ob-
turatoria; 2. die A'asa hypogastrica und ihre Aeste von dem Ur-
1896
MTJENCHENER MEBICttflSCHE WOCHENSCHRIFT.
tto. 4g.
Sprung der Arteria iliaea interna an; 3. die Fossa sacroreetalis, |
4. Aorta und Vena cava; 5. die Fossae lumbosacrales.
Von Jonnescus letzten 18 nach seiner Methode Operierten
sind 3 gestorben, von denen das Karzinom auf die Parametrien
übergegriffen hatte. Die Beurteilung der Dauerresultate ist vor¬
läufig noch nicht möglich. Ihre Triumphe wird diese Operation
jedoch erst feiern, wenn wir gelernt haben werden, dieselbe nicht
bei aussichtslosen, sondern bei operablen Fällen (ou est le cancer
1 imite.i anzuwenden. Dann werden die primären und Dauerresul¬
tate vergleichsweise bessere als die der vaginalen Operation sein.
Iteferent Pozzi - Paris: Das Uteruskarzinom ist nach Alter,
Individualität der Trägerin, Lokalisation und histologischem Bau
verschieden zu beurteilen. Definitive Heilungen haben wir kaum
zu verzeichnen. Die sogen. Dauerheilungen von 4 — G Jahren und
mehr bezeichnet P. als „guerisons prolongees“. Bei der Be¬
urteilung des Kollumkrebses darf die Drüsenfrage nicht zu sehr
in den Vordergrund gerückt werden, da dieselbe nach allen Sta¬
tistiken noch vollkommen unsicher ist. Allein wegen der Furcht
der Drüseninfektion darf deshalb die abdominale Operation nicht
gemacht werden.
Verfasser macht die vaginale Operation bei beginnenden
Fällen. Bei technisch vaginal schwerer auszuführenden Fällen
zieht er die abdominale Operation vor. Dasselbe gilt für die
Korpuskarzinome.
Obgleich eine schwerere Operation als die vaginale, ist die
Prognose der abdominalen Operation keine zu düstere; sie wird
sich mit fortschreitender Technik in Zukunft noch besser gestalten.
Bei weit vorgeschrittenen Fällen soll man palliativ Vorgehen.
Referent W. A. Freund - Berlin war nicht persönlich an¬
wesend. Sein Referat lag gedruckt vor. Bezüglich der Indikation
zur chirurgischen Behandlung des Uteruskarzinoms stellt er fol¬
gende Sätze auf: „Alle überhaupt noch operierbaren Fälle von
Uteruskarzinom, d. li. bei denen die Harnblase und das Rektum
noch frei von Erkrankungen sind und der Uterus nicht in Karzi¬
nommasse eingemauert erscheint, sollen durch abdominale Ex¬
stirpation operiert werden (also auch die beginnenden Portio¬
vaginalkarzinome, welche ich früher für die vaginale Methode be¬
stimmt hatte); die übrigen für diese Methode nicht mehr geeigneten
Fälle sollen vaginal operiert werden; wie denn die vaginale
Methode nur als eine gute Palliativoperation anzusehen ist.“
Referent Wert heim - Wien gibt eine Zusammenstellung
seiner bisherigen Erfahrungen mit der abdominalen Exstirpation
des karzinomatösen Uterus. Seit Herbst 1898 ist er gegen alle
Fälle von Uteruskarzinom abdominal vorgegangen. Er beschreibt
seine Technik, die er nun in 130 Fällen angewandt hat. Seine
primären Erfolge waren folgende: Von den ersten 30 Fällen er¬
lagen 12, von den zweiten 30 Fällen 5, von den dritten 30 Fällen 3,
von den vierten 30 Fällen 4 dem Eingriffe. Das macht eine Ge¬
samtmortalität von 20 Proz. und mit Abzug der ersten 30 Fälle,
bei denen noch mangelhafte Technik angenommen werden kann,
13 Proz. Ureterennekrosen kamen in letzterer Zeit seltener vor.
Eine gründliche Vorbereitung des Karzinoms durch Auslöffelung
und Verschorfung vor der Operation hält W. für wichtig. Auch
die Dauererfolge sind, soweit es sich bis jetzt beurteilen lässt,
bessere.
Die exstirpierten Präparate und Drüsen wurden eingehendst
mikroskopisch in Seinen untersucht. Von SO Fällen wurden die
Drüsen in 27 krebsig gefunden.
Wertheim kommt zu folgenden Schlussätzen:
1. Die blosse Uterusexstirpation genügt nur in einem kleinen
Teile der Fälle von Uteruskrebs zur radikalen Heilung. Es be¬
steht das Bedürfnis nach leistungsfähigerem Vorgehen, welches in
erster Linie darauf bedacht sein muss, das den krebsigen Uterus
umgebende Zellgewebe möglichst ausgiebig mitzuentfernen, in
zweiter Linie die regionären Lymphdrüsen zu exstirpieren.
2. Hierfür eignet sich am besten die gewöhnliche Laparo¬
tomie, deren Mortalität durch Ausbildung der hierbei anzuwenden¬
den Operationstechnik schon jetzt so gesunken ist, dass dieselbe
keinen Grund mehr gegen die Berechtigung der Operation ab¬
geben kann.
3. Die Operabilitätszahl ist seit Anwendung des erweiterten
abdominalen Vorgehens sehr bedeutend gestiegen. Auch die Dauer¬
erfolge werden — wie sich nach den bisherigen Beobachtungen
scliliessen lässt — bessere sein, so dass die absolute Leistung
eine wesentlich grössere sein wird.
4. Hand in Hand mit diesem erweiterten Vorgehen muss nach
wie vor das Streben gehen, die Fälle von Uteruskrebs möglichst
frühzeitig zu operieren.
Diskussion: Gutierrez - Madrid: Nur wenn das Kar¬
zinom auf den Uterus beschränkt ist, kann von einer radikalen
Operation gesprochen werden. G. zieht die vaginale Hysterektomie
als die schnellere und gefahrlosere der abdominalen vor; man kann
nicht behaupten, dass die Beckenausräumungen das Leben mehr
verlängerten als die vaginale Methode. Wenn wir auch nicht sagen
können, dass die vaginale Hysterektomie und in gewissen Fällen
die abdominale ein sicheres Heilmittel des Uteruskrebses ist,
so müssen wir sie doch anwenden, um den Kranken ihren Zustand
zu verbessern und ihnen das Leben zu verlängern in den Fällen,
in denen die Krankheit beschränkt oder nur wenig ausgedehnt ist.
P i c h e v i n - Paris bespricht die. Operationsstatistiken. Er hat
nur 3 Proz. nach vaginaler Hysterektomie nach 3 Jahren noch
am Leben gefunden. Auch die abdominale Operation ist unvoll¬
ständig, da es unmöglich ist, alle Drüsen zu entfernen.
D e 1 b e t - Paris: Die vaginale Operation ist fast ohne Gefahr.
Die abdominale Operation scheint nicht das zu halten, was sie
versprochen hat. D. befürwortet eine Modifikation der vaginalen
Methode mit ausgedehnten Inzisionen, ähnlich denen von
M i c li a u x, W ö 1 f 1 e r, Schuch a r dt, Sch a u t a a n-
gegebenen.
Jakobs- Brüssel verfügt über eine Statistik von 81 Fällen
abdominaler Totalexstirpation mit 7,4 Proz. Mortalität. Er be¬
trachtet die totale Exstirpation des Uterus auf abdominalem Wege
als das beste Falliativum, um gegen die Entwicklung des Karzi¬
noms vorzugehen und hofft, dass diese Methode bei möglichst früh¬
zeitiger Operation ein vollkommenes Heilmittel werden wird.
Wenn das Karzinom bereits im Beckenbindegewebe weiter vor¬
geschritten ist, so glaubt er nicht, von dieser Operation bessere
Resultate als von anderen Operationsmethoden erwarten zu dürfen.
J.A.Amann - München betont, dass die Dignität der Drüsen-
infdtration beim Karzinom noch eingehender Studien bedarf. In
manchen Drüsen gehen wohl die Karzinomzellen zu Grunde, doch
ist bis jetzt an einem weiteren Fortschreiten von karzinomatös in¬
filtrierten Drüsen aus festzuhalten und deshalb die ausgedehn¬
teste Beckenausräumung und Entfernung der Drüsen mit den
dazugehörigen Lymplibahnen anzustreben. Neben dem vaginalen und
abdominalen Wege besteht, noch der extraperitoneale
W e g, den A m a n n auf dem Gynäkologenkongress in Giessen an¬
gegeben hat und für den er besonders eintritt. Die allerdings sehr
grossen Beckenzellgewebswunden nach gründlicher Beckenaus¬
räumung drainiert A. in letzter Zeit durch den Becken¬
boden nach der V u 1 v a zu, rechts und links liebe n der Vagina
mit Glas oder Gummidrains. Zur Deckung der Ureteren disloziert
er dieselben medianwärts, lagert sie in Falten der Rektumwand
ein und umwickelt sie von vorne her gewissermassen mit der Blase.
Zweifel- Leipzig berichtet über die mikroskopischen
Drüsenbefunde; von 33 Fällen waren die Drüsen karzinomatös in¬
filtriert in 21,9 Proz. meist bei schon infiltriertem Parametrium,
aber auch 1 — 2 mal bei scheinbar noch im Anfang stehenden Portio¬
karzinomen. Z. ist daher Anhänger der Laparo-Hysterektomie
bei Uteruskarzinom, teilt jedoch den Enthusiasmus des Herrn
Jonnescu nicht, denjenigen des Herrn Wertheim nicht ganz.
In Fällen, in denen die lumbaren Lymphdrüsen geschwollen sind,
sitzen sicher längs der Wirbelsäule noch weiter hinauf karzinoma-
töse Lymphdrüsen. Die Chirurgen, welche bei Carcinoma mammae
die Achselhöhle ausräumen und Drüsen mit Lymplisträngen, auch
den Pectoralis major und minor Wegnahmen, besserten die Dauer¬
heilungsziffern um einige Prozente; ihre besten Statistiken bei
Mammakarzinom sind noch nicht, so gut bei 3 jähriger Rezidiv¬
freiheit, als die der Gynäkolgen bei 5 jähriger und längerer Dauer¬
heilung mit vaginaler Operation des Uteruskarzinoms. Die Aus¬
breitungsgeschwindigkeit ist eben bei verschiedenen Organen sehr
verschieden.
Zur Besserung der absoluten Heilungsziffer ist die Früh¬
diagnose von grösster Bedeutung. Jede Frau, welche die geringste
Unregelmässigkeit ihrer Menstruation bemerkt, soll sich unter¬
suchen lassen. Zur Probe exzidierte Stücke müssen mikroskopisch
untersucht werden. Bei Carcinoma uteri gravidi soll nicht ge¬
wartet werden mit der radikalen Operation.
G. Klein*) -München: Die wichtigste Aufgabe des Operateurs
ist es, die Kranke dauern d zu heilen. Aber die Statistik zeigt,
dass eine Dauerheilung nur in der kleineren Anzahl der Fälle
möglich ist. Dennoch ist auch für jene Fälle, in welchen Rezidive
kommen, der abdominale Weg der Operation von grosser Bedeu¬
tung und zwar aus zwei Gründen, welche heute noch nicht be¬
sprochen worden sind:
1. Eine Verlängerung des Lebens und ein Hinausschieben
der subjektiven Beschwerden, welche das Rezidiv bringt, ist um
so wahrscheinlicher, je mehr karzinomatöses Gewebe (Binde¬
gewebe, Lympligefässe und Lymphdrüsen) entfernt wird.
2. Nur auf abdominalem Wege ist es möglich, nach einer vor
Monaten oder Jahren gemachten Exstirpation des Uterus später
auch die inneren Metastasen zu exstirpieren. Ein Beispiel: Bei
einer Kranken hatte ich vor ungefähr 3 Jahren den Uterus wegen
Zervixkarzinom vaginal exstirpiert. Es folgte ein Rezidiv im
Parametrium, dessen vaginale Entfernung nicht gelang; abdominal
war es aber meinem Assistenten Herrn Dr. H e n g g e und mir,
iy2 Jahre nach der 1. Operation, leicht, Rezidive im Omentum
majus, Parametrium, Parakolpium und in der Blasenmuskulatur
zu exstirpieren (siehe Centralbl. f. Gynäkol. 1901). Trotzdem trat
ein Rezidiv in der Bauchnarbe auf (oder vielleicht deshalb,
und zwar als Impf rezidiv) ; auch dieses wurde vor y3 Jahre ex¬
stirpiert. Ein neues, retroperitoneal um die Vasa iliaea herum
entwickeltes Rezidiv zeigte sich bei der vor 3 Monaten als
4. Operation gemachten Laparotomie inoperabel. Aber bis jetzt
ist die Kranke andauernd fast frei von subjektiven Beschwerden
gewesen und sie hat sich zu den Metastasenoperationen nur
schwer entschlossen, weil sie „ja ganz gesund sei“.
Auf abdominalem Wege ist also in solchen Fällen sowohl eine
Verlängerung des Lebens, als ein Hinausschieben der später doch
kommenden subjektiven Qualen möglich, ebenso ein wiederholtes
Exstirpieren der Metastasen.
Ob nach abdominalen Operationen die Zahl der Dauer¬
heilungen grösser sein wird, als nach vaginalen, muss erst
die Zukunft lehren. Aber bei einer absolut tödlichen Krankheit,
wie beim Uteruskarzinom, ist das Auf suchen noch gründlicherer
Operationsmethoden nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten.
P o t e n - Hannover schlägt vor , das Peritoneum der
vorderen Bauchwand oberhalb des Beckeneinganges an die
*) Autoreferat.
11. November 1902.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1897
bmRre Bauchwand anzunähen und so die Bauchhöhle gegen
Beckenhohle abzuschliessen. Die Entfernung des Uterus
führte er dann nach Werthei m aus.
M a c k e nr odt - Berlin tritt für ausgedehnteste Ausräumung
des Beckens, Drusen und Beckenbindegewebe ein und beschreibt
nach einem historischen Ueberblick über die Entwicklung der
abdominalen Radikaloperation sein auf einem extraperitonealen
1 erfahren beruhendes Vorgehen.
M o r i s a ui- Neapel berichtet über 14 abdominale Totalexstir¬
pationen nach V ertliei m mit einem Todesfall.
Spinell i- Neapel: Die vaginale Operation ist unvollständig
und uiationnell; sie ist heute als Anachronismus zu bezeichnen.
1 mard- Pans operiert nie bei Karzinom in der Gravidität-
er wartet immer so lang als möglich und sucht die Schwanger¬
schaft zu Ende kommen zu lassen.
. |v.r,<V1 1 Leipzig: I)ie abdominale Methode ist einfacher
und leichter als die vaginale, wenn das Peritoneum ergriffen ist
Eine vollkommene Exstirpation der Drüsen ist unmöglich- wm
Aman n ist er überzeugt, dass manche Karzinomzellen in den
Drusen zu Grunde gehen.
T r e u b - Amsterdam wendet ausschliesslich die vaginale Ex¬
stirpation an. Er glaubt, dass die Resultate weniger von der an¬
gewandten Technik abhängen als von der frühzeitigen Dia¬
gnostik.
Schlussworte der Referenten Jonnescu, P o z z i Wert-
h e i m.
Sitz u ng v o m 20. Septem be r, V o r m i 1 1 a g s 8% U li r.
Einzel vorträg e.
Aus der grossen Zahl derselben seien hier folgende erwähnt:
C h a 1 e i x - V i v i e - Bordeaux: Chemisch reines und pul¬
verisiertes Methylenblau in der Behandlung der Metritis
. Vortragender bezeichnet obiges Mittel als besonders geeignet
02 Metrorrhagien, Menorrhagien, Leukorrhoe, Dysmenorrhöe und
Erosionen, als blutstillend, schmerzstillend und antiseptisch.
F au re- Paris: Die subtotale Hysterektomie mit voran¬
gehender Kollumdurchschneidung.
Me ndes de Leon - Amsterdam: Pathogenie und Behand¬
lung der Dysmenorrhöe.
M. d. L. zitiert die Arbeiten von Flies etc. und bespricht
die nasale Therapie der Dysmenorrhöe.
Dudly- Palmer - New- York : Modifikation des Kaiser-
Schnittes.
Hysterektomie Behandluil£ der Rektovaginalfisteln nach
,,P)e Operation war wegen Beckeneiterung gemacht worden
es blieb eine hohe zirkuläre Fistel zurück, die durch Lappenplastik
geschlossen wurde.
des Ovariums16 TOU1S: Vorschlag zur konservativen Chirurgie
L. trennt die Blätter des Ligamentum latum und schliesst das
Ovanum m die beiden Blätter ein.
Die Erhaltung des Ovarium ist notwendig für die Funktion
des weiblichen Organismus.
-ivr Helene So S n o w s k a - Paris berichtet über einige durch
Massage geheilte Fälle von Sterilität.
„n . an r °ta y - Antwerpen: Bei essentieller Amenorrhoe
spntzt H. wöchentlich 1 mal 150 bis 250 g einer physiologischen
Losung von Glycerophospliateisen in die Weichen. Die Resultate
seien ausgezeichnet.
S p i n e 1 1 i . Neapel befürwortet die supravaginale Ampu¬
tation des myomatosen Uterus mit Zurücklassung der Ovarien
und eines grossen eventuell noch menstruierenden Uterusstumpfes
mo ^?-nel> ”nd bespricht genauer die Technik und seine Statistik
(100 falle mit einem Todesfall).
Sitzung vom 20. September, 2 Uhr Nachmittags.
C a 1 d e r i n i - Bologna demonstriert einen Tumor der Pia-
zenta.
N i g r i s o i i - Ravenna berichtet über GÜO Fälle von Hyster¬
ektomie auf abdominalem und vaginalem Wege; er zieht letzteren
" eg vor.
H e i n s l u s - Greifswald: Ueber vaginale Ovariotomie.
■ berichtet über 110 in den letzten 3y2 Jahren in der Greifs-
<i der Klinik ausgeführte vaginale Ovariotomien. ln zwei Fällen
Kam der hintere Scheidenschnitt zur Anwendung, in allen anderen
rauen die Kolpotomia anterior. In allen Fällen war die Zu-
gangigkeit eine ausreichende und die Uebersicht eine gute Die
Blutstillung war stets eine leichte. Nebenverletzungen kamen
ment mehr als bei der Laparotomie vor. Einmal musste die
j-otaiexstirpation des Uterus wegen schwerer Adhäsionen gemacht
•werden, in einem anderen Falle, in dem es sich um einen stiel-
lorquierten Ovarialtumor handelte, wurde zur Laparotomie über-
gegangen. Unter den 5 Todesfällen waren 3 Eiterfälle. Die
Gesamterfahrung Martins beläuft sich auf über 1600 Kolpo-
Tonnen, von denen 264 vaginale Ovariotomien mit 3,3 Proz. Mortali-
, ?m(l- Hie vaginale Methode ist in geeigneten Fällen der ab¬
dominalen vorzuziehen.
G i g 1 i - Florenz empfiehlt zur Behandlung des Nabelschnur-
lestes eine Art Sicherheitsnadel, die durch elastischen Druck die
-Nabelschnur komprimiert und dadurch die Blutung stillt und
Nekrose bewirkt.
T Teilhaber - München: Der Einfluss der Nervosität auf
nie Entstellung von Blutungen und Ausfluss.
Th. erwähnt die psychischen Erregungen, die häufig obige
Symptome verursachen, besonders bei Ilvsterie und Neurasthenie
Bei reizbarem Nervensystem genügen kleine Veränderungen und
psychische Alterationen, um bedeutende Symptome herbei¬
zuführen. Er bespricht die Therapie, die vor allem in allgemeiner
Behandlung besteht.
Ziegenspeck- München: Ueber Fötalkreislauf.
Seme Untersuchungen stützen sich auf Injektionsversuche
an Föten verschiedenen Alters, zwischen 11 und 53 cm Länge bei
welchen auch Injektionen des Kreislaufs mit gefärbter Gelatine¬
masse gemacht, die Gefässe präpariert und das Kaliber derselben
gemessen wurde.
Brennan - Monte-real berichtet über eine neue Operation
zur Behandlung der irreponiblen Inversion des Uterus.
Rein- Petersburg demonstriert Photographien von Prä¬
parationen des Plexus fundamentale des Uterus bei der Frau und
bei verschiedenen Tieren; das Ganglion cervicale im Sinne Wal-
t li ers, Lee s und F r a n k e n li äusers existiert nicht.
r® oprajensky - St. Petersburg: Die Beleuchtung der
Bauchhöhle von einer Coeliotomia posterior aus
Er empfiehlt dieses Verfahren, das von Ott besonders bei
Haematocele retrouterina oder Tubargravidität angewandt wurde
und das bei steiler Beckenhochlagerung einen klaren Einblick in
die Bauchhöhle gewährt.
Pulvermacher - Berlin berichtet über günstige Erfolge
bei Anwendung der C re de sehen Silbersalbe bei puerperaler
Sepsis. Nach jedem Schüttelfrost wurden 4 g nach Vorschrift
aseptisch eingerieben. Im ganzen erhält jede '"kranke 30
1 - - O”*“ v i null J v uu 1Y1 «llliYty ÖU U.
Ge 1 p k e - Basel bespricht die Vorteile des Murphy knöpf es.
M o n c u s i - Neapel berichtet über 100 Fälle von Sym-
physeotomie mit einer Mortalität von 3,8 Proz. resp. 1,8 Proz.
der Mütter und 17,3 Proz. der Kinder. Er empfiehlt die Perineo¬
tomie, um Verletzungen der vorderen Vaginalwand zu vermeiden.
Gott schalk - Berlin demonstriert einen von seinem Assi¬
stenten frommer konstruierten Uterusdilatator mit 8 Bran¬
chen.
Regnoli - Rom spricht über vaginalen Kaiserschnitt,
Hysterocervicotomie.
Aut den Antrag P i n a r d wird eine Kommission zur
Schaffung einer geburtshilflichen Nomenklatur gewählt.. Der
nächste Kongress findet in St. Petersburg 1905 statt. Zum
Schlüsse sprechen noch die ausländischen Delegierten ihren Dank
dem Organisationskomitee aus.
74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
m Karlsbad vom 21. — 27. September 1902.
VII.
Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften.
I. Sitzung vom 22. September, N a c h m.
Vorsitzender : Herr S u d h o f f - Hochdahl.
Der Einführende, Herr R u f f - Karlsbad, heisst die Er¬
schienenen willkommen und bittet den I. Vorsitzenden der Deut-
sc htn Gesellschaft für Geschichte derMedizin und der Naturwissen¬
schalten, Herrn S u d h o f f - Hochdahl, der ersten Sitzung zu prä¬
sidieren. Derselbe begriisst die Fachgenossen, wünscht der Karls¬
bader Tagung reichen Erfolg und bringt an erster Stelle für den
erkrankten Verfasser zur Verlesung:
l: Herr E. J a c k s c h a t h - Reinickendorf bei Berlin: Die
— egiimdung der modernen Anatomie durch Leonardo da Vinci
und die Wiederauffindung zweier Schriften desselben.
Als verloren gelten zwei Abhandlungen des genialen Künstlers
und universellen Forschers und Denkers Leonardo da Vinci
A4. >2 1519) über die Anatomie des Pferdes und über menschliche
Anatomie. .T. legt in seinem, als vorläufige Mitteilung auf¬
zufassenden Vortrage diesen Sachverhalt dar und teilt als zweifel¬
loses Ergebnis seiner Untersuchungen mit, dass 1. die 1598 zu
Bologna erschienene „Anatomia del cavallo“ des bolognesischen
Senators Carlo It u i n i, welche eine ziemlich klare und fast richtige
Darlegung des grossen Blutkreislaufes enthält, in Zeichnungen
und Text auf das verloren geglaubte Werk Leonardos zurück¬
geht. das also derart in ungeahnter Vortrefflichkeit seine Auf¬
erstehung feiere. Noch überraschender kommt das zweite Er¬
gebnis eindringendster Untersuchung: Verfasser glaubt allen
Ernstes, den Grössten in der Geschichte der modernen Anatomie,
den Niederländer Andreas Vesalius (1514 — 1564), des Plagiates
an L e o n a r d o bezichtigen zu müssen, d. h. der stillschweigenden
Benutzung nicht allein der Handzeichnungen des unsterblichen
Meisters, die sogar in den Holzschnitten noch Zeichen tragen, wie
sie neben lateinischen und griechischen Lettern nur Leonardo
auf seinen Handzeichnungen anwandte, ja die gelegentlich, weil
nicht verstanden, wegschattiert seien an Stellen, wo die künst¬
lerischen Anforderungen eine Schattierung verbieten — doch, wie
gesagt, nicht nur in diesen Zeichnungen, sogar im Text der be¬
rühmten sieben Bücher „De corporis humani l'abrica“ vom Jahre
1543 habe Vesalius die verlorene Abhandlung, des Leonar d o
über Anatomie des Menschen benutzt. Leonardo, der Ge¬
waltige, so unendlich vielseitige Physiker, Mathematiker. In¬
genieur, Kriegsbaumeister etc. sei also auch als Begründer der
modernen Anatomie anzusehen. Den zwingenden Beweis für dies
1828
MUENCHENER MEDIGINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
alles stellt .Täckse li a t li für die nächste Zeit in einem grösseren
Werke in sichere Aussicht. Der volle Wortlaut des Karlsbader
Vortrags soll in den nächsten Wochen erscheinen; ein sicheres Ur¬
teil wird er noch nicht ermöglichen, doch gibt die reiche, nachweis¬
lich benutzte Literatur die Gewähr, dass redlich gearbeitet wurde.
2. Herr Simon B a r u c h - New-York: Einige amerikanische
Beiträge zur Entwickelung der modernen Therapie.
Die „vernichtende“ Therapie, welche während des letzten Teils
dos 18. Jahrhunderts die herrschende war, wurde von Benjamin
R u s h auf amerikanischen Boden verpflanzt, der mehr als irgend
ein anderer dem ärztlichen Geiste der neuen Nation Anleitung gab.
Gegen Rushs Therapie erhob sich keine Stimme, bis Jakob
B i g e 1 o w, Professor an der Haward-Universität, seine „Self-
limitation of diseases“ veröffentlichte (1835), worin er aus kli¬
nischer Beobachtung zu dem Ergebnis kommt, dass „manche
Krankheiten, unbeeinflusst durch ärztliche Behandlung, natur-
gemäss verlaufen“. Ein kühner Verteidiger der B i g e 1 o w sehen
Ileterodoxie war sein Universitätgenosse Oliver Wendell Hol¬
mes, der 1840 schrieb: „Mit Ausnahme von Opium, Aether und
einigen Speziflzis dürfte wohl der ganze Arzneischatz in die Tiefe
des Meeres geschüttet werden. Das wäre das Beste für die Men¬
schen und das Allerschlimmste für die Fische.“ Doch wie die
Lehren eines Asklepiades, eines Harvey einst unbeachtet
blieben, so ging es auch mit denen B i g e 1 o w s und Holmes.
Die exspektative Therapie gewann in Amerika nur langsam Boden,
namentlich durch Flint, Barthelow, ,T a c o b i. L o o m i s.
Interessant ist die Entwickelung der Hydrotherapie in
Amerika. Obgleich Abraham Jacobi schon 1875 prophezeit
hatte, das Vorurteil gegen das kalte Wasser werde ebenso
schwinden, wie das gegen die kalte Luft, schrieb ein Rer ei ent
über des Redners Kaltwasserbehandlung des Typhus noch im
„Medical Record“ vom 14. Februar 1889: „Es wird schwierig sein,
die Aerztewelt zur Anwendung dieser heroischen Methode zu
überreden“, und ein Leitartikel derselben Zeitschrift vom 7. Mai
189S besagt: „Die Vertreter der Brand sehen Bäder scheinen
sich zu mehren und die Resultate scheinen verhältnismässig besser
zu sein, je genauer diese Methode befolgt wird. Im Gegensatz
zu seinen Vorgängern (Bartels, Liebermeister, Jüi -
<>• ense n) die mit den kalten Bädern temperaturherabsetzend
wirken wollten, wandte Brand Bäder von 30° 0. 4 stündlich
15 Minuten lang mit Frottierungen an, niemals während des
Schlafes; im ersten Stadium angewendet beugen sie dem letalen
Ausgang vor. Alle anderen benutzten die kalten Bäder nur als
symptomatische, früher antithermisch, heute zur Nervenkräf-
ti' gütig. Der gerechte Historiker muss den Unterschied betonen;
der gerechte Kliniker der Zukunft wird ihn anerkennen. Dann erst
wird Ernst Brand wahrhaft als Wohltäter der Menschheit er¬
kannt werden. Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande: In
Deutschland hat man sein Verfahren zur Unkenntlichkeit modi¬
fiziert, in Amerika wird es strikt befolgt, zum Segen der Kranken.
Eine nicht bekannte historische Tatsache ist die Priorität des
Dr. Oliver Wendell Holmes in der Prophylaxe des Kindbett¬
fiebers. In einem Vortrage, der in „The New England Quarterly
Journal of Medicine and Surgery“ im April 1843 gedruckt wurde,
sagte er: 1. Die als Wochenbettfieber bekannte Krankheit ist soAveit
kontagiös, als sie häufig von Patientin zu Patientin durch Wär¬
terinnen und Aerzte übertragen wird. 2. Ein Arzt, der geburts¬
hilfliche Fälle übernimmt, darf an Sektionen nicht teilnehmen.
3. Wenn ein Arzt Autopsien beigewohnt hat, sollte er sich voll¬
ständig waschen, jedes Kleidungsstück wechseln und 24 Stunden
verstreichen lassen, ehe er wieder einen geburtshilflichen Fall
übernimmt. Holmes erwähnt hier auch den Fall eines Arztes,
der während einer Epidemie von Kindbettfieber nach jedem Be¬
such die Kleider wechselte und seine Hände in Chlorkalklösung
wusch und 7 weitere Entbindungen zu derselben Zeit mit fieber¬
freiem Verlauf machte. Semmelweis erklärte 1848, also
5 Jahre nach Holmes: 1. In geburtshilflichen Instituten wird
das schreckliche Fieber wahrscheinlich auf schwangere Frauen
und Wöchnerinnen vom Geburtshelfer selbst übertragen. 2. Es ist
in den meisten Fällen nur eine Kadaverinfektion. 3. Alle Studenten
und Geburtshelfer sollten ihre Hände sorgfältig mit Chlorkalk¬
lösung unter Anwendung der Nagelbürste waschen, ehe sie ge¬
burtshilfliche Räume betreten.
Die Ansicht von Holmes wurde von den hervorragendsten
amerikanischen Lehrern der Geburtshilfe heftig angegriffen; ebenso
wurden 5 Jahre später die Aufstellungen des Semmelweis
von Kiwisch, Karl B r a u n u. a. bekämpft. Nichtsdestoweniger
tat Holmes’ Lehre ihre Wirkung; die Mortalität an Puerperal¬
fieber sank bedeutend in Amerika, schon ehe die Semmel-
w e i s sehe Lehre dort bekannt wurde, wie Vortragender dartut.
3. Herr Eugen Sachs- Dresden: Die Blattern vor
100 Jahren in Sachsen.
Den grössten Teil seines Stoffes hat der Vortragende den
Berichten entnommen, welche die Geistlichen in Sachsen früher
über den Gesundheitszustand ihres Sprengels an die Regierung
einsenden mussten. Aus diesen geht hervor, dass sich die Geist¬
lichen frühe von der günstigen Wirkung der Schutzpockenimpfung
überzeugt hatten, sich samt ihren Kindern als nachahmungswertes
Beispiel für ihre Gemeinden impfen Hessen und auch sonst mit
Wort und Schrift für die Impfung kämpften. Sie schimpften
weidlich über die Kurpfuscher, Sympathiedoktores und Medikaster.
Gegen den Gebrauch von Universalmitteln nahmen sie ebenfalls
Stellung, wie gegen die öffentliche Schaustellung der Leichen.
Die ganz verkehrte Pflege und Behandlung der Blatternkranken
wird von ihnen geschildert und mit Bedauern bemerkt, dass die
Bevölkerung vielfach der Meinung sei, die Schutzimpfung sei ein
Eingriff in den Willen Gottes, und ärztliche Behandlung nütze
nichts, denn was sterben solle, sterbe doch. Auch damals waren
die Ansichten der sogen, gelehrten Impfgegner aus England schon
in Sachsen verbreitet und wirkten der allgemeinen Schutzimpfung
entgegen: auch dort traten schon solche falsche Propheten auf.
Zum Schluss wird ein Auszug aus einer Eingabe des Kreishaupt¬
manns Schlegel an die Regierung, betreffend eine bessere me¬
dizinalpolizeiliche Ueberwachung, und die darauf bezügliche ab¬
lehnende Antwort des Sanitätskollegiums mitgeteilt.
4. Herr Hermann Gutzmann - Berlin : Der Zusammen¬
hang von Zunge und Sprache in der Geschichte der Medizin.
„Zunge“ und „Sprache“ werden wohl in allen Sprachen als
Synonyma gebraucht. Das so bewegliche und beim Sprechen so
tätige Organ gilt wohl deshalb als Sitz der Sprache, Aveil seine
Bewegungen infolge seiner feinen Beriihrungsempfindlichkeit
schärfer beim Sprechen zum Bewusstsein kommen als die der
übrigen Sprachwerkzeuge. Als Wunder können wir es heute kaum
mehr betrachten, AA’enn die christlichen Bekenner in Afrika, denen
Ilunnericli die Zunge hatte ausschneiden lassen, doch später wieder
ihren Glauben verkünden konnten. Die Geschichte der Medizin
überliefert zahlreiche Fälle ATon ATölligem \ erlust der Zunge, wel-
cher nur die Deutlichkeit der Sprache naturgemäss beeinträch¬
tigte, aber nicht zu deren gänzlichem Verlust führte, namentlich
aus der jüngsten Zeit (Operationen von Zungenkarzinom).
Das ärztliche Bestreben, Sprachstörungen auf Fehler der
Form und des Baues der Zunge zurückzuführen, datiert von
Aristoteles, der die Sprechfähigkeit des Menschen darauf
zurück führt, dass seine Zunge weitaus die beweglichste aller
lebenden Wesen sei. Man suchte bei Sprachfehlern deshalb stets
nach einer zu kurzen oder angewachsenen Zunge, „löste“ seit
vielen Jahrhunderten die Zunge; ja in manchen Teilen Europas
glaubt man heute noch, Kinder könnten ohne diese Operation
überhaupt nicht sprechen lernen, während sie in den meisten Fällen
völlig überflüssig ist und, von Hebammen ausgeführt, nicht selten
zur breiten Verwachsung der Zunge mit dem Mundboden führt.
Der gleiche Gedankengang schaffte auch der entsetzlichen
Stotteroperation des grossen Chirurgen Dieffenbach so
schnellen Eingang bei der Aerztewelt. Ein Schielender, der ihn
stotternd um die Beseitigung seines Schielens bat, hatte D. auf
die Idee gebracht, durch Unterbrechung der Nervenleitung in dem
muskulösen Organ der Zunge eine Umstimmung und dadurch eine
Aufhebung des abnormen Zustandes zu beAvirken. Avas er durch
Auschneidung eines grossen Keiles aus der Zunge mit der Basis
nach oben und der Spitze am Mundboden und naehherige Ver¬
einigung der Zungenreste mittels tiefer Nähte zu erreichen suchte.
Die Operierten konnten anfangs gar nicht, später nur langsam
sprechen; der Erfolg schien ein vollständiger und verführte zahl¬
lose Operateure zu gleichen und ähnlichen Massnahmen (200 Sot-
ternde wurden z. B. in Paris in einem Jahre operiert, mehrere mit
tödlichem Ausgang) und erst die absoluten Misserfolge aller Ope¬
rationen. die sich mit der Länge der Zeit ergaben, taten der Ope¬
rationslust Einhalt. Doch die Vorstellung von dem engen Zu¬
sammenhänge zwischen Zungenfehlern und Sprachfehlern ist auch
heute bei den Aerzteu noch nicht ganz geschwunden.
II. Sitzung vom 23. September, Vormittags.
Vorsitzender : Herr Kahlbaum - Basel.
5. Herr Prof. Georg W. A. Kahlbaum-Basel: Goethe
und Berzelius in Karlsbad 1822.
An der Hand der Tagebücher Goethe s und der am Schlüsse
vorigen Jahres in Stockholm atou H. S. Söderbau m heraus¬
gegebenen Selbstbiographie des Jakob Berzelius macht der
Vortragende die Mitteilung über das Zusammentreffen der beiden
Grossen, das zAA7ar nicht in Karlsbad selbst, doch in dem nahen
Eger, wohin Berzelius von Karlsbad. Goethe von Marien-
bad zu vorübergehendem Aufenthalte eingetroffen waren, am
30. und 31. Juli stattfand.
Das wichtigste Moment dieser Zusammenkunft bildete die
gemeinschaftliche Besteigung und geologische Begutachtung des
von Goethe eingehend im Jahre 1808 untersuchten und in einem
besonderen Aufsatz beschriebenen Vulkanembryos, des Kammer¬
bühl bei Franzensbad. 1
Der Vortragende konnte zeigen, mit welch unermüdlichem
Eifer der damals 73 jährige Goethe sich noch naturwissen¬
schaftlichen, insbesondere mineralogisch-geologischen Studien hin¬
gab. die ihn avoIiI hie und da zu etwas .laienhaften Ansichten
führten, doch stets ernst gemeint AAraren, so dass, was so sein
selten nur der Fall, der Greis sich jeder Belehrung, Avenn sie nur
überzeugend begründet werden konnte, zugänglich zeigte und auch
ihm liebgewordene Anschauungen willig wieder aufgab.
ß. Herr Max Neuburger - Wien: Das Problem der Tro-
phik des Nervensystems und seine geschichtliche Entwickelung.
Zwei der interessantesten physiologischen Probleme Avurden
schon in verflossenen Jahrhunderten nicht ohne Er’folg bearbeite .
die Frage, welchen Einfluss die Nerven .auf die ErnährungSA’or-
gänge ausüben (trophische Funktion), und die Lehre von der
„inneren Sekretion“. '
Was die Trophik der Nerven anlangt, so ist hervorzuheben,
dass im Zeitraum von Harvey bis Haller ein grosser Teil der
11. November 1902. _ MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Forscher teils aus spekulativen, teils aus empirischen Gründen
(Abmagerung gelähmter Glieder) die Ernährung gänzlich vom
Nervensystem abhängig sein liess. Nach Haller verschwand
diese Hypothese und man lehrte, dass die Nerven die Ernährung
nur indirekt durch Beeinflussung der Blutzirkulation regulieren.
Diese vasomotorische Funktion stellte man sich anfangs grob-
mechanisch, durch Kontraktion der die Gefässe umgebenden
„Nervenschlingen“ vor. Reit B i c h a t wurde man auf den Sym¬
pathikus aufmerksam und schrieb diesem eine gefässregulierende
Tätigkeit zu, welche endlich Claude Bernard ausser Zweifel
stellte. Vielerlei klinische Erfahrungen zeigten aber die Unvoll¬
kommenheit der vasomotorischen Erklärung trophischer Stö¬
rungen. wie man sie bei Bückenmarksaffektionen beobachtete,
und führten zu der Theorie trophischer Fasern, womit die
neueste Forschung anhebt.
Die noch sehr ungeklärte Lehre von der inneren Sekretion,
derzufolge jeder Bestandteil des Körpers, namentlich die Drüsen,
gewisse zur Erhaltung des Gesamtorganismus nötige Stoffe ans
Blut abgibt, hat ungefähr ein Jahrhundert vor ihrem Begründer
Brown-Sequard einen genialen Vorläufer in dem Vitalisten
T h 6 o p h i 1 e Borden gehabt, der genau dasselbe behauptete
und teils aus dem Uebersehuss, teils aus dem Mangel dieser Stoffe
die meisten Krankheiten (Kachexien) herleitete. Interessant ist
es, dass B ordeu die sekundären Geschlechtscharaktere aus der
Aufnahme „spermatischer“ Substanzen erklärte und sich auf die
Beobachtungen an kastrierten Tieren berief.
7. Herr Paul R i c h t e r - Berlin: Heber die bisher nicht
gedruckten Causae et curae Stae. Hildegardis.
Neben der bekannten, öfters gedruckten „Physica“ oder „über
simplicis medicinae“ soll die Aebtissin auf dem Rupertsberge bei
Bingen (1099 — 1180) noch einen „über compositae medicinae“ ver¬
fasst haben, der verschollen war, aber 1859 von dem Botaniker
Karl Jessen in der k. Bibliothek zu Kopenhagen handschrift¬
lich entdeckt wurde. Da er bei einer flüchtigen Durchsicht keine
deutschen Worte darin fand, zweifelte Jessen an der Echtheit
der Schrift. Der Berliner Gymnasiallehrer Dr. Paul Kaiser
hat aber, als er sich die Handschrift zu germanistischen Studien
kommen liess, zahlreiche deutsche Ausdrücke gefunden und da¬
rüber in einem Gymnasialprogramm 1901 berichtet. Das Werk
erscheint jetzt (auf Anregung des Vortragenden und Prof. Pagels)
bei B. G. Teubne r in einer von Kaiser besorgten und mit
zahlreichen Indices ausgestatteten Ausgabe als „Causae et curae
Stae. Hildegardis“, deren erste 3 Druckbogen vorgelegt werden.
Die Handschrift stammt aus dem „monasterium Sancti Maximi
prope Treverim siti“ und zeigt das „Ex libris“ des bekannten
Historikers der Freimaurerei „Georgius Ivloss. M. D. Francofurti
ad Moenuin“ (1787 — 1854).
Diskussion: Sudhoff.
8. Herr Karl Sudhoff - Hochdahl: Theophrast v. Hohen¬
heims Syphilisschriften.
Schon vor seiner Berufung nach Basel hat Hohenheim
Schriften verfasst, doch nichts über Syphilis. Auch in Basel finden
sich nur Erwähnungen nebenher, keine selbständige Abhandlung
über diese Krankheit, ln der „Bertheonea“, welche in die letzten
Baseler Monate zurückgeht, ist der in Aussicht genommene Ab¬
schnitt über den Morbus gallicus nicht zur Ausarbeitung gelangt;
ein kurzer Entwurf dazu scheint in dem kursorischen Traktat
„Chirurgiae über tertius de morbo gallico“ erhalten. Zum ersten
Male hat er in Kolmar seine Gesamtanschauungen über die viel¬
gestaltige „neue Krankheit“ in den 10 Büchern „von Blatern,
Lähme, Beulen, Löchern und Zittrachten der Franzosen“ darge¬
legt; aber da ihn die Hoffnung trog, dies Werk durch die Mit¬
wirkung eines einflussreichen Mannes in der Kolmarer Stadtver¬
waltung gedruckt zu sehen, hat er diese Ausarbeitung später gänz¬
lich ignoriert und systematisch das ganze Gebiet in einer Reihe
von Monographien zur Darstellung gebracht. Zunächst beschäf¬
tigte ihn die Guajackur, über welche sich schon eine kleine Nieder¬
schrift aus der Zeit des Wegganges aus Basel vorfindet, „De Xylo-
hebeno“ betitelt; eine populäre Guajacselirift gab er 1529 in Nürn¬
berg zum Druck, welcher er sofort eine polemische Darstellung
der gesamten wirren Syphilistlierapie jener Tage anschloss: „Von
der französischen Krankheit, drei Bücher“, die er auch „Von
Imposturen“ benennt und noch zu Ende November 1529 in Druck
gab. Zwei andere Syphilisschriften, die 8 Bücher „Von Ursprung
und Herkommen der Franzosen“ und der chirurgische Teil des
,. Spitalbuches“ sollten gleichfalls noch 1530 in Nürnberg er¬
scheinen, aber der Einspruch der Leipziger medizinischen Fakultät
vereitelte dies Vorhaben. Doch sind diese Schriften handschrift¬
lich überliefert und einige 30 Jahre später von seinem Schüler
Adam v. Boden stein veröffentlicht worden, der auch die
Kolmarer Schrift auffand und publizierte. Hohenheims
Syphilisschriftstellerei war damit zum Abschluss gekommen, we¬
nigstens vorläufig. Vielleicht hätte er die Lues im Amberger
„Büchlein vom Mercurio“ gestreift, wenn es zur Vollendung ge¬
kommen wäre. Jedenfalls kennen wir aus späteren Jahren von
Schriften Hohenheims über die Franzosenkrankheit nur noch
das 3. Buch der „grossen Wundarznei“, welches er 7 Jahre später im
Juni 1537 zu Mährisch-Kromau auszuarbeiten begann; doch bricht
das Ueberüeferte zu Beginn der Darlegungen über die Therapie
der Syphilis ab. — Alles in allem bietet dieses reiche Schriften-
material Hohenheims über die Weltkrankheit Syphilis eine
Tiefe der Erkenntnis vom Wesen dieser proteusartigen „Ge-
1899
sclilechtspest“ und eine Fülle des Selbst beobachteten, wie sie für
jene Zeit ganz einzig dasteht. (Schluss folgt.)
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung- vom 5. November 1902.
Herr A. Baginsky: Antistreptokokkenserum bei Schar¬
lach.
Herr II. Aronson hatte im Juli d. J. in der gleichen Ge¬
sellschaft über ein neues von ihm dargestelltes Antistreptokokken¬
serum berichtet, und zwar über die theoretische Seite dieser
Frage. Vortragender berichtet nun über die damit gemachten
klinischen Erfahrungen. Zunächst bespricht er die mit
einem f r ii h e r e n Serum A.s gemachten Beobachtungen, welche
durchaus unbefriedigend ausgefallen waren; namentlich 4 Fälle
wurden durch das Serum so ungünstig beeinflusst (Fieber, Exan¬
them, Gelenkschwellungen), dass er froh war, sie wieder aus
diesem Zustande der Serumwirkung heil herauszubekommen.
Wenn er durch diese Angaben gezeigt habe, dass er an das Stu¬
dium der Serumwirkung objektiv herangegangen sei, so dürfe er
auch für die folgenden Beobachtungen das Vertrauen in seine
kritische Betrachtung beanspruchen : nämlich ganz anders als
in der ersten Beobachtungsperiode und einer zweiten Uebergangs-
zeit lagen die Verhältnisse in der dritten Periode. Hier waren
in der Tat unleugbare günstige Wirkungen
des Aronson sehen Serums zu verzeichnen.
Zum Beweise dieser günstigen Wirkung zieht er weniger die
Mortalitätsziffer heran, denn diese zeige eine zu wenig ausgiebige
Herabsetzung (von 14 Proz. auf 11 Proz.) und hänge von zu vielen
F aktoren ab, sondern den klinischen Allgemein ei n-
druck. Zwar habe er bei den „gespritzten“ Kindern nicht
den Eindruck, wie ihn Escherich und Moser kürzlich von
der Wirkung ihres Serums schilderten, dass die Kinder sofort
das Bild der grossen Erleichterung darboten, wie man es auch
von dem Diphtherieserum her kenne; auch lege er nicht Gewicht
auf einen plötzlichen Temperaturabfall, wie genannte
Autoren, denn dieser komme, wie er an einigen Kurven zeigt,
auch ohne Serum zu stände; aber es findet bei den mit
A.s Serum behandelten Kindern konstant ein
allmählicher und gleichmä ssiger Tempera¬
tu r a b f a 1 1 statt, der nicht mehr unterbrochen
werde durch Fieberanstiege, ausgehend von
den bekannten Komplikationen; diese letz¬
teren bleiben bei den gespritzten Kindern aus.
Somit sei die Ansicht berechtigt, dass wir in dem neuen
Aronso n sehen Antistreptokokkenserum ein Mittel für die
Behandlung des Scharlachs haben, welches zu weiterer Prüfung
entschieden auffordere. Der grosse Unterschied zwischen dem
alten und neuen A. sehen Serum beruhe darin, dass es A. unter¬
dessen gelungen sei, ein 20 fach stärkeres Serum herzu¬
stellen und eine Methode zur Bestimmung seiner
Wertigkeit auszuarbeiten.
Diskussion: Herr Mentzer: Der Unterschied iu dem
Erfolge der Behandlung sei wohl so zu erklären, dass die 4 ersten
Fälle im Januar, die folgenden im Juli zur Aufnahme kamen; den
gleichen leichteren Verlauf in den Sommermonaten habe er auch
bei seinen Rheumatismuskranken beobachtet. — Er halte es für
falsch, die zur Serumgewinnung verwendeten Tiere mit tier¬
pathogenen Streptokokken zu behandeln; man müsse dazu men¬
schenpathogene Bakterien verwenden.
Das Aronson sehe Serum habe er in einem Falle von
Gelenkrheumatismus verwertet, ohne jeden Ex-folg.
Herr Aronson: In seinem im Juli gehaltenen Vortrage
habe er die technischen Details gegeben. Herr Baginsky habe
sich dann das Verdienst der klinischen Untersuchung seines Serums
erworben und den Nachweis erbracht, dass mit der höheren
Wertigkeit des Serums auch die Erfolge am Krankenbett
besser werden. Es gehe damit nicht anders, als mit dem Di¬
phtherieserum. Behring habe auch im Anfänge ein ausser¬
ordentlich schwaches Serum empfohlen, womit keine klinischen
Erfolge erzielt werden konnten. Erst mit dem G0 — 100 fachen
Serum sei dann der Erfolg eingetreten. So gehe es auch mit
seinem Streptokokkenserum; jetzt wisse man durch Baginskys
Beobachtungen ungefähr, wieviel Serum beim Kinde nötig sei,
und man könne daraus einen Schluss auf die beim Erwachsenen
nötige Menge ziehen. Er sei fortgesetzt bestrebt, ein noch höher¬
wertiges Serum zu gewinnen, und die Tierversuche geben zu be¬
rechtigten Hoffnungen Anlass.
Die Ansicht Mentzer s, dass man menschenpathogene
Streptokokken vor den tierpathogenen bevorzugen müsse, sei durch
1900
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
keine experimentelle Tatsache gestützt. Sein Serum wirke z. B.
auch agglutinierend auf Streptokokken, die direkt von Scharlach-
kranken gewonnen wurden; auch die Immunisierungsversuche be¬
weisen die Identität der Tier- und Menschenstreptokokken. —
Was den chronischen Gelenkrheumatismus anlangt, so habe er
sein Serum nie zu dessen Behandlung empfohlen. Das Moser-
sclie Serum habe er untersucht. Es sei ausser seinem eigenen das
einzige Streptokokkenserum, welches seinen Streptokokken gegen¬
über eine gewisse Wirksamkeit entfalte. Doch sei es nur etwa
Vio — V20 po stark, wie sein eigenes. Dies zeige die Wichtigkeit
genauer experimenteller Prüfung der Wertigkeit. Dass das
T a v e 1 sehe und M a r m o r e c k sehe völlig wirkungslos sei,
habe er schon früher erwähnt.
Die Reaktionen, welche Mentzer bei seinem Rheumatismus¬
serum beobachtet, halte er für toxische Wirkung. Herr M. solle
doch angeben, wie lange Zeit nach der Immunisierung das Serum
den Tieren entnommen sei.
Herr Mentzer: Dies sei 4 Wochen nachher geschehen,
also zur üblichen Zeit. Die Höhe der Dosis sei klinisch zu
bestimmen und nicht am Tiere.
Herr Baginsky: Seine ersten 4 Fälle seien durchaus nicht
schwerer gewesen, als die späteren, sondern es sei eben tatsäch¬
lich das Serum jetzt wirksamer. Er betont die grosse Wichtigkeit
der Dosierung; denn man müsse doch in jedem Falle wissen, wie¬
viel man einspritze. Dies sei mit dem Diphtherieserum ebenso
gewesen, welches erst durch die dementsprechenden Vorarbeiten
Ehrlich» verwendbar geworden sei.
Herr Rob. Müllerheim: Diagnostische und klinische
Bedeutung der kongenitalen Nierendystopie, speziell der
Beckenniere.
An der Hand sehr instruktiver Abbildungen gibt Vortragen¬
der einen Ueberblick über die Anatomie und Pathologie obiger
Affektion. Hans K o li n.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 4. Nove m ber 1902.
Vorsitzender : Herr Kümmell.
I. Demonstrationen:
1) Herr Deutschländer: a) Genu valgum duplex,
durch Osteotomie beseitigt. Hinweis auf die Wichtigkeit guter
Nachbehandlung zur Vermeidung einer Gelenkversteifung. Nach¬
dem der Gipsverband 8 Tage gelegen, schneidet D. keilförmige
Stücke in der Kniegelenksgegend aus und befestigt beiderseits
Scharnierschienen. Schon dann werden leichte Bewegungen ge¬
macht. Am 10. — 12. Tage lässt er die Operierten aufstehen und
anfangs an Krücken, dann an Stöcken gehen. Nach 6 AVochen
Abnahme des Gipsverbandes. Massage.
b) Kongenitaler Hochstand der Skapula. Ausser der auch
im Röntgenbild deutlichen Stellung des Schulterblatts lassen sich
an dem 14 jährigen Mädchen die Veränderung der Nackenschultei'-
linie, eine Skoliose der Halswirbelsäule und eine Schädelobliquität
nachweisen. Aetiologisch werden die verschiedenen Theorien:
intrauterine Belastungsdeformität, primäre Entwicklungsstörung
oder primäre Muskelerkrankung besprochen.
2) Herr Ruder demonstriert eine Frau, bei der er 1891 und
1902 wegen geplatzter Tubargravidität laparotomiert hat, und
demonstriert die zugehörigen Präparate. Beide Male traten 2 Tage
nach der mit Kollaps und allen Zeichen einer inneren Blutung
einhergehenden Ruptur in der 0. bezw. 12. Schwangerschaft¬
woche hohe Temperatursteigerungen auf, die die Indikation für
aktives chirurgisches Vorgehen abgaben.
3) Herr H 0 e n c k gibt die Krankengeschichte einer ausge¬
tragenen Extrauteringravidität: Entwicklung des 56 cm langen
Kindes durch Laparotomie, nach Ausstossung der Dezidua. Ent¬
fernung der Plazenta durch eine zweite Laparotomie 6 Wochen
später, da der der Bauchwand fest adhärente Fruchtsack zu
jauchen begann.
4) Herr Wiesinger stellt einen geheilten Fall von Osteo¬
myelitis acuta des Bogens des III. und IV. Brustwirbels mit
osteomyelitischem Abszess im Wirbelkanal vor, welcher bei einem
2-1 jährigen Dienstmädchen operiert und geheilt wurde. Die mehr¬
fach vorgenommenen Blutuntersuchungen ergaben, allmählich
abnehmend, bis zu 435 Kolonien Staphylokokken in 20 ccm
Blut. Erst etwa vom 14. Tage nach Beginn der Krankheit
blieben die Blutuntersuchungen steril. Auch aus dem Urin Messen
sich Staphylokokken in Reinkultur gewinnen, und zwar noch
ly2 Monate nach der Operation. 3 mal wurden Einspritzungen
eines Serums ä 10 ccm. das von einem Fall von Staphylokokken¬
phlegmone ohne positiven Blutbefund gewonnen wurde, gemacht.
Auf jede Injektion reagierte die Kranke mit starkem Scliweiss
und vorübergehendem Temperaturabfall. Die Rekonvaleszenz ver¬
zögerte sich durch pulmonale Inültrationserscheinungen, welche
8 Monate fieberhafte Zustände unterhielten, ohne dass es zu
Abszessbildung kam.
5) Herr Hasebroek: a) Fall von Torticollis spastica:
Durch Anlegung eines Heftpfiasterzügelverbandes geheilt.
b) Atrophie des Musculus deltoideus einer Seite im Anschluss
an eine vor 5 Jahren erlittene Klavikularfraktur. Trotzdem ist
der Patient — ein Erdarbeiter — vollkommen arbeitsfähig und
im stände, beide Arme in gleicher W e i s e zu heben. Es
gelingt dies durch das vikariierende Eintreten der
übrigen Schulte. rmuskel n. Das Heben besorgt zu¬
nächst der vikariierend hypertrophierte Supraskapularis, dann der
Trizeps. Dann dreht Pat. den Arm, und Bizeps und Coracobracliialis
besorgen die Hebung oberhalb der Horizontalen.
c) Defekt der schrägen Bauchmuskeln bei einem Manne.
0) Herr Mond: a) Sektionspräparat eines karzinomatösen
Uterus mit Blasen-, Ureter- und Ovarialkarzinose und einer Huf¬
eisenniere.
b) 148 cm lange Nabelschnur, die 5 mal um den Hals ge¬
schlungen war. Das aspliyktisch geborene Kind konnte wieder¬
belebt werden.
7) Herr Moltrecht demonstriert einen Tumor des linken
Vorhofes. Der taubeneigrosse Tumor hatte eine gleiclimässig
gallertige Beschaffenheit, entsprang subendokardial, bestand aus
Bindegewebe. Tod durch Verschluss beider Art. coronariae.
II. Vortra g des Herrn Staude: Zur erweiterten vagi¬
nalen Totalexstirpation des karzinomatösen Uterus.
Erschien in Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie,
Heft 6. Dem Referat in dieser AVochenschr. No. 44, pag. 1847
sind folgende Daten hinzuzufügen.
Von 90 seit 1894 in Behandlung gekommenen Karzinomen
sind 4 Korpus- und 47 Kollumkarzinome operiert. Von ersteren
sind 2 nach 3 Jahren rezidivfrei, eines ist verschollen, eines
zeigte nach 14 Jahr ein Rezidiv in der Scheide. Exstirpation
der Scheide durch Paquelin. 1 Jahr später Exitus an inneren
Metastasen. Von den 47 Zervixkarzinomen waren drei leicht zu
operieren. Alle übrigen waren für gewöhnliche Totalexstirpation
inoperabel. 19 waren mittelschwer (Uterus bis zur Mitte der
Vagina herabzuziehen, die infiltrierten Parametrien noch von der
Beckenwand abgrenzbar). Von ihnen starben 2; 7 hatten Re¬
zidive. Von 25 schwer operablen (Uterus unbeweglich) starben
7. bei 11 Rezidive. Bei den Vaginalschnitten besteht die Gefahr
der Impf rezidive. Zufällige Nebenverletzungen sah Vortragender
3 mal (2 mal Blase, 1 mal Ureter).
Auf Grund von 4 Sektionen, bei denen 3 mal die Becken-
lymphdrüsen frei gefunden wurden, äussert Vortragender sich
sehr skeptisch über die Entfernung der Drüsen. Diese werden
nicht immer der Reihe nach, sondern oft sprungweise, bisweilen
gar nicht infiziert. Sie vollkommen zu beseitigen, ist technisch
ungeheuer schwierig. Die Basis der Parametrien und der zu¬
gehörige Lymphapparat werden durch die modifizierte S c hu¬
ch a r d t sehe Methode ausgezeichnet zugänglich. Sie kon¬
kurriert. daher nicht nur mit den abdominalen Methoden, son¬
dern ist ihnen vorzuziehen. Werner.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. September 1902.
Vorsitzender : Herr Goldschmidt.
Herr F. Giulini spricht über Paraffininjektionen bei
Sattelnase.
Herr H. Koch berichtet über einen Fall von Erysipel an
den Beinen, in dessen Verlauf ein septisches Exanthem an den
Streckseiten der Arme auftrat.
Herr W. Beckh berichtet über einen schweren Fall tertiärer
Syphilis, der durch Injektionen von Jodoformäther günstig beein¬
flusst wurde.
Sitzung v o m 2. Oktober 1902.
Vorsitzender: Herr Carl Koch.
Herr Reitzenstein spricht über einen Fall von Throm¬
bose der Pfortader und ihrer Wurzeln. (Der Vortrag erscheint
in dieser Wochenschrift.)
Herr v. R a d berichtet über einen Fall von Hemianaesthesia
alternans. (Der Vortrag erscheint in dieser Wochenschrift.)
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Epilog- zur internationalen Tuberkulosekonferenz. — Die
neuen Arbeiterheilstätten in Beelitz. — Eine neue Poliklinik
für innere Krankheiten.
Die internationale Tuberkulosekonferenz ist beendet, ihre
Teilnehmer haben sich nach allen Richtungen der Windrose zer¬
streut, und die Feste, die ja nun einmal einen integrierenden
Bestandteil aller Kongresse bilden, sind verrauscht. Da fragt
nun manch nüchterner Sinn: Welchen Vorteil hat er der Wissen-
11. November 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Schaft und der Gesamtheit gebracht? Gab es etwas Bleibendes
in der Erscheinungen Flucht? Lässt man die Verhandlungen
noch einmal vor seinem geistigen Auge hinziehen, so muss man
sich, ein wenig unbefriedigt, eingestehen, das jeder Arzt und
jedei andere Sachkundige Mühe haben wird, aus der grossen
Menge der dargebotenen Schätze an Wissen und Erfahrung
einige noch unbekannte Perlen der Weisheit herauszufinden.
Neues ist wenig geboten, schwebende Streitfragen sind nicht ge¬
klärt und auch der Lösung nicht näher gebracht worden. Das
Interesse der ganzen Versammlung war aufs höchste gespannt, als
die Erörterung über die Beziehungen zwischen Menschen- und
Tiertuberkulose begann, zumal da man wusste, dass Koch in
die Diskussion eingreif en würde; aber wer dieser Diskussion mit
grossen Erwartungen entgegengesehen hat, der hat eine Ent¬
täuschung erlebt. Die Frage ist weder in ihrer wissenschaft¬
lichen, noch in ihrer praktischen Bedeutung auch nur um einen
Schritt gefördert worden. Es ist auch gar nicht möglich, selbst
in unserer schnellebigen, mit nervöser Hast arbeitenden Zeit, im
Laufe weniger Monate durch neue Forschungen bedeutsame
1 ragen spruchreif zu machen, deren Lösung die mühsame, emsige
Arbeit vieler Forscher durch viele Jahre hindurch verlangt. Und
doch haben diejenigen Unrecht, welche, entmutigt durch das
Missverhältnis zwischen dem sichtbaren Erfolg und dem Auf¬
wand an Kraft und Zeit, solche Kongresse für überflüssig halten.
Man darf nur ihre Bedeutung nicht an der Oberfläche suchen;
untersucht man das Drum und Dran, so ergibt sich doch manch
wertvoller Gewinn. Sicherlich ist es von grossem Interesse, was
die hervorragenden Vertreter des Faches, die von weit und breit
hier zusammenkamen, über die einschlägigen Verhältnisse ihrer
Heimat einander zu erzählen wussten; aber nicht bloss das, was
sie in wohlvorbereiteter Rede im grossen Sitzungssaal coram
publico berichteten — das hätte auch in gedruckter Form seinen
Zweck erfüllt — , sondern das, was sie im engeren Kreise in Frage
und Antwort, Rede und Gegenrede besprachen. Von noch
grösserem Interesse als das, was sie hörten, ist für viele, besonders
für die Auswärtigen, das, was sie sahen. Wenn es weltbekannt
ist, dass Deutschland die besten und mustergiltigsten Einrich¬
tungen bezüglich der Bekämpfung der Tuberkulose besitzt, so
können wir nur wünschen, dass sie recht vielen bekannt werden
und zur Nachahmung dienen können. Was wir unseren Gästen
z. B. im Kochschen Institut und in den Heilstätten zeigen
konnten, ist sicherlich für viele neu und wissenswert gewesen.
Und sollte dabei als Nebenwirkung unversehens ein neues Lor¬
beerblatt in den Ruhmeskranz deutscher Wissenschaft geflochten
werden, so soll man uns den Stolz auf das Ansehen, das die
deutsche Wissenschaft im Auslande geniesst, gönnen. Einen ganz
hervorragenden Eindruck hat, wie man aus den veröffentlichten
kurzen Berichten entnehmen muss, im Anschluss an die dies¬
jährige Konferenz ein kleiner Kreis der Teilnehmer von der Be¬
sichtigung des Behring sehen Instituts in Marburg gewonnen.
Scheint es doch, als wenn die Werkstätte, in die sie dort einen
Blick werfen durften, der Ausgangspunkt neuer bahnbrechender
Entdeckungen auf dem Gebiet der experimentellen Therapie zu
werden bestimmt ist; und ohne Zweifel wird für viele das, was
sie dort gesehen und gehört haben, die Anregung zu eigenem
fruchtbaren Schaffen geben. Aber noch ein Punkt darf bei der
Beurtheilung der Tuberkulosekongresse und -Konferenzen nicht
übersehen werden: Sie sind gar nicht ausschliesslich und nicht
einmal in erster Reihe für die wissenschaftliche Welt bestimmt
diese würde, wenn auch mit etwas mehr Mühe, das Wissens¬
werte schon von selbst zu finden wissen — , sie sind für das grosse
Publikum bestimmt, d. h. nicht für Gevatter Schneider und
Handschuhmacher, sondern für die grosse Menge der gebildeten
und intelligenten Laien, für die Behörden, die Verwaltungs¬
beamten, kurz für alle, die zur Mitarbeit an der Bekämpfung
der Volksseuche herangezogen werden sollen. Diesen darf man
natürlich nicht mit hoher Wissenschaft kommen, sondern man
will ihnen zeigen, was auf dem eingeschlagenen Wege geleistet
ist, und welche Aufgaben noch weiter zu erfüllen sind. Die
wissenschaftliche Forschung allein besiegt noch nicht eine
Seuche, dazu bedarf es noch der Umsetzung ihrer Ergebnisse in
die Praxis, und hierzu wiederum bedarf es der Mitarbeit grosser
und einflussreicher Körperschaften.
In grossartiger Weise haben sich diesen Gedanken die
Landesversicherungsanstalten zu eigen gemacht, indem sie
1901
die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel dazu benutzten, das
ganze Land mit einem Netz von Heilanstalten zu überziehen und
so ein mächtiges Mittel zur Hebung der Volksgesundheit schufen.
Eine der grössten Einrichtungen dieser Art sind die vor kurzem
fertig gestellten Arbeiterheilstätten bei Beelitz, die sich eines
Besuches wohl lohnen. Eine Bahnstunde von Berlin entfernt
liegt das 140 Hektar grosse Gelände inmitten ausgedehnter
Kieferwaldungen; es wird durch eine Chaussee und durch ein
Bahngeleise in 4 Teile zerschnitten, so dass eine völlige räum¬
liche Trennung der Geschlechter einerseits und der Tuberku¬
lösen von den anderen Kranken andererseits durch die natür¬
liche Lage des Terrains gegeben ist. Die Chaussee trennt die
weiblichen Kranken von den männlichen, der Bahnkörper die
Tuberkulösen von den anderen. Lungenheilstätten und Sana¬
torien stehen unter getrennter ärztlicher Leitung ; in den letzteren
finden alle Arten von Kranken, mit Ausnahme der Phthisiker,
wie Magen-, Nervenleidende, Rheumatiker etc. Aufnahme, jedoch
immer von dem Gesichtspunkte aus, dass die Kur die Wieder¬
herstellung der Arbeitsfähigkeit znm Zweck hat. Alle Anstalten
zusammen sind jetzt für 600 Betten eingerichtet, doch sind die
Zentralanlagen für Heizung, Beleuchtung, Küche, Verwaltung etc.
so angelegt, dass die Belegziffer später ohne Erweiterungsbauten
auf das Doppelte erhöht werden kann. Riesenhafte Dimensionen
hat das Fernheizwerk, von dem aus der Dampf für Heiz- und
andere Zwecke den einzelnen Gebäuden der ganzen Anstalt
mittels unterirdischer Röhren zugeführt wird, und welches zur
Zeit die grösste Fernheizanlage der Welt darstellt. Sanatorien
und Lungenheilstätten haben je ein Kochküchen- und Wasch¬
küchengebäude. Gekocht wird mit Dampf allein oder mit
Dampf- und Wasserbad; die Kochkessel sind doppelwandig, die
Innenwand aus Reinnickel, der Inhalt variiert ; als Beispiel sei
angeführt, dass der Kaffeekessel auf 250 Liter, der Kartoffel- und
Suppenkessel auf je 500 Liter, der Fleisch- und Gemüsekessel
auf je 400 Liter berechnet ist. Höchst sauber und reinlich sind
die Schlaf- und Baderäume eingerichtet; die Schlafräume ent¬
halten 2 — 5 Betten, die notwendigen Spinde, Nachttische und
Stühle, aber keine Waschgelegenheit, zum Waschen sind be¬
sondere Räume enthalten, in denen sich auch besondere Einrich¬
tungen zum Mundspülen befinden; die Insassen sollen möglichst
zur Sauberkeit und zu sorgfältiger Mundpflege erzogen werden,
besondere Räume mit glasierter Wandbekleidung dienen zur
Reinigung der Kleidung. Jede der Anstalten besitzt einen
grossen Speisesaal, Gesellschaftsräume, Lese- und Spielzimmer.
Ein grosses Gebäude ist zur Aufnahme eines medico-mecha-
nischen Institutes, medizinischer Bäder etc. bestimmt; dass fin¬
den Operationsaal, die Untersuchungszimmer, Röntgenkabinet,
die Desinfektionsräume, ferner für die Anlage der Liegehallen
und Wandelgänge alle neueren Errungenschaften der Wissen¬
schaft und Technik ausgenutzt sind, bedarf kaum der Erwäh¬
nung. Bei der ganzen Einrichtung sollte jeder Luxus ver¬
mieden, dabei aber der Grundsatz gewahrt werden, dass das
Teuerste sich schliesslich als das Billigste erweist ; so konnte der
Eindruck der Eleganz und des Luxus, wie er grösser kaum in
den teuersten Privatanstalten angetroffen wird, nicht überall ver¬
mieden werden; und hin und wieder fragt man sich: wie soll der
aus der Anstalt entlassene Arbeiter sich später auch nur an¬
nähernd ähnliche Einrichtungen zugänglich machen? Indessen
es ist erzieherisch und hygienisch schon viel erreicht, wenn er
später das dort gewonnene Bedürfnis nach Licht, Luft und
Sauberkeit innerhalb des ihm dann gegebenen Rahmens zu be¬
friedigen sich bemüht. Eine richtige Verschwendung ist in der
Anstalt nur mit Licht und Luft getrieben; Fluthen von Licht
strömen durch die hohen, breiten Fenster in die Zimmer hinein
und erfüllen die breiten Korridore und Treppenhäuser. Das
ganze ist in höchstem Masse geeignet, die segensreichen Wir¬
kungen der sozialen Gesetzgebung zu illustrieren und die Auf¬
gabe zu zeigen, welche eine weitsichtige Verwaltung der Ver¬
sicherungsanstalt sich gesetzt hat.
Unbestimmte Gerüchte von der Errichtung einer neuen Poli¬
klinik in der Charite für Herrn Sohweninger durch¬
schwirren seit einiger Zeit die Luft und fangen, obwohl anfangs
für unwahrscheinlich gehalten, jetzt doch an, festere Gestalt zu
gewinnen. Jedenfalls sind sie von keiner Seite dementiert
worden, und was wäre bei der an manchen einflussreichen Stellen
für universell geltenden Begabung Schweningers auch un-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1902
wahrscheinlich! Die Wahl des Faches ist diesmal nicht wieder
auf die Hautkrankheiten, sondern auf die innere Medizin ge¬
fallen. Ein besonderes Bedürfnis ist gerade für ein solches In¬
stitut bisher nicht zu Tage getreten, denn wir besitzen bereits
drei Universitäts-Polikliniken für innere Krankheiten; es ist
auch schwer einzusehen, wie diese vierte ihren Aufgaben gerecht
werden soll, da doch ihr Leiter mit der Direktion eines grossen
Krankenhauses, zwei wichtigen Lehraufträgen und einer aus¬
gedehnten Privatpraxis vollauf in Anspruch genommen ist.
Wenn trotzdem die Nachrichten, die durch alle Zeitungen gehen,
sich bestätigen sollten, so ist eben wieder einmal nicht einem
didaktischen Bedürfnis zufolge, sondern einem vorhandenen Pro¬
fessor zuliebe ein ihm genehmes Lehrinstitut geschaffen worden.
II. K.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Wien, 8. November 1902.
Einberufung1 einer allgemeinen Aerzteversammlung. —
Die Behörden für die Krankenkassen, gegen die Aerzte. —
Eine Millionenspende. — Multiple Darmstrikturen. — Eine
neue einfache Dosierungsmethode in der Röntgenotherapie.
Ende November 1. J. wird in Wien abermals eine von der
Aerztekammer einberufene allgemeine Aerzteversammlung ab¬
gehalten werden. Die Tagesordnung enthält einen einzigen
Punkt: Stellungsnahme zum Hilfskassengesetze.
Das Gesetz, welches registrierte Hilfskassen schafft, datiert
vom April 1891 und sollte eigentlich bloss für Arbeiter kreiert
werden; in seiner schliesslichen Fassung und Geltung gestaltete
es sich aber derart, dass auch wirtschaftlich starke Gesellschafts¬
klassen (Beamte, Geschäftsleute etc.) an dessen Wohltaten parti¬
zipieren konnten. So kam es, dass auf Basis dieses Gesetzes fort¬
während neue Hilfskassen gegründet wurden, dass sich die
Meisterkrankenkassen, gegen welche die Aerzte jahrelang einen
erbitterten Kampf führten, in solche Hilfskassen umwandelten,
und dass damit immer grössere Schichten zahlungsfähiger Klien¬
tel den praktischen Aerzten entzogen wurden. Dem Wortlaute
des Gesetzes zufolge können sogar die Angehörigen der Mit¬
glieder einer Hilfskasse die ärztliche Behandlung, Arzneien und
andere Heilmittel zugesichert erhalten. Die Aerzteschaft, welche
vor 11 Jahren die ihr von diesem Gesetze her drohende Gefahr
ihrer vollen Grösse nach nicht zu würdigen wusste, wird jetzt den
Ruf nach Abhilfe erheben. Das Hilfskassengesetz muss abge¬
ändert werden, es darf bei diesen Kassen keine pauschalierte
Aerzteposten geben, die ärztliche Behandlung muss als eine freie
erklärt, die Versicherung der Mitglieder auf Zusicherung eines
Krankengeldes restringiert werden.
Den direkten Anlass zur Einberufung einer allgemeinen
Aerzteversammlung mag überdies ein jüngst an die Wiener
Aerztekammer herabgelangter Erlass der niederösterreichischen
Statthalterei gegeben haben. Zu Anfang dieses Jahres hatte die
Aerztekammer den Beschluss gefasst, dass sie die Annahme einer
ärztlichen Stelle bei der in Gründung begriffenen Krankenkasse
der Wiener Bankbeamten, sowie bei allen neu zu gründenden
Hilfskassen, welche ihren Mitgliedern unentgeltliche ärztliche
Hilfe beistellen, für standeswidrig erkläre. Die Statt¬
halterei kann nun, wie sie jetzt eröffnet, die Anschauung der
Kammer, dass die Annahme einer solchen Stelle gegen die Würde
und das Ansehen des ärztlichen Standes verstosse, nicht teilen,
ja, sie droht: ein Disziplinarerkenntnis des Ehrenrates gegen ein
Kammermitglied wegen eines solchen Verhaltens müsste im Falle
der Berufung des betreffenden Mitgliedes seitens der Statthalterei
— von etwaigen besonderen Umständen abgesehen — ausser
Kraft gesetzt werden. Bisher war es noch nicht der
Fall; wenn sich aber nunmehr unter den Aerzten Wiens künf¬
tighin auch solche finden werden, welche eine fixierte Stelle bei
einer Hilfskasse annehmen, müsste es die Aerztekammer Wiens
ruhig ertragen? Schon hört man hier und da den Vorschlag,
dass solche Aerzte „gesellschaftlich boykottiert“ werden müssten.
Ist das alles? Gewiss nicht! Eine Boykottierung wäre das letzte
Mittel eines ärztlichen V ereines, doch nicht der auf Grund
eines Gesetzes installierten Aerztekammer. Das Verlangen
der Aerzte Wiens gellt dahin, dass die Aerztekammer einen
solchen Schädling des Standes vorkommenden Falles unnack¬
sichtlich ehrenrätlich behandle, dass sie die Ausserkraft Setzung
ihres Erkenntnisses abwarte und sodann — sofort ihre Mandate
niederlege. Mag die Regierung dann das Weitere vorkehren!
Warten wir übrigens getrost das Resultat der nächsten allge¬
meinen Aerzteversammlung in Wien ab.
Baron Nathaniel Rothschild hajt der Wiener Poliklinik
eine Million Kronen geschenkt. Er schreibt : „Ich widme diesen
Betrag Ihrem so wohltätigen Institute mit der Bestimmung, dass
die Zinsen in erster Linie zum Zwecke unentgeltlicher Verab¬
reichung von Medikamenten an ambulante Leidende, in zweiter
Linie zur unentgeltlichen Aufnahme und Verpflegung solcher
Kranken im Spitale verwendet werden, für welche keine ander¬
weitige Deckung der Verpflegungsgebühren vorhanden ist.“ Diese
hochherzige Spende ermöglicht es den Aerzten der Poliklinik,
ihren Wirkungskreis zu erweitern, was höchst erfreulich ist, man
sehe nur darauf, dass das den Armen gewidmete Geld auch
ausschliesslich diesen zu gute komme.
Unsere ärztlichen Gesellschaften haben ihre wissenschaft¬
liche Tätigkeit wieder auf genommen. Da eine detaillierte Be¬
richterstattung über alle Vorkommnisse an dieser Stelle un¬
zulässig ist, so wollen wir — wie in den Vorjahren nur da
rüber berichten, was uns wissenschaftlich interessant resp. in
praktischer Hinsicht wichtig erscheint. In der Gesellschaft der
Aerzte hielt Professor A. Weichselbaum, in der Gesell¬
schaft für innere Medizin Professor N othnagel die Gedenk¬
rede auf weil. Rudolf Virchow.
In letztgenannter Gesellschaft demonstrierte Primaiius
Dr. Lotheisen einen mit Erfolg operierten Fall von zwölf¬
facher tuberkulöser Darmstenose. Durch Enteroanastomose
wurden über zwei Meter Darm (unteres Ueum) ausgeschaltet.
Dozent Dr. Schlesinger zeigte sodann das anatomische
Präparat einer erheblichen dreifachen tuberkulösen Darmstriktur
mit polypöser Wucherung der Schleimhaut und enormer Dila¬
tation des Darmes über jeder der strikturierten Stellen. Die
stärkste Striktur okkupierte die Gegend der Bauhin sehen
Klappe, je eine sass in der Flexura hepatica und im Ueum. Auch
in diesem Falle wurde an der chirurgischen Abteilung Loth-
eisens die Enteroanastomose ausgeführt, der Patient starb je¬
doch nach einigen Tagen. Schlesinger hat in diesem, wie
im ersterwähnten Falle und in zwei anderen Fällen die Diagnose
auf „multiple Strikturen“ ante operationem sicher ge¬
stellt.’ Da bisher ausser bei multiplen Tumoren die Diagnose
noch nicht auf Grund bestimmter Lokalsymptome gestellt resp.
publiziert worden ist, betont Vortragender, dass bisweilen die
(prognostisch wichtige) Diagnose möglich ist. Sie hat zu be¬
rücksichtigen : 1. Die Anamnese und den übrigen Körperbefund.
Jahrelange Dauer der Beschwerden bei Vorhandensein ander
weitiger tuberkulöser Prozesse des Körpers spricht hei Konsta¬
tierung von Stenosensymptomen seitens des Darmes für multiple
Strikturen, da diese Form der Darmtuberkulose sehr oft multipel
ist. 2. Den Lokalbefund: Das Auftreten von tetanischer Kon¬
traktion von Darmschlingen („Darmsteifung“ Nothnagels)
gleichzeitig an verschiedenen Stellen des Abdomens und Zu¬
sammenfallen der Schlingen unter hörbarem Darmgurren. Das
Phänomen muss zu wiederlioltenmalen sich in gleicher Weise und
an denselben Stellen des Abdomens abspielen. Auch spricht ver¬
schiedene Grösse der sich steifenden Darmschlingen für die
Multi ciplität der Stenosen. Multiple Stenosen können schliess¬
lich bei bestehenden Diarrhöen symptomlos bleiben; eine kurz
währende Obstipation kann dann plötzlich die schwersten Attaken
hervorrufen.
Auch Dozent Dr. Julius Schnitzler hat, wie er an¬
schliessend mitteilt, 4—5 derartige Darmstenosen operiert, eben¬
falls bloss Enteroanastomose gemacht und in allen Fällen Hei¬
lung erzielt. Ein operierter Fall kam nach Monaten moribund
wieder und die Nekroskopie zeigte, dass ein tiefgreifendes Ulcus
im ausgeschälten Darmstücke perforiert war. Dieser
Befund würde also zu gunsten der Resektion sprechen, wenn eine
solche in Anbetracht des Kräftezustandes des Kranken noch
ausführbar ist. In einem Falle Schnitzlers war keine Darm¬
steifung zu konstatieren, wiewohl sich der Darm von drei vorhan¬
denen Stenosen als in seiner Wand verdickt, aber nicht als dilaticrt
erwies. Endlich betont Schnitzler noch das auch von
Lotheisen hervorgehobene Moment, dass die Koliken auch
nach gelungener Operation lange Zeit andauern, weil der liyper-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1903
31. November 1902.
trophische Darm bei seiner Funktion Schmerzen hervorruft- es
dauert oft wochenlang, bis die Hypertrophie und die Dilatation
zurückgehen.
In der Gesellschaft der Aerzte besprach Dr. G. H o l z -
k n e o h t eine neue einfache Dosierungsmethode der Röntgeno¬
therapie. Der Vortragende beschrieb diese Methode (nach dem
offiziellen Protokolle) mit folgenden Worten: „Ich fand eine
Reihe von Salzen, welche sich im Röntgenlicht m zunehmender
Sättigung färben und deren Färbungstiefe abhängt von der ab¬
sorbierten Röntgenlichtmenge, für die sie also auch ein Mass¬
stab ist. Das Zweckmässigste dieser Salze habe ich mit einem
durchsichtigen Mittel emulgieren und in Form kleiner Reagens¬
körper bringen lassen. Zur Ablesung des erreichten Färbungs¬
grades habe ich eine Normalskala fixer Färbungen anfertigen
lassen. Als Einheit der Röntgenlichtmenge (II) ist eine Menge
gewählt, deren Dreifaches genügt, auf der Haut des Gesichtes
eine leichte Reaktion hervorzubringen. Man legt nun den
Reagenskörper auf das die gesunde Umgebung des zu bestrahlen¬
den Herdes bedeckende Bleiblech und bestrahlt so lange, bis nach
mehrmaligem Nachsehen der Reagenskörper die gewünschte
Röntgenlichtmenge anzeigt. Eine Tabelle gibt meine bisherigen
% jährigen Resultate darüber, welche Röntgenlichtmengen nötig
sind, um an verschiedenen Körperstellen, in verschiedenen Alters¬
stufen auf normale und entzündete Haut Reaktionen vom 1. bis
3. Grad zu erzeugen, und enthält den Vorschlag einer Maximal¬
dosis. Es ist nun für die Richtigkeit der Dosierung gleichgiltig,
ob mit gutem oder schlechtem Instrumentar, mit viel oder wenig
Geschick gearbeitet wird. Diese Momente haben nur Einfluss
auf die Schnelligkeit, mit der die gewünschte Dosis erreicht wird.
Der Ungeschickte wird auch fernerhin ein Dutzend Sitzungen
brauchen, wenn der andere die volle Dosis in 5 Minuten erreicht
hat. Leichte Erlernbarkeit und Ausführbarkeit, die Möglichkeit
expediativer Applikation, die Unmöglichkeit der Ueberdosierung
empfehlen die Methode.“ — An den Vortrag schloss sich eine
lebhafte Diskussion.
Verschiedenes.
Kalender pro 1903.
Aerztlicher Taschenkalender 1903. Heraus¬
gegeben vom Verband der Aerzte Deutschlands zur
Wahrung seiner wirtschaftlichen Interessen. Leipzig, Kom¬
missionsverlag von Otto Rege 1, Preis 2 M.
Man mag über den Leipziger Verband denken wie man will,
das eine muss auch der unentwegteste Pessimist zugeben, dass
die Vorstandschaft des Verbandes eine Rührigkeit entfaltet, die
alle Anerkennung verdient. Neben mehreren Agitationsschriften
hat der Vorstand schon vor einiger Zeit eine „Oekonomische
Arznelverordnuug“ herausgegeben, und heute liegt der oben¬
genannte Kalender vor, der eine vollständige Neuerung auf dem
Gebiete der medizinischen Kalender darstellt. Neben dem
üblichen, in 4 Hefte eingeteilten und in einer bequemen Mappe
untergebrachten Tageskalender bietet er in einem besonderen Heft
eine Reihe von Abhandlungen, die grösstenteils in das Gebiet der
sozialen Medizin fallen. Wir finden übersichtlich zusammen¬
gestellt alle für die Ausübung der Heilkunde wichtigen Gesetzes¬
paragraphen, ferner die Hauptbestimmungen des Kranken-, Un¬
fall- und Invalidenversicherungsgesetzes, wir erhalten wertvolle
Anleitungen für die Ausstellung von Zeugnissen, für das Ein¬
gehen von Versicherungen u. dergl. Einen ganz ausgezeichneten
Abschnitt stellt die kurze, aber um so inhaltreichere Abhandlung
„Winke für die Praxis“ dar. Es ist dem Ref. bekannt, dass in
verschiedenen Vereinen schon die Herausgabe eines Werkchens
geplant ist, das den jungen Aerzten bei dem Eintritt in die Praxis
übergeben werden sollte. Hier haben wir ein solches Werk in aller
Kürze, das mit Leichtigkeit weiter ausgearbeitet werden kann.
Dasselbe verdiente jedem approbierten Arzte nach dem Staats¬
examen übergeben zu werden.
Der Kalender sei allen Kollegen aufs wärmste empfohlen.
Bei dem niedrigen Preise von 2 M. scheint ihm eine weite Ver¬
breitung sicher. K r e c k e.
Therapeutische Notizen.
Als trockene Malzextrakte stellt Dr. Brunnen¬
gräber- Rostock Malzpräparate dar, die vor den flüssigen Ex¬
trakten den grossen Vorzug der unbegrenzten Haltbarkeit und
grössten Sauberkeit haben. Das trockene Malzextrakt an sich ist
ein konzentriertes Nährmittel, es enthält ca. 93 Proz. Kohlehydrate
in löslicher Form und ca. 5 Proz. leicht verdauliches Eiweiss, ein
Tlieelöffel voll enthält demnach ca. 16 Kalorien leicht nutzbaren
Nährmateriales, ein Esslöffel etwa 60 Kalorien. Ausser dem reinen
trockenen Malzextrakt werden auch Malzextrakte mit Eisen,
Chinin und Eisen, phosphorsaurem und milchphosphorsaurem
Kalk, Pepton und Pepsin hergestellt, ferner auch ein solches mit
2 proz. H ä m o 1, dessen Wirkung durch das leicht verdauliche und
•durch seinen Diastasegehalt die Verdauung unterstützende Nähr¬
präparat wesentlich gefördert wird. Audi ein Präparat mit 50
und 25 proz. Lebertrangehalt wird neuerdings hergestellt. (Deutsch.
Aerzte-Zeitung 1902, Heft 19.) R. S.
•- |i
Gegen Naclitscliweisse der Phthisiker bewährte
sich in der II. med. Klinik zu Ofen-Pest das Guacamphol. Das¬
selbe übertrifft in der Sicherheit der Wirkung wie in der voll¬
kommenen Unschädlichkeit alle übrigen Mittel dieser Art, die Wir¬
kung kommt schon nach der ersten Gabe zu stände und besteht in
der Mehrzahl der Fälle nach 5— 10 tägigem Gebrauch und nach
Aussetzen des Mittels noch 2 — 3 Wochen hindurch. Sicherer Effekt
ist schon mit 0,2— 0,3 (Abends in Pulverform gegeben) zu erreichen,
(loch kann die Dosis, wenn nötig, bis zu 0,5 — 1,5 gesteigert werden.
Der Preis des Mittels ist nicht hoch. (v. Ketly: Klinische Er¬
fahrungen über Guacamphol. Die Heilkunde 1902, No. 10.) R. S.
Tagesgeschiclitliche iNotizen.
München, 11. November 1902.
— Eine Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 22. Oktober
1. J . erlässt neue Bestimmungen betr. die Einrichtung und
den Betrieb der Rosshaar Spinner eien, Haar-
und Bo rstenzuric fiter eien, sowie der Bürsten-
u n d Pinselmachereien. Hiernach müssen alle in sol¬
chen Anlagen zur Verarbeitung kommenden, aus dem Auslande
stammenden Pferde-, Rinder- und Ziegenhaare, Schweinsborsten
und Schweinswolle vorschriftsmässig desinfiziert sein. Die Des¬
infektion muss nach Wahl des Betriebsunternehmers geschehen,
entweder: 1. durch mindestens y2 stündige Einwirkung strömen¬
den Wasserdampfes unter einem" Ueberdrucke von 0,15 Atmo¬
sphären, oder 2. durch mindestens y4 ständiges Kochen in 2 proz.
Kaliumpermanganatlösung mit nachfolgendem Bleichen mittels
3 bis 4 proz. scliwefeliger Säure, oder 3. durch mindestens 2 stän¬
diges Kochen in Wasser. Ausnahmen können zugestanden werden
für solche Materialien, welche durch die Desinfektion erheblich
beschädigt würden und für solche, welche bereits im Auslande
eine Behandlung erfahren haben, welche als der vorschriftsmäs-
sigen inländischen Desinfektion gleichwertig anzusehen ist.
Jugendliche Arbeiter dürfen zur Desinfektion nicht verwendet
werden, ebenso Arbeiter mit wunden Hautstellen, insbesondere
an Hals, Gesicht und Händen. Weitere Vorschriften betreffen die
Aufbewahrung nielitdesinfizierten Materials, die Verhütung der
Staubbildung, die hygienische Ausstattung der Arbeitsräume, die
Kleidung und Reinigung der Arbeiter etc.
— Für das Grossherzogtum Baden ist unterm 11. August 1. J.
ein die Erziehung und den Unterricht nicht voll¬
sinniger Kinder regelndes Gesetz veröffentlicht worden.
— Das Komitee für Krebsforschung leitet eine
weitere Sammelforschung in denjenigen Gegenden Deutschlands in
die Wege, wo anscheinend nach dem Ergebnisse der ersten Um¬
frage besonders zahlreiche Krebserkrankungen Vorkommen. Die
Aussendung der Fragebogen wird demnächst erfolgen. Ausserdem
sollen in einzelne dieser Gegenden Aerzte gesendet werden, um
dort eigene Studien anzustellen.
— Zur Errichtung wirtschaftlicher Frauen-
schulen a u f d e m Lande wird uns geschrieben: „Ein für die
gesundheitliche Entwicklung der heranwachsenden Frau wichtiges
Unternehmen bereitet der Verein für wirtschaftliche Frauen¬
schulen auf dem Lande vor. Mit der Ausbildung der Frau auf
dem Gebiete der gesamten Hauswirtschaft und Küche beabsichtigt
derselbe die Tätigkeit im Garten, iu Geflügelzucht und am Bienen¬
stände zu verbinden. Durch die Verlegung der für junge Mädchen
gebildeter Stände bestimmten Schule auf das Land vereinigt die¬
selbe verschiedene Faktoren, welche die körperliche Entwicklung
der jungen Mädchen aufs günstigste zu beeinflussen in der Lage
sind. In einer Versammlung in München am 19. November, Abends
8 Uhr im Schlachtensaal des Cafe Luitpold sollen die Ziele und
die Einrichtung der Schule näher dargelegt werden. Herr Hof rat
Dr. May hat hierzu das erste Referat: „Die wirtschaftliche
Frauenschule vom ärztlichen Standpunkt“, übernommen. Im
Interesse einer gesunden, körperlichen Entwickelung der Frau
glaubt der Verein auf die tatkräftige Unterstützung aller ärztlichen
Kreise rechnen zu dürfen.“
— - Das vom Verein zur Unterstützung invalider, hilfsbedürf¬
tiger Aerzte in Bayern unter Mitwirkung der ärztlichen Bezirks¬
vereine und der bayerischen Aerzte überhaupt errichtete Grab¬
denkmal für den verstorbenen Medizinalrat Dr. Aub wurde
Ende vor. Mts. enthüllt. Das von Prof. Wade r e künstlerisch aus¬
geführte Denkmal findet allgemeinen Beifall.
— Dem bekannten Homöopathen Dr. Volbeding, der eine
mehrjährige Gefängnisstrafe soeben verbüsst hat, wrar auch die
ärztliche Approbation entzogen worden, da er wegen gröblicher
Verletzung der ärztlichen Standespflichten nicht mehr für würdig
gehalten wurde, dem Stande der Aerzte anzugehören. Gegen diese
Entscheidung legte V. Berufung ein. Das Oberverwaltungs¬
gericht bestätigte jedoch die Vorentscheidung. 9
— In dem Einweisungsverfahren des städtischen Sana¬
toriums Harlaching bei München ist eine begrüssenswerte
Aenderung getroffen worden. Während bisher Kranke, welche
daselbst aufgenommen zu werden wünschten, sich vorher in eines
der städtischen Krankenhäuser aufnehmen lassen mussten, ist
jetzt direkte Aufnahme zulässig, wenn sich selbe einer Vorunter¬
suchung im medizin. -klinischen Institut oder in der medizinischen
Poliklinik des Reisingerianums unterziehen und von diesen Stellen
1904
MtTENCIIENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIE?.
No. 48.
als zur direkten Aufnahme geeignet befunden wurden. Das Ein-
weisungsverfaliren ist nunmehr identisch mit dem für die Volks¬
heilstätte Planegg-Krailling üblichen.
— Prof. Albert Länderer, bisher chirurgischer Oberarzt
des Olgakrankenhauses in Stuttgart, wurde zum Direktor des
neuen Krankenhauses in Schöneberg ernannt.
— Cholera. Itusslind. Im Amurbezirke vom 12. bis 17. Ok¬
tober 32 Erkrankungen. — Türkei. In Syrien war Mitte Oktober
die Cholera hauptsächlich in den Ortschaften Gaza und Lydda,
sowie in deren Umgebung verbreitet. Aus Gaza wurden für die
Zeit vom 12. bis IG. Oktober 138 Choleratodesfälle gemeldet, vom
17. Oktober 30 Erkrankungen, vom 18. bis 22. Oktober 198 Todes¬
fälle; in Lydda sind vom 14. bis 22. Oktober 102, in zwei na,he
bei Gaza gelegenen Ortschaften 8 Choleratodesfälle zur Anzeige
gelangt. In Jaffa sind bis zum 19. Oktober vereinzelte Erkrank¬
ungen beobachtet, am 20. Oktober wurde ein Todesfall, am folgen¬
den Tage eine Erkrankung an der Cholera angezeigt. In Ilodeida
wurden zufolge einer Mitteilung vom 16. Oktober täglich 20 Cho¬
lerafälle festgestellt; vom 6. bis 9. Oktober waren daselbst angeb¬
lich 32 Erkrankungen (und 2S Todesfälle) vorgekommen, vom
9. bis 12.- Oktober 23 (21). In Medina kamen am 27. und 28. Sep¬
tember 18, vom 29. September bis 2. Oktober 3 Choleratodesfälle
zur Anzeige. — Aegypten. Vom 14. bis zum 20. Oktober zeigte sich
nur ein geringer Nachlass der Epidemie; nach dem amtlichen Be¬
richte kamen in dieser Woche 685 neue Erkrankungen und
622 Todesfälle an der Cholera zur Anzeige, von letzteren hatten
sich 147 in den Krankenhäusern und 475 ausserhalb derselben
ereignet. Auf Kairo entfleleu 15 neue Fälle (darunter 11 Todes¬
fälle ausserhalb des Hospitals), auf Alexandrien 67 (48). Vom
20. bis 24. Oktober wurden aus ganz Aegypten nacheinander 87,
89, 60, 51 neue Erkrankungen und 70, 74, 48, 44 Todesfälle an der
Cholera gemeldet. . ^ „
_ Pest. Türkei. In Galata ist am 25. Oktober ein Pestfall
festgestellt worden. — Britisch-Ostindien. In der Präsidentschaft
Bombay sind während der am 11. Oktober abgelaufenen Woche
9553 neue Erkrankungen (und 7165 Todesfälle) an der Pest zur
Anzeige gelangt, darunter 119 (103) in der Stadt Bombay und 17 (9)
in der Stadt und dem Hafen von Karachi. — Vereinigte Staaten
von Amerika. Aus San Franzisko sind in der Zeit vom 1. bis
26. September 8 tödlich verlaufene Pestfälle gemeldet.
_ _ in der 43. Jahreswoche, vom 19. — 25. X. 1902, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Augsburg mit 26,7, die geringste Bielefeld mit 6,9 Todesfällen pro
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Masern in Augsburg, an Scharlach in Altona, Königshütte,
an Diphtherie und Krupp in Königsberg. V. d. K. G.-A.
_ Während der jüngsten Konferenz des internationalen
Zentralbureaus zur Bekämpfung der Tuberkulose in Berlin wurde
auch ein „Tageblatt“ ausgegeben, das in drei Sprachen, deutsch,
französisch und englisch erschien. D.as dabei geleistete Englisch
ruft den Spott der englischen Fachpresse hervor. „English as
she is spoke“, höhnt das Brit. med. Journ.; „ein Muster von
Englisch, wie es wohl in keinem anderen Lande erreicht werden
dürfte“. Die von dem englischen Fachblatte den Veranstaltern
dieses dreisprachigen Tageblatts erteilte Lektion ist wohlverdient.
Weder in Paris noch in London würde es jemandem einfallen,
ein derartiges Blatt in einer anderen als der Landessprache er¬
scheinen zu lassen; nur in Deutschland ist eine so geringe Ein¬
schätzung der eigenen Muttersprache möglich, dass man bei den
Besuchern einer internationalen Veranstaltung nicht wenigstens so
viel Kenntnis derselben voraussetzt, als zum Lesen der Notizen
eines Tageblattes hinreicht. Spott und Hohn ist immer der Dank,
wenn Deutsche aus übertriebenem Entgegenkommen gegen Fremde
_ oder um mit ihren Sprachkenntnissen zu kokettieren — in frem¬
der Sprache schreiben. Das möchten sich doch auch die deutschen
Verleger und Mitarbeiter internationaler Archive gesagt sein lassen.
_ Mercks Index, von dem soeben die 2. Auflage er¬
schienen ist, soll, wie das Vorwort sagt, als Erläuterung zu den
Preislisten der Firma dienen; in der Tat bietet das Buch viel mehr,
nämlich ein sehr vollständiges Verzeichnis aller, auch der neuesten
Arzneimittel, mit kurzen pharmakologischen Bemerkungen, An¬
gabe der Indikationen, Dosen etc. Zur bequemen Orientierung in
dem Labyrinth der modernsten Pharmakopoe dürfte kein anderes
Hilfsmittel so geeignet sein, als Mercks Index.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Prof. Friedrich K r a u s, bisher in Graz, der als
Karl Gerhardts Nachfolger den zweiten ordentlichen Lehr¬
stuhl der inneren Medizin an der hiesigen Universität übernommen
hat, ist bei Antritt seines neuen Amtes zum Geheimen Medizinal¬
rat ernannt worden.
Bonn. Habilitiert: Dr. Liniger, Oberarzt am Kranken¬
hause der Barmherzigen Brüder, für Chirurgie (Unfallheilkunde),
Dr. Förster für Psychiatrie und Dr. R. Finkelnburg für
innere Medizin.
B r e s 1 a u. Zum Nachfolger des nach Heidelberg berufenen
Prof. Dr. Kümmel ist Privatdozent Dr. Hinsberg aus Königs¬
berg berufen worden. Prof. Dr. Hinsberg habilitierte sich 1901
für Otologie, Rhinologie und Laryngologie mit einer Arbeit über
„Labyrintlieiterun^en“. — Habilitiert: Dr. Willy Anschütz, 1. Assi¬
stent der Chirurg. Klinik für Chirurgie. Die Habilitationsschrift
lautet: Beiträge zur Leberresektion. — Der Geheime Sanitätsrat
Dr. Gremple r, der sich durch anthropologische Forschungen
einen Namen gemacht hat, ist anlässlich seines 50 jährigen Doktor¬
jubiläums zum Professor ernannt worden. — Innerhalb des für
das Wintersemester vorgeschriebenen Termins sind in der medi¬
zinischen Fakultät 50 Studierende neu immatrikuliert worden.
Die Anzahl der neu Immatrikulierten überhaupt beträgt 394.
Heidelberg. Als Nachfolger des nach Berlin übersiedeln¬
den Direktors der hiesigen Ohrenklinik, Prof. Passow, wurde
Prof. K ü m m e 1 von Breslau berufen.
Kiel. Dem zum ausserordentlichen Professor in der hiesigen
medizinischen Fakultät ernannten Prof. Dr. med. E. v. Düring-
Pascha in Konstantinopel ist das durch den diesjährigen Staats-
haushaltetat begründete Extraordinariat für Haut- und Ge¬
schlechtskrankheiten verliehen worden. Prof. v. Düring wird
sein neues Amt bereits am 1. Dezember antreten.
Athen. Dr. G. Phokas, Agrege der med. Fakultät zu
Lille, wurde zum Professor der chirurgischen Klinik ernannt.
Ber n. Der ordentliche Professor der Staatsmedizin Dr. Karl
E m m ert ist in den Ruhestand getreten.
Lausanne. Privatdoz. Dr. ßoudi wurde zum a. o. Pro¬
fessor der Anatomie ernannt.
L u n d. Dr. J. D. O e 1 r i c h habilitierte sich für Medizin.
Montreal. Dr. T. Parizeau wurde zum Professor der
externen Pathologie an der Laval-Universität ernannt.
New-York. Dr. W. B. J a m e s wurde zum Professor der
Medizin am College of Physicians and Surgeons ernannt.
St. Petersb u r g. Der Privatdozent an der militär-medi¬
zinischen Akademie, Dr. A. J.Moisseje w, wurde zum Professor
der pathologischen Anatomie und Histologie ernannt.
Warschau. Der ausserordentliche Professor der gericht¬
lichen Medizin, Dr. A. Grigoriew, wurde zum ordentlichen Pro¬
fessor ernannt.
W i e n. Habilitiert: Dr. Oskar Stoerck für pathologische
Anatomie.
(Todesfälle.)
Iu Giessen starb am 3. ds. nach mehrjährigem schweren
Leiden (Kehlkopfkarzinom) im Alter von noch nicht 50 Jahren der
ausserordentliche Professor der Chirurgie, Dr. Ferdinand Friedr.
F u h r. Eine Schilderung der Lebensarbeit dieses vortrefflichen
Arztes und Menschen wird folgen.
Dr. R. A. Monteir o, früher Professor der medizinischen
Klinik zu Bahia.
Dr. A. M a r a c c i n o, Privatdozent der medizinischen Patho¬
logie zu Rom.
Dr. M. J. Asch, Professor der Otologie und Laryngologie au
der New York Polielinic and Hospital.
Dr. J. B y r n e, früher Professor der Gynäkologie am Long
Island College Hospital zu Brooklyn.
Dr. J. W. M a y, Professor der Augen- und Ohrenheilkunde
am College of Physicians and Surgeons zu Ivansai City.
(Berichtigung.) In dem Referat über den Vortrag des
Herrn G. F u c li s - Biebrich: Zur Theorie der Wismuth Wirkung
(d. W. No. 43, S. ISIS, Sp. 2) hat der Schlussatz zu lauten wie folgt:
„Das Wismuthsubnitrat wird durch den Kochsalz und freie Salz¬
säure enthaltenden Magensaft gelöst und auf der Wundfläche
des Ulcus durch die organische Substanz zu Wismuthoxydul re¬
duziert.“
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Edmund Ott in Tegernsee
zum Bezirksarzt I. Klasse in Garmisch und der prakt. Arzt
Dr. Reinhard Schmitz in Prien zum Bezirksarzt I. Klasse in
Starnberg.
Gestorben: Dr. Fritz Löhrl, Oberarzt im 12. Art.-Reg. in
Landau, in München.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München
in der 43. Jahreswoche vom 19. bis 25. Oktober 1902.
Beteiligte Aerzte 119. — Brechdurchfall 9 (IG*), Diphtherie u.
Krupp 16 (5), Erysipelas 9 (5), Intermittens, Neuralgia interm.
2 (2); Kindbettfieber — ( — ), Meningitis cerebrospin. — ( — ),
Morbilli 26 (18), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 1 (3), Parotitis
epidem. 1 ( — ), Pneumonia crouposa 8 (6), Pyämie, Septikämie
— ( — ), Rheumatismus art. ac. 10 (6), Ruhr (Dysenteria) — ( — ),
Scarlatina 2 (6), Tussis convulsiva 16 (17), Typhus abdominalis 1
(1), Varicellen 9 (9), Variola, Variolois — ( — ), Influenza 1 (1).
Summa 110 (94). Kgl. Bezirksarzt Dr. v. Dall’Armi.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 43. Jahreswoche vom 19. bis 25. Oktober 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen: Masern — (— *) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u. Krupp 1 (1), Rotlauf — ( — ), Kindbettfieber — (1), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 2 (1), Brechdurchfall 3 ( — ), Unterleib-Typhus —
( — ), Keuchhusten — (4), Kruppöse Lungenentzündung 2 ( — ), Tuber¬
kulose a) der Lunge 19 (26), b) der übrigen Organe 7 (5), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
— (6), Unglücksfälle — (1), Selbstmord 2 (1), Tod durch fremde
Hand — (I).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 179 (205), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 18,4 (21,1), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 11,1 (11,9).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle derVorwoche.
Verlag von J, E. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
Oie Münch. Med. Wochenschi, erscheint wöchentl.
in Nummern ron durchschnittlich 5 — 6 Bosen
Preis iu Deutschland, Oesterr. -Ungarn u. Luxemburg
vierteljährl. Jt 6. — , in allen übrigen Ländern M. 8 —
Einzelne No. 80
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressiren: Fiii die Reduktlo:.
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MEDICINISCHE W0CHENSCHR1 FT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
D. ». Angerer, Ch. Bäumler, 0. Boifinger, H. Curschmann, W. 1. Leute, G. Merkel, J. ». Michel, F. Penzoldt, H. v. Ranke, F. ». Wi
München. Frelhnra- i R Miinehon I „• . ..... .
ncnen. Leipzig, Wurzburg. Nürnberg Berlin Erlangen. München.
München.
No. 46. 18. November 1902,
Redaktion : Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26.
Verlag: J. P. Lehmann, Heustrasse 2U.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem pathologisch-anatomischen Universitätsinstitut in Wien
(Vorstand : Prof. Weichselbaum).
Ueber Serumagglutinine.
Von Dr. Karl Landsteiner.
Eine der bemerkenswertesten Eigentümlichkeiten der Im¬
munitätserscheinungen isit die Spezifität der Resistenz immuni¬
sierter Tiere gegen bestimmte Schädlichkeiten und die Art der
Reaktion der Körpersäfte von Tieren gewissen Stoffen gegenüber,
dann, wenn diese einige Zeit vorher in den tierischen Organismus
schon aufgenommen und in ihm verarbeitet worden waren.
Das Auftreten solcher, im normalen Zustande nicht nach¬
weisbarer spezifischer Reaktionen könnte offenbar in zweifacher
Weise erfolgen, entweder so, dass die spezifisch reagierenden Sub¬
stanzen schon vor der Immunisierung oder Vorbehandlung im
Organismus in irgend einer Form vorhanden sind, aber etwa in
geringerer Menge als nachher, oder derart, dass sie durch den
Immunisierungsakt erst neu entstehen.
Beide möglichen Annahmen wurden für wirklich zutreffend
gehalten ; die erste namentlich in der F orm, dass man meinte,
es würden eingeführte Substanzen, z. B. toxischer Natur, durch
die Einwirkung der tierischen Zellen und Flüssigkeiten in irgend¬
welcher Weise umgeformt, so dass die neu entstandenen Stoffe
besondere Wirkungen auf die primär eingeführten Substanzen,
z. B. die Wirkung von Gegengiften, entfalten können. Diese An¬
nahme würde leicht einen wichtigen Punkt, nämlich die Spezifi¬
tät der Immunstoffe erklären, da sie, in dieser Art entstanden,
ein spezifisches Element, und zwar den ursprünglich eingeführten
Stoff oder ein Derivat desselben enthalten würden und somit in
jedem Falle ein besondere Zusammensetzung notwendig besitzen
müssten. Es stehen aber die Ergebnisse einer Anzahl von Ex¬
perimenten damit in Widerspruch, z. B. solcher, aus denen
hervorgeht, dass zwischen der Menge des eingeführten Giftes
und des entstandenen Antitoxins keine gesetzmässige Beziehung
besteht.
Die zweite mögliche Ansicht, dass die Immunstoffe von vorn¬
herein im Körper vorgebildet seien, dass aber ihre Wirkung erst
nach einer Vorbehandlung durch Anreicherung der Stoffe im
Organismus deutlich zutage tritt, wird namentlich von Ehr¬
lich vertreten. Nach der Annahme von Ehrlich sind im
normalen Blutserum Substanzen enthalten, die in ihrem Ver¬
halten den Immunstoffen entsprechen, und die nichts anderes
sind, als aus den Körperzellen abgelöste Stoff teilclien. Von
den normal in den Zellen vorhandenen, mit dem Protoplasma
verbundenen Komplexen (Seitenketten) würden diejenigen, die
zu den eingeführten Substanzen Verwandtschaft besitzen, bei der
Immunisierung chemisch gebunden, funktionell ausgeschaltet
und dadurch die Zelle zu einer gesteigerten Produktion und Ab-
stossung der Komplexe in der Art einer übermässigen Regene¬
ration angeregt.
Sind demnach die Immunstoffe nichts anderes als normale,
im Ueberschuss gebildete Substanzen, so bleibt zu erklären, wie es
möglich ist, dass sie in hohem Grade spezifische Wirkungen aus¬
zuüben vermögen.
Zur Beantwortung dieser Frage war es nötig, die Beschaffen¬
heit der wirksamen Stoffe in den Normalseris möglichst genau
No. 46.
zu ermitteln. Man trachtete, dieses Ziel mit Hilfe von Ab¬
sorptionsversuchen zu erreichen, aus deren Resultaten meist der
Schluss gezogen wurde, dass schon das normale Serum eine an¬
scheinend grosse Menge spezifisch reagierender Stoffe enthält.
Bordet1) teilte die ersten Ergebnisse dieser Art mit. Er
versetzte normales Pferdeserum mit einer Aufschwemmung von
Choleravibrionen und konstatierte deren Agglutination, trennte
dann die Flüssigkeit durch Zentrifugieren von den Bakterien
und fand, dass sie nicht mehr Choleravibrionen, wohl aber kräftig
Typhusbazillen agglutinierte. Die Versuche konnten mit ana¬
logem Resultat in umgekehrter Richtung ausgeführt werden.
Bordet schloss deshalb auf das Vorhandensein zweier diffe¬
renter agglutinierender Substanzen und meinte, dass die Spezifi¬
tät der Agglutinine, die sich ausgesprochen im Serum immuni¬
sierter Tiere zeige, im Keime schon normaler Weise vorhanden
zu sein scheine. So wäre denn anzunehmen, dass bei der Im¬
munisierung gegen ein Bakterium ein spezifisches Agglutinin,
das schon vorher in geringen Mengen im Serum existierte, viel
reichlicher gebildet würde. Später hat freilich Bordet selbst 2)
gegen diese Folgerung aus den Ergebnissen der Methode Ein¬
wände erhoben (s. unten).
In ähnlicher Weise brachte Bail3) abgetötete Bakterien
einer Art, nachher lebende verschiedenartige Bakterien mit
frischem, normalem Serum zusammen und fand, dass die bak¬
terizide Wirkung des Serums in höherem Masse für die zuerst
verwendeten Bakterien abnehme als für andere Arten; wenn aber
Bail grössere Mengen einer Art abgetöteter Bakterien an¬
wendete, so erhielt er eine Aufhebung der bakteriziden Serum¬
wirkung für die verschiedensten Arten von Mikrobien. Deshalb
deutete er die Experimente in der Weise, dass die Mikrobien in
Bezug auf die Beeinflussung des Serums sich nur quantitativ,
nicht qualitativ verschieden verhalten.
Die Versuche von Bail sind für die Ermittlung der Be¬
ziehungen zwischen den spezifischen Immunstoffen und dem
normalen Serum nicht direkt verwertbar, weil bei ihnen ausser
dem hitzebeständigen Anteil der Serumwirkung auch die mit den
spezifischen Immunkörpern in keiner erkannten Beziehung
stehenden labilen Anteile das Ergebnis beeinflussen. In diesem
Punkte differiert die V ersuchsanordnung Bails von dem Plane
der besprochenen Experimente B o r d e t s und den noch zu er¬
wähnenden Versuchen anderer Autoren.
M a 1 k o f f 4) f iih rte unter der Leitung von Wasser¬
mann eine Reihe von Experimenten über die Beschaffenheit
der normalen Serumagglutinine aus und verwendete dabei
wieder die Absorptionsmethode. Er kam zu dem Resultate, dass
das normale Ziegenserum eine Reihe von Substanzen enthält,
welche in Bezug auf das Blut anderer Tiere eine spezifisch ag¬
glutinierende Wirkung ausüben. „Demnach handelt es sich bei
dem Agglutinationsvorgang des normalen Serums, das ver¬
schiedene Blutarten gleichzeitig agglutiniert, nicht etwa um ein
einziges Agglutinin, das gleichzeitig auf verschiedene Blutarten
wirkt, sondern vielmehr um das gleichzeitige Vorkommen ver¬
schiedener spezifischer Agglutinine in dem Serum, von denen jedes
*) Ann. de l’Inst. Pasteur 1899, p. 248.
") Ann. de l’Inst. Pasteur 1901, p. 318.
3) Archiv f. Hygiene 1899. Siehe auch die Versuche von
Nissen: Zeitschr. f. Hygiene 1889.
1
f
1906
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
. . . seine spezifische Affinität zu den betreffenden Blutkörper¬
chenarten hat.“
„In einem normalen Serum, das verschiedene Zellen gleich¬
zeitig agglutiniert, existieren soviele spezifische Agglutinine, als
das Serum verschiedene Spezies von Zellen agglutiniert.“
Aehnliche Versuchsanordnungen wurden von Ehrlich und
Mo r genrot h verwendet 5), um die normalen Lysine des Blut¬
serums zu untersuchen. Auch E. und M. nehmen an, „dass einem
normalen Serum, welches mehrere Bakterienarten agglutiniert,
durch Behandlung mit einer dieser Bakterienspezies das ent¬
sprechende Agglutinin isoliert entzogen werden kann (Bordet)
und dass dasselbe für die Hämagglutinine gilt (M a 1 k o f f)“ 6).
N eisser7) hatte ähnliche Ergebnisse bei dem V ersuche
der Trennung hämolytischer und bakteriolytischer Stoffe des
Serums.
Pfeiffer8) kam zu dem Resultat einer Vielheit der anti¬
bakteriellen Stoffe des normalen Serums. Nach seiner Meinung
ist die spezifische Differenz der normalen Schutzstoffe gegen
Cholera- und Typhusbakterien immerhin verständlich, während
die einigemal von ihm gefundene Spezifität der Serumstofife
auch für nahe verwandte Vibrionen sehr auffällig sei. Eine un¬
absehbare Menge vorgebildeter spezifisch verschiedener Ambo¬
zeptoren sollte nach Pfeiffer erst angenommen werden, wenn
jede andere Erklärungsmöglichkeit ausgeschlossen sei. Auf
diesen Punkt macht mit Nachdruck Grub er9) aufmerksam.
Pfeiffer meint, dass im Serum für viele verwandte Arten
nur je ein differenter Zwischenkörper existiere. Von der defini¬
tiven Entscheidung dieser Frage hänge es ab, ob man die Im¬
munkörper als identisch mit den normalen Serumstoflfen be¬
trachten solle.
Landsteiner und S t u r 1 i 10) haben Absorptionsver-
s-uche mit normalem Serum ausgeführt und dabei die Absorption
mit einer grossen Zahl von Blutkörperchen vorgenommen. Da
sich bei diesen Versuchen nach der üblichen Betrachtungsweise
die Existenz spezifischer Agglutinine im normalem Serum selbst
für nahe verwandte Zellarten herausgestellt haben würde, so
schien es nötig, noch einmal auf die Bedenken hinzuweisen, die
Bordet u. a. gegen die Sicherheit der Verwertung von Absorp¬
tionsversuchen zur Trennung verschiedener Substanzen geäussert
hatten, namentlich auf die Möglichkeit der Beeinflussung
des Serums durch die zugeführten Blutkörperchen. Bordet
hatte noch darauf aufmerksam gemacht, dass auch die Ver¬
schiedenheit der Affinitäten der in das Serum eingeführten Stoffe
zu den Bestandteilen des Serums möglicherweise eine Multi-
plizität der Serumsubstanzen vortäuschen könnte. Die Arbeit
von L. und St. kam zu dem Schlüsse, dass die bisher ausgeführten
Versuche die Existenz zahlreicher spezifisch wirkender Stoffe im
normalen Serum nicht beweisen. Trotzdem sei es nicht unwahr¬
scheinlich, dass die wirksamen Substanzen des Serums Reihen
nicht spezifischer Körper wären, da selbst bei so einfach gebauten
Bestandteilen des tierischen Körpers, wie den Fetten, eine nicht
unbeträchtliche chemische Mannigfaltigkeit vorgefunden wird.
In dem Falle des Vorkommens vielfacher, aber nicht spezifisch
wirkender Substanzen im Serum würden die einzelnen wirksamen
Körper oder Gruppen dieser mit zugefügten Stoffen diffe¬
rent reagieren können. Es wurde auch die Bemerkung
gemacht, dass durch passende Kombination der verschiedenen
normalen Stoffe Gemische mit spezifischer Wirkung entstehen
könnten.
Da nun die bisher ausgeführten Untersuchungen kein ab¬
schliessendes Urteil über die Beschaffenheit des normalen Serums
gestatten, habe ich die agglutinierenden Substanzen derart unter¬
sucht, dass ich nicht den nach der Agglutination im Serum ver¬
bleibenden Rest, sondern den an den agglutinierten Zellen haf¬
tenden Anteil prüfte u).
Wurden Blutkörperchen mit Abrinlösung agglutiniert, mit
viel physiologischer Kochsalzlösung gewaschen, bis die Wascli-
flüssigkeit nur sehr wenig oder gar nicht agglutinierend wirkte,
4) Deutsche med. Wochenschr. 1900, p. 229.
c) Berl. klin. Wochenschr. 1900, p. 682/3.
°) Siehe auch Deutsche med. Wochenschr. 1901, p. 915.
7) Deutsche med. Wochenschr. 1900, p. 790.
s) Deutsche med. Wochenschr. 1901, p. 834.
•) Münch, med. Wochenschr. 1901.
,n) Wien. klin. Wochenschr. 1902.
ll) Wien. klin. Rundschau 1902, No. 40.
so konnten durch Digestion der Körperchen mit physiologischer
Kochsalzlösung bei 50 9 kräftig agglutinierende Lösungen ge¬
wonnen werden.
Ein ganz ähnliches Resultat gab der Versuch, wenn er statt
mit Abrin mit normalem oder Immunserum ausgeführt wurde.
Es ist zu erwähnen, dass die zum Waschen der Bodensätze be¬
nützten Kochsalzlösungen meist geringe nachweisbare Mengen
von Agglutinin enthalten, so dass vielleicht schon bei gewöhn¬
licher Temperatur die Verbindung von Zellen und agglutinie¬
render Substanz sich zerlegt, nur in geringerem Masse als bei
höherer Temperatur. Auch ist zu bemerken, dass manches Mal
ganz geringe agglutinierende Wirkungen dann beobachtet
werden, wenn Blutkörperchen allein mit Kochsalzlösungen in
der Wärme digeriert werden u), und es ist deshalb notwendig,
entsprechende Kontrollversuche anzustellen. Freilich sind die
Extrakte von agglutinierten Körperchen von ungleich stärkerer
Wirkung.
In der beschriebenen Weise wurden in einem als Beispiel an¬
zuführenden Versuche einerseits gewaschene Tauben-, andrerseits
Gansblutkörperchen mit einem grossen Ueberschuss von auf 55°
erhitztem Rinderserum zusammengebracht (50 Tropfen einer dichten
Blutaufschwemmung auf 50 ccm Rinderserum.) (Das Serum selbst
agglutinierte eine für die späteren Proben verwendete Auf¬
schwemmung von Gans-, Tauben- und Kaninchenblut noch deut¬
lich im Verhältnisse 0,1:10, nicht mehr in einem Verhältnisse von
0,01:1.) Nachdem in der Kälte starke Verklumpung erfolgt war,
wurde der Bodensatz mit mehr als der 20 fachen Quantität physio¬
logischer Kochsalzlösung unter Umschütteln gewaschen. Nacli
dem Sedimentieren agglutinierten:
10 Tropfen Waschwasser 1. Gans | m^u tropfen I
Blutkörperchen-^
10 „ „ 1. Taube | aufschwemmg. (
Nach der zweiten in gleicher Weise vor¬
genommenen Waschung agglutinierten:
10 Tropfen Waschwasser 2. Gans j 7,111 Trollf(‘" I
L [ Blutkorperchen-
10 „ » 2. Taube j aufschwcmmg. |
Nach der dritten Waschung:
10 Tropfen Waschwasser 3. Gans j hi l Tropfen
r J Blutkörperchen- 1
10 „ n 3. Taube J aufschwcmmg. |
Nun wurden die Sedimente bei Zimmer¬
temperatur */2 Stunde mit der dreifachen
Menge Kochsalzlösung digeriert, 2 Stunden
lang in Eis sedimentiert.
10 Tr. Digestionsflüssigkeit 1. Gans | Zu d Tropfen ( deutlich deutlich deutlich
° { Blutkörperchen- \
10 ,, „ 1. Taube aufschwemmq. deutlich; stark 0
Gans¬
blut
Tauben¬
blut
Kanin-
chenbl.
deutlich
deutlich
deutlich
deutlich
deutlich
deutlich
0
Spur
Spur
0
Spur
Spur
0
0
Spur
0
0
1 Spur
2. Digestion mit der dreifachen Menge
Kochsalzlösung durch V2 Stunde bei Zimmer¬
temperatur, 1 Stunde in Eis sedimentiert.
10 Tr. Digestionsflüssigkeit 2. Gans I 7,11 1 Tropfen I deutlich
} Blutkörperchen- '
10 „ n 2. Taube] aufschwemmg. | Spur
Spur
stark
Spur
Spur
3. Digestion im Verhältnisse 1 : 3 Koch¬
salzlösung durch V2 Stunde bei ca 50°.
10 Tr. Digestionsflüssigkeit 3. Gans
10 „ „ 3. Taube
1 Tr. Digestionsttüssigkeit 3. Gans
Zu 1 Tropfen
Blutkörperchen-
aufschwcmmg.
3. Taube
sehr starklsehr stark sehr stark
sehr stark | stark sl.]rk
i s t ar k deutlich Spur
deutlich stark 0
4. Digestion durch ^2 Stunde bei 55° im
Verhältnisse 1 : 3.
1 Tr. Digestionsflüssigkeit 4. Gans | ^ 1 Tropfen | deutlich schwach
{■Blutkörperchen--!
1 » » 4. Taube J aufschwcmmg. [j Spur sehr ücutl.
Spur
Spur?
In ähnlicher Weise wurden in einem anderen Versuche Ka¬
ninchenblutkörperchen mit einem Ueberschuss von erhitztem
Rinderserum behandelt. Nach dem Erhitzen des gut gewasche¬
nen verklumpten Bodensatzes bei 40 — 50° durch Vz Stunde aggluti¬
nierte die gewonnene Lösung Kaninchenblut und Gansblut stark,
Eroschblut sehr stark, Tauben-, Meerschweinchen- und Maus¬
blut in geringem Masse.
I
12) Siolie Klein: Wien. klin. Wochenschr. 1902.
18. November 1902.
MUENGHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Im ganzen zeigte es sich in den bisher ausgeführten Ver¬
suchen, dass die aus den agglutinierten Blutkörperchen gewonne¬
nen Lösungen auch andere Arten von Blutkörperchen, als die zur
Absorption vei wendeten, in nicht geringem Masse zu aggluti-
nieren im stände waren. Trotzdem konnte bemerkt werden, dass,
wie der erste mitgeteilte Versuch es erkennen lässt, gewöhnlich von
zwei aus \eischiedenen Blutkörperchen arten gewonnene Lösungen
jede am kräftigsten auf diejenige Art wirkte, mit der die Ab¬
sorption vorgenommen worden war, so dass in einem gewissen
Sinne von einer spezifischen Wirkung der Lösungen gesprochen
werden kann, wenn man sie untereinander und mit dem ur¬
sprünglichen Serum vergleicht. Vielleicht wird es möglich sein,
durch Aenderungen des Verfahrens noch deutlicher spezifisch wir¬
kende Lösungen zu erhalten.
Die beschriebene Art der Wirkung lässt sich leicht verstehen,
wenn im Serum eine Anzahl verschiedener an und für sich nicht
spezifischer Agglutinine vorhanden sind. Solche verschieden¬
artige Agglutinine müssen, natürlich zu differenten Stoffen im
allgemeinen verschieden grosse Affinitäten besitzen, und sobald
nun ein Ueberschuss des Serums auf eine Blutkörperchenart ein¬
wirkt, werden diejenigen agglutinierenden Stoffe, die grössere
Affinität zu den betreffenden Blutkörperchen besitzen, vor¬
wiegend aufgenommen werden. So würden bei gleicher Ag¬
glutinationsempfindlichkeit zweier verschiedener Blutkörperchen¬
arten gegen das ursprünglich verwendete Serum, auch dann,
wenn eine ganz geringe Zahl von differenten, nicht spezifischen
agglutinierenden Stoffen in demselben vorhanden ist, verschie¬
dene und in gewissem Masse spezifisch wirkende Gemische ab¬
sorbiert werden und eventuell abgegeben werden.
Es spricht bis jetzt übrigens nichts dagegen, dass nicht die
Zahl der nicht spezifischen wirksamen Serumstoffe und der bin¬
denden Substanzen in den Zellen eine grosse sei 13).
Es geht aus den besprochenen Versuchen hervor, dass die
bisher gewöhnlich angewendete Methode kein vollständiges Bild
von den tatsächlichen Absorptionsverhältnissen lieferte 14).
Auf welchen Umständen es wirklich beruht, dass die bisher
ausgeführten Absorptionsversuche die Spezifität der absorbierten
Stoffe zu beweisen schien, bleibt noch aufzuklären. Es könnten
hier möglicherweise eine nicht genügende Berücksichtigung der
quantitativen Verhältnisse oder die von Bordet und Land¬
steiner und S t u r 1 i hervorgehobenen Umstände in Betracht
kommen (Aviditätsdifferenzen, Beeinflussung der Sera durch
eingebrachte Stoffe).
W enn man dem Gesagten entsprechend sich vorstellt, dass
das normale Serum eine noch unbestimmte Zahl verschiedener,
nicht spezifisch wirkender Stoffe enthält, so folgt daraus keine
bestimmte Ansicht über die Beschaffenheit der bei Immuni¬
sierungen auftretenden spezifischen Stoffe.
Es wurde neuerdings öfters erörtert, ob die normalen und
die Immunstoffe identisch sind [Gruber"), Morgenroth
und S achs“)] und Ford 17), der unter W assermanns
Leitung arbeitete, spricht sich auf Grund von Versuchen mit
Antiagglutininen und Antischutzkörpern für die Identität der
normalen und Immunstoffe aus ; ähnliche Ergebnisse hatte vorher
Pfeiffer18)- Es ist dazu zu bemerken, dass solche Versuche
I3) Vor kurzem wurde die Multiplizität auch der präzipitablen
Substanzen des Serums durch fraktionierte Salzfällung sehr wahr¬
scheinlich gemacht (Landsteiner und Calvo: Centralbl.
f. Bakteriologie 1902, XXXI, No. 15, und Ascoli: Münch,
med. Wochenschr. 1902, No. 34). Ein Versuch, in ähnlicher
Weise Unterschiede in der agglutinierenden Wirkung meh¬
rerer durch Salzfällung hergestellter Serumfraktionen auf ver¬
schiedene Blutkörperchenarten aufzufinden, hat noch nicht
zu definitiven Resultaten geführt. Die Möglichkeit einer teilweisen
Trennung der Agglutinine durch fraktionierte Aussalzung wäre
unabhängig von der Entscheidung der noch nicht endgiltig gelösten
Frage, ob die wirksamen Stoffe des Serums (Agglutinine, präzipi-
t,able Substanzen u. s. w.) mit den Ei weisskörpern der Blutflüssig¬
keit identisch sind.
“) Als z. B. Kinderserum mit viel Kaninchenblütkörperchen
behandelt wurde, so war hernach die Wirkung des Abgusses für
Kaninchenblutkörperchen aufgehoben, die für Froschblutkörper¬
chen fast unverändert. Als nun die gewaschenen agglutinierten
Kaninchenblutkörperchen in der angegebenen Wreise extrahiert
wurden, so ergab sich, dass sie für Froschblutkörperchen sehr
wirksame Stoffe enthielten.
1G) 1. c.
10) Berl. klin. Wochenschr. 1902, p. 631.
n) Zeitschr. f. Hygiene 1902.
1907
den Beweis für bestehende Differenzen, aber kaum einen
wirklichen Identitätsbeweis erbringen könnten, da sie nur
Gleichheit eines, wenn auch wichtigen Merkmals feststellen.
Gr über gab dagegen an, dass die Normalsera m dem Punkte
von den Immunseris differieren, dass sie in erhitztem Zustande
Blutkörperchen nicht der lösenden Einwirkung artgleichen
Normalserums zugänglich machen. Morgenroth und Sachs
geben die Richtigkeit der Beobachtung in manchen Fällen zu,
bestreiten aber ihre allgemeine Gültigkeit.
Ich selbst habe bei einigen mir zur Verfügung stehenden
Serumproben im Anschluss an vorliegende Angaben über
ein besonderes Verhalten der Immunsera Versuche angestellt,
die mich zu keinem positiven Resultate führten.
Shibayama“) fand, dass Immunhämolysin durch Dia¬
lyse gegen Wasser nicht ebenso unwirksam gemacht wird als
normales Hämolysin. Ich ging von der Ansicht aus, dass mög¬
licherweise die lange Dialyse der Sera gegen destilliertes Wasser
als eine partielle Schädigung der labilen Bestandteile aufzufassen
sei und dass derselbe Effekt sich vielleicht durch andere, die
Serumwirkung schädigende Einflüsse in gleicher Weise herbei¬
führen liesse.
Als ich nun ein für Meerschweinchenblutkörperchen wirk¬
sames normales Kaninchenserum und ein durch Injektion von
Meerschweinchenblut erhaltenes spezifisch wirkendes Kaninchen -
serum auf 52 durch 5 Minuten erhitzte, wurde die Lösungs¬
fähigkeit des ersteren für Meerschweinchenblut fast aufgehoben,
die des zweiten blieb beinahe völlig erhalten. Die Aenderungen
waren also ganz ähnlich, wie sie Shibayama nach der Dia¬
lyse seiner Sera beobachtet hatte, da das normale Serum die
Wirksamkeit leichter verlor als das Immunserum. Doch ist
offenbar dieser Unterschied im Verhalten der beiden Sera nicht
ohne weiteres als ein qualitativer anzusehen. Es könnte ganz
gut sein, dass nur der grosse Gehalt an Immunstoffen im Immun¬
serum die Differenz bedinge und dass diese grössere Quantität
von Immunstoffen mit dem nach der kurzen Erhitzung zurück¬
gebliebenen Reste des Komplements noch Lösung bewirken
konnte, nicht mehr aber die geringe Menge Immunstoffe des
normalen Serums 20).
Folgender Versuch scheint diese Auffassung zu bekräftigen.
Es Wurde von beiden Serumproben ein Teil durch 5 Minuten
auf 52°, ein anderer durch eine halbe Stunde auf 60° erhitzt und
nun das auf 52° erhitzte NS mit dem auf 60° erhitzten IS zu
gleichen Teilen gemischt, ebenso das auf 52° erhitzte IS und
das auf 60° erhitzte NS. Die auf 60° erhitzten Sera hatten für sich
allein keine hämolytische Wirkung mehr.
Die hergestellte Mischung I (0,5 ccm NS 52° -f 0,5 ccm IS 60°)
und Mischung II (0,5 ccm IS 52 0 -j- 0,5 ccm NS 60 °) wirkten aber
nahezu gleich stark hämolytisch.
Würden die wirksamen Stoffe des NS durch kurzes Erhitzen
auf 52 0 wirklich zerstört worden sein, so hätte auch die
Zufügung des an und für sich unwirksamen, auf 60 0 erhitzten IS
daran nichts ändern können.
Mit denselben Seris, NKanS und auf Meerschweinchenblut
wirkenden IKanS wurde der Versuch angestellt, bei dem Bes-
redka“1) in einigen Fällen einen Unterschied zwischen hämo¬
lytischem NS und IS auf fand. Die Wirkung des IS war leich¬
ter aufzuheben als die des NS, wenn man Serum jener Tierart
zufügte, deren Blutkörperchen gelöst werden sollten. In meinem
Versuche war das nicht der Fall.
Einige andere Versuche bezweckten, möglicherweise vor¬
handene Unterschiede in der Flitzebeständigkeit der normalen
und Immunagglutinine aufzufinden. Auch hier schien zunächst
der spezifische Immunkörper resistenter zu sein. Wurde aber
darauf geachtet, dass nicht gleich absolute, sondern proportional
gleiche Abnahmen bei Zersetzung von Serumproben verschiedener
Wirksamkeit, die aber das gleiche wirksame Prinzip enthalten,
erwartet werden dürfen, so liess sich ein völlig sicherer Unter¬
schied noch nicht finden32).
Die verwendeten NS wirkten auf eine bestimmte dünne
Blutaufschwemmung noch in Verdünnungen von 1: 10 und 1: 25,
die IS in Verdünnungen von 1:100 und 1:250. Nach 10 stün-
IS) Berl. klin. Wochenschr. 1902, p. 631.
10) Centralbl. f. Bakteriol. 1902, No. 30, p. 760.
20) Vergl. Morgenroth und Sachs: Berl. klin. Wochen¬
schr. 1902, p. 817.
21) Ann. de l’Inst. Pasteur 1901, p. 785.
22) Versuche mit zwei Proben NKanS und mit zwei für Meer¬
schweinchenblut wirksamen IKanS-Proben.
1*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
U>08
di gern Erhitzen auf 62° waren die NS unwirksam geworden, die
Verdünnungsgrenzen der IS auf 1:25 und 1:100 gestiegen. Die
verhältnissmässige Absehwächung war demnach bei IS geringer
als bei NS, aber nicht um vieles.
Die bisher gesammelten Erfahrungen über die Unterschiede
zwischen NS und IS scheinen zu dem Resultate zu führen, dass
zwar die Immunstoffe Abweichungen von den Normalstoffen
zeigen können, dass trotzdem aber eine allgemeine prinzipielle
Methode zu ihrer Unterscheidung bis jetzt nicht angegeben wer¬
den kann.
Würden die Immunsera nur dieselben Stoffe enthalten, wie
die normalen, so müsste man auf Grund der oben angeführten
Experimente folgern, dass sie regelmässig aus Kombinationen
einer Anzahl an und für sich nicht spezifischer, normal vor¬
kommender Stoffe bestehen, und dass ihre Spezifität nur aus der
Art und der Menge der in die Kombination eintretenden Stoffe
resultiere. Zu der Annahme einer komplexen Zusammensetzung
der Immunstoffe kommen auch Ehrlich und Morgen-
r o t h 23) in einer ihrer neueren Arbeiten, doch halten sie offenbar
spezifische Eigenschaften der einzelnen Komponenten des Immun¬
körpers nicht für unwahrscheinlich, da sie über die Beschaffen¬
heit der normalen Sera aussagen : „Es treten hier möglicherweise
so viele verschiedene Z wischenkö i per in Wirkung, als verschiedene
Blutkörperchenarten beeinflusst werden“.
Wären nach der oben ausgesprochenen Supposition die spe¬
zifischen Immunstoffe regelmässig Kombinationen nicht spezi¬
fischer Normalstoffe, so würde sich daraus folgende Konsequenz
ergeben. Es sollten dann in Mischungen verschiedener spe¬
zifischer Immunkörper neue, den einzelnen Immunseris nicht zu¬
kommende spezifische Wirkungen auf treten, oder solche Wir¬
kungen verloren gehen können.
Einige Versuche, die ich nach diesem Plane ausführte,
hatten ein negatives Ergebnis. Ich mischte 4 verschiedene
hämagglutinierende IS, die spezifische Wirkung auf Menschen-,
Hunde-, Rind- und Meerschweinchenblut hatten und prüfte dann
die agglutinierende Wirkung der Gemische auf Blutkörperchen
der genannten und anderer Tierarten. Es entsprach nun in den
untersuchten Fällen die Agglutinationswirkung der Summe der
Wirkungen der einzelnen Sera und es hatte keine nachweisbare
Interferenz stattgefunden. Sollte auch in späteren Versuchen
ein anderes Resultat nicht gewonnen werden können, so müsste
man annehmen, dass die Substanzen der Immunsera doch nicht
nur Kombinationen der Stoffe der normalen Sera seien. Es bliebe
dann, wollte man sich möglichst nahe an die Aufstellungen der
Ehrlich sehen Theorie halten, die Auffassung übrig, dass
die einzelnen Komponenten, aus denen der Immunkörper besteht,
beim Immunisierungsprozess zu einer Einheit verschmolzen wür¬
den, die sich anders verhielte, als eine einfache Mischung der
Komponenten.
Die eben erwähnten Annahmen über die Beschaffenheit der
spezifischen Immunkörper sind nicht die einzig möglichen. Es
wurde schon erwähnt, dass nach dem gegenwärtigen Stande der
Kenntnisse öfters die Meinung vertreten wird, dass im IS auch
andere Stoffe erscheinen können, als im NS (Gr über“1),
Morgenroth und Sachä25). Nach der Ehr lieh sehen
Lehre wären die nach der Immunisierung neu im Serum er¬
scheinenden Körper Seitenketten der Zellen, die im normalen
Zustande zwar als solche vorhanden sind, aber erst beim Im¬
munisierungsprozess abgestossen werden. Es liegt die Ver¬
mutung nicht fern, dass der Vorgang in Wirklichkeit
nicht ganz so einfach verlaufen müsste. Lässt man die Hypothese,
dass die ins Serum übertretenden Stoffe schon vorher gebildete,
dauernde Bestandteile der Zelle sind, bei Seite, so gelangt man zu
einer weniger speziellen Vorstellung. Die Immunstoffe könnten
als Substanzen angesehen werden, die in ganz ähnlicher, noch
nicht bekannter Weise, wie die normalen Serumstoffe von der
Substanz der Körperzellen derivieren, bei deren Entstehung aber
vorwiegend jene Teile der Zellen beteiligt wären, die durch be¬
stimmte chemische Beziehungen zu den eingeführten körper¬
fremden Stoffen, die in diese Zellen gelangen, sich auszeichnen.
Demnach würden auch die entstandenen Produkte zu den körper¬
fremden Stoffen ein besonderes chemisches V erhalten zeigen.
2S) Berl. klm. Wochenschr. 1901, S. 569 (siehe auch D u r h a m).
2‘) 1. c.
**) Berl. klin. Wochenschr. 1902, p. 631.
Der zweckmässige Endeffekt könnte auch liier durch Kombina¬
tion und Summierung verschiedener Reaktionen zu stände
kommen. So entstehende Substanzen würden begreiflicherweise
spezifische Eigenschaften besitzen.
Es wird noch in Betracht kommen, dass die grosse Differenz,
die die Serumstoffe schon im normalen Zustande bei derselben
Tierart oder sogar demselben Tierindividuum zu verschiedenen
Zeiten auf weisen können, auf eine Variabilität der bezüglichen
Zellleistung hindeuten, die für ein feineres Anpassungsvermögen
derselben mit Wahrscheinlichkeit als nützlich anzusehen ist.
Nach dem Gesagten muss daran gedacht werden, dass nach
der Immunisierung auch solche Stoffe im Organismus sich finden
können, die vorher darin nicht vorhanden waren.
In ähnlichem Sinne könnte übrigens der Satz von Morgen¬
roth und Sachs20) gedeutet werden : „ . dass die Immun¬
sera durch die Mannigfaltigkeit der bei der Immunisierung ent¬
stehenden Reaktionsprodukte eine grosse Schaar verschieden¬
artiger Partialambozeptoren enthalten, deren cytophile und kom-
plementophile Gruppe vielfach variieren können. Dagegen be¬
sitzt das Normalserum nur wenige Ambozeptoren typen, die mit
einzelnen Ambozeptorentypen des Immunserums übereinstimmen
können.“ 27)
Ergebnisse.
1. Agglutinierende Substanzen können nach ihrer Absorption
aus den agglutinierten Körpern wiedergewonnen werden.
Dieses Verhalten ist zur Analyse solcher Stoffe des Serums zu
benützen, die an korpuskuläre Elemente gebunden werden können.
Die erhaltenen Lösungen unterscheiden sich durch ihre merklich
spezifische Wirkung von dem Serum, aus dem sie gewonnen
werden.
2. Das normale Serum enthält eine Anzahl von agglutinieren¬
den Stoffen nicht spezifischer Natur.
3. Es ist noch unentschieden, ob für die Entstehung spe¬
zifischer Immunkörper die Reproduktion im Tierkörper vor¬
gebildeter Stoffanordnungen oder die Bildung neuer Verbin¬
dungen wesentlicher ist. In beiden Fällen ist mit Wahrschein¬
lichkeit anzunehmen, dass die spezifische Gesamtreaktion aus
einer Kombination an und für sich nur wenig spezifischer Teil¬
reaktionen resultiert. Diese Annahme gibt eine genügende Er¬
klärung für die Entstehung spezifischer Substanzen.
Die sogenannte Abhärtung der Kinder.
Von Privatdozent Dr. Hecker, leitender Arzt am Kinder¬
spital München-Nord.
„Kinder müssen abgehärtet werden und zwar je früher, desto
besser.“ Dieser Satz ist heute in gebildeten Kreisen ein sehr
verbreitetes Dogma. Leider wird dabei nur zu häufig vergessen,
was wirklich „Abhärtung“ heisst, und man tut blind Dinge, wozu
ein offenes, wachsames Auge nötig wäre. Wir Aerzte mögen bei
dem Uebereifer vieler Eltern manchmal wohl denken, wie der
Zauberlehrling : „Die ich i’ief, die Geister, werd' ich nun nicht
los !«
Der Begriff der Abhärtung ist ein sehr umfassender. Uns
soll hier nur das beschäftigen, was man unter „Abhärtung“
schlechthin versteht, nämlich die Massnahmen zur Erhöhung
der Widerstandsfähigkeit gegenüber Kälteeinflüssen.
Wie wird die Abhärtung der Kinder ge¬
wöhnlich betrieben? Säuglinge werden zuweilen schon
in den ersten 3 — 4 Wochen, in der Regel aber erst vom zweiten,
dritten Monat ab dadurch abzuhärten versucht, dass entweder
die Temperatur des täglichen Bades etappenweise
herabgesetzt oder dass dem warmen Bade eine kühle,
später kalte Uebergiessung nachgeschickt wird oder dass
ein- und mehrmals täglich kalte Waschungen vorgenom¬
men werden. Weiterhin dadurch, dass die Kinder in kalten
26) 1. c.
27) Es mag schliesslich von Nutzen sein, auf die Verwandt¬
schaft der besprochenen Immunisierungsprozesse mit dem allge¬
meineren Falle der Anpassung von Organismen an Schädlichkeiten
überhaupt hinzuweisen. Beide Male handelt es sich um die Be¬
günstigung der Ausbildung resistenter Systeme. Es dürfte
nicht leicht sein, zu denken, dass z. B. eine Bakterienzelle im
Zustande der Anpassung an höhere Temperaturen (s. Dieu-
donnö: Arbeiten aus dem kais. Gesundheitsamte, 9) nicht stoffliche
Variationen erfahren haben sollte und ein gleiches ist für Zellen,
die an irgendwelche Giftwirkungen angepasst sind, anzunehmen.
18. November 1902.
MPENCHENEB MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT.
Zimmern, eventuell bei offenem Fenster schlafen, dass die
Riemen von vornherein bei jedem Wetter ausgrfahihi werden
Bei grosseren Kindern wird das Ziel der Abhärtung durch die-
selben Mittel besonders aber durch kalte UebergiesLgen, Wa-
schuiigen, Bader, durch leichtere Kleidung, Blosslassen der Arme
und Beine u. s. w., zu erreichen gesucht.
Haben solche Prozeduren nun wirklich stets den gehofften
Ei folg, sind sie ganz gleichgültig oder sind sie nicht vielleicht
in vielen Fallen direkt schädlich? Diese Fragen sind in den
zahlreich erschienenen Spezialschriften über Kinderpflege schon
vielfach berührt und recht verschieden beantwortet worden
ebenso wie auch die Ansichten im Laienpublikum oft genug ge¬
wechselt haben In den neueren Veröffentlichungen aus Aerzfe-
kre.sen herrscht aber wenigstens darin völlige Einigkeit dass
Abhartungsversuche an Säuglingen unnütz und unz^eckiassj
1909
baupfnicbVlh.S^
sS-SfSSS
Anders dagegen ist es mit dem späteren Kindesalter. Hier
herrscht die Anschauung vor, dass nur durch methodische ziel-
ewusste (systematische, energische etc.) Abhärtung die Kinder
vor Erkaltung und deren Folgezuständen bewahrt und zu ge-
sunden, kräftigen Menschen herangebildet werden können. Dieser
m der Grundfrage geschlossenen Einheit steht nun allerdings
eine merkwürdige Ditferenz der Meinungen über das Wie, den
Zeitpunkt des Beginnes und den jeweiligen Nutzen oder Schaden
dei \ orzunehmenden Abhärtungsprozedur gegenüber
skeptlc^v^ bei ändern' am meisten
als untere Grenze der Badetemperatur im zweiten J iir n
dem zweiten Jalir 17 hi« is» p „„ J i -nun z-i , nach
härtimg beginnt er nicht vor'dem v fe r t e n?a h i?'
tfifde«6 i>e?eht In ganz ,a ngsainen Erniedrigung der Tempera
kÜhIe oder BÄ
roj’deTs hlSnf h UD^ mit abgestandenem Wasser
Ausschlns« vm) An s Th Ai m entsprechenden Kleidern mit
sino-p,. f 1 A^°henen Leibchen, Höschen u. dergl. Hoch-
8 j? f , . rder^ nach dem dritten Lebensjahr energische und
CÄÄw \'i r V’ noch '«ÄS
liuigens naiDhad von 25°, Abreiben und Ueberaiessen inf Pn,ct
!'!!' . ,!cken’ Frottieren, Dauer des Ganzen 3 Minuten- im Sommer
SS Ä
wTschn nvp n ^ h 1 VTeAPont er d i e a b e n d 1 i c h e n k a 1 1 e n
mit liMiioo n 8 des Körper s und möchte sie durch solche
mit halblauem Wasser nicht unter 21 0 ersetzt sehen T r n m n ,,
zu Wählen °uMrisdtedfl?-nd^ ™Ögl*chSt fl'ühzeitig durch Abhärtung
versuche fnhl «f dafür die im Sommer begonnenen Abhärtungs
W ntpv ’i f' Urr ! zur Zufriedenheit ausgefallen sind, auch im
Winter ohne Unterschied fortzusetzen. Er empfiehlt vom vierte
21 S® Sh^-abr??ählic-h kühlere Bäder (bis1 25, später 22 und
r-isr'h m t ' -]ie Ivmder kräftig abgerieben und schliesslich Abends
ni zimmerwarmem Wasser übergossen werden sollen.
Mittp o ärfer-nOChAals heute wai-en die Gegensätze zu Anfang und
zinischen Jahrhunderts wo zwei der angesehendsten medi-
2.M f( o! k lkeiV1lei' dle Abhärtung der Kinder völlig diver¬
sem Tk oS vertraten; Hufeland („Guter Rat für Mütter-')
fiihnmi \tU imd AVlchtlgste Regel an die Spitze seiner Aus-
,.,. 5' „Man wasche alle Morgen das Kind vom Kopfe bis zu
ä kaltem Wasser.“ Und er sieht in diesem Ver-
mifi de™ scho.1.1 m dei> dritten oder vierten Woche begonnen
EU s«p , f Ä8 gF0Sste Schutzmittel gegen Schnupfen, Husten,
und Fieber ; „es stärkt das gesamte Nervensystem für
das ganze Leben und
K,,;imnfa „ *r - man schützt dadurch die Kinder vor
S-R?’-FerJenzufallen und vor jener kränklich erhöhten Em-
phndlichkeiq die so oft die Last des ganzen Lebens werden.“
°j:.k (das Buch vom gesunden und kranken Menschen)
i Säuglingen überhaupt nur warme, höchstens lauwarme
(i aide des ersten Jahres) Bäder und hält die Abhärtung der Kinder
och im zweiten und dritten Lebensjahr für eine „durchaus un¬
natürliche ; „sie habe in der Regel, als zu reizend auf die Em-
pim< lungsnerven wirkend, schlimmen Einfluss auf das Gehirn und
Nervensystem.“ Weiterhin: „Die Temperatur, deren ein kleines
vnm m diesem Alter noc-h bedarf, ist eine ziemlich warme. Vor¬
züglich sind die Erkältungen des Bauches und der Fiisse ängstlich
zu vermeiden, weil diese nicht selten Ursache gefährlicher Krank-
ßeiten werden. Nur allmählich gewöhne man das Kind im dritten
oder vierten Lebensjahr an kältere Luft (dünnere Kleidung)“.
No. 4G.
Diese recht schroffen Gegensätze in der Beurteilung einer
der Grundfragen der Kinderpflege können nur davon herrühren,
dass die Erfolge den angewandten Massregeln vielfach nicht ent¬
sprochen haben, ja dass gewiss auch schädliche Wirkungen zur
Beobachtung kamen, welche dann den betreffenden Autor ver-
anlassten, diese oder jene Methode zu verpönen und eine andere
zu empfehlen. Wenn aber solches möglich ist bei Dingen die
heute zu unentbehrlichen Requisiten guter Kindererziehung zu
gehören scheinen, wenn bei „systematischer Abhär¬
tung“ der Kinder wirklich schwerere Nachteile Vorkommen
können, dann scheint das ganze doch noch sehr der Prüfung
bedürftig zu sein. Wo es sich nicht um rein ärztliche Verord¬
nungen handelt, die wir übersehen und für die wir die Ver¬
antwortung tragen können, sondern um Vorschriften, deren Aus-
ührung ganz den Eltern übergeben ist, obwohl sie fortwährender
Regulation bedürfen, da sollten wir Aerzte mit unserem Rat
doppelt vorsichtig sein.
Unrichtig angewandte Abhärtung kann in
der Tat zu recht schlimmen Zuständen führen;
zu Erscheinungen, deren Grund begreiflicherweise zu allerletzt
dort gesucht wird, wo er wirklich liegt. Wollte man doch ge¬
rade durch strenge Abhärtung das Kind vor allem Schaden be¬
wahrt haben.
Diese Beobachtung hat sich mir in den letzten Jahren durch
eme Reihe von Fällen aufgedrängt und mich dazu veranlasst,
der Frage erhöhtes Interesse zuzuwenden; ich will im folgenden
die markantesten Beispiele herausgreifen.
MV 1 'Ir111,7 Monate alt> wird zu mir gebracht mit der
Angabe, dass der Knabe seit mehreren Monaten auffallend
a u g e l- e g t sei, dass er ganz ohne Veranlassung in exzessiven
’ö-IsZpvpnfi?lute Vml, da5n im.erträglich schreie, so dass die Eltern
t'; ;,. cvp i1,]: . \ oi-handens-em einer Geisteskrankheit fürchteten.
Appetit sehr schlecht. Die objektive
unteisuckung, die nur unter geräuschvollster heftiger Gegenwehr
VOr8ich gellt’ einen zwar gut gebauten, IS
nt mlicli mageien Körper, grosse Blässe der Haut und sichtbaren
Schleimhäute; massig ausgebreiteteB roüclriti s auf beiden Lungen,
m!i + n voHkoininen gesunde Organe. Die Anamnese ergibt
mprnp ®.eme^kenswertes, keine Belastung, keine Krämpfe etc. Auf
une eingehenden Fragen nach der bisherigen Lebensweise des
Kmdes wircl mir mit Genugtuung geantwortet, dass dasselbe
8 e 1 1 seinem acht e n Monat täglich zweimal kalt
g e w a s c lie n und häufig auch über gossen werde,
wobei ßs jedesmal ängstlich zusammenzucke und fürchterlich
schreie. Auf meine Anordnung wird unter anfänglichem Protest
dei Litern die Kaltwasserkur abgestellt, und schon nach
t unf Tagen ist der Schlaf ruhig, der Appetit
1 °..) e.n und die Bronchitis verschwu n d e n.
Hartnäckiger sind die Exzitationszustände und die An-
amie, die erst nach drei bis vier Wochen, bezw. nach zwei
Monaten zur Heilung gebracht wurden. Der Knabe behielt lange
Zeit noch eine grosse Empfänglichkeit für Katarrhe, ac-quirierte
im darauffolgenden Winter nach einer Erkältung eine katar-
rhalische Pneumonie, ist aber jetzt (mit 4% Jahren) ein gesundes,
kräftiges Kind.
Das ganze Krankheitsbild dieses Falles war zweifelsohne
untei dem Einfluss der übertriebenen Wasseranwendung entstan¬
den. Einerseits führte die fortgesetzte, zu grosse Wärmeent-
ziehung zur Anämie und Bronchitis, andererseits bewirkte der
wiederholte und höchst unangenehm empfundene Hautreiz eine
psychische und nervöse Uebererregbarkeit, die schon den Eltern
als ganz abnorm erschien. Statt der gewünschten „Abhärtung“
halte man das Gegenteil, erhöhte Empfänglichkeit für Katarrh
erreicht.
Kail B., 0 Jahre alt, erscheint hei mir mit folgenden An¬
gaben der Mutter: Seit einem halben Jahre Keuchhusten, welcher
lange sehr intensiv war. Zur Zeit wenig typische Anfälle, wohl
aber noch viel Husten. Auffallende Zunahme der psychischen
Reizbarkeit bei dem schon früher ziemlich nervösen Knaben, deut
Ji(‘li fortschreitende Blutarmut; ruhiger Schlaf, guter Appetit
Keine nachweisbare erbliche Belastung. Der Knabe wurde seit
s ei n e m dritten Monat Morgens und Abends
in i t brunnenkaltem Wasser gewasche n, wobei er
niemals geschrieen habe. Die Waschungen wurden auch während
der ganzen Zeit des Keuchhustens durchgeführt. Die Unter¬
suchung geschieht unter den grössten Schwierigkeiten. Jeder Ver¬
such. an den Knaben heranzukommen, löst förmliche Wut-
und Schreiparoxys in e n a u s; bestimmte Aufforderungen,
wie' tief zu atmen, die Arme zu erheben etc. werden in para¬
doxer Reaktion gerade mit dem Gegenteil beantwortet. Schliess¬
lich gelingt es doch, folgendes festzustellen: Grosse Blässe an
Haut und sichtbaren Schleimhäuten; typischer, heftiger
K e u c li h u s t e n anf all während der Inspektion, ausgebreitete
kapilläre Bronchitis, lobuläre Verdichtung
a u f der rechten Lungenspitz e, erhöhte Sehnenreflexe
nasale Sprache, verlegte Nasenatmung. Die Untersuchung von
1910
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Nase und Nasenrachenraum verbietet sich bei der grossen Enegt-
heit und dem Widerstande des Patienten.
Ordination: Verbot der kalten Waschungen, warme Kamillen-
und Heublumenbäder. Nach acht Tagen kommt der Knabe
wieder; er lässt sich ruhig untersuchen, ja selbst mit Instru¬
menten in Nase und Nasenrachenraum. Die katarr h all sc he
r n e u ra o n i e ist gänzlich, die Bronchitis bis auf eine kleine Stelle
im linken Unterlappen geschwunden. Adenoide Vegetationen
reichlich vorhanden. Seit acht Tagen kein Keuch¬
hustenanfall mehr. Eine Woche später kein Anfall mehr,
Lungen ganz frei. Entfernung der Rachenmandel, ohne dass es zu
mehr als der üblichen Aufregung kommt. Nach drei
Wochen berichtet mir die Mutter, dass der Knabe Ktzi
völlig gesund, insbesondere, dass er auffallend ruhig
und folgsam sei.
Hier hatte das kalte Wasser ebenfalls zur Anämie und Ner¬
vosität geführt, hatte den Keuchhusten, der in diesem Alter sonst
viel milder zu verlaufen pflegt, künstlich unterhalten, bezw. zu
einer heftigen und hartnäckigen Krankheit gemacht und hatte
die hiebei ebenfalls nicht selten zu beobachtende psychische Reiz¬
barkeit enorm gesteigert. Auch die Lungenentzündung, ^sowie
die heftige Bronchitis in diesem späten Stadium des Keuch¬
hustens können nur auf die kalten Waschungen zu beziehen sein.
Den Beweis entnehme ich aus dem prompten Verschwinden allei
Symptome lediglich durch das Weglassen des kalten Wassers.
Folgende Fälle betreffen Säuglinge, bei denen sich die
Wirkungen unvorsichtiger Abhärtung sehr bald und zum Teil
auch verhängnisvoll bemerkbar machten.
Rudolf P. wurde schon einige Wochen nach der
Geburt mit kühlen U ebergiess ungen nach dem Bade
behandelt. Im Uebereifer steckte die Kindsfrau eines Tages das
Kind ganz in kühles Wasser. Zwei Tage später traten Daim-
symptome auf, die sich zu ausgesprochener schwerer Dick¬
darmentzündung entwickelten (Enteritis follicularis).
Kurze Zeit darauf erkrankte der Knabe an katarrhalischer
Lungenentzündung, die noch zweimal innerhalb weniger
Wochen rückfällig wurde. Während des ganzen ersten Lebens¬
jahres blieb das Kind anämisch und empfindlich gegen
jede Erkältung, auf die es stets mit Darm- und Bronchial¬
symptomen reagierte. Erst durch sorgfältigste Bewahrung voi
Kälte, durch richtige Verwöhnung, wird der Kleine im Laufe des
zweiten Jahres gesünder und widerstandsfähiger, wenngleich
auch dann noch eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Witte¬
rungseinflüssen und Neigung zu Dyspepsien zurückblieb.
Kurt L. erhält von Geburt ab anfänglich kühle
Ueb er giess ungen, dann ditto Waschungen nach dem Bade.
Das im ganzen sehr kräftig entwickelte Kind erkrankt im fünften
Monat an ausgebreiteter Bronchopneumonie, von der es
sich wieder erholt, um zwei Monate später an akutei Gastio-
enteritis zu Grunde zu gehen.
Die beiden Fälle zeigen miteinander Aehnlichkeit, insofern
als der vorzeitige Kälteeinfluss zur Schwächung der Atmungs¬
und Verdauungsorgane geführt hat. Bei dem Fehlen jeder
anderen nachweisbaren Ursache und angesichts der geradezu
mustergiltigen hygienischen Verhältnisse, in denen beide Kinder
aufgezogen wurden, erscheint die schädigende Wirkung der Ab¬
härtung zweifellos.
Auch der folgende Fall weist auf eine Schädigung des Darmes
durch fortgesetzte, allzugrosse Wärmeentziehung hin.
Ludwig A. erhält von Geburt ab Bäder von 26 0 R. mit
darauffolgender Uebergiessung von 17 bis 20°, vom
zweiten Jahre ab Morgens Uebergiessungen von 20°, späterhin
dann Abreibungen mit zimmerkaltem Wasser. Der Knabe, der
mit 5*4 Jahren in meine Behandlung kommt, leidet nach Angabe
der Mutter seit vier Jahren an einer Darmstörung, die sich zeit¬
weilig durch Verstopfung, zeitweilig durch Diarrhöen, durch
starke Schleimausscheidung und heftige Schmeren kundgibt, und
die das Kind seit nun mehr als 1% Jahren das Gewicht von 19 kg
nicht überschreiten lässt. Es handelte sich um chronische
Darmatonie mit Anfällen von sogen. Schleimkolik.
Meine Behandlung hatte, wie die der früheren Aerzte, nur momen¬
tanen Erfolg, bis mir die Ursache klar wurde. Erst das Unter¬
lassen aller Kaltwasserprozeduren, systematische Anwendung von
Wärme in verschiedener Form zusammen mit Massage und Diät
'"anfänglich schonend, dann etwas reizend) brachte Heilung. Ein
kurzer Rückfall mit heftigen Schmerzen, Schleimentleerungen und
Gewichtsverlust trat ein, als der Knabe in der Sommerfrische an¬
fing, ohne mein Wissen und ohne richtige Kontrolle Sonnenbäder
zu nehmen und barfuss zu laufen. Durch entsprechende Mass-
regeln war nach drei Tagen wieder die normale Darmfunktion
hergestellt. Vier Monate nach Beginn der Behandlung meldete mir
die Mutter das langersehnte Gewicht von 40 Pfund.
Als Beispiele für die Schädigung des Nervensystems
durch die „Abhärtung“ mögen nachstehende Fälle dienen:
Hertha M., 1 % Jahre alt, wird wegen sehr unruhigen
Schlafes und nächtlichen Aufschreiens in meine Be¬
handlung gebracht. Seit der sechsten Woche ihres Le¬
bens täglich Morgens und Abends mit 13° kaltem
Wasser gewaschen. Abstellung dieser Prozeduren be¬
wirkt sofortige und dauernde Heilung.
Max P., 8 Jahre alt, leidet seit längerer Zeit an u n ruh i g e m
Schlaf und unerklärlichen Aufregungszustande n.
Wird seit mehreren Jahren mit Uebergiessungen und
Waschungen „streng und systematisch abgehärtet . Aut
mein Anraten wird gegen den Wunsch des Vaters die Abhärtung
sistiert. 14 Tage später teilt mir die Mutter mit, dass ihr feohn.
seitdem er nicht mehr mit kaltem Wasser behandelt werde, ruhigei
schlafe, und seine Erregbarkeit ganz geschwunden sei.
Obenstehende Fälle mögen als Typus für die „K r a n k h e i t
der Abgehärteten“ dienen. Ich glaube, dass jeder Arzt
bei aufmerksamer Beobachtung die Reihe derselben beliebig ver¬
mehren könnte. Immerhin stellen sie aber doch nur Einzeln¬
beobachtungen dar, und die einseitige — schlechte — Er¬
fahrung konnte nicht genügen zu einem brauchbaren Urteil über
Wert oder Unwert der Abhärtung. Audiatur et altera pars.
auch genützt oder doch nichts geschadet.
Ich suchte nun durch eine Umfrage bei Müttern meiner
Klientel festzustellen, welche Kinder abhärtenden Prozeduren
unterzogen wurden, eventuell welcher Art diese waren, um darauf¬
hin zu untersuchen, ob sich ein Unterschied zwischen abgehärte¬
ten und nicht abgehärteten Kindern bemerkbar mache in Bezug
auf allgemeinen Gesundheitszustand, Widerstandsfähigkeit gegen
Krankheiten, speziell gegen Erkältungen etc.
Die von mir gefertigten Fragebögen sollten folgende Punkte
fixieren: 1. Ob das betreffende Kind systematisch abgehärtet
wurde; 2. Art der Abhärtungsprozedur (Bäder, Uebergiessungen,
Waschungen, Abstufungen in der Kleidung, Ausgehen bei jedem
Wetter, Schlafen bei offenem Fenster und sonstiges); 3. Tem¬
peraturgrad des angewandten Wassers, Dauer der Prozedur,
Tageszeit; 4. Beginn der Abhärtung; 5. Beobachtungen der
Mutter über Empfinden der Kinder bei der Wasserprozedur, über
den Einfluss derselben auf Schlaf, Appetit, Aussehen, Charakter,
auf Empfänglichkeit derselben gegen Erkältungen, Katarrhe,
Durchfälle, und ein kurzes Schlussurteil der Mutter, ob sie sich
als Freund oder Gegner der Abhärtung bekenne.
Diese Fragen versandte ich an 42 mir geeignet erscheinende
Mütter meiner Klientel, deren Kinder das erste Lebensjahr über¬
schritten hatten, wobei ich für jedes Kind einen eigenen Bogen
aussetzte. Eine allgemeine Umfrage auch ausserhalb meiner
Klientel hätte wohl mein Material grösser, aber nicht brauchbarer
gemacht. Die Ergebnisse der Umfrage sind näm¬
lich nicht auf die gewiss oft allzu subjektiven
Urteile der Mütter, sondern einerseits auf
deren Angaben über etwa vorgenommene oder
nicht vorgenommene Abhärtung s m a ssnahmen.
andererseits aber auf meinen eigenen Be¬
obachtungen an den betreffenden Kindern
aufgebaut. Solches war natürlich ausserhalb meiner Klientel
nicht möglich. .
Es liefen im ganzen 50 Antworten von 28 Müttern ein. Da
Frage bezüglich der Abhärtung durch Abstufung in der Kleidung,
durch Gewöhnung an jede Witterung wurde fast durchgehend»
in gleichem positiven Sinne beantwortet, so dass besondere
Schlüsse hieraus nicht zu ziehen sind. Anders dagegen die Frage
nach der Kaltwasseranwendung, bei denen durchgreifende Unter¬
schiede auftraten. Da im Folgenden nur diese Methode der Ab¬
härtung uns beschäftigen wird, soll sie hier kurzweg unter „Ab¬
härtung“ verstanden sein.
Unter den 28 Müttern bekannten sich im ganzen 12 als
Gegner, 8 als gemässigte, 7 als begeisterte Anhänger der syste¬
matischen Wasserabhärtung. Eine ist unentschieden. Unter
den Gegnerinnen ist die Mehrzahl durch eigene, schlechte Er¬
fahrung zu diesem Standpunkt gekommen.
Von 50 Kindern wurden 25 bereits im ersten Lebensjahr mit
kaltem Wasser abgehärtet und 7 erst nach dem ersten Lebensr
jahre. Bei 18 Kindern wurde keinerlei systematische Abhärtung
versucht.
Die Erfolge der Abhärtung.
Zunächst seien die Beobachtungen der Mütter angeführt.
Von den Freunden der Wasserabhärtung wii d
als direkte, günstige Wirkung bezeichnet: ruhiger
Schlaf als Folge abendlicher oder morgendlicher kalter
Waschungen (5 Kinder), geringere Empfünglic h k e i
gegen Erkältung (G mal) und Beruhigung des Cha¬
rakters (2 mal); ferner wird von 2 Müttern angegeben, dass
18. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1911
ihi anfänglich schwächliches und kränkliches Kind durch vor¬
sichtige Wasseranwendung abgehärtet, bezw. gesund und kräftig
gewonlen sei. Im iibiigen werden Angaben über speziell günstige
Wirkungen nicht gemacht, sondern nur der allgemeine gute Ge¬
sundheitszustand der abgehärteten Kinder rühmend hervor¬
gehoben. Dagegen wird berichtet, dass die abendlichen Wasch¬
ungen einmal unruhigen Schlaf mit Aufschreien, einmal Auf¬
regungszustände erzeugt und einmal überhaupt „ungünstig“ ge¬
wirkt hätten. Den Waschungen wird gegenüber den Ueber-
giessungen entschieden der Vorzug gegeben im Hinblick auf deren
auf legende V ii kling und aut das unangenehme Zusammen¬
schrecken der Kinder.
Die Ge g n e i d e l W asserabhärtung bezeichnen
als unmittelbar ungünstige W i r k u n g der Prozeduren
folgende Erscheinungen: sehr unruhigen Schlaf (2 mal)
nächtliches Aufschreien (2 mal), Blässe (4 mal) er¬
höhte Neigung zu Katarrh (5 mal), unangene h’m e s
Empfinden (7 mal), Heftigkeit des Charakters, ge¬
lingen Appetit, allgemeine Erregbarkeit und zu grosse
AVärmeverluste (je 1 mal).
Bei im ganzen 34 systematisch abgehärteten Kindern werden
also 15 mal günstig’e und 27 mal ungünstig’e Erscheinungen als
direkte Wirkungen von den Müttern beobachtet. Diese Angaben
der Mütter mögen ja nicht immer ganz exakt sein, doch bilden
sie meines Erachtens eine ganz wertvolle Ergänzung zu den nun
folgenden
Eigenen Beobachtungen.
Um den Einfluss der Wasserabhärtung auf den Körper des
Kindes besser kennen zu lernen, schien es zweckmässig, die ab¬
gehärteten Kinder in 2 Kategorien zu teilen, nach dem Grade
der ihnen zu teil gewordenen Wasserapplikation. Zur „m i 1 -
den Abhärtung' rechne ich die einmal des Tag’es vorge-
nommenen kalten, bezw. kühlen Waschungen, Abreibungen und
Bäder, während ich als „strenge Abhärtun g“ die kalten
Uebergiessungen mit oder ohne vorangegangenes Bad, sowie alle
zwei- oder mehrmals täglich vorgenommenen Prozeduren be¬
zeichnen möchte. Sonach waren 13 Kinder (10 als Säuglinge)
mild und 21 Kinder (15 als Säuglinge) streng abgehärtet.
Einfluss der Ab härtung auf die Erkältungs¬
disposition. Als Hauptziel und Vorteil gewissenhafter
und frühzeitiger Abhärtung wird allgemein der Schutz der Kin¬
der vor Erkältungen angesehen, d. h. vor Krankheiten, die durch
äussere Kältewirkung entstehen können. Unsere Wahr¬
nehmungen werfen ein eigentümliches Licht auf diese An¬
schauung.
Von 16 nicht systematisch Abgehärteten sind
° — 50 Proz. unempfänglich und 5 = 31 P r o z. ausgespro¬
chen empfänglich für Erkältungen.
Von 13 mild Abgehärteten sind 5 = 38 Proz. unem¬
pfänglich und 5 = 38 Proz. ausgesprochen empfäng¬
lich.
Von 21 streng Abgehärteten sind 3 = 16 Proz. un¬
empfänglich und 13 = 62 Proz. ausgesprochen empfänglich für
Erkältungen.
Die übrigen, nicht erwähnten Kinder der 3 Gruppen ver¬
halten sich unentschieden.
Am auffallendsten gestaltet sich das Verhältnis bei den
streng abgehärteten Säuglingen: von 15 derselben
sind 11 = 73 Proz. ausgesprochen empfänglich und
nur 1 nicht empfänglich für Erkältung.
Die zu frühzeitige Abhärtung, besonders
die forcierte gewährt also nachweislich nicht
nur keinen Schutz vor Erkältungskrankheiten,
sondern erhöht im Gegenteil die Empfäng¬
lichkeit für dieselben.
Einfluss der Abhärtung auf das Nerven¬
system: eine direkte Einwirkung auf das Nervensystem
macht sich bemerkbar:
Bei milder Abhärtung (13 Fälle) 7 mal, davon 4 mal (57 Proz.)
eine ungünstige.
Bei strenger Abhärtung (21 Fälle) 12 mal, davon 8 mal
(66 Proz.) ungünstig.
Bei insgesamt 34 Abgehärteten 17 mal, davon 10 mal
— 59 P roz. ungünstig.
Die günstige Wirkung gibt sich ausschliesslich in
Beruhigung und Vertiefung des Schlafes zu erkennen; nur in
einem Falle, einem 10 jährigen musikalischen Wunderkind, ist
die Wirkung eine negative; das Kind wird ohne Uebergiessung
nervös. Der an den starken Reiz gewöhnte Organismus reagiert
auf die Entziehung desselben mit nervösen Symptomen ganz
ähnlich wie der Morphinist, der starke Raucher oder Trinker
auf die erzwungene Entbehrung des geliebten Stoffes.
Von direkten ungünstigen Wirkungen be¬
obachten wir am häufigsten auffallende Unruhe und Aufregungs¬
zustände, die so lange anlialten, als die Waschungen und Ueber¬
giessungen angewendet werden. Des weiteren unruhigen Schlaf,
nächtliches Aufschreien, sehr unangenehmes Empfinden mit Zu¬
sammenzucken und heftigem Schreien, Stille, Blässe etc.
Die Frage, zu welcher Tageszeit das kalte Wasser weniger
aufregend wirkt, Morgens oder Abends, kann allgemein nicht
beantwortet werden. Hier scheinen ganz besondere individuelle
Verhältnisse geltend zu sein; die einen reagieren gut, die
anderen schlecht auf abendliche oder morgendliche Wasch¬
ungen etc., ohne dass sich ein plausibler Grund dafür auffinden
Hesse.
Einfluss der Abhärtung auf die Psyche:
Unter 15 streng abgehärteten Kindern über 2 Jahren sind
7 nicht nur äusserst lebhafte, sondern direkt abnorm reizbare,
aufgeregte Charaktere. Dagegen fällt unter den mild Ab¬
gehärteten nur eines, unter den nicht systematisch Abgehärteten
kein einziges als abnorm reizbar auf. Unter den Kindern dieser
zwei Kategorien sind nicht einmal übertrieben lebhafte Indi¬
viduen.
Dass viele dieser Kinder von vornherein reizbar und nervös
veranlagt waren, mag wohl sein, sicher scheint mir aber, dass die
forcierte Abhärtung die eventuell vorhandene Anlage höchst un¬
günstig beeinflusst hat. Ein Anhaltspunkt dafür, dass die be¬
treffenden Kinder, etwa zur Bekämpfung schon vorhandener
Nervosität abgehärtet wurden, ist nicht nachweisbar.
Einfluss der Abhärtung auf allgemeinen
Körperzustand und allgemeine Krankheits¬
disposition: Das beste Urteil über Wert oder Unwert der
angewandten Abhärtungsprozeduren musste sich dadurch ge¬
winnen lassen, dass man zusah, wie sich die betreffenden Kinder
im Laufe der Jahre entwickelten, wie sich ihr allgemeiner Ge¬
sundheitszustand, ihre Resistenz gegenüber Erkrankungen u. s. w.
verhielt, und ob sich hiebei ein deutlicher Unterschied zwischen
Abgehärteten oder nicht Abgehärteten bemerkbar machte. Be¬
rücksichtigt wurden unter den abgehärteten Kindern nur solche,
die schon im ersten Lebensjahr Kaltwasserprozeduren unterzogen
worden waren, so dass die Gesamtzahl der Beigezogenen etwas
kleiner wird.
Von 15 nicht systematisch Abgehärteten
blieben 8 = 53 Proz.' in den ersten (3 und mehr)
Le bensjahren vollständig gesund. 4 überstanden
Keuchhusten ohne Komplikationen, blieben im übrigen eben¬
falls gesund. 3 machten mehr oder weniger schwere Erkran¬
kungen durch. 2 dieser letzteren waren ausgesprochen verweich¬
lichte Kinder, insofern sie, obwohl von Natur aus gesund, stets
zu warme Kleidung erhielten und Sommer wie Winter ängstlich
vor Wind und Regen behütet wurden.
Von 13 mild Abgehärteten blieben 7=53 Proz.
gesund, 2 machten Keuchhusten ohne Komplikationen, eines
follikuläre Enteritis durch, 3 waren chronisch kränklich (Tuber¬
kulose und Pleuritis). Diese zwei Gruppen verhalten sich dem¬
nach hinsichtlich ihres allgemeinen Zustandes in den ersten
Kinderjahren ziemlich gleich. Ganz anders dagegen präsentiert
sich die 3. Gruppe.
Von 21 streng Abgehärteten blieben nur
4 — 19 Proz. in den ersten Lebensjahren g e -
s u n d, 3 machten Keuchhusten und zwar sehr hartnäckigen
und mehrfach komplizierten durch, blieben aber sonst gesund.
Die übrigen 14 = 66 Proz. überstanden alle mehr oder weniger
schwere Erkrankungen und waren ausnahmslos durch Jahre hin¬
durch richtige Sorgenkinder. Ich beobachtete bei ihnen folgende
Affektionen : Schwere, zumeist schwerste Anämie (10 mal),
katarrhalische Pneumonie (7 mal), Erkrankung des Nerven¬
systems (8 mal), Darmerkrankungen (5 mal).
Ich glaube, diese Zahlen führen eine ganz beredte Sprache.
Blosse Zufälligkeiten dabei anzunehmen, halte ich mich nicht
mehr für berechtigt. Im Gegenteil finde ich meine Vermutung
bestätigt, dass zwischen unzweckmässiger, übertriebener Ab¬
härtung und einer ganzen Reihe von Erkrankungen ein direkter
Zusammenhang besteht. In erster Linie sind es die oft uner¬
klärlich erscheinenden Anämien, deren Entstehen auf diese
2*
1912
MUENCHENER MEDICFNISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Weise klar wird, in zweiter Linie verschiedentlich© oben er¬
wähnte nervöse Störungen, fernerhin manche Bronchopneumo¬
nien, sowie Darm-, besonders Dickdarmerkrankungen. Von
letzteren beiden werden viele häufig ganz richtig auf Erkältung
zurückgeführt, nur wird der Grund dafür gewöhnlich in mangel¬
hafter, niemals aber in übertriebener Abhärtung gesucht.
Abhärtung und adenoide Vegetationen.
Der von mir mehrfach gehegte Verdacht, dass auch zwischen dem
gerade in gut situierten Familien so häufigem Vorkommen ge¬
wucherter Rachenmandeln und gewissen Abhärtungsprozeduren
ein Konnex bestehe, hat durch meine Forschungen weitere
Nahrung erhalten. Es ergibt sich, dass unter den
nicht systematisch Abgehärteten 20 Proz.,
unter den mild Abgehärteten 30,7 Proz.,
unter den streng Abgehärteten 46,6 Proz.
mit adenoiden Vegetationen behaftet waren. Der Nachweis war
stets durch das Vorhandensein der bekannten äusseren Erschei¬
nungen, sowie durch die Digitaluntersuchung, zum grössten Teil
Ich masse mir nicht an, bei der komplizierten Aetiologie der
Adenoiden vollgültige Schlüsse aus diesen Zahlen zu ziehen. Ich
könnte mir aber recht gut denken, dass eine durch das kalte
aber durch die vorgenommene Entfernung derselben geführt.
Wasser bewirkte Rückstauung des Blutes nach inneren Organen
(siehe unten), ebenso wie in den Bronchien, den Lungen und dem
Darm, so auch im Nasenrachenraum chronische Hyperämie und
Schwellungszustände nach sich zieht. Die mit der Abhärtung
in Zusammenhang stehenden häufigen Katarrhe der Nase und
des Rachens würden dann einen weiteren Reiz für dasi schon
empfängliche Gewebe bilden. Bekannt ist ja das recht plötzliche
Erscheinen von Vegetationen nach infektiösen Katarrhen der
Luftwege.
Physiologische Wirkung des kalten Wassers.
Das kalte Wasser stellt ein mächtiges Reizmittel besonders
für das Gesamt nerven System dar. Einige Tropfen auf
die sensiblen Hautnerven gespritzt, genügen, um einen Ohn¬
mächtigen wieder ins Leben zurückzurufen! Einerseits ist es
das beste und kräftigste Mittel zur Behandlung vieler nervöser
Störungen beim Erwachsenen, andererseits ist es im stände, auf
das Nervensystem auch starker Organismen lähmend oder er¬
regend einzuwirken. Beweis : Die übermässige Erschlaffung oder
Aufregung mancher Personen nach allzukalten oder ungewohnten
Bädern, Duschen oder Abreibungen.
Die Wirkung des kalten Wassers auf das Blut ist schon
in zahlreichen Untersuchungen gewürdigt worden. Winter-
n i t z gibt an, dass allgemeine, die ganze Körperoberfläche
treffende, hydriatrische Prozeduren zu einer Vermehrung der roten
und weissen Blutkörperchen, wie auch des Hämoglobingehaltes
führen; die Zunahme währe aber höchstens zwei Stunden.
Murri, Chvosteck, Winternitz weisen nach, dass unter
Kälteeinwirkung rote Blutkörperchen zerfallen können. Die
Fälle von paroxysmaler Hämoglobinurie, bei denen nach Appli¬
kation lokaler Kältereize gelöster Blutfarbstoff im Harn auf-
tritt (Ehrlich, Boas, Trumpp u. a.) liefern uns schöne
klinische Beispiele hiefür. Sehr beachtenswert sind die Unter¬
suchungen von Reineboth und Kohlhardt. Dieselben ver¬
brachten Kaninchen für 5 Minuten in Wasser von 2 bis 3° und
konnten dann nachweisen, dass die Zahl der roten Blut¬
körperchen und der Hämoglobingehalt sich vermindert hatte.
Durch Wiederholung der Abkühlung in bestimmten Zeiträumen
liess sich der Verlust des Blutes an roten Blutkörperchen und
Hämoglobin zu bedeutender Höhe steigern. Sie folgern daraus,
dass die Abkühlung die roten Blutkörperchen schädigt und zu
Ilämoglobinämie führt. Aus vorstehenden Versuchen erklärt
ich ungezwungen, wie das kalte Wasser einmal zur Behandlung
vorhandener Anämien zn dienen vermag, wenn es richtig ange¬
wendet wird, dann aber auch, wie es bei unkritischer Applikation
direkt zur Ursache anämischer Zustände werden kann.
Auf die Beziehungen zwischen kaltem Wasser und Erkäl¬
tungskrankheiten, speziell auf die Abhärtung wirft die kritische
Studie von Kisskalt ein gutes Licht : Unter dem Einfluss der
Kälte ziehen sich die Blutgefässe der Haut zusammen, die
tieferen Partien des Körpers und die inneren Organe werden
mit Blut überfüllt. Durch mannigfache Untersuchungen ist aber
wahrscheinlich gemacht, dass ungewöhnliche Blutüberfüllung in
einem Organ des Körpers die Vermehrung- daselbst etwa vor¬
handener Bakterien begünstigt. Im Darm floriert zu allen Zeiten
eine ungeheure Menge der verschiedensten Bakterien; dass aber
auch in den Bronchien und den Lungen gesunder Kinder patho¬
gene Keime sich auf halten, geht aus den Versuchen Diircks mit
Deutlichkeit hervor; ebenso, dass diese für gewöhnlich harm¬
losen Bakterien nur eines gewissen Reizes, beispielsweise einer
Staubinhalation oder eines Blutandranges infolge einer Haut¬
abkühlung bedürfen, um virulent und wirklich zu Erregern von
Lungenentzündungen zu werden. Auf diese Weise gewinnen wir
Anhaltspunkte, uns die Entstehung der Erkältungskrankheiten,
der Katarrhe, Pneumonien, Darmentzündungen u. s. w. klar zu
machen. Durch die Einwirkung der Kälte (klimatische Insulte
oder Abhärtungsprozeduren) zieht sich das Blut aus den kon¬
trahierten Hautgefässen nach den inneren Organen zurück. Die
so entstandene Ltyperämie des Gewebes schafft den Boden für die
freie Entwicklung der normaler Weise zwar vorhandenen, aber
unterdrückten Krankheitskeime; diese können dann ungestört
ihre schädliche Tätigkeit entfalten und die krankhafte Verände¬
rung des Gewebes bewirken. „Je stärker nun aber der Kältereiz
ist,“ sagt Kisskalt, „desto schneller und kräftiger ziehen sich
die Gefässe der Haut zusammen, desto schneller erfolgt aber auch
der Rückschlag, nämlich nachfolgende Erweiterung der Gefässe
und Wärmegefühl. Wirkt dagegen ein mässiger Kältereiz lang¬
sam und längere Zeit, ein, so ziehen sich die Gefässe auch nur
allmählich und langsam zusammen, der Rückschlag erfolgt sein-
spät oder gar nicht“.
Beim Kind tritt dieser Rückschlag offenbar sehr langsam
und unregelmässig ein, oder er bleibt nicht selten ganz aus.
Theoretisch wäre es daher richtiger, zur Erzielung prompter Re¬
aktion nur stärkere Kältereize anzuwenden, oder durch kräftige,
mechanische Manipulationen, Reiben, Frottieren, nachzuhelfen.
Beides ist aber untunlich, das eine wegen der Irritation des
Nervensystems, das andere mit Rücksicht auf die zarte und leicht
verwundbare Haut des Kindes.
Aus allem geht hervor, dass das kalte Wasser für den Körper
etwas an sich durchaus nichts Harmloses darstellt, sondern unter
Umständen Wirkungen entfalten, kann, ähnlich denen der stärk¬
sten Arzneimittel. Dess sollen wir bei Kindern stets eingedenk
sein !
Zusammenfassung und Regeln für die Ab¬
härtung.
Die heute in vielen, besonders gebildeten Kreisen übliche
und verbreitete Methode, kleine Kinder mittels Kaltwasserproze¬
duren „systematisch“ abzuhärten, ist nicht nur unzweckmässig,
sondern häufig geradezu gesundheitschädlich.
Diese „systematische“ (d. h. schematische und kritiklose)
Kaltwasserabhärtung gewährt den Kindern nachweislich nicht
nur keinen Schutz vor den sogen. Erkältungskrankheiten, sondern
sie erhöht im Gegenteil geradezu die Empfänglichkeit für die¬
selben.
Sie führt daher häufig zu Schnupfen, Halsentzündungen,
Bronchitis, Lungenentzündung.
Sie kann ausserdem zu folgenden Schädigungen führen:
Zu ausgesprochener, ja schwerster Anämie.
Zu Erkrankungen des Gesamtnervensystems, wie allgemeine
Nervosität, Neurasthenie, Appetitlosigkeit; unruhiger Schlaf,
nächtliches Aufschreien; psychische Reizbarkeit mit auffallender
Unruhe und Aufregungszuständen; Veränderung des Charakters,
Launenhaftigkeit, Jähzorn, stilles Wesen etc.
Zu akuten und chronisch rezidivierenden Darm-, spez. Dick¬
darmkatarrhen.
Sie erschwert den Ablauf aller der genannten, sowie auch
anderer zufälliger Erkrankungen, besonders des Keuchhustens.
Eine gewisse körperliche Abhärtung ist beim Kinde not¬
wendig, sie geschehe aber nach folgenden Grundsätzen :
1. Die Abhärtung sei nicht Selbstzweck, sondern sie habe
immer ihr eigentliches Ziel im Auge, die Wehrhaftmachung des
Körpers gegenüber den Angriffen aus der Natur. Also nicht laut¬
loses Ertragen von kalten Güssen werde erstrebt, sondern das
Ueberwinden von Kälte, Wärme, Nässe, Trockenheit, Zugluft,
Wind u. s. w.
2. Dieses Ziel kann- nur durch die Anwendung adäquater, i. e.
natürlicher Mittel erreicht werden. Solche Mittel sind:
IS. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1913
n) O e w o h n u n g an die Luft des Zi m m e r s. Zeit-
wtilio- Blosslegen, Gewährung des Blosstrampeins im Schlaf unter
Vermeidung von sogen. Schlafsäcken, Barfusslau fen. Nackt-
lauten vor dem Schlafengehen. Schlafen bei offenem Fenster
nur im Hochsommer und nur in Orten mit mildem Klima'
, .,b> 5lWlhn,U??/,n die L"f‘- im Freien. Vom
zweiten Halbjaln ab Ausfahren oder Ausgehen bei jeder Witte¬
rung, ausser bei Nordostwinden, grosser Kälte, Schnee-
sturmen etc. Bei grösseren Kindern Luft- und Sonnenbäder im
Sommer. Barfusslaufen.
c) R i c h t i ge A n p assung der Kleid u n g an Klima
und Jahreszeit. Kein bestimmtes „Regime“. Vorsicht in den
Lebergangszeiten des Jahres. Keine Pelzverweichliehung im
V mter. V omoglich freier Hals. Nackte Beine nur im Sommer
bei mageren Kindern Vorsicht!
J)8e w » h n u n ganktthlesWasse r. Dasselbe werde
ment kalter, nicht häufiger und nicht früher angewandt, als sich
mit dem allgemeinen Wohlbefinden des Kindes verträgt, wobei zu
beachten ist, dass eventuelle Schädigungen zuweilen erst nach
einiger Zeit sich bemerkbar machen. Unangenehmes Empfinden
mahnt zu sorgsamer Beobachtung, wogegen scheinbar angenehmes
Empfinden kein sicherer Beweis für die Unschädlichkeit der Pro¬
zedur ist. Waschungen sind den Uebergiessungen vorzuziehen
und sollen, wenn sie den ganzen Körper betreffen, nicht mehr als
einmal täglich vorgenommen werden.
3. Jede . Abhärtung geschehe allmählich und unmerklich,
etwa so wie man sich in einen starken elektrischen Strom’
„hineinschleicht“.
4. Jede Abhärtung sei absolut individuell und berücksichtige
stets den jeweiligen Körperzustand, die Bedürfnisse und die
Empfindsamkeit des Kindes. Es gibt kein bestimmtes
A b härtungssche m a.
5. Keinerlei Abhärtung (auch nicht die Luftabhärtung) be¬
ginne zu früh. Säuglinge sind überhaupt nicht abzuhärten,
sondern unter allen Umständen warm zu halten.
6. Ohne vorangegangene ärztliche Untersuchung sollen bei
Kindern, speziell bei anämischen und nervösen, keinerlei Kalt¬
wasserprozeduren vorgenommen werden.
Literatu r:
1. Boas J.: Iüaug.-Diss, Halle 1881. — 2. Bock Dr C E •
Das Euch vom gesunden und kranken Menschen. Leipzig 2893 —
Kinder ?C Wi^1’ EJ r' ^ l,eIl,iitet mim Leben und Gesundheit seiner
S ß 11 llnTd ?*spmg 1892. _ 4. B u x b a n m: Lehrbuch der
Ildi lieiarue. Leipzig 1900. _ 5. Chvosteck bei Bux-
U D"rck> Dr. H.: Studien über die Aetiologie und
Uistologm der Pneumonie im Kindesalter. Leipzig 1897.
I. Ehr 1 i c li: Deutsche med. Wochensehr. 1881. 16. _ 8 F i s c h 1
oboo innoie Po0Iäyla‘Te llei‘ : Krankheiten des Kindesalters. Mün-
n 1900. — 9. Hecker. Dr. R.: Die Ernährung und Pflege des
Kindes im ersten Lebensjahre. Bayr. Jalirb. 1899. — 10. H 0 c p .
° t • • c> : Gesundheitspflege des Kindes im Eltern-
Wien 1896. — 11. H u f e 1 a n d: Guter Rat an
noitfon 1853‘ -r 12- Kissk*lt c.: lieber lokale Dis-
21”’ Erkaltung und Abhärtung. Münch, med. Wochensclir.
nnri T-' D ,13- L?,1 bei B u x b a u in. — 14. Reineböth
t w äö H 1 1 a i' d Blutveranderungen infolge von Abkühlung.
Deutsch. Arch. f. klm. Med. LXV, 1 u. 2. _ 15. T a u s s i g. Dr. J :
Ernährung und Pflege des Kindes bis zum Ende des 2 Lebens-
lahres. Wien und Leipzig 1897. — 16. Trum pp. Dr. J.: Ge¬
sundheitspflege nn Kindesalter. Stuttgart, E. H. Moritz. —
D. D ersell) e: Zwei Fälle von paroxysmaler Hämoglobinurie etc.
Munch, med. Wochensclir. 1897, 18. — 18. Winternitz bei
Buxbaum.
Ueber Erfolge mit Tuberkulinbehandlung nach
Goetschschem Verfahren.
V on Dr. W. Roemisch in Arosa.
Die ausserordentlich günstigen Erfolge, über die Goetsch
in der Deutsch, med. Wochensclir. 1901, No. 25 mit seiner vor¬
sichtigen Anwendungsweise des Tuberkulins, die möglichst jede
Reaktion vermeidet, berichtet hat, veranlassten mich im vorigen
Jahre, dem Wunsche einiger hierfür geeigneter Patienten nach¬
zugeben und das Mittel in der gleichen Weise anzuwenden.
Zu meiner früheren Zurückhaltung dem Tuberkulin gegen¬
über hatte mich die Befürchtung, schaden zu können, veranlasst.
Dieses Bedenken hatte die G o e t s c li sehe Arbeit bei mir ge¬
hoben, denn für mich ging aus ihr unzweifelhaft hervor, dass
das Luberkulin in dieser vorsichtigen Weise bei fieberfreien
Xo. 4G
1 Tuberkulösen, bei denen es noch zu keinem ausgedehnten Zer¬
fall des Lungengewebes gekommen ist. o hne S c h a d e n an¬
gewendet werden kann. Das grosse Verdienst von Goetsch
besteht für mich darin, dass er als erster durch genaue Mittei¬
lung von Krankengeschichten einen klaren Einblick in sein Ver¬
fahren, wie in den Verlauf der Tuberkulinkur selbst gewährt
bat. Leider sind aber die gewählten Krankengeschichten durch¬
weg solche von so leicht Erkrankten, dass wohl jeder Arzt, der viel
Lungentuberkulose behandelt, auch ohne Tuberkulin in der
gleichen Zeit bei solchen Fällen meist zu gleich günstigem
Resultate gelangt ist.; es fehlt ihnen daher die zwingende Beweis¬
kraft.
Darum zweifle ich auch keinen Augenblick, dass von den
von mir unten ausführlich angeführten Fällen die ersten zwei
auch ohne das Tuberkulin gleich günstig hätten verlaufen
können ; sie beweisen nur das gleiche wie die von Goetsch
mitgeteilten, dass bei ihnen das denkbar günstigste Resultat
bei Anwendung der Tuberkulinkur erreicht werden konnte, und
dienen so zur Bestätigung seiner Ausführungen.
Anders verhalten sich die Fälle 3—8. Hier handelt es sich um
Kranke, die ich schon lange in Behandlung hatte und bei denen
ich nach dem bisherigen Verlaufe keine wesentlich günstige Ver¬
änderung im Befunde erwarten konnte. Es waren dies Patienten
die schon einen ganzen Winter in meiner Behandlung gestanden
hatten (ausser Fall 8, der an der Riviera während jenes Winters
gewesen, aber vor seiner Reise nach Arosa von mir schon in
Dresden- untersucht worden war), dann ein halbes Jahr lang zu
Hause ungefähr auf dem gleichen Standpunkt stehen geblieben
und darauf ein zweites Mal in meine Behandlung zurückgekehrt
waren, wobei ich nach einigen Monaten erkennen konnte, dass
es auch bei diesem zweiten Male trotz gewissenhafter Durch¬
führung der hygienisch-diätetischen Behandlung nicht möglich
sein wurde, eine weitere günstige Veränderung des Befundes
zu erzielen.
Jedes Mittel, das ich bisher in derartigen Fällen angewandt
hatte (und gerade solche Fälle sind es ja, an denen sich die Heil¬
kraft eines Mittels erweisen kann), wie die verschiedenen Kreosot¬
präparate, Arsenik und neuerdings kakodylsaures Natron auch
der Klimawechsel, hatte versagt. Trat hier eine wesentliche
Besserung ein, so war für mich der Beweis erbracht, dass der
Erfolg dem Tuberkulin zu verdanken war und dass die Tuber-
kuhnkur jeder anderen Behandlung in derartigen Fällen über¬
legen sei.
Ich teile zunächst die Krankengeschichten von diesen
8 Fällen mit. Die Art der Anwendung des Tuberkulins war in
allen meinen Fällen die gleiche. Ich begann mit 1/wx> mg der
wirksamen Substanz des Tuberkulin R und stieg bis zu 0,1 mg
derselben; dann fuhr ich mit Einspritzungen des alten Tubei*
kulins fort und stieg da von 0,1 mg bis zu 1 g dieser Substanz;
die letzte hohe Dosis wiederholte ich zum Schluss noch mehrmals
m I ausen von einer Woche. Die Zwischenräume zwischen den
anderen Injektionen betrugen 2 Tage. Die Steigerung der Dosen
geschah genau in derselben langsamen Weise wie bei Goetsch,
bei Temperaturerhöhung nahm ich zunächst nochmals die
schwächere Dosis, die schon ohne Einwirkung auf die Tem¬
peratur vertragen worden war. Die Temperaturen wurden regel¬
mässig 5 mal täglich unter der Zunge gemessen.
F all 1. Rechtsanwalt, 33 Jahre alt.
Anamnese: Vater soll als junger Mann einmal Blut ge¬
spuckt haben, ist jetzt gesund. Pat. hat 1S97 eine tuberkulöse
Mastdamifistel gehabt. Seit 1898 Husten. Am 15. VIII. 1900 in
Borkum Hämoptoe (ein paar Theelöffel Blut), am 18 XI wieder
starker (ein Wasserglas voll). Am 5. XII. 00 trat Pat. in meine
Behandlung.
8 tatns bei der A u f n a li m e: Links vorn bis zur 1. Rippe,
am deutlichsten unter der Klavikel, hinten bis zur Crista scapulae
leichte Dämpfung, rauhes unreines Inspirium, nach Husten spär¬
liches kleinblasiges Rasseln, Exspirium hauchend. Normale Tem¬
peratur.
A u s w urf: Dicker Eiterklumpen. Tuberkelbazillen (Gaffky 9)
und elastische Fasern enthaltend.
K rank h ei ts verlauf: Am 5. II. 01 Tuberkelbazillen
aus dem Auswurf, Ende März überhaupt jeder Auswurf ver¬
schwunden. Die Rasselgeräusche waren schön im Februar nicht
mehr nachzuweisen, die Atmung war Ende April vesikulär mit
verlängertem Exspirium. Das Gewicht war von 66,5 auf 79 k«-
gestiegen i Körperlänge: 172 cm). Brustumfang: 87—94 cm. —
Pat. ging darauf in seinen Beruf zurück, beobachtete allerdings
meine Vorschriften wenig, jedenfalls sank das Gewicht bis Ende
Oktober auf 74 kg und zu dieser Zeit trat Answurf auf, der
3
1914
MUENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Tuberkelbazillen enthielt. Am 30. XI. 01 kehrte Pat. nach Arosa
zurück. _ . , , . . .
Status bei der Wiederaufnahme: Links fand sieb
ungefähr noch der gleiche Befund wie Ende April: geringe Dämpf¬
ung, am deutlichsten unter der Klavikel, daselbst Inspir. etwas
rauh, Exspir. verlängert, nicht bronchial, kein Rasseln. jm
5 Interkostalraum vorn neben dem Sternum auffällig rauhes ln-
spir. mit spärlichen kleinblasigen Rasselgeräuschen, lieber der
rechten Spitze leichte Schallabschwächung und unter der Klavikel
innen unreines Inspirium.
Auswurf: Schleimig mit kleinen Eiterklumpen, Tubeikel
bazillen (G. 6) und Bruchstücke von elastischen Fasern enthaltend.
Nachdem dieser Befund einen Monat lang ziemlich gleich ge¬
blieben war, bat Patient um Einleitung der Tuberkulinkur.
Verlauf der Tuberkulinkur: Beginn am 3. I. 02;
Ge™ Während der Vorkur mit Tuberkulin R stets Tem¬
peratur. Etwas Mattigkeitsgefühl; über der rechten bprtze J*®]-
die Rasselgeräusche deutlicher hervor. Am 8 II. »t der Auswurf
definitiv verschwunden. Die Rasselgeräusche sind nicht mehl
zu hören. Subjektives Wohlbefinden während der ganzen weiteren
K l1’ Schluss der Kur am 29. IV. - Bat hat 3 mal die hohe Dosis
von 1 g alten Tuberkulins erhalten, die Temperatur hat dabei nie
30, 9 0 überstiegen. Die höchste Temperatur wahrend dei Kui w ai
37,2 ». Rechts über der Spitze leichte Schallabschwachung, reines
ves. Inspirium, verl. Exspirium. Links unten ist das Atmen ganz
rein geworden. Die früher krank gewesene Stelle links oben hat
keine Reaktion gezeigt. Nirgends Rasselgeräusche. Kein 1 -
wurf. Gewicht 78,1 kg. Pat kehrt in seinen Beiufzuiuck.
Mitte August 1902 schreibt mir Pat. aus Dresden dass ei sicn
bei ständig angestrengter Tätigkeit des besten Woltlbeflntlens ei-
freue- Auswurf sei nie wieder auf getreten. Das Gewicht se
gleich' °-eblieben. Sein Arzt, Hofrat Dr. H e y d e, schreibt mir am
|t vi fl • Es geht dem Herrn sehr gut und ich kann Ihnen nur
meinen Glückwunsch an den, Jetzt erreichten Erfolge nussprecben .
Fall 2. Oberleutnant, 29 Jahre alt. .
Anamnese: Ein Bruder mit 17 Jahren an Lungentuber¬
kulose, eh> älterer Bruder an vUnterl^bsttt»rkulo^‘ ^torben.
Eine Schwester lebt, hat Pleuritis gehabt. Pat. ist 1895 mit Hamo
ptoe erkrankt, war dann 3 Monate m Davos Hat liieiauf se
Dienst bei vollem Wohlbefinden getan bis 8 X 1900, mder
mit Hämoptoe erkrankte. Am 10. I. 1901 tiat Pat. in meine
handUiiG t u s p e ; der Aufnahme: Rechte Supraklayikular-
grube eingesunken, daselbst und vorn bis 1. . Rippe, hinten is
Crista scapulae Dämpfung, sehr rauhes Inspirium .mit ^spaHichen
kleinblasigen Rasselgeräuschen, hmten oben dmht unter C t
scapulae eine Stelle, wo Exspir. bronchial, und Rasseln geilen
klingend. Erbsen- bis haselnussgrosse Zervikal- und Axina
diusen. wurf. Schleimig-eitrig, kleine gelbe Eiterflocken, in
iSfiZ ÄÄS »S zeigt
Exspii'-. » >laSS ich Pat vaten musj
Affinen Dienst noch für ein Jahr auszusetzen. Zuhause »eht es
dem Pat während des Sommers sehr gut, der Hausarzt erklärt
aen Pat fl gesund, ich firnle aber bei einer Untersuchung am
25 IX. in Dresden noch den gleichen Befund, worauf sich a .
entsc-hliesst, noch einen Winter in Arosa zu verleben. Er trifft
^ sTafuf beider Wiederaufnahme: Rechts oben
Dämpfung wie früher, rauhes leises Atmen, über Klavikel und be¬
sonders hinten oben unreines Inspir., Exspir. unter Crista sc.ipu ae
nahezu bronchial. Gewicht: 70,9 kg. Kein Auswurf.
Da sich der Befund in den ersten 6 Wochen nicht wesentlich
ändert beginne ich am 6. XII. auf Wunsch des Pat. mit der
Tuberiiuhnkuif Tuberkulinkur: Beginn am 0. XII. 01.
GeWWährefd1der Vorkur mit Tuberkulin R tritt Auswurf auf mit
„elblichen Flocken, in denen sich Tuberkelbazillen finden ( )•
Pat klagt über Mattigkeit und Nervosität, die Axillardrusen
schwellen zu Walnussgrösse und werden empfindlich. Bei 0,1mg
rPR ist die Temp. 2 mal am Tage 37,3°. — Bei 3 mg alten ubei-
k ul ins ist Auswurf und das gleichzeitige dei Weml biasige
Rasseln rechts hinten oben verschwunden Wohlbefinden^ 1
Gewichtszunahme. Bei 80 mg steigt die Temp. auf 37,9 , , Pat.
fühlt sich wie zerschlagen“. Rechts hinten oben bionchial s
Exsinr feinS Rasseln. 1 Bei 1 g nochmals 37,5», bei Wieder¬
holung dieser Dosis nicht über 36,8°. — Subjektiv wurde bei den
Injektionen, die der Reaktion vorausgingen, jedesmal über Glieder¬
schmerzen und Schluckbeschwerden geklagt; zu sehen war im Hals
nichts wie Schwellung der Follikel. .
Schluss der Kur am G. IV. 02. Rechts hinten oben Exspn.
verlängert, nicht bronchial. Rasselgeräusche verschwunden. Ke in
ViKwurf Gewicht 74,1 kg. Pat. kehrt in seine Heimat zuruck,
von wo er mir am 1. IX. berichtete, dass sein Befinden em sein
gutes sei und dass er noch 4 kg zugenommen ha h .
Fall 3. Privatier, 46 Jahre alt.
Anamnese: Hereditär nicht belastet. 1886 Pleuritis ex¬
sudativa sinistra. Anfang August 1900 trat nach einer längeren
Fahrt auf dem Rad Husten und Auswurf auf. in letzterem wurden
Tuberkelbazillen gefunden. Am 20. VIII. 00 trat Pat. in meine
Behandlung. , , .
Status bei der Aufnahme: Rechts vorn bis zur
° Rippe hinten bis zur Mitte der Skapula starke Dämpfung, ves.-
broncliiales Atmen, dichtes klein- und mittelgrossblasiges Rasseln.
Normale Temperatur. _
Aus wurf: Dick, eitrig, Tuberkelbazillen (G. <) und elasti¬
sche Fasern enthaltend. „ . ,
Krankheitsverlauf: Bis Mitte April 1901 hatte sich
die Dämpfung rechts vorn bis zur 1. Rippe, hinten bis zur Crista
scapulae gut abgegrenzt, darunter war das Atmen rein vesikulär
geworden ohne Nebengeräusche, über der Klavikel und noch mehr
hinten oben hatte das Exspir. seinen bronchialen Charakter aber
behalten und beim Inspirieren waren aus der Tiefe spärliche
knatternde Rasselgeräusche zu hören. Im spärlichen schleimig-
eitrigen Auswurf noch Tuberkelbazillen (G. 2), aber keine elasti-
sehen Fasern mehr zu finden. Das Gewicht war von <1.6 aut
82 75 kg gestiegen (Körperlänge 172 cm). Den Sommer verbrachte
Pat. in seiner Heimat, wo ich am 21. IX. Gelegenheit hatte, ihn
mit seinem Hausarzt zusammen zu untersuchen. Es war eine Ver¬
schlechterung eingetreten, der Schall hatte hinten oben und über der
Klavikel leicht tympanitischen Beiklang, das Exspir. war schärfer
bronchial hauchend hinten oben, auch über der linken Spitze waren
feinblasige Rasselgeräusche. Pat. kehrte deshalb am -4. X. Ol
nach Arosa zurück.
Status bei der Wiederaufnahme: Befund w ie
eben angegeben. A u s w u r f enthält Tuberkelbazillen (G. 3).
Gewicht: 85,7 kg. , , . „ „ ,
Als sich nach fast 2 monatlichem Aufenthalte im Befunde
rechts und im Auswurf nichts Wesentliches geändert hatte, hatte
Pat Lust sich einer Tuberkulinkur zu unterziehen.
Verlauf de r Tube r kuli n k u i* Beginn am 5. XII. 01.
— Gewicht 85,15 kg.
Die Einspritzungen gingen ohne jede Temperaturerhöhung
(stets unter 37 °) ohne Unterbrechung bis zu 1 g alten Tuberkulins
vor sich. Bei den höheren Dosen erfolgte am Morgen nach der Ein¬
spritzung jedesmal eine reichlichere Absonderung von Sputum.
Letzteres war bei den Untersuchungen am 1. III. und lo. i • -
zum ersten Male seit August 1900 frei von Tuberkelbazillen. . Der
Befund war schon Anfang Februar deutlich gebessert. Bei der
ersten Wiederholung von 1 g Tuberkulin trat zum ersten und
einzigen Male während der Kur Temperaturerhöhung (38,1 ein¬
mal am Abend) ohne weitere Beschwerden auf. Dabei rechts hin¬
ten oben bronchiales Exspirium und kleinblasiges Rasseln. Der
Auswurf enthält einige zerfallene Tuberkelbazillen (G. 1).
4 weitere Injektionen von 1 g brachten die Temperatur nicht über
36,8 °. Schluss der Kur am 13. IV. 02. Befund: Feber der rechten
Klavikel, darunter innen. und hinten oben bis dicht unter die Gusta
scapulae leichte Dämpfung ohne tympanitischen Beiklang, ves. br.
Atmen mit hinten oben leicht hauchendem Exspir. an der Crista
scap. feines Giemen. Links oben reines Vesikularatmen. In
Auswurf keine Tuberkelbazillen. Gewicht: S<,55 kg.
Pat. kehrt in seine Heimat zurück, nimmt dort bis Mitte
August 1902 bis 90 kg an Gewicht zu, volles Wohlbefinden. Im
Sputum werden noch vereinzelte Tuberkelbazillen gefunden.
Fall 4. Referendar, 26 Jahre alt.
Anamnese: Beide Grossväter sollen an Lungentuberkulose
gestorben sein. Im Herbst 1S98 trat zuerst Husten auf, im Januar
1899 Hämoptoe (mehrere Theelöffel voll auf einmal), Pat. ging dar¬
auf bis zum Juni nach Görbersdorf, von da gebessert nach Zinno¬
witz, verlor den Auswurf aber nicht ganz. Im Winter machte Da¬
sein juristisches Examen, ging dann mehrere Monate nach Bor¬
kum. wurde darauf Referendar in Dresden und trat am 24. XI. 1900
in meine Behandlung. . ,
Status bei der Aufnahme: Pectus carmatum. Rechts
bis 2. Rippe und Mitte der Skapula Dämpfung, über der Klavikel
und ganz hinten oben bronchiales Atmen, daselbst klein- und
mitteiblasiges, zum Teil klingendes Rasseln, im unteren Bezirk der
Dämpfung rauhes ves. br. Atmen mit knisterndem Rasseln. Ueber
der linken Spitze Schall abgeschwächt, verlängertes Exspir., kein
Rasseln. Links hinten unten ebenfalls Abschwächung des Schalls,
daselbst auch des Atmens. m . , '
Aus wurf: Wässrig-schleimig mit gelben Flocken, Tuberkel¬
bazillen (G. 2) enthaltend. .
K r ankheitsverlauf: Pat. blieb bis Ende Mai in Arosa.
das Gewicht stieg von 64,9 auf 69,8 kg (Grösse: 167 cm), iibei dei
rechten Klavikel ves. br. Atmen, unreines Inspir., Dämpfung bis
2. Rippe und Crista scapulae, kein Auswurf mehr. Pat. widmete
sich bis zu seiner Wiederkehr nach Arosa, die ich ihm dringem
angeraten hatte, bei vollem Wohlbefinden seiner Berufstätigkeit.
Status bei der Wiederaufnahme am 6. II. 02:
Dämpfung wie zuletzt, über der Klavikel kleinblasiges, zum Lei.
klingendes Rasseln, sehr verstärkte Bronchoplionie, br. ves. Atmen;
bis 2. Rippe und Crista scap. ves. br. Atmen, bei Husten klein-
blasiges Rasseln. Kein Auswurf. Pat. kann nicht gut aushusten.
Gewicht 68,2 kg. . ,
Als bis 20. III. noch keine deutliche Besserung eingetreten ist,
beginne ich an diesem Tage mit der Tuberkulinbehandlung.
Verlauf der Tuberkulinkur: Beginn am 21.111.02.
Gewicht: 69 kg.
Die einzigen Temperaturerhöhungen, die während der Ein¬
spritzungen eintreten, sind am 7. V. einmal 37,7° bei 20 mg alten
Tuberkulins und einmal 37,4 0 bei 1 g. Jedesmal wurde bei den
18. November 1902.
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
diesen Reaktionen vorausgehenden Injektionen über Ma^en-
selimerz geklagt. Pat hat nie vorher und auch nicht nachher
Magenbeschwerden gehabt. Meine Erwartung, dass Auswurf
wahrend der Behandlung auftreten würde, erfüllte sich aber es
waren niemals Tuberkelbazillen in ihm zu finden. Die’ Atmuna
wurde anfangs besonders über der Klavikula deutlicher bronchiaf
es trat grobblasiges, zum Teil klingendes Rasseln auf, gegen Ende
der Behandlung waren stets nur ganz spärliche knackende Ge¬
räusche zu hören.
Schluss der Behandlung am 3. VII. 02. Befund: Rechts über
dci Kla\ ikel und hinten bis zur Krista unbestimmtes Atmen
Exspir. nicht mehr bronchial, kein Rasseln. Kein Auswurf Wohl¬
befinden. Gewicht: 69,5 kg.
Fall 5. Landwirt, 23 Jahre alt.
Anamnese: Hereditär nicht belastet. Nachdem eine Larvn
gitis vorausgegangen war, erkrankte Pat. Mai 1900 an einem
rechtsseitigen Spitzenkatarrh. Am 17. X. 1900 kam er in meine
Behandlung nach Arosa.
Status bei der Aufnahme: Rechts bis 2. Rippe und
Mitte der Skapula Dämpfung, ves. br. Atmen, kleinblasiges
Rasseln, hinten oben knatternd. lieber der linken Spitze rauhes
unreines Inspir., verl. Exspir. Nach Spaziergang Temp. 37,3 °.
Aus wurf: Schleimig-eitrig, Tuberkelbazillen (G S) ent¬
haltend.
Ki ankheitsverlauf: Pat. blieb in Arosa ohne1 nach¬
weisbaren Erfolg. Im gedämpften Bezirk, besonders hinten oben
und über Klavikel war stets mittelgrossblasiges, zum Teil klingen¬
des Rasseln zu hören, ves. br. Atmen; hinten oben hauchendes
Exspir. Im Auswurf stets Tuberkelbazillen zu finden (G. 6). Das
Gewicht sank von 64,4 auf 62,1 kg. Weder eine Injektionskur mit
kakodylsaur. Natr. (vom 11. II. bis 17. III. 01), noch ein Klima¬
wechsel (Aufenthalt in Engelberg von Ende Juli bis Mitte Sep¬
tember) brachten Besserung. Als Ende Oktober der Befund immer
noch der gleiche war, begann ich auf Wunsch des Pat. mit der
Tuberkulinkur.
Verlauf der Tuberkulin kur: Beginn am 29. X. 01
Gewicht: 62,65 kg.
Bei 30 mg alten Tuberkulins erhöhte sich die Temperatur auf
37,7° und bei Wiederholung dieser Dose auf 38,7°, dabei trat rechts
hinten oben hauchendes Bronchialatmen und zahlreichere^, mittel¬
grossblasiges Rasseln und darunter, bis zur Mitte der Skapula,
feines Knistern auf. Bei 20 mg war die Temp. nochmals 37,4 °,
dann wurde sie bei 15 mg normal und blieb es beim Anstieg bis
zu 87 mg, bei welcher Dosis eine abermalige Erhöhung auf 37,6 0
auftrat. Eine letzte Erhöhung auf 37,8° stellte sich bei 150 mg
ein, dann konnte die hohe Dosis von 1 g ohne jede Temperatur¬
erhöhung erreicht werden.
Schluss der Kur am 11. IV. 02. Befund: Gut abgegrenzte
Dämpfung rechts bis 1. Rippe und hinten bis Crista Scapulae, ves.
br. Atmen, mit spärlichem, ganz feinblasigem Rasseln und
Knacken. Links oben reines ves. Atmen mit verl. Exspir. Aus¬
wurf bedeutend vermindert, enthält noch Tuberkelbazillen (G. 5).
Gewicht: 64 kg.
Fall 6. Oberleutnant a. D.
Anamnese: Im Herbst 1894 zum ersten Male Tuberkel¬
bazillen im Auswurf entdeckt, ein halbes Jahr in Montreux ohne
Erfolg, dort Hämoptoe, dann bis Anfang Juni in Falkenstein. Von
Oktober 1895 ab ein Jahr lang wieder Dienst getan, dann im
Sanatorium Turban, wo er bis August 1897 eine Tuberkulinkur
durchmachte, nach der die Bazillen im Auswurf verschwunden
waren. Da zu Hause wieder Fieber auftrat, ging Pat. von Sep¬
tember bis November nach Görbersdorf, dann bis Ende April nach
San Remo, von da wieder ins Sanatorium Turban; erst in Davos
sei das Fieber weggegangen ; dort blieb Pat. bis Mai 1899 und
verlebte den folgenden Sommer zu Hause. Am 26. 1. 1900 trat Pat.
in meine Behandlung.
Status bei der Aufnahme: Ausgebreitete Dämpfung
rechts, am intensivsten über dem rechten Oberlappen, bis 3. Rippe
vorn br. Atmen, dichtes Rasseln, am grossblasigsten im 2. und
3. Interkostalraum, dort auch klingend; hinten und vom bis unten
ves. br. Rasseln mit Giemen und Knacken. Links oben Retraktion,
verkürzter Schall, verlängertes Exspir., unter Klavikel feinblasiges
Rasseln.
Aus wurf: Dick eitrig, Tuberkelbazillen (G. 10), elastische
Fasern. Temperatur normal.
Krankheitsverlauf: Pat. blieb bis Anfang Mai in
Arosa unter geringer Verbesserung des Befundes. Das Gewicht
blieb immer ca. 59 kg. Den Sommer verbrachte Pat. zu Hause bei
ständigem Wohlbefinden. Von Mitte Oktober 1900 bis Mitte April
1901 war Pat. abermals in meiner Behandlung, mehrfache fieber¬
hafte Attacken mit Ausbreitung der mittelgrossblasigen Rassel¬
geräusche und des br. Atmens über dem rechten Unterlappen
störten den Kurverlauf. Zum Schluss wTar der Befund ein wenig
besser als im Vorjahre. Auswurf wie damals. Während des
Sommeraufenthalts zu Hause trat ein tuberkulöses Ulcus am Zahn¬
fleisch über dem linken oberen Eckzahn auf, das Prof. Partsch-
Breslau als solches diagnostizierte.
Status bei der Wiederaufnahme am 7. X. 01. :
Dämpfung rechts vorn bis 3. Rippe, hinten bis zur Mitte der
Skapula, br. ves. Atmen, dichtes mittelblasiges Rasseln im vor¬
deren Dämpfungsbezirk, hinten kleinblasiges Rasseln und spär¬
liches, bis unten sehr rauhes Inspir., abgeschwächt; verlängertes
Exspir. Ueber dem linken Oberlappen Abschwächung des Schalls,
unter Klavikel spärliches feinblasiges Rasseln. Das Geschwür am
1915
Zahnfleisch ist ca. 1 cm im Durchmesser gross, rund mit auf¬
geworfenen unterminierten Rändern und blassem gesprenkelten
Grunde. _ Temperatur normal. Auf dringenden Wunsch des Pat.
oegnun ich am 1. XI. die Tuberkulinkur, obwohl sie mir in diesem
halle etwas gewagt erschien.
Verlauf der T u b e r k u 1 i n k u r: Beginn am 1 XI 01
Gewicht: 61,32 kg.
Am Ende der Vorkur mit Tuberkulin R fühlt sich Pat sehr
nervös und matt, Rasseln und Auswurf haben sich vermindert
die Vernarbung des Zahnfleischgeschwüres schreitet vorwärts Bei
20 mg alten Tuberkulins einmal 37,8°, bei 200 mg 37,7°, und ein¬
mal 38,3 0 bei 240 mg. Darauf wird 1 g ohne jede Erhöhung der
Temperatur erreicht.
Schluss der Kur am 13. III. 02. Nur noch rechts vom Rasseln
dasselbe viel feinblasiger und spärlicher. Sehr wenig schleimig-
eitriger Auswurf mit Tuberbazillen (G. 7). Geschwür am Zahn¬
fleisch fast vernarbt. Gewicht: 60 kg. Wohlbefinden. Pat. schreibt
mir am 25. VIII., dass er sich zu Hause bei täglich 5 stiindiger
Lureautätigkeit sehr wohl fühle.
Fall 7. Fräulein, 26 Jahre alt.
Anamnese: 2 ältere Schwestern an Lungenschwindsucht
gestorben. Oefter als Mädchen angeblich Blut ausgehustet. Herbst
1895 stärkere Hämoptoe, starke Blutung Frühjahr 1896, Kuren iu
Gardono und Lippspringe. Winter 1897/98 das erste Mal in Arosa
in 1 illa Herwig. Als Pat. Herbst 189S in meine Behandlung trat,
teilte mir Dr. Herwig mit, dass anfangs die ganze linke Lunge
sehr stark gedämpft gewesen sei, mit stark abgeschwächtem
Atmen, eist allmählich sei letzteres mehr hörbar geworden und
dichtes Rasseln aufgetreten, auch der rechte Oberlappen habe
starke Krankheitserscheinungen gezeigt.
Status bei der Aufnahme: Dämpfung über der ganzen
linken Lunge, am stärksten über dem Oberlappen, über Klav.
tympani tisch, ves. br. Atmen, kleinblasiges dichtes Rasseln über
dem Oberlappen, darunter mehr feinblasiges und knisterndes, ähn¬
lich rechts oben, wo leichtere Dämpfung und rauhes Atmen.
Erbsengrosse Zervikal- und Axillardrüsen. Nie Auswurf zu er¬
halten.
Krankheitsverlauf: Bei der Abreise, Anfang Juli
1899, liat sich der tympani tische Beiklang links oben verloren, das
Rasseln ist feinblasiger und spärlicher geworden, aber noch über
die ganze linke Lunge ausgebreitet, rechts oben ist die Atmung
lein geworden. Gewicht immer ca. 51 kg. In den nächsten
2 Jahren war die Patientin immer im Sommer zu Hause, im
Winter iii meiner Behandlung, bei wesentlich gleichbleibendem
Befunde. Als auch im vergangenen Winter keine Veränderung
des Befundes eintrat, willigte die Pat. in die Einleitung einer
Tuberkulinkur.
Status bei der Wiederaufnahme am 11. I. 02:
Dämpfung wie früher, am stärksten links vorn bis zur 3. Rippe,
hinten bis Mitte der Skapula, in diesem Bezirke ves. br. Atmen
mit kleinblasigem Rasseln, darunter bis unten rauhes Inspir. mit
knisternden und knackenden Rasselgeräuschen. Temperatur nor-
mal. Auswurf nicht zu erhalten, viel trockener Husten.
V e r 1 a u f der Tuberkulin k u r: Beginn am 27 I 02
Gewicht: 51,4 kg.
Schon bei 0,046 mg wirksamer Substanz des Tuberkulin R
erhöht sich die Temperatur auf 37,6 °, die Axillardrüsen schwellen
schmeizhaft auf W allnussgrösse. Die Periode, die sonst ganz
regelmässig: war, tritt während der Kur jedesmal um mehrere
tage^zu früh ein. Bei 2 mg alten Tuberkulins steigt die Temp.
auf 37,5°, und es dauert 3 Wochen, bis diese Dose ohne Tem¬
peraturerhöhung ertragen wird. Dann gelingt es bei gutem Wohl¬
befinden bis auf 3,8 mg zu gelangen, worauf leider "die Kur ab¬
gebrochen werden muss, weil die Patientin auf Wunsch des
Katers nach Hause reisen muss. Gewicht: 51,8 kg.
Schluss der Kur am 25. III. 02. Viel besserer Befund als je
zu\ oi . Nur links vorn oben spärliches Knacken beim Inspirium.
Dai unter und hinten rauhes Atmen ohne Rasseln. Kein Husten.
Kein Auswurf. Mitte August 02 berichtet mir Patientin von ihrem
Wohlbefinden, das Gewicht ist auf 53 kg gestiegen.
Falls. Leutnant, 26 Jahre alt.
Anamnese: Hereditär nicht belastet. Im Januar 01 au
Influenza“ erkrankt, 4 Wochen Fieber, grosse Gewichtsabnahme.
Seitdem immer Husten und Auswurf, der sich bei einem 3 monat¬
lichen Aufenthalte in Bordighera nicht sehr veränderte. Pat.
suchte mich im September 01 in Dresden auf, der Befund war der
gleiche, wie bei seiner Ankunft in Arosa am 10. X. 01.
Status bei der Auf nah m e: Linker Oberlappen nach-
sclileppend bei der Atmung. Dämpfung vorn bis zur Herz¬
dämpfung, hinten bis etwa über die Mitte der Skapula; vorn im
gedämpften Bezirk br. ves. Atmen mit hauchendem Exspir.,
dichtes mittel- und grossblasiges klingendes Rasseln bis zur
3. Rippe. Links hinten oben bronchiales hauchendes Inspir. bis
zum Angulus scapulae, bis zur Mitte der Skapula Rasseln wie
vorn, von Mitte der Skapula bis abwärts Giemen und Knarren.
Rechts über der Klavikel und hinten oben ves. br. Atmen, keine
Nebengeräusche. Ans wurf: schleimig-eitrig, enthält Tuberkel¬
bazillen (G. 5), keine elastischen Fasern. Temperatur normal.
Gewicht: 71,1 kg (Grösse: 163 cm).
Krankheitsverlauf: Da der Befund nach 2 monat¬
lichem Aufenthalte und gewissenhaftem Kurmachen sich nicht
wesentlich geändert hatte, die Aussicht auf eine Herstellung der
Dienstfähigkeit bei dem hochgradigen Krankheitsbefunde daher
minimal war, hielt ich es für meine Pflicht, den Wunsch des
3*
No. 46.
1916
Ml'ENCHENER MEDICIXIS CHE WOCHENSCHRIFT.
Patienten, nie Tuberkulinkur bei ihm d u reh z u f ü lir en , zu erfüllen, j
obwohl sie mir in diesem Falle etwas gewagt erschien und die
Aussichten auf Erfolg sehr gering waren.
V e r 1 a u f d e r T u b erltuli n k u r: Beginn am 5. XII. 01.
Gewicht 71,85 kg.
Während der Vorkur mit dem Tuberkulin II treten rechts
über der Klavikel und hinten oben kleinblasige Rasselgeräusche
auf. Bei 20 mg alten Tuberkulins einmal 37,6“. Bald darauf sind
die Geräusche rechts völlig verschwunden, links sind sie viel spär¬
licher, kleinblasig, nicht klingend und nur noch deutlich vorn zu
hören. Viel weniger Auswurf, der sich meist nur noch am Morgen
nach der Injektion zeigt. Bei 1 g alten Tuberkulins tritt einmal
37.5" auf. bei den späteren 4 Wiederholungen dieser hohen Dosis
übersteigt die Temperatur nicht 36,9 u. _
Schluss der Kur am 2. V. 02. Befund: Links bis 2. Itippe
und bis dicht unter Crista scapulae Dämpfung, vesikulär-bron¬
chiales Atmen nur noch über und dicht unter der Klavikel, da¬
runter und hinten oben vesikulär mit verlängertem Exspir. ohne
deutliches Rasseln, nur noch über der Klavikel feinblasige und
giemende Geräusche. Rechts reines vesikuläres Atmen mit etwas
verlängertem Exspir. Ganz wenig Sputum, nicht mein täglich,
einzelne zerfallene Tuberkelbazillen (G. 2) enthaltend. Gewicht,:
75 kg. Am 28. VIII. schreibt mir Bat., sein Auswurf sei schon auf
der Heimreise völlig verschwunden, der Oberstabsarzt habe Bat.
für geheilt erklärt und bei bisherigem leichten Dienste sei das
Gewicht auf 80 kg gestiegen.
(Schluss folgt.)
Aus der k. medizinischen Poliklinik der Universität München
(stellvertr. Vorstand: Dr. II. Neumayer).
Einige Bemerkungen über die Behandlung tuberkulöser
Erkrankungen mit zimtsaurem Natron nach Länderer.
Von Hermann Riegne r.
Die Zimtsäurebehandlung tuberkulöser Erkrankungen, von
Länderer im Jahre 1888 in der Münch, med. Wochensclir.
angegeben, ist trotz verschiedener Auffassung seitens der Aerzte
heute kein unbekanntes Verfahren mehr. Die einzelnen Ein¬
würfe, die sich teils gegen den therapeutischen Effekt der Zimt¬
säure als solche oder gegen die intravenöse Anwendung im all¬
gemeinen richteten, hier näher zu beleuchten, dürfte unnötig
>ein, weil der Zweck der Abhandlung nur eine Bereicherung der
Kasuistik sein soll. Es folgt also zunächst eine Aufzählung
von n e u n Fällen von verschiedenfachen phthisischen Erkrank¬
ungen aus dem Material der k. Universitätspoliklinik, sodann
folgt ein gedrängtes Referat über eine Anzahl von Fällen, die
mir Herr Dr. v. St. aus seiner Praxis zur Behandlung1 zu über¬
lassen die Güte hatte.
Fall I. T. M., 23 Jahre alte Masseuse, Mutter gesund, ein
Onkel an Blutsturz und Schwindsucht gestorben, Vater unbekannt,
Geschwister gesund. Pat. mit 13 und 18 Jahren Lungenentzündung
überstanden, mit 19 Jahren angeblich tuberkulöse Drüsenschwel-
lung am Hals; mehrfach operiert. Vor einem Jahr 3 Wochen im
Sanatorium, darauf im Krankenhaus wegen Pneumonie und Pleu¬
ritis. Daraufhin längerer Landaufenthalt. Anfangs Januar 1902
Untersuchung in der Poliklinik mit folgendem hauptsächlichen
Befund:
Reduzierter Ernährungszustand, Zervikaldrüsen etwas ge¬
schwellt, Thorax etwas eingesunken, systolisches Geräusch an der
Herzspitze, an deii Lungen Dämpfung der beiden Spitzen, Bron-
cliialatmen über der linken Lunge, vereinzeltes Rasseln, ver¬
längertes sakkadiertes Exspirium. Diagnose: Plithisis pulmonum,
Mitralinsuffizienz. Am 4. 1. 02 wurde folgender Nachtrag ge¬
macht: Supra- und Infraklavikulargruben beiderseits stark einge-
zogen; beiderseitige Spitzendämpfung, links zahlreiche Rassel¬
geräusche. L. li. u. pleuritisches Reiben. Am 12. V. stellt sich
Pat. wieder vor. mit gleicher Spitzendämpfung, zahlreichen Rassel¬
geräuschen, aber ohne Pleuritis. Beginn der Hetolbehandlung.
Pat. erhält im Ganzen 33 intravenöse Injektionen. Auf dieselben
verspürt Pat. selbst subjektive Besserung, besonders auch des
Stechens beim Athmen, hat guten Appetit und keinen Husten. Ihr
Gewicht, das im Jahre 1901 von 55,5 durch den Sanatoriums-
aefenthalt auf 57.0 gestiegen war, betrug anfangs Januar d. .7.
52.0 kg. Am 12. Mai, zu Beginn der Hetolbehandlung. wog sie
55 5 und nach Schluss der Hetolbehandlung am 25. VIII. 02 60 kg.
Misslingen waren von der Pat. nicht zu erreichen.
F a 1 1 II. II. F. Hereditär nicht belastet, hatte die Pat. bis
znn 20. .Talir nur einmal Lungenentzündung. Am 17. V. ergibt
die Untersuchung in der Poliklinik anamnestisch: Seit 2 Jahren
Arswurf und starken Husten, schlechten Appetit, und Pat. wird
magerer. Gewicht 62.0 kg. Status: Gut genährt, kein wesentlicher
III rzbefund. Lungen leichte doppelseitige Spitzendämpfung, katar¬
rhalische Geräusche, besonders links. Temp. 36,8. Bis zur .>. In¬
jektion Temperatur nie gesteigert, dann plötzlich Aufstieg auf
3s. 2, was sich durch die Uebersclireitung von 5 mg erklären lassen
dürfte (Länderer). Daraufhin Injektionen bis 1. VIII. ohne
invi ndwelche Temperatursteigerung. An diesem 'Pag verlässt Pat.
München, objektiv und subjektiv gebessert. Gewicht 65.0 kg.
Zn zeit kein Auswurf, kein Husten, kaum katarrhalische Ge¬
räusche.
Fall III. II. E. Keine Heredität; seit „einigen Jahren“
Stechen auf den Lungenspitzen; auswärts mit Kreosot behandelt.
Zurzeit 16. IV. schlechter Appetit, starke Xaclitschweisse und Ab¬
nehmen. 55 kg Gewicht. Temp. 37,8. Reduzierter Ernährungs¬
zustand, geringer Fettpolster, kein pathologischer Herzbefund,
lieber den Innigen Spitzenkatarrh, im Auswurf Tuberkelimzillen
nachgewiesen. Rasselgeräusche. Beginn der Injektionskur.
Temperatur fällt von 37,7 auf 36,8. nach der 3. Injektion steigt
angeblich der Appetit. Die Temperatur schnellt nach der 6. In¬
jektion auf 37.7. daher von hier ab Injektionsdosis nie über 6 mg.
Temperatur niemals mehr über 37,2. Pat. wird nach 35 Injektionen
aus der Behandlung auf Wunsch entlassen. Die Xaclitschweisse
fehlen seit der 6. Injektion, von der 6. Woche ab werden keine
Tuberkelbazillen im Auswurf mehr gesehen.
Fall IV. P». A. Keine Heredität. Seit 4 Jahren ist Pat.
lungenleidend („Lungenspitzenkatarrh“). Nach dreiwöchentlichem
Krankenhausaufenthalt (Abendtemperatur bis 39°) im Sanatorium,
nach neunmonatlichem Aufenthalt wenig gebessert. Gewicht¬
abnahme von 48 auf 44 kg, nach einem halben Jahr nochmaliger
Sanatoriumaul enthalt (Bettruhe und fettreiche Kost), gebessert
(Gewicht 46 kg: kein Abendfieber). Pat. versah y2 Jahr Dienst, be¬
kam im Herbst Hämoptoe, wurde ins Krankenhaus gebracht, wo
sie nochmals 2 Hämoptoen hatte. 3 Monate im Krankenhaus
(anfangs Fieber bis 39,6, Gewicht 45 kg). Darauf Aufenthalt in
der Rekonvaleszentenanstalt, am 26. IV. kommt Pat. zu uns. Sie
fühlt sich sehr matt, schlechten Appetit, viel Herzklopfen, viel
Seitenstechen und Stechen beim Atmen, massigen Auswurf und
Schmerzen im Unterleib,
zustand, blasse Hautfarbe
klappender Pulmonalton.
katarrhalisches Geräusch
peratur ist 37
doch bewegt
Morgens und 37
ai
be
Status: Ziemlich schlechter Ernälirungs-
. Am Herz leises systolisches Geräusch,
An den Lungen Spitzendämpfung links,
und grossblasiges Rasseln. Die Teni-
:ommt Injektionen, die sie gut verträgt;
7. 1
sich die Temperatur immer noch zwischen St, 8
\ Abends. Husten und Auswurf lassen nach der
6. Injektion nach, Appetit nimmt zu. Nach 14 Injektionen hat
sich zwar subjektiv das Befinden gebessert, doch steht die Tem¬
peratur immer noch gleich hoch (bis 37,4 am Abend). Die Pat.
verlässt München, stellt sich nach 8 Tagen w ieder vor, mit erhöhtet
Temperatur (37,8) und Stauungserscheinungen seitens der Mitral¬
insuffizienz (Knöchelödem, leichte Nephritis). Ebenso hat sie eine
fieberhafte Parametritis und Oophoritis. Der Lungenbefund ist
objektiv wesentlich besser. Pat. wünscht dringend weitere In¬
jektionen, da sie von ihnen sich Heilung verspricht. Pat. wird
ins Krankenhaus verwiesen ; dortselbst nach 14 Tagen Besserung
des Allgemeinbefindens, weitere 10 Injektionen ändern das Be¬
finden nur subjektiv. Gewicht 46,5 kg.
F a 1 1 V. A. S. Erscheint am 21. V. mit Klagen über Husten,
schlechten Stuhl und starken Schmerzen im Unterleib. Status:
Schlecht genährte Person. Muskulatur und Fettpolster schlecht ent¬
wickelt, blasse Hautfarbe, Supra- und lufraklavikulargrube stark
eingefallen; linksseitige Spitzendämpfung, etwas Katarrh, Herz
ohne Befund. Abdomen: im linken Epigastrium ein mandarinen¬
grosser Tumor zu fühlen. Diagnose: Plithisis peritonei. Gegen
die Stuhlbeschwerden Kurei lasches Pulver. Temp. 37,6. Die¬
selbe steigt unter der begonnenen Behandlung bis 38,0, lässt nach
10 Injektionen nach bis 37,0, hält sich von da ab. mit Besserung
des Appetits einhergehend, ungefähr auf 36,5 und steigt bis zur
30. Injektion niemals mehr über 30,7. Grösste Injektionsmenge
20 ( !) mg. Zurzeit hat sich das Befinden der Pat. sehr gehoben,
der Tumor ist auf Nussgrösse zurückgegangen. Pat. befindet sich
noch in Behandlung.
Fall VI. M. X. Pat. wurde wegen Lungenspitzenkatarrh
von der Poliklinik in ein Sanatorium begutachtet, woselbst sich ihr
Gewicht von 45 auf 47 kg hob. Sie kam ohne Auswurf und mit
nur wenigem Husten zurück; es bestand noch geringer Katarrh
der linken Spitze mit Dämpfung daselbst, welcher durch Hetol
zum Schwinden gebracht werden sollte. Es gelang dies fast gänz¬
lich (Zunahme l1/, kg. besserer Appetit, kein Husten) nach In¬
jektion von 20 Spritzen.
Fall VII. .1. H. Der Pat. Vater starb an Lungenschwind¬
sucht. ebenso ein Bruder. Pat. selbst steht seit 2 Jahren in ex¬
terner ärztlicher Behandlung wegen Lungenspitzenkatarrh (Kreo¬
sot. Milchdiät. Bettruhe). Zurzeit in Behandlung der laryngo-
logischen Poliklinik wegen tuberkulöser Infiltration der Ary-
tiinoidfalten. Status: Sehr schlecht ernährtes Mädchen, am Herz
systolisches und diastolisches (?) Geräusch, beiderseitiger Spitzen¬
katarrh, Knisterrasseln und Katarrh, heisere Stimme. Temp. 37.8,
Gewicht 44 kg. Nach 5 Injektionen
36.8 zurück, nach der 6. kann Pat.
Infiltration verschwindet. Die Pat.
tiouen der weiteren Behandlung.
F a 1 1 IV. S. W. Pat. steht seit langer Zeit wegen Phthise
der Lungen in Behandlung der Poliklinik. Pa Kreosot und robo-
rierende Diät keinen Erfolg bringen, wird Hetol versucht. Pat.
ist subjektiv sehr deprimiert und sieht ihr baldiges Ende voraus;
geht infolgedessen nur sehr ungern an die Behandlung. Objektiv
findet sich starker doppelseitiger Katarrh auf den Lungen mit
Rasselgeräuschen. Die Frau ist sehr abgemagert, hat Abend¬
temperaturen bis 38,4. mehrfache Diarrhöen und reichliche Bazillen
im Auswurf. Nach 30 Injektionen hat der Auswurf abgenommen,
der Stuhlfang ist in Ordnung, Appetit nimmt zu. das Fieber über¬
schreitet Abends 37,2 zurzeit nicht mehr, und Pat. ist auch sub¬
jektiv sehr günstig beeinflusst. Sie begibt sich zu ihrer Schwester
aufs Land.
?ehen die Temperaturen auf
deutlich laut reden und die
entzieht sich nach 10 Injek-
18. November 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1917
I a 1 1 IX. S. J. Der Pat. Eltern starben an Lungenschwind¬
sucht; ebenso Ihr Mann. Bei Pat. selbst soll seit 3 Jahren Lungen¬
spitzenkatarrh bestehen; Auswurf und Husten vorhanden se n und
starke Abmagerung; angeblich in einem Jahr von 54 auf 40 kg
Objektiv findet sich massiger Katarrh auf beiden Spitzen vev-
gfcharftes Exspmum rechts, und wenig Rasselgeräusche Keine
Temperaturerhöhung. Nach Injektion von 20 Spritzen fühlt sich
Pat. ganz wohl; das Gewicht ist um 2 kg gestiegen Pat ent
zieht sich weiterer Behandlung. gestiegen. Fat. ent-
Ueber die I alle aus der Praxis des Dr. v. St. sei kurz folgendes
bemerkt: Es handelte sich dort um 12 Fälle von leichten, grössten¬
teils nicht fieberhaften Katarrhen der Lungenspitzen Bei einem
Teil (0 Patienten) wurden die Injektionen" intramuskulär in dS
Glutaen gemacht. Bei dieser Methode wurde jedoch nur wenig
oder nicht nachweisbarer Erfolg erzielt, selbst wenn, wie in einem
I* ulk, in o Monaten 45 Injektionen gemacht worden sind Inter¬
essant ist es, dass in einem Fall, wo durch die anfänglich in die
Vena mediana gemachten Injektionen Besserung eingetreten war
die Aufhellung der Dampfung und das Zurückgehen des Katarrhs
selbst auf H) Injektionen intramuskulär nicht fortscliritten. Bei
den anderen 6 Fällen, wo es möglich war, neben der Hetoltherapie
allgemein kräftigende Nahrung, viel Milch, viel Bewegung in
liciei L/iift, also bekannte Unterstützung des Gesaintorganismiis
zu verordnen, waren die Erfolge geradezu gute.
Einige Bemerkungen zu den in der Poliklinik mit ITetol
behandelten Fällen seien noch gemacht. Es ist nicht zu be¬
streiten, dass Hetol ein nicht zu unterschätzendes Hilfs¬
mittel bei der Behandlung von Phthisen ist. Das hat wohl auch
dm, wenn schön geringe Auswahl von Fällen wieder bewiesen.
Ein Ei folg ist jedoch nur bei intravenöser Anwendungsweise
zu erhoffen. Diese ist, wenn eingeübt, keine „crux medicorum“
mehr. In obigen Fällen wurde sie auf folgende Weise ausgeführt:
Nachdem um den Oberarm eine elastische Binde straff gelegt war,
wurde die Gegend der Vene mit Alkoholäther ordentlich gereinigt-.
Darnach wurde die in steriler Kochsalzlösung aufbewahrte
Spritze mit der ebenfalls sterilisierten Hetollösung gefüllt, die
Nadel eingestossen, zur Sicherheit der Austritt eines Bluts¬
tropfens aus der Kanüle abgewartet, die Spritze angesetzt, zur
Vorsorge noch einmal ein wenig Blut aspiriert und dann die
Injektion gemacht. Der kleine Stichkanal wurde mit Zinkoxyd¬
pflaster geschlossen. Die Spritze (sterilisierbar mit regulierbaren
Asbestkolben von Frohnhäuser in München) wurde jedes¬
mal ausgekocht.
Embolien oder Schlafsucht (E w a 1 d) wurden auch hier nicht
beobachtet. Der neuen Katzenstein sehen Methode (Münch,
med. Wochenschr., No. 37 1. J.), die jedenfalls den Vorzug
der angenehmen Anwendungsweise in der Praxis hat, kommt
kein weiterer Vorteil zu. Kurz zusammengefasst lässt sich ein
Pi teil über Hetol folgendermassen fällen: Wenn schon sich der
suggestive Einfluss (besonders z. B. bei Appetitlosigkeit) nicht
ganz ausschalten lässt und man wegen der Klippe der Temperatur¬
steigerung bei 0,5 (siehe I all I, II, III u. a.) vorsichtig bei der
V eiterbehandlung sein muss, so sind doch die Erfolge, besonders
wo ja auch bei obigen Fällen keinerlei Vorschriften über Lebens¬
weise und soweit möglich auch keine Arznei ausser Hetol gegeben
wurde, derart, dass Moslers und Ewalds Aufforderung,
das Verfahren, „da es bei sachgemässer Anwendung keine di¬
rekten Gefahren mit sich bringt“ (Berl. klin. Wochenschr. 1900,
No- 21), weiter zu prüfen, von jedem Arzte in Erwägung ge¬
zogen werden sollte.
Am Schlüsse liegt mir noch ob, meinen besten Dank Herrn
Pi ivatdozent Dr. H. N eumayer (als damaligem stellvertreten¬
den Vorstand), für die Ueberlassung der Fälle und die Unter¬
stützung bei der Arbeit, sowie den Herren Assistenten der Poli¬
klinik für die Uebertragung geeigneter Fälle auszusprechen.
Ans der Klinik für Dermatologie und Syphilis in Leipzig.
lieber Urethritis gonorrhoica bei Kindern männlichen
Geschlechts.
Von Dr. Fische r,
Stabsarzt im 8. Inf. -Reg. No. 107, früher Volontärassistenzarzt
an der Dermatologischen Klinik in Leipzig.
V ährend die gonorrhoische Erkrankung des Genitale kleiner
Mädchen leider eine sehr häufige zu nennen ist, sind Fälle von
I icthritis gonorrhoica bei Knaben vor der Pubertätszeit relativ
seltene \ orkommnisse. Bei Mädchen beginnt der gonorrhoische
1 rozess in der Regel an den äusseren Genitalien, der Vulva, in
<orm der Vulvitis, setzt sich dann rasch auf die Vagina fort
und ei greift, wie die neueren Untersuchungen erwiesen haben,
No 46-
nicht selten auch die U rethra und die Bartholin ischeu
Drüsen, dringt dagegen in den Zervikalkanal nur selten vor.
Oft tritt die Vulvovaginitis bei kleinen Mädchen geradezu en¬
demisch auf; solche Endemien sind in Krankenhäusern, Pflege¬
anstalten, ja selbst in einzelnen Familien wiederholt beobachtet
worden, wie die in der Literatur beschriebenen Fälle von
Fraenkel- Hamburg , Lenander - Stockholm , Dusch-
Heidelberg, Oahen-Brach - Graz, W. Fischer- Altona,
C n o p f - Nürnberg, W e i 1 1 - Lyon u. a. beweisen. Dahingegen
ist meines Wissens nur eine einzige förmliche Epidemie von
Urethralblennorrhöe bei Knaben beobachtet worden und zwar in
einem Knabeninstitut (Winslow, 1896).
In Anbetracht des relativ seltenen Vorkommnisses einer
gonorrhoischen Genitalinfektion bei kleinen Knaben halte ich
die folgenden Mitteilungen für erwähnenswert und erlaube mir,
gleichzeitig aus den Angaben der Literatur eine kurze über¬
sichtliche Darstellung anzuschliessen.
Eigene Beobachtung.
Einen Fall von gonorrhoischer Urethritis bei einem 9 Jahre
alten Knaben hatte ich selbst Gelegenheit in der Klinik des Herrn
Professor Dr. Riehl beobachten zu können.
O. B., Weberskind aus Leipzig, wurde am 25. XI. 1901 wegen
eitrigen Ausflusses aus der Harnröhre und schmerzhafter An¬
schwellung des Hodensackes von seiner Mutter in die Klinik ge¬
bracht. &
A n a m n e s e: Der Junge war vor 3 Wochen an Ausfluss aus
der Harnröhre und lebhaften Schmerzen beim Urinieren erkrankt
Zur Behandlung wurde ein Naturheilkundiger zugezogen, der täg¬
liche Urethralinjektionen mit „Wundwasser“ vornahm und Thee
innerlich verordnete. Während dieser Behandlung war eine
schmerzhafte entzündliche Schwellung des rechten Nebenhodens
dazu gekommen, so dass sich die Mutter endlich entschloss ärzt¬
liche Hilfe in der Klinik aufzusuchen.
e t u 11 ü bei der Au f n a h m e: Schwächlich gebauter
Knabe mit blassem leidenden Gesichtsausdruck. Innere Organe
soweit nachweisbar, gesund.
Genitale: Orificiuin urethrae lebhaft gerötet und ge¬
schwollen, ebenso die etwas lange, aber gut reponierbare Prii-
putialhaut. Präputialsack erfüllt mit ziemlich dickflüssigen gelben
Eitermengen. Auch die Haut der Glans zeigt deutliche entzünd¬
liche Rötung. Aus der Urethra entleert sich spontan reichlich
gelbdickflüssiger Eiter. Die rechte Hälfte des Skrotums ist stark
geschwollen, auf Druck ausserordentlich schmerzhaft. Hoden
und Nebenhoden nicht voneinander differenzierbar. Der rechts¬
seitige Funiculus spermaticus ist strangförmig verdickt und sehr
schmerzhaft. Die Inguinaldrüsen beiderseits etwas geschwellt,
rechts mehr als links, auf Druck nicht schmerzhaft. Mikro¬
skopische Untersuchung des Urethralsekrets: Zahlreiche Kokken-
liaufen, die meist innerhalb der Eiterzellen, vereinzelt auch zwi¬
schen mehreren Eiterzellen liegen; vereinzelte Plattenepithelien.
Die Kokken entfärben sich leicht nach dem Gr am sehen Ver-
iahren. Die Zweigläserprobe ergab den Urin in beiden Gläsern
diftus getrübt; bei der Urinentleerung schien der Junge lebhafte
Schmerzen zu haben. Die Temperatur zeigte nur in den ersten
Tage leichte Exazerbationen.
Unter Behandlung mit Bettruhe, Hochlagerung des Hoden¬
sackes, kalten Umschlägen, häufigen Ausspülungen des Präputial-
saekes mit essigsaurer Tonerdelösung und entsprechender Diät
waren die erwähnten Erscheinungen nach 5 y2 wöchentlicher Be¬
handlung in der Klinik soweit zurückgegangen, dass der Knabe
in poliklinische (ambulante) Behandlung übergeführt werden
konnte. Schleimige Sekretabsouderung blieb indes noch wochen¬
lang bestehen.
Auf innerliche Darreichung von Salol in öfteren täglichen
kleinen Dosen schwanden die Kokken allmählich im Präparat.
Erst nach 4 monatlicher Behandlungszeit ergab die Zweigläser¬
probe völlig klaren Urin ohne Beimengungen.
In ätiologischer Hinsicht war absolut nichts zu eruieren.
Die Mutter wollte sich durchaus nicht denken können, wie ihr
Junge zu der Krankheit gekommen sein sollte. Der Knabe selbst
wollte darüber gar nichts wissen; er machte übrigens einen ausser¬
ordentlich scheuen und verstockten Eindruck und schien durch
seine Angehörigen stark eingeschüchtert zu sein. Auch die Mutter
schien kein ganz gutes Gewissen zu haben, liess sich aber doch
nach einigem Zureden zu einer Untersuchung bewegen. Das Unter¬
suchungsresultat war bei ihr, wie auch bei ihren 3 Töchtern,
Mädchen im Alter von 5 — 12 Jahren, absolut negativ. Der Vater,
den ich gerne auch revidiert hätte, konnte angeblich aus Geschäfts¬
rücksichten nicht kommen.
In einem zweiten, nicht publizierten Fall, den Herr Professor
Dr. It i e li 1 im Krankenhaus Wieden (Wien) beobachtet hatte,
betraf die akute gonorrhoische Urethritis einen ll_ 12 jährigen
Knaben, der sich längere Zeit hindurch sein Taschengeld gespart
hatte, um schliesslich eine Prostituierte besuchen zu können, bei
welcher er sich mit Gonorrhöe infizierte. In diesem Falle, der
schon am 8. Tage zur Krankenhausbehandlung kam, verlief die
Gonorrhöe akut mit stürmischen Erscheinungen (blutigen Bei¬
mengungen im Sekret, Harnzwang und Harnverhaltung), heilte
aber ohne Komplikationen in 4 Wochen aus.
4
1918
MUENCHENER MEDIÖINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Ueber das Vorkommen, die Erscheinungen und den Verlauf
der gonorrhoischen Urethritis bei Knaben vor der Pubertätszeit
sind in der Literatur eine Reihe von Angaben niedergelegt.
Widmark, Marfan und Cseri wiesen meines Wissens
zuerst auf die gonorrhoische Natur der meisten Fälle von
Urethritis der kleinen Knaben hin, die bis dahin von den meisten
Berichterstattern für nicht infektiös gehalten wurde. Seitdem
haben eine ganze Reihe von Autoren Fälle von Gornorrhöe bei
Knaben berichtet. In den mir zugänglich gewesenen Publi¬
kationen konnte ich im ganzen 69 Beobachtungen zählen.
Chronologisch geordnet sind dieselben aus nachstehender Tabelle
zu ersehen.
Autor
Beobach¬
tungsjahr
Zahl
der Fälle
Alter der Knaben
Widmark
1884
2
8 bezw. 13 Jhr.
Marfan
1885
1
?
Csö ri
2
4 bezw. 5 Jhr.
Prettymann
1388
2 (Brüder)
9 bezw. 11 Jhr.
Custer
1890
1
5 Jhr.
F. M. C r a n d a 1 1
1
6 „
Abbe
1
3 „
Karner
1
3 „
v. A r w a 1 1
3
10 Mon., 1 Jhr., 4 Jhr.
Martin
1892
1
3 Jhr.
R ö n a
1888—1893
16
D/4— 13'/2 Jhr.
Koplik
1893
3
3—9 Jhr.
Z e i s s 1
2
6 bezw. 3 Jhr.
Harris
1894
1
14 Jhr.
Mac-Munn
1
2 Jhr.
V i g e r
1
2 Jhr.
Moncorvo
8
2—7 Jhr.
Imerwol
1895
2
3 bezw. 7 Jhr.
dto.
1896
2
U/2 bezw. 3V2 Jhr.
Cox
1
12 Jhr.
Sheffield
2
?
L o f t o n
2
je 5 Jhr.
Westerveit
1
5 Jhr.
Imerwol
1897
6
2‘/2, 4, 7, 9, 10, 11 Jhr.
Lang
1
5V2 Jhr.
M a r e r
1899
1
5 Mon.
Roth
1
12 Jhr.
Dobrovics
1
4 Jhr.
DeKeersmäcker
1901
1
2 Jhr.
B 6 k a i
?
1
11 Jhr.
(Anmerkun g. In dieser Tabelle ist die von Winslow
1886 mitgeteilte Epidemie von Gonorrhöe in einem
Knabeninstitut in Baltimore nicht mit eingerechnet, da
sich die Endemie auch auf junge Leute über dem Pubertäts¬
alter erstreckte und in dem mir zugänglichen Referate (Arch. f.
Denn. u. Syph.) keine Zahlen angegeben sind. Das gonorrhoische
Virus war durch einen älteren Jungen, der sich bei einem aus¬
wärtigen Mädchen angesteckt hatte, in die Anstalt eingeschleppt
■worden. Die weitere Verbreitung war teils auf aktive, teils auf
passive Päderastie zurückzuführen, der sich die Knaben zwischen
dem 13. und 19. Jahre hingaben. Von Komplikationen wurden
Epididymitis, Chorda und Tripperrheumatismus konstatiert. Die
Untersuchung des Rektums ergab bei vielen Knaben eine entzün¬
dete, geschwellte, x-ote, schmerzhafte und leicht blutende Schleim¬
haut. —
Ausserdem haben noch T h i r y - Brüssel und Poynter-
New-York Fälle von Gonorrhöe bei Kindern männlichen Ge¬
schlechts beobachtet; die Arbeiten dieser Autoren waren mir aber
weder im Original noch in Referaten zugänglich.
Aus diesen Mitteilungen geht hervor, dass die Urethritis
gonorrhoica der Knaben vorwiegend in den ersten 6 Lebens¬
jahren vorkommt (ca. 70 Proz. aller Fälle). Die Art und das Vor¬
kommen der Komplikationen ist aus nachstehender Zusammen¬
stellung zu ersehen.
Balanitis und Balanoposthitis . 9 mal
Lymphangoitis . 4 „
Lymphadenitis . 3 „
Cystitis ^2 Fälle mit schwerer Hämaturie) . . . 5 „
Epididymitis, einseitig . 7 „
„ beiderseitig . 5 „
Incontinentia urinae, Enuresis . 6 „
Gonitis . 1 „
Arthritis universalis . 1 „
Strikturen . 4 „
In Wirklichkeit dürften sich diese Zahlen noch höher be¬
laufen, da ich verschiedene Fälle, über welche nur im allgemeinen
berichtet war, nicht mitrechnen konnte.
Die Urethritis gonorrhoica vei’läuft also bei Knaben im all¬
gemeinen fast in gleicher Weise, wie bei Erwachsenen. Einige
Punkte verdienen jedoch eine besondere Erwähnung:
1. Sehr häufig ist bei Knaben die Gonorrhöe eingeleitet von
einer Balanitis, bezw. Balanoposthitis, besonders bei engem und
langem Präputium.
2. In 50 Proz. der Fälle ist auch die Pars posterior von der
Erkrankung betroffen gewesen.
3. Schmerzhafte Erektionen sind in keinem der obigen Fälle
erwähnt, auch Prostatitis ist niemals beobachtet worden.
4. Enuresis nocturna, überhaupt Incontinentia urinae wurde
häufig beobachtet.
5. Sehr selten scheint bei Knaben im Anschluss an Gonor¬
rhöe Gelenkrheumatismus aufzutreten. In der Literatur er¬
wähnen lediglich Marfan und Winslow das Vorkommen
dieser Komplikation, die bei Mädchen mit Vulvovaginitis gar
nicht so selten hinzutritt.
6. Strikturen im Gefolge der gonorrhoischen Erkrankung
sind bei Knaben durchaus nicht selten. Im Berichtsfall von
Abbe hatten sich bei dem 3jährigen Knaben bereits nach
6 Monaten impermeable Strikturen in der Pars: anterior und
posterior entwickelt, die einen operativen Eingriff nötig machten.
7. Meist pflegt bei Knaben die Gonorrhöe mit viel stür¬
mischeren Erscheinungen einzusetzen als beim Erwachsenen und
sehr rasch auch auf die Pars posterior urethrae überzugehen.
Uebertragungsmodus.
Bei den 71 Berichtsfällen (meine 2 Fälle mitgerechnet) er¬
gaben die Nachforschungen über die Art der Uebertragung in
40 Fällen ein sicheres oder fast sicheres, in 5 Fällen ein un¬
sicheres, in den übrigen 26 Fällen ein absolut negatives Resultat.
Die hohe Ziffer der Fälle, in denen absolut nichts zu eruieren
oder wenigstens keine sichere Auskunft zu erlangen gewesen war,
ist begründet in der Scheu der Angehörigen, richtige Angaben
zu machen, oft auch in der Verstocktheit und Verlogenheit,
welche derartig belastete Knaben an den Tag zu legen pflegen
oder in der Zufälligkeit der Uebertragung.
Von den 40 Fällen mit positivem anamnestischen Resultat
entfallen :
1. Auf Ansteckung durch Kohabitationsversuche . 12
2. Auf Uebertragung durch Zusammenschlafen oder näheren
(nicht geschlechtlichen) Verkehr mit gonorrhoisch erkrankten
Knaben, Mädchen oder männlichen Erwachsenen ... . 11
3. Auf zufällige Uebertragung durch weibliches Pflege- oder
Wartepersonal . 9
4. Auf mittelbare Uebertragung durch Wäscheartikel u. dergl. 6
5. Auf Infektion durch Sittlichkeitsdelikte (Winslows Bericht
nicht mitgerechnet) . . 2
Hieraus ist zu entnehmen, dass auch bei Knaben zufällige
Ueber tragungen auf direktem oder indirektem Wege durchaus
nicht selten Vorkommen. Relativ oft erfolgt die Infektion bei
Knaben durch Kohabitationsversuche und zwar betrifft dies fast
ausschliesslich ältere, grössere Knaben.
Auch Knabenmissbrauch kann zuweilen gonorrhoische An-
steckung vermitteln, wie die beiden Berichtsfälle und die Epi¬
demie W i n 1 o w s beweisen. Bei einem dieser Knaben im Alter
von 3 Jahren wurde von einem 16 jährigen Dienstmädchen die
Immissio penis versucht; der andere (ein 5 Jahre alter Mexi¬
kanerknabe) war von seinen Stammesgenossen missbraucht
worden.
Im allgemeinen begegnet man der Neigung, die Infektion
von Kindern auf verbrecherische und unsittliche Akte zurück¬
zuführen, nicht bloss bei Laien, sondern auch bei Aerzten. Dass
dieser Infektionsmodus vorkommt, ist zweifellos. Auch der zu¬
weilen noch im Volk herrschende Aberglaube, dass eine Er¬
krankung an Tripper durch den Koitus mit einem ganz un¬
schuldigen, reinen Mädchen geheilt werden könnte, mag vielleicht
dann und wann noch ein Opfer fordern; die forense Literatur
weist dies einwandsfrei nach. Jedenfalls stellen aber die Sitt¬
lichkeitsdelikte nur den geringsten Prozentsatz für die Aetiologie
der Gonorrhöe bei Kindern dar. Marfan, C n o p f u. a. be¬
rechnen auf Grund zahlreicher Beobachtungen die auf solchen
Wegen zu stände kommende Infektion von Kindern mit 1 Proz.
aller Fälle.
In der grossen Ueberzahl der Fälle ist die Infektion zweifel¬
los auf unbeabsichtigte und auf völlige Unkenntnis basierende,
18. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1919
sowie mehr zufällige Uebertragungen zurückzuführen. Am
häufigsten geschieht . dies durch die Sitte von Müttern und
Pflegepersonal, die Kinder zu sich ins Bett zu nehmen Nicht
mit Unrecht stellt Pott, gestützt auf sein reichhaltiges Be¬
obachtungsmaterial, die Behauptung auf: „Leidet das Kind an
spezifischem Ausfluss, so leidet unter 100 Fällen 90 mal auch die
Mutter daran.“ Audi das Zusammenschlafen der Kinder selbst
birgt bei der Häufigkeit der Vulvovaginitis der kleinen Mädchen
nicht zu unterschätzende Gefahren. Eine grosse Reihe von
1 allen verdankt sicher auch einer mittelbaren Uebertragung
durch Badeschwamme, Handtücher und andere Wäschestücke,
durch Badewannen, Thermometer, Nachtgeschirre, Irrigatoren
die nach dem Gebrauch nicht gereinigt wurden, und ähnliche ver¬
unreinigte Gegenstände ihre Entstehung. Dies gilt namentlich
tur che in Kinderspitälern, Pensionaten etc. beobachteten En¬
demien. Offenbar bietet bei der mittelbaren Uebertragung die
breitere Flache des weiblichen Genitals, das Freiliegen und die
Faltenbildung der Schleimhaut mit ihrem zarten und lockeren
Epithel dem gonorrhoischen Virus eine viel bessere Möglichkeit,
eindrmgen und sich festsetzen zu können, als die winzige
Urethraloffnung bei Knaben, die überdies noch durch das die
Eichel überragende Präputium geschützt ist. Die Kenntnis des
häufigen Vorkommens der auf nicht geschlechtlichem Wege
erworbenen Gonorrhöe bei Kindern ist zuweilen für den Arzt von
nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, besonders in Fällen, die
Gegenstand gerichtlicher Erhebungen oder gerichtsärztlicher Be¬
gutachtungen werden. In solchen Fällen ist es anzuraten, mit
grösster Vorsicht vorzugehen und nur auf Grund absolut sicherer
Angaben und Beweise Schlüsse zu ziehen. Die Anwesenheit
von Gonokokken in der Urethra eines kleinen Knaben oder im
Genitale eines Mädchens berechtigt nur in ganz wenig Fällen
den Schluss auf Stuprum.
Literatu r.
i i r)ie, zn vorstehender Arbeit habe ich zum Teil den
Referaten der einschlägigen Spezialzeitschriften des In-
mid Auslandes zu verdanken. Von Originalartikeln und von
Hand- und Lehrbüchern neueren Datums, die mir zur Verfüeima
standen erwähne ich die folgenden: Imerwol: „TJretlir. gonor-
fi).ei Knaben ‘ * 1898, Cnopf: „Gonorrhöe im Kindesalter“
DOS, Fischer: „Kindergonorrhöe“ 1895, Rn deck: „Syphilis
und Gonorrhoe vor Gericht“ 1902, Bose: „Der Gonokokkus in
dei gerichtlichen Medizin“; ferner die Hand- bezw. Lehrbücher
von besser, Finger, Joseph, Lange-Brückner und
^ O 1 t z.
Entzündlicher Bauchdeckentumor, hervorgerufen durch
einen aus dem Darm durchgebrochenen Fremdkörper.*)
Von Dr. A. Wagner, Frauenarzt in Stuttgart,
Der sowohl in diagnostischer als therapeutischer Hinsicht
hochgradig interessante Fall betraf eine 52 Jahre alte Patientin,
die me geboren hat. Im Dezember 1900 will sie mit Schmerzen
in der rechten unteren Bauchseite erkrankt sein, gleichzeitig soll
hohes Fieber bestanden haben. Der damalige behandelnde Arzt
stellte die typischen Symptome einer Typlilitis bezw. Paratyplilitis
rest. Unter antiphlogistischer Behandlung wurde die Schwellung
und das Fieber innerhalb 14 Tagen zum Verschwinden gebracht
und die Patientin befand sich während des grössten Teils des
Jahres 1901 ganz wohl. Erst im November vorigen Jahres stellte
sich eine erneute Schwellung und Schmerzhaftigkeit der rechten
Unterbauchgegend ein, welche im Verlauf von ca. 8 Wochen lang¬
sam, aber stetig an Grösse zunahm. Die Patientin besorgte aber
wahrend dieser Zeit immer noch ihre Haushaltungsgeschäfte, bis
sie Mitte Januar angeblich infolge Hebens eines schweren Wasch¬
zubers, wobei sie sich „verlupft“ und einen plötzlichen starken
Schmerz im Bauch verspürt habe, schwer erkrankte. Es seien
Schüttelfröste eingetreten, die Temperatur sei auf 39—40° an¬
gestiegen und sie sei dauernd ans Bett gefesselt gewesen.
Als ich die Patientin am 18. Januar d. J. zum erstenmal sah,
erhob ich folgenden Befund: Sehr korpulente Frau, Puls 120, klein
und fliegend, Temperatur 39,5 in recto, Haut trocken. Die ganze
i echte Bauchhälfte ist stark vorgewölbt. Ein wenig über dem
rechten Poupart sehen Band bis 2 Finger breit unter dem
rechten Rippenrand findet sich ein über mannskopfgrosser, fibrös-
derber Tumor, der massig druckempfindlich ist und mit den Bauch¬
decken in Zusammenhang steht. Der Tumor scheint sich ins kleine
Becken hinab foi^zusetzen, vaginal findet sich ein kleiner, leicht
retrovertierter Uterus; ein Zusammenhang des Uterus mit dem
Tumor lässt sich aber nicht sicher feststellen, da die kombinierte
Untersuchung wegen der Druckempfindlichkeit des ganzen Ab¬
domens nicht möglich ist.
*) Nach einem im Stuttgarter ärztlichen Verein gehaltenen
Vortrag.
Eine sichere Diagnose war bei diesem Befund nicht zu
stellen; differentialdiagnostisch kamen in Betracht: Ovarial¬
tumor mit Stieldrehung, altes p a r a t y p li 1 i ti¬
sch e s Exsudat und Bauchdeckensarko m.
Die am 20. Januar d. J. vorgenommeue Laparotomie ergab nun
folgendes: Der mannskopfgrosse, derbe Tumor sitzt in der rechten
Rauchwand, hat nach der Bauchhöhle zu das Peritoneum in einer
Ausbreitung von 2 Handtellergrösse durchbrochen und es quellen
liier aus den Durchbruchstellen weiche Neubildungsmassen hervor
welche sowohl mit dem Netze als auch mit dem Coekum und
Colon ascendens umfangreiche Verwachsungen eingegangen haben
In der Bauchhöhle findet sich kein Exsudat, auch zeigt das Peri¬
toneum sonst keine Zeichen der Entzündung. Es war also das
typische Bild eines umfangreichen Bauchdeckensar k o m s,
welches durch das Peritoneum parietale durchgebrochen war. Bei
der Unmöglichkeit, den Tumor, der den grössten Teil der rechteu
Bauchdeckenhälfte einnahm, zu exstirpieren, wird die Bauch-
wunde geschlossen und auf der Höhe des Tumors eine Probe¬
inzision gemacht. Nach Durchtrennung der unveränderten und
•luf dem Tumor beweglichen Bauchhaut gelangt man auf eiu
fibrös-derbes Gewebe, aus welchem ein ca. 3 cm hoher Keil zum
Zweck der histologischen Untersuchung ausgeschnitten wird. Die¬
selbe wurde im pathologischen Institut Tübingen (Prof. Dr.
v. Baum garten) ausgeführt, mit folgendem Ergebnis: „Das
Gewebe sieht histologisch wenig bösartig aus. Man sieht faszi¬
kuläre Bindegewebszüge mit etwas myxomatös gequollenen Fa¬
sern und nur wenig Zellen, ausserdem besteht eine tief in die
Muskeln reichende entzündliche Infiltration. Man könnte also
höchstens an ein Fibrosarcoma fasciculare denken ;
vielleicht könnte es sich auch um eine entzündliche Neu¬
bildung (Aktinomykose) handeln.“ Als ich am 8. Tage
nach der Operation den Verband wechselte, die Temperaturen
v aren inzwischen etwas abgefallen, fand ich die Probeinzisions¬
stelle stark entzündlich gerötet. Nach Entfernung der Nähte ver¬
suchte ich mit der Sonde durch das kallöse Gewebe in die Tiefe
zu dringen, und plötzlich versank die Sonde auf ca. 10 cm und aus
der Tiefe quoll Eiter hervor. Ich legte nun an dieser Stelle eine
breite Inzision an und drang vorsichtig unter Führung der Sonde
in die Tiefe; dabei gelangte ich in eine gewaltige Abszesshöhle,
aus welcher sich über 1 Liter scheusslich stinkenden, mit Schwefel
gelben Partikelchen untermischten Eiters ergoss, Die Abszess¬
höhle wurde gehörig ausgekratzt, eine Kontrainzision angelegt
und ausgiebig drainiert. Die schwefelgelben Körner schienen auf
Aktinomykose hinzuweisen, allein die bakteriologische Unter¬
suchung des steril aufgefangenen Eiters erbrachte kein positives
Ergebnis. Die anfänglich profuse Eitersekretion liess unter all¬
mählichem Abfall der Temperatur bis zur Norm nach, im Verlauf
von 10 Wochen waren die Fisteln geschlossen und die Patientin
andauernd fieberlos. Sie hatte inzwischen ihre häuslichen Arbeiten
wieder aufgenommen, ging aus, kurz alles schien erledigt, als
3 Wochen später plötzlich erneute Temperatursteigerung und
schmerzhafte Schwellung eintrat. Durch eine kleine Inzision ent¬
leerte ich wieder etwas Eiter, allein beim Auslöffeln der Granu¬
lationen stiess ich auf einen eigentümlichen Fremdkörper. Der¬
selbe hatte eine sichelförmige Gestalt und war 5 yz cm lang. Er
machte makro- und mikroskopisch den Eindruck von Knochen und
zeigte an seinem einen Ende ein glattes rundliches Köpfchen, das
aussah, wie ein Gelenkende.
Die daraufhin bei der Patientin angestellten Erhebungen er¬
gaben, dass derselben ca. 2 Monate vor der seinerzeit durchge¬
machten Blinddarmentzündung eine Fischgräte im Halse stecken
geblieben sei, welche sie nur mit grosser Mühe schliesslich
hinuntergeschluckt habe. Der Fisch sollte ein Kabeljau geweseu
sein. Es gelang mir nun, in der Sammlung des hiesigen k. Natu-
ralienkabinets das Corpus delicti als eine der knöchernen Spangen
in den Kiemen des Kabeljaus — als eine sogen. Branchio-
Stege — zu diagnostizieren.
Nach Extraktion des Fremdkörpers schloss sich die Wunde
schnell und heute ist die Patientin dauernd wiederhergestellt.
Der Fall ist interessant, da er zeigt, einerseits, welche patho¬
logischen, sowohl klinisch als pathologisch-anatomisch eine Neu¬
bildung vortäuschenden, Veränderungen ein solcher Fremdkörper
noch nach Jahr und Tag- hervorzurufen im Stande ist, anderer¬
seits aber auch, welch schwer zu knackende diagnostische Nuss
für uns daraus hervorgehen kann.
Die Erklärung des ganzen Krankheitsverlaufes bietet nun
am Schluss durchaus keine Schwierigkeiten mehr: Der Fremd¬
körper hatte zunächst Magen und Dünndarm anstandslos passiert
und war dann im Coekum stecken geblieben; hier hat er allmäh¬
lich die Darmwand mit seinem spitzen Ende durchbohrt und ver-
anlasste in dem Moment, wo die Perforation eintrat — und dies
geschah bei dem Fehlen von peritonitischen Erscheinungen extra¬
peritoneal — eine typische Paratyphlitis. Nach Ablauf des
akuten Stadiums trat eine Scheinheilung ein, indem sich der
Fremdkörper einkapselte. Aus dieser Ruhe wurde er wieder auf-
gerüttelt bei Gelegenheit des von der Patientin ganz exakt an¬
gegebenen Verlupfens, das Erscheinungen hervorrief, wie wir sie
bei plötzlichen Stieldrehungen von Bauchtumoren zu beobachten
gewohnt sind. Der Fremdkörper ist von neuem weitergewandert,
hat sich in die Bauchdecken eingebohrt und damit die Ursache
4*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
1920
zu einem erneuten Aufflackern des entzündlichen Prozesses ge¬
geben, welcher erst zör Heilung kam mit der endgültigen Ent¬
fernung des Missetäters.
Barend Joseph Stokvis. +
Der Mann, dessen Bild heute in der „Galerie hervorragender
Aerzte und Naturforscher“ erschei nt, hat nicht nur in seinem
Vaterland, sondern in der ganzen medizinischen Welt, viele
Jahre lang eine ehrenvolle Stelle eingenommen.
Plötzlich ist er in der Nacht vom 28. zum 29. September
dahingeschieden.
Völlig unerwartet ist Stokvis dem Wirkungskreis, in
welchem er sich mit seinen reichen Talenten in vielen Ricli-
l ungen die grösste Anerkennung erwarb, entzogen worden.
Einige Stunden vor seinem Tode verkehrte er noch munter und
froh unter den Seinigen. Er hatte verabredet, am folgenden
Morgen Früh mit einigen seiner Kollegen zusammenzutreffen,
und Unterrichtsangelegenheiten zu besprechen. Als der Morgen
kam, verbreitete sich bald in weiten Kreisen die erschüt¬
ternde Nachricht, Professor Stokvis sei plötzlich verstorben.
Das Herz, welches so viele Jahre so kräftig geschlagen hatte, war
zum weiteren Dienst unfähig geworden.
Im allgemeinen ist man darüber nicht erstaunt, wenn ein
angehender Siebziger, ein Greis, das Zeitliche segnet. Aber
Stokvis schien noch so jung. Wer ihn sah am Tage vor
seinem Tode, konnte kaum glauben, dass er schon 68 Jahre alt
war. Voller Lebenslust und Arbeitsfreudigkeit schickte er sich
an, den neuen akademischen Cursus zu beginnen. Mit strahlen¬
dem Auge erzählte er von der herrlichen, erfrischenden Ruhe,
die er in den Ferien in Irland, an der Küste des Atlantischen
Ozeans, als der Gast seines Freundes, Sir Dyce Duckworth,
genossen hatte. Seine hohe, kräftige Gestalt, sein klarer Blick,
sein lebhaftes Gespräch, machten es unmöglich, den Gedanken
auf kommen zu lassen, dass er jetzt schon auf hören sollte, der
Wissenschaft zu dienen und weiter zu arbeiten an allen den¬
jenigen Angelegenheiten, wofür von anderen sein Interesse ver¬
langt und beinahe immer gefunden wurde.
In den Niederlanden wird sein Veilust in erster Linie in
wissenschaftlichen Kreisen, aber keineswegs in diesen allein, tief
empfunden. Auf die Grenzen seiner Heimat blieb aber der gute
Klang seines N amens nicht beschränkt. Stokvis hatte sich
das Recht erworben, allenthalben unter die „hervorragenden
Aerzte und Naturforscher“ gerechnet zu werden.
Barend Joseph Stokvis wurde am 16. August des
Jahres 1834 in Amsterdam geboren, wo sein Vater, Dr. J. B.
Stokvis, ein allgemein geehrter Arzt war, der bis ins hohe
Alter sich sowohl des Ruhmes als der Anhänglichkeit seines
Sohnes erfreuen durfte. Seine Ausbildung erhielt er erst auf
der „lateinischen Schule“, darauf auf dem Athenaeum Illustre
seiner Heimatstadt. Das Athenaeum war eine im Jahre 1692
errichtete Lehranstalt für höheren Unterricht, an welcher, wie an
den holländischen „Hochschulen“, die Fakultäten der Theologie,
der Jurisprudenz, der Philologie, der Naturphilosophie und der
Medizin vertreten waren, die aber das Jus promovendi nicht be-
sass. Stokvis sah sich daher genötigt, obgleich er in
Amsterdam studierte, sich zur Erhaltung des Doktorgrades dem
Examen an einer der staatlichen Hochschulen zu unterwerfen.
Am 12. Juni 1856 wurde er in Utrecht nach der öffentlichen Ver¬
teidigung einer Dissertation, betitelt : De suikervorming
in de lever in verband met de suikeraf schei-
ding bij Diabetes mellitus, zum Medicinae Doctor be¬
fördert.
Der Gegenstand dieser Dissertation bezog sich auf ein Pro¬
blem aktuellen Interesses in jenen Tagen. Vor einem Jahre hatte
F i g u i e r energisch die Ansicht CI. Bernards bestritten,
der die These verteidigte, dass zu den Funktionen der Leber
auch die Bildung von Zucker gehöre. Stokvis schloss sich
unbedingt an die Meinung Bernards an. Er untersuchte das
Blut der Vena portae und das Lebervenenblut bei ausschliesslich
mit Fleisch genährten Hunden und fand in ersterm keinen, in
letzterem reichlich Zucker. Er zeigte, dass die Leber verschie¬
dener fleischfressender Tiere, deren Nahrung soviel wie möglich
von Kohlehydraten freigehalten worden war, Zucker aufwies.
Weiter schloss er aus einer eingehenden Untersuchung einer an
Diabetes leidenden Kranken, „dass eine Beziehung existiert
zwischen der Zuckerbildung in der Leber und der Zuckeraus¬
scheidung bei Diabetes mellitus“. Diese Untersuchung- be¬
schränkte sich nicht auf die Beobachtung der Kranken, die er in
der Klinik seines Lehrers, Prof. S e n i n g e r, zu untersuchen
Gelegenheit hatte, während des Lebens derselben, sondern er¬
streckte sich auch auf den Zuckergehalt der Leber nach dem
Tode und auf die anatomischen, makroskopisch und mikro¬
skopisch sichtbaren Veränderungen in diesem Organ. Die
pathologisch-histologische Untersuchung der Leber beanspruchte
im Jahre 1856 mehr Originalität wie in unseren Tagen.
Stokvis erwähnt, dass, soviel ihm bekannt war, B e a 1 e bis
dahin der einzige gewesen sei, der die Leber des Diabetikers
mikroskopisch untersucht habe.
Schon in der Dissertation des noch nicht 22 jährigen Mannes
traten die Eigenschaften in den Vordergrund, die Stokvis’
ganzes wissenschaftliches Leben, bis am Vorabend seines Todes,
gekennzeichnet haben : warme, keine Mühe scheuende Liebe zu
vielseitiger Forschung, Klarheit des Blickes, grosse Belesenheit,
seltene Fertigkeit im Schildern des Beobachteten und im Dar¬
legen seiner Meinung.
Für seine Liebe zur Forschung waren dem jungen Mann
die Verhältnisse günstig, van Geuns, einer der damaligen
Professoren der inneren Medizin am Athenaeum in Amsterdam,
ein Mann weiten Blickes, der die Anforderungen der modernen
Medizin verstand, hatte zu bewirken gewusst, dass, wenn auch
auf bescheidenem Fuss, ein physiologisch-pathologisches Labora¬
torium errichtet und dass mit der Leitung desselben Heynsius
betraut wurde. Heynsius war ein kurz zuvor von Utrecht
nach Amsterdam übergesiedelter Schüler von G. J. Muld er
und von Donders, ein reich beanlagter Mann, mit feurigem
Eifer für das Studium der Physiologie. Leider wurde er, nach¬
dem er nachher als Professor der Physiologie an der Universität
Leiden grossen Einfluss ausgeübt, noch in der Kraft seines Lebens
vom Tod abberufen.
In diesem Laboratorium fand Stokvis Gelegenheit, die in
seiner Dissertation beschriebenen Untersuchungen anzustellen.
Und als er nach einer wissenschaftlichen Reise nach Wien und
Paris sich in seiner Heimatstadt als praktischer Arzt niederliess,
stellte IJ e y n s i u s, der bald, 1858, zum Professor der Physio¬
logie am Athenaeum ernannt wurde, wieder das Laboratorium zu
seiner Verfügung, von welchem Anerbieten Stokvis nicht
unteriiess, fleissig und mit schönem Erfolg Gebrauch zu machen.
Sofort setzte er seine Untersuchungen über die Zucker¬
bildung in der Leber fort. Inzwischen war der bisher so geheim¬
nisvolle Bestandteil des Leberextraktes, die „matiere laiteuse“,
deren wahrer Natur auf die Spur zu kommen auch Stokvis
nicht gelungen war, von Bernard als ein Kohlehydrat er¬
kannt und mit dem Namen „matiere glycogene“ belegt worden.
Schon 1857 konnte Stokvis eine Arbeit darüber veröffent¬
lichen und war er im stände, u. a. mitzuteilen, dass die Menge
des Glykogens in der Leber ausser der Verdauungsperiode ab¬
nimmt, aber, wenigstens bei Hunden, bald wieder zunimmt, so¬
bald Nahrung, wenn dieselbe auch ausschliesslich aus Fleisch
bestehe, zugeführt wird.
2 Jahre später veröffentlichte er eine umfangreiche Arbeit
über die Physiologie des Acidum uricum, worin er u. a., im Hin¬
blick auf die Untersuchungen von Heynsius über die Harn¬
stoffbildung in der Leber, die These verteidigte, dass unter dem
Einfluss des Stoffwechsels entstandene Harnsäure bei Säuge¬
tieren in der Leber teilweise in Harnstoff übergeführt wird.
Mit wie grossem Fleiss Stokvis sich, trotz aller Mühen
und Sorgen seiner immer wachsenden ärztlichen Praxis, mit
Untersuchungen im Laboratorium beschäftigte, erhellt aus den
Titeln seine medizinischen Schriften, von denen das dem Sonder¬
druck dieser Arbeit beigefügte Verzeichnis, wenn es auch auf
Vollständigkeit keinen Anspruch erhebt, dennoch die meisten
aufweist.
Unter den Arbeiten aus seiner ersten Periode, die seinen
Namen auch im Ausland bekannt werden Hessen, sollen an erster
Stelle seine Untersuchungen über Albuminurie genannt werden,
von denen die erste Mitteilung schon 1862 im „Nederlandsch
Tijdschrift voor Geneeskunde“ erschien und mit der Abhand¬
lung, der 1867 die belgische Academie de Medecine die goldene
Medaille verlieh, abgeschlossen wurde.
18. November 1902.
MUENCHENER MEDIGINISCHE WOCHENSCHRIFT.
TT + Indeufn, W]urden jn Amsterdam bezüglich des medizinischen
Unterrichts bedeutende Aenderungen vorbereitet.
m.
Im Jahre 1865 wurde in den Niederlanden ein Gesetz votiert
wobei bestimmt wurde, dass der Doktortitel, welcher nur von den
staatlichen Hochschulen in Leiden, Utrecht und Groningen gegeben
werden konnte, nicht länger ein Recht zur Ausübung der ärzt¬
lichen Praxis verleihen sollte. Wer sich als Arzt niederlassen
wollte, sollte erst, ob er Doktor war oder nicht, durch das Be¬
stehen einer oder mehrerer Prüfungen vor einer Staatskommis¬
sion beweisen, dass er die erforderlichen Fähigkeiten besitzt.
Aun konnte also die Ausbildung zum Arzt am Athenaeum wel¬
ches das Jus promovendi nicht besass, ebenso gut stattfinden als
an der Hochschule. Dazu mussten aber die Lehranstalten für
den medizinischen Unterricht einer gründlichen Verbesserung
unterworfen werden. An erster Stelle wünschte man den Unter¬
richt in der Physiologie den Anforderungen der Zeit gemäss zu
gestalten. Das Laboratorium, in welchem Heynsius und
Stokvis gearbeitet hatten, entsprach diesen Anforderungen
keineswegs. Nachdem Heynsius 1866 die Professur der
Physiologie in Leiden übernommen hatte, wandte man sich an
Donders mit dem Antrag, nach Amsterdam zu kommen und
sich seinen Wünschen entsprechend das Laboratorium einzu¬
richten. Als dieser aber abgelehnt hatte, richtete man, auf
Virchows Rat, denselben Antrag an Kühn e. In den
o Jahren, die Kühne in Amsterdam verbrachte, 1868 — 1871,
hat Stokvis täglich mit ihm verkehrt. Mit Wärme rühmte
er später noch öfters die Zeit regen wissenschaftlichen Lebens,
die er mit Kühne und in dessen Laboratorium zugebracht. In
kurzen, aber klaren und zierlichen Zügen hat er jene Zeit ge¬
schildert, in dem „In mcmoriam“, das er dem Andenken
Kühnes im „Kl ederlandsch Tijdschrift voor Geneeskundel<
widmete.
Aus . jenen Tagen stammen die ersten Mitteilungen von
Stokvis über die im Tierkörper gebildeten Farbstoffe, die
ihren Reiz für ihn nie verloren haben. Zahlreiche Arbeiten, über
Gallenfarbstoffe, über Urobilin, über Indikan, über den Blutfarb¬
stoff und dessen Derivate, sind im Laufe der Jahre von ihm ver¬
öffentlicht worden. Die letzte Arbeit von seiner Hand, in der
v. L e y d e n gewidmeten Festschrift, handelt darüber. Am Tage
vor seinem Tod hat er sich mit der Korrektur der holländischen
Uebersetzung dieser Arbeit, die im Nederl. Tijdschr. v. Geneesk.
erschienen ist, beschäftigt.
Sein grösstes und bedeutendstes Werk liegt auf anderem
Gebiet, auf dem der Arzneimittellehre.
Erst allmählich ist er auf diesem Gebiet angelangt. Die
Lebensverhältnisse führten ihn dazu, seine Vorliebe für chemisch¬
biologische Forschung auf die Arzneimittel und deren Wirkung
auf den Organismus anzuwenden,
Amsterdam, das immer die Verbesserung des medizinischen
Unterrichts vor Augen hatte, wünschte einen Mann wie Stokvis,
der bei einer ausgedehnten ärztlichen Praxis doch noch immer
Kiaft. und Zeit für wissenschaftliche Arbeit zu finden wusste
und zudem sich als trefflicher Redner gezeigt hatte, an seine
Lehranstalten zu binden. Im Jahre 1874, 3 Jahre bevor das
Athenaeum durch eine Universität, welche das Jus promovendi
erhielt, ersetzt wurde, ist Stokvis zum Professor der all¬
gemeinen Pathologie und klinischen Medizin ernannt worden.
Dadurch wurde ihm die Gelegenheit geboten, sich völlig der
wissenschaftlichen Arbeit zu widmen, wurde ihm ein Wirkungs¬
kreis eröffnet, der seinen eigenen Wünschen entsprach und der
Amsterdamer LTniversität zum Segen geworden ist.
Den klinischen Unterricht hat Stokvis zwar nie ganz auf-
gegeben, derselbe trat aber bei ihm nicht in den Vordergrund.
Das war auch nicht nötig, da neben ihm zwei seiner Kollegen
innere Medizin lasen. Bald beschränkte er sich in dieser Hin¬
sicht auf die propädeutische Klinik. Die allgemeine Patho¬
logie, speziell die pathologische Physiologie, war ihm, wie aus
seiner Vergangenheit zu erwarten war, lieb, was sich denn auch
gleich zeigte aus seiner Antrittsrede, in welcher er die Einheit
der Physiologie und Pathologie darlegte.
Es kann aber nicht wundern, dass Stokvis, dessen klarer
Geist in den Jahren seiner Praxis täglich durch Fragen über
die Wirkung von Arzneimitteln gereizt worden war, dessen
Lebung und Erfahrung auf dem Gebiete der chemischen For¬
schung ihm nicht nur eine scharfe Fassung dieser Fragen er-
No. 46.
leichterten, sondern auch die Angabe des Weges, auf welchem
die Lösung gesucht werden musste — es kann nicht wundem,
dass ein so vorbereiteter Forscher seine Liebe und seine Arbeits¬
kraft an erster Stelle der Arzneimittellehre widmete.
Zahlreiche Arbeiten von ihm und seinen Schülern rühren
aus dem seinen \\ ünschen entsprechend eigens dazu eingerich¬
teten Laboratorium her. Viel deutlicher aber als aus den einzel¬
nen Arbeiten selbst geht seine Fähigkeit auf diesem Gebiet aus
dem grossen Werk hervor, dessen Vollendung Stokvis den
grössten Teil seiner letzten Lebensjahre gewidmet hat und das,
mit Hilfe seines ehemaligen Assistenten Dr. Zeehuisen’
unter dem Titel ,,\ oordrachten over Geneesmiddelleer“ jetzt zum
grössten Teil veröffentlicht worden ist.
Der erste Band, die allgemeine Arzneimittellehre, wurde im
Jahre 1891 herausgegeben. Jetzt ist vom ersten und zweiten
Band schon eine zweite Auflage erschienen. Im Jahre 1899 er¬
schien die erste Abteilung des dritten Bandes. Die zweite Ab¬
teilung, die mit der Behandlung der Antipyretika und Neurotika
das ganze Werk abschliessen soll, hat Stokvis noch ganz
druckfertig machen können. So ist ihm die Genugtuung, sein
Werk vollendet zu haben, gewährt, die Freude, es auch selbst vol¬
lendet in der Oeffentlichkeit zu sehen, leider aber vorenthalten
worden. Er konnte aber im voraus dessen gewiss sein, dass auch
dei Schluss seines Buches mit grosser Eingenommenheit begrüsst
werden sollte. Mit Verlangen sieht man der Veröffentlichung
entgegen, weil man durch dasjenige, was schon erschienen ist,
weiss, was man davon erwarten darf.
Dieses Buch ist ein Monument, das dem Namen Stokvis’
zur Ehre gereichen wird, auch lange, nachdem alle diejenigen,
die seine in vielfacher Beziehung Achtung und Liebe gewinnende
Persönlichkeit gekannt haben, dahingegangen sein werden.
Ausführlich (der I ext des jetzt schon Erschienenen nimmt
1161 Seiten ein) wird die ganze Pharmakotherapie behandelt.
Die ausserordentliche Belesenheit des Verfassers hat es ihm
ermöglicht, jeden Gegenstand historisch zu behandeln. Aber es
ist nicht die Arbeit eines Kompilators, der fleissig das Bekannte
zusammenbringt und dessen höchstes Ziel ist, jeder Tatsache,
jeder Ansicht ihre gebührende Stelle zu geben — es ist die Arbeit
eines Mannes, der sein ganzes Leben lang selbst scharf beobachtet
und sorgfältig experimentiert hat, der all die Jahre hindurch
mit regem Interesse dem, was andere auf dem Gebiet der Natur¬
wissenschaft und Medizin hervorbrachten, gefolgt und über dies
alles reiflich nachgedacht hat. Seine Herrschaft über den be¬
handelten Stoff zeigt sich aus jeder Seite seines Buches. Die
ihn kennzeichnende Bescheidenheit verleugnet sich auch hier
nicht, \iele von ihm selbst oder von seinen Schülern ange-
stellte und früher schon veröffentlichte Untersuchungen und
andeie, die jetzt zum erstenmal mitgeteilt werden, finden darin
Erwähnung, nie aber wird ihnen ein unverhältnismässig grosser
Platz zuerkannt. Wohl gibt Stokvis jedesmal, nachdem er
die von anderen und von ihm selbst gesammelten Daten be¬
sprochen hat, seine eigene Ansicht über die Sache, und zwar mit
unüberti efflicher Klarheit.- Dazu war ihm die Form von Vor¬
trägen besonders geeignet, worin es dem Verfasser leichter als in
einem Lehr- oder Handbuche möglich ist, persönlichen Auffas¬
sungen Raum zu geben. Diese Form hat er in meisterhafter
V eise angewandt. Auch die trockensten Gegenstände hat er, mit
dem Reichtum seiner Gedanken und seinem seltenen Talent,
diesen Gedanken genauen und eleganten Ausdruck zu geben, zu
beseelen gewusst. Wie er bei der Skizzierung seines Arbeits¬
planes und bei der Behandlung des Stoffes die harmonischen
Verhältnisse immer im Auge behielt, so klingt auch die Harmonie
in seinen Worten. Wer das Buch liest, sieht einen lebendigen
Menschen vor sich, voller Kraft und Begeisterung, dessen Liebe
für die Wissenschaft ein Teil ist seiner Liebe für die Menschheit.
Obgleich die Vorträge über Heilmittellehre durch eine Ueber¬
setzung ins Französische auch in den Bereich von vielen, welche
die holländische Sprache nicht verstehen, gebracht worden sind,
ist doch dieses Werk, wie ich glaube, im Ausland noch nicht
genügend bekannt geworden. Dennoch ist es ein Buch, das ohne
Zweifel Wert behalten wird, auch lange nachdem es durch den
1 ortschritt der Forschung und die damit verbundene Aenderung
der Auffassungen seine Bedeutung als Lehrbuch verloren haben
wird. Als ein schön gezeichnetes, scharfes und vollständiges
HtTEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 46.
1922
Bild der Heilmittellehre am Ende des 19. und am Anfang des
20. Jahrhunderts wird es auch auf die Dauer in Ansehen bleiben.
Das an sich schon umfangreiche Verzeichnis von S t o k -
v i s’ Schriften könnte noch wesentlich vermehrt werden,
wenn in dasselbe auch die von ihm für das Nederl. Tijdschr. v.
Geneesk. geschriebenen Ueber sichten über wissenschaftliche
Probleme, seine populären Schriften, die von ihm in verschie¬
denen Kongressen und Versammlungen gehaltenen Reden auf-
genommen wären. Er war ein Mann, der sich für alles, womit
er in Berührung kam, interessierte und dieses Interesse auch
zeigte. Mit Dankbarkeit wurde davon reichlich Gebrauch ge¬
macht. Wo man Angelegenheiten, die mit dem Gebiet seiner
Bemühungen nur in irgend einer Beziehung standen, in grösseren
Kreisen bekannt zu machen oder anzuempfehlen wünschte, rief
man seine Hilfe an, und selten vergeblich. Man war gewiss,
dass er, sprechend oder schreibend, das Publikum, an welches
er sich wandte, zu treffen wissen würde durch die Klarheit seiner
Darstellung, die Wärme, womit er alles, was er für gut hielt,
verfocht, durch die elegante Form, in welche er seine Gedanken
zu kleiden wusste.
Seine natürlichen Anlagen als Schriftsteller und Redner
hat er durch fleissige Uebung weiter entfaltet. Er liebte die
Kunst überhaupt; keine Kunst aber war ihm so lieb als diejenige
des Wortes. Schon in seinen Jünglings jahren beschäftigte er
sich mit einigen Freunden mit dem Studium poetischer Werke
und mit Uebungen im Vortrag. Frühzeitig fasste er Liebe zur
Bühne und in späteren Jahren hat er bedeutend zur Verbesserung
der niederländischen Bühne beigetragen. Er kannte nicht nur
die Dichtungen des klassischen Altertums, auch seine Kenntnis
der modernen Poesie in mehreren germanischen und romanischen
Sprachen war erstaunlich gross. So ausgerüstet konnte er, mit
seinem kräftigen, biegsamen Organ, mit seiner hohen Gestalt,
seiner ausdrucksvollen Miene, seinen lebhaften, dennoch auf das
richtige Mass beschränkten Gebärden, eine grosse Versammlung
fesseln, ja hinreissen. Viele werden sich erinnern, wie es ihm auf
dem im Jahre 1890 in Berlin gehaltenen internationalen medi¬
zinischen Kongress in der allgemeinen Sitzung im Zirkus Renz
gelang, sich besser als einer der anderen Redner verständlich zu
machen und allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen für seinen
Vortrag über vergleichende Rassenpathologie, in welchem er die
These verteidigte, dass Kolonisation von Europäern in den Tro¬
pen möglich sei, unter dieser Bedingung wenigstens, „dass der
weisse Mann auch ein weiser Mann sei“.
Obgleich S t o k v i s niemals die Tropen besuchte, hat er sich
doch eine ausgedehnte Kenntnis von den europäischen Nieder¬
lassungen in heissen Ländern erworben. Er war es auch, der
den 1883 in Amsterdam gehaltenen Congres international de
medecins des colonies leitete. Die zu gleicher Zeit stattfindende
Kolonialaustellung wusste er zur Gründung eines bleibenden
Museum für koloniale Medizin in Amsterdam zu benützen. Auch
hierin zeigte Stokvi's sich, wie immer, kosmopolitisch in
seinem wissenschaftlichen Streben, ohne je die Liebe für sein
Vaterland aus dem Auge zu verlieren.
In der „Nederlandsche Maatschappij ter bevordering der Ge¬
il eeskunst“, einem Verein, der weitaus die meisten holländischen
Aerzte als Mitglieder zählt, war S t o k v i s viele Jahre lang eine
Hauptperson, ja man kann ruhig sagen, nach dem Tode Don-
d e r s der erste. Ob er als Vorsitzender die Versammlung leitete
oder als gewöhnliches Mitglied sich in die Debatte mischte, immer
fand er ein offenes Ohr und übte sein Wort einen mächtigen Ein¬
fluss aus, auch in den seltenen Fällen, wo die von ihm verteidigte
Ansicht durch die Mehrheit nicht geteilt wurde. Als dann auch
im Jahre 1899 der 50. Jahrestag der Gesellschaft feierlich be¬
gangen werden sollte, war es selbstverständlich, dass S t o k v i s
der Vorsitzende und Festredner sein musste. Mit seiner gewöhn¬
lichen Bereitwilligkeit übernahm er, obgleich in jener Zeit seine
Gesundheit zu wünschen übrig liess, diese Aufgabe und erfüllte
sie in glänzender Weise. In der Kenntnis der Geschichte der
Medizin stand Stokvis gegen nur wenige zurück. Wer das
nicht schon wusste, musste jetzt davon überzeugt werden, durch
die meisterhafte Weise, wie er in seiner Festrede die Entwicklung
der Medizin in dem „Land Boerhaaves“ schilderte.
Stokvis’ aussergewöhnliche Popularität unter seinen Lan¬
desgenossen beruhte zum Teil auch darauf, dass man ihn auch
ausserhalb der Grenzen seiner Heimat als eine rühmlich bekannte
und gern gesehene Person schätzte. Er war, was die Engländer
einen „representative man“ nennen. Man war dessen gewiss, dass
Holland, wenn es im Ausland durch Stokvis vertreten wurde,
gut vertreten wurde. Nicht nur der gute Name, den er sich
durch seine Forscherarbeit erworben hatte, sondern auch seine
ganze Person und dabei seine ausserordentliche Gabe, in ver¬
schiedenen Sprachen seine Gedanken leicht und richtig auszu¬
drücken, leisteten dafür, wie die Erfahrung bestätigt hat, die
beste Bürgschaft.
Es waren aber nicht nur seine Talente, welche Stokvis
eine so hohe Stellung unter seinen Mitbürgern gaben. Bei allen,
auch bei denjenigen, die seine wissenschaftlichen Verdienste
nicht zu würdigen wussten, war er geehrt und geliebt seiner edlen
Gesinnung wegen. Er hat sein ganzes Leben dem Dienst des
Guten und des Schönen gewidmet. Wo er glaubte nützlich tätig
sein zu können, da war ihm keine Mühe zu viel. Er tat, was
er vermochte. Er beherzigte Angelegenheiten grossen Interesses,
er zeigte aber auch ein warmes Herz, wo es das Kleine galt. Er
war ein feinsinniger Mann. Mit liebenswürdigem Zartgefühl
half er Armen und Bedrückten und mit herzlichem Frohsinn
teilte er die Freude der Glücklichen. Obgleich er für Herzlich¬
keit, auch für Ehrenbezeugungen, keineswegs gleichgültig war,
gönnte er doch im Verkehr seinen eigenen Interessen nicht den
Vorrang vor denen von anderen. Sogar während der lang¬
wierigen, mit schwerem Leiden einhergehenden Krankheit seiner
geliebten Gattin liess er sich durch seinen Schmerz, wenngleich
er es seinen Freunden wohl anvertraute, wie sehr dieser auf ihm
lastete, nicht von der Erfüllung seiner Pflichten anderen gegen¬
über abhalten. Und als das lang erwartete Ende gekommen war,
zeigte er sich, ohne seinen Schmerz zu verbergen, aber auch ohne
andere damit zu belästigen, würdig und rüstig auf seiner Lebens¬
bahn weiterschreitend, als ein Vorbild für viele.
Wenn auch die Sorgen des Lebens ihm nicht fremd geblieben
sind, so dürfte Stokvis doch ein glücklicher Mensch genannt
werden. So betrachtete er sich selbst auch. Er war glücklich
mit der Dankbarkeit der Armen, denen er als Arzt und als Ver¬
sorger geholfen hatte, mit der Liebe und der Anhänglichkeit seiner
Schüler, mit der Anerkennung und der Freundschaft seiner
Kollegen, mit der Herzlichkeit, womit ihn seine Landesgenossen,
Mediziner und Nichtmediziner, verehrten, mit den Beweisen der
Anerkennung, Huldigung und Freundschaft, die ihm aus dem
Ausland dargebracht wurden.
Er war ein Mensch frohen Mutes, sich seiner Kraft bewusst,
aber doch einfach, der sich selbst nicht überschätzte. Mit all
seiner Begeisterung hatte er doch einen nüchternen Blick für die
Dinge des Lebens. Mit all dem Feuer, das ihn beseelte, ist er
doch mit voller Selbstbeherrschung auf seiner Bahn fortge¬
schritten. Ohne Zweifel hat auch ihn selbst der Tod überrascht.
Man soll daraus aber nicht schliesesn, dass er unvorbereitet ge¬
storben ist. Stokvis kannte den menschlichen Körper und
wusste wohl, dass auch bei ihm Abweichungen entstanden waren,
die das Leben in kürzerer oder in längerer Zeit bedrohten. Durch
Angst liess aber dieser kräftige Mensch sich nicht beherrschen.
Er arbeitete ruhig weiter, so lange es für ihn Tag war.
Wie sehr sein Verlust bedauert wird, welche Hoffnungen man
auch noch von seiner Plilfe in mancherlei Sachen hegte, so ist
es doch die Pflicht der Zurückgebliebenen zu bedenken, dass man
ihn glücklich preisen soll, nun da ihm eine Periode der Ab¬
schwächung, ein Leben, worin er anderen nicht mehr hätte sein
können, was er wünschte, verschont geblieben ist. Dankbarkeit
für das viele, was sein reicher Geist gegeben hat, soll bei S t o k -
v i s’ Gedächtnis die erste Stelle einnehmen.
U t r e c h t, Oktober 1902. C. A. Pekelharing.
Paracelsus und seine Reformation.*)
Von Prof. Karl Baas in Freiburg i. Br.
„Mir nach, ich nicht euch nach; ihr mir nach, Avicenna,
Galene, Rhases, Montagnana, Mesue und ihr Andere. Mir nach
und ich nicht euch nach! Ihr von Paris, ihr von Montpellier, ihr
von Schwaben, ihr von Meissen, ihr von Köln, ihr von Wien
und was an Thonaw- und Rheinstrom liegt, ihr Inseln im Meer, du
ltalia, du Dalmatia, du Sarmatia, du Athenis, du Griech’, du Arabs,
du Israelita, mir nach und ich nicht euch nach. Euer wird keiner
im hintersten Winkel bleiben, an dem nicht die Hunde seichen
werden, ich wirdt Monarcha und mein wird die Monarchey sein!“
*) Vorgetragen am Oberrheinischen Aerzte tag, 17. VII. 1902.
18. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. I923
Wer war der Mann, welcher so kampfgemut, so zornesvoll und
doch seines endlichen Sieges gewiss diesen Streitruf in die Welt
schleuderte, die mehr Feinde ihm sicherlich stellte als Freunde?
Wer waren die Gegner und was wollte .iener kühne Kämpfer!?
In einem einsamen Hause, nahe der Teufelsbrücke, welche
bei Einsiedeln in der Schweiz über die wildrauschende Silil führt,
wurde am 17. XII. 1493 ein Knabe geboren, dem, abweichend von
dei üblichen Sitte, der 1 orname Theoplirastus beigelegt wurde.
Aufwachsend in der Waldeinöde der berühmten Wallfahrtsstätte!
an die später gedenkend unser Theoplirastus sich selbst oft Eremita
nannte, empfing er zunächst die Erziehung seines Vaters, des ge¬
achteten und gelehrten Arztes Wilhelm aus dem schwäbischen Ge-
schlechte der Bombaste von Hohenheim. Wenn er von diesem
schon frühe eine Vorliebe und Kenntnisse von medizinisch-natur¬
wissenschaftlichen Dingen erhielt, so waren geistliche Herren und
Bischöfe seine Lehrer in Theologie und Philosophie; in besonderer
Weise hat von diesen wohl der berühmte Benediktinerabt Johannes
Trithemius von Sponheim auf ihn eingewirkt, der als ein in den
Naturwissenschaften gebildeter, aber auch recht sehr nach der
Art der Zeit zu den sogen. Geheimwissenschaften hinneigender
Mann wohl in beider Hinsicht den empfänglichen Geist des Lern¬
begierigen beeinflusste.
Geburt und Jugendzeit in der Schweiz, und von 1502 ab in
Kärnthen resp. in Tirol, sind nach Hohenheims eigenen Worten
nicht ohne Nachwirkung geblieben auf seine ganze Art im späteren
Leben. Wenn er in Zeiten des nie fehlenden Streites dann derb
und kräftig dreinfuhr, so verantwortete er sich selbst wie folgt:
„Von der Natur bin ich nicht subtil gesponnen, ist auch nicht
meines Landes Art, dass man etwas mit Seidenspinnen erlangt.
Wir werden auch nicht mit Feigen erzogen, noch mit Meth, noch
mit Weizenbrot, aber mit Käs, Milch und Haberbrod, das kann
nicht subtile Gesellen machen.“
Bedeutungsvoller als die naturwissenschaftlichen Unter-
weisungen der genannten Lehrer war für Tlieophrast jedenfalls
die praktische Arbeitszeit, welche er nunmehr in den Berg-
werkslaboratorien des reichen Sigmund Füger zu Schwatz in Tirol
zubrachte; hier legte er den hauptsächlichsten Grund zu seinen
ausgebreiteten Kenntnissen und Erfahrungen in der Alcliymie.
Von den beiden Teilen dieser Wissenschaft mag seinem ernsten
und nüchternen Sinne alsbald nur der eine zugesagt haben, welcher
den Adepten nicht dem Stein der Weisen, dem Lebenselixier und
ähnlichen Phantasmen nachspüren liess, sondern in tieferem und
praktischerem Streben auf das hinarbeitete, was später zu der
Chemie wurde, wie wir sie heute verstehen. Zwar nicht ganz
streng genommen, aber doch mit vollem Rechte kann Theoplirastus
v. Hohenheim der Begründer der pharmazeutischen und dadurch
der medizinischen Chemie im Besonderen genannt werden, da er
seine Alchymie, wie er selbst sagt, „dahin betrachtet, dass dir die
Arcanen eröffnet werden“, und unter den Areanis verstand er in
letzter Linie die heilkräftigen Eigenschaften und Stoffe, die in den
verschiedensten Gebilden der Natur schlummerten.
So begegnen wir bereits hier den ersten Spui'en informato¬
rischer Ideen, wie er sie später dann, wo er noch genauer die Un¬
zulänglichkeit der von den damaligen Aerzten angewandten Heil¬
mittel kennen gelernt hatte, nicht nur als seine Lehre vortrug,
sondern auch in praktischer Anwendung betätigte. Ohne hier auf
seine chemischen Entdeckungen im einzelnen einzugehen, mag nur
des wichtigen Umstandes gedacht werden, dass er den Rück¬
ständen, welche bei den verschiedenen chemischen Prozessen
blieben, eine besondere Aufmerksamkeit zuwandte. Als „caput
mortuum“ hatten seither die Alcliymisten die Aschen bei Verbren¬
nungen z. B. bei Seite geschoben: Hohenheim aber erkannte, dass
darin gerade die Grundbestandteile der Körper steckten, die nach
seinerMeinung auch die kräftigst wirkenden Essenzen und Tinkturen
geben mussten. Dass er dabei dasZink entdeckte, dass er chemische
Verbindungen verschiedener Art besser unterscheiden oder über¬
haupt erst kennen lernte, mag im Vorübergehen erwähnt werden;
wichtiger für uns Aerzte ist. dass der Laboratoriumstätigkeit die
Vorliebe für metallische Mittel entstammt, die er für wirksamer
hielt als pflanzliche: Blei, Eisen, Antimon und Quecksilber waren
bevorzugt.
Dass dieser Lebensabschnitt auch nicht ohne medizinische Er¬
gebnisse in einem engeren Sinne blieb, ersehen wir aus dem Buche
über die Bergkrankheiten, in welchem die durch die chemischen
Stoffe hervorgerufenen, wir würden sagen die Gewerbekrankheiten
der Bergleute, erstmalig beschrieben werden.
Auf diese arbeitsfrohe und erfolgreiche Tätigkeit folgt jetzt
eine Zeit, über welche Hohenheim uns ganz im Dunkeln gelassen
hat; er sagt, dass er, aber nicht welche Hochschulen er besuchte:
„Auch ich bin in dem Garten gewesen, da man die Bäume ver¬
stümmelt“; und so wenig ihm auch der scholastische Betrieb der
damals herrschenden Lehre, die ein starres Festhalten an den seit
Galen insbesondere durch die Araber überlieferten medizinischen
Dogmen forderte, zugesagt hat, so müssen wir doch annehmen,
dass auch er den Lehrgang durchgemacht hat „als eine nicht
kleine Zierde der hohen Schulen“, wie er selbst ironisch sich
nannte. Ist es ihm doch oft zum Vorwurf gemacht worden, dass
man nicht wisse, ob und wo er doktoriert habe: ja man hat ihm
sogar die Kenntnis der zu jener Zeit unbedingt erforderlichen
lateinischen Sprache und damit natürlich auch des gesamten, in
dieser Sprache überlieferten und vorgetragenen Schulwissens ab¬
gesprochen!
Ein Zugeständnis an die damals bei den Gelehrten herrschende
Sitte war die Annahme des lateinischen Namens Paracelsus; wahr¬
scheinlich werden wir in demselben eher eine Paraphrasierung des
Wortes Hohenheim erblicken können, als dass damit eine Gegen¬
über- oder Höherstellung im Vergleich mit dem Römer Celsus be¬
absichtigt gewesen sei, welchen Paracelsus niemals erwähnt, wie
ihn ja auch das ganze Mittelalter nicht gekannt hat.
„Lesen hat nie einen Arzt gemacht, sondern die Praktik;
alles Lesen ist nur ein Schemel der Praktik und ein Federwisch.“
„Aus Uebung und Erfahrenheit wird der Arzt geboren.“ „Man
lästert und schreit von mir, ich sei nicht zur rechten Tür zu den
Geheimnissen der Kunst eingegangen, allein welches ist die rechte:
Galenus, Avicenna, Mesue, Rhases oder die offene Natur? Ich
glaube die letzte. Durch diese Tür ging ich ein; das Licht der
Natur und kein Apothekerlämpchen leuchtete mir auf meinem
Wege.“
Und wie Paracelsus später einmal gesagt hat: „Der Arzt soll
sein ein Landfahrer“, so schloss er an die für ihn kurzen Jahre
der Gelehrsamkeit eine Periode ausgedehntester Wanderungen,
oder wie wir heute cum grano salis sagen würden, wissenschaft¬
licher Reisen an. Solchergestalt ist er gewandert „gen Granada,
gen Lissabon, durch Hispanien, durch England, durch die Mark,
durch Pommern, durch Litauen, durch Polen, Ungarn, Wallacheil
Siebenbürgen, Krabaten, Windisch Mark und noch sonst durch
andere Länder. In allen den Enden und Orten habe ich fleissig
und emsig nachgefragt, Erfahrung gehabt gewisser und erfahre¬
ner, wahrhafter Künste der Arznei: nicht allein bei den Doctoren,
sondern auch bei den Scherern, Badern, alten Weibern. Scharf¬
richtern, Schäfern, Juden, Zigeunern,, bei den Klöstern, bei Edlen
und Unedlen, bei den Gescheidten und Einfältigen.“ Viel Er¬
fahrung gewann er auch sicherlich als Feldarzt in den Kriegen
in den Niederlanden, Dänemark, Italien; so wird ihm bald der
Ruhm vorausgegangen sein, dass er zu helfen wisse, wo die anderen
Aerzte versagten.
Dem 33 jährigen mag nun doch der Wunsch gekommen sein,
dem unsteten Leben ein Ziel zu setzen; wenn er jetzt in Strass¬
burg, wohin er wahrscheinlich über die Bäder des Schwarzwaldes
und über unser Freiburg seine Schritte lenkte, um das Bürger¬
recht nachsuchte, so mag gerade zur Wahl dieser Stadt ihn der
Ruf der dortigen Chirurgenschule bestimmt haben und die An¬
nahme, dass seine bei den Zunftärzten verpönten chirurgischen
Neigungen eher Verständnis fänden. Denn dem rechten Arzte,
dem Medicus purus, jener Tage, war die Chirurgie als eine seiner
nicht würdige Tätigkeit verboten.
Nicht lange aber hielt es ihn in Strassburg: seine neue Art.
zu praktizieren, die er auf seine reiche Erfahrung und nicht auf
die Buchs-elehrsamkeit gründete, seine Ausübung auch der sogen,
niederen Heilkunst, sein auch äusserlich so verschiedenes Auftreten
schufen ihm schon hier eine Reihe von Neidern und Feinden: so
folgte Paracelsus noch im gleichen Jahre 1526 gern einer Be¬
rufung nach Basel, bei welcher wohl im besonderen die glückliche
Heilung des bekannten Basler Buchhändlers Froben mitgewirkt
haben mag.
In der angesehenen Universitätsstadt bot sich ihm in seiner
doppelten Anstellung als Stadtarzt und Universitätsprofessor so¬
wohl eine reichliche Gelegenheit zur Ausübung ärztlicher Tätig¬
keit. als auch die begründete Aussicht, dass er sein Svstem der Me¬
dizin in Ruhe ausarbeiten und zugleich durch die Lehre verbreiten
konnte. Mit besonderer Befriedigung erwähnt er. dass er mit
gutem Gehalt angestellt sei: äussere Sorgen, unsichere Lebenslagen
hatten bis dahin wohl reichlich auf ihm gelastet.
Bereits im Winter 1526/27 begann Paracelsus seine Vor¬
lesungen im alten, noch jetzt bestehenden und bis vor kurzem
auch noch benutzten Universitätsgebäude am Ufer des Rheins;
gross muss die Menge seiner Zuhörer gewesen sein, aber auch sehr
zusammengewürfelt aus vielfach zweifelhaften Elementen. Konnte
doch seinen Vortrag jedermann verstehen, da er sich — eine tief
einschneidende Neuerung — der deutschen Vortragssprache be¬
diente! So bot das äussere Gewand dieser Seite seiner Tätigkeit
sofort den Anlass zu Vorwürfen, von welchen einer der weit¬
gehendsten wiederum war. dass Unkenntnis des Lateins die Ur¬
sache sei. Dazu trug er keinen seidenen Talar noch ein rotsamm-
tenes Barett wie die Aerzte seiner Zeit; wie heissend ist später
sein Spott über die Barettleinsleute, die in goldenen Ketten und
Ringen gingen, nachdem diese ihm auch sein einfaches Auftreten
übel vermerkt hatten!
Wichtiger als diese Neuerungen, die wie die Einführung des
Deutschredens auf dem Katheder gewiss nicht ohne Bedeutung
blieben, waren andere wesentliche Aenderungen in Theorie und
Praxis der Medizin. Zunächst die Betonung der Erfahrung und
des Experimentes, welche im Laufe von möhr als einem Jahr¬
tausend von den Galenikern gänzlich zurückgedrängt, ja zuriiek-
gewiesen worden waren. Galten doch die Bücher der medizini¬
schen Scholastiker in Rücksicht auf die Heilkunst als ebenso un¬
verrückbare Endwahrheiten. wie Aristoteles in der Philosophie
als der unüberschreitbare Höhepunkt angesehen wurde. Tns
Sommersonnenwendfeuer des Tages St. Johannis 1527 warf darum
zum Simibol seiner gänzlichen Lossagung von der alten Schule
Paracelsus „die Summa der Bücher, auf dass alles Unglück mit
dem Rauch in die Luft ginge“. Es war der Kanon des Avicenna,
mit dem er so ins Gericht ging; nicht nur den Toten hatte er da¬
durch den Krieg erklärt, sondern auch den Lebenden ward der
Fehd eha nd sch u h h in ge worf en.
Es mag vorweggenommen werden, wie Paracelsus den Apo¬
thekern. die er Sudelköche und Suppenwüste nennt, ihr einträg¬
liches Handwerk zu legen suchte. „Die Apotheker sind meine
5*
1924
MIIENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Feinde, weil icli ihre Büchsen nicht leere; meine Recepte sind ein¬
fach, bestehen nicht aus 40 oder 60 Ingredienzien, Avie der Galeni-
schen Doctoren ihre; aber meine Pflicht ist, den Kranken zu helfen
und nicht die Apotheker zu bereichern.“ Er forderte eine bessere
Vorbildung und eine Prüfung der Apotheker, eine häufigere Visi¬
tation ihres Gebahrens, ihrer Bestände, ihrer Arbeit, damit sie
z. B. nicht Abkommen schlössen zu Nutzen ihres Geldbeutels mit
Aerzten, damit sie nicht alte und schlechte Präparate verabreichten
zum vielfachen Preis, damit sie nicht die Rezepte \ron ganz un¬
fähigen Personen ausführen Hessen und anderes mehr.
Paracelsus nahm es eben erust mit seiner Tätigkeit als Stadt¬
arzt, wozu auch dies gehörte; uns aber ist es begreiflich, dass bei
den nur angedeuteten grossen Misständen, die tief eingewurzelt
waren, der Kampf A7on Anfang an fast aussichtslos sein musste.
„Wahrheit bringt Hass ein“, das konnte er später sagen im Rück¬
blick auf jene Zeit in Basel, auf die er so grosse Hoffnungen ge¬
setzt hatte!
Wenn Hohenheim gedacht hatte, dass die Universität ihm die
Möglichkeit und Gelegenheit geben werde, sein eigentliches
Lebenswerk, die Errettung der Medizin aus den starren Fesseln
des Galeno-Arabismus, ihre Erhebung auf den freien Standpunkt
durchzuführen, wie ihn die vorurteilslose Naturbeobachtung und
die Erfahrung darbot, so musste er mehr und mehr einsehen, Avie
seine gute Absicht von den um ihre Stellung besorgten Aerzten
bekämpft, wie vielfach durch Angriffe aus dem Hinterhalt seine
Kraft gebrochen wurde.
Und was war das. AA7as er hier unternahm?
Des Paracelsus Wahlspruch, wie wir ihn z. B. auf einem
Bilde angegeben finden, war: Alterius non sit, qui suus esse potest!
Wie er es dementsprechend hielt in der Betätigung seiner Ueber-
zeugungen in der Praxis, so konnte er auch in seinem akademischen
Vortrag nur das wiedergeben, was seine an jahrelange Beobach¬
tung geknüpfte TTeberlegung, was die Erfahrung, der Versuch ihn
selbst gelehrt hatte.
Da Avar es zunächst die Betonung, dass der Mensch ein Teil
der Natur sei, ein Mikrokosmus im Makrokosmus, mit welch letz¬
terem er mit tausend Fäden Zusammenhänge. Und wenn nun
bei den Erwägungen über solche Verknüpfung Paracelsus noch
nicht ganz frei dasteht, wenn Alchymistiseh-Kabbalistisches mit
unterläuft, so müssen wir sagen, dass auch er ein Kind seiner Zeit
war, wie Päpste es Avaren. z. B. der mächtige Bonifazius VIII.,
oder Luther oder andere Fürsten im Reich der Welt und des
Geistes.
Da aus der lebendigen Natur sowohl die Krankheit kommt,
Avelche selbst eine Art Aron Organismus ist, als auch die Arznei, so
muss der Arzt Naturerkenntnis besitzen, er muss die Stoffe kennen,
aus denen alles Lebende aufgebaut ist, und muss die Kräfte er¬
kennen, die in und über den Dingen walten. Da Paracelsus das
Leben als einen organisch-chemischen Prozess ansieht, so ist ins¬
besondere die Chemie dem Arzt notwendig, damit er die Aen-
derungen in und an den Grundstoffen des Organismus, die er
symbolisch Sal, Sulfur und Mercurius nennt, zu erfassen lerne;
denn hierdurch, nicht durch die von der Spekulation der alten
Humoralpathologie seither angenommene Entmischung der vier
Kardinalsäfte des Körpers entsteht die Krankheit. Jenen Abwei¬
chungen und Einflüssen, welche sodann das Leben des Gesamt¬
körpers wie seiner Teile beeinflussen, muss der Arzt nachspüren,
und. wie wir heute sagen, ätiologisch muss der Heilplan angelegt
werden. Nicht durch Aderlass, Schröpfen oder Purgieren und
Klystieren, nicht durch äusserst zusammengesetzte, geheimnis¬
volle Tränke, Zeremonien etc. lenkt der verständige Arzt die Natur,
vielmehr herrscht die Natur auch in der Krankheit. Die Heil¬
kraft der Natur muss der Arzt zu erkennen und zu benützen
suchen, sow'ohl bei den inneren Krankheiten, AATie besonders bei den
äusseren, chirurgischen Störungen. Für jenes immanente Lebens¬
prinzip hat, dem Zug der Zeit gemäss und für neue Begriffe neue
Bezeichnungen schaffend, Paracelsus verschiedene, sonderbare
Namen sich gebildet, die und deren Bedeutung man kennen muss,
um das scheinbar Mystische im Denken des Mannes richtig zu
verstehen. So spricht er z. B. von dem inneren Alchymisten, d. i.
die Kraft, die den Stoffwechsel besorgt: etAva das gleiche ver¬
steht er unter dem Archäus, als dessen Hauptsitz der Magen be¬
zeichnet wird: um einen in den chirurgischen Schriften ange-
Avendeten, vielfach missverstandenen Terminus anzuführen, so
wird das, was die Wunden heilt, als Mumia bezeichnet, die trotz
des Namens gar nichts gemein hat mit den ekelhaften Präparaten,
wie sie die Apotheker führten und die Aerzte anwendeten.
Uebt der Archäus seine Tätigkeit nicht richtig aus, scheidet
er nicht in gehöriger Weise aus der aufgenommenen Nahrung das
Gute und Brauchbare von dem Schlechten und Unbrauchbaren,
so dass letzteres, Avelches ein Gift ist, in die Körpersäfte gelangt,
so muss es zu allerlei Ausscheidungen kommen. Wie der Wein¬
stein an den Fässern sich absetzt, so bilden sich Ablagerungen
jener „tartarischen Stoffe“, wie Paracelsus sie uannte, in den
Gelenken, der Blase, den Nieren, der Gallenblase etc.; an der Be¬
selin ffenheit des Niederschlags im Harn vermöge man solche
Krankheiten zu erkennen, insbesondere wenn man den Harn
koche, Avelche chemiseh-phvsikaJische Untersuchung er der bis
dahin gebräuchlichen Uroskopie, dem „Seichsehen“ Avie er sagt,
A’oransetzte. Wie die Methode, so aauit neu die chemische Auf¬
fassung ganzer Krankheitsgruppen;, von Paracelsus ging aus die
neue Schule der .Tatroclwmic. Chemisch gedacht, wie die Auf¬
stellung des Krankheitsbegriffs, war natürlich auch die arzneiliche
Behandlung: hier legte Paracelsus als Hauptsächlichster den
Grund zur medizinischen Chemie, zur wissenschaftlichen Pharma¬
zie. Dass sein Streben dahin ging, die Arcana, d. h. die nach
seiner Auffassung chemisch reinen, Avirksamen Heilstoffe, in der
einfachsten Form darzustellen und anzuwenden, dessen habe ich
bereits vorhin gedacht; neu Avar auch seine Bevorzugung der
mineralischen Mittel gegenüber den pflanzlich-tierischen, da er
jene als die sozusagen ursprünglicheren auch für wirksamer, kräf¬
tiger hielt. Und Avenn wir finden, dass er in den Arcanis die
Spezifika gegen jeAveils einen Krankheitsorganismus suchte, wem
fallen bei all diesen Dingen nicht Vergleiche ganz moderner
Natur ein?
Um noch eines auszuführen, so finden wir in der sog. grossen
Wundarznei als die Grundlage seiner von der damaligen Pflaster-
und Salben-Sclimiermethode abweichenden, reinlichen Behand¬
lung Anschauungen, welche anklingen an die neuzeitUchen Grund¬
sätze der Antisepsis und Asepsis.
Alle diese, nur notdürftig hier gekennzeichneten, reformatori-
schen Ideen brachte Paracelsus damals mit nach Basel, avo wir
ihn zuletzt auf seinem LebensAvege gelassen haben und von wel-
chem Aufenthalt her später der grosse Felix Würtz sein Schüler
ward, ein Stern der Chirurgie des 16. Jahrhunderts und ein
ewiges Loblied auf seine Chirurgenlehren; während er dort einiges
nur iu den 3 Semestern seiner akademischen Wirksamkeit An¬
trägen konnte, Avurde alles andere erst genauer ausgearbeitet und
niedergeschrieben nach jener Zeit.
Staunen müssen wir über die Arbeitskraft und Arbeitslust
dieses Mannes, wenn wir nun zum Schlüsse hören «verden, unter
Avelch schAvierigen äusseren Umständen die meisten dieser
Schriften verfasst wurden!
Aus den Kreisen der Basler Aerzte, der engeren Fakultäts¬
genossen, der Studierenden erwuchs alsbald dem kühnen, rück¬
sichtslosen, derben Manne eine Schar von Neidern und Feinden,
Vergebens rief Paracelsus in noch vorhandenen Briefen den Rat
der Stadt Basel, der ihn berufen hatte, gegen das z. T. schändliche
Treiben an. Zur Katastrophe führte zuletzt ein Streit mit einem
Basler Domherrn, der nach glücklicher Heilung statt der ver¬
sprochenen 100 Gulden nur 6 Gulden seinem Arzte geben AAollte;
da die Stadtväter dein undankbaren Patienten Recht gaben, geriet
nun Paracelsus noch in Kampf mit seiner Vorgesetzten Behörde,
die ihn schliesslich wollte auflieben und in GeAvahrsam bringen
lassen. Eilends musste er durch die Flucht sich retten.
Und nun begann für Hohenheim ein äusserst unglückliches
Leben, ein Wandern Aron Ort zu Ort in manchmal höchstem Elend
und in körperlicher Not; bitter sind seine Klagen, Avenn er z. B.
sagt: „die in den Künsten, Avenn der Baum nicht wäre, sie hätten
nicht einen Schatten“; oder wenn es heisst: „Die Armuth ward
mir vorgeworfen duren einen Bürgermeister, der etwa zu Inspruck
die Doctores hatte gesehen in seidenen Kleidern an den Fürsten¬
höfen, nicht in zerrissenen Lumpen an der Sonne braten. Jetzt
wurde die Sentenz gefällt, dass ich kein Doctor sei.“ Aber , er
sagt auch: „Habe keine Acht meines Elends, du Leser, lass mich
mein Uebel selber tragen“, und Stolz, SelbstbeAvusstsein trotz
allem spricht aus den Worten, die ihm in ähnlicher Form öfter
die Erinnerung an die nie verwundene Basler Unbill eingibt: „01)
mir die hohen Schulen folgen Avollen oder nicht, was kümmerts
mich? Mehr will ich richten nach meinem Tode gegen sie, als
bei meinem Leben, wo sie mich verachten, dass ich allein bin.
dass ich neu bin, dass ich deutsch bin.“
Nach der Flucht aus Basel wandte Paracelsus seine Schritte
nach Kolmar, wo er im Hause eines bedeutenden Arztes, Lorenz
Fries, freundliche Aufnahme fand. Trotz mancher Ueberein-
stimmung der Meinungen mögen andere Unterschiede ihm den
Weggang nahe gelegt haben; und so ging er im Jahre 1529 über
Esslingen nach Nürnberg. In dieser Zeit entstanden die wichti¬
gen Syphilisschriften, die ich nur erwähne, während etwa ins fol¬
gende Jahr, wo wir Paracelsus in Regensburg finden, die Schriften
Paramirum, Paragranum u. a. fallen, Avelche das vorhin flüchtig
geschilderte System der Medizin enthalten. 1531 in St. Gallen, in
der Zeit der wahrscheinlich grössten Not, die er im Appenzeller
Land Arerlebte, werden die zahlreichen theologisch-philosophischen
Schriften geschrieben, wozu den Adelseitigen Mann die religiösen
Zustände gerade der Schweiz veranlasst haben Averden. Und
trotzdem er, Avie er selbst sagt, kein Kirchgänger und Betbruder
Avar, so Avar Hohenheim doch eine religiöse Natur: Unter den
5 Entibus, die er als die Krankheitsursachen aufstellt, finden Avir
auch das Ens dei. Als Schickungen Gottes sieht er manche
Ki’ankheiten an, in denen gleichwohl der Mensch Gott loben müsse.
„Ihr soUt wissen, dass Gott in den Krankheiten gleich so gross
gelobt und gepriesen will Averden in meisterlichen, seltsamen Wer¬
ken, als wohl in den Blumen des Feldes. WieAvolil widerwärtig
den Menschen. Seht aber an: alle Vögel hat er geschaffen, das ist
ihm ein Lob; hingegen auch die Würmer, Spinnen, Basilisken; es
ist ihm gleichsowolil ein Lob, als die Nachtigall, der Pfau. Also
auch viel gute Gewächse, als Gold, Perlen, hingegen auch viel
Gift, als Arsenicum, Mercurius, ist ihm alles sein Lob. Also ist
ihm sein Lob, dass er uns die Gesundheit gegeben hat, also auch
ein gleichmässig Lob ist die Krankheit; und zu beiden Seiten
gleiche Meisterschaft braucht er zu schmieden die Krankheit, und
Ein Ordnung und Ein Wesen.“ Klingt nicht diese Stelle zugleich
in ihrer Sprache an an jenen berühmten Cantico de le creature des
heiligen Franziskus von Assisi, in welchem es heisst:
„Laudato sia mio signore per sor nostra, morte corporale,
De la quäle nullo homo vivente po scampare“.
Weiter sehen Avir Paracelsus av andern über Innsbruck und den
Brennerpass nach Meran; auf dem Wege dahin beobachtete und
beschrieb er eine Pestepidemie in.Sterzing; über Pfäffers, dessen
18. November 1902.
HKbNCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1925
Heilquellen er untersuchte und schilderte, kehrte er wieder zurück
mich Deutschland wo er in Augsburg 153(i seine „Grosse Wund
arzney herausgab. Nach einem Aufenthalt in Mä reu und Kür
ten scheint er noch einige ruhigere Jahre in Salzbui^ verlebt
zu .Haben wohin ihn der Erzbischof jener Stadt berief und wo ei-
48.° Lebensjahre!1 k™r KKmkheit ““ 24‘ SentemlÄl, iS
In seinem Nachlass, den er meist den Armen vermachte fand
man ausser einem gedruckten medizinischen Buch die Bibel
biblische Konkordanz, das neue Testameit unS des Hicconym, s
Kommentarien über die Evangelien! 3 b
Als ich im 400. Jahre der Geburt des Paracelsus die smai
seines Todes besuchte, habe ich auf dem von ihm selbst zur Buhe-
statte auserwahlten Friedhof St. Sebastian die Gedenkplatte ge¬
lesen, die heute noch vorhanden ist und über welcher in einer
1 yramide die Knochenüberreste des Mannes geborgen sind wel
ehern, wahrlich mit Recht, die NaturforscherveSm^g dt
Jahres 1881, spat noch einen Kranz auf das Grab legte.
gebotenen Kürze habe ich versucht, Ihnen m H
ein Bild zu skizzieren von einem Arzte, der gleich seinen Mit¬
reformatoren der Medizin, Ambroise Rare und Yesal. weit hinaus¬
ragte über seine Zeit, in seiner Wirksamkeit aber, wie er selbst es
vorausverkündet hat, hineinragte noch bis in die folgenden Jahr¬
hunderte, ja fast noch bis in unsere Tage. Wir ernten mit was
er in hartem Lebenskampf gesät hat.
Ich aber will schlossen mit seinen stolzen Worten- Wohl
dem Arzte, der seine Tage vollbracht hat mit den Arcanis und hat
m Gott und in der Natur gelebt als ein gewaltiger Meister des
irdischen Lichts!“
Referate und Bücheranzeigen.
1 rof. L. v. Schroetter - Wien : Erkrankungen der Ge-
fasse. 2. Hälfte: Erkrankungen der Venen. Mit 18 Ahndungen.
\V ien 1901, A. II o e 1 d e r. Ereis 4 M.
.Die S cli r o e 1 1 e r sehe Bearbeitung der Venenerkrank-
ungen erscheint innerhalb des 15. Bandes der von Nothnagel
hei ausgegebenen speziellen Pathologie und Therapie, dessen
übrige Teile bereits an dieser Stelle Besprechung gefunden haben.
V enn man in der Geschichte der Medizin um ungefähr 40 J ahre
zurückkehrt und die jetzige Lehre von den Venenerkrankungen
mit jener vergleicht, welche sich in der Darstellung von Lebert
im Yirchow sehen Handbuche widerspiegelt, so sieht man
auf das deutlichste die Y erschiebung, welche in der Häufigkeit
und damit der klinischen Wichtigkeit einzelner Erscheinungs¬
formen der Venenerkrankungen sich unterdessen vollzogen hat.
Abgesehen davon, dass damals auch in der medizinischen Lite¬
ratur die Lehre von den Hämorrhoiden sich geradezu zu einer
speziellen Sparte innerhalb der Venenerkrankungen entwickelt
hatte, fielen noch in einer erschreckenden Häufigkeit in das Ge¬
biet der letzteren die septischen Phlebitisfälle und septischen
Thrombosen. Wir schätzen uns und unsere Kranken glücklich,
dass vir heute nicht mehr in der Lage sind, hinsichtlich dieses
Kapitels über ein allzureiches Material zu verfügen. Die Anti
und Asepsis haben gewaltig damit aufgeräumt. Wie die kurze
Uebersicht über den Inhalt des Schroetter sehen Werkes
sofort erkennen lässt, hat sich die pathologisch-anatomische und
klinische Beobachtung* dafür anderer Formen von V enen erkrank-
ungen angenommen, die früher nicht so sehr Beachtung gefunden
hatten. Das Kapitel über die Venensklerose, über Tuberkulose,
Lepra, Syphilis der Venen legt Zeugnis davou ab. Besonders
eingehende Berücksichtigung haben in der Schroetter sehen
Beuibeitung nunmehr auch die Verhältnisse bei den Verenge¬
rungen und Erweiterungen der Venen gefunden, die an der Hand
genau analysierter und zum Teil auch abgebildeter Fälle ge¬
schildert werden. Es darf hier erwähnt werden, dass Schroetter
den Vorschlägen von Talma in Utrecht, bei gewissen Erkrank¬
ungen eine Entlastung des Pfortadersystems durch Eröffnung-
neuer Ivollateralbahnen ins Werk zu setzen, nicht nur theoretisch
mit Wohlwollen gegenübersteht, sondern selbst daran ist, an
einer grösseren Zahl von Fällen den vorgeschlagenen Weg prak¬
tisch zu prüfen. Mit das interessanteste Kapitel aus den Venen¬
erkrankungen, abgesehen von den praktisch so wichtigen Ent¬
zündungen der meningealen oder der Nabelvenen, nämlich die
bald akuter, bald langsamer verlaufenden Thrombosierungen
grösserer Venengebiete des Körpers, hat eine entsprechend ein¬
gehende Darstellung erfahren. In kürzeren Abschnitten werden
dann noch erledigt die Atrophie und Hypertrophie der Venen,
die Verletzungen und Neubildungen dieser Gefässe. Es braucht
kaum hervorgehoben zu werden, dass in dem Werke eines so ver¬
dienstvollen Vertreters der neuen Wiener klinischen Schule die
pathologische Anatomie als Grundlage der Forschung auf diesem
Gebiete den gebührenden ersten Rang einnimmt — haben doch
gerade österreichische Forscher, wie Rokitansky, B i 1 1 -
r otli, C h i a r i, viel aut demselben gearbeitet — und überall
die ausserordentlich grosse persönliche Erfahrung des Verfassers
hervortritt, der ausserdem die einschlägige Literatur aus aller
Herren Länder in seiner so schlichten und durchsichtigen Dar¬
stellung des Gegenstandes verwertet hat. Instruktive und gut
gelungene Zeichnungen einzelner besonders wichtiger Beobach¬
tungen illustrieren die eingeflochtenen Krankheitsgeschichten.
Grassm a n n - München.
Herz: Lehrbuch der Heilgymnastik. (Mit 209 Abbild.)
Verlag Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien 1903.
Wer noch der Ansicht wäre, dass die Heilgymnastik nichts
weiter sei als ein System von verschiedenartigen Bewegungen
und nichts voraussetze als eine Vorliebe für manuelle oder „me¬
chanische“ Behandlung, er wird durch die Lektüre dieses Buches
eines Besseren belehrt. Es ist nicht nur geschrieben auf Grund
von praktischen Erfahrungen, sondern es basiert auf einem
grossen Schatz von Wissen. Und zwar stellt dieses Wissen nicht
die Summe des Gelesenen und Gelernten dar, es ist erworben
durch eigene kritische Arbeit. „Was sich weder vor dem Ver¬
stand, noch durch die Praxis rechtfertigen lässt, muss, der hei¬
ligsten Tradition zum Trotze, geopfert werden.“ Der Verf. han¬
delt in der lat nach diesen Morten der Einleitung und kommt
vielfach in Widerspruch mit bisher unwidersprochen gebliebenen
Behauptungen und Anschauungen.
Aus diesem Grunde möchte das Buch jungen Studierenden,
die ohne Autoritätsglauben zunächst nicht vorwärts kommen
könnten, vielleicht nicht eben ein einwandfreier Leitfaden sein.
Jeder Arzt aber, der einen Einblick in die Heilgymnastik, ein
während der Studienzeit ihm ziemlich verschlossenes Gebiet,
tun will, findet in dem Buch nicht nur eine von wissenschaft¬
lichem Ernst getragene, überaus klare und eingehende Darstel¬
lung und Begründung der Disziplin, sondern vielfache Anregung
zu eigenem Nachdenken und Handeln auch ausserhalb der Gren¬
zen des Spezialfaches.
Im ersten Teil wird die Heilgymnastik historisch entwickelt
und das Programm der „rationellen“ Heilgymnastik entworfen,
die auf Tatsachen der Physik, Physiologie und pathologischen
Anatomie gegründet wird.
Weitere Abschnitte handeln von der Arbeit im allgemeinen,
von der Dehnungskurve und von den Zugkräften des Muskels,
seiner Arbeit und Leistungsfähigkeit. Wichtig ist die Beschrei¬
bung des „Diagramms“, welches die Schwankungen der Zugkraft
während der Gelenkbewegungen veranschaulicht. Auf diesen
Kurven basiert die Konstruktion der Herz sehen Exzenter -
apparate. Ein folgendes Kapitel befasst sich mit den verschie¬
denen Bewegungsformen: Passive, Förderungsbewegungen, Ko¬
ordinationsübungen, Selbsthemmungs-, Widerstandsbewegungen.
Die maschinelle Widerstandsgymnastik nach Thilo und
Zander wird zunächst beschrieben, dann das Herz sehe
Apparatsystem. Die leidenschaftslose Darstellung des letzteren
berührt denjenigen wohltuend, welcher der scharfen Polemik
sich erinnert, die seinerzeit auf das Hervortreten der Herz-
schen Konstruktionsidee folgte.
Der zweite Teil des Buches erörtert zunächst die lokalen
und allgemeinen Wirkungen der Gymnastik, dann die speziellen
Indikationen und Verwendungsweisen derselben bei den Er¬
krankungen der Bewegungs-, Verdauungs-, Geschlechts-, Re-
spirations-, Zirkulationsorgane, des Nervensystems, bei Allgemein¬
erkrankungen.
Die ganze Darstellung erweckt die Empfindung, dass der
Verf., frei von Einseitigkeit, die Grenzen seines Spezialfaches
sich und dem Leser klarzustellen bemüht ist. Wenn auch die
Eigenart des Buches manchen Widerspruch wachrufen wird, so
muss dasselbe doch auch vom Gegner als eine höchst verdienst¬
volle Leistung bezeichnet werden, die eine wesentliche Förderung
der Heilgymnastik und ihres Ansehens in weiteren Kreisen be¬
deuten dürfte.
Für eine folgende Auflage des vorzüglich ausgestatteten
Buches wäre ein Literaturverzeichnis eine dankenswerte Be¬
reicherung. Vulpius - Heidelberg.
1.926
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
C. v. V o i t : Max v. Pettenkofer zum Gedächtnis.
München 1902, Verlag der k. b. Akademie.
Hier liegt im Druck der Nachruf vor, den v. \ o i t am
16. November 1901 in einer unvei’gessliclien öffentlichen Sitzung
der k. bayer. Akademie der Wissenschaften seinem grossen Lehrer,
Mitarbeiter und Freunde gehalten hat, für alle Zeiten ein er¬
quickendes und erhebendes Bild von Betten kofers Persön¬
lichkeit und Lebensarbeit. Möchte der Nachruf doch recht oft
den Weg auch in die Hände unserer jungen Mediziner und Aerzte
finden, denen es nicht mehr vergönnt ist, sich für und an dem
Lebenden zu begeistern. Dr. B e r g e a t.
Prof. Dr. T ho nies Flora von Deutschland, Oesterreich
und der Schweiz in Wort und Bild. Mit 616 Pflanzentafeln
in Farbendruck und ca. 100 Bogen Text. H. vermehrte und ver¬
besserte Auflage, gänzlich neu bearbeitet. Vollständig in 56 Lie¬
ferungen ä 2 Bogen Text und 11 Tafeln a 1.25 M. oder nach
Erscheinen in 4 Bänden. Gera 1903, Friedr. v. Zezschwitz.
Das Erscheinen einer neuen Auflage dieses schönen Werkes
wird von allen Pflanzenfreunden mit Genugtuung begrüsst
werden; denn an guten, reich illustrierten und nicht zu kost¬
spieligen Floren herrscht in Deutschland Mangel. Das vorliegende
Werk kann mustergültig genannt werden; der Text ist kurz und
prägnant, die Abbildungen von grösster Naturtreue und aus¬
gezeichneter technischer Ausführung, die Gesamtausstattung
vornehm. Der erste Band, von dem bisher 2 Lieferungen er¬
schienen sind, behandelt die Farne; die übrigen Kryptogamen
werden in 3 besonderen Bänden, über deren Erscheinen unsere
Leser wiederholt unterrichtet wurden, zusammengefasst.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für innere Medizin. 1902. No. 45.
K. W a 1 k o: lieber die Behandlung des Ulcus ventriculi mit
Olivenöl. (Aus der med. Klinik in Prag.)
Die ausgezeichneten Resultate, welche W. durch V er-
abreiclmng von hohen Dosen von Olivenöl (100 — 300 g pro die) bei
den verschiedenen hyperaziden Zuständen des Magens erzielte, ver-
anlasste ihn, dasselbe Verfahren auch für die Behandlung des
Ulcus ventriculi heranzuziehen. Da die Hauptbedingungen für die
Heilung des Ulcus die möglichste Entlastung und Fernhaltung
jedes Reizes vom Magen sind, andererseits diesen Heilungsbedin¬
gungen die fast regelmässig beim Magengeschwür sich vorfindende
Hyperchlorhydrie entgegensteht, so ist zu erwarten, dass eine
erfolgreiche Bekämpfung der letzteren auch eine günstige Beein¬
flussung des Heilungsprozesses des Ulcus ermöglicht. Das Oliven¬
öl ist bei der Ulcusbehandlung als Nahrungsmittel um so höher zu
schätzen, als es bei einer absoluten Reizlosigkeit und Unschädlich¬
keit einen hohen Nährwert besitzt, gut resorbiert wird, auf die
Motilität keinen schädigenden Einfluss ausübt und auch bei
höheren Graden von Magenektasie keine bakterielle Zersetzung
erfährt. Auch der Stuhl zeigt nach Einnahme von Olivenöl ein
regelmässiges Verhalten. Das Oel bildet in grösseren Mengen
nüchtern genommen, einen Schutz für das Ulcus. Nach den Er¬
fahrungen des Verfassers hat sich das Olivenöl in der Ulcus¬
behandlung sehr gut bewährt; die Schmerzen verschwinden meist
sehr rasch. Bei frischem Ulcus gibt W. das Oel zuerst esslöffel¬
weise, lässt nachher den Mund und Rachen mit einem angenehmen
Mundwasser ausspülen, und steigert die Dosis allmählich auf
50 ccm, welche die Patienten bis 3 mal im Tag ohne Beschwerden
nehmen. Bei unbezwinglichem Ekel giesst W. 100 — 200 ccm Oel
in Form feinster Emulsion durch eine Aveiehe Sonde ein. Dieses
Verfahren wandte er mit Ausschluss aller anderen Nahrungsmittel
per os so lange an, bis die schwersten Erscheinungen des Ulcus
A'oriiber Avaren, was gewöhnlich 3 — 6 Tage dauerte. Rektal¬
ernährung kann während dieser Zeit angewendet werden. Sieben
Krankengeschichten illustrieren die Mitteilungen des Verfassers.
W. Zinn- Berlin.
Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P. v. Bruns.
Tübingen, L a u p p. Iu02. 35. Bd. 1. Heft. Mit 19 Abb. im
Text u. 3 Tafeln. (Nachträglich.)
Prof. v. Burgne r gibt aus dem Landkrankenhause in Hanau
eine Arbeit über die Tuberkulose der männlichen Geschlechts¬
organe, teilt darin seine klinischen und histologischen Erfahrungen
mit und plaidiert warm für die sog. hohe* Kastration, d. h. Kastra¬
tion mit Evulsion des Vas deferens, an Stelle der geAVöhnlichen,
zumal die gegen erstere geäusserten Bedenken nach den grös¬
seren Erfahrungen zerstreut werden konnten und dieselbe viel
grössere Heilungschancen bietet. An der Hand der eigenen Er¬
fahrung und der anderer Autoren betont B. das hauptsächlich
aszendierende Fortschreiten der meist zuerst den Nebenhoden
oder diesen und Samenleiter betreffenden Erkrankung. B. zeigt
die hauptsächlichsten Arten der Lokalisation und Ausbreitung in
in gewissen Haupttypen au schematischen Figuren. Analog den
günstigen Erfahrungen mit Jodoforminjektion bei tuberkulösen
Abszessen und Gelenken empfiehlt B. die intrakanalikuläre Jodo¬
formglyzerininjektion in Verbindung mit der hohen Kastration
oder für sich bei der über den ganzen Genitaltraktus (einschliess¬
lich Samenblase und Prostata) verbreiteten Tuberkulose, erst in
zweiter Linie empfiehlt er die ganze Ausrottung des Genitaltraktus
einer Seite auf der ganzen Länge seines Verlaufes. — Nach seinen
Erfahrungen mit der hohen Kastration berechnet v. B. 86,6 Proz.
Heilungen und stellt demnach fest, dass nach der tiefen Kastration
etAva nur die Hälfte, nach der hohen % der Fälle zur Heilung
kommen; mit Recht Avird auch die Bedeutung früher Diagnose
hervorgehoben.
V. L i e b 1 e i n gibt aus der Prager Klinik Beiträge zur Kennt¬
nis der chemischen Zusammensetzung des aseptischen Wund¬
sekrets, Avorin er nach einem Ueberblick über die bisherigen For¬
schungsergebnisse seine eigenen, auf W ö 1 f 1 e r s Anregung unter¬
nommenen Untersuchungen bespricht, die u. a. in 5 Fällen den
NachAveis von Pepton ergaben (und zwar in den ersten 24 Stunden
nach der Operation), so dass es nicht zu bezweifeln ist, dass auch
im aseptischen Wundsekret, allerdings in eng begrenzten Stadien
der Wundheilung (1. Tag), Eiweisskörper auftreten, die durch ein
Metallsalz in neutraler Lösung nicht gefällt werden, zur Gruppe
der Album osen (Peptone) gehörig anzusehen sind. Sind Albumosen
resp. Peptone auch späterhin im Wundsekret nachweisbar, so. ist
dies als Vorläufer der Abszessbildung anzusehen. Dann bespricht
L. seine Studien bezüglich des Gesamtstickstoffgehaltes des asep¬
tischen Wundsekrets und kommt zu dem Resultat, dass dieser
stets kleiner ist als der des Blutes (während nur Eindickung des
Sekrets bei ausgedehntem Resorptionsvermögen eine Ausnahme
verursachen kann); weiterhin stellt er in Tabellenform seine
Untersuchungen betr. des Wundsekretplasmas dar und kommt zu
dem Schluss, dass das aseptische Wundsekretplasma eine Flüssig¬
keit darstellt, die mit zunehmender Wundheilung albuminreicher
und globulinärmer Avird und bei der bereits am 3. Tage dei Wund¬
heil nng der Albumingehalt mindestens 9/10 des Gesamteiweiss-
gelialtes ausmacht. . . ., ...
P. Linse r gibt aus der Tübinger Klinik eine Arbeit über
Beckenluxationen im Anschluss an einen Fall röntgenographisch
untersuchter reiner Beckenluxation bei 28 jährigem Mann, der
durch einen Stier erfasst und fortgeschlendert worden war. L. be¬
spricht Entstehungsmechanismus und Diagnose der Beckenluxa¬
tionen und unterscheidet nur 2 Arten: 1. Die Luxation der einen
Beckenhälfte mit Lösung der Sympliysis pubis und sacroniaca
und die Verrenkungen des Kreuzbeins mit oder ohne Trennung der
Schamfuge, beide sind sehr selten, d. h. bisher nur je ca. Io haue
beobachtet und entstehen meist durch Einwirkung schwerer Ge-
Avalten auf die Hinterfläche des Beckens. Betreffs der Therapie
ist möglichst baldige Reposition angezeigt.
O. L a n g e m a k bespricht ans der chirurgischen Klinik
und dem pathologischen Institut zu Rostock die Nephrotomie
und ihre Folgen und schildert nach entsprechenden historischen
Bemerkungen die Ergebnisse eigener experimenteller Unter¬
suchungen am Kaninchen, die zeigen, dass die bisherige Auf¬
fassung (Israel) eine zu günstige ist, indem bei genügender
Tiefe jeder beliebige Schnitt in die Niere einen Infarkt erzeugt,
dessen Grösse den durchtrennten Arterien entspricht, und dass
auch die Möglichkeit vorübergehender Insuffizienz der Niere durch
(den ganzen Ureter ausfüllende) Koagula besteht und sich dess-
halb bei der Nephrotomie, die durchaus als kein harmloser Um¬
griff anzusehen ist, nicht nur die Vermeidung jeder stärkeren
Blutung, sondern auch die sorgfältige Entfernung des ins Nieren¬
becken geflossenen Blutes empfiehlt (Gefahr der Konkrementbil-
düng etc.).
&Aus der gleichen Klinik bespricht E. E h r i c h die Ligatur-
behandlung der Hämorrhoiden und teilt seine diesbezüglichen
Erfahrungen mit, nach denen er der Ligaturmethode auch in den
Lehrbüchern Würdigung und Anerkennung wünscht, da sie
Avesentliche Vorzüge vor den übrigen Methoden der Radikalopera¬
tion hat und speziell der Exzision und Kauterisation durch Ein¬
fachheit der Technik und Nachbehandlung überlegen ist, dabei
gleiche Erfolge ergibt und grösste Garantie gegen Komplikationen
Aus dem städt. Krankenhaus Karlsruhe berichtet Lossen
(Ueber Harnblasenbrüche) über 3 erfolgreich operierte Fälle, in
deren einem dfc? Harnblase allein den Bruchinhalt bildete; unter
Berücksichtigung der betreffenden Literatur bespricht L. die
Häufigkeit (2,5—26 Proz. Cystocelen), Anatomie, Symptome, Dia¬
gnose und Differentialdiagnose dieser Affektion, \md betont bezüg¬
lich der Prognose den Unterschied der extraperitonealen Blasen¬
hernie Aron den selteneren intraperitonealen, besonders bezüglich
der Möglichkeit einer Verletzung. Die Therapie kann nur eine
operative sein. .,
Aus der Innsbrucker Klinik gibt K. F ranze einen Beitrag
zur Statistik und Kasuistik des primären Extremitatenkrebses
im Anschluss an die betreffenden Arbeiten von Volkmann,
Schneider, Michael etc. und im Hinblick auf 21 kurz in
Krankengeschichten mitgeteilte Fälle der v. Hack ersehen
Klinik, von denen S Unterschenkel und Knie, 6 den Handrücken,
4 Fussohle und Ferse, 2 Oberschenkel, 1 den Vorderarm betraten,
d. h. 7 auf die obere, 14 auf die untere Extremität entfallen. lr-
schildert sein Material nach der Volkmann sehen Gruppierung,
d. li. 1. Karzinome, die aus einer Narbe (mechanischen, thermischen
oder chemischen Ursprungs) hervorgehen und solche die aus
Fisteln, Geschwüren und chronisch entzündlicher Haut entstehen,
2. solche, die sich aus Muttermälern und angeborenen oder akqui¬
rierten Warzen entwickeln; und 3. die auf anscheinend normale!
18. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1927
HmU entstehenden Extremitätenkarzinome. Die erste Gninne
(11 \ on 21) ist die zahlreichste, bezüglich der ° . ,
Fr. die hohe MellgnMi dev aufiZgeM^n°\^enC^
- *• Ä ,teh
ergebende
tiou. Von den 5 der
möglichst frühzeitiger und radikaler Opera-
, (jrl'uppe angehörenden Fällen betreffen 8
den Handrücken. V as schliesslich die Erfolge der betreffenden
Operationen anlangt so berechnet Fr. für die primären Extrem
tatenkarzmome nach einer kombinierten Statistik G5’> IW
Heilungen und 34,8 Proz. Todesfälle, unter Ausschluss "der £
rS.bS5SSeFalle ^ 2‘ Gnil,pe °<J’7 rroz- Heilungen und
Aus der Züricher Klinik berichtet J. Michalski über
Hydronephrosis mternuttens, die er nach entsprechender histo¬
rischer Uebersicht, nach Aetiologie, Anatomie, Symptomen und
\eilaut analysiert und <lie er als eine Erkrankung mit ernster
Prognose ansieht, die entsprechendes Einschreiten des Arztes ver¬
langt. Die Therapie muss Entfernung der Erkrankungsursache
erstreben, was gewöhnlich operativ möglich, und wenn dies nicht
gelingt, dui cli palliative Massnahmen Erleichterung bringen (Er¬
öffnung von Pyonephrosen). Die Nephrektomie ist nur in ein¬
zelnen bestimmten Fällen indiziert.
Kuttner bespricht aus der Tübinger Klinik die Frage: Ist
die physiologische Kochsalzlösung' duren die Ta vel sehe Salz-
sodalösung zu ersetzen? und kommt nach Erwähnung von 0 Fällen
ausgedehnter Hautgangrän nach subkutaner Infusion Tavel-
scliei Lösung (aus der D ö d e r 1 e i n sehen Klinik) und diesbezüg¬
lichen Thierexperimenten zu dem Schluss, dass zweifellos die
Tay el sehe Lösung, wie jede Sodalösung, bei subkutaner Ver¬
abreichung Hautgangrän verursachen kann, so dass sie nicht in
beliebiger Menge an jeder Körperstelle zu Spülung, subkutaner
und intravenöser Injektion verwandt werden kann, und somit
hier der unschädlichen Kochsalzlösung der Vorzug gebührt.
Sehr.
19U2. No. 44 u. 45.
Lindenthal-
Centralblatt für Gynäkologie.
No. 44. F. Hit sch mann und O. Th
Wien: Ueber das Wachstum der Plazenta.
Ohne Abbildungen nicht verständlich und zu kurzem Referat
nicht geeignet.
No. 45. G. S c h m a u c h - Chicago: Mortifikation und Spon¬
tanelimination eines grossen Myoms.
Es handelte sich um eine 48 jahr. Frau, II. Para, die ein ne¬
krotisch zerfallenes Myom im Uterus hatte. Die locker sitzenden
Massen Hessen sich ohne weitere Operation mit dem Finger und
einer Zange leicht ex utero entfernen. Der anfangs sehr grosse
Uterus verkleinerte sich unter Ergotin und Lysolausspülungen
bis zur Grösse eines im 3. Monat graviden Uterus, Sonde 9 y2 cm.
Pat. wurde ohne Blutungen und anseneinend gesund entlassen.
S. schätzt das Myom ursprünglich auf 20UU g. Er verteidigt
das nichtoperative Verfahren im vorliegenden Falle, gibt aber zu,
dass beim submukösen Myom die Operation in der Regel in¬
diziert ist, da der Ausgang wie in seinem Falle ein äussert sel¬
tener ist. J a f f e - Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 56. Bd. Heft 3 und Er¬
gänzungsheft.
10) Johannessen: Die Säuglingssterblichkeit in Nor¬
wegen.
Sehr interessante Mitteilung, die jedoch ein kurzes Referat
nicht erlaubt.
11) S t r a u s s - Krefeld: Ueber Säuglingsekzem.
Str. bekämpft die im folgenden Vortrag (12) Reys behauptete
Abhängigkeit des Ekzems von Verdauungsstörungen und die in der
Diskussion desselben von zahlreichen niederrheinisch-westfäli¬
schen Kinderärzten angegebene Häufigkeit von Todesfällen bei der
Salbenbehandlung des Ekzems. (Im allgemeinen mit Recht, Bef.)
12) J. G. Rey: Ueber das Säuglingsekzem, seine ätiologische
Beziehung zum Intestinaltraktus, daraus sich ergebende The¬
rapie. (Nach einem Vortrage, gehalten in der Versammlung
niederrheinisch-westfälischer Kinderärzte zu Düsseldorf am 8. De¬
zember 1901.)
Im Gegensatz zur Auffassung der Ekzeme im Säuglingsalter
als äusserer Hautkrankheiten hält R. dieselben für abhängig von
Verdauungsstörungen und mit besonderem Erfolg der diätetisch¬
darmantiseptischen Behandlung zugänglich, während er bei äusser-
licher Behandlung Misserfolge hat. Das „Säuglingsekzem“ gehört
nicht zu dem Kinderekzem im allgemeinen. Doch kann durch
„Ekzematisation“ und „Sekundärinfektion“ sich der Charakter des
„Säuglingsekzems“ ändern, so dass neben der inneren eine äussere
Behandlung nötig wird. (In der Diskussion des Vortrags stimmten
eine ganze Anzahl Kinderärzte R. zu und konstatierten plötzlichen
Todesfall in ihrer Praxis durch einfache Salbenbehandlung eines
akuten Gesichtsekzems, sowie akute Todesfälle resp. eine grössere
Reihe (!) von plötzlichen Todesfällen nach erfolgreicher oder nur
begonnener Ekzembehandlung.)
13) Pacchioni: Untersuchungen über die normale Ossi¬
fikation des Knorpels. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in
Florenz.)
Zu kurzem Referate nicht geeignet.
14) v. Szontagh: Beiträge zur künstlichen Säuglings¬
ernährung.
2 Stoffwechselversuche in der Dauer von je 4 Tagen bei einem
künstlich genährten Säugling.
15) Lang st ein: a) Untersuchungen über die Azidität und
(Aus der Universitäts-
den Zuckergehalt von Säuglingsstühlen.
Kinderklinik in Graz.)
Angesichts der widersprechenden Resultate Hellst röms
und Biauber gs untersuchte L. aufs neue in systematischer
>\ ( iso und kann nur H e 1 1 s t r ö m s Angaben bestätigen
1» Untersuchungen über den Zuckergehalt der Stühle natür-
Klinik) kunstllcl1 genährter Säuglinge. (Aus der gleichen
In keinem Falle Hessen sich mit Fehlingscher Lösung
quantitativ ermittelbare Zuckermengen in den Fäzes von Brust¬
kindern nach weisen. Blaubergs gegenteilige Angaben erklären
smh aus dem Umstand, dass seine Extrakte Proteinsubstanzen
enthielten, oder aber dass die Säuglinge nicht allein auf Milchdiät
gesetzt waren.
Die von
Gährungsprobe
Kohlehydrate in
Zucker.
S c li m i d und Strasburger angegebene
beweist nur das Vorhandensein vergährbarer
den Fäzes, keinesfalls aber die Gegenwart von
ltfi Heub n er: Noch einmal der Meningococcus intra-
cciiuiar is.
Die von Al brecht und Ghon gegen Heubners be¬
kannte Versuche mit dem von ihm zuerst für die Aetiologie der
epidemischen Genickstarre herangezogenen und seither allseits be¬
stätigten Meningococcus intraceHularis erhobenen Einwände
werden von II. zurückgewiesen. Das kulturelle wie färberische
Verhalten beweisen, dass es sich allerdings um den zuerst von
\\ eich s eibau m gefundenen Kokkus handelt.
Literaturbericht. Besprechungen.
Ergänzungsheft:
TT . 1T) 0 r °: Ueber die Fermente der Milch. (Aus der Wiener
Universitäts-Kinderklinik.)
I nter Zusammenfassung der älteren und zahlreichen neuesten
Untersuchungen über die Milchfermente berichtet Verfasser über
seine eingehende Bearbeitung dieser Frage. Er konnte hydro¬
lytische, proteolytische, lipolytische, koagulierende und oxydative
Fermente nachw eisen. Die Natur des „koagulierenden Fermentes“
wie des lipolytischen bleibt vorläufig dunkel, da beide durch Er¬
hitzen auf 100 0 nicht zerstört werden. M. hält die Milchfermente
iiu bedeutungslos für die Ernährung und sieht in der Minder-
v eitigkeit gekochter Milch — auch Frauenmilch — gegenüber der
ungekochten keinen Gegenbeweis gegen seine Anschauung.
18) Feer: Weitere Beobachtungen über die Nahrungs¬
mengen von Brustkindern.
Unter diesem bescheidenen Titel erhalten wir eine FiiUe
interessanter Erwägungen. Auch diese neuen Beobachtungen be¬
stärken F. in seiner — auffallenderweise auch nicht durch den
Tierversuch am saugenden Hund entschiedenen (Ref.) _ . Ansicht,
dass ein Teil der Milch während des Saugens den Säuglingsmagen
verlässt. Die bisherigen Anschauungen über die Magenkapazität
des Säuglings stehen mit seinen Erfahrungen im Widerspruch,
speziell für die ersten 3 Lebensmonate. Sehr beachtenswert ist
F.s AufsteUung des Begriffes „Zuwachsquotien t“, womit
die Zahl bezeichnet wird, welche angibt, um wie viel ein Kilo
Körpersubstanz pro Kilo Milchzufuhr in einer gegebenen Woche
zunimmt. Der Zuwachsquotient ergibt sich demnach durch
Division des Produktes vom Kilo Körpergewicht und Milchzufuhr
in die Wochenzunahme und ist entscheidend für den Nutzeffekt
der Milch. Auch die Richtigkeit und hohe Bedeutung des von
Heubner und Schloss mann übereinstimmend festgesetzten
Energiequotienten kann F. nur bestätigen. Zuwachsquotient und
Energiequotient zeigen ein typisches, im zeitlichen Verlauf ver¬
schiedenes Verhalten.
19) W. Beuthner: Beobachtungen über die Nahrungs¬
mengen von Brustkindern unter Berücksichtigung des Energie¬
quotienten (Heubne r).
Drei weitere genaue Beobachtungen, wie diejenigen der vor¬
vorangehenden Arbeit Feer s. Im Original nachzulesen.
Interessant ist die so häufige und doch immer wieder be¬
strittene, auch hier erhobene Tatsache, dass psychische Depression
zur vorübergehenden starken Verminderung der Milchsekretion der
Stillenden führen kann.
20) Spolverini und Barbieri: Ueber die angeborenen
Herzfehler. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Rom.)
Zu kurzem Referat ungeeignet.
Bericht über die Sitzungen der Gesellschaft für Kinderheil¬
kunde auf der Naturforscher Versammlung in Karlsbad.
Literaturbericht.
9. Sitzung’ der Vereinigung niederrheinisch- westfälischer
Kinderärzte zu Düsseldorf am 1. Juni 1902.
Siege r t - Strassburg.
Virchows Archiv. Bd. 170. Heft 1. Oktober 1902.
1) Oskar Israel: Rudolf Virchow und sein Archiv.
(Mit dem Bilde Virchows.)
2) Konrad Sick: Beitrag zur Lehre vom Bau und Wachstum
der Lymphangiome. (Patholog. Institut Bern.)
Der erste Fall betrifft einen 21 jähr. Mann. Seit Kindheit
Auftreibung des Abdomens. Nennenswerte Beschwerden bestanden
nicht. In den letzten 8 Tagen vor Eintritt in das Krankenhaus
nahm der Leibesumfang rasch zu. Die Differentialdiagnose wurde
auf Hydronephrose oder cystischen Tumor unbestimmter Natur
gestellt. Die Nephrotomie und dann vorgenommene Laparotomie
führten auf Cysten, von denen eine y2 Liter Flüssigkeit enthielt.
Nach iy2 Monaten Tod infolge eines eitrigen Exsudates in der
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ho. 46.
1928
1. Pleurahöhle. — Die Sektion zeigte ein Konvolut von bis kinds¬
kopfgrossen Cysten, die retroperitoneal und zu beiden Seiten der
Wirbelsäule gelegen, zum Teil Pankreas und Nieren überlagernd,
Dis ins kleine Becken reichten. — Die zweite Beobachtung (Cysten
im Lig. hepato-gastricum), zufälliger Sektionsbefund bei einer in¬
folge eines karzinomatösen Ovarialkystoms zu Grunde gegangenen
65 j ähr. Frau. — Die mikroskopische Untersuchung erwies den
Tumor als aus Bindegewebe und Lymphgefässen, in deren Wand
Lymphfollikel gefunden wurden, gebildet. Die Entstehung der
als kavernöses Lymphangiom bezeichneten Geschwulst wird auf
einen im Embryonalleben selbständig gewordenen Lymphgefäss-
biudegewebskeim zurückgeführt. Auch bei Tieren konnte die
Aberration von Lymphgefässen in frühen Altersstufen nach¬
gewiesen werden.
3) S. J e 1 1 i n e k: Histologische Veränderungen im mensch¬
lichen und tierischen Nervensystem, teils als Blitz-, teils als
elektrische Starkstromwirkung.
Die Untersuchungen an Menschen erstrecken sich auf eine
durch elektrischen Kontakt und zwei durch Blitz getötete Per¬
sonen. Die Sektion bot in allen Fällen, ausser dem immer vor¬
handenen, dunklen, flüssigen Blute makroskopisch durchaus nichts
Charakteristisches. Die mikroskopische Untersuchung zeigte
neben nicht bestimmt zu deutenden Veränderungen der Ganglien¬
zellen kapilläre Blutungen im Rückenmark und Gehirn, besonders
in der grauen Substanz. — Bei durch Wechselstrom getöteten
Meerschweinchen (300 Volt Spannung und 42 Perioden) und weissen
Mäusen (36 [!] Volt) ebenfalls Blutungen, besonders in der grauen
Substanz. 2 F rösche und 2 Kaninchen überlebten das Trauma,
trugen jedoch im Verlauf einiger Zeit auftretende Lähmungen
davon. Bei einem Kaninchen ergab die mikroskopische Unter¬
suchung eine frische Degeneration des Ischiadikus, bei dem anderen
Degenerationsbilder in den Hinterhörnern und hinteren Partien
der Seitenstränge. Sonst kein Befund. - — - Wir haben es nach der
Ansicht J.s bei Lähmungen durch elektrischen Kontakt mit Er¬
krankungen auf organischer Grundlage zu tun. Der Tod durch
Elektrizität ist nicht als Schockwirkung oder innere Erstickung
und ähnliches aufzufassen, sondern findet in den angeführten
pathologisch-anatomischen Befunden seine Erklärung.
4) F. Fischler: Ueber den Fettgehalt von Niereninfarkten,
zugleich ein Beitrag zur Frage der Fettdegeneration. (Aus dem
patholog. Institut zu Heidelberg, Geheimrat A r n o 1 d.)
Die Versuche wurden an 40 Kaninchen ausgeführt. Die Ope¬
rationen bestanden in völliger oder temporärer Blutabsperrung
der Niere bezw. von Teilen derselben, Einfuhren von Weizengries
in die Karotis, von indigosulfosaurem Natron (Heidenhain) in die
Jugularis und Nierenexstirpation. Die Ergebnisse der im Original
nachzulesenden interessanten Versuche führen Verf. zu dem
Schluss, dass das Auftreten von Fett immer von einer, wenn auch
unvollkommenen Zirkulation abhängig ist (sei es Blut-, Lyrnph-
oder Diffusionsstrom). Das Fett tritt nur in lebenden Zellen auf.
Abgestorbene Zellen vei'fetten (unter aseptischen Kautelen) nicht,
dagegen solche, die bei mehr oder weniger erhaltener Struktur
leben. Zur Annahme einer Entstehung von Fett aus Eiweiss inner¬
halb der Zellen ist durch die Versuche nichts beigetragen.
5) H. N a e g e 1 i - Akerblom : Die Seminität in ihren erb¬
lichen (?) Beziehungen. Historische Kritik falscher Angaben.
Unvollendet.
6) Kleinere Mitteilungen.
L. Pick: Ueber die Anordnung der elastischen Fasern im
Uterus. Erwiderung an Herrn N. Iwanof f.
J. Katzenstein: Zur Frage der Wirkung der Nerven¬
durchschneidung auf die Schilddrüse.
Entgegen den Ansichten Lübkes (vergl. dieses Archiv,
Bd. 107, II. 3: Lübke: Beiträge zur Kenntnis der Schilddrüse),
dass nach Durchschneidung der die Schilddrüse versorgenden
Nerven eine Vergrösserung des Organs und der Follikel auf trete,
hält K. auf Grund seiner Beobachtungen daran fest, dass die
Schilddrüse nach Exstirpation der sie versorgenden Nerven völlig
degeneriere. Schridde - Erlangen.
Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch¬
gerichtliche Medizin. 59. Bd., 5. Heft. 1902.
1) Pfister: Ueber Paranoia chronica querulatoria.
Ausführliche kasuistische Schilderung eines nervös disponier¬
ten typischen Querulanten mit krankhaften Beeinträchtigungs- und
Ueberschätzungsideen. sowie krankhaften Affekten. Die Entmün¬
digung erfolgte wegen „Geistesschwäche“ im Sinne des § 6 B.G.B.
2) H. Schulze: Sektierertum und Geistesstörung.
Bei einem Gärtner trat originärer Schwachsinn leichteren
Grades ein; eine religiöse Wahnidee beherrschte ihn. Seine Frau,
sein Sohn, seine Tochter, die Magd und 2 Frauen wurden be¬
einflusst und zeigten einen ekstatischen Zustand. Während sie
alle nach 3 monatlicher Internierung genasen, blieb der primär
Erkrankte dauernd anstaltsbedürftig.
3) Chotzen: Zur Kenntnis der polyneuritischen Psychose.
27 von 38 Fällen begannen mit Delirium; oft gingen einzelne
Symptome, wie Gedächtnisschwäche, Schmerzen oder Gehstörung,
schon länger vorher. 20 Fälle zeigten chronisches Delirium, meist
mit tödlichem Ausgang.
4) Wurth: Ueber das Dauerbad, seine Anwendung und
seine Erfolge.
Eindringliche Schilderung der Anwendung und Wirkung dieses
ausgezeichneten Beruhigungsmittels, das vorzugsweise bei chro¬
nischen Fällen benutzt wurde. Bester Erfolg bei der Erregung
im manisch-depressiven Irresein.
5) Wickel: Ueber Gehirnsektion.
Empfiehlt, das Hirn in lüproz. Formol, die Basis nach oben,
schwebend an einem unter der Basilararterie durchgezogenen
Faden zu konservieren. Nach 1—6 Wochen erst wird es zerlegt
in Frontalschnitte von der Basis zur Konvexität, zunächst am
Austritt der Himschenkel. Weygandt - Würzburg.
Archiv für Hygiene. 44. Bd. 2. Heft. 1902. (Nachträglich.)
1) D. K o n r ä d i - Klausenburg: Ueber die bakterizide Wir¬
kung der Seifen.
Während man im allgemeinen der Ansicht ist, dass die reinen
Seifen infolge ihres Alkaligehaltes keimtötend und bei spezifischen
Seifen die zugesetzten Mittel desinfizierend wirken, so machte
Verfasser bei einer Resorcinseife die Beobachtung, dass
die Wirkung der Seife unabhängig war von der in derselben ent¬
haltenen Resorcinmenge und einzig allein abhängig von
dem Gehalt an odorierenden Bestandteilen. Er entnahm bei
der Herstellung der Seife in allen Phasen der Bereitung Proben,
konnte aber nur nach Hinzugabe der odorierenden
Mittel vollkommene Desinfektion nachweisen. Die odorierenden
Mittel waren Vanilin, Terpinol, Cumarin und Helio¬
trop i n. Es wurden dann noch die Szeged ine r -. Eier-
dotter- und Glyzerinseife, die II i n r i c h sehe Schwe¬
felseife, 10 proz. K r e o 1 i n -, 1 prom. Sublimat-, Jod-
k a 1 i -, Mineral-, Hygieia- und Fliederseife unter¬
sucht. Diejenigen Seifen, welchen die obige odorierende Mischung
zugesetzt war, desinfizieren vollkommen, die Mineral- und Hygieia-
minder gut, während der Flieder-, Szegediner- und Glyzerinseife
gar keine desinfizierende Wirkung zukommt.
2) Levy uud Jakobsthal - Strassburg: Fleischvergiftung
und Typhus.
In einer K u li, welche in Strassburg auf dem Schlachthof
geschlachtet wurde, fanden sich in der MilzundinderLeber
Abszesse, ohne dass das Tier irgendwelche Zeichen der Erkrankung
darbot. Die mikroskopische und bakteriologische Untersuchung
liess ein Stäbchen finden, welches in keiner Weise von Typhus
zu unterscheiden war. Das Typhus serum agglutinierte makro¬
skopisch die Typhusbazillen und die Schlachthaus-
bazillen bis hinauf zum Verhältnis 1:4000. Dieser Fall hat
insofern ein grosses Interesse, als hier mit Sicherheit im Tier
spontan Typhus auf getreten und damit einer Weiterverbreitung
der Krankheit auf die Menschen Tür und Tor geöffnet war.
3) Müll er- Graz: Vergleichende Studien über die Gerin¬
nung des Kaseins durch Lab und Laktoserum.
Der Grundgedanke in der ausführlichen Studie war der, ob
G ründe dafür vorliegen, die Laktoserumfällung als
eine Fermentwirkung aufzufassen. Die Untersuchungen
des Verf. haben aber erwiesen, dass die Annahme einer
fermentativen Natur dieses Fällungsprozesses
nicht mehr haltbar ist. R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 45.
1) H. S a 1 o m o n - Frankfurt a. M.: Ueber Meningokokken-
septikämie.
In dem beschriebenen Falle traten bei der 32 jährigen Krankeu
zunächst Gelenkschmerzen auf, sodann im Verlaufe eines sich viele
Wochen hinziehenden Fiebers von intermittierendem Chax*akter
ein Ausschlag, bestehend in roten Flecken mit einem intensiver
gefärbten, punktförmigen Zentrum. Das Exanthem zeigte während
des Ablaufes eine Reihe von Nachschüben. Die eingeleitete innere
Therapie schien einen Erfolg nicht zu haben, doch erfolgte
schliesslich Genesung. Aus dem Blxxte konnte der Weichsel-
b a xx m sehe Meixingokokkus kxxltiviert werden, dessen Nachweis
in der entleerten Spinalflüssigkeit nur mikroskopisch gelang. Erst
im letzten Di’ittel des Veiäaufes traten deutliche meningitische
Erscheinungen in dem Krankheitsbild hervoi*. Exantheme sind bei
der Meningokokkenmeningitis selten beobachtet worden.
2) L. F e i n b e r g - Berlin: Ueber die Anwendung der Ro¬
manowski sehen (Methylenblau-Eosin-) Färbemethode in
den Gewebsschnitten, speziell in den Krebsgeschwülsten.
Durch die Anwendung der genannten Färbemethode bei
Rhizopoden hat Veiff. nachgewiesen, dass der Kern der einzelligen
tierischen Organismen überhaupt keinen Nukleolus und kein Kern-
gei'üst analog dem Kerngerüst der Körper- und Pflanzenzellen
kennt, sondern einen Kernpunkt besitzt, der allseitig von einem
Kernsaft umgeben ist. Diese Zellteile zeigen andere Färbung
als ihre Analoga bei den Körper- und Pflanzenzellen. Die Ver-
wenduixg der Fäi’bung auf Dui*chschnitten von Krebsgeweben er¬
gab nun, dass innerhalb dieses Gewebes Gebilde Vorkommen,
welche als selbständige einzellige Organismen zu bezeichnen sind.
Eine nälxei'e Klassifizierung dieser Gebilde ist heute noch nicht
möglich.
3) C. Hamburger-Berlin: Ueber die Berechtigung und
Notwendigkeit, bei tuberkulösen Arbeiterfrauen die Schwanger¬
schaft zu unterbrechen. (Fortsetzung folgt.)
4) J. M i t u 1 e s k xx - Bukarest: Beitrag zum Studium des
Stoffwechsels in der chronischen Tuberkulose. (Foi’tsetzung
folgt.) Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1902. No. 44 u. 45.
No. 44. 1) A. Wassermann-Berlin: Ueber eine neue
Art von Diphtherieserum.
Nach einer am 24. Oktober in der physiologischen Gesellschaft
in Berlin gehaltenen Demonstration.
18. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1929
Aus dem angeführten Versuche geht hervor, dass es W ee-
];.ng ein von dem bisherigen antitoxischen Diphtherieserum ‘ver¬
schiedenes prazipitierendes Serum zu erzielen, welches im Ge-en
satze zu dem ersteren Stoffe in sich birgt, welche auf die Körper¬
substanzen der Diphtheriebazillen selbst eine spezifische Wirkumr
ausüben. ö
Dieses neue Serum bietet die Möglichkeit, die Differenzierung
der echten und der rseudodiphtheriebazillen mit Hilfe der Aeelu
tination und Präzipitation zu bearbeiten. Auch für die Praxis
verspricht sich W. einen gewissen Wert, insoferne es auf die Sub¬
stanzen der Diphtheriebazillenleiber spezifisch einwirkt.
2) E. M a rt i n i - Berlin: lieber die Entstehung einer Ma¬
lariaepidemie im Harlinger- und Jeverlande während des
Jahres 1901.
Durch eingehende Forschungen gelang es M., das zeitliche
Verhältnis des Einsetzens der Malariaepidemie im Harlinger- und
.Te verlande in unmittelbarem Zusammenhang mit einem für die
Verbreitung der Malaria wesentlichen Ereignis zu finden, nämlich
in dem Auftreten von zahlreichen malariakranken Menschen in
einem für die Malariaausbreitung günstigen Gebiete, in der von
zahlreichen Anopheles heimgesuchten und seit Anfang April 1901
gewaltigen Schlicknmwühlungen ausgesetzten Küstenstrecke Neu-
harlinger — Bensersiel.
3) Waldvogel- Göttingen: Nephritis syphilitica acuta.
Kasuistische Mitteilung mit Literaturangabe.
Der Fall betraf einen 31 Jahre alten Patienten, bei welchem
nach 14 tägigem Bestehen von Kondylomen neben anderen Erschei¬
nungen sekundärer Syphilis Oedeme auftraten, sich Aszites und
Hydrothorax entwickelte. Bei der Aufnahme war die Urinmenge
vermindert, die des Eiweisses gross, es fanden sich hyaline und
granulierte Zylinder. Nach Einleitung einer Schmierkur stieg die
Frinmenge, der absolute Eiweissgehalt nahm rapide ab, die
Oedeme, Aszites und Hydrothorax schwanden. Nachdem Pat. 75 g
geschmiert hatte, war Eiweiss nach Esbach nicht mehr be¬
stimmbar. Als Patient nach 7 wöchentlicher Dauer der Kur die
Klinik verliess, war die Urinmenge normal, Eiweiss und Zylinder
fehlten.
4) P. Schmidt- Hamburg: Zur Frage der Entstehung der
basophilen Körner in den roten Blutkörperchen.
Kasuistische Mitteilung eines Falles eigener Beobachtung.
Betreffs detaillierter Begründung der im Anschluss an den Fall
entwickelten Ansichten verweist Verf. auf seine eben erschienene
ausführliche Arbeit: „Experimentelle Beiträge zur Pathologie des
Blutes“.
5) F. G 1 a s e r - Berlin: Die Bedeutung des Typhusbazillus
bei Erkrankungen des Respirationsapparates im Gefolge des
Ileotyphus und sein Auftreten im Auswurf. (Schluss aus No. 43.)
Nach einem im Verein für innere Medizin am 26. Mai 1902
gehaltenen Vortrag. Referat hierüber siehe diese Wochenschrift
1902, No. 22, pag. 946.
6) H. Neumann - Berlin: Ueber die Häufigkeit des Stillens.
Interessante Zusammenstellung von mehr statistischem Inter¬
esse.
7) P. S p e i s e r - Bischofsburg: Ein Fall von Anus praeter¬
naturalis mit seltener Aetiologie und seltener Lokalisation.
8) S c h a r e - Köslin: Wanderung eines Nagels vom Nasen¬
rachenraum in das Mittelohr.
9) J. Boas -Berlin: Ueber Untersuchungsstationen für
Krebsverdächtige.
No. 45. 1) K ö h 1 e r - Berlin: Ueber den Stand der Frage
von der Uebertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den
Menschen.
Nach einem auf der internationalen Tuberkulosekonferenz zu
Berlin am 25. Oktober 1902 gehaltenen Vortrag. Siehe hierüber
das Spezialreferat in dieser Wochenschrift No. 44, pag. 1853.
2) A. S c h ü t z e - Berlin: Ueber weitere Anwendungen der
Präzipitine.
Von dem Gedanken ausgehend, die Methode der biologischen
Differenzierung zum Zwecke weiterer praktischer Verwertbarkeit
mit heranzuziehen und zur Prüfung der Herkunft tierischer oder
menschlicher Eiweisstoffe in Anwendung zu bringen, suchte Verf.
auch die in den einzelnen Hefearten enthaltenen Eiweisstoffe auf
ihre biologischen Eigenschaften hin zu prüfen. Aus seinen Ex¬
perimenten ergibt sich, dass die in den von ihm untersuchten
Hefearten, nämlich die in der obergärigen, in der untergärigen,
in der Getreide- und in der Kartoffelhefe enthaltenen Eiweisstoffe
ihrer Natur nach gleichartig sind oder wenigstens einander so
ausserordentlich nahe stehen müssen, dass selbst mit Hilfe dieser
biologischen, von allen Verfahren am schonendsten und am sicher¬
sten arbeitenden Methode, auch nach wiederholten Prüfungen, eine
Differenzierung nicht erzielt werden konnte. Auf bis jetzt noch
nicht abgeschlossene Untersuchungen über das Verhältnis zwi¬
schen Agglutination und Präzipitation an dem Beispiel der für
diesen Zweck besonders geeignet erscheinenden Hefe wird Verf.
in weiterer Mitteilung zurückkommen.
3) R. Iv u c k e i n - Königsberg i/Pr.: Ueber zwei Fälle von
Oesophaguskarzinom, welche unter dem Bilde eines Aorten¬
aneurysmas verliefen. (Schluss folgt.)
4) R. Hecker- München: Die Erkennung der fötalen
Syphilis. (Schluss folgt.)
5) M. P e u k e r t - Greifswald: Ueber die Beziehungen der
vergrösserten Thymusdrüse zum plötzlichen Tode.
P. fügt den vorher veröffentlichten Fällen von Thymustod
noch zwei weitere an, die er in allerletzter Zeit zu sezieren Ge¬
legenheit hatte, und sucht hiemit den Beweis zu liefern an der
Hand der einschlägigen Literatur, dass eine vergrösserte Thymus
ganz allein direkte Atembeschwerden hervorzurufen im stände ist,
dass sie sogar eine vollkommene Kompression der Trachea und
dadurch plötzliche Atemnot und plötzlichen Tod bedingen kann.
6) V. 1 u 1 a w s k i - Polen: Mitteilung über das weitere
Schicksal einer Speiseröhrenkrebskranken, welche mit Kankroin
Adamkiewicz behandelt wurde.
t) 4. M e n d e 1 - Essen (Ruhr): Ein Fall von Uterusruptur
intra partum ohne Operation geheilt.
8) E. S c li u 1 1 z e - Berlin: Zur Prophylaxe der Geschlechts¬
krankheiten, speziell des Trippers.
9) E. Oppenheimer- Berlin: Zur konservativen Behand¬
lung des Entropiums.
Ergänzung zu No. 47, 1901 dieser Wochenschrift, in welcher
O. einen Fall von doppelseitigem Entropium senile beschrieb das
er mittels einer passenden Brillenvorrichtung beseitigen konnte,
nebst Angabe einer wesentlich zweckmässigeren Abänderung des
ursprünglichen Verfahrens. jyf p a c p”, r
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte.32.Jahrg. No. 21
B. Tschlenoff- Bern: Die Sitzbäder, deren physiologische
Wirkung und die Indikationen für Anwendung derselben.
Uebersichtliche Zusammenstellung. •
Alfr. Labhardt: Ueber operative Entfernung eines tief-
sitzenden erweichten Myoms während der Gravidität. (Aus dem
Frauenspital Basel, Direktor Prof. v. II e r f f.)
Das Myom wurde exstirpiert, da erst bei der Operation Dia¬
gnose möglich war. Ungestörte Heilung und Geburt.
F. Schubiger - Hartmann - Solothurn: Adrenalin.
Das von Takamine aus Ochsennebenniere hergestelllo
Adrenalin (im Handel 1 prom. Lösung von A. hydroclilorieum in
physiologischer Kochsalzlösung, unveränderlich und sterilisierbar)
wirkt stark anämisierend (nicht anästhesierend) und blutdruck¬
steigernd und ist wegen ersterer Eigenschaft für den Nasenarzt
(Operationen, Kombination mit Kokain, Nebenhöhlenempyeme,
Nasenbluten?) und Ohrenarzt (Tubenkatheterismus, Mittelohr¬
polypen) sehr wertvoll. Kurze Zusammenstellung der sonstigen
Verwertungsarten.
M. M. C r a a n d y k - Davos-Platz: Ein seltenes Sputum.
(Laboratorium Dr. Paulus Nachf.)
Die Bedeutung des kompakten, faserigen (tuberkulösen) Spu¬
tums bleibt unklar. (Kurze Mitteilung.) P i s c h i n g e r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 45. 1) P. Clairmont und H. Haberer - Wien: Ueber
das Verhalten des gesunden und veränderten tierischen Peri¬
toneums.
Vergl. das Referat in den Berichten der Münch, med. Wochen¬
schrift über die diesjährige Naturforscherversammlung in Karls¬
bad.
2) F. Hamburger- Wien: Zur Frage der Immunisierung
gegen Eiweiss.
Es ist bekannt, dass subkutane Injektionen von Eiereiweiss
bei Kaninchen Albuminurie hervorrufen, und zwar kann mittels
der sog. biologischen Methode nachgewiesen werden, dass es sich
bei dem ausgeschiedenen Eiweiss sowohl um Eier- als um Serum-
eiweiss handelt. Daraus geht hervor, dass die Albuminurie nach
Eierklarinjektionen eine direkte Nierenschädigung bedeutet, und
es fragte sich nun, ob eine Art Immunisierung dagegen bewirkt
werden kann. Tatsächlich zeigten nun Versuche an Kaninchen,
dass die Albuminurie nach Vornahme einer grösseren Reihe von
Injektionen wieder verschwindet, so dass man von einer Immuni¬
sierung gegen die Eiweisswirkung sprechen darf. Auch die ali¬
mentäre Albuminurie kann durch subkutane Eierklarinjektioneu
verhindert werden. Auf die vom Verf. versuchte Erklärung der
Erscheinung kann hier nicht weiter eingegangen werden.
3) R. M a t z e n a u e r - Wien: Periurethrale Infiltrate und
Abszesse beim Weibe; chronisch-gonorrhoische Induration der
weiblichen Harnröhre.
Da wie beim Mann auch beim Weibe bei der akuten Gonorrhöe
die Lakunen und Drüsen der Schleimhaut miterkranken, so kann
der Entzündungsprozess auf die Nachbarschaft übergreifen und
zur Abszedierung in der Umgebung der Harnröhre führen. Die
Abszesse können, wenn sie nicht inzidiert werden, in die Scheide
oder die Harnröhre durchbrechen. In einem Teile der von ihm
gesehenen 9 Fälle hat Verf. Gonokokken im Eiter nachweisen
können. Die Schwellung, Verdickung und Infiltration der Harnröhre
geht nun nicht in allen Fällen zurück, so dass Bindegewebe in der
Harnröhre entsteht und sich dieselbe allmählich in ein mehr oder
weniger starres Rohr umwandelt. Meist entstehen dadurch nicht
unbedeutende Miktionsbeschwerden.
4) E. L i n d n e r - Wien: Totale einseitige Okulomotorius¬
lähmung.
In dem mitgeteilten Falle, welcher eine 42 jähr. Frau betraf,
war die isolierte Lähmung bewirkt durch ein erbsengrosses
Aneurysma der Carotis interna, welches den Nerven komprimierte.
3 y2 Jahre nach Beginn der Erscheinungen erfolgte infolge Berstung
und Durchbruchs in den Seitenventrikel ziemlich plötzlich der
tödliche Ausgang. Verf. bespricht noch die anderweitige Patho¬
genese solcher isolierter Lähmungen. Ein gewisser diagnostischer
Wert kommt den subjektiven Gehörsempfindungen zu, die meist
1030
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
in fortwährendem Sausen oder Klopfen bestehen. Auffallend war.
dass der rechtsseitige Optikus sieh als etwas mitbeteiligt erwies.
5) H. v. S C h r o e 1 1 e r - Wien: Extraktion eines Fremd¬
körpers aus der rechten Lunge mittels direkter Bronchoskopie.
Der von der 35 jähr. Kranken verschluckte Fremdkörper weilte
bis zum Zeitpunkte der Entfernung bereits 3yg Jahre im rechten
Unterlappen und hatte Husten mit fötidem Auswurf verursacht.
Mittels des Bronchoskops konnte der Fremdkörper, ein Knochen¬
stückchen, schon beim ersten Versuch gesehen und extrahiert
werden. Das Kohr wurde bis auf einen Abstand von 29,5 cm von
der Zahnreihe in den betreffenden Bronchus eingeführt. Die Pa¬
tientin ist vorläufig noch nicht völlig geheilt, da im rechten Unter¬
lappen sich eine Höhle gebildet hatte.
Grassmann - München.
Wiener medizinische Wochenschrift.
No. 44. J. G e i g e r - Russisch Moldawitza: Nekrotischer
Zerfall des Skrotums und Präputiums infolge von Anthrax.
Bei dem 24 jährigen Arbeiter kam es zu einer sehr ausge¬
dehnten und tiefen Nekrose der Haut des Penis und des Skrotums
bis auf die Tuuica vaginalis testis. Spontanheilung durch Granu¬
lation. Eine mikroskopisch-bakteriologische Untersuchung konnte
nicht erfolgen.
No. 43 u. 44. A. Brabec: Vergiftung mit Viperngift.
Der 14 jährige Kranke kam 4 Tage nach dem Biss in klinische
Behandlung und zeigte eine typische violette Verfärbung des ge¬
bissenen Beines und eine gleich extreme Cyanose des Gesichtes,
im Koma ging er an Erstickung zu Grunde. In dem Sekret der
ausgebrannten Wunde fand sich nur der Stapliylococcus albus.
Das Venenblut erwies sich mikrobenfrei. Subkutane Injektionen
mit diesem Blut wurden von Ratten und Mäusen, wie schon andere
Autoren fanden, ohne Schaden ertragen. Die Obduktion stellte
weit verbreitete Hämorrliagien und fettige Degeneration an Leber
und Nieren fest. In therapeutischer Hinsicht ist die im Volk noch
viel zu wenig bekannte primäre Abschnürung des gebissenen
Gliedes das Wirksamste, der Alkohol hat nur die Bedeutung eines
Exc-itans.
No. 41/44. O. Kose- Prag: Experimentelle Studien über
Lungenembolie.
Ueber die Art, wie bei Lungenembolie der oft plötzliche Tod
zu stände kommt, gehen die Ansichten noch sehr auseinander.
K. hat bei einer grösseren Zahl von Hunden durch Eintreiben von
Luft, Lykopodiumsamen, Porzellankügelchen u. dergl. in die Vena
jugularis eine akute oder suecessive Embolie experimentell er¬
zeugt. Aus den zahlreichen Schlussfolgerungen wollen wir als
wichtigste nur die hervorheben, dass als die allernächste Ursache
des Todes, die durch ungenügende Füllung bedingte Störung in
der Tätigkeit der linken Herzkammer angesehen werden muss.
Das Stillstehen der Atmung, die Erstickung, tritt erst sekundär ein.
Wiener medizinische Presse.
No. 45. J. Bogdanik - Biala : Darmverschluss bei Chole-
lithiasis.
B. beschreibt 2 Fälle, wo ein akuter Darmverschluss vorlag
und bei der Operation als Ursache eine vergrösserte Gallenblase
gefunden wurde, welche ein grosses Konkrement enthielt. Beide
Kranke hatten keinerlei Symptome, welche früher die Diagnose
auf Cholelithiasis ermöglicht hätten.
Wiener klinische Rundschau.
No. 44 u. 45. J. P e 1 n ä r: Beitrag zur Prüfung der Des¬
infektionsmittel. Sublimat.
Die verschiedenartigen Angaben über den Desinfektionswert
der einzelnen Mittel machen eine Nachprüfung mit modernen
Methoden geradezu notwendig. Nach Verfassers Versuchen tötet
Sublimat in Lösung von 1:1000 im destillierten Wasser wie
in Bouillonkultur den Bazillus pyocyaneus aureus in 12 Minuten.
In destilliertem Wasser tötet es den Saccharomyces albicans nach
1 Minute, in Bouillonkultur dagegen erst nach mehr als 25 Minu¬
ten. Anthraxsporen waren durch genannte Lösung in destilliertem
Wasser noch nach 24 Stunden nicht abgetötet. Der Glaube an
unsere Desinfektionsmittel dürfte noch sehr eingeschränkt werden,
wenn man von ihrer Wirkung den schädigenden osmotischen Ein¬
fluss des destillierten Wassers in Abzug bringt.
Bergeat - München.
Inaugural-Dissertationen.
Universität Bonn. September und Oktober 1902.
51. Abels Hugo: Ueber Geschwülste der Bauchdecken.
Universität Breslau. September und Oktober 1902.
49. Kar sch Wilhelm: Zur operativen Behandlung dev ange¬
borenen Gaumenspalten mit besonderer Rücksicht auf die
funktionellen Erfolge.
50. Mens eilig Carl: Ueber die Kontagiosität des Krebses.
51. Rauenbusch Ludwig: Beiträge zur Lokalisation und Ver¬
breitungsweise der eitrigen Peritonitis.
52. Hirsch stein Ludwig: Ueber therapeutisch verwendete
Silberverbindungen, insbesondere über Silber-Eiweissverbin¬
dungen mit spezieller Berücksichtigung der Silberverbindungen
des Kaseins.
53. S c li a p s Leo: Beiträge zur Lehre von der zyklischen Albumin¬
urie.
54. Marcus Siegfried: Beiträge zur Behandlung der Aktino-
mykose mit besonderer Berücksichtigung der Jodkalium¬
therapie.
55. N euma n n Leopold: Untersuchungen über die Viskosität des
Sputums, und ihre Beziehung zum Husten, insbesondere zur
Pertussis.
Universität Ereiburg. Oktober 1902.
54. Lekisch Adolf: Ueber zwei Fälle von Ganglien der Knie¬
gelenksgegend.
55. Brandt Leo: Beiträge zu den orbitalen Komplikationen der
Entzündung der Nebenhöhlen und ihrer Operation.
56. Baum Richard: Ein Beitrag zur Aetiologie und Statistik der
primären Uveitis (Iritis, Irido-Cyclitis, Irido-Chorioiditis), nach
dem Material der Freiburger Universitäts-Augenklinik aus den
Jahren 1890 — 1901.
57. N e u m a n n Georg: Lieber die plastische Deckung der Augen¬
höhle, besonders die Küster sehe Methode.
58. Maier Gottfried: Ein Beitrag zur Kasuistik des männlichen
Brustdrüsenkrebses,
59. Weisenhorn Franz: Akut zirkumskriptes Hautödem und
Urtikaria.
60. Citron Julius Bernhard: Kalkwasser und Kalkmilch als
Desinfektionsmittel.
61. Lipschitz Rudolf: Zur Kenntnis der Periostitis albumosa.
62. Lange Otto: Ueber Volvulus (Volvulus des Dünndarms).
Universität Giessen. Oktober 1902.
38. Seiler Franz: Ueber das Verhalten der lymphatischen Ap¬
parate bei Ulzerationen im Darme des Schweines.*)
39. L amess Alois: Ueber fünf operativ behandelte Fälle von
Darmstenose in der Ileocoekalgegend.
40. Zürn Johannes: Vergleichende histologische Untersuchungen
über die Retina und die Area centralis retinae der Haussäuge¬
tiere.*)
41. Brettel Adolf: Ueber Fremdkörper in den Luftwegen.
42. Henius Max: Beiträge zur Arsenbehandlung der Chlorose.
Universität Heidelberg. Oktober 1902.
23. Fi schier Franz: Ueber den Fettgehalt in Niereninfarkten,
zugleich ein Beitrag zur Frage der Fettdegeneration.
24. H ad lieh Richard: Ein Fall von Tumor cavernosus des
Rückenmarks mit besonderer Berücksichtigung der neueren
Theorien über die Genese des Cavernoms.
Universität Jena. September: Nichts erschienen.
Oktober 1902.
25. Kassler Otto: Beckengeschwülste und Echinokokken der
Beckenknochen.
26. Kleider Otto: Ueber Zahncysten.
27. Lubosch Wilhelm: Ueber die Nuklearsubstanz des reifen¬
den Tritoneneies nebst Betrachtungen des Wesens der Ei¬
reifung.
28. Messer Schmidt Georg Friedrich: Ueber Ostitis defor-
mans beider Schienbeine und des linken Wadenbeines.
29. Rein hold Friedrich: Zwei Fälle von Diplegia spastica
(L i 1 1 1 e sehe Krankheit) bei zwei Geschwistern.
30. Vollheim Hermann: Zur Kasuistik der „Bechterew¬
schen Wirbelsteifigkeit“.
31. W edemann Fritz: Ein Fall von Dermoid der Niere.
Universität Leipzig. Oktober 1902.
130. Fräulein Ethel Blum e: Zur Kenntnis der tuberkulösen
Blutgefässerkrankungen.
131. Jacobs Paul: Zur Statistik der puerperalen Mastitis.
132. Posemann Otto: Ueber den rezidivierenden Herpes digi-
talis und facialis und seine Beziehungen zum Zoster.
133. Schneider Reinhold: Ueber Harnkonkremente im Blasen¬
halse und in der Harnröhre.
134. Deissler Wilhelm : Aetiologie und Therapie des Caput
obstipum congenitum et spasticum.
135. Lei pol dt Johannes: Zur Aetiologie und Therapie der
Hasenscharte, mit besonderer Berücksichtigung der im Leip¬
ziger Kinderkrankenhause von Januar 1892 bis Ende 1902
vorgekommenen Fälle.
136. It i e t s c h e 1 J ohannes : Ueber verminderte Leitungsgeschwindig¬
keit des in Ringer scher Lösung überlebenden Nerven.
137. Ivutzner Emil: Beiträge zur Behandlung von Pseudar-
throsen.
138. Grotli Johann: Ueber unikondyläre Frakturen des Knie¬
gelenks und Genu varum s. valgum im Anschluss an die¬
selben.
139. W i t't i g Walther: Ein Fall von Gastroenterostomie bei einem
vermeintlichen inoperablen Fyloruskarzinom.
Ausländer (nicht approbierter Arzt).
140. Woei fei Albert aus Morris im Staate Illinois: Ueber die
Symptomatologie der Strangulation.
Universität München. Oktober 1902.
141. Michaelis Hans: Ein Beitrag zur Geschichte des für die
Extraktion des nachfolgenden Kopfes heute üblichen Hand-
*) Ist veterinär-medizinische Dissertation.
18. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1931
142.
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156.
griffs. Nebst einer Uebersicht über die Geschichte der Wen¬
dung auf die Füsse.
Philip Cäsar: Ueber Entstehung und Häufigkeit der Aneu¬
rysmen der Aorta, abdominalis.
Gresbeck Berthold: Ein Fall von Morbus Addisonii ohne
Bronzefarbung der Haut.
Laengenf elder August: Ueber einen Fall von latent ver¬
laufenem Ileumkarzinom.
® a?i(iZrilz:. Magenblutungen nach Unterleibsoperationen.
Schafft Reinhard: Ein Beitrag zur Kasuistik der Oeso-
phagusperforation.
\ ' Beiträge zur Kasuistik der Lungengangrän,
a) Lach Durchbruch eines Oesophaguskarzinoms und b)Luno-en-
gangrän nach Phthise. °
Büchner Carl: Ueber zwei Fälle von Exartikulation in
der Hüfte wegen Sarkom des Oberschenkels.
Fried Richard: Der Retropharyngealabszess und seine Be¬
handlung.
Linneborn Kuno: Ein Beitrag zur Syphilis des Herzens
Adam Max: Nahrungsmengen künstlich ernährter Kinder
nebst einem neuen Vorschlag zur Nahrungsmengenberech-
uung.
Adam Josef: Ueber einen Fall von sporadischem Skorbut
mit tödlichem Ausgang.
Zorn Franz: Ein Fall von Meningomyelocele lumbo-saeralis.
Mennacher Theodor: Ueber einen Fall von Struma
maligna sarcomatosa substernalis.
Denzinger Hans: Ein Fall von Adenokarzinom der Niere,
ausgehend von einem Grawit z sehen Tumor.
Bernhard Paul: Drei Fälle von Tabes dorsalis.
Universität Strassburg. Oktober 1902.
38. Schnitze Ernst: Zur Pathologie und Therapie des Ulcus
corneae serpens.
39. Lewandowsky Felix: Zur Theorie des Phlorhizindiabetes
diabetes.
40. Sachs Ernst: Die puerperalen Erkrankungen und Todesfälle
der septischen Abteilung der Strassburger Frauenklinik 1891
bis 1901.
41. Zimmermann Alfred: Beitrag zur Kenntnis der Hyper¬
trophien angeborenen Ursprungs.
Vereins- und Kongressberichte.
74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Karlsbad vom 21. — 27. September 1902.
VIII.
Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften.
(Schluss.)
III. Sitzungam Dienstag, den 23. September, Nach¬
mittags 3 Uhr.
Vorsitzender: Herr F ossel -Graz.
9. Herr Richard Landau- Nürnberg: Zur geschichtlichen
Entwickelung der Schulhygiene.
Erst mit der Einführung des gesetzlichen Schulzwanges und
der Einrichtung eines ordentlichen Schulwesens von Staats wegen
kann von einer Schulgesundheitspflege die Rede sein, Vorbeding¬
ungen, die nicht viel länger als ein Jahrhundert erfüllt sind. Die
alten Schul- und Kirchenordnungen enthalten nur selten Bestim¬
mungen über das Alter beim Schuleintritt, über Verhütung allzu
harter Schulstrafen, über Unterrichtspläne und Pflege der Leibes¬
übungen, die schon Martin L uthe r empfahl. Die ältesten amt¬
lichen Aeusserungen zur Schulhygiene finden sich in einer Luzerner
Pestordnung von 1594; eine Würzburger Pestordnung von 1563
hatte wenigstens der Schule gedacht. Dürftig und jammervoll,
wie diese Staatsfürsorge, waren die Schulstuben bis zum Ausgange
des 18. Jahrhunderts. Gelegentliche Ratschläge einsichtiger Päda¬
gogen, welche den Wert guter Gesundheit ihrer Schüler zu
schätzen wussten, verhallten ungehört. Erst Johann Peter
F r a n k, der die erste zusammenfassende Darstellung der öffent¬
lichen Gesundheitspflege lieferte, gab auch eine wissenschaftliche
Bearbeitung der Schulhygiene, deren Studium noch heute sich
lohnt lind Staunen erregt über den weiten Blick des Mannes, wie
über die Trägheit des Weiterausbaues seiner Ideen. Mitstrebende
waren ihm die Aerzte E. B. G. Heben streit und Job.
S c h m i d t m ii 1 1 e r und der Pädagoge Sch m erle r. Auch
der Faust sehe Gesundheitskatechismus, wie der damit vielfach
übereinstimmende anonyme Entwurf zu einem Gesundheits¬
katechismus für die Kirchen und Schulen der Grafschaft Scliaum-
burg-Lippe von 1793 berücksichtigen die Schulhygiene1 in weitem
Umfang. Wie gering die praktischen Erfolge gewesen sein
müssen, verrät der Mahnruf K. J. Lorinsers „Zum Schutz der
Gesundheit der Schüler“ von 1836. Später rügte D.G.M.Sehreber
nochmals energisch die Vernachlässigung der Körperpflege (1858),
weiss aber neben dem Tadel auch zweckdienliche Besserungs-
Vorschläge zu geben. Gleichzeitig mit ihm verlangt Pappen-
li e i m sanitäre Ueberwachung der Schulen. Nun wurde rüstig-
weiter gearbeitet und endlich die Einrichtung der Schulärzte ge¬
schaffen, ein Zeichen von der Unentbehrlichkeit einer gesundheit¬
lichen Ueberwachung der Schuljugend und des Schulbetriebes in
Deutschland.
Im Ausland ist das Alter der Schulhygiene meist noch ge¬
ringer. Rühmend hervorzuheben ist, dass Dänemark bereits 1814,
Schweden 1824 den Turnunterricht obligatorisch machte. Im
Schulhausbau hat Belgien durch seinen Ministerialerlass von 1852,
den 29 grosse lithographische Tafeln erläutern, Vorbildliches ge¬
leistet.
Die heutige Blüte der Schulhygiene möge die Verwirklichung
des Satzes „Mens sana in corpore sano“ unseren Kindern bringen,
für sie ist das Beste gerade gut genug!
Diskussion: v. Györy, Wohl will.
10. Herr Emil W o h 1 w i 1 1 - Hamburg: Soll man Copernicus
oder Coppernicus schreiben?
Nach Prüfung des gesamten Materials kommt Vortragender
zu dem Schluss, dass der Name nicht anders als „N i c o 1 a u s
Gopernicu s“ gelautet. Wer „Coppernicus“ schreibt, befleissigt
sich grösserer Pietät gegen die Vorfahren des grossen Mannes, als
dieser selbst sie zu üben für notwendig befunden hat.
11. Herr Karl Sudhoff - Hochdahl: Deutsche gedruckte
Arzneibücher vor 1500.
In freiem Vortrag führt Redner die Zuhörer an der Hand
zahlreicher Lichtpausen typographisch, illustrativ und inhaltlich
in diese interessanten Wiegendrucke aus dem Gebiete der Heil¬
and Naturkunde ein. Abgesehen von Heinrich Steinhöwels
„Regimen in schweren läuften diser Krankheit der Pestilentz der
Stadt Ulm“ dessen erster undatierter Druck 1473 in Ulm er¬
schienen sein soll, ist Augsburg die Wiege der ersten deutschen
medizinischen Drucke. Dort entfaltete namentlich der Drucker
Johannes B ä m 1 e r seit 1473 eine eifrige Tätigkeit auf diesem
Gebiete, indem er zuerst des Augsburger Arztes Bartholomäus
Metlinger Schrift „Ein regiment der jungen Kinder“ ohne
Jahresangabe, dann mit der Jahrzahl 1474 und 1476 in immer
neuen Ausgaben auf 24 Blättern Folio erscheinen liess. Aufs
Jahr 1474 geht auch die erste Ausgabe des Salernitaner „Regimen
sanitatis“ zurück mit Uebersetzung in deutschen Reimpaaren.
Im Oktober 1475 vollendete Hans Bämler den Druck von
Konrad v. Megenbergs „Buch der Natur“ auf 292 Folio¬
blättern mit 12 blattgrossen naturgeschichtlichen Holzschnitten,
das er 1478 und 1481 in neuen Auflagen erscheinen lassen konnte.
Im Jahre 1482 bemächtigten sich zwei andere Augsburger Ver¬
leger, Hans Schönsperger und Antonius Sorg des gang¬
baren Werkes. Ein anderes sehr beliebtes Erzeugnis des Hans
B ä m 1 e r sehen Verlages war das Büchlein von der arzneilichen
Verwendung der „aussgeprannten wasser“ des Wiener Professors
Michael Schrick, das 1477, 1478 und 1482 von ihm
aufgelegt wurde , 1481 und 1482 von Johannes B 1 a u -
birer gleichfalls in Augsburg gedruckt wurde und bald auch
anderwärts eine grosse Anzahl von Neudrucken erlebte. Ein
weiteres Verlagsprodukt des rührigen Hans Bämler ist das
„Regimen sanitatis, das ist von der Ordnung der Gesundheit“, das
am 21. Juli 1477 zum ersten Male, zwar ohne Nennung des Autors,
die Presse verliess, aber nach einer Stelle der Vorrede, in welcher
der Graf Rudolf von Vochenburch und seine Gemahlin als Wid¬
mungsempfänger genannt werden, vermuthungsweise auf
S chri c k s Freund und Schüler Johann T o 1 1 a t von Vochen¬
burch (Vochenberg) als Bearbeiter zurückgeht — ein bunt zu¬
sammengestoppelt Werkchen, offenbar älterer handschriftlicher
Provenienz, das 1481, 1482 und oft noch in anderem Verlage die
Presse verliess, vielleicht mit Werken ähnlichen Titels von Sieg¬
mund Albicus und Friedrich Kreusse r, die Redner nicht
verglichen hat, in Beziehung steht und sich in seinen handschrift¬
lichen Vorlagen (teils schon in deutscher Sprache) mit dem viel¬
genannten „Arzneibuch“ des Würzburger Arztes O r t o 1 f v o n
Bayerland berührt, das der Nürnberger Verlagsherr Antony
K o b u r g e r schon Ende Februar 1477 in splendider Ausstattung
hatte erscheinen lassen. Auch dies Werk fand bald schon einen
pflegsamen Augsburger Drucker in Anton S o r g, der es 1479 und
1488 verlegte. Ein anderes, weniger gekanntes Werk Ortolfs
ist ein ohne Ort und Jahr erschienenes Büchlein „wie sich die
schwangeren Frauen halten sollen, vor der Geburt, in der Geburt
und nach der Geburt“ auf 8 Blättern in Kleinquart. Als Bartliolo-
meus Engels m a n n „von den Eigenschaften der Dinge“ er¬
schien die bedeutende Schrift des Bartholomäus Anglicus 1479
und 1485. Auch das Büchlein vom Wein des Arnald von
\ illanova- gab Hans B ä m 1er 1482 schon heraus. Im selben
Jahr erschien ein Traktat „von der dotlichen sucht der pestelentz“
und 1484 zwei niederdeutsche Schriften über „ghemeyne simpel
niedi einen“ und ein hochdeutscher Aderlasskalender. Bekannt sind
die vielen deutschen Drucke des „Gart der Gesundheit“ Johanns
von Kaub seit 1485 (28. März in Mainz bei Fust und Scliöffer
und 10. August samt allen Holzschnitten als Nachdruck in Augs¬
burg erschienen!) Eine kleine Bibliothek bilden die „Verseilungen
Leibs und der Seele“ seit 1489 bis Aveit ins 16. Jahrhundert hinein.
Erst aus dem Ende des 15. Jahrhunderts (1497) bekannt ist mil¬
des schon genannten Johann T o 1 1 a t s von Vochenberg „Meister¬
lich Biichlin der Arznei, auch Büchlin der Kräuter“ und „Marga¬
rita medicinä“ später auf dem Titel benannt und bis 1532 oft neu
aufgelegt. Nennen wir noch den Deutschen Petrus de Cres-
c e n t i i s \Ton 1492, 1493 und öfter, das Memminger Pestbüchlein
von 1494, gedruckt bei Albert Iv u n n e von Duderstadt, als dessen
Verfasser Hieronymus Baldinus genannt wird, und eine
ILippiatrik Kaspar Reuchlins von Hagenau von 1493 (Strass-
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
1932
bürg), so sind die deutschen Arzneibücher vor 1500 im hauptsäch¬
lichen erledigt.
Diskussion: Herr Landau.
12. Herr Paul Richter- Berlin Zur Geschichte des Jod.
Das 1811 von dem Pariser Salpetersieder Courtois in den
Mutterlaugen der „Varec genannten“ Tangaschen entdeckte Jod.
■welches seinen Namen von Gay-Lussac „ä cause de la belle
couleur violet: > de sa vapeur“ erhielt, wurde von letzterem am
besten untersucht. 1819 fand der Edinburger Chemiker F y f e
das Jod im Meerschwamm. Der Genfer Arzt C o i n d e t ge¬
brauchte es zuerst in der Medizin gegen Kropf im Jahre 1820.
Gegen Syphilis wurde es 1827 von Martini in Lübeck zuerst
verwendet, während die zielbewusste Anwendung des Jodkali
gegen die Li es dem Dubliner Chirurgen William W allace (1S36)
zu verdankt u ist. Gegen die Skropliulose empfahl das Jod 1829 der
Pariser Arzt Lugol.
Redner gibt nun Bemerkungen zur Vorgeschichte des Jod,
d. h. zur früheren Verwendung tierischer und pflanzlicher Pro¬
dukte, welche Jod enthalten. In das Tierreich gehören vor allem
der Meerschwamm (Spongia officinalis L.), dessen Anwendung
schon Hippokrates erwähnt, und der Meerschaum (Spuma
maris, Alc-yoi lum), wofür Aristoteles, Theophrast von
Eresus, Dioskurides, P 1 i n i u s, G a 1 e n o s als Quellen an¬
geführt werden. Innerlich soll Arnald von Villanova
(1235 — 1312) die Asche des Meerschwammes zuerst nach den Vor¬
schriften seines Lehrers C a samida gegen Kropf angewendet
haben, aber nicht, wie Procksch angibt, den kalzinierten Meer¬
schwamm gegen Skropliulose. Doch nicht er, nicht Rolando,
sondern Roger war der erste, der in seiner Chirurgie (1180) gegen
Kropf ein Elektuarium angibt, in welchem Spongia marina und
Pila marina enthalten sind. Bei Arnald finden sich Beweise,
dass er die Wirkung seines zusammengesetzten Medikaments einer
flüchtigen Substanz zuschrieb. Die Zunftmedizin scheint die
Kenntnis der guten Wirkungen der Spongia verloren zu haben,
während die Km pfuscher sie gegen Syphilis gebrauchten (cf. Ale¬
xander Seitz 1509). Erst Jean Astruc empfiehlt sie wieder
gegen luetische Drüsenschwellungen (1736).
Von pflanzlichen Produkten gehören hierher die jodhaltigen
Algen, besonders der Fucus vesiculosus und das Meergras Los'tera
marina, sowie dessen als Meerballen (Pila marina) bezeiehnete
Fäden, deren Verwendung in Altertum und Mittelalter eingehend
besprochen wird.
Aus dem 16. Jahrhundert wird der Gebrauch des Schwammes
gegen Kropf bei Cornarus, Leonh. Fuchs, Fallopi o,
p later und van Helmont erwähnt; die Materia medica der
Chinesen derselben Zeit soll gegen Kropf einen Wein aus See¬
pflanzen und ein Pulver, das Meerschwamm enthält, aufweisen
(Dorvaul ).
Im 17. Jahrhundert finden sich Spongia marina und Pila
marina in den Pharmakopoen und allgemein als Kropfmittel an¬
gewendet, ebenso im 18. und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts,
weit über die Entdeckungen von Courtois und Coindet
hinaus. So starb der berühmte Botaniker de Can dolle 1841
in Genf an den Folgen zu energischer Anwendung der Spongia
usta gegen einen Kropf, der ihm vor 1836 nicht hinderlich gewesen
war. Auch gegen Skropheln wurden die Spongia zuweilen ge¬
braucht, von anderen jede Wirksamkeit der Schwammkohle be¬
stritten (z. B. Ernst Horn, 1807). Gegen Drüsenerkrankungen
empfahl 1750 der Londoner Arzt Richard Rüssel Seetangasche
unter der Bezeichnung Aethiops vegetabilis.
Schliesslich erwähnt der Vortragende, dass in einer 1681 in
Paris erschienenen „Pharmacopoea persica, ex idiomate persico in
latiuum couversa“ eine Tryphera ad strumas angeführt wird, in
welcher Strumarum colli arietis drachmae 5 enthalten sind —
moderne Organotherapie — und erinnert daran, dass die Rever-
d i n - Iv o c ii e r sehe Cachexia strumipriva (1882/83) schon von
C oop er im St. Thomas Hospital zu London gesehen wurde, wie
Benjamin R u s h 1806 mitgeteilt hat.
i
IV. Sitzung am 24. September, Nachmittags.
Vorsitzender: Herr S u d h o f f - Hochdahl, später Herr Wohl¬
will - Hamburg.
Es findet zunächst statt die
Geschäftssituung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der
Medizin und der Naturwissenschaften.
Der GcoOllschaftsvorsitzende, Herr S u d h o f f, erstattet den
Jahresbericht, aus welchem hervorgehoben sei, dass die Gesell¬
schaft in Hamburg mit 46 angemeldeten Mitgliedern sich gebildet
hat, und dass seitdem 105 Mitglieder neu eingetreten sind, vor¬
wiegend am dem deutschen Sprachgebiete, aber auch zahlreiche
aus Ungarn, einige aus den Niederlanden, Dänemark, Gross¬
britannien, Rumänien, Italien, Belgien, Russland und den sla¬
wischen Lai lesteilen Oesterreichs. Durch den Tod verlor die Ge¬
sellschaft d: 4 ihrer Mitglieder, den Archäologen Oskar Raut er t
in Düsseldorf und die Aerzte Walther II e i s i g in Kassel und
Emanuel Herszky in Berlin, der für Karlsbad noch einen Vor¬
trag „Zur Geschichte der medizinischen Irrtümer“ angemeldet
hatte. Noch in Hamburg war die Begründung einer vorwiegend
referierende n Zeitschrift beschlossen worden, die im Verlag von
Leopold V o s s in Hamburg bisher in 3 Heften im Gesamtumfang
von 18 Bogen erschienen ist und im Jahre 1903 in 6 Heften zu
1 Bogen erscheinen soll, welche den Mitgliedern kostenlos zugehen.
Im Buchhandel werden die „Mitteilungen zur Geschichte der
Medizin und der Naturwissenschaften“ nur in Jahresbänden zu
erhöhtem Preise käuflich sein. Als ein erster Erfolg der Gesell¬
schaftsgründung stellt sich die Genehmigung einer besonderen Ab¬
teilung für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften
seitens des Vorstandes der Gesellschaft deutscher Naturforscher
und Aerzte dar.
Iu den Vorstand der Gesellschaft wurden gewählt: Herr Karl
Sudhoff - Hochdahl als Vorsitzender, Herr Prof. Georg W. A.
Kahlbaum - Basel als stellvertretender Vorsitzender, Herr Emil
W o li 1 w i 1 1 - Hamburg als Schatzmeister, Herr Prof. Siegmund
Günther- München, Herr Prof. Julius P a g e I - Berlin, Herr
Prof. Viktor F o s s e 1 - Graz und Herr Dozent Max Neub u r ger-
Wien. Für das mediko-liistorische Kabinet des „Germanischen
Museums“ in Nürnberg wurde ein dauernder Jahresbeitrag be¬
willigt. Zu der Erteilung eines Lehrauftrages für Geschichte der
.Medizin an Prof. Sehweninger musste die Gesellschaft
Stellung nehmen. Es lag ein genereller Antrag des Herrn Her¬
mann Baas- Worms vor: „Die Gesellschaft möge Einspruch er¬
heben gegen die Erteilung eines Lehrauftrages für Geschichte der
Medizin oder der Naturwissenschaften an Personen ohne Vor¬
bildung und Bewährung in der Geschichte ihrer Wissenschaft“. Zu
diesem Anträge hatte Herr Baas eine eingehende schriftliche
Motivierung eingesendet, welche zu dem Schlüsse kam, dass er
von einem förmlichen Protest absehen wolle, wenn auch zahlreiche
Aerzte aus allen Teilen des Reiches erklärt hätten, sich einem
solchen anzuschliessen. Dagegen gebe er zur Erwägung, ob es
nicht geboten sei, dem Bedauern darüber und zugleich dem
Wunsche Ausdruck zu verleihen, dass fernerhin jede Zuteilung
des Lehrauftrages für Geschichte der Medizin nur auf Grund
vorausgegangener ernster Leistungen auf diesem Wissenschafts¬
gebiete geschehen möge, wie das ja auch bei allen anderen und
nicht bloss medizinischen Hochschulfächern selbstverständlich sei
u. s. w. Im Anschluss hieran rekapitulierte der Vorsitzende kurz
die bekannten Vorgänge und erklärte, dass er den bekannten, in
der Münch, med. Wochenschr. veröffentlichten Aufruf des Herrn
Baas als Vorsitzender der Gesellschaft unter¬
schrieben habe (nicht als „Paracelsusforscher“, wie die Zeitungen
meldeten) und dass er allezeit so handeln werde, so lange er dies
Amt bekleide, d. h. ungescheut sich in die Bresche stellen werde,
wenn es die Betätigung der Zwecke und Ziele der Gesellschaft
verlange; zu diesem Verhalten erbitte er die Zustimmung der An¬
wesenden, die ihm mit lautem Beifall erteilt wurde. Die Persön¬
lichkeit des mit dem Lehrauftrag für Geschichte der Medizin Be¬
trauten bleibe für ihn, wie für den Antragsteller und die An¬
wesenden völlig ausser Betracht. Nach kurzer Debatte, welche
volle Einmütigkeit ergab, wurde einstimmig folgende Re¬
solution gefasst: ’
„Die zur Hauptversammlung des Jahres 1902 zusammen¬
getretene Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Medizin
und der Naturwissenschaften spricht über die jüngste Ertei¬
lung eines Lehrauftrages für Geschichte der Medizin an einen
in diesem Fache durchaus Unbewährten ihr Bedauern aus und
geht zur Tagesordnung über.“
Der Begründung seines Antrages hatte Herr Baas noch eine
wichtige weitere Anregung angefügt, nämlich das Verlangen nach
Errichtung medikohisto rischer Seminarien, die zwar
leider noch überall fehlen, nach seiner Ueberzergung aber not¬
wendig sind, sollen die Studierenden sich die Fähigkeit zum selbst¬
ständigen Arbeiten auf medizinisch-historischem Gebiete auf der
Hochschule erwerben, und die zukünftigen Medikohistoriker nicht
mehr, wie seithex’, im späteren Leben in Bezug auf die Methodik
der Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung unter grossen
Schwierigkeiten in der Hauptsache auf Autodidaktik angewiesen
bleiben. Er sehe in der Verwirklichung dieser vorerst nur prin¬
zipiellen Forderung solcher Seminarien eine würdige Aufgabe der
„Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Natur¬
wissenschaften“. Die Versammlung erkennt dies dankend an und
überweist dem Vorstand die Angelegenheit zur weiteren Erwägung,
eventuell zur Ausarbeitung einer Denkschrift über die Gestaltung
des Unterrichts in der Geschichte der Medizin und der Natur¬
wissenschaften bis zur Kasseler Tagung.
Zum Schluss lenkt der Vorsitzende die Gedanken der An¬
wesenden auf die archäologischen Untersuchungen, welche gegen¬
wärtig der Tübinger Privatdozent Dr. R. Herzog auf der Insel
Kos zum zweitenmale vornimmt. Es ist altheiligster Boden für
die Geschichte der Heilkunde, welchen er dort mit dem Spaten
durchforscht. Hat doch am dortigen Asklepieion einst II ippo-
krates der Grosse gewirkt! Freilich ist die Aufdeckung
dieses alten medizinischen Kultheiligtums für Herzog insofern
nur Nebenzweck, als die ihm zur Verfügung gestellten Mittel vor¬
wiegend anderen Forschungszwecken dienen sollen. Ist denn in
deutschen Landen kein medizinischer Mäcen, der mit wenigen
Tausenden die endliche völlige Aufdeckung dieses verschütteten
Schauplatzes Hippokratischen Wirkens ermöglichen helfen will !
In einer ad hoc angesetzten Pause in der langen Tagesordnung
der Gesellschaftssitzung hielt Herr Privatdozent Ritter v. T ö p 1 y
aus "SV i e n, der eben erst vom Leichenbegängnis seines Vaters
aus Prag eingetroffen war, seine angemeldeten Vorträge und
Demonstrationen in summarischer Kürze.
13. Herr Robert Ritter v. T ö p 1 y - Wien: Ueber antike
Schröpf köpfe.
Als Nachtrag zu Konst. P. J. Lamp ros „Ueber die Schröpf¬
köpfe und das Schröpfen bei den Alten“, Athen 1S95 (neugriechisch)
beschreibt Redner folgende 18 antike S c li r ö p f k ö p f e:
18. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
15 erl 5 u’ (les Herrn Gell. Ratlis Dr. Max Bartels,
1 Stück, Bronze; Mainz, Röm.-germ. Zentralniuseuni. 3 Stück
neuesten Fundes (so dass das Museum jetzt 7 Stück besitzt)-
Speie r, liDtor. Verein der Pfalz, 2 Stück, Bronze; W i e n Besitz
des Privatdozenten Rob. Ritter v. T ö p 1 y, 2 Stück. Bronze- \V i e n
K u ust historische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses’
1 Stück, Bronze; Worms, Paulus-Museum, 9 Stück (3 von Glas!
(i von Bronze). Eine Beschreibung oder Abbildung der Stücke im
Museum zu Bukarest war trotz wiederholter Zuschrift nicht
zu ei langen. Rednei unterscheidet im allgemeinen drei Tvpen;
i\i mul b) mit abgesetzten Halse, a) griechisch, gestreckt mit
cilöimigem Bauch (A orbild das Relief mit dem Instrumenta r aus
dem Asklepieion in Athen); b) frührömisch, gedrungen mit
mein halbkugeligem Bauch (1 orbilder mehrere Funde in Pompeji),
ci s p a t i ö m i s c h, beinahe zylindrisch, die Blühe oft gering-er
a's der Durchmesser. Zn letzterem Typus gehören die Fundstücke
vom römischen Boden Deutschlands. Das Exemplar des Wiener
kunsthistorischen Museums entspricht dem Typus b). Redner
wünscht eine genaue Katalogisierung und wissenschaftliche Be¬
schreibung der vorhandenen antiken Instrumente und
verweist auf die bisherige schwankende Auffassung einzelner
Stücke. Dahin gehört die Einreihung der langgestielten Löffelchen
mit gestreckter Baffe und meist olivenförmigem Stielende unter
die chirurgischen Instrumente, sowie die Bezeichnung dieses
Endes, sowie ähnlich gestalteter an verschiedenen Spateln und
dergleichen als „cauterium olivare“. Nach dem Funde aus einem
Frauengrabe in der Vendee (O. .1 a li n: Abhandl. d. säclis. Gesellscli
d. Wissenseh. 1886, S. 298—305; Abb., Taf. V., No. 10 u. 11) wären
die Löffelchen als M a lergerät aufzufassen. Das olivenförmige
Ende kann nicht dem angedeuteten Zwecke gedient haben, weil
man sich bei der Handhabung eines derartigen, auch nur teilweise
glühend gemachten, Werzeuges selbst verbrannt hätte. Febrigens
sind viele dieser Enden verziert (geriefelt), was die Verwendbarkeit
beeinträchtigen würde, und schliesslich kennt man ahlenförmige
Instrumente mit sondenknöpf ähnlichem Ende, zum Einsetzen in
einen Holzgriff geeignet, welche dem Begriff eines „cauterium
olivare“ völlig entsprechen. Gegen die ausschliessliche Bezeich¬
nung der bekannten Olirlöffelcken als chirurgischer Instrumente
spricht der Umstand, dass solche auch zum Inventar von Frauen¬
gräbern gehören (vergl. die Befunde im Museo civico zu Triest,
wo u. a. eines der Ohrlüff eichen vergoldet ist), sowie die Aus¬
schmückung einzelner an dem sonst zugespitzten Ende in Form
eines manchmal durchbrochenen, herzförmigen Blattes, wodurch
sich das Stück eher als Toilette gegensta n d kennzeichnet.
14. Herr Robert Ritter v. T ö p 1 y - Wien: Medizin in China.
Redner charakterisiert die chinesische Medizin im allgemeinen
und demonstriert eine Reihe von Diagrammen, welche das System
veranschaulichen sollen, wie es sich im Anschluss an die alte
Naturphilosophie entwickelt hat, aufgebaut auf Grund der Lehre
von der Fünfzahl und den zwei heterogenen Ureigenschaf ten.
Weiter weist Redner einige chinesische Druckwerke (6) und Flug¬
blätter (4) im Original vor, welche die Einwirkung der europäischen
Medizin auf die chinesische dartun. (Die Drucklegung dieses Vor¬
trages ist in Vorbereitung.)
15. Herr Robert Ritter v. Töply-Wien: Anschauungs¬
unterricht im Lehrfach der Geschichte der Medizin.
Auch diese Spezialdisziplin kann das wichtige Unterrichts
mittel der Anschauung nicht entbehren. In Anknüpfung an
frühere einschlägige Vorführungen weist Vortragender einige von
ihm aufgestellte Diagramme vor, welche namentlich zur Ver¬
anschaulichung der humoralpathologischen Theorien des Mittel¬
alters dienen und sich an authentische Vorbilder aus alter Zeit an-
lelinen. Er wünscht die weitere Schaffung und Verbreitung der¬
artiger Anschauungsmittel für den Ploehschulunterrielit und befür¬
wortet dringend die Errichtung von Instituten für die
medizinische Geschichtsforsch un g zur V ereinigung
der wissenschaftlichen Arbeit und Lehre.
Mit herzlichem Dank gegen den allzeit um das Wohl dev
Sektionsmitglieder liebenswürdig besorgten Einführenden, Herrn
Joseph It u f f - Karlsbad, dessen Vortrag über den Karlsbader
Hippokrates David Becher in der Gesamtsitzung beider Haupl-
gruppen Vorsitzender als tüchtige historische Leistung anerkennend
hervorhebt, scliliesst die Tagung der historischen Sektion.
Karl S u d h o f f.
Deutscher Kolonialkongress 1902
zu Berlin v o m 8. — 11. Oktobe r.
Die Tagesordnung des ersten Deutschen Kolonialkongresses,
der vom 8. bis 11. Oktober in Berlin abgehalten wurde, brachte
auch eine Reihe von Vorträgen medizinischen Inhaltes, über welche
nachstehend kurz berichtet werden soll.
In der Vollversammlung sprach Hafenarzt Physikus Dr.
Kocht, Leiter des Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten
in Hamburg, über die hygienischen Aufgaben in unseren Kolo¬
nien.
Man muss streng unterscheiden zwischen klimatischen
Krankheiten und Infektionskrankheiten, von welchen ausser der
Malaria auch die aus der gemässigten Zone nach den Tropen ver¬
schleppten Krankheiten (Tuberkulose, Pocken, Syphilis und
Typhus) eine grosse Rolle spielen, wie ferner die Abhaltung der
< ’holera und Pest die ernsteste Aufmerksamkeit erfordern. Alle
diese Infektionskrankheiten beeinflussen die Gesundheitsverhält¬
nisse in den Tropen viel mehr als die klimatischen Einwirkungen.
1933
Ihre Bekämpfung hat auf den von K o c h gewiesenen Bahnen
zu geschehen. Unsere tropischen Kolonien können und darum
sollen und m ii s s e n sie gesund gemacht werden. Wünschens¬
wert ist, dass auch Private, Grosskaufleute und Plantagengesell¬
schaften Mittel hiezu zur Verfügung stellen, wie dies in England
geschieht. Gelegenheit zur Ausbildung von Tropenhygienikern,
gibt reichlich das Hamburger Institut für Schiffs- und Tropen¬
krankheiten, das schon 74 Aerzte für die Tropen ausgebildet hat.
Im Anschluss hieran folgte ein Vortrag des Marinestabsarztes
Dr. M a r t i n i - Berlin: Die Malariaparasiten und ihre Ueber-
träger.
Der Vortragende demonstriert mittels Z e i s s sehen Projek-
tionsaparat.es nach Diapositiven der Sammlung des Instituts für
Infektionskrankheiten die Malariaparasiten und ihre Entwick¬
lungsstufen im Menschen wie in der Mücke.
Die Sektion II, Tropenmedizin und Tropenhygiene, be¬
schäftigte sich am ersten Sitzungstage unter dem Vorsitze K ochs
ausschliesslich mit der Bekämpfung der Malaria. Aus der Reihe
der Vorträge sind zu erwähnen:
Geh. Med.-Rat Prof. D ö n i t z - Berlin: Die Malariamücken
der deutschen Kolonien.
Gerade jetzt werden unter unseren Augen durch den auf-
blühenden Verkehr 2 Arten von Neu-Guinea nach den Südseeinseln
verschleppt, welchen die Malaria auf dem Fusse folgen wird, so
dass auch die Verseuchung Samoas nur eine Frage der Zeit ist.
wenn nicht energisch nach den von K o c h angegebenen Prinzipien
dagegen vorgegangen wird, welche darauf hinausgehen, sämtliche
mit Malariaparasiten behafteten .Menschen durch mikroskopische
Untersuchung ihres Blutes ausfindig zu machen und durch me¬
thodische Behandlung zu heilen. Dadurch werden die Parasiten
getötet und die Mücken können keine Parasiten mehr aus diesen
Menschen aufnehmen, also auch keine mehr übertragen.
Herr Martini - Berlin berichtet über die Verhütung eines
Malariaausbruches zu Wilhelmshaven.
Da zurzeit ausgedehnte Erdaufwühlungen zu Hafen-, Dock-
uud Festungsbauten in Wilhelmshaven im Gange sind, befürchtete
man auf Grund früherer Erfahrungen ein Aufflackern der Malaria
dort. Mit der Aufgabe der Verhütung einer Malariaepidemie be¬
traut, stellte M. zunächst fest, dass die Bedingungen für die Ent¬
stehung einer solchen, Malariakranke und Anopheles-Miicken, vor¬
handen waren. Es wurde sodann der Zuzug nach W. überwacht,
das Blut aller Bauarbeiter und heimkehrenden Marinemann¬
schaften untersucht, Malaria-Kranke oder -Verdächtige im
Krankenhaus interniert. Alle Malariakranken wurden mit Chinin
behandelt, bis sie laut mehrfachen Blutuntersuchungen parasiten-
I rei waren. Die Vermehrung der Anopheles wurde durch Trocken¬
halten der oberflächlichen Erdarbeiten nach Möglichkeit gehindert.
Das Ergebnis war, dass unter den bei den neuesten Hafen- und
Dockbauten beschäftigten Arbeitern keiner an Malaria erkrankte.
Stabsarzt Dr. K u h n - Hamburg sprach über den Verlauf
der Malaria ohne Chinin, mit besonderer Berücksichtigung seiner
Impfung.
K. empfiehlt die Serumbehandlung der Malaria bei der Ter¬
tiana- und der tropischen Form der Malaria bei allen Eingebore¬
nen, den Kindern der Weissen und bei den erwachsenen Weissen
in allen Rückfällen, dann ganz besonders bei allen Fällen von
Schwarz Wasserfieber oder Neigung zu Schwarzwasser. Bei Quar-
tana und den Erstlingserkrankungen an Tertiana und Tropika
empfiehlt K. vorsichtige Chininbehandlung, lieber mehrmals %
als einmal ein ganzes Gramm.
Marinestabsarzt Dr. Ru ge- Kiel: Ueber Schwarzwasser¬
fieber.
Die Verhütung des Schwarz Wasserfiebers bildet augenblick¬
lich den Brennpunkt der Erörterungen über diese Krankheit. Zu
beantworten ist die Frage: Muss, um Schwarzwasserfieber zu ver¬
hüten. jeden 10. und 11. Tag je 1,0 Chinin gegeben werden oder
kommt man mit 0,5. jeden 5. Tag genommen, aus? Nach Ansicht
K o c h s wird die Disposition zu Schwarzwasserfieber vielleicht
durch letztere Art der Prophylaxe geschaffen, da die Chinindose
von 0,5 zu gering ist, um die Parasiten im Körper zu vernichten,
und nun Parasiten und Chinin vereint schädigend auf die Blut¬
körperchen wirken. Diese Ansicht wird durch Beobachtungen
II i s c h s in Abasi, sowie Sclilayers und des Vortragenden
unterstützt, durch eine Statistik A. Pie li n s in Kamerun
bestritten. Das vorliegende Material ist zur Entscheidung der
Frage noch zu gering und empfiehlt Vortragender, die Lösung der¬
selben durch eine nach einheitlichen Gesichtspunkten geleitete
Sammelforschung zu versuchen.
In der zweiten Sitzung der Sektion sprach Regierungsrat
Dr. S c h i 1 1 i n g - Togo über die Rinder- und Pferdekrank¬
heiten in Tog’o.
Die Ursache der in Afrika weit verbreiteten Nagana (ost-
indiscli Surra) ist ein zu den Trypanosomen gehöriger Parasit, der
durch die Tsetse-Fliege übertragen wird. Vortragender hat Ver¬
suche zur Immunisierung von Rindern gegen Nagana vorgenom¬
men, welche im Prinzip gelungen sind.
Weitere Beiträge zur afrikanischen Tsetsekrankheit brachte
Marinestabsarzt a. I). Dr. Sander- Hamburg.
Ueber Texasfieber sprach Prof. K o 1 1 e - Berlin, dem durch
systematische Blutuntersuchungen der Nachweis gelang, dass in
tropischen Zeckengegenden, in welche Texasfieber einmal ein-
gesclileppt ist. eine Infektion der Kälber in frühester Jugend statt¬
findet. Tiiese Infektion bleibt latent und führt bei den meisten
Tieren zu einer langdauernden Immunität. Die auf Grund dieser
1934
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Erfahrungen angestellten künstlichen Immunisierungsversuche er¬
gaben, dass sieh die Kälber gegenüber der Infektion mit infek¬
tiösem Texasüeberblut so gut wie resistent verhielten. Die Schutz¬
impfung kann als prophylaktisches Mittel ersten Ranges nicht
mehr entbehrt werden. Sie kommt in Betracht: 1. wenn gesunde
Tiere aus zeckenfreien Gebieten in verseuchte Zeckengegenden
gebracht werden; 2. wenn in Zeckengebiete, die noch nicht mit
Texasfieber durchseucht waren, der Infektionsstoff durch in¬
fizierte Rinder oder Zecken eingeschleppt wird.
Marinestabsarzt Dr. Krämer-Kiel behandelte den Ge¬
sundheitszustand auf den Südseeinseln.
Im allgemeinen darf das Südseegebiet, namentlich Polynesien,
als gesund gelten; es fehlt dort vor allem die Malaria. Die früher
ebenfalls fehlenden Infektionskrankheiten, Avie Masern, Schar¬
lach. Typhus, Cholera, Pest, Avurden neuerdings teilweise ein¬
geschleppt, ohne bis jetzt festen Boden fassen zu können. Die
Schwindsucht wird durch den Kleiderzwang der Mission befördert.
Die Geschlechtskrankheiten sind an einzelnen Plätzen in er¬
schreckender Weise verbreitet. Framboesia tropica, Ringwurm
und Elephantiasis, die auf Samoa sehr verbreitet sind, sind für
Weisse bis jetzt nicht zu fürchten, doch ist die Möglichkeit weiteren
Umsichgreifens nicht ausgeschlossen, da die Ursache der Krank¬
heit, die Filaria, ähnlich der Malaria durch Moskitos übertragen
wird. Weit gefährlicher ist die Lepra, die wahrscheinlich durch
chinesische Arbeitertransporte zu ihrer jetzigen Ausbreitung ge¬
langte. Sollen wirklich chinesische Arbeiter nach unseren
deutschen Südseekolonien gebracht werden, so sind strenge Unter¬
suchung und Ueberwachung derselben dringend zu fordern.
Oberstabsarzt Dr. Schellmann - Berlin sprach über
Herzerkrankungen durch tropische Einflüsse.
Bei einer grossen Zahl von aus den Tropen zurückkehrenden
Leuten, namentlich bei Angehörigen der Schutztruppen, findet man
eine Herzaffektion, Avelche sich in der Hauptsache durch Be¬
schleunigung, Schwäche und Unregelmässigkeit des Pulses, Herz¬
verbreiterung, Herzklopfen und Atembeschwerden dokumentiert.
Bisher wurde die Erkrankung allgemein als nervöse aufgefasst
und bezeichnet. Es finden sich aber dieselben Erscheinungen
ausser bei allgemeiner Nervosität und der seltenen isolierten Er¬
krankung der speziellen Herznerven auch bei Herzmuskelent¬
zündung und bei Ueberanstrengung des Herzens. Da Herzmuskel¬
entzündung im Verlaufe Aron Infektionskrankheiten auftritt, so ist
anzunehmen, dass auch die Giftstoffe der Malariaplasmodien im
stände sind, solche herbeizuführen, und dass ein Teil der Herz¬
erkrankungen hierauf zurückzuführen ist. Eine AATeitere Anzahl
dürfte auf Ueberanstrengung des Herzens infolge der mit dem
Dienst der Schutztruppe verbundenen Anstrengungen zusammen
mit der Wirkung des Klimas beruhen. Man unterscheidet also
zweckmässig die Erkrankung des Herzens nach der Entstehungs¬
ursache in Herzmuskelentzündung nach Malaria, Ueberanstrengung
des Herzens, Herzleiden infolge allgemeiner Neiwosität und speziell
nervöse Herzschwäche.
In der IV. Sektion, die religiösen und kulturellen Verhältnisse
der Kolonien und überseeischen Interessengebiete, sprach Prediger
D. Dr. Kind- Berlin über Ausdehnung und erziehliche Bedeu¬
tung der ärztlichen Mission.
Aerztliche Mission besteht darin, dass Aerzte ATon Beruf im
Aufträge von Missionsgesellschaften in nichtchristlichen Ländern
für die Zwecke der christlichen Mission ihre ärztliche Kunst aus-
üben. Die ärztliche Mission kann direkt oder indirekt die christ¬
liche Beeinflussung erstreben. Es gibt jetzt 490 evangelische
Missionsärzte und 223 Aerztinnen, meist Engländer und Ameri¬
kaner. Deutsche sind nur 10 darunter. Die ärztliche Mission
vollbringt ein Werk der Barmherzigkeit, erzieht aber auch, indem
sie Aberglauben zerstört, zur Reinlichkeit anhält, Achtung Aror
dem Menschenleben erweckt, Barmherzigkeit lehrt, Dankbarkeit
hervorruft, Vertrauen zu den Fremden einflösst. R. S.
Medizinische Streiflichter aus Amerika.
Eine Ferienrundfahrt vom Aerztekongress in Saratoga über
die Adirondaeks nach Canada, den weissen Bergen und Boston.
Von Carl Beck in New- York.
.Tahre sind vergangen, seit der letzte Kongress der American
Medical Association im Staate New-York tagte. Die ungeheure
Ausdehnung des Landes liess es nicht opportun erscheinen, eine
Versammlung, bei welcher man die Repräsentanten sämtlicher
Staaten der Union erwartete, an der Ostgrenze abzuhalten. Denn
die im fernen Westen ansässigen Kollegen würden, um ihren
Wissensdurst zu stillen, sich erst einer 5 Tage und ebenso viele
Nächte ununterbrochen dauernden Reise haben unterziehen
müssen. Das ist nun selbst bei den vollendeten amerikanischen
Eisenbahneinrichtungen kaum als ein sogenannter Genuss zu be¬
zeichnen. Diese auf Raum und Zeit sich gründenden Reflexionen
mögen denn auch dafür verantwortlich gehalten Averden, dass trotz
der bekannten Attraktionen Saratogas die Zahl der Kongressmit¬
glieder hinter derjenigen des Vorjahres zurückstand. Der
„Empire State“ und sein Kronjuwel. die Stadt New-York, welche
allein nahezu 4 Millionen Einwohner zählt, hätte nun, wenn er
sich gerechtermassen für die ihm erwiesene Ehre hätte dankbar
zeigen wollen, den Ausfall decken können, aber, wie es so oft im
Leben geht, man schätzt, was leicht erreichbar ist, lange nicht
so hoch, als Avas man in der Ferne und mit Kosten und Mühe
erst ergattern muss. Zur Entschuldigung der NeAV-Yorker Fra¬
ternität soll es allerdings gesagt sein, dass sie in der letzten Zeit
mit medizinischen Kongressen geradezu überfüttert wurde, so dass
die schlaffe Reaktion nach sotaner Ueberernährung nicht ausbleiben
konnte. Das enthusiastische New-Yorker Häuflein, welches trotz
alledem das „amerikanische Karlsbad“ aufsuchte, sollte seine
Loyalität nicht bereuen und verlebte einige herrliche Tage in
diesem Dorado, nach welchem die fashionable amerikanische Welt
Aveniger aus Gesundheitsrücksichten als um sich zu amüsieren und
gesehen zu werden pilgert.
Es war ein herrlicher Juniabend, als wir dem Hudson entlang
und an der Staatshauptstadt Albany vorbei Saratoga nach 4 stün-
diger Fahrt erreichten. Im United States-Hotel, dem Haupt¬
quartier der American Medical Association, begriissten uns die
trauten Klänge der Wacht am Rhein, ein Brüderlichkeitssymptom,
Avelches AATie manches andere dem jüngsten Prinzenbesuch zu
danken war. Sonst pflegte die Marseillaise die politische Domi¬
nante des amerikanischen Musikpavillons zu sein. Gleichen Schritt
hält damit das immer mehr zutage tretende Bedürfnis der ge¬
bildeten Amerikaner, deutsch zu lernen. Der amerikanische Plebs
freilich kann sich den Deutschen immer noch nur im Gewand
des Bierwirts, Barbiers, Musikanten oder Dienstboten vor¬
stellen und revanchiert sich für die Reziprozitätsanschauung des
deutschen Ackerbürgers. So ist der Deutsche, falls er es zu nichts
brachte, in Amerika oft übel daran. Das alte Vaterland rechnet
ihn nicht mehr zu sich und das Adoptivvaterland sieht ihn nicht
als voll an, ein Umstand, den sich gar viele Auswanderer erst sorg¬
fältig überlegen sollten.
Die Hotels in Saratoga sind einzig in ihrer Art und über¬
treffen an Zahl und besonders an Grösse alle derartigen Kara-
Avansereien in Europa.
Das United States Hotel hat eine Ausdehnung, wie sie kein
deutsches Residenzschloss kennt, und die Speisung der fünftausend
Mann würde in seinen Räumen kein Mirakel darstellen.
An der Aussenseite von breiten Piazzas umgeben, auf AAyelclien
sich so bequem im Schaukelstuhle lungern lässt, öffnet es inner¬
halb seiner Mauern die unvergleichlich schöne Perspektive auf
einen parkähnlichen Garten, in welchem tausende von Spazier¬
gängern lustwandeln können ohne einander zu streifen. Diese Art
der Gartenanlage ist ganz einzig und ermöglicht es dem Hotelgast
seine Promenaden zu unternehmen, ohne mit der Aussenwelt in
Verbindung zu treten. Von den uralten Platanen, Avelche schon zur
Indianerzeit ihre gewaltigen Häupter wiegten, sangen die Finken
ihren guten Morgen wie im Heidelberger Schlossgarten. Am
Abend reihten sich bunte Lampions von Baum zu Baum, in ihrer
Mitte ein ungeheures, von elektrischen Lichtern gebildetes Plakat
umrahmend, dessen Inschrift einen Willkommgruss für die
Fraternität bedeutet. Unter dem blendenden Lichterglanz para¬
dierten die Aeskulapssöhne, zumeist von einem Familienmitglied
begleitet, im Freien. Die Musik spielte u. a. der jüngst kreierten
Vereinigung alter deutscher Studenten in Amerika zu Einen,
deren Präsident und Vizepräsident beiläufig erwähnt der medi¬
zinischen Fakultät angehören, eine Serie fröhlicher Burschenlieder,
in welche manche rauhe Kehle trotz Frackstimmung kräftig ein¬
fiel. Es war nichts ungewöhnliches, ein freundliches „Guten
Abend, Herr Kollege“ aus autochthonem Yankeemunde zu ver¬
nehmen, so dass man sich momentan zu Kroll hätte versetzt glau¬
ben können. Die Art, xvie man alte Freundschaften erneuert und
neue erwirbt, hat etAvas überaus herzliches, und erst zu später
Stunde trennt man sich.
Am folgenden Morgen wurde der Kongress durch den Ncav-
Yorker Chirurgen Wyeth, welcher in diesem Jahre das Präsi¬
dentenschiff steuerte, mit einer geistreichen Ansprache eröffnet,
in Avelclier die Notwendigkeit einer sorgfältigen medizinischen Vor¬
bildung hervorgehoben wurde. Ja, man kommt in Amerika all¬
mählich dahinter, welchen unvergleichlichen Schatz die deutsche
Gymnasialbildung birgt. Wehe dem Volk der Denker, wenn es an¬
fängt, sich die sogen, praktische Vorbildung zum Vorbild zu
nehmen, während die neue Welt der alten humanistischen Vor¬
erziehung zustrebt! Dann dürfte es um die paar Ideale, welche man
sich mit Mühe in den harten Beruf sschragen hinübergerettet hat,
vollends geschehen sein.
W yeth sieht übrigens den Schwerpunkt der Erziehungs¬
frage iii der Moral und besonders in dem Streben nach der Rein¬
heit des ärztlichen Charakters.
Die Einteilung der Sektionen war dieselbe, Avie sie sich aus
meinem letztjährigen Jahresbericht ergibt. Am besuchtesten Avar
auch dieses Mal die chirurgische Sektion, welche der Vorsitzende,
De Forest W i 1 1 a r d - Philadelphia mit einem Bericht über die
Erfolge der operativen Behandlung von Lungen-
kavernen eröffnete. (Im Journal of the American Medical
Association publiziert.)
Die Frage der Bauchfelltuberkulose wurde aoü
M u r phy- Chicago, Richardson - Boston und Ransohott-
Cincinnati eingehend erörtert. Richardson befürwortete die
einfache Inzision mit nachfolgender Drainage und Avendet sich
gegen die Anhänger der Aspirationsbehandlung. Man soll dafür
sorgen, dass Sauerstoff in der Bauchhöhle verbleibt.
Rodman - Philadelphia weist auf die diagnostischen
Irrtümer bei Schusswunden hin. Er behauptet, dass
die Anzeichen A*on Schock gewöhnlich missArerstanden werden;
mit anderen Worten, dass das mit Schock bezeichnete unbestimmte
EtAvas von einer inneren Blutung herrühre. Demgemäss soll man
sofort operativ eingreif en. Die Röntgenstrahlen werden von R-i
18. November 1902.
MTTEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1935
nach dem Beispiel einiger anderer amerikanischer Kollegen, nur
ungenügend gewürdigt.
La Garde -Washington gibt seine Statistik über
Schussverletzungen der Brust und des Unter¬
leibs, wie er sie als Armeechirurg im Kriege beobachtete, und
legt Gewicht auf die Verschiedenheit der Behandlung in Krieg
und Frieden. (Im Journal of the American Association ver¬
öffentlicht.)
T i n k e r - Baltimore gibt eine ansprechende Darstellung von
Gallensteinen im Ductus choledochus und bekennt
sich als unbedingten Anhänger der K e li r sehen Theorien (Radi¬
kalentfernung und Hepatikusdrainage).
M a y o - Iiocliester macht auf den Konnex zwischen ent¬
zündlichen Prozessen im Pankreas und gewissen
Komplikationen, die von Cholelithiasis herrühren, aufmerksam.
Seine Erfahrung zeigt, dass die akute Pankreatitis stets mit Fett¬
nekrose Hand in Hand geht. Er empfiehlt die direkte sowohl
als die indirekte Drainage.
Deaver - Philadelphia rollt die unvermeidliche Appendi¬
zitis f r a g e mit gewohnter Verve auf. Er gibt eine kritische
Beleuchtung von 416 Fällen, welche im Jahre 1901 im deutschen
Hospital zu Philadelphia operiert wurden. Er geht auf die Mor¬
talität der letalen Fälle näher ein und gibt das Resultat der Sek¬
tionen. Vor der Zögerungspolitik warnt er und führt die Ursachen
dei’ Mortalität sowohl als der Komplikationen und Folgekrank¬
heiten auf dieselbe zurück. Das Gefühl der „falschen Sicher¬
heit“ wird durch die Eisblase, Purgantien, Opium und Intervall¬
operation genährt. Je häufiger die Anfälle bei der chronischen
Form, desto grösser die Gefahr. Der Wurmfortsatz selbst muss
immer mitentfernt werden, da die einfache Eröffnung des Ab¬
szesses die Heilung der Appendizitis nicht gewährleistet.
Unterstützt wird Deaver in in seiner Statistik von Ross.
Die Chirurgen L a p 1 a c e - Philadelphia, Weir und Abbe
(beide von New-York) stimmen im grossen und ganzen ebenfalls
mit Deaver überein. Ueberhaupt konnte man die Beobachtung
machen, dass die Anhänger der Frühoperation gegenüber dem Vor¬
jahre zugenommen hatten, wie dies ja bei der immer mehr zu¬
nehmenden Erfahrung bei dieser "heimtückischen Erkrankung
natürlich erscheint. Man wunderte sich auch über die Indifferenz
in Deutschland und beklagte sich nicht ohne Grund, dass die
amerikanische Literatur, welche in dieser Frage doch tonangebend
ist, daselbst so wenig Berücksichtigung findet. Das Punctum
saliens ist aber nach wie vor, dass die klinischen Symptome sich
in einer frühen Periode nicht mit den anatomischen Vorgängen
im Bereich des Wurmfortsatzes decken, und so lange keine Detail¬
diagnose gemacht werden kann, wird namentlich der wenig er¬
fahrene Praktiker sich lieber an der süssen Sirenenmelodie des
„Warte nur, balde“ berauschen, als an dem schrillen, zum so¬
fortigen chirurgischen Angriff blasenden Trompetensignal.
Was werden die Epigonen einmal zu diesen Turnieren sagen?
M a t a s - New-Orleans und Roberts- Philadelphia beleuch¬
ten ihre Methoden bei der Patellarf raktur. M a t a s be¬
dient sich der versenkten Naht nach periosteo-kapsulärer Adap¬
tierung und demonstriert den Heilungsvorgang. Roberts zieht
die subkutane Tabaksbeutelnaht vor. Referent ist bei geringer
Diastase gegen einen operativen Eingriff, da man durch kräftige
Indentationen im Stadium nascendi des Gipsverbandes die ange-
drückten Fragmente in situ erhalten kann. Bei beträchtlicher
Diastase dagegen ex-weist sich das Roberts sehe Verfahren als
zu schwach und ist desshalb sehr starker Silberdraht zu wählen,
welcher um die Kniescheibe einmal und sehr fest herumgeführt
wird.
R i c k e 1 1 s - Cincinnati glänzt mit einer vortrefflichen stereo¬
skopischen Demonstration über die Herzchirurgie. Er ver-
auschaiüicht Verwundungen, welche er dem Tierherz künstlich
beigebracht hatte, in den verschiedenen Stadien der Heilung. Er
ermahnt zu grösserer Aktivität in der chirurgischen Therapie der
Herztraumen.
Referent erläutert an der Hand stereoskopischer Bilder
seine Ansichten über die verschiedenen Typen der Fraktur des
unteren Radiusendes und zieht daraus Schlüsse für die
Art der Behandlung. Wie bei anderen Frakturen, so wird auch
bei dieser speziellen Form das Postulat gestellt, die Frage, ob die
Reduktion der Fragmente gelungen ist, von den Röntgenstrahlen,
am besten von dem durch den Verband hindurch genommenen
Skiagramm, abhängig zu machen. Gelingt es dann überhaupt
nicht, ein Fragment zu reponieren, so soll man nach Resorption
des Blutergusses schon operativ eingreif eu, anstatt bis zur Voll¬
entwicklung der Verkrüppelung erst zu warten. Seitdem die
Röntgenstrahlen als Mentor dienen, braucht man sich vor den
üblen Folgen, welche man verläumderischer Weise dem Gipsver¬
band nachredete, nicht zu fürchten. Gangrän kann nur dann ein-
treten, wenn man die Fragmente nicht reduziert, und dann passiert
dies unter einem Schienenverbande gerade so gut. Der zirkuläre
Verband wird je nach der Dislokationstendenz des unteren Frag¬
mentes entweder in Ad- oder in Abduktionsstellung angelegt.
Zumeist ist eine Dislokation nach oben und aussen vorhanden
und die Hand invertiert. Man muss deshalb das untere Fragment
nach unten und innen drücken, während man am Daumen einer¬
seits und am Ellbogen andererseits extendiert. Die Reposition von
oben nach unten kann man effektvoller gestalten, indem man ein
Petschaft auf die Fragmentregion drückt, während man die Gips¬
binde herumwickelt. Zeigt das Röntgenbild, dass die Reposition
nicht erfolgreich war, so entfernt man den Verband sofort wieder
und legt einen anderen in besserer Stellung an. Der erste Irrtum
zeigt dann, wie man es besser macht. Nach ein bis zwei Wochen
legt man abnehmbare Gipsschienen an, welche den Arm nur teil¬
weise, den Daumen aber in seiner ganzen Zirkumferenz erfassen.
Die Richtung des Daumens beeinflusst die Stellung des karpalen
Radiusfragmentes und ist es deshalb von Wichtigkeit, denselben
der Lage des Fragmentes entsprechend der Hand entweder zu
nähern oder ihn wegzuspreizen und in der resp. Lage zu im¬
mobilisieren. Wo keine Dislokation der Fragmente vorhanden ist,
soll man den Patienten nicht durch Reduktionsversuche plagen,
sondern legt einfach ein Bracelett aus Moospappe um das Hand¬
gelenk herum. Unter den in den Lehrbüchern gänzlich ignorierten
Typen wird namentlich die schiefe dreieckige Form hervorgehoben,
bei welcher das obere Fragment auf der unteren wie ein flaches
Delta liegt. Sie ist intraartikulärer Natur und wird nur durch
das Röntgenverfahren erkannt. Bei dieser Form, welche beinahe
dem Charakter einer Längsfraktur entspricht, zeigen beide Bruch¬
fragmente Artikulationsflächen, weshalb eine mangelhafte Ag¬
glutination derselben grosse Unregelmässigkeiten im Gelenkbogen
hervorrufen muss. Es muss deshalb bei dieser Form besonders
genau und wiederholt mit dem Röntgenapparat kontrolliert
werden. Nach zwei oder drei Wochen gelingt es noch, eine
Difformität durch Einbiegung über die Tischkante zu korrigieren,
später aber müssen die ungefügen Fragmente mittels Meisseis ge¬
trennt werden. Die Knochennaht kann meistens umgangen werden,
wenn man das untere Fragment mittels Petschaft an seine Stelle
drückt, während man die Gipsbindentouren herumlegt (vergl. Me¬
dical News, Vol. 81, No. 12).
Einige Kollegen aus dem wilden Westen hatten sich den
Scherz erlaubt, einen unglückseligen Steppenpatriarchen nach
„geheilter“ Fraktur des Schenkelhalses nach Saratoga
zu locken, um die Vorzüge des Gipsverbandes als Novität zu de¬
monstrieren. Der biedere Wüstenmerkur schleppte sich hin¬
kenden Ganges durch das Spalier, welches die andächtige chi¬
rurgische Gemeinde gebildet hatte, entledigte sich seines enormen
Gipsstiefels und präsentierte sich triumphierenden Blickes mit ihm.
Die östlichen Kollegen, ausgepichte Anhänger des nil admirari,
wollten sich jedoch hierdurch nicht imponieren lassen und so ent¬
spann sich ein hitziges Wortgefecht, aus welchem der wilde
Westen bald mit Empörung im Herzen retirierte. In der Erregung
wurde das Corpus delicti, der antediluvianische Gipsverband, gänz¬
lich vergessen und trauernd stand er, als wollte er ein Pax vobis-
cum nachrufen, in der Ecke, als sich der Saal leerte und der seiner
Befreiung froh gewordene Lederstrumpf in grotesken Sprüngen
davonhüpfte.
In der ophthalmologischen Sektion hielt H a a b (von der Uni¬
versität Zürich) einen interessanten Vortrag über die Entfer¬
nung von Fremdkörpern aus dem Auge. Haab
unterscheidet zwei grosse Fremdkörpergrupppen, von denen die eine
durch Eisensplitter und die andere durch anderartiges Material
repräsentiert wird. Dreiviertel aller Fremdkörper bestehen seiner
Erfahrung nach aus Eisen und dringen in die Tiefe. Die anderen,
zumeist aus Stein-, Holz- oder Glasteilchen bestehend, locieren
sich mehr im Vordergrund des Auges. Kupfersplitter streben
ebenfalls nach der Tiefe, sind aber glücklicherweise selten.
Behufs Diagnose von Eisensplittern ist der Magnet das Mittel
par excellence. Für andere Fremdkörper empfiehlt er die Des-
marres sehe Kapselzange, welche durch eine kleine Wunde in
das Corpus vitreum eingeführt werden kann. Zur Desinfektion
bedient II a ab sich des Jodoforms und zwar mit Vorliebe in Stift¬
oder Tablettenform.
Der berühmte New-Yorker Ophthalmologe Knapp hielt
einen mit aussergewöhnlichem Beifall aufgenommenen Vortrag
über die „Symmetrie unseres Sehapparates als
eines paarigen Organ s“, mit der Empfehlung, die in
Amerika gebräuchliche Bezeichnungsweise der Meridiane zu
ändern.
Er hebt hervor, dass unser Sehapparat ein durchwegs sym¬
metrisch angelegtes, paariges Organ ist, wie unsere Ohren, Hände,
Nieren u. s. w. Symmetrisch nennt man einen Körper, dessen
beide Hälften das gegenseitige Spiegelbild durch eine mittlere
Trennungsfläche (Medianebene) sind. Die Medianebene des Kör¬
pers teilt unseren Sehapparat in 2 symmetrische Hälften, von
denen kein Theil sich genau wieder in 2 symmetrische Hälften
schneiden lässt, obwohl dies annähernd durch eine horizontale
Medianebene auch beim Augapfel geschehen kann. Die seitlichen
Hälften unseres Sehapparates berühren sich nur an 2 Stellen, dem
Chiasma und dem vorderen Vierhiigelpaar, ohne dadurch ihre Sym¬
metrie zu verlieren.
Redner betrachtet speziell die Symmetrie der Meri¬
diane des Auges, wovon jeder einzeln genommen in einem
kleinen Kreise am Durchschnittspunkt der Sehlinie mit der Horn¬
haut in hohem Grade symmetrisch gekrümmt ist, welche aber
untereinander beträchtliche Krümmungsverschiedenheiten auf¬
weisen, wodurch der in allen Augen mehr oder minder vorhandene
Astigmatismus erzeugt wird. Dabei zeigt sich die merkwürdige
Eigenschaft, dass meistens die gleichgekrümmten Meridiane des
einen und des anderen Auges die Meridianebene des Körpers oder
die ihr parallele vertikale Meridianebene des Augapfels, unter
gleichen Winkeln schneiden.
In 2473 aufeinander folgenden Fällen seiner eigenen Praxis,
welche der Redner zusammengestellt und anderwärts mitgeteilt
hat, zeigten 87 symmetrische, 22 unsymmetrische Meridianstellung.
Ueber dieses Verhältnis herrschte keine wesentliche Verschieden¬
heit, aber über die zweckmässigste Bezeichnung der Meridiane hat
man sich noch nicht einigen können. Die in den Vereinigten
1936
MUENCHENER MEDICltflSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Staaten gebräuchliche Bezeiclnnmgsweise ist seines Wissens in
keinem anderen Lande vertreten. In Europa herrscht allgemeine
Verwirrung. Redner, welcher sicli lange eingehend mit dieser
Frage beschäftigt und verschiedene Systeme versucht hat, ist zu
dem Schlüsse gekommen, dass die symmetrische Bezeichnung die
natürlichste, einfachste und brauchbarste ist. In unseren Brillen¬
rezepten beginnen wir für -j- oder — Gläser mit 0° am nasalen
Ende des horizontalen Meridians beider Augen und zählen auf¬
wärts. schläfenwärts und abwärts, rings um die Kreislinie, bis
wir wieder bei dem Ausgangspunkt angekommen sind. Die sym¬
metrischen Meridiane erhalten gleiche Bezeichnung und die Ab¬
weichung von der normalen Symmetrie tritt hervor.
Dieselbe Bezeichnungsweise wendet man auf das Sehfeld an,
dessen Grenzen und Defekte durch die Kreuzungspunkte der be¬
treffenden Meridiane und Parallelkreise bestimmt sind.
In der Praxis hat die symmetrische Methode den grossen A er¬
teil. dass gleiche Dinge gleich bezeichnet werden, und sich gleich
bleiben, einerlei, ob man die Brille oder das Sehfeld A’on vorn oder
A'on hinten ansieht.
KI p p - XeAvark Avies schon A'or Jahren darauf hin, dass das
F lens e o r n e a e serpens, in Avelchem die zuerst von
Saemisch beschriebenen grauen, vom Geschwürsrand aus¬
gehenden Streifen durch graue Zwischenglieder miteinander ver¬
bunden sind, unter friedlicher Behandlung heilt, und dass es un¬
nötig ist. in solchen Fällen den S a e in i s c li sehen Hornliaut-
sehnitt zu machen oder durch das Glüheisen die Zerstörung des
Hornhautgewebes noch zu vergrössern. Selbst avo rl ränensa.ckeite-
rung vorhanden Avar, träufelte K. nur Atropin ein und begnügte
sich mit Umschlägen a-ou Avarmer Borsäurelösung. Eine Tränen¬
sackeiterung Avurde dann ausserdem durch Spaltung des Tränen-
röhrcliens und häufige Druckreinigung des Sackes behandelt. Das
Geschwür kam in allen diesen Fällen unter dieser einfachen Be¬
handlung ausnahmslos zur Heilung.
Wo die beschriebenen grauen Streifen zur Zeit als der Kranke
zur Beobachtung kam nicht zu sehen sind, und Avenn die Pneumo¬
kokken von Fraenkel - Weichselba um sich im Geschwür
na ch weisen lassen, wo ferner das Geschwür Neigung zeigt, sich
weiter auszubreiten, wird Fluorescin eingeträufelt; dann schreitet
man zur Verbrennung des Aveissgelblielien Bogens durch das Gliih-
eisen so A\*eit, als das Gevvebe ein grünliches Kolorit zeigt. In
Fällen von hoher Hypopie oder bei grosser Tiefe des Geschwürs
Avird zugleich die vordere Kammer mit dem Gliiheisen geöffnet,
und zAvar an der tiefsten Stelle des Geschwürsgrundes. Durch
die hierdurch bedingte Herabsetzung des Druckes wird die Heilung
der in solchen Fällen immer vorhandenen Iridochoroiditis be¬
günstigt. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der Entfernung
des Exsudates in der vorderen Kammer. Gegen die intensiven
Schmerzen, welche Avahrsclieinlich durch die Iridochoroiditis be¬
dingt sind, erweist sich der Gebrauch A'on Blutegeln von Nutzen.
Bei alten dekrepiden Leuten wird Gewicht auf kräftige Nahrung,
Chinin etc. gelegt. Wo trotz dieser Behandlung der Prozess weiter
schreitet, ist fast immer Diabetes oder Nephritis vorhanden.
W e i s s - New -York, Sekretär des Komitees. Avelclies von der
zuständigen medizinischen Behörde des Staates New-York im
vorigen Jahre erwählt worden war, um die auf sexuelle Er¬
krankungen zurückzuführende Morbidität nebst dem sozialen
Uebel im allgemeinen zu studieren, gibt ein eingehendes Besinne.
Er führt aus, dass direkte Schritte zwar der Prophylaxis am ersten
zu entsprechen schienen. Bei näherer Betrachtung aber erweisen
sich dieselben nicht als durchführbar. Die Regulationen, wie sie
in Europa üblich sind, lassen sich hier zu Lande in Rücksicht auf
konstitutionelle Hindernisse und gewisse Rasseeigentümlichkeiten
nicht durchführen. Das Hauptgewicht ist desslialb auf soziale,
erziehliche, ökonomische und gesetzliche Massnahmen zu legen.
Zu den letzteren gehörten namentlich: Schaffung besserer Fabrik¬
gesetze. höhere Löhne, Separierung der Geschlechter in den
Arbeitsräumen, Zwang zur Mitgliedschaft bei Unfall- und gegen¬
seitiger Ivrankenunterstützungs- und Versicherungsgesellschaf teil ;
ferner gegenseitige Anlehensgesellschaften und Asyle für arbeits¬
lose Mädchen. Auch sollen das Publikum und besonders die
Patienten entsprechend erzogen werden. Ferner sind bessere
Einrichtungen in Hospitälern und Ambulatorien notwendig. Die Vor¬
schläge des Vortragenden fielen auf so fruchtbaren Boden, dass
man seine Resolutionen sowohl in der dermatologischen, Avie in der
hygienischen Sektion ohne weiteres annahm. Demnach Avird ein
nationaler Kongress durch die American Medical Association
arrangiert, welcher ähnlich wie der internationale Kongress in
Brüssel die Prophylaxis erwägen soll. Es Avurde eine Delegation
zu diesem Zwecke erwählt, an deren Spitze H o 1 1 o n - Brattleboro
und der verdienstvolle Vorsitzende stehen.
G o 1 1 h e i 1 - New-York demonstriert einen Fall von Sar-
eoma cutis (Sarkoid) bei einem C-tjälir. russischen Israeliten.
Avelcher sich eines guten Allgemeinzustandes erfreute. Es finden
sich einige sternförmige Narben, welche auf alte Lues hindeuten.
Makulöser und papulo-tuberkulöser Ausschlag ist im Gesicht, am
Scheitel, am Rumpf und an den Gliedmassen nachzuweisen. Alan
kann alle Stadien genau verfolgen, erst kleine gelbbraune Flecke
md dann harte, bohnengrosse, purpurfarbene Knoten: später Er¬
weichung unter Einsinken im Zentrum bis zu endlicher Formation
einer pigmentierten, eingedrückten Narbe. G. zeigt Mikrophoto¬
graphien der verschiedenen Stadien des Wachstums und der Ent¬
artung. Der Fall lehrt demgemäss, dass Hauttumoren vor-
kommen, welche morphologisch und klinisch das Bild des klein¬
zelligen Sarkoms darbieten und doch einen gutartigen Verlauf
nehmen, besonders aber innere Organe nicht Offizieren und auch
den Allgemeinzustand nicht beeinträchtigen. Man muss augen¬
scheinlich demnach das Sarcoma cutis nicht mit dem Sarkom
innerer Organe ohne weiteres zusammenwerfen.
Gottheil stellt ferner ein 10 jähriges Mädchen vor, Avelclies
jeden Herbst an einem bullösen Ausschlag litt. Seit,
mehreren Jahren bildeten sich ganz kleine Bläschen, deren Bil¬
dung keinerlei Jucken A'orausging. Auch fehlte dasselbe bei der
Weiterentwickelung der Bläschen zu taubeneigrossen Blasen
gänzlich. Dieselben Avaren namentlich an den unteren Teilen des
Rumpfes und der Glieder ausgeprägt. Mit der Entwickelung der
Bläschen hatten sich Sclrwellung und Rötung gezeigt. Subjektive
Symptome Avaren bei dieser rekurrierenden Erkrankung abwesend.
Nur wenn sich Blasen auf den Fussohlen entwickelten, wurde das
Gehen behindert. Einzelne Blasen bestanden ein bis zwei Wochen
lang; sie trockneten dann ein oder platzten. Aetiologiscli konnte
nichts eruiert Averden. Epidermolysis bullosa oder Trauma (C-an-
tliariden) Avaren auszuscliliessen, ebenso Erythema bullosum oder
Urtikaria. Da auch das Allgemeinbefinden nicht afflziert worden
Avar, so einigte man sich auf die Diagnose P e m phigus
beni g n u s. (Fortsetzung folgt.)
Verein für innere Medizin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 3. N o v e m b e r 1902.
Vor der Tagesordnung:
Herr v. Leyden: Nachtrag zu den Verletzungen durch
Blitzschlag.
Einige Bemerkungen und literarische Notizen über die bei
Blitzverletzungen beobachteten Verbrennungsfiguren.
Herr A. Fraenkel: Demonstration eines Präparates von
Eventratio diaplrragmatica. Dieselbe Avar intra vitam auf der
G e r h a r d t sehen Klinik als Hernia diaphragmatica diagnosti¬
ziert und auch publiziert Avorden (Berl. klin. Wochenschr. 1900)
unter Beifügung des Röntgenbildes. Bei Einlieferung des Kranken
in den Urban bestanden Inkarzerationssymptome; deshalb Ope¬
ration (K ö r t e). I lieselbe ergab, dass keine Hernie vorlag, son¬
dern eine starke Ausbuchtung des Zwerchfells in den linken Pleura¬
raum hinein, iide sie mehrfach als Eventratio diaphragmatica
beschrieben Avurde. Pat. Überstand die Operation, ging nach
längerer Zeit an Oesophaguskarzinom zu Grunde und nun be¬
stätigte die Sektion die damals von Fr. gegebene Auffassung als
Eventratio. Das Zwerchfell ist an dieser Stelle stark ausgebuchtet
und atrophisch. Leber die nähere Natur dieser Atrophie (blasse,
verfettete Muskelfasern) Avird Herr G. Benda später berichten.
Herr Senator: lieber die Herzhypertrophie bei Nieren¬
krankheiten.
Trotz der grossen Fortschritte, welche die Kenntnis der
Nierenkrankheiten durch B right und Traube gemacht hat,
ist der ursächliche Zusammenhang zwischen Herzhypertrophie
und Nierenkrankheit noch immer nicht völlig geklärt.
Hie hiefiir wichtige Frage, welcher Herzabschnitt am
häufigsten und stärksten erkrankt befunden wird, hat Karl
H irsc h durch genaue Wägungen dahin entschieden, dass am
stärksten und weitaus am häufigsten der linke Ventrikel, viel
seltener und schwächer der rechte hypertrophiert.
Die Ursache dieser Hypertrophie sei nach Ablehnung der
mechanischen Theorie T r a u b e s und der Viskosität Ewalds
in den schon von B r i g h t angenommenen veränderten chemi¬
schen Verhältnissen zu suchen. S t r a u s s habe neuerdings auf
Senators Klinik gefunden, dass die molekulare Konzentration
des Blutes bei einfacher chronischer Nephritis meist normal, bei
der Schrumpfniere dagegen erhöht sei, ebenso der Reststickstoff;
der Eiweissgehalt verhalte sich umgekehrt. Die Toxizität des
Urins, bestimmt nach der unzuverlässigen Methode Bouchards
fand sich bei der Schrumpfniere häufig erhöht.
Vortragender formuliert die alte B right sehe Theorie aut
Grund der neuen Darstellung nunmehr so: Die Zunahme der
molekularen Elemente im Blute führt zu einem Reiz auf die
Gefässe und das ITerz und zur Schädigung der Gefässwände.
Bei der atoh dieser Zunahme weniger betroffenen chronischen
Nephritis kommt es infolgedessen zur erhöhten Durchlässigkeit
der Gefiisse und zum Hydrops, einer Art Selbsthilfe des Organis¬
mus; bei dieser Affektion findet sich daher auch seltener und
iveniger stark die Herzhypertrophie. Bei genügend langer Dauer
des Lebens verdieken infolge des anhaltenden Reizes die Gefässe
und verengern sich. Dieses Stromhindernis bildet einen Reiz für
das Herz, welches nunmehr hypertrophiert. Bei der Schrumpf¬
niere führen die reichlicher vorhandenen abnormen Stoffe früh¬
zeitig zu Gefässkontraktionen und Gefässverengerungen und
damit zu einem Reiz auf das Herz, darum auch früher und
stärker zur Herzhypertrophie.
18. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1937
wo,FflrQi^: Frankel fuhrt seine eigenen Beobachtungen an
v eiche auch bei der kurzdauernden Scharlachnephritis eine
Hypertrophie des Herzens zeigten, die mit dem Abläufe der
Nephritis wieder zuruckging. Hans Ku*eh “]
Aerztlicher Bezirksverein zu Erlangen.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung
vom 30. J u n i 1902.
Herr Weinbrenner bespricht 3 von ihm operierte Fälle
«« makroskopischen und inikroskopiSu
!■ Zirkumskriptes Korpuskarzinom.
1 TTt ?at’’ 49 Jahre. alt> seit 4 Jahren in der Menopause im
L ÄkT1*" Bh'tUng beBle“ete kramW'«lge Sehmer-
Narkosenuntersuchung am 16. Februar ergab einen kaum ver¬
besserten, antefiektierten, gut beweglichen Uterus, PaiamSrium
weich. Pi obeauskratzung: Solides Karzinom.
\ aginale lotalexstirpation (S c li ucha r d t sehe Methode) mit
ausgiebiger Entfernung des dehnbaren Parametrium. Auf d2
Duichsclimtt gienzt sich ein im Gebärmuttergrund in der vor¬
deren und rechten \\ and entwickeltes, ins Cavum uteri sich leicht
^ekelndes zirkumskriptes Karzinom deutlich gegen die Mus-
kulatur ab. Es handelt sich um einen soliden Zylinderepithel-
kiebs, dessen ausgefüllte Schläuche die Mitte der Muskel wand¬
dicke nicht überschreiten. 1U
3 Wochen post operationem geheilt entlassen.
Schon Anfangs April suchte Pat. wegen Schmerzen in Upt*
i-echteu Wade ärztliche Hilfe. Herr ft. Bing S Seilte
f'S 'dm-enrÄflati10nSI1tib~ Zllm Kreuzbeil> liiuzieheude Resistenz
fest deien beständiges Grosserwerden durch wiederholte Unter¬
suchungen a erfolgt wurde. Der Zustand verschlimmerte sich
lasci und Pat- starb am 8. Juli. Die Sektion wurde nicht erlaubt
doch handelt es sich wohl zweifellos um ein Rezidiv, das sich in
rapider M eise nach der vaginalen Entfernung des scheinbar so
günstig liegenden Karzinoms entwickelte. 1 S0
•■Yt®rus Sravid* mens. IV mit Portiokarzinom.
38 jährige NI. Para. Spontane normale Geburten. Seit
K Jahren häufig auftretende epileptische Anfälle. Seit 1 Jahr
Iluor. Regel ohne Störung, letzte im Januar. Zunehmende 4b-
magerung und Schwäche.
Aufnahme am 20. April in höchst elendem Zustand
Starke Abmagerung und Dyspnoe. Insuffizienz der Mitralis
mit unregelmassiger Herztätigkeit.
Schwangerschaft im 4. Monat. Ausgedehnte Erosion an der
vorderen und hinteren Lippe. Die vordere Erosion zeigt an einer
Stelle speckigen Glanz und scharflinige Abgrenzung geeen das
Portioepithel. Keilförmige Exzisionen. An der hinteren Lippe
handeR es smh um eine einfache Erosion; auf dem sagittaleu
)ui ehschnitt durch die suspekte Stelle des vorderen Keils grenzt
sich ein Abschnitt der Schnittfläche im Bereich der Erosion etwa
re Cm tl<^ d.urS ,eiue blutige Linie gegen das Zervixgewebe ab.
Dieser Abschnitt besteht aus typischem Plattenepithelkrebs mit
stork entzündlicher Reaktionsgrenze gegen das Zervixgewebe und
das plötzlich absetzende Plattenepithel der Scheide. Die Lokali¬
sation spricht für einen, von einer im Bereich der Erosion zurück¬
gebliebenen Plattenepithelinsel ausgehenden Krebs.
Der Zustand der Pat. gestattete erst nach mehrwöchentlicher
ei pflegung eine Operation. Exstirpatio uteri per vaginam ohne
Schwierigkeiten. Verschluss der Bauchhöhle. Tod an eitriger
Peritonitis 3 Tage nach der Operation.
büe Totalexstirpation wurde einer, bei der geringen Aus¬
dehnung des Karzinoms und dem Elend der Frau in Erwägung "e-
zogenen hohen Zervixamputation vorgezogen, um mit der "aus¬
giebigeren Exstirpation des Krebses zugleich die drohenden Ge¬
fahren einer Geburt zu beseitigen.
Jlb Rundzellensarkom des Ovarium von Mannskopfgrösse.
i ,.rjS1.star?“t von eiuer 23 jährigen Virgo, die seit % Jahren das
beständige Wachsen einer Geschwulst im Leibe bemerkte. Regel
normal. In letzter Zeit oft starke Leibschmerzen. Nach der
Untersuchung, bei der der Tumor zu Unterrichtszwecken, bei mit
einer Kugelzange fixiertem Uterus, mehrfach im Leib verschoben
wurde, trat eine _ mehrtägige Temperatursteigerung bis 39,2 mit
c meizen im Leibe ein. Den Grund dafür bildeten Zerreissungen
vieler \ erwachsungen des Tumors mit der Bauchwand etc.
Das normal aussehende linke Ovarium wurde in Anbetracht
des jugendlichen Alters der Pat. zurückgelassen.
Diskussion: Herr Heim.
Herr Graser macht hierauf eingehende klinische Mit¬
teilungen aus dem Gebiet der Gallenblasen- und Magenchirurgie.
Diskussion: Herren Penzoldt, Graser, Rosen¬
thal, Fuchs, Schulz.
Herr Merkel demonstriert als Sektionsbefund ein
kolossales chronisches Magengeschwür mit Arrosion der linken
Vena renalis, wozu Herr Trötsch krankengeschicht-
liehe Angaben macht.
Das weit über handtellergrosse Geschwür zeigt sich begrenzt
nach hinten vom Pankreas und dem retroperitonealen verdick¬
ten Bindegewebe, nach links von dem stark angefressenen unteren
-fol der Milz, nach unten von dem angelöteten Kolon trans-
ver sum, nach rechts von der ersten Jejunalschlinge bezw. dem
Endstück des Duodenums. Im Grunde des Geschwürs findet
sieh die arrodierte Vena renalis sinistra. Im Magen
und Dünndarm enorme Blutmassen; höchstgradige Anämie sämt¬
licher Organe.
Verein Freiburger Aerzte.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 31. Oktober 1902.
.. , Prof- Treupel: 2 Demonstrationen aus dem Ge¬
biete der topographischen. Perkussion (Methodik).
a) Zur Grenzbestimmung der einzelnen Organe ist es durch-
Z d-f “üJels der Pei'kussiou festgestellten Grenzen
auf der Haut mit dem Blaustift (Anilinstift) zu fixieren Nur
AVer es sich zur Regel macht, die gefundenen Grenzen auch jeweils
anzuzeichnen, vermag seine Perkussionsresultate zu kontrollieren.
Line solche Kontrolle ist aber im Verlaufe einer Krankheit bei
jeder Untersuchung geboten. So unbestritten das ist, so sicher ist
auch, dass der Blaustift häufig vergessen oder verlegt wird
Deshalb schien es dem Vortragenden ein glücklicher Gedanke zu
sein den Hammer mit dem Blaustift zu verbinden. Einen solchen
I erkussionshammer hat der Vortragende zum erstenmal vor
Jahresfrist bei Herrn Med.-Iiat Müller (Kenzingen) gesehen,
der sich das praktische Instrument für seinen eigenen Gebrauch
ionstiuieit hatte. Der Blaustift ist in dem Hammer-
s 1 1 e 1 untergebracht und somit auch mit dem Hammer stets zur
stelle. Am zweckmässigsten scheint dem Vortragenden ein Modell
zu sein, bei dem ein flache r Stift in den ausgehöhlten flachen
Hammergriff eingeschoben ist. Zum Gebrauch wird der Stift
herausgezogen und auf das proximale Ende des Hammerstiels
aufgesetzt oder für sich benutzt.
t , Im beigen kann der Hammer natürlich jede der gebräuch¬
lichen hormen haben. Der Vortragende glaubt, das Instrument
empfehlen zu können *).
b) Der Vortragende bespricht kurz die Methode der „per¬
kutorischen Transsonan z“. Die Methode, ein künstlich
erzeugtes Geräusch gleichzeitig zu auskultieren und die dabei
wahrgenommenen Stärke und Charakter des Geräusches zur
Grenzbestimmung zu verwerten, ist fast so alt, wie die
Perkussion selbst (Perkussionsauskultation, Transsonanz; Piorry,
L aen n ec, Z ii 1 z e r u. a.). Zur Erzeugung des zu auskultieren-
den Geräusches demonstriert der Vortragende ein kleines und
handliches zylindrisches Stäbchen, in dessen Innerem das
Geräusch durch Auf- und Abwärtsbewegung eines Kolbens ent¬
steht. — Mas die Methode als solche angeht, so möchte der Vor¬
tragende sie auf keinen Fall höher stellen, als die Grenzbestim¬
mung mittels der gewöhnlichen einfachen Perkussion. Die Per-
kussionsauskultatiou verdient noch am ehesten versucht zu werden
wenn es sich darum handelt, Magen und Darm (speziell Kolon)
von einander zu trennen. Um dagegen Herz-, Leber-, Milzgrenzen
zu bestimmen, bewährt sich am besten die einfache lege
«a r t i s ausgeführte Perkussion. Andrerseits ist die
i erkussionsauskultation bei gleichzeitiger Stäbchen-Plessi¬
meter p e r k u s s i o n (Heubner) bekannt und bewährt, um
die metallklangartigen Erscheinungen (über Pneumo¬
thorax und Kavernen) zur besseren Wahrnehmung zu bringen.
Mit dieser Methode (Stäbcheuplessimeterperkussion und gleich¬
zeitige Auksultation) gelingt es häufig, Magen und Darm von
einander abzugrenzen (Leichtenstern u. aj, indem man
die verschiedene Höhe des Metallklangs verwertet.
2. Herr Prof. Treupel: Zur Behandlung’ der Hemi¬
plegie.
Bis vor wenigen Jahren galt die Pyramidenbahn als die
einzige Himrinden-Rückenmarksbahn motorischen Charakters.
Neuere Untersuchungen haben zur Erkenntnis geführt, dass es
ausser den Py-Bahnen noch andere motorische Lei¬
tungsbahnen g'ibt, die als Ersatz eintreten können. Durch
experimentelle Forschungen wurde ferner erwiesen, dass die
Gehirnhemisphären auch auf die gleichseitigen Körper-
hälften einen motorischen Einfluss gewinnen können. Mit
diesen beiden Tatsachen ist bei der Beurteilung einer zere¬
bralen Hemiplegie zunächst zu rechnen und es ergeben
sich daraus für die Behandlung- neue Gesichtspunkte.
V ir wollen von den partiellen Läsionen der inneren
Kapsel, die klinisch entweder gar keine Erscheinungen machen
(N o thnage 1) oder nur eine vorübergehende Hemiparese im
Gefolge haben, hier ganz absehen. In diesen leichteren und
leichtesten .Fällen übernehmen die intakt gebliebenen Fasern der
I j -Bahn die Beitung- für die etwa zerstörten. Wir nehmen viel¬
mehr für die folgende Betrachtung an, es sei ein vollstän¬
diger Ausfall der motorischen Rindenzentren
einer Seite vorhanden oder es sei die innere Kapsel
vollständig unterbrochen.
11 ier ist nun zunächst möglich, dass die gesunde Hemi¬
sphäre stellvertretend eintritt und auf die gleiche
*) Der Hammer wird von dem Instrumentenmacher Rosset
Freiburg i. B„ in den Handel gebracht.
938 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ No. 46.
Körperseite eineu motorischen Einfluss gewinnt (Morgagni;
Monakow, Probst, Rotlimann u. a.). Diese Art der
Kompensation scheint besonders bei Rindenlähmung
(Ausfall der motorischen Zentren einer Seite)
stattzuhaben. Bemerkenswert ist in dieser Beziehung ein
vielfach in der Literatur zitierter Fäll von Monakow.
Bei einem 12 j ähr. Knaben mit früh erworbener Porenkephalie,
und zwar vollständigem rechtsseitigem Defekt der Zentral¬
windungen, des Operculum und des Lobus paracentralis und fast
vollkommenem Fehlen der zugehörigen Py-Bahn bestand trotz¬
dem nur leichte linksseitige Parese. Die Autopsie ergab neben
dem fast vollständigen Schwund der rechten Py. eine kompen¬
satorisch mächtige Entwicklung der linken.
In solchen Fällen werden die motorischen Impulse, wie
auch experimentell erwiesen ist, durch die gleichseitige
Py - Vorder strangbahn bezw. durch die vordere
Rückenmarkskommissur übertragen. — Andrerseits
ist durch V ersuche von v. Bechterew u. a. an Alfen, durch
H. Munk, Gaule u. a. gezeigt worden, dass eine Neu¬
bildung der motorischen Zentra erfolgen kann und dass
jedenfalls die subkortikalen grossen Gehirn-
ganglien (Sehhiigel, Vierhügel) zur selbstän¬
digen Innervationsbetätigung gebracht wer¬
den können. Durch Vermittlung dieser subkortikalen Ge¬
hirnganglien können ferner, falls die innere Kapsel
einer Seite vollständig unterbrochen ist,
hauptsächlich folgende motorischen Ersatz bahnen
einspringen :
1. Hirnrinde — Sehhiigel — Vierhügel — Monakowsche Seiten-
strangbündel. Diese letzteren gehen dann vom roten Kern der
vorderen Vierhügelgegend aus und verlaufen nach Kreuzung im
ventralen Haubenteil durch die Seitenteile der Brücke und die
Medulla oblongata zum Rückenmark, wo sie im Rückenmark¬
seitenstrang ventral von der Py-Seitenstrangbahn sich bis ins
Sakralmark verfolgen lassen.
2. Hi rnrinde — Sehliügel — V ierhügel — V orderstrangbahnen
(Probst u. a.). Damit wird die getroffene innere Kapsel und
die Pyramidenseitenstrangbahn vollständig vermieden. Ausser
den beiden Hauptersatzbahnen gibt es noch andere Verbindungs¬
wege, z. B. Hirnrinde — Linsenkern- und Hirnrinde — Schweif¬
kernfasern, Balken weg u. s. w., die in Betracht kommen könnten.
Die obengenannten sind aber jedenfalls die wichtigsten.
Neuerdings hat — und das ist ein weiteres Moment, das
mit zu beachten ist — Munch-Petersen wahrscheinlich zu
machen gesucht, dass das Zentrum der Ilautreflex-
bahn in der Grosshirnrinde liegt.
Alle diese neuen Tatsachen und Anschauungen lassen sich
für die Behandlung schwerer Hemiplegien verwerten.
Setzen wir z. B. den Fall einer vollständigen rechts¬
seitigen Hemiplegie durch Zerstörung der linken inneren Kapsel.
Wir fordern jetzt den Kranken auf, die rechte gelähmte Hand
der unsrigen, die sich ihm entgegenstreckt, zu reichen. Diese
Aufforderung gelangt auf dem Wege des Gehörs in die Hör¬
sphäre des Schläfenlappens, auf dem Wege des Gesichts in die
Sehsphäre des Hinterhauptlappens. Von hier wandert auf be¬
sonderen Bahnen (Assoziationssystem) die Erregung zum Arm-
zentrum in der Zentralwindung. Es wird ein Innervationsimpuls
ausgelöst, der in der Py-Bahn bis zur inneren Kapsel gelangt,
hier aber an der Läsionsstelle liegen bleibt. Man kann sich nun
vorstellen, dass es durch immer wiederholte Aufforderung und
Summation der Reize in der Hirnrinde gleichsam zu einer Ueber-
ladung kommt, die sich schliesslich durch Entladung auf einem
Wege ausserhalb der inneren Kapsel Bahn bricht. Dieser
Weg ist nun vor allem die Rinden-Sehhüg elbahn.
Durch ein eigenes Assoziationssystem steht der Sehhügel über¬
dies in direkter Verbindung mit der Sehsphäre im Hinterhaupt¬
lappen und die neuesten Untersuchungen (II. Schütz) haben
ein motorisches Stabkranzsystem gezeigt, das von den bekannten
Zentren des Optikus, Akustikus, Olfaktorius und der Gefühls¬
empfindung ausgeht.
Es kommt also vor allem darauf an, durch Anwendung
geeigneter Reize und tägliche Wiederholung
dieser Reize allmählich eine der obengenannten Ersatzbahn¬
linien, die alle die innere Kapsel umgehen, für den Willensimpuls
gangbar zu machen. Solche Reize sind die Aufforderung, vor-
gemachte Bewegungen willkürlich nachzuahmen (Imitations¬
übungen), Auslösung der Hautreflexe, wenn sie
überhaupt ausgelöst werden können, elektrische Reize
u. s. w.
Um die Eigenschwere der Glieder möglichst auszuschalten,
lässt man zweckmässig die Bewegungsversuche im Bad vor¬
nehmen. Die Bewegungen (passive wie aktive) müssen metho¬
disch gemacht werden und die Aufforderung zu aktiver Be¬
wegung muss bestimmt gegeben werden. Durch Auslösung von
Reflexbewegungen in dem gelähmten Gliede, durch geeignete
Anwendung des elektrischen Stromes zeigt man dem Kranken,
dass sich die Muskeln des gelähmten Gliedes noch bewegen kön¬
nen, damit er Hoffnung und Vertrauen bekommt. Denn diese
ganze Behandlungsart, die sich über längere Zeiträume erstrecken
muss, erfordert vor allem Geduld, Verständnis für das, was er¬
reicht werden soll, und Ausdauer von seiten des Patienten. Die
passiven Bewegungen wiederholt man auch bei geschlossenen
Augen des Patienten, um sein Gedächtnis für die jeweilige
Bewegung aufzufrischen. Die aktiven Bewegungen lässt man
schliesslich gegen einen jeweils abzustufenden Widerstand aus¬
führen. Zweckmässig ist es auch, synergische Bewegung mit
beiden Extremitäten vorzunehmen. Sobald die Bewegungen
einigermasson geraten, geht man, um die Koordinationsbahnen
noch weiter einzufahren, zu den Verrichtungen des täglichen
Lebens über (Waschen, Kämmen, Ankleiden).
Auch die motorische Aphasie, wobei nur die Worte,
nicht die Begriffe fehlen, ist einer solchen Uebungstherapie zu¬
gänglich. Hierbei, wie auch bei den F azialisparesen, lässt man
die Uebungen vor dem Spiegel machen. Alle die geschilderten
Hebungen sollen mehrmals im Tage, jeweils aber nur kurze Zeit
vorgenommen werden. Dazwischen grosse Erholungspausen.
Der Zeitpunkt, wann man überhaupt mit den Uebungen
beginnen soll, ist schwankend je nach der Schwere der Be¬
gleiterscheinungen. Im allgemeinen soll man nicht zu lange
damit warten: etwa am 4. Tage, nachdem das Sensorium wieder¬
gekehrt ist, beginne man, zunächst nur ganz kurz und zart mit
passiven Bewegungen, Auslösung von Reflexen und Anwendung
der Elektrizität. Fängt dann der Kranke mit eigenen Be¬
wegungsversuchen an, so lasse man sich nicht durch anfäng¬
liche Misserfolge abschrecken. Andrerseits darf man
auch nicht erwarten, dass ein Hemiplegiker nach einigen Wochen
wie ein Gesunder davonspringen kann. Davon ist keine Rede.
Aber wenn man bedenkt, dass der erfahrene Cliarcot vor
25 Jahren noch den Satz auf stellen konnte, „bei einem Herd
in der inneren Kapsel bleibt, sofern der Kranke überhaupt mit
dem Leben davon kommt, stets eine Lähmung mit unheilbarer
Kontraktur zurück“, so wird man die verhältnismässig g-uten
Resultate, die sich heute bei Anwendung der beschriebenen
Massnahmen allermeist erreichen lassen, wohl zu würdigen
wissen (Rotlimann, Kohnstamm, P. Lazarus u. a.).
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 30. September 1902.
Vorsitzender : Herr F raenkel.
Schriftführer : Herr Otto.
Herr Fraenkel: M. H. ! Ehe wir unsere gewohnte Arbeit
wieder aufnehmen, ist es mir ein tief empfündenes Herzens¬
bedürfnis, dem, wie ich annehme, auch Ihnen allen innewohnen¬
den Schmerz Ausdruck zu verleihen über den Verlust, welchen
nicht nur wir Aerzte dieser, rein wissenschaftliche Zwecke ver¬
folgenden Vereinigung und nicht nur die gesamte Aerzteschaft
Hamburgs, sondern mit uns die Mediziner aller Kulturstaaten
durch das am 5. d. Mts. erfolgte Ableben Rud. Virchows
erlitten haben. Es wäre vermessen von mir und würde mir
schlecht anstelien, wenn ich von dieser Stelle aus auf eine Wür¬
digung der unsterblichen Verdienste Rud. Virchows um die
medizinische Wissenschaft eingehen wollte. Die weltumspannende
Trauer, welche bei dem Tode dieses Geistesheroen so offenkundig
zu Tage getreten ist, legt beredtes Zeugnis ab von der Unermess-
lichkeit und Unersetzlichkeit des Verlustes, den sein Heimgang
für uns alle bedeutet. Und in der Tat, unübertroffen, ja uner¬
reicht stand er da durch die Tiefe und Universalität seines
Wissens. Solange die Menschheit von Krankheiten befallen und
18. November 1902.
MTTEN CIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
solange wissenschaftliche Medizin gelehrt werden wird, wird sein
Flame weithin strahlenden Glanz verbreiten wie zu Lebzeiten
des Trägers.. Denn picht gering ist die Zahl der Krankheiten,
die Rud. Virchow entdeckt, grösser noch die Zahl derer, die
er unserem Verständnis näher gerückt hat. Unauslöschlichen
Dank schuldet ihm jeder einzelne von uns, denn wir alle stehen
im Banne und unter dem Einfluss seiner Lehren, welche be¬
fruchtend auf alle Zweige der medizinischen Wissenschaft ge¬
wirkt habeii. So wird er fortleben in unser aller Herzen als
unerreichtes Vorbild eines idealen Forschers, welcher furchtlos
und unentwegt für die Freiheit unserer Wissenschaft und un¬
seres Berufes gekämpft und der Medizin des 19. Jahrhunderts
den Stempel aufgedrückt hat.
Ich bitte Sie, sich zu Ehren des Andenkens des grossen
Toten von Ihren Plätzen zu erheben. (Geschieht.)
Herr Petersen: Mikroskopische Demonstration der Glan¬
dula parathyreoidea (Epithelkörperchen) des Menschen.
Einleitend berührt Vortragender kurz die Literatur des Organs
und die Tierversuche, durch die die funktionelle Bedeutung der
Drüse festgestellt sei.
An der Hand der mikroskopischen Präparate bespricht er die
Anatomie des konstant und paarig am hinteren Rand der seitlichen
Schilddrüsenlappen auftretenden Organs.
Nach der Lage desselben unterscheide man „innere Epithel¬
körperchen“. die im Parenchym der Schilddrüse liegen, und „äus¬
sere Epithelkörperchen“, die wiederum innerhalb der Schilddrüsen¬
kapsel und ausserhalb derselben liegen können. Weiterhin weist
Vortragender auf die epitheliale Beschaffenheit und auf die An¬
ordnung und die verschiedenen Arten der Epithelzellen des Organs
hin und glaubt daraus den drüsigen Charakter der Glandula para¬
thyreoidea ableiten zu können.
Herr Simmonds demonstriert einen Magen mit gleich¬
zeitiger krebsiger Striktur der Kardia und des Pylorus.
Bei dem 43 jährigen Manne sollte wegen Oesophagusverenge-
rung eine Magenfistel angelegt werden. Hierbei fand sich der
Magen sehr weit und ein zweiter Tumor am Pylorus, so dass eine
Duodenalfistel zur Nahrungsaufnahme notwendig wurde. Bei der
Sektion fand sich einmal eine krebsige Striktur des untersten
Teils des Oesophagus und der Kardia. Der Magen selbst war weit,
dünnwandig. Am Pylorus fand sich ein zweites, ringförmiges,
strikturierendes Karzinom. Beide Krebse waren Plattenepithel¬
krebse und da der Kardiakrebs als der primäre aufzufassen wai\
lagen zwei Möglichkeiten vor. Es handelte sich entweder um
Verschleppung der Kerne durch Implantation in die Schleimhaut
des Pylorus oder um Transport durch Lymphbahnen. Dass Krebs¬
keime durch Verschlucken in den Digestionswegen verbreitet wer¬
den können, sieht man gelegentlich bei dem Auftreten sekundärer
Tumoren im unteren Teil der Speiseröhre und im Magen neben
zerfallenden Krebsen des Gesichts, Mundes und Rachens. In
diesem Falle war der Transport indes durch die Lymphbahnen
erfolgt, die «als ganz feine Fäden auf der Serosa der kleinen Kur¬
vatur zu verfolgen waren. Auch mikroskopisch Hessen sich
Krebselemente in den scheinbar intakten Abschnitten der Magen-
wandung nachweisen.
Herr Weich a. rdt hält seinen angekündigten Vortrag:
lieber Zellgifte und Schutzeinrichtungen des Organismus. (Der
Vortrag ist in No. 44 d. Wochensehr, erschienen.
Diskussion: Herr Pappenheim fi*agt, ob Aussicht
vorhanden ist, dass gegen das Karzinom ein Antitoxin hergestellt
werden könne, ferner ob die Herstellung eines die Konzeption ver¬
hindernden Spermatotoxins möglich sei.
Herr W e i c h a r d t hält die Herstellung solcher Antitoxine
zwar nicht für ausgeschlossen, doch seien die Aussichten dafür
gering.
Herr Fraenkel: Untergang von Karzinomzellen durch re¬
gressive Metamorphose kommt an vielen Karzinomen vor, d. h.
also eine herdweise spontane Rückbildung. Niemals ist dieser
Vorgang aber so ausgedehnt, dass man von einer Heilung der
betreffenden Krebse sprechen könne.
Naturhistorisch-Medizinischer Verein Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 29. Juli 1902.
1. Herr Sack: Demonstration zweier Fälle von Lupus.
Diskussion: Herren Petersen, Völker, Sack.
2. Herr G i e r k e : Ueber Knochentumoren mit Schild¬
drüsenbau.
Ausgehend von 2 demonstrierten Fällen typischer Kom¬
pressionsmyelitis, die durch Wirbel tumoren mit dem aus¬
gesprochenen Baue einer Struma colloides verursacht waren, bei
denen die Schilddrüse ohne klinische oder anatomische Maligni¬
tät war (in dem einen Falle unverdächtige strumöse Vergrösse-
rung, in dem anderen normale Grösse, mikroskopisch leichte
1939
interfollikuläre Wucherung und ein kleiner Adenomknoten), be¬
spricht Vortragender ähnliche Fälle aus der Literatur, die mit
den verschiedensten Auffassungen über Wesen und Genese ver¬
öffentlicht sind. Da derartige Geschwülste auch als Lymphangio-
sarkome oder dergleichen beschrieben sind, hat Vortragender
als Stütze für ihre Schilddrüsennatur in beiden Fällen mit posi¬
tivem Erfolge den chemischen Jodnachweis geführt. Der am
häufigsten vertretenen Auffassung dieser Knochentumoren als
Metastasen' eines nach Wachstum und Bau latenten Schilddrüsen¬
karzinoms stellten sich derartige Schwierigkeiten entgegen, dass
Vortragender sie für sehr unwahrscheinlich hält, da die Er¬
fahrungen sowohl bei echten Schilddrüsenkarzinomen wie bei
allen übrigen malignen Tumoren mit ihrer Verbreitungsweise
nicht übereinstimmen. Und als maligne sind diese Geschwülste
trotz ihres anscheinend benignen Baues zu betrachten, da die
wesentlichsten Kriterien der Malignität, das destruierende
Wachstum und die Metastasenbildung ihnen innewohnen. Ihre
Sonderbarkeiten würden am besten durch ein Malignewerden
von Schilddrüsenzellen, die in den Knochen gelangt sind, erklärt.
Da dieses Hineingelangen durch Keimversprengung aus-
zuschliessen ist, unterzieht Vortragender die Möglichkeit eines
sekundären Malignewerdens von durch den Säftestrom ver¬
schleppten Schilddrüsen- oder Strumazellen einer Kritik und
kommt zu dem Resultat, dass die Tatsachen der Parenchymzellen¬
embolie einerseits, der gelungenen Transplantationen andererseits
diese Möglichkeit nicht als ausgeschlossen erscheinen lassen, ob¬
wohl ein direkter Beweis dafür nicht erbracht ist und auch
schwer zu erbringen sein wird. (Erscheint ausführlich in
Virchows Archiv.)
3. Herr W. Hoffman n: Zur Tuberkuloseverbreitung in
Baden.
Gestützt auf ein umfangreiches statistisches Material gibt
Referent ein Bild von der Verbreitung der Tuberkulose in den
Amtsbezirken Badens und deren ätiologischen Momenten und ge¬
langt zu folgenden Schlüssen:
1. Mit zunehmender Erhebung über den Meeresspiegel sinkt
die Tuberkulosemortalität der Bewohner. Dieses Absinken wird
gesteigert: a) durch den häufigeren Betrieb von Landwirthschaft
in grösserer Höhe; b) vielleicht durch geringere Volksdichte;
e) durch im einzelnen nicht eliminierbare Faktoren, die mit dem
geographischen Höhenbegriff in direktem Zusammenhang stehen,
über deren Art aber noch zu wenig bekannt ist.
2. Für den Einfluss bestimmter Berufsarten auf die Schwind¬
suchtsmortalität der Gesamtbevölkerung kommt in Betracht:
a) ihi’e prozentuarische Beteiligung an der Zusammensetzung der
Bevölkerung ; b) die Zusammensetzung der betr. Berufsart aus
Erwerbstätigen — wobei eine ausgedehnte Erwerbstätigkeit der
Frauen im allgemeinen einen Nachteil bedeutet — und nicht im
Beruf beschäftigten Angehörigen; c) Schädigung durch den Be¬
ruf oder vermehrte Infektionsgefahr auf dem Arbeitsplatz. — •
Im Allgemeinen zeigt sich Zunahme der Tuberkulosemortalität
mit Zunahme der Industrie und mit Abnahme der Landwirt¬
schaft.
3. Kein Einfluss konnte auf statistischem Wege nach¬
gewiesen werden für Armut, Ernährungsweise, Alkoholkonsum.
Doch ist hier noch eine Kontrolle der verwandten Zahlen im
Detail abzuwarten.
4. Ein Gegensatz in der geographischen Verbreitung besteht
zwischen Krebs und Tuberkulose, indem sich letztere in Nord¬
baden zu hohen Mortalitätszahlen aufschwingt, während der
Krebs in Süden bedeutendere Zahlen erreicht.
5. Ein Einfluss einer verschiedenen Stammesdisposition ist
wahrscheinlich, doch exakt einstweilen noch nicht nachzuweisen.
(Die Arbeit wird ausführlich publiziert werden.)
Diskussion: Herren W i 1 s e r, Hoffman n.
Aerztlicher Verein München.
(OffizieUes Protokoll.)
Sitzung vom 22. Oktober 1902.
Prof. Dr. Bollinger: Heber einen seltenen Fall von
Akt.inomykose des Knochens. (Wird später in dieser Wochen¬
schrift veröffentlicht.)
Als Ergänzung des pathologisch-anatomischen Befundes gibt
Herr C. S e y d e 1 folgende Daten aus dem Verlaufe der Erkran¬
kung:
1940
No. 46.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Der nunmehr 06 Jahre alte Herr erlitt im Alter von 11 Jahren
einen Hieb mit einer Hake auf den linken Fuss. Es entstand eine
Wunde, welche 3 Wochen eiterte. Nun kommt eine Pause von fast
50 Jahren, während welcher Patient Cholera, Wechselfieber,
Typhus, Brustfellentzündung und eine Gelbsucht durchmachte.
Das Leiden am Fuss nahm vor 10 Jahren wieder seinen Anfang
unter den Erscheinungen von Gicht im Lisfranc- und Clio-
p a r t sehen Gelenk mit bedeutender Beteiligung der Venen am
Fussriieken. Später konnte man eine Verdickung der Mittelf uss-
knochen und eine Diastase derselben konstatieren. Der betr.
Herr konsultierte eine Reihe hiesiger Aerzte und ich glaube fast
alle hiesigen Chirurgen. Es wurde chronische infektiöse Osteo¬
myelitis, Tuberkulose der Knochen und auch Syphilis diagnosti¬
ziert. Der Umfang des Fusses und damit die Schmerzhaftigkeit
nahm immer mehr zu. An mehreren Stellen brach am Fuss-
rücken der Fuss auf, es entleerten sich einige Tropfen blutig¬
eitriger Flüssigkeit, dann schloss sich die Wunde wieder mit
Hinterlassung von livide verfärbten Narben.
Die Amputation, welche dem Patienten schon Jahre lang von
den verschiedensten Seiten vorgeschlagen war, wurde erst zu¬
gegeben, als es dem Patienten unmöglich wurde, den Fuss über¬
haupt noch irgendwie zu gebrauchen.
Die Operation wurde mit Lappenschnitt gemacht und verlief
der Heilungsprozess ohne irgend welche Komplikation.
Sie alle, m. H., können sich unser Erstaunen denken, als mir
Herr Prof. Bollinger die Güte hatte mitzuteilen, dass es sich
um Aktinomykose handle.
Herr Fr. Lange: Ueber Plattfussbeschwerden. (Mit
Demonstration von neuen Einlagen.)
Der Vortrag erscheint später in extenso in dieser Wochen¬
schrift. Eine Diskussion fand nicht statt.
Die durch den Vorsitzenden neuerdings angeregte Frage der
Gründung eines Pettenkof er - Hauses wurde lebhaft auf¬
genommen und zunächst einstimmig beschlossen, dass der ärzt¬
liche Verein dem Projekte näher treten wolle. Zunächst wurde
zur Einleitung praktischer Schritte eine Kommission eingesetzt.
Schliesslich sprach Herr Hecker über die sogen. Ab¬
härtung der Kinder.
Der Vortrag ist an anderer Stelle dieser Nummer abgedruckt.
l'm übrigen war die Sitzung durch Interna des Vereines
(Ernennung neuer Ehren- und korrespondierender Mitglieder,
Neuwahl des Vorstandes) beansprucht.
Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in
München.
Herr R. Schneider: Ueber die bakterizide Wirkung
des Blutserums bei der Phosphorvergiftung. (Auszug aus einem
Vortrag, gehalten in der Sitzung vom 4. Februar 1902.)
M. II. ! In ihrer vierten Mitteilung „über Hämolysine“ ')
führen P. E. Ehrlich und Mo r genrot h die interessante
Tatsache an, dass das Blutserum von Kaninchen, welche mit
Phosphor vergiftet wurden, seine bisher bestehende Lösungskraft
für Meerschweinchenblutkörperchen verliere, es sich also wie
ein durch Erwärmen auf 55 0 inaktiviertes Serum verhalte.
Diese Beobachtung, welche obige Autoren auf eine Schädigung
der das Komplement, d. i. das Alexin liefernden Zellgebiete
durch den Phosphor zurückzuführen geneigt sind, unterzog ich
einer nochmaligen Prüfung und versuchte festzustellen, ob bei
der durch Büchner nachgewiesenen Identität der globuli-
ziden und bakteriziden Aktion des Blutserums auch die bak¬
terizide Wirksamkeit unter dem Einfluss der Phosphorvergiftung
eine Veränderung erfahre.
Zu den Versuchen wurden möglichst kräftige Kaninchen
verwendet. Der Phosphor wurde den Tieren, in Oleum olivarum
gelöst, in Dosen von 0,002 — 0,01 g per os gegeben. Die Em¬
pfindlichkeit der Kaninchen dem Phosphor gegenüber ist sehr
verschieden; während die einen erst nach relativ grossen Gaben
der Vergiftung erlagen, verursachte bei anderen eine kleine
Menge bald heftige Krankheitssymptome und den Tod.
Bei dem ersten Versuche erhielt ein Kaninchen an 4 auf¬
einanderfolgenden Tagen je 0,0055 g Phosphor, am 5. Tage
wurde ihm Blut entzogen und sein Serum auf seine globulizide
und bakterizide Wirksamkeit geprüft. Es konnte zunächst in
TJebereinstimmung mit obigen Autoren konstatiert werden, dass
das Serum seine vorher bestehende kräftige, auflösende Wirk¬
samkeit auf Meerschweinchenblutkörperchen verloren hatte.
Ebenso war auch die bakterizide Aktion aufgehoben, die Bak¬
terien vermehrten sich in dem aktiven Serum des vergifteten
Tieres in gleicher Weise, wie in dem inaktivierten Serum, das vor
der Phosphorverabreichung gewonnen war. Nachdem dasselbe Tier
hierauf 7 Tage keinen Phosphor erhalten hatte, wurde mit seinem
Blutserum wieder ein globulizider und bakterizider Versuch an¬
gestellt, und es zeigte sich, dass die Alexinwirkung so gut wie
ganz wieder vorhanden war. Alsdann wurde bei dem Tiere nach
weiterer 7 tägiger Phosphorapplikation eine letzte Blutentziehung
vorgenommen uud der Wiederverlust der aktiven Eigenschaften
festgestellt. Es wurde der Versuch an einer Reihe Kaninchen
wiederholt, doch gelang es nie wieder, in so eklatanter Weise die
Aufhebung der Wirksamkeit des Blutserums zu erzielen. Hie
und da war eine Verlangsamung der Hämolyse nicht zu ver¬
kennen, eine deutliche Beeinträchtigung der bakteriziden Wir¬
kung trat nicht mehr zu Tage. Es wurden Tiere genau nach der
Angabe von Ehrlich und Morgenroth mit einer solchen
Dosis vergiftet, dass sie nach 3 Tagen zu Grunde gingen, bei
anderen wurde durch kleinere Mengen ein langsamerer Verlauf
der Vergiftung bewerkstelligt, die Zeit der Blutentnahme wurde
variiert, ohne dass ein zweitesinal das Pehlen des Alexius zu
beobachten war.
Bei allen vergifteten Tieren fiel eine Verlangsamung der
Gerinnung des Blutes auf und die Sektion ergab das typische
Bild der Phosphorvergiftung. Als einziger Unterschied zwischen
dem Blut, das trotz der Phosphorgaben globulizid und bakterizid
blieb, und demjenigen des ersten Versuchstieres fiel die Ver¬
schiedenheit der Farbe des Serums auf. Das Serum, welches
seine Wirksamkeit verloren hatte, war leicht grünlich gefärbt
und gab Gallenfarbstoffreaktion. Dieser Umstand liess den Ge¬
danken auf kommen, dass das Vorhandensein von Galle im Blute
das die Aktion des Serums hemmende Moment bilde.
Es wurde daher zu dem Serum eines vergifteten Tieres,
welches vor und nach der Phosphorverabreichung kräftige Alexin-
wirkung zeigte, soviel von der steril entnommenen Galle zugesetzt,
bis die grünlich-gelbe Nuance jenes unwirksam gewordenen
Serums ereicht war. Hierdurch hatte das Serum seine Fähig¬
keit, globulizid und bakterizid zu wirken, fast gänzlich eingebüsst.
Weitere Versuche, bei denen normales Kaninchenserum mit
normaler Kaninchengalle versetzt wurde, Hessen den gleichen
Einfluss der Galle auf die Wirksamkeit des Alexius erkennen.
Wie beim Kaninchenserum wirkt auch beim Hunde- und Rinder¬
serum Gallenzusatz hemmend auf die Entfaltung der globuli-
ziden und bakteriziden Aktion. Während nun die Paralysierung
der bakteriziden Kraft des Serums durch entsprechende Mengen
von zugesetzter Galle eine totale ist, gelang dies hinsichtlich
der globuliziden nur teilweise. Bis zu einem gewissen Mischungs¬
verhältnis wirkt die Galle hemmend auf die Hämolyse; wird
dann noch mehr Galle hinzugesetzt, so begünstigt diese, welche
für sich allein ein kräftiges, Blutkörperchen auf lösendes Mittel
ist, die Hämolyse. Um eine etwaige anti fermentative Wirkung
der Galle auf das Alexin ausschliessen zu können, wurde bei
einer Anzahl Versuche die Galle vorher eine Stunde lang auf
57 0 erwärmt, doch liess sich auch so ihr paralysierender Ein¬
fluss erkennen.
Fasst man das Resultat der mitgeteilten Versuche zusammen,
so ergibt sich folgendes : Bei mit Phosphor vergifteten Kaninchen
kann ebenso wie die globulizide auch die bakterizide Wirksam¬
keit des Serums herabgesetzt oder aufgehoben sein; in der Regel
ist es jedoch nicht der Fall. Wenn auch nicht behauptet werden
soll, dass der Uebertritt von Galle in das Blut die alleinige Ur¬
sache für die Herabsetzung der Wirksamkeit des Serums — da,
wo diese bei Phosphorverg-iftung auftritt — ist, so spielt er
jedenfalls eine wichtige Rolle dabei. Die .Galle gesunder Ka-
niuchen, Hunde und Rinder, zu ihrem Serum hinzugefügt, hemmt
die globulizide und bakterizide Wirksamkeit desselben. Die Tat¬
sache, dass bei der Phosphorvergiftung und bei Zusatz von Galle
zu normalem Serum die Aktivität des Blutes in gleicher Weise
beeinflusst werden, ist ein neuer Beweis für die Identität der¬
selben.
Ist es erlaubt, von diesen Experimenten am Tiere auf die
Verhältnisse beim Menschen zu schliessen, so würde eine Er¬
klärung dafür gegeben sein, warum der durch den Uebertritt
von Galle ins Blut bedingte Ikterus dem Entstehen infektiöser
Prozesse Vorschub leistet und sein Auftreten bei solchen als ein
die Prognose trübender Faktor anzusehen ist.
fl Berl. klin. Wochenschr. 1900, No. 31.
18. November 1902.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 12. November 1902.
LL,‘1 1 ,v* ?F a,n s e m a n n: Demonstration eines Präparates
von Herma diaphragmatica.
Tagesordnung :
Herr v. Bergmann, Exz.: Zur Behandlung des trau¬
matischen arteriell-venösen Aneurysmas. (Mit Krankenvor-
vorstellung.)
Von dieser Affektion, welche meist nach Stich- oder Schuss¬
verletzung entsteht, hat Vortr. 3 Fälle operativ geheilt. Er be¬
spricht zunächst kurz die klinischen Erscheinungen: Auftreten
einer bald mehr diffusen, bald mehr zirkumskripten Ge¬
schwulst, das meist sehr ausgesprochene Schwirren,
welches auch in Diastole nicht ganz aufhört, das Sausen, das
auch zentralwärts sich fortpflanzt, Erweiterungen der
Venen, Schmerz und Unfähigkeit längeren
Gehens. Vortr. geht dann auf die theoretischen und durch
Leichenversuche bestätigten Anschauungen des Kriegsmini-
steiiums ein, wonach das moderne Geschoss viel Blutungen auf
dem Schlachtfelde erwarten lassen sollte, da es vielfach die Ge-
fässe nicht vollkommen trennt, sondern eine Brücke stehen lässt,
welche die Retraktion und damit die Blutgerinnung erschwert.
Diese Erwartungen wurden durch die Erfahrungen im letzten
Kriege nicht bestätigt. Dagegen wird die Ansicht, die man
ebenfalls aus obigen Experimenten ableiten kann, bestätigt, näm¬
lich dass sich im Anschlüsse an die Verletzung durch das mo¬
derne Geschoss viele Aneurysmen bilden. Die englischen
und deutschen Chirurgen berichten übereinstimmend von enorm
vielen Aneurysmen im südafrikanischen Kriege. Wieviele in den
Statistiken davon arteriell, wieviel venös, lässt sich aus den
Mitteilungen nicht entnehmen. In einer Tabelle finden sich
10 Arteriovenöse. Ein solches, ebenfalls aus dem südafrikanischen
Kriege stammendes, hat Vortr. operiert. Einer der Helden
dieses Krieges, Herr Andreas Dewet, der im Saale an¬
wesend ist (und sich vorstellen lässt), hatte im Anschlüsse an
einen Schuss durch den Oberschenkel ein Aneurysma arterio-
venosum bekommen, das v. B. durch Exstirpation des
Sackes, doppelte Unterbindung und Durch¬
schneidung von Arteria und Vena femoralis
zur Heilung bringt.
Diese Methode scheint die besten Resultate zu geben.
Der zweite Fall betraf einen Offizier, der durch Unglücks¬
fall durchs Bein geschossen wurde und ein Aneur. arterioven.
zurückbehielt. Gleiches Verfahren führt ebenfalls zur vollkom¬
menen Heilung.
Im dritten Fall war 10 Jahre nach einem im Duell erhaltenen
Pistolenschuss ein Aneur. arterioven. aufgetreten. Hier, wie in
Fall 2, war die Operation durch feste Verwachsungen sehr er¬
schwert; ausserdem bestanden hier Varizen von grosser Aus¬
dehnung. Exstirpation führte zu völliger Heilung des Aneu¬
rysmas und Verschwinden der Varizen.
Herr Leo Hirschlaff: Ein Heilserum zur Bekämpfung*
der Morphiumvergiftung und ähnlicher Intoxikationen. Vor¬
läufige Mitteilung.
Vortr. bestreitet die Richtigkeit der E h r 1 i c h sehen An¬
sicht, dass gegen Alkaloide keine Immunisierung stattfinde. Er
habe durch steigende Morphiumgaben bei Kaninchen und noch
mehr bei Mäusen ein Serum gewonnen, welches auf die akute
Morphiumintoxikation günstig einwirkt. IL. Koh n.
Unterelsässischer Aerzteverein.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom S. November 1902.
Herr Ledderhose demonstriert eine operativ entfernte
Geleiikmaus des Ellenbogengelenkes, welche abgesprengte Knor¬
pelteile des Radius und der Ulna einschliesst.
Herr Alb. Brian schildert die Vorteile der Kompressions¬
blende von Albers-Schönberg bei der Röntgenphoto¬
graphie. Durch Abblenden der peripheren, tangierenden Strahlen
uad Verwendung nur der focalen bei Kompression der Weich¬
teile über dem Objekt, z. B. des Abdomens, der Muskulatur und
des Fettgewebes über dem Hüftgelenk etc. werden wesentlich
schärfere Aufnahmen möglich. Von dem Sakroiliakalgelenk, wie
dem Hüftgelenk werden ausgezeichnete Röntgenaufnahmen de¬
monstriert. Auch pathologische Steine — Blase, Niere, Gallen-
1941
blase — versprechen mit dieser Kompressionsblende positive Auf¬
nahmen.
Diskussion: Herr Kraft zeigt Aufnahmen des
Niere ns c batten s, welche so erzielt eine gute Beurteilung
der Grösse der Niere erlauben.
Herr Ehret stellt einen Kranken mit Claudication inter-
mittente vor. Derselbe hat schon seit Januar 1900 keinen Puls
mein . in dei linken A. cruralis, sowie in den tiefer liegenden
Arteiien. trotzdem kann Patient, der Koch ist, seinen Beschäfti¬
gungen, die ihn viel zum Gehen und Stehen zwingen, seit einem
Jahre in vollem Masse wieder nachkommen. Er hat infolge der
Gangrän, die sich im Verlaufe der ersten Monate nach Verschwin¬
den des Pulses einstellte, nur die 4 letzten Zehen des linken Fusses
verloren, ln grösseren Zeiträumen nun treten bei diesem Patien-
ten 1 — 24 Stunden andauernde Beschwerden ein, die ihm das Gehen
fast unmöglich machen, und nur unter bedeutendem Hinken er¬
lauben. Patient schildert diese Beschwerden als diffuse kaum
schmerzhafte Empfindungen. Zur Zeit dieser Anfälle hat’ E Be¬
sonderheiten nicht feststellen können, nur dass das linke Bein sich
vielleicht noch kühler anfühlt als sonst. Die Krankheit selbst
hatte mit ileusartigen Erscheinungen, die ungefähr 6 Tage an¬
hielten ganz plötzlich begonnen. Die Ileuserscheinungen schwan¬
den ohne Operation. E. ist geneigt, dieselben auf eine gleichzeitige
Embolie einer A. mesenterica zurückzuführen, die jedoch ohne
Darmgangrän verlief.
Herr Lentz - Metz (als Gast) spricht über einen Fall von
Meckel schein Divertikel mit Okklusionserscheinungen.
Patient unter den Symptomen des Darm Verschlusses erkrankt
wurde am 3. Tag operiert. Die Laparotomie ergab: Vom Ligamen¬
tum hepato-duodenale zog ein fester Strang zu einem derben,
kleinen Tumor rechts an dem Colon ti*ansversum und von hier zuni
Gipfel des Uterus. Von dem kleinen Tumor aus, resp. von dem
Colon transversum erstreckte sich eine magenförmige, prall ge¬
füllte Cyste zunächst nach rechts, dann mit medial konkavem
Bogen nach unten, um mit dünnem Fortsatz am Gipfel der Blase
rechts zu inserieren. Durch Zug am Querkolon war der Ileus be¬
dingt. Beim Anschneiden entleerte die Cyste klaren Inhalt. Vor¬
tragender deutet sie als nach Abschnürung an der Ausgangsstelle
vom Kolon cystisch entartetes Meckel sches Divertikel.
Diskussion: Herr v. Recklinghausen vermag den
Charakter der Cyste nicht mit Sicherheit festzustellen. Durch
die Entfernung der I lüssigkeit nach der Operation wurde ein
Urteil noch schwieriger.
Der Strang vom Ligamentum hepato-duodenale zur Ausgangs¬
stelle des Meckel sehen Divertikels hatte letztere abgeschnürt
und inseriert hier an mehreren kleinen, festen Tumoren, um
weiterhin zum Uterus verlaufend, vielleicht sich zusammensetzt
aus dem Ligamentum teres und einer Adhäsion zwischen Diver¬
tikel und Uterus. Die Cystenwand enthält nichts, was für Darm¬
wand spricht, an der Innenfläche ist sie stark pigmentiert und
zeigt einzelne kleine Tumoren in der Wand. Nur die kleine Aus¬
stülpung des Kolons, wo die Cyste ansitzt und in der Umgebung
mehrere solide Tumoren sich finden, ist darmähnlich. Der ganze
Tiirnor dürfte als Cystosarkom oder besser Enterokystom zu be¬
zeichnen sein, welcher genau an der gewöhnlichen Stelle der
Meckel sehen Divertikel entstand.
Herr Zimmermann betont, dass durch das Meckel sehe
Divertikel auf zwei ganz verschiedene Weisen Ileus bedingt wer¬
den kann. Einmal kann sich dasselbe wie der Appendix entzün¬
den und so Ueussymptome hervorrufen, andererseits kann es durch
Zug und Abschnürung mechanischen Darmverschluss bewirken.
Herr v. Recklinghausen: Noch ein dritter Modus
kommt vor. Ohne Entzündung oder Abschnürung bewirkt das
Divertikel Drehung des Kolons und damit dessen Verschluss.
Herr Gunsett bespricht die Aetiologie des Lupus
erythematosus.
Ein Fall von sehr ausgebreitetem L. e. zeigte bei der genaue¬
sten Sektion keine Spur von tuberkulösen Prozessen. Die Lehre
von der ätiologischen Bedeutung der Tuberkelbazillentoxine fin¬
den L. e. ist in keinem Falle bewiesen. (Erscheint in d. W.)
Herr W o 1 f f empfiehlt das Hermophenyl als ausgezeichnet
lösliches Quecksilberpräparat sowohl zur Syphilisbehandlung, wie
zur äusseren Desinfektion. Seine starke Wirksamkeit und geringe
Schmerzhaftigkeit empfehlen es dem Syphilidologen, seine ener¬
gisch desinfizierende Wirkung bei vollkommener Reizlosigkeit zur
energischen Desinfektion.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 31. Oktober 1902.
Herr Richard Adler: Die therapeutische und diagnostische
Verwendung des Tuberculinum vetus Kochii.
Veranlasst durch den bekannten Artikel von Go et sch und
durch dessen glänzende Erfolge bei Anwendung des Tuberkulins
hat sich Herr Adler seit % Jahren mit der Literatur und Praxis
dieses Mittels beschäftigt. An 20 Fällen konnte er die vollkom¬
mene Ungefährlichkeit des Medikamentes einerseits und den ge¬
waltigen, auffallenden symptomatischen Nutzen andererseits kon¬
statieren und hofft auch Dauererfolge erzielen zu können. Es
wurden nur fieberlose Kranke gespritzt — Fiebernde vorher erst
entfiebert — es wurde mit kleinen Dosen, 0,00001 — 0,00005, be¬
gonnen und allmählich, möglichst ohne eine Reaktion zu erzielen.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1942
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
bis auf grosse Dosen (1,0) reines Tuberkulin gestiegen; anfangs
wurde 1 mal, später 2 mal wöchentlich injiziert. Die Besserungen
waren in die Augen springend, insbesondere die chronischen Pro¬
zesse wurden — ohne dass die übrigen Bedingungen geändert
würden — rapide gebessert. Adler hält das Mittel für absolut
gefahrlos und wünscht auch dessen häufigere Anwendung behufs
Sicherung der Diagnose. Dr. O. Y. W.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Societe de Therapeutique.
Augustsitzung.
Die Quecksilberinjektionen bei der Behandlung der Syphilis.
Bered de hebt als erster Berichterstatter über diese Frage
die Vorzüge des Ol. cinereum hervor, welches er für das
energischste Mittel hält. Er wendet dasselbe auch ohne vorhan¬
dene Erscheinungen als eine Art intermittierender Kur immer
<> Wochen hindurch an und lässt dann 6 Wochen lang wieder aus¬
setzen. Wenn Anzeichen für irgendwie abnormen Verlauf der
Syphilis vorhanden sind, so ersetzt er das graue Oel durch Kalomel
in hohen Dosen (0,1 pro Woche). Die Zahl der Behandlungs¬
perioden wechselt hier und bald fährt er mit der fortgesetzten
Anwendung von grauem Oel regelmässig weiter, bald geht er zu
einem anderen Quecksilberpräparat über. B. hält es jedoch im .all¬
gemeinen für sehr schwierig, dem einen oder anderen Quecksilber¬
präparate besondere Vorzüge nackzurühmen, da man hier in hohem
Grade individualisieren müsse. So erzielte er in einem schweren
Falle von Nerwensyphilis mit Augen- (Ptosis, Diplopie) und Rticken-
markserseheinungen Heilung mit Kalomelinjektionen, welche
1 y8 Jahre lang mit Ruhepausen von 4 — 6 Wochen fortgesetzt
worden sind.
Pouche t, der zweite Referent, bespricht insbesondere die
Resorption und Verbreitung der Quecksilberpräparate im Organis¬
mus und kommt zu dem Schlüsse, dass ein Quecksilberpräparat
um so vorteühafter bei der Behandlung der Syphilis ist, je leichter
das in ihm enthaltene reine Quecksilber in Freiheit versetzt (re¬
duziert) wird und je weniger dabei die anatomischen Elemente,
mit welchen es in Berührung kommen wird, geschädigt werden.
Aber auch P. führt als grosse Schwierigkeit zur Aufstellung- all¬
gemeiner Regeln die verschiedene Reaktionsfähigkeit der einzelnen
Individuen gegenüber dem Quecksilber an, welche sogar bei ein
und derselben Person eine wechselnde sein kann.
Für D a n 1 o s ist Kalomel das wirksamste Mittel gegen
Syphilis; er wendet es daher vor allem gegen Syphilis des Nerven¬
systems an; die häufig vorkommenden und lange anhaltenden
Schmerzen, ebenso die intensive Stomatitis, glaubt D., könnten
meist vermieden werden. Wegen der weiteren Gefahr der Embolie
beschränkt jedoch D. die Kalomelanwendung auf die obengenann¬
ten Fälle und auf die Tertiärerscheinungen, wo es „der König aller
Quecksilberpräparate sei“. Für die übrigen Fälle genügten die
Pillen oder Schmierkur.
Julien tritt warm für die Injektionen im allgemeinen ein
und gibt hiebei wiederum den löslichen Salzen (Sublimat,
Hg pepton., Hg succ-inimat. u. s. w.) den Vorzug; was die unlös¬
lichen betrifft, so bildet für Kalomel die dringendste Indikation
der Beginn der Syphilis. J. hat schon vor langer Zeit pro¬
klamiert, dass Kalomel im stände sei, die Syphilis im Keime zu
ersticken. Von den anderen empfehlenswerten Präparaten wendet
er das Salizylsäure Quecksilber und das graue Oel an, welch beide
in Gemeinschaft mit Kalomel das tägliche Rüstzeug J.s gegen
Svphils bilden.
Bafay liess sich für das Spital St. Bazaire ein Oleum
bijodatum (ä 0,01 und 0,015) darstellen, welches nie einen Nieder¬
schlag der kristallinischen Doppeltjodverbindung zeigte, welches
in zahlreichen Fällen ohne irgendwelche Nebenerscheinungen an¬
gewandt wurde und besonders den Vorteil hat, nur sehr wenig
schmerzhaft zu sein. Bafay konnte täglich 0,02 bis 0,05 des
Jodöls injizieren, ohne dass es, wie z. B. bei der Cyanverbindung,
nötig war, Kokain beizufügen.
Sitzung vom 8. Oktober 1902.
Das Sauerstoffwasser als epilatorisch.es Mittel.
Nach G a 1 1 o i s ist das Sauerstoff wasser ein einfaches,
schmerzloses und unschädliches Mittel, um allzu sehr sichtbare
Haare zum Verschwinden zu bringen (bei Frauen auf der Ober¬
lippe u. ä.). Man durchtränkt ein Wattebäuschchen mit der
Flüssigkeit, lässt es einige Minuten liegen und wiederholt diese
Applikation täglich, bis das erwünschte Resultat erzielt ist. Eine
Unannehmlichkeit ist bei dieser Methode vorhanden, dass näm¬
lich die Haare nicht vollständig zerstört, sondern nur abgebrannt
werden, und dass man die Behandlung immer wieder von Neuem be¬
ginnen muss, was aber für die betroffenen Damen kein Hiuderungs-
grund für die Behandlung ist. Auch muss man Acht geben, dass
man nicht mit irgend einem Stoff in Berührung kommt, da das
Sauerstoffwasser denselben ebenso wie die Haare verbrennt.
Le Gendre berichtet über die Anwendung der subkutanen
Coffeininjektionen als Unterstützungsmittel des Aderlasses bei
manchen Individuen, deren Blutdruck sehr schwach ist (akutes
Bungenödem, Asystolie). Gei-ade in diesen Fällen, wo der Ader¬
lass am meisten indiziert ist, versagt er sehr häufig: ist die Vene
einmal angeschnitten, so sieht man kaum einige Tropfen Blut
herauskommen, dann hört jede Blutung auf. In solchen Fällen ge¬
nügt es, eine subkutane Injektion von 0,2 bis 0,25 Koffein zu
machen, um sofort einen grossen Blutstrom herauskommen zu
sehen und einen hinreichenden Aderlass zu vollziehen. Man kann
die Koffeininjektion auch vor dem Aderlass ausführen.
In Fortsetzung der Diskussion über den praktischen
Wert der Quecksiiberinjektionen bei der Behandlung der Sy¬
philis kommt Renault nach kurzer Besprechung seiner Er¬
fahrungen zu dem Schlüsse (gleich wie Fournier), dass diese
Injektionen in die tägliche Praxis der Syphilis keinen Eingang
finden sollten; sie seien besonders geeignet für Kranke, deren
Magen Intoleranz zeigt, und auch liier sei es nicht bewiesen,
dass ihre Wirksamkeit grösser sei als die der Schmierkur.
Uebrigens müsse die ganze Frage noch offen gelassen und könne
nur unter Zusammenwirken aller Autoritäten und durch Vergleich
der jeweilig erzielten Resultate gelöst werden.
I) a n io s möchte bezweifeln, ob es mit Kalomel (nach J u 1 -
1 i e n) immer gelingt, die Syphilis im Keime zu ersticken; das¬
selbe hat oft wunderbaren Einfluss bei manchen Tertiärerschei¬
nungen, während es in der Sekundärperiode bei hartnäckigem
Hautsyphilid (kleinpapulösen oder papulös-akneartigen) vor der
Schmierkur oder den Injektionen nichts voraus hat. Die lös¬
lichen Injektionen sieht I). immer als eine Ausnahmemethode
an; die wenigen Tage, welche damit in der Dauer der Behandlung
gewonnen werden, stünden nicht im Verhältnis zu den vorhandenen
Gefahren. Ihre Anwendung sollte zudem auf das Krankenhaus,
auf Heilstätten und Badeorte beschränkt bleiben (? Ref.).
Societe de Chirurgie.
Sitzung vom 1. Oktober 1902.
Die Anästhesie mit Chloräthyl.
Be Dentu bespricht die mit Chloräthyl angestellten Tier¬
versuche (G i r a r d), wonach die Möglichkeit schwerer Neben¬
erscheinungen vorhanden ist. Das Chloräthyl bietet andrerseits
die Vorteile rascher Wirkung, Abwesenheit einer Exzitationsperiode
und Erwachen ohne Uebelkeit. Es kann nur für kurzdauernde
Operationen von höchstens 15 — 20 Minuten mit Dosen von 4 — 5 g,
welche alle 5 Minuten wiederholt werden, angewandt werden.
Dinar d bestätigt die Angaben Be Dentus; er wendet
seit ly2 Jahren mit Vorteil das Chloräthyl für kurzdauernde Ope¬
rationen oder als Vorbereitung zur Chloroformnarkose an. Wich¬
tig ist, das Chloräthyl nicht mit Buft sich mischen zu lassen, da
es dann zu Exzitat.ion, oft hochgradiger Art, kommen kann.
B a z y war bei Anwendung des Chloräthyls überrascht, wie
leicht dabei die Atmung vor sich geht.
Auch B e r g e r hat grosses Vertrauen auf Chloräthyl, bei
welchem die Anästhesie überraschend schnell eintrete.
Academie de medecine.
Sitzung vom 7. Oktober 1902.
Der Präsident Eichet hält eine Gedächtnisrede auf V i r -
c h o w.
J o s i a s berichtet über die Diphtheriefälle am Spital Bre-
tonneau. Von 709 klinisch diagnostizierten Fällen waren nur 580
mit dem Klebs-Böffler sehen Bazillus behaftet. Die Zahl
der Todesfälle betrug 58, worunter 29 infolge von Broncho¬
pneumonie; letztere Affektion erwies sich als besonders kontagiös,
weshalb man diese Fälle isolieren müsste. J. glaubt, dass man die
Sterblichkeit noch mehr herabsetzen kann, wenn man möglichst bei
Beginn der Krankheit schon das Heilserum (10 — 20 ccm) in¬
jiziere; im Spital geschehe dies gewöhnlich, aber die Aerzte in der
Privatpraxis warteten oft viel zu lange: die Injektionen nur um
24 Stunden zu verschieben, das setze das Beben der Kinder aufs
Spiel.
L a v e r a n bespricht die Assanierung von Korsika, welche
Dank der von der Akademie vorgeschriebenen Massregeln schon
Fortschritte gezeigt habe. Dieselben bestehen in kurzem darin,
alle stagnierenden Gewässer, Sümpfe u. s. w. zum Verschwinden
zu bringen oder auch in denselben die Barven der Anopheles
mittels Petroleums zu vernichten, die Wohnräume mittels Metall¬
netzen an Thüren und Fenstern zu schützen, und in ausgedehnt
prophylaktischer und kurativer Weise das Chinin anzuwenden,
damit die Fliegen sich nicht infizieren und die Krankheit weiter
verbreiten können. Es wurden in reichlichem Masse Gratisver-
teiluugen von Chinin vorgenommen und der Preis desselben ist
von 1 Fr. auf 15 cts. per 1 g gesunken.
Sitzung vom 21. Oktober 1902.
Prof. Fournier bespricht einen Fall von gummöser Zell¬
entzündung im Becken, welche einen malignen Tumor vor¬
täuschte; dieselbe kam bei einem 34 jährigen heredo-syphilitischen
Manne vor und kam durch die gemischte Behandlung (tägliche
Injektionen von 0,02 g I-Iydrarg. benzoat. und innerlich Jodkah
in der Dosis von 4 g pro die) zur Heilung, so dass nach 2 Monaten
keine Spur der Geschwulst, welche an Karzinom und sogar inope¬
rables Karzinom denken liess, mehr zurückgeblieben war. Die
Hauptschlüsse, welche F. aus diesem Falle zieht, sind folgende.
Man muss zu den bei Syphilis möglichen Folgeerscheinungen
Beckeninfiltrate rechnen, welche Blase und Mastdarm betreffen,
bösartige Neubildungen Vortäuschen können und bei richtiger Dia¬
gnose rasch zur Heilung kommen. Diese Zellgewebsentzündung
war nicht die Folge einer erworbenen, sondern einer hereditären
Syphilis, und zwar hat sie sich bei dem Patienten erst im Älter
von 34 Jahren entwickelt und ohne dass irgend eine andere Er-
18. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCITE WOCHENSCHRIFT.
1943
echemung von Syphilis vorausgegangen wäre. Die Symptome der
Heredosyphilis können sich also in jedem, selbst vorgeschrittenem
Lebensalter entwickeln. Die hereditäre Infektion bekundet sich
also zuweilen durch gar kein äusseres Zeichen, keine erkennbare
Dystrophm und selbst das Kieferzahnsystem kann bei solchen
Individuen in tauschender Weise vollständig intakt sein wofür P
ein weiteres Beispiel anführt.
Beobachtungen aus der zweiten Eruption von Martinique.
Die Zahl der Opfer, welche diese zweite Eruption (in der
^acht vom 30. auf 31. August d. J.) forderte, betrug 625; ausserdem
hatten die Aerzte <0 Personen an Brandwunden 1., 2. und 3. Grades
zu behandeln. Aus den dabei gemachten Beobachtungen kann man
daher schlossen, dass ausser den Todesfällen, welche auf irrespi-
rable Gase oder auf brennende Asche oder auf eine sehr hohe
lempeiatur zurückzuführen sind, Erscheinungen auf traten welche
jenen beim Tod durch Elektrizität analog sind.
Stern.
Verschiedenes.
Zur Buchführung des praktischen Arztes.
Vor einigen Monaten las ich eine Abhandlung über ,, Buch¬
führung des Arztes“, in der ein Kollege, welcher sich mit den all¬
gemein gebräuchlichen „Geschäftsbüchern“ nicht befreunden
konnte, mitteilte, er sei auf die Idee gekommen, sich zu seiner
Buchführung ausschliesslich eines Briefordners zu bedienen, indem
er für jeden neu in seine Behandlung tretenden Patienten _ in
alphabetischer Ordnung — ein Blatt in den Briefordner einheftet
und darauf die nötigen Einträge macht. Mag sein, dass diese
Art Buchführung gewisse Vorteile hat gegenüber den meist ge¬
bräuchlichen „Geschäftsbüchern“. Ein gebundenes Buch dürfte
aber doch vorzuziehen sein, vorausgesetzt, dass es praktisch an¬
gelegt und weitgehenden Ansprüchen dienlich ist. Ich habe neben
sehr vielen höchst unpraktisch angelegten derartigen Büchern
zwei gefunden, von denen man sagen kann, dass sie allen Anforde¬
rungen, die an ein ärztliches Tagebuch zu stellen sind, gerecht
werden.
Das eine davon ist das „Geschäftsbuch für Aerzte“ von
Ohr. Hausknecht in Nürnberg, das andere das „Kranken- und
Geschäftsjournal für Spezialärzte“ von II. Meyer in Halber¬
stadt. Sie sind beide in Bezug auf praktische und übersichtliche
Einteilung einander ziemlich ebenbürtig. Ich gebe seit 3 Jahren
dem von H. M e y e r - Halberstadt den Vorzug, das bei sehr guter
äusserer Ausstattung etwas billiger ist.
Den Hauptvorteil dieser Bücher erblicke ich darin, dass man
für jeden Patienten sehr viel Kaum übrig hat. Es ist eine eigene
Rubrik für „Krankengeschichte und Therapie“ vorhanden, die
einen Raum von 8 X 15 cm einnimmt in dem Meyer sehen Buche.
Man kann sich da, was besonders in Unfallsachen und in foren¬
sischen Angelegenheiten nötig ist, in das Geschäftsbuch selbst ein¬
gehende Aufzeichnungen machen und braucht nicht extra neben
dem Geschäftsbuch noch ein Tagebuch oder dergl. zu führen. Man
kommt auch, wenn man alles schön in einem Buch beisammen hat,
viel eher dazu, sich Notizen zu machen, als wenn man mit
mehreren Büchern zu tun hat. Was man den Tag über geschafft
hat, muss man ohnehin eintragen, nebenbei noch ein Paar Worte
über Art der Erkrankung, eventuell Verlauf derselben, geht dann
in Einern hin! Für Besitzer von Handapotheken bietet das Buch
von Meyer noch einen schätzenswerten Vorteil. Besitzer von
Handapotheken müssen ex officio ein Rezepttagebuch führen, in
das alle abgegebenen Medikamente nebst Preisangabe einzutragen
sind. Es genügt dazu ein sogenanntes Strazzenbucli, in welches
man mit fortlaufenden Nummern versehen von Tag zu Tag die
Rezepte einträgt. Es ist nun für die spätere Rechmmgsstelluug
sehr angenehm uud zeitsparend, wenn man sich die Rezept-
nummern gleich im ärztlichen Journal bei jedem Patienten notiert.
Und hierfür hat man unter der Rubrik „Krankengeschichte und
Therapie“ Platz genug. Ich möchte hier einschalten, dass die
Führung eines Rezepttagebuches auch für den Arzt, der nicht Be¬
sitzer einer Handapotheke ist, sehr empfehlenswert ist. Wie viele
Kollegen wird es wohl geben, die sich von jedem Rezept, das sie
dem Patienten in die Hand geben, eine Abschrift machen? Und
doch. Avie oft möchte man gerne wissen, Avas man früher einmal
verordnet, resp. in welcher Weise die Verordnung gegeben wurde,
z. B. ob Morphium als Pulver oder in Lösung, mit welchem Korri-
gens u. s. w. Wer ein Rezepttagebuch führt, Aveiss jederzeit sich
Aufschluss zu holen über frühere Rezepte. Wer einmal daran ge-
Avölmt ist, scheut das bischen Mehrarbeit nicht.
Das „Journal“ wird natürlich auch für Kassenkranke benützt.
Unterhalb „laufende Nummer“ ist Raum genug zur Bezeichnung
der Krankenkasse.
Die Uebersiclitlichkeit des Buches gewinnt dadurch, dass auf
jeder Seite nur für 4 Patienten Raum ist. Für jeden Patienten
hat man unter der Rubrik „Datum“ für jeden Tag des Jahres
Raum zur Eintragung der geleisteten Hilfe. Zu diesen Ein¬
tragungen bedient man sich Abkürzungen, z. B. K = Konsultation,
B a= Besuch, BF — Besuch mit Fuhrwerk.
Am Schlüsse des Buches ist ein alphabetisches Register, mit
Fliessblättern durchschossen.
Die Preise des Buches von M e y e r - Halberstadt sind: Für
400 Patienten reichend — mit Register — M. 6.75, für 600 Patien¬
ten M. 0.50, für 800 Patienten M. 11.75.
Dr. H ein rieh - W eyarn.
Gerichtliche Entscheidungen.
Nach einer Entscheidung des Strafsenates des Kammer¬
gerichtes zu Berlin brauchen Fälle von Kindbettfieber
dem Kreisarzt nicht angezeigt zu Averden. Der prak-
tische Arzt Dr. Sch. zu G. wurde zu einer hebernden Wöchnerin
gerufen, welche am nächsten Tage und ZAvar nach Annahme des
Dr. Sch. infolge einer Uterusruptur starb. Dr. Sch. erstattete von
diesem Erkrankungs- und Todesfall keine Anzeige an den zustän¬
digen Kieisarzt, obwold nach einer Verfügung- des Regierungsprä¬
sidenten von Liegnitz Erkrankungen an kindbettfieber innerhalb
24 Stunden anzuzeigen sind, indem er als Grund der Unterlassung
angab, dass es sich nach seiner Ansicht nicht um Kindbettfieber
gehandelt habe. Vom Landgericht Glogau zu 10 M. Geldstrafe
verurteilt, Aveil auch bei Verdacht auf Kindbettfieber Anzeige zu
erstatten sei, legte Dr. Sch. Revision beim Kammergericht ein,
welches im Gegensatz zum Antrag des Oberstaatsanwaltes unter
Aufhebung des angefochtenen Urteils auf Freisprechung des An¬
geklagten erkannte und die Kosten des Verfahrens einschliess¬
lich der der Verteidigung der Staatskasse auferlegte. In der Be¬
gründung heisst es: Die Anzeigepflicht der Aerzte bei anstecken¬
den Krankheiten ist in dem auf Grund der Kabinettsordre vom
8. August 1835 erlassenen Regulativ, Avelches Gesetzeskraft habe,
erschöpfend geregelt. Weitergehende polizeiliche Ver¬
ordnungen entbehren der gesetzlichen Grundlage. In dem ge¬
dachten Regulativ ist unter den ansteckenden Krankheiten Kind¬
bettfieber nicht aufgeführt, weshalb die F reisprechung des
Angeklagten erfolgen musste. — (In Bayern haben die Aerzte nach
der k. Verordnung vom 22. Juli 1891 Fälle von Puerperalfieber
innerhalb 24 Stunden nach erlangter Kenntnis der Distriktspolizei¬
behörde, in deren Bezirk die Krankheit auftritt, sowie zugleich
der einschlägigen Ortspolizeibehörde anzuzeigen.) R. S.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 136. Blatt der Galerie bei:
Barend Joseph S t o k v i s. Nekrolog siehe S. 1920.
Therapeutische Notizen.
Zur Therapie des Erysipel. Aus den vielen im
Laufe der Jahre erfolgten Publikationen über Erysipelbehand¬
lung habe ich mir folgende Behandlungsart zusammengestellt und
erprobt.
Rp. : Acid. carbolic. cryst.
tinct. jodi ää 1,0
mucilag. gummi arabic. 5,0
alcohol. absolut. ad 20,0
S. äusserlieli (umschütteln!).
Mit dieser Mischung bepinselt man 2 stündlich die geröteten
Stellen, bis die Schwellung abnimmt und die Röte erblasst. Ueber-
dies, da die Erysipelkokken nur bei Tageslicht volle Wachstums¬
fähigkeit haben, verdunkle man im Krankenzimmer nicht nur die
Fenster (am besten mit roten Vorhängen), sondern klebe auch, um
das Weiterkriechen der Kokken zu verhindern, ringsum in
einer Entfernung von 1 cm um das Erysipel einen 4 cm breiten
Streifen von Zink-Guttaperchapflastermull oder von Heftpflaster
fest auf.
Bei Gesichtserysipel lässt man ausserdem noch
2 stündlich 4 proz. lauwarmes Bonvasser in die Nase tüchtig
hinaufschnupfen, da dieses Erysipel in der Regel von Erosionen
in der Nase seinen Ausgang nimmt.
Bei Wunderysipel ist natürlich die Wunde zu desinfi¬
zieren und dem zurückgehaltenen Sekret, Avas häufig die
Ursache des Erysipel ist, Abfluss zu verschaffen.
Dr. S t r ö 1 1 - München.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Münche n, 18. November 1902.
— Die Sektion Leipzig des Verbandes der Ae r z t e
Deutschlands zu r W ahrung ihrer wirtsch a f l -
liehen Interessen übersendet uns nachstehende Mitteilung:
Die am 10. November im Künstlerhause zu Leipzig auf Einladung
des Verbandes der Aerzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirt-
scliaftlichen Interessen versammelten Aerzte erklären die vom
Ministerium vorgeschlagenen Aenderungen des Gesetzes über
die ärztlichen Bezirksvereine vom 23. März 1S96 für
unannehmbar,
AAreil 1-. die im Entwürfe in ausgedehntem Masse in Aussicht ge¬
nommene Staatsaufsicht geeignet ist. das Koalitionsrecht der
Aerzte und das Selbstverwaltungrecht der ärztlichen Vereine zu
vernichten, das kollegiale Leben in ihnen zu ersticken, ihre er¬
zieherische Tätigkeit zu vereiteln und sie an der Erfüllung der
ihnen im Gesetz selbst gestellten Aufgaben zu verhindern;
Aveil sie 2. die Androhung atoii Geldstrafen in unbeschränkter Höhe
an die Vereinsorgane als eine Beleidigung des gesamten ärzt¬
lichen Standes empfinden;
Aveil 3. die geplante Ehrengerichtsordnung in der ersten Instanz
die direkte Mitwirkung der Gesamtheit der Aerzte ausschliesst,
in der zweiten Instanz Nichtärzten Einfluss auf die Besetzung
der Ehrenrichterstellen einräumt und durch das dem Ministerium
gewährte unbeschränkte Begnadigungsrecht jede Standesdiszi¬
plin in Frage stellt.
1944
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Sie fordern deshalb die gesamte Aerzteschaft Sachsens auf.
den Entwurf mit allen gesetzlichen Mitteln zu bekämpfen und er¬
warten, dass der Landtag zu einer Vergewaltigung des ärztlichen
Standes seine Hand nicht bieten wird und sämtliche vorgeschla¬
genen Aenderungen des Gesetzes ablehnen wird.
— S. K. Ilohheit der Prinzregent haben aus den Renten der
Prinzregent Luitpoldstiftung für das Jahr 1901/02
dem Pensionsverein für Witwen und Waisen bayerischer Aerzte
als einmaligen Zuschuss zum Stammvermögen den Betrag von
3000 M., den Vereinen zur Errichtung von Heilstätten für Lungen¬
kranke in Bayern als Zuschuss zu der Errichtung bezw. dem Be¬
trieb der Heilstätten den Betrag von 9000 M. zuzuwenden geruht.
— Das Geschäftskomitee und der Ausschuss des „K o n -
gresses für innere Medizin“ haben einstimmig be¬
schlossen, wegen des im April 1903 stattfindenden internationalen
medizinischen Kongresses in Madrid den nächsten Kongress um
ein Jahr zu verschieben und erst im Frühjahr 1904 zu Leipzig ab¬
zuhalten.
— Man schreibt uns aus Hamburg, den 9. November: In
der Sitzung des hiesigen Aerztlichen“ Vereins am
25. Oktober stand auch der Antrag des Geschäftsausschusses
des deutschen A e r z t e v e r e i n s b u n d e s, betreffend A en¬
de r u n g der Satzung des letzteren, zur Beratung. Nach
einem Referat der Hamburger Delegierten auf dem diesjährigen
Aerztetage, Sc hroeter und J a f f e, nahm der Verein eine Re¬
solution an, dahingehend, dass an der Zusammensetzung des
Ae.-V.-B. nicht gerüttelt werden möge, und nicht die Delegierten,
sondern die einzelnen Vereine die Mitglieder des Ae.-V.-B. sein
und bleiben sollen. Zugleich wurde der Geschäftsausschuss er¬
sucht, mit Rücksicht auf die vielfachen Bedenken, welche der
vorgelegte Satzungsentwurf errege, von dem Gesuch um Ein¬
tragung des Bundes in das Vereinsregister bis zum nächsten
Aerztetage abzusehen. Auch die 5 Hamburger ärztlichen Bezirks¬
vereine haben einen Beschluss gleichen Inhalts gefasst. Wenn der
Geschäftsausschuss aus allen Teilen Deutschlands, wie es den
Anschein hat, derartige Beschlüsse der zum Bund gehörigen
Vereine erhält, so wird er trotz des Beschlusses des Aerztetages
nicht umhin können, die Ausführung des letzteren aufzuschieben.
In diesem für den ganzen Bund so wichtigen Falle haben nicht die
Delegierten, sondern die Vereine das letzte Wort zu sprechen.
— Nach neuesten Statistiken weist die Bevölkerungs¬
bewegung in Frankreich für das Jahr 1901 einen Ueber-
schuss von 72 398 Geburten auf, während im vorhergehenden Jahre
die Sterbefälle die Geburten um 25 988 iibertrafen. Dieses günstige
Resultat ist das Ergebnis einer Zunahme der Geburten und einer
Abnahme der Sterbefälle. Es wurden im Jahre 1901 29 977 Ge¬
burten mehr verzeichnet als 1900 (857 274 gegen 827 297) und
08 409 Todesfälle weniger (784 876 gegen 853 285).
— Cholera. Türkei. Zufolge einer Mitteilung vom 27. Oktober
hatte sich die Cholera seit einigen Tagen auch am Tiberias-See
gezeigt. Aus Gaza sind für die Zeit vom 23. bis 25. Oktober
80 Erkrankungen (und 125 Todesfälle) gemeldet, für den 28., 30.
und 31. Oktober 120 (157), aus Lydda für den 23. und 24. Oktober
42 Todesfälle, für den 28., 30. und 31. Oktober 74 Erkrankungen
und 28 Todesfälle. In Jaffa und Umgegend sind weitere Cholera¬
fälle vorgekommen, u. a. 1 Fall in der 1 Stunde davon entfernt
gelegenen Ortschaft Sumil, 15 Erkrankungen und 22 Todesfälle
innerhalb 3 Tage in Kaferana. In Hodeida wurden am 21. Ok¬
tober 26 Choleratodesfälle für die letzten 9 Tage angezeigt. —
Aegypten. Vom 21. bis 27. Oktober kamen nach dem amtlichen
Wochenberichte 415 neue Erkrankungen und 356 Todesfälle an
der Cholera zur Anzeige, von letzteren hatten sich 240 ausserhalb
eines Krankenhauses ereignet. Auf Kairo entfielen in dieser
Woche 9, auf Alexandrien 45 Fälle. Im Bezirk von Rosette scheint
die Seuche erheblich nachgelassen zu haben, da während der Be¬
richtswoche nur 25 Choleratodesfälle dort verzeichnet sind. Vom
27. Oktober bis 1. November kamen in Alexandrien 24 Erkran¬
kungen und 20 Choleratodesfälle ausserhalb des Hospitals zur An¬
zeigt', im Krankenhause starben 5 Personen. In ganz Aegypten
waren vom 15. Juli bis Ende Oktober angeblich 39 375 Personen
au der Cholera erkrankt und 33 537 der Seuche erlegen.
— Pest. Russland. Nach amtlichen Mitteilungen im Re¬
gierungsanzeiger vom 30. Oktober sind in Odessa seit dem 10. Juni
bis zum 28. Oktober 48 Personen erkrankt, davon 16 gestorben und
18 genesen; am 28. Oktober befanden sich noch 14 in ärztlicher
Behandlung. Vom 24. bis 28. Oktober waren neue pestverdächtige
Erkrankungen nicht vorgekommen. — Britisch-Ostindien. In der
Präsidentschaft Bombay sind während der am 11. Oktober enden¬
den Woche nachträglich noch 250 neue Erkrankungen (und
196 Todesfälle) an der Pest zur Anzeige gelangt, ferner während
der am 18. Oktober abgelaufenen Woche 10 423 (7771), davon 127
(111) in der Stadt Bombay und 11 (7) in Stadt und Hafen Karachi.
In der Präsidentschaft Madras kamen im Monat Februar des
laufenden Jahres 1711 Pesttodesfälle unter einer Bevölkerung von
etwa 38 Millionen vor; die Gesamtzahl der Sterbefälle im Monat
Februar hatte 61 406 betragen und war um 2346 grösser gewesen
als die Gesamtzahl der in diesem Monat neugeborenen Kinder. —
— In der 44. Jahreswroche, vom 26. Okt. bis 1. Nov. 1902,
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Oberhausen mit 30,6, die geringste Barmen mit 8,9
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Masern in Aachen, an Scharlach in
Altona, Beuthen, Hamburg, an Diphtherie und Krupp in Elber¬
feld. Görlitz, Kassel. V. d. K. G.-A.
— Vom 1. Januar 1903 an erscheint im Verlage von Gebrüder
Bornträger in Berlin eine neue referierende Halbmonats¬
schrift, das „Biochemische Centralblatt“. An der Spitze des
Blattes stehen als Leiter die Herren: P. E h r 1 i c h - Frank¬
furt a. M., E. Fischer- Berlin, A. Kossel - Heidelberg,
O. Liebreich- Berlin , F. Müller- München , P. Pros-
kauer - Berlin, E. Salkowski - Berlin, N. Z u n t z - Berlin.
Als Herausgeber zeichnet: Dr. phil. et med. Carl Oppen-
lieiiue r.
(Hochschulnachrichten.)
Baltimore. Dr. H. Frieden wald wurde zum Pro¬
fessor der Ophthalmologie und Otologie am College of Physicians
and Surgeons ernannt.
Lemberg. Habilitiert: Dr. Adam Bednarski für
Augenheilkunde.
Moska u. Der ausserordentliche Professor der thera¬
peutischen Klinik, Dr. Iv. P a w 1 i n o w, wurde zum ordentlichen
Professor ernannt.
Personalnachrichten.
(Bayer n.)
In den dauernden Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt
I. Klasse Dr. Engelbert Hohn in Königshofen im Grabfeld, seiner
Bitte entsprechend, wegen zurückgelegten 70. Lebensjahres, unter
Anerkennung seiner langjährigen, treuen und erspriesslichen
Dienstleistung.
Erledigt: Die Bezirksarztsstelle I. Klasse in Königshofen im
Grabfeld. Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig be¬
legten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten K. Regierung, Kammer
des Innern, bis zum 30. November 1. J. einzureichen.
Korrespondenz.
Aufruf zur Errichtung eines Denkmals für Rudolf V i r c h o w.
Unser V i r c h o w wurde uns am 5. September d. J. durch den
Tod entrissen.
Von allen Seiten ist der Wunsch laut geworden, als Zeichen
unserer Dankbarkeit und zur Aufmunterung für zukünftige Ge¬
schlechter ihm in Berlin, der Stätte seiner Entwicklung und Haupt¬
wirksamkeit, an öffentlicher Stelle ein Denkmal zu errichten.
Das Komitee, welches ihm an seinem 80. Geburtstage die
Virchow-Stiftung überreichte, hat es übernommen, diese
Aufgabe auszuführen und richtet deshalb an die Schüler, Kollegen,
Verehrer und Freunde unseres grossen Meisters Rudolf V i r c h o w
die Bitte, sowohl selbst einen Beitrag zu spenden, als auch in ihren
Kreisen zu Beiträgen aufzufordern.
Unser Schatzmeister, Herr Geh. Kommerzienrat E. v. Men¬
delssohn -Bartholdy ist bereit, solche unter der Adresse:
Bankhaus Mendelssohn & Cie., Berlin W., Jägerstr. 49/50
in Empfang zu nehmen. Auch liegen Listen in den Buchhand¬
lungen A. Asher & Co., Berlin W. Unter den Linden 13,
A. Hirsch wald, Berlin NW. Unter den Linden 68 und Georg
Reimer, Berlin W. Lützowstr. 107/108, sowie beim Custos des
Langenbeckhauses, Herrn Melzer, Berlin NW. Ziegelstr. 10/11
aus.
Alle Mitteilungen, soweit sie nicht die Einzahlung von Bei¬
trägen betreffen, bitten wir an unseren Schriftführer, Herrn Prof.
Dr. Posner, Berlin SW., Anhaltstr. 7 zu richten.
Der geschäftsführende Ausschuss.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten fürMünchen
in der 44. Jahreswoche vom 26. Oktober bis 1. November 1902.
Beteiligte Aerzte 119. — Brechdurchfall 9 (9*), Diphtherie u.
: Krupp 12 (16), Erysipelas 9 (9), Intermittens, Neuralgia interm.
— (2), Kindbettfieber 1 (— ), Meningitis cerebrospin. — (— ),
Morbilli 35 (26), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 3 (1), Parotitis
epidem. — (1), Pneumonia crouposa 1 (8), Pyämie, Septikämie
i — ( — ), Rheumatismus art. ac. 16 (10), Ruhr (Dysenteria) — ( — ),
Scarlatina 7 (2), Tussis convulsiva 15 (16), Typhus abdominalis 1
(1), Varicellen 11 (9), Variola, Variolois — ( — ), Influenza • — (1)-
Summa 110 (94). Kgl. Bezirksarzt Dr. v. Dall’Armi.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 44. Jahreswoche vom 26. Oktbr. bis 1. Novemb. 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen: Masern 2 ( — *) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u Krupp 1 (1), Rotlauf — (—), Kindbettfieber 1 (— ), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) 1 (2), Brechdurchfall 4 (3), Unterleib-Typhus —
( — ), Keuchhusten 1 (—), Kruppöse Lungenentzündung 3 (2), Tuber¬
kulose a) der Lunge 30 (19), b) der übrigen Organe 5 (7), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
— ( — ), Unglücksfälle 4 (— ), Selbstmord 2 (2), Tod durch fremde
Hand — ( — ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 182 (179), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 18,7 (18,4), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 11,7 (11,1).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle derVorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
Die Munch. Med. Wochenschr. erscheint wßchenti
in Nummern von durchschnittlich 5-6 Botren"
P.relf Deutschland, Oesterr -Ungarn u. Luxemburg
vierteljährl. M b. — in allen übrigen Ländern M 8 — .
Einzelne No. 80
MÜNCHENER
Zusendungen sind /n adressiren: Für die Redaktion
Arnulfstr. 26. Sprechstunde der Red. 10—11 Uhr. —
Für Abonnement an J. K. Lehmann, Heustr 20. -
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse,
Promenadeplatz 16
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLlGENZ^EÄr^ UV1 1 1 1 1 * 1
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
i“fer’ SÄI' \Xf' H- Cjirschmann, W*. Leute, G. Merkel, J. v. Michel, F. Penzoldt, H. v. Ranke, F. i. Winckel,
■ cneu. Leipzig. Wurzburg. Nürnberg. Berlin Erlangen. München.
No. 47. 25. November 1902.
München.
Redaktion : Dr. B. Spatz, Amulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Henstrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem pathologischen Institut zu Heidelberg.
Ueber Phagocytose, Synthese und andere intrazel¬
luläre Vorgänge.
Von Professor Dr. J. Arnold in Heidelberg.
m.Gr ^Jei" £>enDgend Müsse und Geduld verfügt, um den V organg
der I hagocytose, z.B. bei den Leukocyten, unmittelbar unter dem
Mikroskop zu beobachten, kann sich davon überzeugen, dass die
Aufnahme korpuskularer Stoffe durch Protoplasmabewegungen
vermittelt wird. Es hat somit die Phagocytose eine selbständige
Akuon der Zelle und eine korpuskulare Beschaffenheit der Ge¬
bilde, welche in diese aufgenommen werden wollen, zur Voraus¬
setzung. Am einfachsten liegen die Verhältnisse bei der Phago-
eytose gefärbter unlöslicher Substanzen, namentlich gewisser
Staubarten; ihr Ergebnis ist die Bildung jener Formen, welche
als leukocytäre Staubzellen bezeichnet werden. Weniger ein¬
deutig sind die Befunde bei den intrazellulären Einschlüssen
™ Mikroorganismen, weil bei manchen möglicher Weise an ein
indringen durch Eigenbewegungen gedacht werden muss,
wahrend andere, namentlich wenn sie abgestorben sind, nach dem
jpus dei Phagocytose in den Zellleib aufgenommen werden.
Es smd dies allgemein bekannte Tatsachen, welche einer weiteren
Erörterung nicht bedürfen. Es sei deshalb nur noch hervor¬
gehoben, dass auch bei Zellen, deren phagocytäre Eigenschaften
nicht sichergestellt sind (manche Endothelien und Epithelien)
o er denen solche voraussichtlich nicht zukommen, korpus¬
kulare Einschlüsse beschrieben werden. Ob für diese Fälle noch
ein anderer Modus des Eindringens korpuskulärer Gebilde in
Anspruch genommen werden muss und ob es sich nicht bei
manchen nur um ein Haften dieser an der Oberfläche handelt,
müssen weitere Untersuchungen lehren. — Jedenfalls darf bei
solchen Zellen nicht ohne weiteres auf einen Vorgang der Phago¬
cytose geschlossen werden.
Noch weniger ist eine solche Vorstellung berechtigt bei Sub¬
stanzen, welche gelöst von den Zellen umgesetzt und in körniger
form m diesen abgeschieden oder an die Zellplasmosomen ge¬
bunden wurden. Wenn Fett, Pigment, Eisen etc. in granulärer
Anordnung ausserhalb der Zellen gelegen ist, so wird vielfach,
namentlich bei Leukocyten und Endothelien vorausgesetzt, dass
diese Substanzen ausschliesslich nach dem Modus der Phago¬
cytose in den Zelleib gelangt sein können. Es sei mir gestattet,
gerade an diesen Beispielen zu zeigen, wie wenig eine solche An¬
nahme begründet ist.
.. }^aS zunächst das Vorkommen von Fettkörnchen und Fett-
2rop c en anbelangt, so kommt ja zweifellos eine phagocytäre
Aufnahme dieser vor. Es ist dieser Vorgang vielfach unmittel¬
bar unter dem Mikroskop beobachtet worden. Die Fettröpfchen
werden von den Protoplasmafortsätzen umfangen; nachdem
sm längere oder kürzere Zeit in dieser Beziehung ver-
arrt, kommen sie später in den Leib der Zellen zu liegen. Aller-
( mgs muss man sich vor Täuschung wahren. Manchmal wandern
die Zellen, nachdem ihre Fortsätze lange einem Tropfen an¬
gelegen oder denselben so umfangen hatten, dass er intrazellulär
zu legen schien, wieder weiter, ohne Fett auf genommen zu haben,
n ärgeren Fällen aber enthielten die Zellen bei ihrer Ablösung
und Weiterwanderung Fettröpfchen, welche gewöhnlich eine sehr
Mo. 47
wechselnde Grösse besitzen. Nach meiner Ueberzeugung kann
somit an dem Vorkommen einer phagocytären Aufnahme von
lett durch gewisse Zellformen nicht gezweifelt werden. Dass
aber die Bedeutung dieser Vorgänge nicht überschätzt werden
darf, lehren ausser dem Vorkommen von Fett in Zellen, welche
phagocytäre Eigenschaften nicht besitzen, folgende Erfahrungen.
Bei der Einfuhr von Fetten und verwandten Substanzen
m den Kückenlymphsack von Fröschen finden sich zahlreiche
sogen. Eettkörnchenzellen verschiedener Provenienz; teils leuko-
eytäre, teils fixe Zellen enthalten Eettgranula in wechselnder
Menge, aber von annähernd gleicher Grösse. Unter den ersteren
bieten ein besonderes Interesse die eosinophilen Zellen dar, weil
sich an ihnen der Nachweis führen lässt, dass das Fett an die
Granula gebunden ist. Es kann dies nicht nur aus der Lage und
gegenseitigen Beziehung der Granula zu einander, sondern auch
aus ihrem Verhalten gegen Eosin einerseits, Sudan bezw. Ueber-
osiniumsäure andererseits erschlossen werden. An Osmium-
präparaten enthalten die Zellen nicht nur verschiedengradig ge¬
schwärzte Granula, sondern auch neben solchen mehr oder
weniger deutlich durch Eosin gefärbte, sowie durch die ver¬
schiedensten F arbentöne gekennzeichnete Uebergangsformen Bei
der Mazeration in Jodjodkali-Eosin und Ueberosmiumsäure er¬
hält man Granulaketten, welche Eettkörnchen führen.
. Nieren vom I rosch (Rana f usca) enthalten normaler
Weise eine grosse Menge von eosinophilen Zellen. Nach Seifen¬
injektion reagieren die Granula dieser deutlich, aber verschieden¬
artig auf Sudan III und Ueberosmiumsäure. Während bei
phagocytärer Aufnahme von Fett die Fettröpfchen, wie oben be¬
merkt, eine sehr verschiedene Grösse darbieten, führen diese Fett¬
körnchenzellen Eettgranula von annähernd gleicher Grösse. Ich
wi 1 nicht unterlassen zu betonen, dass aus dem Befunde grösserer
I ettropfen nicht ohne weiteres auf Phagocytose geschlossen wer¬
den darf, weil auch durch Quellung und Konfluenz der Granula
solche Bilder zu stände kommen können. Diese Entstehungs¬
weise ’) von Eettkörnchenzellen aus eosinophilen Zellen ist meines
^i achtens desshalb so bedeutungsvoll, weil aus derselben ge¬
folgert werden darf, dass auch bei Leukocyten eine intrazelluläre
Eettbildung nach dem Typus der Synthese vorkommt, und dass
bei dieser die Plasmosomen bezw. die Granula der Zelle eine
wichtige Rolle spielen. Man wird somit fernerhin bei dem Be¬
funde von Fett in Leukocyten nicht ohne weiteres auf eine Phago¬
cytose schliessen dürfen. Selbstverständlich ist auch bei phago-
cytär eingetretenem Fett dessen nachträgliche synthetische Um¬
setzung durch die Granula nicht ausgeschlossen. Vielmehr können
sich beide Vorgänge kombinieren.
Für diejenigen Zellformen, welchen phagocytäre Eigen¬
schaften nicht zukommen, bleibt nur die Annahme eines Ein¬
trittes in emulsiver Form oder einer Synthese übrig. Sehr lehr¬
reich waren in dieser Hinsicht Injektionsversuche von Seife¬
lösungen, Oelen, Emulsionen etc. in das Unterhautzellgewebe von
Warmblütern (Mäusen), sowie die Befunde bei gemästeten Tieren
(Gänse, . Hühnern etc.). Unter den genannten Verhältnissen
finden sich im Blut nur bei den höheren Graden der Fettablage¬
rung in den Geweben Eettkörnchenzellen und Fettkörner, sowie
kleinere und grössere Fettropfen in grösserer Zahl; bei sehr hohen
b Kischenkys (Zieglers Beiträge 1902) negative Befunde
erklären sick aus dem geringen Grad der Fettmast, welchen et
bei seinen Versuchen erreichte.
1
1946
MUENCHENER MEDICIN1SCHE WOCHEN SCHEIE 1.
No. 47.
Graden der Fettmast können kleinere Gefässe mit solchem
Material vollständig erfüllt sein. In der Leber enthalten endo-
und perivaskulär gelegene Zellen, die K u p f f e r’schen Stein¬
zellen insbesondere, zahlreiche Fettgranula, ebenso die Leber¬
zellen selbst. Das Fett erscheint auch hier in Form kleinster
und grösserer Granula und Tropfen. Bei Mazerationsversuchen
solcher Leberzellen (Jodjodkali-Eosin und U eberosmiumsäure)
kann man sich davon überzeugen, dass auch hier das 1 ett zum
Teil an Granula gebunden ist, welche in die Plasmosomexiketten
und -netze eingefügt erscheinen. Bei der 1 ärbung von Osmium
Präparaten mit Dreifarbengemischen nehmen die verschieden ge¬
schwärzten Granula noch andere Farbentöne an; ein Verhalten,
das wohl auf die Beimengung anderer Substanzen bezogen wei¬
den muss. Degenerationserscheinungen an Protoplasma und Kern
habe ich nur bei sehr hochgradiger Anfüllung der Zellen mit
Fett, insbesondere hei ausgiebiger Seifenzufuhr wahrgenommen.
Die Nieren enthalten gleichfalls mehr oder weniger Fett, so¬
wohl in den Epithelien der Harnkanälchen, namentlich dei
Schleifen, aber auch der gewundenen und geraden. In den
gewundenen Kanälchen nimmt das Fett hauptsächlich die basalen
Abschnitte der Zellen ein, während dieses in den geraden mehr a.n
der Innenseite der Kerne geleg en oder über der Zelle gleich massig
verteilt ist. Auch im Lumen der Harnkanälchen trifft man I ett,
zuweilen gebunden an hyaline Zylinder. Bei hochgradiger 1 ett-
mast zeigen sich zuweilen nicht nur die Schlingen der Glomeiuli,
sondern auch die zugehörigen Kapseln und Harnkanälchen derai t
mit Fett angefüllt, dass die Epithelien verdeckt werden.
In den Trabekeln der Milz und in der Umgebung der Follikel
finden sich zahlreiche Fettköi'nchenzellen, spärlicher sind diese nn
Innern der letzteren.
Besonders bemerkenswert ist noch der Befund von lett im
Herzmuskel sowie in den Gefässwänden, und zwar in einer ähn¬
lichen Anordnung- und Verteilung, wie bei der sogen. Fett¬
degeneration, ohne dass immer degenerative Prozesse nachweis¬
bar sind.
Ich verzichte auf eine Verwertung dieser Befunde für die
Lehre von der Infiltration und Degeneration: Begriffe, welche
einer Beform zweifellos schon deshalb bedürfen, weil in manchen
Fällen von sogen. „Fettdegeneration“ das Fett nicht innerhalb
der Zelle durch Zerfall von Eiweiss entsteht, sondern von aussen
bezogen wird, während andererseits bei der „Fettinfiltration“ De¬
generationszustände Vorkommen können. Es sollen diese Ver¬
hältnisse bei einer anderen Gelegenheit ausführlich erörtert wer¬
den. An dieser Stelle muss ich mich darauf beschränken, ihre
Bedeutung für das Verständnis der Pliagocytose und Synthese
zu berühren.
Es hegt auf der Hand, dass bei einem Teil der genannten
Organzellen nur ein synthetischer Vorgang in Betracht gezogen
werden kann; das in den Körper eingeführte Fett wird gespalten,
in löslicher Form von den Zellen aufgenommen und intrazellu¬
lär wieder auf gebaut. Dass die Aufnahme des Fettes nicht einen
emulsiven Zustand dieses zur Bedingung hat, ergibt sich aus dem
Fehlen solcher feinster Fettröpfchen, so z. B. bei den niederen
Graden der Fettmast der Organe. Besonders beachtenswert dünkt
mir aber in dieser Hinsicht das Vorkommen von zahlreichen Fett¬
granula in den Knorpelzellen, während die Knorpelkapseln und
die Interzellularsubstanz keine Spur von Fettkörnchen auf weisen.
Diese Befunde lassen sich meines Erachtens doch nur im Sinne
einer Synthese verstehen, namentlich wenn man berücksichtigt,
dass von degenerativen Zuständen mangels solcher Erscheinungen
keine Rede sein kann J).
Man hat eine Aufnahme des Fettes seitens der Zellen
in emulsiver Form namentlich mit Rücksicht auf den
Befund feinster Körner und Tröpfchen in diesen vorausgesetzt.
Diese Anordnung ist einer meines Erachtens viel sachgemässeren
Erklärung zugängig, wenn man die oben geschilderte Beziehung
der Zellplasmosomen zu diesem Vorgang berücksichtigt. Die oben
angeführten Tatsachen berechtigen nach meiner Ueberzeugung
zu einer solchen Anschauung über den LTmsatz der Fette durch
die Plasmosomen bezw. die Granula der Zelle, wie sie von Alt-
niann, Krehl, Metzner, Beneke, Hansemann, Lubarseh
und unter anderen auch von mir vertreten wird. Noch in
2) Der Befund von Fettkörnchen in den Darmepithelien bei
der Fettresorption lässt eine verschiedene Deutung zu und kann
meines Erachtens als beweisend für den Eintritt des Fettes in
emulsiver Form in das Innere der Zellen nicht angesehen werden.
einer anderen Hinsicht sind die obigen Versuche, ich meine die
Einführung von Fetten in das Unterhautzellgewebe, ^von Inter¬
esse; es ergibt sich aus ihnen, dass Fette auch ohne A ermittlung
von Galle synthetisch umgesetzt werden können. Man vergleiche
die Ausführungen Pflügers in seinem Archiv.
Ich möchte noch anderer Vorgänge gedenken, bei welchen
man gleichfalls der Phagocytose eine zu weitgehende Bedeutung
beigelegt und die Möglichkeit, eines Umsatzes durch die Zell-
plasmosomen nicht genügend berücksichtigt hat. Durch zahl¬
reiche Versuche und Beobachtungen war ich bestrebt, den Nach¬
weis zu führen, dass sowohl bei der exogenen, als auch bei der
hämatogenen Sidei'osis das Eisen von den Plasmosomen um-
gesetzt wird. Führt man Eisenstaub oder grössere Eisenteilchen
(Nadeln etc.) in die Gewebe, subkutan oder in das Knochenmark,
so finden sich nach kurzer oder längerer Zeit auf Eisen
reagierende Körner in den verschiedensten Zellarten. In eosino¬
philen Zellen trifft man neben eosinophilen Granula solche, die
Eisen führen; auch fixe Bindegewebszellen, Knorpelzellen und
Organzellen enthielten solche Granula. In Anbetracht des Ver¬
haltens der letztgenannten Zellformen, namentlich aber der
Knorpelzellen, war nur die Deutung möglich, dass das Eisen
gelöst aufgenommen und an die Granula der Zellen gebunden
wird. Ein phagocytärer Vorgang' liess sich für die letzteren nicht
annehmen. Dass aber die Eisen enthaltenden Gebilde als um¬
gewandelte Granula der Zellen angesehen werden mussten, er¬
gab sich aus ihrer ganzeix Anordnung, namentlich aber aus den
Befunden an eosinophilen Zellen; ich meine das Vox’kommen von
eosinophilen und sideroferen Granula, welche reihenf öi mig an¬
geordnet und ketten- oder netzartig untereinander verbunden
waren, in ein und derselben Zelle.
Boi der hämatogenen Siderosis ergaben sich die gleichen Be¬
funde. Besonders bemerkenswert war die Anordnung der Eisen-
granula in den Lebei'zellen, da auch liiei’ ihre gegenseitige Be
ziehung, insbesondere ihre Verbindung durch Fäden auf prä¬
existente Zellbestandteile hinwies. Auch manche \ orgänge dei
hämatogenen Pigmentbildung werden bei der Annahme ver¬
ständlicher, dass eine Umsetzung der Blutbestandteile zu I ig-
ment durch die Granula vermittelt werde. Bei diesen Prozessen
handelt es sich allerdings nicht um synthetische im strengsten
Sinne des Wortes, sondern um intrazelluläre Umsetzungen,
Metathesen, welche zum Teil die Bildung neuer Stoffe im Ge¬
folge haben.
Weitere Unter suchxmgen müssen lehren, in wie weit die
Plasmosomen und Granula dei’ Zellen bei den intrazellulären
Stoffwechselvoi'gängen, mögen sie als Assimilation, Aufspeiche¬
rung oder wirkliche Umsetzungen im Sinne der Syn¬
these oder der Metathese, d. h. als Bildung neuer
Stoffe und deren Ausscheidung sich darstellen, be¬
teiligt sind. Die Erfahrungen über vitale Färbung der Plas¬
mosomen und Granula, deren Verhalten bei der Synthese von
Fett, der Metathese von Eisen und Pigment, sowie diejenigen
über granuläre Sekretion der Drüsen können nur geeignet sein,
zu weiteren Foi'schungen in dieser Richtung zu ermutigen.
Operation der Fibromyome des Uterus.*)
Von Alfred Hegar.
Die ersten operativen Eingriffe bei den Neubildungen des
Uterus erstreckten sich auf die fibrösen Polypen. Merkwürdiger¬
weise hielt man deren Exstirpation für ein gefährliches Unter¬
nehmen, fürchtete insbesondei’e die Blutungen, so dass man durch
die dagegen gerichteten Massregeln, wie Umschnürung des Stiels
der Geschwulst, welcher dann der Nekrose übei’lassen wui'de,
wirkliche Gefahren herauf beschwor. Von Interesse ist, bei Ab¬
tragung dieser Txxmoren mittels schneidender Instrximente, ein
auch jetzt noch in Anwendung kommendes Verfahren, welches
das Dui’chziehen eines sehr umfangreichen Körpers durch eine
relativ enge Oeffnung gestattet. Bei dem sogen. Allongement
operatoire legt man entweder einfache Inzisionen senkrecht auf
die Längsachse des Fibroms oder umkreist diese mit einem spiral¬
förmigen Schnitt, worauf es sich in die Länge strecken lässt.
Weiterhin folgten der Zeit nach die Enukleationen und
zwar gi’iff man die in einer Muttermundslippe entwickelten oder
*) Arortrag, gehalten auf der Versammlung oberi'heinischer
Aei'zte im Juli 1902.
25. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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in diese sich hinein erstreckenden Fibromyome an oder auch die
im TTteruskörper inserierenden submukösen Geschwülste, welche,
von Kontraktionen herabgetrieben, durch den mehr oder weniger
geöffneten Muttermund sichtbar oder auch teilweise hervor¬
getreten waren.
Der Aufschwung der Ovariotomie führte dazu, grosse Ge¬
schwülste durch den Bauchschnitt zu entfernen. Die ersten
Operationen waren nicht beabsichtigt. Man eröffnete den Unter¬
leib, in der Meinung, ein Cysto varium vor sich zu haben, und als
man den Irrtum erkannte, wollte man den Eingriff nicht un¬
vollendet lassen. Erst spcäter machte man nach richtig gestellter
Diagnose intendierte Operationen dieser Art. Pean gab eine
bestimmte Methode an zur Entfernung grosser Geschwülste auf
abdominellem Weg. Er machte eine verhältnismässig kurze In¬
zision, legte Drahtschlingen um und durch grössere oder kleinere
Abteilungen des Tumors, schnürte zusammen und trug dann ab.
Zuletzt umgab er den Gebärmutterhals mit der Schlinge und
schnitt ab, worauf das Schnürstück der Nekrotisierung über¬
lassen wurde. Dies Morcellement erforderte viel Zeit und war
nicht ungefährlich. Die Modifikation des Stumpfes war eben¬
falls häufig von unangenehmen Folgen begleitet.
Ich habe 1876 nach dieser Methode operiert und in Deutsch¬
land zuerst die Exstirpation grosser Fibromyome durch Laparo¬
tomie ausgeführt, wenigstens die erste vorher beabsichtigte Opera¬
tion dieser Art gemacht. Das Morcellement liess ich sogleich
weg und machte eine grosse Inzision, welche den Tumor sofort
vorzuwälzen gestattete. Dagegen benützte ich die Drahtschlinge,
welche nicht nur einschnürt, sondern auch einzuschneiden ver¬
mag, selbst die an den Seitenrändern des Uterus verlaufenden
grösseren Gefässplexus. Ich wundere mich heute noch, dass
die beiden Frauen, welche ich zuerst operierte, mit dem Leben
davon kamen und glatt genasen. Sehr bald verbesserte ich die
Methode, indem ich den Draht durch die von Kleefeld em¬
pfohlene Gummiligatur ersetzte, den Stumpf mit Parietalserosa
umsäumte und ihn durch Paquelin und Ohlorzinklösung zu einem
trockenen Schorf umzuwandeln suchte.
Dies Verfahren hat quoad vitam sehr günstige Resultate
gehabt. Die Gefahr der Blutung und der Sepsis ist sehr gering.
Kein Fremdkörper, kein der Nekrose verfallendes Gewebsstück
bleibt in der Bauchhöhle zurück und die Operation lässt sich
schnell ausführen. Ich habe öfters 30 — 35 Genesungen hinter¬
einander verzeichnet. Die Nachteile bestehen in der längere
Zeit erfordernden Nachbehandlung und in der Häufigkeit eines
später eintretenden Bauchbruches.
Schröder gab darauf eine intraperitoneale Methode an.
Nachdem er durch Unterbindung der Spermatika und Einschnü¬
rung des Gebärmutterhalses sich vorläufig vor Blutung gesichert
hatte, entfernte er die Geschwulst mit dem ganzen oder dem
grössten Teil des Uteruskörpers durch einen keilförmigen
Schnitt. Die Wundfläche wurde durch Etagennähte vereinigt.
Hierdurch sollte eine Hämorrhagie nach Lösung der Gummi¬
ligatur verhütet werden. Dieses Verfahren schützte weder vor
Blutung, noch vor Sepsis und die Resultate waren sehr un¬
günstig.
■ Ohrobak, Hof meier, Zweifel bildeten daher an¬
dere Methoden aus, bei welchen der Stumpf aus der Bauchhöhle
ausgeschaltet wird, die also eigentlich zu den extraperitonealen
Operationen gehören und welche man, zur Vermeidung dieser
Benennung, wohl auch als retroperitoneale Verfahren bezeichnet.
Das Wesentliche daran ist, dass Lappen aus der Bauchfellbeklei¬
dung des unteren Gebärmutterabschnitts gebildet werden, welche
man alsdann über die durch einen Querschnitt abgetrennte
Zervix deckt. Die Blutung soll durch Unterbindung der Sper¬
matika, Umstechung der Uterinalgefässe und wohl auch der
Zervix in einzelnen Partien verhütet werden. Dieses Verfahren
batte gute Resultate. Doch sah man auch Nekrotisierungen des
Stumpfes. Infektion von Seiten der Schleimhaut der Scheide
oder der Zervix ausgehend, obgleich man deren Kanal mit
dem Paquelin verschorfte. Auch beobachtete man nicht selten
langwierige Eiterungen infolge der zahlreichen zurückgelassenen
Ligaturen.
Tn die Zeit, in welcher diese Operationen angegeben und
fiusgebildet wurden, fallen nun noch 2 andere Methoden. Ich
empfahl und führte bei Fibromyom die Kastration aus.
Submuköse und den Nabel beträchtlich überschreitende Tumoren
sollten ausgeschlossen sein. Die Resultate waren nicht nur
quoad vitam ausgezeichnet, auch die Blutungen sistierten fast
stets und in den überwiegend meisten Fällen verkleinerte sich
die Geschwulst sehr bedeutend und häufig sehr schnell. Dazu
kommt die rasche Ausführung des Eingriffs und seine geringe
Gefahr. Selten hörten die Hämorrhagien und das Wachs¬
tum nicht auf und man musste zu anderen Verfahren
übergehen, wobei übrigens nichts verloren war. Auch wurde
wohl einmal bei einem submukösen Fibrom die Kastration ge¬
macht und dies verfiel der spontanen Enukleation, welche
künstlich zu Ende geführt werden musste. Dies sind aber Aus¬
nahmen, welche die grossen Vorzüge der Kastration nicht auf¬
wiegen und gegenüber den Nachteilen und Gefahren anderer
hier in Betracht kommender schwerer Eingriffe kaum in An¬
schlag zu bringen sind. Fibrome, welche den Nabel nicht be¬
trächtlich überschreiten, deren Exstirpation durch die Vagina
nicht möglich oder wegen der längeren Dauer des Verfahrens
nicht ratsam erscheint, eignen sich besonders für die Kastration.
Totalexstirpation und Amputatio uteri supravag. sind gefähr¬
licher. Sie können auch durch den Schwächezustand der Pa¬
tientin ausgeschlossen sein. Der Einwand, es sei unrichtig, ein
gesundes Organ wegzunehmen, anstatt das kranke selbst in An¬
griff zu nehmen, deckt die Sachlage nicht und ist entsetzlich
doktrinär. Die Eierstöcke sind nicht in normalem Zustand und
es ist gewiss besser, anstatt den Uterus zu exstirpieren, seinen
pathologischen Zustand zu beseitigen und ihn wenigstens soweit
zu erhalten, dass er seine Funktion, Vervollständigung des Ab¬
schlusses der Bauchhöhle nach unten, auszufüllen vermag.
Eine weitere Methode, Enukleation des Fibroms von der
Bauchhöhle aus, rührt von Martin her. Es kann sich dabei
nicht um gestielte oder auch breiter aufsitzende subperitoneale
Geschwülste handeln. Diese hat man auch früher mit Schonung
des übrigen Organs weggenommen. Ebensowenig kommen ein¬
zelne oder auch mehrere Knoten von der Grösse eines Eies oder
eines Apfels in Betracht, welche, in den tieferen Schichten der
Muskularis entspringend, mässig über die Aussenfläche vor-
springen. Diese rufen keine schlimmen Erscheinungen hervor.
Sind solche da, so sind weitere Fibromyome in der Tiefe oder
an anderen Stellen vorhanden und andere Verfahrungsweisen
sind nötig. Hier besteht ein ähnliches Verhältnis wie bei den
kleincystischen Degenerationen der Ovarien. Ist nur eine par¬
tielle Erkrankung vorhanden, nur einzelne Follikel wenn auch
stark ausgedehnt, so treten keine Übeln Folgen ein. Das Aus¬
brennen mit dem Paquelin, das Sticheln oder die Resektion des
Eierstocks sind überflüssig. Das Interesse der Kranken ist es
nicht, welches sie erfordert. Ein allgemeiner, fortschreitender,
pathologischer Prozess, welcher sich mit beträchtlichen Be¬
schwerden verknüpft, wird durch jene unnötigen Eingriffe nicht
beseitigt. Die Enukleation grösserer intramuraler oder, wie
Martin will, auch submuköser Myome von der Bauchhöhle her
ist noch nicht oft genug ausgeführt, um ein bestimmtes Urteil
über die damit verbundene Lebensgefahr zu haben. Doch scheint
diese grösser zu sein als bei den anderen mit dem Bauchschnitt
verbundenen Operationen. Sicher ist dies wohl da, wo die
Uterushöhle geöffnet werden muss, um den Tumor auszuschälen.
Man hat ferner nie Gewissheit darüber, ob nicht neben einem
oder zwei solitär scheinenden Tumoren noch weitere kleine Ge¬
schwülste oder Geschwulstkerne vorhanden sind, welche später
weiter wachsen. Im allgemeinen kann man eher das Gegenteil
annehmen. Endlich kann man nie sicher sein, dass eine die In¬
dikation abgebende Blutung durch die Enukleation mit Sicher¬
heit beseitigt wird. Man hat diese Methode als eine konservative
gepriesen, bei welcher nicht nur das Organ, sondern auch seine
Funktion erhalten bleibe, insbesondere auch Schwangerschaft mit
normalem Verlauf eintreten könne. Dies ist sicherlich eine sel¬
tene Ausnahme, auf welche keine Indikation gegründet werden
darf. "Wenn wirklich einmal eine Empfängnis eintritt, so ist
dies nicht als ein erfreuliches Ereignis anzusehen. Ein von
Narben durchsetzter, oft auch adhärenter Uterus ist keine ge¬
eignete Herberge für ein Ei, welches sich gut entwickeln soll.
Kein Züchter wird ein weibliches Tier mit einem derartigen
Fruchthalter auswählen, um gesunde und kräftige Junge zu er¬
halten. Der Vergleich mag etwas shocking erscheinen, entspricht
aber ganz den realen Verhältnissen.
Die M a r t i n sehe Methode hat wenig Nachfolger gefunden.
Unter diesen befindet sich neuerdings Olshausen.
1048
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 47.
Die neueste Phase der Fibromoperationen ist bezeichnet
durch die abdominelle Totalexstirpation, welche besonders
von Bu mm und Döderlein mit Erfolg ausgeführt
wurde und durch die Enukleation mit und ohne gleich¬
zeitige Totalexstirpation nach Eröffnung des vorderen und
hinteren Scheidengewölbes. Die Unannehmlichkeiten, welche
man mit der Versorgung und dem späteren Schicksal
des Stumpfes und der versenkten Ligaturen bei der retro-
peritonealen Methode hatte, führten zu dem Gedanken, den
ganzen Uterus wegzunehmen. Die Operation hat ihre Schatten¬
seiten, vor allem die oft unvermeidlich lange Dauer. Unter gün¬
stigen Verhältnissen, wie bei einfachen, nur nach der Bauchhöhle
zu gewachsenen, auch selbst sehr grossen Tumoren, nimmt die
Ausführung nur kurze Zeit in Anspruch. Allein das sind ver¬
hältnismässig wenige Fälle. Die abdominelle Totalexstirpation
ist gerade bei komplizierten Verhältnissen indiziert, da, wo die
Geschwulst teilweise im kleinen Becken sitzt, die Bauchfell-
platten im unteren Teil der. Lig. latum entfaltet, bis zur seit¬
lichen oder selbst hinteren Beckenwand herangeht, in die Nähe
der Vasa hypogastrica und des Ureters gelangt, die hintere Platte
des breiten Mutterbandes emporhebt, die Mesenterien entfaltet,
so dass nach links das S romanum, nach rechts eine Dünndarm¬
schlinge auf dem Fibrom liegt. Oft sind die Verzweigungen der
Uterina auseinandergedrängt, die einen nach vorn, die anderen
nach hinten verschoben. Zuweilen muss man, um ein freieres
Gesichtsfeld zu gewinnen, einzelne Knoten oder Abteilungen des
Tumors abtragen. Es bestehen Veränderungen in diesen, Blut¬
ergüsse, Nekrosen, Bildung von Hohlräumen, wo es denn oft
zu sehr ausgedehnten, blutreichen Verwachsungen, besonders mit
dem Netz, kommt. Nicht selten sind endlich pathologische Pro¬
zesse in den Adnexen. Unter diesen Verhältnissen lässt sich
die Operation nicht schnell ausführen und doch ist diese Me¬
thode gerade dann angezeigt und hat entschiedenen Vorzug vor
allen anderen Verfahren.
Tn manchen Fällen lässt sich die langdauernde Eröffnung
des Abdomens dadurch vermeiden, dass man in dem ersten Teil
der Operation vaginal arbeitet, die Scheide vom Uterus lostrennt,
das Peritoneum vorn und hinten öffnet und die Uterinalgefässe
unterbindet. Erst dann wird der Bauchschnitt gemacht und die
Exstirpation von oben vollendet, was dann rascher geschehen
kann. Leider machen ungewöhnlicher Stand der Vaginalportion,
die Unmöglichkeit, sie herabzuziehen, die Behinderung durch
neben dem Hals tief herabreichende Knoten, die Auseinander-
drängung der Uterinalgefässe dieses Vorgehen oft unzulässig.
Ein weiterer TTebelstand ist das Zurückbleiben eines grossen
Zellgewebraumes zwischen Scheide und Bauchfell. Macht man
den Verschluss der Peritonealhöhle höher oben, etwa am Becken¬
eingang, so hat man noch einen Teil der Beckenbauchhöhle nach
der Vagina hin offen. Am besten hat sich noch eine zweck¬
mässige Drainage des Hohlraums mittels Jodoformgaze bewährt.
Man kann nach dem Gesagten bei der abdominellen Total¬
exstirpation keine so guten Erfolge erwarten wie bei den an¬
deren Methoden. Dies liegt daran, dass gerade die schwierigsten
und kompliziertesten Fälle diesem Verfahren reserviert werden
müssen.
Die vaginalen Enukleationen und Totalexstirpationen haben
einen grossen Aufschwung genommen, seit Dührssen die
Vaginotomia ant. ausbildete. Ob man zunächst von vorn oder
hinten vorgeht, hängt davon ab, von wo der Tumor am besten
zugänglich ist. Die Enukleation allein ist nur bei kleineren,
voraussichtlich solitären, über die Oberfläche des unteren Uterus¬
abschnittes nach aussen hin vorspringenden, intramuralen oder
subperitonealen Fibromen angezeigt, welche sich gut wegnehmen
lassen, ohne dass das Organ stark malträtiert wird. Aber auch
submuköse Geschwülste sind für dieses Verfahren geeignet. Zu¬
weilen ist die Eröffnung der Bauchhöhle bei Vaginotomia ant.
nicht einmal nötig. Man spaltet die vordere Uteruswand bis
zum festen Ansatz des Peritoneum oder präpariert dies etwas
von der Muskularis nach oben hin ab und indiziert dann. Uebri-
gens kann man auch die Bauchfellwunde wieder durch die Naht
schliessen. Ob man die Uteruswunde nach vollendeter Operation
wieder vereinigt oder offen lässt, hängt davon ab, ob man eine aus¬
giebige Drainage der Wunde und gleichzeitig der Uterushöhle
für nötig hält oder nicht.
Man gibt gewöhnlich an, dass der Tumor den Nabel nicht
erreichen dürfe, wenn seine Herausnahme durch Scheidenschnitt
noch gerechtfertigt sein solle: Wir haben schon umfänglichere
Fibrome, welche den Nabel überstiegen, so entfernt. Die Grösse
ist nicht allein massgebend. Zuweilen lassen sich grosse Ge¬
schwülste besser mit einem Teil ihrer Peripherie in den Becken¬
eingang einpressen, als kleinere. Auch sind die Fibrome in ver¬
schiedener Weise mit der übrigen Muskulatur verbunden, einige
sehr innig, besonders bei jüngeren Personen, so dass Messer oder
Scheere nötig sind, um die Verbindungen zu lösen; bei anderen
sind diese so locker, dass man bequem mit den Fingern zum Ziel
gelangt. Auch der Zusammenhang der Geschwülste unter sich
ist verschieden. Manche lassen sich leicht in die Länge aus-
ziehen, was durch Schnitte in die Peripherie befördert wird;
andere geben dem Zug wenig nach. Man muss sich einbohren,
keilförmige oder zylindrische Stücke ausschneiden. Dann wird
der Zusammenhang der Testierenden Stücke weniger fest und
man reüssiert zuletzt bei den Traktionsversuchen.
Die Erhaltung des Uterus ist bei einigermassen grossen Ge¬
schwülsten nicht ratsam. Das Organ wird während der Opera¬
tion zu stark mitgenommen. Rücksicht auf seine Erhaltung ver¬
bietet also nicht die vorherige Unterbindung der Uterinalgefässe,
ehe man das Fibrom selbst angreift. Wird diese vorausgeschickt,
so ist die Gefahr der Blutung erheblich herabgesetzt. Ausser¬
dem hat man noch den Vorteil, dass, wenn allenfalls die Vol¬
lendung der Operation den Bauchschnitt erfordert, wie dies
unter unglücklichen Umständen zuweilen vorkommt, dieser
zweite Akt rasch abgemacht werden kann und also die Abdominal¬
höhle nur kurze Zeit offen zu sein braucht.
Die vaginale Totalexstirpation bei Fibrom liefert von allen
hier in Betracht kommenden Operationen die günstigsten Re¬
sultate. Vor den mit Bauchschnitt verbundenen Methoden hat
sie noch das voraus, dass man vor Hernien sicher ist.
Die operative Behandlung der Lungentuberkulose. )
Von Prof. A. L am derer in Stuttgart.
Die Frage, ob bei Lungentuberkulose operatives Eingreifen
sich empfiehlt oder nicht, muss zurzeit noch als eine offene an¬
gesehen werden.
Die theoretischen Erwägungen F reunds, die pathologi¬
schen Bef unde Schmorls, die ich als bekannt voraussetze,
lassen chirurgische Eingriffe in Frühfällen als berechtigt er¬
scheinen. Die zusammenfassenden Referate, die Quincke
und Gar re auf der vorjährigen Naturforscherversammlung
gegeben haben, sind in diesem Punkte sehr zurückhaltend.
Neueste Publikationen, wie z. B. die Riegners1) aus dem
Krankenhause am Urban, lehnen die Berechtigung chirurgischen
Eingreifens bei tuberkulösen Kavernen direkt ab auf Grund
praktischer Erfahrung und unter Berücksichtigung der patho¬
logischen Befunde bei Sektionen. S a r f e r t, glaubt ein ope¬
ratives Eingreifen bei gut abgekapselten isolierten Kavernen em¬
pfehlen zu dürfen. J ordan 2) kommt auf Grund der Er¬
fahrungen der Heidelberger Klinik sogar zu unerfreulichen
Schlüssen über die Endresultate der operativen Behandlung
tuberkulöser Empyeme und Thoraxfisteln. Unter diesen Um¬
ständen glaube ich meine Erfahrungen, die sich auf 9 der¬
artige Fälle beziehen, hier mitteilen zu dürfen, um so mehr, als
sie zu etwas anderen Ergebnissen führen, der leitende Gedanke
und auch die betretene Methode etwas anders waren als bisher.
Ich bemerke gleich hier, dass ich Frühfälle nicht operativ in
Angriff genommen habe, sondern nur vorgeschrittene, nacli
meiner Ansicht verlorene Fälle. Ob sich aus meinen Ergeb¬
nissen auch Schlüsse für die chirurgische Behandlung von Früh¬
fällen ziehen lassen, darauf werde ich am Schlüsse noch kurz
zurückkommen.
Ich möchte zunächst die 3 ersten, aus früheren Jahren stam¬
menden Fälle kurz besprechen, weil sie, mehr zufälligen Beob¬
achtungen entstammend, gewisse in den anatomischen Verhält¬
nissen bedingte Schwierigkeiten und gewisse Mängel der chi¬
rurgischen Methode in bezeichnender Weise illustrieren. Erst die
6 letzten sind nach einem bestimmten Plane operiert worden.
*) Vortrag, gehalten am 22. September 1902 auf der Natur¬
forscherversammlung zu Karlsbad.
’) Deutsche med. Wochenschr. 1902. No. 29.
2) Beitr. zur klin. Ohir. 34. Bd.
25. November 1902.
M LEN CHE NEE MEDJCINISC11E WOCHENSCHRIFT.
1940
1. der erste Fall ist schon eine Reihe von Jahren her. Bei
einem Kranken mit fast stationärer Lungenphthise hatte sich am
unteren Rande des rechten M. pectoralis major ein Abszess ge¬
bildet, dei fraglos mit einer leicht nachzuweisenden Kaverne zu-
sammenhmg Der Abszess war gashaltig und wurde durch
Pressen und Husten deutlich praller. Das erst in letzter Zeit auf-
getretene lieber konnte auf diesen Abszess bezogen werden.
Idi eiotluete ihn; zalier, schaumiger Eiter entleerte sich. Nach¬
dem der M. pector. maj. am Rande eingekerbt und mit Haken
lochgezogen war, kam man im Verfolgen eines Ganges auf eine
0f-ffl!Ullg am .oberen. Rand der 2. Rippe. Ich brach mit der
Ilolilmeiselzange ein rundes Loch
aus der Rippe aus und kam
mit dem Finger m eine unregelmässige hühnereigrosse Höhle in
iw1’ LlIUSC' Icl? legte. ein Drainrohr ein. Die Reaktion auf den
Eingriff war sehr gering; das Fieber fiel ab. Bei jedem Husteu-
stoss kam Luft aus der Wunde. Der Gang wurde bald enger,
schloss sich aber nicht. Spritzte man mit Methylenblau gefärbte
Kochsalzlösung durch die Fistel ein, so spuckte der Patient so-
lort blau aus. Die Menge des Sputums hatte abgenommen. Ein
Verschluss der Fistel gelang nicht. Pat. musste beständig einen
M attebausch in der Achselhöhle tragen. Als er nach etwa 2 Jahren
um aus den Augen kam, war sein Allgemeinbefinden ein befrie-
ein Teil des Sputums
trotz Verbandes am
digendes; lästig war es ihm, dass beständi
sich nach der Achselhöhle entleerte und
Körper herablief.
2. Dieser Fall betraf eine Tuberkulose im letzten Stadium
iait vol'wiegender Beteiligung des rechten Huterlappens, hohes
lieLei. Die Pinnt über der <. und 8. Rippe war gerötet, teigig
empfindlich. Man musste annehmen, dass hier ein Durchbruch
einer Kaverne in Entwicklung begriffen sei und das Fieber zum
Teil damit Zusammenhänge. Bei der Inzision fanden sich Haut und
Unterbau t im Stadium ödematös-entzündlicher Schwellung. Nach
Resektion von je 6 cm aus 7. und 8. Rippe kam man mit der Holil-
sonde sofort in eine stark wallnussgrosse Kaverne. Pleura und
i'ine dünne Schicht Lungengewebe wurde mit dem Thermokauter
gespalten. Es wurden noch 4 Kavernen von ungefähr der gleichen
Grösse eröffnet und ein Drainrohr eingelegt. Ein günstiger Ein¬
fluss auf Fieber, Allgemeinbefund, Lungenverhältnisse liess sich
nicht erkennen. Pat. starb nach 10 Tagen. Bei der Sektion
fanden sich noch über ein Dutzend Kavernen im rechten Unter¬
lappen, die nicht eröffnet oder irgendwie durch die Operation be¬
einflusst waren.
3. In diesem Fall handelte es sich um eine Kaverne des
rechten Unterlappens, die einen abgesackten Pyopneumothorax
bedingt hatte. Es wurden 2 Rippen reseziert, ' die Höhle ent¬
leert, eine Drainröhre in die Kaverne eingelegt. Während des Ver¬
bandanlegens wurde der Kranke auf di«' linke Seite gelegt; plötz¬
licher Tod trotz sofortigen Luftröhrenschnitts und Aussaugens der
Trachea. In den Bronchien der gesunden Seite fanden sich bei
der Sektion etwa 2 Esslöffel Eiter. Der Kranke war Morphinist
gewesen und in sehr heruntergekommenem Zustand.
Sonstige Operationen — bei Pyopneumothorax und Empyema
tuberculosum — übergehe ich, kann mich jedoch den pessi¬
mistischen Anschauungen Jordans nicht ganz anschliessen.
Ich verfüge über verschiedene Fälle, sicher tuberkulöser
Natur, die seit Jahren, anscheinend dauernd geheilt sind. Dass
der Verlauf dieser 3 Fälle ebensowenig wie das Studium der
Literatur zu weiteren \ ersuchen, Lungentuberkulose operativ
zu behandeln, ermutigt, ist selbstverständlich. Die Bedenken,
die gegen operative Behandlung vorgeschrittener Lungentuber¬
kulosen sich äussern lassen, sind zahlreich, auch wenn man seine
Ziele sich nicht sehr hoch steckt. Zunächst lässt sich die ope¬
rative Eröffnung mit Aussicht auf einigen Erfolg nur auf die
immerhin seltenen Fälle anwenden, wo eine einzige gut ab-
‘grenzte Tvaverne besteht oder höchstens einige benachbarte, die
sich ineinander und nach aussen öffnen lassen. Meist ist die
Sache so, wie dies Fall II illustriert; einen Teil der Kavernen
öffnet und drainiert man, die anderen bleiben unbeeinflusst.
K ieguer hat eine Anzahl von Fällen auf dem Sektionstisch
auf die Mögliclikeit operativer Eröffnung hin studiert und kommt
zu dem Ergebnis, dass es in den meisten Fällen technisch nicht
möglich ist, die zerstreuten Kavernen sicher genug zu dia¬
gnostizieren, noch viel weniger sie alle zu eröffnen. Aber auch
wenn die Kavernen in genügender Weise eröffnet sind, so
bleiben leicht Lungenfisteln zurück, wenigstens in den oberen
den Kranken ein unerfreulicher
Es
ist für
Lungenpartien.
Zustand, wenn er einen Teil seines Sputums in die Achselhöhle
oder auf die Brust entleert.
Meine Versuche, die Vernarbung von Lungenkavernen auf
operativem Wege zu fördern, gingen von anderen Gesichts¬
punkten aus, die in ähnlicher Weise schon von anderen
(I urban, Spengler u. a.) ausgesprochen worden sind.
Wenn man Patienten mit typischen Kavernensymptomen in
den Spitzen beobachtet und die Sache sich der Besserung zu¬
wendet, so sieht man den 3., häufig auch den 2. Interkostal¬
raum sich energisch einziehen, ebenso mitunter die Ueber-
No. 47.
schlüsselbeingrube. Sind die Kavernen nicht zu gross, so ver¬
schwinden die Kavernensymptome und es tritt eine — oft
dauernde Heilung ein. Sind die Kavernen gross, so kann
ein stationärer Zustand eintreten, die Rasselgeräusche ver¬
schwinden ganz oder fast ganz, auch die Bazillen können ganz
oder zeitweise schwinden. Als Heilung ist dieser Ausgang aber
natürlich nicht anzusehen. Die Kranken bleiben Katarrhen
und Rückfällen ihrer Lungentuberkulose stets ausgesetzt, denn
eine Auskleidung mit richtigem Epithel scheint bei diesen
grossen Kavernen nicht vorzukommen. Die Kranken gehen
— nach Jahren — in irgendwelcher Weise seitens ihrer defekten
Lunge zu Grunde oder durch Amyloid. In anderen Fällen
giossei Kavernen kommt es überhaupt nicht zu Einziehungen,
weil der Prozess der Einschmelzung unaufhaltsam fortschreitet
und Vernarbungsvorgänge sich nicht erkennen lassen.
Wer die Entstehungsweise dieser Einziehungen verfolgt,
dem muss sich stets aufs neue der Gedanke auf drängen : diesen
Heilbestrebungen der Natur sollte nachgeholfen werden. Für
den Chirurgen, der gewohnt ist, Empyemhöhlen mit Rippen¬
resektion und 1 horakoplastik zu behandeln, liegt ein solcher Ge¬
danke doppelt nahe. Wir operieren bei Empyemhöhlen aus ein¬
fachen mechanischen Rücksichten, weil die starren Wandungen
der Höhlen nicht zusammenfallen können, aus demselben Grunde,
weshalb wir früher auf knöchernem Grunde aufsitzende Bein¬
geschwüre zirkumzidierten, um die Möglichkeit einer Narben¬
schrumpfung zu erzielen; aus demselben Grunde, weshalb wir
z. B. bei osteomyelitischen Knochenhöhlen mindestens eine Wand
der Höhle wegnehmen, damit sich die Weichteile hineinlegen
können. Ob die Höhlen, deren Verkleinerung wir anstreben,
zwischen Pleura und Thoraxwand sitzen, wie die Empyemhöhlen,
oder in den Lungen selbst, wie die Kavernen, das dürfte schliess¬
lich keinen grossen Unterschied bedingen. Dass die Möglich¬
keit freier Entfaltung der Narbenschrumpfung bei der Heilung
tuberkulöser Prozesse mitunter eine ausschlaggebende Rolle
spielt, sehen wir bei chirurgischen Tuberkulosen oft genug.
Scheinbar aussichtslose tuberkulöse Coxiten nehmen plötzlich
eine unerwartete Wendung zur Spontanheilung, wenn eine Spon¬
tanluxation, eine Epiphysenlösung die Möglichkeit einer ener¬
gischen Verkürzung und Narbenschrumpfung bietet. Gonitiden,
die in keiner Behandlung gestanden haben, sehen wir ausheilen,
wenn der Narbenschrumpfung, die das Knie in spitze Beugung
zieht, freier Spielraum gelassen wird. Ein Teil der heilenden
\\ irkung unserer Resektionen, wo von einer gründlichen Ex¬
stirpation des tuberkulösen Gewebes oft nicht die Rede sein kann,
ist wohl darauf zu beziehen, dass mit Entfernung von mehreren
Zentimetern Knochen die Narbenschrumpfung freien Spielraum
bekommt. Auch für die Heilung der tuberkulösen Peritonitis
nach Laparotomie mögen solche mechanischen Momente eine
Rolle mit spielen. Ich möchte hiebei nicht missverstanden
werden. Ich bin nicht der Ansicht, dass für die Heilung tuber¬
kulöser Herde die mechanischen Verhältnisse allein massgebend
sind. Ich glaube, meine ganzen Bestrebungen auf dem Gebiet
der Tuberkulosenbehandlung schützen mich vor diesem Ver¬
dacht. Betonen möchte ich aber doch, dass für die Frage vom
Heilen und Nichtheilen vorgeschrittener tuberkulöser Prozesse
das einfache mechanische Moment meiner Ansicht nach zurzeit
nicht die nötige Beachtung findet.
Ebenso auch für die Frage der Lungentuberkulose. Wenn
die Höhle nicht zusammenfallen kann, wenn sie immer weiter
sezernieren muss, infektiöses, bazillenhaltiges Material, das
immer wieder neue Lungenpartien angreift, so muss der Versuch
berechtigt sein, diesen Circulus vitiosus an einer Stelle zu durch¬
brechen. Dies war der Gedankengang, der mich veranlasste, vor¬
geschrittene Lungentuberkulosen mit Thorakoplastik oder mul¬
tiplen Rippenresektionen zu behandeln.
Vorgeschrittene Lungentuberkulosen sind an sich kein
besonders günstiges Objekt für grössere Operationen. Die
Chloroformnarkose ertragen Tuberkulöse meist gut; da¬
gegen vertragen sie Blutverlust schlecht; die üblen Wirkungen
kommen oft erst nach einigen Wochen zu Tage, als rasche, nur
schwer mehr zu beseitigende Verschlimmerung der tuberkulösen
Prozesse. Ganz in derselben Weise wirkt länger dauerndes
T iebei . Man sieht nach derartigen ungünstigen Einflüssen bis¬
her dem II. Stadium angehörige Fälle rasch ins III. übergehen.
Noch ein weiterer Punkt ist zu beachten. Nach Operationen in
2
iy50
No. 47.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tuberkulösen Geweben wird bekanntlich nicht selten Miliartuber¬
kulose beobachtet.
Mit diesen Gefahren hat man zu rechnen, wenn man grössere
Operationen bei Tuberkulösen unternimmt; diese . Gefahren
müssen vermieden werden, wenn man auf Erfolg rechnen will.
Ich habe die Operationen in den folgenden Fällen daher nur
unternommen, weil die Fälle, die ich zunächst zur Operation
auswählte, als sonst unheilbar angesehen werden mussten.
4. 25 jähriges Fräulein, seit 10 Jahren kränklich, mehrmals
Lungenentzündungen, seit 5 Jahren festgestellte Lungentuberku¬
lose. Februar 1901: Kaverne in der rechten Spitze (Dämpfung bis
2. Rippe, reichliche feuchte, mittelgrossblasige, zum Teil klingende
Rasselgeräusche); links fast überall Dämpfung, von der 2. bis
4. Rippe eine etwas hellere Zone, daselbst zahlreiche feuchte, mittel¬
grossblasige Geräusche; in den oberen Partien vorn und hinten
deutlich klingende Geräusche; in den unteren Partien vorn und hin¬
ten, besonders in der Axilla, laute, metallisch klingende Geräusche.
Anatomische Diagnose: Kaverne in der rechten Spitze, im linken
Ober- und im linken Unterlappen; linke Lunge grösstenteils de-
struiert. Temperatur subfebril, 38,0 c'— 38,2 °, gelegentlich auch
38,8° — 39°; schlechter Appetit; Gewicht 95 Pfund; Auswurf 80 bis
100 ccm, unzählige Bazillen. Unter Hetolbeliandlung sind die
Ivavernensymptome rechts oben bis zum August verschwunden,
Gewichtszunahme 5 Pfund; Temperatur etwa 0,5° niedriger.
Links die Geräusche weniger, namentlich in der linken Spitze.
Pat. weiss, dass die linke Lunge nicht zur Ausheilung kommen
kann; da das Körpergewicht still steht, eine weitere Besserung bis
Ende Oktober nicht eintritt, schlägt sie selbst, des jahrelangen, aus¬
sichtslosen Krankseins müde, eine Operation vor. Am 20. Novem¬
ber werden aus der hinteren seitlichen Thoraxwand von einem
senkrechten Schnitt mit unterem Winkelschnitt von 7 Rippen
(2. — 8. Rippe) Stücke reseziert von 4 — 15 cm Länge, unter Yor-
ziehen des Schulterblatts. Die getrennten Muskeln werden genäht.
Naht. Drainage. Die in Morphium-Chloroform-Sauerstoffnarkose
ausgeführte Operation wird sehr gut ertragen. Am 4. Tag fängt
die Temperatur an zu steigen, ist am 7. Tag auf 39,2 °, fällt lang¬
sam auf 38,5 — 38,2°. Das Aushusten erfolgt unter mässigen Morphium¬
gaben in genügender Weise. An der wegen der Temperatur¬
steigerung teilweise geöffneten Wunde findet sich nichts Be¬
sonderes. Beschwerlich sind Erscheinungen seitens des Herzens.
Herzklopfen und Pulsfrequenz 140, die mit einer rasch sich ent¬
wickelnden Lageveränderung des Herzens in Verbindung gebracht
werden müssen. Spitzenstoss am 10. Tag p. o. in der hinteren
Axillarlinie; Digitalis und Strophanthus in mässigen Dosen,
Sy2 Wochen p. o. wird mit Iletol wieder begonnen; die Temperatur
fällt allmählich zur Norm ab; Pat. bekommt wieder Appetit und
erholt sich. Die Wunde ist im Februar geheilt. Pat. geht spa¬
zieren, nimmt zu; Auswurf nimmt ab, auf ca. 10 ccm, in einzelnen
Partien viel, in anderen keine Bazillen. Lungenbefund bei der
Entlassung am 15. Mai 1902 RO unreines Atmen, L totale
Dämpfung, eine Zone von 2. — 4. Rippe heller; überall stark ab¬
geschwächtes Atmen: LOY und H trockene, spärliche Rhonchi;
LY und HU Atmung fast aufgehoben, ganz trockenes, dem Ohr
nahes Knarren und Giemen; linker Thorax, namentlich in den
unteren Partien stark geschrumpft, Herz annähernd an normaler
Stelle. Pat. hat sich die ganze Zeit seit der Entlassung so wohl
gefühlt, wie nie; Gewichtszunahme 23 Pfund seit der Operation;
Temperatur normal, Appetit gut; leistungsfähig. Nov. 1902 vor¬
zügliches Befinden durch Untersuchung festgestellt.
5. 15 jähriges Fräulein, erblich schwer belastet; Mutter starb
im Anschluss an die Entbindung an Tuberkulose. Seit einigen
Monaten erkrankt; vom Hausarzt rascher, ungünstiger Verlauf in
Aussicht gestellt. Juni 1901. Status: abgemagert, beginnende
Pubertätsentwicklung. Rechte Lunge vorn bis untern Rand der
2. Rippe Dämpfung, mit zahlreichen feuchten, zum Teil klingenden
Geräuschen; RV trockene und einzelne feuchte Geräusche bis
herunter; RHO Dämpfung bis unterhalb Spina sc-apulae mit
feuchten Geräuschen; feuchte und trockene Geräusche nach unten
abnehmend. LYO und LHO leichte Schallabschwächung und
trockene Geräusche. Sehr zahlreiche Tuberkelbazillen, Auswurf
etwa 40 — 50 ccm. Temperatur unregelmässig. Appetit schlecht.
Unter Hetolbehandlung verläuft die Sache zunächst günstig; Ge¬
wichtszunahme bis 20 Pfund, Temperatur gleichmässig; normale
Pubertätsentwicklung, starkes Längenwachstum. Die Lungen-
ersclicinungen gehen ganz zurück; rechts vorne nur noch bis zur
2. Rippe, hinten bis unterhalb der Spina scapulae Geräusche, meist
trocken; in der rechten Spitze bleiben vorn und hinten klingende
Geräusche, Auswurf 25 ccm. Im Dezember nach einer starken
Erkältung wird die Temperatur unregelmässig; Abendtempera-
turen bis 38,2°. Appetit lässt nach. Langsame Gewichtsabnahme
um 7 Pfund.
Auf Wunsch der Patientin und des Vaters wird am
13. Februar 1902 die Operation in Morphium-Chloroforin-Sauerstoff-
narkose gemacht. Hakenförmiger Schnitt RV unter dem Schlüssel¬
bein und dann 2 Querfinger entlang dem Brustbein bis über den
Knorpel der 3. Rippe. Entfernung eines dreieckigen Stücks aus
der vordem Brustwand, aus der ersten Rippe 3,5 cm, 2. Rippe
5.5 cm, 3. Rippe 7,5 cm. Situationsnähte. Glatter Verlauf; vom
4. bis 9. Tag Temperatursteigerung bis gegen 39°. Die Wunde
wird geöffnet, langsamer Temperaturabfall. Pat. verlässt bald das
Bett. Die Wunde heilt sehr langsam. Am 7. März Wiederauf¬
nahme der Hetolbehandlung, Temperatur wird wieder völlig
normal, der Appetit kehrt zurück. Pat. nimmt wieder zu und hat
bei der Entlassung im Juni im ganzen 23 Pfund zugenommen.
Auswurf hat ganz aufgehört. Ueber dem rechten oberen Lungen¬
lappen mitunter trockenes Lederknarren, mitunter nichts zu hören,
bei sehr abgeschwächter Atmung.
Das gute Befinden hält bis heute an. Im Oktober RO
hauchendes Atmen ohne jedes Geräusch, kein Auswurf.
G. 23jähr. Herr, angeblich schon seit 3 Jahren öfter an
Katarrhen leidend, 2 schwere Lungenentzündungen, sehr
häufig Lungenblutungen. Juni 1901 erste Untersuchung. Däm¬
pfung über der rechten Spitze vorn und hinten, mit trockenen Ge¬
räuschen; RH, von der Mitte der Skapula ab, relative Dämpfung
mit zahlreichen trockenen und einzelnen feuchten Geräuschen;
LHO etwas trockenes Giemen. Pat. lehnt zunächst jede Behand¬
lung ab.
November 1901 kehrt Pat. wieder zurück in sehr ver¬
schlechtertem Zustand. RHU Bronchialatmen mit klingenden
Rasselgeräuschen, akuter Zerfall des rechten Unterlappens; auch
auf den übrigen Lungenpartien Zunahme der Rasselgeräusche.
Wegen der häufig sich wiederholenden Lungenblutungen, die auch
durch Gelatineinjektionen nur für 2 — 4 Wochen zum Stehen ge¬
bracht werden können, Hetolbehandlung nur unregelmässig und
in kleinsten Dosen; doch kommt der Zerfallsprozess einigermassen
zum Stehen, Pat. nimmt etwas an Gewicht zu. Die Geräusche
RHU werden etwas weniger, doch ist das Bronchialatmen laut
und amphorisch, auch 11V deutlich zu hören. Pat., der sich über die
Aussichtslosigkeit seines Zustandes klar ist und die günstigen
Ergebnisse von Fall 4 und 5 gesehen hat, verlangt, als einzige Mög¬
lichkeit einer Besserung, die Operation. Sie wird ausgeführt,
nachdem Pat. und sein Vater einen Revers unterzeichnet haben,
in dem sie die Verantwortlichkeit für alle etwaigen Folgen der
Operation übernehmen.
ln Morphium-Chloroform-Sauerstoffnarkose werden am 1. Mai
3902 etwa 70 cm aus 9. — 4. Rippe herausgenommen. Die Operation
verläuft ohne Störungen. Auch die ersten 14 Tage nach der
Operation zeigen ungestörten Verlauf; in den kalten Tagen von
Mitte Mai zieht sich Patient zunächst eine schwere Diarrhöe zu;
daran anschliessend unter raschem Temperaturanstieg bis gegen
40 0 eine Pneumonie des linken Unterlappens, die ihn mit schwerer
Atemnot, gefärbten Sputis und bedenklicher Pulsbeschleunigung
in die äusserste Gefahr bringt. Unter Digitalis sinkt die Tein
peratur am 10. Tage ab und Patient beginnt sich sehr langsam
zu erholen.
Am 1. Juli geht Pat. aufs Land. Die Pneumonie des linken
Unterlappens hat sich nicht ganz gelöst, doch sind an dieser Stelle
nur wenige feuchte Geräusche mehr. Ueber dem rechten Oberlappen
abgeschwächtes Atmen und spärliche trockene Geräusche. Der
Thorax ist in seinem rechten untern hintern Teil erheblich ge¬
schrumpft. RHU Bronchialatmen weniger laut als früher, trockene
Geräusche. Pat. vermag umherzugehen, hat guten Appetit, Ge¬
wichtszunahme G Pfund. Abnahme des Auswurfs. Zustand auch
Oktober 1902 im gleichen.
Ob der Verfall des Kranken ohne die Operation ein lang¬
samerer gewesen wäre, lässt sich nicht sagen; ebensowenig, ob der
Erfolg ohne die interkurrente Pneumonie ein besserer gewesen
wäre. Die Resektion hat anscheinend nicht genügt, um der den
ganzen rechten Unterlappen einnehmenden Kaverne die Möglich¬
keit völliger Schrumpfung zu geben.
7. 22 jähriges, schwächliches Mädchen, erblich belastet. In
ziemlich rascher Weise entwickelt sich ein überaus starker Husten
mit profusem, eitrigem Auswurf, der vergeblich mit verschiedenen
inneren Medikationen bekämpft wird. In letzter Zeit war Pat.
fast stets orthopnoiscli; Schlaf kaum länger als 10 — 15 Minuten.
Sehr schlechtes Allgemeinbefinden. Puls gegen 100, Temperatur
normal. Ueber beiden Spitzen Dämpfung und trockene Rassel¬
geräusche; über der ganzen rechten Lunge, besonders hinten ver¬
einzelte, trockene und feuchte Geräusche. LHU anderthalb hand-
liolie Dämpfung mit zahlreichen feuchten und klingenden Ge¬
räuschen. Die Menge des rein eitrigen, ziemlich übelriechenden
Auswurfs beträgt meist über einen halben Liter: die Entleerung
erfolgt absatzweise unter schweren dyspnoisclien Anfällen.
Tuberkelbazillen wurden trotz häufigen Suchens nach ver¬
schiedenen Methoden nie gefunden; es bleibt also fraglich, ob der
Prozess als tuberkulös anzusehen ist.
Die Operation bildete hier eine Indicatio vitalis. Am 10. Juli
wurden von der 9. bis 5. Rippe links hinten bis zur Axillarlinie
grosse Stücke entfernt in Morphium-Chloroform-Sauerstoffnarkose,
in besonderer Lage, die das Einfliessen von Eiter in die gesunde
Lunge verhinderte. Die schnell und glatt verlaufene Operation
wurde gut ertragen, aber schon in den nächsten Tagen zeigte es
sich, dass Pat. in keiner Weise zum Husten und Auswerfen zu
bringen war. Am 4. und 6. Tag förderten Brechmittel grosse
Mengen Bronchialsekret zu Tage, aber die Temperatur fing an
zu steigen und die operative Eröffnung der Kaverne liess sich
nicht umgehen. Am 7 Tag p. o. wurde die dünne Wand mit dem
Paquelin an verschiedenen Stellen durchgebrannt und 2 Drains
eingelegt. Es entwickelte sich eine massenhafte Absonderung
unter schneller Verminderung des Auswurfs. Bei der Verhält¬
nisse halber verfrühten Entlassung am 24. August war die
Wunde geschlossen; Absonderung bald nichts, an anderen
Tagen 20 — 25 ccm. Allgemeinbefinden erheblich gebessert; Pat.
ist den ganzen Tag ausser Bett. LHU bei fast aufgehobenem
Atemgeräusch oft keine Geräusche, dann wieder einzelne feuchte
und trockene Geräusche; auch auf der rechten Lunge noch ver¬
einzelte Geräusche. Nov. erhebliche weitere Besserung fest¬
gestellt.
8. 23 jähriger Herr. Bisher gesund. Vor 4 Monaten fiel ihm
i die Kante eines schweren Bretts auf die linke untere Brustseite.
25. November 1902.
MUENCHENER MED 101 NFS OHE WOCHENSCHRIFT.
1951
Seither Sohmerz. allmählich Entwicklung einer Anschwellung, die
mzidicrt wurde und eine nicht genau feststellbare Menge Eiters
entleerte. Bildung einer Fistel. 15. Mai 1902: Grosser, kräftiger
Mensch. Rechte Lunge ohne nachweisbare Veränderungen Links
zwischen <. und -8. Rippe Narbe eine 10 cm langen Inzision, in der
Mitte eine stark absondernde Fistel. Ueber der ganzen linken
Lunge \eieinzelte trockene Geräusche; LVU Atmung fast auf¬
gehoben und starke Dämpfung ohne deutliche Geräusche. Unter
i egelmassigem Verband und einigen Aetzungen heilt die Fistel
rasch zu. Kurze Zeit nach dem Verschluss derselben stellt sich
starker Husten mit eitrigem Auswurf ein, bis zu 250 ccm den Ta¬
in dem Auswurf spärliche Tuberkelbazillen. Es wurde die Walir-
sclieinliekkeitsdiagnose gestellt: Nach aussen durchbrochene und
wieder verschlossene Lungenkaverne.
Da keine Aenderung im Betinden eintritt, wird am 30. Juni
zur Operation in Morphium-Chloroform-Sauerstoffnarkose ge¬
schritten. Hakenschnitt. Entfernung von Stücken aus der 9 bis
o. Rippe unter Trennung und späterer Wiedervereinigung des
M. latissimus dorsi und der Ansätze des M. obliq. abd. ext. Nur an
der 7. Rippe wurde eine kleine narbige Einziehung gefunden
Eine narbige Veränderung an der Pleura, wie erwartet, wurde
nicht gefunden, ebensowenig die Stelle, wo die Fistel in die Lunge
gegangen sein mochte, obAvolil eine Stelle von 12:20 cm der Pleura
blossgelegt war. Auch mehrfache Punktionen ergaben keinen An¬
haltspunkt, avo die Höhle zu finden Avar. So Avurde auf Eröffnung
vorläufig verzichtet. Pat. Avar sehr Avenig von der Operation an¬
gegriffen und stand schon am (5. Tag Avieder auf. Rasche Er¬
holung. Auffallend Avar bei diesem Patienten die rasche und
starke Schrumpfung der ganzen linken Thoraxseite, auch der oberen
Partien, die nicht von der Operation berührt waren. Pat. ist jetzt
auf eine tägliche Sputummenge von 20 ccm heruntergekommen,
Die linke Thoraxpartie zeigt vorn und hinten fast völlig auf¬
gehobene Atemgeräusche, spärliche trockene und giemende Ge¬
räusche. Oktober 1902. Keine Geräusche, auch LVU nicht; immer
noch etwa 20 ccm AusAvurf. Trotz häufiger sorgfältiger Unter¬
suchung keine Tuberkelbazillen mehr im Sputum.
Ob dieser Fall vollends zur Ausheilung gelangen wird, oder
noch eine Eröffnung der Höhle sich nötig machen wird, lässt sieh
zur Zeit, nicht sagen, die Möglichkeit noch eines extrapulmonalen
Herdes muss envogen werden.
9. 26 jähriges Fräulein. ScliAA’er belastet, Vater an Lungeu-
blutung, eine Schwester an Meningitis tuberculosa gestorben, eine
zAveite Schwester tuberkulös. Seit 5 Jahren krank. Vor 4 Jahren
mit einer grossen Khverne des linken Oberlappens, feuchten und
trockenen Geräuschen über der ganzen linken Lunge, trockenen
Geräuschen über dem rechten Oberlappen zur Heilbehandlung
zugegangen. Die Geräusche über der rechten Lunge Arerschwinden
ganz; links oben bleiben Kavernensymptome. Pat. erholt sich,
ist arbeitsfähig und wird intermittierend mit Hetol behandelt.
Hat oft y2 Jahr lang keine Bazillen im AusAvurf. dann linden sich
Avieder welche in geringer Menge im Auswurf. Pat. Aviinscht selbst
eine Operation, da sie des aussichtslosen Krankseins müde ist
und ein spontaner Verschluss der Kaverne nicht mehr zu erwarten
steht.
Am 26. Juni 1902 Operation in Morphium-Chloroform-Sauer-
stoffnarkose. Von der Spina scapulae wird parallel den Fasern des
M. cucullaris eine Inzision bis über den Dornfortsatz des 2. Brust-
wirbels gemacht; die Fasern des M. cucullaris, Urvater anguli
scapulae etc. werden auseinander geschoben, nur die tiefsten
dünnen Kückenmuskeln werden durchtrennt. Von der 1. Rippe
Averden 4,5 cm, von der 2. Rippe 5 cm, von der 3. und 4. je 6 cm
entfernt. Blutung ganz unbedeutend. Ijockere Tamponade. Die
unmittelbaren Folgen der Operation sind sehr gering; Pat. kann
schon am 6. Tag das Bett verlassen. Nur geringe Temperatur-
Steigerungen vom 4. — 10. Tage. Anfang August Beginn der Hetol-
behandlung. Einmal infolge Ueberanstrengung 2 tägige Tem¬
peraturerhöhung auf 39°. Die Wunde war am 15. August geheilt.
Jetzt ist Pat. den ganzen Tag ausser Bett; die Sputummenge, vor
der Operation 30 — 40 ccm pro die, beträgt jetzt 12 — 20 ccm. Auf
der linken Lunge fast nur noch trockene Geräusche, gelegentlich
einige feuchte. Pat. hat zur Zeit noch 5 Pfund Aveniger an Körper-
gewicht, als vor der Operation. Oktober 1902. Pat. erholt sich
sich gut, hat wenig Auswurf mit wenig Bazillen. Sieht gut aus
und kann sich beschäftigen.
An die Mitteilung- der Krankengeschichten seien noch einige
Bemerkungen angeschlossen. Zunächst Einiges zur Technik.
Die Resektion der Rippen muss so rasch als möglich gemacht
werden ; Blutungen aus den Interkostalgefässen, auch den Inter-
kostalveneli können ganz vermieden Averden. Die Resektion der
Rippen muss über die physikalisch festgestellten Grenzen der
Kavernen um mindestens eine Rippe hinausgreifen. Es empfiehlt
sich, eher zu viel als zu wenig wegzunehmen, auch in der Breite.
Es erscheint nicht zweckmässig, die Wunden exakt zu nähen,
ln den ersten beiden Fällen habe ich genäht; beide Male kam
nach einigen Tagen aus der Tiefe Eiterung, trotzdem die Asepsis
gut gewahrt war und in derselben Zeit Störungen der prima
reunio auf der Abteilung sonst nicht vorkamen. Bei
Hebung der Operation an der Leiche zeigte sich, dass
die Schichte zwischen Grund der Wunde und Kaverne keineswegs
so mächtig ist, wie man annehmen möchte. Die schwielige Ver¬
dickung der Pleura ist mitunter sein- gering, ja fehlt völlig,
und die GeAvebssehicht, die man unter der Rippe bis zur Kaverne
zu durchtrennen hat, ist kaum 1VS mm stark — Periost, Pleura
und ein dünner Rest Lungengewebe. Dass die massenhaft vor¬
handenen Mikroorganismen von der so nahen Kaverne aus die
V unde infizieren können, ist naheliegend.
Je nach Lage der Kavernen wird man vorziehen, die
1 horakoplastik vorn odei’ hinten am Brustkorb auszuführen.
Jedenfalls darf eine Stelle am Thorax nicht berührt werden; dies
ist die Partie, die das Herz und die grossen Gefässe deckt, da
man sonst empfindliche und pulsierende Narben erhält. Auch am
rechten Sternalrand müssen d esshalb die Rippenknorpel g-anz
oder teilweise erhalten bleiben.
Als Schnitte empfehlen sich senkrechte Schnitte, die dann
in L-Iorm, T-Form, selbst I hürfiügelschnitt übergehen können;
doch lassen sich z. B. von einem L-förmigen oder leicht bogen¬
förmigen Schnitt von 6 — 8 Rippen genügend grosse Stücke, von
den unteren Rippen z. B. 10 — 15 cm entfernen. Zum Instru¬
mentarium eignen sich soAvohl Drahtsäge, Avie schneidende Kno¬
chen- und Rippenscheeren. Nur für die erste Rippe dürfte sich,
wenigstens wenn man sie vorn unter dem Schlüsselbein angreifen
Avill, die Drahtsäge etc. nicht eignen. Nachdem man das Periost
vorsichtig abgehoben hat, zwickt man mit spitz zulaufender Ilohl-
meiselzange Stückchen um Stückchen heraus und kann so bis
3 cm in sehonendster Weise entfernen.
\\ ill man die 3 — 4 obersten Rippen von hinten entfernen, so
empfiehlt sich ein der Faserung des M. cucullaris ungefähr ent¬
sprechender Schnitt, vom Domfortsatz des ersten oder zweiten
Brustwirbels nach aussen bis aufs Schulterblatt laufend. Von
hier aus kann man die Muskeln des Schultergürtels auseinander
schieben, fast ohne eine Faser zu verletzen. Dies ist wichtig,
weil die Beweglichkeit des Arms so nicht geschädigt wird.
Ein wichtiger Punkt in der Nachbehandlung ist, dafür zu
sorgen, dass die Operierten das Sekret ihrer Kavernen in ge¬
nügender Weise nach aussen entleeren und eine Aspirationspneu¬
monie verhütet wird. Die Kranken scheuen in den ersten Tagen
das Husten wegen Schmerzen; sie sind daher — bei kleinen
Morphiumgaben — streng zum Husten anzuhalten. In einem
Fall habe ich das Husten durch Brechmittel erzwingen müssen.
Die 1 echnik kann natürlich nicht als ausgebaut angesehen
Averden. So wird mitunter, besonders bei Unterlappen tuberkulösen
die frage sich aufwerfen, ob die Kavernen nicht zu eröffnen und
zu drainieren sind. Bei ausgedehnten Resektionen ist die Gefahr
einer dauernden Fistelbildung bei Eröffnung des Unterlappens
jedenfalls gering.
Noch ist einiges zu sagen über die Wahl der Fälle. Fälle
akuter Tuberkulose eignen sich natürlich nicht, sie würden durch
den Blutverlust etc. nur nutzlos geschwächt und der üble Aus¬
gang beschleunigt. Am geeignetsten sind Fälle mit nachweis¬
baren Zerstörungen, die stationär oder langsam progredient sind.
Massige I emperaturstedgerung scheint nicht zu schaden. Drin¬
gend zu empfehlen dürfte ein operatives Eingreifen bei Unter¬
lappentuberkulose sein. Ich habe zwar auch solche Fälle mit
Hetol zur Dauerheilung gebracht. Im allgemeinen jedoch wird
die Prognose der Unterlappen tuberkulöse als so infaust ange¬
sehen, dass fast sämtliche Sanatorien und alle Volksheilstätten
jede Unterlappentuberkulose als zur Behandlung ungeeignet prin¬
zipiell abweisen. Die Ursache des ungünstigen Verlaufs bei
Unterlappentuberkulose ist zurzeit unbekannt. Vielleicht spielen
auch hier mechanische Momente mit, Unterlappentuberkulosen
sehliessen sich fast stets an Pleuritiden an. Es mag sein, dass
durch die Anheftung der Lung-e an die Thoraxwand eine Ver¬
schiebung und Schrumpfung ausgeschlossen ist. Bei den un¬
günstigen Ansichten der Unterlappentuberkulose dürfte es da¬
her berechtigt sein, auch Frühfälle sofort der Thorakoplastik zu
unterwerfen. Die Aussichten sind natürlich hier wie sonst um so
besser, je früher man eingreift.
Im ganzen ist die Operation von den Kranken überraschend
gut ertragen worden. Nach 2 — 3 Wochen, wo die Kranken durch
Schmerzen etc. leiden, tritt die Besserung ein. Das Ergebnis des
operativen Eingreifens wäre in folgender Weise zusammen¬
zufassen : Von diesen 6 aussichtslosen Fällen ist in 1 Fall eine
temporäre Heilung erzielt worden, in 2 eine ganz erhebliche
Besserung, 1 Fall ist gebessert und verspricht Avahrscheinlich
Heilung, 1 Fall ist noch unentschieden. Im 6., ganz aussiehts-
1952
No. 47.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
losen Fall, einer grossen Unterlappenkaverne mit raschem Ver¬
fall, hat die Operation jedenfalls nichts geschadet.
Der Mechanismus der Heilung nach der Operation dürfte
ungefähr der gleiche sein, wie bei der Heilung des Empyems.
Durch die Wegnahme zahlreicher grosser Rippenstücke ver¬
kleinert sich sowohl der sagittale, wie der transversale Durch¬
messer der betreffenden Brusthälfte um ein Erhebliches; so kann
die Lunge schrumpfen und trotz der Defekte den neuen, ver¬
kleinerten Thorax ausfüllen. Bei Operationen auf der linken
Seite bietet die oft rasche Verschiebung des Herzens einen deut¬
lichen Anhaltspunkt für (Jas Mass dieser umformenden Prozesse.
Dadurch, dass tuberkulöse, bazillenhaltige Gewebe nicht be¬
rührt werden, sondern die ganze Operation sich in gesunden Ge¬
weben abspielt, ist die Hauptfrage, die einer Propagation der
Tuberkulose durch den blutigen Eingriff ziemlich in die
Ferne gerückt, noch mehr, wenn man durch vorherige Hetol-
behandlung die Herde gegen die Zirkulation abschliesst. Ich
habe mich bei diesen Fällen vorher und nachher desi Hetols be¬
dient, eines Mittels, dessen schrumpfende und vernarbende Ein¬
wirkung auf tuberkulöse Prozesse von verschiedenen Seiten an¬
erkannt wird. Ich glaube, dass die guten Resultate, die ich durch
Thorakoplastik bei vorgeschrittener Lungentuberkulose erzielt
habe, nicht zum geringsten Teil der gleichzeitigen Anwendung
des Hetols zuzuschreiben sind. Doch will ich diese zurzeit kon¬
troverse Frage, deren Entscheidung auch nicht vor dieses Forum
gehört, hier nicht anschneiden.
Diese Beobachtungen werfen auch ein gewisses Licht auf die
von F r e u n d und Schmorl wieder in den Vordergrund ge¬
rückte Fi*age der operativen Behandlung von Frühfällen von
Lungentuberkulose. Ich habe von der operativen Behandlung
der Anfangsfälle von Lungentuberkulose bisher abgesehen, weil
für mich kein Anlass dazu vorlag. Diese Fälle gelangen — von
Komplikationen, wie chronische Nephritis, Meningealtuberkulose
u. dergl. abgesehen — durch Iletolbehandlung ohne weitere Bei¬
hilfe zur Heilung-. Immerhin lassen diese an sehr vorgeschrit¬
tenen Fällen gewonnenen Erfahrungen den Rückschluss zu, dass
um so leichter auch an beginnenden Fällen Erfolge zu erzielen
wären. Jedenfalls begegnen sich meine Anschauungen und die von
F r e u nd und Schmorl in der genügenden Bewertung des
mechanischen Moments für die Heilung der Tuberkulose.
Ich möchte meine Ausführungen etwa in folgende Sätze zu¬
sammenfassen :
Die Scheu, Lungentuberkulosen operativ in Angriff zu
nehmen, ist unberechtigt. Tuberkulöse ertragen die Thorako¬
plastik gut.
Die Tatsache, dass grössere Kavernen nur in seltenen Fällen
dauernd stationär bleiben, berechtigt zu operativem Vorgehen.
Die Thorakoplastik vermag erhebliche, länger dauernde
Besserungen, selbst temporäre Heilungen zu bringen.
Bei Unterlappentuberkulose erscheint der Gedanke opera¬
tiven Eingreifens besonders naheliegend.
Ueber Spirometrie I.
Von Ilofrat Dr. Rudolf v. Hoesslin, dirig. Arzt der Kur¬
anstalt Neuwittelsbach bei München.
Im Winter 1900/01 war ein Kranker in meiner Anstalt,
welcher an einer Erkrankung der Respirationsorgane litt und aus
diesem Grund spirometrische Messungen seiner Vitalkapazität
machen sollte. Wir benützten hiezu einen einfachen, aus zwei
ineinander passenden Blechzylindern hergestellten Spirometer, wie
er allgemein in den Kliniken und Sanatorien in Gebrauch steht.
Es war auffallend, dass die erhaltenen Werte bei verschiedenen
innerhalb weniger Tage ausgeführten Messungen sehr verschieden
ausfielen bei unverändertem Lungenbefund.
Der Kranke, der selbst Physiker war, suchte den Grund
darin, dass der Spirometer verschieden temperiert war, sowohl in
Bezug auf das Wasser, als in Bezug auf die Aussentemperatur.
Stand der Spirometer nahe am geheizten Ofen, so erhielten
wir wesentlich höhere Werte, als wenn der Spirometer in der
Nähe des offenen Fensters gestanden hatte.
Ich stellte nun bei einer Reihe von gesunden Personen spiro¬
metrische Messungen an und kam zu dem Resultat, dass die
Vitalkapazität um so grösser wurde, je höher temperiert das
Wasser des Spirometers war. Ich machte Messungen bei 5 — 6°,
bei 18" und bei 34 — 37° C. und, wie sich aus beistehender Ta¬
belle ergibt, schwankten die Differenzen bei verschiedenen Wasser¬
temperaturen ganz bedeutend, zwischen 350 und 1075 ccm, mit
anderen Worten ohne Berücksichtigung der Tem¬
peratur des Raumes, in welchen exspiriert
wird, entstehen bei der Spirometrie so enorme
Fehler, dass derselben überhaupt nicht mehr
der Wert einer wissenschaftlichen Unter¬
suchungsmethode b e i g e 1 e g t werden könnte.
No.
Temperatur
des
Spirometers
abgelesene
Vital¬
kapazität
Temperatur
des
Spirometers
abgelesene
Vital¬
kapazität
Temperatur
des
Spirometers
abgelesene
Vital-
kapazität
Differenz zwischen
kleinster mul
grösster ahgelesener
Vitalkapazität
1
6« C.
2100
36
2450
350
2
6 »
2275
18
2475
36
2650
375
3
6 ,,
2375
18
2650
37
2*50
475
4
6 „
3350
18
3600
36
4050
700
5
6 „
3400
18
3550
34
4150
750
6
5 „
3450
18
3900
36
4525
1075
7
5 „
3450
18
3800
36
4400
950
8
5 „
3650
18
3725
36
4200
550
9
5 „
3750
18
3900
36
4475
725
10
6 >»
3950
18
4350
37
4600
650
11
5 „
4100
18
4200
36
4900
800
12
6 »
4150
18
4275
36
4750
600
13
6 „
4300
18
4500
35
5075
775
Um wirklich richtige Vorstellungen über die Vitalkapazität
zu erhalten, ist es notwendig, dass wir in einen
Raum exspiriere n, welcher auf die Körpertem¬
peratur e r w ä r m t i s t. Es muss also erstens das W asser
des Spirometers auf Körpertemperatur erwärmt und zweitens
der innere Zylinder des Spirometers vor zu grosser Abkühlung
geschützt sein. Im allgemeinen wird auch der letztere Zweck er¬
reicht, wenn das Spirometerwasser erwärmt wird; steht aber der
Spirometer in einem kühlen Raum, so ist es notwendig, den in
die Höhe geblasenen Zylinder mit einem schlechten Wärme¬
leiter zu umgeben, z. B. mit einem leichten Tuch zu bedecken.
Werden diese Vorsichtsmassregeln nicht beachtet, so nimmt
das Volumen der exspi vierten Luft rasch ab, und zwar um so
mehr, je kälter der Raum ist, in welchen exsinriert wird, weil
aus physikalischen Gründen sowohl der Wasserdampf als die ex-
spi vierte Luft durch die Abkühlung eine Volumsveränderung er¬
leiden. Diese Volumsveränderung ist aber nicht nur abhängig
von der Temperatur, sondern auch vom Barometerstand.
Zahlen, welche sich miteinander vergleichen lassen, erhalten
wir aber nur, wenn wir obige Vorsichtsmassregeln beobachten
oder wenn wir die bei einer beliebigen Temperatur des Spiro¬
meters abgelesenen Werte unter Berücksichtigung dieser Tem¬
peratur und unter Berücksichtigung des Barometerstandes um¬
rechnen.
Herr Gebhardt war auf meine Veranlassung so liebens¬
würdig, im folgenden Aufsatz den verehrten Lesern dieser Wochen¬
schrift die physikalischen Gesetze zu erläutern, nach welchen die
Volumsveränderung der in den Spirometer exspirierten Luft vor
sich geht, und gleichzeitig die Formel zu entwickeln, nach
welcher die Umrechnung des Exspirationsluftvolumens zu er¬
folgen hat, wenn der Spirometer nicht auf Körpertemperatur er¬
wärmt wurde. Aus den Erörterungen von Gebhardt geht
auch unzweifelhaft hervor, dass auch dann keine richtigen Werte
gefunden werden, wenn, wie hier bei der praktischen Ausführung
der Spirometrie wohl die Regel zu sein pflegt, die Messungen
bei der durchschnittlichen Zimmertemperatur von 18 — 20 0 C.
vorgenommen werden.
Es ist jedenfalls das sicherste und einfachste, einen Spiro¬
meter zu benützen, an welchem gleich die richtigen Werte ab¬
gelesen werden können; wir haben daher einen Spirometer her¬
steilen lassen, welcher in seinem inneren Zylinder einen Thermo¬
meter enthält, welcher uns jederzeit gestattet, die Temperatur
des Innenraums abzulesen.
Die beistehende Abbildung gibt ein genaues Bild von dem
Spirometer, den Herr Gebhardt und ich zu unseren Unter¬
suchungen fertigen Hessen (bei Böhm & W i e d e m a n n,
München).
Der Spirometer wird mit ungefähr 37 0 O. warmem Wasser
gefüllt, indem man nach Oeffnung des Hahns (h) den inneren
Zylinder (c) in seine tiefste Lage bringt und dort festhält, bis das
oben in den Spirometer gegossene Wasser die Höhe des inneren
25. November 1902,
1953
MUTEN CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Zylinders erreicht hat. Durch das Rechaud (r )wird die Tem¬
peratur des Spirometers, die an dem Thermometer (t) abselesen
werden kann, auf ca. 37° C. erhalten. Vor dem Gebrauch des
Spirometers ist es zweckmässig, über den Teil des Spirometers
der oberhalb des äusseren Zylinders liegt, ein leichtes Tuch zu
breiten, um eine stärkere Abkühlung des inneren Zylinders beim
Aufsteigen desselben zu vermeiden.
Vor Benützung des Spirometers wird der Zeiger (z) mit seiner
Basis auf den Meniskus im Wasserstandsgefäss (wstj und gleich¬
zeitig auf die 0 der Skala (s) gestellt (zu diesem Zweck hat der
Zeiger ein Gelenk), während der innere Zylinder auf seinem tief¬
sten Stand steht.
Das Manometer (in) wird nach Abschrauben des Deckels mit
Wasser gefüllt. Nach vollendeter Exspiration wird der Hahn (ln
geschlossen und an dem Gewicht des Spirometers so lange gezogen,
bis das Manometer gleiche Wasserhöhe in beiden Schenkeln ''an-
zeigt; ferner wird der Zeiger (z) an dem Wasserstandsgefäss so
lange hinabgeschoben, bis er wieder den Meniskus berührt. Er¬
stelle Manipulation ist notwendig, weil nach der Exspiration der
Druck im inneren Zylinder grösser ist, als der Aussendruck, letz¬
tere, weil durch das Hinaufsteigen des inneren Zylinders der
Wasserstand sinkt. Durch Nichtbeachtung dieser beiden Mani¬
pulationen können noch Fehler bis zu 150 ccm entstehen.
Die Skala ist an dem inneren Zylinder angebracht und steigt
mit diesem in die Höhe, wenn die Luft eingeblasen wird. An ihr
wird die wirkliche Vitalkapazität abgelesen, wenn obige Vorsichts-
massregeln bei der Untersuchung beobachtet werden.
Wird der Spirometer nicht mit Wasser von Körpertempera¬
turen gefüllt, so muss die Temperatur am Thermometer des Spiro¬
meters und der jeweilige Barometerstand abgelesen werden und
durch Umrechnung der abgelesenen Vitalkapazität nach der von
G e b h a r d t aufgestellten Formel die wirkliche Vitalkapazität
berechnet werden.
Um zu zeigen, wie gut, die nach der Formel von Gebhardt
berechneten Zahlen mit den empirisch an unserem Normalspiro¬
meter abgelesenen übereinstimmen, möchte ich noch folgende Bei¬
spiele anführen :
No. 3 atmete bei auf 37 0 erwärmtem Spirometer 2850 ccm,
bei auf 6° erwärmtem nur 2375. Wird dieser letztere Wert nach
der Gebhardt sehen Formel auf Körpertemperatur reduziert,
so erhalten wir 2777.
No. 13 atmet bei 37 0 5075, bei 6 0 4300. Aus dieser letzten
Zahl berechnet sich nach der obigen Formel eine Vitalkapazität
von 5030.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass ja auch die einzelnen
Atemzüge der gleichen Personen ceteris paribus immer etwas
differieren und Differenzen von 50 — 150 ccm innerhalb der un¬
vermeidlichen Fehlergrenzen liegen. Würden die einzelnen Per¬
sonen ganz gleichmässig geatmet haben, so würde sich ganz ge¬
wiss ergeben haben, dass die Differenz der wirklichen Vital¬
en 47.
kapazität (bei Körpertemperatur) von der bei niederen Tem¬
peraturen gemessenen um so grösser wird, je grösser das Volumen
der einzelnen Atemzüge ist. In dieser Ungleichmässigkeit der
Atemzüge gleicher Personen liegt schon ein grosser Fehler aller
spirometrischen Untersuchungen. Fügen wir aber zu diesem
nicht vermeidlichen Fehler noch den, dass wir in andere Tem¬
peratur als in Körpertemperatur ausatmen lassen, so wird die
Methode hiedurch völlig unbrauchbar.
loh würde mir nicht erlaubt haben, auf diesen Fehler bei
der Spirometrie aufmerksam zu machen, wenn ich nicht in Er¬
fahrung gebracht hätte, dass der gleiche Fehler, den ich selbst
früher übersehen hatte, auf grossen Kliniken, in Kranken¬
häusern und auch in grossen Lungensanatorien, in welchen ich
Erkundigungen eingezogen habe, ebenfalls dauernd gemacht
wurde.
Ueber Spirometrie II.
Von A. Gebhardt in Leipzig.
Hutchinson definiert Vitalkapazität als diejenige in
Volumeneinheiten gemessene Luftmenge, welche ein Mensch
nach tiefster In- und vollkommenster Exspiration bei Zimmer¬
temperatur auszuatmen vermag. Er misst die Vitalkapazität
mit einem von ihm erfundenen Instrument, dem Spirometer, und
gibt an, dass bei Abweichungen von der angegebenen Normal¬
temperatur von 60 F. = 15,5 0 C. die am Spirometer abgelesenen
Zahlen nach dem Gay L u s s a c sehen Gesetze auf Zimmertem¬
peratur umzurechnen seien.
Vorliegende Zeilen haben nun den Zweck, zu zeigen, dass
diese Definition der \ italkapazität unhaltbar und dass die von
H utchinson angegebene Reduktion nach dem Gay Lussac-
schen Gesetze unrichtig ist.
Wir behaupten nämlich:
1. Wenn die Vitalkapazität ein fester Begriff sein soll, so
muss sie definiert werden als diejenige in Volumeneinheiten ge¬
messene Luftmenge, welche nach tiefster In- und vollkommen¬
ster Exspiration bei Atemtemperatur = 36 0 C. aus¬
gehaucht werden kann. Bei Abweichungen von dieser Tem¬
peratur muss auf 36 und nicht auf Zimmertemperatur reduziert
werden.
2. Diese Reduktion kann nicht nach dem Gay Lussac-
schen Gesetze vorgenommen werden, denn die ausgeatmete Luft
ist kein trockenes Gas, sondern ein Gemisch aus Gas und
W asserdampf.
Wir wollen vorläufig annehmen, dass Behauptung 1 richtig
sei, und 2 zuerst beweisen, d. h. wir wollen den Reduktionsfaktor
ableiten und ihn vergleichen mit demjenigen, mit dem II ut¬
chinson auf 36 0 reduzieren würde. Unter dem Reduktions¬
faktor ist diejenige Zahl zu verstehen, mit welcher man bei Ab¬
weichungen von 36 0 die direkt am Spirometer abgelesenen Zahlen
multiplizieren muss, um die Werte zu erhalten, die sich bei 36°
direkt ergeben haben würden!
Es sei V dasjenige Volumen, welches die im Maximum aus¬
geatmete Luft bei 36 0 C. einnimmt (Vitalkapazität) ; t die Tem¬
peratur des Spirometerwassers in Celsiusgraden; st der Sätti¬
gungsdruck des Wasserdampfes bei t °, s^ derjenige bei 36°;
b der reduzierte Barometerstand und v das Volumen, das wir
bei t 0 nach vollkommenster In- und Exspiration am Spirometer
ablesen. Da die feuchte Atemluft in der Lunge mit der Aussen-
luft kommuniziert, so ist ihr Druck gleich dem Barometer¬
stand b. Dieser Druck besteht aus den Komponenten s3c (Sätti¬
gungsdruck des W asserdampfes von dieser Temperatur) und pr
demjenigen des absolut trockenen Teils der Atemluft; also ist
S3G H- Pi = b. Das heisst die Spannkraft des trockenen Teils der
Luft ist
1 p.i = b — s„.
Wenn wir nun unsere feuchte, 36° warme Atemluft vom
Volumen V in einem Spirometer auf t° abkühlen könnten, ohne
dass sich der Druck des gesättigten Wasser¬
dampfes änderte, so müsste, weil im Innern des äquili¬
brierten Spirometers die Spannung gleich dem Barometerstand b
ist, auch die trockene Luft ihren Druck b— s30 beibehalten, und
da gesättigte Dämpfe dem M a r i o 1 1 sehen Gesetz nicht fol¬
gen, d. h. einer Volumenverkleinerung keine Druckzunahme ent¬
gegensetzen, so würde das neue Volumen unseres feuchten Gases
3
MUENCHENER MEDIOINtSCHE WOCHENSCHRIFT
No. 47.
im Spirometer sich nach dem Gay Lussac sehen Gesetz be¬
rechnen als
II.
« = 0,0036-7.
v =V-
1 -f- « t
1 -j- a 36
Nun ist aber die Abkühlung- eines feuchten Gases in dieser
Weise nicht zu verwirklichen, vielmehr ändert sich der Sätti¬
gungsdruck von s36 in s t um ; s t ist kleiner als sS6 , wenn t kleiner
als 36°, folglich würde im Innern des Spirometers jetzt ein ge¬
ringerer Druck herrschen als aussen. Das ist aber im äquili¬
brierten Instrument nicht möglich, also wird das Gemisch aus
Luft und Wasserdampf komprimiert bis ps + st = b ist, das
heisst, bis die trockene Luft die Spannung
III p2 = b — St.
besitzt. Der Rauminhalt der Atemluft im Spirometer wird daher
schliesslich gleich sein demjenigen eines trockenen Gases vom
Volumen v't das bei konstanter Vemperatur t° eine Kompression
von p, auf p2 erfährt; nach Mariotteist dieses neue Volumen
P2
oder unter Berücksichtigung von Gleichung I, II und III
Va.
1-f «t
V = v- 5—} -
b — Sgg
1 +"36
b — 8»
V.
1 “4“ cc o6
V = V- — r - “
b — st
1 -j- a t
b — Sss
Die folgende Tabelle gibt die Werte unseres Korrektions¬
faktors für verschiedene Temperaturen und Barometerstände.
Temperatur
Barometer am
Meere
b = 760 mm
Barometer in
München
b = 716 mm
Barometer in St.
Moritz
b = 605 mm
6°
1,1653
1,1691
1,1812
16°
1,1152
1,1182
1,1278
26°
1,0613
1,0630
1,0689
36 u
1,0000
1,0000
1,0000
Hutchinson, der nach Gay Lussac, also nach der
Formel (v
v
1 ~f~ a 36 \
1 -|- « t '
auf 36° reduzieren würde, erhielte als
Reduktionsfaktoren
für 6°: 1,1077
, 16°: 1,0693
„ 26°: 1,0033
„ 36°: 1,0000
Damit ist aber unsere Behauptung 2 bewiesen.
Die Berechtigung zur Behauptung 1 folgt mm ohne weiteres,
wenn man die Tabelle oder die Formel V betrachtet. Das, was
Hutchinson als Vitalkapazität definiert, ist gar nicht
vom Individuum allein abhängig, sondern auch noch von dem
Orte, wo die Messung vorgenommen wird, weil ja die spiro-
metrisch gefundenen Resultate vom Barometerstand abhängen,
so lange wir von der Atemtemperatur abweichen.
Ein Mensch, der am Meere eine bestimmte Vitalkapazität
hat, im Hutchinson sehen Sinne, hat in Davos eine andere.
Definieren wir dagegen so, dass wir immer auf Atemtemperatur
uns beziehen, so hat ein Mensch, wo er auch sei, immer dieselbe
Vitalkapazität, so lange nicht auch wirklich seine Lunge oder
sein Gesundheitszustand ein anderer geworden ist. Man hat sich
gewundert, dass im pneumatischen Kabinet bei höheren Drucken
immer mehr geblasen wird, als in normaler Luft, und man hat
für die Vergrösserung der Fassungskraft keine rechte Erklärung
gewusst. Aus unserer Formel ist aber ersichtlich, dass jemand
unter solchen Verhältnissen mehr blasen muss, ohne dass sich
die Fassungskraft seiner Lunge geändert haben müsste. Wenn
nicht alles, so ist sicher ein Teil dieses Mehr nur schein¬
bar, und würde sich nur scheinbar herausstellen, wenn wir auf
36° umrechnen würden; auch gibt ja nur die auf 36° um¬
gerechnete, spirometrisch gefundene Zahl den Rauminhalt, den
die Luft in der Lunge einnahm wieder. Daher muss man auf
Atemtemperatur umrechnen.
Zur Erklärung der Darmwirkung des Atropin mit
Rücksicht auf dessen Anwendung beim Ileus.*)
(Vorläufige Mitteilung.)
Von Prof. Dr. J. Pal.
Die klinischen und experimentellen Angaben über die Wir¬
kung des Atropin und der Belladonnapräparate auf den Darm
lauten sehr widersprechend. Die letzte grosse experimentelle
Prüfung — an Hunden und Pferden ausgeführt — von Tra¬
vers a, ist zu dem anscheinend abschliessenden Ergebnis ge¬
langt, dass das Atropin die Darmwandganglien lähme. Dem
stehen gegenüber nebst älteren Angaben, welche sogar von einer
abführenden Wirkung sprechen, aus neuester Zeit Beobachtungen
in Fällen von Ileus und inkarzerierten Hernien, in welchen dem
Atropin eine geradezu erlösende, die Darmtätigkeit erregende
Wirkung zugeschrieben wird.
Die Literatur über die Anwendung des Atropin bei Heus zeigt
aber, wie sehr es noch einer Erklärung dieser Wirkung bedarf,
und dass diese Lücke einerseits, andererseits wohl die Schwierig¬
keit der Diagnose zu einer kritiklosen Anwendung- des nicht un¬
gefährlichen Mittels geführt hat, wodurch schwerer Nachteil für
den Kranken herbeigeführt werden kann, auch bereits herbei¬
geführt wurde.
Mit Rücksicht auf den Stand der Diskussion in dieser An¬
gelegenheit, sehe ich mich veranlasst, die folgenden Ergebnisse
aus einer seit dem Jahre 1899 über diesen Gegenstand an Hunden
ausgeführten Untersuchungsreihe vorläufig mitzuteilen:
Dasr Atropin schädigt in der Regel die Nervenendapparate
des Vagus sowie des Splanchnikus — in diesem auch die Vaso¬
motoren — und lähmt dieselben unter Umständen völlig. Frei
bleiben dagegen die Muskeln der Darmwand sowie erregbar die¬
jenigen Ganglienapparate, welche der Pendelbewegung, bezw. der
Peristaltik dienen. Der Tonus der Darmwand wird sichtlich,
wenn auch häufig nur vorübergehend herabgesetzt, allein gleich¬
zeitig wird der Darm der Einwirkung hemmender, reflektorischer
Reize weniger zugänglich und damit in Fällen, in welchen solche
vorhanden sind, günstigere Bedingungen für die Bewegungen
des Darmes geschaffen. Um diese zu fördern, bedarf es aber
erst entsprechender Reize, die gerade unter pathologischen Be¬
dingungen vorhanden sind oder hinzugefügt werden müssen,
wenn die vorhandenen nicht genügen. Die auch nach grossen
Atropindosen fortbestehende Erregbarkeit der genannten Darm¬
wandganglien lässt sich auch experimentell auf verschiedene
Weise und namentlich durch meinen Morphinversuch1) nach-
weisen. Ich möchte hier jetzt schon auf die lebhaft erregende
Wirkung minimaler Morphingaben, selbst nach grossen Atropin¬
dosen, besonders aufmerksam machen, und bei dieser Gelegenheit
bemerken, dass in den meisten Beobachtungen, in welchen über
die glänzende Wirkung des Atropin berichtet wurde, die be¬
treffenden Kranken auch unter der Wirkung kleinerer oder
grösserer Gaben von Opium, Morphin oder Codein standen.
Aus meinen Untersuchungen ergibt sich Aufklärung für die
meisten in dieser Frage bestehenden Widersprüche, ebenso wie
eine Grundlage für die Anwendung des Atropin, sowie dessen
Kombination mit Morphin oder dessen Derivate bei Ileuserschei-
nungen.
Rücksichtlich der Indikation möchte ich mich, ohne hier auf
die diesbezügliche Literatur näher einzugehen, auf folgende Be¬
merkungen beschränken :
Da das Atropin auf bestimmte Ganglienapparate des Darmes
wirkt, so kommt dessen Anwendung nur für Fälle in Betracht, in
welchen die Ausschaltung derselben von Nutzen sein kann. Es
sind dies diejenigen, in welchen der Darm unter dem Einfluss
reflektorischer Reize steht, wie beim dynamischen, eventuell auch
dem von einzelnen vertretenen sogen, paralytischen Ileus — dort
somit, wo die Ileuserscheinungen häufig nur von symptomatischer
Bedeutung sind und nicht das Wesentliche der Krankheit aus¬
machen. Unter den Formen des mechanischen Ileus ist speziell
die echte Darmstenose aus der Reihe der in Betracht kommenden
Fälle auszuschli essen. In einzelnen wenigen Fällen dieser Gruppe
dagegen ist unter günstigen Bedingungen eine Wirkung des
*) Vorgelegt in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte
in Wien am 7. November 1902.
9 Siehe meinen Vortrag vom 26. Oktober 1900 (Wiener med.
Presse, No. 45, 1900): „Neue Untersuchungen über die Wirkung
des Opium und Morphin auf den Darm“.
25. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Atropin möglich, wenn es sich um analoge Vorgänge wie bei der
inkarzerierten äusseren Hernie handelt und die Zirkulation in
der eingeklemmten Schlinge erhalten ist.
Eine zielbewusste Anwendung des Atropin ist somit nur dann
denkbar, wenn der Mechanismus der Heuserscheinungen im Ein¬
zelfalle klarliegt. Die Erfüllung dieser Forderung begegnet aber
bekanntlich oft unüberwindlichen Schwierigkeiten.
Stets ist zu bedenken, dass die Anwendung des Atropin nebst
der Giftwirkung, die gewiss herabgemindert werden kann noch
mne grosse Gefahr mit sich bringt: die Trübung des ganzen
Krankheitsbildes, wodurch der richtige Zeitpunkt für einen etwa
notwendigen operativen Eingriff leicht übersehen wird.
Es ist damit das, was ich in dieser Frage vorzubringen habe,
nicht erschöpft. Die Experimente haben überdies einige inter¬
essante Aufschlüsse über den Morphin- Atropin- Antagonismus,
sowie über die nervösen Apparate des Darmes gebracht, welche
noch einer weiteren Ausarbeitung bedürfen.
Die Untersuchungen sind mit den Hilfsmitteln des Institutes
für experimentelle Pathologie ausgeführt.
Aus der Universitäts-Kinderklinik und Poliklinik in Leipzig
(Direktor : Med.-Kat Prof. Dr. Soltmann).
Zur tuberkulösen Lungenphthise im Säuglingsalter.
Von Dr. Martin Hohlfeld, Assistenzarzt.
In No. 6 des 49. Jahrgangs d. Wochenschr. teilt Qurin
unter einem kurzen Hinweis auf die kleine Kasuistik solcher
Fälle den von ihm in der Tübinger Universitätspoliklinik be¬
obachteten Fall eines 5 Monate alten Säuglings mit, wo sich bei
der Sektion im Einklang mit dem klinischen Befunde neben
einer grossknotigen, hauptsächlich in den Oberlappen lokali¬
sierten Tuberkulose der Lungen eine Kaverne fand, die einen
grossen Teil des rechten Oberlappens einnahm.
Kavernen solcher Grösse sind im Säuglingsalter, wie ich
aus den Protokollen über die in den letzten 5 Jahren im hiesigen
Kinderkrankenhaus ausgeführten Sektionen bestätigen kann, in
der Tat selten.
In diesem Zeitraum kamen 921 Kinder aus dem ersten
Lebensjahre zur Sektion. Daunter waren 55 = 5,9 Proz. tuber¬
kulöse und 44 von diesen hatten eine Tuberkulose der Lungen,
wobei die Bronchialdrüsentuberkulose niemals vermisst wurde.
Bei 4 Fällen war es zur Bildung von Kavernen gekommen,
welche im Maximum die Grösse eines Taubeneies erreichten.
Ich halte, es daher für erlaubt, die folgenden beiden Fälle
mitzuteilen, die ich zur Zeit der Qurin sehen Veröffentlichung
neben einander beobachten konnte.
am 29 IS 19<y>nS’ 7 Monate alt. kam in Behandlung der Poliklinik
Anamnese: Vater gesunder, kräftiger Mann. Mutter
gross, schlank, mit leidendem Gesichtsausdruck, bekam 10 Tage
nach der . Geburt des Kindes eine rechtsseitige Rippenfellent¬
zündung, in deren Verlaufe Flüssigkeit aus dem Brustraum ab¬
gelassen wurde. Patient ist das erste Kind, wog bei der Geburt
Pfund, wurde bis zur Erkrankung der Mutter von dieser ge¬
stillt, dann künstlich ernährt. Seit 3 Wochen hat er Fieber, Husten,
durchfälligen Stuhl und geht rapide im Körpergewicht zurück.
Status: Dürftig entwickeltes, äusserst schlecht ernährtes
Kind, das ohne Unterstützung nicht sitzen kann. Körperlänge
04 cm, Körpergewicht 4450 g.
Gesicht spitz, Haut welk und faltig, am Rücken vereinzelte
Furunkel. Die Venen am Halse treten beim Schreien als dicke
blaue Wülste hervor. Die Muskeln imponieren als dünne Stränge
und setzen passiven Bewegungen in den Gelenken Widerstand
entgegen. Fontanelle markstückgross. Ringumfang des Kopfes
40 cm. Epiphysen der Rippen und TJnterarmknochen verdickt.
Die palpablen Lymphdrüsen überall geschwollen, namentlich am
Halse vor und hinter dem Sternokleido feine Drüsenketten.
Augen. Ohren, Nase, Mund ohne Besonderheiten. Zähne noch
nicht durchgebrochen.
Thorax: Ringumfang 36 cm.
Lunge: vorn rechts auf der 7. Rippe. Rechts zwischen
Schlüsselbein und 4. Rippe ausgesprochene Dämpfung, hinten in
entsprechender Höhe nur eine leichte Abschwächung des Per¬
kussionsschalles. Im Bereiche der Dämpfung vorn Bronchial¬
atmen, hinten weniger deutlich. Auf der übrigen L\mge voller
Schall und nur vereinzelte trockene Rhonchi.
Herz: 4. Rippe, linker Sternalrand, linke Mammillarlinie,
Töne rein.
Leib aufgetrieben, grösster Ringumfang 37 cm. Unter der
Bauchhaut kleine Knötchen.
Leber und Milz nicht zu fühlen.
Reflexe vorhanden.
1955
Genitalien: Phimose. Stuhl dünnbreiig, stellenweise ariin
mit Schleim gemischt.
Therapie: 3 mal täglich 5 Tropfen Kreosotal. Milch mit
Zusatz von Leube-Rosenthal scher Fleischsolution.
)rm20' ll- Wi,rd erst heute wieder vorgestellt. Körpergewicht
oOO g. Lungenbefund unverändert. Das im Rachen aufgefangene
schleimig-eitrige Sputum enthält zahlreiche Tuberkelbazillen fast
in jedem Gesichtsfelde in Häufchen von 5 — 7 zusammenliegend.
r... Körpergewicht 4600 g. Lunge rechts vom immer noch
Dampfung und Bronchialatmen, rechts hinten in derselben Höhe
scharfes feinblasiges Rasseln. Das Sputum ist reichlich schleimig¬
eitrig, enthält zahlreiche Leukocyten und stark verfettete Alveolar-
t pithelien, freies I ett, Plattenepithelien und rote Blutkörperchen
Tuberkelbazillen in derselben Menge wie am 20. II. Links neben
dem After ein kleinapfelgrosser Abszess, Inzision. Die Tem¬
peraturkurve zeigt ein unregelmässiges Fieber mit gelegentlichen
Intermissionen. Abends erreicht die Temperatur im Maximum
8. III. Körpergewicht 4600 g. Abszess verheilt. Lunge-
Status idem. Vorgestern erhob sich die Temperatur von 37° am
Morgen bis auf 40,4 0 am Abend. Die Mutter ist jetzt wegen eines
Spitzenkatarrhs in ärztlicher Behandlung und nimmt Kreosotpillen
17. III. Körpergewicht 4300 g. Zustand in den letzten Tagen
wesentlich schlechter. Ueber dem ganzen rechten Oberlappen der
Lunge ausgesprochene Dämpfung und Bronchialatmen das hinten
von feinblasigem Rasseln begleitet wird.
Die Mutter ist bettlägerig geworden und soll jetzt auch starke
Durchfälle haben. Mangels häuslicher Pflege erfolgt daher die
Aufnahme des Kindes in das Kinderkrankenhaus.
25. III. Körpergewicht 4070 g. Schnell zunehmender Ver¬
fall, intermittierendes Fieber mit hohen Spitzen, Respiration 44 bis
60, Puls 152—188. Lungenbefund wie am 17. III. Tuberkelbazillen
sehr zahlreich. Stuhl dünn und wässerig. Abends Exitus letalis
27. III. Sektion:
Zwerchfellstand rechts 6., links 5. Rippe.
Sternum mit den hinterliegenden Drüsen fest verwachsen.
Die mediastinalen Lymphdrüsen stark vergrössert und meist
total verkäst.
Pleurahöhlen leer. Pleura pulmonalis et costalis rechts vorn
oben in ziemlich grosser Ausdehnung verwachsen.
Der Herzbeutel enthält einige Kubikzentimeter bernsteingelber
wässeriger Flüssigkeit. Myokard blassgraurot, stellenweise etwas
trübe.
Linke Pleura blank, von miliaren grauen Knötchen durch¬
setzt, lässt am Oberlappen eine Anzahl gelber, deutlich erhabener,
unregelmässig geformter, selten mehr als Erbsengrösse erreichen¬
der Flecke durchschimmern, die auf dem Durchschnitt als ebenso
gefärbte Knoten imponieren und sich auch in den tieferen Par¬
tien des Lappens finden. Im Unterlappen sind solche Knoten nur
gc-inz vereinzelt, auch kleinere stecknadelkopfgrosse nur spärlich.
Zwischen den kleinen Herden überall lufthaltiges Gewebe. Inter¬
stitielles Emphysem mässigen Grades. Lunge rechts vorn oben nur
mit Substanzverlusten von den Rippen abzulösen. Ober- und
Mittellappen verklebt. Der ganze Oberlappen in eine solide,
grossenteils gelb gefärbte Masse verwandelt, in seinem unteren
Teile eine pflaumengrosse Kaverne, deren Wandung mit bröck¬
ligen, käsigen Massen besetzt ist und nur wenige kleine Bronchial¬
lumina erkennen lässt. In der Spitze des Unterlappens ein grösserer
käsiger Herd, sonst in diesem wie im Mittellappen nur kleinere
verstreute Knötchen in dem lufthaltigen, besonders an den Rän¬
dern emphysematosen Gewebe.
Bronchialschleimhaut gerötet, mit zähem schleimig-eitrigen
Sekret bedeckt.
Bronchialdrüsen vergrössert und total verkäst, ebenso die
Halslymphdrüsen.
Milz: Kapsel zur Hälfte mit einem dünnen fibrinösen Belage
versehen. Auf der Oberfläche stellenweise hellere Höcker, die
auf dem Durchschnitt als graue Knoten imponieren. Dazwischen
miliare graue Knötchen auf Ober- und Schnittfläche.
Nieren gross, ziemlich weich, Rinde etwas trübe.
Leber ziemlich gross, braunrot, weich, Oberfläche glatt bis
auf einzelne Vorsprünge von dunklerer Farbe mit gelblichem Zen¬
trum. Auf der Schnittfläche die azinöse Zeichnung ziemlich deut¬
lich, einige gelbliche Herde von Stecknadelkopf- bis Erbsengrösse,
welche ein zentrales, von gelblichem Brei erfülltes Lumen er¬
kennen lassen.
Darm: Im Ileum mehrere quer verlaufende frische Ge¬
schwüre, ein zentral zerfallener Follikel im Dickdarm.
Mesenterialdrüsen geschwollen und verkäst.
Wir haben es also mit einer Lungentuberkulose zu tun, die
ihren Hauptsitz im rechten Oberlappen hat, wo es auch zur Bil¬
dung einer grösseren Kaverne gekommen ist. Auch in der linken
Lunge nimmt die Grösse der tuberkulösen Herde nach den
Unterlappen zu ab.
Der tuberkulöse Charakter der Lungenerkrankung, für den
die Krankheit der — vor kurzem übrigens verstorbenen — Mutter,
die lange Dauer des Prozesses und der ganze Zustand des Kindes
J) Das Sputum gewinne ich in der Weise, dass ich mit einem
breiten Hornspatel bis zum Zungengrunde eingehe, dadurch einen
Hustenstoss auslöse und das dabei hochgeworfene Sputum mit dem
Spatel im Rachen auf fange.
3*
1906
No. 47.
M U E N ( ' 1 1 E N ER J\I E Dl CI N ISCHE WOCHENSCHRIFT .
sprachen, konnte intra vitam durch den Nachweis der Tuberkel¬
bazillen im Sputum sichergestellt werden, während Aus¬
kultation und Perkussion mit Sicherheit nur die Zeichen einer
Verdichtung des Lungengewebes ergaben.
Anders bei dem zweiten, gleichzeitig beobachteten Falle.
II. R. Kurt, 10 Monate alt, kam in Behandlung der Poliklinik
am 20. II. 1002.
Anamnese: [’neheliclies zweites Kind eines Dienstmäd¬
chens, das während der Gravidität einen Ausschlag gehabt haben,
jetzt aber, wie das erste Kind, gesund sein soll. Patient war im
3. Lebensmonat wegen chronischer Dyspepsie und Furunkulose
schon einmal in poliklinischer Behandlung. Bei einer gelegeiit-
lielien Vorstellung im September 1001 wurden bronchitische Er¬
scheinungen über beiden Lungen festgestellt. Heute wird das
Kind von der Ziehmutter wieder in die Poliklinik gebracht. Es
soll in den letzten Monaten viel gehustet haben und sehr elend
geworden sein. Am 3. Februar habe es bei einem Hustenanfall
so viel Blut ausgeworfen, dass zwei Taschentücher davon durch-
t rankt worden seien.
Status: Aeusserst elendes Kind, das nur mit Unterstützung
sich mühsam aufrecht erhalten kann.
Körpergewicht 4900 g, Körperlänge 63 cm.
Haut blass und welk, schilfernd. Muskeln dünne, • welke
Stränge. Knochen zierlich. Fontanelle zehnpfennigstückgross.
Kingumfang des Kopfes 41V., cm. Epiphysen der Rippen und
Tinte rarmknochen leicht verdickt. Die palpablen Lymphdrüsen
überall, am Halse, in den Achselhöhlen und Leistenbeugen bis zu
Erbsengrösse geschwollen. Im Sulcus bicipitalis dicht über dem
linken Ellbogen eine bohnengrosse Drüse.
Augen, Ohren, Nase ohne Besonderheiten.
Zähne noch nicht durchgebrochen.
Thorax seitlich zusammengedrückt, Ringumfang 37 cm.
Lunge vorn rechts auf der 7. Rippe. Ueberall voller Schall,
der links vorn zwischen Klavikula und 4. Rippe tympanitisch wird.
I n diesem Bezirke laute, grossblasige, klingende Rasselgeräusche,
die von der 4. Rippe abwärts ihren klingenden Charakter verlieren
und auch mehr mittelblasig werden, wie sie über der ganzen übri¬
gen Lunge zu hören sind.
Das im Rachen aufgefangene spärliche Sputum enthält zahl¬
reiche Tuberkelbazillen.
Herz ohne Besonderheiten.
Leib aufgetrieben, grösster Ringumfang 40y2 cm. Bauch¬
decken dünn, unter der Bauchhaut liier und da kleine Knötchen.
Leberrand dreiquerfingerbreit unter dem Rippenbogen, Milz
zwischen vorderer Axillar- und linker Mammillarlinie palpabel.
Reflexe lebhaft.
Genitalien: Phimose.
Stuhl breiig, übelriechend.
Therapie: Kreosotlebertran (1,0:100,0), 3 mal täglich einen
Tlieelöffel.
6. III. Lungenbefund unverändert. In dem schleimig-eitrigen
Sputum lassen sich mit der Weigert sehen Elastinfärbung
elastische Fasern in typischer alveolärer Anordnung nachweisen.
Tuberkelbazillen sehr zahlreich.
20. III. Lungenbefund derselbe. Immer mehr zunehmende
Macies. Exitus letalis.
22.111. Sektion: Zwerchfellstand beiderseits 5. Rippe.
Pleuritis adhaesiva auf beiden Seiten.
Totale Synechie des Perikards. Anämie des Herzmuskels.
Käsige Peribronchitis und Lymphangitis in sämtlichen
Lungenpartien. Dazwischen lobuläre katarrhalische Pneumonien.
Vielfach Bronchiektasien, besonders im linken Oberlappen, wo sich
auch nahe der vorderen Wand eine kirschengrosse bronchi-
ektatische Kaverne findet.
Tuberkulöse Verkäsung der Bronchialdrüsen am Hilus und im
Lungengewebe, ebenso der Halslymphdrüsen.
Geringer Aszites.
Hyperplasie der Milz mit spärlichen Tuberkelbazillen.
Trübe Schwellung der Nieren.
Nebennieren, Genitalien und Blase ohne Befund.
Venöse Hyperämie der Leber, grössere verkäste Herde im
interazinösen Bindegewebe mit ikterischer Verfärbung.
Anämie und chronischer Katarrh der Magenschleimhaut.
Zahlreiche gürtelförmige tuberkulöse Darmgeschwüre.
Hochgradige tuberkulöse Verkäsung der Mesenterialdrüsen.
Hier bestanden also intra vitam Kavemensymptome, die
durch den Nachweis elastischer Fasern im Sputum einen beson¬
deren Rückhalt gewannen. Während man jedoch nach dem kli¬
nischen Befunde einen grösseren Hohlraum erwarten durfte, fand
sich bei der Sektion, dass dieser nur vorgetäuscht wurde durch
Bronchiektasien in der Umgebung einer kleinen Kaverne.
Der Sitz derselben war zwar auch hier der überlappen, in¬
dessen war die Tuberkulose in diesem Falle ziemlich gleich-
miissig über alle Lappen der Lunge verbreitet.
Aus dem Verlaufe der Erkrankung, deren Beginn wohl schon
mit der eingangs erwähnten Dyspepsie zusammenfallen dürfte,
verdient neben dem auch hier erhobenen Befunde von Tuberkel¬
bazillen im Sputum noch die in der Anamnese geschilderte Blu¬
tung erwähnt zu werden. Nach Lage der Dinge darf man wohl
annehmen, dass es sich hier um eine Hämoptoe gehandelt hat,
ein seltenes Ereignis in diesem Alter.
Beide Fälle zeigen, welche Ausdehnung die Tuberkulose
schon bei Säuglingen annehmen kann. Dass es die überlappen
sind, welche im ersten Falle den Hauptsitz der Lungentuber¬
kulose darstellen, muss, wie auch Qurin bei seinem Falle be¬
tont, als eine für das Säuglingsalter ungewöhnliche Form der
Ausbreitung des tuberkulösen Prozesses in den Lungen an¬
gesehen werden2).
Aus der Heidelberger medizinischen Klinik
(Direktor : Geh. Rat E r b).
Ueber den therapeutischen Wert der Bismutose.
Von Privatdozent Dr. Hugo Starck, Assistent für die medi¬
zinische Ambulanz.
Die Menge der in den letzten Jahren auf den Markt ge¬
worfenen und alltäglich neu erscheinenden Medikamente ist all¬
mählich so angewachsen, dass der ordinierende Arzt, zumal hei
der dieselben begleitenden umfassenden Reklame kaum im stände
ist, wirklich brauchbare von zweifelhaften, nur durch eine markt¬
schreierische Anpreisung bekannt gewordenen Heilmitteln zu
trennen.
Wo ein grosses Beobachtungsmaterial mangelt, wird es sich
daher bei Anwendung der neuen Präparate stets mehr um ein
Herumtasten, als um zielbewusstes, auf wissenschaftlicher Grund¬
lage oder praktischem Erfolge begründetes Vorgehen handeln.
Wenn ich an dieser Stelle einem neueren Präparate das Wort
rede, so geschieht es, weil mir dasselbe nach praktischer Erpro¬
bung besonders in der Kinderpraxi s von hervorragendem
Werte zu sein scheint.
Im Grunde genommen ist die Bismutose gar kein neues
Mittel, die wirksame Substanz derselben, das Wismuth, ist alt¬
bewährt und hat für gewisse Krankheiten in der Aerztewelt all¬
gemeine Anerkennung gefunden. Neu ist nur die Form,
in welcher das Metall verabreicht wird; aber darin liegt gerade
dessen Vorzug.
Der leitende Gedanke bei der Herstellung der Bismutose war
der, die toxischen Wirkungen der Wismuthsalze, über welche
neuerdings von verschiedenen Seiten (Dreesman n, M ii h 1 i g,
C o h n u. a.) berichtet worden ist, herabzumindern. B. L a -
q u e r - Wiesbaden erreichte durch eine Ei Weissverbindung des
Wismuths eine Form, in welcher das Wismuth seine beiden
schätzenswertesten Eigenschaften, nämlich als Protektivum
und als A d s t r i n g e n s, vollkommen bewahrt.
Die Darstellung erfolgt (nach patentiertem Verfahren von
Kalle & Co., Biebrich a. Rh.) durch Koagulation einer reinen
Hühnereiweisslösung mit einer Auflösung von chemisch reinem,
kristallisiertem Wismuthnitrat in Chlornatriumlösung. Das ent¬
standene Koagulum wird sorgfältig ausgewaschen, getrocknet
und sehr fein gemahlen.
Die Bismutose bildet so ein feines, gelblich weisses, nicht
zusammenballendes Pulver mit einem Gehalt von 21 — 22 Proz.
metallischem Wismuth (etwa 30 — 31 Proz. Bism. subnitr. ent¬
sprechend). Das Wismuth soll einerseits an Chlor, andererseits
an das Eiweissmolekiil gebunden sein.
Die Bismutose ist absolut gerucli- und geschmack¬
los; bei längerem Stehen am Licht färbt sie sich schiefergrau
(Wismuthoxvdul). Gegen Hitze ist das Präparat sehr beständig,
es kann auf 130 — 140 0 erhitzt werden, ohne sich zu zersetzen.
Tn reinem Wasser, sowie in verdünnten Säuren und Alkalien
quellt die Bismutose bei gewöhnlicher Temperatur ausserordent¬
lich unter Aufnahme des 2 — 3 fachen Gewichtes an Wasser, ohne
sich zu lösen.
Erst beim längeren Erhitzen lösen verdünnte Alkalien und
Säuren die Bismutose zum Teil.
Der wirksame Magensaft greift die Bismutose k a u m
an, so dass sie unverändert den Magen passiert; etwas stärker
ist der lösende Einfluss des Pankreassaftes, doch soll das Pulver
in kaum verändertem und reduziertem Zustande selbst die
untersten Darmabschnitte erreichen.
Der wesentliche Vorteil der Bismutose wird nun darin ge¬
sucht, dass durch die schwere Löslichkeit des Wismuths in der
2) vergl. S oltmann: Skrophulose und Tuberkulose der
Kinder. Deutsche Klinik 1901.
ÖS. November 1902.
MtJ ENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1957
Proteinverbindung' einerseits die tox ische Gef a hr lierab-
g ('. setzt, die adstringierende W i r k u n g aber er-
li ö h t wird, während andererseits durch die feinere Verteilung
iu.f grössere Flächen der reizmildernde Effekt gesteigert
wird.
Endlich wird aber auch auf die dem Wismuth bereits zu
geschriebene, der Proteinverbindung in erhöhtem Masse zu¬
kommende säur ebindende Wirkung1 hingewiesen, kraft
deren sich die Bismutose ganz besonders zur Behandlung von
Hyperazidität und ITlcus ventriculi eignen soll.
So finden wir denn die Bismutose fiir alle diejenigen Krank¬
heiten empfohlen, bei welchen das Wismuth Anwendung ge-
1 nnden hat, so besonders bei geschwungen und entzündlichen
Prozessen der Magen- und Darmschleimhaut, bei Hyperazidität
und Dyspepsie, bei Verbrennungen und Hautulzerationen.
Was mich zur Prüfung der Bismutose veranlasst hat, war
weniger die dem Mittel zugeschriebene Heilwirkung auf das
(Heus ventriculi — ich bin zu sehr Anhänger der üblichen Wis-
muththerapie — , denn die angebliche günstige Beein¬
flussung des Darmkatarrh es der Kinder.
Meine Beobachtungen beziehen sich auf im ganzen 37 Fälle1)
und zwar 10 Fälle von Brechdurchfall, 6 Fälle von chronischem
(2 tuberkulösem) Darmkatarrh, 17 Fälle von akutem Darmkatarrh,
4 Fälle von Ulcus ventriculi. 9 Patienten hatten das 13. Lebens-
jalir überschritten, im übrigen handelte es sich um Kinder
zwischen 8 Wochen und 12 Jahren.
Dosis und Art der Verabreichung des Medika-
m e n. t e s variierte etwas. Den ersten Patienten gab ich Bis-
mutose 4 5 mal täglich 1 Messerspitze, dann stündlich 1 Messer¬
spitze voll, in letzter Zeit täglich etwa 6 g in Mixtur. Das
1 ulvcr wurde zuerst in Wasser oder Milch genommen,
Säuglingen wurde es in der Saugflasche gegeben, indem das
1 ulver erst mit etwas heisser Milch in der Flasche gut um-
geschiittelt und dann mit Milch oder Schleim aufgefüllt wurde.
In letzter Zeit schien die Ordination als Mixtur passender.
o0 g Bismutose werden mit derselben Menge Mucilago gumnii
arab. im Tiegel innig vermengt, das Gemisch auf 200 g mit
Aqu. dest. aufgefüllt. Die Mixtur hat rahmiges Aussehen,
schmeckt indifferent und hält sich lange. Die Ordination lautet
demnach :
Rp. : Bismutose
Mucilag. gummi arab. äa 30,0
Aqu. dest. ad 2ü0,0
MD. : stündlich 1 — 2 Kaffeelöffel voll zu nehmen.
Die Wirkung war in den Fällen von Brechdurchfall und
akutem Darmkatarrh der Kinder durchweg ganz vorzüglich,
ebenso in 4 Fällen chronischer Enteritis, 1 Fall von tuberkulöser
Enteritis und Peritonitis chron. tub. blieb unbeeinflusst, 3 Fälle
von Ulcus ventriculi wurden gebessert, in 1 Falle wurde die Be¬
handlung frühzeitig aus äusseren Gründen ausgesetzt.
Es ist zu berücksichtigen, dass das ganze Kranken-
m a t e r i a 1 ambulant behandelt wurde, dass es sich nur um
Patienten handelte, die ausserhalb Heidelbergs wohnten und die
in der Regel erst in die Klinik kamen, nachdem Kuren in ihrem
1 lei matsorte ei-folglos waren, mit anderen Worten, es waren
meistenteils schwerere Fälle.
Was nun zunächst dio Fälle mit Brechdurchfall an¬
langt, so war der Erfolg meist ganz überraschend. Mehrmals
hörte sowohl Erbrechen wie Durchfall bereits nach dem ersten
Uige mit einem Schlage auf, der Appetit kehrte wieder, die
Kinder wurden lebhaft und nahmen rasch an Gewicht zu.
Einige kurze Notizen sollen zur Illustration dienen. Ich
erhielt dieselben in der Weise, dass mit der Bismutose gleich¬
zeitig ein Zettel abgegeben wurde, auf welchem die Anzahl, das
A ussehen der Stühle etc. täglich, von den Eltern vermerkt und
mir eingebracht oder eingesandt wurden. Vor Fertigstellung
dieses Aufsatzes liess ich mir von allen Patienten nochmals
mündlich oder brieflich Bericht erstatten über den Dauererfolg
der Bismutose. Esi war erfreulich zu sehen, mit welch un¬
geteilter Einstimmigkeit das Mittel gepriesen wurde.
K. K., 8 jähr. Pflegekind aus L. Seit 14 Tagen Fieber, Leib¬
schmerzen, Kopfweh, Appetitverlust, täglich reichliche, dünne,
schleimige Stühle. Ord.: täglich 6 g Bismutose in Mixtur. Am
) Seitdem kamen noch 4 weitere Fälle mit gleich gutem Er¬
folg hinzu. Ein einziges Mal wurde das Pulver von einem
11 Mouate alten Kinde nicht genommen.
No. 47.
L lag nach Einnahme 1 geformter Stuhl, Appetit sofort gut,
reichlich Durstgefühl. Pat. ist wieder munter und lebhaft Von
W Sl *ä giich 1. geformter Stuhl. Am 6. Tag bei vollständigem
Wohlbefinden Bismutose ausgesetzt.
M. O., 1 jähr. Kind aus K. Seit 8 Tagen Durchfall, Stühle
wässrig, unverdaut, grünlich, mit viel Schleim vermischt 9 bis
10 am Tage, in der Nacht etwa 5 Stühle. Seit 4 Tagen bei -jedem
Trinken Erbrechen, schlechter Appetit, rascher Verfall Ord-
täglich 6 g Bismutose in Mixtur. Am 1. Tag 1 mal erbrochen
2 Stühle, 1. Nacht 1 Stuhl; 2. Tag 2 Stühle, 2. Nacht 1 Stuhl-
f- Tag 3 Stühle, 3. Nacht kein Stuhl; 4. Tag 1 mal Erbrechen, kein
Stuhl, 4. Nacht kein Stuhl; 5. Tag 2 Stühle, 5. Nacht 1 Stuhl. Von
da an hat das Kind täglich 1—2 Stühle, die bald mehr oder
weniger geformt sind. Das Kind trinkt viel besser, verlangt
nach Nahrung, hat nur noch am 4. Tag 1 mal Erbrechen gehabt
gegen 5 und G mal täglich vor der Ordination. Die Diät blieb
dieselbe wie vorher (Schleimdiät).
Auch in etwas hartnäckigeren I allen konnte das Medikament
stets nach etwa 8 — 10 Tagen ausgesetzt werden, in letzter Zeit
gab ich dasselbe in kleineren Dosen in der Rekonvaleszenz weiter.
Bei den akuten D a r m k a t a r r h e n war der Erfolg ein
gleich guter. Schmerzen, Durchfall schwanden nach einem
oder wenigen Tagen, der Ernährungszustand hob sich rasch.
L. T., 3 jähr. Arbeiterkind aus L. Vor 5 Wochen akut erkrankt
au Fieber, Durchfall, Appetitlosikeit, Leibschmerzen; Stühle täg¬
lich etwa 4, dünn, schleimig. Nach verschiedenartiger Behandlung
Bismutose, 3 stündlich 1 Messerspitze voll. 1. Tag nach Eim
nähme 2 dicke Stühle, 2. Tag 1 mal dünn, 3. Tag 1 mal dünn,
4 Tag 1 mal dick. 5. Tag Ord.: 3 mal täglich 1 Messerspitze
ft. C- Tag 2 mal dünn, vom 7.— 12. Tag täglich je 1 fester
ntunl. Das Allgemeinbefinden hob sich in den ersten Tagen; der
Appetit wurde rasch gut; am 12. Tage wurde das Befinden als
„sehr gut“ bezeichnet.
L. M., 9 Monate, Tagnerskind aus E. Rachitis, Enteritis,
machte Keuchhusten durch, sieht atrophisch aus. Seit etwa
14 Tagen Durchfall, dünne Stühle, 3 — 4 täglich, grün, mit Schleim
vermengt. Ord.: Bismutose, 2 stündl. eine Messerspitze voll in
Milch. Vom nächsten Tag an täglich nur 2 Stühle, mit Spuren
von Schleim; erholt sich sichtlich in den ersten 5 Tagen Be¬
kommt nun:
Bismutose 30,0
Sir. spl. 10,0
Aqu. ad 200,0
2 stündlich 1 Kaffeelöffel voll.
Auch weiterhin täglich 2 Stühle von normalem Aussehen.
Das Allgemeinbefinden hebt sich rasch. Vom 14. Tag 3 stündlich
eine Messerspitze voll (noch in Beobachtung).
B. N., 8 Wochen, Schreinerskind aus W. Seit 2 Tagen heftiger
Durchfall, zahllose Stühle im Tag, unverdaut, grün, dünn. Schreit
den ganzen Tag, nimmt keine Nahrung. Ord.: Bismutose G g in
Saugflasche pro die. Vom 3. Tage rasche Besserung, trinkt sehr
gern, hat Appetit, Stühle seltener, noch nicht, gelb. Die Nahrung
blieb dieselbe wie vor der Behandlung.
\ on ehr onischen D a r in k a t a r r h e n seien folgende
Beispiele erwähnt:
,4- K-, D/jj jähr. Rangiererskind aus N. Vor 1 Jahr Diphtherie,
seitdem leidend. Seit y2 Jahr Durchfall, Abmagerung, schlechter
Appetit. Seit etwa 14 Tagen nimmt der Leib an Umfang zu.
Zur Zeit täglich 10—12 Stühle, dünn, grün, schleimig. Bismutose
2 stündlich 1 Messerspitze voll. Am nächsten Tag 4 dünne Stühle,
m den nächsten 8 Tagen je ein breiiger Stuhl. Das Allgemein¬
befinden hob sich rasch, der Appetit wurde gut, das Kind nahm
an Gewicht, zu. Im ganzen wurden 100 g Bismutose verabreicht.
E. M., 13 Monate altes Schuhmacherskind aus M. Krank
seit Aussetzen der Muttermilch am 3. Tage. Ernährung mit
Kuffeke, Milch. Erbrechen und Abweichen, schwere Anämie und
Atrophie. Die Stühle, Tags 6—7, Nachts etwa 2, grün, unverdaut,
schleimig, wasserdünn. Fast nach jedem Trinken Erbrechen.
Lange häusliche Behandlung. Ord.: Bismutose, G g pro die, da¬
neben frühere Nahrung. Den 2. Tag 2 Stühle, am 3. Tag 2 Stühle,
am 4. Tag 1 Stuhl, am 5. Tag 3 Stühle. Die Stühle waren bereits
breiig, sahen gut aus, der Appetit wurde besser. Vom 2. Tag ab
kein Erbrechen mehr. Die Bismutose wurde in der Rekonvaleszenz
noch einige Zeit weiter gegeben. Im ganzen etwa 100 g.
^ In einem besonders schweren Fall von chronischer
Enteritis mit Pädatrophie bei einem 5 monatlichen
Kinde wurden im ganzen 100 g Bismutose gegeben. Ich verlor
das Kind aus den Augen; die Mutter teilte mir mit, dass die
Bismutose ihr Kind „vollständig hergestellt“ hat, dass es „sehr
dick“ geworden ist.
Ein Ulcus ventriculi (bei einem 10 jährigen Mädchen),
das vor 1 Jahr zu einer Blutung führte, und seitdem schwere Er¬
scheinungen (täglich Erbrechen, Schmerzen, saures Aufstossen,
Abmagerung, Anämie) verursachte, wurde durch Bismutose ge¬
bessert, indem Erbrechen, Uebelsein, Schmerzen sofort aufhörten;
das Allgemeinbefinden, Aussehen, der Ernährungszustand wurde
in den nächsten Monaten so gehoben, dass das Kind jetzt ge¬
heilt ist.
Die oben angeführten Fälle sind nicht die einzig- günstig
verlaufenen, es sind Stichproben. In keinem der nicht spe¬
zifischen Magendarmkatarrhe ist der Erfolg ein schlechter ge¬
wesen, die Wirkung des Pulvers war stets prompt und zwar so
4
MUENCHENER MEDIClNISCltE WOCHENSCHRIFT
No. 4 1.
<58
eklatant, dass von Zufall keine Rede sein kann. Wenn 1 ag für
Tag 8 — 10 Stühle entleert werden und bereits nach den ersten
6 g Bismutose die Zahl derselben auf 2 und 3 reduziert wird,
wenn Konsistenz sich bessert, wenn Rückfälle ausbleiben — alles
ohne Aenderung der bisherigen Diät — dann darf die günstige
Aenderung wohl unbedenklich auf das Medikament zurück¬
geführt werden.
Das Pulver wurde in allen Fällen, auch von kleinen Kindern,
die ihre Nahrung vorher zurückwiesen, gern genommen,
besonders aber, seitdem es in Form obiger Mixtur gegeben wurde.
Irgend welche Nebenwirkungen waren niemals zu vermerken,
auch nicht bei grösseren Dosen (von stündlich 1 Messerspitze
voll). Es erfolgte niemals Erbrechen; wo vorher Erbrechen be¬
stand, sistierte dasselbe fast sofort.
Der Stuhlgang färbte sich wie nach Bism. sühn, dunkel bis
schwarz; man muss, um unangenehme Ueberrasehungen bei den
Eltern zu vermeiden, auf diese Eigentümlichkeit aufmerksam
machen.
Fassen wir die Indikationen, bei denen das Mittel Er¬
folg verspricht, zusammen, so ist es in erster Linie der Brech¬
durchfall, dann der akute Magenkatarrh, der akute und chro¬
nische Magendarmkatarrh der Kinder.
In allen diesen Fällen ist die Bismutose dem Bismutsalze
vorzuziehen wegen der vollständigen Ungiftigkeit, weil das Pulver
von Kindern leichter genommen wird, weil die \ erordnung bil¬
liger ist und dem Präparat gleichzeitig ein wenn auch nur ge¬
ringer Nährwert innewohnt.
Was das Ulcus der Kinder anlangt, so verfüge ich nicht über
genügende Erfahrungen, verweise vielmehr auf die Berichte an¬
derer Autoren.
In der medikamentösen Ulcusbehandlung Erwachsener dürfte
nach wie vor das Bism. sühn, in grossen Dosen die erste Rolle
spielen.
Die Bismutose wird am besten in Form der Mixtur gegeben
und zwTar in häufigen Dosen von Vz — 1 g, im ganzen 6 — 10 g
pro die.
Vergleiche ich meine Beobachtungen mit denjenigen anderer
Autoren, so ist hinsichtlich des Wertes der Bismutose grosse
TTebereinstimmung zu konstatieren.
Die absolute Ungiftigkeit wird allgemein anerkannt, über¬
einstimmend wird die günstige Wirkung auf Appetit, Erbrechen,
Allgemeinbefinden hervorgehoben. Abgesehen von Magendarm¬
katarrhen wurde die Bismutose bei Hyperazidität (Witthauer),
bei Darmblutungen nach Typhus (Lenhartz), bei Ulcus ven-
t.riculi (W i 1 1 h a u er, Maybau m) erprobt.
W i 1 1 h a u e r, der 9 Ulcusfälle mit Bismutose behandelte,
„hatte das Gefühl, als ob der Ernährungszustand ein besserer
bliebe, als noch blosser Wismuthkur“.
Vielfach wurden grössere Dosen gegeben und zwar selbst bei
Kindern 15 und 20 g pro die. Wo die Bismutose wegen unstill¬
baren Erbrechens per os nicht genommen werden konnte, gelang
die Zufuhr per Klysma (M a n a s s e). Kuck empfiehlt als
Klystier lOproz. und 20 proz. Stärkeaufschwemmungen, in der¬
selben Weise kann die Bismutose zu Magenausspülungen ver¬
wendet werden (Kuck). Endlich wird die Bismutose noch in
Form von Cakes verarbeitet, deren jedes 1 g Bismutose enthält
(W i 1 1 h a u e r, K u c k).
Mein Urteil über die Bismutose möchte ich dahin zusammen¬
fassen, dass es ein unschädliches, geschmackloses, auch von
kleinen Kindern leicht einzunehmendes, vorzügliches Adstringens
ist, das Reizzustände des Magendarmkanals der Kinder in
günstigster Weise beeinflusst.
Bisher erschienene Literatur: L a q u e r - Wiesbaden: Thera
pie der Gegenwart. Juli 1901. — .T. Kuck: Ebenda, Nov. 1901.
— R. Ma nasse: Therap. Monatsh., Jan. 1902. — G.Wit-
thauer: Deutsche med. Wochenschr. No. 19, 1902. — W. Flei-
n e r - München: Deutsche med. Wochenschr. No. 23, 1902. —
W. Lissauer: Deutsche med. Wochenschr. No. 34, 1902. —
Bobulesku: These Jassv 1902. — May bäum: Fortsclir. d.
Med. No. 20, 1902.
Ans der psychiatrischen Klinik in Freiburg i. B.
( Direktor : Herr ITofrat E m m i n g h a u s).
Paraldehyd und Skopolamin (Hyoscin) als Schlaf-
und Beruhigungsmittel für körperlich und geistig
Kranke.
Von Dr. med. Bumke, Assistenzarzt der Klinik.
Dass sich trotz der grossen Zahl der bekannten Ilypnotika
und Sedativa noch keines allgemein eingebürgert hat, findet
seine Erklärung nicht etwa in einem Ueberfluss an guten Prä¬
paraten, zwischen denen der Praktiker zu wählen hat, sondern
viel eher in der Unsicherheit, die durch die oft übereilte Em¬
pfehlung neuer Mittel, namentlich in den letzten Jahren, hervor¬
gerufen ist. Folgt doch einer solchen Empfehlung meist bald
eine Warnung, der anfänglichen Begeisterung die Enttäuschung.
Allzu oft aber gerät während der Diskussion über das Neue das
Alte in unverdiente Vergessenheit, weil, wer ein älteres Mittel
bei behält, sich weniger veranlasst sieht, mit seiner Meinung an
die Oeffentlichkeit zu treten, als wer ein neues entdeckt zu haben
glaubt. So ist z. B. über das Paraldehyd, das doch immer¬
hin von vielen Psychiatern wenigstens angewandt wird, eine
Originalmitteilung in dieser Wochenschrift noch nicht er¬
schienen und doch zeigt die bedauerliche 1 atsache, dass immer
noch allen möglichen Formen von Agrypnie gegenüber ohne Not
Morphin verschrieben wird, wie dringend notwendig die all¬
gemeine Kenntnis eines sicher wirkenden und ungefährlichen
Ilypnotikums gerade für die Bedürfnisse der allgemeinen
Praxis ist. Und das Paraldehyd ist ein solches oder viel¬
mehr ist das Mittel, das diesen Anforderungen genügt, das, richtig
ordiniert, nie versagt und auch bei lange fortgesetztem Gebrauch
niemals Gefahren oder auch nur unangenehme Neben- oder Nach¬
wirkungen für den Patienten mit sich bringt.
Die Gründe, aus denen ich mich für berechtigt halte, dieses
Ilypnotikum an dieser Stelle zu empfehlen, sind doppelter Art:
einmal erlauben die langjährigen, ausserordentlich zahlreichen
Erfahrungen unserer Klinik an sich ein abschliessendes Urteil;
zudem habe ich (in einer demnächst erscheinenden grösseren Ar¬
beit1) mit diesen unseren Resultaten die Ergebnisse anderer Kliniker
verglichen und hierdurch, sowie durch das Studium der bisher
veröffentlichten, experimentellen Untersuchungen meine Kenntnis
des Mittels vervollständigt und erweitert. Die experimentell ge¬
wonnenen und klinischen Beobachtungen zusammen geben ein
so vollständiges Bild von den Eigenschaften des Paraldehyds,
dass heute wohl ein endgiltiges Urteil über seine Brauchbarkeit
abgegeben werden darf.
Auf die physikalischen und chemischen Eigenschaften des
Paraldehyds, sowie auf die durch Tierversuche festgestellten
Tatsachen einzugehen, würde mich zu weit führen; als prak¬
tisch wichtig hebe ich nur hervor, dass es sich um eine klare,
farblose, leicht entzündliche (feuergefährliche!) Flüssigkeit han¬
delt, die durch Aufbewahren bei Tageslicht oder in schlecht
schliessenden Flaschen leicht sauer wird. Eine Verunreinigung
mit Fuselölen, wie sie früher vorgekommen ist, ist jetzt wohl
nicht mehr zu befürchten2).
Ueber Geschmack und Geruch des Mittels sind recht wider¬
sprechende Urteile veröffentlicht worden, und man kann wohl
sagen, dass die Einwände, die in dieser Beziehung gegen dieses
Hypnotikum erhoben sind, seiner allgemeinen Einführung bisher
am meisten im Wege gestanden haben. Nun riecht und schmeckt
reines Paraldehyd in der Tat etwas scharf; durch eine geeignete
Ordination aber lässt sich diesem kleinen Uebelstande leicht ab¬
helfen. Gibt man — wie wir — das Mittel in (mit Zucker oder
Kandiszucker) reichlich versüsstem Thee (wir geben 1 g Pa in
1 Esslöffel Thee) oder in irgend einer anderen stärkeren Ver¬
dünnung, so stösst man mit dieser Medikation weder innerhalb
noch ausserhalb der Klinik auf Widerstand. Zu verwerfen ist
natürlich die Darreichung in Hier, Wein oder gar in Kognak, die
zuweilen gewählt wurde.
(Die vereinzelten Versuche, Paraldehyd subkutan zu geben,
scheiterten an der Schmerzhaftigkeit der Injektionen, die lokale
Gewebsveränderungen bewirken; die Anwendung per clystna hat
den Nachteil einer ungenauen Dosierung; die Darreichung mittels
9 vergl. B u m k e: Paraldehyd als Schlafmittel. Monatsschr.
f. Psych. u. Neurol., Bd. XII.
2) Das von uns benutzte, von Merck gelieferte Präparat war
stets rein.
25. November .1 902.
MLENGHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1959
Suppositorien endlich ist bei der Höhe der in Frage kommenden
Dosen nicht, gut ausführbar.)
Eii^ sicherer Erfolg: das Eintreten eines ruhigen,
festen Schlafes wird durch Dosen von nicht weniger
als o g erzielt, die je nach dem Grade der zu bekämpfenden
Agrypnie auf 4, 5 oder selbst 6 g zu steigern sind. Hie für
Deutschland festgesetzte tagesdosis von 10 g’ zu überschreiten,
v iid in der I rivatpraxis wohl selten Veranlassung' vorliegen;
doch sei bemerkt, dass wir gelegentlich 20 — 24 g pro die gegeben
haben, ohne je selbst bei elenden, heruntergekommenen In¬
dividuen eine schädliche Neben- oder Nachwirkung gesehen zu
haben.
Der Eintritt des Paraldehydschlafes erfolgt
d— 15 Minuten nach dem Einnehmen des Mittels; die subjek¬
tiven Empfindungen vor dem Einschlafen entsprechen durchaus
dem Zustande normaler Müdigkeit, die den Gesunden zur ge¬
wohnten Zeit des Abends zu befallen pflegt; eine unwidersteh¬
liche Schlafsucht veranlasst den Patienten, sich in eine be¬
queme Lage zu bringen und sich jedem störenden Sinneseindrucke
zu entziehen. Ein Aufregungsstadium geht dem Eintritt der
Hj ’pnose nie voraus.
Die Dauer des Schlafes schwankt naturgemäss je nach der
Art. und Ursache der bekämpften Agrypnie, nach den äusseren
Verhältnissen und nach der gewählten Dosis; gemeinhin beträgt
sie 5 — 8 Stunden. Wenn von unseren Patienten nicht 100, son¬
dern nur 85 Proz. von 9 Uhr Abeuds bis 5 oder 6 Uhr Morgens
durchschlafen und die übrigen (15 Proz.) noch eine zweite Dosis
in der Nacht erhalten müssen, so liegt das hauptsächlich in der
in jeder Irrenklinik bestehenden Unmöglichkeit, die Patienten
vor gelegentlichen Störungen zu schützen. In der Privatpraxis
wird man wohl nie eine zweite Dosis zu geben nötig haben.
Ebenso wie das Einschlafen unterscheidet sich das E r -
av a c h e n aus der Paraldehyd hypnose in nichts von der Rückkehr
des Bewusstseins nach dem physiologischen Schlafe; die Kranken
fühlen sich erquickt, frisch und gekräftigt.
ln Einklänge mit der klinischen Erfahrung, dass der Par-
aldehydschlaf dem physiologischen völlig gleicht, stellt die inter¬
essante, von mehreren Autoren experimentell festgestellte Tat¬
sache, dass die durch dieses Hypnotikum hervorgerufene Aende-
rung der Blutverteilung und des Blutdruckes im Gehirn, die in
einer ganz geringen Ilirnanämie als Folge einer Lähmung der
peripheren Gefässe besteht, durchaus dem im physiologischen
Schlafe beobachteten Verhalten entspricht.
Die therapeutisch notwendigen Gaben haben ausser dieser
beabsichtigten Wirkung auf das Grosshirn keinerlei
Neben- und Nachwirkungen; die Beeinflussung aller
übrigen Organe ist eine so minimale, dass selbst schwere Erkran¬
kungen des Herzens, der Gefässe, der Respirationsorgane, des
Ma gendarmkanals, der Nieren und der Blase eine Kontraindika¬
tion für seine Anwendung nicht bilden — ein Vorzug, der wohl
keinem anderen Hypnotikum zukommt. Selbst das Verhalten der
Reflexe und der Sensibilität weicht von dem im physiologischen
Schlafe beobachteten fast gar nicht ab; nur wird der Schmerz¬
sinn etwas herabgesetzt.
Eine Gewölinuu g an das Mittel tritt — Von den seltenen
Fällen von Paraldehydismus abgesehen — nicht ein.
Unter Paraldeli ydismus versteht man eine bisher in
ganz vereinzelten Fällen beobachtete Erkrankung, die bei schon
vorher neuropathischen Individuen durch monatelang fortgesetz¬
ten Gebrauch \ron 30 — 60 g des Mittels pro die hervorgerufen,
in ihrem Symptomenbilde dem Alkoholdelirium nahe steht und
mit der Entziehung des Mittels meist in wenigen Tagen ausheilt.
Durch die eigentlich selbstverständliche Vorsicli tsmassregel, dass
der Arzt dem Kranken nicht Paraldehydmengen aufschreibt, die
einen derartigen Missbrauch ermöglichen, lässt sich dieser chro¬
nischen Intoxikation ja leicht Vorbeugen.
Akute Vergiftungen kommen infolge von thera¬
peutisch notwendigen Gaben überhaupt nicht vor3 4) und waren
auch da, wo zufällig Dosen von 60 — 105 g genommen waren,
niemals beunruhigender Natur.
Das grosse klinische Material, das zur Beurteilung- des Par-
aldehyds vorliegt, ist nicht nur an Geisteskranken gewonnen.
Bei Herz- und Lungenerkrankungen, bei Pleuritis, Aszites, bei
3) Abgesehen von einem einzigen Falle, in dem bei einem
Neuropathen Paraldehyd im Verein mit Alkohol vorübergehend
Angioparese hervorrief.
Nephritis und bei Blasenreizung, bei neuralgischen Schmerzen
und bei Gicht, endlich gegen Tetanus und Chorea wurde das
Mittel verschiedentlich mit Erfolg angewandt. Die relativ
schlechtesten Erfolge werden gegenüber der durch lebhafte kör¬
perliche Schmerzen bedingten Agrypnie erzielt, doch sollte man
immerhin auch in solchen Fällen niemals, ohne einen Versuch
mit dem Paraldehyd gemacht zu haben, zu weniger harmlosen
Mitteln greifen. Jede andere Form von Schlaflosigkeit, mit
alleiniger Ausnahme ganz schwerer Aufregungszustände im Ver¬
laufe einiger Psychosen lässt sich mit dem Paraldehyd beseitigen.
So wäre es namentlich zu wünschen, dass die nervöse Schlaflosig¬
keit, an der so viele geistig Arbeitende und andere mehr oder
minder schwer neurasthenische Individuen leiden, und dass ferner
die Agrypnie des Seniums vom Arzte häufiger als bisher mit
diesem völlig indifferenten Hypnotikum bekämpft würden.
Viele chronische, medizinale Vergiftungen könnten dadurch ver¬
hütet werden.
Fälle, in denen das Paraldehyd versagt, sind, wie gesagt,
ausserordentlich selten und beschränken sich fast ganz auf ge-
Avisse, sehr heftige Erregungszustände bei Geisteskranken. Im
Verlauf der Manie, der Melancholie, der Dementia praecox, der
Paralyse und des Altersblödsinns kommen gelegentlich derartige
Aufregungszustände vor, in denen enorme motorische Unruhe,
Rededrang, Gewalttätigkeit, Zerstörungswut ein Eingreifen des
Arztes erforderlich machen, Paraldehyd zu geben aber unmög¬
lich und auch nicht zweckmässig ist. Gewöhnlich befinden sich
ja solche Patienten bereits in einer Anstalt, aber doch nicht
immer; und da ist es im höchsten Masse bedauerlich, dass in einer
Zeit, in der innerhalb der psychiatrischen Anstalten schon längst
jeder mechanische ZAvang durch Bett- und Bäderbehandlung und
durch zweckmässige medikamentöse Therapie ersetzt ist, in klei¬
neren Krankenhäusern und in der allgemeinen Praxis Zwangs¬
jacke und Tobzelle immer noch eine für den Patienten, die An¬
gehörigen und für den Arzt gleich unangenehme Rolle spielen.
Und das nur deshalb, weil die Kenntnis eines vorzüglichen, sicher
wirk enden und ungefährlichen Beruhigungsmittels so auffallend
wenig verbreitet ist. Dass wir ein solches Sedativum im Sco¬
pol a m i n (Hyoscin) besitzen, konnte ich an anderer Stelle auf
Grund der Literatur und der jahrelangen, zahlreichen Erfah¬
rungen unserer Klinik zeigen ').
Wir benutzen eine 2 proin. Lösung des bromwasser-
s t o ff sauren Salzes (die frisch, nicht getrübt sein muss)
zu subkutanen Injektionen; die bei uns üblichen Dosen sind Va,
1 und l'/a mg. Per os geben wir das Hyoscin nicht, um Irr-
1 inner und Ungenauigkeiten in der Dosierung zu vermeiden.
Das Scopolamin (das mit II y o s c i n- identisch ist) ist
in letzter Zeit durch die Veröffentlichungen von Schneider¬
lin5) und K o r f f 6 7) weiteren Kreisen, vor allem als Narkotikum,
nämlich in Verbindung mit Morphin bekannt geworden. In¬
dem ich hinsichtlich dieser Narkose, die avoIiI sicher noch eine
Zukunft hat, auf die zitierten Arbeiten verweise, bemerke ich,
dass die von K o r f f empfohlenen Dosen (3 Injektionen von
0,0012 g) nach den in der Literatur über das Hyoscin nieder¬
gelegten Erfahrungen und nach unseren eigenen als un¬
gefährlich bezeichnet werden können '). Die Dosen, die zum
ZAvecke der Beruhigung erforderlich sind, sind noch erheblich
niedrigere, mit % oder 1 mg wird man in der allgemeinen Praxis
Avohl stets zum Ziele kommen.
Die Wirkung dieser Dosen, die in einer Ilerabsetzu n g
der Erregbarkeit der Hirnrinde besteht, tritt meist
schon wenige (3 — 5) Minuten nach der — übrigens schmerz¬
losen — Injektion ein. Die vorher laut tobenden, schreienden
Kranken werden ruhiger, suchen sich in eine bequeme Lage zu
bringen und schlafen in der Mehrzahl der Fälle — wenigstens
bei Gaben von 1 oder 114 mg — so schnell ein, dass sie sich der
mit ihnen vorgehenden Veränderung gar nicht bewusst werden.
Bleibt dieser hypnotische Effekt (am Tage!) ganz oder
längere Zeit aus, so haben die Kranken das subjektive Gefühl
4) Bumke: Scopolaminum (Hyoscinum) hydrobromiciun.
Monatssehr. f. Psych. u. Neurol., Bd. 12.
°) Sehneiderlin: Aerztl. Mitteil, aus u. f. Baden 1900,
No. 10.
°) Kor ff: Münch, med. Wochensehr. 1901, No. 29. _ Der¬
selbe: Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 27.
7) Anmerkung bei der Korrektur: Auch v. Beck (Aerztl. Mit¬
teil. aus u. f. Baden 1902, No. 17) machte günstige Erfahrungen
mit der Schneid erlin scheu Narkose.
4*
J 960
MUENCHENER MEDICINIS'CHE WOCHENSCHRIFT
No. 47.
des ,,Abgeschlagenseinsu, der Mattigkeit. Hie so erzielte Be¬
ruhigung, bezw. die Hypnose hält gewöhnlich 6 — 10 Stunden an,
nur bei sehr seltenen Formen ganz schwerer Erregung beginnen
die Kranken schon nach kürzerer Zeit (2 Stunden) wieder un¬
ruhig zu werden. Jn diesen Fällen gebe man ruhig eine zweite
Dosis (Vs — 1 lüg), die ausnahmslos gut vertragen wird.
Hie Nebenwirkungen des Hyoscins, deren
Kenntnis wichtig ist, bestehen in einer oft tagelang anhaltenden
Mydriasis, sowie in einer Herabsetzung der Speichel- und
Scli weisssekretion, Erscheinungen, die fast niemals störend sind
und jedenfalls gegenüber den grossen Vorzügen, die der eben
beschriebene sedative Erfolg mit sich bringt, nicht in Betracht
kommen.
Es wird ja niemand etwa raten wollen, aufgeregte Geistes¬
kranke noch länger, als es so schon oft genug geschieht, zu Flause
zu behalten und mit IT y o s c i n zu behandehi, statt sie in die
Anstalt zu bringen, aber die zwangsweise Ueberfiihrung durch
die Anwendung des Mittels ihres meist für alle Beteiligten gleich
peinlichen Charakters zu entkleiden, das ist eine durchaus ge¬
rechtfertigte therapeutische Massnahme. Aber auch in anderen
Fällen, z. B. bei sehr aufgeregten, fiebernden Kranken, die durch
ihre motorische Unruhe schwer gefährdet sind (Typhuskranken!)
sollte man, wie wir das wiederholt getan haben, Seopolamin an-
Avenden.
Hinsichtlich der Anwendung des Mittels bei gewissen
Krampfkrankheiten, denen gegenüber oft schon Dezimilli-
gramme vorzügliches leisten sollen, muss ich auf die Arbeiten
von E r b 7) und Windscheid s) verweisen.
Vergiftungen mit Seopolamin sind bisher enorm selten be¬
obachtet, Todesfälle als Folge des Mittels einwandsfrei noch nie
beschrieben worden, während mehrere Veröffentlichungen über
zufällige Intoxikationen beAveisen, dass selbst Gaben von 5 mg
bis zu 2 cg wirklich bedrohliche Erscheinungen meist nicht her¬
beiführen.
Wie die vorstehende Darstellung der Eigenschaften des
Paraldehyd und Scopolamins zeigt, ergänzen sich
diese Mittel in ihrer Wirkungsweise so gut, dass der Arzt, der
beide richtig zu handhaben versteht, jeder Form von Schlaflosig¬
keit und Erregung, von den leichtesten Graden nervöser Agrypnie
bis zu den schwersten Aufregungszuständen, gegenüber ge¬
wappnet ist.
Aus dem Frauenspital Basel-Stadt (Direktion: Prof. v. TIcrf f).
Zur Gelatinebehandlung bei Melaena neonatorum.
Von E. O s w a 1 d, Assistenzarzt.
Nachdem in letzter Zeit von verschiedenen Seiten von den
günstigen Resultaten der Gelatinebehandlung bei Melaena neo¬
natorum berichtet worden ist1), erscheint es am Platze, möglichst
viele Fälle dieser doch immerhin seltenen Krankheit bekannt zu
machen, damit man aus der Vergleichung der Resultate bei ver¬
schiedener Behandlung zur richtigen Würdigung der Erfolge
der Gelatinetherapie gelange. Holtschmidt gibt bei ander-
weitiger Behandlung auf Grund von 14 Fällen eine Sterblich¬
keit von 50 Proz. an, denen er 5 mit Gelatine behandelte Fälle
gegenüber stellt, die sämtlich in Heilung ausgingen.
Im Basler Frauenspital sind von März 1896 bis gegenwärtig
unter ca. 6500 Geburten bloss 5 Fälle echter Melaena neonatorum
vorgekommen, Avas übrigens der Morbidität, die Holtschmidt
angibt (auf 14 203 Geburten 14 Fälle), sehr nahe steht. Die ersten
3 Fälle Avurden unter Herrn Prof. B u in m, die beiden letzten
unter Herrn Prof. v. H e r f f beobachtet. Ich lasse die Kranken¬
geschichten folgen :
1. Knabe, 49 cm, 3020 g. Am 2. Tag einige Male Blutbreciieii.
Am 3. Tag wieder 2 mal starkes Blutbrecfien. Stuhlgang schwarz.
1 Oese Blutungen dauern die beiden folgenden Tage fort. Am 0. Tag¬
st uhlgang wieder normal. Das Kind trinkt an der Brust. Trotz¬
dem fortAvährende GeAvichtsabnahme bis zum 10. Tag (2485 g).
Am 11. Tag, beim Austritt, GeAvicht 2520 g. Kind wohl. Die
Therapie hatte sich beschränkt auf Tieflegen des Kopfes und Eis¬
blase auf den Leib.
2. Knabe, 43 cm, 1750 g. Das frühreife Kind magert be¬
ständig ab. Am 10. Tag blutiger Stuhlgang, das Kind Avird in
7) W. Erb: Ther. Monatsh., I, 7, 1887, S. 252.
s) Windscheid: Deutsch. Arch. f. klin. Med., 64. Bd. lief.
Ther. Monatsh. 1899.
*) Z. B. Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 1, 21, 35.
den Wärmekasten gebracht. Gewicht 1530 g. Therapie: y;: Spritze
Ergotin, y2 Spritze Ol. camphorat. Am fl. Tag, beim Austritt,
1510 g. Zustand sehr schlecht.
3. Knabe, 49 cm, 3150 g. Am 2. Tag: Erbrechen stark blutiger
Massen und blutige Stühle. Wird mit tiefgelegtem Kopf in den
Wärmekasten gebracht. Am 3. Tag immer noch blutiger Stuhl.
Erhält Eisblase auf den Leib und Morgens und Abends subkutan
Ergotin, je 0,2. Trinkt an der Brust. GeAvicht 2850 g. Am 4. Tag
Stuhlgang Avieder normal. Beim Austritt, am 11. Tag, 3000 g.
Völliges Wohlbefinden.
4. Knabe, 52 cm, 3900 g. Am 2. Tag mehrmals blutiger Stuhl¬
gang, ebenso in der folgenden Nacht (4 mal). Trinkt nicht gut
an der Brust. Am 3. Tag: Kind sehr blass. Morgens Injektion
von 20 ccm 2 proz. Gelatine. Tagsüber noch 4 mal blutiger Stuhl¬
gang. Trinkt wieder besser. Abends wieder Gelatineinjektion
(5 ccm). Temperatur 39,3. Gewicht 3300 g. Am 4. Tag: Kein
Blut mehr im Stuhlgang. Temperatur Morgens 38,3. Nabel ohne
Besonderheiten. Aussehen besser. Keine Injektion mehr. Von
jetzt an fortwährend GeAviehtszunahme bis zum Austritt am
11. Tag (3530 g). Temperaturen vom 4. Tag an Avieder normal.
5. Mädchen, 50 cm, 3700 g. Am 2. Tag: blutiger Stuhlgang
und Blutbrechen. Kind sehr blass, wird in den Wärmekasten
gebracht. Am 3. Tag: Die Blutungen dauern fort. Temperatur
normal. Nabel in Ordnung. Injektion von 5 ccm einer 2 proz.
Gelatinelösung. Nach kurzer Pause treten wieder blutige Ent¬
leerungen auf, so dass das Kind Abends äusserst anämisch ist.
Abermalige Injektion von 5 ccm 2 proz. Gelatine. In der Nacht
keine Blutung mehr. Keine Temperatursteigerung. Gewicht beim
Austritt, am 11. Tag, 3370 g. Kind wohl und gesund.
Ausser Fall 2, der ein frühreifes Kind von bloss 1750 g
betrifft, das auch ohne Melaena hätte zu gründe gehen können,
gingen also alle Fälle, soAvohl die ohne, wie die mit Gelatine
behandelten, in Heilung aus.
Derartige Beobachtungen sind sehr lehrreich, denn sie be¬
weisen aufs Neue, wie ausserordentlich vorsichtig man in der
Kritik der Wirkung therapeutischer Massnahmen sein muss. Die
2 mit Gelatine behandelten Fälle sind glatt geheilt. Wer kann
aber angesichts der 2 anderen, im wesentlichen abwartend be¬
handelten Fälle bestreiten, dass sic ohne Gelatine ebenso gut ge¬
heilt wären? Herr Prof. v. II e r f f hat allerdings, besonders aus
Fall 5, bei dem das Kind durch die schweren Blutungen äusserst
anämisch geworden war, im Hinblick auch auf andere Er¬
fahrungen bei schweren und anhaltenden Uterinblutuiigen, den
Eindruck erhalten, dass die Gelatineinjektionen lebensrettend
geAvirkt haben. Das ist aber, Avie er in der Klinik stets betont
hat, subjektive Anschauung, kein vollgiltiger Beweis. Immer¬
hin sind wir jedenfalls in schweren Fällen berechtigt, die Gela¬
tineinjektionen mangels anderer Behandlungsmethoden zu ver¬
suchen. Ob sie aber wirklich von Nutzen sind, kann nur eino
sehr ausgedehnte Erfahrung lehren, die der einzelne, bei der
Seltenheit der Melaena neonatorum, kaum je sammeln kann.
Daher mögen diese Beobachtungen, für deren Ueberlassung ich
Herrn Prof. v. H e r f f meinen besten Dank ausspreche, trotz
ihrer geringen Zahl der Oeffentlichkeit übergeben Averden.
Aus dem S e nc k e n b e r g sehen patholog.-anatom. Institut
zu Frankfurt a. M. (Direktor: Geh. -Rat Prof. Dr. Weigert).
Beitrag zur Kasuistik tödlicher Magenblutungen.
Von Dr. med. Max Tiegel.
m> T'
Mit den Fortschritten der Asepsis und der zunehmenden
Sicherheit der Bauchoperationen ist auch die Behandlung des
Magengeschwürs immer mehr zu einem Grenzgebiet der Medizin
und Chirurgie geAvorden. Bis vor nicht allzulanger Zeit nur
ein Gegenstand interner Therapie, erscheint nunmehr die Frage
seiner chirurgischen Behandlung in den Vordergrund des Inter¬
esses gerückt.
Die Literatur der letzten Jahre hat sich sehr häufig mit
dieser Frage beschäftigt; am eingehendsten und präzisesten ist
sie wohl auf dem XXVI. Kongresse der Deutschen Gesellschaft
für Chirurgie von v. Leube und v. Mikulicz behandelt
Avorden. Auf ihre Ausführungen hier näher einzugehen, würde
den Rahmen dieser Mitteilung überschreiten. Ich will mich
hier nur auf jene Komplikation beschränken, welche ziemlich
häufig einen chirurgischen Eingriff notwendig machen kann und
welche vielleicht die grössten Schwierigkeiten für die Indikations¬
stellung bietet : das ist die schwere, das Leben gefährdende
Blutung.
25. November 1902.
v. Mikulicz') unterscheidet zwei Arten von solchen
Blutungen: einmal jene halle, in denen durch Arrosion eines
l4ti?nTaif akTnaAteS- ^ S° £r°fuSe BlutunS Antritt, dass der
1 atient an akuter Anämie zu Grunde geht; sodann jene, wo es
sich nicht um eine einmalige profuse Blutung, sondern um
S“:!4I°Chen' ^ -d“ kleinere
Letztere bieten nach v. Mikulicz2) für die chirurgische
Behandlung ein weit dankbareres Feld: sie geben für dieselbe
eine absoiute Indikation ab. Von einer direkten Behandlung
des Geschwürs (Exzision, Kauterisation) nimmt v. Mikulicz
linfffdie P f ^ w? Ahfand> er empfiehlt viehnehr in erster
" , Pyloroplastik, sodann die Gastroenterostomie. Dadurch
werden günstigere Bedingungen für die Heilung des Geschwürs
traften’ 80 daSS diese selbst der Natur überlassen werden
Veit schwieriger dagegen gestaltet sich nach dem Urteil
^lu?lrA|gen f61 operativ® Eingriff bei den zuerst genannten
h allen Abgesehen von der Unsicherheit der Indikationsstellung
abgesehen auch von den ungünstigen Umständen, unter welchen
hier meist operiert werden muss, sind es oft auch technische
‘ ' IU lerigkeiten, welche den Erfolg der Operation in Frage
stelien. Es gilt hier vor allem, das blutende Gefäss aufzusuchen
und duich Lnterbindung oder Umstechung desselben oder durch
xzision oder Kauterisation der Geschwürsfiäche die Blutung
zum Stehen zu bringen.
Q+ ,PiG Hauptschwierigkeit liegt hierbei oft darin, die blutende
Stelle Überhaupt aufzufinden. Durch klinische Diagnose schon
vor der Operation den Sitz des Ulcus mit Sicherheit zu bestim¬
men, ist nach v. Leube j unmöglich, selbst wenn der Schmerz
genau und beständig an einer Stelle lokalisiert ist. Es ist dem¬
nach der Operateur auf den Befund angewiesen, wie er sich ihm
Ifietet ^ Lapar°tomie resp- erst nacb der Eröffnung des Magens
Ist das Geschwür nun in der vorderen Magen wand gelegen
oder fiat es bereits grössere pathologische Veränderungen hervor-
gerulen, sodass es durch die kraterförmige Vertiefung und die
T ri11(ften Bander dem tastenden Finger auffällt, so wird die
Auffindung desselben eine leichtere sein. Ist dagegen der Sitz
des Geschwürs ein ungünstiger (etwa in der Kardiagegend) oder
ist das Geschwür sehr klein und nur durch geringfügige patho¬
logische Veränderungen gekennzeichnet, dann wird es oft ganz
unmöglich sein, dasselbe aufzufinden.
Mit einer derartigen Möglichkeit aber muss der Operateur
stets rechnen. Selbst die minimalsten Geschwüre
können zu starken und und hartnäckigen B 1 u -
t u n g en f u h r e n. Das beweisen mehrere bereits in der Lite¬
ratur erwähnte Fälle, sowie 3 weitere Fälle, welche in hiesigem
Institute zur Obduktion gelangt sind. Von jenen Magen¬
blutungen für welche auch bei der Sektion eine pathologisch-
anätomische Grundlage nicht gefunden wurde (Hysterie, kapil¬
lare Llutung), will ich hier zunächst ganz abselien4).
L i s el s b er g •*) berichtet über eine Operation wegen hef-
tiger Magenblutung, bei welcher das Geschwür nicht gefunden
weiden konnte und deshalb von der weiteren Operation Abstand
T ?• D-ei' FaU kam zur Obduktion, bei welcher man
cbt neben der Inzisionsstelle em kleines Geschwür fand, welches
einen Hauptast der Art. coronaria arrodiert hatte
Einen ähnlichen Fall teilt Hirsch“) mit. Hier konnte bei
V:1 Operation ebenfalls das Geschwür nicht entdeckt werden. Die
Dünung kam bald nachher spontan zum Stehen und die Patientin
konnte geheilt entlassen werden.
In einem zweiten Falle, den Hirsch7) erwähnt, handelt es
sieh um einen Patienten, welcher infolge starker, öfters sich
" mderliolender Magenblutungen starb, ohne dass vorher ein
’) v. Mikulicz: Die chirurgische Behandlung des chro¬
nischen Magengeschwürs. Centralbl. f. Chirurgie 1897 (Beilage),
P<Ig. J1.
2) Ibid. pag. 92.
) v. Leube: T eber die chirurgische Behandlung des Magen¬
geschwürs. Centralbl. f. Chirurgie 1897 (Beilage) p. 07.
) Einen derartigen Fall hat v. Mikulicz beschrieben in „Die
chirurgische Behandlung des chronischen Magengeschwürs“. Mit¬
ten. aus den Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. Bd. II, pag. 254, 255.
• vVE i.selsbei'g: Magenresektionen und Gastroenterosto¬
mien in Prof. Billroths Klinik. Arch. f. klin. Chir Bd XXXIX
pag. 833.
) Hirsch: Zur Kasuistik und Therapie der lebensgefähr¬
lichen Magenblutungen. Berl. klin. Wochenschr. 1890, No 38.
') Ibid.
No. 47.
jiUENcRENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1961
chirurgischer Eingriff versucht worden war. Die Obduktion ergab
, f uni"11 emge^?nd®r Betrachtung in der vorderen Wand ISe
ca. linsmgiosse Narbe, in deren Mitte sich ein arrodiertes Gefäss
V ,;, n K ?namTS“SCh £est^tem war, rülnte diese von
einem Geschwür her, welches vor 2 Jahren mir Aushe u l- t
kommen war. C
Ferner beschreibt Kausch8) 4 Fälle aus der chirurgischen
hmversitatskilnlk zu Breslau, welche von den obigen "llmdLs
insofern ab weichen, als nicht die Blutung, sondern andere Ulcus-
symptome im Vordergründe des Krankheitsbildes standen und die
Operation veranlassten. Ich glaube sie aber doch hier erwähnen
zu müssen da auch bei ihnen trotz voraufgegangene?, zun Te
heftiger Blutung bei der Operation kein Geschwür gefimden
wurde. Ein Obduktionsbefund liegt von keinem dieser Fälle vor
Ausser noch einem Bericht von Weir und Foote”), der
mii nicht Vorgelegen hat, habe ich in der Literatur keine weiteren
derartigen Falle erwähnt gefunden.
Ganz ähnlich, wie der zweite von II irscli mitgeteilte Fall,
hegen nun che im hiesigen Institute sezierten Fälle. Die geringe
Anzahl der bisherigen Literaturangaben — einzelne mögen mir
immerhin entgangen sein — , sowie die, bereits von Hirsch
anges teilte, Erwägung, dass noch weitere Mitteilungen derartiger
lalle für den Chirurgen vielleicht nicht ohne Interesse sein
wurden, lassen es wohl gerechtfertigt erscheinen, wenn ich ihre
Krankengeschichten und Sektionsprotokolle ausführlicher folgen
lasse. Für die freundliche Ueberlassung der Krankengeschichten
bin ich den Herren Dr. Cnyrim und Dr. Stre n g zu Dank
verpflichtet.
Fall I (aus der inneren Abteilung des Heiligen-Geist-Hospital
lu Inja)ukturt a/M-)- Sophie II., 42 Jahre, Köchin, aufgenommen:
Ana m n e s e: Am Morgen des 16. I. saures Aufstossen. Nach
dem Mittagessen spürte Pat. Druck vorn im Magen an einer um-
schnebenen Stehe bis gegen 4 Uhr. Um 4 yz Uhr verspürte sie
Y^ keit> üm wieder nachliess, als Pat. sich legte. Nach dem
Autstehen Schmerzen, die nach dem Rücken zogen. Schwindel,
Stuhlgang. Darnach weiter Schwindel. Gegen 5 Uhr Erbrechen
ü alben Tasse dunklen Blutes. Appetit war immer gut. Stuhl
täglich. Unmassen normal, Menses desgleichen. Fluor.
Stat. praes.: Mittelgrosse, schlanke Person, in mittlerem
Ernährungszustände. Zunge leicht belegt. Rachen ohne Besonder¬
heiten. Innere Organe ohne Befund. Puls kräftig. Scrob cordis
druckempfindlich. Urin ohne Eiweiss und Zucker Eis Fasten
20. I. 2 stündlich 1 Esslöffel Milch.
,22- .. 2 stündlich % Tasse Milch. Abends plötzlich Uebelkeit
Starke Anämie, Dunkelheit vor den Augen, Schwindel. Puls kaum
zm fühlen Kochsalzinfusion (200 ccm). Danach reichliche Iläma-
ternese. In y2 Stunde erneuerte Hämatemese. Gelatineinjektion;
Supp, opn 0,05. Erneuertes Fasten.
24. I. Keine Blutung wieder.
Morgens: Ohnmacht, extreme Schwäche; Puls kaum
Gelatineinjektion. Kochsalzinfusion,
täglich 3 Nährklystiere. Allgemeinzustand besser
Stündlich ein Löffel Tliee und Milch.
Stündlich 2 Löffel Tliee und Milch.
Stündlich 3 Löffel Thee und Milch, keine Magen-
Stündlich y2 Tasse Kaffee mit Milch, wird gut
ver-
27. I.
zu fühlen.
28. I.
30. I.
31. I.
1. II.
schmerzen
2. II.
tragen.
3. II. Nachts plötzlich heftige Kurzatmigkeit. Puls 165, sehr
Klein, iiiegulär. starke Hyperästhesie des linken Beines. Dieses
ist stärken' als das rechte, leicht ödematös. Linke Pupille weit
reagierend. Ivampher stündlich 0,2, Einlauf.
Gegen 4 Uhr Morgens Exitus.
Die Obduktion, ausgeführt von Herrn Geh.-Rat Weigert,
ergab folgendes:
Abgemagerter Körper. Herz klein, Klappen zart, Muskulatur
graubraun. Im Conus arteriosus gelbliche Strichelung zu be¬
merken.
Linke Lunge im allgemeinen lufthaltig, nur im Oberlappen,
1 cm unter der Spitze, eine schwärzliche, schwielige Masse von
Haselnussgrösse mit grauen Knötchen. In der rechten Lungen¬
spitze^ schwielige Massen, mit grösseren käsigen Knoten.
Gehirn sehr blass; ohne Besonderheiten.
Milz klein, derb, zäh, blass, ohne deutliche M a 1 p i g h i sehe
Körperchen.
Im Magen helle Flüssigkeit.
Beide Nieren blass, ohne Besonderheiten. Zeichnung deutlich.
In der Gallenblase reichliche, dunkle Galle.
Leber blass, Läppchenzeichnung nicht sehr deutlich.
An d e r k 1 e inen K u rvat u r des Magens, zie m -
lieh in der Mitte, et w a s 11 a c h d e r II interwand z u,
findet sich ein kleines, kaum linsengrosses Ge-
9 Kausch: Ueber funktionelle Ergebnisse nach Operationen
am Magen. Mitteil, aus den Grenzgeb. der Medizin u. Chirurg
Bd. IV, 1899, pag. 360, 301, 372—375.
") Zitiert nach v. Mikulicz: Die chirurgische Behandlung
des chronischen Magengeschwürs. Centralbl. f. Chirurg. 1897 (Bei¬
lage), pag. 91.
5
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4t.
I9ö2
schwür; i in Grunde desselben ein weisslicher,
Kleiner Strang, auf dessen Höhe man eine feint,
Ö f f nungsartige Partie sieh t. In der Umgebung des
Geschwürs ist die Schleimhaut stralilig zusammengezogen. Im
oberen Teile des Dünndarms Trübung von überaus feinen Pünkt¬
chen (Zotten) bedingt. Im Colon ascendens findet sich eine ring-
lormig gestellte Gruppe von Geschwüren, mit zerfressenem Grunde
und erhabenem Rande. Kleinere derartige Geschwüre, mit ver¬
kästen Follikeln daneben, finden sich dann noch im weiteren Ver¬
laufe des Kolon. Im Rektum, an der Vorderseite, ca. 6 cm ober¬
halb des Anus, ein rundes, mit gerötetem Grunde versehenes,
glattes Geschwür mit nicht erhabenem Rande. Im Dickdarm ge¬
hallte, teerfarbene Kotmassen.
Aus dem äusseren Muttermunde ragt ein gestielter, abge¬
platteter, etwa walnussgrosser, rötlich durchscheinender Polyp
Heraus.
Linke Vena femoralis ist durch dunkelrotes, massig derbes
Blutgerinnsel verlegt. Ebenso die Vena iliaca.
Diagnose: Kleines Magengeschwür mit einer Narbe in
der Umgebung und einem arrodierten Gefäss im Grunde. Anämie.
Leichte Herzverfettung. Thrombose der linken Vena femoralis
und iliaca. Tuberkulöse Darmgeschwüre. Cervixpolyp.
Mikroskopischer Befund: Die Partie des Magens
mit dem Defekt wurde in Paraffin eingebettet und in Senen-
schnitte zerlegt, welche auf Kerne und elastische Fasern gefärbt
wurden. Es findet sich ein kleines Magengeschwür, mit sehr fiach
abfallenden Rändern und etwas vorgewolbtem Grunde, so dass
eine Niveaudifferenz zwischen der intakten Schleimhautoberfläche
und dem Gesell wiirsgrunde nicht besteht. Wie sich in den Serien¬
schnitten verfolgen lässt, tritt eine Arterie bogenförmig aus der
Submukosa gegen den Geschwürsgrund empor, dessen t orwölbung
bedingend. An der höchsten Stelle ist dieser Arterienbogen von
dem Geschwür arrodiert und bietet folgendes Bild: die dem Ge-
scliwiirsgrunde zugekehrte Gefässwand ist zerstört, die entgegen¬
gesetzte Wand tritt wie ein Sporn zwischen zu- und abführenden
Schenkel, welche beide mit dem Geschwür in offener Kommuni¬
kation stehen.
Fall II (aus der inneren Abteilung des Bürgerhospitals zu
Frankfurt a/M.). Bernhard H., 22 Jahre, Kaufmann, aufge¬
nommen 12. iV. 02.
Anamnese: Pat. wurde am 12. IV., Nachmittags 1 Uhr, von
der Rettungswache gebracht. Er gibt, nachdem er sich etwas er¬
holt hat, an: Er sei früher stets gesund gewesen, habe vor
2 Jahren beim Militär gedient; habe nie Magenschmerzen oder
Erbrechen, sondern stets guten Appetit gehabt. Am 12. IV. vor
Tisch habe er sich etwas unwohl gefühlt, weshalb er spazieren
gegangen sei. Mittags im Geschärt habe sich dieser Zustand
wiederholt. Er habe ganz plötzlich Blutbrechen bekommen und
sei dann bewusstlos geworden.
iS tat. praes.: iSehr blasser, anämischer Kranker, der
wegen drohender Magenblutung sofort aas blasen und Eispilieu
erhalt, und aus demselben Grunde eine eingehende Untersuchung
nicht zulässt.
13. IV. Früh 9 Uhr überaus mächtige Blutung. Der Kranke
erbricht das Blut in mächtigem {Strome: innerhalb einer halben
{stunde in mehreren Etappen mindesten 2üuu ccm aus nüchternem
magen. iSotort Morphium; 2uo ccm zproz. Gelauneiosung sub¬
kutan ins rechte Bein. Schwerer Kollaps; ausserste Blässe,
auends Kochsalzinfusionen (oUU ccm) in iiiiKen Oberschenkel und
linken Oberarm. Leichte Delirien. Puls minimal.
14.1V. Morgens sehr elender Zustand. Um 9 % Uhr wieder
Erbrechen einer grossen Menge von Blut. Danach nochmals sub¬
kutane Gelatineinjektion (2UU ccm) in die rechte Brust. {Schwerste
Anämie. Herztöne nicht zu hören. Um 11 Uhr Vormittags plötz¬
lich noch tiefere Blasse und schneller Exitus.
Aus äusseren Gründen konnte nur die Sektion der Bauch¬
höhle vorgenommen werden. Dieselbe wurde von Herrn Dr.
uerxheimer, Assistenten am Dr. Senckenberg sehen
Institut, ausgeführt und ergab folgenden Befund:
Im Magen und Darm fanden sich grosse Mengen teils ge¬
ronnenen, zum grossen Teil aber flüssigen Blutes. T rotzde m
erschien zunächst die »Schleimhaut des Magens
intakt und es konnte keinerlei {Substanz Verlust
n acligewiese n w erden. Infolgedessen wurde nunmehr
auch der Darm herausgenommen und auf geschnitten, ohne dass
aber an seiner Schleimhaut irgendwelche Besonderheiten gefunden
wurden. Bei ganz genauer Betrachtung des aus¬
einander gespannten Magens fand sich nun¬
mehr an der kleinen Kurvatur, etwa 5 cm vom
I’yiorus entfernt, ein sehr kleines, rundes Ge¬
schwür von etwa 3 mm Durchmesser. Dasselbe
war sehr flach; zeigte einen glatten, nicht er¬
habenen Rand, ln der Mitte des ebenfalls glatten Grundes
fand sich eine für gewöhnliche Sonden nicht durchgängige, jedoch
deutlich erkennbare OefL'nung, welche von einem etwas über den
sonstigen Grund des Geschwürs hervorragenden Rande umgeben
war. Es handelt sich also offenbar um ein mittelgrosses, arro-
diertes Gefäss.
An den übrigen Organen der Bauchhöhle wurden keine Be¬
sonderheiten gefunden.
Diagnose: Kleines (etwa 3 mm messendes) Magen¬
geschwür, mit arrodiertem Gefäss und sehr starker Magenblutung.
Mikroskopischer Befund: Die Behandlung ist die¬
selbe wie bei Fall I. Auch hier gelang es in Serienschnitten ein
arrodiertes Gefäss nachzuweisen, welches direkt in das Geschwür
hineinführt.
Fall III (aus der inneren Abteilung des Heiligen-Geist-Hospi-
tals zu Frankfurt a/M.). Sophie S., 23 Jahre, Hausmädchen, auf¬
genommen den 26. V. 02.
Anamnese: Vater an Rippenfellentzündung gestorben. Als
Kind Masern, Diphtherie. Vor 2 Jahren hier wegen Chlorose,
Mitralinsuffizienz, Milzhyperplasie behandelt. Seit S Tagen im
Magen an einer kleinen Stelle vorn, und zwar in nüchternem Zu¬
stande, Schmerzen, die nach dem Essen aufhörten. Vor 3 bis
4 Jahren hatte Pat. Schmerzen, wenn sie etwas gegessen hatte.
Oefters bitteres Aufstossen. Pat. hat in letzter Zeit alle Speisen
vertragen, mit Ausnahme von frischem Brot und Kaffee. Gestern
Abend nach einem Spaziergang wurde Pat. plötzlich übel: Dunkel¬
heit vor den Augen, Schwindel, und plötzlich, nachdem sie einen
Cognac zu sich genommen, Erbrechen reichlicher Mengen dunklen
Blutes, das sich heute Morgen wiederholte.
Stuhl normal, Urinlassen, Menses desgleichen.
S t a t. praes.: Mittelgrosse, kräftige, gut genährte Person
von sehr blassem Aussehen. Zunge rein. Rachen, Drüsen, Haut,
Pupillen, Patellarreflexe normal. Lungen vorn normal. Herz:
Systolisches Geräusch; Verbreiterung nach links, nicht nach rechts.
II. Pulmonalton accentuiert. Abdomen: Scrob. cordis etwas druck¬
empfindlich. Urin ohne Eiweiss und Zucker.
Fasten. Eis.
29. V. Stündl. 1 Esslöffel Milch. Abends Hämatemese.
Fasten. Nährklystiere (3 mal).
2. VI. Klagen über Durst. Zitronensaft.
3. VI. Gestern Abend 2 mal Hämatemese. Puls klein und
frequent. Fasten.
4. VT. Stündl. 1 Esslöffel Milch.
5. VI. Gestern Abend erneute Hämatemese. Sehr blasses Aus¬
sehen. Kleiner Puls, Fasten. Kochsalzeinläufe (3 mal 200 ccm
mit Tinct. opii V).
6. VI. Puls und Allgemeinbefinden gut.
7. VI. Um 11 und 12% Uhr 2 Hämatemesen. Puls und All¬
gemeinbefinden darnach leidlich. Um 5 % Uhr plötzlich rasch
zunehmende Schwäche und Exitus.
Die Sektion, von Herrn Geheimrat W e i g e r t vorgenom¬
men, ergab folgenden Befund:
Blasser Leichnam. Herz von entsprechender Grösse. Klappen
zart. Muskularis blass, etwas gelblich, ohne Strichelung. Linke
Lunge ödematös, blass, ohne Herderkrankung. Gefässe und Bron¬
chien frei. Rechts ebenso. An der Vorderseite des Oesophagus,
in der Gegend der Bifurkation der Trachea, eine ganz flache Ein¬
ziehung der Schleimhaut. Aortenintima zart.
Hirn sehr blass; ohne Herderkrankung.
Milz gross (17, 7, 4), mässig weich, blass, M a 1 p i g li i sehe
Körperchen deutlich.
Im Magen blutige Flüssigkeit.
In der kleinen Kurvatur des Magens findet sich eine ganz
kleine, stralilige, flache Narbe, daneben eine rundliche,
2,5 — 3 mm im Durchmesser messende Stelle, die
von einem zarten, gelblichen, etwas erhabenem
Rande umgeben ist und in der Mitte eine kleine
rote Oeffnung auf weist, w e 1 c h e mit einem Ge¬
rinnsel verlegt ist. Die Oeffnung hat noch nicht
1 mm im Durchschnitt. Nachdem das Gerinnsel
abgespült ist, ist es ausserordentlich schwer,
die Oeffnung zu erkennen. Nach Wegs p ii 1 e n des
Gerinnsels strömt aus der Oeffnung flüssiges
Blut heraus; es ist aber nicht möglich, das zu¬
führende Gefäss präparatorisch freizulegen.
Im Duodenum keine Geschwüre.
ln der Gallenblase reichliche Menge dunkler Galle.
Im rechten Ovarium eine kleine, mit geronnenem Blute ge¬
füllte Cyste. Sonstige Beckenorgane ohne Besonderheiten.
Im unteren Dünndarm dunkelrote Massen mit blutroter V er
färbuug der Schleimhaut. Solitärfollikel treten deutlich hervor.
Keine Geschwüre.
j Nieren blass; ohne Besonderheiten.
Diagnose: Ulzeration eines Magengefässes mit tödlicher
Blutung. Narbe im Magen. Beginnendes Traktionsdivertikel des
Oesophagus. Hochgradige Anämie.
Der mikroskopische Befund ist ganz genau derselbe, wie bei
; Fall I, so dass ich mich hier darauf beschränken kann, auf das
i dort Gesagte zu verweisen.
Wir haben hier also 3 Fälle vor uns, in denen durch Ver¬
blutung aus einem Magengeschwür der Tod herbeigeführt wurde:
in Fall I und III durch kleinere, sich öfters wiederholende
Blutverluste, welche sich auf eine längere Zeit erstreckten, in
Fall II durch eine 3 malige, kurz aufeinander folgende, äusserst
profuse Blutung. Der letale Ausgang ist in II und III aus¬
schliesslich der Blutung auf Rechnung zu setzen, während bei I
vielleicht noch die bestehende Tuberkulose mit in Frage zu
ziehen ist.
Was diese Fälle besonders interessant
macht, das sind die minimalen Veränderungen
25. November 1902.
MUENCIIENER MEDICINTSOHE WOCHENSCHRIFT.
der Magenschleimhaut, die wider alles Er¬
warten bei der Sektion als Ursache der hef¬
tigen und hartnäckigen Blutung gefunden
wurden. Die Geschwüre waren so gering-
fügig, dass es (besonders bei Fall II) erst der
eingehendsten Durchmusterung der Ma^en-
sehleimhaut bedurfte, um sie zu entdecken.
Welche lolgerungen sieh hieraus nun für eine etwaige chi¬
rurgische Behandlung ergeben hätten, das zu beurteilen, bin ich
noch nicht in der Lage; ich muss das berufener Seite über¬
lassen. Ich mochte hier nur darauf liinweisen, dass derartige,
für den Chirurgen schwierige Fälle vielleicht gar nicht
so selten sind, wie man nach den bisherigen Literatur¬
angaben annehmen müsste. Dass in hiesigem Institute inner¬
halb eines halben Jahres 3 zur Obduktion gelangt sind, ist ja
em Zufall. Dass aber in allen 3 Fällen es gelungen ist, als
Ursache der Blutung die kleinen Geschwürehen zu finden, das
ist nur der Sorgfalt zu verdanken, mit welcher in hiesigem In¬
stitute stets die Magenschleimhaut abgesucht wird. Andere
hatten sich hier vielleicht teilweise mit der Diagnose „kapilläre
Blutung, begnügt. Gerade bei der Stellung dieser Diagnose
möchte ich im Anschluss an diese Fälle äusserste Vorsicht an¬
empfehlen. Sie wird sich jedenfalls, wie über¬
haupt die Diagnose „Magenblutung ohne patho¬
logisch-anatomische Grundlag e“, einschrän¬
ken lassen, wenn m an bei eingehendster Be¬
trachtung der Magenschleimhaut auch den
geringsten Defekt als mögliche Ursache einer
heftigen Blutung ins Auge fasst und mikro¬
skopisch untersucht.
Ich möchte ferner noch darauf himveisen, dass vielleicht
gerade so kleine Geschwüre verhältnismässig mehr zu starken
und hartnäckigen Blutungen neigen als grössere. Derartige kleine
Geschwüre rufen in der Magenwand und an den Gefässen der¬
selben gar keine oder nur geringe entzündliche Veränderungen
hervor. Wenn sie nun zufällig auf ein Gefäss treffen und es
arrodieren, so isf dieses bis auf die arrodierte Stelle noch intakt.
Anders liegen die Verhältnisse bei einem schon fortgeschritte¬
neren Geschwüre, welches bereits in grösserem Umfange zu ent¬
zündlicher Infiltration der Magenwand geführt hat. Man kann
annehmen, dass auch die Gefässe, welche in dem Bereiche eines
solchen Geschwüres verlaufen, nicht intakt geblieben sind, son¬
dern mehr oder weniger Obliteration oder wenigstens
entzündliche Verdickung ihrer Wand zeigen. Wird nun ein so
erkranktes Gefäss arrodiert, so wird die Blutung im Vergleich
mit einem gesunden Gefäss von gleichem Kaliber weniger profus
sein, da ja sein Lumen durch die entzündlichen Auflagerungen
mehr oder, weniger verengert ist; sie wird weniger hartnäckig
sein, da die Thrombosierung infolge der Erkrankung der Ge-
fässwand schneller erfolgt. Zu dieser Annahme berechtigen ana¬
loge Verhältnisse, wie sie sich an den Gefässen im Bereich von
Lungenkavernen vorfinden. Leider bin ich nicht in der Lage,
durch histologische Untersuchungen diese Vermutung zu stützen!
Am Schlüsse sei es mir gestattet, Herrn Geheimrat Prof.
Dr. 'Weigert für die gütige Ueberlassung des Materials
meinen wärmsten Dank auszusprechen.
Zwei Fälle schwerer Otitis media acuta purulenta
durch „Schneeberger“.
Von Ohrenarzt Dr. W. Sehroeder in Hamburg-Barmbeek.
Ivessel und Uaug teilten vor einer Reihe von Jahren je
einen Fall mit, wo Schnupftabak stürmische akute Ohraffektionen
ic ivoi gerufen hatte. Ich will diesen beiden Fällen zwei weitere
hinzufügen, deren Entstehen sich ebenfalls durch explosions¬
artige Schnelligkeit und Heftigkeit auszeichnet.
! ., ein kräftiger Arbeiter in den 30 er Jahren, nahm wegen
„Stockschnupfens“ in das linke Nasenloch eine Prise „Schnee¬
berger“. Nach kaum 10 Minuten verspürte er schon, ohne dass
i.T einmal geniest hätte, einen nach dem linken Ohr hin aus¬
strahlenden Schmerz. Im Laufe der Nacht steigerten sich die
Schmerzen derart, dass er glaubte, „sein letztes Stündlein sei ge¬
kommen“. Oeleinträufelungen, das Arkanum vieler Ohrkranker,
halfen nichts. Am nächsten Morgen stellte sich Patient mir vor.
.. rnachte einen schwerkranken Eindruck. Die in verhältnis¬
mässig kurzer Zeit aufgetretenen Veränderungen waren über¬
raschend. Das Trommelfell, an dem nähere Details nicht fest¬
zustellen waren, war bläulich-rot und in toto vorgewölbt, das
1963
klassische Bild eines Hämatotympanon. Flüsterzahlen wurden
eben vorm Ohr gehört; hohe Töne stark herabgesetzt. Die
I Schmerzhaftigkeit erstreckte sich jetzt auch auf den Warzenfort¬
satz und den Unterkieferwinkel. Die Rhinoscopia posterior ergab
eine linksseitige Intumeszenz des Cavuni naso-pharyng. und des
Tubenwulstes. Lufteinblasungen machte ich nicht, wären auch
wohl wegen der Schwellung nicht möglich gewesen. Auch von
der I arazentese nahm ich Abstand, da ich annahm, es könnte das
Hämatotympanon unter geeigneter Behandlung zur Resorption ge¬
bracht werden. Schon am nächsten Tage war eine profuse serös-
eitrige Sekretion eingetreten. Da die hohe Perforationsöffnung
dein Sekret nicht genügend Abfluss bot, machte ich einen Er¬
weiterungsschnitt nach unten. Unter allmählicher Abnahme der
Schmerzen wurde der Ausfluss in den nächsten Tagen rein eitrig
Nach 4 Wochen vollständige Heilung.
In dem Hang sehen lall wurden die Tabakkörner dadurch,
dass Pat. das Niesen unterdrückte und bei geschlossenem Mund
einen unwillkürlichen V a 1 s a 1 v a sehen Versuch ausübte, in
die Tube getrieben. In diesem Fall ist das Pulver sofort nach
der Tube gesogen worden. Der sogen. Stockschnupfen war die
Folge einer obturierenden linksseitigen Spina septi. Die Spina
bohrte sich geradezu in die gegenüber liegende untere Muschel
ein. Deshalb konnte das Pulver nicht in die Regio olfactoria ge¬
langen und der Nieseffekt musste ausbleiben, nahm vielmehr
seinen Weg durch den zwar stenosierten, aber ganz geraden
unteren Nasengang.
Der zweite Pall betrifft einen 14 jährigen Knaben mit Ozaena
Die Behandlung hatte der Vater selbst in die Hand genommen
und wegen des mephitischen Geruchs „Schneeberger“ ordiniert
mit dei ausdrücklichen Weisung, die Dosis nicht gross zu nehmen-
„denn solche Prise reinige nicht nur die Nase, sondern auch das
Gehirn“. Der Erfolg war in der Tat ein kolossaler, wenn auch
nicht der gewünschte. Schon nach einigen Stunden stellten sich
doppelseitige Ohrschmerzen ein, die im Laufe der Nacht einen
immer heftigeren Charakter annahmen. Als der Knabe am näch¬
sten Morgen in meine Sprechstunde kam, war das linke Trommel¬
fell schon perforiert und es entleerte sich eine serös-blutige Flüssig¬
keit, während das rechte Ohr ein gerötetes, nicht vorgewölbtes
Trommelfell zeigte. Der Katarrh ging im Laufe der nächsten
S Tage zurück. Auf dem linken Ohr Heilung nach 3 Wochen mit
normalem Hörvermögen.
Der thüringische Schneeberger, der meist hier zu Verkauf
gestellt wird, besteht der Hauptsache nach aus Rhizoma iridis.
Er enthält aber noch neben anderen Substanzen einen nicht un¬
wesentlichen und für diese beiden Fälle sicher zu beschuldigenden
Teil von Rhizoma veratri.
Wenn man nun bedenkt, dass bei mancher chronischen Naso-
pharyngitis mit atrophischer Tendenz der Nasenrachenraum
überaus weit ist, so dass hin und wieder sogar die klaffende Tube
zu sehen ist, wenn man ferner berücksichtigt, mit welcher ele¬
mentaren Gewalt manchmal die Prise in die Nase geschleudert
wird, so muss man sich wundern, dass auf diesem Wege akute
Otitis nicht viel häufiger entsteht.
Jedenfalls sehen wir, dass Prisen nicht ganz ungefährlich
ist, weil das überaus feine Pulver leicht in die Nebenhöhlen und
in den Nasenrachenraum gelangen kann. Das Aufschnupfen
des Schneebergers aus vergnüglicher Spielerei, wie es die Schul¬
jugend häufig betreibt, ist durchaus zu perhorreszieren.
Hypertronhie der Prostata und galvanokaustische Be¬
handlung nach Bottin i- Freudenberg.*)
(Eigene Krankheitsgeschichte.)
Von San. -Rat Dr. Bierbaum in Münster i. Westf.
Die Vergrösserung der Vorsteherdrüse ist eine im höheren
Mannesalter häufig vorkommende und mit vielen Beschwerden
verknüpfte Krankheit.
Dieselbe ergreift bald mehr das eigentliche Drüsen-, bald
mehr das Zwischengewebe, oder mehr gleichmässig alle Teile. Die
Häufigkeit der Erkrankung betreffend, fand Thompson bei
164 Männern zwischen dem 60.— 94. Jahre 56 mal eine Ver-
grösserung ; unter 123 Fällen bestand 76 mal eine g’leichmässig’e
Zunahme aller Teile, 19 mal schien die mittlere Partie stärker
befallen, S mal der rechte, 11 mal der linke Lappen auffallend
vergrössert.
Die Beschwerden sind mehr allgemeiner Natur, wie Appetit¬
losigkeit, gastrische Krisen, Verstopfung, Gemüts Verstimmung,
oder aber dieselben werden direkt bedingt durch die erschwerte
Entleerung des Urins, welcher entweder zu häufig, noch dazu mit
*) Nach einem am 11. September 1902 im Aerzteverein zu
Münster i/Westf. gehaltenen Vortrage.
5*
No. 47.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
heftigem Harnzwang, oder gar nicht spontan entleert werden ^
kann.
Alles Sinnen und Trachten der Aerzte, diesem qualvollen
Leiden entgegen zu treten, blieb bis vor kurzem erfolglos, ob¬
schon das ganze Rüstzeug der medizinischen Kraft dazu auf-
geboten wurde. Weder der innere Gebrauch von Jod, Ichthyol etc.,
noch die äussere Anwendung verschiedener Medikamente m
Form von Einreibungen, Suppositorien, weder das gefürchtete
Messer der Chirurgen, noch der starke elektrische Strom, noch
endlich der Gebrauch der lokalen wie Vollbäder und zwar in der
allerverschiedensten Zusammensetzung, von den milden, klaren
Wildbädern bis zu den stark reizenden, bräunlich gefärbten
Thermal- Soolbädern, brachten wesentliche Linderung, selten oder
niemals Heilung.
Erst Bottini gelang es im Jahre 1874 mit Hilfe der
Galvanokaustik ein Verfahren anzugeben, wodurch die ver-
grösserte Drüse per vias naturales auf gefahrlosere Weise wie
bisher verkleinert und damit das Hindernis für eine spontane
Urinentleerung entfernt werden konnte. Leider fand diese neue
Methode bei den Chirurgen nicht die verdiente Beachtung. East |
ein Vierteljahrhundert hat es gewährt, bis dieselbe eine gewisse
Verbreitung fand, und selbst heute noch gibt es im lieben deut¬
schen Vaterlande nur eine verhältnismässig beschränkte Anzahl
von Aerzten, welche mit der Ausführung vollständig vertraut
sind.
Den Bemühungen von Dr. Albert Freudenberg in
Berlin aber, insbesondere seinen Verbesserungen der Technik
und Instrumente, wodurch erst eine aseptische Ausführung der
Operation ermöglicht wurde, ist es zu danken, dass die Methode
jetzt immer mehr die verdiente Anerkennung findet.
Die Statistik nach F reudenberg, bei der sich 753 Fälle
als für die Frage der Mortalität, 718 Fälle als für die Erfolge
statistisch verwertbar zusammen bringen Hessen, ergab 4,25 bis
5,84 Proz. Mortalität, 7,66 Misserfolge und 86,63 Proz. guter
Resultate. Unter 248 guten Resultaten, bei denen eine weitere
Einteilung möglich war, waren 152 = 61,29 Proz. als volle Hei¬
lungen, 96 = 38,71 Proz. als wesentliche Besserungen zu ver-
Z 'ichnen. Nach einer persönlichen Mitteilung hat A. F reuden-
b e r g unter seinen letzten 43 Fällen 29 Heilungen, 11 wesent¬
liche Besserungen (=40 gute Resultate), 2 Misserfolge, 1 Todes¬
fall zu verzeichnen.
II erwitz berechnet die Mortalität der Bottini .sehen
Operation aus 888 Fällen auf 5,7 Proz., ohne Erfolg bei 10 Proz.,
gebessert und geheilt wurden 84,3 Proz. der Fälle.
Dagegen wird die Mortalität bei der partiellen perinealen
oder suprapubi sehen Prostatektomie auf 14,3 Proz., die der
totalen auf 18 — 25 Proz. angegeben.
Die Operation, auf deren Technik ich weiter zurückkomme,
eignet sich für alle Formen der Prostatahypertrophie; die
dringendste Anzeige liegt aber vor, sobald der Patient den Urin
gar nicht mehr spontan entleeren kann, sondern dauernd des
Katheters bedarf.
Dass weder hohes Alter des Patienten, noch eine lange
Dauer der Krankheit eine bestimmende Gegenanzeige bilden, er¬
hellt aus der Mitteilung von E reudenberg, wonach derselbe
einen 82 jährigen Mann, der seit 28 Jahren an vollständiger Urin¬
verhaltung gelitten, mit Glück durch die B o 1 1 i n i sehe Opera¬
tion geheilt hat.1)
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen sei es mir gestattet,
meine eigene Krankengeschichte kurz darzulegen.
Schon aus ganz jungen Jahren (ich stehe jetzt, im 02. Lebens¬
jahre) weiss ich mich zu erinnern, zeitweise an Harnbeschwerden
laboriert zu haben; ganz sicher ist. dieses aber der Fall seit
etwa 30 Jahren mit zunehmender Heftigkeit. Zwar war der Urin
immer klar, musste aber häufiger wie normal mit öfter auf-
tretendem Tenesmus gelassen werden und floss langsamer, bis¬
weilen erst nach längerem Warten. Recht lebhaft erinnere ich
mich, wie ich im Jahre 1879 einer Neuralgie wegen zur Kur im
Bade Oeynhausen weilte, meiner freudigen Ueberrasclnmg, dass
ich allemal nach dem Bade im kräftigen Strahle minieren konnte,
während in späteren Jahren diese Erscheinung beim Gebrauche
von Tliermal-Soolbiidem nicht mehr so offen zu Tage trat.
Im Januar 1899 erkrankte ich unter den Erscheinungen all¬
gemeiner Abgeschlagenheit, vollständiger Appetitlosigkeit, aus¬
geprägter Herzschwäche und — vollkommener Urinverhaltung.
Die Blase war aufs äusserste ausgedehnt und enthielt mindestens
J) A. Freu de n borg: „Die Behandlung der Prostatahyper¬
trophie mittels der galvanokaustischen Methode nach Bottini.“
Bamml. klin. Vortr., u. F., No. 328.
1 Liter klaren Urins, der durch den Katheter entleert werden
musste (15. Januar). Jedenfalls hatte schon längere Zeit eine
inkomplette Urinverhaltung, die jetzt zur kompletten geworden,
bestanden. Von Stunde an bin ich keinen Tag ohne Katheter,
der anfangs nur 2 mal, später aber mindestens 6 mal binnen
24 Stunden angelegt werden musste, fertig geworden.
Selbstredend waren von nun an meine Gedanken darauf ge¬
richtet, diesem bedauernswerten Zustande ein Ende zu machen.
Innere Mittel halfen nichts, Einreibungen, subkutane Einspritz¬
ungen, Elektrisieren, Bäder fruchteten ebensowenig: der Katheter
blieb mein steter Begleiter. Mit Argusaugen verfolgte ich weiter
und weiter die diesbezügliche Literatur, um vielleicht ein Mittel
der Rettung zu erspähen. Die Bottini sehe Operation, welche
bis dahin weniger Beachtung gefunden, kam mehr und mehr in
Aufnahme. Zwei Konsultationen dieserlialb mit Spezialkollegen
(1900 und 1901) brachten leider kein bestimmtes Resultat, bis ich
mich entschloss, am 20. April c. nach Berlin zu Dr. F r e u d e n -
berg zu reisen, mit dem ich mich brieflich dieserlialb vorher be¬
nommen hatte.
In dessen Sanatorium aufgenommen, wurde am 21. April
folgender Status verzeichnet:
Urin mässig katarrhalisch, Prostata per rectum wie kleiner
Borsdorfer Apfel, ziemlich weich.
Cystoskopie ergibt hochgradige Trabekelblase; an einzelnen
Stellen auch Uebergang in Divertikelbildung; zapfenförmiger,
breit aufsitzender mittlerer Prostatalappen nach hinten, nach
vorn zackige Verdickung der Prostata, nach den beiden Seiten
nichts Besonderes.
Am 23. April 1902 wurde die Bottini sehe Operation unter
streng aseptischen Kautelen an mir vorgenommen, nachdem zur
lokalen Anästhesierung Cocain, muriaticum, Eueain B, äa 1, Aqu.
destill. 30 in die vorher mit Asterollösung ausgespülte und wieder
entleerte Urethra posterior und Blase gespritzt war. Diese
Lösung wurde nach 5 Minuten durch den Katheter wieder ab¬
gelassen. Sodann wurde die Blase mittels Blasenspritze durch
ein zwischen diese und den Katheter eingefügtes Wattefilter mässig
mit Luft gefüllt und die eigentliche Inzision ausgeführt. Es
wurden 3 Schnitte gemacht, nach hinten von 2,8 cm, nach links
hinten von 2,3 cm, nach rechts hinten von 2 cm Länge. Die Blu¬
tung war sehr gering.
Nach Entfernung des Inzisors wurde nochmals eine Asterol¬
lösung und zwar 220 ccm durch einen wieder eingelegten Katheter
eingespritzt, von der ich alsdann noch auf dein Operationstische
liegend zu meiner grössten Freude sofort 210 ccm spontan in ziem¬
lich gutem Strahle ausurinieren konnte. Hier möchte ich die
Mahnung einschalten, die Operation nicht im Stehen (wie es wohl
geschieht) der Patienten auszuführen, weil doch im Liegen die
uaturgemässen Reaktionen gegen einen derartigen Eingriff leichter
hintangehalten werden können. Denn dass die lokale Anästhesie
die Schmerzen nur mildert, nicht aber völlig aufhebt, das habe
ich am eigenen Körper recht fühlbar erfahren.
Der Katheterismus war nun nach der Operation zur Ent¬
leerung des Urins sofort unnötig, da ich, wenn auch anfangs sehr
häufig (*/o stündlich), spontan urinieren konnte.
Erst am 29. April (= 6 Tage nach der Operation) wurde zum
ersten Male wieder ein Katheter eingeführt zur Prüfung des
Residualurins. Es entleerte sich, nachdem ich vorher spontan
uriniert hatte, durch den Katheter auch nicht ein Tropfen Urin,
die Blase war somit bis zum letzten Tropfen spontan entleert
worden, der Residualurin = 0.
Die Körpertemperatur stieg nur in den ersten beiden Tagen
nach der Operation bis auf 37,9 5, um dann immer unter 37 0 zu
bleiben.
In den ersten Tagen nach der Operation fühlte ich mich ziem¬
lich angegriffen, doch war ich bereits am 1. Mai (9 Tage nach
der Opex-ation) soweit, dass ich an diesem Tage auf meinen
dringenden Wunsch entlassen werden konnte, und nach Hause
l-eiste. Hier am häuslichen Herd unter der guten Pflege meiner
Frau hob sich gar bald der Appetit und damit das Allgemein¬
befinden. Der Urin war in der nächsten Zeit entsprechend der
jetzt beginnenden Schorfabstossung meist dunkelblutig gefärbt,
das Bedürfnis zum Urinieren 12 mal binnen 24 Stunden.
Am 8. Mai wurde sodann nach einer unruhigen Nacht des
Moi'gens 8 Uhr beim Urinieren ein BrandschoiT abgestosseu (2 cm
lang, y3 cm breit und *% cm dick), Abends fanden sich nochmals
in dem ganz blutig aussehenden Urin 2 kleinei*e Partikel, während
sich in den nächsten Tagen Blutgerinnsel verschiedener Grösse
bemerkbar machten. Am 15. Mai Abends stiess sich nochmals
ein Brandschorf ab von der Grösse wie 8 Tage vorher. Der Urin
blieb in Farbe und Niederschlag immer noch wechselnd, der Urin¬
drang verursachte noch öftere Ungelegenheiten. War doch der¬
selbe aixi 20. Juni so heftig, dass ich bei der Unsicherheit der
Blasenperkussion, das Bestehen von Ui’inretention befürchtend,
den Katheter anlegte, aber höchstens 50 ccm entleerte. Bis lieu-
tigen Tages habe ich den Katheter nicht wieder benützt. Die Bes¬
serung schritt mittlerweile langsam vorwärts. Jetzt ist der Urin
klar, ohne Bodensatz und wird 5—6 mal binnen 24 Stunden in
vollem Strahle und ohne jegliche Beschwerde entleert. Ich bin
somit durch diese Operation ein von schwei*er Erkrankung geheilter
Mann.
An Medikamenten habe ich in den Monaten April und Mai
Acidum camphor., Urotropin, Folia pvae ursi genommen, in der
letzten Zeit trank ich Wildunger Helenen-Quelle.
25. November 1902.
MUENCHENER MEDIO] NISCHE WOCHEN SCHRIFT.
1965
Ueber die Verwendung kleiner Gummiringe zur Druck*
entlastung schmerzhafter Punkte am Fuss.
Von Dr. Bettmann, Spezialarzt für Chirurgie und Ortho¬
pädie in Leipzig.
Es gibt in dei* Oi'thopädie Massnahmen, vermittels welcher
man im stände ist, so leicht und anscheinend technisch un¬
bedeutend sie auch erscheinen mögen, einen im Vergleich zur Klein¬
heit des Eingriffs unverhältnismässig grossen Nutzen zu schaffen
und, worauf es hier besonders ankommt, einen sofortigen
Nutzen. Daher kommt es auch, dass wir gerade in diesen Fällen
durch die rasche Hilfe, die wir bringen, am ehesten der dankbaren
Anerkennung unserer Patienten sicher sein können. Zu dieser
Kategorie orthopädischer Eingriffe gehört auch ein kleines tech¬
nisches Hilfsmittel, über das ich in folgendem berichten will.
Zu den mannigfachen unangenehmen Beschwerden des
Plattfusses gesellt sich nicht selten eine schmerzhafte Affektion
der grossen Zehe an der Innenseite derselben, entsprechend dem
inneren kleinen Höcker an der Basis der Nagelphalanx, der¬
jenigen Stelle also, welche eine leichte Vorbuckelung bildet und
für gewöhnlich auch der Sitz der Hühneraugen an der grossen
Zehe zu sein pflegt. Es handelt sich hierbei um einen zirkum¬
skripten entzündlichen Keizzustand des Knochens und der
Knochenhaut als Folge abnormen Drucks dieser Stelle beim Gehen
und Stehen. Hervorgerufen ist diese abnorme Belastung dadurch,
dass der Fuss in solchen Fällen in starker Pronationsstellung sich
befindet und der Schlussakt der Abwickelung desselben beim
Gehen daher nicht über die Unterfläche, sondern mehr über die
innere Seitenfläche der grossen Zehe vor sich geht. In einer
bestimmten Phase des Gehens beim Erheben der Ferse muss da¬
her gerade dieser vorspringende Höcker den grössten Teil der
Körperschwere und den Druck des harten Bodens und des Schuh¬
werks aushalten und daher schliesslich durch die fortgesetzten
mechanischen Heize in den geschilderten entzündlichen Zustand
versetzt werden. Ich bemerke ausdrücklich, dass der Zustand
einzig und allein auch durch nicht sachgemäss gefertigtes Schuh¬
werk hervorgerufen werden kann und dann mit dem Plattfuss
als solchem nur in einem indirekten Zusammenhang steht. Ein
solches Gehen ist nun ausserordentlich schmerzhaft, oft so sehr,
dass bei dem naturgemässen Bestreben, diese Stelle von dem
übermässigen Druck zu entlasten, also den Fuss mehr in Su¬
pinationsstellung hinüber zu hebeln, die Supinatoren des Fusses
und die Wadenmuskeln in krampfhafte reflektorische Kontraktur
geraten, unter Umständen bis zu einem Grade, dass das Gehen
äusserst mühsam, ja fast ganz unmöglich werden kann. Es ist
dies ein Zustand ganz ähnlich demjenigen bei der sogen. Meta-
tarsalgie, jener schmerzhaften Affektion eines oder mehrerer
Metatarsusköpfchen, die H o f f a ebenfalls als nichts anderes
als ein P lattf ussymptom deutet durch Aenderung der Belastung
im Fusskelett.
Mir hat nun in solchen und ähnlichen Fällen folgendes ein¬
fache V erfahren, welches ich auch an mir selbst auszuprobieren
Gelegenheit hatte, sehr gute Dienste geleistet und meist sofortige
Hilfe gebracht :
Ich nehme einen kleinen Gummiring, wie er zum Bier¬
flaschenverschlusses gebräuchlich ist, polstere ihn ein wenig mit
Watte und befestige ihn durch ein paar Heftpflasterstreifen an
die Unterseite des Metatarsus der grossen Zehe, ein klein wenig
nach vorne vom Köpfchen und etwas mehr nach der Innenseite
zu. Man schafft sich hiermit eine kleine Prothese, die einerseits
einen neuen Stützpunkt für den Fuss bildet, andrerseits aber
auch den inneren Fussrand hebt und gleichzeitig die grosse Zehe
um ihre sagittale Achse etwas nach aussen dreht, wodurch nun
wieder die Abwickelung des Fusses über die ganze Unterfläche der
grossen Zehe unter Vermeidung der schmerzhaften Stelle möglich
wird. Die Schmerzen und die krampfhaften Kontrakturen der
Muskulatur lassen meist sofort nach. An den leichten Druck
des Gummirings gewöhnt man sich bald. Die kleine Bandage
braucht nur von Zeit zu Zeit erneuert zu werden und kann oft
nach Beseitigung des entzündlichen Reizzustandes dann ganz
fortgelassen werden.
Mit dem gleichen Erfolg habe ich letztere auch bei sonstigen
schmerzhaften Affektionen des Fusskeletts, namentlich im Be¬
reich der Köpfchen der Metatarsi bei der sogen. Metatarsalgie in
Anwendung gezogen. Meist wird es sich hierbei um den
II. oder III. Metatarsus handeln, als den vorderen Stütz-
No. 47.
punkt des Fusses (v. Mayer). In einem solchen Fall
habe ich den Ring an dieselbe Stelle wie oben an¬
geklebt und sofortige Druckentlastung und Schmerzlosigkeit
beim Gehen erzielt. Im einzelnen Falle muss man natürlich
etwas individualisieren und erst die richtige Stelle für den Ring
herausprobieren. Bei der Morton sehen Krankheit, bei wel¬
cher es sich um eine anfallsweise auftretende Schmerzhaftigkeit,
meist am Köpfchen des IV. Metatarsus handelt, wird sich das
Verfahren, glaube ich, ebenfalls mit Nutzen anwenden lassen.
Persönliche Erfahrungen hierüber fehlen mir.
Aus dem deutschen Krankenhause in Neapel.
Ueber Seemannsordnung und Geschlechtskrankheiten.
Von Dr. C. Graeser, dirig. Arzt.
„Vorbeugung“ heisst die Parole für den ganzen immer ener¬
gischer und mit stetig sich bessernden Hilfsmitteln geführten
Krieg gegen Infektionskrankheiten und deren Verbreitung. Vor¬
beugung, und wo es mit dieser zu spät ist, jedenfalls möglichst
frühe und gründliche Bekämpfung des Feindes.
Es hat lange gedauert, bis man gewagt hat, auch die Ge¬
schlechtskrankheiten öffentlich als heimtückische, mit allen
Mitteln zu bekämpfende Gefahr für die Volksgesundheit zu er¬
klären. Nun scheint es zu tagen, und die Offenheit und Klarheit,
mit der Geheimrat Neisser im Frauenverein von Breslau über
diese Fragen gesprochen hat, wird hoffentlich befreiend und vor¬
bildlich wirken.
Vieles aber bleibt noch zu tun und tief eilige wurzelte Vor¬
urteile müssen erst überwunden werden.
Die deutsche Regierung kämpft mit Nachdruck für Beseiti¬
gung derselben, wie man neuerdings wieder aus einem Schreiben
des Reichskanzlers über die unheilvollen Folgen der Geschlechts¬
krankheiten und die Notwendigkeit gemeinsamer Bekämpfung er
sieht. Sie hat aber hartnäckige Gegner an den Krankenkassen
und gründlicher Wandel wird erst geschaffen werden durch Aen¬
derung des Krankenversicherungsgestzes.
Die beiden Brüsseler internationalen Kongresse zur Bekämpf
ung der Geschlechtskrankheiten (1899 und jetzt vom 1. — 6. Sept.
1902) sind ebenfalls Fortschritte, wenn sie auch vorerst wenig
praktische Resultate ergeben haben und noch viel zu sehr von
theoretischen Kämpfen zwischen „Reglementaristen“ und „Abo
litionisten“ widerhallten. Sicher aber haben sie gezeigt, dass die
jetzigen Systeme der Reglementierung und Kontrolle der Pro¬
stitution praktisch wenig Nutzen stiften; der Verbreitung der Ge¬
schlechtskrankheiten nur geringen Einhalt tun. Die Vertreter
Englands und Italiens konstatierten sogar, dass seit der Be¬
schränkung der Reglementierung, in Italien durch die sogen, lex
Crispi, und die vollständige Aufhebung derselben in England die
venerischen Krankheiten abgenommen haben, weil die Kranken
sich nun nicht mehr scheuen Hospitäler aufzusuchen und dort wie
andere Patienten behandelt werden.
Ebensowenig Erfolg hat die strafrechtliche Verfolgung der
venerischen Ansteckung, wie sie z. B. in Norwegen besteht und
wie sie in Frankreich und Deutschland auf Antrag der Geschädig¬
ten eingeleitet wird. Auf dem Kongress wurde sie für die anderen
Länder ebenfalls gefordert. Eine Einigung konnte aber nicht er¬
zielt werden, da die Erfahrung aus den Ländern, in denen sie be¬
steht dagegen spricht, was aus so vielen Gründen, insbesondere aus
der Schwierigkeit des Nachweises - — man denke nur an die Unter¬
suchungen von Wertheim über Reinfektion von Gonorrhöe — ,
und aus Gründen, die der Scham entspringen, erklärlich ist. Als
Hauptforderungen des Kongresses wurden darum „individuelle
Prophylaxe“ und „soziale Reformen“ aufgestellt, um der Seuche
wirksam und nachhaltig entgegenzutreten, und die darauf zielen¬
den einstimmig angenommenen Resolutionen werden hoffentlich
nicht ungehört verhallen.
Aber praktisch greifbare Resultate und Reformen kristalli¬
sieren sich langsam nur aus dem Meere solcher idealer Forde¬
rungen aus. Was sich auskristallisiert hat, sollte jedoch mit
aller Kraft und allem Nachdruck dem täglichen Leben dienstbar
gemacht werden. Zu diesen Auskristallisierungen möchte ich
Bl aschkos Vorschläge vom Brüsseler Kongress rechnen. Er
verlangt die absolut unentgeltliche Behandlung aller Geschlechts¬
krankheiten, Abschaffung der Spezialhospitäler für Venerische und
Eingliederung derselben als Sonderabteilungen in alle Kranken¬
häuser, Gründung von Ambulatorien und Polikliniken in Verbin¬
dung mit den Krankenhäusern. Diese Vorschläge sollten doch
praktisch durchzuführen sein, sollte man denken.
Ueber deren Nutzen kann wohl kein Zweifel bestehen. Der
Staat muss vorausgehen, indem er klare, nicht zu umgehende Ge¬
setze fordert und deren Ausführung scharf überwacht. Diese
müssen den venerisch Erkrankten ihr Recht zurückerobern, auf
die Möglichkeit wieder zu gesunden, mit dem geringsten Schaden
für die eigene Existenz und für diejenige der Mitmenschen. Alle
anderen Gesichtspunkte und idealen Forderungen müssen zurück¬
stehen vor diesen, die sich aus dem tatsächlichen Leben ergeben,
welches weder mit Resolutionen noch Gesetzparagraphen aus der
Welt zu schaffen ist. Sieht man darüber hinweg, dass die Bekäm¬
pfung der Krankheit in erster Linie not tut, hinaus auf ex¬
treme Zukunftswünsche, so ist das ähnlich, als ob ein Feldherr
6
No. 47.
M UENCIIENEK MEDICIN 1 S/C 1 1 E WOCHENSCHRIFT.
iübö
seiue Armee nur auf die ferne Hauptstadt des Feindes dirigiert,
während hinter seinem Rücken die feindlichen Heere ungestraft
sein eigenes Land verwüsten. Diese Möglichkeit ist im Kampfe
gegen die Geschlechtskrankheiten so lange gegeben, als nicht die
Krankenkassen gezwungen werden, ihre Sonderbestimmungen zum
Nachteil der von venerischen Krankheiten Befallenen aufzuheben
und dieselben den anderen Krankheiten vollkommen gleicli-
zustelleu.
Nach der Zusammenstellung Guttstadts1 * * *) aus den Re¬
sultaten der auf Veranlassung des preussischen Kultus¬
ministeriums an die approbierten Aerzte in Preussen ergangenen
Umfrage über die Zahl der am 30. April 1900 im ganzen Staate
wegen venerischer Krankheiten in Behandlung gestandenen Per¬
sonen ersehen wir, dass am genannten Tage von je 10 000 er¬
wachsenen Personen im ganzen Staate überhaupt 18,46, davon
männliche 28,20, weibliche 9,24 wegen Geschlechtskrankheiten be¬
handelt wurden. Natürlich sind diese Zahlen im V erhältnis zu
den wirklich an venerischen Krankheiten Leidenden viel zu gering,
schon im Hinblick darauf, dass ein Drittel der Aerzte die Umfrage
überhaupt unbeantwortet liess. Neisser schlägt die Zahl aul
2 — 3 Millionen an für das Reich. Man begreift dies, wenn man
Aveiss *), dass unter 1000 im Jahre 1899 in sämtlichen Kranken¬
häusern behandelten Personen
litten an
Tuberkulose
Typhus
Diphtherie
vener.
j Krankheiten
Männliche . .
52,5
12,0
14,4
35,4
Weibliche . .
39,2
13,2
26,4
56 0
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nur ein geringer Teil,
Guttstadt nimmt an 5 von 100, der venerisch Erkrankten in
Krankenhäusern behandelt werden und diese sich meist aus den
niederen Ständen und den Prostituierten rekrutieren, während Ge¬
schlechtskrankheiten unter den besseren Ständen, wenigstens bei
den Männern, fast noch mehr verbreitet sind. Gerade von den
Venerischen sollten möglichst viele der geschlossenen Anstalts¬
behandlung unterzogen werden können, um einen möglichst
grossen Prozentsatz als Ansteckungsvermittler auszuschalten.
Am schlimmsten sind bisher die Verhältnisse bei den See¬
leuten gewesen, denen durch ihren Beruf die Ansteckung leicht,
die Heilung aber manchmal sehr schwierig gemacht wird, und die
als Geschlechtskranke von jeder Unterstützung durch Kranken¬
kasse oder Rheder ausgeschlossen waren und noch sind.
In meiner langjährigen Thätigkeit am hiesigen deutschen
Krankenhause konnte ich die verderbliche Wirkung eines eng¬
herzigen, die Geschlechtskranken von der Wohltat der kostenlosen
Behandlung, Avie sie den an anderen Krankheiten Leidenden zu
Teil wird, zur Genüge beobachten. Wenn auch die neue, am
1. April 1903 in Kraft tretende deutsche Seemannsordnung hierin
teilweise Wandel schafft, so ist die Verbesserung doch noch nicht
so konsequent und klar durchgeführt, um nicht auf Basis der Er¬
fahrung mit der alten Seemannsordnung und im Hinblick auf so
viele Krankenkassen, die noch ähnliche Bestimmungen haben, eine
Kritik notwendig zu machen.
Die bis zur Ablösung durch das vom Reichstag im April dieses
Jahres genehmigte neue Gesetz gültige Seemannsordnung vom
27. Dezember 1872 sagt in § 50:
Auf den Schiffsmann, welcher die Krankheit oder Verwun¬
dung durch eine unerlaubte Handlung sich zugezogen hat, oder mit
einer syphilitischen Krankheit behaftet ist, finden die §§ 48 und 49
(dass der Rheder für die Heilungskosten aufkommen muss) keine
Anwendung.
In dem diesem entsprechenden § 02 der neuen Ordnung ist nun
allerdings die Einschränkung wegen syphilitischer Erkrankungen
weggelassen und heisst es nur, dass derjenige Schiffsmann, „wel¬
cher die Krankheit oder Verletzung durch eine strafbare Hand¬
lung sich zugezogen hat“, von dem Anrecht auf Verpflegung und
Heilbehandlung auf Kosten des Rheders ausgeschlossen ist. Und
in einem Nachsatz: „ob diese Voraussetzungen vorliegen, ent¬
scheidet vorläufig das Seemannsamt“.
Das ist alles noch sehr dehnbar und kann gegebenen Falls
gegen den geschleclitskranken Seemann ausgenutzt Avei'den, be¬
sonders in Verbindung mit Absatz 5 des § 70, in dem es heisst:
„Der Kapitän kann den Schiffsmann vor Ablauf der Dienstzeit
entlassen: Wenn der Schiffsmann mit einer geschlechtlichen
Krankheit behaftet ist, die den übrigen an Bord befindlichen Per¬
sonen Gefahr bringen kann. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich,
sofern ein Arzt zu erlangen ist, nach dessen Gutachten.“
Um dieser drohenden Entlassung mit ihrer Schande und ihren,
besonders in der Fremde traurigen Folgen der Ei'AArerbslosigkeit
zu entgehen, Avird der Seemann geradeso wieder zur Verheim¬
lichung und Vernachlässigung einer venerischen Infektion ver¬
leitet, wie unter der früheren Seemannsordnung. Er wird geradeso
wieder selber an sich herumquacksalbern, zu Apothekern und Ge-
heimmittelschwindlern laufen, oder sein sauer Arerdientes Geld
zu jenen Wunderdoktoren tragen, die ihre Zauberkuren hier in
l) Die Verbreitung der Arenerischen Krankheiten in Preussen;
A-on Prof. Dr. A. Guttstadt. Zeitschr. des Königl. Preuss.
Statist. Bureaus. Ergänzungsheft XX. Berlin 1901.
"•) Guttstadt. ,
Neapel z. B. in allen Strassenpissoirs in verlockenden Ver¬
sprechungen angeschlagen haben und mit übergrossen Lettern auf
mächtigen Tafeln an den TramAvagen anpreisen. Er Avird gerade¬
so Avieder, Avie bisher, aus Aerger, Verzweiflung oder Leichtsinn
sich betrinken, Avenn er ans Land kommt; vom Alkohol zur Dirne
taumeln und die Infektion weiter verbreiten. Vor kurzem Avurde
mir vom Konsulat ein Maschinist eingeliefert, der Avegen ver¬
eiterten Bubonen ins Krankenhaus wollte, sich aber vorher noch
einen Henkersrausch angetrunken hatte und von einer Dirne mit¬
geschleppt worden war. Während des Aktus Avar ein Bubo ge¬
platzt. Er hatte mit der Dirne sich herumgezankt, Aveil sie ihm
das ganze Geld, das er zur Heilung verwenden wollte, abgenommen
hatte und war so zum Konsulat gekommen.
Und das Avar gar kein verkommenes Subjekt, wie sich in
seiner Hospitalzeit zur Genüge herausstellte, sondern ein stiller,
ernster Mann, den Verbitterung über sein Pech so Aveit gebracht
hatte und der vor Scham fast verging nachher.
Dagegen mit „sittlichen Forderungen" kämpfen und ideale
Wünsche über geschlechtliche Enthaltsamkeit predigen ist ja sehr
schön. Zum Erfolg aber muss man die Menschen umstimmen und
die sozialen Verhältnisse. Das aber erfordert schwere Arbeit, die
nur langsam zu bewältigen sein Avird, ATon deren Forderungen nur
zu leicht Heuchelei und Verheimlichung grossgezogen und als
Heilung angesehen werden, gleich dünnen Ueberhäutuugen bei bös¬
artigen Geschwüren, unter deren trügerischer Decke die Krank¬
heit um so schlimmer Aveiterwuehert.
Hafenstädte sind überall reich an Verführung. Das Angebot
übertrifft hier die Nachfrage bei Aveitem. Beim Matrosen, der
Wochen und Monate lang, oft unter Gefahr und Entbehrung ein
hartes, nüchternes Leben geführt hat, platzt das angesammelte
Lustbedürfnis roh und gewalttätig sobald er an Land kommt.
Wenn ihm darum die Befriedigung so leicht wird, wie es in Hafen¬
städten der Fall ist, wenn der Widerstrebende noch mit allen
niederen Künsten der Sinneserregung A7on Schleppern, Wirten und
schamlosen Dirnen verführt wird, so ist es kein Wunder, dass das
Fleisch GeAA'alt kriegt auch über einen besseren Willen. Man muss
Kapitäne und Schiffsoffiziere erzählen hören, Avie es kaum möglich
ist, Dirnen von Bord zu halten. Unter Avelchen Verkleidungen sie
zu ihren Opfern zu gelangen suchen: als Wäscherinnen, Ver¬
käuferinnen, unter Gesang und Tanz. Sogar als fromme Bettel¬
nonnen, Avie es in Neapel vorkam. Wie sie Nachts lautlos gleich
Ratten an Davids und Tauen auf Deck klettern, ohne dass die
Wachen sie bemerken können. Man muss diese Tatsachen kennen,
um die Ungerechtigkeit eines Gesetzes einzusehen, das dem armen
Teufel, Aveleher der Verführung erlegen ist, die Befreiung von den
harten Folgen des kurzen Genusses erschwert und ihn zu einer Ge¬
fahr ausAvaclisen lässt für seine Umgebung, ln den Tropen ist
die Verführung noch gefährlicher. Da rankt sich ein Hauch atou
Poesie darum und das Fremde reizt, ln Java kommen blumen¬
geschmückte Boote Aroll junger, knospender Mädchen, halbnackt
oder nur in lose bunte Gewänder gehüllt, langseit und umkreisen
die Schiffe Avie gierige Haifische. Diese Blumenmädchen mit ihren
Kindergesichtern und ihren grossen, dunkeln Augen Averden an
die Matrosen vermietet. Für Wochen oft. Und sie dienen ihm
nicht allein zur Befriedigung der Sinne. Sie sorgen für ihn,
Avaschen, bügeln und flicken für ihn und geben ihm einen Hauch
von jenem Behagen, das dem Menschen so Avohl tut, Avenn er
wochenlang in Sturm und Wetter harte Arbeit leisten musste;
geben als Ausgleich ihm aber auch jene schweren Formen
venerischer Erkrankungen, die sich entAvickeln, avo die Krankheits¬
erreger auf neuen, frischeren Nährboden geraten. Der arme
Teufel, der nach Gefahr und harter Arbeit dem Avohligen Behagen
erliegt, soll geächtet Averden und brodlos gemacht — nur Aveil
er zufällig eine kleine Abschürfung hatte oder eine feinere, leichter
reissende Haut, Avelche den Krankheitskeimen freie Bahn zur Ein-
Avanderung gab? Er soll geächtet Averden, während sein Nachbar,
der der gleichen Sünde gefröhnt, den aber sein dickeres Fell vor
Ansteckung bewahrt hat, unbehelligt ihn auslacht? Ist er nichl
bestraft genug durch Schmerz und Krankheit und die bösen
Folgen? Muss das Gesetz ihn noch zur Verzweiflung und zu
neuem Leichtsinn treiben und zu einer Gefahr auSAvachsen lassen
für Unschuldige?
Ich habe Erfahrung gesammelt am hiesigen Krankenhause
über die traurigen Konsequenzen der Aechtung der Geschlechts¬
kranken. Aus Angst, ihr Brot zu verlieren, lügen sie den Arzt
oder, wo keiner ist, den I. Offizier, der meist als Medizinmann
an Bord fungiert, an, um unter irgend einer Form, die nicht als
„selbstverschuldete Krankheit“ angesehen werden kann, ins
Hospital an Land zu gelangen. Natürlich wählen sie Uebel, die
objektiv schAver festzustellen sind: unbestimmte Leibschmerzen,
Kopfweh und mit Vorliebe Rheumatismus. Anfänglich — ehe ich
den Rummel kannte — glaubte ich natürlich diesen Angaben und
auch der A7erneinenden Antwort wegen sexueller Infektion, und
sah mir die in Betracht kommende Gegend oft nicht genauer an.
Durch Krankenwärter oder von den schmerz- und angstgepeinigten
Kranken selber erfuhr man dann die Wahrheit, nachdem ein
Scliänkergeschwür schon ausgebreitete Verheerungen angerichtet
hatte.
Manche versuchen durch künstlich hervorgerufene Entzün¬
dungen an den Augen oder durch Reiben mit Sand und Kohle an
einem Knie sich den Weg zum Krankenhaus zu bahnen, um un¬
verdächtig ihre Geschlechtskrankheit heilen zu können.
Ein Schiffsoffizier wurde mir unter der Diagnose „Sonnen¬
stich“ eingeliefert. Er war während der Wache beim Verlassen
25. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1967
der Brücke bewusstlos zusammengestürzt. Die Ursache aber war
c.ne Ilodenentzundung. Durch eine Bewegung des Schilfes war er
heltig mit den Hoden an die Kante des Treppengeländers ge
stossen. Der Schmerz hatte ihn ohnmächtig gemacht Aus AnKt
mr d™ Folgen aber hatte er die Ursache und den Ort des Schmel¬
zes verschwiegen wie er schon vorher sich selber behandelt “nd
gehe? wollte. ^ muhSam s5ch quäIend’ weil er nicht zum Arzt
Ein anderer Schiffsoffizier wurde aufgenommen, weil er. wie
ail^ab: bei.“ Zahneputzen Karbolsäure statt Zahntinktur in die
Spülflüssigkeit gegossen und sich so den Mund verbrannt hatte
Die Untersuchung ergab syphilitische Papeln an den Mundwinkeln'
ausgebreitete Angina, teilweise mit geschwürigem Zerfall an den
"nd a"f den Tonsillen; Papeln am Kehldeckel und
-eheilt Stimmbandei'n- Den Primäraffekt hatte er sich selber
Harnröhrenverätzungen durch kritiklose Einspritzungen mit
\ erdunnter Karbolsaure und anderen ätzenden Flüssigkeiten mit
allen für die Patienten so qualvollen Erscheinungen kommen
öfter vor und werden erst gebracht, -wenn Schmerz und Schwellung
und unerträgliche TTrinbeschwerden, Hodenentzündungen oder Bu¬
bonen die Deute arbeitsunfähig machen. Es ist kaum zu glauben
was diese Kranken Schmerzen anshalten können, nur um ihre
Krankheit zu verheimlichen. Ich erinnere mich an den Fall eines
Stewarts, der trotz doppelseitiger Bubonen seinen Dienst versah
und als die vereiterten Drüsen platzten, einfach eine wollene
Jacke dar über stopfte und weiter arbeitete bis ein ausgebreitetes
Erysipel ihn zu uns brachte. Wenn man bedenkt, wie wenig rein¬
lich solche Menschen sind, dass sie erst mit den Händen an ihren
Eiterherden herumarbeiten und dann bei Tisch bedienen, so wird
man sicher nach Massregeln suchen müssen, die solche Vor¬
kommnisse verhüten. Aehnlich war es mit einem Koch der
wochenlang seine Schankergeschwüre mit Borwasser und Watte
behandelte und dabei für die Offiziersmesse kochte.
Auffallend viele Bubonen bekommen wir immer ins Kranken¬
haus. W enn ich auch nicht behaupten will, dass bei sacligemässer
Frühbehandlung der Grundkrankheit alle Drüsenvereiterungen ver¬
mieden werden könnten, so werden sie aber doch sicher "um ein
Gutteil vermindert werden.
Tn pestverdächtigen oder Pestplätzen kann es Vorkommen — -
und ist vorgekommen — , dass Seeleute mit Leistendrüsenentzün¬
dungen peinliche Untersuchungen und Quarantänen durchmachen
mussten, nur weil sie eine venerische Infektion, die sich nachher
doch als vorhanden erwies, hartnäckig leugneten.
Diese wenigen Fälle mögen als Beispiele für die traurigen
Konsequenzen, welche sich aus der durch ein ungerechtes Gesetz
grossgezogenen Verheimlichung von venerischen Krankheiten er¬
geben. genügen.
Nun kommt aber nur ein Teil der Erkrankten wirklich in
Behandlung. (Trotzdem gingen von den deutschen Dampfern, die
im Winter den Verkehr im Golf besorgen, durchschnittlich 10 bis
Ö5 Proz. der Mannschaft als geschlechtskrank durch meine Hände.)
Die übrigen, soweit sie nicht zu anderen Aerzten, aber noch lieber
zu Apothekern oder Reklamespezialisten gehen, schleppen sich
durch bis nach Hause oder haben sich erst im letzten Hafen in¬
fiziert. Mustern nun diese im Heimatshafen ab, ohne nochmals
einer Kontrolle unterzogen zu werden, und kommen nach Hause
- manche hinaus aufs Land, wo der Mensch den Arzt überhaupt
inst ruft, wenns ans Sterben geht — , so kann man ermessen was
sie für eine Gefahr bilden.
Eine Statistik der venerischen Erkrankungen bei der Handels-
mar.ine muss sehr schlechte Resultate ergeben, was Quantität und
Qualität der Infektion betrifft. Man kann dies ans einem Ver-
gleich mit dem Vorkommen der Geschlechtskrankheiten bei der
kaiserlichen Marine ersehen, bei der trotz Belehrung und scharfer
Kontrolle — die in der Handelsmarine fehlt — im Jahre 1807 _ 08
auf 1000 Mann 119,7 Erkrankungen kamen, während in der gleich¬
zeitigen Periode im Heer auf 10 000 Mann nur 210 Fälle festgestellt
wurden. Die Ansteckungsmöglichkeit ist für den Angehörigen der
Kriegsmarine, der in aller Welt Häfen herumkommt, eine viel
grössere, als für den Soldaten des Landheeres, trotz eiserner Dis¬
ziplin und TJeberwachung. Sie steigt natürlich beim Matrosen der
Handelsmarine um den Prozentsatz, der sich aus dem viel lockereren
Verhältnis, in dem er zu seinen Vorgesetzten steht, dem Mangel
an Kontrolle, dem kürzeren Aufenthalt in der Heimat und dem
der Verführung viel leichter gemachten Verkehr mit ihrem Opfer
ergibt.
Mit um so grösserer Konsequenz muss also darauf hin-
gearbeitet werden, diese Übeln und gefährlichen Zustände einiger-
massen zu paralysieren.
Im Vergleich zu den diesbezüglichen Gesetzen der meisten
anderen seefahrenden Nationen bedeutet die neue deutsche See¬
mannsordnung. wie schon gesagt, eine Verbesserung. Aber sie
genügt nicht ad rem. Sie lässt dem Rheder und den Kassen immer
noch Möglichkeiten, sich der Verantwortung gegen die Volks¬
gesundheit zu entschlagen. Und dass sie ungünstig für den ge-
schleehtskranken Seemann wird ausgelegt werden können, zeigt
°m Vergleich mit dem französischen3) „Code de Com¬
merce“.
8) Die Mitteilungen über die Seemannsordnungen der einzelnen
Staaten verdanke ich der grossen Liebenswürdigkeit des Herrn
I rof. B a u e r, Direktor des internationalen Arbeitsamtes in Basel,
dem ich hiermit meinen besonderen Dank aussprechen möchte.
Diesel kennt ebenfalls in der Theorie keinen Unterschied
zwischen syphilitischen und anderen Erkrankungen In der Aus-
legung die er aber für die Praxis erfährt, heisst es in der be¬
treffenden Mitteilung des „Directeur du Travail“ A Fontaine
nehmen schon die juristischen Schriftsteller, von den älteren, wie
\ a 1 i n und Emerigon an, bis zu dem modernen Desiardins
einen solchen Unterschied an und die Gerichte urteilen mit wenigen
Ausnahmen zu Gunsten des Rheders. ,,En resume“, schliesst der
Bericht, „si, en droit et ä la lettre de l’art. 262 du Code de Com¬
merce, l’armateur est tenu de traiter et de repatrier le marin
debarque pour cause de maladie- syphilitique, en fait il echappe ä
cette Obligation, gräce ä la distinction faite, pour l’application de
se texte, par les auteurs, les tribuneaux et mon Administration
elle-meme.
Der italienische „Codice marittimo“ befreit im 8 538 den
Rheder von jeder Verpflichtung gegenüber Krankheiten’ die der
Seemann aus eigenem Verschulden — und darunter werden die
venerischen Krankheiten immer gerechnet — sich zugezogen hat
bestimmt allerdings, dass der Kapitän dem Kranken die Kur¬
kosten vorschiessen muss.
In der neuen österreich-ungarischen Seemannsord¬
nung, die sich auf die neue deutsche Vorlage stützt, sollen nur
Krankheiten, die durch eine „gesetzlich untersagte Handlung“ zu¬
gezogen sind, ausgeschlossen sein. Tatsächlich aber muss der
Syphilitische die Heilungskosten selber tragen.
Das holländische Handelsgesetzbuch erwähnt
die venerischen Krankheiten nicht besonders, legt aber alle Aus¬
gaben für Krankheiten zu Lasten des Kranken, die sich dieser
..nicht im Dienste des Schiffes“ oder durch eigene Schuld zu¬
gezogen hat. Damit sind natürlich die Geschlechtskranken
jeden Schutzes beraubt.
-p. ™eu£rbssde seefahrende Nation. England, ist noch härter.
...as . * 1 * £ ba^ nur für Unglücksfälle im Dienste aufzukommen;
für jede Krankheit hat der Mann, so lange er Geld hat selber
zu zahlen. Ist er mittellos, so zahlt die Regierung.
In A merika scheinen überhaupt keine gesetzlichen Be¬
stimmungen über diese Frage zu existieren. Wenigstens wusste
man auf dem amerikanischen Konsulat in Neapel nichts davon
und meinte der betreffende Beamte, das sei der kontraktlichen
(Jebereinkunft zwischen Seeleuten und Kapitän, den sogen, ships-
articles uberlassen.
Das schwedische Seegesetz gibt dem Kapitän das Recht,
einen venerischen^ Kranken sofort zu entlassen: geschieht dies
nicht, so hat der Kranke bloss Anrecht auf Bezahlung für die Zeit
der Dienstleistung, und die Kosten für seine Verpflegung und
seinen Unterhalt werden ihm abgezogen. Verschleppung. Verheim¬
lichung und Weitertragen der Infektion werden auf diese Weise
last zwangsweise gezüchtet.
Klai und präzis und die grosse Gefahr, welche aus der Aus-
schliessung der venerischen Krankheiten von den Wohltaten der
freien Behandlung für die Gesamtheit entspringt, wohl erwägend,
sind nur die diesbezüglichen Bestimmungen in Dänemark
Schon vom 10. April 1874 existiert dort ein Gesetz, betreffend „Ver¬
anstaltungen zur Verhütung der Ansteckung vernerischer Krank¬
heiten . Es. enthält u. a. folgende Bestimmungen: „Personen,
die an venerischen Krankheiten leiden, sind, ohne Rücksicht da-
lauf, ob sie im stände sind, die Kosten ihrer Genesung selbst zu
tragen oder nicht, berechtigt. Kur und Pflege auf Rechnung des
Staates zu erhalten, wie sie auch verpflichtet sind, sich einer
solchen Pflege zu unterziehen, es sei denn, dass sie dartun. sich
einer gebührenden ärztlichen Behandlung unterworfen zu haben:
sind die Verhältnisse der Personen von solcher Beschaffenheit,
dass Ueberführung auf andere Personen nicht ohne ihre Entfer¬
nung auf genügende Weise vorzubeugen ist. oder befolgen sie
nicht die ihnen zur Verhütung der Ansteckung cregebenen Vor-
schliffen, müssen sie in ein Krankenhaus eingelegt werden.“
Was hier im Jahre 1874 schon auf gestellt wurde, als das
deutsche Krankenversicherungsgesetz noch nicht geboren war,
sollte jetzt, nachdem man die Erfahrungen des Krankengesetzes
hat, wenigstens auf keinen Widerspruch mehr stossen. Im Gegen¬
teil noch verbessert und verschärft werden.
Wie schon erwähnt, ist nicht die Regierung der Hemmschuh.
Das preussische Ministerium für Medizinalangelegenheiten tritt
seit Jahren in seinen Rundschreiben für Gleichstellung der Ge¬
schlechtskranken mit den anderen Kranken von Seiten der
Krankenkassen ein. Sie verlangt dies schon aus dem Grande,
weil die Ausschliessung nicht im Einklang steht mit den Bestim¬
mungen des Krankenversiohemngsgesetzes. In einem Ministerial¬
erlass vom 6. April 1893 heisst es hierüber: „Zahlreiche Gemeinde-
Krankenversicherungen und Krankenkassen verweigern ihren an
venerischen Krankheiten leidenden Mitgliedern jede Kranken¬
unterstützung. Dies steht nicht im Einklänge mit den Bestim¬
mungen der §§ 6a Abs. 1 Ziff. 2 und 26 a Abs. 2 Ziff. 2 des
Krankenversicherungsgesetzes in der Fassung vom 10. April 1892
fiR.-G.-Bl. S. 417), wonach die Gemeinden und die Ortskranken-
kassen bei solchen Krankheiten nur zur Kürzung oder Entziehung
des Krankengeldes und auch hierzu nur dann berechtigt sind,
wenn die Krankheit die Folge geschlechtlicher Aus¬
schweifungen ist: der Verpflichtung zur unentgeltlichen
Gewährung von ärztlicher Behandlung, Arzneien u. s. w. (§ 6
Abs. 1 Ziff. 1, § 20 Abs 1 Ziff. 1 des Gesetzes in der Fassung
vom 10. April 1892) sich aber überhaupt nicht entziehen können.“
(Guttstad t.)
6*
1968
MUENCHENER MEDICINISpiIE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
Der Erlass ist vom Jahre 1893. Im Jahre I900 existierten
allein in Berlin noch 47 Krankenkassen mit 66 961 H’tgliedei ,
welche den venerisch Erkrankten kein Krankengeld bev\ nligü n.
Die Folgen für die Volksgesundheit kann man berechnen, wenn
man erfährt, dass im Jahre 1898 von 10 000 Mitgliedern des ' Ge¬
werkkrankenvereins in Berlin 687,5 Männer und lo4,9 a' -
Geschlechtskrankheiten litten. Auch diese Zahlen geben natmlicli
nur einen Bruchteil der tatsächlich vorgekommenen Falle, wie De
allen solchen Aufstellungen. Sie genügen aber, um ein vorurteils¬
freies und energisches Einschreiten gegen diese 4 olksseucl^
ebenso zur Pflicht zu machen, wie es bei Typhus, Diphtheiie u
anderen Infektionskrankheiten schon lange als selbstvei stündlich
angenommen ist. , , _ ,.
Was für die Landkrankenkassen billig und notwendig ist,
sollte für den Seemann noch dreimal mehr recht sein, weil da die
Verhältnisse viel schlimmer liegen. Zum Glück wäre aber gei <
hier _ _ wenn es mit der nötigen Konsequenz in die Hand ge¬
nommen würde — ein Einschreiten weit leichter möglich, als bei
den meisten anderen Berufsarten: die Seeleute können kontiollier
und so lange sie Avenigstens in Dienst stehen, unter steter Au 1 -
sicht gehalten werden. Zur inneren Berechtigung dieser Aufsicht
muss ' die Gleichstellung der venerischen Krankheiten mit den
anderen Erkrankungen im Genüsse der Wohltaten der Kianken
Versicherungen streng durchgeführt und die Mannschaften darub 1
und über die Gefahren der betreffenden Krankheiten belehrt
Averden, wie es bei der Kaiserlichen Marine geschieht.^ Der Be¬
lehrung wäre ein „Merkblatt für Geschlechtskrankheiten ), wie s
in höchst verdienstlicher W'eise eben von der belgischen Regierung
an die Bevölkerung verteilt Avorden ist, sicher von grossem Vorteil.
Alle Gründe zur Verheimlichung, besonders solche, die der Scham
und Angst vor Brandmarkung entspringen, müssen nach Möglich¬
keit beseitigt Averden, damit die Verheimlichung selbst strafbar ge¬
macht werden könnte.
Bei der Ausmusterung muss die' Mannschaft genau uutei-
suclit werden, so dass Erkrankte sofort dem Krankenhaus uber¬
geben Averden können. Erfahrungsgemäss opfern die Seeleute,
bevor sie den Gefahren der Reise mit ihren oft langen Ent¬
behrungen entgegengehen, ausgiebig Bacchus und der Frau Venus.
Das ist psychologisch erklärlich. I11 den ersten Tagen nach der
Ausfahrt wäre also eine jedesmalige Generalmusterung von Nöten,
die je nach dem dazwischen erteilten Landurlaub alle 8—14 läge
wiederholt würde. Dadurch wäre man im stände, die besonders
bei Gonorrhöe so Avertvolle Frühbehandlung cinzuleiten.
Auf Schiffen ohne Arzt müssen die Untersuchungen durch den
Kapitän oder 1. Offizier vorgenommen werden, die daraufhin noch
mehr als bisher auszubilden Avären. Auch das an Bord jedes
Schiffes sonst sehr praktische ärztliche Hilfsbüchlein müsste über
Geschlechtskrankheiten noch genauere Aufklärungen enthalten.
Man muss nicht glauben, die Verantwortung damit in widex-
Avillige oder gleichgültige Hände zu legen. Ich habe immer ge¬
funden. dass die Schiffsoffiziere sich in bewundernswerter Weise
ihrer Untergebenen annahmen, sie pflegten und avo sie es irgend
konnten, die harten Bestimmungen der Seemannsordnung mil¬
derten. Sie kennen das Leben besser als die Leute der Schreib¬
stube. Sie haben mit ihrer Mannschaft Not und Tod in die Augen
gesehen und wissen aus eigener Erfahrung, Avelche Reaktionen
Entbehrung und überstandene Gefahren hervorrufen und xvie die
Verführung in den Hafenstädten auf Schritt und Tritt diesen ent¬
gegenkommt.
Geschlechtskranke oder der Krankheit Verdächtige sollten
daher keinen Landurlaub erhalten und tunlichst in ein geeignetes
Krankenhaus untergebracht werden. In den Hafenplätzen sollte
die Strassen und Schiffe unsicher machende vagierende Pro¬
stitution streng unterdrückt und die Prostituierten in jeder Kon¬
trolle zugängliche Häuser interniert werden. Internationale Be-
stimmungon hierüber wären anzustreben.
Die Untersuchungen Neissers u. a. haben bekanntlich er¬
geben, wie mühselig und kaum durchführbar eine wirklich der In¬
fektion einigermassen vorbeugende ärztliche Kontrolle der Pro¬
stituierten ist. Die betreffenden öffentlichen Häuser sollten bei
Androhung sofortiger Schliessung und Bestrafung der Schuldigen,
im Falle wiederholter Klagen, angewiesen Averden, geeignete Mass-
regeln zur Untersuchung der das Haus frequentierenden Männer zu
treffen. Solche Bestimmungen würden sicher die Verhältnisse
bessern.
Jedenfalls ist aber der Kampf gegen die Krankheit und
die ausgiebigste Eröffnung von — im Notfall zAvangsweise durch¬
zuführender— Heilungsmöglichkeiten die nächstliegende
Forderung zur Verminderung der Gefährdung und zur Verbesse¬
rung der Volksgesundheit.
Höherstrebende „sittliche Forderungen“ und Veredelungs¬
versuche der Menschheit dürften zum mindesten diesen Bestre¬
bungen nicht entgegenarbeiten. Wenn es brennt, muss man
löschen und nicht über Verbesserung des Hauses sich beraten.
Die Seeleute selber aber werden unter der Rückwirkung dieser
Kontrollen und Zwangsbehandlungen ihre Hemmungen etwas dis¬
ziplinieren und vernünftige Belehrung wird der Gleichgültigkeit
und dem Leichtsinn einigermassen steuern.
Erfahrungen in der ärztlichen Praxis bei Chinesen.
Von Dr. Pertlies in Leipzig.
Im folgenden sollen einige Erfahrungen mitgeteilt werden,
welche im Jahre 1901 bei ärztlicher Tätigkeit an Chinesen in
Peking geAvonnen wurden. Als Ergänzung einer an anderei
Stelle1) erfolgten Veröffentlichung einzelner Punkte von speziell
chirurgischem Interesse, sollen sie mehr solche allgemein medi¬
zinische Beobachtungen bieten, welche wegen der Eigenart des
verwerteten Materials vielleicht auch jetzt noch von Interesse
Die Erfahrungen Avurden gemacht an einer mit Hilfe der
Londoner Mission eingerichteten Poliklinik mit kleiner Kranken
Station, welche in gewisser Weise die Erneuerung eines früher
von der Londoner Mission mit gutem Erfolge unterhaltenen,
dann von den Boxern zerstörten Chinesenhospitals darstellte.
Das trotz der politischen Verhältnisse rasch Avaclisende Zutrauen
desi chinesischen Publikums — nicht nur der unteren Stände
zu der fremden Wissenschaft äusserte sich in der raschen Zu¬
nahme der Frequenz der Poliklinik. Nach Ausweis des geführten
Journals gingen derselben während meiner sechsmonatlichen
Tätigkeit 1115 Patienten zu, eine Zahl, die immerhin einen ge¬
wissen Einblick in die bei der Pekinger Bevölkerung herrschen¬
den Krankheiten gestattete, um so mehr, als es doch allermeistens
ernstlichere Beschwerden waren, die den Chinesen zum fremden
Arzte trieben. Erfreulicherweise äusserte sich das Zutrauen
auch durch die Einwilligung zu Operationsvorschlägen, die nicht
öfters abgelehnt Avurden, als es auch in Deutschland der Fall zu
sein pflegt. Ja, ich kam sogar in die Lage, von Chinesen un¬
nötigerweise gewünschte Operationen meinerseits abzulehnen.
Die bei den Operationen angewendeten Chloroform n a r -
k o s e n verliefen im allgemeinen auffallend ruhig, ohne En
zitationsstadium, wohl deshalb, Aveil statt Alkoholizis der Ifiee
das Nationalgetränk bildet und der Genuss von Reiswein oder
Hirse- (Kauliang-) Schnaps doch keine grosse Verbreitung hat,
Besonders rasch schienen die Opiumraucher narkotisiert zu
werden. Das Opiu 111 spielte in der ärztlichen Tätigkeit keine
ganz unbedeutende Rolle. Das zum Rauchen verwandte Opium
(von sirupähnlicher Konsistenz) bildet eingenommen das belieb¬
teste Mittel zum Selbstmord und Selbstmordversuchen. Wieder¬
holt Avar durch Magenausspülung rechtzeitig Hilfe zu bringen.
Das Opiumrauchen wird zuweilen zunächst nicht nur des Genusses
Avegen betrieben, es dient A7ielmelir auch als Medikament gegen
alle möglichen Krankheiten, und die Fälle sind nicht selten, in
denen der Patient, der zuerst die Wirksamkeit des Opiumrauchens
gegen Husten und Durchfall erprobt hat, zum leidenschaftlichen
Opiumraucher geworden ist. Das Bild, das ein alter Opiumraucher
darbietet, die blasse Gesichtsfarbe, das fortwährende Gähnen, die
schlaffen Gesichtszüge, der Ausdruck der Energielosigkeit ist be¬
kannt. Unmittelbar nach dem Opiumrauchen aber macht sich
eine anregende Wirkung des Narkotikums geltend, der Gesichts¬
ausdruck wird lebhaft, die Leute sind gesprächig und ihre Lei¬
stungsfähigkeit scheint zu steigen — so wie bei unseren Mor¬
phinisten nach der Injektion. Bei alten Opiumrauchern sieht man
zuweilen grosse Dekubitusiiarben auf den Trochantern \on dei
beim Rauchen lange eingenommenen Seitenlage auf der steinernen
Lagerstelle — dem Kang. Wiederholt wurde um ein Mittel gegen
dier Gewohnheit des Opiumrauchens gebeten. Es geschah aber
nicht deshalb, weil das Opium Gesundheit und Leistungsfähigkeit
der Betreffenden, sondern nur, Aveil es das Vermögen ruinierte.
Es ist nichts Ungewöhnliches, dass für einen Dollar (2 Mark)
Opium am Tage verbraucht wird, eine ganz enorme Ausgabe.
Avenn mau bedenkt, dass ein Chinese für den zehnten Teil dieser
Summe bequem seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Ich
überwachte Opiumeutzieliungen bei der Londoner Mission, ohne
dass Abstinenzerscheinungen, die aber zuweilen auch recht be¬
deutend sein sollen, aufgetreten Avären.
Unter den Verletzungen bot das Resultat der chine¬
sischen Prügelstrafe ein häufiges und charakterisch.es Bild. In¬
folge der 25, 50 .oder 100 Hiebe — 100 ist Maximaldosis — , die
mit dem Bambus auf die Mitte der Hinterseite der Oberschenkel,
nur bei Strafverschärfung auf das Gesäss, des liegenden Delin¬
quenten verabfolgt A\rerden, erscheint die geAvöhnlich etwa hand¬
flächengrosse getroffene Partie zunächst blaurot verfärbt, nach Ab¬
lauf von 2 Tagen schwarz, von einem roten Hof umgeben. Die
Partie wird nekrotisch und die granulierende Fläche, welche nach
Abstossung des Nekrotischen hinterbleibt, erfordert etwa 3 Mo¬
nate zur Heilung, so dass die Prügelstrafe wesentlich wegen der
lange dauernden Folgen empfindlich ist.
Extrahierte Fremdkörper waren öfters spezifisch^ chi¬
nesisch. So wurde aus dem Rektum eines Chinesen ein 8,5 cm
langer, 4,5 cm dicker Flaschenkürbis entfernt. Der Patient hatte
sich dieses hantelförmige Gebilde, das ein beliebtes Spielzeug der
Chinesen ist, wohl wegen Hämorrhpidalbeschwerden eingeschoben.
— Ein 20 jähriger Kuli wurde gebracht, weil er seit 24 Stunden
fl Vergl. Münch, med. Wocheusclir. 1902. No. 3*1, S. 1509.
fl Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie Bd. LX11I, S. 75.
25. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1969
nicht mehr im stände war, auch nur einen Schluck Wasser hinab¬
zubringen. Die Schlundsonde stiess auf einen unüberwindlichen,
jedoch nicht harten Widerstand und neben dem linken Sternokleido
fühlte man in der Tiefe hinter dem Manubriuin sterni undeutlich
eine Resistenz. Bei der Oesopliagotomie fand sich, noch gerade
von der Wunde aus zu erreichen, in Sehnenfetzen eingebettet ein
Knochen, der sich als ganze Patella eines Schweines
erwies. Nur durch die landesübliche Art des Essens, bei der die
Nahrung aus kleinen Näpfen unter Nachhilfe der Esstäbclien ge¬
schlürft wird, ist das Hineingeraten so grosser Bissen in den
Oesophagus zu verstehen. Die Oesophagus wunde wurde über
einer durch die Nase eingeführten Schlundsonde genäht, dann
tamponiert. Doch verblieb zunächst eine Fistel, die in B Wochen
vollkommen geschlossen war. Ein chinesischer Ax*zt, welcher den
Patienten sah und um seine Therapie im analogen Falle gefragt
wurde, äusserte, er würde einen Hund an den Beinen aufhängen,
den aus dem Munde fliessenden Saft sammeln und diesen dem
Patienten zu trinken geben. Ob er mit dem Magensaft des Hundes
den Knochen verdauen sollte?
Als chinesische Gewerbekrankheit kann das Hygroma
acromiale auf dem Akromion mancher wassertragenden Kulis
uud die Tendovaginitis crepitans am Tibialis anticus bei einzelnen
Jiurikscha-Leuten, die mehrere Stunden am Tag die Rikscha
(Wagen für eine Person) im Trabe zu ziehen haben, bezeichnet
werden.
Ein 34 jähriger Eunuche kam zur Operation wegen kom¬
pletter Urinretention. Skrotum und Penis fehlten. Unter spär¬
lichen Schamhaaren fand sich eine feste Narbenfläche, in deren
Mitte eine auch für die feinste Sonde gänzlich impermeable Oeff-
nung nur mit mit Mühe gefunden werden konnte. Die Blase war
ad maximum gedehnt. Nach Exstirpation der Narbenmassen
wurden zwei seitliche brückenförmige Lappen gebildet und diese
an die aus der Tiefe herauspräparierte Urethra angenäht. Der
Erfolg Avar gut, besonders da das so neu gebildete Örificium ex-
ternum urethrae mit einem vom chinesischen Silberarbeiter ver¬
fertigten Silberbougie weiterhin dilatiert wurde. — Der Mann
hatte selbst die Kastration etwa 1 Jahr zuvor an sich vor¬
genommen. um für sich und seine Familie den verhältnismässig
reichen Lohn der kaiserlichen Eunuchen (15 Dollars pro Monat)
zu gewinnen. Nach der mir von meinen chinesischen Gehilfen ge¬
gebenen glaubhaften Schilderung ist das Verfahren bei dieser
Kastration so, dass die gesamten Genitalien mit einem Strick um¬
wickelt werden, der an einen Pfosten angebunden wird. Der
Kandidat des Eunuchentums spannt durch Zurücklehnen den
Strick an und ein rascher Schnitt trennt die Genitalien von dem
Körper. An der Blutung, die durch Kompression von einem Ge¬
hilfen gestillt wird, sollen nur wenige sterben, wohl aber infolge
von Urinretention einige Tage nach dem Akte. Narbenstrikturen
wie in unserem Fall sind ein ganz gewöhnlicher Folgezustand bei
den Ueberlebeuden. Die abgetrennten Genitalien werden sorg¬
fältig aufbewalrrt uud bei jeder Bewerbung um Anstellung muss
der Betreffende seine Geschlechtsteile in konserviertem Zustande
vorweisen. Nach dem Tode werden sie von den Anverwandten
mit in den Sarg gelegt, damit der Geist des Verstorbenen sich
wieder des Besitzes dieser Organe erfreuen möge. *)
Unter den Tumoren flel — auch schon auf der Strasse —
die Häufigkeit grosser Geschwülste in der Nähe der Parotis auf.
Es erklärt sich das offenbar aus dem langsamen Wachstum und
der relativen Gutartigkeit dieser Geschwülste, die eine beträcht¬
liche Grösse erreichen können und in China, wo im allgemeinen
nicht operiert wird, immer erreichen, ehe sie ihren Träger zu
Grunde richten. Eine derartige Geschwulst aus der Wange, die
exstirpiert und mikroskopisch untersucht wurde, hatte den Bau,
wie man ihn an den Mischgeschwülsten in der Nähe der Speichel¬
drüse auch hierzulande zu finden gewohnt ist, und auch sonst
fand sich an den Geschwülsten nichts von den bekannten kli¬
nischen und pathologischen Befunden Abweichendes. Dass unter
5 Fällen von Karzinom, die überhaupt zur Beobachtung kamen,
vier Peniskarzinome waren, ist vielleicht doch mehr wie ein Zu¬
fall. 3 von diesen wurden nach der von Thiersch angegebenen
Methode mit Verlagerung des Urethralstumpfes hinter das Skrotum
operiert, eine Methode, die für chinesische Patienten deshalb be¬
sonders geeignet erscheint, weil der Chinese schon sowieso im
Hocken Urin lässt. 2 mal sah ich grosse Aneurysmen bei jungen
Leuten und führte ihre Entstehung auf eine früher überstandene
Lues mit Wahrscheinlichkeit zurück. (Aneurysma der Art. tem-
poralis bei einem 30 jährigen, Aneurysma der Art. poplitea bei
einem 43 jährigen, Spontanruptur, Exstirpation, plötzlicher Tod
am 6. Tage, wahrscheinlich an Embolie der Lungenarterie.)
Den bei Chinesen sehr häutigen Hautkrankheiten
wurde besondere Aufmerksamkeit gewidmet; Herr Stabsarzt Dr.
Waldeyer (damals im 2. ostasiatischen Feldlazarett Peking),
welcher über eine spezialistische dermatologische Ausbildung ver¬
fügt, hatte die Liebenswürdigkeit, eine Reihe von Hautkranken
auf meine Bitte zu untersuchen. Es fanden sich neben den sehr
häufigen Fällen von Skabies, von Schmutzekzemen, von Ulcera
cruris und syphilitischen Hautaffektionen auch andere bei uns
bekannte Formen: Prurigo, Impetigo, Contagiosa, Erythema ex¬
sudativum multiforme, Lichen ruber, Pityriasis rosea, Lupus
erythematodes; es fand sich aber nichts, was als spezifisch chi-
2) Aehnliches berichtet Korsakow: Deutsche med. Wochen¬
schrift 1898, No. 21, ferner G. Meyer: Münch, med. Wochenschr.
1902, No. 44. S. 1870.
nesische Hautaffektion anzusprechen gewesen wäre. Lepra scheint
in Peking nicht vorzukommen. Hervorgehoben zu werden ver¬
dient die grosse Häufigkeit des Favus und des Herpes tonsurans,
Krankheiten, die infolge der in China bei dem männlichen Ge¬
schlecht herrschenden Sitte, die vordere Hälfte des behaarten
Kopfes zu rasieren, von den auf allen Strassen ihr Gewerbe be¬
treibenden Raseuren weiterverbreitet werden.
Die Infektionskrankheiten boten nicht soviel von
unserem klinischen Materiale Abweichendes, als sich hätte er¬
warten lassen. Diphtherie und Scharlach verliefen so wie bei uns.
Nach der Häufigkeit der Pockennarben zu schliessen, muss die
Variola in China noch schweren Schaden tun, trotzdem die Chi¬
nesen seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Vaccination an¬
genommen haben. In Tungchon fand sich ein Tempel, in welchen
von den Müttern Geschenke gestiftet waren, um einen günstigen
und heilbringenden Verlauf der Impf pocken bei ihren Kindern zu
erzielen. — Von der Tuberkulose kamen mannigfaltige Formen
zur Beobachtung an Lunge und Pleura, der Haut, den Lymph-
drüsen und dem Knochensystem. Aber die klinische Beobachtung
und zum Teil auch die mikroskopische Untersuchung der durch
Operation gewonnenen Präparate (Tub. testis, verkäste Drüsen)
ergab, dass der Tuberkelbazillus auf dem chinesischen Nährboden
pathologisch und klinisch genau dieselben Produkte hervorbringt
wie bei der kaukasischen Rasse. Dysenterie scheint nach der
Zahl der Fälle chronischen Durchfalls mit Blutabgang, die der
Poliklinik zugingen, nicht ungewöhnlich. Dass sie nicht, noch
häufiger ist, beruht offenbar darauf, dass das Wasser fast nur
in gekochtem Zustande als Thee genossen wird. In Tientsin wird
von Chinesen auch gekochtes Wasser verkauft. Bessere chinesische
Haushaltungen sollen nur dieses verwenden. Von der Malaria
sah ich bei Chinesen fast nur chronische Formen bei Kindern,
deren hervorstechendstes Symptom in kolossalen Milztumoren be¬
stand. Bemerkenswert ist nun, dass eine gewisse Beziehung von
Noma zu Malaria zu bestehen scheint. Zu Beginn der heissen
Zeit, Ende April und Mai 1901, kamen rasch hintereinander
4 Fälle typischer Noma an Wange oder Lippe zur Behandlung
(Kinder von 1, 1 y2 und 3 Jahren, ein Knabe von 16 Jahren). Bei
allen wurde berichtet, dass seit längerer Zeit (1, 4, 5 Monate und
2 Jahre) eine Krankheit mit Fieber bestehe, bei allen fand sich
ein sehr beträchtlicher Milztumor. Einer englischen Kollegin,
Dr. L. S a v i 1 1 e, welche seit längerer Zeit in Peking bei der
Londoner Mission Frauen und Kinder behandelt, war das Zusammen¬
vorkommen von Noma und Milztumor als ganz gewöhnlich be¬
kannt. Es scheint sich diese in China offenbar nicht seltene Affek¬
tion in ähnlicher Weise auf dem Boden der Malaria zu entwickeln,
wie sie in den bei uns beobachteten, ganz vereinzelten Fällen an
Masern, Typhus oder andere akute Infektionskrankheiten sich an-
zuschliessen pflegt. Trotz energischer Kauterisation ging in drei,
allerdings schon weit fortgeschrittenen Fällen die Gangrän un¬
aufhaltsam weiter, in dem vierten Falle, in welchem am dritten
Tage der Krankheit der gesammte, erst markstückgrosse Herd
zur Untersuchung inzidiert und die Wunde dann kauterisiert
wurde, schien der Eingriff zuerst von Erfolg zu sein, doch blieb
das Kind dann aus der Behandlung fort. Bei der mikroskopischen
Untersuchung der Schnittpräparate fand sich an der Grenzzone
der Gangrän und in dem anstossenden Gebiet der noch lebenden
Gewebe ein dichtes Filzwerk von fadenförmigen Mikroorganismen.
Die Fäden sind meistens von ganz enormer Feinheit, oft spirillen¬
ähnlich gewunden und so dicht gedrängt, dass sie bei ungeeigneter
Färbung als Gewebsbestandteile erscheinen. Es finden sich aber
auch stärkere Fäden und daneben vielfach an den Enden zu¬
gespitzte, leicht gekrümmte, bazillenähnliche Gebilde. Da. der¬
selbe Faden oft an verschiedenen Stellen verschiedene Stärke auf¬
weist, so halte ich für bewiesen, dass die Fäden verschiedenen Ka¬
libers Wuchsformen eines und desselben Mikroorganismus sind.
Es sprechen viele Befunde dafür, dass auch die bazillenähnlichen
Gebilde, die ganz den von Bernheim3) bei Stomatitis ulcerosa
in Symbiose mit Spirillen gefundenen Formen gleichen, auch nichts
anderes sind als spindelförmige Anschwellungen oder Endkolben
an den feinen Fäden4), so dass wir in dem Gebiete des Fort¬
schrittes der Krankheit nur verschiedene Erscheinungsformen des¬
selben Keimes vor uns hätten. Jedenfalls war der bakterio¬
logische Befund der Fälle von Noma in Peking genau der gleiche,
nie ich ihn in Deutschland bei mikroskopischer Untersuchung an
nunmehr 10 Fällen erheben konnte.
Sehr häufig sind unter Chinesen die venerischen Infektions¬
krankheiten. Ganz besonders bildeten schwere Formen tertiärer
Syphilis einen wesentlichen Bestandteil des poliklinischen Ma¬
terials. Wesentliche Unterschiede gegenüber der europäischen
Lues schienen nicht zu bestehen, wenn auch so ausg-edelinte und
tiefgreifende Ulzerationen durch zerfallene Gummigeschwülste,
wie sie einzelne Patienten an Rumpf und Beinen aufwiesen,
in Europa selten zur Beobachtung kommen dürften. Der Grund
für die schwere Form der Krankheit liegt offenbar nicht an einer
besonderen Bösartigkeit der chinesischen Syphilis, sondern an der
mangelhaften Behandlung. Allerdings kennen auch chinesische
Aerzte den Wert des Quecksilbers. Sie verordnen pulverförmiges
Quecksilberamalgam zum Einreiben in beide Leisten- und Achsel-
3) Bernheim: Ueber einen bakteriologischen Befund bei
Stomatitis ulcerosa. Centralbl. f. Bakteriol. Bd. XXIII, S. 177.
4) Vergl. die Abbildung Arcli. f. klin. Chirurg. 1899, Bd. 59.
Tafel II, Fig, 5 u. 6.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
1970
gegenden. Systematisch durchgeführt wird aber diese Quecksilber¬
ig nr wohl nie.
Der Gebrauch des Quecksilbers ist einer der wenigen Punkte,
in welchen an der ärztlichen Kunst der Chinesen, zu der ich zum
Teil durch meine chinesischen Gehilfen, zum Teil durch Bekannt¬
schaft mit zwei chinesischen Aerzten Beziehung fand, etwas
Rationelles entdeckt werden konnte. Sonst fehlt zu einer ver¬
nünftigen Diagnostik und Therapie fast alles. Alle inneren Krank¬
heiten werden ausschliesslich durch das Fühlen des Pulses be¬
urteilt. Die Medikamente sind meistens pflanzlicher oder tierischer
Herkunft. Der chinesische Arzt verordnet aus den chinesischen
Apotheken in langen, roten Rezepten meist eine Mischung sehr
vieler, verschiedener Ingredienzien. Bei dem Besuche einer chine¬
sischen Droguengrosshandlung, welche die zahlreichen Apotheken
Pekings mit Rohmaterialien versorgt, fand ich von mir bekannten
Stoffen nur Rhabarber, Süssholz, Cortex Granati (als Wurm¬
mittel), Apfelsinenschalen, Salmiak, Schwefeleisen in Kristallen,
Talg und Quecksilber, daneben eine Unzahl unbekannter, unter
denen besonders die aus dem Tierreiche stammenden: giftige
Käfer (welche äusserlich Blasen ziehen, innerlich Erbrechen er¬
regen sollen), getrocknete Kröten und Seepfei'dclien, sowie Skor¬
pione auffielen. Von den in grossen Mengen vorrätigen Skorpionen
wird das die Giftdrüse enthaltende Schwanzende abgebrochen und
nur der Rest des Körpers (!) in pulverisiertem Zustande verwandt.
Das Instrumentarium des chinesischen Arztes besteht fast
ausschliesslich aus langen Punktionsnadeln, welche an genau be¬
stimmten Stellen des Körpers eingestossen werden, z. B. bei Ge¬
burtshindernissen genau drei Zoll oberhalb der Malleolen. Die
Punkte, an denen ich bei meinen Patienten derartige ganz zweck¬
lose Punktionen ausgeführt fand, waren dieselben, wie sie in den
rohen Abbildungen eines im kaiserlichen Palaste Vorgefundenen
30 bändigen Medizinbuches aus dem 17. Jahrhundert verzeichnet
waren. Während man also auf der einen Seite zu der Ueber-
zeugung gelangt, dass die ärztliche Kunst der Chinesen auf einer
unglaublich niedrigen Stufe steht, so hatte ich doch auf der
anderen Seite Gelegenheit, mich über das Geschick und das Ver¬
ständnis für ärztliche Dinge bei 3 schon früher bei der Londoner
Mission als „dispensars“ tätigen Chinesen zu wundern. Das Aus¬
führen einfacher Rezepte, Verbände und selbst kleiner Operationen
konnte ihnen wohl überlassen werden. Nach derartigen Er¬
fahrungen, die auch an den deutschen und englischen Missions¬
spitälern, z. B. in Hongkong, gemacht sind, würde es — wenn man
allein die Anlagen in Betracht zieht — nicht wesentlich schwerer
sein, Chinesen zu wirklichen Aerzten heranzubilden, als es bei den
Japanern der Fall gewesen ist.
lieber Erfolge mit Tuberkulinbehandlung nach
Goetschschem Verfahren.
Von Dr. W. Roemisch in Arosa.
(Schluss.)
Das Resultat, das sich mir aus diesen Krankengeschichten
ergehen hat, ist folgendes:
Fall 1 verlor während der Tuberkulinkur den tuberkelbazillen¬
haltigen Auswurf, in gleicher Weise verschwanden die Rassel¬
geräusche und näherte sich das Atmen mehr find mehr dem Nor¬
malen bei guter Gewichtszunahme. Fall 2, der vom Hausarzt,
entgegen meiner Ansicht, schon als geheilt betrachtet worden
war, reagierte während der Behandlung mehrmals sehr heftig;
es trat wieder Auswurf auf, in dem sich Tuberkelbazillen fanden,
trotzdem führte der Patient die ihn sehr beängstigende Kur zu
Ende, mit ebenso günstigem Erfolge wie Fall 1.
Wie schon oben erwähnt, haben diese beiden Fälle trotz ihres
günstigen Verlaufes für mich keine Beweiskraft. Sie zeigen
aber jedenfalls, dass man in derartigen hartnäckigen Erkran¬
kungsfällen mit noch guter Prognose mit gutem Gewissen die
Tuberkulinkur einleiten kann.
Fall 3 beobachtete jedesmal am Morgen nach der Injektion
eine wesentliche Verstärkung des Auswurfs. Die Untersuchung
des letzteren bestätigte dies : er war eitriger und massiger, um
am nächsten Tage wieder abzunehmen. Nach der einzigen Re¬
aktion am Ende der Kur verschwanden die Tuberkelbazillen
aus dem Auswurfe, die bei den hohen Dosen vorher schon für
kurze Zeit verschwunden waren, nachdem sie vorher lVi Jahr
lang bei jeder Untersuchung nachzuweisen gewesen waren. Wenn
dies auch noch kein definitives Verlieren des Auswurfs war, so
war die Verbesserung des letzteren und des Befundes doch eine
so unverkennbare, dass der Patient unbedingt versuchen wird,
die definitive Ausheilung durch Wiederholung der Tuberkulinkur
anzustreben. Die charakteristische Einwirkung der Injektionen
auf den Auswurf zeigte in gleicher Weise Fall 8; nach
anfänglicher deutlicher Verschlechterung des Befundes trat
hier allmählich eine Besserung mit gleichzeitiger Verminderung
des Sputums ein, wie ich sie hier durchaus nicht erwartet hatte.
Die Fälle 4, 5, 6 und 7 zeigten ebenfalls jeder einen Fort¬
schritt, der jeden früher erreichten wesentlich übertraf und der
für mich durchaus überraschend war.
Meine Ueberzeugung, dass die erzielte Besserung in diesen
6 Fällen dem Tuberkulin zugeschrieben werden muss, gründet
sich darauf, dass in allen Fällen, den einzigen dieser Art,
die ich injiziert habe, die Behandlung von einem Erfolge be¬
gleitet war, den ich nach meinen Erfahrungen hier nicht mehr
erwarten konnte, und ferner darauf, dass die Reaktionen,
die ich trotz vorsichtiger Behandlung nicht ganz vermeiden
konnte, und die stets nach 1 — 2 Tagen einem völligen Wohl¬
befinden und einer normalen Temperatur ge wichen waren, jedes¬
mal von einer Besserung des Befundes gefolgt waren. Es war
mir dies etwas ganz Unerwartetes, ich suchte die Reaktionen
ja ängstlich zu vermeiden. Die Patienten (und gerade die etwas
stärker Reagierenden, wie Fall 3, 5, 6, 8) gaben mir dies zum
Teil selbst an, und einige von ihnen baten mich — allerdings
umsonst — starke Reaktionen bei ihnen herbeizuführen. Dies
stimmt, wie ich späte: gesehen habe, ganz mit den Erfahrungen
Petruschky p überein, der in seinen Vorträgen zur Tuber¬
kulosebekämpfung (Leipzig, Leineweber, 1900) p. 16 die
Lokalreaktionen für notwendig zur Erzielung eines Erfolges hält
und darum rät, sich immer an der Grenze zu halten, deren Ueber-
schreitung Allgemeinreaktion bedingen würde. Die Erklärung
Petruschkys für die günstige Wirkung der Lokalreaktionen,
dass „die erzielte lokale Hyperämie der erkrankten Organe eine
wichtige Rolle spielt“ und dass es „kein Mittel gibt, das in sub¬
tilerer Weise wie das Tuberkulin eine lokale Hyperämie überall
da setzt, wo Erkrankungsherde sich befinden“ (1. c. p. 72), scheint
mir sehr beachtenswert.
Ich habe oben über alle Tuberkulosefälle berichtet,
bei denen ich die Kur zu Ende geführt habe, mit
Ausnahme zweier Fälle von geschlossener Tuberkulose, die ohne
zu reagieren unter Verbesserung der Atemgeräusche über den
kranken Stellen in kurzer Zeit, der eine in 7 Wochen, bis zu
der hohen Dose von 1,0 g alten Tuberkulins gelangten.
Dieser, Fall 9, ein Leutnant von 25 Jahren, der nach einer
Rippenfellentzündung seit einem halben Jahre die Erscheinungen
einer frischen Infiltration der rechten Lungenspitze zeigte (Nach-
schleppen, Dämpfung, verschärftes Exspir. bei rauhem Inspir.)
wurde in der Zeit vom 6. XII. 01 bis 24. 1. 02 von mir mit Tuberku-
lin behandelt, das Atmen wurde kräftiger und reiner vesikulär. Er
hat jetzt seinen Dienst bei vollem Wohlbefinden wieder aufge¬
nommen.
Der andere Fall (10), ein Leutnant von 29 Jahren, dessen
Mutter und Bruder an Lungentuberkulose gestorben sind, ist seit
1895 lungenkrank und hat Sanatoriumkuren im Winter 1895/90,
1890/97 und dann zweimal ein ganzes Jahr durchgemacht. Es
handelte sich bei ihm um eine Kaverne im rechten und eine In¬
filtration im linken Oberlappen. Trotz Neigung zu Temperatur¬
erhöhung wurden dabei zweimal Tuberkulinkuren bei ihm mit
Erfolg durchgeführt. Als er in meine Behandlung trat (16. VIII.
1900), hatte er keinen Auswurf mehr, über dem rechten Oberlappen
Dämpfung, rauhes Inspir., verl. Exspir., über Klavikel und
hinten oben spärliche knackende Rhonchi, daselbst Exspir.
hauchend. Links hinten oben leichte Dämpfung bis Mitte der
Skapula, ves. Atmen mit verl. Inspir. Gewicht: 75,5 kg. Da Pat.
fest daran glaubte, dem Tuberkulin seine Heilung zu verdanken,
unterzog er sich bei mir einer Tuberkulinkur in der Zeit vom
16. VII. 01 bis 10. 1. 02 und dann nochmals vom 24. III. 02 bis
12. VII. 02 ohne jede Temperaturerhöhung. Nur über der rechten
Klavikel wurde das Atmen einmal mehr bronchial und fein¬
blasiges Rasseln trat auf. um nun einem ganz reinen Atmen Platz
zu machen, auch rechts hinten oben ist die Atmung nun vesikulär,
mit verlängertem Exspirium. Gewicht: 85,7 kg.
Trotz dieser nicht, zu verkennenden Besserung ist dieser
Fall für mich ebensowenig beweisend, wie der 9., weil beide
schon in der Heilung begriffen in meine Behandlung traten.
Drei Patienten, bei denen ich die Kur auf ihren Wunsch
abbrach, konnte ich mit bestem Erfolge entlassen.
Fall 11. Ein 22 jähriger Kaufmann, der im Dezember 1900
mit Hämoptoe erkrankt war, war unmittelbar, ehe er in meine Be¬
handlung trat, 16 Wochen im Sanatorium Ruppertshain und darauf
noch 7 Wochen in Badenweiler behandelt worden, ohne dass sich
der tuberkelbazillenhaltige Auswurf (G. 2) verlor. Es handelte
sich um eine Infiltration mit Katarrh in beiden Oberlappen. Als
ich nach 6 wöchentlicher Kur keine Veränderung wahrnehmen
konnte, leitete ich die Tuberkulinkur ein und stieg vom 7. VIII.
bis zum 6. IX. 01 von ’/mo mg bis zu 1/20 mg wirksamer Substanz
des Tuberkulin R. bei den letzten Dosen war die Temperatur, die
anfangs nie 37° erreicht hatte, stets auf 37,3° gestiegen, und bei
der letzten Dose wrurde etwas reines Blut .ausgehustet, worauf
ich die Kur abbrach. Der Auswurf war mehrere Tage lang blutig
gefärbt, es waren in ihm Tuberkelbazillen (G. 2) zu finden. Am
27. X. waren keine Tuberkelbazillen mehr zu finden und dann
25. November 1902,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1971
überhaupt nicht wieder, trotz wiederholter Untersuchung: des
hputums bis zur Entlassung Ende März 1902. Die Rasselgeräusche
waren dann vollständig verschwunden, das Atmen vesikuläi mit
verlängertem Exspir. Tat. schrieb mir am 31. VIII dass er bei
vollem Wohlbefinden tätig sei und dass sich sein Sputum bei einer
Lnteisueliung lrei von luberkelbazillen erwiesen habe
Ganz ähnlich verhielt sich Fall 12, ein 21 jähriger Kauf¬
mann, bei dein es schon wiederholt zu Lungenblutungen gekommen
rcar, und der trotz gut durchgeführter Kuren in meiner Behand-
lung in den 2 voraufgegangenen Wintern immer wieder zu Rück¬
fällen mit Temperaturerhöhung und blutigem Auswurf nach Auf¬
nahme seiner Tätigkeit neigte. Der Befund beschränkte sich auf
eine in der^ Heilung begriffene Verdichtung des rechten Ober-
lappens, früher war gelegentlich unreines Atmen an verschiedenen
Stellen rechts unten vorn und hinten zu hören gewesen. Im Aus-
wuif waren nie Tuberkelbazillen zu linden gewesen In der Zeit
vom 0.L bis zum 28. 111. 02 stieg ich, nach glatt durchgeführter
\ oi kui mit -l u bei kulin It, mit dem alten Tuberkulin bis zu 2 in°\
Es stellten sich bei dieser Dose immer wieder Temperatur¬
eihöhungen ein, und so brach ich ab, da der Patient nervös wurde
und als sehr korpulenter Mensch unter dem vielen Liegen litt
Am Ende der Vorkur war zum ersten Mal Auswurf auf getreten,’
der luberkelbazillen enthielt (G. 2). Meine Auffassung des Falles
dass es sich um verschiedene Krankheitsherde handle, die zu ver¬
schiedenen Zeiten zur Abstossung gelangten, fand darin eine Be¬
stätigung, als ich als Ursache des Fiebers rechts hinten unten
zwischen Angulus scapulae und Wirbelsäule eine Stelle mit ves.
br. Atmen und kleinblasigem Rasseln entdeckte. Am 7. IV. trat
eine leichte Hämoptoe auf, im blutigen Auswurf waren Tuberkel¬
bazillen, die Erscheinungen an der genannten Stelle traten deut-
lichei hei \ or. leichte Dämpfung, leises rauhes Atmen, vermehrtes
Rasseln. Am 1. V. tvaren die Tuberkelbazillen zum letzten Male
naclizu weisen, dann nicht wieder. Nach weiteren 2 Monaten war
das Atmen an der erwähnten Stelle nahezu normal. Der Patient
ist jetzt noch in meiner Behandlung bei gutem Befunde und vor¬
züglichem Allgemeinbefinden.
Beide Fälle sind also zum wenigsten nicht durch das Tuber¬
kulin geschädigt worden, sie reihen sich sogar infolge des guten
Befundes, der sich bald nach dem Eintreten der Reaktion zeigte
(dauerndes Verschwinden der Tuberkelbazillen) den obigen
6 Fällen an.
Fall 13 gehört wieder zu der hier uninteressanten Klasse der
leichteren Fälle. Fs handelte sich um einen, bei einem 29 jährigen
Leutnant seit^ % Jahr entdeckten, rechtsseitigen, nun im Ablaufe
begriffenen Katarrh mit Verdichtung der rechten Spitze. Schon
auf yGOnig Tuberkulin R trat eine Reaktion von 38° auf (mit ver¬
anlasst durch das lebhafte, nie völlig kurgemässe Verhalten des
Patienten), die ihn so beängstigte, dass er mich bat, die Kur
abzubrechen. Er machte darauf schnellere Fortschritte als zuvor
und konnte mit sehr gutem Befunde entlassen werden.
Drei andere Fälle (14 — 16), hysterische Damen, wurden sehr
nervös im Verlaufe der Rur, und da auch das Gewicht abnahm,
brach ich die Kur ab. Auffällig war nur, dass alle drei (ebenso
wie Fall 7) unter zu frühem Eintreten der Periode während der
Behandlung zu leiden hatten. Ein weiterer Fall (17) erwies sich
als zu schwerkrank, so dass ich die Kur wegen Unregelmässig¬
werden der Temperatur abbrach.
Es handelte sich hier bei einem 25 jährigen Studenten um
Kavernenbildungen sowohl im Ober- als Unterlappen der linken
Lunge, auch der rechte Oberlappen zeigte Infiltration und Katarrh.
Der I atient war nach häufig wiederkehrenden Attacken fieberfrei
geworden, und bat mich, bei ihm die Kur zu versuchen. Schon
bei .7 wo mg wirksamer Substanz des Tuberkulin R trat Temperatur¬
erhöhung ein, die sich trotz Herabgehens mit der Dosis immer
wiederholte, und da auch der zunehmende Katarrh den Patienten
belästigte, brach ich die Kur ab.
Obwohl ich nicht glaube, dass man bei so vorsichtigem Vor¬
gehen, wie Goetsch es angibt, ernstlichen Schaden stiften
kann, da die Temperatur schnell das Warnungssignal gibt —
ich habe ebensowenig wie Goetsch und Petruschky je
ein Chronischwerden des Fiebers nach der Reaktion erlebt, wie
es früher viel beschrieben wurde (es wird dies wohl auf nicht
genügende Beachtung der Zwischenfälle durch akute Sekundär¬
infektion beruht haben, auf die man während der Behandlung
peinlich achten muss; auf jeden Schnupfen und ganz besonders
auf eine beginnende Bronchitis ist mit der Dose Rücksicht zu
nehmen) — , so will ich doch gern das Meinige dazu beitragen,
um andere vor Ueberschreitung der gefährlichen Grenze, über
die ich mit den letzten 1 ällen schon hinüber gegangen war,
durch Angabe der Kontraindikationen, die sich mir ergeben
haben, zu bewahren. Es ist unbedingt richtig, ausser den
fiebernden und den hochgradig Nervösen von der Tuberkulin¬
behandlung alle die Fälle auszuschliessen, bei denen — wie
Petruschky sagt (1. c. p. 81) — „die Tuberkulinbehandlung
einen weitgehenden Gewebszerfall bedingen könnte. Man be¬
denke, das tuberkulöse Gewebe gleicht einem morschen Mauer¬
werk, welches seine Gestalt noch lange äusserlich behält, ehe es
abbröckelt. Den Versuch, es einzureissen und durch neues
Mauerwerk zu ersetzen, soll man nur dann machen, wenn das
Einreissen der morschen Teile nicht den ganzen Bau gefährdet.
In solchem 1 alle soll man die morschen Teile lieber zu stützen
suchen, bis das ganze Haus baufällig ist.“
Wie diesen Worten, kann ich mich auch den trefflichen Aus¬
führungen P etruschkys über die Dauer der Heilung voll¬
kommen anschliessen : „dass alle Bestrebungen, die Tuberkulose
schnell zu heilen, von einer irrtümlichen Auffassung des Hei¬
lungsvorganges der Tuberkulose ausgehen“ und dass daher „in
der Mehrzahl der Fälle eine Dauerheilung durch eine einzige Kur
leider nicht möglich“ ist (1. c. p. 74). Sein Vorschlag, die durch
die erste Tuberkulinkur günstig beeinflussten Fälle nach einer
3— -4 monatlichen Pause abermals einer Tuberkulinkur zu unter¬
ziehen, erscheint daher durchaus berechtigt, und die Erfolge,
die er mit einer solchen mehrere Jahre hindurch geleiteten
„Etappenbehandlung“ erzielt hat und über die er in der zitierten
Schrift berichtet hat, bestätigen diese Erwägung. Neuerdings
sind W e i c k e r ), S. v. Ruck) und M o e 1 1 e r 3) wie vor
ihnen besonders T urba n ’) auf Grund ausgedehnter, inter¬
essanter Erfahrungen ebenfalls zu warmer Empfehlung des
Tuberkulins gelangt.
Um zum Schluss das Resultat meiner bisherigen Erfolge mit
dem Tuberkulin zusammenzufassen, so haben sich mir die
günstigen Erfahrungen von Goetsch bei beginnenden Fällen
von Lungentuberkulose vollständig bestätigt, aber auch bei vor¬
geschritteneren Fällen, die trotz gewissenhafter langer Durch¬
führung der hygienisch-diätetischen Heilmethode unter günstigen
\ eihältnissen seit langer Zeit keine Fortschritte mehr zeigen,
finde ich mich nach meinen Erfahrungen berechtigt, das Tuber¬
kulin anzuempfehlen, unter der Voraussetzung, dass diese
Kianken fieberfrei, nicht hochgradig nervös und dass bei ihnen
die \ eränderungen auf den Lungen noch nicht so ausgedehnte
und tiefgreifende sind, dass infolge einer Reaktion ein Weit¬
gehendei Gewebszerfall Gefahr bringen kann. Zur Vermeidung'
der letzteren Schädlichkeit ist es jedenfalls günstig, wie ich es
getan habe und wie es auch mehrere der obengenannten Autoren
empfehlen, solche Kranke auszuwählen, bei denen durch eine
längere sachgemässe Behandlung eine teilweise Vernarbung schon
eingetreten ist. In solcher Verbindung mit unserer heutigen
hygienisch-diätetischen Behandlung der Lungentuberkulose hat
die Tuberkulinbehandlung nach meiner Meinung noch eine grosse
Zukunft.
Keferate und Bücheranzeigen.
Dr. Hermann Triepel, Privatdozent und Prosektor am
anatomischen Institut in Greifswald: Einführung in die phy¬
sikalische Anatomie. I. Teil: Allgemeine Elastizitäts- und
Festigkeitslehre in elementarer Darstellung. II. Teil: Die
Elastizität und Festigkeit der menschlichen Organe. Mit
23 liguren im lext und lithographischen Tafeln. Wiesbaden,
Verlag von J . F. Bergma n n, 1902. 232 Seiten. Preis : 6 M.
Line ausführliche Besprechung des Triepel sehen Buches
muss den Fachzeitschriften Vorbehalten bleiben und wir be¬
schränken uns darauf, den Inhalt des Werkes kurz anzuzeigen.
Tci -Titel . „Physikalische Anatomie“ ist entschieden zu weit ge¬
glitten, der Autor behandelt nur einen Teil der sogen, „medi¬
zinischen Physik“, diesen aber in sehr spezialistischer Weise.
Gegenstand der Untersuchung ist eine genauere zahlenmässige,
möglichst exakte Bestimmung der Elastizität und Festigkeit
tieiischex Gewebe und Organe (besonders Gewebe der Bindesub¬
stanzen, Muskeln, Knochen, Gefässe, Nerven). Hierbei geht der
Autor mit grosser Gründlichkeit und vieler Gelehrsamkeit zu
V ege; der Referent vermutet, dass die möglichste Vereinfachung
des wissenschaftlichen Apparates dem Werke dienlicher gewesen
wäre, wenigstens was die mutmassliche Verbreitung desselben
unter dem Publikum anlangt. Dem Charakter des Werkes nach
sollten die Pathologen, Physiologen, Chirurgen und Orthopäden
) Uebei Heilstätten- und Tuberkulinbehandlung. Leinzi<r
Leineweber 1901. 1 b’
2) The Use of Tuberculin in Medicine. Tfie Tlieraneutic
Gazette, Mai 1902.
8) Zeitschr. f. Tuberkulose u. Heilstättenwesen III, 4.
■') Beiträge zur Kenntnis der Lungentuberkulose. Wiesbaden
Bergmann. 1899. p. 153.
1972
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47
von diesem Ruch einen ausgiebigen Gebrauch machen. Denn ui
diesen Kreisen wird man sich für die zahlenmässigen, quali¬
tativen Bestimmungen der Elastizität oder Festigkeit der Mus-
kein, Knochen etc. in Ansehung gewisser Zwecke interessieren.
Im Gegensatz hiezu würde der Anatom eine ausgiebige Erörte¬
rung der qualitativen Wirksamkeit von Druck und Zug auf die
Gewebe und eine Besprechung der Folgeerscheinungen, welche
Druck und Zug r ü c k s i ch 1 1 i c h der Struktur der
Gewebe nach sich ziehen, sicherlich vorziehen. Hier¬
von ist in T r i e p e 1 s Buch wenig die Rede. Also findet mau
z. B. beim Knochengewebe wohl Erörterungen über den mecha¬
nischen Effekt der Wirkung von Zug-, Druck-, Scher- unc
Torsionskräften, von biegenden und knickenden Gewalten, da¬
gegen — in einer „physikalischen Anatomie“ kein W ort von
Spongiosastruktur ! Danach scheint dem Referenten, dass der
Autor in der Beschränkung des Stoffes zu weit ging. Indessen
möchten wir in dieser Beziehung mit dem Herrn Verfasser nicht
rechten. Das, was geboten wurde, ist gewiss sehr vorzüglich
und gut, und wünschen wir dem Werke, dass der literarische Er¬
folg der aufgewandten Mühe und Arbeit entsprechen möchte.
Martin Heiden hain.
M. Borst: Die lehre von den Geschwülsten. Mit einem
mikroskopischen Atlas (63 Tafeln mit 296 farbigen Abbildungen).
In 2 Bänden. Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann, 1902.
Preis 50 M.
Seit dem Erscheinen des Vir chow sehen Werkes über die
Geschwülste ist keine derartige umfassende Behandlung der
Gesehwulstlehre mehr erfolgt. Wenn nun auch dieses Werk fiu
die Lehre von den Geschwülsten grundlegend war und seine Be¬
deutung unvergänglich ist, so ist dasselbe bekanntlich doch stets
ein Fragment geblieben, indem nach Veröffentlichung dei
Thierschsclien Untersuchungen über den Epithelialkrebs aus be¬
kannten Gründen eine Bearbeitung der epithelialen Geschwülste
von seiten V irchows unterblieben ist. Auch hat die histo¬
logische und biologische Erforschung der Geschwülste seit dem
Erscheinen des "V i r c h o w sehen W erkes solche F ortschritte ge¬
macht, dass dieses Werk, wenn es auch immer noch das Fun¬
dament der Geschwulstlehre bildet, doch in der Behandlung sein
vieler wichtiger Fragen überholt ist und in keiner AVeise mehl
dem gegenwärtigen Stand unseres W issens auf diesem Gebiete
entspricht.
Wenn gleichwohl bis jetzt kein Pathologe eine umfassende
Neubearbeitung der Geschwülste unternommen hat, so mag dies
nicht nur in der zu bewältigenden ungeheuren Arbeit begründet
gewesen sein, als wohl hauptsächlich darin, dass es zwar gelungen
ist, unsere Kenntnisse von dem Bau der Geschwülste bedeutend
zu vertiefen, dass aber das eigentliche Wesen der Geschwülste
und vielfach auch deren Entwicklung trotz aller Mühe und Ar¬
beit auch heute noch grösstenteils in Dunkel gehüllt sind und
wir daher gerade bei Darstellung der interessantesten und wich¬
tigsten, von der Entstehung und Aetiologie der Geschwülste han¬
delnden Kapitel uns mit Hypothesen begnügen müssen.
Für die Fortentwicklung einer Wissenschaft ist es aber not¬
wendig, dass von Zeit zu Zeit eine zusammenfassende Darstel¬
lung der einzelnen Gebiete erfolgt, welche in einheitlicher und
erschöpfender Weise uns einen Ueberblick über den derzeitigen
Stand unseres Wissens ermöglicht.
Es gebührt daher Borst der grösste Dank, dass er sich
dieser gewaltigen Arbeit auf dem Gebiete der Geschwulstlehre
unterzogen hat, und zwar um so mehr, als das von ihm ge¬
schaffene Werk in der Tat die so schwer empfundene Lücke in
der medizinischen Literatur auszufüllen im stände ist.
Das Werk ist eine umfassende Darstellung der modernen
Geschwulstlehre, in welchem unser ganzes derzeitiges Wissen auf
diesem Gebiete in erschöpfender und dabei doch verhältnismässig
gedrängter Form zusammengefasst ist.
Es ist selbstverständlich, dass die Darstellung eines in vieler
Hinsicht so strittigen Gebietes sich nicht nur auf die Wieder¬
gabe der Meinungen anderer beschränken konnte, sondern in
vielen wichtigen Fragen eine Stellungnahme des Verfassers zur
Geltung kommen musste. Es kann hier nicht der Ort sein, über
die vom Verf. in manchen Fragen persönlich vertretenen An¬
sichten zu diskutieren; nur so viel sei bemerkt, dass der Verf.
stets bestrebt erscheint, auch den Beobachtungen anderer in ob¬
jektiver Weise gerecht zu werden, und dass er seine eigenen,
eventuell abweichenden Anschauungen stets durch sorgfältige
eigene Untersuchungen zu begründen sucht. Durch diese Art
der Behandlung ist das Werk nicht nur geeignet, einen voll¬
ständigen Einblick in alle noch in Diskussion befindlichen
Streitfragen zu geben, sondern auch in hohem Masse anregend
für weitere Forschung zu wirken.
Was die Einteilung des Werkes anbelangt, so zerfällt das¬
selbe zunächst in einen allgemeinen und in einen speziellen Teil.
Ersterer behandelt die Definition, allgemeine Morphologie, Bio¬
logie und Aetiologie der Geschwülste, während im letzteren, weit
umfangreicheren Teil die einzelnen Geschwulstformen in er¬
schöpfender, sorgfältigster und sehr anschaulicher Weise ge¬
schildert sind, stets unter besonderer Berücksichtigung der Dia¬
gnostik, wie auch der klinischen Verhältnisse.
Der dem Werke beigegebene mikroskopische Atlas verleiht
demselben noch einen ganz besonderen Wert. Denn die sehr
zahlreichen, fast ausnahmslos nach Originalpräparaten des Verf.
von dem Universitätszeichner W. Frey tag hergestellten far¬
bigen Zeichnungen sind geradezu musterhaft ausgeführt, überaus
klar und instruktiv, nicht minder wertvoll für das leichtere Ver¬
ständnis des Textes, als für Belehrung und Orientierung bei selb-
stä ndigen mikroskopischen Untersuchungen.
Schade ist es, dass Verf. seinem Werke nicht auch m a kro-
skopische Abbildungen der verschiedenen Geschwulstformen
beigefügt hat; denn für eine anschauliche Darstellung der doch
nicht minder wichtigen anatomischen Verhältnisse sind solche
Abbildungen gewiss von hohem A\ erte und hätten sich solche
wohl als einfache Zeichnungen in den Text einfügen lassen.
Eine sehr verdienstvolle Arbeit bildet noch die am Schluss
des AVerkes befindliche Literaturübersicht, welche zweifellos die
vollständigste derartige Uebersicht über die gesamte Geschwulst¬
literatur zurzeit darstellt.
Das AVerk ist Borsts Lehrer, Herrn Geheimrat v. Rind¬
fleisch, gewidmet. Es ist ein schönes Denkmal deutscher
Forschung und deutschen Gelehrtenfleisses, gleich wertvoll für
den Pathologen wie für den Kliniker und Arzt, unentbehrlich
für jeden, welcher selbst auf dem dunkeln Gebiete der Ge¬
schwülste sich mit literarischer I ätigkeit befasst.
G. Hauser.
Sahli: Lehrbuch der klinischen Untersuchung’smetho-
den. Für Studierende und praktische Aerzte. Dritte, umge¬
arbeitete und ergänzte Auflage. Mit 276, teilweise farbigen Holz¬
schnitten im Text und 4 lithographierten Tafeln. Leipzig und
AVien. Franz Deut icke, 1902. 954 Seiten. Preis 20 M.
Die 1. Auflage wurde in dieser Wochenschrift (1894, No. 35)
sehr eingehend besprochen. Das Buch hat den wohlverdienten
Erfolg gehabt. Die nach 8 Jahren erschienene 3. Auflage zeigt
in vielen Richtungen ein recht verändertes Aussehen. Der Um¬
fang des AVerkes ist um die Hälfte grösser geworden, ebenso die
Zahl der Abbildungen. Diese Zunahme ist im wesentlichen durch
die Besprechung einer beträchtlichen Menge neuer Unter¬
suchungsmethoden bedingt, welche der Hauptsache nach in der
sehr ausführlichen Vorrede aufgezählt werden. Verwunderlich
erscheint, dass die Untersuchung der inneren Organe mit den
Röntgenstrahlen keine eingehendere Besprechung gefunden hat.
Rezensent ist zwar der Meinung, dass die umständliche und kost¬
spielige Untersuchungsmethode bei inneren Krankheiten durch¬
schnittlich nicht sehr viel mehr leistet, als sich auch mit anderen
i Methoden erreichen lässt. Aber das gilt doch auch von sehr vielen
in dem Buch ausführlich besprochenen Untersuchungsweisen.
Und dass man z. B. ein Nierenkonkrement unter Umständen mit
einer Sicherheit in dem Skiagramm erkennen kann, die auf
andere Weise nicht gegeben wird, kann man doch nicht in Ab¬
rede stellen. Sonst steht das Buch durch seine zahlreichen Er¬
gänzungen ganz auf der Höhe der Zeit. Ob es freilich erforder¬
lich war, den Umfang des Ganzen so anwachsen zu lassen, ob
es nicht möglich war, Aelteres und Unbrauchbares zu streichen,
um Platz für Neues zu gewinnen, möchte Rezensent unentschieden
lassen. Sicher ist, dass das bedeutende Wachstum des Buches
seiner Verbreitung bei den Studierenden nicht günstig ist. Um
so mehr verdient aber das Lehrbuch einen hervorragenden Platz
unter den Nachschlagebüchem des1 Arztes. Jeder Praktiker, der
nicht veralten will, braucht heutzutage einen zuverlässigen
Führer in dem recht weitläufig gewordenen Gebäude der Dia-
25. November 1902. _ MUEJST CHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
gnostik. Von den zahlreichen Lehrbüchern, welche uns die letz¬
ten J ahrzehnte gebracht haben, ist das Sahli sehe eines der viel¬
seitigsten und gründlichsten. P e n z o 1 d t.
• ' !
Th. Kocher: Chirurgische Operationslehre. IV. Aufl!
Jena, Verlag von G. Fische r, 1902. Preis 13 M.
Kochers Buch ist schon in seinen ersten 3 Auflagen
Gemeingut der Chirurgen und chirurgisch tätigen Aerzte nicht
nur im deutschen Sprachgebiete, sondern weit über dasselbe
hinaus geworden. Die vorliegende 4. Auflage enthält weitere
Verbesserungen, namentlich vortreffliche neue Abbildungen und
Einfügung neuer Methoden oder Modifikationen. Neben dieser
Vollendung im einzelnen ist es nach wie vor der das ganze Buch
durchziehende Geist, welcher dasselbe unübertrefflich macht: die
strenge Wissenschaftlichkeit, die Einfachheit der Methoden, die
Humanität. Das ergibt sich auch aus den folgenden Sätzen der
1 orrede zur 4. Auflage: „Die operative Chirurgie, früher in den
Händen einzelner Bevorzugter, wird mehr und mehr zum Gemein¬
gut der Aerzte, aber um so mehr tut es not, dass bestimmte
Normen aufgestellt werden für die Ausführung der Operationen,
damit nicht ungestraft unter dem Schutze der selbst grobe Fehler
deckenden Asepsis den Patienten von unerfahrenen Händen
grosser Schaden zugefügt werde. Je seltener ein Arzt operiert,
desto mehr bedarf er jedesmal vor einer Operation einer klaren
kurzen Orientierung über die Art des Vorgehens. Diese zu
gehen, war mein Bestreben/"’
„Möge das Buch der Gewissenhaftigkeit in Ausübung von
Operationen Vorschub leisten!“ IL e 1 f e r i c h - Kiel.
W. Seiffer: Atlas und Grundriss der allgemeinen
Diagnostik und Therapie der Nervenkrankheiten. Leli-
m anns medizinische Handatlanten Bd. XXIX. München
1902. Preis 12 M.
Auf Anregung der Verlagsbuchhandlung von J. F. Leh-
m a n n hat sich W. Seiffer dazu entschlossen, dem „Atlas
des gesunden und kranken Nervensystems“ von Cli. J akob, in
dem vorzüglich die normale und pathologische Anatomie des
Nervensystems dargestellt wird, noch einen solchen der Dia-
gnosti k und Therapie der Nervenkrankheiten
anzureihen. Oh damit einem Bedürfnis entsprochen wird, darüber
lässt sich streiten ; im allgemeinen lehrt uns die bildliche Dar¬
stellung der einzelnen Symptome der Nervenkrankheiten ebenso
wie die der inneren Erkrankungen nicht viel, immerhin muss
anerkannt werden, dass sich der Verfasser seiner Aufgabe mit
grossem Geschick unterzog. Es stand ihm, als dem Oberarzt an
der Nervenklinik der Charite, ein reiches Beobachtungsmaterial
zur Verfügung, zum Teil stammen die Bilder aus der Hallenser
psychiatrischen Klinik.
Zuerst bespricht Seiffer die Störungen der Motilität und
illustriert die verschiedenen Lähmungen, Atrophien, Kontrak¬
tionen und Krampferscheinungen. Die schematische Darstellung
der Schultermuskellähmungen und der Augenmuskellähmungen
ist didaktisch vorzüglich gelungen. Dass die Bilder, welche den
Gesichtsausdruck der Nervenkranken und die krankhaften Gang¬
arten (choreatischer, ataktischer, spastischer Gang u. s. w.)
charakterisieren sollen, wenig entsprechend sind, liegt in der
Natur der Sache; ebensowenig lassen sich die Störungen in der
elektrischen Erregbarkeit der Muskeln graphisch bringen.
Die trophischen und vasomotorischen Erkrankungen sind
zum Teil in farbigen, ja manchmal zu farbigen Tafeln dargestellt.
Der Text in dem Kapitel „Sensibilität und sensorische Tätigkeit“
ist recht instruktiv, der wichtige Unterschied zwischen spinalen
Affektionen und solchen der Wurzeln und der peripheren Nerven
hätte entschieden klarer gefasst sein können. Die Schilderung
der Blasen- und Mastdarmstörung ist ungenügend, zum Teil so¬
gar unrichtig.
Sehr hübsch ist der letzte Abschnitt : „Allgemeine Therapie
der Nervenkrankheiten“, er kann auch den Skeptiker davon über¬
zeugen, dass der Heilkunst bei der Behandlung von Nervenkrank¬
heiten noch andere Mittel als Jodkali und Bromnatrium zur Ver¬
fügung stehen. In klarer Weise werden die verschiedenen Heil¬
methoden, wie die Hydrotherapie, die Ernährungstherapie, die
Balneo- und Klimatotherapie besprochen; besonders gelungen ist
der Abschnitt über die ITebungstherapie und die Orthopädie bei
Nervenkranken. Auch dieser Teil wird durch Bilder illustriert.
1973
Kurz, durch das vorliegende Buch wird dem Studierenden
vieles, und zwar in guter und leicht fasslicher Foian geboten,
auch der Arzt und der Neurologe wird in demselben manche An¬
regung finden. L. R. Müller- Erlangen.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für innere Medizin. 1902. No. 46.
It. K o 1) e r t - Rostock : Ein Fall von Oxalsäurevergiftung.
In der Regel ist die Oxalsäurevergiftung sicher daran zu er¬
kennen, dass in den Nieren teils in, teils zwischen den Harn¬
kanälchen sich Kristalle aus oxalsaurem Kalk in reichlicher Anzahl
bilden. Der mitgeteilte Fall macht eine Ausnahme von dieser
Regel. Bei der Sektion des an einer zunächst nicht näher be¬
kannten Vergiftung zu Grunde gegangenen Mannes fand sich
starke \ erschorfung der Schleimhaut im rechten Sinus piriformis
und in der unteren Hälfte des Oesophagus, geringe Verschorfung
in der Mundhöhle, im Kardiateil des Magens und im obersten
Meter des Dünndarmes; Hyperämie der Nieren. Das Herzblut war
ungeronnen und blieb bei 8 tägiger Beobachtung ungeronnen,
während kleine Proben desselben, am ersten Tage entnommen,
auf Chlorkalziumzusatz gerannen. Proben des Blutes, auch ohne
Chlorkalziumzusatz, auf dem Objektträger eingetrocknet, zeigten
unter dem Mikroskop bei 300 facher Vergrösserung deutliche Kri¬
stalle von Kalziumoxalat. Die chemische Untersuchung des Magen¬
inhaltes ergab neben Hämatin 0,84 g Oxalsäure. Im Dünndarm
und in den Nieren keine Kalziumoxalatkristalle. Das Fehlen der¬
selben in den Nieren ist wohl dadurch zu erklimm, dass die Säure
enorm rasch, fast blitzartig, den Mann getötet hat, denn zwischen
dem Trinken des Giftes und dem letalen Ausgang dürften kaum
10 Minuten gelegen haben. Der Magen hat in diesem Falle die
Säure offenbar rasch und reichlich resorbiert.
W. Zinn- Berlin.
Klinisches Jahrbuch. II. Ergänzungsbd. Veröffentlichungen
des Komitees für Krebsforschung,
Leyden: Ueber die Parasiten des Krebses.
Ij. demonstriert Präparate von ganz frisch operierten Krebs¬
tumoren, die aseptisch zur Untersuchung gelangten. Er fand in
denselben, sowohl frisch wie gehärtet, kleine bohnenartige Kör¬
perchen, wie Vogelaugen anzusehen, die sich von den Zellkernen
durch ihre geringere Grösse, durch die exakte scharfe Zeichnung,
den hellen, farblosen, runden Hof und den lebhaft gefärbten zen¬
tralen Punkt unterscheiden. Dieselben sind einfach und mehrfach,
aber auch manchmal in grosser Zahl von einer Kapsel umschlossen,
in den Karzinomzellen zu sehen. Letztere Erscheinung hält L.
für Sporenbildung. L. wreist auf die Analogien hin mit den mikro¬
skopischen Befunden bei der Plasmodiophora brassieae (Kohl¬
hernie) und entscheidet sich nach Kritik der R i b b e r t scheu und
11 a n s e m a n n scheu Anschauungen für einen parasitären Ur¬
sprung des Karzinoms, wofür er auch insbesondere die Ergebnisse
der Transplantationsversuche heranzieht. Dieselben sind nach
seiner Ansicht nur zu verstehen, wenn man annimmt, dass die
übertragene Zelle gleichzeitig der Träger eines Parasiten ist.
W. Wolff: Hämatangiome und Karzinom.
Nachprüfung der Befunde von Leser. W. kommt zu dem¬
selben negativen Resultat wie Gebele an der Münchener chirur¬
gischen Klinik. wonach das Auftreten von multiplen Hautangiomen
nicht für die Frühdiagnose des Karzinoms zu verwerten ist.
P. Grone n: Beitrag zur Pathogenese des Karzinoms. (Nach
den Akten der Versicherungsgesellschaft Viktoria, Berlin.)
Dieselbe hat 9,3 Proz. Todesfälle an Karzinom; die meisten
finden sich zwischen dem 41. und 00. .Talire, der Verdauungstraktus
überwiegt mit 83,3 Proz. Am häufigsten werden befallen Schneider,
Schmiede und Schlosser, Beamte.
F. Blumenthal: Die Beurteilung der Diagnose, des
Sitzes und der Prognose des Krebses durch die Untersuchung,
des Ui’ins.
Enorme Indikanurie spricht für Magenkarzinom, Albumosurie
und Diazoreaktion für Ulzeration der Karzinome, Milchsäure¬
ausscheidung für Leberkarzinom, Zucker für Pankreasaffektion
oder Karzinom in den nervösen Zentren, starke Vermehrung der
Harnsäure im Verhältnis zur Gesamt-N- Ausscheidung für ein
Karzinom in den nukleinreichen Organen, Leber. Pankreas u. s. w.
Fr. Heinsius: Die Therapie des Carcinoma uteri an der
Greif swalder Frauenklinik.
Schilderung der Prinzipien, die bei der Therapie der operablen
und inoperablen Karzinome massgebend sind, und statistische Zu¬
sammenstellung der Operationsresultate.
Dr. S e g g e 1 jun.-München.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 16. Bd.,
1. Heft.
1) O. B u s s e - Greifswald : Ueber die Bildung der Hämato-
celen.
Bei der Tubargravidität ist ein Teil des Blutes schon vor dem
Austritt aus der Tube in die Peritonealhöhle geronnen und mit
fremdartigen Beimengungen durchsetzt. Den Hauptgrund für das
Stagnieren des frisch ergossenen flüssigen Blutes sucht Verf. in
dem Ausbleiben der Resorption. Die Resorptionsfähigkeit ist meist
herabgesetzt durch Veränderungen des Peritoneums bei der die
Extrauteringravidität vielfach begleitenden Perimetritis.
1974
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
2) P. C. F. van derHoeven - Amsterdam : Junge mensch¬
liche Eier.
Zu kurzem Referat ungeeignet.
3) J. L o e n n b e r g - Upsala: Ein Fall von ungewöhnlich
kleinem Foetus compressus.
Dieser als jüngster bis jetzt in der Literatur beschriebene
Fötus fand sich in einer halbkreisförmigen. 9 cm langen und 5 cm
hohen schwieligen Verdickung auf der Aussenseite des Chorion
am Rande der Plazenta. Der Gestalt und Entwicklung nach ent¬
spricht der Embryo der 4. — 5. Woche. Eine Ursache für das Ab¬
sterben des Embryo war nicht festzustellen. Die Zwillinge waren
nachweisbar in diesem Falle zweieiig.
4) M. T hiemich- Breslau: Ueber die Storch sehe Re¬
aktion der Frauenmilch.
Th. fand bei seinen Versuchen eine Inkonstanz der Storch¬
sehen Reaktion der Muttermilch. Er wendet sich deshalb gegen
die Folgerungen N o r d m a n n s, der in einem Falle in dem Fehlen
der Storch sehen Reaktion der Muttermilch den Grund für die
Ernährungsstörungen des Kindes gefunden zu haben glaubte.
51 V. Z i m m e r m a n n - Greifswald: Die intrauterine Ballon¬
behandlung in der Geburtshilfe.
Zusammenstellung aller Fälle von Metreuryse, darunter 29
neue Fälle aus der Greifswalder Klinik.
Auf Grund der insgesamt 645 Fälle gibt Verfasser ein über¬
sichtliches Bild von der Wirkungsweise des Metreurynters, den
Indikationen, der Technik und den Enderfolgen der intrauterinen
Ballonbehandlung.
Die Wirkung des Ballons ist eine wehenerregende, dilatierende
und tamponierende: daraus ergibt sich die Anwendung bei künst¬
licher Unterbrechung der Schwangerschaft, Erweiterung des
Muttermundes unter der Geburt bei pathologischen Verhältnissen,
bei Placenta praevia.
1. Vorzüglich eignet sich der Ballon zur Einleitung der künst¬
lichen Frühgeburt. Ueber die weitere Behandlung der Geburt
nach Ausstossung des M. lässt sich, mag die Ursache der Ein¬
leitung der künstlichen Frühgeburt in Beckenenge oder Erkran¬
kungen der Mutter liegen., keine prinzipielle Regel aufstellen.
2. Die Erweiterung des Muttermundes durch M. ist in allen
den Fällen zu empfehlen, in denen bei nicht erweiterten weichen
Geburtswegen die Entbindung angezeigt ist. Besonders ist bei einer
indizierten Wendung bei Erstgebärenden von der Anwendung der
Metreuryse viel zu erwarten. Bei jeder Querlage sollte stets so
früh wie möglich der Metreurynter eingeführt werden.
„Te nach der Dringlichkeit des Falles ist der elastische Ballon
mit massigem oder der unelastische Ballon mit starkem, eventuell
manuellen Zug zu wählen. In ähnlicher Weise ist bei Eklampsie
zu verfahren, wenn man die Entbindung für indiziert hält.
3. In der Behandlung der Plazenta praevia liegt der Haupt¬
wert des Ballons in der tamponierenden Wirkung.
Tn 79 Fällen wurde der M. in die Eihöhle eingelegt. 56 99 Proz.
der Kinder wurden lebend geboren, die Wochenbettsmorbidität be-
trug 16.4 Proz . die Muttermortalität 7,59 Proz. Die tamponierende
Wirkung versagte in einem Fall.
Tn 30 Fällen wurde der Ballon mit Schonung der Blase ein¬
gelegt, mit dem Resultat: Kinder lebend geboren 766 Proz.,
Wochenbettsmorbidität 10.4 Proz.. Muttermortalität 3,33 Proz. Die
tamponierende Wirkung versagte in keinem Fall.
Verfasser empfiehlt daher bei Plazenta, praevia den elastischen
Ballon mit Schonung der Eiblase — auch bei Placenta praevia
centralis — einzuführen und nach langsamer Anfüllung nur leicht
zu belasten. Der Ausstossung des Ballons ist die sofortige Ent¬
wicklung des Kindes anzusehliessen.
Auch in allen anderen Fällen, mit eventueller Ausnahme bei
Hydramnion ist die Fruchtblase zu erhalten.
Bei der Sicherheit des Erfolges und der einfachen Anwen¬
dungsweise der Metreuryse dürfte diese in Zukunft grössere An¬
erkennung und Einführung in die Praxis verdienen.
6) Dtitzmann - Greifswald: Diagnose und Behandlung der
Exsudate.
Verfasser bespricht zunächst die Vorteile der Heissluftbehand¬
lung in der Gynäkologie. Das Heizen bis zu 150° hat den Zweck,
durch einen lebhafteren Stoffwechsel alte narbige Exsudatreste
zur Resorption, frische eitrige zur Einschmelzung zu bringen.
Kontraindiziert ist die Behandlung bei elenden körperlichen Zu¬
ständen, bei Herzfehler und Fieber. Die Resultate sind bis jetzt
vorzüglich.
Für die Diagnose eines Exsudates und die Feststellung von
Eiter sind durch die Untersuchungen des Verfassers über das je¬
weilige Verhalten der Leukocytenzahl, wenn Eiter oder kein Eiter
vorhanden ist, beachtenswerte Resultate erzielt worden. In 163
Fällen versagte das diagnostische Hilfsmittel einmal; war eine
Vermehrung der Leukocyten da, so fand sich Eiter: war die Zahl
der Leukocyten normal, so fand sich kein Eiter bei der Operation.
Waren Streptokokken im Eiter, so war die Zahl der Leukocyten
eim> sehr hohe 120 — 30 000), bei Gonokokken und Bact. coli niedrig
(11- 13 000). Prognostisch von Wert ist der Befund bei Sepsis
und Peritonitis. Tn günstig verlaufenden Fällen war stets eine
Zunahme der Leukocvten zu konstatieren: in allen den Fällen, die
ad exitum kamen, blieb die Leukocytenzahl bei bestehendem Fieber
normal oder sank unter die Norm.
7) A. v. Khantz - Wien : Eine seltene Form von O varial-
dermoid.
Auf der Wandinnenfläche einer mannskopfgrossen Ovarial-
cyste fanden sich leistenartige, flach prominente, zum Teil 2 cm
breite Gebilde, die Dermoidbrei enthielten. Die Ursache der eigen¬
artigen Bildung sucht Verfasser in einer Entwicklungsstörung des
Dermoids infolge des raschen Wachstums des neben ihm sich ent¬
wickelnden Cystadenoms. Weinbrenner - Magdeburg.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. Bd. 22. Heft 3
und 4.
Munch-Petersen - Kopenhagen: Die Hautreflexe und
ihre Nervenbahnen.
Die ausführlichen Untersuchungen über das Verhalten der
Hautreflexe bei Nervengesunden führten den Autor zu der Ueber-
zeugung, dass diese Reflexe in der Hirnrinde entstehen. Die Em¬
pfindung der Reizung im Grosshirn löst einen unbewussten Be-
wegnngsimpuls in den motorischen Zentren aus. Verfasser definiert
die Hautreflexe als ,, Bewegungen“, die ohne bewusstes Wollen durch
Reizung der Haut entstehen“. Die genauen Begründungen dieser
Theorie sind im Original nachzulesen.
E. M eye r: Zur Kenntnis der Rückenmarkstumoren. (Aus
der psychiatrischen Klinik in Tübingen.)
Bei einem 14 jährigen Mädchen hatte ein zum Teil intradural,
zum Teil extradural gelegenes Fibrosarkom das Rückenmark in
der Höhe des unteren Halsmarkes zusammengedrückt. Die kli¬
nischen Erscheinungen waren ganz charakteristisch für eine extra¬
spinale Wucherung. Da differentialdiagnostisch nur Pachymenin-
gitis cervicalis hypertrophica in Betracht kam, kann nicht recht
verstanden werden, warum nicht der Versuch zur Operation ge¬
macht wurde. Die Autopsie zeigte, dass die Herausnahme der
Geschwulst keinerlei Schwierigkeiten veranlasst hätte.
E. F lata u und J. Koelichen - Warschau: Ueber die
unter dem Bilde der Myelitis transversa verlaufende multiple
Sklerose.
Eine 60 jährige Arbeiterin erkrankte plötzlich unter
F ieber mit paraplegisclien Erscheinungen. Bald stellte sich
Dekubitus und schwere Cystitis ein. Bei der mikroskopischen
Untersuchung konnten im Rückenmark verschiedene Herde ge¬
funden worden, die teils die Zeichen frischerer Degeneration, teils
die schon fortgeschrittenen Nervenzerf alles boten. Die Schilde¬
rung der histologischen Veränderungen ist sehr eingehend um!
g nau. Es scheint dem Referenten nur fraglich, ob es sich hier wirk¬
lich um multiple Sklerose oder nicht vielmehr um eine akute
disseminierte Myelitis handelt.
IT. Lüthje: Die akute zerebrale und zerebro-spinale
Ataxie. (Aus der medizinischen Klinik in Greifswald.)
Bei 3 Kranken einer Familie stellte sich im Anschluss an
einen schweren Typhus, der mit Delirien einhergegangen ist. starke
Ataxie in allen Muskeln, aber ohne Lähmungserscheinungen und
ohne Sensibilitätsstörungen ein. Gleichzeitig blieb noch eine we¬
sentliche Intelligenzstörung (Gedächtnisschwäche) zurück. Da
auch motorische Reizerscheinungen in den Armen choreiformen
Charakters und Zuckungen in der Gesichtsmuskulatur, welche
ähnlich den Zuckungen bei .T a ckson scher Rindenepilepsie
waren, bestanden, glaubt Lüthje die Ataxie als zerebrale auf¬
fassen zu müssen. Gegen zerebellare Ataxie sprach das Fehlen
von Schwindelerscheinungen, ferner die allgemeine Ausbreitung
der Ataxie und der Umstand, dass beim Liegen im Bett die Ko¬
ordinationsstörungen gerade so intensiv waren wie beim Versuch,
zu gehen. Insbesondere führt L. auch die Störungen im stereo-
gnostisclien Sinn für die kortikale Natur der Ataxie an. Im An¬
schluss an diese Beobachtungen sammelt L ii t li j e noch die
Fälle aus der Literatur, wo sich an eine Infektionskrankheit neben
anderen zerebralen Erscheinungen (psychische Störungen u. s. w.)
Ataxie entwickelte. Die durch Gehimerkrankungen bedingte Un¬
sicherheit in den Bewegungen trennt Lüthje als akute zerebrale
Ataxie von anderen Formen dieser Bewegungsstörungen ab.
•T. Auer b ach- Frankfurt a. M.: Beitrag zur Diagnostik
der Geschwülste des Stirnhirns.
Bemerkenswerter Fall von Stirnhirngeschwulst bei einem
48 jährigen Fräulein. Beginn mit psychischen Störungen und
Charakterveränderungen. Die vorher fleissige und gewissenhafte
Dame wurde sehr reizbar und lässig. Erst % Jahre später stellten
sich Kopfschmerzen und Erbrechen ein. Bald folgten Zeichen
von Myxödem (Schwellung des Gesichts, des Halses, der Iland-
und Fussriicken). Gleichgewichts- oder Sprachstörungen be¬
standen uiclit. Dagegen machte sich eine Rumpfmuskelschwäche
sehr lästig geltend. Alle psychischen Funktionen waren wesent¬
lich verlangsamt. Es bestand allgemeine Apathie. Herdsymptome
konnten nicht nachgewiesen werden. Verfasser glaubt seinen Fall
auch dafür ins Feld führen zu können, dass in das Stirnhirn vor¬
züglich diejenigen Eigenschaften zu verlegen wären, durch welche
der Mensch sich vor den höchsten Tieren auszeichnet, nämlich
die höheren psychischen Leistungen.
Z. Bychowsky - Warschau: Ein Fall von rezidivierender
doppelseitiger Ptose mit myasthenischen Erscheinungen in den
oberen Extremitäten.
Im Anschluss an eine Beobachtung von wiederholt sich
einstellender, vorübergehender Lähmung der Mm. levat. palpe¬
brarum, die dann auch mit grosser Ermüdbarkeit anderer Muskel¬
gruppen verbunden war, bespricht Bychowsky die Hypo¬
thesen über die Myasthenie und schlägt vor, diese Krankheit
ebenso wie andere Affektionen, die, ihren Sitz im Muskelsystem
haben, ohne dasselbe sichtbar zu verändern, in Analogie mit der
Neurose als „M yos e“ zu bezeichnen. Dorthin würde dann
1 auch die Tliomsen sehe Myotonie und die Parkinson sehe
1975
25. November 1902,
MUENCI1ENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIFT.
Paralysis agitans und vielleicht auch die W e s t p h a 1 sehe nerio
üisclie Extremitätenlälimung zu zahlen sein. 1 1
v, • n blath’ISaSS™: Ueber Cysticerkenmeningitis
bei Cysticeicus racemosus des Zentralnervensystems.
Aus dieser Arbeit geht hervor, dass bei unklaren Fällen bei
v eichen syphilitische Basilarmeningitis in Betracht kommt auch
an die Cysticerkenmeningitis gedacht werden muss. Fine solche
vird häufig erst bei der mikroskopischen Untersuchung diagnosti¬
ziert werden da die kleinen Blasen, die längs der grossen Gelasse
v iKliem und last überall m Granulationsgewebe eingebettet sind
liauhg mit blossem Auge gar nicht erkannt werden können
Besprechungen.
L. R. M ü 1 1 e r - Erlangen.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 32. JS'o. 10.
1) Klein- London: Ueber ein dem Pestbazillus ähnliches
Bakterium: Bacterium Bristolense.
Auf einem aus Kleinasien stammenden Dampfer, welcher
in Bristol ankam, fanden sich eine Anzahl toter liatten
aus welchen sich durch Plattenkulturen und Präparate eine Bak¬
terienart isolieren liess, die zwischen B a c t. coli und B a c t
lactis aero genes steht. Pest lag also nicht vor. Der
Organismus war virulent für Meerschweinchen, weisse Ratten und
.Mäuse, nicht für Kaninchen, Intraperitoneal wirkten selbst kleine
Dosen tödlich innerhalb 2t Stunden. Bei der Sektion war das Peri¬
tonealexsudat voll von polgefärbten Stäbchen. Das Blut
war ebenfalls überfüllt. Bei subkutaner Injektion schwollen die
Lymphdrüsen ausserordentlich an, die Milz war sehr vergrossert,
die Bungen stark hyperämisch. Die Bazillen selbst sind dem Pest¬
bazillus sehr ähnlich, doch ist nach Herstellung einer Kultur eine
i erweclislung mit Pest nicht möglich.
2) F. H a r r i s - Atlanta: A case of extensive necrosis of the
hones of the skull and face with pus formation produced by
lutherto undescribed microorgamsmus.
3j Sion und JN' eg ei -Jassy: Ueber eine von einem atypi¬
schen Kolibazilius veranlasste typhusähnliche ELausepidemie
nydrischen Ursprungs. (Schluss.)
4) G a n t a n i - Neapel: Zur Biologie der Influenzabazillen.
Erwiderung auf die Arbeit über dasselbe Thema von G h o n
und von P r e y s s.
Verfasser hält daran fest, dass Influenzabazillen auf hämo-
globinf reien Nährböden sich züchten lassen, ausserdem ist für das
Wachstum der Influenzabazillen ein Zusatz von Bakterienleibern
von Vorteil. Er glaubt, dass möglicherweise auch für Bakterien,
die sich jetzt noch nicht züchten lassen, ein Nährboden mit Zusatz
von Bakterienleibern von Nutzen sein könnte.
5) Maurer: Die Malaria perniciosa. Beitrag zur Biologie
und Morphologie ihres Erregers.
Aus der grossen Reihe von Einzelangaben, die nicht alle hier
Platz finden können, mag erwähnt werden, dass nach den Unter¬
suchungen M a u rers nicht schwer fällt, auch in den jüngsten
Madien der Krankheit die Perniciosa von der Quartana
und 4 ertiana zu unterscheiden, da die kleinen zierlichen Ringe,
die mit 1 oriiebe am Rande der Blutscheibe sitzen, die Diagnose er¬
leichtern helfen. Wichtig ist, dass die liingf o r m e n nicht i m,
sondern auf dem Blutkörpercli e n sitzen und erst nach¬
dem das weitere Stadium der Halb m o n d e an die Reihe kommt,
und die Parasiten aus dem peripheren Blut verschwinden, in das
Blutkörperchen eindringen. Mit dieser Einwanderung ist auch die
V erme h r ung des Pigments gegeben. Weiterhin ist dia¬
gnostisch wichtig, dass man während der Zeit der grösseren Ringe
rote Flecke in Form von Ringelchen, Schleifen, Streifen be¬
obachten kann, „die eine Folge von den Angriffen des Parasiten
sind, welche dieser unternimmt, um sich an seinem Träger fest¬
zuhalten und sich Nahrung zu verschaffen". Diese Erscheinung
soll für Perniciosa durchaus regelmässig und unzweideutig sein.
Die Gameten (Halbmonde) haben einen eigenen Entwicklungs¬
gang» der wahrscheinlich dort beginnt, wo die kleinen Ringe in die
grösseren übergehen. Diejenigen kleinen Ringe, weiche zu
Gameten sich umbilden, dringen auch sehr bald in die Blutkörper¬
chen ein.
Therapeutisch ist neben vielen anderen Angaben von
Bedeutung, dass das Chinin am schnellsten und intensivsten auf
Merozoiten und auf die „externen" Schizonten wirkt.
Schwächer ist die Wirkung auf „interne“ Schizonte n,
deren Lebensdauer dadurch verlängert wird. Noch schwächer ist
die Wirkung auf die Gameten der Tertiana und Quar¬
tana und am schwächsten auf die Halbmonde. Jedenfalls
ist es durchaus nötig, dass bei der Behandlung der Perniciosa das
Medikament bereits im Blut vorhanden sein muss, während die
externen Schizonten noch leben.
Den Schluss der Arbeit bildet die Vorschrift für die Färbung
der Perniciosaflecken.
6) S t a f f o r d - Montreal: Cephalogonimus americanus (new
species).
Rein zoologische Abhandlung.
7) T a n a k a - Akita-ken, Japan: Ueber die Untersuchung des
Pockeqerregers.
Von dem Pleuraexsudat, welches einem Patienten abge¬
nommen worden war, wurden mehrere Fläschchen gefüllt und
aufbewahrt. Nach 5 Tagen bildete sich in der Mitte des Exsudates j
ein gallertartiges Gerinnsel, in welches Verfasser 0,06 g f r i s c li e r
L y in p h e, hineinträufelte. Nach mehrtägigem Verweilen im
»lutsclirank war die aufgeträufelte Lymphe in eine weisse ge¬
ronnene, wie gekochte Masse verwandelt, während das Exsudat
unverändert blieb.
Bei den Nachforschungen stellte es sich heraus, dass der Pat.
\oi _o Jahren schwere Pockeninfektion durchgemacht
Hatte, so dass das beschriebene Phänomen als eine Art Pfeif-
* e 1 - G i u b e r - \\ i d a 1 sehe Reaktion angesehen werden konnte.
\ erlasser schliesst aus dieser Beobachtung, dass der Pockenerreger
homogen und strukturlos, gleich wie die Lymphe selbst sein müs&se.
o; xanaxa: z,ur Brtorschung der Immunität durch die
V accmation.
, r Es wurden Kinder zuerst an einem Oberarm und alsdann
. ’ ü>. ^ > ‘ > ' V II Tage später an dem anderen Oberarm ge¬
impft. Aus den Tabellen ist zu entnehmen, dass bereits am 4. Tage
der Erfolg der Nachimpfung ein sehr geringer ist, während etwa
vom 9. tage an vollkommene Immunität eingetreten ist
J) G o h n - Königsberg: Ueber den antiseptischen Wert des
Argentum colloidale Crede und seine Wirkung bei Infektion
(Schluss folgt.)
10) Zielleczky - Prag : Biochemische und differential¬
diagnostische Untersuchungen einiger Bakterien mittels Phenol¬
phthaleinnährböden.
Dur<?h den Zusatz von schwacher Phenolphthaleinlösung
(0,8— 0,7 ccm von auf 720 verdünnter y2 proz. Lösung) zu den
brauchlichen Nährböden wird das Wachstum der Bakterien nicht
beeinträchtigt. Bei Zusatz von grösseren Mengen von der an¬
gegebenen Phenolphthaleinlösung als 0,8 ccm zur Bouillon und
1 ccm zum Agar entwickelt sich Coli noch ganz gut, entwickelt
aber oft weniger Säure, während beim T yphus das Wachstum
authort. Die mit Phenolphthalein gefärbten Nährböden werden
durch G o 1 i bedeutend früher und intensiver als durch B. typhi
entfärbt. In Symbiose mit T y p li u s produziert Coli in gleicher
Zeit verhältnismässig viel weniger Säure als eine Reinkultur des¬
selben Alters.
Die 1 henolpli t haleinnährböden wären zu empfehlen, weil
deren Herstellung sehr bequem und einfach ist.
R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1902. No. 40.
1) A. Gross-Kiel: Ueber lokale Wärmeapplikation.
\ erf. beschreibt zunächst die an der Quincke sehen Klinik
in Anwendung befindlichen Wärmekörper, welche aus Zinnröhren
bestehen, die schleifenförmig gelegt und auf Asbestplatten be¬
festigt werden. Durch die Röhren wird heisses Wasser geleitet.
Das Prinzip dieser Thermophore wurde nun auch auf lokale Sand¬
bäder und Sandumschläge angewendet, indem der Sand in Leinen-
säckchen auf oder unter den Thermophor gelegt wird. Wie Mes¬
sungen ergaben, ist die Tiefenwirkung aller heissen Umschläge
doch eine recht beschränkte. Behandelt wurden subakute
Ischiasfälle, Lumbago, Spondylitis, vor allem Magengeschwüre.
Aon günstigem Einfluss scheint hiebei die lokale Schweisshervor-
rufung zu sein.
2) M. W o 1 f f - Berlin : Perlsucht und menschliche Tuber¬
kulose.
\ erfasser hat mit Material von einer primären menschlichen
Darmtuberkulose ein gesundes Kalb infiziert und konnte, wie aus
dem makro- und mikroskopischen Befunde auf das deutlichste
hervorging, bei dem Tiere eine schwere Perlsucht hervorrufen.
Koch hatte aus dem nämlichen Material ein entgegengesetztes
Resultat erhalten. W. betont, dass die Angaben von K o c li be¬
treffs der Nichtübertragbarkeit der menschlichen Tuberkulose auf
Rinder mit den Ergebnissen einer Reihe anderer Forscher nicht
zu vereinbaren sind, wie auch nicht mit dem vorliegenden Impf¬
ergebnisse.
3) M. L e w i n s o n - Berlin: Zur Lehre von der atonischen
Erweiterung der Speiseröhre. (Schluss folgt.)
4) J. M i t u l.e s c u - Bukarest: Beiträge zum Studium des
Stoffwechsels in der chronischen Tuberkulose. (Schluss folgt.)
o) G. Hamburger- Berlin: Ueber die Berechtigung und
Notwendigkeit, bei tuberkulösen Arbeiterfrauen die Schwanger¬
schaft zu unterbrechen.
Vergl. hiezu das Referat Seite 1)86 der Münch, med. Wochen¬
schrift 1002. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 19o2. No. 46.
1) A. L i p s t e i n - Frankfurt ä/M. : Ueber Immunisierung
mit Diphtheriebazillen.
Veranlasst durch die Mitteilung A. Wassermanns
(Deutsche med. Wochenschr. 1902, No. 44) berichtet Verfasser über
seine Versuche, auf immunisatorischem Wege Reaktionsprodukte
gegenüber den Substanzen des Bazillenleibes der Diphtheriebazillen
zu gewinnen.
2) E. Heller- Leipzig: Oberarm- und Schultergelenkbruch-
verband.
Nach einem am 3. Juni 1902 in der medizinischen Gesellschaft
zu Leipzig gehaltenen Vortrage mit Demonstrationen. Referat
hierüber siehe diese Wochenschrift No. 34, pag. 1443.
3) R. K u c k e i n - Königsberg i/Pr.: Ueber zwei Fälle von
Oesophaguskarzinom, welche unter dem Bilde eines Aorten¬
aneurysmas verliefen. (Fortsetzung aus No. 45, Schluss folgt.)
4) R. Hecker- München: Die Erkennung der fötalen
Syphilis. (Schluss aus No. 45.)
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
K)76
Uebersiclitliebe Zusammenfassung der zur Diagnose der
fötalen Syphilis gegebenen Anhaltspunkte. Abgesehen von der
makroskopischen Diagnose empfiehlt Verfasser vor allem die mikro¬
skopische Untersuchung, und zwar in jedem Falle, in welchem die
Sektion einer reifen oder unreifen Frucht keine Klarheit darüber
gibt, ob Syphilis vorliegt oder nicht. Man harte dazu, falls nicht
Gefrierschnitte gefärbt werden können, kleine Stückchen aus
Niere, Milz, Thymus, Pankreas, Lunge und Leber, untersuche zu¬
nächst nur die Niere und erst bei negativem Ergebnis in zweiter
Linie die übrigen Organe. Der Befund der zeitigen Gefässinfil-
tratiou in der Niere wird letzteres zumeist überüiissig machen.
Erst das Fehlen aller pathologischen Erscheinungen in den unter¬
suchten - — nicht mazerierten — Präparaten gestattet nach An¬
sicht des Verfassers, das Vorhandensein von kongenitaler Sj’pbilis
mit fast völliger Sicherheit auszuschliesseu.
5) p. Fuchs-Berlin: Choleiithiasis und Pankreaserkran¬
kungen.
Das Resultat seiner Untersuchungen sucht Verfasser in zwei
Sätzen zusammenzufassen: .
1. Die Entzündungen des Pankreas bieten, sofern sie zur Bil¬
dung eines palpablen Tumors führen, die Möglichkeit einei kli¬
nischen' Diagnose. .
2. In der Aetiologie der Pankreaserkrankungen, insbesondere
sämtlicher Entzündungen des Pankreas, spielt die Choleiithiasis
die wichtigste Rolle. ........ .,
Gj Fr. Hofmann - Leipzig: Die angebliche Unschädlichkeit
von Borsäure im Fleische. M. Lac hei.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 4G. 1) S. Jellinek- Wien: Zur Klinik der durch
atmosphärische und technische Elektrizität verursachten Ge¬
sundheitsstörungen. . . . .
Verl, erörterte in seinem Vortrag zuerst die Umstande, welche
die Gefährlichkeit eines elektrischen Stromes erhöhen oder ver¬
mindern und hebt besonders auch die Tatsache hervoi, dass bei
Starkströmen schon unipolare Berührung für eine Gesundheits-
Schädigung ausreicht. Zu den lokalen Symptomen des sog. ani¬
malischen Effektes gehören Brandwunden, Flaarversengungen,
Blutaustritte, Durchlöcherungen und Durchtrennungen des ooer-
nächiiclien Gewebes, endlich die sog. Blitzüguren, auf deieh ge¬
nauere Schilderung J. eingeht. Bei den sog. Brandwunden in¬
folge elektrischer Wirkungen handelt es sich wahrscheinlich um
lokale "Wirkungen der Elektrizität, nicht um reine I lamrnen-
wirkung. Die technische Elektrizität erzeugt ähnliche lokale Er¬
scheinungen wie Blitzschlag, abgesehen von den Blitzüguren. Hie
und da fehlen Lokalerscheinungen gänzlich. Die Allgemein¬
erscheinungen beruhen teils auf dem psychischen Moment, teiis
auf organischen Veränderungen. Manchmal sieht man nach Blitz¬
schlägen und technischen Verletzungen eine auffallende Rigidität
der peripheren Arterien in der Nähe der Einwirkungsstelle.
Auf Grund der Befunde des Verf. ist der Tod au Elektrizität
zu erklären aus anatomischen Veränderungen, welche Gehirn und
Rückenmark erfahren. Dieselben bestehen in Zertrümmerungen
und Blutungen innerhalb der Ganglienzellen, ferner gewissen an¬
deren Zellveränderungen. Die beste Prophylaxe gegen technische
Verletzungen erblickt Verf. in einer richtigen Belehrung ^ der
Jugend und Popularisierung der wichtigsten Grundsätze der Elek¬
trizitätslehre. Hinsichtlich der Therapie ist zu beachten, dass
Lähmungen auch noch einige Zeit nach der stattgehabten A ei-
letzung sich ausbilden können.
2) ü. Marburg- Wien: Zur Pathologie der grossen Hirn-
gefässe.
° Vortrag, gehalten auf der diesjährigen Naturforscherversamm¬
lung in Karlsbad.
3j L. II a r m e r - Wien: Angeborene Membran an der hin¬
teren AV and des Kehlkopfes.
Siekergesteilt ist erst 1 Fall dieser Art, ein weiter beschrie¬
bener ist nicht anatomisch untersucht worden. In dem hier ge¬
schilderten Fall handelte es sich um eine Schleimhautfalte, welche
die hintersten Enden der beiden Stimmbänder durch einen flachen,
nach oben konvexen Bogen miteinander verband. Es liegt offen¬
bar eine angeborene Veränderung vor, die Entstehung aus einer
Narbe ist ausgeschlossen.
■i) H. Alb recht und A. Gohn-AArien: Noch einmal der
Meningococcus intracellularis.
Im wesentlichen polemische Ausführungen bezw. Richtig¬
stellungen gegenüber einem Artikel von O. H e u b n e r - Berlin.
Schliesslich teilen die A’erf. noch 4 Fälle von primärer, sporadischer
Zerebrospinalmeningitis mit, wo der bakteriologische Befund mit
dem bei früheren Fällen von ihnen erhobenen ganz übereinstimmte
(AA’ eichseibau m scher Meningokokkus, der sich bei Anwen¬
dung der G ramschen Färbung entfärbt).
Im Feuilleton ein von v. Schroetter erstatteter Bericht
über den Stand der Bestrebungen zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose in Oesterreich. Grassmann - München.
Französische Literatur.
B e r nh ei m - Nancy: Das psychische Element bei der
hysterischen Hemianästhesie. (Revue de medecine, August 1902.)
Die 2 Beobachtungen, welche B. hier bringt, und welche eine
weibliche Patientin und einen männlichen Patienten im Alter von
ÖG resp. 48 Jahren betreffen, beweisen neuerdings die von B. schon
früher auf gestellte Behauptung, dass psychische Einflüsse bei der
Hemianästhesie eine grosse Rolle spielen und dieselbe, wenn auch
auf organische Ursachen zurückzuführen, durch Autosuggestion
noch lange erhalten werden kann. Die sensitiv-sensorielle Hemi¬
anästhesie kann sich direkt an die rein dynamische Hemiplegie
anscliliessen, kann durch jede Art ärztlicher Untersuchung, welche
unwillkürlich suggestiv wirkt, hervorgerufen werden; sie kann
sich durch Autosuggestion bei auf organischer Grundlage be¬
ruhender Verminderung der Sensibilität in komplette Anästhesie
umwandeln und kann einen wirklichen organischen Ursprung
haben, indem die funktionelle Störung nach der organischen
Läsion (Schock) als eine Art psychisches Bild bestehen bleibt.
Diese Erscheinung kann auch bei Individuen, welche keineswegs
hysterisch sind, unter all den erwähnten Formen Vorkommen, wie
der hier beschriebene zweite Fall beweist; die psychische An¬
ästhesie ist also nicht immer hysterischer Natur.
Victor Lore t- Lyon: Der Ricinus und seine medizinische
Verwendung im alten Aegypten. (Ibid.)
Historisch-medizinischer Streifzug, welcher^ lehrt, dass ^ die
Rizinuspflanze in Aegypten zu Herodots Zeiten (5. Jahrli. v. Chr.)
eifrig kultiviert wurde. Das bald warm (durch Kochen in AVasser),
bald kalt exprimierte Del diente für gewöhnlich zu Beleuchtungs¬
zwecken! 8 trab o jedoch versichert, dass die Aegypter der är¬
meren Klassen die Gewohnheit hatten, sich damit zu salben, und
Dioscorides behauptet, dass es auch in der Medizin angewandt
wurde, ln den ägyptischen Gräbern sind Rizinuskörner gefunden
worden, die als solche auch als Abführmittel benützt worden seien.
Im übrigen ist der Artikel mehr von philologisch-historischer Be¬
deutung.
Censier- Bagnoles-de-l’Orne: Einige Betrachtungen zur
Pathogenese der Phlebitis. (Ibid.)
Nach Verfassers Ansicht erheischen in der Aetiologie der
Venenentzündung noch viele Punkte der Aufklärung. Unter an¬
deren führt er die prätuberkulöse, die vor dem (Gebärmutter-)
Krebs auftretende Phlebitis an, wobei der Anteil dieser Gefäßent¬
zündungen, welche sogar vor Ausbruch des eigentlichen Leidens
wieder zur Heilung kommen können, an einer Infektion des Blutes
noch eine offene, sehr schwer zu lösende Frage bleibt. Ebenso
dunkel erscheint Censier der Einfluss, welchen nicht nur ein
direktes Trauma, sondern ein in die Ferne wirkender Schock bei
der Entstehung der Phlebitis hat; als Beispiel dieser Art führt er
eine 22 jährige Patientin an, bei welcher durch Sturz vom Pferde
eine Prell Verletzung am Hüftgelenk entstand, die sehr leichter Natur
schien, aber später ausgedehnte Venenentzündung am Unter- und
Oberschenkel zur Folge hatte. In ähnlicher Weise versucht A er¬
fasset- die Häufigkeit der Phlebitis im Puerperium zu erklären,
wo ein allgemeiner Schock stattgefunden habe und das Trauma
(Geburt) auf das schon erweiterte und überanstrengte Venensystem
an und um tlie Gebärmutter einwirkt; dazu kommt meist eine ge¬
wisse Prädisposition, zuweilen ein Zustand von Arthritismus, von
subakutem Rheumatismus, wo die Infektion dann nur noch mit
oft sehr geringfügiger Intensität hinzuzukommen braucht, um
manche puerperale Phlebitis zu verursachen.
Ch. Fere: Die magnetische Anziehungskraft. (Ibid., Sep¬
tember 19U2.)
Eingehende physikalisch-physiologische Studie, welche_nacli
kurzen historischen Bemerkungen und Erklärung durch 2i Lx-
perimente (mit 52 Figuren) zu dem Ergebnisse kommt, dass die
Suggestion beim Magnetismus keine Rolle spielt und derselbe keine
psychologische, sondern eine rein physikalische Frage darstellt.
G. Darember g und F. Moriez - Cannes: Veränderungen
der Eiweissmenge, der Harnsäure, der Totalazidität des Urins
bei den permanenten und den unkonstanten Formen der
Albuminurie. (Ibid.)
Die Verfasser kamen bei ihren Untersuchungen zu folgenden
Resultaten. In allen Fällen von Albuminurie ist in den Morgen¬
stunden die geringste Menge von Eiweiss vorhanden, bei den in¬
konstanten (zyklischen) Formen verschwindet es vollständig. Die
Stunde, wo das Maximum der Elimination stattfindet, ist bei all
diesen verschiedenen Formen eine sehr variable. In den Fällen vou
dauernder Albuminurie (B r iglit sehe Krankheit) ist es immer
zwischen Mittag und 5 Uhr Nachm., in den Fällen, wo das Ei¬
weiss Morgens verschwindet, zwischen 10 Uhr Morgens und
10 Uhr Abends, meist aber von Mittag bis G Uhr Nachm, vor¬
handen. Den Einfluss der aufrechten Körperhaltung auf Ver¬
mehrung des Eiweissgehaltes fanden \rerfasser nicht bestätigt.
Der Einfluss der Ernährung bei der zyklischen Albuminurie ist
bald vorhanden, bald nicht; die ersteren Fälle sind für Alkalien,
die letzteren für die Arseniktherapie zugänglich. Bei der inkon¬
stanten (zyklischen) Albuminurie sind die Mengen Harnsäure,
Totalazidität und Eiweiss bald proportional, bald umgekehrt pro¬
portional vorhanden. Die Abstände zwischen Maximum und Mi¬
nimum von Harnsäure und Totalazidität sind viel grösser bei der
Albuminurie, wo dieselbe Morgens verschwindet, als bei gesunden
Personen. Bei letzteren stimmen die Kurven der stündlichen
Elimination von Harnsäure und Totalazidität überein, bei der
ebengenannten Art von Albuminurie aber nicht. Die Stunden,
wo Maximum und Minimum von Azidität und Harnsäure eliminiert
wird, sind bei gesunden Personen stets konstant, bei Albuminurie
sehr wechselnd. Die mit zyklischer (inkonstanter) Albuminurie
Behafteten können an Körpergewicht zunehmen, selbst wenn sich
der Eiweissgelialt ihres Urins verpiehrt. Graphische Darstellung
(Kurven) alf dieser Verhältnisse.
Gay et- Lyon: Die blutige Reposition des Caput femons
bei den irreduktiblen Luxationen des Hüftgelenks. (Revue de
Chirurgie, Juli und August 3902.)
25.
November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIET.
Unter Anführung einer eigenen Beobachtung und 6 der Lite
äääää!
klassische Methode der veralteten irreduktiblen Luxationen z vver-
m • w“® ,we?.lg scIlwierige Operation an sich, gibt sie besieh
nrfSi1 b6«,8!? fdl^- a?d.eren Methoden: manchmal ideales funktio¬
nelles Resultat, last immer eine Beweglichkeit, welche beinahe
SÄ“VfG^g ges'attet: dieselbe bekämpft am besten und untei"
diuckt oft die Verkürzung des Beines. Die Reposition wird in
den meisten Fällen möglich sein, unter der Bedingung einer gute
Technik; im Gegensatz zu der bis jetzt herrschenden Ansicht wird
ä i. aussei e Inzision auf den Trochanter fast immer genügen
Dieselben Regeln haben bei der Behandlung der pathologischen
Luxationen, welche auf akute Affektionen folgen, Geltung' da die
V eränderungen dabei merkwürdige Ähnlichkeit mit jenen de?
ti aumatischen Luxationen haben. Hingegen ist bei der rnTitmn
iufolge von Coxalgie die blutige «Äl sjSiSS
im Hinblick auf den Allgemeinzustand, auf die Knochenverände-
l imgen und auf die Gefahr, den kaum erloschenen Prozess wieder
zum Auf flammen zu bringen; immerhin gibt es auch beim Tumor
a bue des Hüftgelenkes gewisse wohl umsei, Hel £ So p u ” ft
blutige Reposition von Vorteil sein kann.
Etienne Des tot- Lyon: Die Frakturen des hinteren Teiles
der Fusswurzel. (Ibid., August 1902.)
Unter den ausserordentlich zahlreichen Varietäten von Frak-
turen, weiche den hinteren Teil der Fusswurzel — die beiden
Malleolen, den Astragalus und den Caleaneus — betreffen kann
K verschiedene Typen, sei es mittels der gewöhnlichen kli¬
nischen Untersuchungsmethoden, sei es vermittels der Radio-
graphie erkennen; die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, diese
natürlichen Gruppen, deren frühzeitige Diagnose von Wichtigkeit
ist, zu klassifizieren. Prognose und therapeutische Indikationen
hangen von der genauen Kenntnis dieser verschiedenartigen Ver-
c Zllll»en ab. Was die Frakturen der Malleolen betrifft, so gibt
es neben den beiden klassischen durch Adduktion und Abduktion
entschieden eine dritte Art, wo vordere oder hintere Zunge der
libia abgesprengt wird; letztere ist die häufigere (18 Fälle) bei
ersterem Typus (7 Fälle) ist meist gleichzeitig eine Fraktur des
Astragalus vorhanden. Letztere kommt auch isoliert vor, kann
ferner Kopf, Hals oder hinteres Segment des Knochens betreffen-
liier ist wiederum die letztgenannte Form die häufigere, dann
folgt die Fraktur des Kopfes. Bei der Fraktur des Caleaneus unter¬
scheidet inan 2 grosse Typen: die eine durch Zerreissung
(Boy er), die andere durch Zermalmung (nach Malgaigne
”nd. L e5 ° u e s t). Die Pathogenese, genauere Beschreibung und
Ditterentialdiagnose dieser verschiedenen Arten von Frakturen
am hinteren Fussgewölbe, wie sie D. weiter hier gibt, sind nur
ndttels der beigegebenen (26) Zeichnungen verständlich.
IJ,‘on b he v e not- Lyon: Die Aktinomykose des Mastdarms
und Anus. (Ibid.)
Die Arbeit stammt aus der Klinik des bekannten Aktino-
myzesforschers Poncet und lehrt, dass die Lokalisation des
Strahlenpilzes an Anus und Mastdarm eine ausserordentlich lebens-
gcfälirliche ist; von 15 Fällen endeten 7 tödlich, 4 mit unbekanntem
Ei folg, bei 3 trat vorübergehende Heilung ein und 1 ist seit
o Jahren in Behandlung. Der Tod ist die Folge lange währender
Eitei ungsprozesse und sehr wahrscheinlich auch einer speziellen
\ ergiftung durch den Strahlenpilz. Die Gegend um Anus und
Mastdarm herum ist durch ihren Reichtum an Zellgewebe ein
vortrefflicher Nährboden für die Entwicklung des Strahlenpilzes.
Id selbe wird entweder direkt (durch eine Schleimhautverletzung
oder durch einen die Haut verletzenden Fremdkörper) oder durch
den Darmkanal, ohne dass Mundhöhle, Coekum u. s. w. ergriffen
Aveiden, oder durch Kontinuität von den Nachbarorganen aus ein-
getührt. Im ersteren Falle betreffen die Veränderungen besonders
die Haut, in den anderen Fällen besonders das Zell-Fett-Gewebe,
wo sie oft sehr tiefgreifend sind und bei operativen Eingriffen
mancherlei Ueberraschungen bieten. Am Anfang sind nur Diar¬
rhoen oder Abszesse mit Fisteln oder Stenoseerscheinungen vor¬
handen, bald aber nimmt die Aktinomykose ihr typisches Aussehen
an: die Haut ist mit zahlreichen Fisteln bedeckt, harte Infiltration
des Perineums, der Beckenhöhle u. s. w.; später können Peri¬
toneum, Blase, Darm befallen werden und dann können deren
pathologische Oeffnungen in das Rektum das klinische Bild modi-
hzieren. Die Anwesenheit der gelben (Aktinomyzes-) Körner ist
«las Zeichen der Krankheit, welche am Beginne oft verkannt wird,
tnr denjenigen aber, der dieselbe kennt, keine diagnostischen
Schwierigkeiten bereiten soll. Beschreibung zweier Fälle.
Louis Ombredanne: Beitrag zum Studium der Frak¬
turen des Astragalus. (Ibid., August und September 3902.)
O. tritt hier auf Grund eigener zahlreicher Leichenexperimente
(42) der von Ballenghien aufgestellten und seitdem (1890)
allgemein acceptierten Theorie entgegen, dass die Frakturen des
Astragalus beinahe ausschliesslich durch Zermalmung entstehen,
vielmehr lehrten dessen Experimente, dass der Astragalus primär
unter dem Zug der sich an ihm inserierenden Bänder frakturiert
'der Astragalus ist der Hebelarm, welcher zwischen der einwirken¬
den Gewalt und dem fixen Punkte bricht, weil die beiden letzteren
unüberwindlich sind). Nach dieser Theorie von O m b r e d a n n e
:md die eigentlichen Zermalmungsfrakturen (durch direkte oder
indirekte Gewalt) des Sprungbeins ausserordentlich selten; die¬
jenigen durch Zug und Zerrung die meist vorkommenden. Man
unterscheidet hier wieder 1. die Fraktur quer durch Hals und
Körper, 2. die sagittale durch das Corpus astragali und 8. Ab-
1977
Sprengung der hinteren Tuberkula. Diese verschiedenen Arten
kommen je nach der Stellung, welche der Fuss während der Ein¬
wirkung der Gewalt einnimmt, vor. Die Frakturen von Hals und
Ivorper des Sprungbeins sind charakterisiert durch die Verschie¬
bung des ganzen Fusses nach innen mit oder ohne Umstellung der
I lanta nach innen (diese Deformation ist bei intakten Malleolen
beinahe charakteristisch), die Fraktur der hinteren Höckerchen
durch anhaltende Leistungsunfähigkeit des betreffenden Gliedes
und durch den Schmerz an der Achillessehne. Im übrigen wird
wohl nur die Radiographie vollständige Sicherheit der Diagnose
bieten. In therapeutischer Hinsicht empfiehlt O. bei den Frak¬
turen von Hals und Körper die totale Exstirpation des Sprung¬
beines, bei den Absprengungen der Höckerchen die Abtragung
des abgerissenen Knochenfragments. Die Einzelheiten der sehr
instruktiven Arbeit sind nur vermittels der (28) beigegebenen
Zeichnungen verständlich.
. K- B. Mar f an: Die im Jahre 1901 und 1902 beobachteten
Falle von maligner Diphtherie. (Annales de medecine et Chirurgie
infantiles, 15. August 1902.)
Unter 1303 Diphtheriefällen, welche vom 1. März 1901 bis
1. Maiz 1902 im Spital des Enfants-Malades zur Behandlung ge-
kommen sind, gab es 271 Todesfälle = 20,79 Proz.; rechnet man
diejenigen (13/) ab, welche in den ersten 24 Stunden verstorben
sind, so ergibt sich nur eine Mortalität von 11,49 Proz. In dieser
Zeit kamen hauptsächlich 2 Formen von Diphtherie zur Behand¬
lung: die gewöhnliche und die maligne. Bei ersterer hat das Heil
seium eine gewöhnlich präzise eintretende Wirkung, bei letzterer
eine nur langsame und unsichere. Von der malignen Diphtherie
unterscheidet M. wieder 3 Unterarten: 1. üebergang des diphtlieri-
tisclien Prozesses auf die Atmungsorgane (Kehlkopf u s. w )
2. Die maligne Form ist charakterisiert durch Hämorrhagien und
besonders Ecchymosen, sie ist ebenso häufig und ebenso schwer
verlaufend wie die erste, aber ihre Entwicklung ist etwas lang¬
samer; es kommen nicht nur Nasenbluten und Blutungen aus dem
uaclien, sondern auch Häinatcniese, Mclaena, Hämaturie und bo-
sonders zahlreiche Ilautecchymosen vor. Die 3. Form der malignen
Diphtherie ist diejenige mit viel langsamerem Verlauf; die Mem-
bianen fallen zwar unter dem Einflüsse des Serums ab, jedoch
sehr spät (G. — 8. Tag) und die Schleimhaut zeigt sich an ihren
Stellen wieder ulzeriert und blutend; Erbrechen, welches am 8. bis
10. lag eintritt, ist gewöhnlich das schlimme Vorzeichen des
nahenden Todes. Der autoptische Befund zeigt beinahe in allen
l1 allen dieser malignen Diphtherie die gleichen Veränderungen,
welche besonders Herz (Endokarditis) und Leber betreffen.
M. hält es für sehr wahrscheinlich, dass zum grossen Teil bei
diesen Fällen eine Mikrobenassociation die Hauptrolle spielt und die
beschriebenen Zustände einer Diplokokkenseptikämie, welche durch
1 ieberlosigkeit, Bildung von Herzthromben, Degeneration innerer
Organe sich auszeiclinet, zum Teile wenigstens zuzuschreiben sind.
Daher auch die Unwirksamkeit des Heilserums. Trotzdem hält
M. daran fest, dass diese malignen Formen desto seltener Vor¬
kommen, je früher das Serum injiziert wird, d. h. je früher die
Toxine neutralisiert werden, so dass die sekundäre Infektion
keinen günstigen Boden mehr findet. Mau muss also das Heil¬
serum so bald wie nur möglich anwenden und darf keineswegs
das Resultat der bakteriologischen Untersuchung ab warten.
Barbie r: Einige Todesursachen bei der Diphtherie. (Ibid
1. September 1902.)
B. bespricht hier auf Grund zahlreicher Sektionsbefunde
zwei Todesursachen bei Diphtherie, welche nur als sekundäre an-
zu sehen sind. Es sind das: 1. die Thrombose des Herzens und
2 die Tuberkulose. Allgemeine Blässe, Kälte der Extremitäten,
kleiner, fadenförmiger Puls, zuweilen allgemeiner Kollaps oder
auch ganz erschrecklich aussehende Angina sind in kurzem das
Bild der Herzthrombose; der Kranke bleibt vollständig bei Be¬
wusstsein, plötzlich tritt der Tod ein, meist ohne einen Schrei,
ohne Konvulsionen. Die Prognose solcher Fälle ist natürlich sein-
schlecht und die Erfolge jeder Behandlung gleich Null. Was den
Einfluss de r Tuberkulös e betrifft, so hat Verfasser die
Erfahrung gemacht, dass die Diphtherie durch eine gleichzeitig
vorhandene Tuberkulose sicher verschlimmert wird, was er durch
eine Reihe statistischer Belege auch beweist.
B i c h a t und Goepfert - Nancy: Eitrige Arthritis im
Verlaufe der Bronchopneumonie. (Revue mensuelle des maladies
de l’enfance, August 1902.)
Die Gelenkskomplikationen im Verlaufe der Lungenentziin-
dung, des Typhus und aller Infektionskrankheiten sind schon seit
langem beschrieben worden. Im Kindesalter scheinen sie jedoch
ausserordentlich selten zu sein, denn in der Klinik H a u s li a lter
v ar unter 275 Fällen von Pneumonie keine solche Komplikation
konstatiert worden. Die Verfasser beobachteten selbst 2 derartige
Fälle und bringen noch 2 weitere zur Beschreibung. In 2 dieser
Fälle von Arthritis suppurativa, welche bei Kindern im Verlaufe
der Bronchopneumonie vorkamen, hat die bakteriologische Unter¬
suchung des Eiters den Pneumokokkus und in den 2 anderen die
gewöhnlichen Eitererreger (Streptokokken, Staphylokokken) er¬
geben. Letztere zeigten sich infolge der ausgeprägten Allgemein-
inf< ktion mit multiplen Gelenkseiterungen als die schwereren und
hartnäckigeren, beide führten zum Tode. Therapeutisch ist brei¬
teste Eröffnung der Gelenkhöhle zum Abfluss des Eiters vor allem
indiziert und erwies sich auch in dem einen der beiden ersten Fälle,
avo das Knie allein betroffen war, als erfolgreich, obwohl es sieli
hier um ein erst 8 Monate altes Kind gehandelt hat.
Luigi G iordani- Rom : Beitrag zum Studium der medika¬
mentösen Milchproduktion; die Eisenmilch. (Ibid., September
1902.)
19TS
MUENOHENEK MEElClNl'SCHE WOClIENöSCllKII !•
Nu. 47.
Nachdem (las Eisen in iliu Milcli übergellt, glaubt Verfasser,
dieselbe sei als geeignetes Vehikel zur medikamentösen 1 .1 -
reichung des Eisens zu verwenden. An Tierversuchen konstat t
er. dass die Menge des in die Milch übergehenden Eisens nach ln-
ickt innen mit zunehmender Dosis um das Doppelte, ja um (las
5 fache und noch mehr vermehrt werden kann. Das ^sen findet
sich nach diesen Injektionen in der Milch als organische Verlm
düng und kann dadurch resorbiert und assimiliert werden. Die
Veränderungen, welche die verschiedenen Komponenten tet ,.
durch die Injektionen von Ferr. citr. erfahren, sind vollständig
ohne Belang. Die Menge der Milch wird durch diese Injektionen
in geringem Grade vermindert. Die Tiere (Kaninchen. Zielen)
ertragen sehr gut die hohen Dosen dieses Eisenprapaiatf , * •
gesetzt, dass man allmählich und mit Ruhepausen dieselben e -
reicht. Lokal verursacht das Mittel keinerlei unangenehme Ei-
scheinungen. Verfasser hat nach diesen Ergebnissen alie Hoff¬
nung. dass es gelingen wird, eine Eisenmdch herzusteilen, we
besonders in der Kinderpraxis von Nutzen sein wird. Anfuhiung
der gesamten einschlägigen Literatur. . ...
1\ N o beco u r t und R. Voisi n: Tuberkulose Meningitis
in apoplektischer Form, durch die Lumbalpunktion diagnosti-
Monate altes Mädchen, wegen leichter Bronchitis in das
Spital aufgenommen, fällt plötzlich in einen komatosen Zustand,
es treten Konvulsionen. Strabismus, Herz- und Atemstorungen auf,
Tod ungefähr 00 Stunden nach dem Beginn des Koma. Die 1 in
gnose (ausgesprochene Lymplioeytose des Liquor cerebrospin
konnte nur vermittels der sofort ausgefuhrten Lumbalpunktion
gestellt werden und wurde durch die Sektion bestätigt..
II alle und L. B a bonneix: 3 Fälle von Epilepsie, erfolg¬
reich mit Brom ohne Salz behandelt. (Und.)
Bis jetzt wurde diese Art Therapie, von Rieh et und
Toulouse empfohlen, nur bei Erwachsenen angewandt, die
Verfasser versuchten sie zum ersten Male bei der Epilepsie der
Kinder ln den 3 Fällen handelte es sich um einen 14 jährigen
Knaben und 2 Mädchen im Alter von 14 und 9 Jahren, bei letzterem
waren auch psychische Störungen vorhanden und m allen 3 lallen
verschwanden die Anfälle vollständig. Immerhin sind aber bis
3 g Kochsalz für den Organismus pro Tag notig, welche jedenfalls
vermittels geeigneter Nahrungsmittel einzuverleiben sind. Die
zweite wichtige Tatsache ist, dass der Organismus bei dieser ge¬
ringen Kochsalzzufuhr viel empfindlicher für die Bromwirkung ist
als im normalen Zustand und man deshalb die Dosis von 2 g
l.ei Kindern, von 4 g bei Erwachsenen pro Tag nicht überschreiten
darf Unter Einhaltung dieser Vorsichtsmassregeln verursacht die
mangelhafte Kochsalzzufuhr keinerlei unangenehme Folgen
(Albuminurie), führt im Gegenteil eine rasche und andauernde
Besserung herbei, so dass nach der Verfasser Ansicht diese Me¬
thode systematisch bei allen Fällen von Epilepsie im Kindesalter
Anwendung finden sollte.
A 11 g 1 a d e und Chocreaux: Die Stühle der Tuberkulösen
sind nicht weniger gefährlich als deren Auswurf. (Presse medi-
cale 1902, No. GO.) . . „ _ .
Gestützt auf bakteriologische und experimentelle Untei-
sucliuugen kommen Verfasser, welche an einer grossen Irren¬
anstalt tätig sind, zu diesem, für die Prophylaxe der Tuberkulose
so wichtigen Ausspruch. Derselbe wird noch durch statistische
Daten vervollständigt, wonach die Geisteskranken in Frankreich
ein 3 mal so grosses Kontingent zur Tuberkulosesterblichkeit
liefern als die übrige Bevölkerung. In praktischer Beziehung er¬
gibt sich die Notwendigkeit, speziell in den Irrenhäusern die Tuber- •
kuiösen zu isolieren, in allen Fällen die Exkremente der Tuberku¬
lösen. einschliesslich der Stühle, zu desinfizieren und ebenso wie
die Furcht vor dem Aus würfe, die vor den Stuhlentleerungen der
Tuberkulösen allüberall zu verbreiten.
Babe -Paris: Beitrag zum Studium der Arterienverände¬
rungen beim akuten Gelenkrheumatismus. (Ibid., No. 78.) ^
Auf Grund eines eingehend untersuchten Falles kommt R. zu
folgenden Schlüssen. Der akute Gelenkrheumatismus kann, wie
schon GueneaudeMussy und H anot festgestellt haben, die
Arterien jeden Kalibers befallen und Erkrankungen, Avie prolife-
rierende Endarteriitis und Mesarteriitis verursachen. Diese letz¬
tere bedeutet den Ausdruck einer hochgradig virulenten Infektion;
sic muss die Bildung wandständiger Thromben begünstigen und bei
der Pathogenese des zum Tode führenden Herz-Gefässkollapses
eine Bolle spielen. Die Vernarbung dieser Gefässerkrankung kann
nur durch sklerotische Umbildung der Wand zu stände kommen
und so muss der akute Gelenkrheumatismus den ätiologischen Fak¬
toren der allgemeinen, postinfektiösen Arteriosklerose angereiht
Averden.
Gabriel Bertrand: Ueber die Untersuchung des im
Organismus voi'handenen Arseniks. (Annales de 1 institut Pasteui,
August 1902.)
Die Leser dieser Wochenschrift sind aus den Berichten über
die Pariser medizinischen Gesellschaften A’on den Veröffent¬
lichungen G autier s über diese Frage, Avelche besonders in ge-
riehtsärzt lieber Beziehung von Wichtigkeit ist, unterrichtet (1899
und 1900); Bertrand prüfte sorgfältigst Gautiers Unter¬
suchungen nach und hält es ebenfalls für zweifellos, dass das
I lorngewebe des Körpers Arsenik in Spuren enthalte, dessen
Quantität allerdings schwer festzustellen sei und dessen physio¬
logische Rolle noch der Aufklärung harre.
Charles Nicolle und T r e n e 1 - Rouen: Untersuchungen
über die Agglutination. Die Veränderlichkeit der agglutinieren¬
den Wirkung und der Agglutinationsfähigkeit, die Beziehungen
dieser beiden zu einander und zur Beweglichkeit der Bakterien.
U ^Verfasser glauben, dass sowohl die agglutinierende Wirkung
wie die Agglutinationsfähigkeit allen freien Zellen besonders abev
den Mikroorganismen, welche die grösste Veränderlichkeit dat-
bieten. eigen ist. Beide Eigenschaften sind untrenubai bei em
und demselben Kleinwesen vorhanden. Die Beweglichkeit spielt
dabei eine grosse Bolle, indem nur die beAveglichen Mikroorganis¬
men eine wirkliche Empfänglichkeit für die Wirkung der Agglu-
t inine zeigen und sie allein rein agglutinierend Avirken; die ihrei
.Beweglichkeit beraubten Mikroorganismen zeigen diese beiden
Eigenschaften nicht. Dieselben sind, da die Beweglichkeit der
Mikroorganismen mit den an ihrer Oberfläche vorhandenen Lilien
zusammenhängt, Eigenschaften der Umhüllungsmembran der Mi-
K rohen und sind um so ausgeprägter, je wichtiger diese Membran
isl d. li. in je grösserer Menge sie die spezifische Substanz, AveKlic
agglutinierend' wirkt und agglutinierbar ist, enthalt. In prak¬
tischer Beziehung dürften diese Untersuchungen von einigem
Nutzen, z. B. bei der Prüfung des Wassers auf Typhusbazillen
sein Dieselbe gestaltet sich sehr schwierig, Avenn nicht aggluti-
nierbare und nicht agglutinierende Bazillen vorhanden sind, je¬
doch viel leichter, wenn es gelingt, ihnen diese Eigenschaften
durch Wiederherstellung ihrer BeAveglichkeit (wiederholte Rein¬
kulturen bei relativ niedriger Temperatur) zu verleihen. Es wird
dann leicht sein, zu erkennen, ob der durchforschte Bazillus der
Avirkliclie Typhusbazillus ist oder nicht. Es könnte also eine voll¬
ständige Lösung der Frage möglich sein, ausser wenn der be¬
treffende Bazillus seine BeAveglichkeit definitiv verloren hat.
Stern- München.
Italienische Literatur.
T a 11 s i 11 i berichtet aus der chirurgischen Klinik Palermos
über Splenektomie und Talma sehe Operation bei Morbus
Banti. (Rif. med. 1902, No. TG.) ......
Es handelte sich um eine vorgeschrittene l'orm der Kiankliul.
die entfernte blutleere Milz wog 1300 g, die Leber war sehr stark
cirrhotisch, die Aszitesflüssigkeit betrug 10 Liter. Die Milzexstir¬
pation allein Aväre in diesem Falle kaum ratsam gewesen. 1 ■ eu '
rollte das bläuliche, zusammengerollte und verdickte Netz, dehnte
es ohne ScliAvierigkeit bis an die Wundränder hinan, frottierte das
Peritoneum parietale in einer bestimmten Ausdehnung mit Gaze-
bäuschclien und fixierte dann das Netz zum Teil an der inneren
Oberfläche des Peritoneums und mit seinem freien Rande zwischen
den Bändern der Abdominalwunde.
Dir Patientin genas und erholte sich innerhalb 10 lagen
langsam. Der Blutbefund wies erhebliche Besserung auf. Der
Appetit kehrte zurück. Die Patientin machte weite Spaziergange.
Der Aszites kehrte nicht wieder. .
T. glaubt, dass durch Kombination der Splenektomie mit du.
T a 1 m a sehen Operation sich die Indikation zur Operat ion bei
Morbus Banti erheblich erweitert und die Resultate bessere werden.
Scliiassi: Ueber Spinalkokainisierung. (Rif. med. 1902,
No. 99—101.) , , *
Die Bi ersehe Anästhesie hat in Italien besondere An¬
erkennung und Verbreitung gefunden. S. teilt seine Erfahrungen
über dieselbe mit. Ein Zentigramm, zugleich mit Kochsalzlösung
10° warm injiziert, genügt für eine vollkommene Anästhesie. In¬
dessen kann bei besonders prädisponierten Individuen schon 1 cg
Intoxikationserscheinungen machen, die aber leicht und nie ge¬
fährlich sind. Es ist deshalb nützlich, bei solchen Individuen
zugleich eine kleine Dosis Morphium oder Trinitrin zu injizieren.
Den nach der Operation eintretenden Kopfschmerz kann man
vermeiden, wenn man vor der Injektion eine kleine Quantität,
15_30 mg. Spinalflüssigkeit entzieht. Isotonische Lösungen, vom
theoretischen Standpunkt empfohlen, sind praktisch wertlos.
Diese Anästhesierungsmethode leistet auch in der inneren Medizin,
in der Gynäkologie und Geburtshilfe grosse Dienste.
M a n ega: Schenkelhernie, mit Harnblase als Inhalt.
Operation unter Bier scher Anästhesie, Resektion, Heilung.
(Rif. med. 1902, No. SS.) . .
Die Kruralhernie der Blase ist selten, zumal die extrapei -
toneale Varietät. Was die Behandlung anbetrifft, so herrscht
unter den Chirurgen kein allgemeines Prinzip, und man hat in
jedem einzelnen Falle zu erwägen, ob die Reduktion besser ist odet
die Exzision der ausgestülpten Partie.
M o r i redet der einzeitigen Operation von Leberechino¬
kokkusblasen das: Wort. (Bif. med. 1902, No. 146 — 148.)
ZAvei französische Autoren, Peyrot und Potherat haben
schon früher den Vorzug dieses Operationsverfahrens betont.
Eine Abstossung der pericystischen Membran, Avie sie meist
nachträglich bei Drainage zu erfolgen pflegt, ist nicht notAvendig,
wie Broca nachgewiesen hat.
M. empfiehlt die Fixierung des Parietalperitoneums an die
Wundränder, vereinigt dann nach sorgfältiger Toilette die Wunde
durch doppelte Naht: Durch die erste, eine Matratzennaht, suent
er soviel als möglich die Wunde der pericystischen Höhle zu nähern,
mit der zAveiten. kontinuierlichen, überwandlichen Naht naht er die
Wundränder. Oft erweist es sich notAvendig, Teile des sklero-
sierten Lebergewebes zu entfernen. •
Die Heilung ist bei diesem Verfahren eine weniger gestörte
und schnellere: in 2 Fällen konnten die Kranken nach 20 und
24 Tagen das Hospital verlassen.
Dies Verfahren ist natürlich nicht dort anzuAvenden, wo es
sich um partielle Vereiterung des Echinokokkensacks handelt.
2Ö. ]Sfovemt>cr 1902.
Idf.)
MtJENCITENKTl MEtllCTNISCIiß WOCltENSCTTKI FT.
( ;i sc i ii n i: Ueber den Einiiuss von Mineralwässern aut’
die Ausscheidung der Galle. (Rif. med. 1902, ISO. li;o.)
C. benutzte eine in gutem Gesundheitszustand betiiullielie
Patientin mit Galleusteinfistel dazu, um die gallentreibend»* Wir¬
kung verschiedener Mineralquellen festzustellen, namentlich der
von Montecatini in der Provinz Lucca auf der Linie Florenz _
Pistoja— Pisa, welche in Bezug auf ihren Gehalt an Chlornatrium
und schwefelsaurem Kalk Aehnlichkeit mit den Karlsbader
Wässern haben.
Die Versuche, unter allen Kautelen angestellt, ergaben, dass
das Wasser der genannten Quellen dem Karlsbader Wasser über¬
legen war. Die Ausscheidung der Galle war eine erheblich reichere,
ebenso wie der Prozentgehalt der festen Substanzen in der aus-
geschiedenen Galle. Dies Untersuchungsresultat ergab sich als ein
konstantes und C. zieht daraus die für eine ergiebige Heilwirkung
der genannten V üsser bei Leber- und Gallenleiden naheliegenden
Schlüsse.
Serafini: Ueber intravenöse Sublimatinjektionen. Be-
traehtungen und Experimente, ausgeführt im hygienischen Institut
von Padua. (Ilif. med. 1902, No. 79.)
Die intravenösen Sublimatinjektionen bewähren sich nicht
als ein mikrobentötendes Mittel, nicht einmal bei denjenigen In¬
fektionskrankheiten, bei welchen die Infektionsträger leicht und
zahlreich im Blute nachzuweisen sind, wie bei der Hühnercholera
und dem Milzbrände. Sie äussern sogar dann nicht einmal eine
parasitizide Wirkung, wenn sie dem Tierkörper im Verhältnis von
1:300 000 oder dem Blute im Verhältnis von 1:30 000 einverleibt
werden.
Es ist nach den Experimenten des Autors keinerlei Aussicht,
im intravenös einverleibten Sublimat ein Mittel gegen die ver¬
schiedensten Infektionskrankheiten zu erhalten, wie man nach der
B a c c e 1 1 i sehen Lehre erwarten musste.
Ausgenommen ist die Syphilis; bei dieser ist das genannte
Heilverfahren auch nur dann als rationell zu bezeichnen, wenn
periculum in mora.
M a n e i n i berichtet aus den vereinigten Hospitälern Li¬
vornos über den Erfolg' des S c 1 a v o sehen Milzbrandserums
in einem schweren Fall von Milzbrand. (Rif. med. 1902, No. 85.)
Mit Recht erfreue sich dasselbe in Italien einer ungeteilten
Anerkennung, welche seit dem Jahre 1S97, wo es in der Praxis ein¬
geführt sei, durch jede neue Statistik bestätigt werde.
Pasquill i: Wo findet sich das Tetanusgift bei den an
Tetanus eingegangenen Tieren? (Rif. med. 1902, No. 98.)
Bekanntlich hat das Zentralnervensystem eine besondere An¬
ziehungskraft für dasselbe.
P a s q u i n i weist durch Untersuchungen, welche er im
hygienischen Institut der Universität zu Rom anstellte, nach, dass
das Tetanusgift sich nur im Zentralnervensystem und nicht in
anderen Organen findet. Es ist darstellbar durch Extraktion mit
kohlensaurem Natron und Fällung durch Alkohol; indessen bedarf
es der Einimpfung grösserer Mengen des Präzipitats.
Wenn man durch Impfung mit Blutserum oder mit Organsaft
frisch an Tetanus eingegangener Tiere Tetanussymptome erzielt,
so ist anzunehmen, dass man Tetanusbazillen eingeimpft hat. In
den meisten Fällen sind solche an der Impfstelle durch mikro¬
skopische Untersuchung und Kulturen nachzuweisen.
F o r n a c a und M i c li e 1 i berichten über die subkutane
Injektion physiologischen Serums in Zuständen von schwerer
Blutdissolution. (La riforma med. 1902, No. 107.)
Diese Behandlung ist in der Turiner Klinik methodisch bei
schweren Anämien angewandt und mit sehr gutem Erfolg. Auf¬
fallend war von vornherein die Verbesserung des Allgemein¬
befindens. Die Untersuchung des Blutes ergab nach jeder In¬
jektion Besserung des Befundes, so dass die Autoren den Injek¬
tionen mit Sicherheit eine stimulierende und antitoxische Wirkung
zusprechen. Die Zahl und Resistenz der roten Blutkörperchen
sahen sie durch dieselbe sich vermehren, die globulizide Eigenschaft
<h*s Serums vermindern, die Funktionen der verschiedenen Organe,
der Leber, der Niere namentlich, sich bessern.
Auch andere Forscher haben ähnliche Erfahrungen gemacht;
milunter lässt aber auch das Verfahren bei Urämie, Infektionen
und Intoxikationen ohne erweisliche Gründe im Stich.
Die angewandte Dosis der physiologischen Kochsalzlösung
beträgt das erstemal 500, dann 100 und nach einigen Tagen 50 ccm,
je nach der Wirkung. Nach den Injektionen tritt Frösteln, bald
Temperatursteigerung auch bis 39 0 ein, welche unter Schweiss-
absonderung abfällt und einem besseren Allgemeinbefinden weicht.
Memmi, aus der medizinischen Klinik Sienas: Ueber die
Blutkörperchenzählung mit der neuen Friedländer sehen
Methode. (La riforma med. 1902, No. 110.)
Dieselbe bewährte sich namentlich im Vergleich mit Zählungen
vermittels des Thoma-Zeiss sehen Apparates, wie M. über¬
zeugend durch seine in 20 Fällen erhaltenen vergleichenden Re¬
sultate beweist. Der genannte Apparat ist von F r i e d 1 ä n d e r
beschrieben: „Deutsche med. Woclienschr. 1897, pag. 497. Eine
neue Zählkammer für Leukocyten."
Mariotti-Biänchi berichtet aus Grosseto über einige
seltene Malariablutbefunde. (Rif. med. 1902, No. 161.)
Er fand im peripheren Blut in 4 Fällen von 000 gereifte
Malariaparasiten und Teilungsformen, entgegen den Angaben
Kochs und der italienischen Autoren, dass solche Formen nur
aus inneren Organen entnommen werden können.
Was den Zeitpunkt des Auftretens der Semilunarformen im
tliessenden Blnte bei frisch Ei'krankten anbelangt, so geht nach den
Forschungen Biguamis und Bastianellis mit Recht die
Ansicht dahin, dass dieselben ersl hüelislens 7 X i Tag»* nach
dem ersten Fieberanfall auf treten. M.-B. will dieselben, aller¬
dings nur in einem einzigen Fall»*, schon nach dem ersten An¬
fall beobachtet haben. Sicher hatte der Kranke vorher nicht au
einem Malariaanfalle gelitten, sich überhaupt auch nicht krank
gefühlt.
Benenn ti: Ueber den neuritischen Ursprung der Angina
pectoris bei Aortitis syphilitica.
Die Angina pectoris-Anfälle bei syphilitischer Aortenerkran¬
kung werden meist so interpretiert, dass Veränderungen der Ge-
fässwand der Aorta in der Gegend der Koronararterien oder Ver¬
änderungen der Koronararterien selbst durch Störung der Zir¬
kulationsverhältnisse im Herzmuskel diese Anfälle hervorrufen.
B. führt aus der Klinik Gardarellis in Neapel (La riform.
med. 1902, No. 104 — 106) eine Reihe von Fällen an, welche be¬
weisen, dass es sich häufig um nervöse Läsionen im Plexus aorticus
oder Plexus eoronarius handelt. Es fanden sich in diesem Plexus
feine Veränderungen an den kleinsten, die Nervenstämmchen be¬
gleitenden Blutgefässen: obliterierende Arteriitis terminalis, da¬
neben auch kleinzellige Infiltrationen, auch minimale Gummi¬
knötchen. Diese Affektion des Plexus erklärt auch die schnelle
Besserung der Anfälle, welche nach einer spezifischen Behandlung
häufig beobachtet werden. Die durch Entzündung der Aorta und
der Kranzarterien entstandenen Veränderungen sind meist vi»*l zu
schwer, als dass ein so schneller therapeutischer Erfolg sich er¬
klären liesse.
Gravagna berichtet über einen Fall von syphilitischer
Muskelkontraktur, betreffend den Adduktor longus des Ober¬
schenkels. (Aus dem Institut für Hautkrankheiten und Syphilis
von Prof. De Luca - Catania.) (Rif. med. 1902, No. 87.)
Derartige Kontrakturen seien bisher nur am Biceps und an
den Flexoren der oberen und unteren Extremität beobachtet.
Diese Kontraktur stellte sich 16 Monate nach dem Frimäraffekt
ein; sie wich einer antiluetischen Behandlung nur teilweise.
Magri: Das Kernig sehe Symptom bei Ischias. (Rif.
med. 1902, No. 83.)
Das Kernig sehe Symptom, nach seinem Autor differential-
diagnostisch für Meningitis, wird von den Beobachtern mehr und
mehr dieser spezifischen Bedeutung entkleidet. M. erwähnt einen
Fall A’on Ischias ohne jede Beteiligung des Zentralnerven¬
systems, in welchem er es konstatierte.
Nizzoli: Ueber den diagnostischen Wert der Diazoreaktien.
(La rif. med. 1902, No. 118 u. 119.)
Der Wert dieser Reaktion wird bekanntlich dadurch beein¬
trächtigt, dass sie sich in verschiedenen Krankheitsprozessen
finden kann; so fand N. sie in einer grösseren Versuchsreihe nicht
nur bei Tuberkulose und Typhus, sondern auch bei allen von ihm
untersuchten Masernkranken, bei Pleuritis, Polyserositis.
Immerhin aber ist für die Praxis tlie Diazoreaktion von Be¬
deutung. Sie ist leicht auszuführen, erfonlert keinerlei besondere
Apparate und findet sich bei Typhus ausnahmslos.
Bei Tuberkulose fehlt die Reaktion meist in den Anfangs¬
stadien; ihr Vorhandensein zeigt meist einen rapiden und un¬
günstigen Verlauf an; ist demnach als ein schweres Zeichen auf¬
zufassen.
D’Amato berichtet über allmähliche Umwandlung von
zwei Fällen von Diabetes insipidus in Diabetes mellitus. (La
riforma med. 1902, No. 110.)
Dieselbe erfolgte in dem einen Falle nach etwas über ein¬
jährigem Bestehen, in dem andern hatte der Diabetes insipidus
lange Jahre vorher bestanden. In beiden Fällen machte es nicht
den Eindruck, als ob die zweite Krankheit zur ersten hinzutrat,
sondern mehr, als ob die zweite auf die erste folgte. Bemerkens¬
wert erscheint, dass die g»?eignete Kur sowohl auf die Polyurie,
als auf die Glykosurie wirkte. D’A m a t o gibt an, dass mit diesen
beiden bisher erst 6 Fälle einer derartigen Umwandlung in der
medizinischen Literatur berichtet seien, dieselbe demnach sehr
selten sei.
Boncoroni: Ueber marklose perizelluläre und peri-
dendritische Fasern in der Gehirnrinde. (Rif. med. 1902, No. 121
u. 122.)
II., Leiter der Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten in
Oagliari, liefert neue Beiträge zur Struktur der nervösen Apparate
der grauen Substanz der Gehirnrinde, wie sie durch verbesserte
mikroskopische Technik gewonnen wurden. Es gelang ihm, ein
ausserordentlich fein verzweigtes, markloses Netzwerk feinster
Fasern um die Zellkörper und die protoplasmatischen Zellfortsätze
herum festzustellen, Fasern, im Vergleich zu welchen die proto¬
plasmatischen Zellfortsätze als dicke Stränge erscheinen. Es liegt
auf der Hand, dass diesem feinsten Netzwerk, welches sich nir¬
gends an anderen Stellen des Zentralnervensystems in glei¬
cher Reichlichkeit findet wie hier, eine bestimmte Funktion
zuzusprechen ist, und dass angesichts dieses übrigens auch von
anderen Autoren erhobenen Befundes die schematische Theorie
der Neurone einer erheblichen Erweiterung bedarf und der Autor
bemüht sich, entsprechende Thesen aufzustellen.
F i o r i: Zur Histologie der F a 1 1 o p i sehen. Thromben bei
der uterinen Schwangerschaft. (Rif. med. 1902, No. 78.)
Die stärkere Blutzufuhr zum graviden Uterus übt ohne Zweifel
auch einen Einfluss auf die unmittelbar benachbarten Organe.
Es entsteht eine Verdickung und Vermehrung aller Gewebs-
elemente. Dieselbe bezieht sich aber nur auf den uterinen Teil
der Tube und reicht nur bis zum Tuben-Isthmus. In der weiter
peripheren Region handelt es sich nur um eine Vennehrung der
Blutzufuhr.
so
MUENCHENFU M EDIC’I N I S( I IE WOCIIENSCl I El B ;T.
No. 47.
Kino Hypertrophie der epithelialen Tubenaiiskleiduiig, wie sie
<; r u » d e w angibt, ebenso ein Verschwinden des Flimmerepithels,
wie J a not bei der menschlichen Tube beobachtet haben will, hat
F bei seinen Tierexperimenten nicht bestätigen können.
H a g e r - Magdeburg N.
Inaugural-Dissertationen.
Universität Greifswald. September nichts erschienen.
Oktober 1902.
32. Scola Anton: Ueber krebsige und sarkomatöse Entartung
von Paukreascysten.
Vereins- und Kongressberichte.
Vom französischen Chirurgenkongress
in Paris v o m 20. — 25. Oktober 1902.
(Eigener Bericht.)
Der XV. Kongress der französischen Chirurgen war über¬
haupt weniger belebt und interessant als dieselbe Versammlung
im vorigen Jahre. Nach der Antrittsrede des Vorsitzenden, Herrn
Prof. J. Re v erdin- Genf, „Ueber die Aethernarkose“, in wel¬
cher Vortr. als unbedingter Anhänger des Aethers dem Chloroform
gegenüber auf getreten ist, wurden die Berichte über die zwei aut
die Tagesordnung gesetzten Fragen vorgelesen: „Die Chirurgie
dos Herzens und des Perikardiums“ von T e r r i e r - 1 uns und
Reymond- Paris und „Die Behandlung des Tetanus von
V alias- Lyon. Beide brachten wenig Neues.
Von den anderen Mitteilungen seien folgende erwähnt:
Guinard- Paris: Ueber Appendizitis mit pleuri tischen
jyietastasen.
Vortr. sprach über eine besondere Form von Appendizitis mit
links- oder rechtsseitiger Pleuritis kompliziert, wo letztere nicht,
wie es gewöhnlich bei solchen Komplikationen dei Fall ist, pei
contiguitatem, sondern als septikämische Metastase entsteht.
G. hat 2 Fälle dieser Form beobachtet.
Im ersten von ihnen handelte es sich um einen 11 jährigen
Knaben, der im akuten Anfall von Appendizitis operiert worden
w:tr. Die infektiös-entzündlichen Läsionen erstreckten sich hier
von der Fossa iliaca bis zur unteren Fläche der Leber. Eine
Woche nach der Ablation des erkrankten Wurmfortsatzes ent¬
wickelten sich plötzlich die Symptome einer akuten linksseitigen
Pleuritis exsudativa. Bei der Probepunktion wurden 350 ccm
seröser Flüssigkeit entleert. Aber schon 2 Tage nachher ver¬
schlechterte sich noch der allgemeine Zustand des kleinen Pa¬
tienten. Mehrere in verschiedenen Richtungen vorgenommene
Probepunktionen (eine davon verletzte den Magen, ohne üble
Folgen nach sich zu ziehen) ergaben keine Spur von Eiter. Darauf
schritt Vortr. zur explorativen Pleurotomie und fand einen zwi¬
schen Zwerchfell und linker Lunge gelegenen, mit stinkendem
Eiter gefüllten Abszess, welchen er evakuierte. Der Knabe genas.
Die zweite Beobachtung betraf einen 50 jährigen Mann, der
seit mehreren Jahren an öfteren, aber ziemlich leichten Krisen
von Appendizitis laborierte. Im Anschluss an einen solchen An¬
fall entstand links ein seröser pleuritischer Erguss, von dem der
Kranke nach Entleerung zirka eines Liters des Exsudats genas.
1 Jahr später ereignete sich ein neuer, viel stärkerer Anfall von
Appendizitis, dem bald eine Pleuritis suppurativa dextra folgte.
G. machte die Empyemoperation mit Rippenresektion und ent¬
fernte mehr als einen Liter Eiter aus dem rechten Pleurasack.
<» Wochen später entstand ein neuer Anfall von Appendizitis, wäh¬
rend dessen sich ein sehr reichlicher Eiterausfluss aus der noch
vorhandenen Pleurafistel einstellte. Nach Zurückgehen der ent¬
zündlichen Erscheinungen wurde der Wurmfortsatz reseziert.
Vortr. ist der Meinung, dass in diesen beiden Fällen die Kom¬
plikationen seitens der Pleura nicht vom Zwerchfell aus durch In¬
fektion der Lymphbalinen, sondern als entfernte Metastasen
einer durch die Appendizitis bedingten allgemeinen Septikämie
entstanden sind. Er hebt die Korrelation zwischen der Natur des
pleuralen Ergusses und der Intensität des Appendizitisfalles her¬
vor- bei leichten Anfällen bleibt der Pleuraerguss serös, bei starken
Krisen wird er purulent bei demselben Patienten. Es folgt aus
diesen Beobachtungen, dass man bei gewissen Pleuritiden nach
der Möglichkeit ihrer Entstehung als Metastasen von einem in¬
fizierten Wurmfortsatz aus immer forschen soll.
Begouin - Bordeaux: Die Punktion des rechten Herz-
ventrikels mit nachfolgender Aspiration als Mittel zur Be¬
kämpfung drohender Erscheinungen nach Eintritt der Luft in
die Venen.
Vortr. hat sich auf experimentellem Wege überzeugen können,
dass der Tod nach plötzlichem Eintritt von Luft in eine ange¬
schnittene Vene als Folge einer akuten Hyperdilatation des rechten
1 lorzventrikels durch die eingedrungene Luft zu betrachten ist.
In der Tat gelang es ihm, Hunde, die nach Injektion von Luft
in die Jugularis schon moribund waren, durch eine aspiratorisclie
Punktion des rechten Ventrikels zu retten: das Herz fing wieder
zu schlagen an und die Tiere erholten sich; das Testierende Quan¬
tum von Luft im Blutkreislauf schien keine üble Wirkung auszu-
iiben. B. schlägt nun vor, dasselbe Mittel beim Lufteintritt in
die Venen während einer Operation auch beim Menschen zu ver¬
suchen. Jedesmal, wenn man in einer (für solche Zufälle) ge¬
fährlichen Region operiert, soll man einen Aspirator von D i e u -
1;i foy bereit halten. Entstehen drohende Erscheinungen infolge
von Lufteintritt in die Venen, so punktiere man den rechten Ven¬
trikel am linken Stemalrande im 4. Interkostalraume und sauge
aus ihm die Luft heraus. Die Aspiration solle man fortsetzen,
bis sie nicht mehr reine Luft, sondern nur schäumendes Blut
herausbefördert.
T h i e r r y - Parts: Direkte Luftinsuff lationen durch eine
Tracheotomiewunde bei Chloroformscheintod.
Solange die Pupillen unter dem Einfluss des Chloroforms
kontrahiert bleiben, können nach Vortr. die während der Narkose
auf tretenden üblen Zufälle durch die künstliche Respiration, die
rhythmischen Traktionen an der Zunge nach dem Verfahren von
Labor de oder anderen bei solcher Angelegenheit gewöhnlich
gebrauchten Belebungsmittel mit Erfolg bekämpft werden. Wenn
aber die Pupillen sich erweitern, so ist es ein Zeichen des baldigen
Todes. In diesem Fall gibt es für den Kranken, nach Thierry,
nur ein Rettungsmittel, mit dem man nicht zu warten darf, näm¬
lich die Tracheotomie mit nachfolgender Lufteinblasung in die
Trachea durch eine Kanüle. Bevor man einbläst, wird die Trachea
durch Aspiration von dem sich in ihr angesammelten Schleim be¬
freit. Die Insufflationen sollen nicht zu rasch nacheinander folgen;
sie müssen sauft, aber nachhaltig sein. Man insuffliere mit dem
Mund.
B e r t h o mi e r - Moulins: Genesung mit Erhaltung der.
Sprechfähigkeit nach vollständiger Zerstörung der zweiten
linken frontalen Hirnwindung bei einem Linkshändigen.
Dieser Fall hat eine mehr als rein kasuistische Bedeutung.
Es handelte sich um einen 70 jährigen linkshändigen Mann, dem
beim Stürzen auf die schneidende Kante eines eisernen Balkens
der Schädel weit geöffnet wurde. Bei seinem Eintritt ins Kranken¬
haus wurde bei ihm ein von der Augenbraune bis 2 cm hinter
die Ohrmuschel sich erstreckender Defekt der linken Schädelhälfte
festgestellt. Er betraf das Tuber frontale, die Hälfte des Scheitel¬
beins und den grössten Teil der Pars squamosa des Schläfenbeins.
Die harte Hirnhaut war in der ganzen Ausdehnung der knöcher¬
nen Wunde geöffnet. Die beiden vorderen unteren Drittel des
Sulcus Rolando mit einer Schicht Sand bedeckt. Die zweite fron¬
tale Hirnwindung vollkommen zertrümmert. Zwei benachbarte
Windungen durch einen scharfkantigen Knochensplitter zer¬
schnitten. Nach sorgfältiger Reinigung und Waschung der Wunde
mit einer wässerigen Lösung von Wasserstoff hy peroxyd wurde
vernäht und drainiert. Die Heilung erfolgte ohne jeden bösen
Zufall. Der Kranke genas mit Erhaltung seiner Sprechfähigkeit.
3 wichtige Punkte sind aus dieser Beobachtung hervorzuheben:
die Integrität der Sprache trotz einer vollkommenen Zerstörung
der zweiten Frontalwindung mit dem Zentrum von Broca bei
einem Linkshändigen, die Toleranz der entblössten Hirnsubstanz
für die wässerige Lösung von Wasserstoff hyperoxyd (Eau oxy-
genee) und die ungewöhnliche Ausdehnung der Schädel- und Hirn¬
läsionen ndt Ausgang in Heilung.
G a 1 e z o w s k i- Paris: Eine neue Behandlung der Netz-
liautablösung.
Nach Vortr. ist die Netzhautablösung meistens traumatischen
Ursprungs. In einem myopischen, in die Länge gezogenen und
gespannten Augapfel entsteht leicht unter dem Einfluss eines
Traumas (unmittelbar nach ihm oder einige Monate später) eine
Zerreissung der Bündel der Zonula Zinni im äusseren unteren Qua¬
dranten. Es bildet sich so eine Fistel, durch welche der Humor
aqueus unter die Retina dringt und sie in einer gewissen Aus¬
dehnung ablöst. G. hat diese Veränderungen aufs deutlichste
bei Untersuchung von Schnitten enukleierter Augen feststellen
können. Andrerseits fand er bei Aspiration des hinter der Retina
angesammelten Ergusses in vielen Fällen von Netzhautablösung,
dass diese Flüssigkeit dem Humor aqueus identisch ist.
So ist Vortr. zu einer rationellen Behandlung der Netzhaut¬
ablösung gekommen, die in der Aspiration des subretinalen Er¬
gusses mit nachfolgender Galvanokauterisation der retino-choroi-
dealen Wunde besteht. Dazu bedient er sich eines besonderen
schmalen Messers und einer speziellen Kanüle. Man punktiert
den Bulbus im unteren äusseren Quadranten und, nach Entfernen
des Ergusses, führt durch die sklerotikale Wunde eine lange
galvanokaustische Nadel tief in die inneren Häute des Augapfels
ein. Auf diese Weise kauterisiert man die abgelöste, zerrissene
Netzhaut und zugleich auch die Choroidea. Nach der Aetzung
legt man einen Okklusiv- und Druckverband für 7 Tage an. Durch
diese Behandlungsweise hat G. bisher immer die besten Resultate
erzielt. ,
C a 1 o t - Berck-sur-Mer: Konservative Behandlung der
Hodentuberkulose.
Schon längst greift Vortr. nicht mehr zur blutigen Operation
bei der Tuberkulose des Hodens und Nebenhodens. Wenn es sich
um eine einfache tuberkulöse Infiltration dieser Teile handelt, be¬
nützt O. die sehr oft vorhandene Hydrocele für Einspritzung von
Naplitholum camphoratum in den Sack der Tunica vaginalis. Be¬
steht keine Hydrocele, so sucht er sie durch reizende Einspritz¬
ungen zu bewirken, um nachträglich zu Injektionen von Naplitholum
camphoratum zu schreiten. Bei geschlossenen Erweichungen ver¬
fährt er wie bei gewöhnlichen kalten Abszessen. Hat er mit einer
Fistel zu tun, so spritzt er das Naplitholum camphoratum in die¬
selbe und in ihre Umgebung ein. Eine solche Behandlung hat dem
Vortr. immer recht befriedigende Resultate, selbst in schweren,
durch multiple Fisteln komplizierten Fällen von Hodentu er
luilose, ergeben.
25. November 1002.
M ÜENOHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
1981
G a u t.h i e r - Luxeuil: Ueber die Anwendung des Thermo¬
kauters bei der Trepanation des Warzenfortsatzes.
Bei der Trepanation des Warzenfortsatzes rät Vortr., sieh zur
Inzision der \V eickteile und Entblössung des Knochens des Thermo¬
kauters zu bedienen. Dadurch gewinnt man die Möglichkeit jede
störende Blutung und die Anwendung der Ecarteure bei der Ope¬
ration zu vermeiden. Zugleich schafft die' breite Kauterisation
dem entzündlichen Prozess eine Ableitung, welche sich durch die
vollkommene Schmerzlosigkeit beim Verbandwechsel äussert. Die
Dicke der Weichteile, durch welche man mit dem Brenner dringen
muss, um auf den Knochen zu gelangen, scheint viel beträchtlicher,
als wenn man mit dem Messer operiert: sie kann 15 _ 20 mm er¬
reichen. Den Warzenfortsatz selbst eröffnet man mit Meissei und
Hammer. Die Wunde wird wie gewöhnlich verbunden.
Moty (Militärarzt): Ueber den hinteren Schnitt bei der
Empyemoperation.
Anstatt des üblichen lateralen Schnittes schlägt Vortr. vor,
beim Pleuraempyem am Rücken zu inzidieren. Der etwas schräg
verlaufende Schnitt muss in der Richtung der Fasern des M latis’-
simus dorsi und durch dieselben so geführt werden, dass dessen
Mittelpunkt um eine Fingerbreite unter dem Schulterblattwinkel
zu liegen kommt, um in den Pleurasack durch den S. oder 9 Inter¬
kostalraum gelangen zu können. Dieses Verfahren hätte vor der
klassischen lateralen Inzision den Vorzug, keine Dauerfistel und
keine störende Narbe zu hinterlassen. Dabei sei es leicht und
rasch ausführbar.
Schmerzen immer grösser werden, ohne dass an der rechten Seite
ein Unterschied im Widerstand der Bauchmuskeln wahrnehmbar
sei, wenn das Erbrechen nicht aufhört und der Puls sehr häufig
und klein bleibt. Wenn starke Schmerzen in der rechten Fossa
iliaca bestehen, ohne starke Allgemeinerscheinungen, dann wird
die Diagnose von Appendicitis Simplex gewöhnlich richtig sein;
eine Operation ist bloss dann nötig, wenn die Schmerzen mehrere
Tage anhalten und eine leichte Induration entsteht.
In der Untersuchung des Blutes findet man ein sehr wert¬
volles Hilfsmittel; die Beobachtungen des Ref. haben ihn zu fol¬
genden Schlussfolgerungen geleitet: 1. Am Anfang der Krankheit
hat die Vergrösserung der Leukocytenzalil keine Bedeutung, weil
sie in allen Formen entsteht. 2. Die Leukocytose hat für die Dia¬
gnose späterer Eiterungen und Abszesse eine grosse Bedeutung.
3. Gänzlich eingeschlossene Abszesse geben keine nennenswerten
Aenderungen im Blut. 4. Nach Ablauf der akuten Appendizitis
kann die Blutuntersuchung zur Diagnose helfen zwischen Ileus und
Bauchfellentzündung.
Referent warnt vor der Resektion des Fortsatzes während
des akuten Anfalles; sie darf bloss vorgenommen werden, wenn
die Art der Adhäsionen es ermöglicht, nicht wenn der Abszess
gross ist, und der Fortsatz in den Wänden desselben eingeschlossen
bleibt. Besser ist es, wo möglich zu warten, bis die Palpation
gar nicht mehr schmerzhaft ist.
Prof. G a 1 1 e t - Brüssel ist auch kein Freund der systema¬
tisch durchgeführten Frühoperation. Er gibt in folgender Tabelle
seine Ansichten wieder:
Belgische Gesellschaft für Chirurgie.
Aus der Jahresversammlung vom 8.— 10. September 1902.
(Eigener Bericht.)
Die chirurgische Behandlung der Appendizitis.
Referent, Prof. Pr. B r o c a - Paris, war früher ebenso wie
D i e u 1 a f o y ein Anhänger der frühzeitigen Operation für alle
Fälle. Seine Ansicht hat er indes sehr geändert, und seitdem
haben sich seine eigenen Sterblichkeitsprozente erheblich gebessert;
dieselben sind von 33 Proz. auf 13,33 Proz. gefallen. Ref. ist
Direktor der chirurgischen Abteilung des Höpital Tenon, und
seine Erfahrung bezieht sich auf die Kinderpraxis. Die früh¬
zeitige Operation kann sehr nachteilig sein, weil der Chirurg
frische Adhäsionen zerreissen kann und eine Verbreitung der Eiter¬
herde möglich macht. Die Operation „ä chaud“, d. li. während des
akuten Anfalls, hat auch den grossen Nachteil, dass die Wunde
tamponiert werden muss und sich langsam schliesst. Die Schwere
der Krankheit hängt nicht vom anatomischen Zustand des Wurm¬
fortsatzes ab, sondern von der Reaktion im Bauchfell. Ref. teilt
die Fälle in 4 Sorten ein: a) die diffuse, septische oder eitrige
Peritonitis; b) die zirkumskripte, adhäsive oder eitrige Peritonitis;
c) die akute, einfache Appendizitis ohne Peritonitis; d) die chro¬
nische Appendizitis mit oder ohne akute Anfälle. Im ersten Fall
pflegt Referent zu operieren; Auswaschen des Bauchfells lässt er
jetzt fort. Bei eingetretener Sepsis ist die Operation nutzlos,
jedenfalls kann der Kranke ebensowohl ohne dieselbe zur Heilung
kommen; obwohl selten, kommen derartige Fälle vor. Oefter
haben sich die ersten stürmischen Erscheinungen gelindert, und
der charakteristische lokale Widerstand, der ,, Plastron“ der Fran¬
zosen, hat sich gebildet, der von einem lokalen Verteidigungsreflex
abhängt. Hier soll man ohne Eile abwarten, und bloss eingreifen,
wenn der Eiter gar nicht zur Resorption gelangt, oder eine all¬
gemeine Bauchfellentzündung droht.
Ref. hält es in den meisten Fällen für gefährlich, den Wurm¬
fortsatz während des Anfalles zu resezieren, weil sehr oft auf diese
Weise schwache Adhäsionen zerrissen werden. Es ist nicht richtig,
dass nach einer frühzeitigen Resektion sekundäre Abszesse aus¬
geschlossen sind. Der einzige Vorteil könnte sein, dass die Ver¬
narbung besser geschieht.
Die Operation ,,ä froid“, d. li. wenn keine Entzündung besteht,
soll vorgenommen werden, wenn ein akuter Anfall vorhergegangen
ist, oder wenn die Krankheit vom Anfang an einen chronischen
Verlauf genommen hat. Eine ähnliche chronische Appendizitis
gibt leicht Anlass zu Verwechslungen, da sie oft das Aussehen eines
Magenkatarrhs behält.
Referent, Prof. Dr. Sonnenburg’ - Berlin, nimmt dieselbe
Stellung wie Prof. Broca ein. Die Appendizitis ist eine chro¬
nische Krankheit, die mit oder ohne akute Anfälle verlaufen
kann. Jeder nicht normale Wurmfortsatz ist für das Leben ge¬
fährlich. Referent war früher auch ein Anhänger der sofortigen
Operation; er hat indes seine Meinung vollständig geändert, und
versucht jetzt immer, die Operation in die Ruheperiode zu verlegen.
Diese Handlungsweise hat auch in der Statistik die besten Re¬
sultate gegeben (Moabit). Der anatomische Zustand des Fort¬
satzes hat für den Verlauf der Krankheit die grösste Bedeutung.
Daher empfiehlt es sich, dass der Arzt soweit wie möglich diesen
Zustand kenne. Referent unterscheidet drei Fälle: 1. Appendicitis
simplex, die Entzündung ist nicht sehr verbreitet und das Bauch¬
fell ist noch gesund; 2. Appendicitis perforativa, der Wurmfortsatz
ist durchgebrochen, aber im Bauchfell haben sich schützende Ad¬
häsionen gebildet; 3. Appendicitis gangraenosa. Im letzten Fall
nützen Adhäsionen nicht mehr.
Es ist gewiss eine schwierige Aufgabe, diese Fälle von
einander zu unterscheiden. Wenn der charakteristische Wider¬
stand, der „plastron“, entsteht, so hat man wahrscheinlich mit
einer lokalisierten Appendizitis zu tun; es ist dann besser, zu
warten. Im Gegenteil ist das Eingreifen notwendig, wenn die
Wann soll operiert
werden ?
Wie soll operiert
werden ?
1. Appendizitis in den
ersten 24 Stunden
Sofort
A. Laparotomie ; Re¬
sektion des Fortsatzes
ohne Drainieren.
B. Laparotomie ; keine
Resektion , wenn Ad¬
häsionen im Wege
stehen.
2. Appendizitis mit
lokalisierter Bauchfell¬
entzündung
A. Abwarten
B. Operieren , wenn
der offenbar eitrige
Herd eine grössere
Ausdehnung fürchten
lässt
A Medizinische Be¬
handlung.
B Laparotomie ; den
Fortsatz soll man ni: ht
suchen. Drainieren.
3 Allgemeine Bauch¬
fellentzündung
Sofort
Oeffnen u. Drainieren.
4. Septische allgem.
Bauchfellentzündung
Sofort
Mehrere Oeffnungen.
Auswaschen mit H2 O2.
5. Appendizitis
„ä froid“
—
Laparotomie.
Medizinische Streiflichter aus Amerika.
Eine Eerienrundfahrt vom Aerztekongress in Saratoga über
die Adirondacks nach Canada, den weissen Bergen und Boston.
Von Carl Beck in New-York.
(Fortsetzung.)
In der pädiatrischen Sektion gelingt es F r e u d e n t li a 1 -
New-York, in das vielbesprochene Thema von den adenoide n
Vegetationen eine Anzahl von neuen Auffassungen hinein¬
zutragen. So bespricht er zunächst die „akuten Entzündungen der
Pharynxtonsille“, deren Vorkommen bei Kindern ein keineswegs
seltenes sei, ihre Diagnose und Therapie.
Bei den chronischen Formen dieser Krankheit, den wohl-
bekannten „Vegetationen“, ist es die Aetiologie, die ausführlich er¬
örtert wird. Bei den modernen Eeziehungsmethoden in Schule
und Haus entwickeln sich im Retropharynx die verschiedenen
„katarrhalischen“ Zustände, die wiederum einen vorzüglichen
Nährboden für alle möglichen Infektionsstoffe darbieten. So
glaubt F. den Nachweis geliefert zu haben, dass die Tuberkulose
hier häufig ihre Eingangspforte findet; es werden auch Fälle be¬
richtet, bei denen Eiterungen aus Haisdrüsen prompt nach Ent¬
fernung der Vegetationen aufhörten. Dieselben stellen häufig
nichts anderes dar, als die Reaktion, die eintritt nach der Invasion
des Tuberkelbazillus, mag man nun dieselben noch in loco finden,
oder mögen sie schon in tiefere Lymphbalmen gedrungen sein.
Die Entfernung dieser Wucherungen wird heutzutage leider
zu oft und zu gründlich vorgenommen. Ein Pharynx, bei dem
die ganze Schleimhaut sozusagen wegrasiert wurde, ist ebenso un¬
tauglich für die Atmung und Verdauung, wie ein mit Wucherungen
überfüllter.
Eine häufige Ursache der Misserfolge nach Operationen ist
die, dass man auf die bestehenden Nasenkatarrhe keine Rücksicht
nimmt. Behandelt man die letzteren nicht, so werden sie häufig
die Ursache von Rezidiven.
Fischer- New-York spricht über M i 1 e li Idiosyn¬
krasie im Kindesalter. Er beobachtete dieselbe gerade
so, wie man Idiosynkrasien gegen gewisse Medikamente begegnet.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
: ’S2
Nur selten zeigt sich dieselbe bei Brustkindern, das Gros wird
durch die mit Kuhmilch ernährten Kinder repräsentiert. Im All¬
gemeinen war der Symptomenkomplex aus Störungen zusammen¬
gesetzt, wie man sie eben findet, wenn gewisse Nahrungsformen
nicht vertragen werden, so namentlich kolikartige Anfälle, Bläh¬
ungen. Erbrechen und selbst Fieber. Demgemäss fehlt auch jede
Gewichtszunahme. Die dyspeptischen Stühle solcher Kinder ent¬
hielten unverdaute Kaseinflocken. Sobald die Milchnahrung unter¬
brochen wurde, hörten die Störungen auf, um bei der Wiederauf¬
nahme derselben sofort wieder zu erscheinen. Fischer nimmt
an, dass das Kasein nicht verdaut wird. Er substituiert dem¬
gemäss die Keil er sehe Malzsuppe; in leichteren Fällen liess
er mit gutem Erfolg verdünnte Milch mit Schleim vermischt dar¬
reichen. Molke, aus frischer Milch zubereitet, bewährte sich
ebenfalls.
Aehnliche Beobachtungen wurden, wie die eingehende Dis¬
kussion ergab, von Morse- Boston und K e r 1 e y - New-York ge¬
macht.
In der neurologischen Sektion verbreitete sich
Eshner- Philadelphia über peripherische Neuritis
als Komplikation des Kenchhust e n s. Er schlagt
vor, alle ätiologischen Faktoren der Neuritis unter einer
grossen allgemeinen Gruppe zu subsumieren und zwar einer
gewissermassen physischen, welche wiederum in eine che¬
mische und eine nicht chemische zerfällt. Die erster© entsteht
durch Gifte, welche dem Körper von aussen zugeführt, während
die zweite durch solche im Bereich des Körpers erzeugt werden.
Die erstere hinwiederum ist von unbegrenzter Vielfältigkeit, die
zweite lässt sich in zwei Untergruppen einteilen, nämlich eine
metabolischen und eine infektiösen Ursprungs. Die hervor¬
stechenden Symptome der Neuritis schliessen Schmerzen, Druck¬
empfindlichkeit und Schwellung im Verlauf der affizierten Nerven
ein, ferner Muskelschwäche, degenerative elektrische Reaktion
und Alteration der Reflexe, sowie Störung der Sensibilität und
wohl auch Ataxie oder anderweitige Koordinationsstörungen.
Sekretorische, zirkulatorische und tropliische Veränderungen sind
nicht selten. Arthropathien Averden ebenfalls beobachtet. Als
Komplikation des Keuchhustens ist Neuritis selten. Es mögen
einer sowohl wie mehrere Nerven betroffen sein. Es gelang
E s h n e r, 7 derartige Fälle in der Literatur aufzufinden.
In der Sektion für Hygiene verbreitete sich Knopf-
New-York (Ihnen als preisgekrönter Autor der von der Kaiserin
Friedrich inaugurierten Tuberkulosearbeit bekannt) über de n
heutigen Stand des Tuberkuloseproblems in
den Vereinigten Staaten. Seinen Anregungen sind eine
Reihe sanitärer Vorschriften zu danken. Schon vor 5 Jahren
hatte er anlässlich des 50 jährigen Jubiläums der American Me¬
dical Association zum ersten Male über den damaligen Stand der
Tuberkulosebewegung in den Vereinigten Staaten berichtet. Das
Material zu seinem Bericht sammelte Knopf mittels Anfragen
an die A'erschiedenen staatlichen und städtischen Gesundheits¬
ämter. Die ausgesandten Fragebogen AA'aren wie folgt verfasst:
1. Welcherlei Gesetze in Ihrem Staate (Stadt) treten der Ver¬
breitung der Tuberkulose entgegen?
2. Welche Empfehlungen, Vorschläge oder Zirkulare hat Ihr
Gesundheitsamt zu diesem Zweck Areröffentlicht ?
3. Namen der Sanatorien. Spezialhospitäler oder Polikliniken,
Avelche bei Ihnen der Behandlung tuberkulöser Erwachsener oder
Kinder dienen.
4. Gibt es in Ihrem Staate (Stadt) eine Gesellschaft zur Ver¬
hütung der Tuberkulose?
5. Gesetze oder Massregelu in Ihrem Staate (Stadt) zur Be¬
kämpfung der Rindertuberkulose?
Als Resultat seiner Bemühungen berichtet Knopf wie
folgt: In 3 Staaten und 4 Städten ist die Anzeigepflicht von
Tuberkulosefällen obligatorisch, in 4 Staaten und 5 Städten
fakultativ, in einer Stadt (Detroit im Staate Michigan) schwebt
die Frage vor dem Obertribunal. 2 Staaten haben allgemeine Ge¬
setze gegen das Ausspeien in öffentlichen Gebäuden und Plätzen;
IS haben ihre eigenen Verordnungen. 22 Staaten und 7 Städte
veröffentlichen Zirkulare zur Tuberkulosebekämpfung. Die Ver¬
einigte Staaten-Regierung hat 2 Sanatorien, eines für schwind¬
süchtige Soldaten und eines für schwindsüchtige Matrosen.
5 Staaten haben Spezialinstitute für Tuberkulöse, nämlich Mary¬
land ein Staatshospital, Massachussetts ein Staatssanatorium.
Minnesota ein Hospital für tuberkulöse Gefangene, Mississippi
ein Hospital für tuberkulöse Irrsinnige , Texas eine
Ackerbaukolonie für tuberkulöse Gefangene. In 10 Staaten
(Connecticut, Louisiana, Maryland, Minnesota. New-Hampshire.
New-Jersey, New-York, Obio, Rhode Island und Wisconsin) sind
Staatssanatorien projektiert. Zeltkolonien für Schwindsüchtige
gibt es in Massachusetts und Pennsylvanien. 3 Städte (New-York,
Chicago und Buffalo) haben städtische Hospitäler für Schwind¬
süchtige. Boston unterhält seine schwindsüchtigen Armen in
Privathospitälern. Cincinnati hat ein grosses Hospital für
Schwindsüchtige, welches von Privatmitteln unterhalten wird.
New-York ist die einzige Stadt, welche eine Poliklinik für Schwind¬
süchtige besitzt. In 11 Staaten zählt man 42 Privatsanatorien,
teilAA'eiso für arme. teilAveise für halbzahlende und einige für voll¬
zahlende Patienten. In 5 Staaten existieren Staatsgesellschaften
und in 5 Städten lokale Vereinigungen zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose. 20 Staaten haben Staatsgesetze zur Bekämpfung der
Rindertuberkulose und 12 Städte ihre eigenen lokalen Gesetze zur
Bekämpfung der Tuberkulose der Rinder. In 20 Staaten geschieht
nichts zur Bekämpfung der Tuberkulose, weder unter Menschen
noch Tieren: in 6 Staaten bekämpft man nur die Tuberkulose
unter den Menschen und in 8 Staaten bekämpft man die Rinder-
tuberkulose, bekümmert sich aber gesetzlicherseits nicht um die
Tuberkulose unter den Menschen. 3 Staaten haben noch keine
Gesundheitsämter.
Von der eingehenden Kritik, die Knopf auf Grund dieser
Erhebungen der Assoziation vorlegt, können Avir hier Avegen Mangel
an Raum nur folgendes erwähnen:
Statt der obligatorischen Anzeigepflicht, welche vielen
Aerzten umvillkommen ist und ja auch nur in 3 Städten gesetz¬
lich besteht, aber selten streng gehandhabt wird, empfiehlt Knopf
die in NeAV-York übliche fakultative Anzeigepflicht. Die den
New-Yorker Aerzten zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellten
Postkarten lauten wie folgt:
Bericht über einen Tuberkulosefall:
Name des Patienten: . Alter: .
Geschlecht: . Beschäftigung: .
Wohnung: .
Frühere Fälle in der Familie und deren Verhältnis zum Patienten:
Wünschen Sie, dass ein Gesundheitsinspektor die Wohnung
besucht und die Familie des Kranken über Vorsichtsmassregeln
zur Verhütung der Tuberkulose aufklärt? Antwort: Ja oder Nein.
Dr. med .
Wohnung .
K n o p f empfiehlt jedoch, dass anstatt der Karten geschlos¬
sene Briefe zu diesem Zwecke gebraucht werden sollten.
Knopf kritisiert ferner den Mangel an Heilanstalten,
Spezialhospitälern und Ambulatorien für Tuberkulose. Er be¬
dauert, dass sich in einigen Städten Privatsanatorien für Schwind¬
süchtige auftaten, von denen der Staatsgesundheitsbeamte keine
Kenntnis hatte. Solche Institute sollten nicht nur dem ^Gesund-
lieitsamte bekannt sein, sondern sogar unter dessen Kontrolle
stehen.
Für Kurorte, wohin viele Sclnvindsüchtige gehen, ohne sich
ärztlicher Leitung zu unterwerfen, empfiehlt Knopf ausser
Massregelu gegen Ausspeien in öffentlichen Gebäuden, auf Trottoir
und Strasse die Errichtung einer hinreichenden Anzahl von
Strassenspucknäpfen. K nopf zeigte der Gesellschaft einen von
ihm konstruierten, sich automatisch reinigenden, erhöhten Strassen-
spucknapf, welcher sich gut zu diesem Zwecke eignet.
Schliesslich plädiert Knopf für die Errichtung eines ein¬
heitlichen Gesundheitsamtes in Washington nach dem Muster des
Kaiserlichen Gesundheitsamtes in Berlin oder dem Conseil Supö-
rieur de Sante Publique in Paris.
Im allgemeinen zeigt der Bericht im Vergleich zu dem ersten,
vor 5 Jahren erstatteten, einen erfreulichen Fortschritt in der
Tuberkulosebekämpfung in Amerika.
B i g g s, der treffliche Vorstand des New-Yorker Gesund¬
heitsamtes, kämpft für obligatorische Registrierung
aller Tuberkulösen. Jede leere Mietswohnung sollte amt¬
lich inspiziert und desinfiziert werden. Auch sollte man Repara¬
turen, welche hygienisch wichtig sind, erzwingen können. Un¬
bemittelte haben Anspruch auf kostenlose Untersuchung ihrer
Sputa und eventuelle Freiaufnahme in ein Hospital. Man darf
dreist behaupten, dass das New-Yorker Gesundheitsamt in der
Tuberkulosenfrage vorbildlich gewirkt hat. Der Erfolg seiner
energischen ärztlichen Beamten ist geradezu phänomenal, denn
die Mortalität in der Rubrik Tuberkulose ist während der letzten
15 Jahre um 35 Proz. gesunken.
K 1 e b s - Chicago entrollt ein illustratives Bild der prädis¬
ponierenden und infektiösen Ursachen der Tuberkulose. Er legt
ebenfalls das Hauptgewicht auf die Prophylaxis, welche sich vor
allem gegen die Ursachen der Krankheit richten muss. Er unter¬
scheidet individuelle und munizipale Vorschriften. Unter den
ersteren hebt er die Hygiene der Wohnung und die Fürsorge der
Kinder tuberkulöser Eltern hervor, ferner die Erziehung des Publi¬
kums im allgemeinen. Bezüglich städtischer Vorschriften stimmt
er mit den Prinzipien der Vorredner überein.
Kelly- Baltimore verbreitet sich über die Anwendung von
Kathetern mit Wachsenden zur Diagnose von Nieren- und
Uretersteinen. Dieselben können sowohl in Verbindung mit der
Röntgenuntersuchung, als auch unabhängig von derselben als
Mittel zur Erlangung einer Diagnose verwandt werden. Die letz¬
tere kann man z. B. nicht verwenden, wenn man während einer
Operation von oben nach unten katheterisieren will (retrograde
Katheterisation).
Nach Beschreibung seiner Methode und Vorführung einschlä¬
giger Fälle stellt K. folgende Direktive auf:
1. Der mit Wachsende versehene Katheter hat Vorzüge eigener
Art. Die Kratzmarken im Wachs bestätigen einen eventuellen
Röntgenbefund.
2. Sie dienen zur Differentialdiagnose von Phlebolithen über
der Vaginalhöhle und in den Beckenvenen.
3. Bei sehr starken Frauen sind die Ergebnisse der Röntgen¬
strahlen nicht zufriedenstellend und eine wiederholte Anwendung
derselben gefährlich. (Referent stimmt mit letzterer Behauptung
nicht überein.)
4. Bei Urinsäure- und Uratsteinen geben die X-Strahlen ein
unzuverlässiges Resultat, da die erhaltenen Schatten zu schwach
sind.
5. Wenn ein Röntgenapparat nicht zur Hand ist oder nicht
angewendet werden kann, wie z. B. bei Katheterisation während
der Operation A*on dem Nierenbecken aus nach traten zu. um zu
25. November 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1983
sehen, ob die Steine im Ureter vorhanden sind, kommt der Wachs¬
katheter sehr zu statten, ebenso wie
G. bei fibrösen Geweben, die einen steinähnlichen Schatten
aut der photographischen Platte erzeugen.
k--. hebt die grossen \ orteile der Knie-Brustlage bei gewissen
Operationen am vesikalen Ende des Ureters hervor. _ Wenn der
owofnw die®er Position ist, wird mit Hilfe eines in die Urethra
eingefuhrten Spekulums Luft in die Blase gelassen, dann die hin¬
tere YY and der Scheide aufgehoben, wodurch die Vorderwand von
Zervix bis Urethra frei wird. Mit einem zweckentsprechend ge¬
bogenen Messer wird eine Inzision durch diese Zwischenwand in
die durch Lutt ausgedehnte Blase gemacht.
K. schildert das Entfernen eines in dem intravesikalen Teile
des linken Ureters eingebetteten Steines und fasst die Vorzüge
dieser Methode m folgendem zusammen:
1. Die grosse Schnelligkeit derselben und die Möglichkeit
eines verhältnismässig grossen Untersuchungsfeldes.
2. Laterale Inzisionen können hinzugefügt werden, um ein
grosseres Operationsfeld zu gewinnen.
3. Die Oeffnung in der Blase ist leicht zugänglich.
. Ule Vorderwand der Blase kann durch Herunterziehen der
Inzision mittels Spekulum nach dem Eingänge der Scheide leicht
zugänglich gemacht werden.
5. Die Inspektion der Blase ist durch Einführen eines Spe¬
kulums in die Vaginalwunde leicht und vollständig gemacht.
ti. Tumoren der Blase können durch die Hand des Assistenten
in die V aginalwunde gebracht werden.
. K. erörtert ferner den Unterschied zwischen Obstruktion und
Striktur des Ureters. Nach Darlegung der Symptome und ver¬
schiedener Methoden der Diagnose mittels Einführung des Ka¬
theters zählt er folgende Behandlungsweisen auf, die natürlich
von der Lage, Ausdehnung und dem Charakter der Striktur und
von dem Zustande der Niere und des Ureterteiles oberhalb der
Striktur abhängig sind:
i Behandlung durch Dilatatoren mit biegsamen oder Metall¬
kathetern. — 2. Lösung des Ureters von entzündlichem Gewebe.
3. Resektion des Ureters, die aber selten praktisch möglich ist —
4. Exstirpation des gesamten prävesikalen Ganges der erkrankten
Seite (mittels Nepliro-Ureterektomie oder Uretero-Nephrektomie
oder auch Nephro-Uretero-Cystektomie), verlässlich nur bei Tuber¬
kulose oder bei Pyureter von langer Dauer. — 5. Amputation und
Implantation der Blase, wenn die Striktur ziemlich weit unten ist
-- G. Vollständige Teilung des Ureters in Fällen von aussergewöhn-
lich engen Strikturen.
G o 1 d s p o h n - Chicago plädiert für das Verlassen der
v entrofixation, Vaginof ixation und Ventro-
Suspension des Uterus mittels künstlicher Ligamentver¬
bindung bei solchen Patientinnen, die noch empfangen können.
Dio idealsten Ivesultate werden mit Zuliilfenalnne der Ligamenta
rotunda erzielt. Dieselben können via Median-Ventral- und Va¬
ginalschnitt verkürzt werden. Man soll hierbei bedenken, dass
ihre mittleren Portionen sehr resistent sind, nicht aber ihre di¬
stalen Enden. Eine korrekte Verkürzung im anatomischen Sinne
kann also nur durch den Inguinalkanal stattfinden. Der innere
Ring gestattet dem eingeführten Finger ausgedehnten Zugang,
so dass man keines weiteren Schnittes bedarf. Dann kann man
die Adhäsionen stumpf lösen und die Adnexa hervorziehen.
Hernienbildung ist hierbei ausgeschlossen. Demgemäss ist die
Alexander sehe die Operation par excellence. Wo man den
Imguinalkanal nicht benützen will, ist die von Ferguson und
G i 1 1 i a m neuerdings angegebene Operation auszuführen, welche
darin besteht, dass man die runden Mutterbänder über der Bauch¬
wand auf hängt, so dass sie sozusagen auf dem Peritoneum reiten.
(Alle Achtung vor dem Chicagoer Lokalpatriotismus, aber diese
Methode wurde längst vom Referenten als eine neue Methode der
Hysteropexie angegeben, s. Centralbl. f. Cliir., 21. August 1897.
Dieselbe hat sich auch nach eingetretener Schwangerschaft durch¬
aus bewährt.)
Thienhaus- Milwaukee redet der vaginalen Kölio-
t o m i e das Wort. Wenn man von der allgemein anerkannten
Tatsache ausgeht, dass der vaginalen Köliotomie eine Reihe von
Vorzügen gegenüber der abdominalen Laparotomie zukommt, und
zwar sowohl hinsichtlich der sofortigen postoperativen, als des
späteren Wohlbefindens der Operierten, so ergibt sich logisclier-
W'eise die von Fritsch hervorgehobene Schlussfolgerung, dass
ein Chirurg alles, wras er vaginaliter ausführen kann, auch aus¬
führen soll. Unter den vaginalen Operationsmethoden, welche
zur Heilung des Prolapsus Uteri totalis in climacterio in Vorschlag
gebracht worden sind, hält Thienhaus die Dührssen sehe
für die beste und zwar deshalb, weil die Retroversio uteri, welche
in den meisten Fällen als prima causa prolapsus angesehen werden
muss, durch die Vaginofixation beseitigt wird. Es ist ferner zu
berücksichtigen, dass bei dieser Methode die Facultas coeundi er¬
halten bleibt. Bei der Methode von W e s t h e i m ist dieses nur
in beschränktem Masse der Fall und bei denen von Freund
und Fritsch ist sie völlig aufgehoben. Schliesslich kann man
der Dührssen sehen Methode nachrühmen, dass der Uterus
bei derselben in eine solche Lage gebracht wird, dass er quasi als
muskulöser Wall sich benützen lässt, in welcher Eigenschaft er
ein ferneres Herabtreten der Blase und der abdominalen Organe
hindert. T. wandte das Verfahren in einer Reihe von Fällen, alle
über 50 Jahre alt, mit gutem Erfolg an.
Die Ausstellung der pathologischen Sektion verdient
hervorragendes Lob. Besonderes Aufsehen erregten die Prä¬
parate der Johns Hopkins Universität (Baltimore).
Von physiologischem Interesse war ein durch einen höchst sinn¬
reichen Apparat in Bewegung gesetztes Ochsenherz, welches die
1’ unktion der Klappen in deutlichster Weise dem Auge vorführte.
Eine Philadelphiaer Universität hatte a ortreff -
hch gelungene Röntgenbilder ausgestellt, deren Mene Tekel aber
an der immer noch herrschenden Gleichgültigkeit des Gros der
Kollegen ebenfalls abprallen dürfte.
Die pharmazeutische Abteilung erhob den Anspruch ausge¬
suchter Eleganz und stachen besonders die deutschen Firmen
Schering und G 1 a t z und die Elberfelder F arben-
f abriken glänzend heiwor.
Ueberall wurde man durch Ruf und Geste daran erinnert,
dass man in eine Wasaerstadt geraten war. To utv ugloxov iid'uJo <
Freie Kohlensäure für alle Aerzte! hiess die Losung an jeder
Strasseneeke, und so vertilgte mancher Aeskulap eine so enorme
Menge der freien Labe, dass er nach viertägigem Genuss zuletzt
wie ein vollgesogener Sclnvamm ächzend auf sein Lager sank.
Die Korona, welche sich des Abends in einem Hinterstübchen des
Grand Union Hotels zusammenfand, hatte diesem unfröhlichen
Tun mit nichten Gefallen abgewinnen können. Sie tat sich bei
einem anderen, schäumenderen Nass, dessen Wiege unweit der Isar
gestanden, gütlich, und klebte fest, bis die rosenfingerige Eos ihr
die Schamröte in die Wangen trieb. Aus den zumeist mit Narben
bedeckten Physiognomien und dem häufigen Prositrufen konnte
ein nicht gänzlich unbefangener erraten, dass sich mit dem be¬
kannten eigentümlichen Instinkt ein Konsortium alter deutscher
Studenten zu einer solennen Kneipkur zusammengefunden hatte.
Es war wirklich eine helle Freude gewesen, zu sehen, wie stramm
die deutschen Kollegen des Morgens auf der wissenschaftlichen
Mensur gestanden hatten. Wenn auch die Aussprache des eng¬
lischen da und dort zu Avünschen übrig liess, in der Grammatik und
der logischen Schärfe konnte mancher autochthone Amerikaner
von seinen deutschen Kollegen etAvas lernen. Und dieselben
Herren, darunter sogar mancher Grosspapa, stiessen Avacker des
Abends mit den Fröhlichen an und beeilten sich durchaus nicht,
die nötige BettschAvere zu erschlürfen. Ja, die deutsche Studenten¬
schaft, die macht überall Schule, und im Ausland bilden die Medi¬
ziner geAvöhnlic-h die vorderste Phalanx. Dem waschechten Sara-
togaer aber sind solcherlei Libationen ein Greuel. Denn avo käme
er hin, Avenn das Vertrauen in seine Wässer Einbusse erlitte?
Hat er doch die Natur überredet, von allen Mineralquellen Mittel¬
europas ihm ein Extrakt zu gönnen und so sehen Avir die un¬
schuldsvolle Kochsalzquelle neben dem Stahl-, SchAvefel- und
Lithiumsprudel, von den anderen alkalischen Wässern gar nicht
zu reden. In einem Stadtteil hat man Karlsbad, im anderen
Kissingeu. Da ist Wildungen, dort Aachen, mitten darunter Ems,
Soden, Kreuznach und SchAvalbach. Warum also seine Gallen¬
steine erst die weite Reise zur Perle Böhmens unternehmen lassen,
Avenn man sie nach 4 stündiger Eisenbahnfahrt schon auf den
Marsch ins Duodenum schicken kann? Oder Avarum erst die ein¬
gerosteten Gelenke zu des Altreichskanzlers Lieblingsplätzchen per-
suadieren, wenn man in nächster Nähe der Grosstadt die Urate
im Laufschritt löst? Ja, die Saratogaer setzen ein unerschütter¬
liches Y ertrauen in ihre Wässer und bei ihnen ist das bedeutsame
Wort des wackeren Doktor Martinus: „Wasser tuts freilich nicht",
gar übel angebracht. Jeder Civis Saratoganus weiss ärztlichen
Rat. Tritt man in einen der üppigen Kaufläden und gibt dem
Ladenfräulein durch einige urbane Bemerkungen Gelegenheit zu
einem Zwiegespräch, so wird einem sicher ein Rat nachgeworfen.
So man sich eines Enbonpoints erfreut, soll man ja Aror der Apo¬
plexie auf der Hut sein und so rasch als möglich einen Liter
Lincolmvasser hinunterstürzen. Ist mau schlank wie eine Tanne,
so wird einem eingeredet, dass man ein günstiger Nährboden für
den bösen Tuberkelbazillus sei, Aveshalb man schleunigst den Koch¬
salzthermen zueilen solle. Ist das Hotelgericht nicht gut zubereitet,
so setzt der schwarze Ganymed eine pfiffige Miene auf und meint,
dass man heute noch nicht genug Arondacksprudel (früher Kissin-
ger genannt) genossen habe, was den Appetit beeinträchtige. Und
dabei wird ja in der Tat so mancher gesund. Das müssen sogar
die Chirurgen zugeben. Ist doch auch ein berühmter europäischer
Chirurg, der seine Gallensteinfälle nur mit dem Skalpell behandelte,
in Karlsbad gesund geAvorden, als er höchstselbst an Gallensteineu
erkrankte! Aber, quod licet Jovi, non licet bovi. Und, wenn
einer mit dem LindAVurm im Leib, Avie ihn der prächtige Johann
Peter Hebel so realistisch-poetisch schildert, nach Saratoga kommt
und statt sich in den Strudel der High life zu stürzen, fleissig
Turnübungen macht, so kann ihm das Wasser nebenbei auch wohl
nützen. Denn in der Grossstadt nimmt er sich keine Zeit zum
Essen, gesclnveige denn zum Turnen, und so macht die stockende
Zirkulation bald einen nervösen Dyspeptiker aus ihm. Solche
Lindwürmer werden auch heute noch nach dem Hebelschen Rezept
am ehesten umgebracht.
Die herrliche Umgebung Saratogas lockt zu ausgedehnter Be
Avegung im Freien. Seine Lage am äussersten Südende des grossen
Adirondackplateaus ist höchst malerisch zu nennen. Die Sohle
xvird in Dreieckform durch das Zusammenstossen zweier grosser
Täler gebildet, welche nach den sie durchströmenden Flüssen
MohaAvk und Hudson (resp. Champlain) genannt werden. Diese
grossen YYTasserläufe bildeten Jahrhunderte laug die einzigen Ver¬
kehrsstrassen zAvischen den Völkern, Avelche um den Besitz des
amerikanischen Kontinentes stritten. Die Irokesen hatten hier¬
nach dem Beispiel Mexikos eine Art Kaiserreich errichtet, welches
später in echt christlicher Nächstenliebe von den Engländern okku¬
piert wurde. Dies verdross hinwiederum den gallischen Ehrgeiz
dermassen, dass Albions Flagge bald der Trikolore Aveichen musste.
Dann bekam aber England Avieder die Oberhand, jedoch nur
>4
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
auf kurze Zeit, und so wechselte Saratoga seine Landesangeborig-
keit jeden Augenblick, bis Washington es ein für alle Mal gut
amerikanisch machte. In den zahlreichen Kriegen, welche dieses
historische Terrain umstritten, spielten die Indianer, als professio¬
nelle Wächter des Kriegspfads, eine bedeutsame Holle. Welcn
ein herzerwärmender Hauch zuweilen mitten in diese rauhen Zeiten
und in diese wilden Wälder hineinwehte, ist uns allen durch die
unvergleichlichen Erzählungen von Feunimore Cooper bekannt.
Die erste grössere Schlacht bei Saratoga faiül am 1J. Sep-
tember 1777 statt, bei welcher es dem englischen General Bur¬
goy ne gelang, die Amerikaner nach hartem Kampfe zuiuck-
zudrängen, und zwar durch die im letzten Augenblick eingetrottene
Verstärkung seines Kameraden mit dem melodischen Rainen
General v. Riedesei. 3 Wochen später fand die zweite Schlacht
bei Saratoga statt, bei welcher die Amerikaner unter General Gates
Sieger blieben. Den energischsten Widerstand hatten aut der eng¬
lischen Seite die hessischen Artilleristen geleistet, ein Umstand,
der lange Zeit zur Unpopularität der Deutschen m Amerika be ¬
trug, was nicht völlig unbegreiflich ist. Sagt doch selbst Schillei,
empört über den Verkauf der 7000 Landeskinder, in semei un¬
sterblichen Kabale und Liebe: „Wir hörten die Luchsen knallen
sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee
schrie: Juchhe, nach Amerika!“ Mit dem „ihr" waren dm „vor¬
lauten Bursche“ gemeint, welche „den Obersten getiast hatten,
wie teuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe . Km sind
grosse friedliche Alleen an die Stelle des Kriegspfades gerieten,
und die Invasion besorgen Touristen, Ilandlungsreisende und sOo-
Badegäste. Auf dem See Champlam, m welchen man \om Hudson
stromaufwärts gelangt, tummeln sich moderne lachten z wische
grossen und kleinen Vergnügungsdamptern und dei buiune . ohu
des Wigwams, welcher getiocliteue Strohkorbchen am Ufer it
hält, blickt den vorbeisegelnden Blassgesichtern blödsinnig hassen¬
den Blickes nach. Seine Kleidung ähnelt der eines deutschen
Bauernburschen und sein Feldgeschrei heisst Fusel. .. .
Auch wir machten uns auf, die Augen an den heirliclien
Szenerien, welche der Norden des Staates New-lork m so über¬
reichem Masse bietet, zu weiden. Eine einstundige Liscnluhn
fahrt bringt uns zunächst an den See Horicon, gewöhnlich Lake
George genannt. Als die Engländer die Franzosen temporar ver¬
drängt hatten, erschien ihnen der alte indianische Name nicht
gut genug, weshalb sie den prächtigen See nach ihrem Kon 0
Georg tauften. Auf der Südseite steht, wo früher das h ort William
Henry den Franzosen trotzte, das gleichnamige Hotel. In Uoopeis
„Der ” letzte Mohikaner“ ist die Geschichte des Forts austuhil c
beschrieben.
(Schluss folgt.)
Verein für innere Medizin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 17. November 1902.
Demonstrationen: ..
Herr Stadel mann: Fall von hochgradiger Lipanne.
Junger Mann, schwerer Diabetes, ca. 000 g Zuckerverlust pro Tag;
Eisenchloridreaktion, Koma, Tod. Bei den ersten Anzeichen des
Koma machte St., wie er jetzt immer zu tun pflegt, einen Aderlass
mit nacliheriger Infusion von alkalischer Lösung. Bei diesem Em-
<>riff zeigte sich das Blut eigentümlich verändert; nach der Ge¬
rinnung sah das Serum ähnlich wie Eiter aus, zeigte mikroskopisch
feinste staubförmige Trübung, welche St. als Fett ansprach, was
die Aetherextraktion bewies.
Es fand sich 15 IToz. Fett im Blute, was auch m mikro¬
skopischen Organschnitten sehr ausgeprägt war.
Diskussion: Herr Senator fragt, ob eventuell im Ge¬
hirn Fettembolien gefunden wurden, was von mehreren Autoren
als eine Ursache des Coma diabet. betrachtet wird.
Herr Stadel mann: Darauf wurde von ihm nicht gerade
geachtet. Doch ist dies nicht wahrscheinlich, da das Fett in so
feiner Verteilung war, dass es wohl kaum zu Embolien Anlass gab.
Herr C. B e n d a: Im Gehirn fanden sich nur die gleichen
feinst emulgierten Fettmassen, wie in den Kapillaren der übrigen
Gebiete, also Embolien nicht zu erwarten.
Herr C. Benda: Präparat von Eventratio diaphragmatica,
welches Herr A. Fraenkcl kürzlich demonstriert hatte. Die
mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Muskulatur m
der linken ausgebauchten Zwerchfellshälfte vorhanden, aber ganz
blass und verfettet ist. Die zugehörigen Nerven und Ganglien
im Rückenmark sind normal, es handelt sich also um eine myo-
pathisclie Degeneration des Zwerchfells.
Tagesordnung :
Herr Stadelmann: Ueber Späterkrankungen des Ge¬
hirns nach Schädeltraumen.
Zu jenen Gebieten, welche durch die Unfallgesetz-
g e b u n g befruchtet wurden, gehört auch die G e h i r n p a t h o -
1 o g i e. Bekannt und leicht verständlich sind die im unmittel¬
baren Anschluss an ein Trauma auftretenden Gehirnver-
letzungen, schon auffallender sind die von Bergmann er¬
hobenen Befunde, dass eine Blutung erst einige Zeit nach dem
Trauma eint ritt; zur Erklärung einer solchen, erst Stunden oder
Tage nach dem Trauma einsetzenden Apoplexie nimmt man an,
dass durch das Trauma eine Schädigung der Gefässwand be¬
wirkt wurde, welche dann durch eine unerhebliche Blutdruck -
Steigerung (Husten u. dergl.) zur Zerreissung gebracht wird. Bei
der eigentlichen traumatischen Spätapo¬
plex i e, auf welche B o 1 1 i n g e r die Aufmerksamkeit gelenkt,
kommt es nach der Einwirkung stumpfer Gewalt zur G e -
hi rnerschütterung und punktförmigen Blu¬
tung, welche dann zu Erweichung mit Arrosion
eines Gefässes und sekundärer Blutung führt.
Hier handelt es sich um Blutungen, welche erst woclienla n
apoplexie auf das beschränkt bleibt, was Bollinger darunter
verstanden wissen wollte.
Aus den Zusammenstellungen, welche dann spätere Autoren
(M a tthes, B r u n s) gaben, ist ersichtlich, dass es vielfach an
der nöthigen Kritik in der Auffassung von derartigen vermeint¬
lichen Unfallfolgen fehlt. II m ein T r a u m a in V e r b i n -
d u ng- mit einer G e h i r n 1 ä s i o n zu bringe n, muss
nach Vortragendem der K r a n k e v o r her ges u n d gewesen
sein, darf nicht an G ef ässerkrank ungeil, Lues, Nephritis oder
Lotus leiden und nicht in hohem Alter stehen; das Trauma muss
ein erheblicheres gewesen sein; die Erscheinungen der Gehirn-
erkrankung müssen sich unter unseren Augen entwickeln.
Fälle, die allen diesen Anforderungen genügen, kommen
tatsächlich vor. Vortragender führt 3 Beispiele seiner Beobach¬
tung an.
1. Fall. Ein jüngerer Mann wurde durch einen Stein aut den
Kopf getroffen; 5 Minuten währende Bewusstlosigkeit. Er ging dann
nach Hause, beachtete den Unfall kaum und wurde mehrere
Wochen zu Hause behandelt; dann änderte sieb plötzlich das
Bild. Der vorher intelligente Mann wurde auffallend nieder¬
geschlagen und stumpf; er macht 2 Selbstmordversuche, Angriffe
gegen seine Frau, dazwischen Tobsuchtsanfälle, (»mal war er
erfolglos in den verschiedensten Anstalten; nach 2(4 Jahren Tod
durch Selbstmord.
2. F all. 4 Wochen vorher Schlag auf den Kopf mit einem
Prügel; momentane Bewusstlosigkeit; bald erholt und ganz ver¬
gnügt. Es treten bald Kopfschmerzen auf, die aber die Arbeit
gestatten. Plötzlich, nach 4 Wochen, in der Nacht Kopfschmerzen
und Bewusstlosigkeit. Aufnahme ins Krankenhaus, wo er noch
schwerbesinnlich ist und auf die meisten Fragen antwortet:
„Darauf kann ich mich nicht besinnen“. Fötus und Lues ge¬
leugnet. Keine wesentlichen Anomalien, nur rechts über der
motorischen Zone eine bewegliche Narbe. Nunmehr Auftreten
schwerer Jacksonseber Epilepsie; erst Krampf im
linken Arm, dann im rechten, dann allgemein. Operation ergab
nichts; nach 3 Tagen Tod an Pneumonie.
Sektion: Er w eichung und Bl u t u n g i n d e r
G egend des T r a u m a s und Blutung an der Stelle
des Contre-coups. Diese Blutung sicherlich älter als
3 Tage, also nicht etwa Folge der Operation.
3. F a 1 1. Früher gesunder Mann, 7 Wochen vor Aufnahme
bewusstlos vom Bau gestürzt, auf den rechten Hinterkopf. Kopf¬
schmerzen; nach mehreren Wochen plötzlich Schüttelfrost,
hohes Fieber, Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Nackenstarre. Offen
bare Zerebrospinalmeningitis. Lumbaltlüssigkeit . eitrig mit
Staphylo- und Pneumokokken. Tod nach wenigen Tagen.
Sektion: Eitrige Meningitis. Fissur im Hinterhauptbein, welche
teilweise schon knöchern, teilweise noch bindegewebig ver¬
wachsen ist.
Demonstration der verschiedenen Gehirn- und Schädelprä¬
parate.
Solche Fälle also seien als traumatische Spät-
e r k r a n k u ngen des G e h i r n. s anzuerkennen.
Diskussion: Herr F ii r bringer: Es sei sehr verdienst¬
voll von Stadelmann, diese Affektionen zur Sprache gebracht
zu haben. Er selbst habe mehrere solcher Fälle beobachtet, sie
aber früher nicht richtig beurteilt: erst durch die neueren Arbeiten
(T li iem) sei er zur richtigen Würdigung des Zusammenhangs
geführt worden.
Herr Blocli: Er habe unter ca. 80 Begutachtungen aus den
letzten Jahren doch 7 Fälle, in welchen sich an ein Trauma eine
progressive Demenz anschloss. Immer waren die Pa¬
tienten in vorgeschrittenerem Alter, zeigten fast immer Zeichen
von Arteriosklerose und boten 4 mal Pupillendifferenz, 2 mal träge
Pupillen, dann Sprachstörungen oder Fehlen der Patellarreflexe,
Sensibilitätsstörungen u. dergl. Der Zusammenhang mit deii
Traumen war aber immer klar, denn die Betreffenden haben bis
zu denselben ihre Arbeit vollständig verrichten können.
Solche Kranke neigen zu Hypochondrie und bringen dadurch
vielfach unbegründete Klagen vor, welche sie leicht der Simulation
überführen lassen; dies erschwert dann die Beurteilung des tat¬
sächlich vorliegenden Leidens.
Herr C. Benda: Die Frage des Zusammenhangs zwischen
den Traumen und der Gehirnläsion sei in solchen Fällen, wie die¬
jenigen Stadelmanns es sind, für den Arzt wohl klar, aber
doch oft schwer zu beantworten, wenn es sich um kriminelle I alle
25. November 1902.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1985
handle, wie in Stadelmanns Fall 2. Er habe
Falle als Sachverständiger den Zusammenhang aber
angenommen, da alle Organe sonst gesund waren
Arteriosklerose vorlag, was für den Täter eine lange
strafe zur Folge hatte. TT^n
in diesem
als sicher
und keine
Gefängnis-
K o h n.
Medizinische Gesellschaft zu Chemnitz.
(Bericht des Vereins.)
S i t z n n g v o in 15. Oktobe r 1902.
1 Herr Veihagen referiert an der Hand von stereo¬
skopischen Photographien über 2 Fälle von Papillombildung auf
der Konjunktiva. Das einemal handelte es sich um mehrere
grossere lumoren im inneren Augenwinkel. Das anderemal fanden
sich ebcnlalls .,—4 himbeertovmige polypöse Geschwülste auf und
neben der Karuukel, ausserdem aber noch eine grössere Anzahl
kleiner kondyloinahnlicher Bildungen auf der Conjunctiva sclerae
und eine unzählige Masse auf der Conj. palpeb. sup. Bei dem
ersten Fall trat nach der Abtragung kein Rezidiv auf, bei dem
zweiten nach 8 Monaten. Mikroskopisch fand sich typische Pa¬
pillomstruktur. Bei dem ersten Fall wurde ausserdem ausgedehnte
Bccliei zehenbildung und um die Blutg'efässe herum massenhafte
Mast- und Plasmazellenbildung konstatiert.
Weiter zeigt der Vortragende das stereoskopische Bild eines
Knaben mit Dermoidgeschwulst am Xorneoskleralrand. Mikro¬
skopisch fanden sich in dem Tumor alle Bestandteile der Kutis
ausser Sch weissdrüsen.
Schliesslich zeigt Vortragender noch die Photographie einer
alten Frau mit einer hühnereigrossen Thränensackektasie, die
durch Exzision des ganzen Sackes geheilt war.
2. Herr Hofrat Reichel stellt zwei Fälle von Spontan¬
heilung von Geschwülsten vor.
Fall 1 betraf eine 36 jährige Frau, welche seit y2 Jahre an¬
geblich nach Influenza an Schmerzen im rechten Auge, Exoph¬
thalmus und Doppelbildern litt und bereits anderweit wegen Ver¬
dacht auf Stirnhöhleneiterung aufgemeisselt worden war. Bei
der Aufnahme ins Krankenhaus intensive Kopfschmerzen, Ex¬
ophthalmus, Doppelbilder, Stauungspapille rechts und Uedem des
oberen Lides. In der Annahme eines retrobulbären Tumors tem¬
poräre Resektion der äusseren Orbitalwand nach Krönlei n.
ohne dass jedoch ein Tumor gefunden wurde. Es wurde nun ein
intrakranieller Sitz des Tumors angenommen, aber wegen Mangels
bestimmter Lokalisation die Wunde geschlossen. Wider Er¬
warten gingen nunmehr alle Erscheinungen zurück, Patientin
genas und blieb bis heute gesund. Konnten in diesem Falle immer¬
hin Zweifel an der Existenz eines Tumors auftauchen, so erscheint
der zweite Fall einwandsfrei:
Ein 39 jähriger Mann mit ca. 5 cm langer, ebenso breiter und
1 cm hoher, gleichmässig derber Geschwulst in der linken
Schbifengegend, seit % Jahren allmählich unter heftigen Schmer¬
zen entstanden, wurde nach erfolgloser Jodkalikur operiert. Der
Tumor hatte das Aussehen eines gefässreichen Sarkoms, durch¬
brach den Knochen und setzte sich auf die Dura und das Gehirn
fort. Da er sich namentlich entlang der Schädelbasis ausdelmte
und die hintere und untere Grenze nicht erreichbar war, wurde
die Operation abgebrochen und wegen starker parenchymatöser
Blutung tamponiert. Die mikroskopische Untersuchung durch
Professor Dr. Nauwerck ergab Spindelzellensarkom mit ein¬
zelnen Riesenzellen und herdweisem Hämosiderin. Nach anfäng¬
lichem V orquellen des Tumors und Anwachsen auf die doppelte
Grösse unter reichlicher Absonderung von Flüssigkeit _ ob
Cerebrospinalflüssigkeit oder seröses Exsudat, blieb unentschieden
— verkleinerte er sich nach ca. 4 Wochen und verschwand schliess¬
lich vollständig unter Vernarbung der Wunde. Auch die Be¬
schwerden des Patienten verschwanden allmählich ganz, so dass
er jetzt, fast y2 Jahr nach der Operation, bei bestem Wohlbefinden
vorgestellt werden kann.
eiter demonstriert der Vortragende eine ringförmige, von
einem Schirm oder Stock herrührende Messingzwinge, die ein
38 jähriger Mann mittels eines Hollunderstäbchens sich in die
Harnröhre eingeführt hatte, wo sie an der vorderen Grenze des
Skrotums sass. Urethrotomia externa.
Hierauf stellt der Vortragende eine Frau vor, bei der er
8 mal wegen Darmverschluss bezw. Dannstenose laparotomiert
hatte, das erstemal im April 1900 Avegen akuten Darmverschlusses.
Bei der Operation Lösung von Netzadhäsionen an der vorderen
Bauchwand, Durchtrennung von Netzsträngen, die eine Dünndarm¬
schlinge abschnürten. Heilung. Nach ly4 Jahren neue Stenosen¬
erscheinungen. 2. Laparotomie im März 1902. Es fand sich eine
eigentümliche Lageanomalie, insofern sich Flexur und Dünndarm
umschlungen hatten und hierdurch Darmschlingen komprimierten.
Das in die Länge gezogene Mesenterium des Dünndarms war um
die nach rechts oben ausgezogene Flexur nach links herum¬
geschlagen. Der Dünndarm, der immer wieder dazu neigte, in die
linke Bauchseite zurück zu sinken, konnte nur durch starkes Vor¬
ziehen des Colon transversum und des descendens und Annähen
des letzteren und des oberen Schenkels der Flexur an die linke
Rauchrvand in der richtigen Lage erhalten werden. Ausserdem
taiul sich eine 20 cm lange, verengte Dünndarmschlinge, wahr¬
scheinlich entsprechend der vor 2 Jahren eingeschnürt gewesenen.
Genesung, aber schon 8 Tage nach der Entlassung wiederum Be-
sehwerden. Die dritte Laparotomie im September 1902 ergab als
Ursache derselben einmal die vorerwähnte verengte Dünndarm¬
schlinge. dann aber einen festen Strang, der Aron dieser zur Wirbel¬
säule zog, die Schlinge abknickte und eine zweite komprimierte.
Durchtrennung des Stranges und Ausschaltung der verengten
Sc hlinge duich Enteroanastomose zwischen zu- und abführendem
Ende brachte nunmehr definitive Heilung.
Schliesslich demonstrierte Vortr. ein durch Totalexstirpation
Avegen Totalprolapses gewonnenes Präparat von Uterus bicornis
duplex. Der Uterus lag fast ganz extraperitoneal; nur die oberen
Enden der beiden Hörner waren von Serosa bekleidet. ZAvisclien
den oberen zwei Dritteln der letzteren spannte sich eine dünne
Membran. Eine rechtseitige apfelgrosse Eierstockcyste Avurde mit¬
entfernt. Glatte Genesung.
•j. Ilei l Staffel spricht über die Cephalocele congenita,
oiti. demonstriert das Präparat einer über kindskopfgrossen
Cephalocele occipital. sup., welche er bei einem 4 wöchentlichen,
sonst gesunden Kinde entfernte. Es bestand bereits bei der Ope¬
ration Hydrocephalus int. und das Kind ging unter den Erschei¬
nungen zunehmenden Hirndrueks zu Grunde.
Die entfernte Geschwulst stellte eine Eücepkalocystomeningo-
cele dar. Sie zeigt die bekannten Erscheinungen: Verdickung der
Subkutis mit erweiterten Lymphräumen und Fehlen des 'Fett¬
gewebes, Fehlen der Dura, Cysten in der Araelinoidea. Im Innern
des mit einer 1 cm dicken Grosshirnschicht ausgekleideten Hohl¬
raumes liess sich mehrfach Ependymepithel nachweisen.
Weiter erörtert Vortr. die vermutlichen Ursachen des die
Ceplialocelen so oft begleitenden Hydrokephalus mit besonderer
Berücksichtigung der Arbeiten von Muscatello (Langenb.
Arcli., Bd. 68) und Aveist darauf hin, dass auch im vorliegenden
lalle die mikroskopische Untersuchung eine Leptomeningitis
serosa (mit Exsudat in den Subarachnoidealraum, perivaskulärer
Infiltration der Piagefässe, Exsudat in die Araelinoidea und ober¬
halb derselben etc.) als wahrscheinliche Ursache des Hydro¬
kephalus nachAveist. Ob diese Leptomeningitis von den über der
Cephalocele bestandenen Hautulzerationen ausgegangen ist oder
bereits bei der Geburt (Lues?) bestanden hat, liess sich nicht ent¬
scheiden.
Von besonderem Interesse Aval- ausserdem der Nachweis
totaler Inklusionen von hyalinem Knorpel, an anderen Stellen von
Schweissdrüsen, Muskelbündeln und Fettgewebe in den untersten
Schichten der verdickten Subkutis der GeschAvulst.
Äerztiicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 18. November 1902.
Vorsitzender : Herr Iv ü m mell.
I. Demonstrationen:
1. Herr J e s s e n erörtert die Frage der traumatischen Ent-
Stellung’ eines Iierzklappenfehlers an der Hand eines Falles. Die
Zahl der Beobachtungen, wo nach einem Trauma, das die Brust
betrat, durch Zerreissung der Herzklappen ein Vitium entstand,
ist schon recht gross. Noch zahlreicher sind die Fälle, in denen
eine einmalige Ueberanstrengung von einem dauernden Vitium
gefolgt ist. per vorgestellte Schiffer hatte im April des Jahres
gelegentlich einer ärztlichen Untersuchung einen absolut normalen
Ileizbeiund. Im Mai hatte er durch eine Havarie sehr angestrengt
zu arbeiten und fühlte dabei einen intensiven Schmerz in der Herz
gegend neben allgemeinem Unbehagen. Es entwickelte sich dann
eine schwere Herzinsuffizienz mit Dilatation und Klappen¬
geräuschen, nach deren Beseitigung das Bild einer Aorteninsuf-
fizieuz zurückblieb.
n T Herr K o b e r t demonstriert das Leichenpräparat einer
Hufeisenniere, die zugleich Schrumpfniere darstellt.
8. Herr Conitzer demonstriert 2 durch Laparotomie ge¬
wonnene Tubargraviditäten aus der zweiten Schwangerschafts-
hälfte und ein zweikammeriges Kystoma serosum simpiex, dessen
eine Kammer gplatzt war.
4. Herr Sieveking berichtet von einem Fall atoii Ver¬
giftung durch ein Hausmittel. Ein kräftiger Arbeiter hatte
gegen Urinbeschwerden eine Tasse Brennesseltheeabkochung ge¬
trunken und erkrankte y2 Stunde nach dem Genuss mit BeAvusst-
seinstrübung, Schwere in den Beinen und \Areiten starren Pupillen.
In dem konfiszierten Tliee fanden sich Blätter von Datura stram-
monii, so dass es sich um eine Daturinintoxikation handelt. Bei der
polizeiärztlichen Kontrolle der Drogerien ist auf derartige Bei¬
mengungen zu den als Hausmittel geltenden Speziesarten zu
achten.
5. Herr Leiser demonstriert einen 18 jährigen Patienten,
bei dem er einen Zahn aus der Hase entfernt hat. Es handelt sich
um einen versprengten Zahnkeim. Der Kranke hatte eine Hasen¬
scharte und V olfsrachen — die in seiner Kindheit operiert sind.
Ausserdem besteht eine Ossifikation oder Defekt einer Highmors¬
höhle, Die Warzenfortsätze sind beiderseits stark eingezogen,
so dass eine erhebliche Verkürzung der knöchernen Gehörgänge
resultiert. Schliesslich findet sich noch eine Fistula congenita colli.
6. Herr Rüder berichtet über den Geburtsverlauf bei 2 Miss¬
geburten: a) 28 jiilir. III. Para. Steisslage. Beim Versuch, den Fötus
am Fuss zu extrahieren, Avird das Fehlen der unteren Extremitäten
konstatiert. Nach der Geburt des Steisses wird der gleichfalls
völlige Mangel der oberen Extremitäten festgestellt. Es handelte
sich also um einen Phocomelus. b) 31 jähr. II. Para: Fötus
mit Spina bifida und grosser Bauchspalte mit Ektopie der In¬
testina. Bei der Untersuchung wird die Spina bifida verletzt, da¬
durch geht die Geburt weiter und die ektopischen Darmschlingen
1086
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
gelungen vor fl ie Scheide, so dass anfangs an l terusru ptur ge¬
dacht wurde. . r
7. Herr T ro emne r: a) Fall von wahrscheinlich aut Lues
beruhender Meningomyelitis. Schubweises Erkranken: zuerst
Symptome einer B r o w n - S e q u a r d sehen Halbseitenläsion,
die sich bis auf Beste zurückbilden; dann im Anschluss an einen
heftigen Schreck 14 Tage langes Zittern und Krämpfe in den
Armen; darnach schwere Ataxie an den oberen Extremitäten mit
Reflexsteigerung, Sensibilitätsstörungen und ausstrahlenden Len¬
denschmerzen. Auf spezifische Therapie Besserung.
b) Fall von Hypochondrie. Arbeiter, seit August 19U0 krank,
spastisch-ataktischer Gang und Bömberg. Trotzdem kein or¬
ganisches Leiden, sondern nur psychisch bedingte lunktions,
Störung. u
11. Die Diskussion über den Vortrag des Herrn
Staude: Zur erweiterten vaginalen Totalexstirpation des
karzinomatösen Uterus, gestaltete sich, besonders durch die Tei -
nähme des Herrn Mackenrodt-Berlin zu einer ungemein
lebhaften. Sie bot im allgemeinen ein ähnliches Bild wie die
Diskussion der letzten Gynäkologenkongresse, auf denen die
Frage, ob vaginal oder abdominal zu operieren sei, ventiliert
wurde. Referent hält es deshalb für richtig, nur einzelne Funkte
herauszugreifen.
Herr M a c k e n ro d t- Berlin: Gegen die b tau de sehe
Methode macht er vor allem 3 Funkte geltend: 1. Die grossere
Gefahr einer septischen Infektion, 2. die Gefahr des Imptkarzmoms
in den zur Freilegung des Operationsfeldes nötigen Scheiden¬
inzisionen, 3. die Schwierigkeit des radikalen Operierens, d. h der
radikalen Entfernung der Verstreuungen des Karzinoms. Koch
nach Jahren sieht man die Bezidive gerade in den Narben der
Scheiden- oder Damminzisionen auftreten. Die vaginale Methode
erlaubt nicht ein Freilegen des Ureterlagers und eine Entfernung
der wichtigsten Drüsen, die den Eintritt des Ureters ringförmig
umgeben. Im Gegensatz zu Staude hält er die Drusentrage
für die wichtigste, wenn auch zweifellos Fälle Vorkommen, bei
denen bei der Sektion die Beckendrüsen völlig karzinomfrei ge¬
funden werden. Die angeblich höhere Mortalität der abdominalen
Methoden, sinkt bei der Vervollkommnung der Technik auch er¬
heblich Von 34 in seiner Klinik operierten Fällen sind 0 ge¬
storben 17,0 Proz. Nach Anwendung der ausgiebigen Becken¬
drainage nach Mikulicz sind von 1U Fällen nur 2 gestorben.
Demonstration von 3 Präparaten.
Herr Prochownick betont nach einem Ueberblick ubei
die Karzinoinoperationen und ihre Resultate, wieviel Subjektives
bei der Behandlung der Gebärmutterkrebse in die gleiche Sta¬
tistik einzureihen ist. Wo der eine die Operabilität bezweile ,
operiert der andere noch und hat demgemäss ganz andere Zahlen
nachher zu bringen. Bei den alten Methoden kamen früher mehr
regionäre Bezidive vor, daher ist die Drüsenfrage doch die Haupt¬
frage, obwohl nur in 20—30 Proz. der Fälle sich die Drusen als
infiziert erweisen. Die Uebersicht über das Operationsgebiet,
speziell über die Parametrien und die Blasengegend, ist bei ab¬
dominalem Vorgehen besser. Die Mortalitätsziffer wird sicher bei
beiden Methoden gleich werden. Die Staude sehen Resultate
sind jedenfalls nicht viel besser als die der Gegner. Die ganze
Frage ist entschieden noch nicht spruchreif. Es bleibt abzu¬
warten nach welcher Methode nach 5—0 Jahren die meisten Re¬
zidive beobachtet sind. Bis dahin rät er, bei leichten Fallen, weil
die Drüsen frei, vaginal, am besten a priori mit Hilfsschmtten,
zu operieren, bei Karzinom der Zervix und der Scheidenubergange
zu köliotomieren. „ . ,,r Q f
Herr W iesinger zeigt verschiedene von ihm nacli vv eit
beim operierte Uteruskarzinome, bei welchen der Prozess bereits
auf die Parametrien weit fortgeschritten war. An diesen Pia-
paraten ist zu sehen, dass bei dieser Methode die Parametrien be¬
sonders ausgedehnt entfernt werden können. W . rühmt die Me¬
thode als diejenige, bei der die Uebersichtlichkeit und die Möglich¬
keit, weit fortgeschrittene Prozesse im Gesunden zu operieren,
die grösste sei. W. erinnert dabei an den von ihm im Jahre 1894
hier gehaltenen Vortrag, in dem er die Forderung aufstellte, die
gewöhnliche vaginale Methode als nicht genügend zu verlassen und
durch radikalere Methoden zu ersetzen und zweitens die enge In¬
dikationsstellung, die damals noch von den meisten Gynäkologen
festgehalten wurde, nur bei auf den Uterus beschrankten Kai -
zinomen zu operieren, auch auf schon auf die Parametrien uber¬
gegangene Prozesse auszudehnen. YY . erinnert daran, dass damals
noch Staude beiden Forderungen gegenüber sich ablehnend
' ^ Herr Lauenstein: Die Art der Operation ist vom Material
abhängig. Je früher die praktischen Aerzte dem Chirurgen die
Fälle liefern, desto besser werden die Resultate sein.
Herr Deseniss referiert die Erfahrungen seiner Lehret
D ö derlein und W erthei m, betont den Wert der Probelaparo¬
tomie zur Entscheidung der Frage, ob überhaupt noch eine Becken¬
ausräumung möglich ist. ln 29 Fällen erwiesen sich dm eh bei ten-
schuittuntersuehung 8 mal die Drüsen als karzmomatos, und zvv ai
waren das immer nur die Drüsen, die vom Operateui makio-
slcopisch als karzinomatös angesprochen wurden.
Herr Kömmell: Im Spital sieht man nur die weit voi-
-csclirittenen Fälle. Die Verhältnisse um das Ureterlager herum
sind so wichtig, dass er nur laparotomiert. Bei 18 Laparotomien
fand sich 7 mal der Ureter so umwachsen, dass Stucke desselben
reseziert werden mussten. .,
Herr Grube hält, theoretisch gedacht, die erweiterte ab-
domiiuile Totaloxstirpation für die richtige Operation des Gebart
mutterkrebses und erkennt voll die guten Resultate M a c k e n -
rodts, der von allerdings nur 21 Fällen die* verhältnismässig ge¬
ringe Mortalität von 14,3 Proz. hatte, an. Die erweiterte ab¬
dominelle Totalexstirpation hat zunächst noch — und das wird
erst nach mehreren Jahren möglich sein — den Nachweis der
längeren Rezidivfreiheit zu liefern. Sie steht und fallt mit der
Entscheidung der Drüsenfrage, d. li. sie ist zu verwerten, wenn
genaue anatomische Untersuchungen an der Leiche ergeben, dass
es in einer grösseren Anzahl von Fällen nicht gelingt, sämtliche
erkrankten Drüsen, besonders die retroperitonealen, zu entfernen.
Bis zur Lieferung dieses Nachweises ist er entschlossen, alle
operablen Fälle mit weitester Indikationsstellung nach Schu¬
rhardt zu operieren; die radikal nicht zu erledigenden sollen
mittels energischer Auslöffelung, Gliilieisen und Liquor fern be¬
handelt werden. Er ist der Ansicht, dass die Ausräumung des
parametranen Gewebes allein, ohne Berücksichtigung der retroperi¬
tonealen Drüsen, ebenso gut mittels Scliuchardtschen
Schnittes erfolgen kann wie per abdomen.
Herr Weiss betont, dass auch der praktische Arzt die Kar¬
zinome nicht so früh in Behandlung bekommt, wie er und die
Chirurgen es möchten. Für den Praktiker wird jedenfalls die
Methode am angenehmsten sein,
bilität gestattet.
Ferner sprachen die Herren
M a e k e n r o d t und Stau d e.
die die weitgehendste Opera -
S e e 1 i g m a n n,
P i e 1 s k e y
W e r n e r.
Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Würzburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o m 12. November 1902.
Herr 0. Schnitze: Was lehren uns Beobachtung und
Experiment über die Ursachen männlicher und weiblicher Ge¬
schlechtsbildung bei Tieren und Pflanzen?
In dem ersten Teil des Vortrages wird über die an 1 tian-
zen erzielten experimentellen Resultate berichtet.
F r a n 1 1, ferner B a u k e und G. K 1 e b s wiesen an den 1 ro-
thallien der Farne nach, dass unter ungünstigeren Ernahrungs-
bedingungen nur männliche Geschlechtszellen, Spermatozoiden,
gebildet werden, während das Auftreten der Eizellen erst bei
besserem Ernährungszustand eintritt. Dasselbe lehrten die Ex¬
perimente von B u c h t i e n an den Prothallien von Equisetaceen,
sowie diejenigen von G. Klebs, des verdienten Forschers aut
dem Gebiete der Fortpflanzungsphysiologie der niederen 1 flanzen.,
an der Alge Vaucheria repens, die bei geringerem Luftdruck, ab¬
normer Temperatur und mangelhafter Belichtung nur Sperma-
tozoiden (Antheridien), bei normaler Ernährung auch Eizellen
(öogonien) bildet. Unter den Phanerogamen kann man an dem
monoeeisc.hen Mais durch den Versuch und die Beobachtung in
der Natur entsprechendes nachweisen. DeVriea konnte durch
gute Ernährung bei Papaver somniferum polycephalum eine Um¬
wandlung der der Fruchtanlage zunächst liegenden Staubblatter
in Fruchtblätter (Nebencarpelle) erzielen. Bei vielen, besonders
niederen Pflanzen stellt sonach die Produktion der weiblichen
Geschlechtszelle höhere Anforderungen an den Organismus, als
die der männlichen Fortpflanzungszellen. Bei den dioecischen
Phanerogamen (z. B. Bingelkraut, Hanf, Spinat) ist nac
früheren Versuchen von Iley er und neueren von E. Stras¬
burg e r die geschlechtliche Differenzierung zweifellos sehr früh
angelegt. Hier gelingt es nicht, durch schlechte Ernahrungs-
verhältnisse der aus dem Samenkorn sich entwickelnden Pflanze
einen Einfluss zu erzielen. Das Geschlecht dieser getrennt ge¬
schlechtlichen Pflanzen ist zweifellos im Samenkorn vorgebildet,
wahrscheinlich auch schon in der Eizelle.
Bei wirbellosen Tieren sind den Resultaten bei niederen
Pflanzen entsprechende von Nussbaum bei dem Süsswasser-
polvpen Hydra erreicht worden. Dieser zwitterige Polyp kann,
je nachdem man ihn schlecht oder gut ernährt, zur Produktion
von Hoden oder Eierstöcken veranlasst werden. Das inter¬
essanteste Experiment aber ist das von N ussbaum au em
Rädertier Hvdatina senta angestellte. Jedes Weibchen dieses m
unseren Tümpeln lebenden, fast mikroskopischen Tieres legt immer
nur eine Sorte Eier, aus denen entweder nur männliche oder nur
weibliche Nachkommen stammen. Das abgelegte befruchtete i
ist in keiner Weise mehr in der ihm bereite innewohnenden ge¬
schlechtlichen Tendenz umzustimmen. Wirkt man aber duici
schlechte oder gute Ernährung ailf die Weibchen ein zu dei
wo sie die Eier bilden, so liefern schlecht genährte W ei >-
chen immer nur männliche, reichlich genährte immer nur wei
liehe Eier. Hier ist der Weg gefunden, auf welchem vielleicht
auch hei Wirbeltieren <1 u r c h E inwi r k u n g a uf da s Ei
bevor es reif ist, noch etwas zu erreichen ist. Zwei Jahre
25. November 1902.
1937
MüENCIiENER MEDICINISCHE WOCHENSCIIR1ET.
lang mit vieler Mlihe an Säugetieren (Mäusen) von dem Vor¬
tragenden durchgeführte Versuche haben ergeben, dass die ver¬
schiedenen Hypothesen der Tierzüchter über die Bedeutung des
Alters der Erzeuger oder der Geschlechtsprodukte, der stärkeren
geschlechtlichen Inanspruchnahme eines der beiden Erzeuger, der
Inzucht und Incestzucht u. a., für die Mäuse keinen — und also
keinen allgemeinen — V ert haben. Der verschiedene Er¬
nährungszustand der Mutter im allgemeinen, sowie deren Auf¬
zucht mit eiweissarmer und eiweissreicher Kost (Aleuronat)
waren ohne Einfluss auf das Geschlechtsverhältnis. Da das ein¬
zige gelungene Experiment bei getrennt geschlechtlichen Tieren
(Nussbaum bei ITydatina) durch Einwirkung auf die Eizelle
während i h r er Entwicklung zu stände kam, bei den
Säugern und den Menschen aber die Eier meist zur Zeit der Ge¬
burt oder jedenfalls zur Zeit der Geschlechtsreife gebildet s i n d,
so dürfte keine Hoffnung bestehen, durch Wirkung auf das
geschlechtsreife Säugetier oder die Frau etwas zu erreichen. Die
Eier, aus denen wir stammen, sind bereits in unserer Grossmutter,
als unsere Mutter noch eins mit ihrer Mutter war, gebildet.
Versuche durch verschiedene Ernährung von Mäuseweibchen auf
das Geschlecht der zweiten Generation zu wirken, schlugen je¬
doch bisher völlig fehl.
In dem zweiten Teil des Vortrags werden aus den beiden
organischen Lebewelten zahlreiche Beobachtungen mit¬
geteilt, welche zeigen, dass in vielen Fällen die Erzeugung weib¬
licher Nachkommen einer höheren Leistung des Organismus ent¬
spricht, so bei den staatenbildenden Insekten (Bienen, Wespen,
Ameisen), wo die gering entwickelten Weibchen (Arbeiter) nur
männliche, die gut ernährten Weibchen (Königinnen) aber auch
weibliche Nachkommen liefern; ähnliches gilt für die Blattläuse,
die Daphniden u. a. Die Auffassung, dass die Befruchtung über
das Geschlecht entscheidet, ist gänzlich unbewiesen und verfehlt.
Ohne Befruchtung entstehen bei Tieren und Pflanzen beide Ge¬
schlechter, denn die Parthenogenesis liefert bei ein und derselben
Art männliche und weibliche Nachkommen. In der Eizelle
ist das Geschlecht präformiert, entsprechend der schon vor
50 J ahren von B. S. Schultze ausgesprochenen Ansicht und
den Experimenten von E. Pflüger an Fröschen. Der Eizelle
sieht man es in Fällen sehr auffallenden Geschlechtsdimorphismus
bei Tieren und Pflanzen von vorneherein an, ob sie ein männ¬
liches oder ein weibliches Individuum liefern wird.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein München.
Sitzung vom 19. Novembe r 1902.
Nach Erledigung des umfangreichen Einlaufes erhält Herr
Prof. G. Klein vor der Tagesordnung das Wort, um zu der von
ihm am 20. und 27. November im grossen Festsaale des Künstler¬
hauses veranstalteten „Ausstellung von Originalwerken zur Ge¬
schichte der anatomischen, geburtshilflichen und chirurgischen
Abbildung vom Jahre 1491 — 1800“ und zu einem von ihm am
Mittwoch, 20. November ebendort zu haltenden einführenden Vor¬
trag die Mitglieder des Vereins einzuladen. Diese auch ausserhalb
unserer Mauern bereits rühmlichst bekannte, in ihrer Art einzig
dastehende Sammlung wird hoffentlich ihre Anziehungskraft
nicht verfehlen, so dass dem liebenswürdigen Aussteller und
glücklichen Besitzer für seine grosse Mühe die Freude eines recht
regen Besuches zu Teil werden möge.
Zur Tagesordnung sprach Herr B. Spatz über die Aende-
rung der Satzungen des Deutschen Aerztevereinsbundes. Seine
Anträge gingen in der Hauptsache dahin, dass auch in Zukunft
der Aerztevereinsbund sich aus den V e r e inen zusammensetzen
solle. Es sei daher zu versuchen, auf Grund der bisherigen
Organisation die Anerkennung als E. V. zu erlangen, event. die
Rechtsfähigkeit durch staatliche Verleihung anzustreben. Im
schlimmsten Falle sei es besser, auf die Rechtsfähigkeit zu ver¬
zichten, als dieselbe zu erkaufen durch eine Aenderung der
Organisation, welche den Bund in seinem festen Bestände zu
erschüttern drohe.
Die Anträge des Referenten wurden einstimmig angenommen
und dem Geschäftsausschuss übermittelt.
Dann trug man ein schon lange kränkelndes, nur mühsam am
lieben erhaltenes Sorgenkind des Vereins, die Morbiditätsstatistik,
still zu Grabe. Herr H. Sternfeld hielt die Leichenrede. Im
Jahre 1S88 durch den langjährigen Vorstand I)r. Aub aus der
Taufe gehoben, brachte sie es nie zu dem kräftigen Dasein, das
ihr wohl von allen Seiten gewünscht war. Doch verlassen wir
das Bild! Herr G ruber legte ziffernmässig klar, welche Summe
der Verein bereits in den 14 Jahren geopfert habe, und dass eine
allein brauchbare Weiterführung — nämlich bei Beteiligung von
rund 500 Kollegen — so bedeutende Ausgaben verursachen würde,
dass die an das Ministerium gestellte Bitte um Portofreiheit wohl
begründet gewesen war. Wie der Referent unter allgemeiner
Heiterkeit bemerkt hatte, berief sich das Ministerium bei seinem
abweichenden Bescheid auf eine k. Verordnung vom Jahre 1829.
Da die Aerzte in der heutigen Zeit aber ihre Vereinsmittel zu viel
notwendigeren Sachen brauchen können und müssen, wurde be¬
schlossen, die in ihrer jetzigen Form vollkommen wertlose Sta¬
tistik vom 1. Januar 1903 an nicht weiter zu führen. Habe das
Ministerium wirklich ein Interesse an derselben (wie aus einer
Entschliessung vom 15. Juli 1892, die Verhandlungen der Aerzte-
kammern im Jahre 1891 betreffend, entnommen werden müsste),
so müsse es auch Mittel und Wege finden, um den Aerzten, die
zum Opfer an Arbeit und Zeit gerne bereit seien, weitere
finanzielle Lasten abzunehmen: Das war die allgemeine,
wohlberechtigte Meinung.
Eine sehr lebhafte Diskussion rief die Besprechung über die
geplante Einführung einer Postbetriebskrankenkasse für das
Königreich Bayern hervor. Aus geschäftlichen Gründen konnte
dieser Gegenstand nicht auf der Tagesordnung figurieren. Die
meist sehr temperamentvollen Diskussionsredner verfochten unter
Zustimmung des überwiegenden Teiles der Anwesenden den
Standpunkt, dass auch bei dieser geplanten Neugründung die be¬
rechtigten, in den letzten Jahren so heiss umstrittenen Rechte
und Interessen der Aerzte nicht ausser Acht gelassen werden
dürften und dass deshalb anzustreben sei, den programmatischen
Forderungen der deutschen Aerzteschaft wenigstens prinzipiell
zur Anerkennung zu verhelfen.
Die in derselben Sitzung vorgenommene Neuwahl der Vor¬
standschaft und des Pressausschusses für das Jahr 1903 ergab
keine Aenderung der bisherigen Namen. Für clen nach Greifs¬
wald berufenen Prof. Moritz, den der Verein schweren Herzens
ziehen . lassen musste, wurde Prof. G. Klein gewählt.
Dr. Hoeflmayr,
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Berlin, den 17. November 1902.
Zur Aerztekammerwahl. — Die Erörterungen über die
Entscheidungen des Ehrengerichtshofes. — Zur Schularzt¬
frage.
Wieder einmal ist das dreijährige Mandat der Aerztekannner-
mitglieder abgelaufen, und die preussischen Aerzte haben in den
nächsten Tagen die Neuwahlen zu vollziehen. Bei solcher Ge¬
legenheit pflegen sich die Wähler die Frage vorzulegen: Was
hat die Institution für Aufgaben zu erfüllen und was hat sie in
der abgelaufenen Wahlperiode geleistet? Die Antwort lautet
nicht gerade sehr befriedigend ; trotz ehrlicher Arbeit und heissen
Bemühens sind die positiven Leistungen recht dünn gesät. Der
Grund dafür liegt in dem Umstand, dass die Aerztekammer nur
eine beratende Körperschaft darstellt, der jede exekutive Macht¬
vollkommenheit fehlt, und dass ihre Beschlüsse für gewöhnlich
nur dann Bedeutung gewinnen, wenn sie mit den an massgeben¬
der Stelle geltenden Anschauungen in Einklang stehen. So ist
z. B. aus den Verhandlungen der Berlin-Brandenburger Aerzte¬
kammer noch in frischer Erinnerung, dass, als eine Beschwerde
über unhaltbare Krankenhauszustände und der Modus der Um¬
lage auf der Tagesordnung standen, der anwesende Oberpräsident
in der liebenswürdigsten Weise und in rhetorisch vollendeter
Form, aber doch mit unverkennbarer Deutlichkeit der Kammer
ungefähr erklärte: Meine Herren, beschliessen Sie das, was Sie
im Sinn haben, lieber nicht, denn es würde Ihnen nichts nützen;
die Beschwerde würde ich an den Minister nicht weiter geben,
und die beabsichtigte Ausführung des Umlagerechts würde von
der Regierung nicht bestätigt werden. Unter diesen Umständen
ist es erklärlich, wenn die Vorbereitungen zur Wahl sich sehr
ruhig vollziehen und Wahlkämpfe nicht in Aussicht stehen. Das
ist nicht immer so gewesen; gewöhnlich hatte der Zwist, der schon
seit geraumer Zeit die Berliner Aerzteschaft spaltet und, wenn
auch ohne Feindseligkeiten und ohne Erbitterung, gewissermassen
in latenter, chronischer Form fortbesteht, um die Zeit der Aerzte-
kammerwahlen eine Exazerbation erfahren. DieGruppe der im Ge¬
schäftsausschuss vereinigten Standesvereine und des Vereins zur
Einführung freier Arztwahl standen dem mit dem Verein Ber¬
liner Kassenärzte verbündeten Aerztevereinsbund© gegenüber.
Die letztere Gruppe hatte sich als die schwächere erwiesen, und
deshalb hat sie jetzt auf die Aufstellung einer eigenen Kandi¬
datenliste verzichtet. Es ist wohl nur als eine Form zu betrach¬
ten, wenn sie mit Rücksicht auf die bei dem ^eigenartigen Wahl¬
modus“ bestehende Aussichtslosigkeit einer eigenen Agitation
ihren Mitgliedern Wahlenthaltung empfiehlt. Jedenfalls besteht
No. 47.
H »88
MUENC11ENER MEDICINISCHE
WOCHENSCHRIFT.
kein Zweifel, dass die vom Geschäftsausschuss nominierten
Kandidaten, unter denen sich übrigens auch solche befinden, die
dem Berliner Aerztevereinsbunde nahe stehen, ohne Kampf ge¬
wählt werden.
Sehr aufregend ist diese Tatsache auch für den quasi unter¬
liegenden Teil nicht, denn es handelt sich da im Grunde ge¬
nommen nur um Personenfragen; sachlich besteht in den meisten
Fragen für die ganze Aerzteschaft eine Gemeinsamkeit der Inter¬
essen, in die nur die Rücksicht auf kleinere, um nicht zu sagen
kleinliche Sonderinteressen hier und da Bresche schlägt. Der an
die Kollegen verschickte Wahlaufruf, der zugleich eine Art Pro¬
gramm enthält, könnte daher ohne wesentliche Veränderung von
allen Aerzten unterschrieben werden. Er betont die zweck¬
entsprechende Ausnutzung des Umlagerechts, die Aufgaben der
ärztlichen Standesvertretung gegenüber der bevorstehenden
Novelle zum Krankenversicherungsgesetz und dem weiteren xAus-
bau der sozialpolitischen Gesetzgebung, die Kurpfuschereibekäm¬
pfung, die Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege, die
Wahrnehmung der ärztlichen Interessen bei der Revision des
Strafgesetzbuches und die Ehrengerichtsbarkeit. \ on allen
diesen Punkten ist der letztere praktisch wohl der wichtigste,
denn während betreffs all der andern Dinge immer wieder zu er¬
warten ist, dass die Verhandlungen und Resolutionen der Aerzte-
kammer auf dem Papiere stehen bleiben oder allenfalls als
„schätzbares Material“ dienen, hat sie auf die Zusammensetzung
des Ehrengerichts und zum Teil auch auf die des Ehrengerichts¬
hofes unmittelbaren Einfluss; und hier kommt es freilich auch
wesentlich auf die Persönlichkeit der Ehrenrichter an, da sie
durch keinerlei Rücksicht auf Standesordnungen, Resolutionen,
Feststellungen der ordentlichen Gerichte gebunden sind, sondern
ausschliesslich nach freiem persönlichen Ermessen zu urteilen
haben. Wie sehr aber dabei die Ansichten auseinander gehen
können, das zeigen die Erörterungen, welche durch die kürzlich
veröffentlichten Entscheidungen des Ehrengerichtshofes ent¬
facht worden sind. Die grösste Aufregung hat die Entscheidung
hervorgerufen, welche Bestrebungen zur Einführung der freien
Arztwahl unter Strafe zu stellen scheint. Es ist an anderer
Stelle dieser Wochenschrift schon hervorgehoben worden, dass
aus dem allerdings sehr unglücklich gewählten Wortlaut des Er¬
kenntnisses unmöglich ein vom Ehrengerichtshof aufgestellter
Grundsatz herausgelesen werden dürfe, der unter allen Umstän¬
den Geltung zu beanspruchen hätte. Gerade die begleitenden
Umstände sind es ja häufig, welche ein Ehrengericht in jedem
einzelnen Fall, seiner Eigenart nach, das Urteil finden helfen.
Darum wird auch zu dem Fall, der den Ehrengerichtshof be¬
schäftigte, durch die Selbstanklage des Berliner Kollegen, gegen
den die Voruntersuchung nunmehr eingeleitet ist, keine Parallele
geschaffen; denn hier handelt es sich um einen hochangesehenen,
in ärztlichen Kreisen und auch darüber hinaus als durchaus
ehrenwert bekannten Arzt, dessen Vergangenheit, dessen Tätig¬
keit und dessen sonstiges Auftreten eine Gewähr dafür bietet,
dass er sich „durch sein Verhalten innerhalb und ausserhalb des
Berufes der Achtung würdig zeige, die sein Beruf erfordere“.
Ohne dem vom Ehrengerichtshof mit Strafe belegten Kollegen
zu nahe treten zu wollen, darf man doch wohl begründete Zweifel
hegen, ob von ihm, dem ehrengerichtlich Vorbestraften, dasselbe
behauptet werden kann. Somit sind also die Grundlagen der
Beurteilung ganz andere, und dass in dem Berliner Fall eine
Freisprechung erfolgen wird, kann von vornherein keinem
Zweifel unterliegen. Auch gegen andere Entscheidungen sind
mancherlei Bedenken laut geworden; in einem Fall war der schon
bei der Beratung des Gesetzes seiner Zeit als heikel und dehn¬
bar empfundene Passus von den „politischen etc. Ansichten und
Handlungen“ Gegenstand der Kontroverse; und es zeigte sich,
wie auch damals vorausgesagt wurde, dass wenn auch politische
Handlungen „als solche“ nicht Gegenstand eines ehrengericht¬
lichen Verfahrens sein dürfen, doch die Form, in der sie zum
Ausdruck kommen, eine Strafe begründen kann. Ein Arzt hatte
sich in schroffen Gegensatz zu den Berufsgenossen seines Wohn¬
ortes gesetzt, indem er „eine Bahn- und Kassenarztstelle“ über¬
nahm, die die übrigen Aerzte einmütig abzulehnen beschlossen
hatten. Von der ersten Instanz wurde ihm ein Verweis erteilt,
der Ehrengerichtshof aber sprach ihn frei, da das abweichende
Verhalten von den Grundsätzen und Anschauungen der Standes¬
genossen nur dann ehrengerichtlich von Bedeutung sei, wenn es
an sich eine Verletzung der Standesehre darstelle, was aber von
der Uebernahme einer Kassenarztstelle nicht gesagt werden
könne. Das könnte, wörtlich aufgefasst, zu einer Sanktionierung
des unter der Verurteilung aller Aerzte hier und da zu Tage
getretenen „Streikbrechertums“ führen. Aber es ist wohl nicht
angängig, in dem Wortlaut der Entscheidungen ihren gesamten
Inhalt erschöpft zu sehen. AVir werden, wie bei der erst be¬
sprochenen, vorerst annehmen müssen, dass das Drum und Dran,
die mannigfachen Imponderabilien, die in dem Erkenntnis nicht
alle zum Ausdruck gebracht werden können, bei der Urteils¬
fällung von Einfluss gewesen sind.
Endlich scheint auch in Berlin die Schularztfrage wieder in
Fluss zu kommen. Nur mit grossem Widerstreben war der
Magistrat dem Gedanken, Schulärzte anzustellen, überhaupt
näher getreten. Nach langen Verhandlungen und Erörterungen
hatte er sich vor etwa 3 -Jahren entschlossen, einen Versuch mit
10 Schulärzten an einigen Gemeindeschulen zu machen. Das Er¬
gebnis dieses Versuches sollte die Richtschnur für die weitere Be¬
handlung der Angelegenheit geben. Soweit Berichte über die
Thätigkeit der Schulärzte veröffentlicht wurden, muss das Er¬
gebnis als durchaus befriedigend betrachtet werden; denn irgend¬
welche Unzuträglichkeiten sind nicht bekannt geworden, wohl
aber eine ganz beträchtliche Zahl von Fällen, in denen durch das
Eingreifen des Schularztes Infektionskrankheiten erkannt und
ihre Verbreitung verhütet wurde, minderbegabte Kinder den für
solche eingerichteten Sonderklassen überwiesen wurden u. s. w.
Da inzwischen auch in vielen anderen grossen und kleinen
Städten die ärztliche Mitwirkung an den Aufgaben der Schule
sich durchaus bewährt hat, so sollte man annehmen, dass nun¬
mehr auch die letzten Bedenken gegen die allgemeine Einführung
dieser Einrichtung in Berlin gefallen wären, zumal da die finan¬
zielle Seite der Frage hei dem Millionenetat der Stadt nicht ins
Gewicht fallen kann. Aber die städtische Verwaltung scheint
jede Ueberstiirzung ängstlich vermeiden zu wollen; die Schul¬
deputation hat dem Magistrat vorgeschlagen, die Zahl der Schul¬
ärzte auf 30 zu erhöhen und diese, mit der Beaufsichtigung einer
bestimmten Zahl von Kindern zu beauftragen. Aus der Stadt¬
verordnetenversammlung heraus ist jedoch eine Anregung zu
einem etwas beschleunigteren Tempo ergangen; es wurde ein
Antrag gestellt, den Magistrat zu ersuchen, vom 1. April 1903
ab an jeder Gemeindeschule einen Schularzt anzustellen. Wird
dieser Vorschlag ausgeführt, so würden in Berlin etwa 260 Schul¬
ärzte tätig sein. Abgesehen von dem günstigen Einfluss dieser
Tätigkeit auf die Gesundheitsverhältnisse unserer Schulkinder
würden sich sicherlich aus dem reichhaltigen Beobach tungs-
material manche neue Gesichtspunkte gewinnen lassen, die der
Entwicklung der Schulgesundheitslehre und so auch den all¬
gemeinen hygienischen Verhältnissen zu Gute kämen. M. K.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
W ien, 20. November 1902.
Gegen die Anpreisungen von Heilmethoden und Heil¬
mitteln ausländischer Personen in Tagesblättern. — Seelsorger
und Aerzte. — „Nikotinfreie Zigarren“ enthalten Nikotin.
— Hypalgesie resp. lokale Analgesie bei einem Degenerierten.
Ein Erlass des Ministeriums des Innern vom 6. November
1902 an die Statthalterei in Brünn (in Abschrift allen anderen
politischen Landesstellen zu analogem Vorgehen übermittelt) be¬
trifft das Einschreiten gegen Anpreisungen von Heilmethoden
und Heilmitteln unbefugter ausländischer Unternehmungen und
Personen in den Tagesblättern und sonstigen Druckschriften.
Zur Erläuterung diene folgendes: Schon im Juni 1. J. hat die
k. k. Oberstaatsanwaltschaft über Auftrag unseres Justizmini¬
steriums die in Betracht kommenden Zeitschriften darauf auf¬
merksam gemacht, dass durch die Veröffentlichung der betref¬
fenden Inserate ein kurpfuscherisches, also unstatthaftes Unter¬
nehmen gefördert werde und dass die Fortsetzung dieser In-
serierung die pressrechtliche Repression bezw. straf gerichtliche
Ahndung nach sich ziehen müsse. Ferner wird hervorgehoben,
dass die mit derartigen reklamehaften Ankündigungen verbun¬
dene Inaussichtstellung einer „brieflichen Kur“ unzweifelhaft
einer unbefugten Ausübung der Arzneikunde
i m Tula n d e gleichkäme und daher als Distanzdelikt der
25. November 1902.
1989
MUENCJHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Strafnorm des § 343 St.G. unterliege, wobei hinsichtlich der
Publikation dieser Anpreisungen weitere Para¬
graphen des St.G., die von strafbarer Mitschuld und
Teilnahme an strafbaren Handlungen, sowie
Versuchen von solchen handeln, in Betracht kämen. Im ein¬
gangs erwähnten jüngsten Erlasse werden also die k. k. Statt¬
haltere ien aufgefordert, die eigenen, sowie die Sanitätspersonen
unterstehenden politischen Behörden anzuweisen, derlei An¬
preisungen fortgesetzte Aufmerksamkeit zu widmen, angezeigten
Falles sofort der Statthalterei hievon Anzeige zu erstatten, da¬
mit sieh die Statthalterei mit der Staatsanwaltschaft ins Ein¬
vernehmen setzen könne.
Der Staatsanwalt hätte bei uns tagtäglich Gelegenheit, das
eine oder andere politische Tag- oder Wochenblatt, einen Ka¬
lender etc., welche derlei ausbeuterische Inserate enthalten, zu
konfiszieren resp. deren Redakteure oder Herausgeber straf¬
gerichtlich zu verfolgen. An Material würde es wahrlich nicht
fehlen, wenn die beamteten Aerzte nur fleissig Anzeigen machen
würden. Noch besser wäre es, die jüngst eingebrachte Re¬
gierungsvorlage, betreffend das neue Pressgesetz, würde im § 35
im Sinne des Vorschlages der Wiener Aerzte-
kammer abgeändert werden. Dann hätten wir ein G e s e t z,
eine „eherne Tafel“, deren Kenntnis nicht bloss den Staats¬
anwälten, sondern auch den Redakteuren und Herausgebern von
politischen Zeitschriften etc. stets gegenwärtig sein müsste.
Die Impfärzte Mährens wurden mittels Statthaltereierlasses
darauf aufmerksam gemacht, dass fortan die Impfung resp. Re-
vaccination der Schulkinder regelmässig ausserhalb der Unter¬
richtszeit und nur in jenen Fällen, in welchen nach der kon¬
kreten Sachlage besonders triftige Umstände es unbedingt er¬
heischen, auch während des Unterrichtes vorzunehmen sei. Da¬
gegen wäre absolut nichts einzuwenden gewesen, wenn der Er¬
lass nicht den weiteren Passus enthielte: „Wo dieser Ausnahms¬
fall emtritt (Impfung während der Unterrichtszeit), muss bei
dem bezüglichen Vorgehen eine besonders taktvolle Rücksicht
auf die dem Stande der Seelsorger angehörigen Religionslehrer
genommen werden, die rechtzeitig im Wege der Schulleitung
von dem beabsichtigten Eintreffen des Impfarztes und dem hie-
naeli zu gewärtigenden Ausfälle der Unterrichtsstunden in
Kenntnis zu setzen sind. Keinesfalls darf ein nicht gehörig
verständigter Religionslehrer zum Verlassen der Schule aus An¬
lass der beabsichtigten Amtshandlung des Impfarztes genötigt
werden, sondern es wäre die betreffende Amtshandlung zu ver¬
schieben, wenn nicht durch Klassentausch ein entsprechendes
Abkommen ermöglicht wird.“
Gegen diesen Passus des Erlasses nahm die mährische Aerzte-
kammer nach dem offiziellen Protokolle (Oesterr. Aerztekammer-
blatt vom 15. November 1902) Stellung. Der Referent bean¬
tragte, in einer Petition an die k. k. Statthalterei dem Bedauern
Ausdruck zu geben, dass ein vereinzelter und sicherlich nicht
schwerwiegender Fall von Unverträglichkeit oder Meinungsver¬
schiedenheit genügt hätte, einen ganzen Stand zu
disziplinieren. Es muss diese Zurücksetzung von den
Aerzten umso schwerer empfunden werden, als vielleicht durch eine
Belehrung des betreffenden Arztes und auch des Religionslehrers,
dem die amtliche Stellung des Impf arztes, der in
der Schule gesetzlichen Anordnungen Folge leistet, nicht be¬
kannt gewesen zu sein scheint — dem Statthaltereierlasse auf
kurzem Wege der Boden hätte entzogen werden können. Ueber-
dies sind die Aerzte berechtigt, zu erwarten, dass ihnen in Aus¬
übung ihrer amtlichen, dem Gemeinwohle dienenden Funk¬
tionen von der k. k. Statthalterei keine Erschwerung, sondern
jederzeit und überall wohltätige Förderung zuteil werde. Der
k. k. Statthalterei gegenüber wäre die Erwartung auszusprechen,
dass sie einem Berufe, mit dessen gemeinnütziger Tätigkeit sich
kein Stand und kein anderer Beruf auch nur im entferntesten
messen kann, in Zukunft das gleiche Wohlwollen entgegen
1 »ringen werde, wie sich eines solchen andere Berufsarten ganz
ungebeten erfreuen. — Der Antrag wurde angenommen.
Für „nikotinfreie Zigarren“ wird in den politischen Blättern
des In- und Auslandes vielfach Reklame gemacht. Es wird da¬
her die nachfolgende offizielle Darstellung von Interesse sein.
Vom Vertreter der Zigarrenfabrik H. O. Wendt in Bremen wurde
im Jahre 1899 an das österr. Finanzministerium und im fol¬
genden Jahre auch an das k. k. Ministerium des Innern eine
Eingabe gerichtet, in welcher auf die in der genannten Fabrik
nach einem von Professor Dr. Gerold angegebenen und pa¬
tentierten Verfahren erzeugten „nikotinfreien Zigarren“ auf¬
merksam gemacht und das Ersuchen gestellt wird, die Ein¬
führung dieser Zigarren in Oesterreich in Erwägung zu ziehen.
Die Direktion der österreichischen Tabakregie hat nun Proben
dieser „nikotinfreien Zigarren“ durch ihre Chemiker unter¬
suchen lassen, welche hiebei konst atierten, dass die Wendt sehen
Zigarren keineswegs nikotinfrei seien, sondern einen
mittleren Gehalt von 0,945 Proz. an gerbsaurem Nikotin, wel¬
ches im Wasser schwer löslich sei, enthalten. Einzelne Sorten
dieser Zigarren enthalten 1,01 bis 1,42 Proz. Nikotin, also
Mengen, welche von dem Nikotingehalte einiger gangbarer Regie-
zigarrensorten des allgemeinen Tarife» nicht erreicht oder doch
nur unwesentlich überschritten werden. Das Gerold sehe Ver¬
fahren (Behandlung der Tabakblätter mit einer Lösung von
Gerbsäure und einem wässerigen Origanumextrakte) sei auf den
Nikotingehalt von keinem wesentlichen Einflüsse.
Aber auch der k. k. Oberste Sanitätsrat erstattete über
Wunsch des Ministeriums des Innern hierüber ein eingehendes
Gutachten. Der Referent, Professor Dr. E. Ludwig, gelangte
hiebei zu folgenden Schlussätzen: „Die Gerold sehen
Paten tzigarren sind nikotinhaltig, ihre Präparation mit Gerb¬
säure und Origanumextrakt bedeutet vom hygienischen Stand¬
punkte keine Verbesserung, sondern eher eine Verschlechterung
für den Raucher; denn die Anwesenheit von Gerbsäure und
Origanumextrakt hindern keineswegs den Uebergang des Niko¬
tins und seiner Zersetzungsprodukte in den Rauch, alterieren
aber die Feinheit des Aromas. Die Herstellung solcher Zigarren
im Inlande ist daher durchaus nicht anzustreben. Wenn es ge¬
lingt, Zigarren zu erzeugen, die, obwohl nikotinfrei, beim
Rauchen dieselbe angenehme Wirkung hervorbringen, wie die
nikotinhaltigen Zigarren, so wird das namentlich für solche
Raucher, die gegen das Nikotin und dessen Zersetzungsprodukte
im Rauche empfindlich sind, von grossem Vorteil sein. Die
Hoffnung, dieses Ziel zu erreichen, muss aber als eine sehr ge¬
ringe bezeichnet werden.“
Im Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien stellte
Dr. Erwin Stransky einen 20jährigen Mann vor, der sich
derzeit als „Glas- und Feueresser“ produziert und der ein wissen¬
schaftliches Interesse darbietet. Seine Mutter soll wohl eine
nervöse, reizbare, etwas exzentrische Person gewesen sein, er
selbst war aber angeblich stets gesund, hat sich normal ent¬
wickelt, erlernte das Kellnergewerbe und übt es noch derzeit
aus, hat niemals nervöse Anfälle gehabt, weist kein auf Hysterie
hindeutendes Symptom auf ; kein Potus, keine venerische Affek¬
tion. Schon in der Kindheit wusste er kaum, was Schmerz sei,
Schläge, Ohrfeigen etc. hat er eigentlich nie schmerzhaft em¬
pfunden. Als er jüngst eine Phlegmone bekam, verursachte ihm
weder diese, noch die ohne jedwede Anästhesie durchgeführte In¬
zision irgendwelche Schmerzen. Jetzt erst wurde er auf seinen
Zustand aufmerksam und begann daraus Kapital zu schlagen :
er produzierte sich gegen Entgelt als Glas- und Feueresser, stach
sich Nadeln tief durch die Haut, setzte sich Brandwunden etc.
Die genaue körperliche und geistige Untersuchung ergab, dass
das Individuum vollkommen gesund sei. Die Hautreflexe sind
allenthalben vorhanden, ebenso der Rachen- und Kornealreflex,
der letztere, entsprechend der Hypalgesie der Hornhaut, nicht so
prompt wie de norma. Weder für die taktile noch für die ther¬
mische Sensibilität ist ein Ausfall nachzuweisen, auch die Kitzel¬
empfindung ist vorhanden. Hingegen zeigt sich die Schmerz¬
empfindung an der ganzen Oberfläche des Körpers hochgradig
herabgesetzt, einzelne symmetrische Gebiete an beiden
Körperhälften (z. B. über dem Muskelwulste des Deltoides, das
obere Drittel der Streckseite des Unterarms, die Aussenfläche des
Oberschenkels in ihrem oberen Anteile, das Gebiet unterhalb der
Crista tibiae) sind absolut analgetisch.
Es besteht sicher kein organisches Nervenleiden, der Mann
zeigt keinerlei hysterisches Stigma, alle Sinnesorgane funktio¬
nieren normal und dennoch diese seit Kindheit bestehende Hyp¬
algesie bezw. stellenweise Analgesie. Unter Hinweis auf die
Untersuchungen von v. Frey, von Thunberg und auch vom
Vortragenden bestätigt, auf die bezüglichen Anschauungen von
L o m h r o s o, v. Wagner, E 1 z h o 1 z, P i 1 c z, Sommer
u a. deduziert Redner, dass wir es auch liier mit einem geringen
1 990
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 47.
Grad dessen zu tun haben, was wir als Degeneration be¬
zeichnen. Es handelt sich da um allgemeine Defektbildungen
und habituelle Ausfallserscheinungen, die speziell auf dem Ge¬
biete der Psyche, aber auch auf dem des übrigen Nervensystems
zu Tage treten. Bei Degenerierten fehlen z. B. einzelne Sehnen-
reflexe oder es werden Defekte einzelner Sinnesorgane, Farben¬
blindheit etc. beobachtet. Das Hauptinteresse des Falles liegt
aber darin, dass sich an der Hand desselben die physio¬
logische und wohl auch anatomische Selb-
ständigkeit der Schmerzempfindung manifestiert.
Die allgemein defekte kongenitale Anlage ihrer Bahnen geht aus
der Anamnese und der allgemeinen Hypalgesie hervor. Stellen¬
weise ist totaler Ausfall der Schmerzempfindlichkeit zu ver¬
zeichnen. Die vorwiegend symmetrische Verteilung dieser
Stellen spricht wohl dafür, dass nicht nur die periphere, sondern
auch die zentrale Anlage der Schmerzleitung Defekte aufweist.
Die Schmerzemfindlichkeit der tieferen Teile ist erhalten und
die Blutung bei Verletzungen eine auffallend geringe.
Bilder aus China.
Von Oberarzt Dr. Georg Mayer. .
V.
Prostitution.
Wer als Arzt ein Land keimen lernen will, ist gezwungen,
so manchen verdächtigen Winkel aufzusuchen. Dem Unrat der
Kanäle Pekings, dem Schmutze der Findlinghäuser und dem Elend
der Lepradörfer, dem Feilschen beim Mädchenhandel reihen sich
an die Prostitution und ihre Höhlen.
Die weiblichen Prostituierten mussten zu Marco
Polos und der alten Jesuiten Zeit ausserhalb der Mauern Pekings
wohnen, kein Staatsbeamter oder dessen Söhne, keiner von erb¬
lichem Adel durfte ihre oder der Schauspieler Gesellschaft suchen,
bei Strafe von 60 Schlägen; gleiches traf den Veranstalter der
Zusammenkunft. Mandarine dürfen bei Verlust ihres Ranges
keine Frau aus den öffentlichen Häusern nehmen, jetzt kümmern
sich die Reichen nicht mehr darum. (Schauspieler, Taschen¬
künstler, Wäscher, Bader, die ganze Kuliklasse sind eine vom
Examen ausgeschlossene Kaste; ihre Angehörigen bekommt der
Europäer hauptsächlich zu sehen, sie zählen nicht voll zu den
Menschen, zu ihnen gehört der grosse Teil _ der Christen, sie
sind die ,.fleissigen“ Chinesen; Tötung eines Kuli kostet
nur Geldstrafe. Tn Han-yang wurde voriges Jahr der Sohn
eines Taschenkünstlers, der das Militärexamen machte, ent¬
deckt und nackt durch die Strassen gepeitscht.) Der Verkauf
von Mädchen als Prostituierte ist gesetzlich verboten, man umgeht
durch Scheinheirat und Scheinadoption. Der Generalgouverneur
von Kiang-nan erliess, um Einhalt zu tun, neuerdings ein Edikt:
Die öffentlichen Häuser müssten aus den versteckten Quartieren
in die Hauptstrassen, die Eingangstüre müsste nur 3 Fuss hoch
und 1 Fuss breit sein, so dass man nur seitlich und sieh bückend
hineinkomme. Die Unterorgane wurden bestochen, das Gebot
nicht befolgt. Als unter dem Druck der fremden Konsuln Ende
der 70 er Jahre der Shanghai Taotai die Häuser schliessen liess,
erlaubte er den Frauen 1 Monat, sich einen Mann zu suchen, sie
haben ihn nie gefunden. Verkauf von Mädchen in die Häuser
gegen ihren oder der Familie Willen wird mit SO Hieben bestraft,
eine exemplarische Strafe, wenn sie ausgeübt würde. — Die Pro¬
stitution rekrutiert sich durch Kauf auf Dauer oder Zeit und durch
Diebstahl. Die erleichterten Verkehrsbedingungen, die fremden
Ansiedelungen bewirkten einen Rückgang des Mädchenmordes zu
Gunsten des Mädchenhandels. Bis zum 10. Lebensjahr ist der
Kaufpreis 1 — 2 Dollar pro Lebensjahr, 20 — 50 vom 10.— 12. Jahr,
vom 16.— 20. bis zu 200. namentlich bei musikalischer Ausbildung.
Die Lage der Prostituierten ist jetzt bedeutend besser wie in
Europa: Ihre Gesellschaft ist nichts Verächtliches, Verheiratete
sitzen mit ihnen im Theater, man lädt, sie zu Gastmählern mit
Freunden, Reiche suchen sich oft ihre Nebenfrauen darunter, die
mit enormen Preisen. 2—3000 Dollar, gezahlt werden müssen.
Reim Tod der Ehefrau können sie deren Stelle einnehmen. In den
fremden Niederlassungen findet man 3 Arten der Häuser: für
Chinesen, für Europäer, für beide; letztere 2 stehen grossenteils
unter einer allerdings sehr lässigen ärztlichen und polizeilichen
Ueberwachung. Tn den chinesischen Städten sind zweierlei: die
einen allgemein zugänglich. Tag und Nacht offen; die anderen
sind Logierhäuser für Fremde, die zugleich Mädchen liefern, die
Haustüren werden nur Gästen geöffnet. Strassenprostituierte
niederen Ranges treiben sich in den Vorplätzen der Theater und
Gasthäuser und der Tempel herum. Die Zahl soll z. B. in
Ilangtsehau. einer Stadt mit % Million Einwohner, über 15 000,
in der fremden Niederlassung in Shanghai 5000 in 900 Häusern be¬
tragen. Geschlechtskrankheiten jeder Art sind weitest verbreitet.
Die Lokale sind von aussen kenntlich durch eine besondere, eckige,
rote Laterne und Anziehungsschild, in Hankau sind mehrere enge
Seitenstrassen nur durch solche Häuser eingenommen. Sie sind
im Innern oft sehr elegant, zu ebener Erde 1 — 2 grosse, düstere
Vorhallen, voll von Männern, Weibern und Kindern, im Ober¬
geschoss mit Spiegeln, Lampen, sinnlichen Bildern überladene
Räume, die Puellae reich geschmückt und nach chinesischer Art
dick geschminkt. (Die sogen. Theehäuser, ebenfalls hochelegant
eingerichtet, haben nichts mit Prostitution zu tun, sie entsprechen
unseren Cafös.) Bekannt sind die Blumenboote in Canton, sie
liegen am Quai entlang, unterhalb der Dampferlandungsbrücke:
Glänzende Ausstattung, ein Orchester, die Puellae mit breit ge¬
stickten Oberröcken und Hosen, dem für diese Frauensorte noch
unvermeidlichen verstümmelten Fuss, künstliche Blumen und
Silberschmuck im Haar, singend und die Pipa spielend, eine Art
Guitarre; so ist für Unterhaltung gesorgt, hier trifft sich die noble
Welt Cantons, trinkt ihren Thee, raucht und plaudert. In den
Ecken liegen auf Polstern die Opiumraucher. Es ist die Eleganz
des Schmutzes, die man, angeekelt, möglichst bald verlässt. Dass
in diesen heillosen Zuständen jemals etwas sich ändern könne,
ist bei der extremen Genussucht der Chinesen und der völligen
Indolenz der Behörden ausgeschlossen.
Die männliche Prostitution drückt die ganze
moralische Verkommenheit der Chinesen so richtig aus. Päderastie
ist allgemein verbreitet, gilt nicht als schändlich oder widernatür¬
lich, bei dem niedrigen intellektuellen Standpunkt der Frau er¬
hält sie unter Fi’eunden, Avie bei den Griechen, eine ideale Seite.
Bei den Kulis in Niederländisch-Indien, bei den Auswanderern
nach der Mongolei wird sie durch den Frauenmangel bedingt. Ver¬
suche zur Unterdrückung haben in Hollands Kolonien zu blutigem
Aufruhr geführt. Sie wird zuerst erwähnt unter den Han zwischen
einem Kaiser und seinem Diener. Der Dichter Li-tae-pu hat sie
besungen, ebenso die Bücher Tsin-pi-mel und Ping-hua-pan-tien
(Herrlicher Spiegel gleichartiger Blumen). Diese Bücher mit ihren
obszönen Abbildungen in chinesischer Sprache zu besitzen ist ver¬
boten. man hat sie in mandschurischer! Eine riesige Schund¬
literatur existiert darüber. Sie heisst Lu-tse (Ofen), der Vorgang
t.’rang lou-tse (ein Eisen in den Ofen schieben). Sie wird als
teurer Luxus betrachtet. Ihre Angehörigen zerfallen in 2 Kate¬
gorien: Eine niedere: Schauspieler, früher Vergewaltigte, die durch
Alter oder Krankheit herabgekommenen der höheren Klasse; sie
treiben sich in Theatern und Gasthäusern herum. Die höhere
Klasse besteht aus jungen Menschen, die mit 4—5 Jahren gekauft
oder gestohlen und körperlich und geistig für ihr Geschäft erzogen
werden. Die Kinder werden massiert, die Analöffnung durch Zinn¬
stücke ausgedehnt, diese schmerzliche Prozedur durch schmerz¬
lindernde Mittel angeblich gemildert; sie werden in Gesang und
Musik, namentlich klassischen Gesängen unterrichtet, mit 13 bis
14 Jahren in ihr Geschäft eingeführt. Bei besonderen Gast-
mählern, ins Theater lässt man die „jungen Knaben“ kommen, die
ITsiau-köu haben äusserst gewählten Anzug; Geschlechtskrank¬
heiten sind ebenfalls verbreitet. Die Hsiau-köu wohnen in öffent¬
lichen Häusern (tang-ming-öl), gehen gewöhnlich nicht auf die
Strasse. Ihre Häuser unterscheiden sich von denen der weiblichen
Prostitution durch rote Glaslaternen und die Aufschrift. Sie zahlen
keine Abgaben. In vielen Häusern findet man beides. Der Preis
der Hsiau-köu ist der doppelte und mehr eines Mädchens. Für
den kaiserlichen Hof sollen spezielle männliche Prostituierte
existieren, grossenteils Eunuchen, sie wohnen im Nan-fu, der ver¬
botenen Stadt (Haus des Südens), der Minister der Hofangelegen¬
heiten hat sie zu besorgen.
Kindliche Liebe und Ahnenverehrung gebietet das Gesetz,
beide werden aber ihrerseits grossenteils ausgeübt aus Furcht, bei
Vernachlässigung der Pflichten möchten die Geister der Eltern,
der Vorfahren Unglück senden über die Familie; abgesehen von
dieser kindlichen Liebe ist der sittliche Standpunkt ein äusserst
verkommener. Der Chinese ist einer der krassesten Egoisten
aller Völker. So lange er angenehm und ungestört lebt und Geld
verdient, ist er zufrieden; fürchtet er seine Ruhe, seinen Erwerb
gestört, so kann der blindeste Fanatismus erwachen, geschürt und
begünstigt dadurch, dass das sonst so intelligente Volk sein ganzes
Dasein in eine wilde Geisterwelt eingehüllt hat, die das Geschick
bestimmt. Der Chinese, auch der höchststehende, der mit west¬
licher Wissenschaft vertraute, steckt im äussersten, unausrott¬
baren, weil altüberlieferten und daher heiligen Aberglauben; so
lange es ihm gut geht, er die Geister sich günstig weiss; gibt er
sich der ausschweifendsten und niedrigsten Genussucht hin. Aus¬
nahmen sind selten.
Verschiedenes.
Einen neuen Messapparat zur genauen Bestimmung der Ex¬
kursionsfähigkeit der Gelenke
hat Dr. M. Miller- Bayreuth angegeben (Mon. f. Unfallheilk).
Der Verfasser schreibt:
Mir war bei den Untersuchungen des Schiedsgerichts, zumal
für Behandlung komplizierter Hand- und Fingerverletzungen, der
Mangel eines handlichen Winkelmessers sehr fühlbar und ich ging,
da ein passendes Instrument nicht aufzutreiben war, selbst ans
konstruieren und erfinden. Ausgehend von dem Prinzipe der
Winkelberechnung nach der Kreiseinteilung kam ich auf die Zen¬
trierung zweier Halbkreise und brachte zwei halbkreisförmige
Platten im Mittelpunkte der linearen Kante, als dem Mittelpunkte
des Kreises, durch Vernietung zur Vereinigung, dazu noch auf die
eine Platte ein Gradbogen — der denkbar einfachste Winkelmesser
war fertig.
Bei der aus der vorstehenden Abbildung leicht ersichtlichen
Art der Anwendung des neukonstmierten Winkelmessapparates
25. November 1902
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
1991
wird die Verbindungsstelle der beiden Teile genau im Scheitel des
zu messenden Winkels angelegt — was an den Gelenken der
Glieder seitlich oder an der Streckfläche, hier unter Beachtung
eines Abhaltens der Kanten um die Breite des für Vernietung-
nötigen kleinen Nasenvorsprunges, geschehen kann — und hernach
die eine Halbkante der Deckplatte in die Richtung des einen Schen¬
kels, sowie dann die jener Plattenhalbkante entgegengesetzt ge¬
richtete Halbkante des Gradbogens in die Richtung des zweiten
Schenkels gebracht. Der von den betreffenden, einander entgegen¬
gesetzt gerichteten Halbkanten eingeschlossene Winkel entspricht
dem zu messenden Winkel und es kann die festgestellte Winkel¬
grösse an dem mit doppelter Zahlenreihe versehenen Gradbogen
direkt abgelesen werden, wobei die Ergänzungskante der Deck¬
platte als Zeiger dient.
Die Anwendung des Instruments, die nirgends, auch nicht an
den grösseren Gelenken, die Konstruktion von Hilfslinien nötig
macht, erscheint besonders brauchbar bei Messungen von
Gelenken an der Hand und an den Fingern, wo
durch komplizierte und mehrfache Versteifungen einer Ein¬
schätzung von Gebrauchs- und Bewegungsfähigkeit nicht unerheb¬
liche Schwierigkeiten erwachsen können.
Bei all den angeführten Vorzügen vermag der Winkelmess¬
apparat (der vom medizinischen Waarenhaus in Berlin geliefert
wird), allen Anforderungen in einem Masse zu genügen, wie keiner
der bis jetzt im Gebrauche stehenden, diesem Zwecke dienenden,
wodurch er jedem Kollegen, dem die Untersuchung und Begutach¬
tung von Unfallverletzten wie von forensen Fällen obliegt, für
Winkelbestimmung ein nicht weniger schätzenswertes Hilfsmittel
werden mag, als das Meterbandmass für Ermittelung von
Längen- und Umfangmassen es ist.
Therapeutische Notizen.
Therapie des Herpes zoster. So leicht diese Er¬
krankung anfangs ist, so unangenehm wird sie, wenn die Bläschen
vereitern. Um dies zu verhüten, bepinselt man 1 stündlich die
Bläschen mit:
Rp.: Menthol. ~ 1,0
Alcohol. absolut. Aqu. carbolisat. äa 25,0
S. äusserlich.
Durch diese Bepinselung, welche zugleich angenehm kühlend
wirkt, wird erreicht, dass die Bläschen in ca. 48 Stunden voll¬
ständig eintrocknen. Dr. S t r ö 1 1 - München.
■
Auf der laryngol. Poliklinik zu München (Prof. Schech) stellte
A. Goldschmidt Versuche über die Anwendung des
Nebennierenextraktes in der Therapie der
Nasen- und Halskrankheiten an. Der Erfolg bei
der wichtigsten Anwendung, zur Verstärkung der Kokain¬
anästhesie und Vermeidung grösseren Blutverlustes bei der Opera¬
tion, war ausnahmslos sehr zufriedenstellend, die Schleimhaut
wurde völlig anämisch und bis auf den Knochen unempfindlich,
die Blutung blieb äusserst gering, doch stellten sich einigemale
recht hartnäckige Nachblutungen ein. Bei 18 Fällen, die bei der
Operation stark bluteten und daher zur Vermeidung von Nach¬
blutungen mit Watte, die mit reinem Nebennierenextrakt bestreut
war, tamponiert wurden, bewährte sich das Mittel besonders 2 mal
eklatant, 2 mal traten aber (bei Muschelresektion) Nachblutungen
ein, 2 mal Blutungen beim Tamponwechsel. Sehr gut bewährte
sich das Extrakt bei akuter Epistaxis. Die Beobachtungen
bei Anwendung des Mittels mahnen doch, besonders bei Tam¬
ponade etc., zu grosser Vorsicht, wenn auch seine schätzens¬
werten Eigenschaften der Anämisierung und Verstärkung der
Kokainanästhesie völlig anerkannt werden müssen. (Monatsschr.
f. Ohrenheilk. 1902, No. 9.) R. S.
Nach Beobachtungen von S u e s s über die thera¬
peutische Verwendung des Aspirins an der Wiener
allgemeinen Poliklinik bewährte sich das Aspirin als ein vorzüg¬
liches Analgetikum, das nicht nur spezifisch gegen rheumatische
Zustände, sondern zumeist auch gegen jedweden, selbst den durch
neoplastische Wucherungen erzeugten Schmerz sich wirksam
zeigte. So waren die Versuche bei Hemikranie und Cephalalgie
recht befriedigend, und zwar erschien hier als zweckmässig, Ein¬
zeldosen von 1,0 womöglich im Prodromalstadium zu geben. Bei
Flimmerskotom, bei Neuralgien, auch bei lanzinierenden Schmer¬
zen bei Tabes, sowie bei Schmerzen in einigen Fällen inoperabler
Karzinome (Uterus, Magen) war es erfolgreich. Magenstörungen
nnd Ohrensausen werden selten, ernstere Störungen niemals be¬
obachtet. Die Dosis von 0,5 — 1,0 in Pulverform. (Wiener med.
Blätter 1902, No. 42.) R. s.
Jodylin (jodsalicylsaures Wismut) ist ein neues Ersatz¬
mittel für Jodoform, ein vollkommen geruchloses, in der Farbe
dem Jodoform ganz ähnliches Pulver, welches nach Erfahrungen
von Israel geeignet ist, dasselbe in der chirurgischen Praxis zu
ersetzen. Ueber seine Wirksamkeit in der chirurgischen Behand¬
lung der Tuberkulose fehlen bis jetzt die Erfahrungen. (Die med.
Woche 1902, No. 27.) R. S.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 25. November 1902.
— Der Aerztliche Bezirksverein München hat in seiner letzten
Sitzung (s. S. 1987) auf den kürzlich mitgeteilten Ministerialerlass,
durch welchen das Gesuch der oberbayerischen Aerztekammer um
Gewährung von Portofreiheit für die Morbidi¬
tätsstatistik abschlägig beschieden wurde, eine prompte
Antwort erteilt. Es wurde der einstimmige Beschluss gefasst, die
Statistik vom nächsten Jahre an aufzugeben. Sollte die Regierung
in späterer Zeit zu einer höheren Meinung über den Wert einer gut
geführten Morbiditätsstatistik gelangen, als sie jetzt besitzt, und
dementsprechend die Kosten einer solchen zu tragen gewillt sein,
so wird sie auch die Münchener Aerzte bereit finden, ihre Zeit
und Arbeit von neuem in den Dienst dieser Sache zu stellen.
— Die erste Tagung der vor kurzem begründeten fränki¬
schen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynä¬
kologie hat am 25. Oktober in Nürnberg stattgefunden. Den
Vorsitz führte Prof. H o f m e i e r - Würzburg. Bericht über die
Verhandlungen erscheint demnächst in dieser Wochenschrift.
— Am 15. d. Mts. wurde eine mitteldeutsche Ge¬
sellschaft für Gynäkologie mit Sitz in Frankfurt a. M.
gegründet. Bei der Konstituierung beteiligten sich Fachkollegen
aus Frankfurt, Darmstadt, Mainz, Wiesbaden, Giessen und Mar¬
burg.
— Von bayerischen Mitgliedern des wirtschaftlichen
Verbandes wird auf Sonntag, den 7. Dezember zu einer all¬
gemeinen bayerischen Aerzteversammlung in Nürnberg zur Be¬
ratung über den Verband eingeladen. Die Bezirksvereine werden
ersucht, Delegierte zu dieser Versammlung zu entsenden.
— Der hochverdiente langjährige Oberarzt der inneren Ab¬
teilung des städtischen Krankenhauses in Augsburg, Med.-Rat
Dr. Müller, legte seine Stelle nieder. Zum Zeichen ihrer dank¬
baren Anerkennung überreichten die Augsburger städtischen Kol¬
legien dem Scheidenden eine goldene Medaille.
— Am 2ö. und 27. d. M. veranstaltet Prof. G. Klein in
München im Saale des Künstlerhauses eine Ausstellung seiner
reichen Sammlung von Originalwerken zur Geschichte der medi¬
zinischen Abbildung vom Jahre 1491 bis 1800. Ein erläuternder
Vortrag dazu findet ebenda am 26. d. M. Abends 8 Uhr statt. Zu
diesem Vortrag, sowie zum Besuch der Ausstellung sind auch
auswärtige Kollegen eingeladen.
— Cholera. Türkei. Nach den aus Syrien eingegangenen
amtlichen Meldungen vom 2. bis 6. November sind in Gaza 35 (87),
in Lydda 76 (39), in Tiberias 102 (67) Personen an der Cholera
neu erkrankt (gestorben). Bis zum 3. November waren angeblich
•— nach amtlichen Drahtmeldungen — in Gaza 916, in Lydda 241
und bis zum 2. November in Tiberias 21 Personen der Krankheit
erlegen. Aus Jaffa war je 1 Choleratodesfall am 1. und 4. November
angezeigt, bis zum 3. 9, desgleichen in Kaferana 22. — Aegypten.
Vom 28. Oktober bis 3. November kamen nach dem amtlichen
Wochenberichte in ganz Aegypten 190 neue Erkrankungen und
179 Todesfälle an der Cholera zur Anzeige; von letzteren hatten
sich 110 ausserhalb eines Krankenhauses ereignet. Auf Kairo ent¬
fielen in dieser Woche 3, auf Alexandrien 36 neue Fälle einschl.
der gefundenen Choleraleichen. Vom 3. bis 7. November kamen
aus ganz Aegypten noch 83 Erkrankungen (und 75 Todesfälle) zur
Anzeige, davon allein aus Alexandrien 28 (25). — Philippinen.
Vom 16. bis 30. September erkrankten (starben) an der Cholera in
Manila 89 (65), in den Provinzen 16 530 (9975) Personen; namentlich
in den südlichen Provinzen soll die Seuche heftig geherrscht haben.
— Pest. Aegypten. Am 1. November wurde in Alexandrien
ein neuer Pestfall festgestellt, welcher am 2. dess. Mts. tödlich
endete. — Britiscli-Ostindien. In der Stadt Bombay waren wäh¬
rend der am 28. Oktober endenden Berichtswoche von insgesamt
708 Todesfällen 142 durch die Pest herbeigeführt. Die auf ein
Jahr errechnete Sterbeziffer der städtischen Bevölkerung war in
dieser Woche 47,44 Prom. — Vereinigte Staaten von Amerika. Aus
San Franzisko wurden vom 4. bis 16. Oktober 6 tödlich verlaufene
Pestfälle gemeldet. — Brasilien. In Rio de Janeiro sind während
der zweiten Hälfte des Monats September 25 Pesttodesfälle fest
gestellt worden, während der ersten Hälfte des Oktobers betrug
deren Zahl 16.
_ In der 45. Jahreswoche, vom 2. bis 8. November 1902, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb-
<02
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 47.
lichkeit Regensburg mit 31,2, die geringste Kemsclieid mit 9,3 Todes¬
fällen pro Jahr und 1ÜUU Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Beutlien, Hildesheim, Königs¬
hütte, Worms; an Masern in Aachen, Augsburg, Barmen, Mann¬
heim, Remscheid; an Diphtherie und Krupp in Borbeck, Görlitz,
Königsberg, Potsdam. V. d. K. G.-A.
— In einem lesenswerten Aufsatze: „Die Pflege-
Verbände im Vergleich zur freien Kranken-
p f 1 e g e“ (Krankenpflege, Bd. 2, H. 2) bespricht CI. v. Wal¬
men i c h, die Oberin des Krankenhauses vom Roten Kreuz in
München, in ihrer interessanten Weise die Vorzüge, die der in
festen Verbänden organisierten Krankenpflege, deren Typus die
Rote Kreuz-Häuser darstellen, gegenüber der freien Pflege, aber
auch gegenüber den religiösen Mutterhäusern zukommen. Das
Bild, das sie dabei von der Organisation und der Haltung der
Schwestern in der Münchener Anstalt vom Roten Kreuz entwirft,
zeigt, dass hier Verhältnisse geschaffen sind, die den Schwestern
den schweren Beruf nach Möglichkeit zu erleichtern und auch
gebildeten, höhere Anforderungen an das Leben stellenden Mäd¬
chen erstrebenswert zu machen geeignet sind. Bekanntlich ist es
das eigenste Verdienst der Verfasserin, diese Verhältnisse herbei¬
geführt zu haben. Der Aufsatz, der für jeden, der sich für die
schwebenden Fragen der Schwesternpflege interessiert, viel An¬
regendes enthält, ist als Broschüre erschienen und zum besten
eines Erholungsheims für die Schwestern gegen Einsendung von
35 Pf. vom Roten Kreuz München, Nymphenburgerstr. 163, zu
beziehen.
(Hochschulnachrichten.)
Breslau. • An die Errichtung einer staatlichen
Irrenklinik wird jetzt ernstlich herangegangen. Im An¬
schluss an die übrigen Universitätsinstitute beabsichtigt die
Staatsregierung einen Platz von 2 yä Hektar Grösse für den Preis
von 15UUUU M. von der Stadt zu erwerben. — Mit der Vertretung
des erkrankten Prof. Dr. Käst in der Leitung der medizinischen
Klinik ist Prof. Dr. Richard Stern hierselbst, seitens des
Unterrichtsministers beauftragt worden, nachdem Prof. Dr.
Rump f in Bonn gebeten, von seiner eigenen Berufung Abstand
zu nehmen. — Habilitiert als Privatdozent für gerichtliche Medi¬
zin und Unfallheilkunde: Dr. med. Paul Stolper. Habilitations¬
schrift: „Ueber die Beziehungen zwischen Syphilis und Trauma“.
— In die am 1. November d. J. begonnene ärztliche Staatsprüfung
traten 39 Kandidaten der Medizin neu ein, gegen 58 im Vorjahre.
Heidelberg. Der Privatdozent der Chirurgie Dr. Oskar Vul-
p i u s, der das Fach der orthopädischen Chirurgie vertritt, wurde
zum a. o. Professor ernannt. — Der Privatdozent für Chirurgie
Dr. Benno Schmidt wurde zum Professor ernannt.
Jena. Der 1. Assistenzarzt der Augenklinik, Privatdozent
Dr. Ernst Hertel, wurde zum ausserordentlichen Professor er¬
nannt.
Königsberg. Privatdozent Dr. Ludloff, bisher ortho¬
pädischer Assistent bei Geheimrat Garr e, ist zum Leiter des
neuen orthopädischen Instituts der chirurgischen Klinik nach
Breslau berufen.
Tübingen. Die von verschiedenen Blättern gebrachte
Nachricht, dass Prof. v. Jürgensen von seiner Lehrtätigkeit
zurücktreten und nach Stuttgart übersiedeln werde, ist unrichtig.
Prof. v. J ürgensen übt seine Tätigkeit im vollen Umfange aus.
Amiens. Dr. Labarriere wurde zum Professor der
Anatomie an der medizinischen Schule ernannt.
Caen. Dr. G o s s e 1 i n wurde zum Professor der Physio¬
logie an der medizinischen Schule ernannt.
Clermont. Cavalie, Agrege der medizinischen Fakul¬
tät zu Bordeaux, wurde zum Professor der Anatomie ernannt.
Dijon. Dr. M. Vincent wurde zum Professor der Phar¬
mazie und Materia medica ernannt.
Graz. Für die ordentliche Professur der inneren Medizin,
welche durch Prof. Krau s’ Berufung nach Berlin frei geworden
ist, sind nach der Deutsch, med. Wochenschr. an erster Stelle Prof.
Minkowski, Oberarzt der inneren Abteilung des städtischen
Krankenhauses in Köln, und Prof. Moritz, Direktor der medizini¬
schen Klinik in Greifswald, vorgeschlagen. Nächst diesen soll
Prof. Stadelmann, dirigierender Arzt am Berliner städtischen
Krankenhause am Urban, für den Grazer Lehrstuhl in Betracht
kommen. Das Unterrichtsministerium hat den Privatdozenten
Dr. med. Alfred Kossler mit der Supplierung der durch die Be¬
rufung des Prof. Dr. Friedrich Kraus nach Berlin erledigten
Lehrkanzel für innere Medizin und den Privatdozenten Dr. med.
Max Stolz mit jener der Lehrkanzel für Geburtshilfe und Gynä¬
kologie an Stelle des nach Heidelberg berufenen Professors Dr.
Alfons v. Rosthorn betraut.
Grenoble. Dr. C i b e r t wurde zum Professor der geburts¬
hilflichen Klinik ernannt.
P r a g. Für die Professur der Frauenheilkunde an der
deutschen Universität wurde an erster Stelle Prof. Veit- Leiden
und Prof. Breus- Wien, an zweiter Prof. Pranpe- Würzburg
und an dritter Stelle K 1 e i n h a n s - Prag vorgeschlagen. (V. Z.)
(Todesfälle.)
In München starb im Alter von nur 32 Jahren infolge eines
Herzleidens Dr. Max WT i 1 d e, Assistent am hygienischen Institut
in München, ein tüchtiger jüngerer Hygieniker und geschätzter
Mitarbeiter unseres Blattes.
In Greifswald starb der Professor der Physiologie Dr. Leonard
L a n d o i s, 65 Jahre alt.
In Bonn starb der Privatdozent für innere Medizin und
Lnryngologie Dr. Karl Burger, 58 Jahre alt.
Verlag von .1. F. I.ehmann in München.
In Frankfurt a. M. starb, 77 Jahre alt, Medizinalrat Dr. Fried¬
rich Dornblüth, früher in Rostock, verdient durch zahlreiche
Arbeiten auf dem Gebiete der Hygiene und der Kinderheilkunde.
Der Professor der Anatomie in Halle a/S. Dr. Ernst Mehnert.
Dr. M a r v a n d, Inspekteur des Sanitätsdienstes der fran¬
zösischen Armee.
Dr. Strapart, früher Professor der internen Pathologie zu
Reims.
Dr. A. P a c i, Professor der chirurgischen Pathologie zu Pisa.
Dr. G. Crosti, Privatdozent für Geburtshilfe zu Parma.
Dr. Lennox Browne, konsultierender Chirurg des Zentral¬
hospitals für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten zu London.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Friedrich Würth, approb. 1901, in Schein¬
feld. Dr. med. Mathilde Wagner, appr. Arzt, in Weimar (für
Frauen und Kinder).
Verzogen: Dr. Bei sw eng er von Scheinfeld nach Her¬
brech fingen in Württemberg. Dr. Schmauser von Nürnberg
nach Johannesburg (Südafrika). Dr. Eduard Miller von Neun¬
kirchen a. Br. angeblich nach München.
Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee
für den Monat September 1902.
Iststärke des Heeres:
61639 Mann, — Invaliden, 208 Kadetten, 149 Unteroff.-Vorschüler.
1. Bestand waren am
31. August 1902 :
Mann
Invali¬
den
Kadetten
Unter-
offlz.-
Vor-
schüler
1 42
—
—
1
im Lazarett:
1174
—
—
7
2. Zugang: \
im Revier:
2209
—
3
—
1
in Summa:
3383
—
3
7
Im Ganzen
sind behandelt:
4625
—
3
8
°/oo der Iststärke :
75,0
—
li,4
53,7
dienstfähig :
3615
—
3
5
°/oo der Erkrankten :
781,6
—
1000,0
625,0
gestorben :
4
—
—
—
°/oo der Erkrankten :
0,86
—
—
—
3. Abgang : •
invalide :
19
—
—
—
dienstunbrauchbar :
15
—
—
—
anderweitig :
190
-
—
—
. in Summa:
3843
—
3
5
4. Bestand
bleiben am
30. Sept.1902 :
in Summa:
°/oo der Iststärke :
davon im Lazarett :
davon im Revier:
782
12,7
602
180
—
—
3
20,1
3
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten:
1 an Hitzschlag, 1 an bösartiger Geschwulstbildung (Sarkom) des
rechten Darmbeines, 1 an Gehirnblutung, 1 an Schussverletzung
des Unterleibes (Unglücksfall).
Ausserdem endeten noch 2 Mann durch Selbstmord (durch
Erscliiessen).
Der Gesamtverlust der Armee durch Tod betrug demnach im
Monat September 6 Mann.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München
in der 45. Jahreswoche vom 2. bis 8. November 1902.
Beteiligte Aerzte 116. — Brechdurchfall 4 (9*), Diphtherie u.
Krupp 8 (12), Erysipelas 5 (9), Intermittens, Neuralgia interm.
1 ( — ). Kindbettfieber 1 (1), Meningitis cerebrospin. — (— ),
Morbilli 27 (35), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 3 (3), Parotitis
epidem. 3 ( — ), Pneumonia crouposa 7 (1), Pyämie, Septikämie
— ( — ), Rheumatismus art. ac. 5 (16), Ruhr (Dysenteria) — ( — ),
Scarlatina 4 (7), Tussis convulsiva 17 (15), Typhus abdominalis —
(1), Varicellen 9 (11), Variola, Variolois — ( — ), Influenza 2 (-— ).
Summa 94 (110). Kgl. Bezirksarzt Dr. v. Dali’ Ar mi.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 45. Jahreswoche vom 2. bis 8. November 1902.
Bevölkerungszahl : 499 932.
Todesursachen: Masern — (2*) Scharlach — ( — ) Diphtherie
u. Krupp 1 (1), Rotlauf — ( — ), Kindbettfieber 1 (1), Blutvergiftung
(Pyämie u. s. w.) — (1), Brechdurchfall 3 (4), Unterleib-Typhus —
( — ), Keuchhusten 2 (1), Kruppöse Lungenentzündung 1 (3), Tuber¬
kulose a) der Lunge 12 (30), b) der übrigen Organe 8 (5), Akuter
Gelenkrheumatismus — ( — ), Andere übertragbare Krankheiten
2( — ), Unglücksfälle 2 (4), Selbstmord 5 (2), Tod durch fremde
Hand 1 ( — ).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 192 (182), Verhältniszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 19,7 (18,7), für die
über dem 1. Lebensjahr stehende Bevölkerung 11,9 (11,7).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle derVorwocbe.
— Druck von E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
i)le Münch Med. Wochenschr. erscheint wöchentl.
in Nummern von durchschnittlich 5—6 Bosren.
l’reis in Deutschland, Oesterr -Ungarn u. Luxemburg
v'crteljährl. M 6 — in allen übrigen Ländern M 8.—
Einzelne No. 8«
M
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressiren : Für die Redaktion
Arnulfstr. 26. Sprechstunde der Red. 10—11 Uhr. —
Für Abonnement an J. F. Lehmann, Heustr 20. —
Für Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse,
Promenadeplatz 16.
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ -BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Angerer, Ch. Bäumler, 0. Bollinger, H. Curschmann, W, v, Leube, G, Merkel, J. v. Michel, F. Penzoldt, H. v, Ranke,
München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Würzburg. Nürnberg Berlin Erlangen. München.
F. v. Winckel,
Münch eu
No. 48. 2. Dezember 1902.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
49. Jahrgang.
Originalien.
Wie sollen wir narkotisieren?*)
Von Professor Oscar Witzei in Bonn.
Geehrte Herren Kollegen! Mehr als 50 Jahre sind ver¬
gangen, seitdem man begann, gegen den beim Operieren ent¬
stehenden Schmerz A e t h e r und dann Chloroform ein-
atmen zu lassen. Zu gleichem Zwecke ist in dieser Zeit eine
ganze Reihe anderer Mittel empfohlen und — wieder verlassen
worden. Für den Chirurgen besteht auch heutigen Tages nur
noch die Frage, ob er mit Chloroform betäuben, ob er
den künstlichen Schlaf mit Aether herbeiführen
soll. Hie Frage lautet genauer jetzt: Welches der bei¬
den Mittel lässt sich derart an wen den, dass,
nicht nur ohne die Gefahr übler Zufälle
während und nach der Operation, sondern
auch ohne Schädigung des Allgemeinbefin¬
dens durch die Narkose an sich, die moderne
operative Technik mit ihren erweiterten In¬
dikationen unter dem Schutze einer sicheren
Aseptik und mit der hiezu erforderlichen
Ruhe durchzuführen ist.
Gestatten Sie mir, gleich zu Beginn meine Ansicht zu sagen,
die ich durch regen Anteil an der Entwickelung- der Narkosen¬
frage, durch aufmerksame Verfolgung aller Bestrebungen ge¬
wonnen habe, die hierher gehören. Es wird nie gelingen,
eine vor Zufällen und Todesfällen sichere
Narkose zu finden, bei welcher nur Chloro¬
form als Betäubungsmittel angewendet wird.
Es ist verlorene Liebesmüh, dem unberechen¬
baren Herzgift andere Dinge, selbst mit in¬
geniös erdachten Vorrichtungen beizug-eben,
um seine Gefährlichkeit aufzuheben oder
doch abzuschwächen. Chloroform bleibt Chlo¬
roform. — Sollte es nicht logisch richtiger,
unseren Wünschen mehr entsprechend sein,
dem an sich unschuldigen, die Herztätigkeit
sogar anregenden Schlafmittel, dem Aether,
geeignete Ge hülfen beizugeben, um, seine Wir¬
kung in dosierender Weise steigernd, obige
Forderungen zu erfüllen?
Sie werden eine grosse Reihe von Aethernarkosen nach
unserer Tropfenmethode ausführen sehen; gleich die erste
bei einem Trinker, an dem eine Schädeloperation ausgeführt
werden soll. Es werden Fälle noch schwieriger und schwierigster
Art folgen. Wir haben das feste Vertrauen, dass Sie, gleich den
anderen Aerzten, welche unsere Anstalten durch ihren Besuch
beehrten, entweder schon als Anhänger der Methode scheiden
werden, oder doch die Verpflichtung fühlend, in schwierigen, be¬
sonders verantwortungsvollen Fällen den Aether in Tropfen zu
versuchen; seine Anwendung in leichten Fällen folgt dann von
selbst ’).
Sie werden die Methode üben müssen. Auch wir
*) Vortrag, gehalten in dem Fortbildungskurs für praktische
Aerzte, Bonn, Oktober 1902.
J) Es war uns recht erfreulich und genugtuend, diese Vor¬
hersage erfüllt zu sehen. Mit regstem Verständnis und Interesse
verfolgten die zum grossen Teile in der Praxis ergrauten Fach-
No. 48.
haben, das Verfahi*en entwickelnd, zu lernen gehabt: Die
Herbeiführung eines guten Aet herschlaf es
ist eine schwierige Kunstleistung; sie er¬
fordert einen ganzen Arzt; sie verlangt mehr
Einsicht und Umsicht als das Betäuben eines
Menschen durch Chloroform.
M. H. ! Wenn ich in dieser Weise von der Chloroform¬
narkose abrate, rede ich nicht wie der Blinde von Farben. Mehr
als ein Jahrzehnt bin ich Anhänger derselben gewesen, unablässig
und redlich bemüht, ihre Gefahren herabzumindern. Ich habe
dabei Gelegenheit gehabt, das Mittel in seiner ganzen Tücke
kennen zu lernen. Vor 20 Jahren, als unter dem Schutze der
Antiseptik, dann unter dem der Aseptik die operative Chirurgie
einen glänzenden Aufschwung nahm ,da rechnete man wohl, wie
mit etwas leider Unvermeidlichem, noch mit einzelnen Todes¬
fällen in der Narkose. Und sie kamen vor. Das höchste Inter¬
esse vereinigte sich damals auf den Vorgang- der Operation —
bei ihr waren die Geübteren tätig — ; Anfängern, Assistentoiden
fiel die niedere Aufgabe der Betäubung zu. Ein jäher, durch die
noch unvollkommenen Abwehrmittel nicht zu hemmender Tod,
unterbrach das operative Werk zu Anfang der Narkose durch
einen Reflex von den oberen Luftwegen, durch einen Atems tili -
stand, wie er besonders bei Eingriffen am Analring ausgelöst
wird — oder aber bei beinahe vollendetem, mühsamem Werke
setzte urplötzlich die Herztätigkeit aus, so gegen Ende von
Lymphomexstirpationen am Halse, bei dem auch jetzt noch für
die Betäubung zur besonderen Vorsicht mahnenden Status thymi-
cus (lymphaticus). Ein gütiges Geschick hat meine Anstalten
davor bewahrt, eigene Chloroformtodesfälle verzeichnen und be¬
klagen zu müssen. Zwei Umstände sind es, die wesentlich dazu
beigetragen haben. Die T ropfmethode, von der Hand eines
guten, der Grösse seiner Aufgabe bewussten Assistenten aus¬
geführt, schützte unsere Kranken vor Ueberschwemmung- des
Blutes mit dem Betäubungsgifte. Wir haben das Chloroform
nie in Güssen auf die Maske gegeben, den Ueberzug der¬
selben für die Luft undurchgängig machend, wir haben getropft.
Die V erwendung des chemisch absolut reinen
Chloroform An schütz schützte uns des weiteren vor den
Zufällen, die durch Zersetzung und Verunreinigung des Chloro¬
forms bedingt, zweifellos Vorkommen.
Die Maske mit der Rinne für das über fliessende
Chloroform, mit dem vielleicht jeden Tag gewechselten, bei jeder
Operation unappetitlicher werdenden Flanelliiberzuge schwanden.
Unsere auch heute noch für das Auftropfen von Aether ge¬
brauchte Maske hat das alte ovale Gestell '*). Ein kräftiger, ab¬
nehmbarer Drahtbügel presst auf dasselbe als Ueberzu g vor
jeder Operation neu eine sterilisierte, weitmaschige Gazekom¬
presse in vierfacher Lage auf. Diese dient entweder, ganz breit
gelassen, gleich als Schleier für Kopf und Hals oder sie wird
genossen den Verlauf von über 30 Narkosen. Die Schluss-
erörterungen, besonders mit tlen chirurgischen Kollegen, bezogen
sieb fast ausschliesslich auf die Narkose. Keiner von letzteren
glaubte mehr das Recht zu haben, anders als nach der Aetlier-
tropfmethode zu narkotisieren.
**) Um der Maske bei stark rekliniertem Kopfe mehr Halt
zu geben, hat die Firma Eschbaum - Bonn für die Submental¬
gegend auf meine Anregung einen Bügel zugefügt. Die gleiche
Firma liefert auch meinen sehr einfachen Operationstisch
mit Einrichtung für die Reklination des Kopfes und Beckeulioch-
lagerung.
1
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
i 994
doch so abgeschnitten, dass seitlich zwei breite lange Zipfel
verbleiben; an ihnen wird die Maske festgehalten durch die
Hände des Assistenten, der in später zu beschreibender M eise
die Reklination des Kopfes während der Narkose zu besorgen hat.
— Auf diese Maske fällt aus einiger Entfer¬
nung (meine besten Assistenten Hessen Vs Meter hoch herab¬
tropfen) aus einem einfachen Fläschchen ein
Tropfen nach dem anderen. Er zersplittert,
verdampft, mischt sich reichlich mit der von
allen SeitenzutretendenLuft. Nur ein Bruch teil
von dem Betäubungsmittel wird wirklich eingeatmet, der
Lunge und dem Blute zugeführt : von dem schwerer verdunsten¬
den Chloroform wohl nur ein Fünftel, vom flüchtigen Aether
gewiss höchstens ein Zehntel. Das übrige, jedenfalls bei weitem
der grösste Teil, geht in die umgebende Luft. Um nun letztere
nicht durch zu reichliche Beimengung der verdunsteten Be¬
täubungsmittel zu minderwertig zu machen, muss für anhaltende
Lufterneuerung Sorge getragen werden. Eine Narkose in
gut gelüftetem Raume ist selbstredend den Kranken
weniger schädlich. Dem Arzte ist es eine gesundheitliche Wohltat,
nicht, wie es sonst als richtig erachtet wurde, in überhitzten,
von Aether- oder Chloroformdampf dunstigen Räumen arbeiten
zu müssen.
Dem narkotisierenden Arzt, welcher mit
der einen Hand den Puls des Kranken verfolgt,
mit der andern das Betäubungsmittel dosiert,
während eine andere geschulte Person Kopf
und Maske hält (dies ist die einzig richtige Aufgabenver¬
teilung für die beiden), habe ich es stets zur Ehren¬
sache gemacht, möglichst wenig zu gebrauchen.
Er soll seine volle Aufmerksamkeit nur der Narkose zuwenden.
Ich habe stets, ohne Ansehen der Person, einen strengen Ver¬
weis erteilt, wenn es vorkam, dass nicht er als erster die Anfänge
einer Störung des Kreislaufs oder der Atmung bemerkte oder
dass er, die einleitenden Würgbewegungen nicht beachtend, vom
Erbrechen des Patienten überrascht wurde. Andrerseits habe
ich es aber auch für richtig gehalten, nach guter Durchführung
einer Narkose unter schwierigen Umständen — einige meiner
Assistenten standen in dem Rufe, mit „gar nichts“ narkotisieren
zu können — eine besondere Anerkennung nicht zu unterlassen.
Es folgte die schöne Entdeckung unseres Bonner Chemikers
A n s c h ü t z. Er fand, dass im Salizylidchloroform, einem
kristallisierten Körper, das Chloroform eine ähnliche Rolle spielt,
wie das Kristallwasser in vielen Salzen und dass es sich infolge¬
dessen beim Erhitzen in chemisch reinem Zustande abspalten
lässt. Die Narkosen, welche wir mit dem Chloroform-
An schütz — dem ich gern meine Empfehlung an die Fach-
genossen auf den Weg gab — erreichen konnten, waren selbst
gegen unsere vorherigen, mit der Tropf methode erzielten, so be¬
stechend gut, dass wir glaubten, am Ziel unserer Wünsche zu sein.
Gerade damals ging wieder einmal ein Aetherrausch durch
die Chirurgenwelt. Man narkotisierte „nach der Erstickungs¬
methode mit Aether“. Ich habe mich nie zu ihrer Verwendung
entschliessen können. Ein Universitätskollege — sein Genius
wurde leider allzu früh der Wissenschaft entrissen — , welcher
mit Chloroform- Anschütz nach unserem Verfahren betäubt wurde,
nannte jene Aethernarkose, die er in einer anderen Stadt kennen
gelernt hatte, drastisch einfach „eine Gemeinheit“. Etwas ähn¬
liches ist es wohl auch, wenn man einem sich mit allen Kräften
wehrenden Menschen durch eine Ueberschwemmung der Luft¬
wege mit Aether und durch Kohlensäurevergiftung unter Ab¬
schluss von Mund und Nase seine Besinnung gewaltsam nimmt.
Wir haben unsere Tropfenmethode als überlegen bezeich¬
nen müssen auch gegenüber der Anwendung von Apparaten,
die, eine exakte Mischung von Aether oder
Chloroform mit Luft bezweckend, von D r e s e r
und G eppert erdacht und empfohlen wurden. — Ganz ab¬
gesehen davon, dass der praktische Arzt nicht mit einem Möbel¬
wagen zur Narkose ausziehen kann und dass der Studierende
an der Hochschule Methoden kennen lernen soll, die mit ein¬
fachen Mitteln durchzuführen sind, bieten die komplizierten
Apparate gar keinen Vorteil gegenüber der Erzeugung eines
Luft-Chloroform-(Aether-)Gemisches, wie wir es erreichen durch
das Zersplittern der Tropfen, welche aus einiger Entfernung
auf unsere gut für Luft durchgängige und allseitig Luft zu¬
lassende Maske fallen. In dem kleinen Mischraume unter der
Maske kann eine zu konzentrierte Beimengung des Betäubungs¬
mittels bei Ausführung des Tropf Verfahrens überhaupt nicht
zu stände kommen, zumal wenn wir durch Erwärmung des Ope¬
rationstisches, durch warme Umhüllung des Kranken das Ope¬
rieren unter steter Luftemeuerung ermöglichen. Bei Gepperts
Verfahren wissen wir nur, dass aus der Oeffnung des zum Mund¬
stück führenden Schlauches eine Mischung mit beabsichtigter
Höhe von Volumprozenten austritt. Wie viel aber hiervon in
die Lungen gelangt, wieviel Luft ringsum unter der Maske, so¬
wie durch die Nase hinzutritt, welcher Prozentsatz hierdurch
schliesslich entsteht, das wissen wir nicht. — Die Apparate haben
auch ihren VTeg in Nebenräume gefunden. Die alte Maske ist
wieder zu Ehren gekommen.
Mit Einführung des absolut chemisch reinen und durch die
Art seiner Verpackung in kleinen braunen Fläschchen vor Zer¬
setzung sicher geschützten Chloroform-Anschütz hofften
wir auf der Höhe zu sein und auch die letzten Gefahren der
Anwendung des Mittels Simpsons geschwunden zu sehen.
Wir meinen damit weniger die Kollapse, die trotz grösster Vor¬
sicht nicht zu vermeiden sind — wie sie reflektorisch bei Mani¬
pulationen an den Unterleibsorganen, besonders bei Lösungen
von Verwachsungen auf treten — , wie sie plötzlich sich ereignen
bei Operationen an nervenreichen Organen, zumal solchen Ein¬
griffen, die, wie eine Mammaexstirpation, mit schnellem, starkem
Blutverlust verbunden waren. Diese Kollapse sind ja nicht durch
die Narkose an sich bedingt, sondern durch parallel lauf ende Schä¬
digungen; sie wurden übrigens von jeher durch subkutane Zu¬
führung von Aether bekämpft. Wir meinen vielmehr die Spät¬
folgen der Chloroformnarkose, wie sie zuerst von Ungar als
Ursache des „protrahierten Chloroformtodes“ be¬
schrieben wurden.
Durch die exakten Untersuchungen Ungars (seine Er¬
gebnisse wurden von allen nachfolgenden Autoren bestätigt) ist
nachgewiesen, dass die längerdauernde Einatmung
von Chloroform * — nicht die des Aethers
(Bonner Dissertation Selbach-Ungar) — eine ‘fettige
Entartung aller parenchymatösen Organe zur
Folge hat, insonderheit des Herzmuskels, der Nieren,
der Leber und der Milz. Wir glaubten anfänglich, diese
Organveränderungen seien durch die Verunreinigung des Chloro¬
forms bedingt, sahen aber leider ihre Folgen auch bei Kranken
die LIeilung störend, welche längere Zeit Chloroform-Anschütz
eingeatmet hatten (Herzschwäche, Albuminurie unter leichter
ikterischer Verfärbung einige Tage nach der Operation). Bei
vorheriger Minderwertigkeit der Säftemasse (durch andauernde
Unterernährung, infolge von Erkrankungen des Magendarm¬
kanales, durch lange Eiterung, durch Diabetes) führte auch das
chemisch reine Chloroform, lange eingeatmet, auf diese Weise
einige Tage nach sonst gut überstandener Operation zu direkter
Gefährdung des Lebens. — Wir sahen den Tod eintreten durch
das Zusammenwirken der Spätfolgen der Chloroformnarkose
mit septischen Zuständen, welche die Operation indiziert hatten.
Es war also nicht die Verunreinigung des Chloroforms Ur¬
sache dieser Spätwirkung, des drohenden oder eintretenden
„protrahierten Chloroformtodes“ Ungars, son¬
dern das Chloroform an sich. Chloroform war immer
noch Chloroform geblieben.
Nach dieser Erkenntnis taten wir den Schritt des Ueber-
ganges zur Anwendung des Aethers. — Wir hatten
bereits schwächliche, dann auch kräftige Kinder des öfteren mit
einfach aufgetropftem Aether gut betäubt. Dasselbe war bei
schwächlichen Frauen, besonders auch bei seelenruhigen, re¬
ligiösen Schwestern gelungen. Dann nahmen wir, zuerst auch
bei kräftigeren Frauen und schliesslich bei Männern zur Aether¬
narkose übergehend, ein Mittel hinzu, das schon von J ulliard
empfohlen war : wir schickten der Auf tropf ung
des Aethers Morphium voraus. Wohl gesellten wir
so ein Gift hinzu, welches, jedoch nur ausnahmsweise, die Herz¬
tätigkeit herabsetzen kann. Es kam aber nicht das Zusammen¬
treten zweier Herzgifte zu stände, wie in der bekannter-
massen von Nussbaum besonders empfohlenen Morphium-
Chloroformnarkose. Chloroform und Morphium kumulieren sich
in einer ganz imberechenbaren Weise. Die Morphium-Chloro¬
formnarkose ist die gefährlichste Betäubung, die es gibt.
Wir geben das Morphium, auf dessen exakte Dosierung
sich jeder Arzt versteht, % bis 1 Stunde vor Einleitung der
2. Dezember 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1995
Narkose. Wir warten, um eine etwa eintretende Uebelkeit
vorubergehen zu lassen, unter Umständen noch ruhig etwas mehr
nnt dem Beginn der eigentlichen Narkose. Man sieht unter
der Wirkung des Morphiums die Patienten ohne Aufregung in
den Operationsraum kommen, den Operationstisch besteigen
“ "e werdeJ. hier, und nicht in einem anderen Raume nar¬
kotisiert -, die seelische Ruhe der Kranken, ihr Freisein von
* V°r ( CTn erleichtert dann wesentlich die Ein-
Aethei-rUng mit U11Serem’ das Herz anregenden. Mittel, dem
-ing Vein ande.™ Ä ^ *uc? ** Zllr Aethernarkose ttber-
nämiich da s P h l „ • * f (1 e 111 Aether v o rau s ge »c hick t,
gegeben bfs zum Eintritt i “VT zwar wurde dies m Tropfen
/milchst J Toleraüz- I)as Verfahren erscheint,
zunächst befiemdend. A\ eiss man doch allgemein dass -leich
11 n. 1 nlanS der Betäubung Todesfälle durch Chloroform vor
gekommen sind Dennoch war die Empfehlung nicht so scdilecht
Menu ein in der Chloroformdarreichung geschulter Assistent
dieser für den Beginn bestehenden Gefahr bewusst, das Mittel so
loit aussetzt, sobald die ersten Erscheinungen der Atemverweige-
rung emtreten, dann lässt sich ein solcher gefährlicher Zufall ver¬
meiden, da er, wie oben gesagt, durch Reflex von den oberen Luft-
v egen ausgelost wird. Wenn K oclie r aber neuerdings Bro m -
athyl bis zum Eintritt der Betäubung gibt, so muss das als be-
denklich bezeichnet werden. Die unheimlich schnelle Wirkung dieses
Mittels kann nicht gleichgültig für das Herz sein. Nach den
ersten A ersuchen, die ich vor mehr als 10 Jahren bei kurz dauern¬
den Eingriffen m der Poliklinik gemacht habe, habe ich nicht mehr
i en Mut gehabt, das Bromüthyl anzuwenden. Ich hörte von einem
rheinischen, um die Narkosenfrage hochverdienten Kollegen dass
f +be.1+.de5. zweiten derartigen Narkose, die er auf Ivoc h e r s
Autorität hin unternahm, während der Bromäthyldarreichung einen
Uxitus erlebte. Er konnte ihn bei aller Vertrautheit mit den
Mitteln gegen Kollaps nicht abwenden, die Herzaktion hatte plötz¬
lich ausgesetzt und war nicht mehr anzuregen.
W i i geben also, um sicher vor Herzko llaps
zu sein, Aether. Wie aber steht es mit der W irkung
dieses M ittels auf die Duft w ege?
Unsere Aethernarkose gleicht auch in dieser Hinsicht in
nichts der früheren asphyxierenden Methode. — Allerdings haben
wir auch lernen müssen. — Wir haben früher „Aether-
pneumonien“ gesehen. Sie waren zweifellos durch Aspira¬
tion infizierter Flüssigkeiten bedingt, die vom Munde aus in die
Luftwege flössen oder in dieselben gezogen wurden. Einen Todes¬
fall erlebten wir nicht durch Lungenentzündung. Sie wurde bei
weiterer Ausbildung der Technik immer seltener beobachtet.
Aber noch oft störte ein akuter, durch den Aether in den groben
Luftwegen hervorgerufener Katarrh nach sogen. „Röchel-
narkosen“ es hinderte die Steigerung eines vorhandenen
Bronchokatarrhs die schnelle Erholung nach der Operation. Der
mit diesen Katarrhen verbundene, stetige Hustenreiz wirkte be¬
sonders ungünstig auf die Heilung von Unterleibsoperationen.
Wir werden Ihnen zeigen können, dass eine Reizung der
Luftwege durch den Aether an sich überhaupt nicht einzutreten
biaucht, wenn wir mit zweckbewusster Technik und nach guter
prophylaktischer Vorbereitung der Luftwege verfahren und
wenn der Zustand der letzteren auch nach der Narkose sorg¬
fältige Beachtung erfährt. — 3 Punkte sind ausschlaggebend:
1. Desinfektion des Mundes und der Luftwege vor der
Narkose ;
2. Lagerung des Kranken während der Betäubung mit
tiefliegendem Kopfe, stark hintenüber gebeugtem Nacken.
Die forcierte Reklination des Kopfes lässt ein Einfliessen von
oben her nicht zu und weist dem in den Luftwegen sich etwa
bildenden Sekret den Weg zum Munde hinaus;
3. die Ventilation der Luftwege durch systematische Atem¬
bewegung nach der Operation. — Diese werden unter Um¬
ständen bereits in den Tagen vor dem operativen Eingriff geübt.
Schon seit Jahren wird in meinen Anstalten ein jeder neu
hinzukommende Patient aufgefordert und eventuell gezwungen,
seinen Mund sauber zu halten. Vor jeder Operation wird, unter
Verantwortung des Abteilungsarztes, mit ganz besonderer Sorg¬
falt eine Revision und Säuberung des Mundes, des Rachenraumes
und, wo nötig, der Nase vorgenommen. Empfindlichkeit, zumal
Halbgebildeter, wird nicht berücksichtigt. — Einatmung von
Kochsalzwasserdämpfen, Terpentininhalationen ergänzen even¬
tuell in nicht eiligen Fällen dieprophylaktische Des¬
infektion der oberen Luftwege, der wichtig-
sten Massnahme zur Verhütung der sog. Aether-
Pneumonie, der Aetherbroncliitis. Wenn dann
auch in jedenfalls seltenen Fällen durch Embolien von Thromben
aus Aesten der Pfortader, deren Unterbindung nicht zu ver¬
meiden war, Infarkte in den Lungen entstehen, werden diese
ohne den Hinzutritt einer Infektion bland bleiben, ungefährlich
verlaufen, bei einfacher Atmungstherapie heilen.
Wir lagern den Kranken so, dass die Mundhöhle tiefer liegt
als der Larynxeingang. In diesen darf nichts hineinfliessen
können, dagegen soll das Sekret aus der Trachea mundwärts ab-
fliessen. Die Brust liegt höher als Hals und Kopf; besonders
aber wird der Kopf stark im Nacken nach hinten¬
über gebogen, so dass (vgl. die Abbildung) die Gesichts¬
ebene des Kranken senkrecht zum Boden abfällt.
Forcierte Reklination des Kopfes zur Aethernarkose.
*?it; clem brfTzipft:1rten Ueberzuge freiliegend. Kopf und Hals des
Kianken noch unverschleiert, um die starke Spanuung der Halsweichteile vorn
^senkrechte Abfallen der Gesichtsebene, die Lage der flSenden H^nd ^
alles gegeneKodllapf rk°S6ntiSChChen: °b6n ^ fÜr die Einscbläfe™ng , unten
Man sollte nun meinen, bei der von mir dringend em¬
pfohlenen forcierten Reklination des Kopfes
müsste der Zungengrund besonders leicht nach hinten auf
den Larynxeingang fallen und der warnende L-Laut recht häufig
zum Gebrauch des Esmarch sehen Handgriffes zwecks Lüf¬
tung des Kehlkopfeinganges, zur Anwendung der Zungenzange
nötigen. Das Gegenteil ist der Fall!
V ir alle kennen den Ratschlag, im äussersten Notfall, wenn
der Larynxeingan g sich gar nicht lüften lassen will,
ein Häkchen in das Zungenbein einzusetzen, um es
nach vorne zu ziehen. Das Gleiche geschieht bei
meinem Handgriff zur Reklination durch die
feste Anspannung der zwischen Brustbein und Kinn ziehenden
Weichteile. Sie übt im gleichen Sinne einen Zug auf das ein¬
gelagerte Zungenbein von der Wirbelsäule nach vornehin aus.
Wild die starke Nackenbeugung dauernd gut durchgeführt, so
fhesst die sich etwa sammelnde Flüssigkeit von selbst zum Munde
und wohl auch zurNase heraus, hier wird sie mit einem Handtuche
fortgenommen. Wir brauchen nur äusserst selten einen
Schwamm, und zwar nicht zur Säuberung des Mundes, sondern
um Schleim zu entfernen, der sich im Larynx bildete und an
dessen Eingang zäh anhaftet. Wir fassen den Schwamm dann mit
einer langen Kornzange so, dass durch die Spitzen des Instruments
keine Schleimhautverletzung entstehen kann, und führen ihn
gleich ordentlich so tief hinein, dass man beim Wischen die
quei eil Bewegungen des Kehlkopfs sehen kann. — Einen weiteren
Nutzen hat die Lagerung gebracht durch den Wegfall der
Hypersekretion von Schleim im Kehlkopf und
i u d e r L u f t r ö h r e. Sie scheint bei schlechter Kopflagerung
dadurch veranlasst zu werden, dass mit Aether überladener
Speichel durch den Kehlkopf hin und her gezogen wird und da¬
bei die. Schleimhaut intensiv reizt. Der Aetherdunst an sich, in
so . geringer. Menge, wie wir ihn brauchen, hat offenbar diese
Wirkung nicht; sie tritt erst nach Darreichung sehr grosser
Mengen ein, und diese muss selbstredend vermieden werden.
. Der Hauptverbrauch des Aethers in schwierigen Fällen ge¬
schieht nach unserer Erfahrung in der Zeit vor Eintritt der Tole¬
ranz. Unter Bedingungen, welche sie später kennen lernen wer¬
den, geben wir deshalb nach reichlicher, an der Qualität
1*
»96
mttfnotTENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
de Pulses, an der Färbung des Gesichts erkennbaren A n-
regung der Herztätigkeit durch Aether u -
u nter Voraussetzung einer solche n, f u n z
l,is -lreissig Tropfen Chloroform; bei jedem
Tropfen zögernd, die Notwendigkeit seines Gebrauches erwägend
und bedauernd. Welch ein Minimum hierbei dem Blute zu
geführt wird, ergibt sich aus den früheren Betrachtungen, unc
doch wirkt es stets rasch zur Herbeiführung des gewünschten
reaktionslosen Schlafes8). Dann wird Aether, — ^
weiter getropft, und nur wenn vorübergehend eine absolute Ru
werden muss, könnten unter Umständen |
einige Tropfen Chloroform gegeben werden. Ein guter Har
seur hat das aber nicht nötig. . , -•
Dass es sich nicht um eine kombinierte Aether-Chioioior
narkose im gewöhnlichen Sinne des Wortes handelt, sonder
dass wir faute de mieux bei der im übrigen nach der Tropfen
methode durchgeführten Aethernarkose einige Tropfen Chloio
fnrm zulassen, mag immerhin betont sein. Wir kurzen, und zwai
nur in Ausnalnnef allen, die Dauer der ersten Penode wesentB^
ab, vermeiden, dass für diese 100 g Aether aufgeta** werdm
müssen statt 20 g Aether und 1 g Chloroform. Das Mittel des
Gesamtverbrauches an Aether bei kurz™ Operationen betragt
dann 50-70 g; bei Operationen von der Dauer einer ™
darüber genügen 100 g auch bei kräftigen Männern. Der naikot
sicn.nl Assistent hat mir die Menge des verbrauchten Aethers
und eventuell des Chloroforms zum Schlüsse zu melden, dies i g
ungemein zur Sparsamkeit im Gebrauche an.
Sie werden nun gleich unsere Aethernarkose nach der lropt-
methode ausgeführt sehen. Wir wählen als ersten Fall einen sol¬
chen schwieriger Art, und an denselben anknüpfend wollen wn
noch die Erwägungen erörtern, die ausser den obigen aut d e
Sauberhaltung der Luftwege hingehenden noch in jedem Fal e
erledigt sein müssen, bevor wir eine Narkose emleiten dürfen.
Vielleicht ist die Durchführung der Technik im vorliegenden
Falle noch mit besonderen Schwierigkeiten, verbunden; Sie lernen
dann die Art ihrer Ueberwindung kennen. Zum Schluss dann
noch einige Worte über die Nachbehandlung eines mit Aether
Narkotisierten. ,
Unser Patient, ein 48 jähriger Forstbeamter aus der Eitel,
bekommt ein dickes P auf seine blaue Zählkarte. Er liebt mög¬
lichst. starkes alkoholisches „Visierwasser . . Der reichlic e
Gebrauch desselben hat indes seine Gesundheit im allgemeinen
noch nicht wesentlich geschädigt, sonst würde ich ihn erst eine
Zeitlang auf einfaches Wasser gesetzt haben. Immerhin müssen
wir mit der Möglichkeit einer Exzitation rechnen. Sie wird aber
jedenfalls eine ganz geringe sein. Es vergehen Wochen in denen
wir bei unseren Narkosen kein Aufregungstadium sehen; das
Schreien, Umsichschlagen, Strampeln kommt überhaupt nicht
mehr vor. . . .
Im II r i n findet sich kein Zucker. Wir wurden sonst bei
der unberechenbaren Eventualität eines Coma diabeticum post
narkosem den Zucker herabzusetzen gesucht und ohne Allgemem-
narcosin den Zucker herabzusetzen gesucht oder ohne Allgemein-
iu diesem Sommer bei einer Heusoperation genötigt war, die An¬
gehörigen oder den Kranken selbst auf die Möglichkeit des A ldit-
wiedererwachens aufmerksam machen. _ .
Der II a r n enthält kein E i w e i s s. Die durch Ei Weiss-
Gehalt wahrscheinlich gemachte Nephritis würde möglichste Ein¬
schränkung besonders des Chloroformgebrauches, aber auch der
Aetherdarreichung nothwendig machen. Wir würden viel Mor¬
phium, wenig Aether geben und, wo angängig, nur örtlich be¬
täuben. . ,
Der Puls ist jetzt normal. Bei jedem zu operierenden
Kranken, besonders aber vor Laparotomien, stellen wir möglichst
einige Tage vor der Operation, zu einer Zeit, wo die Angst die
Herzaktion noch nicht beeinflusst, die Art und Zahl des Pulses
fest. Es bestand hier leichte Unregelmässigkeit der Schlagfolge
und Höhe des Pulses bei der Aufnahme; letztere war wohl nicht
durch degenerative Prozesse des Herzmuskels bedingt, son¬
dern durch die vorzeitige Arteriosklerose. Die Herztöne
2) Der frühere Bonner Chirurg W. Busch erzielte Narkosen,
die noch heute von seinen Schülern gerühmt werden, mdem er die
Kranken erst in einen Aetherrausch versetzte, und dann nnt Chi
form in Güssen fortfuhr. Jedenfalls ein Beweis dafui, dass ein
Vorausschieken von Aether die Gefahr des Chloroforms wesentlich
herabsetzt.
sind rein Der' Nachweis eines gut kompensierten K lapp e n -
f elile r‘s würde nicht bedenkenerregend für eine Aethernarkose
sein. Dass auch schwere Kompensationsstornng ei
relativ grosser Morphium- und kleiner Aetherdosen eine ruhige
Durchführung unseres Verfahrens wohl zulässt, er ren vir
jüngst als ich einer alten Dame den Oberschenkel wegen dia-
beüsclier Gangrän amputieren musste. - Wir haben unserem
Kranken einige Tage hindurch T mct. S t r op h a n t h i mit
inet Digitalis äa4 mal täglich 15 Tropfen gege en.
kann Ihnen diese vorbereitende Regelung der Herztätigkeit nie
genug empsehlen. Wir geben die Tropfen fast einem jeden Er¬
wachsenen, der operiert werden soll, besonders auch aus d n
Grunde weil eine allgemein beruhigende Wirkung durch das
Mittel ganz unverkennbar fal. Schott der Gedanke, dass ausser
der, häufig genug Unwillen erregenden Vorbereitung im Sinne
der' Aseptik, etwas geschieht, macht die Leute geduldiger.
Vor einer Stunde etwa wurde Morph. 0,02 subkutan em-
gespritzt. Dann haben wir aber auch der Darreichung
vonAlkohol gedacht. Der Kranke bekam ihn vor & Stun¬
den allerdings nicht durch den Mund, sondern durch die ent¬
gegengesetzte Körperöffnung in Form eines warmen
klvsma, das 50 g Kognak, 50 g Rotwein und
eilige Tropfen Tin c t. O p. enthielt. Wir wurden uns
nicht gescheut haben, eine kleine Tasse Thee mit ein
Drittel Kognak oder Rum per o s nehmen zu lassen,
wenn nicht die erhöhte Reizbarkeit der Rachenschleimhaut, die
Neigung zu würgen in früher Morgenstunde - eine Folge des
fortwährenden Rauchens und des Alkoholmissbrauches - eine
völlige Leerheit des Magens wünschenswert gemacht hatte. In¬
folge der Einwirkung der rauhen Eifelluft besteht ein leichter
Katarrh des Larynx und der grossen Bronchien
er ist nicht infektiös, für die Narkose von wenig Bedeutung, ei
macht keine Vorbereitung durch desinfizierende Inhalationen er-
tordeilicU^ s.nd gesund und blank. Eine besondere vorbe¬
reitende Reinigung derselben ist nicht erforderlich gewesen.
Wiederholtes energisches Putzen derselben und nachfolgend
Mundspülen mit einer Thymollösung haben den erwünsch¬
ten sauberen Zustand auch des Mundes sicher
Die Nase zeigt nichts Abnormes. Spülungen sind also
nicht notwendig gewesen. . . ,
Da Patient schon heute wieder ausser Bett sein wird, w
eine Vorübung der systematischen Atembewegungen nicht er¬
forderlich. .. i •
Patient ist etwas blass durch das m ehrstundige
Fasten. Dieses war aber nicht zu vermeiden. Die alte gute
Regel, dass der Magen bei Einleitung der Narkose leer sein
solle, besteht weiter zu Recht, (Würden wir einen eingeklemmten
Bruch, einen sonstigen Ileus zu operieren haben, so wäre noch
der Magen auszuspülen.) Im übrigen ist der Kranke aber guten
Mutes durch das Morphium, eine Nausea ist durch das Morphium
nicht veranlasst worden; Patient braucht deshalb eine nochmalige
Mundspülung nicht vorzunehmen. _ ,
Um jede unnötige Manipulation wahrend
der Narkose zu vermeiden, die Dauer d ei¬
se 1 b e n abzukürzen, sind alle Vorbereitungen
im Sinne der Aseptik im Nebenraum bereits
erledigt. Mit frisch gewaschenen Unterkleidern und Pan¬
toffeln mit einer sterilisierten Wolldecke umhüllt, geht er durch
unsere Mitte. Die Haut seines Kopfes, an dem eine Nekrosen¬
operation vorgenommen werden soll, ist rasiert,, gewasc en,
wiederholt mit Alkohol und Schmierseife massiert, mit gekochtem
Wasser abgespült und jetzt mit einer sterilisierten Gazehülle be¬
deckt, . i i • • .
Werfen wir einen Blick in den Operationssaal hinein.
Blanke, nackte Wände; glatter befeuchteter Fussboden. Von der
spiegelnden Decke hängt, nur an einem einfachen Ring befestigt,
die für Nachtoperationen erforderliche Anzahl elektrischer Lämp¬
chen herab. Darunter befindet sich die von mir empfohlene, läng¬
lich, viereckige Schutzplatte aus Spiegelglas.
In dem Raum steht nur ein einfacher Operationstisch mi
schräg abfallendem Kopfende. Man deckt gerade mit sterilisier¬
tem Leinentuch das grosse, mit recht warmem Wasser gefüllte
Gummikissen, auf dem der zu Operierende ruhen soll.- Warme ste
rilisierte Tücher sind zu seiner Bedeckung bereit ; sie werden über
2. Dezember 1902.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1997
ihn gelegt, nachdem seine Arme und Beine mit langen sterili¬
sierten Säcken überzogen sind. Der K r a n k e w i r d lc eine r
Abkühlung unterliege n, auch wenn wir ihm und uns
den Genuss frischer Luft während der Operation durch Oeffnen
eines Fensters gewähren.
Im Instrumentarium nebenan steht noch der Tisch mit den
vorbereiteten Kompressen und Tupfern, der Tisch mit den aus¬
gekochten Instrumenten. Es wäre grausam, ja, wie ich er¬
fahren musste, dur c h den Schreck direkt das Lebe n
gefährdend, wenn der Kranke die Instru¬
mente sehen k ö n n t e.
Nur einen mit sterilisiertem Leinensack bedeckten Gegen¬
stand sehen Sie in der einen Ecke; die vorher auf ihr sicheres
Funktionieren geprüfte Sauerstof f bombe, durch deren
Einführen in den Operationssaal Schede sich ein unvergäng¬
liches Verdienst erwarb.
Sehen wir uns noch rasch das Tischchen an, auf
dem alles für die Einleitung und Durch-
f ü r u n g der Narkose, aber auch das zur Bekäm-
pf ung etwa eintretender übler Ereignisse Er¬
forderliche bereit gestellt sein muss:
Oben auf der Platte steht Aether in einer braunen mit ein¬
facher Tropf Vorrichtung versehenen 100 g- Flasche, daneben
( 'hloroforin Anschütz in den bekannten kleinen 25 g-Fläschchen
aUiS dunklem Glas. Ein Heister scher Kieferdilatator, ein
Ros er scher Klauenschieber als sehr handliche Zungenzange
liegen daneben. Wir werden sie kaum je gebrauchen, ebenfalls
nur selten die kleinen , gut ausgedrückten sterilisierten
Schwämme und die zu ihrer Führung bestimmte Polypenzange,
die in dem kleinen emaillierten Brechbecken sich finden. Das
Wenige, was aus Mund und Nase abfliesisen könnte, wird mit
dem daneben liegenden Handtuche aufzunehmen sein. — Auf der
unteren Platte sehen Sie in einer viereckigen Glasschale an¬
geordnet „Alles gegen Kollaps“. Eine auf guten Gang
geprüfte grössere Pravazspritze mit sterilisierter Spitze. Da¬
neben eine kleine weithalsige Flasche mit Ol. camphora t.
und eine grössere, der wir die von Poncet empfohlene
M i s c h u n g
v o n
2 Teilen Kognak mit 1 Teil
W a s s e r entne h m e n können, um sie schon bei nur rnässi-
gem Sinken der Pulswelle in Dosen von 2 — 4 g, mit Wider-
holung im Notfall bis zu 50 g steigend, unter die Haut zu
spritzen. Daneben steht eine gut verschlossene Flasche mit
200 g einer 8proz. sterilisierten Kochsalz¬
lösung.^ Durch Zusatz von je einer Hälfte auf 1 Liter ge¬
kochten Wassers können wir sofort die physiologische Lösung er¬
halten, die wir 40 " warm zur Suffusion unter die Haut und zur
intravenösen Infusion benützen. Ein ausgekochtes mit Watte¬
pfropfen verschlossenes Reagensglas enthält die dicke, schon mit
einem Schlauchende fest verbundene Infusionsnadel, welche wir
zur Kochsalz suffusion unter die Haut der Brust oder
des Oberschenkels einstossen, bei leidlich erhaltener Herzaktion,
zur intravenösen Einspritzu n g von 1—2 Liter in
die Ven. mediana einbringen bei Herzsynkope. Das Herz würde
durch die intravenöse Irrigation einen mächtigen Impuls er¬
halten. Einen weiteren Antrieb würde man ihm rhythmisch
geben durch künstliche Atmung (am wenigsten die
Aseptik störend, besonders bei Laparotomien, und dennoch vor¬
züglich wirkend, ist die Schul ler sehe Methode, die Hebung
und Senkung des Thorax mit unter die Rippenbögen gehakten
Fingern). Machen wir dann das wässerige, minderwertige Blut
hochwertiger durch gleichzeitige Zuführung von Sauerstoff nach
Schede, dann wäre getan, was möglich ist.
dem Na Ol- Wasser enthaltenden Irrigator verbundene
Hohlnadel diente uns in einigen besonderen Fällen zur B e -
Kampf ung eines durch die Störung der Atmung-
lind der Herztätigkeit zusammen ausgelösten
u n gern ein bedrohlichen Kollapses, nämlich bei
z u f a i 1 i g entstandener oder operativer E r ö f f -
i s , d V? . 1 r e 1 e n Pleuraraume s. Die Lunge der be¬
ll ettenden Seite sinkt zusammen, das Herz wird, nicht wie bei ge¬
schlossenem Pneumothorax, nach der gesunden, sondern hier nach
der verletzten Seite gedrängt unter Abknickung seiner grossen Ge-
tasse. Er schlägt erst wieder regelmässig, wenn es — wie ich dies
zmal bei ausgedehnter Resektion der Brustwand wegen Chondro¬
sarkoms ausführen liess — durch eine angedrückte Kompresse nach
der gesunden Seite hin gehalten wird. — Ich habe in der betreffen¬
den Mitteilung (Centralbl. f. Chir. 1S90. No. 28) empfohlen, nicht
wie allgemein üblich, den Brustraum auszutamponieren; die Lunge
No. 48.
kann sich dann erst in 1 agen allmählich wieder ausdehnen, wenn
sie es übeiliaupt tut. Ich schloss die U-förmig angelegte äussere
Wunde bis auf einen kleinen Schlitz, in dem schon die äehluss-
liaht angelegt war, -verwandelte den Pneumothorax durch Injek¬
tion von Flüssigkeit in einen Hydrothorax und dehnte schliesslich
* (K Lunge wieder passiv durch Aspiration der eingebrach ten
Flüssigkeit aus. — Wir haben in weiteren Fällen unsere Hohlnadel
duith einen Zw ischeiirippenraum eingestossen, die Pleurawunde bis
auf einen kleinen Rest vernäht und auch diesen schnell geschlossen,
als bei der Ausatmung die in den Pleuraraum gebrachte Flüssig¬
keit heraussprudelte. Durch einfache Senkung des Irrigators wurde
der künstliche Hydrothorax abgelassen. Die Lunge dehnte sich
«ins, atmete "vesikulär, das Herz kehrte in seine Lage zurück
schlug wieder regelmässig. Der Kollaps, der schnell tödlich zu
weiden drohte, war vorbei, und es konnte weiter operiert werden.
Während dieser Betrachtungen ist alles für den Be¬
ginn der Ihnen zu zeigenden Narkose fertig gestellt. Die
beiden mit ihr betrauten Aerzte haben die von mir em¬
pfohlenen Gazeschleier angelegt. Einer derselben hält den mit
dünner trockener Gazelage bedeckten Kopf des Kranken zu¬
nächst frei schwebend fest. Es liegen die 2. — 5. Finger
beider Hände als Stütze und auch als Hypo -
mochlion für die Reklination von beiden
Seiten her am Nacken desi Kranken, sie be¬
rühren sich mit den Spitzen, während der
Daumen, über dem Ohre beiderseits ange¬
drückt, zugleich die Zipfel des Maskenüber-
zuges fixierend, den Kopf — dessen sofortige Tief¬
lagerung unangenehm, wäre und event. direkt verweigert werden
könnte — unvermerkt ganz allmählich bis zu
stärkster Anspannung der vorderen Hals-
weich teile hintenüberdrückt. Es ist besonders
darauf zu achten, dass diese Reklination ad
m a x i m u m auch bei der Beckenhochlagerung
ausgeführt wird, dass man sich hier nicht mit
dem einfachen Herabhängen des Kopfes b e -
gniigt. Dies schützt wohl vor dem Einfliessen
von Flüssigkeit in die Luftwege, verhindert
aber nicht das Hinübersinken des Zungen-
g r u n des, sondern begünstigt es im Gegenteil
d i r e k t. Es strengt körperlich an, den Kopf dauernd so zu
halten ; der betreffende Assistent setzt sich deshalb am besten auf
einen Schemel (vergl. Abbild.). Der zweite Arzt kon¬
trolliert mit der einen Hand dauernd den Puls,
während er mit der anderen das Schlafmittel
d o s i e r t, es wird so jedes unnütze Reden vermieden. Nur im
Notfall spricht der narkotisierende Arzt mit dem anderen, und
dann laut, auch für den Operateur verständlich. So lange der
Narkotiseur letzterem nichts meldet wird die Narkose als un¬
gestört verlaufend angesehen. Ungeteilt wendet der mit der Ein¬
schläferung betraute Arzt seine Aufmerksamkeit nur der Narkose
zu. Er soll nach der trefflichen Vorschrift L i s t e r s nicht
wissen, ob die Operation begonnen hat, ob sie vollendet ist. Zur
rechten Zeit wird ihm bedeutet, dass der Eingriff bald beendigt
sei oder, dass aus anderen Gründen die weitere Zuführung von
Aether unterbleiben soll. Dann Maske weg!
Der Patient, welcher weder durch laute Ge¬
räusche und Sprechen, noch durch vor¬
zeitige Berührung am ruhigen Einschlafen
v erhindert werden darf, wird (wie das zuerst mein früherer
Assistent G. II o f m a n n als zweckmässig erdachte) aufgefordert,
laut, deutlich und langsam von 200 abwärts zu
zähle n. Es reguliert sich hierdurch vorzüglich seine Atmung.
Dem Aussprechen jeder der langen Zahlen geht eine tiefe Ein¬
atmung voraus. Die Atmung erfolgt in immer längeren Pausen
und tiefer. Noch ist kaum 170 erreicht, da beginnt die Schwierig¬
keit, die Zahlen zu finden. Das Suchen nach denselben nimmt,
nie ganze Tätigkeit des Geistes in Anspruch; Angst und
Schrecken sind geschwunden. Dies vollzieht sich besonders auch,
trotzdem bis 190 überhaupt kein Tropfen gefallen war, und dann
erst ganz langsam einer dem anderen, folgte. Bei 150 bis 140
verwirrt sich die Reihe der Zahlen, eine derselben wird mehr¬
mals heftig wiederholt, bald zeigt ein Murmeln, dass der Schlaf
nahe ist, durch ruhiges Weitertropfen wird er zu erforderlicher
Tiefe gebracht. Der narkotisierende Assistent
meldet dann, dass die Toleranz erreicht sei.
Erst jetzt dürfen wir den Patienten vor uns zu den letzten Vor¬
bereitungen für die Operation berühren.
1908
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Bei unserem Kranken ging das Zählen trotz seines Pota-
toriums fast vollkommen ruhig einher, nur einmal wurde seine
Sprache lauter, während gleichzeitig leichte Abwehrbewegungen
mit den Beinen gemacht wurden. J etzt nähert er sich der 4 a 1
100. Sein Gesicht ist nicht mehr blass, der Puls ist langsamei
und kräftiger geworden. Wir lassen langsam 20 Tropfen Chloro¬
form auf die Maske fallen, um ihn vollends in den tiefen Schlaf
hinüber zu „schleichen“; dann gibt es nur noch Aether in lang¬
sam fallenden Tropfen, während wir die Operation austühren
Es stört die Technik der Narkose nicht, dass wir über den Ivopi
tles Kranken noch Gaze in mehrfacher Lage als Seheier decken,
um in einem Schlitze des letzeren zu operieren, dessen Ränder
durch kleine Roser sehe Klauenschieber an die Haut . fest¬
geklemmt werden. Die Maske bleibt unter dem Schleier liegen.
Wir würden sie aber auch ersetzen können durch einen mit ge¬
brüllter Gaze gefüllten und mit Gaze überzogenen Glastrichter,
von dem abgehend ein Gummischlauch in den Mund oder die
Nase des Kranken führt. — Schon während der Nahtanlegung
wurde kein Aether mehr gegeben, die Maske wegenommen.
Während des Verbandes erwacht der Kranke auf dem Operations¬
tisch. — Er schlummert auf der Bahre wieder ein, auf welcher
er mit tiefgelegtem Kopf, sorglich warm eingehüllt, unter Auf¬
sicht seines Arztes zu seinem Bette getragen wird.
Damit darf jedoch unsere Sorge um die Narkose und ihre
Folgen durchaus noch nicht beendet sein.
Was muss zur Nachbehandlung- geschehen '.
Wir lassen den Kranken unter aufmerksamer Bewachung
ausschlafen, wo es geht. Er ist gut zugedeckt. Das 1 enstei
steht offen. Bald würde sonst die umgebende Luft nach Aether
riechen; denn stundenlang, ja bis zum nächsten Tage dauert die
Exhalation von Aether an. Die Zufuhr frischer L u f t
zusammen mit häufigen Mundspülungen mildert sicliei
die Neigung zum Erbrechen. Sollte letzteres quälend werden,
wiederkehren, so spülen wir unter der Annahme, dass doch
Aether geschluckt sei, den M agen aus.
Als ein ganz besonderer Vorzug unserer Einschläfe¬
rungsmethode isi es nun zu bezeichnen, dass Uebel-
keit nach derselben in der Regel überhaupt
nicht vorhanden ist. Ganz besonders auffällig war dies
bei Patienten, welche die Nausea von früheren Operationen hei
geradezu fürchteten und nun sofort sich wohl befanden. Es hat
dies offenbar darin seinen Grund, dass, abgesehen von unserer
kleinen Aetherdosis, keine mit Aether versetzte Flüssigkeit in
den Magen gelangen kann, deshalb ist auch Erbrechen schon
während der Narkose höchst selten. Vorerst wird dein Patienten
in allen Fällen gar nichts geboten oder nur ein Schluck kalten
Thees, es folgt dann vorsichtig andere Flüssigkeit in kleinen
Dosen, allmählich in steigernder Menge.
Es wird Sie, wie andere Besucher meiner Anstalten, ein
Umstand ganz besonders überraschen, wie frühzeitig ich
die Operierten, wo es irgend angeht, aufstehen lasse.
Nach einer Oberarmamputation ist der Operierte am Abend des¬
selben Tages wieder auf, desgleichen ein Gastrostomosierter. Die
Frau, welcher die ganze Mamma in einem Stück mit beiden
Brustmuskeln von derKlavikula herab wegen eines Karzinoms ent¬
fernt wurde, sitzt am anderen Morgen in einem bequemen Sessel.
Auch diese Kranken, bei denen frühes Ausserbettsein möglich ist,
sollen fleissig tief frische Luft einatmen. Unbedingt erforderlich
ist die Atemgymnastik bei Operierten, die man nur im Bette auf¬
richten kann, und erst recht bei denjenigen, die vorläufig hori¬
zontal liegen bleiben müssen. Hier wird es d e r Schwester,
dem Pfleger zur strengen Gewissenspflicht
gemacht, den Kranken zu systematischer tiefer
Atmung anzuhalten. Der Patient soll nach der Uhr jede
halbe Stunde 10, 15, 20 mal ganz tief atmen ! Der Arzt lässt
sich die tiefe Atmung vormachen und deutet dem Kranken an,
dass bei Nichtbefolgung dieser Vorschrift eine Entzündung der
Lunge drohe. Wo die Atembewegungen zu schmerzhaft sein
würden, geben wir in den ersten Tagen Morphium, häufig, in
kleinen Dosen. Wenn aber die Vorschrift genau ausgeführt wird,
dann sehen wir keine Hypostasen bei Operierten, ebensowenig
bei Verletzten, selbst bei den in dieser Hinsicht bekannter-
massen so schwer gefährdeten Patienten mit Schenkelhalsfrak¬
turen. Möglichst bald lassen wir die Rückenlage wenigstens mit
Lagerung auf der Seite abwechseln, wir richten dann die Kranken
mit Stellkissen passiv auf. — Strophanthus mit Digitalis wird
weiter genommen, wo es vor der Narkose in Anwendung kam.
Kampher und Alkohol werden frühzeitig und häufig eingegeben,
wo die Kräfte nachzulassen drohen.
Die Besprechung der allgemeinen Narkose darf ich nicht be-
schliessen, ohne einer Enttäuschung Erwähnung zu tun, die wir
in diesem Sommer erlebten. — Gern würden wir unsere durch
jahrelange Arbeit am Operationstische ausgebildete Methode der
Narkose vertauscht haben mit einer solchen, die ohne Inan¬
spruchnahme der Luftwege zu erreichen schien: durch die ein¬
fache subkutane Einspritzung des schmerzstillen¬
den Morphins und des schlaf erzeugenden Sco¬
pol a m i n s.
Korff in Freiburg empfahl3) die Methode auf Grund eigener
guter Erfahrung in 150 Fällen, auf Grund der vorzüglichen Re¬
sultate, welche v. Beck in Karlsruhe erzielt hatte. Wir hatten
die Freude, K. längere Zeit bei uns zu sehen, seine ernste Auf¬
fassung ärztlicher Aufgaben kennen zu lernen. Ich glaubte
guten Gewissens, K. für einen Operationsmorgen die Narkosen
nach seiner Art ausführen lassen zu dürfen.
Um 3 Uhr Morgens wurde einem alten Herrn, dem wegen
chronischer Kniegelenkseiterung das Bein im Oberschenkel am¬
putiert werden sollte, die erste Spritze mit 0,01 Morphin,
0,0012 Scopolamin gegeben; er schlummerte bereits, als ihm um
5 Uhr die gleiche Dosis gegeben wurde; er schlief fest bei In¬
jektion der dritten gleichen Menge um 614 Uhr, 14 Stunde vor
der Operation. Fest schlafend wurde er in den Operationssaal
getragen; er erwachte nicht während der Amputation, nicht beim
Verbände; er schlief nachher einige Stunden weiter. — Genau
so verlief die zweite Narkose bei einem alten dekrepidea Manne
mit schwerer Sepsis der Harnwege, die infolge falscher Weg¬
bohrung bei Prostatahypertrophie auf getreten war. Ich legte
eine schräge Blasenfistel nach meiner Methode an. — Der dritte
Kranke, ein junger Mann, erwachte allerdings während der
Nekrosenoperation, die am Oberschenkel ausgeführt wurde; er
störte uns dabei in keiner Weise, sondern sah schläfrig zu. Dann
schlief er im Bette weiter; beim Erwachen verlangte er dringend,
endlich operiert zu werden!
Unser Staunen und Entzücken über die Methode der Be¬
täubung war gross. Ich erzählte unserem Pharmakologen,
Professor Binz, davon und bat ihn zur Demonstration
an einem Operationsmorgen. Wir haben die Einladung zurück¬
ziehen müssen. Die von mir immer schon gefürchtete Herz¬
schädigung blieb nicht aus. Tagelang litt der Amputierte an
Herzschwäche; der Prostatiker erlag der Sepsis, die er vielleicht
sonst überwunden hätte. Demgegenüber kam das Wohlbefinden
des Dritten nicht in Betracht; der hätte sich wahrscheinlich,
selbst nach einer Chloroformnarkose, wohl gefühlt. —
Wenn Korff infolgedessen in kurzer Notiz4) zur Vorsicht
riet, darauf hinweisend, dass das Scopolamin in seinen Eigen¬
schaften doch vorläufig noch nicht genügend bekannt sei, gab
er einen weiteren Beweis seiner wissenschaftlichen Zuverlässig¬
keit. Vielleicht kommt sein Verfahren doch noch zu berechtigten
Ehren; es würde durch seine Einfachheit alle anderen Methoden
der allgemeinen Narkose schlagen müssen.
500 Chloroformnarkosen in der gynäkologischen
Praxis.
Von Dr. med. Wilhelm Evelt, Assistenzarzt an der gynäko¬
logischen Universitäts-Poliklinik in München.
In der operativen Praxis meines Chefs, Professor Gustav
K 1 e i n in München, werden seit einiger Zeit über alle Narkosen
genaue Aufzeichnungen gemacht. Es wird dazu ein Buch be¬
nützt, in welchem folgende Rubriken mit Vordruck*) enthalten
sind :
Laufende Nummer, Name der Patientin, Alter der Patientin,
Krankheit, Operation, Name des Narkotiseurs, Narkotisierungs-
3) Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 29 und 1902, No. 27.
4) Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 33, S. 1408.
*) Die Bücher werden von der F ranz sehen Hofbuch-
druckerei, München, Louisenstr. 17, hergestellt.
2. Dezember 1902.
1999
MITEN CH EHER M E DICINI SCI1E WOCHENSCHRIFT.
mittel, Menge desselben, Vorbereitung, Dauer der Narkose,
Dauer der Operation, Bemerkungen.
Im folgenden wird über 500 nach diesem Schema genau ge¬
buchte Narkosen berichtet, welche vorwiegend der Privatpraxis
meines Chefs entstammen.
Zwei Motive bilden besonders die Veranlassung, diesen
Aufsatz, der einerseits eine Statistik über 500 reine Chloro¬
formnarkosen bieten, andrerseits einige praktische Winke
auf Grund der Erfahrungen und Beobachtungen bei diesen
500 Narkosen bringen soll, in einer speziell vom praktischen
Arzte so viel gelesenen Fachzeitschrift zu veröffentlichen. Das
erste Motiv ist das, die Herren Kollegen, die über das nötige
Material verfügen, anzuregen, auch ihrerseits ihre Narkosen¬
statistiken häutiger zu publizieren, als dies bisher der Fall war.
1 )en Studierenden und den Kollegen, die seltener Gelegenheit
haben, zu narkotisieren, einige praktische Winke zu geben, auf
welche Weise man mit möglichst wenig Chloroform eine gute
und dabei möglichst ungefährliche Narkose machen kann, das
ist das zweite Motiv.
Es kam bei den Narkosen fast ausschliesslich Chloroform
zur Anwendung, da unsere Resultate mit diesem Mittel immer
sehr gute waren. Damit will ich keineswegs behaupten, dass die
Aethemarkose völlig entbehrlich sei. Auch bei uns wurde in
wenigen Fällen Aether zur Narkose verwendet. Tn einem
unserer Fälle wäre sogar ohne Aether eine Narkose unmöglich
gewesen. Die betreffende Patientin sollte zum Zweck einer
Laparotomie narkotisiert werden; Veränderungen oder Er¬
krankungen der Brustorgane waren weder perkutorisch noch aus¬
kultatorisch nachzuweisen. Gleich nach den ersten paar Tropfen
Chloroform setzte der Puls völlig aus; es wurde nun mit Aether
narkotisiert; sofort war der Puls wieder in vollster Stärke fühl¬
bar. Dasselbe wiederholte sich, als die Patientin später noch
einmal narkotisiert werden musste. Andrerseits kann als Gegen¬
stück auch wieder folgender Fall angeführt werden: Bei einer
Patientin, die ich zu narkotisieren hatte, fand sich bei der
Untersuchung des Herzens eine Verbreiterung der Herzdämpfung
nach links und ein lautes, blasendes, systolisches Geräusch über
der Herzspitze (beides wurde noch von 2 weiteren Kollegen kon¬
statiert). Ich liess mich dadurch nicht im entferntesten ab¬
halten. Chloroform zur Narkose zu verwenden. Die Narkose
verlief ausgezeichnet, ja noch mehr, nach der Narkose war von
dem systolischen Geräusch auch nicht mehr die Spur zu hören,
wie die beiden Kollegen ebenfalls wieder mitkonstatieren konnten.
Ich bin mir wohl bewusst, dass in viel ausführlicherer Weise,
als dies in einer medizinischen Wochenschrift geschehen kann, und
von berufenerer Seite über Statistiken und Technik der Chloro¬
formnarkose geschrieben worden ist. Und so sollten auch die im
folgenden mitgeteilten Erfahrungen keineswegs den Anspruch
machen, dem geübten Narkotiseur Neuigkeiten zu bringen, son¬
dern nur den weniger Geübten zur Nachahmung anregen und
ihm einige geringe Modifikationen in der Technik vorführen, die
sich uns mit der Zeit gegenüber den gebräuchlichen als prak¬
tischer erwiesen haben. Im grossen und ganzen sind ja schon
seit langer Zeit die Anforderungen, die an eine gut ausgeführte
Narkose gestellt werden, die gleichen geblieben. Noch heute
haben die Worte Kapp eie rs in vollem Umfange Geltung,
die er schon im J ahre 1880 in seinem vorzüglichen Buche :
„Anästhetika“ aussprach: „Die Kunst des Chloroformierens be¬
steht ja gerade darin, den Kranken in dem Stadium der ver¬
engerten Pupillen, der Muskelerschlaffung und der kompletten
Anästhesie zu erhalten und ihn weder aus demselben in ein
früheres, noch in das Stadium der erweiterten Pupillen, welches
der Lähmung der Zirkulations- und Atmungszentren unmittel¬
bar vorausgeht und somit die grösste Gefahr involviert, über¬
zuführen.“
Es sollen nun zunächst die statistischen Auf¬
zeichnungen folgen.
Es wurden genaue Aufzeichnungen gemacht bei 500 Chloro-
formnarkosen. Verwendet wurde das aus Aethylalkohol herge¬
stellte Chloroform von Dune a n, Flock hart & Ci e., Edin¬
burgh und London (Treis: M. 4.50 pro 175 ccm). Chloroformiert
wurde mit Schimmelbuschs Chloroformmaske und mit ge¬
wöhnlicher nach Grammen graduierter, dunkler Tropfflasche. Die
weitere Ausrüstung des Narkotiseurs bestand in einer Hakenzange
nach Musseux zum Fassen und Vorziehen der Zunge, die später
noch beschrieben werden wird, in einem Kiefersperrer nach
König und 2 Stieltupfern.
Berechnet auf 500 Narkosen war:
Gesamtchloroformmenge: 17 494 g.
Gesamtzeit: 440 Stunden 30 Minuten.
Es kommt also auf eine Stunde: 39,7 g Chloroform (= 0,66 g
pro Minute), auf eine Narkose: 34,9 g Chloroform.
Die Durchschnittsdauer einer Narkose betrug
52,9 Minuten.
Die höchste Chloroform m enge betrug 155 g für eine
Narkose von 140 Minuten (Myomotomie). (Dies ist natürlich nicht
die Operationsdauer, die durchschnittlich um eine Viertelstunde
kürzer ist, als die Dauer der Narkose.)
Die längste Dauer einer Narkose war 216 Minuten bei
143 g Chloroformverbrauch (abdominale Radikaloperation nach
W erthei in).
Die geringste Chloroform menge war 4 g für eine
Narkose von 18 Minuten (Curettage).
Die kürzeste Dauer einer Narkose betrug 10 Minuten bei
G g Chloroformverbrauch (Untersuchung).
(Interessant ist, dass bei der Statistik der Königsberger Uni¬
versitätsklinik und Poliklinik sich grösster bezw. kleinster Chloro¬
formverbrauch (120 g bezw. 3 g) mit längster bezw. kürzester Nar¬
kosendauer (110 Minuten bezw. 10 Minuten) deckt. Dies ist bei
uns nicht der Fall: während die grösste Chloroformmenge von
155 g nur für eine Narkose von 140 Minuten ausreichte, war die
längste Narkose von 216 Minuten schon mit 143 g Chloroform zu
erzielen; und während die geringste Chloroformmenge von 4 g für
eine Narkose von 18 Minuten ausreichte, beanspruchte die
kürzeste Narkose von 10 Minuten schon 6 g Chloroform.)
Oleum Camphorae wurden 223 ccm, auf 36 Narkosen
verteilt, injiziert. (Wir injizieren bei Anzeichen von Herzschwäche
prinzipiell gleich hohe Dosen von Kampher: 5 — 10 — 20 bis zu
60 Spritzen ä 1 ccm in y4 — y2 Stunde.)
Asphyxien und Kollapse leichteren Grades wurden
im ganzen 10 mal beobachtet. In all diesen Fällen genügte Vor¬
ziehen der Zunge, Lüften des Unterkiefers und künstliche Atmung
während weniger Minuten (bezw. Kampherinjektionen und einige-
male Kochsalzinfusion) um Atmung und Herztätigkeit wieder zu
regeln.
Im ganzen wurden über 854 Narkosen Aufzeichnungen ge¬
macht, wenn auch anfangs nicht in der gleichen Vollständigkeit,
wie bei den zu besprechenden 500 Narkosen. Unter diesen
854 Narkosen war kein Fall von Chloroformtod.
(Nach Gurlts Statistik kommt auf 2075 Chloroformnarkosen
1 Todesfall.)
Eine halbe Stunde vor jeder Narkose wurde der Patientin
0,01 g Morph, hydrochlor. subkutan injiziert.
Obwohl selbstverständlich, will ich doch noch hinzufügen,
dass sich jede Patientin während der ganzen Operation in voll¬
kommenster Toleranz befand. Speziell die Laparotomien stellen
in dieser Hinsicht ziemlich hohe Anforderungen an die Aufmerk¬
samkeit des Narkotiseurs aus folgenden 3 Gründen:
1. weil der Zug besonders am Peritoneum parietale enorm
schmerzhaft ist;
2. weil die Patientin während der ganzen Narkose nicht
pressen soll, damit die Operation nicht durch das Vorquellen
der Därme gestört wird;
3. weil bei der bei Laparotomien notwendigen Beckenhoch¬
lagerung infolge der ständigen Hyperämie des Gehirns die
Patientinnen sehr leicht aus dem Toleranzstadium heraus¬
kommen.
Des Vergleiches halber möge es mir nun erlaubt sein, im
folgenden noch einige Statistiken von anderen Kliniken, wie
ich sie von Gurlt in den Verhandlungen der deutschen Ge¬
sellschaft, für Chirurgie *(6. Bericht 1895 — 1897) niedergelegt
fand, foL »•en zu lassen ; ich nehme dabei nur die für unsere
Zwecke in Betracht kommenden Berichte und aus diesen nur
die Hauptziffern heraus.
1. v Bardeleben sen., R. Koehler, König sen. (Chi¬
rurgische Klinik und Nebenabteilung für äusserlich Kranke im
König! Charite-Krankenhause zu Berlin). Von 924 Narkosen waren
666 reine Chloroformnarkosen. Durchschnittsverbrauch pro Nar¬
kose: 22 ccm. pro Minute: 0,57 ccm. 1 Chloroformtodesfal!
2. B a r d e n h e u e r (Chirurgische Abteilung des Bürger-
hospitals in Köln a. Rh.). ATon 1593 Narkosen waren 797 reine
Chloroformnarkosen. Durchschnittsverbrauch pro Minute: 0,58 g.
Kein Chloroformtodesfall.
3. Braun, v. Biseisberg, S t e 1 1 e r (Chirurgische Uni¬
versitätsklinik und Poliklinik zu Königsberg i. Pr.). Von 1565 Nar¬
kosen waren 1365 reine Chloroformnarkosen. Durchschnittliche
Dauer einer Narkose: 44,0 Minuten. Durchschnittsverbrauch pro
Narkose: 37,6 g, pro Minute: 0,S7 g. Längste Narkose: 110 Minuten
(bei 120 g Chloroform). Kürzeste: 10 Minuten (bei 3 g Chloroform).
Grösster Chloroform verbrauch : 120 g (in 110 Minuten). Geringster:
3 g (in 10 Minuten). 1 Chloroformtodesfal!
4. B r u n s (Chirurgische Universitätsklinik in Tübingen).
Von 792 Narkosen waren 152 reine Chloroformnarkosen. Durch¬
schnittsdauer pro Narkose: 42 Minuten. Längste Narkose: 100 Mi¬
nuten. Durchschnittsverbrauch pro Narkose: 20 ccm, pro Minute:
0,5 ccm. Grösster Chloroform verbrauch: 80 ccm (in 80 Minuten).
Kein Chloroformtodesfal!
2*
2000
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET.
No. 48.
.j. C z e r n y (Chirurgische Klinik in Heidelberg). \ on 1307
Narkosen waren 589 reine Chloroformnarkosen. An Czernys
Klinik scheint die Anzahl der Aethernarkosen im Abnehmen, die
der Morphium-Chloroformnarkosen im Zunehmen begriffen zu sein.
Der Berichterstatter. Dr. Marwedel, schreibt: Im allgemeinen
ergibt eine vergleichende Beobachtung der oben niedergelegten
Ziffern mit unseren früheren Berichten eine weitere Abnahme in
der Zahl unserer Aethernarkosen (51 gegen 161 im Vorjahr), die
nur bei Herzfehlern ohne Lungenerscheinungen, bei starker An¬
ämie oder bei eintretender Herzschwäche vorgenommen wurden.
Dagegen wurde ein ausgedehnter Gebrauch gemacht von der
Chloroformnarkose mit vorausgehender subkutaner Morphium¬
injektion. In der Tat lässt sieh dadurch, zumal in Verbindung mit
der Tropf methode, eine angenehme und ruhige Narkose mit ent¬
schieden abgeschwächtem Exzitationsstadium und verringertem
Chlorofomikonsum erzielen. Kein Chloroformtodesfall.
0. G ö s c h e 1 (Chirurgische Abteilung des städt. Kranken¬
hauses in Nürnberg). Von 384 Narkosen waren 358 Chloroform¬
narkosen. Durchschnittsverbrauch pro Narkose: 20,8 ccm, pro
Minute 0,49 ccm. Kein Chloroformtodesfall.
7. Schede (Chirurgische Abteilung des Neuen allgemeinen
Krankenhauses zu Hamburg-Eppendorf). Von 2119 Narkosen
waren 1869 Chloroformnarkosen. Durchschnittsdauer einer Nar¬
kose: 42 Minuten. Durchschnittsverbrauch pro Narkose: 39 ccm,
pro Minute: 0,9 ccm. 1 Chloroformtodesfall.
8. Dr. Zeller, dirigierender Hospitalarzt in Stuttgart. Aus¬
schliesslich Chloroform bei 435 Narkosen. Durchschnittsverbrauch
pro Narkose: 22,9 g. 1 Chloroformtodesfall.
9. Angere r (Chirurgische Klinik München). Von 767 Nar¬
kosen waren 108 Chloroformnarkosen. Durchschnittsverbrauch pro
Narkose: 30 ccm. 1 Chloroformtodesfall.
10. Bart h (Chirurgisches Stadtlazarett Danzig). Von 470 Nar¬
kosen waren 409 Chloroformnarkosen. Durchschnittsdauer einer
Narkose: 31 Minuten. Durchschnittsverbrauch pro Narkose: 40 g
(mit Junkerapparat), bezw. 18 g (Tropfmethode). Durchschnitts¬
verbrauch pro Minute: 1,2 g (mit Junkerapparat), bezw. 0,61 g
(Tropfmethode). 2 Chloroformspättodesfälle (?).
11. Boeters (Städt. Krankenhaus zu Görlitz). 185 Chloro¬
formnarkosen. Durchschnittsdauer einer Narkose: 46,12 Minuten.
Durchschnittverbrauch proNarkose: 21,3 ccm, pro Minute: 0,46 ccm.
Maximal verbrauch: 62 ccm. Maximaldauer: 230 Minuten. Kein
d irekter Chloroformtodesfall.
12. Boeters (Privatanstalt zu Görlitz). 568 Chloroform¬
narkosen. Durchschnittsdauer einer Narkose: 49,5 Minuten. Durch¬
schnittsverbrauch pro Narkose: 26,1 ccm, pro Minute: 0,53 ccm.
Maximalverbrauch: 140 ccm. Maximaldauer: 270 Minuten. 1 Chloro¬
formtodesfall.
13. Braun (Chirurgische Universitätsklinik und Poliklinik
zu Göttingen). Von 963 Narkosen waren 962 Chloroformnarkosen
(bezw. Morphium-Chloroformnarkosen). Durchschnittsdauer einer
Narkose: 40,9 Minuten. Durchschnittsverbrauch pro Narkose:
22 ccm, pro Minute: 0,542 ccm. Maximaldauer: 170 Minuten.
Maximalverbrauch: 105 ccm. 1 Chloroformtodesfall.
14. Czerny (Chirurgische Universitätsklinik Heidelberg).
Von 1433 Narkosen waren 1361 Chloroformnarkosen (bezw. Mor-
phium-Cliloroforinnarkosen). 1 Chloroformtodesfall.
15. E r b k a m (Städt. Krankenhaus zu Grünberg in Schlesien.)
43 Chloroformnarkosen. 1 Cliloi'oformtodesfall.
16. Gar re (Chirurgische Klinik zu Rostock). Von 652 Nar¬
kosen waren 236 Chloroformnarkosen. Durchschnittsverbrauch
pro Minute: 0,5 ccm. 1 Chloroformtodesfall.
17. Göschei (Chirurgische Abteilung des städt. Kranken¬
hauses zu Nürnberg). Von 335 Narkosen waren 326 Chloroform¬
narkosen. Durchschnittsverbrauch pro Narkose: 19,32 ccm, pro
Minute: 0.46 ccm. Maximalverbrauch: 90 ccm. 1 Chloroform¬
todesfall. *
18. Jungengel (Chirurgische Abteilung im allgemeinen
Krankenhause zu Bamberg). Von 943 Narkosen waren 939 Chloro¬
formnarkosen. Durchschnittsdauer einer Narkose: 25,3 Minuten.
Durchschnittsverbrauch pro Narkose: 29.5 g, pro Minute: etwas
über 1 g. Maximaldauer: 120 Minuten. Kein direkter Chloroform¬
todesfall.
19. Iv ü m m e 1 1 und Sick (Chirurgische Abteilung des All¬
gemeinen Krankenhauses zu Hamburg-Eppendorf). Von 1612 Nar¬
kosen waren 1371 Chloroformnarkosen. Durchschnittsdauer einer
Narkose: 43 Minuten. Durchschnittsverbrauch pro Narkose:
31 ccm. pro Minute: 0.72 ccm. 3 Chloroformtodesfälle.
20. C. Lauen stei n (im Diakonissenhause Bethesda zu
llamburg-Borgfelde). Von 301 Narkosen waren 288 reine Chloro¬
formnarkosen. Durchschnittsverbrauch pro Narkose: 11,75 g, pro
Minute: 0,5 g. 1 Chloroformtodesfall.
21. Schopf Franz (chirurgische Abteilung des k. k. Kaiserin
Elisabeth-Spitales in Wien). Von 390 Narkosen waren 367 Chloro¬
formnarkosen. Durchschnittsverbrauch pro Minute: 0,8 ccm. Kein
direkter Chloroformtodesfall.
22. Subbotic (Allgemeines Landeskrankenhaus in Belgrad).
Von 1327 Narkosen waren 1257 Chloroformnarkosen. Durch¬
schnittsverbrauch pro Narkose: 37,0 g. pro Minute: 0,77 g. Maxi¬
mal verhauch: 275,0 g. 1 Chloroformtodesfall.
Dieser Auszug aus Gurlts Statistik zeigt unter anderem,
«lass eine nicht geringe Anzahl von Operateuren sich ausschliess¬
lich oder zum grössten Teil des Chloroforms zur Narkose bedient.
_ Im Moment, wo ich diese Zeilen schreibe, kommt mir der
Bericht von der Sitzung der Aeademie de medecine in Paris vom
20. V. 1902 in die Hände; ich finde daselbst in Huchard
wieder einen sehr warmen Vertreter der Chloroformnarkose
(speziell der Morphium-Chloroform-Narkose). Er sagt unter
anderem : „Die \ orziige des Aethers sind durchaus nicht er¬
wiesen; jedenfalls ist derselbe bei Lungenaffektionen durchaus
kontraindiziert. Han kann also sagen: Wenn der Kranke, wohl
vorbereitet, einer sorgsam geführten und streng überwachten
Chloroform nark ose unterworfen wird, so läuft er gar keine Ge¬
fahr.“ II ucha r d sieht ebenfalls in Herzaffektionen keine
Kontraindikation für Chloroform. —
Nun noch einige Worte über die Narkosentechnik, wie sie
bei uns gehandhabt wird. — Alle Narkosen werden, soweit es
sich einrichten lässt, Morgens gemacht. Vom Abendessen des
vorhergehenden Tages ab geniesst die Patientin für gewöhnlich
nichts mehr. Das Wegfallen des Frühstückes ist für die meisten
Patientinnen keine grosse Entbehrung, zumal fast immer die
Angst vor der Operation derartige Bedürfnisse in den Hinter¬
grund treten lässt. Es kann aber den Patientinnen, die den
dringenden Wunsch danach äussern, ruhig 2 — 3 Stunden vor der
Narkose ohne irgendwelchen Nachteil eine leere Tasse Thee
gestattet werden. Wir operieren durchschnittlich im W*inter um
8 Uhr, im Sommer um 7 Uhr Morgens. Wenn also die Patientin
zwischen 6 und 7 Uhr eine leere Tasse Thee bekommt, so ist
dies ohne irgendwelchen Nachteil für die Narkose. Die meisten
Patientinnen äussern aber, wie gesagt, diesen Wunsch gar nicht
und machen sich aus dem einmaligen Wegfallen des Frühstückes
nichts. Patientinnen, die koeliotomiert werden sollen, nehmen
wir grundsätzlich schon 2 Tage vor der Operation in der Anstalt
auf, solche, bei denen einer der übrigen gynäkologischen Ein¬
griffe gemacht werden soll, 1 Tag vor der Operation, und zwar
zum Zwecke einer gründlichen Darmentleerung mittels Rizinus¬
öls und einer Ueberwachung der Diät des letzten Tages vor der
Operation. Opium, Wismut etc, wie früher gegeben, erhielten
die Patientinnen in den letzten Jahren nicht mehr. Patientinnen,
die nur zur Untersuchung narkotisiert werden sollen, bestellen
wir ca. 1 Stunde vor der Narkose in die Anstalt und geben ihnen
die Weisung, sich an diesem Morgen des Frühstückes zu ent¬
halten oder, wie oben angegeben, höchstens eine leere Tasse Thee
2 — 3 Stunden vor der Narkose zu gemessen. Die zu operierenden
Patientinnen bekommen durchwegs (mit Ausnahme der Damm¬
plastiken) volle Kost bis zum Vorabend des Operationstages; an
diesem Abend verabreichen wir jedes gewünschte Getränk, da¬
gegen nur mehr ganz leicht verdauliche Speisen, die bald den
Magen verlassen und schnell resorbiert werden, also hauptsäch¬
lich Fleisch, Eier, Milch etc. (kein oder nur wenig Brot, keine
Kartoffel, keine Mehlspeisen u. s. w.). Wird einmal eine Pa¬
tientin Nachmittags oder Abends, was sich ja auch nicht immer
umgehen lässt, narkotisiert, so haben wir ihr womöglich vorher
die Weisung gegeben, den Tag vor der Narkose leicht verdauliche
Speisen zu gemessen und 4 — 5 Stunden vor der Narkose nüch¬
tern zu bleiben. Ganz zuverlässig ist natürlich nur die Ueber¬
wachung in der Anstalt; in den meisten Fällen sind aber auch
die Patientinnen, die wir erst kurz vor der Narkose in die An¬
stalt bestellen können, so vernünftig, unsere Weisungen aufs
genaueste zu befolgen. Dass dies allerdings nicht immer der
Fall ist, bewies mir die Narkose einer Patientin aus den besseren
Ständen, die Morgens mit der Bahn zugereist kam. Kaum war
bei ihr die Narkose begonnen worden, als sie grosse Massen der
bekannten „Wiener Würstl“ fast unzerkaut, samt den Hau Um
verspeist, erbrach. Aber, wie gesagt, das sind Ausnahmefälle.
— - Vs Stunde vor jeder Narkose injizieren wir dann 0,01 g
Morphin, hydrochloric. subkutan. Abgesehen davon, dass die
Narkosen infolge der Morphiumgabe ruhiger verlaufen, insoferne,
als das Exzitationsstadium wegfällt oder doch auf ein Minimum
beschränkt bleibt, beobachtet man auch nach Morphiuminjektion
sehr selten die sonst häufiger auftretenden störenden Husten¬
anfälle, die manche Patienten im Beginn der Narkose bekommen.
— Vorausschicken will ich noch, dass wir bei Erkrankungen der
Luftwege die Operation möglichst verschieben, nicht weil wir
uns vor der Narkose scheuten, sondern weil die Ilustenstösse der
Patientin fast nach allen gynäkologischen Eingriffen starke
Schmerzen machen, und dann auch, weil speziell bei Laparotomie¬
wunden die Gefahr des Sprengens der Nähte durch den Husten
eine nicht zu unterschätzende ist. —
2. Dezember 1902,
M UENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ATiui zur Narkose selbst- Nachdem die Patientin auf dem
Operationstisch bequem gelagert und durch Zureden möglichst
beruhigt ist, werden etwa vorhandene künstliche Zähne aus dem
Munde entfernt. Sodann werden Herz und Rungen nochmals
genau untersucht. • Solange die Patientin noch nicht narkotisiert
ist, hält sich womöglich nur der Narkotiseur im Operationssaale
auf und zwar aus dem Grunde, weil die Anwesenheit der Ope-
rationsassistenten die meisten Patientinnen in grosse Aufregung
versetzt. Aus eben diesem Grunde bekommt die Patientin auch
keine Instrumente zu Gesicht 5 diese werden in einem Neben¬
raum sterilisiert und kommen erst kurz vor der Operation in
den Operationssaal. Wo ein Nebenraum zum Narkotisieren
voihanden ist, wird die Narkose besser in diesem begonnen. —
Der Narkotiseui hält nun der Patientin die Mhske (nach
Schimmelbusch) zirka eine Handbreit vors Gesicht und
giesst tropfenweise von aussen Chloroform auf und zwar so, dass
er in einer Minute ca. 20 Tropfen auf die Maske fallen ’lässt.
Nachdem die Patientin sich etwas an den Geruch des Chloro¬
forms gewöhnt hat, was meist schon nach 2 — 3 Minuten der Fall
ist, w ird ihr die Maske ganz aufs Gesicht aufgelegt. Wir machen
also nicht „Erstickungsnarkose“, sondern lassen anfangs reich¬
lich Luft zutreten. Es wird nun solange tropfenweise Chloro¬
form aufgegossen in derselben Menge wie anfangs (ca. 20 Tropfen
in der Minute), bis das Stadium der engsten Pupille
erreicht ist; in diesem Moment befindet sich die Patientin in
vollkommener Toleranz und es wird nun infolgedessen die
Maske liegen gelassen, ohne dass weiter Chloroform auf¬
gegossen wird; auf diese Weise exhaliert die Patientin noch eine
Zeitlang Chloroformdämpfe in die Maske und inhaliert sie so¬
dann wieder, und man kann sie so lange Zeit ohne wieder frisch
aufzugiessen in vollkommenster Toleranz halten. Wir richten
uns grundsätzlich nur nach dem Pupillarreflex und
nicht nach dem Kornealref lex, da letzterer sehr un¬
zuverlässig ist. Bei manchen Personen schwindet der Korneal-
reflex lang ehe das Toleranzstadium erreicht ist; der Narkotiseur,
der dann gewohnt ist, sich nur nach dem Kornealreflex zu richten,
nimmt an, die Patientin befinde sich in Toleranz, der Operateur
beginnt und sofort reagiert die Patientin aufs lebhafteste. (Oft
hört man dann den Ausspruch: „Die Patientin hat eine schlechte
Narkose“, anstatt dass man die Schuld dem schlechten Narkoti¬
sieren zuschiebt.) Meist giesst dann der Narkotiseur wieder
etwas Chloroform auf, konstatiert dann wieder erloschenen Kor¬
nealreflex, der Operateur beginnt und sofort reagiert die Patien¬
tin wieder. Dieses Spiel wiederholt sich dann manchmal noch
ein halbdutzendmal. Hätte der Narkotiseur nur einmal auf die
Pupillen geachtet, so hätte er sicher eine noch deutlich re¬
agierende, nicht auf dem Stadium der grössten Enge sich be¬
findende Pupille konstatieren können. Andererseits gibt es, wenn
auch selten, wieder Personen, bei denen das Stadium der engsten,
nicht mehr reagierenden Pupille, also das Toleranzstadium er¬
reicht ist bei noch erhaltenem Kornealreflex. Der ungeübte Nar¬
kotiseur chloroformiert dabei immer weiter, um den letzteren
zum Schwinden zu bringen und übersieht dann dabei sehr leicht
eine maximal erweiterte, nicht mehr reagierende Pupille, den
Vorboten der eintretenden Synkope, den Schrecken eines jeden
geübten Narkotiseurs.
So glatt, wie es oben geschildert wurde, kommt, nun natür¬
lich nicht j'ede Patientin in das Toleranzstadium. Es können
bis zur Erreichung des letzteren verschiedene störende Momente
eintreten und gewiss wird ab und zu auch der geübteste Narkoti¬
seur mit ihnen zu thun haben. Es sind dies hauptsächlich Er¬
brechen und Atmungsstörungen. Pulsstörungen kommen in
diesem Stadium seltener vor. Was nun das Erbrechen anlangt,
so verfahren wir dabei folgendennassen : wir drehen schon bei den
ersten Würgbewegungen den Kopf der Patientin zur Seite und,
was die Hauptsache ist, chloroformieren ruhig
weiter. In den wenigen Fällen, in denen wir Erbrechen oder
V ürgbewegungen beobachten, konnten wir beides durch ruhiges
Weitemarkotisieren sofort beseitigen. Für die Atmungs¬
störungen lassen sich fast immer 2 Ursachen feststellen: 1. die
hintenübergefallene Zunge und 2. aspirierte, erbrochene Massen
und angesammelter Schleim. Um die erstere Ursache zu ver¬
meiden, fassen wir die Zunge sofort nach Eintritt der Toleranz
mit einer kleinen M u s e u x sehen Hakenzange und ziehen sie
weit vor die Zahnreihe. Ist die zweite Ursache vorhanden, so
No. 48.
2001
reinigen wir Mund und Pharynx von den erbrochenen Massen
und von Schleim mittels Stieltupfern. In beiden Fällen wird der
Mund mittels Zungensperrers nach König geöffnet. Die zweite
Ursache kam bei uns infolge des selten auftretenden Erbrechens
fast gar nicht in Betracht. Sodann bemerkt man manchmal im
Beginn der Narkose, während die Pupillen noch weit sind und
noch reagieren, infolge Pressens der Patienten Atmungsstillstand
in Exspirationsstellung; es hat dies meistens nichts zu bedeuten;
man kann, vorausgesetzt dass keine stärkere Cyanose des Gesichts
besteht, ruhig weiternarkotisieren; in wenigen Sekunden wird
die Atmung wieder in Gang kommen und das Pressen aufhören.
Besteht dagegen eine stärkere Cyanose des Gesichts, so weist dies
fast in allen Fällen auf ein Hindernis in den Luftwegen hin, das
auf die schon mehrfach beschriebene Weise beseitigt werden
muss. Es scheint dann aber auch noch eine Form der Atmungs¬
behinderung im Beginn der Narkose zu geben, die auf reflek¬
torischer Basis beruht. Man beobachtet wenigstens manchmal,
trotzdem die Zunge vorgezogen, Mund und Pharynx gereinigt
sind, ein Weiterbestehen der stridorösen Atmung und der
Cyanose; manchmal gesellt sich sogar längeres Aussetzen der
Atmung dazu. In allen diesen Fällen verbanden wir mit den
oben angeführten Massnahmen noch das Lüften des Unterkiefers
und künstliche Atmung und es gelang uns denn auch in allen
Fällen meistens schon nach wenigen Minuten wieder eine ruhige,
freie Atmung herzustellen, die dann auch während der ganzen
weiteren Narkose bestehen blieb. In ganz verzweifelten Fällen
käme natürlich die Tracheotomie in Betracht, Wir kamen glück¬
licher Weise nie in die Lage, dieselbe ausführen zu müssen.
Bezüglich des Kieferlüftens möchte ich auch noch einige Worte
einflechten: Man sieht sehr häufig, wie Narkotiseure bei diesem
Handgriff gewaltsam mit den auf das Kinn des Patienten auf¬
gelegten Daumen den Unterkiefer herabdrücken. Dass sie sich
der eigen tli dien Wirkung des Kieferlüftens nicht bewusst sind,
liegt auf der Hand. Dieselbe liegt ja doch darin, dass durch
Vorschieben des Kiefers die Zunge durch Anspannen des
M. geniogloss., das- Zungenbein durch Anspannen des M. mylo¬
hyoideus, der M. geniohyoid. und der vorderen Bäuche der
Mm. bivent., die Epiglottis aber durch Zug an den Lig. hyo-
epiglottic. nach vom gezogen wird, wie Kappeier an seinen
Leichenversuchen, bei denen er den Pharynx und Larynx durch
Abmeisseln der Schädelbasis sichtbar machte, deutlich nach¬
gewiesen hat. Ein Herabdrücken des Unterkiefers ist also völlig
wertlos. Man hört dabei manchmal den Einwand, es werde aber
auf diese Art der Mund geöffnet. Erstens ist dies zu einer
ruhigen Atmung nicht immer absolut notwendig, da der Patient
auch durch die Nase atmen kann und zweitens, wenn die Oeff-
nung des Mundes aus irgend einem Grunde notwendig sein sollte,
dann wird sie viel sicherer und prompter durch irgend eine Mund¬
sperre besorgt. Zum Vorziehen der Zunge benützen wir, wie
oben erwähnt, eine kleine, ca. 20 cm lange M u s e u x sehe Haken¬
zange mit sehr dünnen, feinen Zähnen, und zwar aus folgenden
Gründen: Mit der ja wohl am meisten gebräuchlichen Zungen¬
quetschzange erlebten wir sehr häufig, besonders wenn die Zange
längere Zeit angelegt blieb, sehr schmerzhafte Oedeme. Wie ich
bei anderen Autoren beschrieben fand, sollen diese Oedeme
manchmal einen derartigen Umfang annehmen können, dass sie
die Rima oris völlig ausfüllend ein direktes Atmungshindernis
darstellen. Dieser Misstand ist durch die Anwendung der
M u s e u x sehen Hakenzange völlig beseitigt. Die kleinen Zähne
machen so gut wie gar keine Verletzung. Das Instrument selbst
wird vor jeder Narkose sterilisiert. Höchst selten klagt einmal
eine Patientin nach der Narkose über ein unangenehmes Gefühl
in der Zungenspitze; alle beruhigen sich sofort wieder, wenn man
ihnen sagt, sie hätten sich wahrscheinlich während der Narkose
etwas auf die Zungenspitze gebissen. Hauptbedingung ist, dass
man nur die Zungenspitze fasst, um eine Verletzung der Art.
profunda linguae zu vermeiden. Sehr praktisch erweist sich fol¬
gendes Verfahren: Man fasst die nach hinten gefallene Zunge
mit der gewöhnlichen Zungenquetschzange, zieht sie vor die
Zahnreihe, hakt sie mit der M u s e u x sehen Zange an und lässt
die letztere, die mit Cremaillere versehen ist, angehakt
liegen. Ich halte dieses Verfahren auch für praktischer als das
von manchen Operateuren angewandte Durchziehen einer Seiden¬
naht durch die Zunge, denn erstens ist die Verletzung der mit,
einer Nadel völlig durchstochenen Zunge eine grössere, infolge
dessen wird auch der Patient über stärkere Schmerzen an der
3
No.- 48.
MTIENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCTI Tt I FT.
Xunfrc nach der Narkose klagen, und zweitens ist die M u s t u x
sehe Zange besser zu sterilisieren als ein Seidenfaden. Ausserdem
ist das Verfahren mit Museux scher Zange viel einfacher und
handlicher als das Durchlegen einer Seidennaht durch die Zunge.
Wir sind nun vorhin bei der Beschreibung unseres Narkosen -
Verfahrens in dem Moment stehen geblieben, als bei der Patientin
das Toleranzstadium erreicht war. Die weitere Narkose gestaltet
sich sehr einfach. Der Narkotiseur prüft ca. alle 3 Minuten den
Pupillarreflex ; sowie er auch nur das geringste Reagieren von
seiten der Pupillen, sei es auf Lichteinfall, sei es auf Berührung
der Kornea bemerkt, gibt er wieder tropfenweise in der anfangs
beschriebenen Frequenz Chloroform auf, solange, bis wieder das
Stadium der engsten, reaktionslosen Pupille erreicht ist. Dieses
Spiel wiederholt sich solange, als die Patientin in Narkose bleiben
soll. Wie schon oben erwähnt, bleibt die Maske auch in der
Zeit, in der kein Chloroform aufgetropft wird, auf dem Gesicht
der Patientin liegen, weil auf diese Art eine grosse Chloroform¬
ersparnis erzielt werden kann. Wir erreichen z. B. durch diese
Methode, dass wir ca. 10 — 15 Minuten vor Schluss der Operation
schon mit Narkotisieren aufhören können und die Patientin sich
trotzdem in vollkommener Toleranz befindet. Nimmt man nun
die Maske vom Gesicht der Patientin ab, so ist diese fast regel¬
mässig in wenigen Minuten wach. Nach dem Weglassen dei
Maske ruft der Narkotiseur von Zeit zu Zeit die Patientin an,
um zu konstatieren, ob sie erwacht. Auf alle Fälle bleibt der
Narkotiseur so lange bei der Patientin, bis sie ihm auf seine
Fragen geordnete Antworten gibt. Nach der Narkose wird jede
Patientin in ein gut gelüftetes Zimmer gebracht.
Nun noch einige Worte über die Nachbehandlung nach einer
Narkose. Tritt am Tage der Narkose kein Erbrechen auf, so
geben wir gegen den meist sehr quälenden Durst kalten Thee,
Zitronenlimonade, Wein mit Wasser, Eisstückchen u. s. w. Feste
Speisen bekommen die Patientinnen am Tag der Narkose nicht,
dagegen wird ihnen am ersten Tag nach der Narkose schon
wieder leicht verdauliche, am zweiten Tag meistens schon wieder
die volle Kost gegeben. Ist dagegen nach der Narkose das Er¬
brechen sehr stark, so geben wir gar nichts, ausser gegen den
starken Durst kleine Eisstückchen, die die Patientin im Munde
zergehen lässt ; sie muss dann aber darauf aufmerksam gemacht
werden, dass sie das Eiswasser ausspucken muss, da dieses, wenn
es in den Magen gelangt, leicht zu erneutem Erbrechen \ er-
anlassung gibt. In den meisten Fällen haben wir auf diese
Weise das Erbrechen auf den ersten Tag beschränken können.
In sehr hartnäckigen Fällen habe ich manchmal mit gutem Er¬
folg Salzsäure oder Potio Riveri (letztere gut in Eis gekühlt,
stündlich 1 Esslöffel) gegeben.
Eine der wichtigsten Wirkungen unserer Narkosenaufzeich¬
nungen ist die Selbstkontrolle, auf Grund welcher es möglich
ist, den Chloroformkonsum mit der Zeit auf ein Minimum
herabzudrücken.
Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem
hochverehrten Chef, Herrn Professor Dr. Klei n, für die Ueber-
lassung des Materials und die Anregung zu dieser Arbeit meinen
verbindlichsten Dank auszusprechen.
Literatur:
H. Tillmanns: Lehrbuch der allgem. Chirurgie. 1897.
A. C zempin: Die Technik der Chloroformnarkose für Aerzte.
und Studierende. 1897. — Kappel er: Anästhetika. Deutsche
Chirurgie, Lfg. 20, 18S0. — Gurlt: Zur Narkotisierungsstatistik.
Verband!. d. Deutsch. Gesellsch. f. Chir. G. Bericht 1S95— 1897.
Selbsttätiger Aetherflaschenverschluss für die
Narkose.
Von Dr. med. Arnold Kurrer in Lorch (Württbg.).
Die Erkenntnis der grossen Vorteile, w eiche der Aetlier dem
Chloroform gegenüber bei vielen Patienten bietet, hat zu der all¬
gemeinen Einführung der Aethernarkose sowohl
in den Krankenhäusern als bei den praktischen Aerzten geführt.
Trotz der weiten Verbreitung der Aethernarkose findet sich
jedoch in keinem der mir zugänglichen Kataloge von Instrumenten¬
fabriken oder Lieferanten von medizinischen Gebrauchsartikeln
irgend ein Aetherflaschenverschluss, mit anderen Wollen: bei der
Einleitung der Aethernarkose wurde der Aetlier bisher offenbar
direkt aus der Flasche nach Abnahme des Korkstöpsels auf die be¬
kannte grosse Maske gegossen. Die Aetherflasche musste zu dem
Zweck mit der rechten Hand erfasst und mit der linken der Kork
abgenommen werden; dann konnte der Aetlier in die Maske ge¬
gossen und letztere wieder vor die Atemöffnungen des Patienten
gebracht werden. Zum Schluss müsste der Kork wieder auf die
Flasche gesetzt und letztere zurückgestellt werden.
Dass das Abnahmen und Aufsetzen des Korkes von der
Aetherflasche in manchen Stadien der Narkose sehr unbequem und
zeitraubend ist, kann jeder ermessen, der schon Aethernarkosen
einzuleiten Gelegenheit hatte. Gerade wenn der Patient die eine
Hand des Narkotiseurs, wie bei Brechbewegungen, vollständig in
Anspruch nimmt, ist das Aufgiessen von Aetlier am dringendsten,
und so muss das ganze geschilderte Geschäft des Abnehmens des
Korkes, Abnelmiens der Maske, Auf giessen des Aetliers und
Wiederauf setzen des Korkes, mit einer Hand ausgeführt werden.
Hierdurch geht viel Zeit verloren und der Patient kommt oft
mehr als angenehm aus der bereits im Gange befindlichen Narkose;
das Abnehmen des naturgemäss fest sitzenden Korkes und das
Wiederaufsetzen mit einer Hand ist schwierig und nur zu oft gebt
ein Teil des nicht gerade billigen Inhalts der Flasche durch I m-
schütten oder Umkippen verloren.
In manchen Kliniken ist daher zur Aethernarkose eine
sogen. Spritzfla sch e aus weis sein Glas in Gebrauch. Ab¬
gesehen von dem weissen Glas, das, nicht den Vorschriften der
Pharmakopoe entsprechend, leicht eine Zersetzung des Aetliers
durch das Tageslicht ermöglicht und jedenfalls durch braunes Glas
ersetzt werden müsste, ist die Spritzflasche unhandlich und zu
zerbrechlich. An eine Verwendung durch den praktischen Arzt
ausserhalb seiner Wohnung ist natürlich nicht zu denken.
Ich habe nun, wie die beistehende Abbildung zeigt, einen
selbsttätigen Aetherflaschenverschluss konstruiert (s. Abbild,), der
sich sowohl auf die Flaschen mit 150 g Inhalt — denn nur solche
dürfen in der Apotheke zur Narkose abgegeben werden — . als
auf solche von grösserem Inhalt, wie sie in Kliniken und Kranken¬
häusern im Gebrauch sind, aufsetzen lässt. Der Verschluss be¬
steht aus einem Hahn, an dessen Konus aussen ('in bimförmiges
Gewicht angebracht ist, und aus einer kleinen Ausflusschnauze,
aus welcher der Aetlier ausgegossen wird: sie steht, rechtwinklig zu
dem durchbohrten Konus.
' Steht die Flasche mit dem aufgesetzten Halm auf dem Tisch,
so ist der Hahn geschlossen und das Gewicht hängt senkrecht
nach abwärts. Neigt man die Flasche, wie zum Ausgiessen des
Inhalts nötig, nach der Seite der Ausflusschnauze, so bleibt die
Birne, ihrer Schwere folgend, stets nach abwärts gerichtet: die
Flasche hat sich um die Achse des Konus gedreht und die Durch¬
bohrung des letzteren steht in der Achse des Ausflusses: der
II a hn hat. sich selbsttätig ge ö f fnet (s. Abbild.). Bei
dem Abstellen der Flasche auf den Tisch erfolgt die rückläufige
Bewegung: der Hahn ist wieder geschlossen (s. Abbild.).
Wird die Flasche über die Horizontale geneigt, so würde der
Konus sich wieder scliliessen; um dies zu verhindern, ist eine
Arretierung angebracht. Von Zeit zu Zeit, ist der Konus mit'einem
Tröpfchen Glyzerin zu ölen.
Bekanntlich zersetzt sich dqr Aetlier bei Luftzutritt rasch
unter Bildung von Wasserstoffsuperoxyd und weiter von Acet-
Aldeliyd: beides sind für die Narkose gefährliche Produkte. Es
war daher zu untersuchen, ob der selbsttätige Verschluss absolut
luftdicht abschliesst. Herr Oberapotheker Speth, Vorstand der
Apotheke des Krankenhauses 1/1. in München, hatte die grosse
Güte, diese Prüfung vorzunehmen und es ergab sich, dass der
Aetlier in einer braunen Flasche mit meinem selbsttätigen Ver¬
schluss ebenso tadellos bleibt, wie mit einem guten Korkverschluss.
Und da der Konus sehr fein eingeschliffen ist, so kann die mit
Aetlier gefüllte Flasche bei festgehaltenem Verschluss auf den
Kopf gestellt werden, ohne dass ein Tropfen Aetlier ausfliesst.
In den Kliniken kann deshalb eine mit meinem Verschluss
versehene grosse braune Aetherflasche stets gefüllt gehalten wer¬
den, ohne dass eine Zersetzung oder Verflüchtigung des Aetliers
zu befürchten ist. Beim Narkotisieren darf die Flasche nur ge¬
neigt werden, der Hahn öffnet sich von selbst und lässt Aetlier
ausfliessen. Beim Abstellen der Flasche scliliesst er von selbst.
Die ganze Manipulation besorgt eine Hand mit Leichtigkeit.
Dass der selbsttätige Hahn einfach und praktisch ist und
einem anerkannten Bedürfnis entspricht, dürfte die Tatsache be-
2. Dezember 1002.
2003
M 1 1 ENC I T ENER M EDI CI N
weisen, dass er bereits in München an der k. Universitäts-Frauen¬
klinik: Direktor Herr Geh. Rat v. Winckel, an der k. Chirur¬
gischen Klinik: Direktor Herr Obermed.-Rat Dr. v. Angerer und
im Roten Kreuz bei Herrn Privatdozent Dr. J. A. A m a n n in
stetem Gebrauch für die Aethernarkose ist und die genannten
Herren dem Verschluss von Anfang an ein lebhaftes Interesse ent¬
gegenbrachten, für das ich zu aufrichtigem Danke verpflichtet bin.
Ich hoffe, durch den neuen Verschluss die Narkose mit Aether
wesentlich vereinfacht und angenehmer gestaltet zu haben, und
zweifle nicht, dass derselbe sich zahlreiche Freunde erwerben wird.
Anmerk u n g: Hergestellt wird der Verschluss durch
C. Stief enhof er, Fabrik von chirurgischen Instrumenten und
Krankenpflegeartikeln in München, Karlsplatz 6.
Aus dem Laboratorium des Herrn Privatdozenten Dr. Johannes
Müller in Würzburg.
Untersuchungen über den Umfang der Eiweissver¬
dauung im Magen des Menschen, auch bei gleich¬
zeitiger Darreichung von Kohlehydraten.
Von Dr. Ernst Heinrich in Kassel- Wilhelmshöhe.
Während der früher gehegte Gedanke eines absoluten Paral¬
lelismus der Proteolyse bei magengesunden Individuen verschie¬
dener Konstitution, Altersstufe u. s. w. fallen gelassen werden
musste und während es als feststehend gelten durfte, dass die
Proteolyse auch bei demselben Individuum bei einer Nah¬
rung, deren Qualität verschieden ist, innerhalb weiter Grenzen
schwankt, so hat es sich andrerseits doch herausgestellt, dass bei
demselben Individuum zwischen der gleichen Speise und der
Verdauungsarbeit eine vollkommene Proportionalität besteht
(C ahn1), P a w 1 o w '). Namentlich die Versuche P a w 1 o w s
haben wenigstens bei Hunden (aber gerade diese Teile seiner Ar¬
beit dürfen wohl am ehesten auch auf den menschlichen Magen
übertragen werden) gezeigt, wie konstant die vollendete Anpas¬
sung der Arbeit der Magendrüsen für die jeweilige Nahrung ist.
Es durfte gehofft werden, dass hei einer so ausserordentlich
gesetzmässigen Arbeit der Verdauungsdrüsen auch der Erfolg
dieser Arbeit ein gesetzmässiger sein werde, dass also von dem¬
selben Individuum unter sonst gleichen Bedingungen innerhalb
gewisser Grenzen tatsächlich gleichmässige Mengen an Eiweiss¬
verdauungsprodukten im Magen gebildet werden würden.
Die Menge von Verdauungsprodukten aber für eine ge¬
gebene Zeit zu messen, dafür hat es bisher an einer Methode ge¬
fehlt. Denn die Eeststellung der relativen Pepsinmenge, wie sie
in einer g'rossen Anzahl von Arbeiten 3) unternommen ist, hat
nur zu einer Bestimmung der verdauenden Kraft führen,
über die tatsächlich gebildete Menge von Verdauungsprodukten
aber ebensowenig wie die zahlreichen qualitativen Analysen etwas
aussagen können. Indessen war auch bei diesen Versuchen eine
ziemlich weitgehende- Ilebereinstimmung vorhanden.
Ausgehend von Versuchen, die er mit seinen Schülern
II ensay1) und Da uh er5) anstellte, um den Umfang der
Stärkeverdaüung im Magen festzustellen, hat nun Johannes
Müller0) eine Methode ausgearbeitet, die es gestattet, nach
einer beliebigen Zeit die Menge der im Magen gebildeten Ver¬
dauungsprodukte zu messen. Diese Methode beruht in ihren
Grundzügen auf der ITeberlegung, dass, wenn man bei Kohle¬
hydratnahrung im ausgepressten Mageninhalt das Verhältnis der
gelösten zu den ungelösten Bestandteilen feststellt, dieses Ver¬
hältnis übertragen werden kann auf die Gesamtmenge der genos¬
senen Kohlehydrate. Zum mindesten wird durch diese Prozent¬
zahl das M inimu m der Kohlehydratlösung festgestellt werden,
da wir wissen, dass der Magen die Fähigkeit besitzt, sich zu-
1) . Gähn: Die Verdauung des Fleisches im normalen Magen.
Zeitsehr. f. klin. Med. Bd. 12, 1887.
2) Pawlow: Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Wiesbaden
1898 und-: Das Experiment als zeitgemässe und einheitliche Me¬
thode medizinischer Forschung. Wiesbaden .1900,
3) Genauere Literaturangaben u. a. bei Schiff: Beitr. z.
Physiol. u. Pathol. d. Pepsinsekretion. Arch. f. Verdauungskrankh.
Bd. 6, 1900.
*) Ueber die Speichelverdauung der Kohlehydrate im Magen.
Münch, med. Woc-henschr. 1901, No. 30.
B) Experimentelle Untersuchungen über den Umfang der
Stärke Verdauung im Mund und Magen des Menschen bei Brot¬
genuss. Inaug.-Diss., Würzburg 1901.
°) Ueber den Umfang der Stärkeverdauung im Mund und
Magen des Menschen. Verhandl. d. XIX. Kongresses f. innere
Med. Wiesbaden 1901.
I S< HIE WOCHENSCII IM ET.
nächst der gelösten Bestandteile in den Darm zu entledigen,
diese Fähigkeit also das Verhältnis zu ungunsten des Gelösten
verschieben muss.
Auf eine ausführlichere theoretische Begründung der
Müller sehen Methode und die Einwände, die gegen ihre Ge¬
nauigkeit geltend gemacht werden könnten, hier einzugehen, kann
ich um so eher unterlassen, als in den Arbeiten von Müller7)
und Schroeder8 *) darüber breiter gesprochen ist. — Die Me¬
thode auch zur Feststellung des Grades der Proteolyse im Magen
anzuwenden, stand nichts im Wege. Bestimmt man bei magen¬
gesunden Individuen nach einer gleichen Eiweissnahrung und
nach gleichen Zeiten den Prozentsatz des gelösten Eiweisses im
ausgepressten Mageninhalt, so wird man wiederum wenigstens
das Minimum der unter den gegebenen Verhältnissen normalen
Eiweisslösung erhalten. So wird man auch nach einer genügend
grossen Reihe von Untersuchungen zu einer Durchschnittszahl
kommen, die innerhalb gewisser Grenzen schwankt, die aber
für dieselbe Eiweissnahrung und dieselbe
Zeit als Norm einer physiologischen Proteo¬
lyse im Magen gelten darf und die uns durch ihre
Veränderung bei pathologischen Verhältnissen einen Anhalt zur
Beurteilung der chemischen Arbeitsleistung des Magens bieten
kann. Wenn anders die Ueberführung von wasserunlöslichen
Ei weisstoffen in eine lösliche Form überhaupt als Ausdruck der
chemischen Verdauungsarbeit des Magens gelten darf.
Diese Frage hat neuerdings A. Schmidt8) zur Diskussion
gestellt, indem er sagt : „Legt man sich die Frage vor, worin denn
die chemische Verdauungsarbeit des Magens hauptsächlich be¬
stellt, so muss, wie ich glaube, die Antwort darauf lauten : we¬
niger in der Lösung resp. der Ueberführung der Nahrungsmittel
in einen direkt resorptionsfähigen Zustand, als vielmehr in ihrer
(chemischen) Zerkleinerung“. Um diese Auffassung sicher zu
stellen, fehle es allerdings bisher an exakten qualitativen Bestim¬
mungen dessen, was gelöst und ungelöst den Magen verlässt;
sie werden wohl beim Menschen auch unmöglich sein, da wir
kein Urteil darüber haben können, wie das, was zur Zeit der Aus¬
heberung den Magen verlassen hatte, beschaffen war10).
Tierversuche11 12) haben nun in weitgehender Uebereinstim-
mung gezeigt, dass beim intakten Tiere der grösste Teil des Ei¬
weisses erst in den Darm eintritt, nachdem er im Magen gelöst
resp. peptonisiert worden ist, und dass stets nur minimale Mengen
von ungelöstem Eiweiss im Dünndarm angetroffen werden.
Dieser Satz muss besonders betont werden gegenüber den
Schlüssen, die z. B. Hammarsten und Gamgee“) aus
den genannten Versuchen auf die peptische Arbeit des Magens
ziehen, wenn ich auch auf eine eingehendere kritische Betrach¬
tung hier verzichten muss. Wenn man nun aus den Tierver¬
suchen einen Analogieschluss auf den Menschen machen dürfte
(und die Resultate qualitativer Versuche scheinen das nahe zu
legen), so würden wir annehmen können, dass auch bei ihm nur
minimale Mengen ungelösten Eiweisses im • Dünndarm ange¬
troffen werden, die zusammen mit der grösseren Menge des Ge¬
lösten aus dem Magen herausgepresst sind, und dass im wesent¬
lichen die Eiweisstoffe den Magen in gelöster Form verlassen.
Das wäre aber kein Widerspruch gegen die Schmidt sehe
Ansicht, da die „chemische Zerkleinerung“ sehr wohl nur als
der Anfangsgrad der weiteren „Lösung“ und Umwandlung, die
7) Müller: 1. c. S. 324 u. ff.
s) Schroeder: Experimentelle Untersuchungen über den
Umfang der Eiweissverdauung im Magen des Menschen. Inaug.-
Diss., Würzburg 1902. S. 12—15.
°) Beiträge zur Diätotherapie bei Magen- und Darmkrank¬
heiten. Münch, med. Woehenschr. 1902, No. 6.
10) Bei dem von Schmidt zitierten Pawlowsclien Ver¬
suche, wonach im Magen des Hundes während 2 Stunden nur
31,0 Proz. Fleisch verdaut waren, ist- darauf aufmerksam zu
machen, dass die 25 Fleischstückehen, die je 4 g schwer waren,
in den Magen des Hundes gelegt wurden, ohne dass ein Kauen vor¬
herging und die Anregung der Saftsekretion nur durch Schein¬
fütterung erzielt wurde. Jedenfalls Verhältnisse, die mit der Norm
nicht zu vergleichen sind.
n) Schmiclt-Miihlheim: Untersuchungen über die Ver¬
dauung der Eiweisskörper. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1879. Calin:
Die Verdauung des Fleisches im normalen Magen. Zeitschr. f.
klin. Med. Bd. 12, 1887. Ellenberger und Hofmeister:
Die Verdauung von Fleisch bei Sclrweinen. Arch. f. Anat. u.
Phys. 1890 u. a..
12) Hammarsten: Lehrb. d. physiolog. Chemie, 4. Aufl.
Wiesbaden 1899. S. 277 u. ff. Garn ge e: Die physiolog. Chemie
der Verdauung. Leipzig u. Wien 1897. S. 170 ff.
3*
2004
MUENCIIFNER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
wahrscheinlich sehr schnell vor sich geht, angesehen werden
muss. Hie chemische Hauptarbeit des Magens wäre geleistet,
wenn er die Albumine in eine Form gebracht hat, in der sie
fiir den Eintritt in den Darm am geeignetsten sind, und so
können wir uns, ganz abgesehen davon, ob die gelösten Mengen
als echte Peptone oder ihre Vorstufen in den Darm eintreten,
aus der quantitativen Bestimmung der tatsächlich im Magen
gelösten Eiweisstoffe ein anschauliches Bild der geleisteten Ver¬
dauungsarbeit des menschlichen Magens machen.
Auf Grund der oben geschilderten Müller sehen Methode
haben wir in einer Reihe von Versuchen an gesunden Männern,
deren Magenchemismus und Motilität normal war, diese quan¬
titativen Bestimmungen ausgeführt. Sie bekamen Morgens
nüchtern eine Nahrung, die aus fettfreiem guten Rindfleisch, mit
Wasser und Salz gekocht, fein gehackt in der dazu gehörenden
Fleischbrühe (200 ccm) genossen wurde, die also ebensowohl dem
gewöhnlichen, physiologischen Geschmack entsprach, als auch
durch die Extraktivstoffe eine kräftige Erregung der Magen¬
sekretion veranlasste. Es wurde regelmässig 1 Kilo Fleisch mit
3 Kilo Wasser gekocht und von dem gekochten Fleisch wurden
200 g verabreicht. Nach einer Stunde wurde exprimiert, von
30 ccm des gut gemischten Mageninhalts der flüssige Teil vom
festen Rückstände durch Zentrifugieren getrennt, was immer
leicht und gründlich nach 3 maligem Auf schwemmen des Boden¬
satzes mit destilliertem Wasser gelang, und der N-Gehalt der
gelösten und ungelösten Portion nach Kjeldahl bestimmt.
Um ein sichereres Resultat zu erhalten, wurden stets von einer
jeden Mahlzeit Doppelbestimmungen gemacht. Der N-Gehalt
des Leims und der Extraktivstoffe wurde nicht besonders be¬
achtet und die ganze eingeführte Eiweissmenge als wasser¬
unlöslich angenommen, da der damit begangene Fehler klein und
konstant ist, für unsere Verhältniszahlen also nicht wesentlich
in Betracht kam. Diese Verhältniszahlen werden auch nicht
verändert durch getrunkene Flüssigkeit. Wir haben nämlich
bei der Mehrzahl unserer Versuche kurz vor der Expression ein
Glas Wasser trinken und durch hüpfende Bewegungen den
Mageninhalt gründlich mischen lassen, da einige Versuche miss¬
langen, weil der Mageninhalt zu trocken war. Es war das der
Fall bei Leuten, die lange Zeit vor der Probemahlzeit gefastet
hatten, bei denen die Hauptmenge des Flüssigen und Gelösten
rasch in den leeren hungernden Darm abgeführt war. Unter
diesen Gesichtspunkt fällt zum Teil auch unser Versuch
No. 1 (Z.). Leider musste infolge des Wassertrinkens eine Be¬
stimmung der Azidität wertlos sein, wenn auch auf der anderen
Seite dadurch eine innigere Mischung des Mageninhaltes er¬
reicht wurde.
Um festzustellen, ob und wie die Proteolyse durch gleich¬
zeitige Darreichung von Kohlehydraten beeinflusst wird, gaben
wir den Versuchspersonen an einem Tage die geschilderte Nah¬
rung — 200 g Fleisch in Bouillon — , am darauffolgenden Tage
175 g Fleisch und 25 g gekochten Reis in Bouillon. Die Behand¬
lung des Exprimierten war die gleiche.
Versuch 1.
Z., 2S Jahre alt, Kaufmann, erhält Früh nüchtern 200 g ge¬
kochtes, fein gehacktes Rindfleisch in 200 g Fleischbrühe. Ex¬
pression nach % Stunden 13). Zwei Porttonen zu je 30 ccm werden,
wie oben beschrieben, zentrifugiert, das Gelöste vom Ungelösten
vollkommen getrennt. Oxydation jedes einzelnen Anteils mit
1 kleinen Messerspitze gelben Quecksilberoxyds und 20 ccm konz.
H2S04. Nach Zusatz der entsprechenden Mengen K2S und starker
Natronlauge Destillation des gebildeten NH3, das in y4 N. H2S04
aufgefangen wird. Titration mit y4 N. Na OH und Cochenille als
Indikator.
Das Exprimierte gibt stark saure Reaktion. Kongo negativ.
Portion A.
Der NHä-Gebalt d gelöst. Ei weissan teils sättigt 11,5 ccm */4 N-H2SO4
„ „ „ „ festen , „ 63,05 „ „
Portion B.
Der NHs-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt — ccm */ 4 N-H2SO4
>, n » » festen ,, „ 66,05 „ „
Es kommt also ein Teil gelöstes Eiweiss auf 5,48 Teile un¬
gelöstes = 15,4 Proz. gelöstes Eiweiss.
Versuch 2.
Derselbe. 175 g Fleisch in Bouillon mit 25 g Reis. Expression
nach % Stunden.
13) Aus besonderen äusseren Gründen wurde hier schon nach
% Stunden exprimiert.
Lakmus stark gerötet. Kongo negativ.
Portion A.
Der NFU-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 15,5 ccm */4 N-H2SO4
„ ,, » n festen „ „ » »
Portion B.
Der NIL-Gehalt d. gelüst. Eiweissanteils sättigt 13,2 ccm */4 N-H2SO4
„ „ „ - festen „ „ 46,15 „
Es kommt also 1 Teil gelöstes Eiweiss auf 3,48 ungelöstes
— 22,3 Proz. gelöstes Eiweiss.
Versuch 3.
E., 28 Jahre alt, Koi’bmacher. 200 g Fleisch in Bouillon. Ex¬
pression Dach 1 Stunde.
Lakmus stark gerötet. Kongo negativ.
Portion A.
Der NH3-Gehalt dl gelöst. Eiweissanteils sättigt 19,6 ccm l/i N-H2SO4
„ ,, ,, ,, festen ,, ,, 36,43 ,, „
Portion B.
Der NH3-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 22,0 ccm i/i N-H2SO4
„ „ „ ,, festen „ ,, 41,2 „ „
Es kommt also im Mittel 1 Teil gelöstes Eiweiss auf 1,86 un
gelöstes — 35,0 Proz. gelöstes Eiweiss.
Versuch 4.
Derselbe. 175 g Fleisch in Bouillon mit 25 g Reis. Ex¬
pression nach 1 Stunde.
Lakmus stark gerötet. Kongo negativ.
Portion A.
Der NH3-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 26,3 ccm 1/4 N-H2SO4
festen
41,7 „
Portion B.
Der NPU-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 28,1 ccm i/i N-H2SO4
,, „ „ ,, festen „ ,, 42,4 „ „
Es kommt also im Mittel 1 Teil gelöstes Eiweiss auf 1,55 un¬
gelöstes — : 39,2 Proz. gelöstes Eiweiss.
Versuch 5.
B., 20 Jahre alt, Former. 200 g Fleisch in Bouillon. Ex¬
pression nach 1 Stunde.
Lakmus stark gerötet. Kongo negativ.
Portion A.
Der NH3-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 12,7 ccm ‘/4 N-H2SO4
„ „ „ „ festen „ „ 45,3 „ „
Portion B.
Der NH3-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 12,8 ccm */ 4 N-II2SO4
„ ,, „ ,, festen ,, „ 37,35 ,, ,,
Es kommt also im Mittel 1 Teil gelöstes Eiwreiss auf 3,22 un¬
gelöstes = 23,7 Proz. gelöstes Eiweiss.
Versuch 6.
Derselbe. 175 g Fleisch in Bouillon mit 25 g Reis. Ex¬
pression nach 1 Stunde.
Lakmus stark gerötet. Kongo negativ.
Portion A.
Der NH3-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 17,0 ccm 1ji N-H2SO4
festen
28,3 „
Portion B.
Der NPU-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 18,4 ccm */4 N-H2SO4
» » » » f osten „ ,, 27,1 „ „
Es kommt also im Mittel 1 Teil gelöstes Eiweiss auf 1,57 un¬
gelöstes = 39,1 Proz. gelöstes Eiweiss.
Versuch 7.
B., 20 Jahre alt, Fuhrknecht. 200 g Fleisch in Bouillon. Ex¬
pression nach 1 Stunde.
Lakmus stark gerötet. Kongo negativ.
Portion A.
Der NH3-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 13,3 ccm 1/i N-H2SO4
» » » » festen „ „ 45,3 „ „
Portion B.
Der NH3-Gehalt d. gelöst. Eiweissan teils sättigt 14,8 ccm N-H2SO4
» j> » » festen „ „ 46,1 „ „
Es kommt also im Mittel 1 Teil gelöstes Eiweiss auf 3,25 Teile
ungelöstes = 23,5 Proz. gelöstes Eiweiss.
Versuch 8.
Derselbe. 175 g Fleisch in Bouillon mit 25 g Reis. Ex¬
pression nach 1 Stunde.
Lakmus stark gerötet. Kongo negativ.
Portion A.
Der NH3-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 20,8 ccm 1/ 4 N-H2SO4
n n » » festen „ „ 43,8 „ „
2. Dezember 1902
2005
M l T ENGE I EN E Li ME DI C INISCHE WO( ' 1 1 ENS( 1 1 UI ET
Portion B.
Der NH3-Gehalt d. gelöst. Eiweissanteils sättigt 19,1 ccm l/t N-H2SO4
» » » » festen „ „ 52,0 „
Es kommt also im Mittel 1 Teil gelöstes Eiweiss auf 2,39 un¬
gelöstes = 29,5 Pröz. gelöstes Eiweiss.
Verhältnis d.
gelösten zum
ungelösten
Eiweiss
Gelöstes Ei¬
weiss in Proz
Bemerkungen
1. Zerba
2. dto.
3. Eck
4. dto
5. Brust
6. dto
7. Bock
8. | dto
im Mittel
im Mittel bei
Fleisch ohne Reis
bei,, mit „
1 : 5,48
1 : 3,48
1 : 1,86
l : 1,55
1 : 3,22
1 : 1,57
1. : 3,25
1 : 2,39
1 : 2,51
1 : 3,09
1 : 2,08
15.4
22.3
35,0
39,2
23,7
39,1
23.5
29.5
28.5
24.4
32.5
Fleisch ohne Reis
„ mit
„ ohne „
„ mit
„ ohne „
„ mit
„ ohne „
„ mit
Aus den Versuchen ergibt sich, dass beim gesunden, er¬
wachsenen Mann bei unserer Nahrung die Proteolyse im Magen
gewissen individuellen Schwankungen unterworfen ist. Wenn
wir — auch unter Einrechnung des ersten Versuchs (Z., Ex¬
pression nach vi Stunden), der nicht ganz beweiskräftig ist —
aus den .Resultaten Schroeders11), die auf denselben Grund¬
lagen wie die unsrigen aufgebaut sind, und unseren Versuchen
Mittelzahlen ziehen, so ergibt sich folgender Durchschnitt
für das Minimum der Eiweisslösung im Magen:
Vers. Heinrich, Fleisch ohne Reis, gelöstes Eiweiss 24,4 Proz.
„ Schroeder'5) „ „ „ „ „ 33,2 „
* im Mittel, Fleisch ohne Reis: 28,8 Proz.
Vers. Heinrich, Fleisch mit Reis, gelöstes Eiweiss 32,5 Proz.
„ Schroeder15) „ „ „ „ , 43,4 „
im Mittel, Fleisch mit Reis ■"): 38,0 Proz
und der Durchschnitt aller \ ersuche zeigt eine Eiweisslösung
von 31,6 Proz.
Es zeigt sich, dass, je grösser die Versuchsreihe wird, und
trotz ziemlicher 1 ntersehiede im einzelnen (was auch nicht an¬
ders zu erwarten war) sich die Durchschnittswerte um 30 zu¬
sammenschieben, dass also bei gesunden erwachsenen Personen
nach , einer Stunde bei unserer Nahrung ein Drittel der
Gesamteiweissmenge im Magen gelöst gefunden
wird. In der Norm konnten wir also in Hebereinstimmung mit
Schroeder eine recht lebhafte chemische Arbeit des mensch¬
lichen Magens schon in der ersten Stunde feststellen, gleich¬
zeitig auch die schon früher bekannte Beobachtung erhärten, dass
eine energische Eiweisslösung statthat, olme dass freie HCl nach¬
weisbar ist. In allen unseren Versuchen fiel die Kongoprobe
negativ aus.
Die zweite Frage, ob die Lösung von Eiweiss im Magen
durch gleichzeitige Darreichung von Kohlehydraten beeinflusst
wird, scheint nach unseren Versuchen bejaht werden zu düi’fen.
lind zwar in dem Sinne, dass ein Zusatz von Reis zum Fleisch in
Bouillon die Proteolyse begünstigt. Es ergab sich dabei eine
bessere Eiweisslösung von 6 — 16 Proz., im Mittel aller vergleich¬
baren Versuche von 10 Proz. der Gesamtei weissmenge
oder eine Steigerung der Menge des gelösten Eiweis ses
um 33 Proz. Wie diese begünstigende Wirkung zu stände kommt,
ist allerdings eine noch offene Frage. Verschiedene Möglich¬
keiten — Vermehrung der Salzsäure- oder Pepsinabscheidung,
Veränderungen der Magenresorption und Magenentleerung —
wären hier zu berücksichtigen. Von diesen ist bereits vor langen
Jahren durch Schiff die Vermehrung des Pepsins der Magen¬
schleimhaut nach Darreichung von Dextrinen, selbst bei rektaler
Applikation, nachgewiesen und neuerdings durch H erzen 1B)
bestätigt worden. Ferner hat Pawlow1') an seinen Hunden
“) Die Zahlen bei Schroeder (1. c. S. 25) sind, nach
Richtigstellung eines kleinen Rechenfehlers, bei der Prozent-
bereehnung auf eine Dezimalstelle gebracht, wodurch sich der
Durchschnitt etwas erhöht.
13) Es dürfen hier nur die an denselben Personen ge¬
machten Versuche angeführt werden (Schroeder: Vers. 4, 5.
6, 7.)
10) Herzen: Pflügers Arch. Bd. 84.
1T) 1. c. S. 133 ff.
No. 48.
mit kleinem Magen gezeigt, dass Stärke, die an und für sich keine
Sekretion von Magensaft zu erregen vermag, in Verbindung mit
den Eiweisskörpern des Fleisches einen stärker verdauenden Saft
als Fleisch hervorruft. Es ist wahrscheinlich, dass dieselben Ver¬
hältnisse auch im Magen des Menschen obwalten, was sich auch
durch unsere Versuche zu bestätigen scheint, zumal wir wissen,
dass umgekehrt auch Stärke, die zugleich mit Eiweiss genossen
wird, besser gelöst wird, als wenn z. B. Brot allein gegessen
wird18). Diese Ergebnisse können auch für die praktische Diä¬
tetik — gemischte Kost — von einiger Bedeutung sein.
Sehlussätze.
1. Nach Verabreichung von gekochtem und feingehacktem
Rindfleisch wird im Magen des erwachsenen Gesunden während
der ersten Stunde ein Drittel der Eiweisskörper gelöst.
2. Diese Lösung findet ohne Auftreten freier HCl statt.
3. Zusatz von Amylaceen (Reis) zu der Fleischnahrung be¬
günstigt die Proteolyse im Magen — im Durchschnitt um
10 Proz.
Bericht über einen neuen Fall von syphilitischer
Magengeschwulst.
Von Dr. Max E i n h 0 r n, Professor der Medizin an der
New York Postgraduate Medical School, New York.
Die Literatur über Magensyphilis findet sich in einem Ar¬
tikel über diesen Gegenstand, den ich vor einigen Jahren
schrieb J). Ich teilte die Fälle von Magensyphilis in 3 Gruppen
ein :
1. Magengeschwür syphilitischen Ursprungs;
2. Syphilitische Geschwülste des Magens;
3. Syphilitische Pylomsstenose.
Die zweite Gruppe der „syphilitischen Magengeschwülste“
scheint die interessanteste zu sein. Denn einerseits gleicht sie
sehr dem Magenkrebs, andrerseits kann die Diagnose, die an¬
fänglich nur wahrscheinlich ist, bald durch das Resultat der Be¬
handlung, sowie durch das allmähliche Verschwinden der Ge¬
schwulst bestätigt werden.
Da Fälle von syphilitischer Magengeschwulst ziemlich selten
sind, so möchte ich folgende neue Beobachtung veröffentlichen.
Max F., 42 Jahre alt, klagt seit den letzten 7 Jahren über Ver¬
dauungsstörungen. Er leidet häufig an Magenschmerzen. Sein
Appetit ist schlecht und der Stuhlgang etwas verstopft. Pat. hat
nicht viel abgenommen, im ganzen ungefähr 8 Pfund. Vor
12 Jahren hatte er Syphilis.
Status praesens: Patient sieht ziemlich mager und blass aus.
Seine Zunge ist etwas belegt. Die Brustorgane weisen nichts Ab¬
normes auf. Im Epigastrium, etwa 2 Finger unterhalb des
Schwertfortsatzes, findet sich eine deutliche Resistenz (ungefähr
5 cm lang und 2 cm breit), die eine höckerige Oberfläche aufweist.
Der Magen liegt direkt darunter und erstreckt sich nach unten
bis ungefähr einen Finger breit unterhalb des Nabels.
Kniereflexe vorhanden. Urin enthält weder Zucker noch
Eiweiss.
Die Untersuchung des Mageninhaltes eine Stunde nach
E w a 1 d s Probefrühstück ergibt: HCl ff- Acid. = 40; keine Speise¬
reste vom Tage zuvor.
In diesem Falle war zweifellos eine Magengeschwulst vor¬
handen. Gewöhnlich würde man an eine maligne Geschwulst
denken. Mehrere bekannte Kliniker und Chirurgen hatten in
der Tat bei diesem Patienten schon eine positive Diagnose von
Magenkrebs gemacht und zur Operation geraten. Für den ersten
Augenblick wollte ich mich derselben Ansicht anschliessen, bei
einer genaueren Betrachtung jedoch fanden sich in diesem
Falle verschiedene Umstände, die gegen Magenkrebs sprachen.
Erstens die lange Dauer der Krankheit (7 Jahre), zweitens der
minimale Gewichtsverlust, drittens das Vorhandensein von freier
HCl und Fehlen jeglicher Speisereste vom Tage zuvor im Magen.
Diese Tatsachen in Verbindung mit der Geschichte einer durch¬
gemachten Syphilis berechtigten zu der Annahme, dass wir es
hier mit einem Gumma des Magens zu tun hatten.
Ich stellte den Patienten bei einer meiner Vorlesungen in
der Postgraduate Medical School vor und gab diese Gründe für
die Annahme des Vorhandenseins von Magensyphilis an. Sämt¬
liche bei der Vorlesung anwesenden Kollegen bestätigten die An-
is) vergl. u. a. V o 1 h a r d in der Diskussion zu Joh. Müllers
zit. Vortrag auf dem 19. Kongr. f. innere Med. 1901.
9 Max Einhorn: Ueber Syphilis des Magens. Arch. f.
Verdauungskrankh. 1900, pag. 150.
4
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Wesenheit einer deutlichen Geschwulst, wie sie oben beschrieben
wurde.
Der Patient wurde nun einer strengen antiluetischen Be¬
handlung unterworfen (Jodnatrium innerlich und Quecksilber¬
einreibungen) und sein Zustand besserte sich hierauf schnell.
Das allmähliche Verschwinden der Geschwulst konnte bei jeder
Untersuchung konstatiert werden, so dass nach 6 Wochen nichts
von der Resistenz mehr entdeckt werden konnte. Zu gleicher
Zeit nahm der Patient an Kraft und Gewicht zu und war nach
3 Monaten frei von irgendwelchen Verdauungsbeschwerden. Pat.
ist seitdem gesund geblieben und hat seine alten Magenbeschwer¬
den vollkommen verloren.
Es ist hier vielleicht am Platze, die Differentialdiagnose
zwischen Gumma ventriculi und malignem Magenneoplasma
etwas näher zu präzisieren.
In dem soeben beschriebenen Falle bestanden seit 7 Jahren
Magenbeschwerden, die sich nicht mit Magenkrebs in Einklang
bringen liessen. Dies braucht jedoch nicht stets der Fall zu
sein. In meinem früheren Artikel habe ich 2 Fälle von Magen¬
geschwülsten beschrieben mit kurzer Krankengeschichte, die
trotzdem syphilitischen Ursprungs waren.
Das Vorhandensein von freier IIC1 ist auch kein positiver
Beweis gegen Krebs und mag bei Gumma andrerseits gleichfalls
fehlen.
Ischochymie scheint bei syphilitischen Tumoren des Magens
viel seltener zu sein als bei Krebs des Organes. Eine Vor¬
geschichte von Syphilis, obgleich sie die Existenz einer syphi¬
litischen Affektion wahrscheinlich macht, ist auch nicht sehr
viel wert. Denn einerseits finden sich syphilitische Patienten
häufig genug mit Krebsaffektionen behaftet, andrerseits beob¬
achtet man Gmnmata des Magens manchmal bei Patienten, die
keine definitive Vorgeschichte von Syphilis darbieten.
Während beim Vorhandensein sämmtlicher obiger Symptome
(langwährende Magenbeschwerden, Vorhandensein freier HCl,
Abwesenheit von Ischochymie, deutliche Vorgeschichte von
Syphilis) die Vermutung der luetischen Natur der Geschwulst
gerechtfertigt sein mag, so kann jedoch nur unter folgenden Be¬
dingungen eine positive Diagnose gestellt werden:
1. Antisyphilitische Behandlung bessert die subjektiven
Symptome.
2. Sie bewirkt ferner ein allmähliches Verschwinden der Ge¬
schwulst, so dass dieselbe schliesslich nicht mehr gefühlt werden
kann.
Betreffs der Behandlung scheint die Anwendung der Jod¬
präparate (Jodnatrium, Jodkalium. Jodipin) von grösster Wich¬
tigkeit zu sein und ist häufig allein im stände, die Patienten
wieder herzustellen. Die Kur wird jedoch durch Anwendung
des Quecksilbers beschleunigt. Ich gebrauche gewöhnlich die alte,
aber rationelle Methode der Quecksilbereinreibungen. Diese
kombinierte Behandlung sollte ununterbrochen 3 Monate lang
fortgesetzt werden und das Jodnatrium noch 2 — 3 Monate lang
weiter gereicht werden.
Die Diät sollte eine reichhaltige sein, mit Ausschluss jedoch
von stark gewürzten oder besonders groben Nahrungsmitteln.
Viel Brot, Butter, Milch und Eier können warm empfohlen
werden
Ueber die Ausgleichung von Knochendeformitäten.*)
Von Dr. Konrad Port, Spezialarzt für Chirurgie.
M. H. ! Ich möchte Ihnen heute über ein ziemlich alltäg¬
liches Vorkommnis berichten, nämlich über eine hochgradige
rhachitische Verkrümmung, die sich im Laufe der Zeit all¬
mählich gerade gestreckt hat, wenigstens bis zu einem gewissen
Grad.
Das betreffende Kind kam, damals 3 Jahre alt, vor 4 y2 Jahren
in meine Behandlung wegen einer hochgradigen Verkrümmung
des linken Unterschenkels, dessen Form Ihnen das erste nebenan
gezeichnete Gipsmodell zeigt, welches im Anfang der Behandlung
genommen worden ist (Fig. 1). Es wurden teils Schienen mit
federndem Zug, teils Etappenverbände zur Korrektion verwendet.
Die Deformität änderte sich anfangs nicht. Nach etwa % Jahren
trat ziemlich plötzlich eine wesentliche Besserung ein zugleich
mit Hebung des Allgemeinbefindens und rascherem Wachstum.
Ich verlor dann bald die Patientin aus den Augen. Als ich sie
nach 1 Jahr wieder sah, war die Besserung noch bedeutend fort¬
geschritten, trotzdem während der ganzen Zeit keinerei Behandlung
stattgefunden hatte. Den Fortschritt zeigt Ihnen das zweite, da¬
mals angefertigte Gipsmodell (Fig. 1). In
der Folgezeit hat sich nun nicht mehr
viel verändert; die Krümmung des Beines
ist sich ziemlich gleich geblieben. Im
übrigen hat sich das Kind gut entwickelt ;
es ist nur wesentlich kleiner als seine
Altersgenossen.
Es ist bekannt, dass auch hoch¬
gradige rhachitische Verkrümmungen
bei Kindern innerhalb der ersten 6 Jahre
ausheilen; eine interessante Statistik
aus der Bergmann sehen Klinik er¬
gibt, dass diese Spontanheilung regel¬
mässig eintritt, wenn die Kinder über¬
haupt rasch wachsen, dass sie aber aus¬
bleibt, oder unvollständig ist, wenn die
Kinder hinter ihren Altersgenossen
in der Körpergrösse Zurückbleiben. Dies
Falle zu.
Fig. 1.
trifft auch in unserem
Die Art der Behandlung ist dabei erfahrungsgemäss ziemlich
gleichgültig. Auch ohne jede Behandlung tritt der gleiche
günstige Erfolg ein. Ich bekenne offen, dass ich meinen eigenen
therapeutischen Bestrebungen nur insofern einen Einfluss auf
die Heilung zuschreibe, als durch die Verbände dem Kinde das
Gehen ermöglicht wurde. Wegen der hochgradigen Verkrüm¬
mung konnte es nämlich mit blossem Fusse den Boden nicht
genügend erreichen.
In unserem Falle von schwer rliacliitischer Knochenverkrüm¬
mung bietet das Itöntgenbild interessante Aufschlüsse über die
Art und Weise, wie die Gerade¬
streckung vor sich geht. In neben¬
stehender Fig. 2 ’) sieht man, dass
der Knochen im oberen Drittel ein
deutliches Eck aufweist. Oberhalb
desselben ist der Knochen gerade,
unterhalb desselben zeigt er eine
Krümmung, und zwar ist die Krüm¬
mung der Markhöhle stärker als die
der äusseren Kontur. An der Kon¬
kavität ist die Kindenschickt wesent¬
lich dicker als auf der konvexen Seite
und füllt die Krümmung einiger-
massen aus. Die Krümmung der
Markhöhle dürfte im grossen und
ganzen der ursprünglichen Knoehen-
verkrümung entsprechen. Der ober¬
halb der Knickung befindliche gerade
Knochen ist der im Laufe der letzten
3 — 4 Jahre von der Knieepiphyse neu
angebildete Knochen (von der Knie-
epipliyse wird das Wachstum des
Unterschenkels im wesentlichen be¬
dingt). Die die Konkavität teilweise
ausfüllende Knochenmasse ist vom
Periost geliefert worden. Die Ge¬
raderichtung des Knochens ist also
erfolgt einerseits durch kompen¬
sierende Abweichung der Knochen¬
längsachse an der Epiphysengrenze
infolge ungleichmässiger Ivnochen-
bildung an dieser Stelle, andrerseits durch die ausgleichende un-
gleiclimässige Tätigkeit des Periostes.
Ich halte diese Beobachtung für einen wertvollen Beweis
gegen die übertriebenen Schlussfolgerungen, die man aus den
in gewissen Grenzen richtigen und äusserst. interessanten Be¬
obachtungen J. Wolffs von der Transformationskraft der
Knochen abgeleitet hat.
W o 1 f f hat, wie Sie wissen, an einer grossen Reihe sehr
schöner Präparate nachgewiesen, dass der Knochen in seiner
äusseren Gestalt sowohl, als in seinem inneren Bau, der Anord¬
nung der Spongiosabälkchen, mathematisch genau seiner Funk¬
tion angepasst ist, und dass Gestalt und Bau bedingt sind durch
seine statischen Verhältnisse, d. h. durch die Belastung, die er
auslialten muss, und durch den Zug der an ihm sich inserieren¬
den Muskeln. W o 1 f f hat ferner nachgewiesen, dass die An¬
ordnung der Knochenbälkchen und die Ausbildung der Korti-
kalis sich ändere, wenn die äussere Gestalt des Knochens eine
abnorme ist, der Knochen dadurch unter geänderte statische Ver¬
hältnisse (Druck- und Zugwirkungen) kommt. Dann passt sich
der innere Bau genau diesen neuen Verhältnissen an. Diese
*) Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein zu Nürnberg am
J) Schematisch nach dem Röntgenbild gezeichnet.
2. Dezember 1902.
M UENCHfyNER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2007
Fähigkeit der Umgestaltung wird als Transformationskraft be¬
zeichnet und gellt streng gesetzmässdg vor sich — Transforma¬
tionsgesetz.
\\ o 1 f f geht nun bei der Erörterung dieses Gesetzes so weit,
dass er sagt: Durch jede \ eränderung der statischen Verhältnisse
ändert sich entsprechend die Form und das Gefüge der Knochen
auch der Erwachsenen.
Mit diesem Ausspruch schiesst W o 1 f f entschieden über das
Ziel hinaus. Die Behauptung, dass sich Deformitäten auch bei
Erwachsenen von selbst korrigieren, widerspricht ebensosehr der
chirurgischen Erfahrung als den physiologischen Möglichkeiten.
In och niemand hat gesehen, dass beim Erwachsenen ein
ki unnn geheilter Knochenbruch jemals von selbst wieder zur nor¬
malen Form des Knochens geführt hat. Niemand hat gesehen,
dass ein Mensch, der mit krummen Beinen in das erwachsene
Altei eingetieten ist, später noch gerade Beine bekommen hat.
Wenn so etwas bei Erwachsenen wirklich vorkäme, so müsste man
es doch natürlich wahrnehmen, wie sich ja auch bei Kindern die
Geradestreckung von krummen Knochen der Beobachtung nicht
entzieht. Dass in dieser Beziehung bei Erwachsenen die Be¬
obachtung so vollkommen negativ ausfällt, ist bei näherer Ueber-
legung sehr begreiflich. 1 ür den fertig gebildeten Knochen des
Erwachsenen besteht eben nicht die physiologische Möglichkeit,
iigendwelche Gestaltsveränderungen einzugehen. Selbst eine
bloss auf die innere Struktur beschränkte Transformation,
welche zu einer makroskopisch erkennbaren Stellungsverände¬
rung der abnorm gerichteten Bälkclien und Streben führen
könnte, muss für den Erwachsenen als ausgeschlossen betrachtet
werden. Wenn auch an den Zellen des fertig gebildeten Knochens
der Erwachsenen eine fortwährende Stoffabgabe und Stoffauf¬
nahme stattfindet, und wenn auch bei dieser fortwährenden Er¬
neuerung des Zellenleibes kleine Formveränderungen desselben
vielleicht zu Stande kommen können, indem Zellen, die einem
besonders starken Druck ausgesetzt sind, verkümmern, andere,
weniger belastete, sich etwas ausdehnen und vergrössern mögen,
so werden diese inneren Vorgänge doch nie zu einer gröberen, mit
freiem Auge sichtbaren Strukturveränderung führen. W o 1 f f
hat auch tatsächlich bei seinen vielen mitgeteilten Fällen nicht
eines einzigen, bei Erwachsenen vorgekommenen Falles von Kor¬
rektion ausdrücklich erwähnt. Er ist sich, wie es scheint, über
den gewaltigen Unterschied, der in Bezug auf die Knochen-
transformation zwischen Kindern und Erwachsenen besteht, über¬
haupt nicht klar geworden.
In seinem an prachtvollen Abbildungen reichen Atlas findet
sich auch eine Tibia abgebildet, welche ziemlich genau unserer
Beobachtung entspricht, auf Tafel X, Fig. 71. Ich erlaube mir,
sie schematisch wiederzugeben (Fig. 3). An derselben sieht man
ebenfalls das obere Ende scharf mit einem Eck ab¬
gesetzt und vollständig gerade gerichtet, ferner auf
der konkaven Seite der Diaphyse eine mächtige Ver¬
dickung der Kortikalis. Von ersterer Erscheinung
nimmt W o 1 f f überhaupt keine Notiz, letztere er¬
klärt er als durch vermehrte Beanspruchung der
inneren Seite bedingt. Mir scheint diese Verdickung
viel zu mächtig, um nur durch statische Momente
bedingt zu sein. Ich möchte dieselbe vielmehr
ebenso wie in unserem Fall als durch die aus¬
gleichende Tätigkeit des Periosts bedingt, als Fiill-
V II masse, ansehen. Die innere Kontur dieser Ver-
>/i Jl dickung würde etwa der Kontur der früheren Mark¬
höhle zur Zeit des Floreszenzstadiums der Khachitis
entsprechen.
Fig. 3. Die Knochentransformation kann aus physio¬
logischen Gründen nur bei Kindern Vorkommen,
und es beschränkt sich auch bei diesen die Beseiti¬
gung der fasch gestellten Bälkchen auf jene Knochen¬
partien, welche im natürlichen W aclistumsprozesse zur Ein¬
schmelzung gelangen, und die Bildung von richtig ge¬
stellten Bälkchen auf die neu angesetzten Partien. Nur die
junge, gewissermassen noch im Flusse befindliche Knochensub¬
stanz kann sich den jeweiligen statischen Verhältnissen an¬
passen; der fertig gebildete, starre Knochen ist nicht mehr im
stände, in ausgiebiger Weise auf den statischen Reiz zu re¬
agieren.
Nur in einem Falle wird auch bei Erwachsenen der Knochen
wieder reaktionsfähig. Bei Entzündungen und Frakturen näm¬
lich wird das Periost, das mit dem Auf hören des Wüchstums
seine knochenbildende Tätigkeit eingestellt hatte, gewissermassen
wieder in den jugendlichen Zustand versetzt und erhält wieder
die Fähigkeit Knochen zu bilden. Bei Frakturen wird von ihm
dei Kallus produziert, welcher Knochen bildet genau in der¬
selben Weise wie früher der Epiphysenknorpel; oder das ent¬
zündlich gereizte Periost sondert Knochenlamellen ab. Das
Knochenmark hat nebenbei, beim Wachstum sowohl wie beim
pathologischen Reiz (und zwar nur beim entzündlichen oder trau¬
matischen), eine ausgleichende Tätigkeit, die derjenigen des
Periostes gewissermassen parallel geht. Wie beim wachsenden
Individuum aller schon vorhandene Knochen im grossen und
ganzen (nämlich abgesehen von der ausgleichenden Tätigkeit des
Markes) unverändert bleibt, so erleidet auch aller Knochen, der
nicht direkt im Bereich der Entzündung oder des Traumas ge¬
legen ist, keine Umformung.
Es können also neue statische Verhält¬
nisse nur ein wirken beim wachsenden Indi¬
viduum auf den noch neu hinzuwaohsenden
Knochen, beim Erwachsenen nach e i n e r Ver¬
letzung oder Entzünd u ng auf den durch diese n
Reiz neu sich bildenden Knoche n.
Bei der Ausgleichung der kindlichen Deformitäten spielen
die Epiphysenknorpel weitaus die wichtigste Rolle. Wie Sie
wissen, besitzen wir schon lange eingehende und sorgfältige
L ntersuehungen über das Wachstum des Knochens, besonders von
S ch uchardt, welche dartun, dass das Wachstum des Knochens
lediglich von den Epiphysenknorpeln und dem Periost besorgt
wird, indem durch erstere das Längen-, durch letzteres das
Dicken Wachstum erfolgt. Störungen in den Epiphysen haben
Störungen im Längenwachstum zur Folge, Störungen im Periost
bedingen Unregelmässigkeiten im Dickenwachstum. So sind die
Wachstumsstörungen nach operativer Verletzung der Epiphysen
bekannt und gefürchtet, ebenso bekannt sind die Wachstums¬
störungen bei osteomyelitischen Herden in den Epiphysen.
Es ist ferner schon mehrfach der Versuch gemacht worden,
die Entstehung von Deformitäten durch Störungen in der Epi¬
physentätigkeit zu erklären. So hat Mikulicz dies für das
Genu valgum dargetan. Dasselbe entsteht nach ihm dadurch,
dass die Epiphysenscheibe auf der inneren Seite höher ist und
mehr Knochen produziert als auf der äusseren. In derselben
Weise entsteht die Verkrümmung des Oberschenkels bei spitz¬
winkliger Kniegelenkskontraktur jugendlicher Kranker, auf
welche zuerst Brau n aufmerksam gemacht hat, durch ungleiche
Tätigkeit der vorderen und hinteren Hälfte des Femurepiphysen¬
knorpels. Ich selbst habe vor lVs Jahren versucht, die Ver¬
unstaltung skoliotischer Wirbel aus asymmetrischer Tätigkeit der
Epiphysenknorpel der Wirbel zu erklären. Auch auf experimen¬
tellem V ege sind Deformitäten durch Einwirkung auf die Epi¬
physenknorpel erzeugt worden, so u. a. von Helfe rieh.
Am Unterschenkel wird das Längenwachstum, wie schon er¬
wähnt, ganz überwiegend durch die Knieepiphyse besorgt; des¬
halb finden sich am Unterschenkel Erwachsener die Spuren kind¬
licher rhachitischer Verkrümmung nur in der Nähe der Malleolen.
Da die Epiphysen das Längenwachstum bedingen, und da sie
im stände sind, durch ungleichmässigen Ansatz von Knochen
eine Abweichung der Knochenlängsachse herbeizuführen, so ist
ihre grosse Bedeutung für die Korrektur von Deformitäten ein¬
leuchtend. Ferner ist aus dem vorhin Gesagten einleuchtend,
dass bei Verkrümmung des Unterschenkels die korrigierende
Knickung der Knochenlängsachse nur an der Knieepiphyse zu
Tage tritt.
Die Rolle, welche die Epiphysen bei der Ausgleichung von
Deformitäten spielen, wird von W o 1 f f durchaus nicht ge¬
bührend gewürdigt. Er scheint sich vorgestellt zu haben, dass die
Transformation im ganzen Knochen gleichmässig vor sich gehe,
während sie tatsächlich auf ganz bestimmte Bezirke be¬
schränkt ist.
Die W o 1 f f sehe Lehre von der Transformationskraft der
Knochen in ihre berechtigten Grenzen zurückzuführen und sie
mit der praktischen Erfahrung und den physiologischen Gesetzen
in Einklang zu bringen, erschien mir nicht nur vom wissenschaft¬
lichen Standpunkte, sondern auch mit Rücksicht auf die Gefahr
therapeutischer Verirrungen notwendig. Die Vorstellung von
der zeitlich unbegrenzten Transformationsfähigkeit der Knochen
könnte zu einem übertriebenen Vertrauen auf die Heilkraft der
4. *
2008
No. 48.
MUENCIIENER ME DICINISCII E M OCIIENSC IIRI4 I .
Natur führen und zur Hoffnung auf Spontanheilung auch nach
Abschluss des Wachstums verleiten; andererseits könnte sie zu
dem Versuch führen, die ausbleibende Spontanheilung auch bei
Erwachsenen noch durch Druck- und Zugapparate einzuleiten. Diese
Apparate sind schon bei Kindern meines Erachtens von sein ge
ringem Nutzen, sie können sogar schädlich wirken, wenn sie die
Kinder in der freien Benützung ihrer Extremitäten hindern, lc 1
glaube, dass es vollständig genügt, für kräftige Ernährung und
möglichst ausgiebige Bewegung im Freien zu sorgen, weil dadurc 1
das Wachstum befördert wird, was für die Ausgleichung der De¬
formitäten so bedeutsam ist, und weil bei dem tüchtigen ge¬
brauche der verkrümmten Extremitäten der korrigierende sta¬
tische Reiz am besten zur Geltung kommt. Notwendig sind
Apparate nur, wenn die Verkrümmung eines Beines so hoch-
gradig ist, dass das Kind mit dem Eusse nur ungenügend den
Boden erreichen kann; in diesem Falle muss das Bein künstlich
verlängert werden durch einen Apparat, der die volle Belastung
der Sohle ermöglicht. Vielleicht wäre auch noch bei sehr aus¬
gesprochenem Genu valgum ein Gehapparat am Platze, der dem
allzu starken Einknicken des Beines unter der Körperlast _ ent¬
gegen wirkt ; aber damit dürften die Anzeigen für mechanische
Einwirkungen so ziemlich erschöpft sein.
Operative Eingriffe werden im allgemeinen bis nach dem
6. Lebensjahre zu verschieben sein. V on da an bis zum Abschlüsse
des Wachstums sind die Veränderungen verhältnismässig geling.
Wenn also nach Ablauf des 6. Lebensjahres Verkrümmungen
zurückgeblieben sind, die einen Eingriff wünschenswert machen,
so kann man unbedenklich zur Operation schreiten.
Schwangerschaft kompliziert mit Portiokarzinom.
Von Dr. Goebel, Frauenarzt in Worms a. Rh.
Kommt während der Schwangerschaft I teruskarzinom zui
Kenntnis des Arztes, so ist — darin stimmen alle neueren
Autoren überein — auf die Frucht keine Rücksicht zu nehmen,
sondern dafür Sorge zu tragen, dass das malign erkrankte Organ
möglichst bald in toto entfernt wird; vorausgesetzt natürlich,
dass wir uns in einer Zeit der Schwangerschaft befinden, in der
die künstlich entwickelte Frucht noch nicht lebensfähig ist.
Auch darin herrscht bei den meisten Autoren 1 ebereinstimmung
der Ansichten, dass es vorzuziehen ist, den Uterus mit der
Frucht gemeinsam zu entfernen und nicht erst denselben zu ent¬
leeren. Der für die Entfernung einzu schlagende Weg ■ ob
vaginal, ob abdominal — richtet sich nach der Grösse des Uterus
bezw. nach der Zeit der Schwangerschaft, eventuell nach per¬
sönlichen Liebhabereien. Als Grenzpunkt für die vaginale Ent¬
fernung' gilt im allgemeinen der 5. Monat. Olshausen und
— wie ich erst nach der Operation des unten zu erwähnenden
Falls in der Martin-Sängerschen Monatsschrift und im Central¬
blatt für Gynäkologie lese — Benckiser und Schrö d e r
gelang es, einen Uterus im 6. Schwangerschaftsmonat vaginal zu
entfernen.
Ein Fall von Portiokarzinom im 6. Graviditätsmonat wurde
von mir am 12. Juli (hauptsächlich abdominal) operiert. Ich
führe denselben kurz an:
Von Kollegen W. liier wurde ich am 5. Juli zu einer im
c>. Monat graviden Dame hinzugezogen, welche seit kurzer Zeit
wieder Blutungen hatte. Die glücklicherweise ängstliche Familie
(eine Schwester starb kurz vorher an Carcinoma uteri) zog sofort
den Hausarzt zu, der sofort Verdacht auf Karzinom schöpfte.
Bei der Untersuchung fand ich die Portio in einen knolligen zer¬
fallenden Tumor verwandelt, der bei der Berührung blutete. Para¬
metrien frei. Die Spekularuntersuchung bestätigte den digitalen
Befund: der zerfallende Tumor ist bereits ziemlich ausgedehnt.
Diagnose: Carcinoma portionis. Die vorgeschlagene Operation
fand sofortige Einwilligung und fand — wie erwähnt — am
12. Juli statt. Ich beschloss, um die Portio möglichst im Ge¬
sunden von der Scheide loszutreumien, vaginal anzufangen und
abdominal die Operation zu beendigen. Stuhloperation: Gehörige
Peinigung der äusseren Genitalien und der Scheide (Seife, Wasser,
Sublimat). Auslöffelung und Verschorfung der Portio mittels Fa-
quelin. Circumcisio der Portio, Abschiebung der Blase, Unter¬
bindung der Uterinae. Nochmals gehörige Reinigung des vaginalen
Operationsfeldes und der Hände. Nunmehr umband ich die ganze
Portio nebst der Zervix, soweit sie in die Vagina hineinragte, mit
einer sterilen Serviette, die ich sicher befestigte, um ein Abrutschen
zu vermeiden. Ich bezweckte damit, bei der nun folgenden ab¬
dominellen Entfernung des Uterus eine Infektion der Bauchhöhle
durch die durchziehende Portio zu vermeiden. Nochmalige Des¬
infektion der Patientin etc., Beckenhochlagerung, Laparotomie.
Typische Totalexstirpation. Die Versorgung der Gefässe gelang
überraschend leicht. Die Stümpfe der Parametnen mit den Faden
werden in die Scheide eingeführt, Peritoneum darüber vernäht.
Schluss der Bauchwimde. Rekonvaleszenz verlief durchaus re-
aktionslos. Seidenfäden in der Scheide werden am 31. Juli ent¬
fernt. Bei der Entlassung am 7. August ist die V linde m der
■<,.i...iii,> platt, verheilt, ohne jede entzündliche Erscheinung.
Kombinierte Behandlung der Lungentuberkulose mit
Kalk und Tuberkulin.
Von Dr. R u d olph in Magdeburg.
Die Heilung der Lungentuberkulose vollendet sich, indem
an Stelle des kranken Gewebes entweder eine Bindegewebs-
wucheiung tritt oder indem die affizierten Partien verkalken.
Sehr häufig wirken beide Heilfaktoren zusammen. Das sehen
wir an den zumeist mit Kalk imprägnierten eingezogenen Narben
in den Lungenspitzen, die wir bei vielen Sektionen finden. Un¬
zweifelhaft sind diese Narben Folge abgeläufener tuberkulöser
Prozesse. Wenn diese Prämisse richtig ist, so können wir aus
diesen Lungenspitzennarben am besten lernen, wie ein solcher
krankhafter Zustand ausheilen kann.
Die Tendenz der Selbstheilung durch Bindegewebswucherung
suchen wir durch Tuberkulininjektionen zu unterstützen. Wir
wissen, dass durch dieselben eine Hyperämie in der Lmgebung
der erkrankten Partie hervorgerufen wird, und nehmen an, dass
durch die sich wiederholenden perituberkulösen Kongestions¬
zustände die Bindegewebswucherung angeregt wird.
Ueber Versuche, den Naturheilprozess der Verkalkung künst¬
lich zu fördern, findet sich nichts in der Literatur der letzten
20 Jahre. Tn früheren Jahrzehnten dachte man anders über
die Verwendung des Kalkes bei der Therapie der Phthise und
noch kurz vor der Entdeckung des Tuberkelbazillus priesen
Autoren die Kalkpräparate als wirksame Mittel, die Phthise in
ihrem Laufe aufzuhalten resp. zu heilen.
Den Kalkgehalt des Blutes zu erhöhen und dadurch die
Verkalkung der Tuberkel günstig zu beeinflussen, erscheint
a priori ganz plausibel. Unser Organismus hat offenbar schon
an und für sich das Bestreben, Fremdartiges, das sich in ihm
befindet, durch Verkalkung unschädlich zu machen. Ich ei-
innere an die pleuritischen und perikarditischen Kalkplatten,
an die Verkalkung von Myomen, an die Uterussteine, an das
Lithopädion, an die Verkalkung der Kapseln der Muskeltrichinen.
Und speziell bei der Spontanheilung tuberkulöser Lungenaffek¬
tionen sehen wir die Verkalkung eine grosse Rolle spielen. Der
bazillenhaltige, weiche Brei in den abgekapselten tuberkulösen
Neubildungen verhärtet durch Aufnahme von Kalksalzen. Die
schliessliche Caloifikation der Knoten bedeutet den völligen
Untergang der Mikroben. Nach Cornet ) soll schon Laennec
die Kalkablagerungen in den Lungen als Heilungsvorgänge an¬
gesehen haben.
Ist es möglich, den Kalkgehalt des Blutes zu erhöhen? Nach
Untersuchungen der Pharmakologen 2) ist dies schwierig. Unser
Darmkanal vermag nicht, wie der der Vögel, grössere Kalkmengen
zu resorbieren und die Wirkung des vielleicht Resorbierten kann
nur gering sein, weil nahezu gleiche Quantitäten, wie durch
den Darmkanal auf genommen sind, in den Harn übergehen.
Die Untersuchungen der Pharmakologen über die Resorp-
tionsfähigkeit des Kalkes beziehen sich fraglos auf den per os
inkorporierten. Ich versuchte daher ausser per os auch per elysma
Kalk dem Körper zuzuführen.
Tuberkulöse liess ich Abends vor dem Schlafengehen Kalk-
wasscrldystiere machen und zwar so, dass jedesmal 150 — 250 g
Kalkwasser mit gleichen Quantitäten warmen Wassers verdünnt
verbraucht werden. Die Kranken gewöhnen sich bald daran, die
Flüssigkeit zu halten. Dieselbe wird prompt resorbiert und ich
habe keinen Grund zu der Annahme, dass die in der Flüssig¬
keit enthaltene Kalkmenge 3) — ca. 14 g — nicht in den Körper
aufgenommen wird.
Zugleich lasse ich folgendes Pulver einnehmen :
Calc. carb.
Calc. phosphor. äa 20
S. 3 mal tägl. Vz Theelöffel.
') Cornet: Die Tuberkulose. 1899. S. 40(1.
-) Harnack: Lehrbuch der Arzneimittellehre. 1883. 8. 171
u. 172. ,
*) 1 Teil Kalziumhydroxyd löst sich in 750 Teilen Wasser bei
15 0 C. Hägers Handbuch der pharmazeutischen Praxis 1900,
Bd. I, S. 542.
2. Dezember 1902.
MlTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2009
Eine unangenehme Nebenwirkung habe ich bei dieser Me¬
thode der Kalkeinverleibung nicht beobachtet.
Diese Behandlung kombiniere • ich mit Etappentuberkulin-
kuren.
Durch die Tuberkulininjektion wird in der kranken Partie
und ihrer Umgebung ein neuer Reiz gesetzt. Zahlreiche weisse
Blutkörperchen ziehen dorthin, beladen mit Teilchen des dem
Blute zugeführten Kalkes. Was innerhalb der Zone der Reaktion
hegt, imprägniert sich mit dem letzteren. So in Kürze die
theoretischen Y oraussetzungen.
5. fortgeschrittene Fälle von Lungentuberkulose, bei denen
sämtlich Bazillen nachgewiesen waren, habe ich im. Verlaufe
eines Jahres mit der Tuberkulinkalkkur behandelt.
Ich lasse übrigens die Klystiere und das Einnehmen des
Pulvers, auch wenn die Etappe vorüber ist, fortsetzen.
Bei einem Falle schwanden alle Symptome4). Die 4 anderen
wurden so gebessert, wie ich es bisher nicht gesehen habe. Bei
2 der gebesserten war ein ganzer Lappen befallen.
Ich stehe auf dem Standpunkte, dass die leichtesten Fälle
von Lungentuberkulose heilen resp. heilen können bei jeder Be¬
handlung, selbst ohne jede Behandlung, dass aber, sobald der
tuberkulöse Prozess gewisse Grenzen überschritten hat, schätzungs¬
weise haselnuss- bis walnussgross geworden ist, durch die bisher
empfohlenen und angewandten Kuren selten ein Dauererfolg er¬
zielt worden ist. Nach meinen Beobachtungen an wohlsituierten
Patienten ist der Gewinn selbst der kostspieligsten Freiluftkuren
in den bei ühmtesten Kurorten illusorisch, wenn der Prozess nicht
im ersten Beginn ist. Das Allgemeinbefinden bessert sich, die
Krankheit selbst geht ihren Gang weiter. Ich halte den Auf¬
enthalt in frischer Luft für ein Schutzmittel, nicht für ein Heil¬
mittel. Die Kinder der schwindsüchtigen Armen infizieren sich
nui deshalb nicht allzu häufig, weil sie den ganzen Tag auf der
Strasse liegen.
Für die fortgeschrittenen Fälle von Lungentuberkulose
suchen wir Aerzte noch nach einem Heilmittel. Ich bin mir wohl
bewusst, dass, zumal noch kein autoptischer Befund vorliegt,
meine Beobachtungen bezüglich der Tuberkulinkalkkur an An¬
zahl und Dauer zu gering sind, um sichere positive Schlüsse
ziehen zu können; immerhin glaube ich mich danach für be¬
rechtigt zu halten, meine Anschauungen über eine anzustrebende
Verkalkung der Knoten resp. Bildung eines Abschlusses des
lokalen Prozesses durch eine feste Umwallung mittels einer mit
Kalk imprägnierten Bindegewebsschale hier kurz zum Ausdruck
zu bringen.
Bericht über die Ergebnisse der Schutzpockenimpfung
im Königreiche Bayern im Jahre 1901,
erstattet von dem k. Zentralimpfarzte, Medizinalrat
Dr. L. Stumpf.
A. Statistischer Teil.
I. Erste Impfung.
A. Allgemeines.
Zahl der Einwohner nach der Zählung von 1900 .... 6T76057
Gesamtzahl der zur Erstimpfung vorzustellenden Kinder . 210 549
Im Laufe des Geschäftsjahres vor dem Nachweise er¬
folgreicher Impfung zugezogene, im Vorjahre geborene
Kinder . 7 522
Impfpflichtig waren hienach . 218 071
Hievon sind im Laufe des Geschäftsjahres ungeimpft ge-
storben . 16 597
Ungeimpft verzogen sind . 12 796
Von der Impfpflicht befreit, weil sie die natürlichen Blat¬
tern überstanden haben . 7
Bereits im Vorjahre eingetragen als mit Erfolg geimpft . 12 737
Bereits im Vorjahre geimpft, aber erst jetzt zur Nach¬
schau erschienen . 88
Demnach sind impfpflichtig geblieben:
zum 1. Male . 169 061
» 2. „ 5 529
» 3 . 1 256
Im Ganzen 175 846
4) Ich spreche absichtlich nicht von Heilung, weil ich bei der
Tuberkulose wie bei der Syphilis eine Beobachtungszeit von
3 Jahren fordere.
No. 48.
Von den Pflichtigen wurden geimpft
Ungeimpft blieben:
1. auf Grund ärztlichen Zeugnisses vorläufig zurück¬
gestellt .
2. weil nicht aufzufinden oder zufällig ortsabwesend
3. weil vorschriftswidrig der Impfung entzogen
Im Ganzen
151746
13 143
6175
1782
21 100
B. Zahl der Geimpften, Erfolg der Impfung,
1. Impfpflichtig Gebliebene wurden geimpft . 154 746
{mit Erfolg . 443 074
ohne Erfolg . [ 4 43g
mit unbekanntem Erfolge . . . 196
Im Ganzen 144406
mit Erfolg . 10 078
privat < ohne Erfolg . 249
| mit unbekanntem Erfolge . *"43
Im Ganzen 10 340
2. Im Geburtsjahre wurden geimpft . 43 39g
( mit Erfolg . 11 897
und zwar öffentlich 1 ohne Erfolg . 255
| mit unbekanntem Erfolge . , 16
lm Ganzen 12 168
mit Erfolg . 4 103
privat 1 ohne Erfolg . 35
( mit unbekanntem Erfolge . .
Im Ganzen 1 138
3. Sonstige Nichtoflichtige wurden geimpft . . 154
und zwar öffentlich . 444
privat . 23
4. Somit wurden überhaupt zum ersten Male geimpft . 168 206
[ mit Erfolg . 155 088
und zwar öffentlich < ohne Erfolg . 4 3^7
| mit unbekanntem Erfolge . . . 230
[ mit Erfolg . 44)94
privat 1 ohne Erfolg . 284
[ mit unbekanntem Erfolge . 43
C. Erfolg der Impfungen nach der Art der Lymphe.
L Mit Tierlymphe wurden geimpft überhaupt ..... 168206
a) mit Lymphe aus der Zentralimpfanstalt . 164 830
f mit Erfolg . 155 087
und zwar öffentlich l ohne Erfolg . 4 394
( mit unbekanntem Erfolge . . 230
(mit Erfolg . 7 959
ohne Erfolg ... . . ' ’ ’ 459
mit unbekanntem Erfolge . 13
b) mit Glycerinlymphe aus anderen Bezugsquellen
oder mit anders aufbewahrter Lymphe . 3 376
(mit Erfolg . 4
ohne Erfolg . [ 3
mit unbekanntem Erfolge ... —
I mit Erfolg . 3235
privat ohne Erfolg . . . ." 134
( mit unbekanntem Erfolge . .
2. Mit Me ischenlymphe wurden geimpft (von Körper zu
Körper) . . .
3. Zahl der erzielten Pusteln bei den Impfungen mit
Tierlymphe . 664 898
a) bei den öffentlichen Impfungen . 624 593
„ „ privaten Impfungen . 40 305
b) „ „ impfpflichtig Gebliebenen . 617 822
» „ im Geburtsjahre Geimpften und son¬
stigen Nichtpflichtigen . 47 076
c) bei Impfungen mit Lymphe aus der Zentral¬
impfanstalt . 653 598
„ Impfungen mit anderweitig bezogener Gly¬
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe 11300
4. Fälle mit je 1 Pustel sind verzeichnet . 6 003
a) bei den öffentlichen Impfungen . 5 542
„ „ privaten Impfungen . 461
b) „ „ impfpflichtig Gebliebenen . 4 982
„ „ im Geburtsjahre Geimpften und son¬
stigen Nichtpflichtigen . 1 021
c) bei Impfungen mit Lymphe aus der Zentral¬
impfanstalt . 5 810
,, Impfungen mit anderweitig bezogener Gly¬
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe 193
5. Fehlimpf ungen . 1 681
a) bei den öffentlichen Impfungen . 1 897
„ „ privaten Impfungen . 284
b) „ „ impfpflichtig Gebliebenen . 1 385
„ „ im Geburtsjahre Geimpften und son¬
stigen Nichtpflichtigen . 296
c) bei Impfungen mit Lymphe aus der Zentral¬
impfanstalt . 1 541
„ Impfungen mit anderweitig bezogener Gly¬
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe 140
5
2010
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4S.
D. Berechnungen.
1. In Prozenten der Erstimpfungen wurden geimpft:
a) \ ohne Erfolg .
| mit unbekanntem Erfolge .
b) mit Lymphe aus der Zentralimpfanstalt . . .
„ anderweitig bezogener Glycerin- oder anders
aufbewahrter Lymphe .
2. Durchschnittliche Pustelzahl überhaupt .
und zwar bei Impfungen mit Lymphe aus der Zentral¬
impfanstalt .
bei Impfungen mit anderweitig bezogener Glycerin- oder
anders aufbewahrter Lymphe .
3. Fälle mit nur je 1 Pustel überhaupt .
und zwar bei Impfungen mit Lymphe aus der Zentral¬
impfanstalt .
bei Impfungen mit anderweitig bezogener Glycerin¬
oder anders aufbewahrter Lymphe .
4. Fehlimpfungen in Prozenten der Impfungen überhaupt
und zwar bei Impfungen mit Lymphe aus der Zentral¬
impfanstalt .
bei Impfungen mit anderweitig bezogener Glycerin¬
oder anders aufbewahrter Lymphe .
II. Wiederimpfung.
A Allgemeines.
98,80
1,0
0,14
97,99
2,01
4,0
4,01
3,49
3,61
3,56
5,96
1,0
0,94
4,15
( mit Erfolg . . . . .
privat ohne Erfolg . . .
( mit unbekanntem Erfolge .
b) mit Glycerinlymphe aus anderen Bezugsquellen oder
anders aufbewahrter Lymphe .
und zwar öffentlich .
I mit Erfolg .
privat J ohne Erfolg .
I mit unbekanntem Erfolge .
2. Mit Menschenlymphe (von Körper zu Körper) wurden
wiedergeimpft .
3 Fälle mit vollkommenen Pusteln überhaupt ....
a) bei den öffentlichen 1 £
„ „ privaten [Wiederimpfungen ....
b) „ „ wiederimpfpflichtig Gebliebenen .
„ „ Nichtpflichtigen (ausserordentl. Impfungen)
c) Wiederimpfungen mit Lymphe a. d. Zentralimpfanstalt
„ ,, anderweitig bezogener Glycerin¬
oder anders aufbewahrter Lymphe .
4. Fälle mit Bläschen oder Knötchen überhaupt . . . .
5. Fehlimpfungen überhaupt .
a) bei den öffentlichen I , . ~
„ „ privaten j Wiederimpfungen .
b) „ „ wiederimpfpflichtig Gebliebenen .
„ „ Nichtpflichtigen .
c) Wiederimpfungen mit Lymphe a. d. Zentralimpfanstalt
„ „ anderweitig bezogener Glycerin¬
oder anders aufbewahrter Lymphe .
1 743
294
47
176
159
17
97 520
96 281
1239
95 214
2 306
97 379
141
29 299
1604
1293
311
1077
527
1587
17
Gesamtzahl der zur Wiederimpfung vorzustellenden
Kinder . 126 706
Hievon sind im Laufe des Geschäftsjahres ungeimpft ge¬
storben . 123
Hievon sind im Laufe des Geschäftsjahres ungeimpft ver¬
zogen . 1 893
von der Impfpflicht befreit, weil sie in den vorhergehen¬
den 5 Jahren die natürlichen Blattern überstanden . 6
während der 5 vorhergehenden Jahre mit Erfolg geimpft 345
Zugezogen sind im Laufe des Geschäftsjahres . 966
Es sind wiederimpfpflichtig geblieben:
zum 1. Male . 123 975
„ 2. „ . 1 056
„ 3. . . 274
Im Ganzen 125 305
Hievon wurden wiedergeimpft . 123 799
Ungeimpft blieben:
auf Grund ärztlichen Zeugnisses vorläufig zurückgestellt 1 075
wegen Aufhörens des Besuches einer die Impfpflicht be¬
dingenden Lehranstalt . 49
weil nicht aufzufinden oder zufällig ortsabwesend .... 123
weil vorschriftswidrig der Impfung entzogen . 259
Im Ganzen 1 506
B. Zahl der Wiedergeimpften, Erfolg der Wieder¬
im p f u n g.
1. Wiederimpfpflichtige wurden geimpft . 123 799
f mit Erfolg . 121 949
und zwar öffentlich < ohne Erfolg . 1 015
( mit unbekanntem Erfolge . . 93
Im Ganzen 123 057
( mit Erfolg . 675
privat ohne Erfolg . . 62
| mit unbekanntem Erfolge . 5
Im Ganzen 742
2. Nichtwiederimpfpflichtige wurden geimpft . 4 945
[ mit Erfolg . 2 968
und zwar öffentlich 1 ohne Erfolg . 278
l mit unbekanntem Erfolge . . 181
Im Ganzen 3 427
f mit Erfolg . 1 227
privat j ohne Erfolg . 249
| mit unbekanntem Erfolge . 42
Im Ganzen 1 518
3. Somit wurden überhaupt wiedergeimpft . 128 744
I mit Erfolg . 124 917
und zwar öffentlich ohne Erfolg . 1 293
| mit unbekanntem Erfolge . . . 274
[ mit Erfolg . 1 902
privat j ohne Erfolg . . 311
[ mit unbekanntem Erfolge . 47
C. Erfolg der Wiederimpfung nach der Art der
Lymphe.
1. Mit Tierlymphe wurden wiedergeimpft überhaupt . .
a) mit Lymphe aus der Zentralimpfanstalt .
f mit Erfolg .
und zwar öffentlich ohne Erfolg . . .
[ mit unbekanntem Erfolge
128 744
128 568
124 917
1293
274
D. Berechnungen.
1. In Prozenten der Wiedergeimpften wurden geimpft:
a) mit Erfolg . 98,50
ohne Erfolg . 1,25
mit unbekanntem Erfolge . 0,25
b) mit Lymphe aus der Zentralimpfanstal t . 99,86
„ anderweitig bezogener Glycerin- oder anders auf¬
bewahrter Lymphe . 0,14
2. Fälle mit vollkommenen Blattern in Prozenten der er¬
folgreichen Wiederimpfungen überhaupt . 76,90
und zwar bei Wiederimpfungen mit Lymphe aus
der Zentralimpfanstalt . .... 76,88
mit anderweitig bezogener Glycerin- oder anders
aufbewahrter Lymphe . 88,68
3. Fälle mit Bläschen oder Knötchen in Prozenten der
erfolgreichen Wiederimpfuugen . 23,10
4. Fehlimpfungen in Prozenten der Wiederimpfungen
überhaupt . 1,25
und zwar bei Wiederimpfungen mit Lymphe aus der
Zentralimpfanstalt . 1,24
bei Wiederimpfungen mit anderweitig bezogener Gly¬
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe . 10,69
B. Sachlicher Teil.
Hie gesamte Produktion von Tierlymphe belief
sich im Jahre 1901 auf 471900 Portionen, gegen das Vorjahr
weniger -um 25 100 Portionen. Diese gesamte Menge von Lymphe
wurde geliefert von 68 Kälbern, 22 Stier- und 46 Kuh-Kälbern.
50 Tiere wurden mit Menschenlymphe, 17 mit Tierlymphe und
1 Kalb — No. 45 — mit Variolavirus geimpft. Die mit Menschen¬
lymphe geimpften Tiere ergaben 470,60 g, die mit animaler
Lymphe 129,86 g Rohstoff. Die ersteren waren fast aus¬
nahmslos mittels Flächenimpfung, die letzteren mittels einzelner
Stich- und Strichinsertionen geimpft, welche in der Zahl von
§00 — 1000 einzelner Insertionen auf je einem Tiere angelegt
wurden. Bei den mit Menschenlymphe geimpften Tieren trifft
auf jedes die Durchschnittsmenge